Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich den Präsidenten des Interparlamentarischen Rates, Herrn Miguel Angel Martinez, der auf der Ehrentribüne Platz genommen hat, ganz herzlich begrüßen.
({0})
Ich heiße Sie im Plenum des Deutschen Bundestages im Namen aller seiner Mitglieder herzlich willkommen und nutze die Möglichkeit, Ihnen - diesmal persönlich - zur Wahl zum neuen Präsidenten des Interparlamentarischen Rates zu gratulieren.
Sie sind uns aus Ihrer Zeit als Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und als Freund Deutschlands in bester Erinnerung. Wir arbeiten gern mit Ihnen zusammen.
Ich wünsche Ihrem Treffen der Mitglieder des Steuerungsausschusses der Gruppe der Zwölf Plus innerhalb der Interparlamentarischen Union am heutigen Tag einen guten Verlauf und ein erfolgreiches Wirken. Im Oktober 1999 werden wir die 102. Interparlamentarische Konferenz in Berlin durchführen. Bis dahin gutes Schaffen!
Ebenfalls noch vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich dem Kollegen Heinrich Lummer, der am 21. November seinen 65. Geburtstag feierte, nachträglich sehr herzlich.
({1})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
1. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({3}) - Drucksachen 13/8011, 13/8671, 13/8955, 13/90652. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen - Drucksache 13/8685 Des weiteren soll die vorgesehene erste Beratung eines GKV-Rechtsangleichungsgesetzes, die für Donnerstag vorgesehen war, abgesetzt werden und die abschließende Beratung zum Eheschließungsrechtsgesetz nicht heute, sondern im Laufe der Woche ohne Aussprache erfolgen.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Die in der 203. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. November 1997 überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen nachträglich zusätzlich dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Günther Maleuda, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS zur änderung des Grundgesetzes - Drucksache 13/8678überwiesen:
Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Gesetzentwurf des von den Abgeordneten Hermann Bachmaier, Marianne Klappert, Brigitte Adler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 13/8597 überwiesen:
Rechtsausschuß ({5})
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Gesetzentwurf des von den Abgeordneten Ulrike Höfken, Gerald Häfner, Gila Altmann ({6}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 13/8249 überwiesen:
Rechtsausschuß ({7})
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Die in der 203. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. November 1997 überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll nachträglich zusätzlich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Unterrichtung durch die Bundesregierung: Beschluß der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis des Vierten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion" ({8}) - Drucksache 13/ 8936 überwiesen:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
- Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998
({10})
- Drucksachen 13/8200, 13/8883 - ({11})
- Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 ({12})
- Drucksachen 13/8199, 13/8803 - ({13})
Die Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses sind jeweils unter den folgenden einzelnen Punkten aufgeführt.
Wir kommen zu den Einzelplänen, und zwar zunächst zu den drei Einzelplänen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 13/9001, 13/9025 -Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Wieczorek ({14}) Dr. Hermann Kues
Dr. Wolfgang Weng ({15})
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Einzelplan 01 einstimmig angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 13/9002, 13/9025 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({16})
Ina Albowitz Rudolf Purps Antje Hermenau
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Einzelplan 02 mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. sowie mehrheitlich der SPD bei Gegenstimmen aus der SPD und der PDS und einer Enthaltung bei den Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ältestenrates
Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin
- Drucksache 13/9046 Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Kollege Wolf-Michael Catenhusen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns haben an der bewegenden Debatte vom 20. Juni 1991 in diesem Hause teilgenommen. Damals hat die Mehrheit des Deutschen Bundestages entschieden, daß Berlin wieder Hauptstadt des vereinten Deutschlands wird und der Bundestag und die Bundesregierung ihren Sitz in Deutschlands Hauptstadt nehmen. Am 10. März 1994 haben wir unsere Absicht bekräftigt, „in der übernächsten Legislaturperiode" - so heißt es im Beschluß - möglichst früh, spätestens in der Sommerpause 2000, die Arbeit in Berlin aufzunehmen.
Bis heute sind kritische Fragen an den damaligen Beschluß nicht verstummt. Aber in Berlin sind die großen Baufortschritte beim Reichstagsgebäude unverkennbar und werden die Baugruben für unsere neuen Bürogebäude ausgeschachtet. Heute können wir hier im Plenum die letzte praktische Konsequenz aus dem Beschluß von 1991 ziehen und über den Umzugstermin entscheiden.
Es wird Zeit, Kolleginnen und Kollegen, diese Entscheidung zu treffen. Wir brauchen klare Perspektiven für unsere Arbeit in der nächsten Legislaturperiode. Wir brauchen Klarheit für die Berufs- und Lebensplanung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und all derjenigen, die mit ihren Familien unserem Umzug folgen werden. Auch die Stadt Berlin und viele Investoren brauchen Klarheit über den Umzugstermin.
Nach gründlichen Vorberatungen in der Raumkommission legt der Ältestenrat heute eine von allen Seiten des Hauses getragene Beschlußempfehlung vor. Die Eckpunkte dieser Beschlußempfehlung lauten:
Der Deutsche Bundestag bezieht das Reichstagsgebäude im April 1999 und nimmt mit Beginn der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause 1999 seine parlamentarische Arbeit in Berlin auf.
Dazu werden wir zunächst neben dem Reichstagsgebäude bestehende Bauten des Bundes nutzen und natürlich auch eine begrenzte Zahl von Büros anmieten. Ein Großteil dieser Bauten wird übrigens auf Dauer vom Bundestag genutzt werden; von Doppelinvestitionen kann deshalb keine Rede sein. Wir Abgeordneten werden dann mit mindestens eineinhalb Räumen noch nicht über optimale, aber unter dem Strich, so denke ich, doch ausreichende Arbeitsbedingungen verfügen, bis wir frühestens nach acht Monaten, aber sicher im Sommer 2000 unsere Büros in den Neubauten beziehen können.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit feststellen: Wir sprengen mit unserem heutigen Beschluß nicht den finanziellen Rahmen für den Umzug. Zusatzkosten werden zu einem erheblichen Teil durch Freigabe von Räumen in Bonn gegenfinanziert werden können. Die Grundsatzdebatte über den Umzug von Bonn nach Berlin wird heute für jedermann abgeschlossen. Natürlich wird auch der Bauherr Bundestag bis zur Fertigstellung der Neubauten nicht frei von den Alltagssorgen eines Bauherrn bleiben. Die Gestaltung des Adlers im Plenarsaal, aber auch die Frage, ob unsere künftige Postanschrift „Bundeshaus" heißen wird, werden sicherlich zu lebhafter Debatte und öffentlicher Anteilnahme führen. Wir haben auch Verantwortung dafür, daß für alle Gruppen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also etwa auch für unsere Parlamentsboten und für unseren Fahrdienst, bald Klarheit über ihre persönliche Zukunft geschaffen wird.
Es wäre aber gut, wenn der weitere Fortgang der Umzugsvorbereitungen und Baumaßnahmen mit mehr Gelassenheit begleitet würde,
({0})
von uns ebenso wie von den Medien in Berlin und in Bonn.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher: Viele Menschen werden - bei unterschiedlicher Betroffenheit und unterschiedlicher Begeisterung - nun doch erleichtert darüber sein, daß der Termin für unseren Umzug nach Berlin heute festgelegt wird. Ab morgen beginnt die Vorbereitung auf den Umzug, die Vorbereitung auf unsere Arbeit und unser Leben in Berlin.
Ich bin mir allerdings sicher - das möchte ich zum Abschluß noch sagen -, daß uns in den nächsten Monaten noch klarer als bisher werden wird, daß die Arbeit des Bundestages in Bonn zu den besten Jahren deutscher parlamentarischer Demokratie und Tradition zählt.
({2})
Ich bin auch sicher, daß wir guten Grund haben werden, unsere Erfahrungen und unsere Traditionen nach Berlin mitzunehmen und dort weiterzuentwikkeln.
Schönen Dank.
({3})
Bevor wir zur Abstimmung kommen, wollen drei Kollegen eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben.
Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Peter Conradi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Einzelplan 02 nicht zugestimmt, nicht wegen des Berlin-Umzugs - dieser Entschließung stimme ich natürlich zu -, sondern weil ich meinem Unmut und meinem Ärger über die steckengebliebene Parlamentsreform Ausdruck geben wollte. Wir haben zwar über die Diäten der Abgeordneten entschieden; wir haben die Anzahl der Bundestagsabgeordneten etwas verkleinert. Die Begeisterung des Publikums darüber hält sich in Grenzen. Die eigentliche Aufgabe der Parlamentsreform aber, die Arbeit des Parlaments transparenter, einsichtiger, interessanter und lebhafter zu machen, haben wir nicht erfüllt. Das Volk versteht die Volksvertretung nicht als seine Vertretung und den Bundestag nicht als das Haus, in dem seine Probleme diskutiert werden.
Ich habe gegen den Einzelplan 02 gestimmt, weil unser Versuch, am Donnerstag eine Kernzeitdebatte über wichtige, übergreifende Themen mit kurzen Beiträgen zu führen, gescheitert ist. Wir sind wieder in der wöchentlichen Routine der wechselseitigen Schuldzuweisungen versackt. Daß unsere erste Bank - das kann man ihr nicht übelnehmen - dabei nicht immer durch Neues glänzt - wie könnte es bei der wöchentlichen Wiederholung auch anders sein? -, ist zu entschuldigen. Daß sich das Publikum von dieser Art stereotyper Rituale abwendet, ist jedoch verständlich. Das Haus ist sehr wohl in der Lage, qualifizierte Debatten zu führen. Ich denke etwa an die Debatte über die Wehrmachtsausstellung oder die Debatte über das Transplantationsgesetz.
Ich habe gegen den Einzelplan 02 gestimmt, weil es uns nicht gelungen ist, das Plenum von Ausschußberatungen zu entlasten. Hier finden stundenlang Ausschußberatungen statt, bei denen noch nicht einmal die Ausschußmitglieder anwesend sind. Der Versuch, die Ausschüsse öffentlich tagen zu lassen oder wenigstens anstelle der zweiten Lesung im Plenum dort eine abschließende öffentliche Debatte zu führen, ist gescheitert.
Ich habe gegen den Einzelplan 02 gestimmt, weil die Koalitionsfraktionen im Ältestenrat eine Behandlung dieser Themen, also die für den Sommer vereinbarte Aussprache über die Parlamentsreform, verweigert haben. Eine schwache Regierung will offenbar ein schwaches Parlament.
({0})
Ich muß allerdings einräumen, daß auch das Drängen der Opposition auf eine Parlamentsreform stürmischer hätte sein können. Möglicherweise hängt das mit der Aussicht auf die Regierungsübernahme zusammen,
({1})
die die Reformfreude für ein stärkeres Parlament nicht unbedingt fördert.
Ich habe mit Bedauern gegen den Einzelplan 02 gestimmt, weil ich den Eindruck habe, daß der Bundestag in seiner 13. Legislaturperiode an öffentlichem Ansehen verloren hat. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß uns in dieser Legislaturperiode doch noch ein Schritt gelingen könnte, die Arbeit des Hauses transparenter, verständlicher und lebendiger zu machen.
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Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat jetzt der Kollege Friedhelm Julius Beucher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Beschlußempfehlung des Ältestenrates bezüglich des vorzeitigen Umzuges des Deutschen Bundestages nach Berlin werden ich und eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus nicht zustimmen. Dem Einzelplan 02 haben einige Kolleginnen und Kollegen deshalb nicht zugestimmt, weil diese Beschlußempfehlung darin enthalten ist.
Die Entscheidung, vor Fertigstellung der dortigen Parlamentsneubauten nach Berlin umzuziehen, verstößt nach unserer Auffassung in mehrfacher Weise gegen die Beschlüsse des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1994.
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Diese forderten unmißverständlich - ohne Wenn und Aber - einen Umzug ohne Mehrkosten, nicht in Provisorien und - als weitere Voraussetzung - einen Umzug ohne Gefährdung der Arbeitsfähigkeit.
({1})
Nicht nur im Rheinland werden die Bürgerinnen und Bürger immer aufmerksamer, wenn Parlamente gegen ihre eigenen Beschlüsse verstoßen - dies um so mehr, wenn man durch diese Entscheidungen selbst betroffen ist.
In Anbetracht der dramatischen Situation der öffentlichen Finanzen und .als Konsequenz zur Beschlußlage des Bonn/Berlin-Gesetzes von 1994 werden wir deshalb gegen diese Beschlußempfehlung stimmen, die für den vorzeitigen Umzug nach der Sommerpause 1999 zusätzliche Aufwendungen in zweistelliger Millionenhöhe notwendig macht, die den Umzug in Provisorien - durch Anmietung und
Herrichtung von Bauten, die ursprünglich nicht für Parlament und Verwaltung vorgesehen waren ({2})
beinhaltet und die die Arbeitsfähigkeit des Parlaments erheblich beeinträchtigt.
Der Deutsche Bundestag beendet mit der Zustimmung zu dieser Beschlußempfehlung und zu dem Einzelplan 02 ohne Debatte die Diskussion über den sinnvollen und kostensparenden Zeitpunkt des Umzuges. Das spricht nicht für ein selbstbewußtes Parlament.
({3})
Als nächster der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.
Klaus-Jürgen Warnick [PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 20. Juni 1991 entschied sich der Deutsche Bundestag knapp mit 338 Stimmen für Berlin als künftigen Sitz von Parlament und Regierung. Die PDS war dabei mit ihren 15 JaStimmen das Zünglein an der Waage. Die Arbeitsfähigkeit sollte innerhalb von vier Jahren hergestellt werden. Heute stimmen wir darüber ab, diese Arbeitsfähigkeit innerhalb von acht Jahren herzustellen.
Ich werde nicht gegen die Beschlußempfehlung stimmen, weil heute endlich eine wichtige und überfällige Entscheidung getroffen wird und damit auch den Intentionen des Antrages der PDS in der Drucksache 13/6821 vom 29. Januar 1997 entsprochen wird.
Ich werde der Beschlußempfehlung aber auch nicht zustimmen, da ich mich zwar auf Grund des Abstimmungsverhaltens der PDS am 20. Juni 1991 für den Umzugsbeschluß mitverantwortlich fühle, aber nicht die Verantwortung für die Art und Weise, wie dieser Beschluß umgesetzt wurde, übernehmen kann und will. Ich werde der Beschlußempfehlung nicht zustimmen, weil es möglich gewesen wäre und teilweise noch heute ist, diesen Umzug wesentlich schneller, bescheidener und preiswerter zu gestalten.
({0})
Aufwendige, zum Teil unnötige Bauvorhaben, hohe Zuschüsse für den Erwerb von Wohneigentum selbst bei gutverdienenden Spitzenbeamten, kostenlose Flüge zwischen Bonn und Berlin und separate Kitas - um nur einiges in Stichworten zu nennen - führten dazu, daß der Berlin-Umzug ein Reizwort für viele Menschen in Berlin und Brandenburg, in der Bonner Region und im gesamten Land wurde.
Ich werde der Beschlußempfehlung nicht zustimmen, weil auch die Beratung der Einzelpläne 02 und 25 des Haushaltes 1998 verdeutlichte, daß auch künfKlaus-Jürgen Warnick
tig Sparsamkeit bei sich selbst nicht das oberste Gebot sein wird. Davon zeugt die Ablehnung sämtlicher Vorschläge und Änderungsanträge der PDS in den vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr.
Ich werde mich zu dieser Beschlußempfehlung der Stimme enthalten, weil trotz entsprechender Nachfragen der PDS in den Beratungen zu den einzelnen Punkten dieser Beschlußempfehlung, insbesondere zu Punkt 2 und 5, weiterhin Klärungsbedarf besteht.
Ich danke Ihnen.
({1})
Vor der Abstimmung teile ich dem Parlament für das Protokoll mit, daß weitere elf persönliche Erklärungen zur Beschlußempfehlung von seiten der CDU/CSU sowie weitere 20 aus den Reihen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vorliegen.*)
Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ältestenrats zum Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin auf Drucksache 13/9046? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit aus CDU/CSU, SPD, F.D.P. und Bündnis 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen aus CDU/CSU, SPD, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltungen aus PDS und anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 13/9003, 13/9025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese Herbert Frankenhauser
Dr. Wolfgang Weng ({0}) Antje Hermenau
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist bei Enthaltung der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 13/9008, 13/9025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Susanne Jaffke Jürgen Koppelin Oswald Metzger Manfred Hampel Antje Hermenau
s) Anlagen 2 bis 6
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 13/9022 - Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Michael von Schmude
Dr. Wolfgang Weng ({1}) Karl Diller
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 13/9024 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby Wilfried Seibel
Kristin Heyne
Dr. Wolfgang Weng ({2})
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 13/9018, 13/9025 Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps Wilfried Seibel
Dr. Wolfgang Weng ({3}) Oswald Metzger
Zum Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Zwei Änderungsanträge der SPD sind angekündigt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Karl Diller.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte ist eine Debatte über den finanz-, sozial- und wirtschaftspolitischen Konkurs der Regierung Kohl.
({0})
Es geht nicht nur um das Versagen des Finanzministers Waigel. Den Scherbenhaufen in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik haben Sie, Herr Bundeskanzler, ganz persönlich zu verantworten; denn nach dem Grundgesetz bestimmen Sie die Richtlinien der Politik.
({1})
CDU/CSU und F.D.P. haben die Krise geschaffen, die Sie jetzt beklagen: Arbeitslosenrekord, Schuldenrekord, Abgabenrekord und Pleitenrekord. Schuld sind bei Ihnen aber immer andere. Doch die Finanzierung der deutschen Einheit und die GlobalisieKarl Diller
rung des wirtschaftlichen Wettbewerbs haben die bestehenden Strukturprobleme nicht geschaffen, sondern nur zugespitzt. Erst unter Ihrer Regierung wurden diese Herausforderungen zu einer existentiellen Finanz- und Sozialkrise verschärft. Deshalb, Herr Bundeskanzler, hat niemand mehr Vertrauen zu Ihrer Politik.
({2})
Sie haben das Vertrauen verspielt, weil zwischen Ihren Ankündigungen und Ihren Leistungen - das habe ich Ihnen erst kürzlich im Haushaltsausschuß vorgehalten - riesige Widersprüche bestehen. Von Ihrer Steuerlüge 1990 bis zum Versprechen, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 zu halbieren: Stets haben Sie Garantien und Zusagen gebrochen oder Beschlossenes zurückgenommen.
Wozu, Herr Bundeskanzler, Ihre geistig-moralische Erneuerung verkommen ist,
({3})
zeigt dieses Beispiel: Während Sie die Leistungen für Rentner und Arbeitslose kürzen, schanzen Sie weiterhin Ihren entlassenen oder ausgeschiedenen Ministern und Staatssekretären Übergangsgelder in Höhe von Lottogewinnen zu. Eine Regierung, die finanzpolitisch am Abgrund steht, sich selbst aber Übergangsgelder in Höhe von 200 000 DM und mehr zuschanzt, hat jede moralische Glaubwürdigkeit verloren.
({4})
Dieses Land braucht endlich eine Aufbruchstimmung, einen Neuanfang. Sie sind dazu nicht in der Lage, denn Sie brauchen Ihre ganze Kraft nur für ein einziges Ziel: bis zum Wahltag über die Runden zu kommen.
({5})
Diese Regierung löst keine Probleme, diese Regierung ist das Problem.
({6})
Dazu paßt, daß sich Bundesfinanzminister Theo Waigel nach dem Motto „Nach mir die Sintflut" aus dem Amt verdrücken will. Sie, Herr Waigel, verletzen Ihren Amtseid auf die Verfassung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Was Sie, Herr Waigel, machen, ist Konkursverschleppung bis zum Wahltag.
({7})
Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger, die noch neun Monate zusehen müssen, wie die Regierung Kohl Monat für Monat ihre Steuern und Abgaben verwirtschaftet, ohne dabei einen Beitrag für die Sicherung der Zukunft oder zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zu leisten.
({8})
Herr Kohl, so beurteilt der Sachverständigenrat Ihre Leistung. Ich zitiere:
Fehlverhalten und Versäumnisse der Vergangenheit sind maßgeblich für die gegenwärtige Lage in den öffentlichen Haushalten verantwortlich. So geriet die Finanzpolitik immer tiefer in den Teufelskreis aus hohen Abgaben, steigender Abgabenlast, schrumpfender Steuerbasis, anhaltend hohen Defiziten und immer drückenderer Zinslast. Das alles schafft kein Klima, in dem Investoren und Konsumenten Vertrauen schöpfen in stabile mittelfristige Rahmenbedingungen.
Soweit der Sachverständigenrat zu Ihrer Politik. Er fügt hinzu, Probleme würden bei Ihnen „nur zeitlich verlagert, aber nicht gelöst".
Noch nie zuvor ist einer Bundesregierung vom Sachverständigenrat ein derart vernichtendes Urteil über ihre Leistungen ausgestellt worden.
({9})
Herr Waigel, Ihre Haushalte sind erstens durch dauernden Konflikt mit dem Grundgesetz, zweitens durch Explosion der Schulden und Zinsen, drittens durch die Ausplünderung des Bundesvermögens, viertens durch massiven Rückgriff auf den Bundesbankgewinn, fünftens durch Lastenverschiebung in die Zukunft, sechstens durch Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit und dem Reformstau und siebtens durch den Zusammenbruch Ihrer mittelfristigen Finanzplanung gekennzeichnet. Sie sind fix und fertig, meine Damen und Herren.
({10})
Erstens, Herr Bundeskanzler, Ihr andauernder Konflikt mit dem Grundgesetz: Sie verstoßen im dritten Jahr nacheinander gegen Art. 115 des Grundgesetzes, wonach die Höhe der Neuverschuldung die Höhe der Investitionen nicht überschreiten darf. Es gibt nur eine Ausnahme: wenn der Bundestag feststellt, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Das aber fürchten Sie zusammen mit Herrn Waigel wie der Teufel das Weihwasser, weil es das Eingeständnis Ihres Scheiterns wäre.
Deshalb haben Sie, Herr Bundeskanzler, 1996 den Bundeshaushalt in besonders dreister Weise schönen lassen, als Sie mit Ihrem berüchtigten Waigel-Wisch über Nacht ein Haushaltsloch von 20 Milliarden DM mit reinen Luftbuchungen zuzudecken versuchten. Als Ihre Luftbuchungen dann aufflogen, haben Sie die Neuverschuldung um ein Drittel auf 78 Milliarden DM erhöht, die Investitionsgrenze um 17 Milliarden DM überschritten. Weil Ihr Haushalt 1996 damit von Anfang an verfassungswidrig war, klagen wir zu Recht vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Sie.
({11})
Beim Haushalt 1997 wiederholen Sie Ihr sattsam bekanntes Spiel: Erst, Herr Waigel, Zahlen frisieren und sich dann von den aufbrechenden HaushaltslöKarl Diller
chern überrascht geben - alles unvorhersehbar. Dazu sagt der Sachverständigenrat:
Es entspricht nicht dem Grundsatz einer soliden Haushaltspolitik, daß in dem im November 1996 verabschiedeten Bundeshaushalt 1997 bereits im Januar 1997 Deckungslücken vermutet wurden.
Dies ist noch vornehm und zurückhaltend ausgedrückt; denn Ihr Haushalt war bereits bei der Verabschiedung im Herbst letzten Jahres Makulatur.
Sie handelten unverantwortlich, Herr Waigel, als Sie sich zu Beginn dieses Jahres - da wäre noch Zeit gewesen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr mit aktiven Maßnahmen wirksam zu bekämpfen - hartnäckig unserer Forderung nach Vorlage eines Nachtragshaushalts widersetzten. Erst als Ihnen im Sommer die Zahlungsunfähigkeit drohte, haben Sie den Nachtragshaushalt für 1997 vorgelegt, um mit 17,5 Milliarden DM mehr Schulden, als die Verfassung erlaubt, Ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Deshalb müssen Sie heute Ihren Kanossagang antreten und die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch den Bundestag feststellen lassen. Da Sie damit aber keinen Politikwechsel verbinden, da Sie damit die Arbeitslosigkeit aber nicht aktiv bekämpfen wollen, ist auch Ihr Nachtragshaushalt nach unserer Auffassung verfassungswidrig.
({12})
Erstaunlich, Herr Waigel, ist Ihre Begründung für die zusätzliche Neuverschuldung. Bisher sagten Sie, allein die Senkung der Neuverschuldung würde zu einer Verbesserung der Beschäftigungslage führen. Ich wiederhole: Allein die Senkung würde zu einer Verbesserung der Beschäftigungslage führen. Jetzt erklärt er genau das Gegenteil: Ohne weitere Schulden zu machen, würde die Nachfrage zu sehr gedämpft werden. Meine Damen und Herren, bei dieser Regierung, bei dieser Koalition verkommen die Argumente zur bloßen Beliebigkeit. Gerade wie es paßt, werden sie zurechtgezimmert.
({13})
Weil Sie trotz steigender Arbeitslosenzahlen für 1998 auf keinen Fall eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen lassen wollen - denn das wäre ja ausgerechnet im Wahljahr die Anerkennung des Scheiterns Ihrer Politik -, drücken Sie die Neuverschuldung 1998 mit einem neuen Buchungstrick unter die Investitionsgrenze, indem Sie Telekomaktien des Bundes im Volumen von 23 Milliarden DM an die bundeseigene Bank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, verpfänden. Diese muß sich das Geld auf dem Kapitalmarkt erst leihen. Die Zinsen dafür zahlt ihr der Bund. Deshalb ist dieses Geschäft nichts anderes als eine versteckte Kreditfinanzierung des Bundeshaushalts.
({14})
In Wahrheit, unter Berücksichtigung dieser Tatsache, liegt Ihre Neuverschuldung im nächsten Jahr bei 79 Milliarden DM und überschreitet zum dritten Mal die Verfassungsgrenze. Meine Damen und Herren, dreimal hintereinander verfassungswidrige
Haushalte - wäre der Bund eine Privatfirma, müßten die Herren Kohl, Waigel und Gerhardt wegen Überschuldung den Gang zum Konkursrichter antreten.
({15})
Zweitens. Ihre Schulden und Zinsen explodieren. Seit der letzten Wahl erhöhten Sie den Schuldenberg des Bundes um 255 Milliarden DM. Ich wiederhole: Allein seit der letzten Wahl erhöhte diese Regierung den Schuldenberg des Bundes um 255 Milliarden DM auf 1,5 Billionen DM.
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Dafür werden im nächsten Jahr 88 000 Millionen DM nur an Zinsen gezahlt werden müssen - erstmals mehr als 26 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes. Mehr als jede vierte Mark geht bei Ihnen inzwischen nur für das Zahlen von Zinsen drauf. Sie haben unser Land damit in die Haushaltsnotlage gewirtschaftet.
({17})
Sie stecken so tief in der Zinsfalle, daß Sie nicht einmal mehr die planmäßigen Zinsen für aufgenommene Kredite zahlen. Durch Zinsspekulation wollen Sie 1 Milliarde DM Zinsen in die Zukunft schieben, und zwar wollen Sie für 95 Milliarden DM Bundesschulden bisher langfristige Zinsverpflichtungen gegen niedrigere, kurzfristige Zinsverpflichtungen, die dafür aber ein hohes Zinsänderungsrisiko haben, tauschen. Jeder Häuslebauer macht das Gegenteil. Er verschuldet sich heute möglichst langfristig zu einem festen Zinssatz, weil dieser niedrig ist, weil er damit gut fährt und die Belastungen für ihn sicher und klar kalkulierbar sind. Diese Regierung aber geht um eines kurzfristigen Zinsvorteils willen den umgekehrten Weg. Bundesbank und Bundesrechnungshof haben Sie davor ausdrücklich gewarnt. Erst den Bundeshaushalt in die Zinsfalle führen und dann die Flucht in die Zinsspekulation antreten - das ist keine Konsolidierungsstrategie, sondern ist ein hochriskanter Umgang mit den Staatsfinanzen.
({18})
Die volle Dramatik zeigt sich am Volumen Ihrer Bruttokreditaufnahme; denn wenn man von netto 56 Milliarden DM spricht, dann muß man ja an die Bruttokreditaufnahme denken. Um den Bundeshaushalt 1998 mit neuen Schulden zu finanzieren und gleichzeitig fällige alte Schulden abzulösen, müssen Sie im nächsten Jahr neue Kredite in Höhe von rund 300 Milliarden DM aufnehmen. Dazu kommt dann Ihre kurzfristige Zinsspekulation mit weiteren 95 Milliarden DM Schulden,
({19})
zusammen also 400 Milliarden DM.
Das bedeutet: Wenn sich die Bundesbank gezwungen sähe, den Zinssatz nur um einen Prozentpunkt zu erhöhen, so stiege die Zinsbelastung für den Bundeshaushalt glatt um 4 Milliarden DM. Mit einem
Schlag wäre damit mehr als das Doppelte des Umwelt- und Gesundheitshaushalts ausgegeben, nur für die Zinssteigerungen. Die Deutsche Bundesbank stellt dazu fest:
Wenn die Politik so bleibt, wie sie ist, dann werden die nachfolgenden Generationen bis weit über die Grenze des Erträglichen belastet.
Sie hat völlig recht damit. Nur, diese Regierung hört nicht mehr auf die Bundesbank.
Drittens, Ihre Ausplünderung des Bundesvermögens. Weil Schulden zum Stopfen Ihrer Haushaltslöcher allein nicht mehr reichen, plündern Sie das Bundesvermögen. Nachdem Sie in 15 Jahren Bundesvermögen in Höhe von insgesamt 25 Milliarden DM verkauft haben - das sind also im Schnitt 1,5 Milliarden DM pro Jahr -, wollen Sie jetzt in einem einzigen Jahr, sozusagen in einer „Aktion Schlußverkauf" , 30 Milliarden DM an Staatsbesitz verkaufen oder verpfänden. Alles werfen Sie auf den Markt: Telekom, Postbank, Deutsche Ausgleichsbank, Autobahnraststätten und Hunderttausende von Wohnungen.
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Dies ist keine nachhaltige Konsolidierung, Herr Waigel, sondern ein Akt schierer Verzweiflung aus Geldnot. Das Haushaltsloch ist 1999 wieder da, das Pulver dann aber verschossen. Pleitier Theo Waigel betreibt eine Politik des „Nach-mir-die-Sintflut".
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Viertens, Ihr Rückgriff auf den Bundesbankgewinn. Im Sommer dieses Jahres griffen Sie nach den Goldreserven der Bundesbank. Ihre „Operation Goldschatz" konnte gerade noch abgewehrt werden. Doch haben Sie, Herr Waigel, damit dem deutschen Ansehen in der internationalen Finanzwelt schwer geschadet.
Dann sind Sie auf eine Ersatzlösung verfallen, die Neubewertung der Devisenbestände der Deutschen Bundesbank. Zusammen mit der regulären Gewinnabführung soll Ihnen die Deutsche Bundesbank mit einer Geldspritze von bis zu 25 Milliarden DM unter die Arme greifen. Ohne diese Geldspritze hätten Sie keine Chance, das Defizitkriterium der Europäischen Währungsunion zu erfüllen. So weit ist es mit Ihnen gekommen. Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik hängt eine Bundesregierung mit ihrem Haushalt am Tropf der Bundesbank.
Fünftens, Ihre Lastenverschiebung in die Zukunft. Beispiel Telekom: Mit der Privatisierung der Postunternehmen wurde bestimmt, daß die Verkaufserlöse aus dem Bundesanteil an der Telekom - ich zitiere ausdrücklich noch einmal unser aller Beschlußlage -„insbesondere und vorrangig zur Finanzierung der Unterstützungskassen" verwendet werden. Denn der Bund hat sich verpflichtet, die Pensionen der ehemaligen und heutigen Beamten dieser Unternehmen mit zu finanzieren. Weil Sie diese Telekomanteile aber
jetzt schon verscherbeln, treffen die Defizite der Unterstützungskassen im nächsten Jahrzehnt von jährlich bis zu 7 Milliarden DM den Bundeshaushalt nach dem Jahre 2000. Für Ihren Postraub wird die nächste Regierung haften müssen; das ist das Niederträchtige bei dieser Operation.
({22})
Beispiel Tilgungsaussetzung. Die Regierung Kohl setzt gesetzlich fällige Tilgungen von Schulden beim Bundeseisenbahnvermögen in Höhe von 8 Milliarden DM in den nächsten drei Jahren - bis 2000 einschließlich - und weitere 11 Milliarden DM Tilgungen beim Erblastentilgungsfonds einfach aus. Daß ein Staat nicht mehr in der Lage ist, für vereinbarte Tilgungen aufzukommen, kannte die Welt bisher nur von Entwicklungsländern. Eine Regierung, die sich ihren Verpflichtungen entzieht, die sogar gesetzliche Regelungen beliebig ändert, zerstört jedes Vertrauen in die Verläßlichkeit ihrer Politik.
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Ihre Tilgungsaussetzungen sind nichts anderes als eine Art Kreditaufnahme. Denn in jedem Fall ist der Schuldenberg um 19 Milliarden DM höher als ohne den Tilgungsaufschub. Der Bund muß deshalb die Tilgungen nicht nur später nachholen - was künftige Regierungen und Haushalte belastet -, sondern zusätzlich pro Jahr 1 Milliarde DM mehr an Zinsen zahlen. Man sieht: Wahrhaft innovativ ist die Bundesregierung nur dann, wenn es um die Erfindung neuer Buchungstricks geht.
({24})
So wollen Sie mit der Tilgungsaussetzung die Absenkung des Solidaritätszuschlages finanzieren. Auch das hat es in dieser Republik noch nicht gegeben: Ein Finanzminister will eine Steuersenkung mit Schulden finanzieren, die er eigentlich zurückzahlen müßte. Sarkastisch gesagt: Das ist eine Finanzinnovation, wie sie nur Bankrotteuren einfällt und die Sie sich patentieren lassen sollten.
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CDU/CSU und F.D.P. haben bis vor kurzem behauptet, die Bürger um netto 30 Milliarden DM entlasten zu können. Jetzt sind Sie nicht einmal in der Lage, 7,5 Milliarden DM für die Soli-Absenkung seriös und dauerhaft zu finanzieren. Sie beschließen eine Steuersenkung, ohne zu wissen, wie sie ab 1999 weiter finanziert werden soll. Was wollen Sie denn noch alles an Erblasten der nächsten Bundesregierung vor die Tür kippen?
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Sechstens, Ihre Kapitulation vor Arbeitslosigkeit und Reformstau. Sie versprechen die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 und täuschen damit die Bürger. Denn tatsächlich rechnen Sie in Ihrer Finanzplanung für eben dieses Jahr 2000 damit, daß es 3,9 und nicht 2,0 Millionen Arbeitslose geben wird. Ihre Politik bekämpft nicht, sie erzeugt Arbeitslosigkeit. Mit weniger Lohn, mit weniger soKarl Diller
zialer Sicherheit und dafür immer höheren Steuern und Abgaben für die Arbeitnehmer - mit dieser Politik vernichtet die Regierung Kohl Arbeitsplätze, und zwar Hunderttausende von Arbeitsplätzen.
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Sie versprechen die Rückführung der Steuer- und Abgabenquote auf den Stand von 1989 und täuschen damit die Bürger. Denn tatsächlich erhöhen Sie jetzt den Beitragssatz zur Rentenversicherung auf die Rekordmarke von 21 Prozent. Eine dramatische Verschärfung der Situation bei den Lohnnebenkosten und eine weitere Belastung der Binnennachfrage sind die Folge.
Wenn die Koalition unsere Hilfe will, dann muß sie erst den Streit in den eigenen Reihen beenden. Was die CDU will, will die F.D.P. nicht, und was die F.D.P. will, will die CSU nicht. Das ist die Lage. Sie in der Koalition haben sich selbst blockiert. Aber damit eines klar ist: Für Sozialdemokraten ist eine Kürzung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent nicht akzeptabel.
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Sie, Herr Bundeskanzler, versprachen in Ihrer Regierungserklärung 1994 - ich zitiere -:
Forschung, Technologie und Innovation sind heute die wichtigsten Wachstumsquellen unserer Wirtschaft... Trotz aller Haushaltszwänge
- ich wiederhole: trotz aller Haushaltszwänge; so der Bundeskanzler 1994 werden wir deshalb den Forschungsetat im Bundeshaushalt überproportional steigern.
Damit haben Sie die Bürgerinnen und Bürger erneut getäuscht. Denn tatsächlich ist der Anteil des Forschungsetats in Ihrer Regierungszeit um ein Drittel auf 3,2 Prozent der Bundesausgaben zurückgegangen. Sie haben der Forschungsförderung systematisch den Hahn zugedreht und eine Innovationslücke von 7 Milliarden DM zu verantworten. Sie sind mit schuld, daß in Deutschland zu wenig geforscht wird, meine Damen und Herren.
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Weiter sehen Sie angeblich mit Sorge, daß größere Betriebe die Lehrlingsausbildung immer mehr verweigern, während kleine und mittlere Betriebe inzwischen 80 Prozent der Ausbildungslasten schultern. Tatsächlich aber legen Sie die Hände in den Schoß, statt die finanziellen Lasten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben gerecht zu verteilen. Sie haben damit die Misere bei den Lehrstellen mit zu verantworten.
Sie fordern mehr Selbständigkeit, mehr Existenzgründungen. Tatsächlich aber fehlen Ihre Initiativen zur Abstützung von Unternehmensgründungen, zur verstärkten Bereitstellung von Risikokapital. Im laufenden Jahr wird mit 28 000 Unternehmenspleiten gerechnet; das sind 10 Prozent mehr als 1996. Dieser Kohlsche Pleitenrekord vernichtet 50 000 Arbeitsplätze und verursacht einen volkswirtschaftlichen Schaden von etwa 65 Milliarden DM. Das sind die
Auswirkungen Ihrer falschen Politik in bezug auf Existenzgründer und Mittelstand.
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Sie versprachen in Ihrer Regierungserklärung 1994 den Eltern und Alleinerziehenden familiengerechtes Wohnen. Und erneut zitiere ich den Bundeskanzler:
Wir werden die Reform des sozialen Wohnungsbaus fortsetzen sowie das Wohngeld in Ost und West vereinheitlichen und familienfreundlich an die Einkommens- und Mietenentwicklung anpassen.
Sie haben damit erneut die Bürgerinnen und Bürger getäuscht;
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denn tatsächlich haben Sie den sozialen Wohnungsbau finanziell ausbluten lassen. Das Wohngeld ist von Ihnen seit 1990 nicht mehr angepaßt worden. Für diesen Wortbruch werden Ihnen die Mieterinnen und Mieter noch die verdiente Quittung ausstellen.
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Sie versprachen vor der Bundestagswahl 1994, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen voranzubringen. 1995 haben Sie das Versprechen erneuert und noch einmal in dem 50-PunkteProgramm für Wachstum und Beschäftigung von 1996 wiederholt - und erneut die Bürgerinnen und Bürger getäuscht; denn tatsächlich haben Sie bis heute außer Ankündigungen nichts vorzuweisen.
Meine Damen und Herren, wo immer man bei dieser Regierung Kohl hinschaut, zeigen sich die Widersprüche zwischen Ihren Ankündigungen und Ihrem Handeln. Die Regierung Kohl ist auf das Täuschen der Bürgerinnen und Bürger aus und gehört deshalb abgewählt.
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Siebtens. Ihre Finanzplanung ist zusammengebrochen. Steuereinbrüche, steigende Massenarbeitslosigkeit und Reformstau haben Ihre Finanzplanung zur Makulatur werden lassen. Ab 1999 klafft in den Bundesfinanzen ein Loch von 70 bis 80 Milliarden DM jährlich. Ich zitiere einmal einen Ihrer Vorgänger, Herr Waigel, Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß. Der sagte einmal über die Bedeutung der Finanzplanung:
Ihrem Wesen nach ist die Finanzplanung des Bundes ein in Zahlen gekleidetes Regierungsprogramm.
Bei diesen Milliardenlöchern heißt Ihr Regierungsprogramm nach Ihrer Finanzplanung Staatsbankrott, meine Damen und Herren.
Sagen Sie deshalb den Bürgern jetzt durch eine überarbeitete Finanzplanung, so wie wir sie in unserem Antrag fordern, was sie von Ihnen an Steuererhöhung oder Abgabenkürzung oder beidem zugleich zu erwarten hätten! Seien Sie wenigstens am Schluß Ihrer Regierungszeit einmal ehrlich!
Sie haben mit Ihrem Steuerchaos die öffentlichen Kassen in einem Ausmaß belastet, daß die Erfüllung staatlicher Kernaufgaben in Gefahr gerät. Um die Größenordnung deutlich zu machen: Von 1996 bis 1998 steigt das Bruttoinlandsprodukt um 272 Milliarden DM auf 3,8 Billionen DM. Der Steueranteil daran aber geht von 22,6 auf 21,3 Prozent zurück.
Herr Diller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Darf ich den Gedanken gerade noch zu Ende führen? - Das Land wird reicher, die Arbeitnehmer werden von Ihnen geschröpft, und dennoch wird der Staat ärmer. Wie paßt das zusammen?
Es paßt zusammen, weil Sie geduldet und gefördert haben, daß sich die Leistungsfähigsten in diesem Land, Unternehmen wie wohlhabende Bürger, durch Steuerflucht und Steuervermeidung aus der Mitfinanzierung unseres Sozialwesens weitgehend verabschieden konnten. Würde die Leistungselite noch wie 1996 Steuern zahlen, so lägen die Steuereinnahmen des Staates um 47 Milliarden DM höher.
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Herr Glos.
Herr Kollege Diller, ich wollte Sie fragen - da Sie offensichtlich nachgelesen haben, was Franz Josef Strauß in zahlreichen Debatten hier gesagt hat -, ob Sie auch den Satz von ihm gelesen haben, den er immer wieder gesagt hat, nämlich daß ein Hund eher in der Lage sei, sich einen Wurstvorrat anzulegen, als die SPD, mit dem Geld umzugehen.
({0})
Mein lieber Herr Glos, angesichts der Katastrophe Ihrer Staatsfinanzen haben Sie den Beweis, daß Sie mit Geld nicht umgehen können, längst angetreten.
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Wenn Franz Josef Strauß geahnt hätte, wie Sie mit den Staatsfinanzen umgehen, wäre er sofort aus der CSU ausgetreten.
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Herr Diller, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Nein.
Inzwischen weiß jeder, daß die mit Ihrer Steuerreform verbundenen weiteren Einnahmeausfälle von über 40 Milliarden DM die öffentlichen Haushalte ruiniert hätten. Sonst hätten Sie, Herr Waigel, doch den Steuerausfall des Bundes - der wäre mit 20 Milliarden DM Einnahmeausfall jedes Jahr dabei - in Ihrer Finanzplanung ausgewiesen, um zu sagen: Seht her, so finanziere ich, Theo Waigel, das. Sie haben gekniffen, weil CDU/CSU und F.D.P. von Anfang an die Bürger darin täuschen wollten, was ihnen am Ende, und zwar ganz am Ende, netto verbleiben würde.
Inzwischen sagt selbst der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages - ich zitiere ihn -: „Der Staat kann sich eine Reform mit Entlastungswirkung jetzt nicht mehr leisten." Das haben wir von Anfang an gesagt. Hätte sich diese Erkenntnis bei Ihnen frühzeitig in politisches Handeln umgesetzt, dann hätte einer seriösen Steuerstrukturreform kein unüberwindliches Hindernis im Wege gestanden.
Eines aber ist klar: Für die unsozialen Pläne der Koalition, Einkommensmillionären im Jahr 100 000 DM und mehr an Steuern zu schenken, der Krankenschwester aber gleichzeitig die Nachtzuschläge zu besteuern, damit sie am Schluß noch mehr bezahlen muß, heben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag nie die Hand.
({0})
Denn das würde nicht nur die steuerliche Ungerechtigkeit verschlimmern, sondern wäre auch ökonomisch völlig unsinnig. Das Nein zu Ihren Plänen im Bundesrat geschah deshalb in staatspolitischer Verantwortung, um Länder, Gemeinden und auch den Bund vor dem finanziellen Ruin zu bewahren.
({1})
Die Reformunfähigkeit der Regierung Kohl verbaut diesem Land die Zukunft. Deshalb braucht Deutschland einen Politik- und Regierungswechsel. Die Leitbilder der SPD hierfür heißen Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit.
Erstens. Wir Sozialdemokraten wollen eine Steuer- und Abgabenreform, die die Arbeit von Kosten entlastet, damit die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder steigt. Wir wollen eine Reform, die die Kaufkraft von Arbeitnehmern stärkt, damit die Nachfrage wieder in Schwung kommt. Unser Konzept ist im Unterschied zu Ihrem solide finanziert: durch eine Anhebung von Verbrauchsteuern, das Schließen von Steuerschlupflöchern, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Mit dieser Strukturreform werden wir die Wirtschaft durch eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten stärken, und die Arbeitnehmerfamilien werden nach unserer Reform im Schnitt 2 500 DM mehr im Jahr zum Ausgeben haben. Das ist gerecht und ökonomisch vernünftig, weil die Kaufkraft wieder steigt und Handel und Dienstleistung in Schwung kommen.
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Zweitens. Wir Sozialdemokraten wollen eine Teilzeitinitiative, wie die Niederländer sie eingeführt haben. Teilzeit ohne soziale Absicherung ist unsozial.
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Die Geringfügigkeitsgrenze bei sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen von 610 DM ist zu hoch, verzerrt die Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft und treibt das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit in die Höhe. Der explosionsartige Anstieg der Billigjobs darf nicht länger hingenommen werden, weil er sonst alle Sozialversicherungskassen ruinieren würde.
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Drittens. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen jedem Jugendlichen die Chance auf Ausbildung und Arbeit durch ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eröffnen. In einem ersten Schritt wollen wir 100 000 Jugendliche von der Straße holen und ihnen eine berufliche Perspektive geben.
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Den Programmkosten in Höhe von 1,3 Milliarden DM brutto werden Einsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit, bei der Arbeitslosenhilfe und bei der Sozialhilfe der Gemeinden in Höhe von 1,1 Milliarden DM gegenüberstehen. Das ist ein gutes Beispiel für eine nahezu aufkommensneutral zu finanzierende Reform.
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Viertens. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen wirksame Maßnahmen gegen die sich von Jahr zu Jahr vergrößernde Not bei den Lehrstellen. Wenn Appelle an die Wirtschaft nicht reichen, müssen über einen solidarischen Finanzausgleich ausbildende Betriebe finanziell entlastet und nicht ausbildende Betriebe finanziell herangezogen werden. Dafür steht unser Konzept der Ausbildungsabgabe.
Fünftens. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen einen Kurswechsel in der Forschungs- und Bildungspolitik, eine Innovationsoffensive. Die finanzielle Förderung der Kernbereiche von Forschung und Entwicklung muß innerhalb von fünf Jahren verdoppelt werden, damit unsere Wirtschaft wieder eine Vorreiterrolle bei Entwicklung und Export von Umwelttechnologien sowie zukunftsweisenden Energiequellen einnimmt. Weil die Koalition den Aufbau einer starken deutschen Solarindustrie versäumt hat, wollen wir mit einem 100 000-Dächer-Programm die Markteinführung dieser Technologie erleichtern. Denn neue Arbeitsplätze schafft man nicht mit alten Produkten, sondern nur mit neuen Ideen.
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Sechstens. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen eine Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Kapital und am Gewinn der Unternehmen durch die Einführung eines Investivlohns. Wer die Bereitschaft der Arbeitnehmer dazu will, darf realen Nullrunden bei den Löhnen, wie es die Koalition tut, nicht das Wort reden. Die seit Jahren stagnierenden Lohneinkommen der Arbeitnehmer dürfen nicht zum Dauerzustand werden,
wenn man mehr Wachstum und Beschäftigung haben will.
Auch daran zeigt sich: Die Regierung Kohl löst keine Probleme mehr; sie ist das Problem. Deshalb braucht unser Land den Regierungswechsel. Die Sozialdemokraten, die SPD ist bereit, die Verantwortung für dieses Land zu übernehmen.
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Als nächster spricht der Kollege Adolf Roth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört in diesem Haus zu den guten Traditionen, daß in der zweiten Lesung zu den Haushaltsgesetzen die Opposition das erste Wort hat. Wenn man sich die Rede, die der Kollege Diller soeben gehalten hat,
({0})
noch einmal vor Augen führt, kann man allerdings einigermaßen froh darüber sein, daß die Opposition, politisch gesehen, nicht auch das letzte Wort in der Haushaltspolitik dieses Landes hat.
({1})
Kollege Diller, Sie haben alle Ihre Register gezogen.
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Das Haus ist unter der Wucht Ihrer Angriffe fast ins Beben geraten. Es hat aus vielerlei Gründen sehr viele ernste Gesichter gegeben.
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Was Sie uns nicht geboten haben, ist, daß Sie zumindest einen kleinen Spaltbreit die Tür zu Ihrem eigenen Atelier geöffnet haben, um darzulegen, an welchem Meisterstück die parlamentarische Opposition in der Haushaltspolitik feilt - totale Fehlanzeige. Mit Polemik bis hin zu Angriffen über moralische Verkommenheit in Sachverhalten, die Sie sehr viel besser kennen, wird die Opposition keine Statur in der Finanz- und Haushaltspolitik bekommen.
({4})
Sie haben uns in die virtuelle Welt sozialdemokratischer Haushaltsphantasien geführt. Auf den breiten Spagat zwischen lauter Anklage und maßlosen Forderungen einerseits und der eigenen konzeptionellen Schwäche andererseits wäre mancher Spitzenturner wahrscheinlich stolz gewesen.
Das Dilemma der öffentlichen Haushalte - zu einer gründlichen Aussprache darüber bietet die Debatte in dieser Woche ja Gelegenheit - bedarf keiner Illustration. Wir alle wissen, was es bedeutet, daß die
Adolf Roth ({5})
Wirtschaft in einem gesunden Aufwärtstrend ist, daß wir bessere Konjunkturdaten haben,
({6})
daß die Exportleistung Deutschlands auf einem Rekordniveau liegt, daß die Kapazitätsauslastung wieder gestiegen ist und daß wir stabile Preise und niedrige Zinsen haben. Obwohl also die Rahmenbedingungen insgesamt günstig sind, befinden sich die öffentlichen Haushalte dennoch in einer bedenklichen Situation, weil sie bei den Steuereinnahmen unter Druck stehen und weil die Verpflichtungen zu sozialstaatlichen Leistungen im Zusammenhang mit der europaweiten Arbeitslosigkeit, die uns hier in Deutschland in besonderem Maße bedrückt, jeden Handlungs- und Bewegungsspielraum im Bereich operativer Zukunftsfelder verschließen. Darauf sollte die Opposition eingehen; Sie aber glauben, Sie befänden sich im politischen Aufwind, wenn Sie aus diesen Schwierigkeiten Honig saugen. Sie täuschen sich aber. Diese Strategie hat nicht die geringste Chance, solange sie rein destruktive Züge trägt. Wir brauchen positive Signale, eine Bereitschaft zum Aufbruch und zum Handeln der parlamentarischen Kräfte in Deutschland. Hier steht auch die SPD in parlamentarischer Verantwortung.
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In diesem Zusammenhang müssen wir an erster Stelle die Frage nach der Reform unseres Steuersystems auf die Tagesordnung setzen: Wir brauchen endlich eine Steuerreform mit niedrigeren Sätzen und weniger Ausnahmen. Eine solche Steuerreform wird dem Steuerzahler Perspektiven geben und Entlastungen bringen, vor allem wird sie aber in der Lage sein, die Struktur der öffentlichen Kassen wieder zu verbessern und dem Staat wieder mehr Einnahmen zu bescheren. Das ist der Kernpunkt der Diskussion. Sie blockieren aber diese Reform und verhindern damit wirtschaftliche Dynamik und arbeitsplatzschaffende Investitionen. Dann versteigen Sie sich zu der Aussage - Sie haben es am Wochenende in einem Interview gesagt und jetzt wiederholt -, es sei staatspolitische Pflicht der Sozialdemokratie, das Gesetz für die große Steuerreform, die der Deutsche Bundestag verabschiedet hat, im Bundesrat zu Fall zu bringen und abzulehnen. Das sei eine staatsbürgerliche Pflicht, weil diese Reform den Ruin der öffentlichen Kassen bedeuten würde.
Zunächst einmal haben Sie offensichtlich nicht gespürt und nicht nachvollziehen können, was sich in diesem Jahr in den öffentlichen Kassen tatsächlich abgespielt hat. Mit gleichen Argumentationsmustern haben Sie aber auch in den 80er Jahren die dreistufige Steuerreform von 1986, 1988 und 1990 bekämpft, mit der wir durch eine erhebliche Bruttoentlastung der Bürger erreicht haben, daß trotz sinkender Lasten mehr Steuereinnahmen erzielt und die Staatskassen saniert wurden.
({8})
Das ist doch der Wirkungszusammenhang. Genau
darauf zielt auch die Steuerreform ab, die kommen
wird und muß, weil sie in dieser Qualität längst in ganz Europa Wirklichkeit geworden ist.
({9})
Deshalb brauchen Sie eine Sanierung Ihrer politischen Altlasten oder eine Frischzellenkur. Anders kann ich das gar nicht sagen, denn Ihre Crash-Spekulationen und Ihre Horrorszenarien bringen Sie nicht weiter.
In der Koalition haben wir im September die Marschroute festgelegt. Wir haben die Risiken der Haushaltsentwicklung realitätsnah bewertet und eine Politik der Vorsorge betrieben. Im Ergebnis haben wir Haushaltsbelastungen in Höhe von insgesamt 21 Milliarden DM allen Unkenrufen zum Trotz aufgefangen. Die Koalition hat sich in dieser Phase als handlungs- und entscheidungsfähig erwiesen.
Ich denke, daß wir bei der Gesamtbilanz dieser schwierigen Haushaltsoperation 1997 und 1998 nach Lage der Dinge ein schlüssiges und tragfähiges Konzept erarbeitet haben. Dafür gebührt dem Bundesfinanzminister, Theo Waigel, der Dank der Mehrheit dieses Hauses.
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Erstens. Wir haben die Kreditaufnahme beider Haushaltsjahre um insgesamt 1,7 Milliarden DM unter den Ansätzen der Regierungsentwürfe halten können. Das heißt, sie sinkt im nächsten Jahr auf 56,4 Milliarden DM. Sie entspricht damit dem geltenden Finanzplan, und sie ist auch deutlich niedriger als die geplanten Investitionen des Bundeshaushalts von 58,1 Milliarden DM. Dies zu Ihrem Vorhalt einer angeblichen Verfassungswidrigkeit dieses Bundeshaushalts.
Zweitens. Durch Risikovorsorge in der Haushaltsbewirtschaftung 1997, aber auch durch risikobewußte Veranschlagung 1998, durch strikte Ausgabenkompression tragen wir der angespannten Haushaltslage in dem gebotenen Umfange Rechnung.
Drittens. Der Haushalt ist nicht nur stabilitätsgerecht und konjunkturgerecht. Er flankiert auch die Politik der wirtschaftlichen Gesundung.
Viertens. Letztlich ermöglichen die Bundeshaushalte 1997 und 1998 die Teilnahme Deutschlands an der Europäischen Währungsunion. Auch in dieser Frage hat die Koalition ihr politisches Ziel erreicht.
Meine Damen und Herren, die Botschaft lautet also: Wir haben uns aus den Schwierigkeiten herausgearbeitet. Wir sind durch das Gröbste durch. Wir haben die Talsohle erreicht und durchschritten. Wir werden mit Zuversicht in die Entwicklung des nächsten Jahres gehen. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dieser Bundesregierung und mit dieser politischen Konzeption eine klare Chance in Europa. Wir werden die politische Chance auch nutzen.
({11})
Für das Haushaltsjahr 1998 waren Mehrbelastungen von rund 14 Milliarden DM zu bewältigen. Allein die Steuermindereinnahmen des Bundes belaufen sich auf 9,5 Milliarden DM. Darin schlägt sich natürAdolf Roth ({12})
lich auch der seit langem erkennbare Trend zu intensiver Nutzung von Steuersparmöglichkeiten nieder. Dies ist die Folge einer Politik - wir haben das immer offen ausgesprochen - viel zu hoher Steuersätze bei viel zu vielen Ausnahmetatbeständen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben es bis heute dem Haus verweigert, in einem konkreten parlamentarischen Gesetzentwurf Ihr eigenes Konzept zu einer solchen Steuerreform vorzustellen.
({13})
Sie haben keins. Sie flüchten sich in allgemeine Beschreibungen politischer Ziele, aber Sie verweigern dieses Reformwerk. Sie haben sich damit nach dem Urteil aller nationalen Experten vollständig nicht nur isoliert. Sie sind nach Lage der Dinge auch die rückständigste Sozialdemokratie in ganz Europa.
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Ihre Verweigerungshaltung stößt zunehmend auch im Bereich der eigenen Partei auf scharfe Kritik. Das langjährige sozialdemokratische Mitglied, der Berliner Wissenschaftler Professor Hartmut Jäckel, hat an den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der SPD, Herrn Scharping, einen Protestbrief geschrieben wegen der Verweigerungshaltung seiner Partei. Er hat gesagt:
Ihr verkennt die Stimmung im Lande und seid mit der Weigerung, außerdeutsche Erfahrungen aufzunehmen, schlicht provinziell.
Natürlich hat er recht mit dieser Aussage.
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Der Düsseldorfer SPD-Fraktionsvorsitzende Matthiesen hat vor zwei Wochen - ganz unmittelbar gerichtet an seinen eigenen Parteivorsitzenden Lafontaine - vom „elenden Taktieren" gesprochen, das beendet werden müsse. Raus aus dem Bremserhäuschen, sagte er, sonst werden uns die Menschen noch aus dem Tempel jagen.
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Ich glaube, diesen Fragen, dieser Diskussion können Sie sich nicht weiter verweigern. Es erstaunt schon, wenn selbst der eine oder andere Politiker der Grünen inzwischen konzeptionell weiter denkt als die SPD-Parteispitze. Ich sage das hier, wir sind in einer offenen Diskussion. Der Kollege Metzger hat in der ersten Lesung am 9. September auf eine bestimmte Struktur der Steuerreform gepocht - er hat es inzwischen oft wiederholt, zum letztenmal heute früh -: „eine Steuerreform, die auf breiter Bemessungsgrundlage ruht und Steuerschlupflöcher schließt, dafür aber durch die Tarifabsenkung dem Staat wieder eine ergiebige und gerechte Einnahmequelle zur Verfügung stellt".
({17})
Offenbar hat wenigstens er begriffen, daß nicht allein steuerliche Ausnahmen, die heute gern Schlupflöcher genannt werden, das Problem sind,
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sondern das Zusammentreffen von zu hohen Steuersätzen mit den vielen Ausnahmen. Das ist der Befund. Wenn wir uns über diesen Befund im klaren sind, müßte es doch eigentlich möglich sein, sich über die Schrittfolge einer Reform, über die Volumina und darüber, wie das im einzelnen bewältigt werden kann, zu verständigen.
Aber das muß man wollen, meine Damen und Herren von der SPD. Dazu muß auch eine Kompromißbereitschaft erkennbar sein. Die Haushaltsdebatte dieser Woche wird diesen Punkt noch in aller Deutlichkeit herausarbeiten.
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Ein Weiteres will ich an die Adresse der SPD-Fraktion kritisch anmerken. Sie verweigern sich in zunehmendem Maße der bundespolitischen Finanzverantwortung, die Ihnen als Teil des Deutschen Bundestages genauso aufgetragen ist wie uns. Sie lassen sich aus parteistrategischen Gründen und im Interesse einer bestimmten Länderstrategie, die über den Bundesrat durchgefochten wird, vor einen bestimmten Karren spannen.
Seit Jahren schon haben führende Haushaltspolitiker, wie der ehemalige Kollege Rudi Walther, aber auch der Kollege Helmut Wieczorek, unser Ausschußvorsitzender, auf die Bedienungsmentalität der Bundesländer hingewiesen, die ihre Finanzierung zum Nachteil des Bundes machen wollen. Das ist zunächst einmal nur eine Bestandsaufnahme. Es stellt sich die Frage, wie wir hier zu einer Änderung kommen.
Wir haben festgestellt, daß die Vermittlungsverfahren der 90er Jahre - seit 1990 hat die SPD mit ihren jeweiligen Partnern im Bundesrat eine strukturelle Mehrheit - zu einer Quotenaufteilung der Steuermasse in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben, die schlichtweg alles auf den Kopf stellt, was bis zum Beginn des Wiedervereinigungsprozesses in Deutschland gegolten hat.
1991 hatte der Bund noch einen Anteil von 48 Prozent am gesamten Steueraufkommen. Der Anteil der Länder betrug 34,4 Prozent. Das heißt, unser Anteil am Steueraufkommen war um 13,6 Prozentpunkte höher. Inzwischen hat sich das Blatt total gewendet. Die Bundesländer übertreffen mit 41,7 Prozent den Bund bei ihrem Anteil am Steuervolumen. Unser Anteil wird im nächsten Jahr auf 40,8 Prozent zurückgehen.
Das ist eine geradezu unglaubliche Verschiebung der Gewichte. Das ist nicht nur ein quantitatives Verteilungsproblem, sondern in zunehmendem Maße auch ein qualitatives Strukturproblem für die Gestaltung der öffentlichen Etats in Deutschland.
Ich sage Ihnen: Früher oder später werden wir auf diese Entwicklung Antworten finden müssen. Eine
Adolf Roth ({20})
Reform der deutschen Finanzverfassung scheint mir unausweichlich zu sein.
Bundesfinanzminister Theo Waigel hat am 9. September bei der Einbringung des Haushalts auf die Renovierungsbedürftigkeit unseres im Grundsatz bewährten Systems des Föderalismus hingewiesen. Es ging ihm dabei nicht um mehr Zentralismus oder andere Ziele, sondern um die Stärkung der Eigenverantwortung von Bund und Ländern.
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Er wollte beide Ebenen dadurch instand setzen, daß sie finanzpolitisch zentrale Politikkonzepte auch autonom durchsetzen können. Das heißt im konkreten Fall: mehr Trennschärfe bei den Aufgaben, mehr Wettbewerb in der politischen Umsetzung, Überwindung oder Rückführung eines inzwischen lähmenden Konsenszwangs. Das hieße in der Konsequenz natürlich auch eine Überprüfung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs mit seiner inzwischen erkennbar schädlichen Tendenz zur Übernivellierung und zur Bestrafung der leistungsfähigeren Bundesländer.
Von seiten der SPD, von seiten der Opposition dieses Hauses hat es darauf nicht die geringste Reaktion gegeben. Ich sage Ihnen: Diese Problematik kann doch nur ignorieren, wer davon überzeugt ist, die Folgen solcher Fehlentwicklungen nicht eines Tages selbst tragen zu müssen.
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Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten,
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das er gerade vorgelegt hat, noch einmal mit bohrender Kritik auf das unsägliche Gegeneinander im föderalen System hingewiesen. Er sieht in den derzeitigen Regelungen der Finanzverfassung eine wesentliche Ursache für Blockade und Stillstand und fordert, auf dem Feld der föderalen Finanzbeziehungen den Grundsatz der Autonomie durchzusetzen und die Länder stärker an der konkurrierenden Gesetzgebung zu beteiligen, vor allem aber die Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Steuern klarer zu trennen.
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Meine Damen und Herren, ich weiß, daß dies ein schwieriges Thema ist. Ich habe auch nicht die Illusion, daß in einem Wahljahr eine umfassende Reform gelingen kann. Aber ich bin davon überzeugt, daß es dringend notwendig ist, dieses Problem anzupacken, und daß wir um eine Modernisierung der Zusammenarbeit im Bundesstaat und um eine Modernisierung und Reform unserer Finanzverfassung nicht herumkommen.
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Ich stimme dem Hamburger Finanzwissenschaftler Krause-Junk zu - der übrigens Mitglied der Steuerreformkommission gewesen ist -, der in der „Welt am Sonntag" gesagt hat:
Ändert die Finanzverfassung! Dann kann eine politische Mehrheit auch eine Steuerreform durchsetzen, und die Minderheit kann für die nächste Wahl ihr eigenes Programm dagegensetzen.
Er sagt:
Es ist nicht der große runde Tisch, sondern der Wettbewerb um die Plätze am kleinen Tisch, der demokratische Reformen herbeiführt.
Dem habe ich in der Sache nichts hinzuzufügen.
Nun zu einigen Einzelheiten des Bundeshaushalts 1998. Nach einem Ausgabenrückgang von 2,4 Prozent im laufenden Jahr erreicht der Etat 1998 mit knapp 457 Milliarden DM wieder das Volumen von 1996; er übertrifft es um lediglich 0,3 Prozent .
Gegenüber dem Regierungsentwurf mußten zusätzlich 3 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe und vorsorglich 1,5 Milliarden DM mehr als Zuschuß an die Rentenkassen eingestellt werden, falls eine Beitragsanhebung auf 21 Prozent politisch nicht mehr abwendbar ist. Das heißt, auf beiden Feldern weist der Bundesetat 1998 neue Rekordmarken auf.
Für die Bewältigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt geben wir im nächsten Jahr das Fünffache dessen aus, was 1991 aufgewendet wurde, nämlich 45,6 Milliarden DM.
Bei den Zuschüssen zur Rentenversicherung haben wir seit der deutschen Einheit einen Aufwuchs um 50 Milliarden DM; der Bundeszuschuß für die Rentenversicherung beträgt im nächsten Jahr 90,4 Milliarden DM; das ist jede fünfte Haushaltsmark.
Der Sozialhaushalt des Bundes hat damit die Rekordmarke von 176 Milliarden DM überschritten; das sind 38,6 Prozent unserer Gesamtausgaben. Alleine in den beiden Haushaltsjahren 1997 und 1998 belasten die zusätzlichen Aufwendungen für Arbeitsmarkt und Rente den Bundeshaushalt um nicht weniger als 24 Milliarden DM, ohne daß hier - ich darf das einmal sagen - das Stichwort einer Gegenfinanzierung oder Steuererhöhung aufgetaucht wäre.
Meine Damen und Herren, die steuerfinanzierten Zuschüsse des Bundes an die Sozialversicherungskassen erreichen immerhin die Summe von 136 Milliarden DM. Das sage ich zur öffentlichen Diskussion über die Bewältigung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Ich denke, daß der Hauptteil der sogenannten versicherungsfremden Leistungen in einem Solidarversicherungssystem damit abgedeckt ist. Ohnehin würde eine reine Umfinanzierung keinen Fortschritt in der Sache bringen; es würde keine Absenkung der Staatsquote bedeuten. Eine solche Politik kann auf Dauer gesehen die notwendigen Strukturreformen nicht ersetzen. Das ist die Meinung der Koalition.
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Adolf Roth ({27})
Seit Jahren absorbieren die Sozialtransfers den gesamten Anstieg der Bundesausgaben mit allen Folgen für die operative Handlungsfähigkeit unseres Staates. Wie der Kollege Diller angesichts dieser überprüfbaren Tatsachen davon reden kann, der Bund habe nachgeordnete Kassen um Milliardenbeträge erleichtert, ist mir rätselhaft. Ich kann dazu nur sagen: Sie schauen offenbar immer in die falschen Bilanzen, bevor Sie sich hier zu solchen Aussagen versteigen.
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Mit ebenfalls 90 Milliarden DM schlagen die Aufbautransfers für die neuen Bundesländer zu Buche. Das ist nach wie vor die wichtigste Investition in die zukünftige Entwicklung Deutschlands. Wir haben gerade bei der Gemeinschaftsaufgabe Ost im Wirtschaftsbereich neben der steuerlichen Investitionszulage eine Investitionsförderung, die bis 1997 immerhin 21,6 Milliarden DM an Investitionszuschüssen bereitgestellt hat.
Im parlamentarischen Haushaltsverfahren haben die Koalitionshaushälter per Saldo rund 1,3 Milliarden DM durch eine Fülle von Kürzungen und Umschichtungen eingespart. Ich bedanke mich bei allen beteiligten Kollegen der Koalitionshaushaltsgruppe, insbesondere bei unserem Partner, der F.D.P., und ihrem Haushaltssprecher Wolfgang Weng. Ich bedanke mich aber auch, wie in den Vorjahren, bei unserem Ausschußvorsitzenden, dem SPD-Kollegen Helmut Wieczorek, für seine Führung sowie bei den übrigen Ausschußmitgliedern und unseren Helfern und Mitarbeitern auf allen Ebenen. Wir haben hier eine Form der Zusammenarbeit, die zwar in ihrer Erlebnisqualität nicht immer höchste Stufen erreicht,
({29})
aber wir sind miteinander ausgekommen. Das möchte ich hier einmal mit Dankbarkeit offen aussprechen.
({30})
Meine Damen und Herren, die abschließenden Konsolidierungsentscheidungen der Koalition standen ja im engsten zeitlichen und Sachzusammenhang mit der Steuerschätzung am 12. November. Vorher wurde dem Ganzen eine sehr dramatische Bedeutung beigemessen. Es gipfelte in der Forderung, die Haushaltsberatungen ganz auszusetzen oder zu vertagen und ein völlig neues Buch aufzumachen. Der Bundesfinanzminister und die Verantwortlichen in der Koalition waren auf das neue Datenbild vorbereitet. Wir haben uns darauf eingestellt und eine vernünftige Politik verabredet. Jetzt haben wir sie ohne Ausweitung des Haushaltsdefizits strikt innerhalb der Grenzen des von uns gesetzten Ausgabenrahmens durchgesetzt. Lieber Kollege Diller, es mag Sie ja irritieren, wenn sich die Lösungen, die wir gefunden haben, nicht nach Ihren Prognosen gerichtet haben. Aber damit müssen Sie wahrscheinlich auch noch weitere Jahre leben: Auch Oppositionspolitik ist immer nur die Kunst des Möglichen.
Meine Damen und Herren, die zusätzliche Verlagerung von Einnahmen in Höhe von 8 Milliarden DM
aus der Telekom-Privatisierung, die hier kritisiert worden ist, hat es ermöglicht, daß wir durch einen einzigen weiteren Entscheid, nämlich durch die Streckung der Tilgung im Erblastenfonds, eine Entlastungswirkung von 6 Milliarden DM im laufenden Haushalt erreichen konnten. Ich lege auf die Feststellung Wert, daß trotz dieser Herabsetzung und auch ohne daß eine einzige Mark aus der Gewinnabführung der Deutschen Bundesbank angetastet worden wäre, der Bund hiermit jährlich im Durchschnitt 1,3 Prozent der hohen Anfangsschuld der DDR-Last von 350 Milliarden DM netto tilgt. Diese Summe beläuft sich neben allen Zinsverpflichtungen in den Haushaltsjahren 1995 bis 1998 auf 17,8 Milliarden DM. Zu diesen Tilgungen aus dem Bundeshaushalt treten die Gewinnabführungen der Bundesbank in Höhe von inzwischen 8,3 Milliarden DM. Im nächsten Jahr kommt mehr dazu, so daß wir Ende nächsten Jahres weit über 30 Milliarden DM aus dieser Erblast getilgt haben werden.
Damit ist unserem Ziel einer kontinuierlichen Rückführung der Erblastschulden Rechnung getragen. Es bleibt dabei: Innerhalb einer Generation soll diese Last getilgt werden. Der SPD-Vorwurf, dies sei eine Verweigerung von Schuldenrückzahlung, dies sei Tilgungsaussetzung, ist von uns in aller Deutlichkeit und in der Sache zurückzuweisen.
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Meine Damen und Herren, es bleibt bei der restriktiven Ausgabenlinie des Bundes. Wir haben seit 1992 die Bundesausgaben nur um 10 Prozent insgesamt gesteigert. Das ist ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann: 2 Prozent Ausgabensteigerung im Schnitt der Jahre bei einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung um durchschnittlich 4 Prozent. Dies ist der Beitrag der auch vom Finanzplanungsrat empfohlenen Politik.
Natürlich führt der Blick auf Schulden, Erblasten und Zinsverpflichtungen bei Haushaltspolitikern zu Mißbehagen. Aber man muß auch die Ursachen bewerten. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik mußten der Haushaltsgesetzgeber und der Bundesfinanzminister in einem einzigen Jahrzehnt so unglaublich weitreichende Lasten schultern wie in der Folge des Wiedervereinigungsprozesses in Deutschland und angesichts der Umbrüche in der Welt. Weil Sie das Bild gebraucht haben, lieber Kollege Diller: Wenn Franz Josef Strauß es nur geahnt hätte, daß noch in diesem Jahrzehnt die Wiedervereinigung Deutschlands möglich sei, dann wäre er auf die Leistungen stolz gewesen, die seine Regierungskoalition in dieser Finanzierungsfrage erbracht hat.
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Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Die Koalition steht zu diesem Haushaltswerk. Meine Fraktion unterstützt den Bundesfinanzminister in seinem schwierigen Amt.
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- Die Debatte dieser Woche wird zeigen, Herr Kollege Fischer, daß diese Koalition mehr Stabilität als
Adolf Roth ({34})
die lärmende Einheit der SPD hat, die sich in den Schlagzeilen des heutigen Tages in besonderer Weise niederschlägt.
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Diese Koalition wird mit Verantwortungsbereitschaft und mit Zuversicht an ihre Arbeit gehen. Die Debatte dieser Woche wird zeigen, wer hier den längeren Atem hat.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den knappen öffentlichen Kassen fokussieren sich alle Probleme unserer Industriegesellschaft. Wir haben eine Abgaben- und Steuerlast, die zu umgehen viele Bürgerinnen und Bürger inzwischen versuchen. Das erkennt man daran, daß die Schattenwirtschaft zunimmt und daß sich die Gutsituierten in unserer Gesellschaft der steuerrechtlichen Ausnahmeregelungen schamlos bedienen und weniger Steuern zahlen als die eigentlichen Lastesel dieser Gesellschaft, die Angehörigen der Mittelschicht.
Wir haben eine Beschäftigungssituation, die durch das Abgabensystem verschärft wird, weil diese Regierung ständig neue Beitragssteigerungen in der Rentenversicherung beschließt. Wir stellen weiterhin fest, daß die ökologische Verantwortung dieser Gesellschaft in dem Ausmaß abnimmt, wie die öffentlichen Kassen kaputtgehen.
Für all dieses stehen eine Regierungskoalition, ein Bundesfinanzminister und ein Bundeskanzler, die mit zwei Hauptzielen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik angetreten sind: Zum ersten wollten sie die öffentlichen Defizite begrenzen. - Fehlanzeige, Schuldenrekord in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum zweiten wollten sie die Steuer- und Abgabenlast senken. - Fehlanzeige, zumindest was die Abgabenlast betrifft. In bezug auf die Steuerlast ist zwar ein Absinken festzustellen. Das ist aber unfreiwillig und droht der Koalition das gesamte politische Geschäft kaputtzumachen. Denn Kollege Roth: Sämtliche Einsparungen auf Grund von Konsolidierungsmaßnahmen im Ausgabenbereich werden doch durch das Wegbrechen der Steuereinnahmen des Staates mehr als aufgefressen. Der Staat steht buchstäblich mit leeren Taschen da, und diese Koalition weiß nicht mehr, wie sie reagieren soll.
Ihnen muß es doch wie ein Geschenk des Himmels vorkommen, daß Sie in dieser Situation sagen können: Hätten wir doch nur diese große Einkommensteuerreform gemacht, die ja an der Sozialdemokratie gescheitert ist; dann wäre alles in Butter! Genau an
diesem Punkt, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sollten wir als Opposition aus eigennützigem Interesse der Regierung die Maske vom Gesicht reißen.
Wo ist denn der Bundeskanzler, der analog dem Arbeitgeberpräsidenten Hundt und dem DIHT-Verbandspräsidenten Stihl vor dem Parlament erklärt: Wir haben als Regierung eingesehen, daß mit unserer Nettoentlastungsbotschaft kein Staat zu gewinnen ist? Wir kehren auf den Pfad der finanzpolitischen Tugend zurück und führen eine Einkommensteuerreform ohne Nettoentlastung durch, mit der wir die Bemessungsgrundlage verbreitern, die Steuerschlupflöcher, die inzwischen zu Scheunentoren entartet sind, schließen und dafür die Nominaltarife vom Eingangssteuersatz bis zum Spitzensteuersatz absenken.
({0})
Wir Grünen wären die letzten, die im Bundestag oder im Vermittlungsausschuß auf eine solche Aussage des Bundeskanzlers antworten würden: Nein, mit uns nicht.
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Wir wollen ab 1999 regieren. Aber wir wollen mit Staatskassen regieren, die sich auf der Einnahmeseite wieder stabilisieren. Dazu muß man heute die Weichen stellen. Mit dieser Erblast, nämlich dem Verzicht auf eine Einkommensteuerreform in dieser Legislaturperiode, werden sich die jetzige und die künftige Bundesregierung und die Regierungen in den Bundesländern wundern, wie gnadenlos brutal die Unterfinanzierung der Haushalte des Jahres 1999 ausfällt.
Diese Erblast, Herr Finanzminister Waigel, die Sie uns hier hinterlassen, hat dermaßen brutale Auswirkungen, daß ohne die Einmaleffekte wie Tilgungsstreckungen und Erlöse durch die Privatisierung der Telekom, mit denen Sie das Jahr 1998 überbrücken wollen, die Nettoneuverschuldung 1999 auf bis zu 80 Milliarden DM steigen wird. Das ist eine Erblast sondergleichen, die zu Lasten schon dieser Generation geht, nicht nur zu Lasten der künftigen Generationen.
({2})
Wir alle sollten bei dem Pflichtprogramm, das wir in dieser Haushaltswoche absolvieren, bedenken: Wir kritisieren eine Regierung, die in ihren Reihen zwei kleine Regierungsparteien hat. Der einen, der kleinsten, nämlich der F.D.P., machen 12,4 Millionen DM mehr Probleme als die riesige Staatsverschuldung.
({3})
Die andere, die CSU, hat sich auf ihrem Parteitag am
Wochenende stärker an der norditalienischen Lega
Nord orientiert und ist zur Lega Süd degeneriert.
Diese CSU redet einer Regionalisierung der Sozialversicherungsbeiträge das Wort. Das ist eine irreale Politik sondergleichen,
({4})
die auch dadurch nicht besser wird, daß Theo Waigel als wiedergewählter CSU-Vorsitzender bei uns Grünen keine Fundis und Realos mehr entdeckt, sondern nur noch Irrealos. Diese Wahrnehmung, Herr Finanzminister, fällt angesichts Ihrer Politik auf Sie zurück.
({5})
Lesen Sie Seite 8 des Gutachtens des Sachverständigenrates! Dieses Gutachten bescheinigt Ihrer Finanzpolitik im Jahr 1997 Orientierungslosigkeit, Ihre Finanzpolitik verstärkt die Probleme, die sie zu lösen vorgibt, noch durch Ihr politisches Handeln.
({6})
- Ob er anwesend ist oder nicht: Die Botschaft hört er wohl.
Der entscheidende Punkt in dieser Debatte ist - darauf möchte ich zurückkommen -: Wenn wir uns hier in einem Pflichtprogramm die Argumente, die wir zum tausendstenmal ausgetragen haben, gegenseitig um die Ohren schlagen, werden wir keinen Schritt weiterkommen. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, von uns Grünen zu erfahren, was auf sie zukommt, wenn wir Regierungspartei werden. Wir haben für diesen Staat und diese Gesellschaft eine Gesamtverantwortung. Deshalb werde ich mich bemühen, aufzuzeigen, durch welche Richtung Finanzpolitik wieder solide, verläßlich und zukunftsfähig wird.
({7})
Diese Finanzpolitik muß drei Grundsätzen Genüge leisten: zum ersten soziale Gerechtigkeit, zum zweiten ökonomische Wohlfahrt und zum dritten ökologische Verträglichkeit. Für mich als Haushalts- und Finanzpolitiker sowie für meine Fraktion fängt alles bei einem Punkt an: Ohne die Einkommensteuerreform, über die wir alle reden, geht es nicht. Daher sollten wir sie machen. Bei Kompromissen muß jede Seite nachgeben. Ich habe vorhin zum Bundeskanzler gesagt: Verzicht auf die Nettoentlastung, und wir können sofort, noch in dieser Woche, über die Reform reden und eine Lösung zurechtzimmern. - Wir brauchen diese Einkommensteuerreform, damit sich die sehr gut Situierten für den Fiskus nicht mehr armrechnen können und sich die Mittelschichten nicht mehr als Lastesel des Steuerrechts empfinden, weswegen auch die Steuermoral in dieser Gesellschaft auf den Nenner zu bringen ist: Nur der Dumme zahlt noch Steuern; wer klug und clever ist, versucht, dem Fiskus möglichst nicht mehr das zu geben, was der Fiskus braucht.
Meine Damen und Herren von der F.D.P., da bieten Sie als Partei natürlich Angriffsflächen zuhauf. Wer
dem Staat seine Mittel vorenthalten will und wer dem blanken Egoismus der sehr gut Situierten, die für sich selber sorgen können, das Wort redet, der riskiert politische Verwerfungen in dieser Gesellschaft, die auch konservative, sozialdemokratische und natürlich erst recht grüne Wählerinnen und Wähler dazu bringen werden, festzustellen, daß soziale Sicherheit in einer Gesellschaft eine Qualität ist, die überhaupt nicht hoch genug zu bewerten ist, auch im immateriellen Sinn.
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Deshalb wird es ohne eine große Einkommensteuerreform in dieser Legislaturperiode langfristig keine Stabilisierung der Einnahmen des Staates geben. Da sitzen alle hier im Haus - mit Ausnahme der PDS - in einem Boot, weil sie in den Bundesländern regieren - wir inzwischen in fünf Regierungen - und Einbrüche in der Einnahmebasis des Staates alle treffen.
Wir brauchen eine neue Säule im Steuersystem, die wir Grüne mit der Vokabel „Ökosteuer" belegen. Wir müssen den Ressourcenverbrauch verteuern und dafür den Faktor Arbeit entlasten. An dieser Grundbotschaft kommt eine zukunftsfähige Politik nicht vorbei.
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Deshalb gibt es ohne Einstieg in die Ökosteuer keine Absenkung der Lohnnebenkosten und keine Impulse für Wachstum und Beschäftigung in dieser Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, wer glaubt, hier der Opposition ein Stöckchen nach dem Motto „Wir machen es nur mit der Mehrwertsteuer" hinhalten zu müssen, der täuscht sich ganz gewaltig. Die Mehrwertsteuer weist in ihrer Verteilungswirkung ohnehin eine soziale Schieflage auf und beinhaltet gleichzeitig keine ökologisch substantielle Initiative für mehr Wachstum und Beschäftigung in zukunftsfähigen Feldern in unserer Gesellschaft.
Inzwischen hat selbst die OECD in ihrem neuesten Gutachten entdeckt, daß Ökosteuern Beschäftigungswirkungen entfalten. Die OECD steht sicher nicht im Geruch, mit Grünen oder Sozialdemokraten zu kungeln, sondern sie argumentiert normalerweise erstaunlich wirtschaftsnah. Aus empirischen Erfahrungen nationaler Volkswirtschaften, die bereits, wenn auch behutsam, ökologische Steuern eingeführt haben, so daß der Industrie Umstellungsmöglichkeiten gegeben werden, kommt sie zu dem Ergebnis, daß die Einführung einer Ökosteuer beschäftigungswirksam ist.
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Meine Damen und Herren in der Koalition, aber natürlich auch in der Opposition, wir alle wissen, daß Haushalte, die strukturell defizitär sind, nur dann saniert werden können, wenn man nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben auf den Prüfstand stellt. Die öffentliche Hand muß eine Aufgabenkritik betreiben, die untersucht, ob die Steuern und Abgaben, die für bestimmte öffentliche AusgaOswald Metzger
ben erhoben werden, tatsächlich effizient eingesetzt werden oder nicht.
Wir brauchen auch die Überprüfung der sozialen Sicherungssysteme. Ohne strukturelle Reformen in den sozialen Sicherungssystemen werden wir die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft nicht sicherstellen. Allein schon die demographische Entwicklung ist Grund genug, mahnend den Finger zu heben.
Ich rate allen, im Monatsbericht November der Bundesbank den Artikel über die Lastenverteilung zwischen den Generationen zu lesen. Dort wird in einem Modellversuch zu beziffern versucht, welche Lasten die heute lebenden Generationen den nachfolgenden Generationen hinterlassen und wie dramatisch der Anstieg der steuerfinanzierten Leistungsquote über den Lebenszyklus eines Menschen sein wird, wenn nicht die heute politisch verantwortliche Generation rechtzeitig die Weichen anders stellt.
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Wenn man die Ausgaben auf den Prüfstand stellt, brauchen wir eine Aufgabenkritik; das habe ich bereits gesagt. „Ausgaben auf den Prüfstand stellen" heißt, auch bei Lieblingsprojekten dieser Koalition, beispielsweise beim Eurofighter, über den morgen entschieden wird, ehrlich zu sagen und klarzumachen, daß man mit dieser politischen Entscheidung, die stärker unter industriepolitischen Gesichtspunkten getroffen wurde - von ihr profitiert die Lega-SüdPartei CSU am meisten, weil die DASA ihren Hauptstandort in Bayern hat -,
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nach heutigem Geldwert 30 Milliarden DM bis zum Jahre 2014 für diesen Vogel bindet. Gegen ihn sind 80 Prozent der Bevölkerung, weil sie sich nicht vorstellen können, daß man in Zeiten, in denen die Kleinrentnerin in der Apotheke ihre Zuzahlung leistet, gleichzeitig ein so unsinniges Projekt von staatlicher Seite finanziert.
Sie können sich aber vorstellen, daß man nicht nur solche Wahnsinnsprojekte wie den Eurofighter zur Disposition stellt, sondern auch klar und deutlich sagt: Die Personalstruktur der Bundeswehr mit 340 000 Soldaten wird sich mit oder ohne Wehrpflicht nicht halten lassen; in der nächsten Legislaturperiode muß diese Personalstruktur weiter zurückgeführt werden, und zwar aus rein ökonomischen Gründen,
({13})
weil der Anteil der Verteidigungslasten, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, bei politisch veränderter Sicherheitslage nicht so hoch bleiben kann wie in der Vergangenheit.
Genau das gleiche gilt für die Versorgungslasten im öffentlichen Dienst. Jeder weiß, wie viele Menschen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten pensioniert werden und welche Versorgungslasten auf die öffentlichen Haushalte, vor allem auf die Haushalte der Bundesländer, die einen höheren Personalkostenanteil haben, zukommen.
Wir werden im Jahr 2030 rund 1,3 Millionen Pensionen für Beamtinnen und Beamte aus den öffentlichen Haushalten zu finanzieren haben. Kein Mensch wird sich hier hinstellen und glaubwürdig sagen können: Die heutige Beamtenversorgung wird sich auf diesem Niveau halten lassen. Wir Grünen glauben deshalb beispielsweise, daß die 13. Monatspension zur Disposition gestellt werden muß, um auch in diesem Bereich eine faire Lastenverteilung zwischen Beamten und Arbeitnehmern zu gewährleisten.
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Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Es geht uns damm, den Menschen auch vor den Wahlen zu sagen, was auf sie zukommt.
Wir werden uns genauso die staatlichen Subventionen ansehen müssen, die auch der Lega-SüdPartei, also der CSU, außerordentlich nützen. Ich nenne hier nur die Subventionen in der Landwirtschaft. Wie viele Agrarsubventionen dienen nur dazu, Strukturen zu erhalten, die mit landschaftsverträglicher Landwirtschaft überhaupt nichts am Hut haben. Sie fördern Großbetriebe und geraten in Eurobürokratien, wo sie nicht hingehören!
Wenn Sie sich ein solches Konsolidierungskonzept ansehen, denken Sie vielleicht: Es klingt alles so vernünftig, damit könnten sich Leute von links bis rechts anfreunden. - So einfach ist es aber nicht. Bei der Umsetzung des Konzeptes wird plötzlich deutlich, aus welchem politischen Milieu man kommt. Die F.D.P. hätte im Zweifelsfall riesige Probleme damit, die Bemessungsgrundlage im Steuerrecht dort zu verbreitern, wo es ihrer gutsituierten Klientel ans Eingemachte geht.
({15})
Wir Grünen sind bereit, uns genau dieser Nagelprobe zu stellen und das anzutesten. Verzichten Sie auf die Nettoentlastung, dann werden wir uns über einen Katalog von Abschreibungsverschlechterungen unterhalten. Sie werden merken, wie Ihnen Ihre eigenen Lobbyisten auf den Zehenspitzen herumtreten werden, und zwar nicht zu knapp.
({16})
- Das haben Sie nicht gemacht. Selbst der Sachverständigenrat schreibt in seinem Gutachten, daß die Reformansätze der Petersberger Beschlüsse zwar in der Tendenz richtig seien, aber im Abschreibungsbereich eine breitere Bemessungsgrundlage durchaus wünschenswert wäre. Auch hier gilt natürlich: Wehret den Anfängen. Je breiter Sie die Bemessungsgrundlage gestalten, desto eher bekommen Sie eine Einkommensteuerreform dieser Prägung hin.
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- Aha. Ich habe vorhin den Bundeskanzler angesprochen. Herr Kollege Thiele, Sie als Finanzausschußvorsitzender - Ihre Partei hat in ihren langen 27 ReOswald Metzger
gierungsjahren immer den Finanzausschußvorsitz gehabt -, also als Vorsitzender des Ausschusses, der das heutige Steuerrecht gezimmert hat, das Sie jetzt beklagen, halten uns als Opposition den Spiegel vor. Sie sitzen im Glashaus und sollten nicht mit Steinen auf andere werfen.
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Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen letzten Aspekt ansprechen, damit die Kür in der Schlußrunde trotzdem noch in der Linie bleibt und dies nicht auf den alten Schlagabtausch hinausläuft. Die Bevölkerung weiß sehr gut, daß diese Koalition am Ende ist. Das braucht die Opposition nicht ständig zu sagen.
({19})
Ich denke in die Zukunft und will, daß wir als Opposition die Regierung auf einer Geschäftsgrundlage übernehmen können, die tatsächlich zu einer Sanierung der öffentlichen Haushalte führt. Aber dazu muß man den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit sagen und ihnen auch etwas zumuten. Dazu brauchen wir angesichts der bevorstehenden europäischen Währungsunion auch einen nationalen Stabilitätspakt. Was nützt es einer Bundesregierung, wenn man dann, wenn wir in Deutschland nach Einführung des Euro die Defizitkriterien in bestimmten Jahren nicht erreichen sollten und entsprechende Strafen mit dem Nationalstaat verrechnet werden, die Bundesländer nicht mit ins Boot steigen läßt? Die Länder können sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Dies sage ich als Mitglied einer Partei, die in fünf Bundesländern mit Regierungsverantwortung trägt.
({20})
Wir brauchen mehr Finanzverantwortung zwischen den staatlichen Ebenen. Wir brauchen auch eine Reform des Finanzierungsgeflechts zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, denn die Gemeinden, die am Katzentisch des Vermittlungsausschusses sitzen, beißen bei der gesamten Debatte immer die Hunde. Hier kommt bei mir auch noch einmal der Kommunalpolitiker durch: Schauen Sie sich einmal an, wie in diesen Wochen und Monaten, in denen die Haushaltspläne der Landkreise in den Kreistagen beraten werden, die Mehrausgaben für die Sozialhilfe durch die Verschiebung der Kostenlast vom Bund auf die Kommunen bzw. von den Ländern auf die Kommunen dramatisch steigen. Die Kreisumlagen werden teilweise um 4 bis 6 Prozent erhöht. Den Gemeinden steht das Wasser bis zum Hals. Es gibt kaum noch Gemeinden, die ihre Haushalte ausgleichen können, obwohl sie in den letzten fünf bis sechs Jahren bei der Verwaltungsreform wesentlich weitergekommen sind, als das auf Bundesebene der Fall ist.
({21})
Der Bund hat noch eine Bringschuld im Hinblick auf effiziente Haushaltswirtschaft, Personalstrukturreformen, mehr Budgetierung, mehr Dezentralisierung, mehr Verantwortlichkeit von Verwaltungsabteilungen, mehr Produktorientierung und Abgehen von der Kameralistik. Hier brauchen Sie - egal, in welchem Lager Sie sitzen - den Kommunen nichts vorzuhalten. Die Zeiten, in denen in Sindelfingen noch Marmorpflasterstreifen verlegt wurden, sind längst vorbei. Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals. Solange Sie auf Bundesebene bestimmte Zöpfe nicht abschneiden, hat hier praktisch niemand das Recht, mit dem Finger auf die Kommunen zu zeigen.
({22})
Alles in allem: Wenn wir eine sozial gerechte Gesellschaft wollen, wo sich ökonomische Wohlfahrt mit ökologischer Gerechtigkeit paart, dann müssen wir heute die Weichen dafür stellen, daß die öffentlichen Haushalte ihre strukturellen Defizite langsam, aber stetig abbauen können und daß die Politik in dieser Gesellschaft für die Wirtschaftsakteure planbar und zukunftsfähig ist. Dadurch werden die Voraussetzungen geschaffen, daß sich das Produktivkapital in dieser Gesellschaft wieder ausweitet, daß die Ausrüstungsinvestitionen und die Anlageinvestitionen steigen und daß Wachstum und Beschäftigung wieder Einkehr in diese Gesellschaft halten. Ich glaube, wir von den Grünen haben hierfür die besseren Konzepte als die abgewirtschaftete Koalition.
Vielen Dank.
({23})
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer wieder erfrischend, den Kollegen Metzger hier frei daherreden zu hören, frei im Sinne von konzeptlos - das ist manchmal wirklich ganz gut -, aber auch völlig frei von der Beschlußlage in seiner eigenen Partei, von dem Handeln seiner eigenen Fraktion und völlig frei von dem - Herr Kollege Joseph Fischer, der Sie gerade weggehen -, was die von Ihnen mitgetragenen Landesregierungen im Bundesrat gemacht haben.
({0})
Das muß man hier festhalten, weil sich das an die Öffentlichkeit richtet. Die Öffentlichkeit muß wissen, wo hier wahrheitsgemäß berichtet wird.
Meine Damen und Herren, nach den Beratungen im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages debattieren wir heute in zweiter Lesung den Nachtrag zum Bundeshaushalt 1997 und den Haushalt 1998. Nach intensiver Vorarbeit konnten wir den Ausgabenrahmen für 1998 auf rund 457 Milliarden DM verkleinern und damit erreichen, daß die VerDr. Wolfgang Weng ({1})
schuldung den vorgesehenen Rahmen von rund 71 Milliarden DM für 1997 und 56,4 Milliarden DM für 1998 nicht sprengt. Der Rahmen ist zweifelsfrei zu groß; die Gesamtstruktur des Haushalts, über die hier auch debattiert wird, gibt uns aber keine andere Möglichkeit. Meine Damen und Herren, wer die Rahmenbedingungen kennt, der muß das Ergebnis loben.
Die Haushaltsdebatte als Generalangriff der Opposition auf die Regierungspolitik: Da die Opposition - wie alle Jahre wieder - ein schlüssiges Konzept schuldig geblieben ist, sind ihre Angriffe nicht ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Es ist schon eine außerordentliche Unverfrorenheit, wenn insbesondere Politiker der Grünen die Struktur des Haushalts beklagen, aber genau an den Stellen, an denen die Struktur auch nach ihrer eigenen Aussage verbessert werden müßte, die notwendigen Veränderungen im Bundesrat mit ihrem Koalitionspartner, der SPD in den Ländern, blockieren.
Es muß, meine Damen und Herren, auch heute wieder darauf hingewiesen werden, daß Spargesetze, die den Bundeshaushalt mit über 6 Milliarden DM entlastet hätten, gleichzeitig auch Ländern und Gemeinden größere Finanzspielräume gegeben hätten. Herr Kollege Metzger, deswegen wird Ihr Magen über die kommunale Situation eben nicht ernst zu nehmen sein. Sie haben diese Spielräume durch Ihre Blockaden mit der SPD zusammen nicht geschaffen. Es ist liegengeblieben. Wenn in Ländern und Gemeinden die Finanznot beklagt wird, dann - soweit SPD-regiert - beklagen Sie Ihr eigenes Handeln.
({2})
- Ich glaube immer, Herr Kollege, was ich erzähle.
Der Bundeshaushalt unterliegt - wie auch andere öffentliche Haushalte - einer gedanklichen Dreiteilung. Es gibt Ausgaben, die tatsächlich oder zumindest mittelfristig nicht veränderbar sind, zum Beispiel Zinszahlungen, vertragliche Verpflichtungen; auch die Kosten für den öffentlichen Dienst sind nicht spontan nachhaltig zu verändern.
Es gibt großvolumige Ausgaben, die nur durch Veränderung von Gesetzen, im wesentlichen von Leistungsgesetzen, zu beeinflussen sind. In diesem Bereich ist es politisch natürlich besonders schwierig, Änderungen herbeizuführen, weil diese Ausgaben politisch erwünscht sind. Häufig betreffen sie auch sozial Schwächere in der Gesellschaft. Als Beispiele nenne ich das Kindergeld und das Erziehungsgeld. Auch die enormen Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt für die Rentenversicherung, die Knappschaftsversicherung, die landwirtschaftliche Altersversorgung, auch die Arbeitslosenhilfe sind hier zu nennen. Auch der ständig steigende Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit muß selbstverständlich erwähnt werden.
Die Koalition hat - das braucht angesichts der bekannt schwierigen Lage der öffentlichen Finanzen schon Mut - sogar in diesen sensiblen Bereichen Einsparungen beschlossen und politisch vertreten, weil
sie notwendig waren. Aber die SPD hat dies nicht nur, wie bei Oppositionsparteien üblich, zu heftigen Angriffen und öffentlicher Polemik genutzt, sondern mit ihrer Mehrheit im Bundesrat die Einsparungen verhindert. Daß den Sozialdemokraten in der Konsequenz - das ist eine typisch sozialdemokratische Haltung - nichts anderes mehr einfällt, als, wie am vergangenen Sonntag, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozent zu fordern,
({3})
um irgendwie an zusätzliches Geld zu kommen, macht die Dimension der politischen Auseinandersetzung klar: Die Koalition folgt dem wirtschaftspolitischen Sachverstand und will sparen; die Opposition versucht, den Bürgern vorzugaukeln, daß die Zukunftsprobleme mit einfacher Umverteilung zu lösen seien.
({4}) Wir zeigen den richtigen Weg.
Herr Dr. Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Gerne.
Herr Kollege, warum sagen Sie nicht dazu, daß der Vorschlag einer Mehrwertsteuererhöhung um drei Punkte, von dem Sie geredet haben, nicht die Meinung meiner Partei wiedergibt,
({0})
daß dies offiziell zurückgewiesen worden ist? Warum tragen Sie nur die Hälfte vor und sagen nicht dazu, daß das eine Einzelmeinung ist, die wir nicht vertreten?
({1})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe die Zurückweisung, ehrlich gesagt, bisher nicht gehört. Ich nehme das zur Kenntnis, wenn Sie es so sagen.
({0})
- Sie wissen, daß wir in den letzten Tagen in den Zeitungen vieles zu lesen hatten.
({1})
Sie wissen, wie Politik gestaltet wird: Ein Minenhund läuft vor, und man selbst wartet auf Reaktionen. Wenn sie einem gefallen, dann vertritt man diese Position. Gerade in diesen Fragen der Steuererhöhungen, bei denen der Bundesrat nach meiner festen Überzeugung nur darauf lauert, daß die Koalition über den Zuschuß zur Rentenversicherung hinaus Zugeständnisse macht, weil man nicht bereit und
Dr. Wolfgang Weng ({2})
zum Teil auch gar nicht in der Lage ist, notwendige Einsparungen vorzunehmen, ist dieses Vorgehen nicht überraschend. Das war schon ein Vorpreschen.
({3})
- Ich war noch bei der Antwort. Sie stellen immer so intelligente Fragen, da braucht man für die Antwort etwas länger.
Wenn das nicht in der Parteispitze koordiniert war, nehme ich das zur Kenntnis. Wir warten einmal ab, Frau Matthäus-Maier, was Ihre Partei am Schluß, wenn es zum Schwur kommt, tatsächlich fordern wird. Ich warne Neugierige; denn ich bin sicher, daß Sie schon lange darauf warten, mehr beim Bürger holen zu können.
Meine Damen und Herren, der dritte Teil eines öffentlichen Etats betrifft die Ausgaben, die direkt durch das Haushaltsgesetz zu beeinflussen sind. Da hierzu zum Beispiel ein Großteil der öffentlichen Investitionen gehören, sind - aus naheliegenden Gründen - nicht beliebige Einsparungen möglich. Aber im Bereich des öffentlichen Konsums hat die Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß erneut Einschnitte in wesentlichem Umfang beschlossen. Wenn wir das vorliegende Zahlenwerk heute als vertretbar bezeichnen können, dann sicher deshalb, weil wir seit langen Jahren in diesem Bereich der öffentlichen Ausgaben gebremst haben, weil wir keine Ausgabensteigerungen erlaubt haben und damit voll der Auffassung wirtschaftspolitischen Sachverstands gefolgt sind.
Bequem ist dies nicht, vor allem nicht für die Koalitionsabgeordneten im Haushaltsausschuß. Der Ablauf ist ja alle Jahre wieder gleich: Trotz schwierigster Finanzlage geht sofort nach der Entscheidung des Bundeskabinetts der Sternmarsch von Regierung und Parlamentariern auf die Haushälter los, im Bemühen, zusätzliche Ausgaben lockerzumachen. Selbst Politiker, die Schulden gerne per Verfassung verbieten lassen wollen, glauben plötzlich, daß der Kampf für Mehrausgaben und damit für höhere Schulden der bessere Kampf ist.
({4})
Ich will dies nicht weiter vertiefen. Aber dies zeigt, wie schwierig die Arbeit des Haushaltsausschusses ist.
Meine Damen und Herren, die Gesamtbetrachtung des Haushalts zeigt, daß einerseits wesentliche Ausgabensteigerungen auf Grund der Arbeitsmarktsituation zwangsläufig sind und daß andererseits auf der Einnahmeseite trotz ordentlicher wirtschaftlicher Entwicklung - wir wollen das nicht vergessen; denken Sie darüber nach, was wäre, wenn die wirtschaftliche Entwicklung dahinter zurückbliebe - erwartete Steuergelder ausbleiben.
Dieses Gesamtbild ergibt sich vor folgendem Hintergrund: Die Koalition hat schon vor längerer Zeit den Versuch gemacht, die steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zu verbessern und damit stärkere Investitionen sowohl der eigenen als auch der ausländischen Wirtschaft in unserem Land zu ermöglichen. Denn wenn trotz guten wirtschaftlichen Wachstums die Arbeitslosigkeit viel zu hoch bleibt und wenn die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben, dann ist klar, daß die Rahmenbedingungen des Standorts verbessert werden müssen und daß in diesem Bereich unbedingt umgesteuert werden muß. Leider ist das Koalitionskonzept, das ja die F.D.P. ganz wesentlich beeinflußt hatte, der Blockadehaltung der Opposition zum Opfer gefallen.
({5})
Wer deshalb mangelnde Dynamik beklagt - wie es zum Beispiel der Sachverständigenrat tut -, wer die hohe Belastung künftiger Generationen durch die wachsende Verschuldung beklagt - wie es uns die Deutsche Bundesbank in der letzten Woche vorgehalten hat -, der sollte zumindest auch zur Kenntnis nehmen - ich sage dies auch und gerade mit Blick auf die Bevölkerung draußen im Land -, daß hier nicht die Politik insgesamt schuldig ist. Diejenigen, die die notwendigen Schritte verweigern und die nach meiner festen Überzeugung damit den Auftrag der Wähler in den Ländern verfälschen, gehören an den Pranger. Es kann doch in einem föderalen Staat niemals die Aufgabe der Länderkammer sein, mit parteipolitisch motivierter Blockadepolitik den Zentralstaat an den Rand der Handlungsfähigkeit zu bringen.
({6})
Die Forderungen der Sachverständigen lesen sich ja beinahe wie ein Parteiprogramm der F.D.P.
({7})
Deshalb ist für die Zukunft unseres Landes eine erneute Stärkung der politischen Mitte, eine erneute Stärkung der F.D.P. wichtig.
({8})
Rote Verweigerung und grün-bunte Verantwortungslosigkeit bringen Deutschland nicht voran.
({9})
- Aber gerne, Herr Kollege Nolting: Rote Verweigerung und grün-bunte Verantwortungslosigkeit bringen Deutschland nicht voran.
({10})
Dr. Wolfgang Weng ({11})
Daß sich unsere Beratungen so schwierig gestaltet haben, liegt auch an dem Datenkranz, mit dem uns die Regierung ausgestattet hat.
({12})
Es ist schon fast fatal zu nennen, daß ausgerechnet in der jetzigen schwierigen Finanzsituation die Ergebnisse der Steuerschätzung total aus dem Ruder laufen.
({13})
Über lange Jahre konnten wir mit verläßlichen Daten rechnen. Natürlich stellt man sich als Haushaltspolitiker auch die Frage, ob bestimmte Entwicklungen wirklich mit der nötigen Sorgfalt vorauskalkuliert worden sind. Eigentlich müßten doch die Daten vorhanden oder zumindest zu beschaffen sein, die die hohen Ausfälle bei der Einkommensteuer zum Beispiel durch Verlustrückträge und Sonderabschreibungen voraussagbar gemacht hätten. Hier hat die Regierung eine Bringschuld: Es muß künftig bessere und genauere Zahlen geben, auf die wir uns verlassen können.
({14})
Diese Kritik gilt insbesondere auch für die Voraussagen der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, die im wesentlichen das Sozialministerium zu verantworten hat. Daß die rot-grüne Blockadepolitik eine nachhaltige Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt bisher verhindert, kann keine Entschuldigung dafür sein, daß wegen falscher Voraussagen die Haushaltsansätze des Regierungsentwurfs häufig in erheblichem Umfang nachgebessert werden mußten oder daß im Haushaltsvollzug in großem Umfang nachgebessert werden mußte. Klarheit und Wahrheit: Diese Forderung richtet sich auch an das Sozialministerium.
({15})
Meine Damen und Herren, die Finanzenge des Haushalts hat auch positive Seiten, weil sie Auslöser für ordnungspolitisch notwendige, aus liberaler Sicht wünschenswerte politische Entwicklungen ist. Die Klagen von seiten der Opposition machen es um so deutlicher, daß es hier Unterschiede in den politischen Auffassungen gibt. Ich meine den Bereich der Privatisierungen. Die erfolgreiche Privatisierungspolitik der Bundesregierung und der Koalition hätte niemals die jetzige Dimension erreicht, wenn nicht der Druck leerer Kassen auch in den Amtsstuben der Ministerien die Bereitschaft zum Handeln gesteigert hätte.
Daß der sparsame Haushaltsvollzug des Jahres 1997 es ermöglicht, durch Verlagerung von Privatisierungseinnahmen in das Jahr 1998 die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts leichter zu erreichen, ist eine gute Nachricht, für die der verantwortliche
Finanzminister Waigel durchaus gelobt werden kann.
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- Wenn ich daran denke, daß Sie die Haushaltssperren beklagt haben, daß Sie immer und überall gefordert haben, beim Vollzug doch mehr Geld zur Verfügung zu stellen, dann ist klar, daß Sie nicht der gleichen Meinung sind wie wir. Wir sind froh, daß hierdurch Gelder in einer Größenordnung von bis zu 5 Milliarden DM im laufenden Jahr gegenüber dem, was die ursprüngliche Planung vorsah, eingespart wurden und so Handlungsspielräume eröffnet werden konnten.
({17})
Der Finanzminister hat - den Haushältern im Parlament vergleichbar - in der Regierung den undankbarsten Job. Wo andere verteilend und segnend durchs Land ziehen, muß er verweigern. Was der Welt Lohn ist, sagt ein altes Sprichwort in großer Deutlichkeit.
({18})
Die Enge des Haushalts hat - das will ich lobend erwähnen - die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit in Haushaltsfragen verbessert. Wir von seiten der F.D.P. haben begrüßt, daß der Finanzminister schon vor der Kabinettsentscheidung die Fraktionen der Koalition und auch die Öffentlichkeit über die Grundzüge des Regierungsentwurfs zum Haushalt 1998 informiert und hierdurch eine aktive Mitsprache des Parlaments ermöglicht hat. Noch mehr haben wir - Herr Kollege Roth hat das lobend erwähnt - zu schätzen gewußt, daß es eine flankierende Unterstützung unter Einbeziehung der Fraktionen in dem engen Zeitraum zwischen den Ergebnissen der Steuerschätzung und der abschließenden Beratung im Haushaltsausschuß in der letzten Sitzungswoche gegeben hat. Da ist sogar den eifrigsten Lautsprechern der Opposition kurzzeitig das übliche Wehgeschrei im Halse steckengeblieben.
({19})
- Mit dem Beifall sind die Kollegen etwas sparsam.
({20})
Sie sehen sich ja so selten, daß ich Verständnis habe, wenn sie ihre Erfahrungen austauschen. Seit es die „Pressespiegel" im kleinen Format gibt, ist dies nicht mehr so auffällig. Man muß die Zeit für viele andere Dinge nutzen; dafür habe ich Verständnis.
Meine Damen und Herren, im Bundeshaushalt wird erneut die Zahl der öffentlich Bediensteten kegelgerecht um 1,5 Prozent abgesenkt. Wir sind der Meinung, Herr Finanzminister, daß dies auch in Zukunft fortgesetzt werden muß, weil die Zahl der öffentlich Bediensteten und die Besoldungsstruktur im öffentlichen Dienst der absehbaren Haushaltssituation Rechnung tragen müssen. Dies gilt im Bereich der Länder und der Kommunen noch stärker als beim Bund.
Dr. Wolfgang Weng ({21})
Wenn neue Aufgaben neues Personal erfordern, wie auch in diesem Haushalt, dann muß um so mehr eine ständige Aufgabenkritik innerhalb der Regierung unnötig gewordene Verwaltung reduzieren. Die Aufforderung an die Regierung bleibt - ich sage dies auch mit Blick auf die Übergangsregelungen, die im Zusammenhang mit dem Umzug nach Berlin kommen werden -: Die Zahl der Bediensteten des Bundes muß entsprechend einer Festlegung der Bundesregierung und der Koalition wieder auf den Stand von 1989 gebracht werden.
({22})
Wir wissen, daß dies Engpässe bedeutet. Es ist aber kraft ihrer Organisationsgewalt Sache der Regierung, dafür zu sorgen, daß für die notwendigen Aufgaben das erforderliche Personal ausreichend zur Verfügung steht, aber trotzdem durch Abbau überzähliger Stellen insgesamt eine Reduzierung erreicht wird. Wir haben - ich sage das, ohne daß wir eine förmliche Beschlußlage dafür hätten herbeiführen müssen - überhaupt nichts dagegen, wenn es auch innerhalb der Regierung in Bereichen, wo überzähliges Personal vorhanden ist, zu Einsparungen kommt und an anderen Stellen, wo dies notwendig ist, gegebenenfalls zu Zuwächsen. Aber das Gesamtbild muß aus den genannten Gründen stimmen.
Das Wirtschaftsministerium - das will ich hier ausdrücklich und lobend erwähnen - hat durch Sachverständige eine Analyse seiner Organisationsstrukturen durchführen lassen. Dies kann als Vorbild dienen und auch Basis von Entscheidungen der Regierung über ihre eigene Organisationsstruktur werden.
({23})
Ich sage mit Blick auf die Zahl öffentlich Bediensteter und auch mit Blick auf die Demonstrationen von Studierenden, die wir im Augenblick haben, Demonstrationen, die von der Sache her natürlich begründet sind - junge Menschen wollen für ihren Lebensweg Aussichten haben -: Wenn junge Hochschulabgänger in Zukunft nicht mehr in den öffentlichen Dienst drängen, sondern sich wieder verstärkt auf sich selbst verlassen, eine berufliche Selbständigkeit anstreben, dann ist dies eine gute Entwicklung.
({24})
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion begrüßt erneut, daß die Koalition über Senkung der Steuerlast neue Dynamik zu erreichen versucht. Verbesserung des Familienlastenausgleichs - schon fast vergessen und konsumiert -, Verzicht auf Kohlepfennig-Ersatzsteuer, Wegfall von Gewerbekapitalsteuer - nach langem Hinhalten und Widerstand der SPD -, Wegfall der Vermögensteuer und im kommenden Jahr die Absenkung des sogenannten Solidarzuschiags, einer von Anfang an problematischen Sondersteuer, zeigen einen im Grundsatz richtigen Weg. Trotzdem wird die Politik in Deutschland an einer großen Reform der Lohn- und Einkommensteuer, verbunden mit Steuervereinfachung, nicht vorbeikommen. Die SPD wird ihre dahin gehende Blockade aufgeben müssen, wenn sich die wirtschaftliche Situation in unserem Lande im weltweiten Wettbewerb
nicht noch weiter verschlechtern und die Arbeitsmarktsituation nicht noch bedrohlicher werden soll. Folgen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, endlich den notwendigen und richtigen Vorschlägen von Union und F.D.P.!
({25})
Die Koalition hat in diesem Haushalt auf Wahlgeschenke verzichtet, obwohl ein Wahljahr bevorsteht. Das war, wie Sie wissen, nicht immer so. Aber in der gegebenen Haushaltssituation wäre das unverantwortlich gewesen, und wir stellen uns der Verantwortung. Wir gehen in geordnetem Verfahren und mit vertretbarem Haushalt in das Wahljahr 1998.
Die Bundestagsfraktion der F.D.P. stimmt dem Nachtragshaushalt 1997 und dem Haushalt 1998 in zweiter Lesung zu.
Vielen Dank.
({26})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1998 ist hoffentlich der letzte Haushalt, den eine CDU/CSU/F.D.P.-Regierung zu verantworten hat.
({0})
Der Bundeskanzler war mit dem erklärten Ziel der weiteren Haushaltskonsolidierung angetreten. Ich nehme an, dies sollte im Rahmen einer solide geführten Finanz- und Haushaltspolitik erreicht werden.
Was finden wir vor? Um 11.30 Uhr des heutigen Tages betrug die Gesamtverschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammen 2 209 894 293 237,44 DM,
({1})
das heißt, pro Sekunde 3170,98 DM Neuverschuldung. Zwei Haushaltssperren und die nun endlich erfolgte Vorlage des Nachtragshaushaltes für das laufende Jahr widerlegen eindeutig den Mythos eines geordneten Haushaltsverfahrens.
({2})
Entgegen dem beschlossenen Haushaltsansatz für 1997 von 444,8 Milliarden DM sind die Ausgaben um 4,9 Milliarden DM angestiegen, und die Neuverschuldung beläuft sich nicht, wie geplant, auf 53,3 Milliarden DM, sondern auf 70,9 Milliarden DM; das ist ein Drittel mehr. Dies als Erfolg zu verkaufen, wie es der Herr Finanzminister tat, da sich mit diesen Zahlen nicht die allerschlimmsten Erwartungen erfüllt hätten, ist schlicht unverfroren.
Ein Blick in die Tagespresse genügt, um zu erkennen, was uns das kostet: „Etat ausgeschöpft: Kliniken verlegen Operationstermine", so im UniversitätskliDr. Barbara Höll
nikum Leipzig und in den Kliniken des Muldentalkreises, in Wurzen und Grimma.
({3})
„Stadtsäckel leer: Dresden und Chemnitz ziehen Notbremse".
Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und -empfängerinnen hat zum Jahresende 1996 einen neuen Höchststand erreicht. 2,73 Millionen Menschen in 1,41 Millionen Haushalten in dieser Republik leben von Sozialhilfe. Die Ursache ist nicht mangelnde Motivation, um für das eigene Leben zu sorgen, wie Herr Austermann das in der ersten Lesung verkündet hat, sondern - ich zitiere hier Herrn Hirrlinger, den Präsidenten des VdK - weil „von seiten des Gesetzgebers nichts geschieht, um Gesetze und Maßnahmen so zu gestalten, daß ein Abrutschen in die Sozialhilfe vermieden wird. "
({4})
Reicht es, diesen Zustand der Haushaltspolitik als chaotisch zu charakterisieren und der Regierung Unfähigkeit zu bescheinigen? - Ich denke, nein. Denn diese Politik hat System.
Eine solide Haushaltspolitik verlangt eine klare Bestandsaufnahme auf der Basis realistischer Ausgaben- und Einnahmenansätze. Aber in den letzten Jahren wurden permanent die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung geschönt, zu hoch, zu optimistisch angesetzt. Dies gilt ebenso für die Entwicklung der Beschäftigungszahlen. Entgegen den Aussagen des Sachverständigenrates, der zum Beispiel für 1998 einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um nochmals 100 000 vorausgesagt hat - nach Untersuchungen des DIW sogar um 400 000 -, sagte Herr Waigel bei der Vorlage der Steuerschätzung im November dieses Jahres: Es wird für 1998 eine Trendwende am Arbeitsmarkt erwartet. Das reale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes wird weiter ansteigen. - Das ist nicht bloß Augenwischerei; das ist noch mehr: Das ist ein bewußtes Hinters-Licht-Führen der Bevölkerung.
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1997 führte dies dazu, daß die Ausgaben für den Arbeitsmarkt weit unter den realistischen, notwendigen Daten veranschlagt wurden. Ursprünglich wurden nur 4,1 Milliarden DM als Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit und nur 17,8 Milliarden DM für die Arbeitslosenhilfe vorgesehen. Damit ist man natürlich weit unter dem Notwendigen geblieben. Ich spreche hier nicht einmal von den freiwilligen Aufgaben. Es geht vielmehr um die gesetzlich verankerten Ansprüche der Menschen, die dafür schließlich auch Beiträge gezahlt haben.
1998 setzt sich diese Politik fort. Für die BfA werden voraussichtlich etwa 7 Milliarden DM zuwenig veranschlagt, die notwendig wären, um nur die gesetzlich begründeten Ansprüche zu erfüllen. Herr Waigel kombinierte dieses Verhalten mit einem gespielten Erschrecken über die Steuermindereinnahmen in Höhe von 18 Milliarden DM nach der letzten Steuerschätzung in diesem November. Ich frage mich: Wer hat die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, daß diese Steuermindereinnahmen zustande kommen?
Ich nenne nur das Beispiel der Vermögensteuer: Sie brachte den Bundesländern 1996 immerhin noch etwas über 9 Milliarden DM ein. Sie wurde abgeschafft. Durch ihr Auslaufen ist für 1997 nur noch mit 1,7 Milliarden DM zu rechnen. Das heißt, nur 1,7 Milliarden DM zahlen diejenigen Menschen noch, die ein ausgesprochen großes Vermögen haben. Das ist soviel wie das Aufkommen aus der Biersteuer 1997.
Wir mißgönnen niemandem Vermögen. Aber wir fordern - entsprechend nach den Prinzipien der Steuergerechtigkeit -: Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit muß wieder dazu führen, daß Steuern tatsächlich entsprechend den Einkünften gezahlt werden, daß also Menschen mit einem sehr hohen Leistungsvermögen und hohem Einkommen auch einen entsprechenden Beitrag leisten. Deshalb sind wir anderer Meinung als die SPD und die Grünen, die sagen, daß dies nur möglich sei, indem man die Spitzensteuersätze senke. Warum eigentlich? Bisher war das Recht. Es kann weiterhin Recht bleiben, daß der Spitzensteuersatz von 53 Prozent beibehalten wird und dann auch entsprechend Steuern gezahlt werden.
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Hören Sie mit Ihren Steuersparmodellen Ost auf, die Sie als Aufbauhilfe bzw. als notwendig verkaufen. Sie haben nicht nur dazu geführt, daß auf sehr viele Einnahmen verzichtet wurde, sondern auch dazu, daß in den neuen Bundesländern eine katastrophale Situation entstanden ist. Dies ist eine falsche Maßnahme. Dadurch stehen allein in Leipzig Büroflächen in einer Größenordnung von 650 000 Quadratmetern leer. Dies ist eine unwahrscheinliche Verschwendung von Arbeitskraft und Material und eine gewaltige Beschädigung der Umwelt. Das ist genauso verwerflich, als würde man gar nichts tun. Denn dieser Leerstand nützt nichts. Wir sind gegen diese Steuersparmodelle. Nehmen Sie diese Steuern ein und setzen Sie sie dann zielgerichtet für notwendige Maßnahmen ein!
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Ein ähnliches Problem ergibt sich bei den Verlustrückstellungen. Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche" vom 20. November 1997. Bei den Verlustrückstellungen ist mit „500 Milliarden Mark" zu rechnen, die wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben zu werden droht. „Infolge dieser Entwicklung fehlt dem Finanzplanungsrat" ... für „die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 2002 ... eine verläßliche Kalkulationsgrundlage".
Sie setzen also diese Politik fort. Das aber ist keine Steuerpolitik, in der tatsächlich gemäß der Leistungsfähigkeit besteuert wird und die auch die Wirtschaft ankurbeln könnte. Die Haushaltspolitik ist insgesamt chaotisch, unsolide und nicht geeignet, eine seriöse Grundlage für eine beschäftigungsorientierte und eine sozial gerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik abzugeben. Sie setzen mit Ihrer Haushaltspolitik Ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben fort. Ein
klares Beispiel dafür ist die geplante Senkung des Solidaritätszuschlages.
Aus Zeitgründen kann ich leider nicht darauf eingehen, wie Herr Waigel es geschafft hat, daß sein Name inzwischen untrennbar mit dem Ausdruck „kreative Buchführung" verbunden ist. Ich möchte aber auf die Verschwendung von Mitteln für wahnsinnige Großprojekte wie den Transrapid und den Eurofighter eingehen. Nach Beendigung des Kalten Krieges erzählen Sie uns hier, daß es notwendig sei, den Eurofighter zu produzieren. Wir haben Tausende Unterschriften mitgebracht, die Ihnen in dieser Woche übergeben werden. Die Menschen in unserem Lande wollen den Eurofighter nicht.
({8})
Sie fühlen sich nicht bedroht und denken, daß man dieses Geld sinnvoller für andere Dinge einsetzen müßte. Als Partei des Demokratischen Sozialismus haben wir im Bundestag einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Ich nenne daraus einige Punkte, die als Sofortprogramm schon im nächsten Haushaltsjahr umgesetzt werden könnten:
Erstens soll ein zehnjähriges, mit öffentlichen Mitteln finanziertes Zukunftsinvestitionsprogramm anlaufen.
Zweitens soll ein „Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben" bei der Bundesanstalt für Arbeit eingerichtet werden, aus dem dauerhaft neue, zukunftsträchtige Tätigkeiten im soziokulturellen und im Umweltbereich, also in öffentlich geförderten Beschäftigungssektoren, finanziert werden können.
Drittens geht es um die Sicherung der Qualifikation für die Zukunft. Junge Menschen brauchen endlich ein Recht auf Erstausbildung; dieses muß verwirklicht werden. Beginnen Sie mit einem mittelfristigen Ausbildungsprogramm für 100000 junge Menschen!
Viertens geht es um die Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen. Betreiben Sie nicht weiter die Kommunalisierung Ihrer katastrophalen Sozialpolitik und der Arbeitslosigkeit, indem Sie den Kommunen die Kosten für die Sozialhilfe aufbürden, sondern erstatten Sie den Kommunen diese.
Fünftens geht es um die Eindämmung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung, um die Wiedereinführung der Vermögensteuer auf reformierter Grundlage, um eine tatsächliche Reform der Erbschaftsteuer und um die Änderung der steuerlich ungerechtfertigten Rückstellungen. Hier gibt es so viele Felder, auf denen Sie Geld einnehmen können. Damit eröffnet sich auch Handlungsspielraum. Aus diesem Grunde werden wir Ihren Haushalt ablehnen und hoffen, daß unser Entschließungsantrag dazu dient, Diskussionen anzuregen, damit eine Umkehr dieser Haushaltspolitik möglich wird.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ein letzter Satz. - Herr Bundeskanzler, ich habe mir Ihre Regierungserklärung von 1994 noch einmal angesehen. Dort heißt es:
Die innere Einheit unseres Vaterlandes ist in vielen Bereichen schon gelebte Wirklichkeit.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Solange Sie sich, wenn ein Betrieb, der schwarze Zahlen schreibt - Hartmann & Braun in Leipzig -, von 200 Beschäftigten 160 entlassen soll, weil der Stammbetrieb im Westen rote Zahlen schreibt, nicht engagieren, werden Sie diese Einheit nicht befördern.
({0})
Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abschlußberatungen zum Nachtragshaushalt 1997 und zum Haushalt 1998 fallen in eine Zeit, in der wichtige Konjunkturindikatoren und Wirtschaftsdaten klar aufwärts zeigen: Die Lage bei den Auftragseingängen ist weiterhin stabil; die Produktion wächst; die Stimmungslage in der Wirtschaft ist seit längerem günstig; die Preissteigerungsrate liegt unter 2 Prozent; die Zinsen sind anhaltend niedrig, und für 1997 können wir mit einem Realwachstum von zweieinhalb Prozent rechnen. 1998 rechnen wir in Übereinstimmung mit allen in- und ausländischen Experten mit zirka 3 Prozent. Der Welthandel wächst; der Export bleibt der deutsche Konjunkturmotor. Erfreulich ist: Der Exportboom wirkt sich zunehmend auch positiv auf die Investitionen und die Binnennachfrage aus.
Im Zeichen der Globalisierung, eines beschleunigten und vertieften Strukturwandels der Weltwirtschaft und einer zunehmenden Standortkonkurrenz haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.
({0})
Der Standort Deutschland muß attraktiv bleiben. Es geht um Vorfahrt für den Markt, um Vorfahrt für Wachstum und Beschäftigung.
({1})
Meine Damen und Herren, wir stellen die Weichen für einen Abbau der Staatsquote und für einen schlanken Staat. - Sie von der Opposition haben zum Abbau der Staatsquote noch keinen einzigen Beitrag geleistet. ({2})
Das bedeutet - da hat der Kollege Metzger recht -:
Konsolidierung der Staatsausgaben, Überprüfung
von Staatsaufgaben, Senkung von Steuern und Lohnnebenkosten sowie Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, im System sozialer Sicherheit und im Steuersystem. Niemand kann bestreiten, daß die Staatsausgabenquote nach ihrem Gipfelpunkt von über 50 Prozent schon jetzt wieder bei 49 Prozent liegt. 1998 wird sie 48 Prozent erreichen, und bis zum Jahr 2000 werden wir mit 46 Prozent wieder den Stand von 1989 erreicht haben.
({3})
Wenn es uns gelingt, meine Damen und Herren, angesichts der gewaltigen Belastung durch die Erblast, die die SED uns hinterlassen hat, die Staatsquote in einem Zeitraum von 10 Jahren wieder auf den Stand zu bringen, auf dem sie 1989 war, wenn wir bei gleicher Gelegenheit, was die Zahl der Bundesbediensteten anbelangt, etwa im Jahr 2000 oder kurz danach wieder den Stand an Bediensteten erreicht haben werden, den die Bundesrepublik Deutschland hatte, bevor 17 Millionen Menschen hinzugekommen sind, dann zeigt dies unsere konsequente Politik der Konsolidierung und der Reduzierung der Staatsausgaben.
({4})
Wir haben, wie Kollege Weng es vorhin dargestellt hat, wichtige Steuerreformschritte getan: Mit der Verbesserung des Existenzminimums und dem neuen Familienleistungsausgleich wurden insbesondere kleine und mittlere Einkommen um rund 20 Milliarden DM entlastet. Mit der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer haben wir zwei Steuern abgeschafft, die Investitionen verhindert und Arbeitsplätze vernichtet haben. - Meine Damen und Herren, es ist geradezu abstrus, was die letzte Rednerin der PDS in ihrem Beitrag gesagt hat. Denn die Betriebe, die jetzt in den neuen Bundesländern in Schwierigkeiten sind, könnten es sich am wenigsten leisten, wenn sie künftig Vermögensteuer oder Gewerbekapitalsteuer bezahlen müßten. ({5})
Zum 1. Januar wird der Solidaritätszuschlag um 2 Prozentpunkte gesenkt. Das sind 7 Milliarden DM netto für Investitionen und Konsum.
Weitere ordnungspolitisch wichtige und zukunftsorientierte Reformen haben wir umgesetzt. Ich nenne die Gesundheitsreform, die Privatisierungsschritte bei der Telekom und der Lufthansa, die Reformen auf dem Arbeitsmarkt, unter anderem die Anpassung beim Kündigungsschutz, die Verbesserungen für befristete Arbeitsverhältnisse und die Änderungen bei der Lohnfortzahlung. - All dies haben wir gegen den erbitterten Widerstand von SPD und Grünen durchgesetzt.
({6})
Sie haben bisher fast keinen Beitrag zu den notwendigen Schritten zur Verbesserung des Standortes Deutschland angesichts der Europäisierung, angesichts der Globalisierung der Wirtschaft geleistet.
Das ist eine Schande für eine Partei, die ursprünglich einmal Fortschrittspartei sein wollte. ({7})
Diesen Kurs bestätigen die nationalen und die internationalen Experten. Dieser Kurs muß in Deutschland entschlossen fortgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, richtig ist - das ist von einigen Rednern, so von Adolf Roth und anderen, vorhin angesprochen worden -, daß sich das Wachstum, die wirtschaftliche Entwicklung a) von der Beschäftigung und b) von der Steuereinnahmebasis abkoppelt. Um so wichtiger sind Strukturreformen, wie sie OECD, IWF und andere internationale Institutionen oder - in Deutschland - Sachverständigenrat und Bundesbank anmahnen, also Reformen bei der Sozialversicherung, auf dem Arbeitsmarkt und im Steuersystem.
Das Problem ist, daß Sie sich bisher in den entscheidenden Punkten verweigert haben. Stellen Sie sich - wie die sozialdemokratischen Parteien in den Niederlanden, in Österreich oder auch in Schweden - endlich den realen Problemen!
({8})
Lesen Sie das Sachverständigengutachten, und zwar nicht nur, wenn es grundsätzlich um Politik geht. Politik hat einen konkreten Namen. Wir haben Reformen vorgeschlagen. Wir wollten mehr konsolidieren. Wir wollten eine Steuerreform. Wir haben eine Rentenreform vorgelegt. Wir haben eine Gesundheitsreform durchgesetzt. Wir haben in bezug auf den Arbeitsmarkt im letzten Jahr etwas getan. Sie haben sich dem verweigert. Nicht die Politik hat versagt, sondern Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben versagt!
({9})
Seit 20 Jahren ist wirklich nichts Dümmeres mehr verkauft worden als die Massenkaufkrafttheorie Ihres Parteivorsitzenden.
({10})
Man muß sich einmal vorstellen, wohin das in der gegenwärtigen Situation führen würde. Wir vergönnen doch wirklich jedem Arbeitnehmer einen höheren Lohn. Wenn er aber den höheren Lohn damit bezahlt, daß letztlich sein Arbeitsplatz oder der Arbeitsplatz des Nachbarn wegfällt,
({11})
dann macht dies deutlich, daß mit dieser unsinnigen und falschen Theorie niemandem gedient ist; vielmehr wird damit der deutschen Volkswirtschaft und den Arbeitnehmern geschadet.
({12})
Meine Damen und Herren, was die Steuerpolitik und die Sozialpolitik anbelangt, so fordere ich Sie
auf: Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück. Wir könnten in 24 Stunden eine Steuer- und Rentenreform beschließen, die ein Investitionsfeuerwerk auslösen würde. Wir brauchen keine Kommissionen mehr. Wir brauchen keine Hearings mehr. Wir brauchen keine Vorarbeiten. Wir brauchen keinen Datenabgleich. Das alles liegt vor. Es fehlt lediglich am Willen der SPD, besser gesagt, am Willen Ihres Parteivorsitzenden. Nur daran fehlt es!
({13})
Schließen Sie gemeinsam mit uns einen Kontrakt mit der Zukunft. Alle Parteien, die Politik und unsere Demokratie würden davon profitieren. Politik - das müssen wir alle wissen - ist nicht nur Machtkampf. Politik ist vor allem Verpflichtung für das Gemeinwohl unseres Vaterlandes.
Trotz der Beratung von zwei Haushaltsentwürfen und der damit verbundenen zahlreichen schwierigen Einzelfragen konnten Zeitplan und Ziele eingehalten werden. Ich möchte mich - wie der Kollege Roth - bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, seinem Vorsitzenden und allen Beteiligten sehr herzlich bedanken. Die Koalition hat für den Nachtragshaushalt 1997 und den Haushalt 1998 ein tragfähiges Konzept erarbeitet. Wir haben dabei eine Reihe von Zielkonflikten lösen können: keine höhere Neuverschuldung trotz der erheblichen Mehrbelastungen des Haushalts durch Steuern, durch Arbeitsmarkt und durch Rente.
Es gibt keine Steuererhöhungen. Das gilt auch für die Absenkung des Solidaritätszuschlages ab Januar 1998. Das Geld fließt in voller Höhe in die Taschen der Bürger. Der Bundeshaushalt leistet seinen Beitrag zur Einhaltung des Maastricht-Defizitwertes 1997 und 1998. Die wesentlichen haushaltspolitischen Eckwerte stellen sich gegenüber den Regierungsentwürfen sogar etwas günstiger dar. Das nominale Ausgabenwachstum bleibt sehr moderat.
Die Gesamtausgaben des Jahres 1998 liegen nur 0,3 Prozent über den Ausgaben des Jahres 1996. Die Ausgabenentwicklung im Bundeshaushalt unterschreitet damit erneut deutlich die Prognosen für das Wirtschaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr. Die Nettokreditaufnahme liegt sowohl beim Nachtrag 1997 als auch beim Haushalt 1998 unter den Zahlen der Regierungsentwürfe. Das ist uns, Herr Kollege Diller, trotz Ihrer Kassandrarufe gelungen.
Forderungen nach Mittelaufstockungen, die es überall gab, haben wir nicht nachgegeben, sondern wir haben alle Entlastungsspielräume konsequent zur Ausgabensenkung genutzt. Das Haushaltsmoratorium wurde weiterhin strikt eingehalten. Alle haushaltswirtschaftlichen Einsparungspotentiale wurden genutzt und alle ordnungspolitisch richtigen Privatisierungsmöglichkeiten ebenso konsequent ausgeschöpft.
Dennoch - darin haben die Vorredner recht - sind die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen. Die
Budgetspielräume sind durch hohe Grundlasten weitgehend ausgeschöpft. Allem die Sozialtransfers decken 1998 mit 176 Milliarden DM fast 40 Prozent der Ausgaben im Bundeshaushalt ab. Die Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung und die Bundesknappschaft werden 1998 mit 86,5 Milliarden DM eine Rekordhöhe erreichen. Für die Alterssicherung werden im Bundeshaushalt 1998 insgesamt fast 95 Milliarden DM aufgewendet. Hinzu kommen die Beiträge zur Rentenversicherung für Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger. Sie betragen im kommenden Jahr rund 25 Milliarden DM.
Diese Zahlen dokumentieren: Die Diskussion um versicherungsfremde Leistungen, die aus Steuermitteln zu finanzieren seien, ist vor dem Hintergrund dieser Bundeszuschüsse zu sehen. Das Gerede vom sozialen Kahlschlag ist falsch und unverantwortlich, weil es unbegründete Ängste hervorruft und eine sachliche Debatte über den notwendigen Umbau unseres Sozialstaates behindert.
({14})
Die Zukunft muß Vorfahrt haben. Für prioritäre Felder muß der Staat Handlungsspielraum schaffen. Das sind vor allem die öffentlichen Investitionen im Bereich der Infrastruktur, bei Forschung und Bildung. Das zwingt bei knappen Kassen zu Posteriori-täten an anderer Stelle: beim öffentlichen Verbrauch, bei den strukturkonservierenden Subventionen und auch bei den Sozialtransfers. Hier müssen wir uns auf das Wesentliche, die wirklich Bedürftigen, konzentrieren. Wer hier nicht zu einer Diskussion bereit ist und überhaupt nicht willens ist, Wichtiges und weniger Wichtiges zu trennen, landet unweigerlich bei höheren Schulden, Steuern und Abgaben.
Zum Nachtragshaushalt 1997: Die Gesamtausgaben des Bundes steigen durch den Nachtragshaushalt 1997 gegenüber dem bisherigen Soll um 5 Milliarden DM auf 444,8 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme konnte gegenüber dem Entwurf vom Sommer leicht abgesenkt werden. Ich halte es für eine große Leistung der Haushaltspolitik, daß es uns gelungen ist, die Steuermindereinnahmen und das, was auf dem Arbeitsmarkt durch erhöhte Arbeitslosenzahlen auf uns zugekommen ist, nicht mit einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme oder mit Steuererhöhungen finanzieren zu müssen.
({15})
Es gibt Entlastungen bei der Bundesanstalt für Arbeit im Bereich der Schätzansätze. Auch die globale Minderausgabe hat sich gelohnt.
Beim Erblastentilgungsfonds wird die Bundeszuführung in diesem Jahr in Höhe von 6 Milliarden DM herabgesetzt.
Nun war die Kritik des Kollegen Diller an dieser Stelle relativ gemäßigt.
({16})
- Wieso? Können Sie härter sein? Wie auch immer - dann warte ich auf Ihren Stoß am Freitag.
({17})
Herr Kollege Diller, hat das vielleicht damit zu tun, daß von seiten der Länder, auch von seiten der SPD- regierten Länder, beim Fonds Deutsche Einheit an das gleiche Instrument gedacht wird?
({18})
- Entschuldigung! Was heißt denn das? Dann müssen Sie schon Ihre SPD-regierten Länder fragen, warum sie mit dem gleichen Ansinnen zu uns kommen. Ich lasse mich von Ihnen jedenfalls nicht wegen einer Praxis kritisieren, die Ihre Länder selber wollen. Das müssen Sie sich gut überlegen.
({19})
Übrigens sind, was den Erblastentilgungfonds anbelangt, in dem kurzen Zeitraum von 1995 bis 1997 bereits rund 25 Milliarden DM der Erblastschulden getilgt worden. Die geplante Tilgung der Erblastschulden innerhalb einer Generation ist ohne weiteres möglich.
Zum Haushalt 1998: Auch hier ist es gelungen, gegenüber dem Regierungsentwurf aufgetretene Mehrbelastungen in vollem Umfang aufzufangen. Die Eckwerte können gegenüber dem Haushaltsentwurf sogar merklich verbessert werden.
Die Gesamtausgaben liegen bei 456,8 Milliarden DM. Sie steigen damit gegenüber dem Soll 1997 um 2,7 Prozent. Die Nettokreditaufnahme liegt bei 56,4 Milliarden DM. Sie unterschreitet die Investitionen von 58,1 Milliarden DM und damit die Verschuldungsgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes deutlich. Auch hier ist es gelungen, Steuermindereinnahmen und Zusatzbelastungen in einer Größenordnung von insgesamt etwa 14 Milliarden DM so zu behandeln, daß ein Einhalten des Art. 115 des Grundgesetzes möglich war. Auch dies ist, wie ich meine, eine richtige, notwendige und beachtliche Anstrengung.
({20})
Dabei ist es völlig legitim, wenn wir aus der Veräußerung der ersten Tranche der Telekom-Aktien 1998 zusätzliche 8 Milliarden DM vereinnahmen. Das Instrumentarium, dies über die KfW zu tun, hat sich als sehr Segens- und hilfreich erwiesen. Es ist für uns fast risikofrei. Dann, wenn es zu Kursänderungen kommt, sind wir jedenfalls auf einem guten Pfad. Dies ist sowohl im letzten Jahr richtig gewesen als auch künftig richtig.
Im Bereich der Treuhand-Nachfolgeeinrichtungen ergeben sich gewisse Entlastungen. Gleichwohl können die BvS und die anderen Nachfolgeeinrichtungen der Treuhand ihre Aufgaben ungeschmälert erfüllen.
Im Bereich der Zinsausgaben führt die Optimierung des Kreditmanagements zu Entlastungen von rund 1 Milliarde DM. Da, meine Damen und Herren, kommt wieder die gleiche Unwahrhaftigkeit zum Tragen. Mit dem begrenzten Einsatz von Zins-SwapGeschäften nutzen wir moderne Finanzinstrumente, die nicht nur in anderen Staaten und Wirtschaftsunternehmen, sondern auch in einigen Bundesländern erfolgreich eingesetzt werden.
({21})
- Herr Kollege Diller, ich nehme an, Sie wissen es. ({22})
- Dann sollten Sie aber wenigstens ernsthafter schauen. Zu diesen Bundesländern gehört Schleswig-Holstein; hier müssen Freunde von Ihnen am Werke sein.
({23})
Nordrhein-Westfalen: Ihre Freunde! Niedersachsen: Dort ist der Havanna-rauchende Freund von Joschka Fischer, der gestern beachtliche Erklärungen abgegeben hat.
Schade, daß Herr Scharping jetzt nicht da ist; denn ich kann mir vorstellen - man merkt es auch an seiner Miene -, daß er immer zufriedener wird. Er hat auch recht, weil es seinem Nachfolger genauso geht, wie es früher ihm gegangen ist. Der Störenfried läßt also keine Ruhe.
Aber Niedersachsen hat auch Zins-Swap-Geschäfte gemacht, ebenfalls das Saarland und Hessen. Es grenzt schon an politische Unverfrorenheit, mir dies hier vorzuhalten, während in Hessen, im Saarland, in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein das gleiche gemacht wird. Das ist doch politische Verlogenheit.
({24})
Mit dem in dieser Woche im Bundesrat zu beratenden Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz schaffen wir den gesetzlichen Rahmen für eine effizientere öffentliche Haushaltswirtschaft ohne Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts. Wesentliche Punkte sind die Ausweitung der sachlichen und zeitlichen Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln, die Flexibilisierung der Mittelbewirtschaftung durch erweiterte Deckungsmöglichkeiten, verstärkte Anreize zur Erzielung von Mehreinnahmen und die Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung sowie die Neugestaltung und Straffung der Finanzkontrolle. Ich appelliere an die Länder, der Modernisierung des Haushaltsrechts am Freitag im Bundesrat zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wir werden das Maastricht-Defizitkrietrium von 3 Prozent 1997 und 1998 einhalten. Das ist die Botschaft der Haushaltsbeschlüsse; das ist auch die Botschaft der vorliegenden Schätzungen nationaler und internationaler Institutionen. Noch im Vorjahr hat der Defizitwert 3,4 Prozent des BIP betragen. Bund, Ländern und Kommunen gelingt es, die neuerlichen Steuerausfälle und die Mehrbelastungen durch den Arbeitsmarkt aufzufangen.
Die Sozialversicherungsträger werden zugleich günstiger als im letzten Jahr abschließen. Die Beitragserhöhung 1997 bei der Rentenversicherung und
Einsparungen bei der Krankenversicherung führen zu einer Verbesserung der Finanzen der Sozialversicherung um knapp 0,5 Prozent des BIP. 1998 wird sich die Finanzlage der Sozialversicherungen weiterhin günstig entwickeln. Auch die Gebietskörperschaften werden ihre Defizite 1998 weiter verringern.
Am vergangenen Montag, gestern vor einer Woche, hat sich der Ecofin-Rat auf einen Zeitpunkt zur Veröffentlichung der Defizitergebnisse von 1997 verständigt. Den Mitgliedstaaten wird danach empfohlen, ihre finanzwirtschaftlichen Daten 1997 für den Maastricht-Entscheidungsprozeß erstmals in der letzten Februarwoche 1998 bereitzustellen. Die Mitgliedstaaten werden daher entsprechend der einschlägigen EG-Verordnung in der letzten Februarwoche Defizit- und Schuldenkriterium 1997 an die EG-Kommission melden, damit die Daten der Kommission und dem Europäischen Währungsinstitut für die zu fertigenden Berichte zur Verfügung stehen. Das Statistische Bundesamt hat das bereits zugesagt. Vor diesem Zeitpunkt kann es in keinem Land offizielle Verlautbarungen dazu geben.
Die Vorteile des Verfahrens sind: Ende Februar herrscht größere Datensicherheit. Es liegen vollständigere Ergebnisse über den Haushaltsablauf auf allen Ebenen vor. Die Vorkehrungen für eine Beschleunigung der Datenbereitstellung durch die Meldestellen sind in vollem Gange. Die Werte für die Kriterien werden ein hohes Maß an Zuverlässigkeit aufweisen.
Entscheidungsträger, Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Finanzmärkte können darauf bauen, daß die Beitrittsentscheidungen auf der Grundlage zuverlässiger Zahlen getroffen werden, für Deutschland wie für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich gebe jedem den Rat, sich auf einen konvergenzgerechten Beginn einzustellen. Das ist meines Erachtens die große Leistung, die in vielen Staaten Europas in diesem und in den letzten Jahren zustande gekommen ist.
({25})
Konvergenz, Stabilität, Konsolidierung und Vertrauen auf den öffentlichen Märkten sind genau das Ergebnis des Prozesses von Maastricht. Mit einer solchen Konvergenz haben die Vereinigten Staaten einen großartigen Erfolg letztlich auch bei der Beschäftigung gehabt. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir diesen Prozeß fortsetzen und die strukturellen Probleme lösen, auf die uns auch der Europäische Rat letzte Woche nochmals aufmerksam gemacht hat, dann haben wir die besten Voraussetzungen, um das größte Problem unserer Volkswirtschaften lösen zu können, nämlich die Arbeitslosigkeit zu senken. Das haben wir entscheidend vorangebracht; das muß fortgesetzt werden. Dann werden wir die Früchte dieser schwierigen Konsolidierung ernten. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
({26})
Die große, umfassende Reform der Einkommensbesteuerung ist notwendig für den Standort Deutschland, für Investitionen, für Innovationen und damit für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Die jüngste Steuerschätzung hat uns erneut vor Augen geführt: Die
Steuereinnahmen haben sich derzeit vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt. Der Zusammenhang zwischen Haushalts- und Steuerpolitik ist offensichtlich.
Die Steuerquote in Deutschland ist auf niedrigem Niveau. Seit 1995 ist sie um zwei Prozentpunkte gesunken. Unternehmen und Arbeitnehmer holen sich ihre Steuersenkung selbst. Sie weichen dem Steuerdruck - zumeist legal - aus.
Wissen Sie, was das Problematischste ist? Die Nettosenkung, die wir durchführen wollten und wollen, findet statt, aber bei anderen Adressaten als denjenigen, die wir eigentlich im Auge haben.
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Wer sich der Senkung der Steuersätze widersetzt und das Petersberger Steuerreformkonzept nicht mitträgt, darf sich nicht wundern, wenn eine weitere Nettosenkung stattfindet, aber wiederum so, wie wir sie nicht wollen und wie sie für die öffentlichen Hände, Bund, Länder und Gemeinden, nur nachteilig ist.
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Wichtig ist es jetzt, daß das Geld bei den Richtigen ankommt. Nicht die Steuerjongleure, sondern die Leistungsträger unserer Gesellschaft müssen belohnt werden. Das Geld gehört in die Taschen der hart arbeitenden Facharbeiter, der Handwerker, der Mittelständler und der Selbständigen. Dazu ist eine durchgreifende Reform unabdingbar notwendig.
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Die Leitlinie muß bleiben: niedrigere Sätze bei weniger Ausnahmen. Zugleich stärken wir in diesem Steuersystem den internationalen Wettbewerb.
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Meine Damen und Herren, deutliche Senkung der Steuersätze über den gesamten Tarifverlauf, konsequente Einschränkung von Steuervergünstigungen und steuerlichen Sonderregelungen, schrittweise Verbesserung der Steuerstruktur in Richtung zu den weniger leistungsfeindlichen indirekten Steuern durch Entlastung bei direkten Steuern und mittelfristig eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast insgesamt - genau das ist mit den Petersberger Reformvorschlägen und mit dem, was der Bundestag mit Mehrheit beschlossen hat, zu erreichen.
Wir haben seit Februar 1997 unermüdlich versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden: 24. Februar erster Steuergipfel, 15. April zweiter Steuergipfel, 23. April dritter Steuergipfel, 10. Juli bis 4. August erstes Vermittlungsverfahren, zweites Vermittlungsverfahren am 18. und 25. September, ein wiederholter Datenabgleich mit den SPD-Ländern. Wir haben versucht, alle Möglichkeiten zum Kompromiß mit Ihnen auszuloten.
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Die von der SPD ins Spiel gebrachte Lösung, nur unten mit dem Grundfreibetrag etwas zu tun, beseitigt die Probleme des Arbeitsmarkts ganz sicher nicht.
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Das Dümmste und Falscheste ist, jetzt noch einmal mit der Vermögensteuer zu kommen. Lassen Sie das bleiben! Das führt nur zu Investitionen im Ausland, ganz sicher nicht in Deutschland.
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Der, worüber wir uns alle freuen, wiedergenesene oder auf dem Weg der Gesundung befindliche Finanzminister Schleußer hat uns in den letzten Wochen und Monaten sehr gefehlt; denn er konnte in der Steuerpolitik - jedenfalls früher - eine vernünftige Linie vertreten. Leider war die Stimme Nordrhein-Westfalens in den letzten Monaten nicht zu hören. Letzte Woche hat er eine sehr interessante Bemerkung gemacht, indem er gesagt hat, an einer Nettoentlastung von 7 bis 8 Milliarden DM dürfe eine Steuerreform letztlich nicht scheitern.
Meine Damen und Herren, wir alle verlieren ohne Steuerreform jedes Jahr mehr an Einnahmen, als eine Nettosenkung ausgemacht hätte.
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Es wird höchste Zeit, daß Sie das endlich begreifen. Noch wäre die Zeit nicht vertan, so etwas 1997 und 1998 in Angriff zu nehmen, damit wir nicht ein Jahr versäumen und eine solche Steuerreform erst zum 1. Januar des Jahres 2000 kommt. Wir werden diese Reform auf jeden Fall nach der Bundestagswahl durchsetzen.
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Sie hätten es in der Hand, die Reform mit uns gemeinsam ein Jahr früher zu verabschieden. Die Verantwortung dafür, wenn es nicht dazu kommt, tragen allein Sie. Das ist eine Verantwortung, die Sie eigentlich nicht übernehmen können.
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Nicht nur die Steuerreform muß kommen, auch die Lohnnebenkosten müssen herunter. Der Faktor Arbeit ist in Deutschland zu teuer. Unsere Arbeitsplätze müssen wettbewerbsfähig werden und bleiben.
Mit dem Rentenreformgesetz 1999 soll die gesetzliche Rentenversicherung einen höheren Bundeszuschuß zusätzlich zu den Haushaltsmitteln in Höhe von 86,5 Milliarden DM erhalten. Damit kann der Beitragssatz dauerhaft gesenkt werden. Dieser zusätzliche Bundeszuschuß soll dem Mehraufkommen eines um 1 Prozentpunkt von 15 auf 16 vom Hundert erhöhten allgemeinen Umsatzsteuersatzes entsprechen. Wichtig: Der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent für den existentiellen Grundbedarf bleibt unverändert.
Es wird höchste Zeit, daß die SPD einmal erklärt, ob sie bereit ist, dabei mitzugehen. Mir helfen die Wochenendmeldungen eines Ministerpräsidenten, der eine Erhöhung um 3 Prozentpunkte ansetzen will, nicht, wenn Sie noch nicht einmal erklärt haben, ob sie bei 1 Prozentpunkt mitwirken wollen, was meines Erachtens notwendig und sinnvoll ist.
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Eines will ich allerdings an die Adresse von Ministerpräsident Beck klar sagen: Die Mehrwertsteuer kann nicht die Reservekasse für die Sozialversicherungen sein, ohne daß dort die entsprechenden Strukturreformen stattfinden, wofür wir eintreten und kämpfen.
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Meine Damen und Herren, in einer offenen Volkswirtschaft müssen steuerpolitische Entscheidungen auch im internationalen Kontext gesehen werden. Das gilt erst recht für Europa, den gemeinsamen Binnenmarkt und vor allem für die dritte Stufe der Währungsunion, wenn der Wechselkurspuffer entfällt. Standortnachteile lassen sich nicht mehr durch eine Abwertung verdecken.
Die Steuern sind ein wichtiger Standortfaktor. Wir haben europäische Initiativen wieder auf den Weg gebracht. In Kürze wird in der Ecofin-Kommission darüber beraten und entschieden, wie der Kodex für einen fairen Steuerwettbewerb in Europa aussehen soll.
Auch was die Besteuerung der Zinsen anbelangt, haben wir Chancen, unser Ziel auf der Grundlage des Koexistenzmodells, das wir bereits 1994 vorgelegt haben, zu erreichen. Nunmehr wünscht eine große Mehrzahl der Mitgliedstaaten eine rasche Einigung.
Wer morgen die finanzielle Handlungsfreiheit als Grundlage für gestalterische Politik erhalten will, muß heute die Kraft für die Senkung der Staatsquote, für die substantielle Konsolidierung der Staatsfinanzen und die Strukturreformen im Sozial- und Steuersystem aufbringen. Ein solcher Kontrakt mit der Zukunft bringt Kapital, Know-how und vor allem Arbeit nach Deutschland.
Die mit der Globalisierung verbundenen Basisinnovationen, das rasche Wachstum der Weltmärkte und der Binnenmarkt mit einer gemeinsamen Währung in Europa eröffnen alle Aussichten für einen neuen langfristigen Wachstumszyklus. Die Zukunftsmärkte entwickeln sich rasch. Es geht jetzt darum, ob Deutschland auf diesen Zukunftsmärkten mithalten kann oder nicht.
Peter Norman, der Deutschlandkorrespondent der „Financial Times" schrieb am 18. November 1997:
Die Wirtschaft demonstriert, daß Deutschland fähig ist, sich zu ändern. Die große Frage bleibt, ob sich die Politik und die Bevölkerung ebenfalls an eine sich rasch ändernde Welt anpassen und gleichzeitig Deutschlands beneidenswerte Bilanz sozialer Stabilität erhalten können.
An einer anderen Stelle der ausführlichen kritischen Analyse der Situation in Deutschland lesen wir: „Es ist niemals weise, Deutschland abzuschreiben.'' Davon bin ich überzeugt.
Wir haben nach dem Krieg den Wiederaufbau geschafft; das Wort „Wirtschaftswunder" ist in viele Sprachen eingegangen. Wir haben die deutsche Einheit bisher mit großer finanzieller Anspannung, aber ohne Gefährdung unserer finanziellen und sozialen Stabilität bewältigt. Wir werden auch die Folgen der Globalisierung meistern.
Dafür brauchen wir nicht mehr, als uns auf unsere Tugenden zu besinnen: Pionier- und Erfindungsgeist, Kreativität und Anpassungsfähigkeit, Beharrlichkeit und Gründlichkeit. Der Staat kann das nicht verordnen, er kann aber für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen, diese Talente zu fördern und ihren Erfolg zu honorieren.
Dazu gehören eine offene Gesellschaft und eine soziale Marktwirtschaft, die die Chancengleichheit sichert. Dazu gehört ein schlanker Staat, der der privaten Initiative den Vorrang einräumt. Die Grundbedingung des „Wohlstands der Nationen" ist seit Adam Smith die Verfolgung des eigenen wirtschaftlichen Vorteils. Das ist nicht verwerflich, das ist nicht unchristlich und auch nicht unsozial.
Unsozial wird es erst, wenn dieses Grundprinzip der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt wird. Dafür haben wir eine Fülle von Beispielen: Wo Mangel und Armut herrschen, kann sich kein Sozialstaat entwikkeln.
Bei allen Paradigmenwechseln und der schöpferischen Zerstörung im Zeichen der Globalisierung bleibt das Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft in Kraft. Wer für die soziale Gerechtigkeit eintritt, der muß auch für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik eintreten, die private Initiative und Leistung belohnt.
Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt 1997 und der Haushalt 1998, unsere Vorschläge für die Reform des sozialen Sicherungssystems und des Steuersystems stehen dafür. Wir werden damit unsere Politik mit Erfolg fortsetzen.
Ich danke Ihnen.
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Ich gebe dem Abgeordneten Joachim Poß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob dieser Beifall, den wir gehört haben, Ihre politischen Wunden heilen sollte, Herr Bundesfinanzminister, ob er als pädagogisches Mittel eingesetzt wurde, um Ihnen die letzten zehn Amtsmonate ein wenig erträglich zu machen.
({0})
Auf mich hat Ihre Rede - auch mit Ihrem überzogen forschen Ton - so gewirkt wie die Rede eines politisch weidwunden Menschen, der jeden Tag lesen muß, daß er nur noch Parteivorsitzender von Stoibers Gnaden ist; ich füge hinzu: Finanzminister von Kohls Gnaden, schon lange nicht mehr aus eigenem Recht.
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Diese Rede war auch der Beweis für Ihre Flucht aus der Wirklichkeit als Bundesfinanzminister. Man konnte dieser Tage lesen, daß Parteifreunde Ihnen diesen Wirklichkeitsverlust attestieren. Diese Rede war der Beweis dafür, daß Sie nicht mehr ganz in der Realität leben und daher schon gar nicht mehr die Voraussetzungen mitbringen, Ihr Amt ordentlich auszuüben, Herr Bundesfinanzminister.
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Was müssen Sie denn auch aushalten: Die CSU fordert eine Regionalisierung der Sozialversicherungen. Dies soll zumindest geprüft werden. Am nächsten Tag sagt die CDU: Das ist aber verfassungswidrig. Dann gibt es noch unterschiedliche Meinungen über die Autobahn-Vignette. Deren Vor- und Nachteile hätten Sie uns in Ihrer erschöpfenden Rede auch noch erläutern können.
Nein, Herr Bundesfinanzminister, man merkte Ihnen an: Es ist Ihr letzter Haushalt als Bundesfinanzminister. Offenbar können Sie die bevorstehenden zehn Monate nur noch durch starke Verdrängung der Wirklichkeit aushalten.
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Wenn das Urteil über Ihre Amtszeit gesprochen wird, wird darin stehen: Konzeptionslosigkeit und Versagen. Dies wird als Bilanz Ihrer Amtszeit in den Geschichtsbüchern stehen.
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Das gilt für die Haushalts-, für die Finanz- wie für die Steuerpolitik. Daß Sie dabei nie vor Tricksereien zurückgeschreckt sind und sie auch mit diesem Haushalt fortsetzen, wird daran deutlich, wie Sie den Kollegen Schleußer aus dem „Sonntags-Expreß" vom 6. November 1997 zitiert haben. Schleußer sagte:
An einer Nettoentlastung von 7 bis 8 Milliarden DM soll es nicht scheitern.
Hier hörte das Zitat bei Ihnen auf. Bei Schleußer ist weiter zu lesen:
Aber die Bundesregierung hält an einer Entlastung von 40 bis 50 Milliarden DM fest. Das ist unrealistisch. Selbst konservative Experten rechnen inzwischen vor: Durch Steuerprivilegien wurde die Wirtschaft in den letzten Jahren um 20 bis 80 Milliarden DM entlastet. Steuersenkungen haben längst stattgefunden. Steuergerechtigkeit fehlt. Die müssen wir wiederherstellen.
Recht hat Heinz Schleußer mit dieser Aussage.
({5})
Es hätte Ihnen auch nicht schlecht angestanden, wenn Sie das Zitat vollständig gebracht hätten, Herr Bundesfinanzminister. Wie Sie zitiert haben, war aber typisch für Sie.
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Für die Haushalts-, Finanz- wie Steuerpolitik gilt dieses Urteil der Geschichte: Von einer konzeptionellen Finanzpolitik kann man nur dann sprechen, wenn Änderungen der Steuergesetze auf ihre haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen überprüft und die aktuelle Lage sowie die voraussichtliche Entwicklung der öffentlichen Haushalte berücksichtigt werden. Das heißt, auch eine glaubwürdige und seriöse Steuerreformpolitik muß die finanzpolitische Situation berücksichtigen.
Auf dieser Basis hat die SPD ihre Vorschläge für eine solide Steuer- und Abgabenreform erarbeitet. Mit diesen Vorschlägen können neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Unsere Vorschläge entsprechen dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und verursachen keine unverantwortlichen Löcher im Staatshaushalt.
({7})
Von daher lautet mein Vorwurf an die Steuerpolitiker der Koalition: Sie haben nicht als verantwortungsbewußte Finanzpolitiker gehandelt. Sie waren bei Ihren Steuerreformvorschlägen blind gegenüber den haushaltsmäßigen Auswirkungen Ihrer Steuergesetze und sind es noch immer. Das ist die Antwort, Herr Roth, auf Ihre Frage. Warum haben Sie als Haushälter zu diesen unverantwortlichen Plänen geschwiegen? Es wäre doch Ihre Pflicht gewesen, auf diese Pläne einzugehen.
({8})
Die Steuerschätzung vom 11. November belegt noch einmal, wie sehr die Steuerpläne von CDU/ CSU und F.D.P. mit einer Nettoentlastung von jährlich mindestens 45 Milliarden DM die finanzpolitische Realität ignoriert haben. Wie vorhergesehen sind die steuerpolitischen Traumtänzer in der Koalition durch die jüngste Steuerschätzung von der Wirklichkeit eingeholt worden. Ich frage Sie: Warum ziehen Sie nicht die Konsequenzen und unterstützen einen aufkommensneutralen Vorschlag? Warum machen Sie das eigentlich nicht?
({9})
Herr Waigel hat gegenüber der SPD wieder ein großzügiges Angebot unterbreitet. In diesem Zusammenhang zitiere ich aus dem „Spiegel" dieser Woche. Der „Spiegel" fragt:
Jetzt will Schäuble die SPD-geführten Länder locken, indem er zur Finanzierung der Rentenreform eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte anbietet.
Darauf antwortet Herr Gerhardt:
Solche ständig neuen Wasserstandsmeldungen irritieren mich schon.
Ich will damit sagen: Bei Ihnen gibt es keine klare Einigung. Deswegen ist auch niemand von Ihnen in der Lage, hier im Deutschen Bundestag oder woanders ein klares Angebot zu machen.
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Die Steuerschätzergebnisse sind verheerend. Noch nie gab es derartige Abweichungen zwischen einer Mai- und einer November-Steuerschätzung. Noch nie mußte ein derartig massiver Einbruch bei den Steuereinnahmen in so kurzer Zeit, nämlich innerhalb von sechs Monaten, festgestellt werden. Nimmt man die bereits in der Mai-Steuerschätzung ermittelten Steuerausfälle hinzu, dann müssen die Steuereinnahmen dieses Jahr um sage und schreibe 35 Milliarden DM nach unten korrigiert werden. Für das kommende Jahr, 1998, sind es sogar 54 Milliarden DM.
Das Ausmaß der finanziellen Katastrophe wird vollends deutlich bei einer mittelfristigen Betrachtung. Noch vor zwei Jahren wurde das Steueraufkommen für das Jahr 1997 auf 962 Milliarden DM und für 1998 auf 1020 Milliarden DM geschätzt. Heute ist man bei 795 Milliarden DM für 1997 und 814 Milliarden DM für 1998 angekommen. Eine solch rasante Talfahrt der Steuereinnahmen hat es noch nie gegeben.
Man muß sich das einmal genau vorstellen, meine Damen und Herren: Im kommenden Jahr werden Bund, Länder und Gemeinden insgesamt über 200 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen haben, als noch vor zwei Jahren von den Steuerschätzern angenommen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, führen Bund, Länder und Gemeinden in den finanziellen Ruin.
({11})
Es war doch von vornherein klar, daß die SPD, vor allem auch die SPD-geführten Länder im Bundesrat, angesichts dieser Entwicklung der Steuereinnahmen einem Steuerpaket, das zu weiteren jährlichen Steuerausfällen von über 50 Milliarden DM führt, schon aus staatspolitischen Gründen überhaupt nicht zustimmen kann.
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Wer eine Steuerreform wirklich wollte, durfte nicht so unseriös vorgehen. Das war auch den Herren Waigel und Schäuble von Anfang an klar. Der Gesetzentwurf der Koalition war völlig ohne Bezug zur Haushaltslage aller Gebietskörperschaften konstruiert.
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Er war und ist eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung. Mit diesem Gesetzentwurf ist von IhJoachim Poß
nen ein Mißlingen der Steuerreform von vornherein programmiert worden.
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Das steuerpolitische Konzept der Koalition hat auch ökonomisch vorne und hinten nicht gestimmt. Zur Begründung der enormen Nettoentlastung muß ständig das Prinzip Hoffnung herhalten. Das ist bei Ihnen der sogenannte Selbstfinanzierungseffekt. Die Deutsche Bundesbank hat aber stets davor gewarnt, den Selbstfinanzierungseffekt zu hoch anzusetzen. Denn der Selbstfinanzierungseffekt tritt, wenn überhaupt, nicht mit sofortiger Wirkung, sondern, wie auch der Bundesfinanzminister in einer Anfrage zugegeben hat, erst nach Jahren ein - und das natürlich auch nicht in vollem Umfang, sondern nur zu einem Drittel, auf einer Zeitschiene bis zu acht Jahren. Was heißt das für die Zwischenzeit? Dies hat verheerende Auswirkungen auf die Haushalte aller Gebietskörperschaften.
Den Experten war im übrigen auch klar, daß mögliche positive Wachstumseffekte der Einkommensteuerreform durch die von Ihnen zur Finanzierung der Steuerreform vorgesehene Mehrwertsteuererhöhung sofort wieder beeinträchtigt werden.
Ihre ganze Philosophie von Steuersenkungen stimmte aber auch schon deshalb nicht mehr, weil sich die Entwicklung der Steuereinnahmen seit einigen Jahren - Sie haben es ja selbst bestätigt, Herr Bundesfinanzminister - vom Wirtschaftswachstum immer mehr abgekoppelt hat. So ist das Bruttoinlandsprodukt seit 1995 um rund 10 Prozent gewachsen, während die Steuereinnahmen nur um rund 1 Prozent zugenommen haben. Damit müßte jedem klar werden, daß Spekulationen auf einen großen Selbstfinanzierungseffekt nicht aufgehen können. Das Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium Professor Hans-Werner Sinn stellte sogar fest:
Ich kenne kein Beispiel, wo nachgewiesen wurde, daß eine Senkung von Steuersätzen das Aufkommen des Staates vermehrt.
Der steuerpolitische Ansatz der Koalition ist nur ein Plagiat der in den USA von den Republikanern betriebenen Selbstfinanzierungsphilosophie von Steuersenkungen. Sie wurde dort zunächst als „Voodoo-Economics" verlacht. Anschließend wurden die Republikaner von den Wählern aus der Regierung verjagt. Die Koalition geht mit ihrer Steuerphilosophie sogar noch einen Schritt weiter: Sie betreibt „Voodoo" ganz ohne „Economics".
({15})
Das ist angesichts der steigenden Arbeitslosenzahl in Deutschland unverantwortlich. Deswegen war es ein Witz, daß der Bundesfinanzminister sagte, die Regierung habe die Voraussetzungen zur Begrenzung der Arbeitslosigkeit geschaffen.
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Alles, was Sie zum weltwirtschaftlichen Ausblick gesagt haben, ignoriert leider zum Beispiel die aktuellen Ereignisse des sogenannten Casino-Kapitalismus. Auch da haben Sie auf Deubel komm raus schöngefärbt, Herr Bundesfinanzminister.
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Mit Schönfärberei kommt man vielleicht durch den Tag, aber schon in der nächsten Woche wird man wieder von der Wirklichkeit eingeholt.
Die Regierung kündigt zwar ständig an, sie wolle die Arbeitslosigkeit abbauen, tatsächlich aber hat sie kein taugliches Konzept. Mit der vorgezogenen ersten Stufe Ihrer Steuerreform wollten Sie kurzfristig Arbeitsplätze schaffen. Die Sachverständigen, darunter auch die, die der Koalition nahestehen, haben übereinstimmend festgestellt, daß dieses Ziel glatt verfehlt wird. Professor Walter von der Deutschen Bank hat sogar von einer „Mogelpackung" gesprochen, und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung schätzt den Impuls für das Wirtschaftswachstum auf nicht mehr als 0,1 Prozent. Von daher ist es absurd, den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit mit der ausgefallenen Steuerreform der Koalition zu rechtfertigen.
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Alles, was Sie seit Jahren zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versucht haben, vom Kündigungsschutz bis zur Lockerung der Ladenschlußzeiten,
({19})
ist wirkungslos verpufft. Jetzt soll das Scheitern der Steuerreform, die Sie für das Jahr 1999 vorgesehen hatten, für den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1996 und 1997 verantwortlich sein.
({20})
Das ist doch ein Anschlag auf den gesunden Menschenverstand, den Sie hier unternehmen.
({21})
Merken Sie denn überhaupt nicht, wie schwachsinnig Ihre Argumentation ist?
Auch der Einbruch der Steuereinnahmen hat mit dem Scheitern Ihrer Reform nichts zu tun. Herr Bundesfinanzminister, offenbar ist es Ihnen wichtig, von den wahren Ursachen der Steuermindereinnahmen abzulenken. In Ihrem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" vom 17. November 1997 mit der schönen Überschrift „Irgendwann kennt sich keiner mehr aus" nennen Sie als ersten Grund für die Erosion unseres Steuerrechts die Inanspruchnahme von Abschreibungsmöglichkeiten für Ostinvestitionen. Dabei hat das Bundesfinanzministerium gerade eine Auflistung veröffentlicht, aus der sich ergibt, daß die Sonderabschreibungen und Investitionszulagen ihren Höhepunkt bereits 1995 erreicht haben und in drei Jahren nur noch 1,7 Milliarden DM betragen werden. Herr Bundesfinanzminister, Sie müssen sich endlich mehr um die wahren Ursachen kümmern
Joachim Pof
und dürfen nicht mit Desinformationspolitik aufwarten.
({22})
Die verheerenden Ergebnisse der Steuerschätzungen der letzten Jahre sind auch Resultat einer völlig verfehlten Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Die Steuerpolitik folgte keiner geschlossenen Konzeption; sie ist bloßes Stückwerk. In einer unvorstellbaren Hektik mußten mehrfach Steuergesetze geändert werden, noch bevor sie überhaupt in Kraft getreten waren. Unter Bundesfinanzminister Waigel ist vor allem das Einkommensteuerrecht regelrecht verwüstet worden.
Diese chaotische Steuergesetzgebung hat sich auch immer stärker in Steuermindereinnahmen niedergeschlagen. Außerdem wurden die Steuerausfälle bei der Beratung der Gesetze zu niedrig berechnet.
({23})
So hat die Bundesregierung zum Beispiel beim Standortsicherungsgesetz die Ausfälle bei der Körperschaftsteuer mit 4 Milliarden DM beziffert, obwohl der von Ihnen geschätzte nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer die Ausfälle auf 9 Milliarden DM geschätzt hatte. Diese Berechnung wurde damals von der Bundesregierung als Horrorzahl abgetan. Die tatsächliche Entwicklung aber hat gezeigt: Die Mindereinnahmen beliefen sich sogar auf das Dreifache, nämlich auf 12 Milliarden DM. Drängt sich da eigentlich nicht der Eindruck auf, daß hier zielorientiert politisch gerechnet wurde, meine Damen und Herren?
({24})
Es rührt an den Grundfesten unserer Gesellschaft, wenn sich in zunehmender Weise ein Teil der Steuerpflichtigen durch Ausnutzung zahlreicher Gestaltungsmöglichkeiten steuerlich quasi selbst entlastet, während ein anderer Teil der Bevölkerung, nämlich Arbeitnehmer, Familien, Verbraucher und der gewerbliche Mittelstand, durch eine unaufhaltsam steigende Belastung mit Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen wird.
Es handelt sich ja in erster Linie um die Klientel der F.D.P. - um das deutlich zu sagen -, die sich jetzt schon entlasten kann. Trotz dieser Tatsache fordert die F.D.P. immer noch weitere Entlastungen gerade für diese Gruppe. Ich sage: Umgekehrt wird hier ein Schuh daraus.
Wir wollen eine Entlastung der breiten Schichten der Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, der Frauen und Männer, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Wir sind es doch, die eine Entlastung solcher Menschen fordern, nicht diese Koalition.
({25})
Diese Koalition hat Vorschläge vorgelegt, nach denen diejenigen, die sich jetzt faktisch durch Ausnutzung der Gestaltungsmöglichkeiten entlasten, durch
eine Steuerreform noch weiter entlastet werden. Das ist der Kern.
({26})
Seit Jahren hat die SPD diese gesellschaftspolitisch gefährliche Entwicklung kritisiert. Sie haben eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Problem aber abgelehnt und das als bloße Neiddiskussion der Opposition abgetan.
({27})
Dabei geht es um einen Verfassungsgrundsatz: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist der Maßstab. Mit Ihrer Steuer- und Finanzpolitik verstoßen Sie seit Jahren dagegen. Ihre Politik ist verfassungswidrig, wie ich meine.
({28})
Die konservative „Welt" beschreibt diese Entwicklung zutreffend wie folgt:
Viele Studien belegen, daß die Steuerlast in Deutschland im internationalen Vergleich noch nicht einmal an der Spitze liegt. Für manchen ist Deutschland wegen seines Steuerrechts sogar zur Steueroase geworden. Die Steuerschätzungen zeigen, daß sich die Steuerzahler ihre Entlastung auf anderem Wege zu holen wissen. Eine Steuerreform würde es dem Staat hier ermöglichen, die Entlastung gleichmäßiger zu verteilen.
Vollkommen richtig! Eine Steuerreform nach unserem Muster hätte ein solches Ergebnis. Eine Steuerreform nach Ihrem Muster führte nur dazu, daß diejenigen, die sich jetzt faktisch selber entlasten, dann auch noch weiter entlastet würden. Das ist die Quintessenz.
({29})
Der von Ihnen immer wieder vorgetragene Blockadevorwurf an die Adresse der SPD ist absurd. Ihm fehlt jegliche Grundlage. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Koalition wissen dies. Trotzdem ziehen sie mit diesen falschen Vorwürfen über Land und betreiben schon jetzt Wahlkampf, ohne inhaltliche Argumente, nur mit Vorwürfen an die Opposition. Denn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben nichts anderes mehr anzubieten als diese abgedroschenen Phrasen - in Ihren Augen sind das Argumente.
Dabei ist der Befund eindeutig: Die seit 15 Jahren regierende Koalition ist am Ende ihrer eigenen Politikfähigkeit angelangt, weil sie sich auf nichts mehr einigen kann. Sie blockiert sich selbst.
({30})
Gegenüber der SPD angedeutete Kompromisse, wie heute von Herrn Roth oder von Herrn Waigel, wurden in den letzten Wochen nur zur Irreführung der Öffentlichkeit ins Spiel gebracht.
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Es sollte davon abgelenkt werden, daß innerhalb der Koalition keine gemeinsame Lösung mehr zustande gebracht werden kann.
Die SPD will eine Steuer- und Abgabenreform. Wir haben Kompromisse angeboten. Ich denke, daß die Führung der SPD morgen auf Ihren Vorschlag, Herr Waigel, eingehen wird. Auch sie hat schon erklärt, daß wir bereitstehen. Aber die Essentials müssen stimmen.
Wir haben mittlerweile auch immer wieder angeboten, die Lohnnebenkosten zu senken. Das ist von der Koalition immer abgelehnt worden. Die Koalition hat doch sogar die Kompromißversuche ihres eigenen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble abgelehnt.
({32})
Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben das aktiv betrieben. Heucheln Sie hier doch nicht so rum!
({33})
Wir haben doch mitbekommen, daß Sie von Hongkong aus ständig mit dem Bundeskanzler telefoniert haben, um das Angebot von Herrn Schäuble zu unterlaufen.
Was wollte denn Herr Schäuble? Schäuble wollte doch erkennbar von den unvertretbar hohen Finanzierungsdefiziten der Regierungsvorschläge herunter, weil er weiß, daß Sie das nicht mehr lange durchhalten können, meine Damen und Herren.
Immer deutlicher also wird, daß es in der Koalition keine Mehrheiten mehr für Vorschläge aus der Union oder aus der F.D.P. gibt. Jetzt versuchen Sie mit Scheinangeboten und Verzögerungsstrategien zu verhindern, daß der Stillstand im Kompromiß mit der SPD überwunden wird.
Die „Woche " spricht in ihrem Leitartikel vom 14. November vom „Offenbarungseid" „einer Regierung, wie sie Deutschland nach dem Krieg abgewirtschafteter und konzeptionsloser nicht erlebt hat". Das „Milliardenloch" sei „längst zur einzigen Konstante einer schlingernden Koalition geworden, deren innere Widersprüche nur noch durch den gemeinsamen Machtwillen übertroffen werden".
Wie sehr der derzeitige Blockadevorwurf in der Steuerreformpolitik fehlgeht, wird doch auch daran deutlich, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß von der „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik der Bundesregierung" gesprochen wurde. Ich erinnere an die Reform des Familienleistungsausgleichs, an die Reform der steuerlichen Wohneigentumsförderung und an die Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages.
Viele Jahre lang hatte die SPD gefordert, die ungerechten Kinderfreibeträge durch ein Kindergeld von mindestens 250 DM im Monat zu ersetzen. In all den Jahren hat die Koalition unsere Anträge im Deutschen Bundestag immer wieder abgelehnt. Bundesfinanzminister Waigel wollte noch 1995 das Kindergeld bei 70 DM für das erste Kind belassen und das Kindergeld für das zweite Kind nur um 20 DM erhöhen. Anschließend hat er sich in Reden dieses Familienleistungsausgleichs gerühmt.
({34})
So ist das mit Anspruch und Wirklichkeit in der Koalition.
({35})
Mehr als zehn Jahre hat es gedauert, bis die Koalition endlich bereit war, die von der SPD immer wieder geforderte Umgestaltung der steuerlichen Wohneigentumsförderung aufzugreifen.
Lange mußte die SPD kämpfen, bis es endlich zu einer Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrags kam.
({36})
Bundesfinanzminister Waigel wollte den Grundfreibetrag 1995 noch ganz abschaffen und ihn statt dessen durch eine sogenannte außertarifliche Grundentlastung ersetzen. Der „Buckeltarif" war damals in aller Munde.
Es ist auch ausschließlich der Hartnäckigkeit der SPD zu verdanken, daß eine stufenweise Anhebung des steuerfreien Existenzminimums bis 1999 auf rund
13 000 DM für Ledige und 26 000 DM für Verheiratete bereits gesetzlich festgeschrieben ist. In ihrem Steuerreformkonzept hat die SPD außerdem gefordert, den Grundfreibetrag auf 14 000 DM zu erhöhen. Es war die SPD und nicht, wie Sie, Kollegin Hasselfeldt, in einem Leserbrief an die „Süddeutsche Zeitung" vom 5. November 1997 behauptet haben, die Koalition. Sie hat die Anhebung des Grundfreibetrags auf
14 000 DM nämlich nicht in ihrem Konzept vorgesehen.
({37})
Das heißt: Sie haben die Leser und Leserinnen der „Süddeutschen Zeitung" glatt hinters Licht geführt, Frau Kollegin Hasselfeldt.
({38})
Ich hätte Ihnen das eigentlich gar nicht zugetraut. Sie machen gelegentlich einen so ehrlichen Eindruck.
Die Koalition zieht schon lange nicht mehr an einem Strang; sie ist schon lange nicht mehr handlungsfähig.
({39})
Die Koalition weiß genau, daß sie es mit ihrer falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht schafft, die Arbeitslosigkeit bis zur Bundestagswahl spürbar zu verringern.
Wir Sozialdemokraten bleiben dabei: Wir brauchen eine Strategie, die Angebots- und Nachfragepolitik miteinander verknüpft.
({40})
Wir brauchen eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft und nicht deren Abschaffung, die Sie faktisch betreiben.
({41})
Zum einen geht es um die Stärkung der Binnennachfrage und zum anderen um die Verbesserung der Investitionsbedingungen. Es geht um ein Policy-Mix, nicht um schwarz oder weiß, wie Sie das hier darstellen.
({42})
Wohin hat denn Ihre einseitige Angebotspolitik geführt? Das kann man doch an den Resultaten Ihrer Politik sehen. Was haben Sie alles versprochen? Sie haben nichts gehalten. Es gab nur falsche Analysen und falsche Schlußfolgerungen. Auch heute haben Sie wieder falsch analysiert, Herr Bundesfinanzminister, und die Schlußfolgerungen müssen zwangsläufig falsch sein.
Sowohl die Bundesbank als auch das Ifo-Institut haben darauf hingewiesen, daß insbesondere die geringe Binnennachfrage nennenswerte Verbesserungen für Wachstum und Beschäftigung verhindere. Das Ifo-Institut stellt außerdem fest, daß mit einer Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Arbeitslosigkeit bekämpft werden könne.
Wir setzen deshalb auf eine wirtschaftspolitische Doppelstrategie, die Angebots- und Nachfragepolitik miteinander verbindet. Die Senkung der Lohnnebenkosten und die Senkung der Steuerbelastung für die Wirtschaft, sofern sie wirklich belastet ist, ist die Angebotsseite unserer Steuer- und Abgabenreform. Die Entlastung der Arbeitnehmer und Familien ist die Nachfrageseite unserer Politik. Wer mehr Wachstum und mehr Beschäftigung will, der muß beide Seiten des Wirtschaftswachstums berücksichtigen. Deshalb unterscheidet sich unser Konzept schon im Ansatz von der von Ihnen propagierten, aber nicht finanzierbaren Nettoentlastung der Steuerzahler.
Auch unser Steuerkonzept führt zu einer Nettoentlastung: Bei uns werden diejenigen Bürgerinnen und Bürger entlastet, die in den letzten Jahren immer stärker mit Steuern und Abgaben belastet worden sind und die nicht die Möglichkeit hatten, in großem Umfang steuerliche Subventionen und Steuersparmodelle zu nutzen. Das ist die große Mehrheit unseres Volkes; das ist die große Mehrheit der Arbeitnehmerfamilien. Deshalb wollen wir Familien mit zwei Kindern jährlich um durchschnittlich 2500 DM entlasten. Das ist unsere Zielsetzung, und wir werden sie durchsetzen - wenn nicht kompromißweise mit Ihnen, dann nach einem Wahlerfolg 1998.
({43})
Mit unserem Ansatz wollen wir wieder Gerechtigkeit in der Besteuerung herstellen. Der Steuerehrliche darf nicht länger der Dumme sein, und der Steuertarif muß wieder die Wahrheit über die tatsächliche
Steuerbelastung sagen. Es geht also - ich wiederhole es - um die gleichmäßigere Verteilung der Abgaben. Dann können die Steuersätze sinken. Es geht darum, die Gruppen heranzuziehen, die sich, wie „Die Zeit" zu Recht schrieb, in den vergangenen Jahren selbst entlastet haben.
Notwendig ist nur, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hier, auch in dieser Haushaltsdebatte, nicht wolkige, nebulöse Ankündigungen machen, sondern sich auf ein realistisches, finanzpolitisch seriöses und sozial ausgewogenes Konzept einlassen, mit dem für die kommenden Jahre klare Rahmenbedingungen für Bürger und Wirtschaft geschaffen werden. Sie sollten sich endlich aufraffen, diesen Weg mit der SPD zu gehen.
({44})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Jacoby.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht sollte man bei dem jetzigen Stand der Debatte einmal den Versuch machen, auf das eine oder andere Argument einzugehen, das genannt worden ist. Da will ich zunächst einmal einen Kronzeugen anführen - ich bin in der letzten steuer- und finanzpolitischen Debatte schon auf ihn zu sprechen gekommen -, bei dem ich davon ausgehe, daß Sie zumindest die Geduld haben, seine Aussage zur Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung in dieser Zeit anzuhören.
Der Koalition ist zugute zu halten, daß ihr gedanklicher Ansatz im Kern richtig war und bleibt: Verbreiterung der schrumpfenden Steuerbasis durch einen einfachen Lohn- und Einkommensteuertarif, niedrigere Grenzsteuersätze und eine Beseitigung wesentlicher Steuervergünstigungen. Dieser Ansatz entfaltet seine Entlastungseffekte dort, wo hohe Multiplikatorwirkungen und damit Positives für Wachstum und Beschäftigung zu erwarten sind.
Er fährt fort:
Die Opposition ihrerseits - gemeint ist die SPD ist von der Koalition ohne ein durchdachtes Gegenkonzept erwischt worden.
Das ist doch auch am heutigen Tage die Crux. Sie, Herr Poß, sprechen in dieser Debatte ganz anders, als Gerhard Schröder seinerseits vor Wirtschaftsleuten in Debatten über die Steuerpolitik argumentiert.
({0})
Die Crux besteht darin, daß die Opposition bis zur
Stunde keinen eigenen Gesetzentwurf zu einer Steuerreform vorgelegt hat, so daß bei Ihnen bis jetzt der
Zettelkasten dominiert, nicht aber ein Konzept. Das muß in dieser Situation einmal gesagt werden.
({1})
- Wider besseren Wissen? Ich habe soeben den letzten Finanzminister der sozialliberalen Koalition, Manfred Lahnstein, zitiert. Wenn man frühere Finanzminister von Manfred Lahnstein über Herrn Apel bis hin zu anderen zitiert, dann braucht man sich von der Opposition dieser Tage nicht beschimpfen zu lassen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will auf einen zweiten Widerspruch hinweisen. Sie von der SPD waren es doch gewesen, die in den Jahren 1994/95 hier im Deutschen Bundestag den Finanzminister bedrängt haben, er solle die Vorschläge der Bareis-Kommission aufgreifen und in ein Steuerreformkonzept umsetzen. Das hat die Koalition unter seiner Führung getan. Es gab die Petersberger Beschlüsse. Diese werden von Professor Bareis begrüßt als Umsetzung dessen, was er vorgegeben hat. Sie aber gehen heute hier hin und versuchen einen Verriß. Widersprüchlicher kann Politik nicht sein.
({3})
Ich will auf folgendes zu sprechen kommen, damit die Eckpfeiler dessen, was wir wollen, nicht aus dem Blickwinkel geraten. Diese Eckpfeiler sind dieser Tage von Gerhard Schröder zu Papier gebracht worden. Denn er hat in seinen Dresdner Formulierungen „Eckpunkte einer sozialdemokratischen Modernisierungs- und Reformpolitik" geschrieben - ich darf auch hier zitieren, Kollege Poß -:
Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht dringend Kapital zur Produktivitätssteigerung. Privates Kapital aber meidet seit Jahren Deutschland als Investitionsstandort, weil hier die nominalen Steuersätze im europäischen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind. Die ausländischen Investitionen in Deutschland sind inzwischen auf einen historischen Tiefststand gesunken. Diese Hindernisse werden wir beseitigen.
Dies steht in diesem Papier.
({4})
Daher fordere ich: Lassen Sie uns diese Hindernisse beseitigen, und lassen Sie uns den Grundansatz der Steuerreform, wie er durch die Petersberger Beschlüsse auf den Weg gebracht worden ist, nicht bestreiten! Auch das gehört zur Redlichkeit.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Jawohl.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege, wollen Sie mir nicht zustimmen, daß diese Äußerungen völlig richtig sind und daß sie im Konzept der Steuerreform der SPD ihren Niederschlag gefunden haben? Denn wir sehen ausdrücklich vor, daß die betrieblichen Steuersätze sowohl für Körperschaften als auch für Einzelunternehmen, Personengesellschaften deutlich sinken, während unsere Auseinandersetzung doch über den nichtgewerblichen Steuersatz geht. Was soll dann das, was Sie hier vortragen?
Das will ich Ihnen ganz konkret sagen, Frau Kollegin. Sie verschanzen sich hinter dem Argument, es dürfe zu keiner Nettoentlastung kommen. Sie begründen das damit, die Haushaltslage lasse dies nicht zu. Sie verdrängen gleichzeitig, daß es bei der Steuerreform in den 80er Jahren zu einer Senkung der Tarife und zu Entlastungen in zweistelliger Milliardenhöhe gekommen ist
({0})
und das Ergebnis mehr Steuereinnahmen des Staates gewesen ist. Sie verdrängen weiter, daß die Position „Keine Nettoentlastung" in Ihrem eigenen Bereich bestritten wird, bis hin zu dem Brief des Herrn Professor Jäckel an den Fraktionsvorsitzenden Scharping, der heute morgen schon eine Rolle gespielt hat und in dem genau zu diesem Punkt folgendes geschrieben worden ist - man wird ja in dieser Debatte noch Sozialdemokraten zitieren dürfen -:
Dem Bürger wird jetzt auch noch zugemutet, an eine Doktrin von vorgestern zu glauben,
({1})
daß wegen der Leere in den öffentlichen Kassen eine mit Nettoentlastungen verbundene Steuerreform Teufelswerk sei.
Sie versuchen auch heute noch, diese Doktrin unter das Volk zu bringen; dabei wird sie in Ihren eigenen Reihen bestritten.
({2})
Herr Kollege Jacoby, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Auch eine zweite gestatte ich.
Herr Kollege, auch durch Ihre langatmigen Ausführungen über Herrn Professor Jäckel haben Sie meine Frage nicht beantwortet. Da Sie darzustellen versuchten, daß der KolIngrid Matthäus-Maier
lege Schröder durch die Forderung nach Absenkung der Unternehmensteuersätze etwas ganz anderes als die SPD sage, habe ich Sie gefragt, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß im SPD-Programm ausdrücklich die Absenkung der gewerblichen Steuersätze gefordert wird.
({0})
Müssen Sie nicht zugeben, daß wir alle da die gleiche Forderung erheben?
Ich möchte Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, einfach darauf hinweisen, daß 90 Prozent der Firmen, die wir im Visier haben, Personengesellschaften und Einzelfirmen sind. Dieser Gesichtspunkt hat in unserer Konzeption bis hin zur Nettoentlastung, an der kein Weg vorbeiführt, seinen Niederschlag gefunden.
({0})
Ich frage mich, warum Herr Lafontaine bei der Vorstellung seines Konzepts folgendes gesagt hat:
({1})
Eine Steuerreform muß nicht bis aufs letzte gegenfinanziert sein; da sie einen Wachstumsindikationseffekt hat, ergibt sich daraus eine Selbstfinanzierung.
Man kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland sei zu hoch, und wir seien auf internationalen Märkten in dieser Frage nicht mehr konkurrenzfähig, und gleichzeitig einer Steuerreform das Wort reden, die die Notwendigkeit einer Änderung bis hin zu einer Nettoentlastung außer acht läßt. Das ist widersprüchlich. Soviel möchte ich zu dem sagen, was eben Kollege Poß ausführte.
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte auf ein Weiteres hinweisen: Sie haben vorhin gesagt, in dieser Zeit könne ein solches Unternehmen auch mit Blick auf die Länder und Gemeinden nicht angegangen werden.
({3})
In diesem Zusammenhang haben Sie die Steuerschätzungen der jüngsten Zeit bemüht. Dem möchte ich einfach unsere Sicht der Dinge entgegenhalten. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, wie notwendig eine Steuerreform ist, dann findet er sich gerade in den Zahlen der jüngsten Steuerschätzungen, denn nur durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage schließen wir die Schlupflöcher und verändern die Situation. Darauf hat im August dieses
Jahres die Bundesbank ihrerseits hingewiesen. Man kann nicht selektiv wahrnehmen und die Zitate so herausgreifen, wie sie einem in die eigene Argumentation gerade hineinpassen.
({4})
Die Bundesbank hat im August von der Erosion der Steuerbasis gesprochen. Deshalb ist es völlig verfehlt, den Finanzminister und die Bundesregierung angesichts dieser Erosion der Steuerbasis, die wir ja durch unsere Steuerreform verändern wollen, auf die Anklagebank zu setzen.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie dem Hause bestätigen, daß die Erosion bei den Steuereinnahmen nur auf der Grundlage eines bestimmten Rechtes erfolgen kann und von daher Ihre Bemerkung, daß der Bundesfinanzminister diese Erosion im August bemerkt hätte, nicht gerade für den Bundesfinanzminister und Ihre Koalition spricht? Würden Sie in diesem Zusammenhang bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir exakt eine derartige Einkommensteuerreform wollen. Es gibt dazu auch ein Konzept, das ich Ihnen auch noch einmal überreiche, wenn Sie wollen.
({0})
Nur, Ihr Konzept wollen wir nicht, weil es Schlagseite hat und aus den Gründen, die ich hier genannt habe, unfinanzierbar ist.
({1})
Herr Kollege Poß, vielleicht können wir uns auf folgendes verständigen: Man kann doch nicht einerseits sagen, das Konzept, das die Koalition vorgelegt hat, sei sozial unausgewogen,
(Joachim Poß [SPD]: Und unfinanzierbar!]
weil es die Besserverdienenden und Bessergestellten bei der Einkommensteuer begünstige, und andererseits beklagen, daß die Einkommensmillionäre gar keine Steuern mehr zahlten. Das ist ja ein Widerspruch. Insofern muß derjenige, der die Kritik von Voscherau ernst nimmt, zu folgender Auffassung kommen: runter mit den Tarifen, dafür breitere Bemessungsgrundlage; weg mit den Ausnahmen und den Umgehungen.
Das wird darauf hinauslaufen, daß diejenigen, die bisher im Übermaß von teils legalen, teils illegalen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, zukünftig mehr Steuern in Deutschland zahlen, als das bisher
der Fall war. Trotzdem haben wir einen investitionsanreizenden Tarif, der international wettbewerbsfähig ist. Das, glaube ich, ist der Zusammenhang, der gesehen werden muß.
({0})
Das ist eine Position, die sich in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat und, Kollege Metzger, mit den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten sowie mit IWF und OECD befindet.
Deshalb möchte ich noch etwas zur Frage sagen, wie man welche Argumente in diese Debatte einführt. Kollege Diller hat heute morgen davon gesprochen. Die Argumente verkommen zur Beliebigkeit, so war seine Formulierung.
({1})
Er hat formuliert, die Bundesregierung setze primär auf die Stärkung der Angebotskräfte - das hat auch Kollege Poß vorhin wiederholt - und vernachlässige die Nachfrage. Als Kronzeuge ist in diesem Zusammenhang der Sachverständigenrat bemüht worden. So war es heute morgen.
Ich will Ihnen nur sagen, der Sachverständigenrat hat vor 14 Tagen sein Gutachten vorgelegt. Da steht etwas ganz anderes drin. Dort steht:
Der Sachverständigenrat bekräftigt seine seit langem vertretene Position, daß die Wirtschaftspolitik der Stärkung der Angebotskräfte in Deutschland den Vorrang zu geben hat. Der Diagnose, daß die gegenwärtige Lage der deutschen Wirtschaft als Wachstumsschwäche zu erklären ist, die nicht durch Maßnahmen der Nachfragestimulierung überwunden werden kann, wird in der Fachwelt nur von wenigen widersprochen.
Also, meine Damen und Herren, heute morgen wird der Sachverständigenrat bemüht für eine Position, die in seinem Gutachten, in seinen Aussagen, in seinen Expertisen überhaupt nicht enthalten ist. Das, denke ich, ist ein Stück Unredlichkeit.
Kollege Metzger, auch zu Ihnen muß ich sagen: Der Sachverständigenrat erteilt gerade in der jetzigen Zeit mit Argumenten, die man nachvollziehen mag oder nicht, einer ökologischen Steuerreform eine Absage, einer ökologischen Steuerreform, die, wenn sie national vorangetrieben wird, einzelne Branchen vor Belastungen stellt, die andere Branchen im konkurrierenden Ausland nicht haben. Insofern war Ihre Position, den Sachverständigenrat so pauschal zu vereinnahmen und dann auch noch die ökologische Steuerreform zu propagieren, nicht ganz gedeckt von dem, was der Sachverständigenrat zu Papier gebracht hat.
({2})
Ich will auf folgendes zu sprechen kommen, meine Damen und Herren: Die Grundfrage, die sich in diesen Tagen stellt, ist in der Tat die Frage des wirtschaftspolitischen Kurses, der einzuschlagen ist: Nachfrageorientierung versus Angebotspolitik.
In diesem Zusammenhang bezieht sich Lafontaine auf Henry Ford I., der einmal gesagt hat: Autos kaufen keine Autos. - Diese Argumentation schillert auch jetzt ein bißchen in Debatten durch mit dem Hinweis: Wenn wir die Kaufkraft nicht stärken, werden die Produkte nicht angefordert, also gibt es keine Arbeitsplätze.
Nur, Sie vergessen, meine Damen und Herren, daß diese Aussage von Henry Ford I. „Autos kaufen keine Autos" zu Beginn dieses Jahrhunderts gemacht worden ist, zu Zeiten, wo es eine Nationalökonomie gegeben hat. Das waren Rezepte, die heute in der globalisierten Welt, in der globalisierten Wirtschaft eben keine Rolle mehr spielen können.
({3})
Das Entscheidende ist heutzutage die Frage: Wo wird gekauft, und wo entstehen in diesem Zusammenhang die Arbeitsplätze? Denn eine Kaufkraftsteigerung, die nicht dazu beiträgt, daß Investitionen im Inland freigesetzt werden, führt eben nicht zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen. Sie führt eben nicht zu einer Unterstützung des wirtschaftlichen Geschehens in unserem Land, ganz im Gegenteil.
Es ist ein Stück weit symptomatisch, daß Ihr Rekurrieren auf die Nachfrageorientierung eine Position ist, die zu Zeiten der Nationalökonomie vielleicht noch diskutabel war. Aber es ist doch eine rückwärtsgewandte Position, wie allein im Blick auf die Historie belegt werden kann.
Meine Damen und Herren, Klaus von Dohnanyi schreibt im „Spiegel" der letzten Woche:
Nach der sozialistischen Diskussion über die Natur des Menschen beginnt meine Sozialdemokratische Partei ... erneut, sich auf einen Irrweg zu begeben.
Er meint damit alle diese 'Positionen: sich nicht wettbewerbsfähig machen zu wollen im Vergleich zu anderen, sondern auf internationale Vereinbarungen zu setzen. Dabei weiß jeder: Bis diese Vereinbarungen zustande gekommen sind, werden wir keinen Arbeitsplatzzuwachs in Deutschland haben, den wir aber dringend brauchen.
Darüber hinaus geht es um die Frage der Vernachlässigung der angebotsorientierten Notwendigkeiten, wie sie in den Debattenbeiträgen von Diller und Poß zum Ausdruck gekommen ist.
({4})
Sie vergessen, daß wir in vielfacher Hinsicht - das reicht von der Familienpolitik über neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik bis hin zu neuen Ansätzen in der Sozialpolitik - niemals ausschließlich angebotsorientiert gehandelt haben.
({5})
Im Gegenteil, ein Zusammenhang von nachfrage- und angebotsorientierter Politik ist das Gebot der Stunde. Deshalb vertreten wir die Steuerreform unter dem Gesichtspunkt der Erhöhung von Investitionen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Professor Luft?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Jacoby, vor wenigen Sekunden fiel bei Ihnen die Vokabel von der rückwärtsgewandten Politik.
({0})
Ich möchte Sie gern fragen, ob Sie das, was die französische Regierung derzeit macht, als rückwärtsgewandte Politik bezeichnen. Dort ist gerade eine Steuererhöhung für Konzerne beschlossen worden. Es ist eine Anhebung der Mindestlöhne vorgenommen worden und ein Beschäftigungsprogramm für junge Leute auf den Weg gebracht worden. Diese Dinge stoßen in Frankreich auf viel Zuspruch. Frankreich ist ein Hauptpartner unseres Landes. Wollen Sie da den Begriff .der rückwärtsgewandten Politik aufrechterhalten?
Wer wollte denn bestreiten, daß auch der Bundeshaushalt für das Jahr 1998, wie wir ihn jetzt verabschieden werden, eine Fülle von Ansätzen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Schaffung von mehr Lehrstellen, zur Förderung von Investitionen im Bereich von Bildung, Forschung usw. enthält? Insofern ist es nicht richtig, so zu tun, als würde bei dem vorliegenden Haushalt auf sozialpolitische Maßnahmen verzichtet. Der Finanzminister hat vorhin völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß fast 40 Prozent des Bundeshaushalts einer sozialpolitischen Zielsetzung dienen. Insofern brauchen wir uns in diesem Zusammenhang sicherlich nicht mit irgend jemand anderem zu vergleichen. Aber es bleibt dabei: Eine Politik, die die Herausforderungen der globalisierten Märkte verdrängt, ist eine rückwärtsgewandte Politik.
({0})
Das hat mit französischen Zielsetzungen oder mit Akzentsetzungen im Bundeshaushalt nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun.
Ich bedanke mich.
({1})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushalts 1998 ist wirtschaftspolitisch kontraproduktiv; denn er begrenzt die Binnennachfrage, und das in einer Zeit, in der in Südostasien und auch in Brasilien Außenmärkte der Bundesrepublik wegzubrechen drohen. Dieser Haushalt ist auch sozial ungerecht, weil die Bedürftigen geschröpft und die Vermögenden kaum angetastet werden.
Nur um die jüngst auch im Münchner Löwenbräukeller verlangte Punktlandung von 3,000 bei der Neuverschuldung zu erreichen und damit Tür und Tor zum Euro aufzustoßen, der für die kleinen Leute weit mehr Risiken als Chancen bringt,
({0})
schreckt der Bundesfinanzminister nicht einmal vor spekulativen Finanzierungen zurück.
({1})
Gemeint sind Tauschgeschäfte mit Zinsen, Swaps genannt, vor deren Ausweitung die Deutsche Bundesbank ausdrücklich gewarnt hat.
Nebenbei sei gesagt, daß bei derartigen Geschäften - wie übrigens schon beim Verkauf der Kreditinstitute der DDR seitens der Bundesregierung - die Großbanken ihr Schnäppchen machen werden, und zwar auf Kosten aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({2})
Wann kommt der Tag, so frage ich den Bundesfinanzminister etwas provokativ, da die Bundesregierung sogar Teile der Bundesschulden in Fremdwährungen umrubelt, nur weil dort - ich spiele auf die Zinsswaps an - die Zinssätze noch deutlich niedriger als in Deutschland liegen? Ich nenne hier beispielsweise den japanischen Yen, der bei Dreimonatsgeld mit nur 0,3 Prozent verzinst wird.
Auszuschließen ist das alles bei dieser Bundesregierung, die sich in einer Endzeitstimmung befindet, wohl nicht mehr. Denn wer hätte vor Jahresfrist schon daran gedacht, daß sich die Bundesregierung zum Stopfen von Haushaltslöchern der früher so verpönten Finanzderivate bedient?
Mit dem Haushalt 1998 setzt die Bundesregierung zugleich ihre kommunalunfreundliche Politik fort. Vor allem weil die Kosten für Langzeitarbeitslose sozialsystemwidrig kommunalisiert werden, haben die Hilfen zum Lebensunterhalt, bekanntlich Teil der kommunalen Sozialhilfe, von 1,75 Milliarden DM im Jahr 1971 auf derzeit 12,9 Milliarden DM zugenommen.
Die Gruppe der PDS verlangt auch deshalb, daß der Bund den Kommunen die unmittelbar aus der Langzeitarbeitslosigkeit resultierenden Sozialhilfekosten erstattet. Immerhin handelt es sich um jährlich etwa 8,5 Milliarden DM, die von den finanziell ohnehin arg gebeutelten Kommunen für soziokulturelle Aufgaben bzw. zur Belebung der seit 1995 drastisch rückläufigen Investitionen nutzbringend eingesetzt werden könnten.
({3})
Wir brauchen mehr Arbeitsplätze in den Kommunen durch die Ankurbelung des Investitionsgeschehens. Einen guten Dienst auf diesem Weg könnte die Wiedereinführung einer kommunalen InvestitionsDr. Uwe-Jens Rössel
pauschale leisten, die vom Bund direkt an die ostdeutschen Städte, Gemeinden und Landkreise weitergeleitet wird.
({4})
Übrigens hat sich auch die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU/CSU auf ihrem Kongreß im September in Bonn ausdrücklich für dieses Projekt ausgesprochen. Wir sind sehr gespannt, wie die rund 40 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker Ihrer Fraktion in wenigen Minuten über unseren entsprechenden Antrag abstimmen werden.
({5})
Nicht zuletzt mit ihrer Steuerpolitik trägt die Bundesregierung zum finanziellen Ausbluten der Kommunen bei. So sind die Einnahmen der Städte und Gemeinden aus der Einkommensteuer, die 1995 noch 46 Milliarden DM betragen haben, in diesem Jahr auf 39,6 Milliarden DM geschrumpft.
Herr Kollege Dr. Rössel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Einen Satz bitte noch. - Die Hauptursache ist auch hier der drastische Rückgang der veranlagten Einkommensteuer, also jener Steuer, die Freiberufler und Selbständige auf ihre Einkünfte zahlen müssen. Möglich wurde dieser Rückgang durch die großzügige Steuersparmodellpolitik der Bundesregierung, für die diese und nur diese die Verantwortung trägt. Wir brauchen eine andere Steuerpolitik; wir brauchen eine andere Haushaltspolitik, auch oder gerade im Interesse von 12 000 Städten und Gemeinden und von 353 Landkreisen in der Bundesrepublik Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich gebe dem Abgeordneten Wilfried Seibel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushaltsplan für 1998 erwartet Einnahmen in einer Gesamthöhe von 456 Milliarden DM, davon Steuereinnahmen von 332 Milliarden DM. Nicht integraler Bestandteil des Haushaltsplans, aber korrekt ausgewiesen in der Anlage E zum Kapitel 60 06 des Haushaltsplans werden die Zahlungen an die Europäische Union, die für 1998 mit 43,5 Milliarden DM geplant sind. Das heißt, gut 10 Prozent der Einnahmen des Bundes oder rund 13 Prozent des Steueranteils des Bundes werden an die Europäische Union nach Brüssel abgeführt.
Allein diese wenigen Zahlen beweisen, daß die Leistungen unseres Staates an die EU sowie auch die Rückflüsse von der EU an uns, die für 1998 mit 21,5 Milliarden DM geplant sind, ein maßgeblicher und
erheblicher Teil staatlichen Handelns der Haushaltsund Finanzpolitik Deutschlands sind.
Nimmt man noch das Faktum hinzu, daß von den Rückflüssen in Höhe von 23,3 Milliarden DM 1997 gut die Hälfte an die Länder direkt durchgeleitet wird, so stellen die Rückflüsse auch einen erheblichen, leider von allen Beteiligten eher totgeschwiegenen Bestandteil des Bund-Länder-Finanzausgleichs dar.
Die Bundesrepublik Deutschland ist das einwohner- und wirtschaftsstärkste Land der EU. Die konjunkturelle Wirkung unserer Haushalts- und Finanzpolitik reicht weit über unsere Landesgrenzen hinaus. Sie beeinflußt das gesamteuropäische Geschehen in deutlichem Maße. Unsere Verpflichtung für eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik auch in schwierigen Zeiten bei sinkenden Staatseinnahmen hat eine internationale Dimension, die, wie ich glaube, in unseren Diskussionen leider viel zu oft viel zu kurz kommt.
In der Folge der Beendigung des kalten Krieges und des Fortfalls von Mauer und Stacheldraht mitten in Europa haben die Länder Europas beschlossen, den neuen Herausforderungen wie Friedenssicherung, Stabilität und Wohlstand in ganz Europa, Neugestaltung unserer Beziehungen zu Rußland und Erneuerung unseres Verteidigungsbündnisses gerecht zu werden. Die Agenda 2000 sieht eine Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union vor. An der Bewältigung dieser Aufgabe wird unser Handeln in der Mitte Europas für die Zukunft gemessen.
Es trifft sich gut, daß wir Gelegenheit hatten, in diesem Jahr Gedenkfeiern für die Marshallplanhilfe der USA nach dem zweiten Weltkrieg abzuhalten sowie den 40. Jahrestag der Römischen Verträge zu begehen. Wir sollten uns erinnern, daß in den Jahren zwischen 1948 und 1952 die USA 16 europäischen Staaten einen Kredit von - auf heute umgerechnet - 88 Millionen Dollar in Form verschiedenster Hills- und Unterstützungsprogramme zur Verfügung gestellt haben. Nach Ablauf dieser Zeit konnten die Empfängerländer eine 65 prozentige Steigerung der gesamten Industrieproduktion verzeichnen, und das europäische Bruttosozialprodukt hatte um ein Drittel zugenommen. Die Marshallhilfe war nicht die einzige Ursache für diese bemerkenswerte Wiederbelebung, aber ein ganz wesentlicher Grund.
Der Aufbau der Europäischen Union nach den Römischen Verträgen und die damit einhergehende Beendigung nationaler Rivalitäten und Konflikte stellen die größte politische und wirtschaftliche Errungenschaft Westeuropas nach dem Ende des zweiten Weltkriegs dar. Die jetzt vor uns liegenden Aufgaben mit der Vertiefung und Erweiterung der EU und der Osterweiterung der NATO sollten genau in diesem Geiste erfüllt werden, wobei auch Dankbarkeiten abzuarbeiten sind.
Sicherlich, die europäischen Staaten haben zwischen 1990 und 1996 mehr als 58 Milliarden Dollar als Hilfeleistungen für die MOE-Staaten zur Verfügung gestellt. Dazu kommen 80 Milliarden Dollar als Unterstützung wirtschaftlicher und politischer ReforWilfried Seibel
men in Osteuropa und in den neuen, unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Das waren ohne Zweifel gewaltige Leistungen, die aber fortgesetzt werden müssen. Jedermann sollte klar und deutlich sagen, daß eine Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union nicht zum Nulltarif zu haben ist und daß neue Aufgaben auch eine finanzielle Ausstattung verlangen. Gerade der Marshallplan hat bewiesen, daß in Europa ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Fortschritt, politischem Frieden und Stabilität besteht. Frieden und Wohlstand im vereinten Europa können auf lange Sicht vor allem durch die Erweiterung der Europäischen Union gewährleistet werden.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Einführung des Euro. Die erfolgreiche Einführung einer Einheitswährung mit einer großen Gruppe von EU- Mitgliedern wird die EU mit einer starken internationalen Währung ausstatten, die ihrem wirtschaftlichen Gewicht entspricht. Auch hier muß Deutschland die Führung übernehmen. Das Gebiet, in dem der Euro gilt, wird ein handels- und wirtschaftspolitisches Gewicht haben, das dem der Vereinigten Staaten vergleichbar ist. So würden 30 Prozent des weltweiten Exports in der Euro-Währung verrechnet, wenn der internationale Gebrauch des Euro lediglich dem gegenwärtigen Einsatz der D-Mark proportional entspräche. In dem Maße, in dem dies geschieht, wird sich der Euro zu einer Hauptweltwährung und zu einem starken Konkurrenten von Dollar und Yen als weltweite Reservewährung entwickeln.
Unser Engagement für die konstruktive und zukunftsgerichtete neue transatlantische Agenda verlangt auch, über die Herkunft der Mittel für die EU und ihre gerechte Verteilung von Rückflüssen auf die Mitgliedsländer neu nachzudenken und intensiv zu verhandeln. Die Bundesregierung hat in vielfältigen Erklärungen auch hier im Parlament deutlich gemacht, daß unmittelbar nach Abschluß der Amsterdamer Verträge die Diskussion über ein neues Eigenmittelregime der Europäischen Union geführt werden muß. Diese Ankündigung gilt es gleich zu Beginn des neuen Jahres umzusetzen. Das jetzige Eigenmittelregime der EU ist bis 1999 vertraglich vereinbart. Es paßt in die Größe der Entwicklungsaufgabe, die vor uns liegt, daß wir die Diskussion mit allen europäischen Partnern über die Neukonstruktion jetzt aufnehmen.
Ich will nicht erneut das oft gehörte Lied von der ungerechtfertigten Nettozahlerposition Deutschlands anstimmen, wonach wir an allen europäischen Ausgaben mit rund 30 Prozent beteiligt sind. Niemand, der europäische Politik, insbesondere mit den neuen vor uns liegenden Aufgaben, ernsthaft diskutiert, kann erwarten, daß sich die Position Deutschlands als eines großen Zahlers in die EU-Kasse deutlich abschwächen wird.
Aber eine Europäische Union mit mehr Mitgliedern und mehr Aufgaben muß im starken Eigeninteresse für die Diskussion über eine gerechte Aufbringung der Mittel für ihre Politik und über einen angemessenen Rückfluß aus den Brüsseler Töpfen sorgen. Es geht nicht darum, daß wir jedem eine Birne vom europäischen Baum versprechen, sondern darum, daß wir dem Schwachen eine Leiter zur Verfügung stellen, damit er die Chance auf eine Birne erhält.
({0})
Angleichung der Standards und Ausgleich von Härten und Nachteilen sind das Gebot der Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft.
({1})
Nicht nationaler Eigennutz und reines Profitdenken an der gemeinschaftlichen Politik dürfen Handlungsmaßstab für die Gemeinschaft sein.
({2})
Ich möchte deshalb im Namen unserer Fraktion die Bundesregierung auffordern, den von Finanzminister Waigel zu Recht angestoßenen Dialog über die neue Finanzierung einer erweiterten und vertieften EU in Gang zu halten, zu intensivieren und in Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag und seinen damit befaßten Ausschüssen voranzutreiben. Gerade der Zeitraum, in dem die Entscheidung darüber fällt, welche Länder am Euro teilnehmen werden, ist der geeignete Zeitraum, auch über ein neues Finanzregime der EU zu sprechen, zu verhandeln und möglichst zu neuen, für das nächste Jahrzehnt wirksam werdenden Vereinbarungen zu kommen.
Die Konsolidierungsanstrengungen, denen sich die Länder der Europäischen Union zur Teilnahme am Euro unterworfen haben, dürfen nicht mit dem Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion nachlassen.
Die Europäische Union soll mehr Aufgaben wahrnehmen. Sie muß dies in dem sparsamen Geiste tun, auf den sie ihre Mitgliedstaaten für die Einführung des Euro verpflichtet hat. Diese Verpflichtung gilt natürlich in ganz besonderer Weise auch für die Institutionen der Europäischen Union selber, die nicht eine Eigenwirtschaft betreiben können, die völlig losgelöst von den Konsolidierungsanstrengungen ihrer Mitgliedsländer vonstatten geht.
Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ermuntern, die europäische und weltpolitische Dimension, die in der Beratung unseres Haushalts steckt, in der öffentlichen Diskussion deutlicher zum Ausdruck zu bringen.
Ich möchte Sie weiterhin ermuntern, den rund zehnprozentigen Anteil der staatlichen Einnahmen, den wir nach Brüssel überweisen, zum Anlaß zu nehmen, sich intensiver mit diesem Sachverhalt zu beschäftigen. Vor allem möchte ich uns alle ermuntern, daß wir die finanzielle Ausstattung für eine erweiterte und vertiefte Europäische Union jetzt und auf jeden Fall zu Beginn des neuen Jahres intensiv diskutieren und daß wir sie nicht einem Verhandlungspoker am Ende des Jahres 1999 überlassen.
Dies ist im deutschen Interesse. Das muß auch im Interesse der Bundesregierung liegen. Deswegen, sehr
geehrter Herr Finanzminister - der Bundeskanzler ist nicht da; an ihn geht der Appell gleichermaßen -, möchte ich Sie ermuntern, die Diskussion auf der europäischen Ebene wachzuhalten und dort in Abstimmung mit dem Bundestag konstruktive Vorschläge einzubringen.
({3})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 08 mit den Stimmen der Koalition gegen die übrigen Stimmen des Hauses angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Einzelplan 32, Bundesschuld, auf. Wer dem Einzelplan 32 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. ({0})
Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 32 mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist.
Dann kommen wir zum Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD, ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor, über die wir zunächst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/9192 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9193 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9119 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/9182 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition, der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/9183 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Dann stimmen wir über den Einzelplan 60 in der Ausschußfassung ab. Wer dem Einzelplan 60 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 60 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - auf. Wer dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 20 mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen *) angenommen worden ist.
({1})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte X a bis X g auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({0}), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Regelung der Sonderabfallentsorgung - Drucksache 13/7562 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Iris Gleicke, Achim Großmann, Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Privatisierungs- und Veräußerungspflicht im Altschuldenhilfegesetz an den Problemen und der Entwicklung des ostdeutschen Wohnungsmarktes orientieren
- Drucksache 13/9181 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2})
Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt ({3}), Gila Altmann ({4}), Annelie Buntenbach, weiterer Ab-
*) Siehe Anlage 7
Vizepräsidentin Michaela Geiger
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Effizienter und FU-konformer Bau der
S-Bahn-Linie 9 Haltern-Essen-Wuppertal
- Drucksache 13/8769 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({5})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Meckel, Dr. Angelica Schwall-Düren, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Gila Altmann ({6}), Ulrike Höfken, Dr. Helmut Lippelt, Dr. Antje Vollmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung der Europäischen Union für die Hochwasseropfer in Polen und Tschechien
- Drucksache 13/8922 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Maritta Böttcher, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Konsequenzen des Oder-Hochwassers im Sommer 1997
- Drucksache 13/9085 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierter Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
- Drucksache 13/8273 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldbericht der Bundesregierung
- Drucksache 13/8493 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({10})
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte XI b bis XI 1 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt XI b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierzuchtgesetzes
- Drucksache 13/8349 -({11})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12})
- Drucksache 13/9087 Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Weisheit
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Wir haben den seltenen Fall, daß der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen ist.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt XI c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts ({13})
- Drucksache 13/5274 - ({14})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15})
- Drucksache 13/9124 - Berichterstattung:
Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Eckhart Pick
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt XI d:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften
({16})
- Drucksache 13/341 ({17})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18})
- Drucksache 13/9088 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dietrich Mahlo Alfred Hartenbach
Detlef Kleinert ({19})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt XI e:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer ({20}), Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Effizienz des Hauptstadtumzugs Teil I: Bauplanung
- Drucksachen 13/4123, 13/6594 zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig, Oswald Metzger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Effizienz des Hauptstadtumzugs
Teil II: Verwaltungsreform, Personalkonzept, Wohnungsfürsorge
- Drucksachen 13/4731, 13/6627 - zu dem Antrag der Abgeordneten KlausJürgen Warnick, Hanns-Peter Hartmann, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Arbeitsaufnahme des Deutschen Bundestages ab 1. Mai 1999 in Berlin
- Drucksache 13/6821- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Maßnahmen der Bundesregierung zum Umzug nach Berlin und zum Ausgleich für die Region Bonn
- Drucksachen 13/6822, 13/6821, 13/5371, 13/9047 Wir stimmen zuerst über die Beschlußempfehlung des Ältestenrates zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu den Großen Anfragen zur Effizienz des Hauptstadtumzugs ab, Drucksache 13/9047 Buchstabe a. Der Ältestenrat empfiehlt, den Entschließungsantrag auf der Drucksache 13/6822 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen jetzt zu der Beschlußempfehlung des Ältestenrates zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Arbeitsaufnahme des Deutschen Bundestages ab 1. Mai 1999 in Berlin, Drucksache 13/9047 Buchstabe b. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6821 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von PDS angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ältestenrates zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Stand der Maßnahmen der Bundesregierung zum Umzug nach Berlin und zum Ausgleich für die Region Bonn, Drucksache 13/9047 Buchstabe c. Der Ältestenrat empfiehlt die Kenntnisnahme des Berichts auf Drucksache 13/5371. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt XI f:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung ({21}) zu dem Antrag der Abgeordneten Oswald Metzger, Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Antje Vollmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Sonderausschusses BerlinUmzug
- Drucksachen 13/3989, 13/7548 -Berichterstattung:
Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier Jörg van Essen
Arnulf Kriedner
Simone Probst
Dr. Winfried Wolf
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3989 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt XI g:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({22}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit KOM ({23}) 392 endg.
- Drucksachen 13/8615 Nr. 2.111, 13/9123 -Berichterstattung:
Abgeordneter Rudolf Meyer ({24})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt XI h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 253 zu Petitionen - Drucksache 13/8996 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 253 mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt XI i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 254 zu Petitionen
- Drucksache 13/8997 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 254 mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt XI j:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 255 zu Petitionen
- Drucksache 13/8998 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 255 mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt XI k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 256 zu Petitionen
({29})
- Drucksache 13/8999 Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/9190? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 256 mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt XI 1:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 257 zu Petitionen
({31})
- Drucksache 13/9000 Auch hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/9191? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 257 mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({32}) zu dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({33})
- Drucksachen 13/8011, 13/8671, 13/8955, 13/ 9065 Berichterstattung:
Abgeordneter Ottmar Schreiner
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Es wird eine persönliche Erklärung der Abgeordneten Petra Bläss zum Abstimmungsverfahren gewünscht. Sollen wir vorher abstimmen?
({34})
- Dann stimmen wir vorher ab.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vom 10. Oktober 1997 den Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9065? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Nun, Frau Abgeordnete Bläss, darf ich Sie zu einer persönlichen Erklärung ans Mikrophon bitten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil der Bundesrat den Vermittlungsausschuß mit einem Auftrag angerufen hat, der meine volle Unterstützung hat, weil die Chance, der langsamen Zerstörung der Rentenversicherung noch einen Riegel vorzuschieben, nicht vergeben werden darf, weil die täglichen Diskussionen zeigen, daß keine Lösung der anstehenden Probleme mit der Rentenreform erreicht wurde, und weil die Übereinkunft der Länder im Bundesrat eine sorgfältige Beachtung verdient.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil mit den 1996 und 1997 vom Bundestag beschlossenen Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Rentenversicherung die Lebensstandardsicherung nicht mehr gewährleistet wird und die empfohlene Eigenvorsorge gerade für diejenigen Versicherten, die darauf am dringendsten angewiesen sind, gar nicht möglich ist.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil der Bundesrat die Neuregelung der Erwerbsminerdungsrente mit ergänzenden Teilzeiteinkommen zu Recht als eine die tatsächliche Situation des Arbeitsmarktes völlig falsch einschätzende Maßnahme kritisiert und ablehnt, daß das Risiko der Erwerbsminderung dem einzelnen Versicherten oder der einzelnen Versicherten aufgebürdet wird und sich der Sozialstaat aus der Absicherung eines der elementarsten Lebensrisiken zurückzieht.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil die Länder im Bundesrat weise den Auftrag gegeben haben, eine Entlastung der Rentenfinanzen kurzfristig nur mit einem erhöhten Bundeszuschuß zu ermöglichen und dann eine Strukturreform zu beraten, die sich mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, der demographischen Entwicklung und der Einlösbarkeit des Generationenvertrages auseinandersetzt.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil meines Erachtens die folgenden Voten dieses Gremiums für die Rentenreform eine sorgfältige Diskussion verdienen.
Die Länder sprechen sich nicht nur für die Einbeziehung aller prekären Beschäftigungsverhältnisse in die Rentenversicherung aus, sondern spannen den Bogen bis dahin, daß die Rentenversicherung zu einer umfassenden Solidargemeinschaft ausgebaut werden müsse.
Der Bundesrat kommt zu der bemerkenswerten Forderung, daß das beitragsbezogene Rentenversicherungssystem wegen der veränderten Erwerbsbiographien durch eine steuerfinanzierte und bedarfsorientierte soziale Grundsicherung ergänzt werden müsse.
Der Bundesrat betont, daß es unerläßlich ist, endlich eine eigenständige Alterssicherung von Frauen zu ermöglichen.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil ich meine, daß die weitreichenden Vorschläge des Bundesrates nicht allein im Vermittlungsausschuß beraten und hier nicht einfach nur weggestimmt werden dürfen.
Ich habe für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil endlich andere bereits existierende Finanzierungsvorschläge aufgegriffen werden müssen, wie der jüngste des Verbandes der Rentenversicherungsträger, der in die Beitragspflicht alle Einkommen und Vermögen, also auch Dividenden, Zinsen und Mieteinkünfte, ohne Höchstgrenze einbezogen wissen will.
Schließlich habe ich für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil die untaugliche Rentenreform 1999 zurückgenommen und seriös eine Rentenreform vorbereitet werden muß, die ihren Namen wirklich verdient.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
- Drucksachen 13/9021, 13/9025 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Schanz
Antje Hermenau Steffen Kampeter Jürgen Koppelin
Es liegen neun Änderungsanträge der Fraktion der SPD, neun Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dieter Schanz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland als Industrie- und Exportland steht im globalen, harten Wettbewerb. Diesen kann es nur auf einem hohen Niveau von Forschung, Bildung und Ausbildung bestehen. Diesem Anspruch aber wird auch der für 1998 vorgelegte Plafond des Einzelplans 30 - Forschung, Bildung, Wissenschaft und Technologie - in keiner Weise gerecht.
({0})
Der Ansatz ist dramatisch unterfinanziert, und das schon seit Jahren.
Meine Damen und Herren, wer Arbeit sichern oder schaffen will, wer Zukunft gestalten will, muß mehr und Besseres tun als diese Bundesregierung und diese Koalition.
({1})
Wenn man gutwillig ist, darf man sagen: Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition hat von 1983 bis heute allein im Einzelplan 30 ein Minus von 8 Milliarden DM aufgehäuft. Wo, bitte, geht es dabei in die Zukunft? Daß der Etat für 1998 um zirka 1,3 Prozent steigt - was ich ausdrücklich im Namen meiner Fraktion begrüße -, täuscht nicht über die Tatsache hinweg, daß es im Verhältnis zu 1996 rund 465 Millionen DM weniger sind. Fakt ist somit wieder ein Minus, das sich seit Ihrem Amtsantritt, Herr Minister Rüttgers, im Jahre 1994 auf inzwischen zusammen rund 1 Milliarde DM beläuft.
Vor diesem Hintergrund möchte ich drei Politikfelder aus diesem Einzelplan beschreiben. Am Sonntag, dem 23. November, höre ich unseren Zukunftsminister, bezogen auf die Studentenproteste, sagen, wir brauchten einen Aktionsplan von Bund, Ländern, Hochschulen und Industrie; die Hochschulen brauchten ausreichend Geld, damit sie den erwarteten weiteren Studentenansturm bewältigen könnten. - Richtig, Herr Minister. Das sagen Sie im November 1997, wissend, daß die Ausgaben im Hochschulbau auf Grund der miserablen und chaotischen Finanzpolitik dieser Bundesregierung seit Jahren stagnieren.
({2})
Seit Jahren lehnt diese Koalition alle Erhöhungsanträge der Opposition für diese Gemeinschaftsaufgabe ab. Dies hat der Minister heute zu verantworten. Er weiß, daß viele Bundesländer bereit waren, ihren Anteil an der Gemeinschaftsaufgabe entsprechend zu erhöhen und Milliardenbeträge vorzufinanzieren.
Kolleginnen und Kollegen, ich selbst war im zurückliegenden Jahr an zahlreichen Hochschulen und konnte mich von den unzureichenden Studienbedingungen persönlich überzeugen. Es ist ein Skandal, wenn Studentinnen und Studenten in überfüllten Vorlesungsräumen keinen Sitzplatz finden, geschweige denn ordentlich studieren können.
({3})
Wer aber beklagt, daß die Studiendauer in Deutschland im Verhältnis zu anderen Kulturnationen zu lang sei, sollte mindestens gleichzeitig dagegen etwas tun, das heißt die Bedingungen für ein zügiges Studium schaffen.
({4})
Diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition ist seit Jahren nicht bereit, beim BAföG nachzubessern. Immer weniger Studentinnen und Studenten beziehen BAföG, weil die Eingangsvoraussetzungen nicht verbessert werden. Der Bund spart Geld, anstatt mehr Geld in die junge Generation und ihre Zukunft zu investieren. Auch hier lautet wieder der begründete Vorwurf: Wer von Studentinnen und Studenten verlangt - ich sage: berechtigterweise -, zügig zu studieren, um Platz für andere zu machen, auch um im eigenen Interesse sehr schnell in den Arbeitsprozeß und damit in die sozialen Sicherungssysteme zu kommen, sollte umgekehrt nicht tatenlos zusehen, wenn diese überproportional viel jobben müssen, um ihr Studium zu finanzieren.
({5})
Jeder hier weiß - und Sie wissen das auch, Herr Minister Rüttgers; Sie haben das mehrfach, auch im Ausschuß, mit Ihren eigenen Worten so unterstrichen -, daß die Dinge so nicht zusammengehen können. Aber Sie haben dennoch tatenlos zugesehen oder sich im Kabinett nicht durchgesetzt. Ich befürchte, daß Sie auch weiterhin zusehen werden und sich die Karre immer tiefer und tiefer im Dreck einer fehlgesteuerten Politik festfährt.
({6}) - Steffen, reg dich nicht auf.
({7})
Zur beruflichen Bildung - Jahr für Jahr ein Trauerspiel -: Kanzler, Ministerpräsidenten und Minister reisen - ich beklage das nicht - durch die deutsche Landschaft und betteln um Ausbildungsplätze für die nachwachsende Generation. Jahr für Jahr fehlen dennoch Ausbildungsplätze. Ich begrüße die Bemühungen und Anstrengungen vieler Handwerksbetriebe und auch Industriebetriebe. Nur, es sind immer dieselben, die, wenn gebettelt wird, zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten, weil sie ihre VerantworDieter Schanz
tung spüren, während sich andere ihrer Verantwortung entziehen. Es ist doch nicht hinzunehmen, daß große Teile der Industrie - inzwischen auch im mittelständischen Bereich - sich dieser notwendigen Aufgabe verweigern.
({8})
Das Ergebnis, was den Einzelplan 30 betrifft, ist: steigende Ausgaben - was ich nicht beklage - für überbetriebliche und außerbetriebliche Ausbildung und direkte Zuschüsse für Ausbildung insbesondere in den neuen Ländern.
Ich will das, wie ich gesagt habe, nicht beklagen, weil ich um die Not derer weiß, die einen Ausbildungsplatz suchen. Ich bin aber der Ansicht - das beklage ich -, daß es ordnungspolitisch doch nicht tragbar ist, daß der Staat - die Steuerzahler - die Lasten für diejenigen übernimmt, die nach meinem und Ihrem eigenen ordnungspolitischen Verständnis für Ausbildung verantwortlich sind,
({9})
nämlich die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern. Ich muß sie nicht alle aufzählen.
Da reisen deutsche Politiker, vom Kanzler angefangen bis zum ganz normalen Abgeordneten, durch alle Länder der Welt und feiern das duale System der Ausbildung in Deutschland; sie übersehen dabei, daß vieles bei uns im argen liegt und daß sich eine Seite auf Kosten der Allgemeinheit bequem von ihrer Verantwortung zurückzieht.
Meine Fraktion hat zu diesem Problembereich einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Lieber Kollege, können Sie auch einmal die Ursachen nennen, warum zum Beispiel Handwerksbetriebe keine Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen? Kann es unter anderem auch daran liegen, daß diejenigen, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, leider manchmal nicht die erforderliche Schulbildung haben? Das bedauern wir. Das kann damit zu tun haben, daß die Noten in den Hauptschulen vollkommen abgeschafft werden sollen, wie es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen geplant ist, oder daß ein zweiter Berufsschultag eingeführt wurde, was eine Belastung für die Betriebe darstellt, so daß sie sagen: Es hat keinen Zweck, jemanden auszubilden.
({0})
Sind die Ursachen nur einer Seite zuzuordnen, oder gibt es auch andere Gründe, warum keine Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden?
Herr Kollege Koppelin, Sie kennen mich und wissen, daß ich nicht für Schwarzweißmalereien bin. Erstens möchte ich die Gelegenheit ergreifen und mich bei vielen Handwerksbetrieben und Handwerksmeistern ausdrücklich dafür bedanken, daß sie immer bereit gewesen sind, auszubilden.
({0})
Zweitens. Ich gebe zu: Es gibt überall im Bildungsbereich Defizite. Dabei nehme ich niemanden aus. Die Probleme, die Sie beschrieben haben, die nach meiner Auffassung aber sekundär sind, gibt es wirklich, und da muß nachgebessert werden. Das gebe ich durchaus zu. Es muß auch gefragt werden, ob in unserer Gesellschaft jedem ein Ausbildungsplatz in seinem Wunschberuf zur Verfügung gestellt werden kann. Das alles ist in der politischen Diskussion anzusprechen, die wir - damit möchte ich die Beantwortung Ihrer Frage abschließen - in diesem Hause gar nicht mehr führen. Hier wird mit Ritualen nach dem Motto gearbeitet: Die Regierung macht alles gut; die Opposition macht alles schlecht - oder umgekehrt. Das führt dazu, daß auch wir im Parlament keine Problemlösung betreiben - eine Problemlösung, die wir gemeinsam im Interesse der jungen Generation anstreben müßten.
({1})
Meine Fraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zum Ziel hat - ich bitte, das auch wirklich zur Kenntnis zu nehmen -, die Ausbildungsbetriebe, von denen ich sprach, zu stärken und andere, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, in Haftung zu nehmen.
Doch wieder einmal muß ich erleben, daß die Koalition zumeist mit polemischem Spott reagiert. Dahinter verbirgt sich nicht viel Sachverstand. Ich gebe zu: Auch in meiner eigenen Partei gibt es unterschiedliche Auffassungen zu diesem Problembereich. Ich halte das für normal. Ich möchte darüber überhaupt nicht herfallen. Das würde ich auch nicht tun, wenn so etwas bei Ihnen passierte. Ich betone aber: Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, Industrie, Handwerk und Gewerbe, das heißt Verantwortliche zu ermuntern und sie in ihrer Bereitschaft zu stützen, jungen Menschen eine Zukunftsperspektive über die Ausbildung zu vermitteln.
Warum nimmt die Koalition, Herr Koppelin, den einen ordnungspolitischen Sündenfall - die direkte Finanzierung von Ausbildung mit Steuermitteln - in Kauf, tadelt aber unseren Gesetzentwurf als Teufelszeug?
({2})
Wann endlich, Kolleginnen und Kollegen, überwinden wir das vertrackte Rollenspiel „Die Regierung hat immer recht und macht alles gut, und wir als Opposition begnügen uns mit der bloßen Kritik, sie mache alles falsch"?
Ich bin gespannt, Herr Minister Rüttgers, ob Ihre Äußerungen vom Wochenende der Anfang eines Prozesses sind oder sein können, gemeinsam nach LöDieter Schanz
sungen zu suchen. Es muß ja nicht erst die Straße sein, die uns auffordert, als Parlament Lösungen zu finden. Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und Wahlenthaltung finden in diesem Versagen der Politik ihre Ursache. Sie, Herr Rüttgers, könnten auch ins Kabinett gehen und sagen: Helmut - oder: Theo -, ihr habt mich hängen lassen; ich schmeiße den Krempel hin. Das wäre einmal ein Signal.
({3})
Nehmen wir ein weiteres Beispiel aus dem Politikfeld „Forschung und Entwicklung". Noch ist die Bundesrepublik Deutschland auf dem Forschungsfeld „Photovoltaik und Solarenergie" führend. Warum, Herr Minister, sind wir in Deutschland bereit, hinzunehmen, daß uns andere Industrienationen überholen und längst über Markteinführungsstrategien ein zukunftsweisendes Produkt auch im internationalen Wettbewerb durchsetzen? Warum verweigern Sie - besser gesagt: die Bundesregierung in der Gesamtverantwortung - ein Zusammenwirken zwischen Forschung und Wirtschaftspolitik?
Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir auf diesem Forschungsfeld Weltspitze bleiben. In diesem Zusammenhang begrüße ich Ihre diesbezüglichen Bemühungen. Gleichzeitig aber fordere ich ein, daß im Sinne einer ressortübergreifenden Gesamtverantwortung der Bundesregierung die Markteinführung dieser Zukunftstechnologie Platz greift und nicht nur geredet wird.
({4})
Einige kurze Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Ich bin davon überzeugt, daß sie angesichts der Gesamtsituation im Bereich Forschung, bezogen auf den Einzelplan 30, nicht mehr sind als Kosmetik. Ich sage das auch selbstkritisch. Vor dem Hintergrund der Ankündigungen, die erfolgt sind, und der Realität kann nur ein Politikwechsel die Antwort auf diese verfehlte Politik und Haushaltspolitik der Bundesregierung sein;
({5})
denn die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Was ist zu tun? Erstens schritttweise Anhebung der Bundesausgaben für Bildung und Forschung mindestens auf das Niveau zu Beginn der 80er Jahre anteilig zum Gesamthaushalt, zweitens umfassende Modernisierung der beruflichen Bildung - ich meine die zügige Modernisierung der Ausbildungsordnung, die Schaffung neuer Berufsbilder, die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Ausbildungsstätten und der Weiterbildung -, drittens Sicherung des dualen Systems der beruflichen Bildung mit seiner grundsätzlich bewährten Verknüpfung von schulischer und praktischer Ausbildung, bei unzureichendem Ausbildungsplatzangebot gerechte Lastenverteilung zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben - siehe SPD-Antrag -, viertens grundlegende Reform der individuellen Ausbildungsförderung, fünftens Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen, sechstens Wiedereinführung der steuerlichen FuE-Förderung und Stärkung der mittelstandsspezifischen Förderung, siebentens Reform der Organisationsstrukturen in den FuE-Einrichtungen, die die Flexibilität und die Eigenverantwortung der Einrichtungen stärkt und ihnen die notwendigen Spielräume für Innovationsverbünde von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet, achtens Verbesserung des Transfers, neuntens Bündelung der Forschungsförderung, zehntens Freisetzung von Innovationen durch innovative staatliche Beschaffungspolitik und die Stärkung der Nachfrage nach innovativen Produkten und Dienstleistungen und elftens Verbesserung der administrativen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen für innovative Technologieentwicklung.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und fasse zusammen: Wir brauchen in Deutschland wieder eine kraftvolle Aufbruchstimmung für Innovationen für Bildung und Forschung. Wir brauchen die Fähigkeit, miteinander sachgerecht nach Lösungen zu suchen. Wir brauchen die Fähigkeit, die eingespielten Parlamentsrituale abzulegen und Problemlösungen für unser Land in Gang zu setzen. Das bisherige Strickmuster wird in der noch interessierten politischen Öffentlichkeit zunehmend lediglich als Wortgetöse wahrgenommen.
Daß ein konstruktives Miteinander möglich ist, erfahre ich immer wieder in den Einzelberatungen des Haushaltsausschusses. Ich fordere von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ganz konkret: Lassen Sie es zu, daß dies auch hier in diesem Hohen Hause möglich ist. Wir brauchen den Mut und die Entschlossenheit, Veränderungen in Angriff zu nehmen, und wir müssen wieder stärker in Bildung und Forschung investieren. Mit einer großangelegten Bildungsoffensive wollen wir, was den Politikwechsel betrifft, erreichen, daß die Deutschen wieder eine führende Bildungsnation werden. Ausbildung und Qualifikation sind die wichtigsten Investitionen für die Zukunft unseres Landes.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab möchte ich die Rede des Kollegen Schanz zum Anlaß nehmen, mich bei ihm persönlich und stellvertretend für alle Berichterstatter für die gute, menschliche Zusammenarbeit über alle sachlichen Differenzen hinweg zu bedanken. Draußen meint man immer, wir Politiker würden immer nur unmenschlich miteinander umgehen. Aber gerade die Berichterstattergruppe zum Einzelplan 30 und insbesondere dein Engagement, Dieter, haben, bei allen politischen Unterscheidungen, die Diskussion menschlich bereichert.
({0})
Als sich vor einigen Monaten die „junge Gruppe", ein Zusammenschluß junger Abgeordneter der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion,
({1})
mit Themen wie Hochschulreform oder Internationalisierung von Studiengängen beschäftigt hat, waren diese Themen noch megaout. Jetzt, unter anderem nach der Rede des Bundespräsidenten, steht das Megathema Bildung ganz oben auf der Tagesordnung.
({2})
Wenn wir einmal betrachten, daß heute 10 000 Studierende in Frankfurt gegen die Hochschulpolitik der dortigen Landesregierung protestieren,
({3})
sehen wir daran auch, daß das Thema in der Lage ist, auf die Titelseiten der Zeitungen zu kommen.
({4})
Die Studierenden können in diesen Tagen die Solidaritätsadressen in großen, dicken Ordnern abheften. Daran, daß ihnen alle gefallen, habe ich meine Zweifel. So habe ich heute morgen im Fernsehen den langjährigen SPD-Politiker Glotz gehört, als er mit einer Solidaritätsadresse an die protestierenden Studenten seine Forderung nach Einführung von Studiengebühren verknüpft hat. Wenn ich in diesen Tagen auch höre, daß sich einige der verantwortlichen Landespolitiker in die Studentendemonstrationen vorne einreihen wollen, erinnert mich das an den ehemaligen Chef der Bremer Vulkan, Herrn Hennemann, der gemeinsam mit seinen Arbeitnehmern gegen den Abbau von Arbeitsplätzen bei der Bremer Vulkan demonstriert hat, die er vernichtet hat.
({5})
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen dazu machen, weil mich besonders verwundert, daß in diesen Wochen vor allem in Hessen demonstriert wird. Hessen ist das Musterland des rotgrünen Modells für Deutschland. Wurde früher dort noch mit der Dachlatte argumentiert, steht es jetzt an der Speerspitze der rotgrünen Reformbewegung für Deutschland. In dieser Debatte hat uns die Opposition auch hinsichtlich Bildung und Forschung ein Land versprochen, in dem Milch und Honig fließen, und die Verdoppelung der Ausgaben in diesem Bereich angekündigt.
({6})
Warum dann aber in Hessen, wo Rotgrün schon seit langer Zeit - viel zu lange im übrigen - politische Verantwortung trägt, dem Heimatland von Eichel und Fischer, diese großen Demonstrationen? Was ist bei Rotgrün denn schiefgegangen?
({7})
Tatsache ist: Die rotgrüne Landesregierung hat in den vergangenen Jahren die hessische Hochschullandschaft ruiniert und bekommt dafür heute in
Frankfurt von 10 000 pfeifenden Studenten die Quittung.
({8})
Diese Situation kam für die Hessen offenbar nicht überraschend. Vor zwei Jahren hat der Sprecher der hessischen Hochschulpräsidenten gesagt: Entweder mehr Mittel oder weniger Studenten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tauss?
Nein. Eine Zwischenfrage von Herrn Tauss gestatte ich nicht.
({0})
Das rotgrün regierte Hessen hat auf diese kritischen Anmerkungen weder mehr Mittel bereitgestellt noch die notwendigen Strukturreformen initiiert. Schlimmer noch: Die zuständige Hochschulministerin hat durch ihr beinahe schon zur Schau getragenes Desinteresse zur Verschärfung der Situation an den hessischen Hochschulen beigetragen. Kürzungsterror nennt man in Hessen diesen von Rotgrün zu verantwortenden Umgang mit der Hochschule.
({1})
Der bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, der Kollegin Bulmahn - sie ist ja auch anwesend -, wurde im Deutschlandfunk am 21. November 1997 folgende Frage gestellt:
Was verspricht denn die SPD im Falle eines Wahlsiegs im kommenden September? Denn immerhin beklagen die Studenten in Hessen einen rotgrünen Kürzungsterror.
Antwort von Frau Bulmahn:
Der rotgrüne Kürzungsterror ist ja so nicht unerklärbar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das finde ich schon interessant. Es wird noch nicht einmal abgestritten, daß es Kürzungsterror gibt. Er wird sogar als erklärbar beschrieben. Das finde ich politisch mutig. Denn - das sollte man an dieser Stelle auch einmal betonen - die Menschen im Lande wissen gar nicht so richtig, wer im Hochschulbereich für was verantwortlich ist.
({2})
Galt Ihr Nein für alle Kollegen?
Nein, für die Kollegin Bulmahn, da ich sie zitiert habe, nicht.
Bitte schön, Frau Kollegin Bulmahn.
Herr Kollege Kampeter, für Kollegen aus dem Ausschuß für Wissenschaft, Forschung und Bildung, so denke ich, sollte es eigentlich selbstverständlich sein, daß man korrekt zitiert
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und daß man ein Zitat nicht nach zwei Worten abbricht. Denn zum korrekten Zitieren gehört auch dazu, genau zu sagen, daß ich darauf verwiesen habe - das halte ich für einen der entscheidenden Punkte -, daß eine Steuerpolitik, die darauf abzielt, die öffentlichen Kassen wirklich zu ruinieren, und die dazu führt, daß überhaupt kein Geld und keine Gestaltungsspielräume mehr vorhanden sind, notwendige Erhöhungen durchführen, nicht verantwortbar gegenüber der jungen Generation ist.
Wo bleibt die Frage?
Ich habe ferner darauf hingewiesen, daß sich eine Bundesregierung, die sich seit 1982 erdreistet,
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keine realen Erhöhungen dieses Bundeshaushaltes durchzuführen
Frau Abgeordnete, bitte stellen Sie eine Frage!
- ich stelle meine Frage -, seit 1994 den Bundeshaushalt für Bildung und Forschung - darauf hat mein Kollege schon hingewiesen - um fast 1 Milliarde DM zu kürzen, sich an der jungen Generation versündigt. Halten Sie es nicht für korrekt, daß man auch dies genau darstellt, Herr Kampeter?
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Ihre Argumentation, sehr geschätzte Frau Kollegin Bulmahn, ist doch der Beweis dafür, daß Ihre Blockadepolitik in der Steuerpolitik auf Sie und Ihre eigenen Länderhaushalte zurückfällt.
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Denn ich bin von der Sache her durchaus auf Ihrer Seite, daß die Steuererosion bei den öffentlichen Kassen zu Problemen bei den von uns zu erledigenden Aufgaben führt. Aber wenn Sie, Frau Kollegin Bulmahn, nicht gleichzeitig engagiert daran mitwirken, daß wir zu tragfähigen und vernünftigen Kompromissen bei der Steuerreform kommen, haben Sie wirklich nicht das moralische Recht, zu kritisieren, daß die Steuerbasis in Deutschland erodiert.
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Ich will in diesem Zusammenhang auch einmal darauf hinweisen, wie sich der neue Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, zu der Argumentation der Kollegin Bulmahn äußert, die ja sagt, sie sei im Prinzip unschuldig, und auf den Bundesfinanz- und dem Bundesbildungsminister zeigt. Ich zitiere aus einem Interview in der „Lausitzer Rundschau" vom 24. November 1997:
Die Hochschulfinanzierung ist vor allen Dingen aber eine Länderaufgabe. Das kann nicht oft genug betont werden. 90 Prozent der Finanzierung kommt von den Ländern. Die Lebenslüge der Länder, man könne mit weniger Geld doppelt so viele Studenten ausbilden wie 1977, diese Lebenslüge wird durch die Proteste ans Licht der Welt gebracht.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
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Daß aber auch andere Akzente im Bereich der Hochschulpolitik von Ländern gesetzt werden können, belegt das Beispiel Bayern. An bayerischen Universitäten gibt es derzeit keine ernsthaften Proteste.
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Wenn sie in den nächsten Wochen kommen sollten, dann - das ist meine feste Überzeugung - eher aus Solidarität, wie unter Studenten üblich, denn aus innerer Überzeugung. Die finanziellen Sorgen an bayerischen Universitäten sind gering.
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Denn trotz der Steuerausfälle hat die Bayerische Staatsregierung es im Nachtragshaushalt geschafft, ein zusätzliches Ausgabenvolumen von 2,5 Prozent im Universitätsbereich zu verankern.
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Bayern ist auch bei der Personalflexibilisierung und der Stärkung der Eigenverantwortung der Universitäten weit vorne, wie wir sie immer einfordern. Ich erinnere an die Deckungsfähigkeit zwischen Personal- und Sachmitteln - in Bayern möglich, in Hessen nicht. Ich erinnere an die Möglichkeit zur flexiblen Nutzung unbesetzter Personalstellen - in Bayern möglich, in vielen anderen Ländern nicht. Ich erinnere an die Lockerung des Jährlichkeitsprinzips, das von uns bei den Forschungseinrichtungen durchgesetzt wurde, in vielen anderen Ländern aber bisher nicht. Schließlich denke ich an die Überlassung zusätzlich erwirtschafteter Einnahmen - in Bayern möglich, in vielen anderen Ländern nicht.
Das zeigt, daß man auch unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen sehr viel für die Hochschulen tun kann. Das liegt in der VerantworSteffen Kampeter
tung der Länder. Wir fordern die Länder auf, diese
Verantwortung endlich entschlossen wahrzunehmen.
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Im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen liegt auch ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu einem Notprogramm im Hochschulbereich vor. Es werden 600 Millionen DM gefordert, 300 Millionen DM im nächsten Haushaltsjahr und 300 Millionen DM in Form von Verpflichtungsermächtigungen. Es soll ein Programm für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte aufgebaut und die Bibliotheken sollen besser ausgestattet werden. Räumlichkeiten sollen angemietet und die wissenschaftlichen Dienstleistungen ausgeweitet werden. Zusätzliche Stipendienprogramme sollen aufgelegt werden. Wer mit den Studierenden spricht, wird wissen, daß es sich hierbei um sehr berechtigte Forderungen handelt. Aber all diese Forderungen fallen in die unmittelbare, verfassungsmäßig garantierte Zuständigkeit der Länder, so daß dieser Antrag von Bündnis 90/Die Grünen politisch nichts anderes als eine Selbstanklage für das Versagen der Hochschulpolitik in den Ländern ist, in denen sie auch politisch selber Verantwortung tragen. Dies soll nicht heißen, daß man das eine oder andere Anliegen - Bundesminister Rüttgers wird hierzu auch noch Stellung nehmen - nicht auch noch einmal politisch aufgreifen kann. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, so zu tun, als sei der Bund dazu da, die nicht erledigten Schularbeiten der Länder finanziell zu übernehmen, kann kein Modell für eine zukünftige Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern sein.
Einige Worte zur konkreten Situation im Einzelplan 30: Der Regierungsentwurf sah vor, daß wir im Bereich Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie 14,95 Milliarden DM ausgeben. Auf Grund neuerer Berechnungen beim Meister-BAföG konnten wir in diesem Bereich 20 Millionen DM sparen.
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Der derzeitige Plafond liegt rund 22 Millionen DM tiefer. In den Medien wird jetzt aber der Eindruck erweckt, als hätten wir im Hochschul- und Wissenschaftsbereich erheblich gekürzt. Bereinigt man die Strukturveränderungen im Haushalt um die Veränderungen beim Meister-BAföG, die auf Grund geringerer Nachfrage vorhanden sind, hat sich zwischen Regierungsansatz und dem jetzt beschlossenen Ansatz eine Veränderung um 0,01 Prozent ergeben. Diese Änderung liegt diesseits der politischen Toleranzgrenze, so daß die politische Botschaft lautet, daß auch die Haushaltsberatungen in schwieriger Zeit die operative Substanz von Bildung, Forschung und Technologie in Deutschland erhalten haben.
Alle von uns vorgenommenen Einsparungen haben wir für Schwerpunktsetzungen in anderen Bereichen verwendet, zum Beispiel für die Steigerung der Investitionen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Ich gewinne manchmal den Eindruck, als sei Bildung nur in Hochschulen zu erreichen. Ich glaube aber, daß wir die berufliche Bildung - der Kollege
Schanz hat vieles dazu gesagt - politisch ein wenig Untergewichten. Weiterhin haben wir in die Raumfahrttechnologie investiert. Arbeitsplätze in neuen Technologien entstehen nicht dadurch, daß man sie verhindert, wie es beispielsweise durch die Forderung der Opposition geschieht, die Mittel für den Transrapid zu streichen, sondern Arbeitsplätze in neuen Technologien entstehen dann, wenn man bereit ist, diese neuen Technologien in der Markteinführungsphase zu unterstützen.
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Insgesamt läßt sich feststellen, daß wir den Anteil der Investitionen per Saldo um 23 Millionen DM gestärkt haben. Dies war in den Haushaltsberatungen auch unser politisches Anliegen.
Deswegen wehre ich mich entschieden gegen die Behauptungen in Zeitungsmeldungen, dieser Etat werde gekürzt und müsse daher aufgestockt werden. Diese Forderungen entbehren zumindest einer sachlichen Grundlage.
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In den Haushaltsberatungen hatte besondere Aufmerksamkeit die finanzielle Ausstattung von DFG und MPG gefunden. Der Bundeskanzler hat vor ungefähr acht Jahren diesen beiden Forschungsinstituten einen jährlichen Aufwachs von fünf mal 5 Prozent zugesagt. Die Zusage des Bundeskanzlers wurde insoweit übererfüllt, als daß wir einige Jahre länger einen Zuwachs von 5 Prozent bei DFG und MPG haben.
Im Bereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft geben wir knapp 600 Millionen DM für den Betrieb aus, im Bereich der Max-Planck-Gesellschaft 615 Millionen DM. Hinzu kommen die Investitionsmittel und die Länderanteile. Wenn ich das Wort noch einmal verwenden darf: Dies sind die Megainstitutionen von Forschung in Deutschland. Sie sind hervorragend ausgestattet. Im Vergleich zu den verfügbaren Mitteln im Haushaltsjahr 1997, also unter Berücksichtigung des Nachtrags, liegt die Mittelsteigerung trotzdem noch bei 5 Prozent.
Diese leichte Korrektur der Etatansätze, die wir in den Haushaltsberatungen durchgeführt haben, erfolgte in der ersten Lesung im übrigen mit Zustimmung der SPD, der F.D.P. und selbstverständlich auch der CDU/CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen. Bei DFG und MPG wird weiterhin eine Priorität unserer Forschungspolitik liegen. Wer in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann unter finanziellen Gesichtspunkten eine so erfolgreiche Bilanz ziehen wie DFG und MPG, die weit über fünf Jahre jeweils mit einem Zuwachs von 5 Prozent bedacht worden sind?
Es wird auch die Frage sehr oft diskutiert: Ist der Haushalt des Forschungsministers besser oder schlechter behandelt worden als andere Etats? Weil es zu Irritationen führt, will ich einmal deutlich machen, wie die Plafondveränderungen in den anderen Etats sind. Auswärtiges Amt: minus 1,4 Prozent, FiSteffen Kampeter
nanzen: minus 0,2, Wirtschaft: minus 2,2 Prozent, Landwirtschaft: minus 2,2 Prozent - wir sind halt sparsam in vielen Bereichen -, Verkehr: minus 3,4 Prozent, Gesundheit: minus 1,0 Prozent, Familie und Senioren: minus 2,2 Prozent, Bildung und Forschung: plus 0,7 Prozent.
Das ist eine wirklich respektable Leistung. Da muß sich keiner verstecken. Was die Ausgabemöglichkeiten in der Zukunft angeht - wir sprechen in diesem Zusammenhang von Verpflichtungsermächtigungen -, haben wir gerade für wichtige Zukunftsbereiche im Rahmen der Haushaltsberatungen noch einmal nachgelegt.
Wir haben in den Beratungen sehr sorgsam die Vorschläge der Opposition geprüft. Einige Beispiele, an denen deutlich wird, weshalb wir ihnen im großen und ganzen nicht gefolgt sind: Die Opposition fordert den Ausstieg aus der öffentlichen Kofinanzierung des Transrapids. Wir wollen diese Technologie und halten die sparsam bewirtschafteten Mittel im Einzelplan 30, aber auch im Verkehrsetat für richtig.
Die Opposition, insbesondere Bündnis 90/Die Grünen, wollen den Ausstieg aus der bemannten Raumfahrt. Wir halten diesen Technologiebereich zukünftig für strategisch sehr wichtig und halten deshalb an unserem Ansatz fest.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schanz, Herr Abgeordneter Kampeter?
Gerne, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Kampeter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Ablehnung meiner Fraktion, die ich zu begründen hatte, sich ausschließlich darauf bezog, die Finanzierung der Markteinführung im Forschungsetat vorzunehmen? Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie jetzt vortragen. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
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Herr Kollege Schanz, man muß bei seinen Anträgen natürlich das politische Ergebnis sehen.
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Das politische Ergebnis wäre - wenn wir die Finanzierungsvereinbarungen mit der Industrie staatlicherseits aufkündigen -, daß wir das Projekt Transrapid gefährden. Deswegen kann man nicht so blauäugig argumentieren wie Sie hier. Sie sagen: Im Prinzip sind wir nicht dagegen. Aber die tatsächliche Folge Ihrer Politik wäre eine einseitige Aufkündigung der
staatlich garantierten Teilfinanzierung dieses Projekts.
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Damit würde der Transrapid gefährdet werden. Das ist der zentrale Unterschied zwischen der Opposition und der Koalition. Sie wollen dieses Projekt gefährden. Wir wollen und werden es durchsetzen, weil es gut ist für unsere Zukunft und weil es gut ist für Deutschland.
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Liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf abschließend darauf hinweisen, daß zur konkreten hochschulpolitischen Situation abseits des Antrages zum Hochschulbau von der SPD konzeptionell keine irgendwie erkennbaren Vorschläge vorhanden sind.
Es gibt - wie in vielen anderen Bereichen, in denen man diese Regierung nicht unterstützen möchte, was ich nicht nachvollziehen kann - kein politisches Alternativkonzept der SPD im Hochschulbereich. Daher kann ich aus innerer Überzeugung und mit guten sachlichen Argumenten sagen: Wir werden dem Einzelplan 30 zustimmen, weil er für die Zukunft unseres Landes eine solide Basis ist und die Politik von Bundesminister Rüttgers aktiv unterstützt.
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Herr Abgeordneter Tauss, bevor ich Ihnen das Wort zu einer Kurzintervention gebe, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß es unparlamentarisch ist, Kollegen als Feiglinge und Schwätzer zu bezeichnen.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, da ich den Kollegen als Feigling und Schwätzer bezeichnet habe, möchte ich darauf hinweisen, daß es mir im wesentlichen darum gegangen ist, ihn davor zu bewahren - da er kneift, Antworten zu geben, und sich weigert, Fragen entgegenzunehmen, und auf Grund von Reden, wie er sie gehalten hat - öffentlich tatsächlich als Schwätzer und Feigling empfunden zu werden. Ich denke, das sollten wir uns alle miteinander nicht antun.
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Ich beziehe mich auf den Punkt, an dem der Kollege darauf hingewiesen hat, daß die Hochschulen in diesem Lande in einem bedenklichen Ausmaß unterfinanziert seien und die Studierenden in diesem Lande aus diesem Grunde zu Recht demonstrieren würden. Ich denke, diese Demonstrationen sind in der Tat berechtigt. Aber ich denke, es ist ein Höchstmaß an Geringschätzung dieser Studierenden, wenn
ausgerechnet Herr Rüttgers sich hier vorne hinstellt und Verständnis äußert, da es, lieber Kollege Kampeter, doch gerade dieser Bundesforschungsminister bzw. diese Bundesregierung ist, die nach meiner Kenntnis mit mehr als 1 Milliarde DM bei den Ländern im Hochschulbau in der Kreide steht. Da die Länder diese Beträge für die Bundesregierung vorschießen müssen, die nicht mehr in der Lage ist, ihren Verpflichtungen nachzukommen, können sie ihrerseits nicht mehr das für die Schulen und Hochschulen tun, was sie als Länder eigentlich tun müßten und auch gern tun würden.
Daher schlage ich vor, Kollege Kampeter: Sorgen Sie dafür, daß diese Bundesregierung solide arbeitet, damit diese Milliarde an die Länder überwiesen wird und die Schulden beglichen werden. Dann werden die Studierenden in diesem Lande ein Aufbruchsignal von dieser Bundesregierung erhalten und nicht ein weiteres Signal, daß Sie Bildung und Forschung in diesem Lande zugrunde richten und letztlich kein Interesse dafür haben, so wie es in den letzten Jahren bei Ihnen tatsächlich der Fall war.
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Herr Kollege Kampeter, Sie können antworten. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die persönlichen Anmerkungen des Kollegen Tauss angeht, so verzichte ich auf eine Entgegnung; denn ich würde mich der Gefahr aussetzen, gleichermaßen unparlamentarisch zu entgegnen.
Ich möchte anmerken, daß im Bereich der Hochschulfinanzierung 90 Prozent der erforderlichen Mittel von den Ländern aufzubringen sind und nur 10 Prozent vom Bund. Man kann natürlich eine politische Diskussion darüber führen, ob der Bund dazu da ist, die Hochschulaufgaben, die den Ländern von der Verfassung zugewiesen sind, zu erledigen. Darüber kann man im Einzelfall reden. Wir haben dafür das Instrument der Gemeinschaftsaufgabe, im Rahmen derer wir politisch und finanziell Unterstützung leisten können. Aber den Versuch, Herr Kollege Tauss, den Sie hier unternehmen, nämlich die miese Situation bei der von den Ländern verantworteten Hochschulausstattung auf den Bund abzuwälzen, weise ich entschieden zurück.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Elisabeth Altmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kampeter, Sie von der Regierungskoalition sind doch verantwortlich dafür, daß protestiert wird. Suchen Sie doch keine anderen Sündenböcke.
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Fragen Sie doch einmal die Studierenden, was sie von Ihrer Politik halten. Warum wollen Sie denn jetzt die Verantwortung an die Länder delegieren?
Ich möchte noch etwas zu den scheinbar idealen Bedingungen in Bayern sagen. In Bayern ist zum Beispiel der Schlüsselbereich Personalstruktur noch nicht angegangen worden. Ein überkommenes Beamtenrecht wird dort weitergepflegt.
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Es findet dort keine Stärkung der Positionen der Frauen an den Hochschulen statt. Außerdem wird die verfaßte Studierendenschaft nicht eingeführt.
Das war nur ein Ablenkungsmanöver von Ihnen, Herr Kampeter. Studentinnen und Studenten streiken nämlich bundesweit: in Köln, Bonn, Regensburg, Frankfurt, Kiel, Berlin und München. In vielen anderen Hochschulstädten weiten sich die Proteste aus.
Die Situation an den Hochschulen ist katastrophal: Die Seminare platzen aus den Nähten, Bibliotheken sind auf dem Stand von gestern, naturwissenschaftliches Gerät ist auf dem Stand von vorgestern, und der Putz an deutschen Hochschulen bröckelt ab.
Allein beim Hochschulbau fehlen nach Berechnungen des Wissenschaftsrats 1,7 Milliarden DM im Jahr. Auch das BAföG, das Sie, Herr Minister, in seiner jetzigen Form zu verantworten haben, hat ausgedient. Der Anteil der BAföG-Studentinnen und -Studenten ist von 45 Prozent im Jahr 1972 auf heute nur noch 16 Prozent zusammengeschrumpft. Chancengleichheit in der Bildungspolitik fehlt.
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„Bildung für alle oder Krawalle" tönt es deshalb an den deutschen Hochschulen. Wir vom Bündnis 90/ Die Grünen fordern mit den Studentinnen und Studenten die längst überfällige BAföG-Reform. Sie, Herr Rüttgers, sagen zwar sehr öffentlichkeitswirksam klipp und klar: Ich will eine BAföG-Reform. - Doch die Zeit zum Reden ist vorbei. Lassen Sie den Worten nun Taten folgen. Dafür sind Sie zuständig. Gute und ausgewogene Modelle gibt es. Also handeln Sie!
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Auf 950000 Studienplätzen gibt es 1,9 Millionen Studierende. Das heißt, jeder Platz ist doppelt besetzt. Das ist das Ergebnis der falschen Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. Der Haushalt steigt gegenüber 1997 nur um 0,9 Prozent. Das heißt, nicht einmal die Preissteigerung wird ausgeglichen. Wo Sie, Herr Zukunftsminister, in die Zukunft investieren müßten, da sparen Sie. Das ist ein Armutszeugnis der Bundespolitik.
Elisabeth Altmann ({4})
Sie, Herr Westerwelle - so las ich gestern abend -, forderten bei 14,95 Milliarden DM dieses Etats: Die F.D.P. will sich für die Aufstockung des Forschungsetats einsetzen. Ziel sei, eine 15 vor dem Komma zu erreichen. - Diese Forderung hatte doch lediglich Alibifunktion.
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Schon heute früh las ich, daß Sie durch Ihren Parteivorsitzenden zum Ankündigungsabgeordneten geworden sind.
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Notwendig ist eine Offensive für Bildung und nachhaltige Forschung. Dazu muß man den Etat ganz deutlich aufstocken, nicht nur so minimal, wie Herr Westerwelle es vorgeschlagen hat. Wir fordern deshalb eine Aufstockung erstens für den Hochschulbau um 300 Millionen DM, zweitens für die Förderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den neuen Bundesländern, drittens eine Erhöhung der Zuschüsse an die Studentenförderungswerke um 10 Millionen DM und viertens das bündnisgrüne Sofortprogramm auf Bundesebene für die Hochschulen. Für diese vier Aufgaben muß zusätzlich eine Milliarde DM in den Bundeshaushalt eingestellt werden.
Zukunftsfähigkeit bedeutet auch lebenslanges Lernen. Dazu bräuchten wir die entsprechenden Bildungsangebote. Was passiert aber? - Wir müssen in diesem Jahr eine Kürzung von 11,8 Prozent verkraften. Dabei bräuchten wir für die berufliche Bildung mehr Einsatz.
Ich will der Regierung sagen, wo sie sparen kann. Reduzieren Sie die enormen Kosten für die Endlagerforschung. Subventionieren Sie die Atomindustrie nicht mehr unter dem Deckmantel der Hochschulbaumittel; denn der überflüssige und gefährliche Forschungsreaktor München-Garching II wird von Ihnen mit 27 Millionen DM erneut aus dem Hochschuletat subventioniert.
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Stoppen Sie die unnütze Entwicklung des Fusionsreaktors in Wendelstein 7 X. Was Sie da machen, ist Ressourcenverschwendung. Ersparen Sie uns die unsinnigen Kosten der bemannten Raumfahrt. Bis zum Jahr 2004 betragen diese 2,4 Milliarden DM. Die bemannte Raumfahrt und die Raumstation Alpha sind Relikte des kalten Krieges. Zu der jetzigen russischen Schrottraumstation gesellt sich sonst in einigen Jahren ein deutscher Milliardenschrott.
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Streichen Sie die 10 Milliarden DM für die Entwicklung des verkehrspolitisch sinnlosen Transrapids.
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95 Millionen DM davon finden sich im Bildungs- und Forschungshaushalt. Der einzige Nutzen ist die Gewinnmaximierung einiger Großkonzerne.
Zu Recht sind die Menschen über das milliardenschwere Kuckucksei Eurofighter erbost. Mit dem Verzicht auf dieses sinnlose Rüstungsprojekt sind die Hochschulen vollständig zu sanieren,
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und zwar auf dem modernsten Stand und über Jahre hinweg. Das bringt Arbeitsplätze!
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Was ist gefordert? - Eine Wende in der Politik ist nötig. Bildung und Forschung haben sich nach sozialen und ökologischen Kriterien auszurichten. Das ist Zukunftspolitik. Aus vielen unserer entscheidenden Änderungsanträge greife ich nur einen aus dem Bereich Forschung heraus: Der Etat für erneuerbare Energien ist um 250 Millionen DM zu erhöhen. Wir wollen eine nachhaltige Ressourcentechnik. Wir wollen Photovoltaik, Windenergie und Kraft-WärmeKopplung. Das sind Zukunftstechnologien, die wir fördern müssen.
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Setzen und erreichen wir Ziele in Richtung einer sozialverträglichen und ökologischen Gesellschaft! Machen wir ernst mit dem Umbau der Industriegesellschaft! Stimmen Sie unserer Bildungsoffensive zu!
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Guido Westerwelle, F.D.P.-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber kabarettistischer Kollege! Die Debatte über den Haushalt des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie findet vor dem Hintergrund anhaltender Studentenproteste statt. Wer die Situation an den deutschen Universitäten kennt, muß sich wundern, daß die Studenten erst jetzt die Geduld verlieren.
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Seminare und Vorlesungen werden wegen Überfüllung geschlossen, Lernmittel sind häufig nicht mehr auf dem Stand der Zeit. Diese Unterfinanzierung und die Überfüllung der Universitäten sorgen seit
Jahren für eine längere Studiendauer und auch für schlechtere Studienabschlüsse.
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Vor 30 Jahren ging es um den Zugang zu den staatlichen Bildungseinrichtungen für alle, und zwar unabhängig von der sozialen Herkunft. Dahinter steckte der Gedanke „Bildung als Bürgerrecht" und damit auch die Erkenntnis, daß die Talente eines Volkes nur dann sinnvoll genutzt werden können, wenn alle aus dem Volk durch eigene Leistungen Zugang zu den Bildungseinrichtungen erhalten können. 30 Jahre nach „Bildung als Bürgerrecht" droht eine neue Form eines sozialen Numerus clausus: Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder für einige Zeit auf ausländische Universitäten. Die anderen müssen mit zum Teil weniger Qualität und dafür auch noch längeren Studienzeiten zufrieden sein.
Herr Abgeordneter Westerwelle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tauss?
Nein, wirklich nicht.
Gilt das für Ihre gesamte Rede?
Nein, das gilt für den Kollegen.
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Ich glaube mit allem Ernst, das Entscheidende - ({1})
- Die Kollegin möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich gestatte es sehr gerne.
Bitte schön, Frau Kollegin Odendahl.
Herr Kollege Westerwelle, darf ich Sie jetzt in aller Form fragen, wo denn, nachdem Sie die Situation des Bildungswesens hier richtig und ausführlich vorgetragen haben, die angekündigten Anträge der F.D.P. zur Abschaffung dieser Mißstände bleiben? Oder muß ich davon ausgehen, daß bei der F.D.P. inzwischen auch das Papier knapp geworden ist?
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Warten Sie bitte zunächst noch einen kleinen Augenblick. Ich werde im Laufe meiner Rede darauf zu sprechen kommen.
Ich finde es, offen gestanden, schon ziemlich dreist, wie Sie hier im Deutschen Bundestag Mißstände in der Bildungspolitik vor der Tür des Bundes abladen, aber in Ihren eigenen Landesregierungen, zum Beispiel bei der rot-grünen Landesregierung in
Hessen, kürzen, was das Zeug hält. Dort machen Sie die wilde Sau, und hier markieren Sie den starken Mann.
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Sie haben in den letzten Jahren allein in Hessen auf dem Gebiet der Forschung und Lehre um 43 Millionen DM, das sind 25 Prozent, gekürzt. Sie kürzen bei den Universitäten in Marburg, Gießen und Frankfurt. Sie kürzen um 6, 7 und 10 Millionen DM und wundern sich, daß die Studenten auf die Straße gehen.
Sie, liebe Frau Kollegin von den Grünen, sagen, das Geld müsse mehr für die Zukunft eingesetzt werden. Aber als es darum ging, in der Vergangenheit Subventionen zu kürzen, da haben Sie über Nacht alle Beschlüsse bezüglich der Steinkohle über Bord geworfen, damit Herr Fischer vorne auf den Barrikaden stehen konnte! Das ist doch in Wahrheit die Politik, die Sie hier machen.
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Herr Abgeordneter, es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage.
Ich beantworte keine weiteren Zwischenfragen. Die Kollegen können sich nachher zu einer Kurzintervention melden. Ich will mit meinem Konzept fortfahren.
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Sie gestatten also keine weiteren Zwischenfragen?
Ja.
Vielleicht erinnern Sie sich einmal daran, daß 90 Prozent der Verantwortung im Hochschul- und Bildungsbereich bei den Ländern liegen. 10 Prozent liegen beim Bund. Sie tun hier so, als seien Sie die Unschuld vom Lande. Rotgrün ist in Wahrheit ein Totengräber für die Bildungspolitik in diesem Lande.
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Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, daß Sie reden und wir handeln.
Ich möchte Ihnen mitteilen: Die Koalition hat beim Präsidium des Deutschen Bundestages einen entsprechenden Entschließungsantrag eingereicht. Der . Bund erklärt seine Bereitschaft zu einer einmaligen Aktionshilfe mit einem Bundesanteil von 40 MillioDr. Guido Westerwelle
nen DM für ein Hochschul- und Bibliotheksprogramm der Länder.
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Auf der Grundlage einer hälftigen Finanzierung werden die entsprechenden Bundesministerien gebeten, mit den Ländern Verhandlungen aufzunehmen. Über das Ergebnis soll dem Deutschen Bundestag umgehend berichtet werden.
Wir Freien Demokraten begrüßen den Beschluß der Koalition, den Ländern Gespräche über eine Aufstockung der Mittel für die Universitätsbibliotheken anzubieten. Die Lernmittel an den Universitäten müssen verbessert werden. Wir begrüßen als Freie Demokraten ausdrücklich die Bereitschaft des Bundes, hier den Ländern ein hälftiges Finanzierungsangebot zu machen.
Wir sind der Meinung, daß konkrete Hilfen und nicht irgendwelche schönen Parolen auf den Barrikaden der richtige Weg sind. Wir sind der Meinung, daß unsere Hochschulen und damit Bildung und Wissenschaft in Deutschland unser wichtigstes Kapital sind. Wer Bildung und Wissenschaft vernachlässigt, der vernachlässigt die Zukunft.
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Deshalb haben wir als F.D.P. darauf gedrungen, daß die entsprechenden Mittel aufgestockt werden.
Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion bedanken. Ich weiß, daß das vom Verfahren her nicht leicht gewesen ist. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, daß Sie diesem Sonderprogramm zugestimmt haben. Ich glaube, daß jede Mark, die über dieses Sonderprogramm investiert wird, eine gut angelegte Mark für die Zukunft der jungen Generation ist.
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Damit können wir, wenn die Länder jetzt ihren Verpflichtungen nachkommen, die Mittel für die Lehre an den Universitäten um insgesamt 80 Millionen DM erhöhen. Das ist ein stattlicher Betrag, mit dem man wirtschaften kann. Das ist für viele Studenten eine gute Nachricht, die zu Recht auf die Mißstände hinweisen. Ich denke, daß hier die Bundespolitik einen wichtigen Beitrag dafür leistet, daß wir in Deutschland weiterhin den Vorsprung vermarkten können.
Nichts ist so schnell weg wie der Vorsprung. Dafür sorgen schon die anderen. Deswegen ist es wichtig, daß dieses Land im Bereich der Bildung, der Wissenschaft, der Forschung und der neuen Technologien durch mehr Investitionen in die Bildung und weniger Subventionierung von Strukturen der Vergangenheit konkurrenzfähig bleibt. Wir appellieren an die Länder, diesen Weg der Koalition mitzugehen.
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Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß nicht die Proteste überraschen, sondern aus Sicht der
F.D.P. überrascht die Geduld, mit der die Situation an den deutschen Universitäten bislang ertragen wurde. Die Hochschulrektoren haben ebenfalls ihr Verständnis für die Proteste geäußert. Die Kürzungs- und Streichungspolitik der Länder bei den Hochschulen sei kurzsichtig und nicht vertretbar, sagte gestern der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Mit Blick auf den geplanten Protestmarsch nach Bonn am Donnerstag erklärte er, Bonn sei die falsche Adresse. Er schrieb ausdrücklich den Ländern die hauptsächliche Verantwortung für die finanzielle Misere der Hochschulen zu.
Darüber läßt sich trefflich streiten. Entscheidend ist, daß jetzt gehandelt wird. Wir handeln und laden Sie ein, jetzt bei den Regierungen in den Ländern, wo Sie Mitverantwortung tragen, dafür zu sorgen, daß das Sonderprogramm für die Universitäten durchgesetzt werden kann.
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Ich glaube, daß einer der wesentlichsten Aspekte in der Bildungspolitik die Verkürzung der Ausbildungszeiten in diesem Lande ist. Die Studenten haben viele Inhalte vorgetragen. Einiges wird man nicht teilen. Zu einigen Elementen müssen wir Widerspruch anmelden; da muß man miteinander diskutieren. Aber unter dem Strich ist das Anliegen berechtigt, daß die Situation an den Hochschulen, an den Universitäten verbessert werden muß, aber nicht nur dort. Wir haben ebenso einen notwendigen Reformbedarf an den Schulen selbst.
Wenn wir alle meinen, daß die Verkürzung der Ausbildungszeiten notwendig ist, dann sagen wir als Freie Demokraten der Kultusministerkonferenz: Es wäre doch wohl sehr viel wichtiger, jetzt eine Bildungsreform durchzusetzen, als Kraft und Kapazität an eine Rechtschreibreform zu vergeuden.
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Weniger wichtig als die Frage, ob man „Schiffahrt" mit zwei oder drei f schreibt, scheint die Frage der Bildungsreform ja wohl nicht zu sein. Wir sind der Meinung, daß eine Rechtschreibreform nicht halb so wichtig ist wie die Verkürzung der Ausbildungszeiten in diesem Lande.
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Denn wenn die Studenten im Durchschnitt ein Berufseintrittsalter von 28 Jahren haben, dann zeigt das, daß wir im europäischen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig sind, zum Beispiel im Vergleich mit Absolventen in Frankreich und Großbritannien. Das hängt auch mit der schlechten Ausstattung bei uns zusammen.
Aber wir stellen auch an die Länder die Frage, warum nach der deutschen Einheit, wenn sich alle darüber einig sind, daß die Verkürzung der Ausbildungszeiten erfolgen muß, das Modell „Abitur nach 13 Jahren" vom Westen in den Osten gebracht
wurde, statt das Modell „Abitur nach 12 Jahren" vom Osten in den Westen zu bringen.
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Sie könnten in Ihren Landesregierungen vor Ort initiativ werden.
Wir sagen als Freie Demokraten, wir sagen als Koalition: Dieser Etat ist der einzige Etat, der real wächst. Der einzige Etat, der wächst, ist der Etat für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
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Wir haben jetzt noch einmal das Angebot gemacht, etwas draufzulegen. In Zeiten knapper Kassen ist das ein beachtlicher politischer Vorgang. Wir appellieren jetzt an die Opposition, in den von ihr regierten Ländern hieran mitzuwirken.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt den Wunsch nach zwei Kurzinterventionen. Diese fassen wir zusammen. Dann kann der Abgeordnete Dr. Guido Westerwelle antworten. Zuerst Frau Bulmahn und dann Frau Altmann.
Herr Kollege Westerwelle, die Schaumschlägerei, die Sie hier an den Tag legen, schlägt wirklich dem Faß den Boden aus.
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Diese Bundesregierung - Sie vertreten die Partei, die in den letzten 30 Jahren 27 Jahre an der Bundesregierung beteiligt war - hat in den letzten zehn Jahren die Ausgaben für Bildung und Forschung systematisch gekürzt. Dieser Haushalt ist seit 1982 real nicht mehr gestiegen. Sie haben im Jahre 1996 fast 1 Milliarde DM in diesem Haushalt gekürzt.
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Sie stellen sich hier hin und tun so, als ob Sie Ihrer Verantwortung auch nur einen Hauch gerecht geworden wären. Scheinheilig bis zum Erbrechen, kann ich dazu nur sagen.
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Ich finde, daß Ihre Aussagen heute eine absolute Unverschämtheit sind, weil Sie die Anträge, die wir hier gestellt haben, über Jahre immer wieder abgelehnt haben. Sie haben unsere Anträge zur Aufstokkung des Bildungs- und Forschungshaushalts abgelehnt. Wir haben beantragt, daß die Ausgaben für den Hochschulbau gesteigert werden, weil wir alle wissen, daß das einer der Schlüssel für eine Verbesserung der Studienbedingungen an den Hochschulen ist. Sie haben diese Anträge auf Steigerung der Mittel abgelehnt. Die Bundesländer haben gesagt, sie seien zur Gegenfinanzierung bereit, sie machten
das mit. Diese Bundesregierung war es, die sich verweigert hat, die blockiert hat und die verhindert hat, daß die Hochschulbaufrödermittel entsprechend aufgestockt worden sind.
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- Unser Antrag liegt vor. Wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, die Anträge zu lesen, dann kann ich nur sagen: Das sagt viel über Sie aus. Sie gehören heraus aus dem Parlament!
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Wir haben von seiten der Länder und der SPD einen vernünftigen Vorschlag zur Reform des BAföG vorgelegt. Wenn Sie auf das hohe Alter beim Eintritt in das Berufsleben verweisen, dann frage ich mich wirklich: Was ist das für eine heuchlerische Partei,
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die zunächst einmal großartig ankündigt, daß sie zu einer Reform des BAföG bereit ist, dann aber den Schwanz einzieht und einen Rückzieher macht? Dazu kann ich nur sagen: typisch F.D.P.! Nichts anderes kann man von Ihnen erwarten.
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Herr Guttmacher, ich muß Ihnen sagen: Wir haben im Ausschuß mehrfach darüber diskutiert. Sie haben gesagt, daß Sie bereit sind, eine Strukturreform des BAföG mitzumachen. Bis jetzt haben Sie nichts gemacht. Bis jetzt reden Sie nur groß, und es ist nichts dahinter. So ist das bei Ihnen.
Frau Kollegin Bulmahn, ich darf Sie kurz unterbrechen. Wir wollen uns doch ein wenig mäßigen und miteinander diskutieren. Dann bringt das auch mehr.
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Frau Geiger, wie es in den Wald hineinschallt, so kommt es wieder heraus. Wenn hier in einer Art und Weise - ich kann es fast nicht anders sagen - an der Wahrheit nicht nur vorbeigekurvt wird, sondern wirklich frontal anderes gesagt wird, als es der Wahrheit entspricht, dann muß man das auch richtigstellen. Ich bin nicht bereit, das einfach hinzunehmen.
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Jetzt ist die Zeit für die Kurzintervention abgelaufen.
Wenn Sie verschweigen, daß die SPD vorgeschlagen hat, das Hochschulsonderprogramm auf 4,6 Milliarden DM aufzustocken - die Länder waren bereit, das mitzumachen -, und die Bundesregierung sich verweigert, dann ist das
Schlichtweg nicht mehr nur heuchlerisch, es ist einfach unwahr, was Sie, Herr Westerwelle, hier sagen.
Ein letzter Satz: Sie haben verschwiegen, daß die Bundesländer in den Jahren 1992 bis 1996 - das sind Zahlen, die dem BLK-Bericht, dem Bundesregierung und Länder zugestimmt haben, entnommen wurden - ihre Ausgaben um 20 Prozent gesteigert haben, der Bund seine Ausgaben jedoch um 2,3 Prozent gekürzt hat. Das macht deutlich, wo die Hauptverantwortung für die Misere an den deutschen Hochschulen liegt, nämlich auf Ihrer Seite.
({0})
Zur vorerst letzten Kurzintervention Frau Altmann, dann kann Herr Westerwelle antworten. Dann wollen wir den geregelten Gang der Debatte fortsetzen.
Herr Westerwelle, das einzig Ernsthafte, das ich Ihnen abnehmen würde, wäre, wenn Sie heute sagten, Sie wollten den Unfug der Senkung des Solidaritätszuschlags lassen, und zwar zugunsten von Forschung und Lehre. Das wäre eine Aussage.
({0})
Kollege Westerwelle, Sie können doch nicht so tun, als wären Sie Ihre eigene Opposition. Ihre Partei sitzt seit 27 Jahren in der Regierung und schiebt den schwarz-gelben Peter immer anderen zu. Sie werden selber darauf sitzen bleiben; denn Sie sind zuständig.
Der Bund ist für das Hochschulbauförderungsgesetz und für das BAföG zuständig. In den letzten Jähren wurde das BAföG immer weiter heruntergewirtschaftet: in den Jahren 1992 bis 1996 von 3 Milliarden DM auf 1,7 Milliarden DM. Selbst Studierende aus einkommensschwachen Familien können heute kein BAföG mehr beziehen, sie müssen jobben.
Herr Westerwelle, Sie sprachen gerade einen Änderungsantrag an. Wo ist der Änderungsantrag, und wie sieht die Erhöhung darin aus? Oder sind das nur Luftblasen? Es liegt nichts Schriftliches vor. Ich hätte daher gern gewußt, um was es sich ganz konkret handelt.
({1})
Bitte schön, Herr Westerwelle.
({0})
Verehrte Kollegen! Ich will mit dem Solidaritätszuschlag anfangen. Ich freue mich über die große Aufmerksamkeit und die temperamentvollen Reaktionen von der Opposition, die die Nachricht verursacht hat. Man freut sich immer wieder, wenn man mit seinen Reden bei der Opposition auf so fruchtbaren Boden fällt.
Das zweite ist, mit allem Ernst gesagt: Frau Kollegin, wenn Sie meinen, daß es eine seriöse Bildungspolitik wäre, Bildungsinvestitionen vorzuschlagen und damit auf eine Steuersenkungspolitik zu verzichten, nehmen Sie den jungen Leuten, die an den Universitäten studieren, die Chance, später einen Arbeitsplatz zu finden.
({0})
Wir brauchen eine Steuersenkungspolitik, damit wieder investiert wird und damit vor allen Dingen auch junge Menschen wieder Arbeit finden. Wir wissen, daß eine Steuersenkungspolitik auch geeignet ist, die Staatseinnahmen zu konsolidieren, wie das viele Nachbarländer getan haben.
({1}) Soviel zum Soli-Zuschlag.
Dann haben Sie gesagt - die Chuzpe, mit der Sie das vortragen, ist wirklich bemerkenswert -, Sie geben die Verantwortung beim Bund ab. Ich bestreite überhaupt nicht, daß es im Rahmen von Parlamentsberatungen nicht immer wieder da oder dort Korrekturbedarf gibt. Das ist der Sinn, warum wir Abgeordnete im Parlament sitzen. Aber ich muß Ihnen dazu sagen: Wenn man wie Sie in den Ländern die Regierungsverantwortung trägt, die einen Kürzungsterror zu Lasten der Studenten veranstalten, würde ich an Ihrer Stelle kleinere Brötchen backen.
({2})
Sie streichen die Mittel für die Universitäten. Zunächst gingen die Demonstrationen in Hessen und in Sachsen-Anhalt los. Dort sitzen Sie mit in der Regierung und haften für den Unsinn, der dort gemacht wird. Jetzt wünschen Sie sich im Grunde genommen, daß den Studenten nicht auffällt, daß Bildungspolitik in erster Linie Ländersache ist. Diese Rechnung geht nicht auf. So dumm sind die deutschen Studenten ganz gewiß nicht.
({3})
Im übrigen möchte ich Ihnen sagen: Wenn Sie doch der Meinung sind, daß für Bildung und Wissenschaft mehr getan werden muß, biete ich Ihnen erneut an, ich fordere Sie geradezu auf, dem Antrag, den die Koalitionsfraktionen beim Präsidium des Deutschen Bundestages eingereicht haben und der selbstverständlich in dritter Beratung zur Entscheidung gestellt wird - wie das in unserem parlamentarischen Verfahren üblich ist -, zuzustimmen. Wenn Sie der Meinung sind, daß hier mehr passieren soll, reden Sie sich nicht aus Ihrer Verantwortung heraus. Gehen Sie zurück in Ihre Landesregierungen, rufen Sie bitte gleich bei Herrn Lafontaine, Herrn Schröder und anderen Ministerpräsidenten an, und bitten Sie sie, ihrerseits diesem Sonderprogramm der Koalition zuzustimmen. Wenn Sie der Meinung sind, die Situation an den deutschen Hochschulen muß verbessert werden, haben Sie jetzt die Gelegenheit, durch konkretes Handeln zu beweisen, daß Sie es ernst meinen.
In Wahrheit sind Sie nur überrascht, daß in unserer Koalition so schnell eine Einigung möglich wurde. Das widerlegt alle Behauptungen, daß die Koalition in schwierigen Fragen nicht handlungsfähig wäre.
({4})
Wir sind handlungsfähig, und zwar zugunsten gerade dessen, was wir fördern müssen, nämlich zugunsten von Bildung und Wissenschaft. Das ist das größte Kapital, das unsere Gesellschaft hat. Denn von Rohstoffen werden wir bestimmt nicht reich.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt, PDS.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Tauss! Der vorliegende Haushalt ist - so schätzen wir ihn ein - unter anderem eine Bankrotterklärung gegenüber den Problemen, deretwegen die Studentinnen und Studenten in diesen Tagen auf die Straße gehen:
({0})
katastrophale Studienbedingungen, Austrocknung des BAföG, Einbeziehung der Hochschulen in den generellen Sozialabbau und eine Novelle des Hochschulrahmengesetzes, die diese Trends verstärkt.
Wir halten es für geheuchelt, wenn der Bildungsminister, der Kenner der Flora und Fauna, der Kollege Osterwellchen, und auch der Kollege Kampeter von berechtigten Forderungen der Studierenden sprechen und dabei mit dem Finger auf die Länder zeigen. Ihr Haushalt ist es doch, der den Verpflichtungen des Bundes bei der Finanzierung des Hochschulbaus und der Studienfinanzierung in keiner Weise gerecht wird.
Wir erklären uns an dieser Stelle ausdrücklich mit den Forderungen der Studierenden nach einer angemessenen Finanzierung der Hochschulen, nach einer elternunabhängigen, bedarfsdeckenden Ausbildungsfinanzierung und nach einer solchen Novellierung des HRG solidarisch, die den Weg zu einer demokratischen Hochschulreform öffnet.
({1})
Wohin die jahrelange Unterfinanzierung von Hochschule und Studium führt, kann an Hand der zunehmenden studentischen Protestaktionen ausgiebig studiert werden. Sehr geehrter Kollege Kampeter, fahren Sie mal nach Hessen und lesen Sie das, was die Studenten dort auf ihre Transparente geschrieben haben. Vielleicht geht Ihnen dann doch noch ein Licht auf.
({2})
Es hilft in dieser Situation gar nichts, mit sogenannten Strukturreformen Änderungen zu versprechen, wenn nicht gleichzeitig die notwendigen Mittel im Haushalt bereitgestellt werden. Am Beispiel BAföG wird deutlich, wie das laufen soll. Je länger der Einigungsprozeß in den damit befaßten Gremien dauert, um so geringer wird der Mitteleinsatz sein, über den überhaupt noch zu verhandeln sein wird. Dann werden unter dem Gesichtspunkt der Kostenneutralität Gesetzeskonstruktionen geschaffen, die den Mangel nur noch umschichten, was wiederum als großartiges „Reformwerk" verkauft werden wird. Favorit in dieser Diskussion ist im Moment offensichtlich das „Bayern-Modell". Warum wohl?
({3})
Weil damit wiederum Kosten gespart werden können, indem der Familienlastenausgleich für Studierende weiter belastet wird. Das ist eine Rechnung, die wir nicht mitmachen.
Es ist höchste Zeit, daß in der Politik andere Prioritäten gesetzt werden. Dazu gehört auch eine deutliche Erhöhung der Bildungsausgaben, die eine ausreichende staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen ebenso ermöglichten wie eine soziale Grundsicherung für Studierende.
({4})
Nur so kann die Diskussion über Studiengebühren wirkungsvoll beendet werden.
Meine Damen und Herren, in der Bewertung des gegenwärtigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zustandes der Bundesrepublik gibt es bei oberflächlicher Betrachtung einen deutlichen parteiübergreifenden Konsens. Bei genauerer Betrachtung
- dazu eignet sich die Diskussion über den Haushaltsentwurf in ihrer konzentrierten Form am besten
- sind die Wege, die man zum Zwecke der Veränderungen einzuschlagen gedenkt, doch sehr unterschiedlich und lassen oft wohlformulierte Absichten hinsichtlich ihrer monetären Hinterlegungen in einem anderen Licht erscheinen.
Bevor ich zu einzelnen Punkten unserer in Anträgen formulierten Kritik komme, will ich mich zu einigen Grundsätzen äußern. Für den Haushaltsentwurf hätte gelten müssen:
Erstens. Wirtschaftlichkeit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit sind gleichrangige Ziele staatlicher Wissenschafts- und Forschungspolitik.
Zweitens. Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte haben gegenüber rein betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweisen Vorrang.
Drittens. Die steigende Arbeitslosigkeit - und hier insbesondere die Arbeitslosigkeit von Frauen und jungen Menschen - ist als erstrangige Herausforderung zu begreifen.
Viertens. Im Bereich der Bildungspolitik sind geeignete Programme aufzulegen und mit ausreichenden Mitteln zu untersetzen, die nicht nur kurzfristig auf die jährlich wiederkehrende Ausbildungsmisere reagieren, sondern auf eine langfristige Lösung der Probleme abheben.
({5})
Fünftens. Die finanzielle Förderung der Zusammenarbeit in den Leitprojekten muß wesentlich stärWolfgang Bierstedt
ker auf die KMU konzentriert werden, da die Großindustrie über ausreichende Eigenmittel und eigene Forschung verfügt. Daß ich dabei im besonderen auf die ostdeutschen KMU verweise, hat nichts mit meiner Herkunft, wohl aber mit der tatsächlichen Situation in den ostdeutschen KMU zu tun.
Sechstens. Der andauernde Stellenabbau, die Abgabe von Mitteln aus der Grundfinanzierung sowie die Aufhebung von Verbindlichkeiten von Stellenplänen führen zwangsläufig zu einer Einschränkung des wissenschaftlichen Leistungsspektrums.
Siebtens. Die Auswahl der prioritären Themen in der Grundlagenforschung kann nicht allein über das Geld getroffen werden. Sie muß sich am gesellschaftlichen Bedarf orientieren.
Wissenschaft, Forschung und Bildung - darin einbezogen die Hochschulbildung - brauchen, wenn wir sie als gesellschaftsgestaltende Faktoren begreifen, darüber hinaus den breiten gesellschaftlichen Dialog, an dessen Endpunkt erst die gestaltende Politik stehen kann.
Mit diesem Haushaltsentwurf werden - zumindest in entscheidenden Passagen - mehr oder minder deutlich Lobbyisteninteressen vertreten, und dies zumeist zu Lasten von gesellschaftlich tatsächlich relevanten Themen. Am deutlichsten wird diese Tendenz, wenn wir folgenden Vergleich anstellen: Die Ausgaben für die Weltraumforschung und die Luftfahrtforschung werden locker auf eine glatte Milliarde DM aufgerundet, und der Transrapid wird finanziell nach wie vor erheblich gestützt. Dagegen werden die Titel, die ohnehin schon völlig unterbewertet sind, etwa Umwelttechnologien, Umweltforschung, erneuerbare Energien oder medizinische Forschung, zusammengestrichen. - Ich bin beim letzten Satz. Der ist ein bißchen lang, Frau Präsidentin.
Wir hatten dazu eine andere Schwerpunktsetzung, wie aus unseren Anträgen ohne weiteres zu ersehen ist. Zweifelsfrei erfordern unsere Anträge mehr Geld. Unabhängig davon, daß wir eine Einnahmeerhöhung des Staates, zum Beispiel über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, als machbar ansehen, halten wir auch die Möglichkeit einer Umverteilung im Haushalt im allgemeinen und im Einzelplan 30 im besonderen für zwingend notwendig.
Eine Bemerkung noch zu der Position der sicherheitsrelevanten Erdbeobachtung.
Aber das sind jetzt viele Sätze. Sie wollten doch den letzten Satz sprechen. Kommen Sie jetzt bitte zum Schluß!
Ja, gut, ein allerletzter Satz. - Herr Staatssekretär Neumann, Sie haben mir einen Brief zur sicherheitsrelevanten Erdbeobachtung geschrieben. Die Begründung, die Sie dort angeführt haben, können wir absolut nicht mittragen. Auch wenn Sie darauf verweisen, daß die Mittel für die sicherheitsrelevante Erdbeobachtung, die in diesem Haushalt aufgeführt sind, vom BMV getragen werden, hat diese Position in diesem Haushalt absolut nichts zu suchen. Entweder zivil - oder gar nicht!
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsplanberatungen sind - das wissen wir alle - ein schwieriges Stück Arbeit. Deshalb will ich meinen Beitrag beginnen mit einem Wort des Dankes für konstruktive Zusammenarbeit an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, insbesondere an die Berichterstatter für den Einzelplan 30.
Daß Haushaltsnplaberatungen ein schwieriges Stück Arbeit sind, hat die Rede des Kollegen Schanz heute sehr klargemacht. Lieber Kollege Schanz, im Verlauf der Debatte ist deutlich geworden, daß man aufpassen muß, daß solche Debatten nicht ritualhaften Charakter annehmen.
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Sie haben von seiten der SPD-Fraktion Anträge vorgelegt. Ich bin mir nicht ganz klar, mit welchem Inhalt. Zuerst belief sich das Volumen auf 449 Millionen DM; jetzt handelt es sich wohl, wenn ich das richtig mitbekommen habe, um 359 Millionen DM. Im Haushaltsausschuß haben Sie einmal für Anträge der Koalition gestimmt, in zweiter Lesung haben Sie dann dagegen gestimmt.
({1})
Ich will das alles gar nicht im einzelnen erläutern, sondern damit nur deutlich machen: Wenn man erst zustimmt und danach sagt, man habe das nicht so gemeint, sollte das zumindest vorsichtig stimmen und nicht dazu führen, daß man so starke Worte benutzt, wie Frau Bulmahn sie hier gefunden hat. Da muß man sich zunächst an die eigene Nase fassen.
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Der Kollege Schanz, mit dem ich - wie mit den anderen Berichterstattern auch - sehr sachlich und sehr gut zusammenarbeite, hat gesagt, das Ganze müsse in eine andere Politik führen. Lieber Kollege Schanz, vielleicht haben Sie nicht so genau hingesehen: Diese „andere Politik" betreiben wir seitens der Bundesregierung im Bereich von Forschung und Bildung seit drei Jahren.
({3})
- Hören Sie gut zu:
Seit zwei Jahren steigen die Patentanmeldungen rapide. Pro Kopf der Bevölkerung wird in keinem anderen Land so viel Neues angemeldet wie hierzulande. In der Biotechnologie stehen die DeutBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
schen mittlerweile weltweit auf Platz vier. In der Umwelttechnologie halten sie sowohl im Erfindungsreichtum als auch auf den Märkten eine glänzende Position. Die Kombination aus klassischen deutschen Stärken und neuer Technologie scheint sich zu bewähren, gerade auf den neuen Wachstumsmärkten. Besser statt billiger lautet das Erfolgsrezept.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie gerade gehört haben, stammt nicht von mir. Ich habe aus der Dezember-Ausgabe des „manager-magazins" vorgelesen. Ich glaube, dieser Artikel macht sehr deutlich, daß in diesem Land viel mehr passiert, als hier in den Debatten von seiten der Opposition vorgetragen wird,
({4})
macht deutlich, daß viel mehr Innovationen möglich sind.
Von Reformstau keine Spur! Ich brauche nur die vielen Punkte zu erwähnen, auf die wir stolz sein können.
Stichwort Risikokapital: Alleine 1996 konnten über unser BTU-Programm Kapitalbeteiligungen in Höhe von rund 300 Millionen DM vermittelt werden. Das war eine Steigerung von 240 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Inzwischen muß die Umsetzung einer Idee nicht mehr daran scheitern, daß kein Kapital für die Firmengründung vorhanden ist.
Stichwort Biotechnologie: Vor drei Jahren war in diesem Bereich absolute Sendepause. Heute sind wir das Land mit der weltweit größten Dynamik auf diesem Feld. Die Anzahl der Biotech-Firmen hat sich von 1995 auf 1996 verdoppelt, und sie wird sich - ich kann das sagen, obwohl das Jahr noch nicht zu Ende ist - von 1996 auf 1997 noch einmal verdoppeln. Forscher, die ins Ausland gegangen sind, kommen zurück; ausländische Firmen investieren wieder in Deutschland. Ich bin sicher, daß wir das von mir anvisierte Ziel erreichen, im Jahr 2000 die Nummer eins in Europa in der Biotechnologie zu sein.
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Stichwort Multimedia: Mit dem Multimedia-Gesetz haben wir nicht nur die besten Rahmenbedingungen geschaffen, sondern in einer Vielzahl von konkreten Punkten - mit Hilfe einer auch im Haushalt 1998 berücksichtigten Investition in Höhe von fast 1 Milliarde DM - Anwendungsfelder erschlossen, sei es in der Telearbeit, sei es in der Telemedizin, sei es im Teleservice, sei es mit dem Projekt „Schulen ans Netz", sei es durch Ausschreibung des Seniorenpreises. Überall gibt es ganz konkrete Verbesserungen - vor allem zugunsten des Mittelstandes -, die man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen sollte.
({6})
- Das tut Ihnen natürlich weh, das weiß ich.
Sie haben jahrelang gesagt: Es passiert nichts in bezug auf die Solarenergie. Jetzt plötzlich werden in Deutschland zwei Fabriken für die Produktion von
Solarzellen mit einer Kapazität von 40 Megawatt errichtet. Deutschland wird damit an der Spitze der Produktion in der Welt liegen. Das ist viel mehr wert als Ihr 100 000-Dächer-Programm, das nur eine neue Subvention darstellt. Allein die von mir genannten 40 Megawatt reichen für 200 000 neue Dächer in Deutschland aus. Wenn das kein Erfolg ist, dann weiß ich nicht, worin erfolgreiche Forschungspolitik bestehen soll.
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Ich könnte jetzt noch über das Meister-BAföG oder andere Dinge reden. Das sind alles erfolgreiche Projekte.
Ebenfalls wichtig finde ich - obwohl mir der Punkt noch ein wenig Sorge macht und wir, wie ich zugebe, noch nicht über den Berg sind -, daß wir es in diesem Jahr geschafft haben - das war ein schwieriges Stück Arbeit, und ich bin allen, die dazu beigetragen haben, sehr dankbar -, erstmals seit zwölf Jahren den Lehrstellenmarkt von den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt abzukoppeln. Wir haben es in diesem Jahr geschafft, die Zahl der Lehrstellen zu erhöhen, obwohl die Beschäftigungszahlen gesunken sind. Ich finde, das ist ein ganz wichtiges Signal für die jungen Menschen in unserem Land.
({8})
Das Thema dieser Tage ist - ich finde, mit Recht - die Hochschule. Die Debatte, wie sie jetzt eben geführt wurde, hat mich schon ein klein wenig verwundert. Glaubt denn irgend jemand in diesem Saal, daß irgendeiner der jungen Leute, die zum Beispiel eben vor meinem Ministerium demonstriert haben - ich war da -, Verständnis dafür hätte, daß wir jetzt eine wechselseitige Schuldzuweisung zwischen Bund und Ländern betreiben? Glaubt irgendeiner, wir würden Vertrauen in die Politik zurückgewinnen, wenn die Politik für die Hochschulen darin besteht, daß Vertreter der Länder immer sagen: Weil die Finanzpolitik in Bonn nicht nach unseren Vorstellungen gemacht wird, können wir keine Prioritäten setzen? - Jeder packe sich an seine eigene Nase; jeder tue das, was er kann.
({9})
Das ist es, was ich mit der Aktionspartnerschaft für die Hochschulen meine. Deshalb bin ich auch froh, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen für sich in Anspruch nehmen können, seit Beginn dieser Legislaturperiode alles getan zu haben, was menschenmöglich war, um den Hochschulen zu helfen. 3,6 Milliarden DM für ein neues Hochschulsonderprogramm - das ist eine Zahl, die sich sehen lassen kann. Das ist ein Brocken, der in keinem anderen Bereich von seiten des Bundes für Maßnahmen, für die eigentlich die Länder zuständig sind, zusätzlich aufgebracht worden ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, im Moment nicht.
Oder nehmen Sie den Hochschulbau: Natürlich weiß jeder, daß die 3,6 Milliarden DM, die Bund und Länder zusammen für diesen Bereich aufbringen, eigentlich zu wenig sind. Aber dieses Spiel, das darin besteht, daß man sagt, der Bund tue zuwenig, aber daß man sich deswegen klammheimlich mit dem Landesfinanzminister freut, daß dieser kein Geld zur Verfügung stellen muß, ist ein Beispiel für jene Unehrlichkeit, die die jungen Leute abstößt und vor der wir uns hüten müssen.
({0})
Deshalb bin ich froh, daß es der Bund geschafft hat, in diesen Tagen zusätzlich 1,7 von insgesamt 2,5 Milliarden DM für 33 Baumaßnahmen für die Hochschulen im Leasingverfahren zur Verfügung zu stellen. Das ist eine ganz konkrete Hilfe für die Studenten, die heute deutlich machen, was ihre Interessen sind. Ich finde, es ist wichtiger, wenn wir konkret antworten, als wenn wir irgendwelche politischen Schlachten schlagen.
Wir werden mit dem Einzelplan 30 für den Bereich der Bildung im nächsten Jahr auch weiterhin den Versuch unternehmen, alles das zu tun, was möglich ist, um zu einer Verbesserung zu gelangen. Ich finde es wichtig, daß die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung es heute geschafft haben, ein konkretes Programm zu formulieren und es als Angebot den Ländern vorzulegen.
In den Demonstrationen weisen die Studenten darauf hin, daß die Ausstattung der Hochschulbibliotheken schlecht ist und daß ihr Studium dadurch verlängert wird, daß sie nicht an die entsprechenden Bücher, Lehrmaterialien oder neuen Medien herankommen.
Herr Minister, galt das für Ihre ganze Rede, als Sie sagten, daß Sie keine Zwischenfragen zulassen wollen?
Ich darf den Gedanken noch zu Ende führen. Dann mache ich eine Pause und werde gern Ihre Zwischenfrage, Herr Diller, zulassen.
Das Angebot besteht darin, daß wir den Ländern sagen: Laßt uns ein Aktionssofortprogramm mit 40 Millionen DM von seiten des Bundes und 40 Millionen DM von seiten der Länder starten, mit dem wir ganz konkret die Situation an den Bibliotheken unserer Hochschulen verbessern. Dieses konkrete Programm ist auch als Antwort auf die berechtigten Forderungen der Studenten gedacht. Die Studenten wollen ja keine Weltrevolution herbeiführen. Sie wollen vielmehr, daß ihre Professoren mehr Zeit für sie haben, daß ihnen eine bessere Examensvorbereitung ermöglicht wird, daß sie gut ausgestattete Bibliotheken zur Verfügung haben, daß sie einen Sitzplatz im Hörsaal bekommen. Wir sollten diese handfesten
Forderungen der Studenten aufgreifen und zu erfüllen versuchen.
Es gibt zwei Fragen. - Zuerst Herr Catenhusen, dann Herr Diller.
Herr Minister, da dieses schmal voluminierte Angebot - das erste Angebot, das die Regierungsseite in diesem Jahrzehnt zum Thema Hochschulentwicklung macht - auf dem Tisch liegt: Stimmen Sie mit mir darin überein, daß es aus heutiger Sicht vielleicht ein Fehler war, daß das Gesprächsangebot der Bundesländer zu einem Hochschulgipfel 1993 vom Bundeskanzler ausgeschlagen worden ist, und kann ich Sie so verstehen, daß von Ihrer Seite die persönliche Bereitschaft ausgeht, zu weitergehenden Verhandlungen über die Bekämpfung der Notsituation in den Hochschulen zu kommen, also über das hinauszugehen, was Sie heute mit dem sozusagen symbolischen 40-Millionen-DM-Angebot unterbreiten? Sind Sie bereit, weiter zu gehen?
Herr Kollege Catenhusen, zunächst einmal finde ich, daß man das, was passiert, nicht kleinreden sollte, nicht nur aus Gründen der allgemeinen Politik, sondern auch, weil man zuerst prüfen sollte, was man hört.
Wenn der Bund hier heute ein Programm vorschlägt, das immerhin insgesamt 80 Millionen DM beinhaltet und uns in die Lage versetzt, die Ankaufetats der Hochschulen um 20 Prozent zu verbessern, dann finde ich es nicht angemessen, zu sagen: Das ist ja nur so ein bißchen.
({0})
Das ist nämlich gerade das, was die Studenten konkret von uns fordern. Es wäre gut, wenn Sie dies begrüßten.
Zu der Frage, was not tut, will ich gerne einige Bemerkungen machen.
Erstens habe ich immer gesagt, daß es wichtig ist, klarzumachen, daß wir angesichts der Oberlast unserer Hochschulen keine Kürzungen brauchen können. Das gilt nicht nur für den Bund - wir haben heute bewiesen, daß keine Kürzung erfolgt -, sondern auch für die Länder.
Der zweite Punkt ist: Wir brauchen eine Hochschulstrukturreform. Die Pläne dafür liegen mit dem HRG auf dem Tisch. Der Deutsche Bundestag berät sie; die Anhörung ist bald. Ich bin ganz sicher, daß auch die Demonstrationen deutlich gemacht haben, daß es notwendig ist, dieses Gesetz mit Inkrafttreten zum 1. April, durch Bundestag und Bundesrat beschlossen, ins Gesetzblatt zu bringen.
Der dritte Punkt, der mir genauso wichtig ist, ist die BAföG-Reform. Da stehen wir kurz vor einer Entscheidung; die Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten im Dezember wird dazu in der Lage sein. Es ist noch verdammt schwierig; ich
weiß das. Wir haben uns gerade noch im zuständigen Ausschuß sehr kontrovers darüber unterhalten. Aber ich will diese Frage noch in diesem Jahr zu einer politischen Entscheidung bringen, damit noch in dieser Legislaturperiode etwas geschehen kann. Wenn alle dazu einen Beitrag leisten, wenn nicht jeder irgendwelche Maximalforderungen aufstellt, die nicht zu erfüllen sind, wenn nicht plötzlich Milliarden-DM- Forderungen in die Welt gesetzt werden, dann bin ich sicher, daß wir dies schaffen. Und dann, Herr Kollege Catenhusen, werden wir durch viele kleine Schritte, die eher ganz große konkrete Schritte sind, das abarbeiten, was für die Hochschulen notwendig ist. Insofern gibt es dauernd ein Gespräch zwischen Bund und Ländern.
Es gibt noch eine weitere Frage der Kollegin Odendahl. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Minister, können wir die Fragen von Herrn Diller und Frau Odendahl zusammennehmen. - Bitte schön.
Herr Minister, konkret ist Ihr Angebot eigentlich nur bezüglich der 40 Millionen DM. Völlig unkonkret aber ist Ihr Angebot hinsichtlich der Frage, woher Sie gegebenenfalls die 40 Millionen DM nehmen wollen.
Da wir als Haushälter wissen, daß Ihr Haushalt ohnehin ein Schaufensterhaushalt ist,
({0})
weil hinten - abweichend von sonstigen Einzelplänen - der Titel steht, wonach insgesamt 200 Millionen DM, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, von den Mitteln, die vorne aufgeführt sind, zu kürzen sind - das ist das, was wir technisch „globale Minderausgabe" nennen -, lautet meine Frage: Was wird im Fall des Falles aus Ihrem Haushalt oder aus anderen Haushalten in der Größenordnung von 40 Millionen DM gestrichen?
Die Frage kann ich ganz schnell beantworten: Das geht nicht zu Lasten des Einzelplans 30.
({0})
Herr Minister Rüttgers, da Sie großes Verständnis für die dramatische Unterfinanzierung der Hochschulen geäußert haben und jetzt hier klarmachen, daß man jeden - auch jeden kleinen - Schritt tun muß: Vermögen Sie einzusehen, daß wir, wenn wir von einer dramatischen Unterfinanzierung reden, mit 40 Millionen DM versuchen, eine schwärende Wunde mit einem Hühneraugenpflaster abzudecken?
Frau Kollegin Odendahl, es tut mir leid, die Frage werde ich nicht beantworten, weil mir die Grundtendenz schlichtweg nicht einleuchtet. Ich habe hier eben klar vorgetragen, was der Bund in dieser Legislaturperiode alles gemacht hat. Es sind Milliarden, die der Bund für die Hochschulen zur Verfügung gestellt hat. Wenn wir jetzt ein Angebot machen, um in Sachen Hochschulbibliotheken ganz konkret zu helfen, dann können Sie machen, was Sie meistens machen, nämlich versuchen, das runterzureden. Aber ich bin ganz sicher, die Studenten werden das als konkretes Angebot verstehen, daß wir bereit sind, auf ihre berechtigten Forderungen einzugehen.
({0})
Herr Minister, wir haben die Wortmeldung zu einer weiteren Frage, und zwar des Abgeordneten Schanz.
Ja.
Herr Minister, Sie haben gerade - für mich erfreulicherweise - erklärt, daß die 40 Millionen DM nicht zusätzlich im Einzelplan 30 „eingespart" werden sollen. Aus welchem Einzelplan sollen die 40 Millionen DM dann kommen? Ich will die Sache nicht kleinreden; es ist ein Angebot. Aber ich möchte als Haushälter schon wissen, wie Sie die Finanzierung hinbekommen wollen.
Herr Kollege Schanz, die Frage kann und werde ich Ihnen heute nicht abschließend beantworten, weil - das war das Problem, das wir heute morgen bei den Gesprächen hatten - es notwendig ist, über dieses Programm vorher mit den Ländern zu reden.
({0})
Da sich die Frage der Struktur und die Frage der konkreten Etatisierung erst bei der Zurverfügungstellung der Mittel auch im Einzelplan 30 beantworten läßt und da ich weiß, daß Sie, Herr Kollege Diller und Herr Kollege Schanz, auf eine ordnungsgemäße haushalterische Behandlung Wert legen, haben wir vor, die Sache erst etatreif zu machen. Wir werden uns damit dann natürlich noch im Haushaltsausschuß befassen müssen, weil das unterjährig nach Beschluß des Haushaltes passiert, und dort die entsprechenden Vorschläge machen.
({1})
Gibt es keine weiteren Fragen mehr, Frau Präsidentin?
Anschließend gibt es noch Kurzinterventionen.
Dann möchte ich zum Abschluß noch folgendes sagen. Ich halte es für eine große Chance der Politik in diesen Tagen, die Anliegen der jungen Leute anzunehmen. Wir dürfen sie nicht enttäuschen. Wir haben von seiten der Bundesregierung und der KoalitionsfraktioBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
nen ein in sich schlüssiges Konzept vorgelegt: das Hochschulsonderprogramm zur Überbrückung der unmittelbarsten Schwierigkeiten, Sondermaßnahmen von 2,5 Milliarden DM im Bereich des Hochschulbaus und die Hochschulstrukturreform, die die Hochschulen in die Lage versetzt, die eigene Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen und damit nicht nur das Studium, sondern auch die interne Organisation zu optimieren, um für mehr und bessere Studienmöglichkeiten, für bessere Studienabläufe und für kürzere Studienzeiten zu sorgen. Dazu kommt noch in diesem Jahr, wenn es irgend geht, eine Lösung in Sachen BAföG, die sicherstellt, daß man in Deutschland unabhängig von der Frage studieren kann, ob die Eltern arm oder reich sind und ob man irgendwo auf dem Land oder in einer Universitätsstadt groß geworden ist.
Dies alles ist eine große Anstrengung, auf die die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen stolz sind. Ich glaube - das habe ich eben selbst gespürt, bei allem, was da an frischem Unmut unter den demonstrierenden Studenten vorhanden war und sich natürlich Luft verschaffen mußte; da waren wir früher nicht anders -, daß das Bemühen anerkannt wird, unseren Hochschulen eine Chance für das 21. Jahrhundert zu geben.
({0})
Zur Geschäftslage ist folgendes zu sagen: Wir haben noch zwei Kurzinterventionen, bevor Sie drankommen, Herr Hilsberg. - Also, erst Frau Christa Luft und dann Antje Hermenau.
Herr Kollege Westerwelle, ich hatte mich schon vorhin, nach Ihrem Beitrag, gemeldet; aber ich kam nicht mehr dran. Ihr Beitrag hat - wie ich finde, zu Recht - hier für Wirbel gesorgt.
({0})
Sie haben wiederholt und nahezu empört die Verantwortung und vor allem die Schuld des Bundes für die Hochschulmisere in diesem Lande zurückgewiesen. Sie haben mit dem Finger allein auf die Länder gezeigt. Ich möchte ergänzend zu den Repliken, die auf Ihre Rede schon gekommen sind, darauf hinweisen, daß es ein Faktum gibt, das Sie völlig außer acht gelassen haben, nämlich die durch die Steuerpolitik des Bundes bei den Ländern entstehenden Steuerausfälle. Wir hatten 1996 bei den Ländern Steuerausfälle in großem Umfang. In diesem Jahr betrugen sie bei den Ländern 9,1 Milliarden DM. Wir haben im nächsten Jahr schon jetzt prognostizierte Steuerausfälle in Höhe von 10,3 Milliarden DM. Sie werden doch niemandem erklären wollen, daß die Länder dieses Ei allein gelegt und durch ihre Ländergesetzgebung diese Steuerausfälle verursacht hätten.
({1})
Allein die besonders von Ihrer Partei gepowerte Abschaffung der Vermögensteuer hat die Länder mehr
als 8 Milliarden DM Steuereinnahmen gekostet. Dies
wird in den nächsten Jahren laufend zu einem Ausfall an Steuereinnahmen führen. - Das ist die erste Bemerkung.
Die zweite Bemerkung: Sie haben den Entschließungsantrag der Koalition hier als erster in die Debatte eingeführt. Ich glaube, daß dieser Entschließungsantrag nicht haushaltsrelevant werden wird. Denn selbst wenn er am Freitag in der dritten Lesung der Haushaltsgesetze angenommen würde, bräuchten Sie noch immer die Abstimmung mit den Ländern. Offenbar rechnen Sie damit, daß die Länder ohnehin sagen, sie müßten passen. Dann haben Sie hier einen sehr schönen Schaufensterantrag präsentiert. Sie wollen damit offenbar in Ihre Wahlkreise ziehen und beweisen, welche Courage Sie hier aufgebracht haben. Diese Mittel in zweistelliger Millionenhöhe für das Bildungswesen hätten wir im Laufe der Haushaltsberatungen durchaus mobilisieren und auch etatisieren können.
Dritte Bemerkung zum Abitur in zwölf Jahren in der früheren DDR: Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, wenn Sie sagen: Da haben diejenigen, die damals die Verantwortung für die Neuorganisierung des Bildungssystems getragen haben, eine Schuld auf sich geladen. Sie haben einfach etwas weggeschnitten, was man zunächst hätte prüfen müssen. Ich bin schon erstaunt, daß Sie diese Bemerkung sieben Jahre nach der Einheit das erste Mal hier gemacht haben.
({2})
- Gut, Sie haben sie bereits im Sommer gemacht, als Sie durch die neuen Bundesländer gefahren sind. Sollten Sie nicht die alte Volksweisheit beherzigen: Erst zählen und dann schneiden? Ich glaube, das wäre auch in diesem Fall richtiger gewesen.
({3})
Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie haben die Gelegenheit, jetzt zu antworten. Ich habe aber noch die Bitte, den Ausdruck von vorhin - Sie hatten sich da etwas vergaloppiert - zurückzunehmen. Wir haben das im Protokoll nachgesehen.
({0})
- Das mit der wilden Sau.
Den nehme ich zurück und bedaure es außerordentlich, daß ich das mit der wilden Sau gesagt habe.
({0})
In allem Ernst, Frau Kollegin, zum ersten Punkt: Wenn wir uns über die Frage eines Abiturs in zwölf Jahren einig sind, dann haben Sie in Sachsen-Anhalt als Quasi-Regierungspartei doch die Möglichkeit,
({1})
zu verhindern, daß das in 13 Jahren zu absolvierende Abitur nach Sachsen-Anhalt kommt. Wir appellieren an Sie, mit dazu beizutragen, daß es in den neuen Ländern bei einem Abitur in zwölf Jahren bleibt. In Sachsen-Anhalt sind Sie nun einmal mit in der Regierungsverantwortung, auch wenn Sie das immer wieder bestreiten. Sie werden dort für die Mehrheitsbildung gebraucht. Also handeln Sie bitte so! Sie können in Sachsen-Anhalt beweisen, daß Sie in der Tat der Meinung sind: Zwölf Jahre bis zum Abitur reichen. Wir jedenfalls sind dieser Auffassung. Sie sollten es nicht nur beim Reden belassen.
Ein zweiter Punkt, auf den ich eingehen möchte, betrifft Ihre Bemerkung zu den Steuern: Sie stellen die Steuerentwicklung nicht richtig dar. Denn wir wissen, daß sich bei den Steuereinnahmen das Verhältnis zwischen Bund und Ländern mittlerweile umkehrt. Zum erstenmal ist es so, daß die Länder mehr Steuereinnahmen haben als der Bund. Es ist übrigens auch so, daß die Steuereinnahmen der Länder zunehmen. Trotzdem sind sie nicht in der Lage, durch eine entsprechende Prioritätensetzung in der Finanzpolitik mehr für Bildung und Wissenschaft zu tun.
Zum dritten Punkt, den Sie angesprochen haben, und dies zum Schluß: Sie bezweifeln, ob die geplante Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für das Bildungswesen für den Bund haushaltsrelevant wird. Wir sagen Ihnen dazu: Ob diese 40 Millionen DM haushaltsrelevant werden, hängt jetzt davon ab, daß Sie dieses Angebot annehmen. Wir appellieren an Sie: Bitte nehmen Sie, die Sie Verantwortung auch in den Bundesländern haben, dieses Angebot des Bundes an. Machen Sie aus dem Angebot des Bundes in Höhe von 40 Millionen DM zugunsten von mehr Lehrmaterialien an den Universitäten ein 80-Millionen-Programm zugunsten der Universitäten. Es liegt in Ihrer Hand. Unser guter Wille ist hier in Form eines Antrages dargelegt.
({2})
Jetzt zu einer Kurzintervention die Abgeordnete Hermenau. - Bitte schön.
Je mehr ich zuhöre, desto heiterer wird die ganze Sache. Herr Minister Rüttgers, Sie tun mir sehr leid. Sie haben einen Koalitionspartner, der Ihnen Spielgeld an die Hand gibt, aber kein richtiges. Sie haben einen Koalitionspartner, der hier den Mund aufreißt und über Geld verfügt, das er gar nicht hat - unabhängig von den 12,4 Millionen DM, die seit gestern in der F.D.P. gesucht werden. Aber davon sehe ich einmal ab.
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Sie haben hier einen Entschließungsantrag vorgelegt, den Sie, wie Sie gerade erwähnt haben, erst heute morgen beschlossen haben. Ich glaube Ihnen,
daß die CDU/CSU ihn erst heute morgen beschlossen hat, aber die F.D.P. hat das gestern stellvertretend vorbeschlossen und es wieder einmal versäumt, eine Antragsfrist einzuhalten - diese lief gestern abend um 18 Uhr ab -, weil sie ihren Koalitionspartner noch nicht in der Tasche hatte. Das ist alles. Jetzt mogeln Sie sich darum herum und sprechen von der dritten Lesung, weil Sie die Antragsfrist zur zweiten Lesung nicht einhalten konnten. Sie haben die 40 Millionen DM nicht wirklich zur Verfügung, sondern werden sie nur mit einer überplanmäßigen Ausgabe aufbringen können, die nach Bundeshaushaltsordnung - mein lieber Herr Westerwelle, merken Sie sich das - unvorhersehbar sein muß. Sie dürfen vorher nicht darüber reden, sonst weiß es nämlich jeder.
Vor diesem Hintergrund halte ich es für ziemlich lächerlich, daß sich die Koalition hier hinstellt und behauptet, sie hätte 40 Millionen DM eingestellt, um den Universitäten zu helfen. Das ist eine Luftbuchung, meine Herren.
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Möchte jemand auf diese Intervention antworten? - Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich jetzt dem Abgeordneten Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Rüttgers, auch das beste Selbstlob vermag einen kümmerlichen Haushalt nicht zu verbessern.
({0})
Eigentlich hätten Sie nach der Rede des Bundespräsidenten Herzog im Berliner Schauspielhaus, der Sie beigewohnt haben, allen Anlaß, sich hier eines Besseren zu besinnen. Denn die Appelle, die er als konservativer Politiker an Sie gerichtet hat, müßten Ihnen eigentlich in den Ohren klingen. Aber das ist offenbar nicht geschehen. Auch der Antrag, mit dem Sie hier wie Zieten aus dem Busche kommen, ist wahrscheinlich nichts anderes als ein billiges öffentliches Täuschungsmanöver,
({1})
eine taktische Finesse, mit der Sie eine substantielle Bildungspolitik, die wir bei Ihnen vermissen, zu kaschieren versuchen.
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Wenn die ganze Sache wirklich solide wäre, was hindert Sie dann bitte daran, jetzt eine Finanzierungsaussage zu treffen? Nur die Aussage, allein im Einzelplan 30 könne es nicht gegenfinanziert werden, ist ja wohl haushälterisch völlig unzureichend. Darauf kann man sich mit Sicherheit nicht einlassen, auch wenn wir es natürlich begrüßen, daß sich hier die Bundesregierung offensichtlich eines Besseren besonnen hat und ihren Haushalt um 40 Millionen DM aufzustocken versucht.
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Nur, angesichts der Kürzungen, die wir in Ihrem Etat seit 1992 Jahr für Jahr erleben, um insgesamt über 700 Millionen DM von ursprünglich 15,6 Milliarden DM auf 14,9 Milliarden DM jetzt, ist dieser Antrag mehr als zweifelhaft. Ich kann nur an die Studenten appellieren, daß sie sich durch dieses billige Täuschungsmanöver von Ihnen nicht für dumm verkaufen lassen.
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Ich halte es auch gerade angesichts der Tatsache, daß in unserem Lande Bund und Länder gemeinsam für die Bildungs- und Forschungspolitik zuständig und verantwortlich sind, für fatal und ganz schlimm, in welcher Art und Weise Sie hier ein Schwarzer-Peter-Spiel betreiben. Sie müßten sich doch eigentlich darüber im klaren sein, daß, wenn man mit dem Zeigefinger auf andere Leute zeigt, immer vier Finger auf einen selber zurückweisen.
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Zum anderen müßten Sie sich doch auch darüber im klaren sein, daß die Länder in den vergangenen Jahren mit einem gewaltigen Kraftakt erstaunlich weit in Vorleistung getreten sind. Allein die zusätzlichen Finanzmittel, die Brandenburg in den ersten vier Jahren aufgebracht hat
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- wie auch immer, es ist brandenburgische Politik gewesen -, und die Leistungen beispielsweise der Niedersachsen, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre ihren Etat für Hochschule und Forschung um 35 Prozent aufgestockt haben, sollten Sie beschämen.
Sie, Herr Westerwelle, treten hier nach dem Motto auf: jung, dynamisch, aber leider erfolglos.
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Aber was Sie hier geleistet haben, war kein Beitrag zur politischen Kultur hier im Hause. Das, was wir hier erlebt haben, war schlicht und einfach eine Brandstiftung und ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Solche Worte wie „Kürzungsterror" in einem Land, in dem man weiß, was Terror bedeutet, halte ich nicht nur für total überzogen, sondern in jeder Hinsicht für unverschämt.
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Wir sind uns bewußt, daß wir uns finanziell in einer absolut schwierigen Situation befinden.
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Es ist sehr schwierig, Bildungspolitik zu dem zu machen, was ihr gebührt, nämlich zu einem Flaggschiff der deutschen Politik. Anders kann ich mir gar nicht vorstellen, woher wir die Beiträge zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, zur Schaffung neuer Betriebe, geradezu neuer Wirtschaftsbereiche, zur Schaffung neuer Technologien, zu Technologietransfer, zur Entwicklung von neuen Patenten und Ideen bekommen sollen. Auch das Argument, es müsse alles für Soziales ausgegeben werden und wir müßten die deutsche Einheit finanzieren, trägt insoweit nicht, als gerade Bildung und Forschung die entscheidenden Modernisierungsfaktoren sind, geradezu Modernisierungskatalysatoren, die wir jetzt brauchen.
Trotz alledem muß ich sagen, daß der Appell von Roman Herzog, in erster Linie in der Bildung als einem ökonomischen Faktor aufzustocken, insofern nicht trägt, als es nicht reicht, in der Bildung nur einen ökonomischen Faktor zu sehen. Die Bildung ist für alle da. Nur wenn wir uns klarmachen, daß wir Bildung für alle brauchen, läßt sich die Solidarität mobilisieren, die wir brauchen, um der Bildung einen so kräftigen Schub zu geben, wie es notwendig ist.
Natürlich können wir alle - das ist eine Unterstützung - die Proteste der Studenten auf der Straße verstehen. Das halte ich für wichtig, und das ist gut für uns. Aber auf der anderen Seite könnte ich mir vorstellen: Wenn zu diesen Protesten auch mehr in den Blick genommen wird, daß wir eine Reformperspektive für die gesamte Gesellschaft brauchen und nicht nur für Bildung und Hochschule, könnten diese Proteste insgesamt wirksamer vorgetragen werden.
Lobbyismus auch auf hohem Niveau ist und bleibt eben Lobbyismus und reicht nicht aus. Man darf seine eigenen Angelegenheiten nicht mit den Angelegenheiten der Gesellschaft verwechseln.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diller?
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß der Antrag der Koalition bedeutet, daß sie im Falle der Annahme 40 Millionen DM außerplanmäßig bereitstellen müßte? Dafür wäre nach § 37 der Bundeshaushaltsordnung in Verbindung mit § 7 des Haushaltsgesetzes aber ein eigenständiger Nachtragshaushalt fällig. Würden Sie mir zustimmen, daß diese Geschichte unterstreicht, wie unglaubwürdig eigentlich dieser Vorschlag ist?
({0})
Dem kann ich nur zustimmen.
Bei diesem Antrag freue ich mich geradezu darauf, wenn die Länder ihm zustimmen. Hier zu erleben,
wie Sie sich dann wieder behindern und blockieren werden - wie die ganze Zeit bei den Steuern und bei den Renten etc. -, wird ein Genuß sein.
({0})
Den Haushalt, den Sie hier vorlegen, kann man eigentlich nur in Bausch und Bogen ablehnen. Aber wir sind es der Öffentlichkeit schuldig, ihr unsere eigenen Schwerpunkte aufzuzeigen. Dies haben wir mit unseren Anträgen gemacht.
Da mir jetzt die Zeit etwas knapp geworden ist, lassen Sie mich nur noch eines sagen. Selbstverständlich sind wir auch dafür, daß das BAföG erhöht werden muß. Aber das BAföG ist ein Leistungsgesetz. Es muß zwingend durch die Bundesregierung erhöht werden, sobald die Zeit dafür reif ist. Im übrigen bin ich sehr gespannt, wie Sie sich an dieser Stelle bei einer dringend notwendigen Reform des BAföGs verhalten werden.
Der Haushalt ist in einem Zustand, daß man nur sagen kann: Die Spatzen, die von den Dächern pfeifen: Diese Regierung muß weg, Kohl muß weg! haben recht.
Vielen Dank.
({1})
Herr Kollege Hilsberg, ich habe eben erst den Vorsitz übernommen und deswegen nicht mitbekommen, was in der Rede des Kollegen Westerwelle, die Sie so erzürnt hat, gelaufen ist. Aber ich denke, wir sollten in diesem Hause einem anderen Kollegen nicht unterstellen, daß er ein Brandstifter ist. Das ist ein sehr belasteter Begriff.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über neun Änderungsanträge der Fraktion der SPD.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9194. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und PDS bei Enthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9195. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9196. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und SPD bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9197. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9198. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9199. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9200. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9201. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9202. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Wir kommen zu den Abstimmungen über die neun Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9129. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen, der PDS und einigen Stimmen aus den Reihen der SPD bei Enthaltung der übrigen Mitglieder der SPD abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9130. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS sowie einer Stimme aus der SPD bei Enthaltung der übrigen Mitglieder der SPD abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9131. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9132. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9133. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Es gab keine Enthaltungen.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9134. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9135. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Drucksache 13/9135 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9136. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9184. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9138. Die PDS wünscht dazu getrennte Abstimmung. Wer stimmt für Nr. I 1 des Änderungsantrags? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Wer stimmt für Nr. I 2 des Änderungsantrags? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Nr. I 2 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Wer stimmt für Nr. I 3 des Änderungsantrags? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nr. I 3 ist mit dem eben festgehaltenen Stimmergebnis abgelehnt worden.
Wer stimmt für die Nrn. II und III des Änderungsantrags? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Nrn. II und III sind wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Damit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt.
Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Also ist der Einzelplan 30 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Ich rufe Einzelplan 17 auf: Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksachen 13/9016, 13/9025 -Berichterstattung:
Abgeordnete Wilfried Seibel Ina Albowitz
Kristin Heyne
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Siegrun Klemmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Definitionen in einem politischen Wörterbuch sind immer etwas dröge. Dort heißt es passend zu der Debatte dieser Woche: „Der Haushaltsplan stellt den Finanzbedarf zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und die hierfür erforderlichen Deckungsmittel fest."
Im Klartext heißt das: Der Etat ist in Zahlen gegossene Fachpolitik. Er setzt die Prioritäten für das kommende Jahr auf Kosten des Nebensächlichen.
Vor allem aber eröffnet er Handlungsspielräume oder verordnet Stagnation. Dabei gilt der Umkehrschluß: Zeige mir deinen Haushalt, und ich sage dir, wie es um eine Fachpolitik steht. Ihnen, Frau Ministerin Nolte, sage ich bei einem Blick in Ihren Haushalt: Es steht schlecht um Ihre Politik.
({0})
In Zeiten knapper Kassen greift die Haushaltspolitik zunehmend steuernd in die inhaltliche Arbeit der Ressorts ein. Das Zauberwort heißt „Fiskalisierung der Fachpolitik". Dieser Trend bedingt zwangsläufig, daß gesellschaftliche Entwicklungen, also neue und sich verändernde Probleme, seismographisch genau erfaßt und mit einem fein abgestuften Instrumentarium und dem dazugehörenden Mitteleinsatz beantwortet werden müssen.
Der heute abschließend zu beratende Einzelplan 17 leistet das Gegenteil: Alles Fachliche bleibt seit Jahren, wie es ist. Nur wird alles wie ein langsam versiegender Strahl aus der Gießkanne immer weniger.
Um 2,24 Prozent geht der Ansatz des Einzelplans 17 gegenüber dem laufenden Etat in der Nachtragsfassung zurück. Was in den Worten des Finanzministers als lobenswerte Sparanstrengung daherkommt, erscheint, in Fachpolitik übersetzt, als die finale inhaltliche Kapitulation des sogenannten Hauses der Generationen.
Über 93 Prozent der Ausgaben in 1998 sind Sachund Verwaltungsaufgaben oder aber gesetzliche Leistungen. Nur der klägliche Rest - wir Haushälter sagen „Allgemeine Bewilligungen" - steht für Zuwendungsempfänger und deren Projekte, für die Erforschung von gesellschaftlichen Benachteiligungen und deren Beseitigung, kurz gesagt, für gestaltende Politik zur Verfügung. Diese Bewilligungen sinken kontinuierlich, denn sie sind als einzige Ausgaben nicht immun gegen den erklärten Kreuzzug der Koalition gegen alle vermeintlich weichen Standortfaktoren sowie die hektischen Operationen des Finanzministers zum Stopfen immer neuer Haushaltslöcher.
({1})
Im Aufstellungsverfahren wurden allein seit 1996 Kürzungen von über 120 Millionen DM - das ist ein Minus von 14 Prozent - festgeschrieben. Hinzu treten die durch Haushaltssperren erzielten Einsparungen. Für den Finanzminister ist Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendpolitik zum Steinbruch verkommen. Und leider nickt Frau Nolte am Kabinettstisch die Demontage der eigenen Ressourcen ab.
({2})
Die heute mittag geführte allgemeine Finanzdebatte hat erneut deutlich gemacht, wie sehr sich die Bundesregierung in einer neuen Unübersichtlichkeit aus falschen Diagnosen und verschlimmernden Therapien verheddert hat. Unter der hausgemachten Unterdeckung des Haushalts ächzen alle Einzelpläne gleichermaßen. Trotzdem kommt dem Einzelplan 17 hier eine besondere Stellung zu: In keinem anderen Ressort schlagen Kürzungen derart unvermittelt auf derart große Gruppen der Gesellschaft und deren legitime Interessen durch. In keinem anderen Ressort - mit Ausnahme des BMA - legen fachlicher Gleichmut und Selbstbescheidung im Gestern eine ähnlich brennbare Lunte an die Fundamente der zivilen Bürgergesellschaft.
({3})
Ich sage Ihnen: Das dumme Gerede von der um jeden Preis zu senkenden Staatsquote entlarvt beim Blick auf den Einzelplan 17 den neoliberalen Diskurs als das, was er ist: ein Frontalangriff auf die Zukunft der Jugend, auf die Gleichberechtigung und Teilhabe von Frauen, auf ein würdiges und erfülltes Leben im Alter und auf die so notwendige Entlastung der Familien.
Frau Ministerin Nolte sagte heute, der Schwerpunktbereich, auch an den Finanzmitteln gemessen, habe in dieser Legislaturperiode eindeutig in der Familienpolitik gelegen. Die Realität in Deutschland sieht grausam anders aus, auch wenn an Bekenntnissen zugunsten von Familien Überfluß herrscht. Auf die Familien will ich mich im folgenden konzentrieren; zu den anderen Bereichen wird mein Kollege Hagemann etwas sagen.
Die meisten Bekenntnisse zugunsten von Familien sind von den Zielen Stärkung, Honorierung übernommener Verantwortung oder Leistungsausgleich getragen. Als gälte es, eine vom Aussterben bedrohte Lebensform durch Hege und Pflege wieder aufzuforsten,
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wird immer wieder sonntags eine konzertierte Aktion beschworen und Konsens suggeriert. Bei Frau Nolte hört sich das so an:
Im gemeinsamen Dialog ({5}) alle beteiligten Kräfte - Bund, Länder und Kommunen, Wirtschaft, Familienverbände und die Familien selbst - an der Gestaltung einer Familienpolitik mitarbeiten, die die Bedürfnisse von Familien aufgreift ...
- jetzt kommt es und Maßnahmen einleitet, die die Situation von Familien deutlich verbessern.
Quelle: „Stimme der Familie" im Sommer 1997.
Der defensive und schuldbewußte Unterton ist gerechtfertigt, denn die Bilanz der Regierung Kohl ist auch im Hinblick auf die Familien verheerend:
Erstens. Die Zahl der Arbeitslosen bewegt sich auf Rekordniveau. Eine Besserung ist auch für 1998 nicht in Sicht. Mit den zahlreichen Verschlechterungen bei den Lohnersatzleistungen wird die Kaufkraft der Familien systematisch unterhöhlt.
Zweitens. Die wirtschaftliche Situation der Familien hat sich dramatisch verschlechtert. Immer mehr sind auf Sozialhilfe angewiesen. Darunter sind Alleinerziehende und ihre Kinder deutlich überrepräsentiert. 1994 waren 21,5 Prozent aller alleinstehenden Mütter mit Kindern unter 18 Jahren auf diese Sozialleistung angewiesen.
Drittens. Das Sozialhilferisiko von Kindern unter 7 Jahren hat sich zwischen 1981 und 1994 mehr als verdoppelt - Quelle: „Familie im Spiegel der Statistik", vom Ministerium herausgegeben.
Viertens. Die Eltern müssen erleben: Wer Kinder hat, ist den Kinderlosen gegenüber deutlich benachteiligt.
Diese Erosion der Wirtschaftskraft von Familien und damit auch der Chancen ihrer Mitglieder ist von der Bundesregierung unbeantwortet geblieben. Notorisch und auch von mir aktenkundig gemacht sind die über Jahre fortgesetzten familienpolitischen Versäumnisse in der Ausgabenpolitik. Die beharrliche Weigerung der Bundesregierung seit 1986, die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld entsprechend der Lohnentwicklung anzuheben, hat dazu geführt, daß immer mehr Familien aus dieser Leistung herausfallen. Frau Nolte, da nützt es den Familien gar nichts, wenn Sie heute sagen, daß das Erziehungsgeld zu den Kernelementen Ihrer Familienpolitik gehört. Ihr Bedauern, daß hier aus finanziellen Gründen keine Änderungen möglich waren, wird
den Familien zu Weihnachten wie Hohn in den Ohren klingen.
({6})
Die Reformkonzepte der SPD für das Erziehungsgeld sowie den Erziehungsurlaub wurden verworfen. Die überfällige Anhebung des Kindergeldes wird blockiert. Immer noch fehlen Hunderttausende von Kindergartenplätzen. Die Lasten aus deren Bereitstellung wurden an die Länder delegiert. Die im Gegenzug abgetretenen Umsatzsteuerunpkte sind angesichts der Investitionskosten ein Tropfen auf den heißen Stein.
Im Ergebnis fällen die Deutsche Bischofskonferenz sowie der Rat der EKD in ihrem gemeinsamen Wort ein vernichtendes Urteil über christlich verantwortete Familienpolitik. Ich zitiere:
Die Maßnahmen des Familienlastenausgleichs vermögen im Durchschnitt nicht einmal die unmittelbaren durch Kinder bedingten Aufwendungen, geschweige denn das durch den Rückgang der Erwerbsbeteiligung sinkende Haushaltseinkommen auszugleichen. Mehrere Kinder zu haben ist heute zu einem Armutsrisiko geworden.
({7})
Zu allem Überfluß flüchten Sie, Frau Nolte, in einen ideologischen Stellungskrieg, in der die vollständige Familie alten Zuschnitts gegen die Soziologie und deren wissenschaftliche Befunde verteidigt wird. Die Bezugnahme des Familienministeriums in seinen Verlautbarungen auf immer kleinere, noch politisch korrekte Ausschnitte der sozialen Wirklichkeit offenbart, wie sehr Wahrnehmungsvermeidung das Haus regiert.
Dabei ist doch längst klar: Die Familie als zeitstabile Institution bröckelt. Neben sie tritt ein farbiges Mit- und Nacheinander von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die zwar - wenn sich Kinder ankündigen - noch immer in der großen Mehrzahl in eine Ehe münden. Doch wiederum unterliegen diese wie alle Ehen einer signifikant steigenden Trennungswahrscheinlichkeit.
Man muß diese Entwicklung nicht mit Überschwang begrüßen. Das tun wir auch gar nicht. Aber man muß sie nüchtern konstatieren. Auch die jüngsten Erhebungen im Auftrag des Familienministeriums tun das übrigens. Trotzdem gleicht die Reaktion der zuständigen Ministerin dem Vermeidungsverhalten der drei chinesischen Affen: nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen. Das ist in der Politik fahrlässig.
({8})
Das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen der Erosion von Familien alten Zuschnitts enthebt die Bundesregierung nicht von deren Folgen. Die Hoffnung, daß sich die mit der Individualisierung und sozialen Atomisierung verbundenen neuen Lebensrisiken durch ein trotziges „Weiter so!" der Familien- und Haushaltspolitik irgendwann von selbst erledigen würden,
wird Schiffbruch erleiden. Die Umsetzung dieser Erkenntnis müßte jetzt erfolgen. Doch entgegen meiner Aufforderung zur Nachbesserung anläßlich der Einbringung dieses Haushaltes droht der Einzelplan 17, nunmehr ausgepreßt wie eine Zitrone, Besetz- und lustlos, uninspiriert bewirtschaftet zu werden.
Das macht vor allen Dingen deutlich: Es wird einer SPD-geführten Bundesregierung vorbehalten bleiben, den Einzelplan 17 zurück auf die Füße zu stellen. Das wird zwar erfreulich sein, aber für die große Mehrheit der Menschen in unserem Land wird damit erst einmal ein weiteres Jahr verlorengehen.
({9})
Mit der SPD ist diese Familien-, Jugend-, Senioren- und Frauenpolitik nicht zu machen. Wir werden den Einzelplan 17 natürlich ablehnen.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Renate Diemers.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch der Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterliegt in Zeiten, in denen die Verteilungsmittel knapper und die Verteilungsspielräume enger werden, dem Sparzwang. Daß wir der Notwendigkeit des Sparens gerecht werden und trotzdem einen Haushaltsansatz für unseren Bereich vorlegen können, mit dem wir unsere bisherige erfolgreiche Familienpolitik fortsetzen, haben wir mit dem Einzelplan 17 bewiesen. Genau das, meine Damen und Herren, unterscheidet eine handlungsfähige Regierung von einer konzeptlosen Opposition.
({0})
Wir schaffen mit dem Etat des Familienministeriums durch gesetzliche Leistungen Modelle und Projekte, Fördermöglichkeiten und Chancen für den einzelnen, für die Familie, aber auch für Verbände und Vereine. Und diese Chancen müssen als Sprungbretter in die Eigenverantwortlichkeit genutzt werden.
Der Familienleistungsausgleich besteht nicht nur aus dem Kindergeld. Die Leistungen, die für die Familien erbracht werden, sind in vielen Ministerien verankert. Die Liste der Leistungen ist lang. Sie reicht von der Zahlung des Kindergeldes über das BAföG bis zum Erziehungsurlaub und zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung.
In diesem Zusammenhang weise ich noch einmal nachdrücklich darauf hin, daß es in den 80er Jahren die CDU/CSU-Regierung unter unserem damaligen Familienminister Heiner Geißler war, die das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub durchgesetzt hat. Als ich in jenen Jahren die kommende Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der Rente vorausgesagt habe, zum Beispiel die Anerkennung der Kindererziehungszeiten für Geburten ab 1992 für
drei Jahre und die Anhebung der Anerkennung von 75 auf 100 Prozent, bin ich von SPD-Mitgliedern ausgelacht worden. Aber wer lacht jetzt?
Erwähnt werden muß auch, daß wir mit unserem Beschluß der additiven Anrechnung bis zur Beitragsbemessungsgrenze bei bestehenden und bei neuen Renten über die Einlassung des Bundesverfassungsgerichts hinausgegangen sind.
({1})
Neben den schon genannten Transfers müssen aber auch die Steuervergünstigungen für die Familien genannt werden. Zusätzlich zu den Kinderfreibeträgen gibt es Ausbildungsfreibeträge und Haushaltsfreibeträge für Alleinerziehende. Es gibt das Baukindergeld, den gestaffelten Mietzuschuß nach Anzahl der Kinder.
Aber auch in anderen Fällen werden die Familien nach unserem Willen bessergestellt. Die Familienversicherung zum Beispiel in der gesetzlichen Krankenversicherung kostet die Beitragszahlenden insgesamt zirka 44,4 Milliarden DM. Und das Ehegattensplitting - Sie haben recht - schlägt mit gut 40 Milliarden DM zu Buche. Aber diese Förderung ist von uns gewollt, da auch Familien ohne Kinder eine gegenseitige Verpflichtung eingehen, die vom Staat unterstützt werden soll.
Ich nenne diese Beispiele nicht, um aufzurechnen, sondern um die Diskussion um den Familienleistungsausgleich zu versachlichen. Sie sehen bereits an dieser kurzen Aufstellung, in der ich noch längst nicht alle unsere familienfreundlichen Leistungen aufgezählt habe, daß für uns die Familie nach wie vor Dreh- und Angelpunkt der Gemeinschaft ist und wir sie deshalb auch weiterhin bevorzugt fördern werden.
({2})
Gerade junge Menschen fordern zunehmend, daß mehr Wert auf Mitmenschlichkeit mit Bezug auf die Familie und das gesellschaftliche Zusammenleben gelegt werden soll. Nach ihrer Überzeugung darf sich Familie nicht darin erschöpfen, zu fragen, wieviel Geld dabei herausspringt. Vielmehr wollen sie heiraten und eine Familie gründen, um in Gemeinschaft zu leben und mitmenschliche Orientierung weiterzugeben.
Mir macht diese Haltung junger Menschen, die ich bei vielen persönlichen Gesprächen in meinem Wahlkreis gehört habe, Mut. Nicht die Höhe oder die Summe sozialer Leistungen ist die Meßlatte für die soziale Wärme unseres Staates, sondern der Umfang unserer Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit.
({3})
Wie die Familienpolitik einer rot-grünen Regierung aussehen würde, hat übrigens in jüngster Zeit die Landesregierung Nordrhein-Westfalens eindrucksvoll dokumentiert.
({4})
Der dort entworfene Plan für Neuregelungen bei Kindergärten - von einem Konzept kann man hier beim besten Willen nicht reden - ging an den Wünschen und dem Bedarf der Eltern und Kinder, der Erzieher und Träger vollständig vorbei. Folgerichtig löste er nach seinem Bekanntwerden bei der CDU-Opposition im Düsseldorfer Landtag und bei den Betroffenen einen Sturm der Entrüstung aus und mußte nach den Protesten im ganzen Land kleinlaut zurückgezogen werden.
Bei der Altenpolitik erwarten uns große Aufgaben. Die materielle Bewältigung der Herausforderungen durch den demographischen Wandel - und das wissen wir alle - liegt im Zusammenspiel von Wirtschafts-, Struktur- und Sozialpolitik.
({5})
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Altenpolitik ist für mich allerdings, daß alle Menschen begreifen, daß Altenpolitik weder im engeren noch im weiteren Sinne etwas mit „Betreuungsmentalität" zu tun hat und auch nicht zu tun haben darf.
({6})
Um dieses Verständnis auch in der Gesellschaft zu fördern, unterstützt das Ministerium beispielsweise auch 1998 mit 5 Millionen DM Forschungsprojekte mit dem Ziel, alten Menschen die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme an unserer Gesellschaft zu erhalten.
Im Bereich der Frauenpolitik finden Sie neben den vielen Leistungen der Familienpolitik, die natürlich auch den Frauen zugute kommen, einen Ansatz von 20 Millionen DM für Arbeiten und Maßnahmen zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Gesellschaft.
({7})
Schwerpunkte der Förderung sind unter anderem die Wiedereingliederung von Frauen nach der Familienphase, der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt, die Teilhabe von Frauen in Politik und Gesellschaft und vieles mehr. Ich nenne auch hier noch einmal ausdrücklich die Leistungen des neuen Arbeitsförderungs-Reformgesetzes und das Gesetz zum Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe.
Auch hier zeigt sich die kontinuierliche Weiterführung unserer Frauenpolitik.
({8})
Wir bieten Frauen vielfältige Fördermöglichkeiten,
aber wir schreiben ihnen ihre Lebensmodelle nicht
vor, sondern bekennen uns ausdrücklich zur Wahlfreiheit.
({9})
Die Frauen müssen aber auch lernen, die Rechte, die ihnen nach den Gesetzen zustehen, für sich einzufordern.
Es gibt allerdings einen Punkt im Haushaltsansatz für 1998, mit dem ich nicht glücklich bin. Ich finde es wirklich bedauerlich, daß wir im Zuge der Sparmaßnahmen gezwungen waren, die Mittel für die Mutter-Kind-Stiftung wieder auf die mit 180 Millionen DM vorgegebene Mindesteinlage des Bundes zurückzuführen. Allerdings bleibt die Stiftung damit auch weiterhin in der Lage, werdenden Müttern, die sich in einer Konfliktlage befinden, unbürokratische Hilfe geben zu können. Natürlich werden wir aber dafür kämpfen, die Mittel dieser Bundesstiftung so schnell wie möglich wieder aufzustocken.
Mir ist allerdings der Sturm der Entrüstung völlig unverständlich, der jetzt mit Bezug auf die Kürzung durch die Reihen der Opposition geht. Ich erinnere mich nämlich noch allzugut an unzählige Sitzungen im Familienausschuß, in denen die gleichen Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die jetzt Betroffenheit und Empörung zur Schau tragen, noch viel weitergehende Kürzungen genau bei dieser Stiftung gefordert haben. Darum sind Ihre jetzigen Einlassungen hierzu wirklich doppelzüngig.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat nicht nur geldliche Verpflichtungen. Es hat auch die Verpflichtung, die Menschen für bestehende Probleme zu sensibilisieren. Damit sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert, müssen wir aufklären und informieren. Alle Maßnahmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, unserer Politik dienen dazu, die Stellung von Familie, Frauen, Senioren und jungen Menschen weiter zu verbessern.
({10})
Unter Berücksichtigung all dieser Fakten, meine Damen und Herren von der Opposition, werden auch Sie unserem Haushalt eigentlich Ihre Zustimmung nicht verweigern können.
({11})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Während bei militärischen Prestigeobjekten wie dem Eurofighter die Geldquellen sprudeln, bleiben für Frauen und Familien kaum mehr als aufpolierte Ideenwettbewerbe und Modellprojekte.
Dienen und Verzichten war schon immer das, was Frauen in dieser Gesellschaft abverlangt wurde. Wie sehr Sie sich, Frau Nolte, aufs Verzichten verlegt haben, führt der Haushalt Ihres Ministeriums nur zu deutlich vor: Seit elf Jahren keine Anpassung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld. Den Betrag von 600 DM bekommen gerade einmal 40 Prozent der Berechtigten; ein Taschengeld also für die Erziehungsarbeit von Frauen. Wen wundert es da eigentlich noch, daß annähernd 99 Prozent der Väter dies nicht in Anspruch nehmen? So manifestieren Sie, Frau Nolte, den geschlechtsspezifischen Arbeitsmarkt. Dies ist inhuman und undemokratisch.
({0})
Statt gesetzlicher Regelungen zur Reduzierung der Arbeitszeit der Eltern und angemessener Lohnersatzleistungen für einen Teil der Erziehungszeiten lassen Sie die Familien im Regen stehen, die Mütter dazu auch noch ohne Schirm.
({1})
Hinzu kommt, daß Geld für die Gleichberechtigung von Frauen in homöopathischer Dosis verabreicht wird: Gerade zwei Promille der Mittel Ihres Haushaltes geben Sie dafür aus. Wenn Mitmachaktionen zum Aushängeschild von Frauenpolitik werden, ist die Konzeptionslosigkeit dieser Politik nicht mehr zu übersehen. Frau Nolte, die Bürgerinnen dieser Republik können Ihre Arbeit nicht machen. Politische Konzepte müssen Sie schon entwickeln und durchsetzen.
({2})
Auch der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist mit Faltblättchen-Prävention allein nicht beizukommen.
Heute ist der internationale Tag „Gewalt gegen Frauen" . Ich frage mich, wie die Bundesregierung seit Jahren daran festhalten kann, Gewalt gegen Frauen und Kinder, die Verletzung ihrer Würde und der körperlichen Unversehrtheit in diesem Lande herunterzuspielen, zu bemänteln, gar zu ignorieren.
Ich nenne Beispiele: Das erste ist die häusliche Gewalt. Gewalt gegen Frauen und Kinder im häuslichen Bereich ist ein Problem der inneren Sicherheit. Präventionsprojekte, Frauenhäuser, die Zuweisung der Ehewohnung müssen Teil einer umfassenden Konzeption werden. Es ist aber auch längst an der Zeit, den Zusammenhang zwischen Gewalt, dem Gesundheitszustand von Frauen und Kindern und den gesellschaftlichen Folgekosten von männlicher Gewalt öffentlich zu machen. Bisher sind diese Kosten nicht sichtbar.
Eine erste Studie in den Niederlanden zeigt, daß dort jährlich über 300 Millionen Gulden für die Folgekosten häuslicher Gewalt aufgewendet werden, und dies nur für Polizei, Justiz, medizinische Versorgung und psychologische Beratung, nicht für die Kosten, die Frauen und Kinder dadurch auf sich nehmen. Diese Berechnungen müssen doch gerade die Haushälter unter Ihnen interessieren.
Das zweite Beispiel: die genitale Verstümmelung. Die Bundesregierung hat sich 1995 in Peking verpflichtet, Genitalverstümmelung als MenschenIrmingard Schewe-Gerigk
rechtsverletzung zu ächten und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Mädchen zu ergreifen. Den wenigsten ist bekannt, daß auch in Deutschland Mädchen davon bedroht sind, sei es, daß sie in ihr Heimatland geschickt werden, oder sei es, daß sie sogar in Deutschland verstümmelt werden.
Frau Nolte, natürlich ist Aufklärung notwendig. Aber eine Broschüre allein reicht zum Schutz weiß Gott nicht aus. Wo bleiben Ihre Vorschläge, den Frauen Asyl zu gewähren, die vor Genitalverstümmelung aus ihrem Heimatland fliehen?
({3})
Wo bleibt Ihre Zusammenarbeit mit den Nicht-Regierungsorganisationen, wo die finanzielle Absicherung von Beratungsstellen oder auch die Unterstützung in der Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern, die für sich die Abschaffung dieser frauenverachtenden Praxis vorgesehen haben?
Das dritte Beispiel: das eigenständige Aufenthaltsrecht für Migrantinnen. Als großen Erfolg im Ausländerrecht haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Streichung der Voraussetzung einer dreijährigen Ehedauer zum Schutz vor einer Ausweisung im Falle einer außergewöhnlichen Härte verkauft. Verschwiegen haben Sie allerdings, daß Sie zusätzliche Hürden aufgebaut haben. Denn um nicht ausgewiesen zu werden, reicht es nicht aus, daß eine Frau hier Gewalt durch ihren Ehemann erleidet. Hinzu kommen muß, daß es ihr nicht zumutbar sein kann, in ihr Heimatland zurückzukehren. Selbst wenn diese beiden Kriterien erfüllt sind, ist sie noch immer nicht sicher vor der Ausweisung; denn ist diese Frau auf Sozialhilfe angewiesen, muß sie das Land trotzdem verlassen. Das ist eine zynische Politik.
Das vierte Beispiel: Frauenhandel. Der Sklavinnenhandel blüht im 20. Jahrhundert, ob es sich um Frauen handelt oder um Kinder. Auch in der Bundesrepublik haben die entsprechenden Zahlen in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Eine EU-Studie schätzt, daß in Westeuropa 500 000 Frauen zur Prostitution gezwungen werden. Dabei ist der Menschenhandel ein äußerst profitabler Wirtschaftszweig. Zirka 120 Milliarden DM ziehen Schlepperorganisationen pro Jahr aus diesem schmutzigen Geschäft.
Das digitale Netz bietet dem organisierten Verbrechen freie Fahrt. Elektronische Agenturen bieten in ihren Online-Katalogen Mädchen ab 13 Jahren zum Heiraten an. Das ist ein Skandal; und das wird durch unser deutsches Recht gedeckt. Es ist geradezu monströs, daß dieser global organisierte Sklavinnenhandel in der High-Tech-Gesellschaft durch die Informationstechnologien auch noch vorangetrieben wird.
Meine Damen und Herren, wir haben es beim Thema Menschenhandel mit einer irrsinnigen Logik zu tun. Wirtschaftskriminalität wird verfolgt. Jedem ist klar, daß es sich dabei um Kriminalität handelt. Aber daß es sich bei der systematischen Verschiebung und Verfolgung von Menschen um schlimmste Verbrechen gegen die Menschenwürde handelt, das
ist nicht in Ihren Köpfen. Sie haben da nur die Idee, diese Frauen auszuweisen. Hier muß die Bundesregierung endlich politisch handeln, indem sie die Frauen, die gegen Menschenhändler aussagen wollen, wirklich schützt. Ein echter Zeuginnenschutz ist notwendig. Sie von der Regierung müssen ihnen einen legalen Aufenthalt und ein Recht zur Arbeitsaufnahme verschaffen. Sie müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Handel mit Frauen zu unterbinden.
({4})
Was wir brauchen, ist ein Perspektivenwechsel.
({5})
Frauenrechte müssen endlich aus der Perspektive der Menschenrechte gesehen werden. Hochglanzbroschüren und Modellprojekte aus Ihrem Ministerium, Frau Nolte, sind eine Sache. Politische Veränderungen herbeizuführen, das ist etwas ganz anderes. Es ist allerhöchste Zeit für einen Politikwechsel.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die größten gesellschaftlichen Probleme, die Jugendliche zur Zeit haben, sind die Arbeitslosigkeit, die Situation auf dem Lehrstellenmarkt und die Hochschulmisere. Wer die Debatte vor gut einer Stunde in diesem Hause verfolgt hat, muß sich, glaube ich, auch fragen, was er daraus mitnimmt an konstruktiven Lösungsansätzen. Wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, noch mehr dafür zu tun, um diese Mißstände zu bekämpfen. Wir sollten uns nichts vormachen: Das geht nicht von heute auf morgen, sondern braucht längerfristige Konzepte.
Mit dem Finger auf andere zeigen ist ganz einfach. Gemeinsam daran arbeiten ist schwierig. Ich glaube aber, daß wir das unseren Jugendlichen draußen schuldig sind. Egal, ob sie in der Hochschule, in der Schule, im Kindergarten oder wo auch immer sind: Sie erwarten das von uns. Eine Politik, die ernst genommen werden will, und Politiker, die ernst genommen werden wollen, sollten es sich nicht zu einfach machen.
Meine Damen und Herren, die Opposition hat heute schon den ganzen Tag von Allheilmitteln und von Verbesserungen gesprochen. Ich stelle nur fest, daß eine ganze Menge Luftblasen dabei waren, Herr Kollege Diller.
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- Doch, ich bleibe ernst, Frau Kollegin Fuchs. Aber ab und zu geht mein Temperament mit mir durch. Das muß ich dann auch sagen.
({1}) ,
- Ich rede nicht von der roten Nelke, und Sie sollten nicht von den Sonnenblumen reden. Im übrigen denke ich: Das Tuch ist hübsch. Mir jedenfalls gefällt es. Wenn uns das eint, dann ist das gut.
({2})
Meine Damen und Herren, die Opposition hat vor wenigen Wochen eine Ausbildungsplatzabgabe für junge Leute beschlossen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Ich denke, das ist nicht der richtige Weg.
({3})
Sie wissen das auch ganz genau. Diese Abgabe würde keine einzige neue Lehrstelle schaffen. Das ist genau das gleiche wie bei der Schwerbehindertenabgabe.
Der richtige Ansatz liegt meines Erachtens ganz woanders. Unsere Ausbildung muß effektiver werden und sich dabei mehr als bisher an der betrieblichen Praxis orientieren. Abschlüsse sollten nicht erst am Ende einer Ausbildung stehen. Es wäre zum Beispiel hilfreich - das wissen alle Fachpolitiker -, einen kleinen Gesellenbrief zu etablieren, auf den man aufbauen könnte.
Eine solide Ausbildung erhöht die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Ausbildung und Arbeit schaffen Integration und helfen jungen Menschen, sich mit ihrer Gesellschaft zu identifizieren. Wir als Politiker müssen uns dann an die eigene Nase fassen,
({4})
wenn sich Jugendliche im politischen Raum zuwenig engagieren, weil sie sich durch die Politik zuwenig verstanden und vertreten fühlen. Junge Menschen überall in unserem Lande haben einen Anspruch auf Zukunftschancen. Dazu gehört es auch, die Rahmenbedingungen für Jugendliche insgesamt zu verbessern.
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Diesem Ziel dient natürlich auch die Unterstützung der verschiedensten Jugendhilfeorganisationen aus dem Bundesjugendhilfeplan. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, daß er stabil und verläßlich bleibt. Es wäre fatal, wenn von hier aus das falsche Signal gesendet würde. Frau Nolte, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, daß Sie sich auch persönlich des Bundesjugendhilfeplanes angenommen haben.
In der vergangenen Sitzungswoche haben wir uns intensiv mit der Jugendkriminalität auseinandergesetzt. Fast alle in diesem Hause waren sich einig, daß die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung steht: Eltern, Lehrer, Jugendorganisationen, Politik, Wirtschaft und viele andere. Wir alle müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.
Die allermeisten Jugendlichen lehnen kriminelles Verhalten ab. Aber ein junger Mensch, dem der Eintritt in das Erwerbsleben von Anfang an verweigert wird, wehrt sich zu Recht gegen eine Gesellschaft, die ihn nicht will.
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Wenn wir an diesen Voraussetzungen gemeinsam arbeiten, wird auch die Jugendkriminalität, zumindest zum Teil, zurückgehen. Sie scheint mir ohnehin zur Zeit die Funktion eines Ersatzfeindbildes zu haben.
Als weiteren Punkt möchte ich aus dem Etat von Frau Nolte die Flüchtlingsarbeit hervorheben, zumal wir ihn während der Ausschußberatungen strittig beraten haben. 1998 wird sich die Bundesrepublik mit mehr als 22 Millionen bei IOM, der Internationalen Organisation für Wanderung, die mit dem UNHCR zusammenarbeitet, engagieren.
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Dabei bildet das sogenannte REAG-Programm, das die freiwillige Rückkehr von ausländischen Asylbewerbern und Flüchtlingen unterstützt, den Schwerpunkt. Seit 1979 konnten 140 000 Personen mit Bundesmitteln in ihre Heimat zurückbegleitet werden. Volkswirtschaftlich gesehen führt das Programm zu ganz erheblichen Einsparungen bei den Sozialetats von Bund, Ländern und Kommunen.
Besonders wichtig aber ist das Spezialprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, denen damit eine schnelle und unbürokratische Rückkehr ermöglicht wird. Hierfür wurden im laufenden Jahr einschließlich Nachtragshaushalt 17 Millionen DM bereitgestellt und für den Haushalt 1998 etwa 14 Millionen DM, die für die Rückkehr von 52 000 Bosnien-Flüchtlingen ausreichen müßten.
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- Wir werden es sehen, Frau Kollegin Klemmer. In diesem Jahr sind wir gut damit hingekommen. Wenn Sie auf Haushaltswahrheit und -klarheit Wert legen, dann wird sich das bestätigen, zumal Sie genau wissen, daß die Beschlüsse im Rahmen des Beantragungsverfahrens der Monate November, Dezember erst überjährig, im Januar und Februar des Folgejahres, zur Wirkung kommen.
Unsere Maxime heißt: effizienter und effektiver Mitteleinsatz. Das heißt, wir müssen - das ist überhaupt keine Frage - bis an die Grenzen dessen gehen, was wir in diesem Bereich ausschöpfen können.
In vielen Bereichen ist es uns gelungen, unsere Möglichkeiten besser zu bündeln und finanzielle Streuverluste zu reduzieren. Diesem Ziel dient auch ein Gutachten, das der Haushaltsausschuß in Auftrag gegeben hat. Wir wollen klären, ob es wirklich sinnvoll ist, Sprachkurse für Spätaussiedler - ein Problem, was wir intensiv in diesem Haus diskutiert haben - aus sechs verschiedenen Etatpositionen und Einzeletats der Bundesregierung zu finanzieren. Die Vermutung liegt nahe, daß hier doppelt gemoppelt finanziert und gearbeitet wird. Das möchten wir abstellen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidemarie Lüth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hoffentlich leitet keiner den Stellenwert, den der Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Denken und in der Politik der Bundesregierung einnimmt, von der Tatsache ab, daß dieser Einzelplan 17 nahezu zu Beginn der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts 1998 steht. Vielmehr ist wohl zutreffend, was ich als Zitat von einem Richter des Hessischen Landessozialgerichts las - die liebe Kollegin Klemmer hat dies ebenfalls schon angeführt -:
Immer noch stiehlt der Staat den Familien die Sau vom Hof, um ihnen dann in Gönnerpose - auf Antrag, versteht sich - ein paar Schnitzel zurückzugeben.
Wenn die Regierung wenigstens von dem ausgehen würde, was im Grundsatzprogramm der CDU zu lesen ist! Dort steht nämlich:
Für uns ist die Familie das Fundament der Gesellschaft ... Der Zusammenhalt in unseren Familien ist die Voraussetzung für die Solidarität in unserer Gesellschaft.
Dieses Fundament mit Zement à la Haushalt 1998 verfestigen zu wollen kann eigentlich nur zur Baufälligkeit führen. Es bleibt die Feststellung: Frauen, Familien, Kinder, Jugendliche, Seniorinnen und Senioren bleiben, wenn man vom oben genannten Ziel ausgeht, die Bestohlenen.
({0})
Da die Kollegin Albowitz alle Bereiche genannt hat, bei denen es Mittelerhöhungen gibt, möchte ich einige Bereiche anführen, bei denen es Absenkungen gibt.
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Der Gesamtausgabenrückgang beträgt 2,7 Prozent. Aus dem Katalog der erneuten Reduzierungen nenne ich: minus 30 Millionen DM beim Unterhaltsvorschuß - schön ist die Begründung dafür: Anpassung an den tatsächlichen Bedarf -, bei Maßnahmen der Jugendpolitik ein weiterer Rückgang um 23,6 Millionen DM, bei den Zuschüssen an Wohlfahrtsverbände für die Betreuung von Aussiedlern und Flüchtlingen eine Kürzung um 4 Millionen DM.
Wir alle hören schon die Stimmen der Vereine und Verbände. Überzeugend für mich war eine Pressemitteilung von Pater Herbert Bihlmeyer - er ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Jugendsozialarbeit e. V. ({2})
vom September 1997. Dort steht:
Die finanzielle Ausstattung der Förderprogramme muß sich an den Lebenslagen junger Aussiedlerinnen und Aussiedler orientieren. Eine Orientierung an der Anzahl der jährlichen Neuzugänge ist unzulässig.
Aber wo kämen wir denn da hin, wenn sich die Ministerin und das Kabinett daran orientieren würden, was die Vertreter der katholischen Jugendsozialarbeit sagen.
Nein, es gibt wohl nur einen Maßstab: Das ist das Drei-Prozent-Defizitkriterium. Weil dem so ist, werden auch in diesem Haushalt keine Verkrustungen aufgebrochen. Es gibt auch nicht einen Ansatz, der das Leben mit Kindern erleichtert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf befördert. Wir vermissen auch Rahmenbedingungen, die es Frauen und Männern ermöglichen, eine existenzsichernde Erwerbsarbeit mit der Betreuung von Kindern zu vereinbaren, und die Voraussetzungen für eine gleiche Beteiligung beider Geschlechter an der Kinderbetreuung schaffen.
Es werden keine Prioritäten dahin gehend gesetzt, daß sich Kinder und Jugendliche als Persönlichkeiten mit ihren Interessen und Neigungen entwickeln können, daß der Begriff Gleichberechtigung einer Realisierung näher gebracht wird und daß die ältere Generation ein selbstbestimmtes Leben führen kann.
All diese Dinge sind mit dem vorgelegten Haushalt nicht möglich. Das ist übrigens nicht nur eine Frage des Einzelplans 17, sondern auch der Gesamtstruktur des Haushalts und damit offensichtlich auch politische Absicht. Es erscheint deshalb auch wenig sinnvoll, gerade im Bereich der Familien-, Frauen-, Kinder-, Jugend- und Seniorenpolitik durch Umverteilungsklimmzüge das schon zur Genüge bekannte Schlagen von Loch zu Loch mitzuspielen - Golfspiel à la Ministerin Nolte.
Gefragt sind eine andere Politik und damit auch eine andere Finanzpolitik. Dazu zählt die Gruppe der PDS eine Politik, die einen Paradigmenwechsel ermöglicht, die das Solidarprinzip im Generationenvertrag garantiert, die einen tatsächlichen Familienleistungsausgleich ermöglicht, bei dem, liebe Kollegin Diemers, das Ehegattensplitting abgeschafft wird und ein bedarfsorientiertes Kindergeld gezahlt wird, und die eine selbstbestimmte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sichert. Einer der ersten Schritte - das würde diesen Haushalt und seine
Struktur sprengen - müßte die Einrichtung eines Bundesjugendfonds zur Finanzierung von kontinuierlicher und langfristiger Arbeit im Kinder- und Jugendbereich sein.
Die Gruppe der PDS lehnt den Einzelplan 17 ab.
({3})
Das Wort hat jetzt die Frau Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Debatte zum Einzelplan 17 bis jetzt sehr aufmerksam verfolgt.
({0})
Ich muß schon sagen: Ich finde das Verhalten der Opposition bezeichnend. Sie kritisieren und bemängeln; das ist vielleicht auch noch legitim. Aber daß Sie hier ständig sagen, wo zuwenig getan wird und daß man eigentlich noch viel mehr leisten müßte, kennzeichnet wie so oft eine Politik des Draufsattelns ohne Gegenfinanzierung.
({1})
Wir sind von Ihnen gewohnt, daß Sie von Umfinanzierung statt von Einsparungen sprechen, die in der jetzigen Zeit notwendig wären. Hier aber einfach zu sagen, es sei zuwenig, ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll, finde ich in der Tat doch ein bißchen schwach.
({2})
Es ist doch gar keine Frage: Auch ich weiß noch vieles, was wünschenswert ist, was man noch machen kann, wozu man aber Geld bräuchte. Aber in einer Zeit knapper Haushaltsspielräume muß man Prioritäten setzen, und die habe ich gesetzt. Ich habe sie in den vergangenen drei Jahren gesetzt, und das werde ich auch 1998 tun.
Mir ist in der Debatte gar nicht aufgefallen, daß Sie dies kritisieren. Im Gegenteil, liebe Frau Klemmer, Sie haben meine Prioritätensetzung sogar eindeutig unterstrichen. Sie haben gesagt, daß sie richtig ist. Ich habe von niemandem gehört, daß die Prioritätensetzung falsch gewesen sei. Das mag eine Opposition ärgern, es macht ihr Geschäft schwieriger, obwohl ich sagen würde: Ein bißchen mehr Zugeständnisse würden Ihrer Glaubwürdigkeit gut bekommen.
({3})
Ich muß jedenfalls sagen, daß ich es als meine Pflicht empfinde, Ihre sehr selektive Wahrnehmung, die Sie an den Tag legen, ein Stück weit aufzuhellen, ihr das entgegenzusetzen, was wir uns vorgenommen haben und was wir schon erreicht haben.
Lassen Sie mich dies beispielhaft an einigen Punkten darlegen: Ein Schwerpunkt meiner Seniorenpolitik ist, daß ältere Menschen aktiv an unserer Gesellschaft teilhaben können, auch dann, wenn sie im hohen Alter sind, wenn die Gebrechlichkeit einsetzt. Wir wissen genau, wie wichtig es dafür ist, daß Ältere selbstbestimmt ein langes Leben in ihrem vertrauten Wohnumfeld führen können. Deswegen werden wir als ein Schwerpunktprojekt das Modell „Wohnkonzepte der Zukunft" - das wird von 1998 bis 2000 laufen - auflegen. Wir werden damit Wege aufzeigen, wie ein solches Wohnumfeld aussehen muß, in dem Menschen selbstbestimmt leben können.
({4})
Da geht es sowohl um die Frage, kostengünstig bestehende Wohnbausubstanz altersgerecht umzugestalten, als auch um die Frage der besseren Koordinierung und Kooperation von Anbietern von Leistungen.
Darüber hinaus werden wir schon im nächsten Jahr sehr intensiv das „Internationale Jahr der älteren Menschen", das die Vereinten Nationen für 1999 ausgerufen haben, vorbereiten.
({5})
- Frau Schewe-Gerigk, ich spreche zu Ende.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil wir den Zusammenhang brauchen.
Das Motto „Eine Gesellschaft für alle Lebensalter" macht deutlich, daß es um die Integration von älteren Menschen in die Gesellschaft geht. Dazu gehört natürlich auch der Dialog von Alt und Jung. Nur dadurch, daß man sich verständigt, miteinander spricht, kann man einander verstehen und kann man füreinander in der Solidargemeinschaft aufkommen, in der ja die Älteren zugleich ihre Erfahrung und Kompetenz in die Entwicklung junger Menschen einbringen.
Das ist ein Ansatz, den wir auch im Kinder- und Jugendplan verfolgen. Wir haben ihn unverändert bei 180 Millionen DM belassen, weil wir davon überzeugt sind, daß es wichtig ist, eine kontinuierliche Jugendarbeit zu gewährleisten. Dabei stützen wir uns natürlich auf die Jugendverbände und Jugendorganisationen. Und ich habe den Eindruck, daß das von den Verbänden sehr wohl honoriert und anerkannt wird.
Ich kann nur sagen, daß ich überhaupt kein Verständnis für das habe, was derzeit in NordrheinWestfalen passiert. Dort sagt der zuständige SPD-Jugendminister, daß die ganze Förderung nach 30 Jahren viel zu eingefahren und insgesamt verfehlt sei.
Man kann doch nicht pauschal den Jugendverbänden unterstellen, sie agierten an den Belangen und Bedürfnissen der Jugendlichen vorbei. Schon gar nicht kann man eine Jugendförderpolitik ausschließlich auf benachteiligte Jugendliche konzentrieren; auch reguläre Jugendförderung gehört dazu. Nicht in Bonn wird den Jugendverbänden an den Kragen gegangen; das passiert vielmehr in Düsseldorf. Das sollten Sie Ihren Ministern dort sagen.
({0})
Frau Albowitz hat zu Recht darauf hingewiesen: Die wichtigen Themen für junge Menschen sind Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel. In der Tat müssen alle Verantwortlichen alle Anstrengungen unternehmen, daß junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt Chancen haben, daß jedem Jugendlichen eine Lehrstelle angeboten werden kann. Hier kann man natürlich nicht die Tarifvertragsparteien außen vor lassen; sie tragen hier mit die Hauptverantwortung.
({1})
Wir wissen, daß es besonders schwierig ist für Jugendliche, die wir unter „benachteiligte Jugendliche" fassen, was man schon an solchen Zahlen festmachen kann, daß 80 Prozent aller arbeitslosen Jugendlichen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Deshalb ist Qualifikation wichtig.
({2})
- Natürlich haben wir darauf reagiert.
({3})
Dort, wo wir die Zuständigkeit haben, agieren wir auch. So haben wir das Projekt „Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit", das 1997 ausläuft, aufgelegt,
({4})
wo es ganz gezielt darum geht, Jugendliche in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen Qualifikation zu ermöglichen. Ich finde dieses Projekt wichtig und werde es deshalb 1998, nach Auslaufen, um eine zweite Phase verlängern, weil es mir darum geht, daß wir eine noch bessere Verzahnung von Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit und Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt erreichen.
Nur, meine liebe Opposition, was wir dort machen müssen, hat ein Stück weit mit Reparaturbetrieb zu tun. Wir müssen uns doch fragen: Wie kommt es, daß so viele Jugendliche ohne Ausbildung dastehen,
({5})
daß sie nach ihrer Schulzeit Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Lehrstelle zu finden?
({6})
Das hat damit zu tun, daß - besonders in SPD-regierten Ländern - jahrelang eine verfehlte Schulpolitik
betrieben worden ist, bei der die Hauptschule sträflich vernachlässigt worden ist. Jetzt bekommen wir die Quittung dafür.
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Die Umsetzung der nationalen Strategien auf Grund der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz ist für mich eine entscheidende frauenpolitische Aufgabe. Ich habe deshalb am 15. September dieses Jahres die Kampagne „Initiative gefragt - Frauen gefragt" gestartet, bei der wir schon heute einen guten Rücklauf beim Ideenwettbewerb haben. Mir ging es ganz gezielt darum, breit zu informieren und viele Frauen und Männer anzusprechen, daß sie sich daran beteiligen, weil ich davon überzeugt bin, daß es vor Ort sehr viele praktikable Ansätze gibt.
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- Frau Schewe-Gerigk, da geht es oft gar nicht um große Beträge, sondern da geht es um gute Ideen, um Strukturverbesserung, so daß Frauen Möglichkeiten haben, sich einzubringen. - Mir war dabei wichtig, daß wir eine praxisbezogene Kampagne haben, weshalb ich acht regionale Veranstaltungen vorgesehen habe. Wir haben inzwischen vier davon mit guter Resonanz durchgeführt.
Ich sage aus Überzeugung, daß Gleichberechtigung sich nur dann durchsetzen läßt, wenn Frauen an Entscheidungspositionen beteiligt werden und sie ihre entsprechenden Wünsche selbst anmelden. Sosehr ich das EuGH-Urteil zur Quotenregelung im Gleichstellungsgesetz von Nordrhein-Westfalen begrüßt habe, weil es Rechtssicherheit schafft, weil es ein ganz klares Signal zugunsten von Frauen und für die Frauenförderung ist und weil es auch deutlich macht, wie oft Frauen bei ihren Bewerbungen noch immer zurückgestellt und benachteiligt werden, meine ich doch, daß der Prozeß auch gezeigt hat, daß solche Regelungen in ihrem Erfolg sehr begrenzt sind. Letztendlich brauchen wir hier Überzeugungsarbeit und ein Umdenken in den Köpfen.
Frau Schewe-Gerigk, was ich nicht ganz verstanden habe und worüber ich sehr erstaunt bin, ist die Ignoranz in Ihrer Wahrnehmung dessen, was wir an Bemühungen anstellen, um Gewalt gegen Frauen zu ächten und dagegen vorzugehen. Es ist nicht möglich, im Rahmen einer Haushaltsdebatte all die Dinge, die Sie genannt haben, jetzt im Detail aufzugreifen und zu beantworten. Aber Sie wissen ganz genau, daß wir es möglich gemacht haben - die Umsetzung liegt nun einmal in der Verantwortung der Länder -, daß Frauen, die über Menschenhandel nach Deutschland gekommen sind und zur Prostitution gezwungen werden, jetzt in die Zeugenschutzprogramme aufgenommen werden können. Sie wissen um meine Zusammenarbeit mit den NGOs. Wir haben erst kürzlich wieder ein neues Projekt aufgebaut, Beratungsstellen für Osteuropäerinnen, die
hierher verschleppt worden sind. In diesen Beratungsstellen sollen sie leichter Rechtsberatung erhalten, um ihre Heimkehr zu ermöglichen oder um von ihren Rechtsmitteln Gebrauch zu machen. Sie wissen um die anderen Bemühungen, die vielen Projekte, die wir ins Leben gerufen haben. Ich muß sagen, ich fand es sehr erstaunlich, daß Sie das gar nicht zur Kenntnis nehmen.
({9})
Schwerpunktbereich - das hat Frau Klemmer richtig herausgestellt -, nicht zuletzt an den Finanzmitteln gemessen, war in dieser Legislaturperiode eindeutig die Familienpolitik. Wir haben mit der Reform des Familienlastenausgleichs in Richtung eines Familienleistungsausgleichs einen deutlichen Schritt zur besseren Förderung von Familien vorgenommen,
({10})
so daß die Familien heute in der Summe jährlich mit 12 Milliarden DM mehr entlastet werden als 1995. In Zeiten enger finanzieller Spielräume ist das eine ganz klare Prioritätensetzung.
Es ist auch nicht richtig, daß Sie so ein Horrorszenario zeichnen, Frau Klemmer, was die Sozialhilfe anbelangt. Lassen Sie mich aus einer Untersuchung von Zapf und Habich, „Die Wohlfahrtsentwicklung im vereinten Deutschland", 1994 erschienen, zitieren, wo berechnet wird, daß gegenüber dem Jahre 1984, als es auf der Grundlage des sozioökonomischen Panels einen Anteil von 20,5 Prozent minderjähriger Kinder gab, die über weniger als 50 Prozent des damaligen nach der BSHG-Skala personengewichteten Aquivalenzeinkommens verfügen konnten, im Jahre 1994 der Anteil dieser Minderjährigen nur noch 8,3 Prozent betrug. Dies ist also eine andere Entwicklung als die, die Sie hier beschrieben haben - ganz zu schweigen von der Verbesserung auch der materiellen Situation in der ehemaligen DDR, in den jetzigen neuen Bundesländern.
({11})
Sie dürfen bitte nicht ausblenden, daß wir gerade in den 90er Jahren einen erheblichen Zuzug von Ausländern hatten. Es ist doch nur richtig, daß sich die Menschen, die zu uns kommen - darunter sind viele kinderreiche Familien -, auf ein System wie die Sozialhilfe stützen können und dort entsprechende Unterstützung erfahren. Auch das ist natürlich in der Sozialhilfestatistik wiederzufinden.
Familienpolitik hat nicht nur mit Geld zu tun. Es ist meines Erachtens richtig, auch das hier herauszustellen und deutlich zu sagen. Deshalb möchte ich die von mir eingerichtete Familienkonferenz erwähnen, die alle zwei Jahre tagen wird und auf der man sich gemeinsam Gedanken über eine kohärente Familienpolitik auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene machen kann. Ich denke an die Bundeswettbewerbe „Der familienfreundliche Betrieb " und „Die kinder- und familienfreundliche Gemeinde", die große Resonanz gefunden haben. Auch das ist ein Zeichen für innovative Familienpolitik.
Ich war sehr gespannt, ob die Kolleginnen von der Opposition das Erziehungsgeld ansprechen. Sie haben mich nicht enttäuscht. Deshalb möchte ich hier wiederholen: Ich halte es für eine absolute Heuchelei, hier auf Bundesebene ein Kernstück christdemokratischer Familienpolitik einzufordern und in Ihren Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, genau das Gegenteil zu machen.
({12})
Nochmals sage ich: Rheinland-Pfalz hat das Erziehungsgeld gerade abgeschafft. Ich verstehe nicht, daß Sie hier immer wieder das Erziehungsgeld ansprechen. Sie können mir nicht erzählen: Sie sind hier für den Bund verantwortlich, und die Länder sind eine ganz andere Ebene. - Wir haben unseren politischen Willen für das Erziehungsgeld artikuliert. Davon zeugen Beschlüsse von Parteitagen auf Bundes- und Landesebene. Ich habe nirgendwo äquivalente Anträge Ihrerseits bzw. auf Ihren Parteitagen gefunden.
({13})
Es ist keine Frage, daß auch ich mir eine Anhebung der Einkommensgrenzen für die Gewährung von Erziehungsgeld gewünscht hätte. Daraus mache ich keinen Hehl. Es ist aber nicht alles möglich, was man sich wünscht. Das habe ich eingangs deutlich gemacht.
Ich möchte es nicht versäumen, all denjenigen im Fachausschuß und im Haushaltsausschuß, die mich in meiner Politik und bei dieser Haushaltsaufstellung unterstützt haben, ganz herzlich für diese konstruktive Zusammenarbeit und diese Unterstützung zu danken.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Hagemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie sagten in der ersten Lesung des Haushalts 1998, Ihr politisches Ziel sei, „ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das von Solidarität, von Wärme und von einem guten Miteinander der Generationen geprägt" ist.
({0})
Wenn wir jedoch die Politik Ihrer Bundesregierung betrachten, die sich hier im Haushalt in Zahlen manifestiert, können wir nicht von einer verantwortungsvollen Politik für Familien, Kinder, Jugendliche, Frauen und ältere Menschen sprechen.
({1})
Nur der Hinweis auf die Mitmenschlichkeit, verehrte
Frau Kollegin Diemers, als Begründung für Sparen
und Streichen ist sicherlich zuwenig. Wenn die FiKlaus Hagemann
nanzierung des Erziehungsgeldes immer wieder angesprochen wird, dann muß man natürlich auch feststellen: Wenn man die Vermögensteuer auslaufen läßt und diese Einnahmen den Ländern vorenthält, dann wundert es mich nicht, daß auch auf Länderebene Mittel für das Erziehungsgeld gestrichen werden.
Nicht nur wir Sozialdemokraten weisen auf die Schwierigkeiten in diesem Politikbereich hin, sondern ebenfalls Vertreter von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Jugendringen und Forschungsinstituten. Das hat eine Reihe von Anhörungen und Gesprächen mit Verbänden und Sachverständigen bestätigt.
Die Kinderkommission hat sich in einer Anhörung mit den Folgen von Kinderarmut beschäftigt. Alle Sachverständigen - ich betone: alle - waren sich einig, daß in der Kinder- und Familienpolitik deutliche Veränderungen notwendig sind. Denn Kinderarmut ist nicht mehr auf traditionelle Randschichten begrenzt, sondern reicht weit in größere Bevölkerungsschichten hinein.
({2})
Immer mehr Kinder sind von Armut betroffen und auf Sozialhilfe angewiesen, zur Zeit etwa 1 Million Kinder. Die Quote ist doppelt so hoch wie bei der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.
Arbeitslosigkeit der Eltern, schwierige Wohn- und Wohnumfeldverhältnisse, zunehmende Gesundheitsprobleme und vor allen Dingen eine steigende Verschuldung der Familien - etwa 1,5 bis 1,8 Millionen Familien sind überschuldet -, das ist das Umfeld, in dem immer mehr Kinder in Deutschland aufwachsen müssen. Das hat zur Folge, daß sie von Anfang an benachteiligt sind, geringere Bildungschancen und somit schlechtere Startbedingungen für ihr Leben haben. Untersuchungen zeigen, daß
Defizite bei Kindern, die durch geringeres Einkommen oder Armut entstanden sind, von älteren Kindern wieder ausgeglichen werden können - Kinder unter 7 Jahren jedoch kaum in der Lage sind, erlebte Defizite auszugleichen.
Armut ist also ein Bestandteil der sozialen Ungerechtigkeit, sehr verehrte Frau Ministerin.
Die Sachverständigen der Kinderkommission haben viele gute Vorschläge im Rahmen der Anhörung unterbreitet. Das Wohn- und das Erziehungsgeld müssen an die bestehenden Verhältnisse angepaßt werden, ebenso das Bundeskindergeld.
({3})
- Sehr geehrter Herr Geißler, hätten Sie nicht die Vermögensteuer gestrichen, hätten die Länder auch noch die entsprechenden Einnahmen. Daraus könnte auch das Landeserziehungsgeld in Rheinland-Pfalz gezahlt werden.
({4})
Weiterhin wurde vorgeschlagen, die AFG-Leistungen stärker auf Familien mit Kindern auszurichten
und - wie gesagt - das Kindergeld zu erhöhen. Wenn ich an das Gezerre und unsere Diskussionen um die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM vor zwei Jahren denke, graust es mich noch.
({5})
In die Steuerpolitik muß eine stärkere Familienkomponente einfließen.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geißler? - Bitte, Herr Geißler.
Herr Kollege Hagemann, darf ich Sie als Wormser darauf aufmerksam machen, daß der Ministerpräsident von RheinlandPfalz, Kurt Beck, SPD, nicht nur die Abschaffung der betrieblichen Vermögensteuer, sondern auch die der anderen Vermögensteuer für richtig gehalten hat? Darf ich Ihnen die Belege für diese Meinung des Ministerpräsidenten zusenden, damit Sie diese Äußerungen nicht mehr tätigen? Darf ich Sie auch darauf aufmerksam machen, daß ich mit meinem Zwischenruf Ihnen eigentlich etwas anderes ins Gedächtnis rufen wollte, nämlich daß nach all dem, was Sie völlig zu Recht über die soziale Situation der Familien ausgeführt haben, nun nicht ausgerechnet auch noch die Elternbeiträge für die Kindergärten in RheinlandPfalz erhöht werden sollten?
Das ändert nichts daran, sehr geehrter Herr Kollege Geißler, daß die Mittel fehlen. Der Ministerpräsident Beck ist in einer Koalitionsregierung; Sie müssen berücksichtigen,
({0})
daß die F.D.P. sehr viel Druck ausübt und es sehr schwierig ist, sozialdemokratisches Gedankengut durchzusetzen.
({1})
Trotzdem, sehr geehrter Herr Kollege Geißler, ändert das nichts daran, daß die Einnahmen aus der Vermögensteuer, die Sie haben auslaufen lassen, den Ländern und dadurch auch den Gemeinden fehlen, um gerade Familien und Jugendliche zu unterstützen. Dieses Geld fehlt voll und ganz. Das möchte ich hier jetzt auch noch einmal mit Nachdruck unterstreichen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich hatte auf die Vorschläge der Fachverbände hingewiesen. Auch das Unterhaltsvorschußgesetz muß novelliert werden. Auch diese Forderung haben die Sachverständigen in der Kinderkommission vorgetragen. Recht haben sie, und die meisten ihrer Vorschläge finden Sie in unserem Entschließungsantrag wieder. Stimmen Sie deswegen unserem Entschließungsantrag zu!
In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Frau Ministerin Nolte: Werden Sie den 10. Kinder- und Jugendbericht Anfang kommenden Jahres vorlegen? Wir wollen die Ergebnisse noch in dieser Legislaturperiode diskutieren und nicht wie beim 9. Bericht erst nach der Bundestagswahl.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden verstärkt unter Perspektivlosigkeit. In der Bielefelder Erklärung von Professor Hurrelmann heißt es, daß Jugendliche heute nicht mehr ihres Glückes Schmied sind, sonem passiv den gegenwärtigen Verhältnissen ausgeliefert sind. Jugendarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel führen bei immer mehr Jugendlichen zu Perspektivlosigkeit, Isolation, Verbitterung und Haß. Neueste Jugendstudien bestätigen das. Den Kritikern des Lehrstellenprogramms der SPD, Frau Kollegin Albowitz, entgegne ich: Wir haben wenigstens ein Programm; Sie appellieren nur!
({4})
- Sogar ein gutes Programm, jawohl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sind das Aufgehobensein in der Gemeinschaft und das Erlernen und Erfahren von Rücksichtnahme und Toleranz. Bildung, Ausbildung und Arbeit sind die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung. Wir alle wissen, daß Isolation bei Jugendlichen zu Kriminalität führen kann. Deswegen brauchen Jugendliche verstärkte Integrationshilfen, die eine soziale Ausgrenzung mit allen negativen Folgen verhindern.
Deshalb verstehe ich, Frau Ministerin Nolte, die Kürzungen im Bereich der Jugendsozialarbeit für das kommende Jahr überhaupt nicht, auch wenn Sie sie hier verteidigt haben. Freie Träger, die in der Jugendsozialarbeit tätig sind, haben auf die dramatische Situation hingewiesen. Immer mehr Projekte müssen eingestellt werden. Die Substanz der Jugendarbeit ist gefährdet, sagen die Träger. Und dann wundern Sie sich noch, daß junge Menschen nicht genügend in der Ausbildung vorankommen!
Meine Damen und Herren, ebenso sind für mich die Kürzungen beim Garantiefonds, bei den Mitteln für die Integration von jugendlichen Aussiedlern, nicht nachzuvollziehen. Auch wenn die Zahlen eingewanderter Aussiedler zurückgehen, so müssen wir weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, ausreichend finanzielle Mittel für die Integration bereitzustellen. Wir müssen ihnen, meine Damen und Herren, das Gefühl vermitteln, daß sie keine Außenseiter sind.
({5})
Der Kriminologe Professor Pfeiffer hat kürzlich in einer Anhörung unseres Ausschusses auf den Zusammenhang zwischen einem Mangel an Integration und Förderung und zunehmender Kriminalität hingewiesen. „Die beste Kriminalpolitik ist immer noch eine gute Sozialpolitik",
({6})
hatte schon vor 100 Jahren Franz von Liszt gesagt. Diesem Satz ist sicherlich nichts hinzuzufügen.
({7})
Es ist richtig, daß der Kinder- und Jugendplan im Vergleich zum Vorjahr für 1998 fast stabil geblieben ist.
({8})
Das gleicht jedoch, Frau Ministerin Nolte, die massiven Kürzungen der Vorjahre nicht aus. Die Auswirkungen spüren heute noch die Verbände, und sie sind gezwungen, auf dem wichtigen Sektor der Jugendbetreuung weiter einzusparen.
({9})
Daß man hier natürlich auch neu darüber nachdenken muß, wie Gruppen, die außerhalb des Kinder- und Jugendplanes stehen, einzubeziehen sind, damit hat sicherlich auch der nordrhein-westfälische Minister recht.
({10})
Die Ministerin ist im Raum, Herr Kollege.
Nach unseren Informationen, meine Damen und Herren, will das Ministerium den Verwaltungsvollzug des Kinder- und Jugendplans ändern. Ausgliederungen sind geplant. Es besteht die Gefahr der Zerstückelung. Der Kinder- und Jugendplan ist aber ein Aushängeschild und ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument der Kinder- und Jugendpolitik des Bundes und muß in seiner Grundstruktur beim Ministerium erhalten bleiben. Diese Forderung richten wir auch an Sie, meine Damen und Herren.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf die Seniorenpolitik
({1})
- dieser Bundesregierung eingehen, Herr Möllemann. Hier erwarten wir nicht nur schöne Broschüren aus Ihrem Hause, sehr geehrte Frau Ministerin, sondern mehr Einsatz, durch den ein eigenverantwortliches Leben alter Menschen ermöglicht wird. Ich frage Sie: Wann setzen Sie sich endlich bei der
bundeseinheitlichen Regelung für die Altenpflegeausbildung gegen das Land Bayern durch?
({2})
Wann kommen wir mit dem Heimgesetz voran, das auch die Kurzzeitpflege besser regelt? Wo bleibt Ihr Einsatz für die alten Menschen bei der Diskussion um die Renten, um die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung? Wo bleiben die entsprechenden Antworten auf unsere Anträge unter dem Stichwort „Gewalt gegen Ältere"? Frau Schewe-Gerigk hat darauf hingewiesen.
Sie sehen, Frau Ministerin, die SPD-Bundestagsfraktion hat hier eine Reihe von guten Vorschlägen unterbreitet. Um Ihre Formulierung aufzugreifen: So können wir eine solidarische Gesellschaft erreichen, die sich wieder durch soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Wärme auszeichnet und die durch ein gutes Miteinander der Generationen geprägt ist.
Lassen Sie mich abschließend, meine Damen und Herren, den Herrn Bundespräsidenten zitieren, der auf diesen Zusammenhang hingewiesen hat:
Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Konsens darüber, daß Investitionen in junge Menschen unserer gemeinsamen Zukunft zugute kommen. Bei Leistungskürzungen im Bereich der Jugendhilfe muß also immer die mittel- und langfristige Wirkung für die ganze Gesellschaft bedacht werden.
Den Einsparungen müssen immer die möglichen Mehraufwendungen, etwa im Bereich der Sozialhilfe, der Drogenhilfe oder des Jugendstrafvollzugs, gegenübergestellt werden.
Recht hat der Herr Bundespräsident. Handeln Sie danach, Frau Ministerin, meine Damen und Herren!
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilfried Seibel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist ein Diskurs zu den Ausgabenpositionen des Einzelplans 17 des Haushalts 1998, und die Redebeiträge machen sich logischerweise an den Kapiteln und Titeln des Plans fest. Wir sollten jedoch sagen, daß wir damit nur einen Bruchteil der Situation der Familien im Land erfassen.
Sie, verehrte Frau Kollegin Klemmer, haben dafür - ich hoffe, daß ich das nicht völlig falsch interpretiere - in Ihrer Rede einen kleinen Beweis geliefert, indem Sie engagiert vorgetragen haben, daß die Kürzungen bei den Zuwendungsempfängern direkte Auswirkungen auf die gesellschaftliche Situation haben. Das sehe ich noch etwas anders. Ich persönlich
meine, die familienpolitischen Belange gehen weit darüber hinaus.
Rechtsfragen, Bildungspolitik, Renten, Steuern, Wohnungsbau, Städteplanung, Gesundheitswesen und vieles andere mehr gehören zu einem vollständigen Bild der familienpolitischen Realität.
({0})
Damit wir nicht der Versuchung erliegen, das Spektrum dieser Debatte für das Handlungsfeld der Familienpolitik zu halten, empfehle ich uns allen - ich meine das ganz ernst und nicht karikierend -, öfter an Familienfeiern teilzunehmen. Längeres Verweilen, geduldiges Zuhören und die tatsächlichen Lebenssachverhalte zu würdigen, das ist jedesmal ein familienpolitisches Symposium, in den meisten Familien auch noch ohne Soziologen.
Tante Frieda konnte nicht kommen, weil sie pflegebedürftig ist. Dafür können die Kinder erstmals die gesamte Zeit mitfeiern. Onkel Karl führt vor, daß trotz seiner 78 Jahre das eingesetzte künstliche Kniegelenk perfekt funktioniert. Ilse ist mit den Kindern alleine da, weil Bernd sich von ihr getrennt hat, und es wird viel über die Folgen der bevorstehenden Scheidung gesprochen. Heidi erzählt, daß ihr die Scheine, die sie an der Uni Bonn gemacht hat, in Berlin nicht anerkannt werden usw. - Diese Berichte aus dem Alltag der Familien ließen sich beliebig fortsetzen und inhaltlich ausweiten.
Lassen Sie mich über ein konkretes Beispiel berichten:
({1})
Die Kinder einer Familie haben vor über zwei Jahren das Studium abgeschlossen. Die Tochter hat nach dem Examen geheiratet. Mit dem Kind bewohnt die Familie inmitten einer Großstadt im vierten Stock eine ausreichend große Wohnung. Um Einkäufe, Arztbesuche, Behördengänge und Bankgeschäfte erledigen zu können sowie sonstige soziale Kontakte pflegen zu können, benötigt die Ehefrau ein Auto, für das sie nicht unmittelbar vor der Haustür einen Parkplatz finden kann. Der Kinderwagen muß in Teile zerlegt werden, und dreimal muß der Gang in den vierten Stock über die Treppe angetreten werden, um Kinderwagenteile und das Kind in die Wohnung zu bringen. Der erste Kinderwagen stand einige Tage im Parterre im Hausflur, bis er einen neuen Besitzer fand.
({2})
- Bleiben Sie mal ganz ruhig, Herr Diller!
Der Sohn der Familie arbeitet in einem Großkonzern am Rande einer Großstadt. Er bewohnt ein modernes Ein-Zimmer-Appartement mit Aufzug zum elften Stock. Er geht acht Minuten zum Arbeitsplatz und drei Minuten zur nächsten U-Bahn-Station. Ein Auto braucht er nicht.
({3})
- Was soll denn die Unruhe? Hören Sie doch einmal zu und meckern Sie hinterher.
Seine Firma hat den gesamten Fuhrpark geleast. Am Wochenende, wenn die Fahrzeuge nicht gebraucht werden, können die Mitarbeiter zum Preis von 50 DM plus Benzin für drei Tage ein Auto leihen. Mit Heiraten und Kinderkriegen hat er nichts an der Mütze. Er will nach Kindergarten, Schule und Uni erst einmal etwas vom Leben haben.
Die Gesellschaft hat noch vieles zu reformieren, bis sich bei diesen beiden Geschwistern eine gerechtere Verteilung der Lasten und der Chancen einstellt.
({4})
Da die freie Entscheidung für oder gegen Familie und Kinder nicht angetastet werden soll, müssen wir intensiver daran arbeiten, daß sich nicht die Entscheidung für Ehe und Kinder als Bestrafung und die Entscheidung für ein Single-Dasein als Belohnung darstellt.
Hinzu kommt, daß die Spannung zwischen den Senioren und den Junioren zunimmt, und zwar nicht nur bei den Fragen zur Zukunftssicherung der Renten. Danach befragte Jugendliche sprachen fast alle davon, daß sie das Verhältnis der Generationen zueinander entweder als Machtverhältnis - man sagt: die Erwachsenen lassen uns nicht mitreden - oder als Vernachlässigungsverhältnis - man sagt: in der Politik spielen die Probleme der Jugendlichen keine Rolle - sehen. Das kann bedeuten, daß Jugendliche sich in die Rolle versetzt fühlen, die Fehler und Versäumnisse früherer Generationen - sei es im wirtschaftlichen, sei es im sozialen Bereich - ausbaden zu müssen.
({5})
Ich will den Stellenwert unserer heutigen Haushaltsdebatte nicht abwerten. Aber ich möchte mit meinen Bemerkungen herausstellen, daß dies nur ein Teil sein kann. Familienpolitik ist eine Querschnittsaufgabe und eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Familienpolitiker müssen sich in Steuerfragen, Rechtsetzung, Wohnungsbau, Stadtentwicklung, Erziehung und Bildung einmischen.
Nun will ich noch ganz kurz auf Frau Klemmer eingehen, die über die Strukturen der Familie gesprochen hat. Die oft zitierte Weisheit, daß die Familie die Keimzelle der Gesellschaft sei, rechtfertigt dies. Aber, um auch das noch hinzuzufügen, für mich gilt folgende Definition von Familie: Vater, Mutter, Kinder. Ich verkenne nicht die statistische Größe nicht vollständiger Familien. Aber die unvollständige Familie kann nicht der Hauptgegenstand der familienpolitischen Bemühungen sein. Die Kompensation der Benachteiligung - das soll ganz deutlich gesagt werden - ist eine wichtige Aufgabe staatlicher Politik. Ich bekenne mich aber deutlich dazu, daß das familienpolitische Leitbild Vater, Mutter, Kinder bleiben soll.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei Bemerkungen zum Haushalt 1998 machen. Der Regierungsentwurf dieses Ministeriums war geringer gekürzt als andere Einzeletats. Die Debatten im Berichterstattergespräch wie im Ausschuß waren durchgehend sachlich und in hohem Maße einvernehmlich. Dafür ist allen Kollegen wie auch den Beamten des Ministeriums zu danken. Deswegen noch einmal, Frau Kollegin Klemmer: Was die Bemerkung mit der finalen inhaltlichen Kapitulation sein soll, habe ich nicht verstehen können.
({6})
- Vielleicht ein nächstes Mal.
Ich denke, im Rahmen dieser überwiegenden Einvernehmlichkeit und der Harmonie ist es deshalb kein Wunder gewesen, daß wir alle zusammen den Einzeletat gut durch die Beratungen gebracht haben und daß er von notwendigen Streichungen weitgehend verschont geblieben ist.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/9125? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/9126? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Enthaltung bei der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9137? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD, vom Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS und eine Stimme aus den Reihen der Grünen abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 15 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit - Drucksachen 13/9014, 13/9025 -Berichterstattung:
Abgeordnete Kristin Heyne Roland Sauer ({0})
Dr. Wolfgang Weng ({1}) Gerhard Rübenkönig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - WiderVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
spruch gibt es dagegen nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt gilt zu Recht als ein in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir diesen Gesundheitshaushalt heute betrachten.
Bereits in der ersten Lesung, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich auf die gravierenden Kürzungen bei den disponiblen Ausgaben im Gesundheitshaushalt 1998 hingewiesen. Deshalb möchte ich mir diese Thematik heute im einzelnen ersparen.
Wenn man aber das Gesamtvolumen dieses Haushalts von 712 Millionen DM betrachtet und dabei feststellt, daß nur noch 114 Millionen DM, also 16 Prozent, für disponible Ausgaben zur Verfügung stehen, dann muß man klar zum Ausdruck bringen, daß Sie, Herr Minister Seehofer, mit diesem Gesundheitshaushalt keine gesundheitspolitischen Akzente mehr setzen.
({0})
Wenn man darüber hinaus berücksichtigt, was die Bundesregierung mit ihren angeblichen Gesundheitsreformgesetzen den Kranken, den Familien, den Kindern und all denen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, zumutet, dann muß man weiterhin zum Ausdruck bringen, daß diese Politik nicht nur unverantwortlich, sondern endgültig als gescheitert zu betrachten ist.
({1})
In den gesundheitspolitisch relevanten Titeln dieses Haushalts sind, wie bereits ausgeführt, nur noch 114 Millionen DM veranschlagt. Davon ist etwa die Hälfte durch Festlegungen aus den Vorjahren gebunden. Andererseits sind im Umfang von zirka 50 Millionen DM neue Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht.
Die drastischen Kürzungen im Gesundheitshaushalt betreffen insbesondere den präventiven Bereich: beispielsweise die Forschung, die Modellprogramme und die Aufklärungsmaßnahmen. Für diese Aufgaben sind insgesamt nur noch zirka 86 Millionen DM vorhanden.
Bei den Titeln mit geringer oder nicht flexibler Masse steht der Personalhaushalt mit 263 Millionen DM im Vordergrund. Die zweite Finanzgröße in diesem Bereich ist der Verwaltungsaufwand, also die Sach- und Investitionsausgaben, in Höhe von 117 Millionen DM.
Das internationale Gesundheitswesen mit dem WHO-Beitrag schlägt mit 64 Millionen DM, also zirka 9 Prozent des Gesamtvolumens, zu Buche und macht 35 Prozent aller Mittel für Zuwendungen und Zuweisungen aus. Rechnet man die Mittel für gesetzliche Leistungen heraus, sind es sogar mehr als 41 Prozent. Kolleginnen und Kollegen, wären wir in dieser Situation noch dem Antrag der Koalition gefolgt, beim WHO-Beitrag die Devisenkursanpassung nicht mit dem gegenwärtigen Dollarkurs durchzuführen, dann hätten wir heute weitere 7,4 Millionen DM weniger an Finanzmasse im flexiblen Bereich zur Verfügung.
Ich sehe auch mit großer Sorge die schon im Vorgriff auf das Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz für den Gesamthaushalt 1998 eingebrachte Effizienzrendite von 350 Millionen DM. Dies bedeutet nämlich für den Einzelplan Gesundheit im Verwaltungshaushalt eine Effizienzrendite von 4,9 Millionen DM. Bis heute wissen wir nicht, wie dieser Betrag erwirtschaftet werden soll; denn nach wie vor ist die Effizienzrendite umstritten. Begründet wird sie damit, daß sie zu vertretbaren Einsparungen führen werde. Selbst die Sachverständigen haben in der jüngsten Anhörung dazu klargestellt, daß solide Einsparungen überhaupt nicht zu erwarten seien. Es ist eher zu vermuten, daß die Effizienzrendite von der Größenordnung her nichts anderes als eine verdeckte Minderausgabe ist.
({2})
Meine Damen und Herren, soweit zum Zahlenspiel dieses Gesundheitshaushalts. Lassen Sie mich jetzt einige Bemerkungen zum Personalhaushalt machen.
Im Verbraucherschutz, Bereich Lebensmittelrecht, konnten zur Erfüllung der durch Europanormen geprägten Aufgaben zwei dringend benötigte Stellen in der Veterinärmedizin ausgebracht werden. Gefordert waren aber drei Personalstellen; denn die Aufgabe für den Verbraucherschutz im Lebensmittelrecht umfaßt den Schutz der Gesundheit des Verbrauchers sowie seinen Schutz vor Täuschung und seine Information beim Kauf von Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, Kosmetika und Bedarfsgegenständen. Die in diesem Rahmen anfallenden Aufgaben zur Vorbereitung und Abstimmung des Gemeinschaftsrechts sowie dessen Umsetzung in nationales Recht erfordern den Einsatz hochqualifizierter, erfahrener Fachbeamter mit veterinärmedizinischer Ausbildung. Meines Erachtens sind die zwei geschaffenen Stellen nur ein erster Schritt und reichen nicht aus.
Beim Robert-Koch-Institut hat die Koalitionsmehrheit dafür gesorgt, daß 43 Stellen mit nicht personengebundenen kw-Vermerken versehen sind. Das bedeutet, daß künftig jede freiwerdende Stelle der Einsparung zum Opfer fällt. Diese Stellensituation hat also zur Folge, daß in den nächsten sechs bis sieben Jahren Neueinstellungen nicht mehr möglich sein werden.
Selbst der Wissenschaftsrat hat in diesem Jahr eine Bewertung des RKI vorgenommen und in seinem Gutachten zum Ausdruck gebracht, daß alle Anstrengungen, das Institut umzustrukturieren, vergebens sein werden, wenn es nicht gelingt, binnen kurzer Zeit eine deutliche Flexibilisierung der personellen Situation im wissenschaftlichen Bereich herbeizuführen.
Im RKI ist unter anderem besonders die modernste Überwachung und Bekämpfung von InfektionsGerhard Rübenkönig
krankheiten, die lange Zeit als besiegt betrachtet wurden, absolut erforderlich. Die Forschung auf diesem Gebiet und die Epidemiologie nichtinfektiöser Erkrankungen sind Aufgaben, die eine flexible und moderne staatliche Institution wie das RKI für die Bundesrepublik als unverzichtbar erscheinen lassen. Ohne die Möglichkeit einer gewissen personellen Erneuerung kann das RKI diese bedeutenden Aufgaben meines Erachtens nicht in dem notwendigen Maße erfüllen, wie es auch im internationalen Vergleich unabdingbar ist.
Wenn ich all diese Punkte nun zusammenfasse, dann muß ich feststellen, daß ein Haushalt vorliegt, in dem sich nichts mehr bewegen kann. Für die Versicherten und Patienten gibt es überhaupt kein Signal für eine zukunftsfähige und moderne Gesundheitspolitik. Es ist wohl unumstritten, daß Haushaltspläne eben nicht nur eine finanzwirtschaftliche Funktion, sondern auch eine sozialpolitische und wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion haben müssen.
Sie, Herr Minister Seehofer, haben mit diesem Haushalt die Gestaltungsmasse in der Gesundheitspolitik aus reiner Loyalität zum Bundesfinanzminister drastisch reduziert, ohne daß hierdurch Haushaltslöcher geschlossen werden konnten.
({3})
Die Gesundheitspolitik ist für uns jedoch weit mehr als nur die fiskalische Haushalts- und Krankenkassenpolitik. Deshalb hat die SPD-Fraktion bereits im Herbst vergangenen Jahres vor den verheerenden Folgen der Spargesetze für den Kur- und Rehabilitationsbereich gewarnt. In diesem Zusammenhang halten wir auch die von der Koalition im Juni verabschiedeten Änderungen, die Ausgaben für die Rehabilitation erst 1998 und 1999 um jeweils 450 Millionen DM zu erhöhen, bei weitem nicht für ausreichend; denn allein die Spargesetze verursachten für 1997 im Leistungsbereich einen Rückgang von 3,5 Milliarden DM.
Die Erhöhung fällt weit hinter den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf zurück. Deshalb kann die in diesem Jahr stattfindende Welle der Entlassungen und Schließungen im Rehabereich so nicht auf gehalten werden.
({4})
Besonders bedenklich ist die Absicht der Bundesregierung, die Kinder- und Jugendrehabilitation von der Rentenversicherung auf die Krankenversicherung zu übertragen. Dies ist nur ein Beispiel Ihrer insgesamt verfehlten Gesundheitspolitik, Herr Minister.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen: Sie haben nicht nur den Gesundheitshaushalt nach unten gefahren und dadurch präventive Maßnahmen reduziert, sondern Sie haben auch gegen den heftigen gesellschaftlichen Widerstand den Beitragszahlern und Kranken hohe Belastungen zugemutet und
so die Zweiklassenmedizin in diesem Lande eingeführt.
({5})
Es wird umverteilt vom Kranken zum Gesunden. Für den Kranken steigen die Beiträge und die Zuzahlungen. Eine solche Gesundheitspolitik können und werden wir nicht mittragen. Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnen wir Ihren Haushalt ab.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Roland Sauer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist meine letzte Haushaltsrede. Das ist richtig, Herr Kollege Diller. Sie haben zwischendurch einmal etwas Richtiges festgestellt.
({0})
Ihre Rede, Herr Rübenkönig, war wieder einmal Schwarzmalerei in Reinkultur. Man könnte meinen, das deutsche Gesundheitswesen würde wegbrechen. Man verschweigt Zahlen, die auf dem Tisch liegen. Es sind von Mitte 1996 bis Mitte 1997 22 000 Stellen im Kurbereich weggefallen.
({1})
Aber auf der anderen Seite sind 54 000 neue Stellen im Gesundheitswesen, so der Sachverständigenrat, geschaffen worden.
({2})
Aber dies alles spielt bei Ihnen keine Rolle.
Bei aller Kritik, welche die Opposition vorzubringen hat, ist eines unumstößlich: Wir haben mit der am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Gesundheitsreform das qualitativ hochstehende deutsche Gesundheitswesen wieder bezahlbar gemacht und dabei gleichzeitig die Krankenversicherungsbeiträge stabilisiert. Dies ist ein wichtiger Beitrag dazu, die Arbeitskosten in Deutschland in Grenzen zu halten.
({3})
Wir werden die finanziellen Schwierigkeiten bei den Krankenkassen in den neuen Ländern lösen. Wir sind dabei, einen gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich sowie die Ermöglichung einer Finanzhilfe,
Roland Sauer ({4})
einer Selbsthilfe, der Westkassen für die Ostkassen zu schaffen.
({5})
Aber dieses Problem ist nur endgültig zu lösen, wenn auch die Ostkassen massive Einsparungen vornehmen, so zum Beispiel bei den Arzneimitteln, bei den Fahrtkosten, bei den Krankenhäusern und bei den Verwaltungskosten. Hier liegen die Ostkassen wesentlich höher, weit über dem Niveau der Westkassen.
Für Ost und West gilt aber gleichermaßen, konsequent den Sparkurs fortzusetzen, das medizinisch Notwendige wirtschaftlich und qualitätsgesichert zu erbringen sowie durch eine sozial verträgliche Erhöhung der Zuzahlungen die Finanzierung der Krankenversicherungsleistungen zu ermöglichen. Nur so sichern wir den hohen Standard des deutschen Gesundheitswesens, um den uns viele Länder der Erde beneiden - ich habe das schon einmal gesagt -, und machen es für das 21. Jahrhundert fit. - Herr Diller, da gibt es nichts zu lachen. Das sind die Fakten. Unser Gesundheitssystem ist das Vorbild für viele Länder auf der Erde.
({6})
Noch ein Wort zur Opposition. Wenn Herr Rübenkönig das alles beklagt, dann läßt er völlig außer acht - man muß das wiederholen; ich habe das schon bei der ersten Lesung gesagt -, daß wir mit über 243 Milliarden DM an Leistungsausgaben im Gesundheitsbereich doch sicherlich nicht von einem Zusammenbruch unseres Gesundheitswesens sprechen können. Solch eine Unterstellung ist, gelinde ausgedrückt, absurd.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?
Ja, bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege Sauer, wenn wir solch ein hervorragendes Gesundheitswesen haben - das ist in der Tat so; wir zählen weltweit zu den drei bis fünf Besten -, warum führen Sie dann die Elemente ein, die andere Länder, die als nicht erfolgreich gelten, zum Beispiel die USA, schon zur Zeit aufweisen, die weniger kosteneffektiv und weniger verteilungsgerecht sind? Wenn Vertreter dieser Länder zu uns kommen, fragen sie: Seid ihr denn noch bei Trost, das zu machen, was wir, eurem Beispiele folgend, eigentlich abschaffen wollen?
Diese Frage verstehe ich nicht.
({0})
Herr Pfaff, die Kollegen kommen zu uns, studieren unser Gesundheitswesen und schauen, wie sie es in ihren Ländern einführen können. Hillary Clinton hat das deutsche Gesundheitswesen als das vorbildlichste in der Welt bezeichnet und will es in Amerika einführen.
({1})
Grundlegende Voraussetzung für eine gute Gesundheitspolitik ist ein gesunder Haushalt.
Herr Kollege, der Kollege Pfaff will nachfragen.
Nein, ich möchte jetzt weitermachen.
Dann können Sie jetzt mit Ihrer Rede fortfahren.
So muß auch der Einzelplan 15 seinen Teil zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Nach den überproportionalen Kürzungen im laufenden Haushalt wird sich der Etat des Bundesgesundheitsministeriums im Jahre 1998 stabilisieren. Die Kürzungen fallen mit 1 Prozent deutlich geringer aus als im letzten Jahr. Wichtige Ausgabenbereiche bleiben unangetastet. Wir haben 718 - Herr Kollege Rübenkönig, nicht 712, sondern 718 - Millionen DM in diesem Einzelplan 15 des Haushalts.
Schon bei der ersten Lesung habe ich erwähnt - das sollten Sie nicht übersehen; ich muß es wiederholen -, daß wir zehn Jahre lang jährlich 700 Millionen DM für Bauinvestitionen im Bereich der Krankenhäuser in den neuen Ländern bereitstellen. Dies wollen Sie aber offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen.
({0})
-700 Millionen DM, Herr Kollege Thomae; Sie wissen es ja.
Durch Umschichtungen bei den Haushaltsberatungen ist es gelungen, der Drogenprävention 1 Million DM zusätzlich zu geben und der Aidsaufklärung 600 000 DM zukommen zu lassen. Die Ausgaben für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs steigen also nun von 12 auf 13 Millionen DM, die Ausgaben für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Aidsbekämpfung von 16,6 auf 17,2 Millionen DM. Wir kommen so bei den Drogen fast auf den Stand des laufenden Haushalts; bei Aids übertreffen wir ihn sogar.
Von den pauschalen Kürzungen der Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit sind die Titel für Aufklärungsmaßnahmen nicht betroffen. Dies ist richtig
Roland Sauer ({1})
und sachgerecht, weil Aufklärung keine Öffentlichkeitsarbeit ist, sondern Präventionsarbeit.
Wir hoffen, im Laufe des Jahres 1998 zusätzliche Mittel einzunehmen, im Klartext: Sponsorengelder, die wir dann der Suchtprävention, der Aidsbekämpfung sowie der BzgA
({2})
zur Verfügung stellen wollen. - Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Herr Diller. - Die entsprechenden Haushaltsvermerke liegen vor.
({3})
Ein Wort zu den Summen, die wir für die Aidsbekämpfung aufwenden. Von den 17,2 Millionen DM für die Aidsaufklärung entfallen 6,1 Millionen DM auf die Deutsche Aids-Hilfe. Sie wird damit ihre segensreiche Arbeit im vollen Umfange fortsetzen können. Kürzungen wurden dort vermieden.
({4})
Aber eines muß klar sein: Selbsthilfeaktivitäten auf örtlicher Basis können nicht vom Bund gefördert werden. Dies ist Aufgabe der Länder und der Kommunen. Es ist also falsch, wenn uns vorgeworfen wird, wir ließen die Aidsselbsthilfegruppen im Regen stehen.
Ähnlich sieht es bei den Modellprogrammen aus. Die Drogenmodellprogramme laufen im gleichen Finanzumfang weiter; hier gab es keine Kürzungen. Angesichts des Scheiterns des Schweizer Heroinabgabemodells
({5})
und des Kapitulationskurses, den viele Oppositionspolitiker in der Drogenpolitik fahren, wäre es unverantwortlich, wenn wir die Suchtkranken in der Perspektivlosigkeit ihrer Sucht belassen würden.
Wir gehören zu den Ländern in Europa, die im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl den geringsten Anteil an Drogenabhängigen haben. Nur Norwegen hat eine geringere Anzahl von Drogenabhängigen. Es ist daher völlig verfehlt, wie Sie es immer tun, von einem Scheitern der deutschen Drogenpolitik zu sprechen. Die Länder, die einer Freigabe von illegalen Drogen bzw. ihrer Abgabe auf Rezept das Wort reden, haben nachweislich eine wesentlich höhere Drogenbelastung. Dies wird besonders in der Schweiz und in den Niederlanden deutlich. Mit uns wird es keine Freigabe weicher Drogen oder gar die Abgabe harter Drogen geben.
({6})
Drogenabhängige sind kranke Menschen, Frau Knoche, denen man helfen muß. Eine wirkliche Hilfe kann aber nur die Hinführung zur drogenfreien Therapie sein. Niemals wird eine Sucht durch Suchtmittel geheilt.
({7})
Sie verteilen ja auch nicht - da schreien Sie gleich auf, aber ich sage es trotzdem - Freibier an Alkoholiker.
({8})
Die Elternkreise drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher haben dieser Tage wieder ganz eindringlich vor Fixerstuben- und Heroinabgabemodellen gewarnt. Sie haben gesagt, man dürfe es Junkies, man dürfe es Süchtigen nicht zu leicht machen; es müsse nach wie vor ein Leidensdruck dasein, eine Motivation, von der Droge wegzukommen. So die besorgten Eltern. Ich meine, Sie sollten diese Befürchtungen nicht so leichtfertig in den Wind schlagen.
Die Personalsituation hat sich im Einzelplan 15 wesentlich verbessert. Es konnten insgesamt nahezu 181 Stellen gegenfinanziert, gesichert oder neu geschaffen werden. Dies kommt in erster Linie den Oststellen der Institute zugute.
Des weiteren ist es auf unseren Antrag gelungen - der Herr Kollege Rübenkönig hat es schon gesagt -, dringend benötigte Stellen im Bereich des Verbraucherschutzes im Lebensmittelrecht zu schaffen. Hier geht es speziell darum, EU-Richtlinien zum Veterinärrecht in deutsches Recht umzusetzen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich nenne nur - damit bin ich am Ende, Frau Präsidentin - das Schlagwort BSE.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marina Steindor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Debatte um den Risikostrukturausgleich ist viel spannender und aufregender als der vorliegende Haushaltsentwurf. Politisch unfaßbar ist dabei die Tatsache, daß die süddeutschen Länder ihre Standortpolitik derartig übertreiben, daß sie das solidarische Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland zerschlagen wollen.
({0})
Die im Grundgesetz festgelegte Aufforderung zur Schaffung gleicher Lebensbedingungen wird von ihnen vollständig ignoriert. Je mehr Hochrechnungen über die finanzielle Situation in den Ost-Krankenkassen bekanntwerden, desto mehr stellt man sich die
Frage, ob man diese brisante Lage nicht hätte vorhersehen können. Man hätte viel früher handeln müssen. Warum reagiert man erst dann, wenn den OstKrankenkassen das Wasser bis zum Halse steht?
({1})
Beim Bau der sozialen Mauer in Form von zwei verschiedenen Risikostrukturausgleichsgebieten im Einigungsvertrag war man politisch von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die sprichwörtlichen „blühenden Landschaften" sind ausgeblieben. Ein Ende der Arbeitslosigkeit im Osten ist nicht abzusehen.
({2})
Wir haben es dort mit ganz schwer zu lösenden Strukturproblemen zu tun. Denn wir haben in den Ost-Krankenkassen einen überproportional hohen Anteil an Rentnerinnen. Daran können Sie wenig ändern. Die Zunahme der Zahl der Familienversicherten durch die hohe Frauenarbeitslosigkeit ist auch ein strukturelles Problem. Durch die überparteilich beschlossene Absenkung der Beiträge für die Arbeitslosen und Rentner wird die Finanzsituation im Osten noch zusätzlich verschlimmert.
Herr Minister Seehofer, mit dem Vorschlag, die sozialen Sicherungssysteme zu regionalisieren, legt die CSU zusammen mit der baden-württembergischen Landesregierung eine populistische Axt an unser Solidarsystem, und das, obwohl gerade Bayern in den letzten Jahrzehnten beispielsweise durch Rüstungsaufträge ungeheuer von der Solidargemeinschaft profitiert hat. Ist das ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf?
Im übrigen muß ich als Außenstehende feststellen, daß die CSU in ihren Beschlüssen irgendwie schizophren zu sein scheint. Herr Minister - das muß man Ihnen hoch anrechnen -, Sie haben auf Ihrem Parteitag bundespolitisch Flagge gezeigt,
({3})
und Sie haben ein exzellentes Wahlergebnis erzielt. Aber die CSU war auf demselben Parteitag gleichzeitig in der Lage, den Antrag auf Regionalisierung der sozialen Sicherungssysteme mit „zustimmender Tendenz" an die Strukturkommission zu überweisen.
({4})
Ich habe mich noch einmal kundig gemacht, damit ich hier nichts Falsches erzähle. Herr Minister, Sie sind ein direkt gewählter Abgeordneter dieses Parlaments und insofern etwas unabhängiger von Ihrer Partei. Aber für uns wird es spannend sein, in der nächsten Sitzungswoche herauszufinden, wie sich die bayerischen und die baden-württembergischen
Abgeordneten bei der Abstimmung verhalten werden,
({5})
denn diese sind bei ihren Listenaufstellungen natürlich auch gewissen Parteitagsbeschlüssen verpflichtet.
({6})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.
Verehrte Frau Kollegin, wie, denken Sie, hätte der Minister Seehofer ein so hervorragendes Ergebnis auf dem Parteitag zustande gebracht, wenn wir, die CSU-Kollegen aus der Landesgruppe, ihn nicht so tatkräftig unterstützt hätten?
({0})
Gut. Wir werden das in den nächsten Debatten sehen.
Meine Damen und Herren, zur Gesundheitspolitik. Nach dem Inkrafttreten des 2. NOG arbeiten sich alle Beteiligten an den neuen gesetzlichen Vorgaben ab. Es ist in dieser Republik ein unübersichtliches Modellfieber bei den Krankenkassen ausgebrochen. Leider arbeiten die Modelle an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nicht richtig. Das Krankenhaus bleibt immer außen vor.
({0})
Es soll geradezu ausgetrocknet werden, statt zu einem integrierten Gesundheitszentrum entwickelt zu werden.
Der Wettbewerb der Krankenkassen führt auch dazu, daß die Krankenkassen beispielsweise Modelle für chronisch Kranke entwickeln und diese mehr oder weniger geheimhalten, um nicht noch mehr chronisch Kranke, die schlechte Risiken darstellen, in ihre Kassen zu ziehen. Gleichzeitig wird das System über Strukturverträge schleichend ausgehöhlt.
Unsere Fraktion hat in die Haushaltsberatungen einen Antrag zur Förderung neuer Modellprojekte für die allgemeinmedizinische und die primärärztliche Versorgung eingebracht; denn wir sehen da dringenden Handlungs- und Konzeptionsbedarf. Dort wäre das Geld aus dem Bundesgesundheitshaushalt gut angelegt.
Wir brauchen ein kassenartenübergreifendes, unabhängiges Projekt für die Ausbildung von Allgemeinmedizinern. Die Ärzteschaft ist zerstritten. Die Kassen stehen im Wettbewerb. Eine übergeordnete Rationalität fehlt in diesem Bereich. Wir haben in diesem Hause parteiübergreifend häufig betont, daß
Hausärzte in der Versorgung eine größere Rolle spielen sollten.
({1})
Modelle wie das Hausarztabo, das Primärarztsystem oder Managed-Care-Systeme mit guter hausärztlicher Versorgung brauchen aber extrem gut ausgebildete, teamfähige Allgemeinmediziner, möglichst mit einer sozialmedizinischen und psychotherapeutischen Zusatzausbildung.
Aber woher soll unsere Gesellschaft diese Ärzte und Ärztinnen nehmen? An den Universitäten werden sie nicht ausgebildet. Die Novellierung der Approbationsordnung läßt auf sich warten. Der Fakultätentag blockiert jede Reform. Auch Medizinstudenten sind in diesen Tagen unterwegs, um für Reformen zu streiten.
Der 100. Ärztetag hat die fünfjährige Weiterbildung für Allgemeinmedizin beschlossen. Dafür brauchen wir aber eine um zwei Drittel verlängerte Weiterbildungszeit und eine hohe Anzahl neuer Stellen in den Krankenhäusern. Nach einer Schätzung der Akademie für Allgemeinmedizin brauchen wir als Ersatz pro Jahr 1300 Allgemeinärzte. Allein für deren Weiterbildung werden zusätzlich 6500 Stellen benötigt. Das Krankenhaus aber hat Budgetprobleme, Umstrukturierungsprobleme.
Die Ärzteschaft macht sich für die Weiterbildung nicht stark. Der Hausärzteverband und die Fachärzte sind da zerstritten. Auch die Krankenkassen finden sich überhaupt nicht bereit, Weiterbildung zu finanzieren, obwohl sie die Ärzte für ihre Modellprojekte brauchen. Wir sind der Auffassung, daß der Staat hier in Erfüllung seiner Hoheitsaufgabe lenkend eingreifen muß.
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Meine Damen und Herren, abschließend: Der zuständige Beamte hat uns in den Haushaltsberatungen geschrieben, daß er prüfen wird, ob ein solches Modellprojekt in den Haushalt 1999 Eingang finden kann.
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Das ist für uns als Opposition ein kleiner Erfolg. Seien Sie versichert, daß wir dies weiter verfolgen werden - am liebsten natürlich aus der Perspektive der Regierungsfraktion nach der nächsten Bundestagswahl.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jürgen Möllemann, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem
Bundesgesundheitsminister aus dem bereits erwähnten aktuellen Anlaß ausdrücklich unsere Unterstützung zusagen, wenn er in den nächsten Tagen und Wochen dafür sorgen wird, daß die Probleme, die nur gesamtdeutsch gelöst werden können, in einer vernünftigen Weise auch gesamtdeutsch angegangen werden.
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Das gilt für den Risikostrukturausgleich. Das gilt für die Ablehnung von unvernünftigen Regionalisierungskonzepten. Ich freue mich darüber, Herr Seehofer, daß Sie für diesen Kurs auf Ihrem Parteitag eine so deutliche persönliche Anerkennung gefunden haben.
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Das ist sicher nützlich für die weitere Diskussion in diesem Zusammenhang.
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Wir, die F.D.P., haben in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, daß wir eine solche Solidarität auch in den nächsten Jahren für unabdingbar notwendig erachten. Deswegen lassen wir daran nicht rütteln.
Dies ist ja vermutlich die letzte wenigstens einigermaßen ruhige Haushaltsberatung in dieser Legislaturperiode. Wiewohl wir mit dem Wahlkampf noch ein paar Monate Zeit haben, hat man manchmal das Gefühl, mancher möchte tatsächlich von heute bis zur Wahl nur noch Wahlkampf machen. Wir haben in dieser Legislaturperiode im gesundheitspolitischen Bereich eine Reihe von Vorhaben beraten und verabschiedet, die das Urteil erlauben: Wenn alle ihre Reformvorhaben im Felde der Sozialpolitik so zügig und konsequent umgesetzt hätten, würde sich manches Problem, auch auf dem Arbeitsmarkt, anders darstellen. Deswegen sind wir Gesundheitspolitiker ganz froh, daß das - bei allen Auseinandersetzungen, die es gegeben hat, auch bei aller Kritik, die es in Einzelheiten geben mag - möglich war. Diese Arbeit muß in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.
Angesichts der Lösungsvorschläge für die Bewältigung der eher noch wachsenden Massenarbeitslosigkeit werden wir nicht um die Notwendigkeit der Entkopplung der Systeme der sozialen Sicherung von den Lohnkosten herumkommen. Wenn es weiter so bleibt, daß jede Beitragssatzsteigerung im Bereich der sozialen Sicherungssysteme automatisch höhere Lohnzusatzkosten bedeutet, werden wir die Arbeitsmarktprobleme nicht in den Griff bekommen.
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Ich glaube nicht, daß das - ausschließlich oder auch nur primär - möglich sein wird, indem man Aufgaben, die eigentlich von der Allgemeinheit über den Steuerhaushalt finanziert werden müssen, da und dort in die Steuerfinanzierung rückverschiebt. Denn gleichzeitig - auch das wissen wir alle - kann eine weitere Steigerung der Steuerlast kaum der
richtige Weg sein. Gewiß kann es nicht vernünftig sein, wenn ein immer höherer Anteil des verfügbaren Budgets des Bundes und der Länder für den konsumtiven - darunter auch den sozialen - Bereich aufgewandt wird.
Immerhin: Vorhin haben wir mit der angestrebten zusätzlichen Steigerung des Bildungshaushalts einen richtigen Akzent in der Debatte setzen können. Aber jeder weiß doch, daß es von seiten des Bundes und der Länder
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nötig wäre, im Bereich von Bildung, Wissenschaft und Forschung über Jahre hinweg noch mehr zu investieren. Es hat keiner Grund, mit dem Finger auf den anderen zu zeigen; denn wir alle haben in letzter Zeit zuwenig dafür getan.
Wenn wir jetzt also zuviel Geld - sowohl aus dem Bundes- wie aus den Landesbudgets - in den konsumtiven Bereich stecken, werden uns die Zukunftsinvestitionen ganz und gar unmöglich werden. Deswegen wird kein Weg an der Neuordnung des Verhältnisses von Solidarität und Subsidiarität vorbeiführen, wird man die Gemeinschaftsleistung, die unabdingbar weiterhin notwendig ist, um den Schwachen zu helfen, stärker als bisher um Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung ergänzen müssen. Dazu bleiben wir Freidemokraten methodisch bei dem Vorschlag - dem sich andere erfreulicherweise annähern -, die Entkopplung von den Lohnzusatzkosten zu erreichen, indem der Beitrag des Arbeitgebers, der derzeit von diesem direkt an die Krankenversicherung überwiesen wird, als steuerfreier Lohnzuschlag an die Beschäftigten ausgezahlt wird, die sich dann im Wege einer Versicherungspflicht - nicht einer Pflichtversicherung - bei einer Versicherung ihrer Wahl, die dann im übrigen im Wettbewerb miteinander stehen, absichern sollen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Natürlich.
Bitte schön, Herr Kirschner.
Herr Kollege Möllemann, auf die Notwendigkeit von Einsparungen, über die Sie reden - diesbezüglich will ich Sie unterstützen -,
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werden wir uns sicherlich verständigen können. Die Frage ist nur, wo wir diese vornehmen.
Können Sie mir einmal erklären - wenn Sie wirklich Einsparungen in der gesetzlichen Krankenversicherung möglich machen wollen -, wieso Sie ein Instrument der Qualitätssicherung, das gleichzeitig Einsparungen bringt, wie die Arzneimittelpositivliste ablehnen?
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- Ich weiß nicht, warum Sie lachen; das haben wir doch alle gemeinsam vereinbart, und wir haben für das Gesundheits-Reformgesetz die Verpflichtung zur preiswerten Abgabe von reimportierten Arzneimitteln vorgesehen. Ich weiß nicht, wieso Sie das wieder gestrichen haben. Ich weiß auch nicht, wieso Sie die Findung der Festbeträge beispielsweise durch die Ausweitung des Patentschutzes erschweren. Diese drei von mir genannten Positionen würden ja nach Berechnungen der Spitzenverbände der Kassen Einsparungen in Höhe von schätzungsweise 3,5 Milliarden DM bringen.
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Wieso streichen Sie das aus dem Gesetz, wenn Sie wirklich Einsparungen wollen?
Herr Kollege, ich will einmal davon absehen, daß wir die diesbezüglichen Argumente schon des öfteren ausgetauscht haben. Wir sind hier in der bemerkenswerten Situation, daß wir unter uns sind, total entre nous - wenn ich mich so auf den Rängen umschaue. Das ist ja auch sehr unterhaltsam. Ich möchte Ihnen eine Antwort in bezug auf einen der drei von Ihnen genannten Punkte geben. Das ist auch am einfachsten und einsichtigsten darzulegen.
Die Debatte um eine Positivliste haben wir mit unserer Entscheidung gegen eine solche Liste beendet. Wir haben erstens gesagt, daß wir mit einem solchen Instrument nicht die Freiheit von Forschung und Wissenschaft über Gebühr einschränken möchten, die uns vielleicht neue Optionen zur Bekämpfung bislang nicht heilbarer Krankheiten oder zur Linderung von Leiden eröffnen. Wir gehen zweitens im Zusammenhang mit der auch von Ihnen nicht bestrittenen Therapiefreiheit der Ärzte nicht davon aus, daß eine solche Liste nennenswerte Einsparungen bringen würde. Wenn Sie oder ich zu einem Arzt gehen - nehmen wir an, wir beide hätten Schnupfen;
({0})
zufällig gleichzeitig oder nur einer von uns -, wird uns der Arzt - unabhängig davon, wie viele Medikamente in einem speziellen Fall verschrieben werden könnten - das verschreiben, was uns aus seiner Sicht am überzeugendsten helfen kann. Er wird nicht alleine deswegen, weil eine Liste die Gesamtzahl der Arzneimittel reduziert, in der Lage sein, weniger oder mehr zu verschreiben.
Ihr Glaube an diese Positivliste ist ein Beweis für Ihre Neigung, anzunehmen, daß Bürokraten etwas besser regeln könnten als die verantwortlichen Ärzte im Rahmen der Therapiefreiheit, die wissen, welches
Medikament sie den Patienten zu verschreiben haben.
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Ich möchte eine zweite Bemerkung, nämlich zum Thema Transparenz, machen. Wer einen kostenbewußten Umgang sowohl mit den Leistungen der Gesundheitsberufe als auch mit den Mitteln der Versicherten sicherstellen will - das zeigen im übrigen die Diskussionen dieser Tage aus aktuellem Anlaß -, der sollte alles dafür tun, daß ein möglichst großes Maß an Transparenz gegeben ist. Ich glaube auch, daß ein vernünftiges partnerschaftliches Verhältnis zwischen Arzt und Patient nur dann zustande kommt, wenn der Arzt gegenüber seinem Patienten darüber Rechenschaft ablegen muß, was er tut und was das kostet.
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Das ist die Rechnungslegung. Ich bin einigermaßen darüber verärgert, daß sich einige Funktionäre aus den Ärzteverbänden dagegen gewehrt haben, daß sie künftig eine solche Transparenz, eine Klarheit durch Rechnungslegung schaffen müssen. Den folgenden Punkt habe ich verstanden und akzeptiere, daß da noch Handlungsbedarf gegeben ist. Vertreter der Gesundheitsberufe sagen nämlich: Eine Rechnungslegung wie bei allen anderen freien Berufen ist letztlich nur zu machen, wenn es für die Leistungen, die ein Arzt zu erbringen hat, auch feste, kalkulierbare Preise und nicht floatende Punktwerte gibt. Dafür können wir die Voraussetzungen schaffen; das sollten wir auch tun.
Ich komme zum Schluß. Ich glaube, daß wir gut beraten sind, wenn wir im Gesundheitswesen die gleichen marktwirtschaftlichen Instrumente anwenden, die in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft ein höheres Maß an Effizienz und Gerechtigkeit schaffen, als staatliche bürokratische Reglementierungen das vermögen. Auf diesem Wege sind wir in der Koalition durch die Gesetze dieser Legislaturperiode ein gutes Stück weitergekommen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Seehofer, wenn Sie es wirklich schaffen, den bundesweiten Risikostrukturausgleich gegen bestimmte Kräfte in diesem Land, die sich schon öffentlich geäußert haben, durchzubringen, dann haben Sie im Interesse der Probleme, die in den neuen Bundesländern bestehen, auch unsere Unterstützung. Ich hoffe nur,
daß, wenn die PDS dies unterstützt, Sie das deswegen nicht ablehnen werden.
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Doch nun zum heutigen Thema. Der zur Debatte stehende Bundeshaushalt, ausgeglichen nur noch mit einer Serie regelrechter und höchst durchsichtiger Tricks, übertrifft alles, was sich die Bundesregierung an konzeptioneller wie handwerklicher Unsolidität bisher geleistet hat. War es aber nicht der Finanzminister Theo Waigel, der erst vorige Woche auf dem CSU-Parteitag - er hat nicht ein ganz so gutes Abstimmungsergebnis erreicht wie Herr Seehofer - laut und selbstgerecht von einer notwendigen Seriosität und Zukunftsfähigkeit in der Politik gesprochen hat und sogar davon, daß nur die Union dies überhaupt gewährleisten könne? So dreist, frei nach dem Motto „Nach uns die Sintflut" , reden wohl nur noch Leute, denen auch die letzten Felle davongeschwommen sind.
Während also die Koalitionäre ihr hausgemachtes finanzielles Desaster hartnäckig totschweigen und leugnen, weiß jeder, daß es nach der Wahl so oder so zum bösen Erwachen und unausweichlichen Aufräumen kommen wird. Man möge sich vorstellen, eine andere Partei hätte eine solch verheerende Bilanz zu verantworten: Das Anklagegeschrei von CDU/CSU und F.D.P. wäre an Dauer und Lautstärke durch nichts mehr zu überbieten.
Der finanzielle Katastrophenkurs der Koalition schlägt auch wieder voll auf den Etat des Bundesgesundheitsministers durch. Im Haushaltsplan 1998 sind für dieses Ressort mittlerweile nur noch wenig mehr als 700 Millionen DM übriggeblieben. Man muß es sich schon vergegenwärtigen: Mit dieser Kürzung ist der Einzelplan 15 innerhalb der letzten acht Jahre um mehr als 400 Millionen DM reduziert worden.
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Dies ist angesichts der steigenden Bedeutung der Ressource Gesundheit in diesem Land ein unglaublicher Skandal.
Sieht man den Wert von 1 Prozent - Herr Sauer, Sie haben das angesprochen - in bezug auf den heutigen Haushalt unter dieser Zahl, ist er wirklich anders zu verstehen.
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Ein einfacher Zahlenvergleich des Ist-Wertes des Haushaltes 1993 - das war bekanntlich der erste Haushalt, der voll in die Amtszeit des Ministers Seehofer fiel - mit dem entsprechenden jetzt vorgesehenen Soll-Wert des Haushalts 1998 zeigt, wie der Gesundheitsminister seinen eigenen Haushalt Jahr für Jahr hat verkümmern lassen:
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In diesem Zeitraum sind die Mittel für Maßnahmen auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung von 45 Millionen DM auf 9,9 Millionen DM, die Ausgaben für die Aidsbekämpfung von 41 Millionen DM auf rund
21 Millionen DM und die Mittel für Maßnahmen auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs von 48 Millionen DM auf zirka 27 Millionen DM zurückgegangen. Diese Aufzählung ließe sich bekanntlich fortsetzen.
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Doch zurück zum heutigen Haushaltsplan. Der Vergleich zum laufenden Jahr zeigt, daß die Mittel für unverzichtbare Aufgabenfelder erneut zusammengestrichen werden. Massiv betroffen sind davon unter anderem die Gelder für die Aufklärungs- und Präventionsarbeit im Kampf gegen Krebs sowie den noch immer brennenden aktuellen Aufgabenbereichen der Aids- und Drogenarbeit. Diese Bewertung gilt, selbst wenn sich sogar Abgeordnete der Koalition um eine wenigstens teilweise Wiederaufstokkung bemüht haben.
Wir alle wissen: Die Aidsgefahr besteht nach wie vor. Die Aufgaben, Neuinfektionen möglichst zu vermeiden und Leiden zu lindern, haben nichts an ihrer Dringlichkeit verloren.
Meine Damen und Herren, inzwischen wird auch für die dem BMG zugeordneten Bundesanstalten und obersten Bundesbehörden die Luft immer dünner. So fällt zum Beispiel der Haushalt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 25 Millionen DM in 1997 auf nur noch 21,9 Millionen DM in 1998. Diese erneute Reduzierung erfolgte nach den massiven Einschnitten, die dort gerade erst in diesem Jahr bei der Umsetzung der globalen Minderausgaben vorgenommen wurden.
Die Gelder für das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information werden von über 30 Millionen DM auf knapp 22 Millionen DM heruntergefahren. Wie diese Kürzung angesichts des beschämenden Entwicklungsstandes der primären Prävention und der medizinischen Dokumentation in diesem Land vertretbar sein soll, bleibt wohl das Geheimnis dieser Bundesregierung und wohl auch dieses Ministers.
Der Einzelplan 15 des Bundeshaushaltes ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Wir werden ihn ablehnen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Matthäus Strebl, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Das deutsche Gesundheitswesen ist Spitze. Darüber sind sich nicht nur die Fachleute einig. Deutsche, die im Ausland erkranken, wollen sofort nach Hause zurück,
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weil sie hier mit der medizinischen Versorgung zufrieden sind. Das ist eine Tatsache; daran läßt sich nicht rütteln.
Unser Gesundheitssystem muß aber weiterhin so leistungsfähig und gleichzeitig bezahlbar sein. Dafür haben wir die dritte Stufe der Gesundheitsreform beschlossen. Viele sehen als erstes die erhöhte Zuzahlung bei den Medikamenten. Die wenigsten aber sehen zum Beispiel die Krankenhauskosten, die sie selbst gar nicht zahlen könnten. Wer könnte sich denn einen Krankenhausaufenthalt in der Uniklinik leisten, der jeden Tag 1500 DM bis 2000 DM kostet?
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Da ist doch ein Eigenanteil von 17 DM für jeden Tag wohl ohne weiteres tragbar.
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Schließlich müssen wir bedenken, daß über 20 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland von jeglicher Zuzahlung befreit sind. Solidarität schreiben viele Menschen groß, solange sie etwas bekommen, aber nicht mehr, wenn sie zu den Zahlungen herangezogen werden.
Das Gesundheitssystem in Deutschland ist seit der dritten Stufe der Gesundheitsreform in Bewegung gekommen. Das Ziel, die Selbst- und Eigenverantwortung zu steigern und Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, nehmen alle Beteiligten sehr ernst. Ich erlebe das zu Hause im Bereich der häuslichen Krankenpflege hautnah mit. Dort laufen zur Zeit die Verhandlungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern. Ich weiß daher genau, wie die Lage aussieht. Beide Seiten versuchen, ihre neuen Freiheiten auszuloten, und der Patient ist in jedem Fall - davon bin ich überzeugt - der Gewinner.
Auf der Gewinnseite aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung ist noch mehr zu verbuchen: Der Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt stabil, das Defizit wird abgebaut, die erstklassige Versorgung unseres Gesundheitssystems bleibt gesichert. Schließlich möchte ich noch ganz besonders hervorheben: Die gesetzliche Krankenversicherung bleibt auch solidarisch.
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Kommen wir zum Haushalt 1998. Die Kürzungen im Etat des Bundesgesundheitsministeriums um 1,9 Prozent werden wir verkraften. Unser Rezept lautet: Effizienz steigern und Prioritäten setzen. Die Schwerpunkte unserer Politik liegen bei der Forschung, bei Aufklärung und bei Modellvorhaben.
Die Forschung erhält im nächsten Jahr wieder viel Geld, allein 54,1 Millionen DM für institutionelle Zuwendungsempfänger. Dabei handelt es sich vorwiegend um Forschungseinrichtungen der Blauen Liste.
Durch die Konzentration der Mittel konnten im direkten Forschungsbereich Kürzungen weitgehend vermieden werden. Über die institutionelle Forschungsförderung hinaus werden auch noch andere Forschungsvorhaben unterstützt, zum Beispiel im
Bereich der Drogenbekämpfung mit 2 Millionen DM, und im Bereich der Aidsforschung haben wir sogar auf insgesamt 4,2 Millionen DM aufgestockt. Diese 4,2 Millionen DM sind aber nur ein Teil der Gelder für die Aidsforschung. Erhebliche Mittel werden aus anderen Bereichen des Haushalts zur Verfügung gestellt, so zum Beispiel aus den Etats des Paul-Ehrlich- und des Robert-Koch-Instituts. Der Kollege Sauer hat vorhin schon auf die großen Summen im Bereich der Aidsaufklärung hingewiesen. Auch der Bereich der Aidsforschung wird in großem Umfang gefördert.
Ich komme jetzt zu einem anderen Schwerpunkt unserer Politik, nämlich zu den Modellprogrammen. Die Finanzierung einiger Modellprogramme, die in den neuen Bundesländern freiwillig unterstützt wurden, ist planmäßig ausgelaufen. Hier hatte der Bund erst einmal einen Großteil der Anschubfinanzierung übernommen. Jetzt gehen die Modellprogramme in die Regelversorgung der Länder über.
Nachdem die Finanzierung dieser Modellprogramme ausgelaufen ist, können wir mit neuen Modellvorhaben neue Schwerpunkte setzen. Unsere Ziele sind, die Suchtbekämpfung zu unterstützen, das Aufkommen an Blut und Plasma zu erhöhen und die Qualitätssicherung voranzutreiben. Im Bereich von Blut und Plasma kommt es zu einem Zusammenspiel von Modellvorhaben auf der einen Seite sowie Aufklärung und Gesetzgebung auf der anderen Seite. Auch wenn sich die Lage schon gebessert hat, so müssen noch rund 25 Prozent des benötigten Plasmas eingeführt werden. Unser Ziel ist es, hier in Deutschland zu einer Selbstversorgung mit Blut und Plasma zu gelangen.
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Deshalb werden vom Bundesgesundheitsminister Modellvorhaben finanziert. Gleichzeitig hat er die Gesetzesinitiative ergriffen und den Entwurf eines Transfusionsgesetzes vorgelegt. Damit wird zum erstenmal in Deutschland die Entnahme und Übertragung von Blut und seinen Bestandteilen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Damit folgt die Bundesregierung dem Willen des Deutschen Bundestages, der als Konsequenz aus den Erfahrungen der Aidskatastrophe durch die Übertragung von HIV-infiziertem Blut eine gesetzliche Regelung des Transfusionswesens gefordert hatte.
Blut- und Plasmaspenden sollen nur freigegeben werden, wenn sie zuvor auf HIV und Hepatitis B und C untersucht worden sind. Die Anwendung von Blutprodukten muß dokumentiert werden, um eine Rückverfolgung zu gewährleisten. Außerdem soll die Aufklärung der Bevölkerung über Blut- und Plasmaspenden gefördert werden, um die nationale Selbstversorgung zu erreichen.
Ich komme zum Schluß: Der Haushalt 1998 für den Bereich des Bundesgesundheitsministeriums steht. Er ist solide und zeigt Perspektiven auf. Indem wir den Einsatz der finanziellen Mittel durch die Gesetzgebung wie im Falle des Transfusionsgesetzes unterstützen, können wir auch in Zeiten knapper Kassen zu vorzeigbaren Ergebnissen kommen.
Dem Bundesgesundheitsminister wünsche ich für seine Arbeit weiterhin viel Erfolg.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Martin Pfaff, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushaltsplan 1998 ist mehr als ein Schicksalsbuch der Nation, mehr als ein in Zahlen gegossenes Programm dieser Bundesregierung. Der Bundeshaushaltsplan 1998 ist gleichzeitig ein Schicksalsbuch dieser Bundesregierung. Denn er ist ein Reflex der wirtschafts-, finanzund haushaltspolitischen Fallen, in die sich diese Bundesregierung hineinmanövriert hat. Er ist das letzte Aufgebot einer an sich nicht mehr handlungsfähigen, einer verbrauchten und abgewirtschafteten Regierungskoalition.
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Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er auch der letzte Haushaltsplan, den der amtierende Bundesminister für Gesundheit einbringen und der hier beraten wird. Deshalb, so meine ich, gibt uns das heute das Recht, ja, die Pflicht, nicht nur den Haushaltsplan als solchen zu diskutieren, sondern auch die Bilanz des Bundesministers Seehofer hier vorzutragen.
Zum Haushalt selbst: Herr Bundesminister, Sie feiern ja mehrfach Erfolge. Der erste Erfolg ist die wundersame Budgetvermehrung. Nachdem Sie im letzten Jahr drastische Einsparungen vorgenommen haben, feiern Sie auch kleine Erfolge.
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Der zweite Anlaß zum „Feiern" - der ist sehr viel trauriger, Herr Bundesminister - ist die Tatsache, daß Sie die Sozialhilfe ebenfalls thematisieren, daß die Abkehr vom Bedarfsprinzip bei den Sozialhilfeleistungen, die Deckelung der Bedarfssätze, die Einschränkung der Gesundheitsleistungen für Asylbewerber und damit der Rückgang der Sozialhilfeausgaben von Ihnen als Erfolg gefeiert werden.
Heute konnten wir lesen, daß die Armut mit 2,7 Millionen Betroffenen ein Rekordniveau erreicht hat und daß im letzten Jahr im gesamten Deutschland ein Anstieg von über 5 Prozent und allein im Osten ein Anstieg von 10 Prozent zu verzeichnen waren. Herr Bundesminister, wer den Erfolg der Sozialhilfe an den Ausgabekürzungen mißt, während ein Rekordniveau an Armut festzustellen ist, der sollte sich als Unterabteilung des Finanzministeriums einsortieren und sich nicht als Bewahrer des Sozialstaates oder als Anwärter auf das Sozialministerium profilieren wollen. Das nicht!
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Den Rückgang der Gesundheitsausgaben, Herr Bundesminister, feiern Sie als dritten Erfolg Ihrer Politik. Kostendämpfung über Zuzahlung und Leistungsausgrenzung ist aber die Kunst der Primitiven,
denn Kosten werden nicht eingespart, sondern nur verlagert. Wenn Sie die Chance genutzt hätten, echte Strukturmaßnahmen durchzuführen, wie wir es in Lahnstein gemeinsam erarbeitet hatten, dann wären Sie nicht in diese Situation immer wiederkehrender Defizite und immer mehr ausartender Zuzahlungsorgien gekommen. Bei den Strukturreformen hat aber Ihre Politik kläglich versagt. Die Zeche müssen die Versicherten und schließlich wir alle zahlen.
Richtig ist, daß das Defizit im Westen bis zum Ende des Jahres zurückgeführt werden kann. Richtig ist ebenfalls, daß dieses nur deshalb möglich ist, weil die Zuzahlungen um sage und schreibe 5 Milliarden DM zunehmen werden. Richtig ist leider auch, daß das Defizit im Osten nicht zurückgeführt wird, weil der Arbeitsmarkt Ost keine Anzeichen zur Hoffnung gibt und weil darüber hinaus - das ist ja der Sache nach richtig - die Zunahme der Zahl der Härtefallregelungen und wegen der Überforderungsklausel dazu führen wird, daß eine Verbesserung der Einnahmen nicht zu erwarten ist. Die Kassen im Osten stehen vor dem Zusammenbruch. Diese dramatische Situation ist nicht das Ergebnis von blinden Mächten und unausweichlichen Entwicklungen, sondern diese Situation ist auf Grund der verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik und mangelnder Steuerung der Ausgaben auch von Ihnen mitzuverantworten.
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Dennoch sagen wir ja zum bundesweiten Risikostrukturausgleich; gleichzeitig sagen wir aber, daß man eine effektive Kostensteuerung einführen muß. Dabei werden Sie nicht um einen Mechanismus der Budgetierung herumkommen.
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Wir sagen nein zu den Forderungen aus Bayern und Baden-Württemberg. Dort sehen Sie, wohin diese Politik der Entsolidarisierung und Privatisierung wirklich führen wird.
({5})
Ich kann mir nur vorstellen, daß diese Idee auf dem Rückweg vom Oktoberfest geboren wurde. Leider ist der Engel Aloisius noch immer nicht in der Staatskanzlei eingetroffen, und die Bayerische Staatsregierung wartet noch immer auf Erleuchtung.
({6})
Herr Bundesminister, die Bilanz dieses Jahres fügt sich in die Bilanz Ihrer gesamten Tätigkeit ein. Sie haben zwar gut angefangen, haben sich sehr geschickt mit der Opposition in Lahnstein verständigt und die F.D.P. ausmanövriert. Unter dem Druck der Klientel und der Anbieterkartelle haben Sie auf dem Altar des politischen Opportunismus Stück für Stück der Strukturgestaltung geopfert. Am Ende wurden Sie von der kleinen F.D.P. mit der tatkräftigen Unterstützung Ihres Kanzlers auf demütigende Weise aufs
Kreuz gelegt - getreu der Devise: als Tiger der Strukturreform hochgesprungen, als Bettvorleger der Klientelinteressen gelandet!
({7})
Eine Chronologie Ihres Handelns würde zu einem Dokument der Unstetigkeit. Sie begannen als Kostendämpfer mit Sofortbremsung, wandelten sich dann angeblich zum Strukturgestalter, verließen aber diese Politik in der Umsetzungsphase, indem Sie sie entweder gar nicht oder falsch umsetzten, verkündeten dann den staunenden Verbänden auf dem Petersberg, daß sie mehr Selbstverwaltung und Autonomie erhalten sollten, um nur wenige Monate später durch Gesetz, per Fiat, eine Beitragssatzreduktion zu verordnen. Am Ende nahmen Sie Ihr Wort zurück, die sogenannte dritte Stufe nur zusammen mit der Opposition umzusetzen.
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Schließlich machten Sie eine 180-Grad-Wendung hin zu den F.D.P.-Plänen einer Aushöhlung der solidarischen Krankenversicherung, die Sie früher aufs schärfste gegeißelt haben. Das erste und das zweite Neuordnungsgesetz bestrafen die Kranken und deren Kassen und fördern die Klientelinteressen.
({9})
Das ist, Herr Bundesgesundheitsminister, ein gesundheitspolitischer Schlingerkurs sondergleichen: rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln; hau und ruck; hü und hott. Das sind die Markenzeichen Ihrer Politik.
Ich gestehe ja neidlos ein, Herr Bundesminister, daß Sie in einem Punkt einsame Spitze sind, nämlich als derjenige, dessen Zitate noch lange Jahre gelesen werden. Sie haben ja zu fast allen erdenklichen Themen ein Zitat geliefert, aber im selben Atemzug auch immer eines, das genau das Gegenteil besagt. Auch das ist ein Markenzeichen Ihrer Politik.
Ich fasse diesen Punkt zusammen: Das größte Risiko für die soziale Krankenversicherung ist nicht der Demographieeffekt, auch nicht die Erosion der Finanzierungsgrundlage. Das größte Risiko ist der Seehofer-Möllemann-Effekt. Es ist nämlich höchste Zeit, daß dieses Duo infernale abgewählt wird, damit die soziale Krankenversicherung nicht noch mehr Schaden leidet.
({10})
Im Herbst nächsten Jahres, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die Karten neu gemischt. Das erste Markenzeichen unserer Gesundheitspolitik wird sein: Stetigkeit, Verläßlichkeit, Prognostizierbarkeit. Die Rahmenbedingungen werden stimmen. Es wird transparent und berechenbar werden.
({11})
Wir werden die sozialen Grundpfeiler der Krankenversicherung wiederherstellen. Wir werden die von Ihnen eingeführten Elemente einer privaten
Krankenversicherung wieder aus der GKV verbannen. Wir werden die absurde Kopfsteuer von 20 DM für die Instandhaltungskosten der Krankenhäuser - das ist ja wohl wirklich eine der eigenartigsten Kreationen - wieder abschaffen.
({12})
Wir werden die unselige und unmoralische Koppelung von Beitragssatzanhebungen und höheren Zuzahlungen schleunigst auf den Schrotthaufen gesundheitspolitischer Irrlehren verbannen. Wir werden die Privatisierung des Zahnersatzes für die Jüngeren und die Kürzung des Krankengeldes rückgängig machen. Wir werden die neuen Formen der Selbstbeteiligung Schritt für Schritt wieder abschaffen. Wir werden die Strategie der Strukturreformen wieder aufnehmen.
({13})
Wir werden ein Globalbudget einführen und innerhalb dieses Rahmens mehr Kreativität und Flexibilität zulassen und fördern. Wir werden wirksame Anreize für die bessere Verzahnung der Sektoren schaffen und die hausärztliche Versorgung stärken. Wir werden kooperative Praxisformen, vernetzte Praxen fördern. Wir werden Gemeinschaftspraxen fördern, Gesundheitszentren ermöglichen.
({14})
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Protest zeigt es: Wir wissen genau, was wir wollen. Wir werden Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zeigen, daß in Zeiten finanzieller Engpässe die sozialstaatliche Qualität der GKV erhalten und vielleicht sogar verbessert werden kann,
({15})
daß der Weg über die Mobilisierung von Rationalisierungsreserven zu mehr Effizienz, mehr Effektitivät und Verteilungsgerechtigkeit noch viel weiter gegangen werden und daß man die Finanzierungsgrundlagen verbreitern kann.
Ich freue mich ganz, ganz besonders darauf, daß wir Ihnen und der deutschen Bevölkerung zeigen werden, daß der Weg der Stärkung der Solidarität allemal effektiver ist als der Weg der Privatisierung und Entsolidarisierung.
({16})
Ich freue mich auch darauf, daß wir der deutschen Bevölkerung zeigen werden, daß wir die besseren Rezepte haben und den festen Willen, diese in die Tat umzusetzen.
({17})
Die besten Zeiten des Sozialstaates liegen nicht hinter uns, sie liegen vor uns.
({18})
Ja, es liegt an uns, die gesundheitspolitische Zukunft selbst zu gestalten. Dies wollen und dies werden wir ab Herbst 1998 unter Beweis stellen.
({19})
Das Wort hat jetzt Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß Augsburg als schwäbische Metropole mittlerweile auch beachtliche Dichter beheimatet, ist mir erst in diesen Minuten wieder klargeworden. Es ist der Dichter Professor Martin Pfaff, meine Damen und Herren. Das, was er geschildert hat, hat mit der gesundheitspolitischen Realität dieses Landes überhaupt nichts zu tun.
Herr Professor Pfaff, ich werde Ihnen einige Beispiele nennen, daß niemals zuvor in der Gesundheitspolitik so viele gesundheitspolitische Akzente gesetzt wurden wie in den letzten vier Jahren.
({0})
Herr Rübenkönig, ich füge gleich hinzu, daß Sie sich offensichtlich nur vorstellen können, daß lediglich mit zusätzlichem Geld Politik gestaltet werden kann. Man kann aber sehr wohl Strukturen und Reformen auch ohne Geld durchsetzen.
({1})
Ich beginne einmal mit unserem Haushalt selbst, 718 Millionen DM. Was Sie in jeder haushaltspolitischen Debatte verschweigen, ist, daß zu diesen 718 Millionen DM weitere 700 Millionen DM aus dem allgemeinen Finanztableau hinzukommen, und zwar Jahr für Jahr, zehn Jahre lang. Dieses Geld ist für Krankenhausinvestitionen in den neuen Bundesländern vorgesehen. Das ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Akzent.
({2})
Zweitens betrachte ich es nach wie vor als riesigen zukunftsweisenden gesundheitspolitischen Akzent - das ist immerhin unter der Federführung dieser Koalition und dieses Ministeriums geschehen -,
({3})
daß wir nach einer 25 Jahre dauernden Diskussion, die kontrovers und am Schluß auf sehr beachtlichem Niveau geführt worden ist, das Organtransplantationsgesetz verabschiedet haben
({4})
mit der Folge, daß nach allem, was wir wissen, künftig mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland die lebensrettende Hilfe einer Organspende bekommen.
({5})
- Ich sage ja nicht, daß es allein unser Verdienst ist. Aber auch die andere Seite hat einmal regiert, und in dieser Zeit der Regierung ist es nicht geschehen; das stelle ich nur fest.
Drittens. Am Donnerstag werden wir im Deutschen Bundestag wiederum ein gesundheitspolitisches Fossil beseitigen, indem wir die endlose Debatte über die psychotherapeutische Behandlung beenden werden. Wir werden das Psychotherapeutengesetz verabschieden. Das ist ein gutes Signal für die Psychotherapie und für die psychotherapeutische Behandlung der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein weiterer gesundheitspolitischer Akzent.
Ich nenne viertens die Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Ich stehe dazu. Wir hätten es zwei Jahre eher verabschieden können, wenn sich der Bundesrat eher auf eine Zustimmung hätte verständigen können.
({6})
Das Gesetz hat den eindeutigen Inhalt, daß Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland noch keinen verfestigten Aufenthalt haben, Warengutscheine bekommen oder, wenn dies nicht möglich ist, eine um 20 Prozent gekürzte Sozialhilfe. Ich bin aus unserer christlichen Verantwortung heraus sehr dafür, daß wir Menschen, die wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung Schutz brauchen, Schutz gewähren. Aber nicht jeder Mensch, der in die Bundesrepublik Deutschland kommt, muß von der ersten Stunde an gleich hohe Sozialleistungen erhalten
({7})
wie jene, die bei uns 30 oder 40 Jahre in Sozialversicherungen Beiträge eingezahlt haben.
Ein fünfter Akzent ist die Reform der Sozialhilfe. Die Sozialhilfeausgaben sind im Jahre 1996 zum erstenmal seit Bestehen des Bundessozialhilfegesetzes, also seit 1962, gesunken, und zwar um 2 Milliarden DM auf unter 50 Milliarden DM.
Der Grund liegt in politischen Entscheidungen dieser Koalition: in der Einführung der Pflegeversicherung, die die Sozialhilfe auch in den nächsten Jahren in Milliardenhöhe entlasten wird.
({8})
- Herr Schuster, es mag sein, daß Sie da und dort zugestimmt haben. Aber die Verantwortung und Federführung lag bei dieser Regierung und bei dieser Koalition.
({9})
Herr Schuster, der Sozialhilfereform haben Sie am Ende zugestimmt. Aber Sie haben sie zunächst einmal zwei Jahre lang diskutiert und verschleppt. Wir hätten den Kommunen viele Milliarden an Ausgaben ersparen können, wenn Sie der Sozialhilfereform zu einem früheren Zeitpunkt zugestimmt hätten.
({10})
Herr Professor Pfaff, sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger gestiegen ist. Aber nennen Sie bitte auch die Ursachen beim Namen: Ohne die hohe Zahl der Zuwanderungen in die Bundesrepublik Deutschland hätten wir bei der Stammbevölkerung einen Rückgang der Zahl der Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Realität. Auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pfaff?
Ja, aber bitte keine Fortsetzung von Dichtungen. Halten Sie sich bitte an die Realität.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Pfaff.
Ich bin zutiefst betroffen. Ich dachte, Sie seien ein Mann von Kultur, Herr Seehofer.
Meine Frage lautet wie folgt: Ist es nicht so, daß die Hauptstraße zur Armut die Konsequenz erstens einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik ist, die zur Langzeitarbeitslosigkeit geführt hat, zweitens der mangelnden familienpolitischen Komponente, die viele Familien, vor allem alleinstehende Elternteile mit Kindern, in die Armut getrieben hat, sowie einer doch nicht völlig befriedigenden Pflegeversicherung und daß erst an vierter Stelle die Zuwanderung aus dem Ausland für die Höhe des Armutsniveaus in unserem Land verantwortlich ist, Herr Bundesminister?
({0})
Erstens sage ich Ihnen noch einmal, Herr Professor Pfaff: Schauen Sie sich die Zahlen an. Ohne die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland hätten wir nicht nur zurückgehende Ausgaben, sondern auch eine zurückgehende Zahl von Hilfeempfängern.
Zweitens. Herr Professor Pfaff, ich bestreite entschieden, daß Sozialhilfeempfänger, die beispielsweise Hilfe als Behinderte, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Bildung, Hilfe zur Ausbildung bekommen, in der Bundesrepublik Deutschland pauschal als Arme einzustufen sind.
({0})
Das wissen Sie ganz genau. Deshalb bin ich dagegen, daß wir immer alle Sozialhilfeempfänger in einen Topf werfen und sagen: Das sind die armen Menschen in unserem Lande, deshalb sind sie diskreditiert. Herr Professor Pfaff, ich fordere Sie auf, endlich diese diskreditierende Diskussion zu beenden.
({1})
- Nein, jetzt keine Zwischenfrage mehr.
Zu den gesundheitspolitischen Akzenten, zur Gesundheitsreform: Herr Professor Pfaff, eines können Sie nicht machen. An einem Tag - meistens sind es die geraden Tage - schimpfen Sie uns für die steigenden Sozialversicherungsbeiträge. Am nächsten Tag schimpfen Sie uns für Sparmaßnahmen. Wenn das abgefeiert ist, schimpfen Sie uns wegen der Zuzahlung in der Krankenversicherung.
Jetzt müssen Sie uns einmal sagen, wie Sie die hochwertige Medizin in der Bundesrepublik Deutschland für jeden Mann und jede Frau ohne Ansehen des Einkommens und Vermögens finanzieren wollen, wenn Sie jede Maßnahme, die dafür geeignet ist, im Deutschen Bundestag ablehnen.
({2})
Das geht nicht: Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge ablehnen, Sparmaßnahmen ablehnen, Strukturmaßnahmen ablehnen, Zuzahlungserhöhungen ablehnen und sich anschließend über steigende Sozialversicherungsbeiträge beklagen. Das geht in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
({3})
Wir haben nach wie vor ein hochwertiges Gesundheitssystem, wie es weltweit einzigartig ist. Ich bin froh, daß es uns mit dieser Weichenstellung, nämlich hin zu mehr Eigenverantwortung, sozialverträglich gelungen ist, dieses hochwertige Gesundheitswesen ohne zusätzliche Belastung der Arbeitskosten zu finanzieren. Das ist der eigentliche Inhalt dieser Gesundheitsreform.
Herr Professor Pfaff, ich prognostiziere Ihnen - Sie werden aber nicht so schnell in die Lage kommen, uns das beweisen zu können -, daß Sie keine einzige Mark der Zuzahlung zurücknehmen können; denn dann müßten Sie die solidarischen Leistungen massiv einschränken. Das gehört zur Realität.
({4})
Dann werden wir in den nächsten Tagen das Infektionsschutzgesetz vorlegen. Das ist vom Kabinett schon beschlossen. Das alte Seuchenrecht wird durch ein modernes Infektionsschutzgesetz abgelöst.
Wir haben mit dem Fakultätentag und den Gesundheitsministern der Länder die Approbationsordnung für Ärzte novelliert. Wir leiten sie dem Kabinett und dem Bundesrat zu. Dadurch wird die Qualität
der Mediziner durch eine praxisgerechtere Ausbildung verbessert.
Ich erlebe auf europäischer Ebene immer wieder, daß der Verbraucherschutz bei Lebensmitteln in unserem Land zur Spitze in Europa gehört.
Wir haben durch unsere Vorsorge- und Präventionsmaßnahmen bei Aids und Drogen all die Unkenrufe und Kassandragesänge, die hinsichtlich der zukünftigen Zahl von Aidsinfizierten in Deutschland zu hören waren, Lügen gestraft. Die Bilanz ist einzigartig, vorbildlich und hervorragend. Sie wird nach diesem Haushalt auch weiterhin so bleiben.
({5})
Herr Minister, es gibt den Wunsch nach zwei Zwischenfragen.
Nein, nichts mehr.
Wir haben ein Dutzend wichtigster gesundheitspolitischer Akzente gesetzt, die nicht alle allein mit Geld zu tun haben, sondern wichtige Strukturen in der medizinischen und pflegerischen Versorgung unserer Bevölkerung gewährleisten. Wir haben dabei auch einige Dinge gelöst, zu deren Lösung die Politik über ein Vierteljahrhundert nicht in der Lage war: Stichwort Organtransplantations- und Psychotherapeutengesetz. Deshalb wiederhole ich nicht als Heldenselbstverehrung der Koalition, sondern aus tiefer Überzeugung das, was ich eingangs gesagt habe: Diese Koalition hat im Gesundheitswesen in den letzten vier Jahren mehr Akzente gesetzt als jede gesundheitspolitische Maßnahme in den Legislaturperioden vorher.
({0})
Jetzt kommt noch der letzte Akzent, nämlich Gesundheit Ost. Ich werde den Koalitionsfraktionen in der nächsten Sitzungswoche die Vorschläge zur solidarischen Hilfe für die Ostkassen und für die neuen Bundesländer zuleiten. Ich bin ganz sicher, daß unsere beiden Fraktionen so viel Verantwortung einbringen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Dann werden wir einmal sehen, welche Bedingungen Sie dann wieder künstlich im Bundestag und im Bundesrat aufbauen, um möglicherweise ein Alibi zu bekommen, weil Sie aus anderen Gründen diesen Gesetzentwurf wieder zu lange beraten, verzögern oder am Ende vielleicht sogar blockieren.
Ich sage schon heute: Diese Koalition wird ihrer Solidaritätsverpflichtung gegenüber den neuen Ländern und den Ostkassen gerecht werden.
({1})
Wir werden das nicht mit der Regionalisierung und anderen Fragen verbinden, sondern jetzt geht es darum: Wie können wir schnell und wirksam den Ostkassen helfen? Es geht nicht darum, Unwirtschaftlichkeit zu subventionieren, sondern Dinge auszugleichen, für die weder die neuen Länder noch die Ostkassen etwas können. Ich meine die EinnahBundesminister Horst Seehofer
meschwäche, die Grundlohnschwäche auf Grund der überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit. Das können Sie mit der besten Gesundheitsreformmaßnahme nicht ausgleichen.
({2})
Meine Damen und Herren, das werden wir tun. Das ist keine Subventionierung von Mißwirtschaft oder Fehlausgaben. Die AOK Bayern und die AOK Baden-Württemberg bekommen aus dem Risikostrukturausgleich jährlich Milliarden als Hilfe. Aber ich würde nie auf die Idee kommen, daß die AOK Bayern oder die AOK Baden-Württemberg unwirtschaftlich seien. Vielmehr bekommen sie Risiken ausgeglichen, für die sie nichts können: Grundlohnschwäche, Familienversicherte, Rentner. Das wird ausgeglichen, nicht aber eine Mißwirtschaft. Was der AOK Bayern und der AOK Baden-Württemberg recht ist, muß den Kassen im Osten billig sein.
({3})
Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuß insbesondere dafür, daß er unsere Institute, die nach der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes qualitativ wirklich sehr gut sind, personell ebenso gut bedacht hat wie das Bundesgesundheitsministerium in der wichtigen Frage der Personalausstattung für die Aufgabenfelder EU-Richtlinien und BSE. Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses.
Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich heute einen Kollegen namentlich nennen möchte, weil es, wie er selbst sagte, seine letzte Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag ist.
Lieber Roland Sauer, ich habe Sie als fleißigen, sachkundigen Politiker kennengelernt, der Akzente setzt. Sie dürfen versichert sein: Gerade in dem Bereich, in dem Sie Akzente gesetzt haben, nämlich bei der Gesundheitsvorsorge und den Drogen, werden diese Akzente über die Legislaturperiode hinauswirken. Ich danke für Ihren Einsatz in der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 15 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 15 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 10 auf: Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 13/9010, 13/9025 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Ilse Janz Kristin Heyne
Außerdem rufe ich Tagesordnungspunkt I. 11 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes
- Drucksache 13/8443 - ({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
- Drucksache 13/9074 - Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Lamp Dr. Gerald Thalheim
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Michaele Hustedt, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Umweltorientierte Neuausrichtung des Pflanzenschutzgesetzes
- Drucksache 13/8505, 13/9074 - Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Lamp Dr. Gerald Thalheim
Zum Einzelplan 10 liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zum Pflanzenschutzgesetz liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Ilse Janz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche mir, daß der Einzelplan 10 irgendwann einmal nicht zu so später Stunde, sondern vielleicht gleich zu Beginn diskutiert wird.
({0})
Irgendwie geraten wir immer an den Schluß eines Sitzungstages, und das gefällt mir nicht.
({1})
Stagnation in der Landwirtschaft oder Aufbruch zu neuen Wegen? Der EU-Kommissionsvorschlag Agenda 2000 hat aus meiner Sicht endlich dazu geführt, die Debatte um den ländlichen Raum, den Landwirt, neue Agrarstrukturen sowie Finanzen zu beleben. Das heißt auch, daß für die Fortsetzung der Agrarreform 1992 in Deutschland Vorschläge erarbeitet werden müssen, wie aus unserer Sicht die Agrarpolitik in Zukunft gestaltet sein soll. Wir Sozialdemokraten haben auf eine Weiterentwicklung der Agrarreform 1992 gepocht und sie hier im Bundestag ständig angemahnt. Nun bedauern wir es, daß diese Debatte nicht aus dem Bundesministerium heraus, sondern auf EU-Ebene angefacht wurde.
Diese Diskussion, deren Ergebnis auch einschneidende Veränderungen im deutschen Agrarhaushalt mit sich bringen wird, muß nach unserer Auffassung aber von uns mitbestimmt werden. Deshalb erwarten wir hier dringend Ihre Vorschläge, Herr Minister Borchert.
({2})
Die Absicht der Kommission, die gemeinsame Agrarpolitik unbürokratischer zu gestalten und sie umweltfreundlicher zu machen, ist doch ein Ansatz, den wir alle teilen. Aber es muß auch dazu kommen. Angesichts der fortlaufenden Debatte darüber, daß die Landwirtschaft der größte Subventionsbestandteil der EG ist - auch wenn im übrigen manche Aussage dazu von manchem sogenannten Experten stark in Zweifel zu ziehen ist -, müssen wir Politiker dafür sorgen, daß Maßnahmen, um auf absehbare Zeit eine vernünftige Kostensenkung im gemeinsamen Agrarbereich durchzusetzen, eingeleitet werden.
Wenn ich mir den Agrarteil der Agenda 2000 daraufhin genau ansehe, dann wird mir klar, daß die Brüsseler Philosophie heißt: Ab dem Jahr 2006 wird die Welt auf den Agrarmärkten anders aussehen, und bis dahin müssen neue Wege gefunden werden. Es sollen durch Preissenkungen verursachte Löcher im Einkommen der Landwirte durch Direktzahlungen aufgefüllt werden. Die Ausgestaltung der Direktzahlung - das muß ich hier deutlich sagen - bereitet uns allerdings einige Probleme. Hierüber müssen wir gemeinsam diskutieren.
Eine neue Reform muß dazu führen, daß es zum Beispiel gelingt, Sprachlosigkeit und Vorurteile zwischen Landwirten und Verbrauchern, Natur- und Tierschützern abzubauen und offensiv eine öffentliche Diskussion zu entfachen. Nur so, also mit allen gemeinsam, kann nach meiner Auffassung ein Erfolg eintreten. Nur so finden wir in der Gesellschaft Mehrheiten für eine vernünftige Finanzierung.
({3})
Lassen Sie mich heute nur auf zwei Bereiche der Kommissionsvorlage eingehen, die wir Sozialdemokraten immer angesprochen haben. Zunächst zur
Quotenregelung bei der Milch: Der Milchpreis selbst scheint sich ja nun ein wenig zu stabilisieren, nachdem in den Vorjahren erhebliche Schwankungen und damit auch Einkommenseinbußen für die Milchbauern zu verzeichnen waren. Daß die Quotenregelung im Jahr 2000 ausläuft, war allen bekannt. Deshalb haben wir immer darauf gedrängt, von Ihnen, Herr Minister, Vorschläge zu erhalten, wie es danach weitergehen soll. Nun liegt der Vorschlag der EU auf dem Tisch: Fortführung der Quotenregelung bis zum Jahr 2006. Nach meinen Informationen hat dies auch die Bundesregierung in Brüssel gefordert.
Wir haben allerdings den Eindruck, daß die Kommission alles vermeidet, was eine Fortführung dieses Systems auf Dauer bedeutet. Zusätzlich sieht sie bis zum Jahr 2006 eine schrittweise Absenkung des Interventionspreises um 10 Prozent vor und will dafür als sogenannte Kompensation eine Milchkuhprämie einführen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat hier im Haus schon mehrfach betont, daß die schlichte Einführung neuer Tierprämien ganz sicher nicht zur Vereinfachung des Prämiensystems beiträgt. Aus unserer Sicht ist die Flächenprämie, die Acker- und Grünland - unterschiedlich gewichtet - mit einbezieht, der sinnvollere Weg. Auch müssen Unterschiede in den einzelnen Regionen Deutschlands beachtet werden.
Herr Minister Borchert, seit 1984 gibt es die Milchquote. Die Preisentwicklung war bisher negativ. Von dem gesteckten Ziel, die Produktion von Überschüssen zu verhindern, sind wir immer noch weit entfernt. Aus diesem Grund genügt es nicht, wenn eine schlichte Fortschreibung des Bestehenden gefordert und allen Alternativen eine Absage erteilt wird.
Die bisherigen Regelungen haben weder ihren Zweck erfüllt, noch bedeuten sie einen Schritt in Richtung einer extensiven und ökologischen Landwirtschaft, mit einer Förderpolitik, die es den landwirtschaftlichen Unternehmen ermöglicht, freie Marktentscheidungen zu treffen. Wie hat es der Bauernverband in einer Mitteilung gesagt? Es müsse der Grundsatz durchgesetzt werden, daß dauerhaft nur diejenigen Quoten haben dürfen, die auch tatsächlich Kühe haben. - Gut.
({4})
Daß Sie sich in Brüssel für eine grundsätzliche Ausrichtung der Milchmarktpolitik über das Jahr 2000 einsetzen, begrüßen wir, Herr Minister. Wir erwarten, daß Sie sich auch mit neuen Vorschlägen in Brüssel durchsetzen und unter anderem verhindern, daß es zu zusätzlichen Tierprämien kommt. Aus unserer Sicht sind die Ausgleichszahlungen mit ökologischen und sozialen Kriterien zu verknüpfen.
({5})
Ich befürchte auch, daß eine Politik, der wir alle im Bund bisher Vorrang eingeräumt haben - wenn auch zum Teil mit unterschiedlichen Intentionen -, nämlich die Entwicklung ländlicher Räume, von Brüssel als zweitrangig angesehen wird. Soweit die ländliIlse Janz
chen Räume nach dem neuen Ziel 2 förderfähig sind, sollen sie als integrierte Entwicklungsmaßnahme mit dem Regional- und Sozialfonds zusammengelegt werden und aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft finanziert werden.
Damit gehört dieser Bereich zur Agrarleitlinie. Wir vermuten, daß die Mitgliedstaaten den Agrarmarktmaßnahmen einen höheren Stellenwert einräumen. Genauso problematisch erscheint uns das Zusammenlegen von sehr verschiedenen Programmen wie die Förderung ländlicher Räume, rückläufiger Industriegebiete und städtischer Problemgebiete. Zu unterschiedlich sind diese drei Bereiche, um auszuschließen, daß die Förderung der ländlichen Räume auf der Strecke bleibt.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher, auch weiterhin eine eigenständige Förderung der ländlichen Räume im Rahmen der Strukturfonds zu gewährleisten.
({6})
Das bedeutet aus unserer Sicht eine Sicherung integrierter Programme auch für die ländliche Entwicklung und eine Hintanstellung reiner Sektorprogramme.
Es muß eine Verzahnung von Markt-, Struktur- und gerade auch Umweltpolitik zur Entwicklung der ländlichen Räume geben. Die vorgesehene Abgrenzung der Ziel-2-Gebiete mit den Kriterien Arbeitslosenquote, Beschäftigungsniveau, Grad der sozialen Ausgrenzung und der - so verstehen wir die Unterlagen - Nichtberücksichtigung der Bevölkerungsdichte, die ein wichtiges Kriterium für die ländlichen Gebiete ist, läßt zudem erahnen, daß die Förderung der ländlichen Räume nicht mehr Priorität genießen soll. Ich persönlich kann mich im übrigen sehr mit den Forderungen der Länderagrarminister anfreunden, die für den ländlichen Raum ein eigenes Ziel 4 fordern. Wir haben uns als Agrarpolitiker in unserer Fraktion bisher aber noch nicht durchsetzen können.
Das ein und dieselben Maßnahmen aus verschiedenen Töpfen finanziert werden sollen, führt nicht nur zu Reibungsverlusten, sondern erfordert auch Mehrkosten. Was aber passiert, wenn die Position des BML - Erhalt eines eigenständiges Förderziels - nicht durchsetzbar ist? Ich habe von Ihnen, Herr Minister, bislang keine Aussagen bekommen, wie die einzelnen Strukturfonds definiert werden sollen, wenn sich die Position einer Zusammenlegung der Förderziele durchsetzt.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe hier nur zwei Punkte genannt und dazu unsere Bedenken vorgetragen. Ganz sicher gibt es an der einen oder anderen Stelle für uns weitere Probleme. Aber Sie, Herr Minister, sollten sich in Brüssel nicht nur als scharfer Gegner einer neuen Agrarreform gebärden - dies kommt jedenfalls öffentlich immer so rüber -, sondern dafür sorgen, daß in einer sachlichen Diskussion die erforderlichen Änderungsvorschläge eingebracht werden. Das ist für die Diskussion über die zukünftige Höhe und Ausgestaltung des Bundeshaushaltes von größter Bedeutung. Wir alle, die sich seit Jahren intensiv mit dem Bundeshaushalt auseinandersetzen, wissen, daß auch hier Veränderungen nötig sind. Seit Jahren haben wir beim Einzelplan 10 Kürzungen zu verkraften, die nicht inhaltlich, sondern nur finanziell begründet werden.
Wie ist nun die Situation? Jahr für Jahr werden vorab Versprechungen gemacht, die dann nicht eingehalten werden. Ich will hier wieder einmal die Gemeinschaftsaufgabe nennen. Bei der ersten Lesung im Bundestag gab es vollmundige Versprechungen. Dann hat es nach dem Berichterstattergespräch in Ihrem Hause, Herr Minister, eine Pressemitteilung meiner Kollegen von CDU und F.D.P. gegeben. Danach sollte der Titel „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz" um 120 Millionen DM aufgestockt werden. Gleichlautend hat auch der Agrarausschuß beschlossen. Bei der Beratung des Einzelplans im Haushaltsausschuß wurde dieser Beschluß von der Regierungskoalition zurückgestellt. In der Bereinigungssitzung wurde er gar nicht erst zur Debatte gestellt. Ich finde dies um so bedauerlicher, als alle Fraktionen gemeinsam Kürzungsmöglichkeiten gesucht und auch gefunden haben, so daß diese 120 Millionen DM vorhanden waren. Aber dann hat der Finanzminister ganz schnell zugegriffen - und weg sind sie.
Bei der Gemeinschaftsaufgabe müssen wir nun mit fast einer halben Milliarde DM weniger auskommen. Das bedeutet zum einen eine Kürzung von 32 Prozent; zum anderen ist damit gerade der investive Teil belastet. Die Bundesländer haben mitgeteilt, daß von den nunmehr angesetzten 1,004 Milliarden DM für Investitionen bereits 985 Millionen DM an Altverpflichtungen bestehen, so daß lediglich 19 Millionen DM für neue Anträge zur Verfügung stehen. Das bedeutet, neue Verpflichtungen können erst ab 1999 eingegangen werden. Auch für den Küstenschutz wird dies ganz sicher nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wir haben deshalb heute den Antrag auf Aufstockung der Titel um 120 Millionen DM vorgelegt und erwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und F.D.P., daß Sie diesem Antrag zustimmen werden.
So gut es ist, Herr Minister Borchert, daß es Ihnen gelang, bei der Berufsgenossenschaft Kürzungen zu vermeiden, um so schwerwiegender ist diese drastische Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe, da sie weitere Gestaltungsmöglichkeiten für die wirtschaftenden und investierenden Betriebe unmöglich macht bzw. in weite Ferne schiebt. Hier hätten nach meiner Auffassung auch Sie, liebe Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, dem Finanzminister nicht nachgeben dürfen.
({8})
Um diesen Haushalt überhaupt fahren zu können, wurde zusätzlich zu einem Buchungstrick gegriffen, und die Selbstbewirtschaftungsmittel der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung wurden in Höhe von 1,135 Milliarden DM in den Haushalt eingestellt. Daß dafür nun Zinsen gezahlt werden müsIlse Janz
sen, scheint Sie nicht weiter zu interessieren. Dies geht aber nur einmal. Wo bleibt da die grundsätzliche Perspektive dieses Haushalts?
Dann haben wir ja noch das Stichwort FELEG. FELEG beschäftigt mich schon seit Beginn meiner Tätigkeit im Haushaltsausschuß. 1995 hieß es aus Ihrem Ministerium, es sei mit 2000 Fällen zu rechnen. 1996 waren es schon 7000 Fälle. Es setzt sich so bis heute fort: Permanente Fehleinschätzung der Fallzahlen führte jährlich zu Nachbewilligungen. Für 1997 haben wir gerade 110 Millionen DM zusätzlich beschlossen. Nun ist Ihr Ministerium etwas klüger geworden und für 1998 anders vorgegangen. Zwar wurde im Haushaltsausschuß der von mir eingebrachte Erhöhungsantrag in Höhe von 110 Millionen DM von Ihnen abgelehnt. Aber in der Bereinigungssitzung brachten Sie dann selbst eine Vorlage über 105 Millionen DM ein.
({9})
Na bravo, dann haben wir in 1998 nicht so viel nachzubewilligen. Daß zu der Erkenntnis der ordnungsgemäßen Haushaltsführung mehrere Jahre gebraucht wurden, läßt für die Diskussion über die zukünftige Agrarpolitik in Deutschland und die Haushaltsansätze einiges befürchten.
Herr Minister, in sachlichen Fragen haben Sie oft auch Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion erhalten, zum Beispiel bei Ihrem Einsatz in der EU für das Verbot der Treibnetzfischerei. Aber bei einem so verkorksten Haushalt, der weder auf Zukunft gerichtet ist noch finanzielle Perspektiven hat, gibt es keinen Lichtblick. Sich mit von Haushalt zu Haushalt weniger Mitteln weiterzuhangeln, ohne aufzuzeigen, wohin die Reise gehen soll, das ist nicht die Perspektive, mit der Sozialdemokraten arbeiten.
Ihren Einzelplan lehnen wir ab.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf den Einzelplan 10 eingehe, möchte ich zu zwei Bemerkungen von Frau Janz kommen.
Zum einen: „Agenda 2000". Frau Janz, ich bin diesem Landwirtschaftsminister sehr dankbar dafür, daß er sich bei allen Agrarministertagungen in Brüssel mit aller Vehemenz klar und deutlich gegen die „Agenda 2000" ausgesprochen hat.
({0})
- Herr Sielaff, eine zusätzliche Erhöhung des EU-
Agrarhaushaltes von 8 bis 10 Milliarden DM ohne
jegliche Chance des bäuerlichen Betriebes, davon etwas abzubekommen, wäre falsch gewesen. - Dafür herzlichen Dank.
({1})
- Ihr habt nachher noch die Chance, darauf zu antworten, Matthias.
Als zweites, Ilse Janz: zur Milchquotenregelung. Hier gibt es so viele Unterschiede in den Auffassungen nicht nur zwischen den EU-Ländern, sondern auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, zwischen Süden und Norden, Osten und Westen, daß man sich hierzu einmal zusammensetzen sollte, um zu überlegen, wie die Milchquotenregelung nach dem Jahr 2000 aussehen soll, um möglichst allen ein bißchen gerecht zu werden.
({2})
Nun lassen Sie mich zu dem Haushalt 1998 kommen: Selten waren Haushaltsberatungen so schwierig, bedingt durch Steuermindereinnahmen und auch bedingt durch hohe zusätzliche Ausgaben für Nürnberg. Aber ich bin dankbar dafür - das haben wir klar und deutlich signalisiert -, daß diese Koalition handlungsfähig ist.
({3})
- Herr Sielaff, auch der Einzelplan 10 hat zur Konsolidierung des Haushalts 1998 beitragen und rund 215 Millionen DM einsparen müssen.
Lassen Sie mich zu einigen Schwerpunkten kommen. Ich möchte von vornherein klar und deutlich sagen, daß wir ein ausgesprochen gutes, harmonisches Verhältnis unter den Berichterstattern gehabt haben, nur in einem Bereich nicht - den hat Frau Janz angesprochen -, und zwar in der Unfallversicherung. Da hat die Opposition Pech und Schwefel über die Regierungskoalition geschüttet: Wir hätten Wort gebrochen, wir würden unser Wort nicht halten. - Fakt ist: Wir halten unser Wort, so wie es die Wähler und Wählerinnen der CDU/CSU immer gewohnt gewesen sind.
({4})
Der Zuschuß von 615 Millionen DM bleibt 1998 bestehen.
({5})
Ich will aber klar und deutlich signalisieren - ich habe das in der ersten Lesung getan; ich habe es in diesem Jahr auf dem Deutschen Bauerntag in Braunschweig getan; ich habe das den Sozialträgern gesagt; sie waren dabei -, daß die Berufsgenossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland sich im nächsten Jahr, 1998, Gedanken machen müssen, wie wir den Haushalt konsolidieren können.
({6})
- Ich will dir klar und deutlich sagen, daß ich nicht mehr akzeptiere, daß wir 20 Berufsgenossenschaften haben. Das sind 20 zuviel.
({7})
Ich weiß, daß 20 Verwaltungen, 20 Beiräte und 20 Vorstände nicht wirtschaftlich sind.
Ich habe auf dem Deutschen Bauerntag in Braunschweig Schelte bekommen. Aber ich habe von der jüngeren Generation der deutschen Bauern auch klare Aussagen gehört, daß sie dankbar sind, daß wir von der Politik dieses Problem endlich einmal anfassen und hier ein bißchen tun.
Ich werde - ich kündige das heute schon an - bereit sein, mich 1998 mit den Berufsgenossenschaften der Bundesrepublik zusammenzusetzen, um zu versuchen, erhebliche Kosteneinsparungen zu erzielen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Thalheim möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?
Aber gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Detlev von Hammerstein, kann ich davon ausgehen, daß die Koalitionsfraktionen oder zumindest die CDU-Fraktion einen Antrag oder einen Gesetzentwurf einbringt, um die Anzahl der Berufsgenossenschaften in dem Sinne, wie Sie es eben vorgeschlagen haben, zu reduzieren? Ich würde zumindest eine Berufsgenossenschaft übriglassen und nicht alle 20 wegrationalisieren.
Herr Abgeordneter, wir haben noch den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage. Ich möchte hier nichts abwürgen, aber ich bitte, eines zu bedenken: Wir führen hier fast eine erweiterte Ausschußsitzung durch. Können wir das angesichts der Tatsache, daß wir die vorgesehene Zeit so weit überzogen haben, nicht auch anderweitig klären?
({0})
Lieber Herr Kollege von Hammerstein, da Sie eben gesagt haben, wir hätten 20 Berufsgenossenschaften und Sie würden gern die 20 Berufsgenossenschaften streichen, möchte ich Sie fragen: Würden Sie nicht doch vielleicht eher der F.D.P. zustimmen, die sagen würde: 19 streichen, das wäre akzeptabel, aber eine beibehalten?
({0})
Zunächst auf Herrn Thalheim eingehend: Wenn ich vorhin gesagt haben sollte, alle 20 Berufsgenossenschaften sollten abgeschafft werden, ist das natürlich falsch. Herr Thalheim, wir brauchen weiterhin landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften. Wir brauchen aber kein Gesetz für eine solche Änderung, sondern wir sollten erst einmal Vorgespräche führen. Ich biete den Berufsgenossenschaften, den Direktoren, den Beiräten und Vorständen, an, sich im nächsten Jahr gemeinsam darüber Gedanken zu machen.
Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland ein Papier, in dem klar und deutlich aufgezeigt wird, in welchen Berufsgenossenschaften wieviel pro Arbeitskraft für Unfälle geleistet wird und wieviel nicht. Deswegen müssen wir hier etwas tun. Ich stimme meinem Kollegen Koppelin zu, daß wir zumindest eine Berufsgenossenschaft behalten sollten. Wir brauchen allerdings wohl noch einige mehr.
({0})
- Nein, im nächsten Jahr werden wir sicher einige Berufsgenossenschaften weniger haben. Davon gehe ich aus.
Mein sehnlichster Wunsch - den hat Frau Janz auch angesprochen - war die Erhöhung der Zuschüsse für die Gemeinschaftsausgaben. Ich darf mich bei allen Berichterstattern ganz herzlich dafür bedanken, daß wir hier gemeinsam gekämpft haben. Es ist traurig, daß wir um 200 Millionen DM haben kürzen müssen. Unser Wunsch war, um 120 Millionen DM zu erhöhen.
({1})
Dies war, Herr Sielaff, bedingt durch die wahnsinnigen zusätzlichen Kosten für FELEG von über 100 Millionen DM, hier vielleicht bedingt durch das Fehlverhalten - dies wird im Augenblick überprüft - in Sachsen. Ich denke an die wahnsinnigen zusätzlichen Kosten für die Einlagerung von Interventionsgetreide. Hier sind zusätzlich gewaltige Summen benötigt worden, so daß leider die Gelder für die Gemeinschaftsausgaben nicht erhöht werden konnten.
Durch Altverpflichtungen haben wir im Augenblick 1,25 Milliarden DM an den Küstenschutz gebunden. In die Ausgleichszulage fließen zur Zeit 440 Millionen DM. Da bleibt für andere Maßnahmen leider wenig übrig.
Deshalb appelliere ich an den PLANAK: Kommen Sie zu einer gerechteren Verteilung zwischen den Ländern, damit Spielraum für die einzelbetriebliche Förderung entsteht! Entrümpeln Sie den Maßnahmenkatalog! Vieles hat mit der Landwirtschaft im eigentlichen Sinne nichts oder nur wenig zu tun. Wer sich diesen Katalog anschaut, fragt sich manchmal: Was sollen diese vielen Hunderte von Einzelpositionen, die noch mit Kleinstsummen gefördert werden? Ich habe manchmal das Gefühl: Das Verwalten des Geldes ist teurer als irgendeine Zukunftsinvestition im Bereich der Landwirtschaft.
({2})
Deswegen muß im nächsten Jahr, Herr Heinrich, ein klares Signal von PLANAK und auch von unserem Landwirtschaftsminister kommen.
Für mich ist wichtig, daß bei den wasserwirtschaftlichen Maßnahmen, der Dorferneuerung und dem Küstenschutz ein Teil gestrichen wird. Dies ist nämlich nicht nur Aufgabe der Landwirtschaft. Diese Gelder könnten dann landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieben für Investitionen zur Verfügung gestellt werden.
Ich bitte den Landwirtschaftsminister, im Jahr 1998 möglichst früh mit den Agrarministern unserer Länder darüber zu diskutieren, wie wir die geringer werdenden Mittel bei der Ausgleichszulage in Zukunft sinnvoller einsetzen können. Es ist mein sehnlichster Wunsch, daß es hier sehr früh klare Äußerungen gibt.
Ich möchte betonen, daß bei den gesetzlichen Leistungen alle Maßnahmen der Sozialpolitik unangetastet bleiben. Sowohl die Zuschüsse zur Alterssicherung als auch die Zuschüsse zur Krankenversicherung werden nicht verändert. Alle gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen werden erfüllt werden.
Ich freue mich ganz besonders - hier ein herzliches Dankeschön an Herrn Koppelin und insbesondere an Ilse Janz -, daß es uns gelungen ist, das Fischereischutzboot „Frithjof" im Haushaltsplan so abzusichern, daß wir es dem Land Namibia schenken können. Wer mal in Namibia gewesen ist und weiß, wie die Fischereischutzzone Namibia abgewickelt wird, der weiß auch, daß es richtig ist, Namibia dieses Boot zu schenken. Zur gleichen Zeit haben wir die Möglichkeit, ein neues anzuschaffen, um den international eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft gerecht zu werden.
Am Schluß möchte ich dem Minister und, da ich dazu heute wahrscheinlich die letzte Möglichkeit habe, dem zum 31. Dezember ausscheidenden Staatssekretär Wolfgang Gröbl mein herzliches Dankeschön sagen. Es war eine harmonische und gute Zusammenarbeit mit Ihnen, aber auch mit dem gesamten Haus. Mein herzliches Dankeschön.
Ihnen, lieber Herr Staatssekretär Gröbl, wünsche ich für das Jahr 1998 etwas geruhsamere Zeiten, obwohl es in den landwirtschaftlichen Bereichen sicherlich härter werden wird.
Dem zukünftigen Staatssekretär Ernst Hinsken alles Gute, eine glückliche Hand. Die braucht man bei den Bauern.
Den Mitberichterstattern herzlichen Dank für eine faire, gute Zusammenarbeit.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Ein Reformbedarf besteht hier schon. Ein Haushalt ist kein Schicksalsschlag, Herr von Hammerstein.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang natürlich auch Herrn Hinsken. Das ist die Verjüngung, die von der Bundesregierung angeboten wird.
Nach dem Motto „Wir backen jetzt ganz kleine Brötchen"
({0})
reduziert sich der Haushalt zusehends auf das Stopfen der Waigelschen Löcher und die Schadensbegrenzung einer verfehlten Agrarpolitik.
({1})
Von Haushaltskonsolidierung kann dabei nicht die Rede sein.
({2})
- Ich habe nichts gegen Brötchen. Mal schauen, ob es wenigstens Vollkornbrötchen werden.
Die Kosten der Finanzierung, beispielsweise die Selbstbewirtschaftungsmittel der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, werden wahlkampfbedingt schlichtweg auf die nächste Legislaturperiode verlagert. Das Verschachern von Wald und Flächen in Naturschutzgebieten und Biosphärenreservaten ist ein Skandal und ein Ausverkauf des Tafelsilbers.
Darüber hinaus wird wiederum bei der Gemeinschaftsaufgabe eingespart, dem einzigen wirksamen wirtschaftsfördernden Bereich für den ländlichen Raum. Allerdings: Auch eine Aufstockung hilft natürlich nicht viel, weil die Kofinanzierung der Länder nicht mehr möglich ist. Das ist das Verschulden eben dieser Bundesregierung.
({3})
Defizitär ist auch der Bereich der Verbraucherpolitik. Seit § 20 des Sozialgesetzbuches gestrichen wurde, bieten die Krankenkassen nahezu keine Ernährungsberatung mehr an. Die Ratsuchenden müssen sich nun an die Verbraucherzentralen wenden, die - trotz erhöhten Bedarfs - keine zusätzlichen Finanzierungshilfen erhalten. Angesichts der Kosten ernährungsbedingter Krankheiten von immer noch mehr als 100 Milliarden DM ist dies ein Versäumnis der Bundesregierung, das enorme Folgekosten nach sich ziehen wird. Auch die Fraktion der Grünen wird bessere Rahmenbedingungen für die Verbraucherzentralen unterstützen, in Form einer Modernisierung des Haushaltsrechts. Mit der „Agenda 2000", dem agrarpolitischen Vorschlag der EU-Kommission, wird die Umstellung der Preispolitik sowie der Förder- und Strukturprogramme auf die bevorstehende Osterweiterung eingeleitet. Zwar haben wir an den Vorschlägen eine ganze Reihe von Kritikpunkten anzubringen. Aber wir erwarten von der Bundesregierung, insbesondere von Minister Borchert, daß sich die deutlichen Zeichen aus Brüssel auch in der Agrar- und Haushaltspolitik der Bundesregierung
widerspiegeln. Bis jetzt erleben wir das Gegenteil eine ausgesprochene Abwehrhaltung gegenüber jeder Veränderung der sogenannten bewährten Agrarpolitik, die kaum noch Unterstützung in der Gesellschaft findet und letztendlich zu keinem vernünftigen Ergebnis führt, auch nicht auf europäischer Ebene.
Während im Haushalt an allen Ecken und Enden gespart wird, setzt die Bundesregierung für eine umfangreiche Kampagne zur Verbesserung der Akzeptanz der „Grünen Gentechnik" gleichzeitig insgesamt mehr als 2 Millionen DM ein. Das ist eine klare Industriesubvention und hat nichts mit den Interessen der Bauern und der Verbraucher zu tun.
({4})
Bündnis 90/Die Grünen fordern die Einstellung der Kampagne „Grüne Gentechnik", die Ausrichtung der deutschen Agrarpolitik auf die zukünftigen Anforderungen einer umwelt- und sozialgerechten Reform der EU-Agrarpolitik unter Einbeziehung der Osterweiterung sowie die Einstellung der wahlkampforientierten Haushaltstricks.
Ich möchte noch einige Sätze - das ist eine unselige verbundene Debatte - zum Pflanzenschutzgesetz sagen. Es ist wirklich zu kritisieren, daß das Pflanzenschutzgesetz in einem solch kurzen Zeitraum durch den Ausschuß gezogen wurde und wir es jetzt hier im Plenum debattieren müssen, ohne daß Verbände und Parlamentarier Gelegenheit hatten, sich mit diesem Gesetzeswerk entsprechend auseinanderzusetzen.
Festzuhalten ist: Die Bundesregierung hat keine Zielvorgaben und Maßnahmen für die Verminderung des Pestizideinsatzes vorgelegt. Auch wenn sich in der Bundesrepublik die Aufwandmengen reduziert haben, sagt das noch lange nichts über die qualitative Belastung des Bodens und des Wassers mit Pestiziden. Nach wie vor sollen jährlich mehr als 35 000 Tonnen Pestizide in Deutschland in Verkehr, zur Anwendung und damit in die Umwelt gelangen. Das ist angesichts dieser hochtoxischen Wirkstoffe ganz eindeutig zuviel.
Mit den Deregulierungsansätzen im Pflanzenschutzgesetz werden fragwürdige Vereinfachungen vorgenommen und Fristen verlängert. Bündnis 90/ Die Grünen fordern mit dem vorgelegten Änderungsantrag „Umweltorientierte Neuausrichtung des Pflanzenschutzgesetzes" eine konsequente, sukzessive Verringerung des Pestizideinsatzes. Gezielte Pestizidreduktionsprogramme, die im übrigen auch im europäischen Ausland angegangen werden - die Niederlande, Dänemark und Schweden sind mit entsprechenden Schritten vorangegangen -, sind keinesfalls eine wettbewerbsverzerrende Maßnahme, ganz im Gegenteil!
Besonders wichtig sind uns folgende Maßnahmen: die Zulassung von wassergefährdenden und gesundheitsschädlichen Pestiziden, die sich in der Umwelt akkumulieren, innerhalb von zwei Jahren zurückzuziehen, ein Anwendungsverbot für Pestizide in nicht
kommerziell genutzten Bereichen, das über das hinausgeht, was in dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf - immerhin ein Fortschritt - enthalten ist, sowie ein Verbot des Einsatzes von hormonell wirkenden Substanzen für den Einsatz als Pestizid.
Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, daß der Vorschlag eines Änderungsgesetzes zum Pflanzenschutzgesetz, das heute zur Verabschiedung ansteht, deutliche Verschlechterungen für den ökologischen Landbau beinhaltet, die durchaus nicht nötig sind. Hier werden Stoffe oder Zubereitungen wie Schmierseife, Speiseöl oder Gesteinsmehle behindert, die im ökologischen Landbau unerläßlich sind und deren Einsatz jetzt eigentlich in einem rechtsfreien Raum geschieht. Solche Behinderungen finde ich nicht sachgerecht.
Wir werden uns weiterhin für eine Reduzierung des Pestizideinsatzes und für eine Verringerung der Belastung der Umwelt und der Menschen einsetzen.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jürgen Koppelin, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir alle sind uns einig: Die deutsche Landwirtschaft ist bemüht, den anspruchsvolleren Erwartungen in bezug auf Qualität, Gesundheitsschutz, Umweltverträglichkeit sowie artgerechte Tierhaltung gerecht zu werden. Unsere Landwirte stellen sich diesen Anforderungen. Auf der anderen Seite, so meinen wir, haben sie Anspruch darauf, daß sie vernünftige Rahmenbedingungen erhalten, damit sie, wie jeder andere Unternehmer auch, langfristig planen und Chancen und Risiken abschätzen können.
({0})
Die Anschaffung neuer Maschinen, der Bau neuer Stallungen bindet Kapital. Diese Investitionen sind nur möglich, wenn auch für die Landwirte Planungssicherheit besteht. Wir sind ausgesprochen dankbar dafür, daß auch in unserer Zeit junge Menschen den Beruf des Landwirts ergreifen. Gerade sie haben Anspruch auf Planungssicherheit.
({1})
Die Vorschläge zur zukünftigen gemeinsamen Agrarpolitik, wie sie in der „Agenda 2000" vorgelegt wurden, lassen befürchten, daß wiederum eine neue Agrarpolitik zu neuen Bedingungen führen soll, Bedingungen, die die Perspektiven für die deutschen Landwirte nach meiner Auffassung verschlechtern könnten. Zwar hat die bisherige Reform der europäischen Agrarpolitik zu richtigen Schritten geführt. So konnten zum Beispiel die hohen Überschüsse vermindert werden. Aber mit der Reform gab es auch
eine erhebliche Ausweitung der Agrarbürokratie, die nicht nur hohe Kosten verursacht, sondern auch die unternehmerischen Handlungsspielräume der Landwirte einengt. Deshalb legt die F.D.P. starken Wert darauf, daß die Reform aus dem Jahr 1992 weiterentwickelt wird, damit unter anderem endlich die große Agrarbürokratie abgebaut wird und unseren Landwirten wieder mehr unternehmerische Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden.
({2})
Weiterentwicklung der europäischen Agrarpolitik heißt für die F.D.P.: den unternehmerischen Handlungsspielraum der Landwirte erweitern, den Kräften des Marktes mehr Raum geben, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmen stärken, die Agrarbürokratie stärker abbauen, Leistungen der Landwirtschaft zur Erhaltung der Kulturlandschaft, der Landschaftspflege und des Naturschutzes stärker honorieren. Das Scheitern einer gemeinsamen Erklärung der Agrarminister in diesem Monat hat offenbart, wie schwierig die weiteren Verhandlungen sind. Wir halten es für notwendig, daß die deutsche Position in bezug auf die neue Agrarpolitik deutlicher noch als bisher herausgestrichen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zu beschließende Einzelplan für den Bundeslandwirtschaftsminister mit einem Etatvolumen von rund 11,5 Milliarden DM zeigt, daß der Handlungsspielraum für eine eigene nationale Agrarpolitik immer begrenzter wird. Insbesondere im investiven Bereich können nicht alle Wünsche erfüllt werden. Es soll gar nicht bestritten werden, daß mit dem vorliegenden Etat gerade im investiven Bereich einiges unbefriedigt geblieben ist.
Natürlich wäre es auch der F.D.P. lieber gewesen - jetzt will ich auf die Kollegin Janz eingehen; sie hat es angesprochen -, wenn wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" hätten aufstocken können. Realistischerweise muß man jedoch akzeptieren, liebe Kollegin Ilse Janz, daß selbst bei einer Aufstockung der Mittel durch den Bund dieses Geld trotzdem nicht zur Verfügung gestanden hätte, da die meisten Bundesländer auf Grund ihrer prekären Haushaltssituation nicht in der Lage sind, ihre Anteile für die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe zu erbringen.
({3})
- Da Sie, meine Damen und Herren Sozialdemokraten, so schmunzeln: Sie kennen natürlich die Zahlen, aber ich will sie für das Protokoll festhalten. 1996 sind 97 Millionen DM nicht abgerufen worden. Da ich immer noch die Kollegin Janz im Blick habe: Allein Bremen hat 2,8 Millionen DM nicht abgerufen. Wenn wir die Mittel aufgestockt hätten, wären das alles Luftbuchungen gewesen.
({4})
Herr Minister, ich sage ausdrücklich: Auch uns, der F.D.P., wäre es lieb gewesen, wenn auf der Konferenz des Bundeslandwirtschaftsministers mit den Landwirtschaftsministern der Bundesländer kürzlich in Husum in dieser Frage hätte Klarheit geschaffen werden können. Das ist leider nicht geschehen.
({5})
Der Schwerpunkt des Haushalts 1998 liegt vor allem im agrarsozialen Sektor. Die agrarsoziale Absicherung ist für die Landwirte ein unverzichtbarer Baustein ihrer Lebensplanung geworden. Ohne die Absicherung insbesondere auch im Alter hätte der notwendige Strukturwandel nicht durchgesetzt werden können. So sind auch die Bundesmittel zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Haushalt verblieben, obwohl es hierüber bei den Betroffenen - zu Unrecht, sagen wir - Aufregung gegeben hat. Aber ich höre, daß diese Aufregung teilweise von den Sozialdemokraten geschürt worden ist.
Eine Streichung der Bundesmittel zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung stand für die F.D.P. nicht zur Debatte. Dafür hätte es von seiten der F.D.P. überhaupt kein Verständnis gegeben; denn die Streichung hätte für die Betroffenen eine Beitragsexplosion nach sich gezogen.
Trotzdem treten wir für Reformen ein. Ich glaube, da stimmen wir mit dem Kollegen von Hammerstein überein.
Die landwirtschaftliche Sozialpolitik hat ein sehr' hohes Volumen erreicht. Für 1998 sind weit mehr als 700 Milliarden DM vorgesehen. Damit werden der Strukturwandel in der Landwirtschaft sozial abgefedert und die Risiken übernommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so schaffen wir unternehmerische Räume für aktive Betriebe. Agrarpolitik kann aber nicht auf Dauer nur Sozial- und Steuerpolitik heißen.
({6})
Klarheit erwarten unsere Landwirte; das gilt insbesondere für die EU-Agrarpolitik. Dies wird nur geschehen, wenn es eine gezielte Entlohnung ökologischer und landschaftspflegerischer Leistungen gibt, wenn nicht die Preise, sondern die Kosten gesenkt werden. Das heißt: Wir müssen unserer Landwirtschaft die Chance geben, preisgünstiger zu produzieren. Wir müssen alles tun, damit unsere deutschen Landwirte den Hauptanteil ihres Einkommens über den Markt erwirtschaften können.
({7})
Dazu gehört nach Auffassung der F.D.P., daß die bisher geltende starre Arbeitserlaubnisverordnung geöffnet wird. Ein Beibehalten der jetzigen Verordnung und damit eine weitere Beschränkung ausländischer Arbeitskräfte in diesem Sektor würden unweigerlich zum Verlust mühsam gewonnener Marktanteile zugunsten der benachbarten europäischen Konkurrenz führen.
({8})
Zielsetzung muß unseres Erachtens sein, daß in der Arbeitserlaubnisverordnung die Begrenzung der betrieblichen Beschäftigungsdauer generell auf sieben Monate festgelegt und für Sonderkulturbetriebe beseitigt wird. So würden wir sicherstellen, daß insbesondere die Sonderkulturbetriebe nicht durch einen Mangel an motivierten Arbeitskräften existentiell gefährdet werden.
Im übrigen hätte ich gerade in einer Debatte über Agrarpolitik schon gerne einen Beitrag von den Sozialdemokraten gehört, wie sie im Bereich der Agrarpolitik zu den 610-DM-Arbeitskräften stehen. Aber das kann ja noch kommen.
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Die F.D.P. fordert den Bundesarbeitsminister auf, die notwendige Anpassung der Arbeitserlaubnisverordnung zügig anzugehen.
Auch ich habe Dank zu sagen an die anderen drei Berichterstatter zum Agrarhaushalt. Ich sage das deshalb, weil wir immer den Eindruck erwecken, als würden wir uns streiten. Wir haben trotz aller unterschiedlichen Auffassung sehr harmonisch zusammengearbeitet. Insofern habe ich allen zu danken. Ich habe auch dem Ministerium zu danken. Ich will in meinen Dank, weil es quasi die letzte Debatte in dieser Legislaturperiode zum Agrarhaushalt ist, ausdrücklich Herrn Lesch und Herrn Johannes vom Ministerium einschließen.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
({10})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, PDS, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bilanz der Agrarpolitik, die jährlichen Agrarhaushalte in dieser Legislaturperiode einbegriffen, ist, vorsichtig ausgedrückt, ernüchternd: Die Mittel im Agrarhaushalt wurden in dieser Wahlperiode um über 11 Prozent gekürzt.
Die Bundesregierung hatte in ihrem Finanzplan bis 1999 noch versprochen, für die Durchführung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" jährlich 2,4 Milliarden DM vorzusehen. Wenn davon im Agrarhaushalt für 1998 gegenüber dem Ist von 1994 nur 57,5 Prozent übriggeblieben sind, dann kann einem der Agrarminister, der ein solches Mißmanagement schönreden muß, nur leid tun.
Aber auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Im gekürzten Landeshaushalt von Sachsen zum Beispiel fehlen nach der letzten Steuerschätzung 400 Millionen DM. Um 100 Millionen DM soll bei den Kommunen gekürzt werden. Wenn man sich die Gesamtsituation vergegenwärtigt, ist heute bereits offensichtlich, daß auch die notwendigen Mittel für die Kofinanzierung fehlen werden. Offensichtlich sind die in Schulden geratenen Kommunen nicht mehr in
der Lage, ihren Beitrag zur Entwicklung der ländlichen Räume zu leisten.
Wir werden dem Antrag der SPD zur Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zustimmen. Er entspricht inhaltlich der Zielsetzung, die wir im Agrarausschuß unterbreitet hatten.
Die aus dem Haushalt ablesbare Wahrheit über die Agrarpolitik ist also: Die Bundesregierung hat sich von einer gestaltenden Agrarpolitik verabschiedet und überläßt die Betriebe vor allem den Wirkungen der profitorientierten Marktwirtschaft.
Minister Borchert bemüht sich in Brüssel, gegen den Liberalisierungskurs der EU-Kommission mit der „Agenda 2000" aufzutreten. Wir sagen: Dabei und natürlich zum Beispiel auch bei der Ablehnung von Obergrenzen für Ausgleichszahlungen hat er unsere Unterstützung.
({0})
Allerdings wird seine Position durch zum Teil recht unterschiedliche Auffassungen im eigenen Land nicht gerade gestärkt. So setzt der Agrarminister von Sachsen voll auf Zukunft durch Wettbewerb, ohne hinreichend über Fragen des Außenschutzes zu sprechen. Der agrarpolitische Sprecher der CDU im Landtag von Niedersachsen fordert die Abschaffung der EU-Milchquotenregelung.
({1})
- Die Zahl ist nicht genannt; dann hätten wir ja Übereinstimmung und bräuchten das jetzt nicht lang und breit zu diskutieren. - Der von der Bundesregierung bestellte Sachverständigenrat spricht sich für Weltmarktpreise bei der Agrarproduktion, Befristung der Transferzahlungen auf etwa zehn Jahre und den Ausschluß der beitrittswilligen Länder von den Transferzahlungen aus.
Wir beobachten auch mit Sorge, daß der Agrarminister unter den Druck der Alteigentümer gerät. Sie versuchen mit großem finanziellen und propagandistischen Aufwand, in Bonn oder über Brüssel die Flächenerwerbsverordnung zu stoppen und die Bodenreform auszuhöhlen. Wir erwarten von ihm trotz der Attacken aus dem eigenen Lager, auf dem Boden des Einigungsvertrages, der Entscheidungen des Bundestages und des Bundesverfassungsgerichts zu bleiben.
Eine Politik, die auch in der Landwirtschaft in steigendem Tempo Arbeitsplätze zerstört, ist unseres Erachtens nicht zukunftsträchtig. Schon heute sind in der Landwirtschaft mehr Rentner zu versorgen, als Bauern in die Rentenkasse einzahlen. Zu diesen Zusammenhängen ist hier bereits gesprochen worden. Aber ich finde das von Staatssekretär Feiter dargestellte Verhältnis von 1 : 0,8 sehr aussagekräftig. Nachdem die Ausgaben für die Alterssicherung der Landwirte Anfang der 60er Jahre bei 60 bis 70 Millionen DM lagen, liegen sie für das Jahr 1998 bei naDr. Günther Maleuda
hezu 4,4 Milliarden DM. Für das Jahr 2000 rechnet man wohl mit 5 Milliarden DM.
({2})
Der Zeitpunkt ist absehbar, zu dem sich die Regierung wegen der von ihr selbst verschuldeten Finanznot aus der Stützung der landwirtschaftlichen Versicherungssysteme zurückziehen wird oder eine grundsätzlich andere Finanzpolitik zu führen hat.
Ich werde hier bereits aufgefordert, Schluß zu machen. Insofern bleibt mir nur noch übrig, zu sagen, daß die Bundestagsgruppe den vorgelegten Agrarhaushalt für 1998 und den Gesetzentwurf zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes ablehnen wird.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Lamp, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit bemühen, mich kurz zu fassen. Aber es ist mir ein Bedürfnis, mich ganz ausdrücklich bei Staatssekretär Gröbl für die sehr engagierte und kompetente Zusammenarbeit zu bedanken.
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Liebe Freunde, ich bin erleichtert, daß heute endlich - nach nicht kurzer Zeit - die Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes im Parlament verabschiedet werden kann. Das ist längst überfällig. Brüssel droht bei weiterer Verzögerung mit Konsequenzen. Zum Teil, Frau Höfken, beruht dieser zeitliche Druck, unter dem wir zuletzt standen, auf den in Deutschland gegebenen langen Verfahrenswegen. Auch die Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes ist gegen den Widerstand der Bundesländer nicht umsetzbar.
Gemeinsames europäisches Ziel ist es, unter Beibehaltung eines hohen Schutzniveaus für Mensch, Tier und Natur die Tür für europaweit harmonisierte Zulassungs- und Anwendungsvorgaben beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln zu öffnen. So werden wir mit dem neuen Pflanzenschutzgesetz die Genehmigungszeiten bei Neuzulassungen von Pflanzenschutzmitteln zeitlich begrenzen, um uns den durchschnittlichen europäischen Gegebenheiten anzupassen.
Neu wird für uns auch sein, daß über das Pflanzenschutzgesetz künftig nicht nur das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, sondern auch deren Anwendung europaweit vergleichbar geregelt werden. So sollen künftig mit der Zulassung auch die Anwendungsgebiete eines Pflanzenschutzmittels räumlich fixiert werden. Trotzdem, das angestrebte Ziel einer weitgehenden Harmonisierung wird mit diesem ersten Anlauf zwar anvisiert, aber nur teilweise erreicht.
So wird es vorläufig noch weiterhin unterschiedliche nationale Märkte mit unterschiedlichen Preisen für fast gleichartige Pflanzenschutzmittel geben. Diese Preisunterschiede sind keineswegs nur mit verschiedenen Mehrwertsteuersätzen zu begründen, sondern auch mit unterschiedlich hohen Auflagen bezüglich des Umgangs während der Lagerung, des Handels und des Transportes von Pflanzenschutzmitteln.
({1})
Man kann sich darüber hinaus nicht des Eindrucks erwehren, daß die nationalen Unterschiede und die über die Grenzen hinweg noch bestehenden Handelshemmnisse teils sehr bewußt zu unterschiedlichen Preisgestaltungen genutzt werden.
({2})
Wir haben uns bemüht, die Durchlässigkeit des grenzüberschreitenden Handels zu erhöhen und damit auch zur Abflachung der Preisunterschiede beizutragen. So konnten Ansinnen, die Beweislast bei geäußertem Verdacht auf Unregelmäßigkeiten auch im Zusammenhang mit der Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln dem Anwender aufzubürden, abgewendet werden.
Allerdings hat die nun geforderte deutsche Etikettierung auch der Gebinde, die von deutschen Anwendern direkt importiert werden, zu erheblichen Diskussionen geführt. So wie es Sinn macht, daß in jeder Schlachterei selbst relativ harmlose Reinigungsmittel durchbeschriftet werden müssen, so macht es Sinn, daß auch auf den Höfen keine Pflanzenschutzmittel aus Behältern eingesetzt werden dürfen, deren Beschriftung nicht jeder entziffern kann. Dabei geht es keineswegs nur um die Anwendung der Mittel, die übrigens, Frau Höfken, nur zum Teil einer Giftklasse angehören und nicht allgemein als hochtoxisch einzuordnen sind. Dabei geht es auch um mißbräuchliche Anwendungen, wie sie zum Beispiel durch Kinder nie ganz auszuschließen sind. In solchen Fällen müssen der Beschriftung erste Gegenmaßnahmen schnell und unkompliziert entnommen werden können. Gerade wir Landwirte als bevorzugtes Ziel von unsachlichen Veröffentlichungen müssen ein besonderes Interesse daran haben, den Dauerkritikern beizeiten den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Nun noch ein letztes Wort zu Ihrem Reduktionsprogramm, Frau Höfken. Ich bin dann gleich am Ende meiner Rede. Sie haben die Niederlande und Schweden erwähnt.
({3})
Wir können die Philippinen noch hinzufügen. Dies alles sind Länder, in denen Reduktionsprogramme durchgeführt wurden oder werden. Keines dieser Länder hat den Erfolg der deutschen Landwirtschaft zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln erreicht, nämlich 50 Prozent.
({4})
Die deutschen Landwirte haben bewiesen, daß sie weder auf Ratschläge noch auf Vorgaben von grünen Theoretikern angewiesen sind. Die Bauern brauchen vielmehr den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen. Ich denke, dazu trägt dieses Gesetz ein Stück weit bei.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Horst Sielaff, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist ein Spiegelbild der verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl.
({0})
Noch so bunte Broschüren, die sich jetzt wieder häufen, können nicht darüber hinwegtäuschen: 15 Jahre Agrarpolitik der Regierung Kohl bedeuten 15 Jahre Stillstand.
({1})
Mehr als 200000 landwirtschaftliche Betriebe mußten in dieser Zeit die Stalltür schließen, lieber Herr Carstensen. Das wissen auch Sie.
({2})
Die geringfügigen Gewinnverbesserungen der Haupterwerbsbetriebe sind deutlich hinter den Steigerungsraten der gewerblichen Wirtschaft zurückgeblieben. Die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmen im EU-Binnenmarkt hat sich nicht verbessert. Im Einkommensvergleich mit den Hauptkonkurrenten im EU-Binnenmarkt schneiden die deutschen Landwirte schlecht ab.
Die Regierung Kohl hat kein Konzept zur integrierten Entwicklung der ländlichen Räume. Das hektische Hervorzaubern der „bäuerlichen Modellregion im Allgäu" durch Bundeskanzler Kohl bei Gesprächen mit enttäuschten Milchbauern dokumentiert das. Überrascht waren nicht nur wir; überrascht waren alle, die sich die integrierte Entwicklung ländlicher Räume auf die Fahnen geschrieben haben.
({3})
Die Hilflosigkeit in diesem Zusammenhang spiegelt sich in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage, Drucksache 13/8783, zu ebendieser Modellregion wider.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat die Investitionen zur Förderung von Landwirtschaft und ländlichem Raum auf den bisher niedrigsten Stand seit Einführung des Landwirtschaftsgesetzes gebracht.
({4})
- Da merkt man, wie sehr Sie betroffen sind. Sie können nur dumme Zwischenrufe machen, Herr Koppelin. Ihre Rede zum Agrarhaushalt war auch nicht besser und entspricht nicht dem Ernst der Sache.
({5})
Investitionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit der Landwirtschaft und zur Entwicklung der Dörfer bleiben bei dieser Politik auf der Strecke. Hinzu kommen gravierende strukturelle Schwächen bei der Verarbeitung und Vermarktung.
Aufträge des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küstenschutz vom März 1995 und des Deutschen Bundestages bzw. seines Fachausschusses vom Herbst 1995 werden trotz dieser alarmierenden Situation nicht oder nur schleppend angegangen. Bisher jedenfalls ist der Auftrag, die Ausgleichszulage angesichts der vielen Änderungen und neuen Instrumente seit Einführung zu überprüfen, nicht erfüllt. Bisher ist nichts vorgelegt worden. Statt dessen werden Jahr für Jahr Millionen knappe Steuergelder überwiegend für konsumtive Zwecke ausgegeben. Notwendige Investitionen bleiben auf der Strecke. Neue Modelle werden geboren. Hilfloser geht es nicht mehr.
({6})
- Für den Stillstand.
Zur Konzeptionslosigkeit im eigenen Land kommt eine völlig unzulängliche Interessenvertretung in Brüssel. Durch Ungeschicktheiten, Kompromißunfähigkeit und starre Verweigerungshaltung - man könnte auch „stur" sagen - hat die Bundesregierung ihren Einfluß in der europäischen Agrarpolitik praktisch verspielt. Eine Isolation der Bundesrepublik Deutschland bei der Weiterführung der europäischen Agrarpolitik im Zusammenhang mit der Osterweiterung der Gemeinschaft und den WTO-Verhandlungen zeichnet sich ab.
({7})
Die Rahmenbedingungen für die europäische Agrarpolitik werden sich durch die WTO-Verhandlungen und die Osterweiterung stark verändern. Eine völlige Liberalisierung des Weltmarktes droht. Liberalisierung und Globalisierung werden von der Bundesregierung unter anderem durch den Abschluß von Freihandelszonen befördert. Auf den Agrarmärkten dürfen diese Entwicklungen jedoch, wie wir meinen, nicht unkontrolliert ablaufen. In den WTO- Verhandlungen müssen deshalb soziale, ökologische und an Gerechtigkeit orientierte Regelungen für den Welthandel durchgesetzt werden.
({8})
Hier, Herr Borchert, haben Sie uns auf Ihrer Seite, wenn Sie dieses wirklich massiv in die Verhandlungen einbringen.
Trotz aller Anstrengungen können große Teile der deutschen und der europäischen Landwirtschaft nicht zu Weltmarktkonditionen produzieren. Ausgleichszahlungen sind deshalb für die Landwirtschaft in der EU auch in Zukunft unerläßlich. Die derzeitige produktgebundene Förderung ermöglicht allerdings keine am Markt orientierten Produktionsentscheidungen der Landwirte. Wir treten deshalb für eine an ökologische, soziale und landschaftspflegerische Kriterien gebundene, produktunabhängige Prämie unter Einschluß aller Acker- und Grünlandflächen ein.
({9})
Hier muß sich die Bundesregierung an vorderster Front einklinken und Diskussionen zur Ausrichtung einer entsprechenden Politik beflügeln. Sie darf die Weiterführung der Reformen nicht weiter verneinen und ablehnen. Das schadet unserem Land, das schadet Europa, das schadet letztendlich auch unseren Bäuerinnen und Bauern.
Ich betone, die Landwirtschaft einschließlich der Forstwirtschaft, des Weinbaus und der Fischerei ist als eine wichtige Grundlage der regionalen Wirtschaft ein unverzichtbares Kernelement für unsere ländlichen Räume. Unsere Landwirte erbringen neben der Nahrungsmittelproduktion vielfältige öffentliche Leistungen, wie den Erhalt der Kulturlandschaft und der Bodenfruchtbarkeit, die nicht über den Markt abgegolten werden können, aber im Interesse der Gesellschaft notwendig sind.
Deshalb verdient eine umweltgerecht wirtschaftende Landwirtschaft auch in Zukunft die Solidarität der gesamten Gesellschaft. Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten spiegelt das leider nicht wieder.
({10})
Er ist mit seinen Kürzungen in lebensnotwendigen Bereichen Ausdruck der verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Er ist leider auch ein Zeichen für den mangelnden Willen, der Ökologie in der Landwirtschaft endlich zu einem angemessenen Stellenwert zu verhelfen.
Meine Damen und Herren, wir beraten an dieser Stelle auch abschließend über das Pflanzenschutzgesetz. Wir können mit dieser Novellierung der Bundesregierung nicht zufrieden sein. Auf die einzelnen Defizite kann ich leider aus Zeitmangel nicht eingehen.
Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, sich national, in der EU und international stärker für einen vorsorgenden, wirksamen Schutz der Gesundheit der Menschen, der Tiere und des Naturhaushalts von den insgesamt nicht einschätzbaren Auswirkungen chemischer Pflanzenschutzmittel einzusetzen.
Unser Entschließungsantrag greift dies auf. Stimmen Sie diesem Antrag zu. Denn der Gesetzentwurf der Regierung ist unzureichend. Wir werden ihn deshalb ablehnen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchten auch wir Herrn Gröbl Dank sagen für seine Arbeit. Wir waren in vielen Zielsetzungen und vielen Diskussionen unterschiedlicher Meinung. Sie waren aber ein fairer Partner, Sie waren kollegial, und Sie waren ein Befürworter für die Landwirte, für die Förster und auch für die Fischerei. Ich glaube, wir sollten auch dies über die Parteigrenzen hinweg deutlich machen.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert, das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Haushaltsberatung im September habe ich an dieser Stelle festgestellt: Die Bundesregierung steht auch in Zeiten knapper Kassen zu unserer bäuerlichen Landwirtschaft.
({0})
- Lieber Herr Diller, ein bißchen Information über die Agrarpolitik würde solche Zwischenrufe verhindern. Sie sollten sich gelegentlich von Peter Harry Carstensen informieren lassen, damit Sie vernünftige Zwischenrufe machen können.
Es ist eine Feststellung, die nach wie vor gilt. Das beweist schon der erste Blick in den Etat des Einzelplanes 10, den wir heute beschließen.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur die 615 Millionen DM Bundeszuschuß für die landeswirtschaftliche Unfallversicherung gesichert, genauso, wie ich dies hier damals noch entgegen den Zweifeln der Opposition angekündigt habe. Auch andere wichtige Leistungen sind gesichert, zum Beispiel im Bereich der Agrarsozialpolitik die Mittel für die Krankenversicherung mit 2,15 Milliarden DM und für die Alterssicherung mit 4,33 Milliarden DM. Damit wird der Strukturwandel sozial abgesichert. Gleichzeitig werden die wachsenden Betriebe, die weiter wirtschaftenden Betriebe erheblich entlastet. Dies ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Unterstützung der Landwirtschaft.
({1})
Herr Sielaff, wenn Sie hier beklagt haben, daß im Rahmen des Strukturwandels in den vergangenen 15 Jahren Betriebe aufgegeben haben, so weiß ich nicht, ob es Ihr Ziel ist, den Strukturwandel völlig zu verhindern. Wenn dies Ihr Ziel ist, dann ist das das Ende einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft in Deutschland.
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Meine Damen und Herren, wir haben auch die Gasölbeihilfe mit einem Mittelvolumen von 835 MilBundesminister Jochen Borchert
lionen DM als wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsgleichheit unserer Bauern in Europa gesichert.
Die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe 1998 sind gegenüber dem 1997 verfügbaren Ansatz um 191 Millionen DM gekürzt worden. Natürlich wäre es mir, wäre es uns allen lieber gewesen, wir hätten diesen Mittelansatz wieder anheben können. Aber zu der notwendigen Konsolidierung des Bundeshaushaltes muß auch der Agrarsektor seinen Beitrag leisten.
Darüber hinaus ist natürlich fraglich, ob die Länder überhaupt in der Lage gewesen wären, einen höheren Mittelansatz im Bundeshaushalt abzurufen, weil wahrscheinlich wie in den vergangenen Jahren die notwendige Kofinanzierung gefehlt hätte.
Wenn die SPD diese Mittelkürzung kritisiert, Frau Kollegin Janz, dann muß auch daran erinnert werden, was SPD-Politiker an Kürzungen etwa im europäischen Haushalt fordern. Ich erinnere nur daran, daß Frau Wieczorek-Zeul fordert, 28 Milliarden DM im europäischen Haushalt zu kürzen. Angesichts dessen brauchen wir uns über eine Finanzierung im nationalen Bereich nicht mehr zu unterhalten.
In Ihrem Antrag fordern Sie eine Aufstockung um 120 Millionen DM ohne jede Gegenfinanzierung.
({3})
- Wo steht denn, wie gegenfinanziert werden soll? In diesem Antrag steht nichts von einer Gegenfinanzierung.
({4})
Heute morgen ist gesagt worden, wir hätten nicht genügend gekürzt. Jetzt werden Anträge auf Erhöhung von Mitteln gestellt. Das Ganze nennt sich dann solide Politik von seiten der Opposition.
({5})
Um so wichtiger ist es, die begrenzten Mittel möglichst effizient und zielgerecht einzusetzen. Deshalb werde ich bei der in Kürze anstehenden Planak-Sitzung dafür eintreten, daß die einzelbetriebliche Investitionsförderung und die einkommenswirksamen Maßnahmen schwerpunktmäßig bedient werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Janz?
Aber sicher.
Herr Minister, ist es möglich, daß Sie die Anträge der SPD insgesamt nicht genau gelesen haben und es Ihnen deswegen entgangen ist, daß wir für die Anträge, die wir heute gestellt haben, selbstverständlich auch eine Gegenfinanzierung haben?
({0})
Da es aber sehr schwierig ist - dies ist mir als Haushälterin bekannt -, im Einzelplan 10 eine Gegenfinanzierung zu finden, kommt sie aus einem anderen Bereich.
({1})
Wahrscheinlich ist es zum zehnten Mal der Eurofighter.
Mindestens genauso wichtig wie die Finanzierung der Maßnahmen, vielleicht sogar noch wichtiger als die einzelbetriebliche Investitionsförderung ist: Wir müssen den bäuerlichen Betrieben wieder Mut machen, indem wir bürokratische Hemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen abbauen.
({0})
Deswegen haben wir das Bundes-Immissionsschutzgesetz verbessert. Gegen den Widerstand vieler Bundesländer haben wir die Genehmigungsgrenzen deutlich angehoben. Damit haben wir eine Angleichung an die europaweit geltenden Grenzen erreicht.
Damit haben wir Investitionen erleichtert, Investitionen entscheidend gefördert und ermöglicht. Das beste Beispiel dafür ist der Schweinesektor. Hier ist seit einiger Zeit eine Aufbruchstimmung spürbar, die noch vor wenigen Monaten viele nicht für möglich gehalten hätten. Der Rückgang der Schweinefleischproduktion in Deutschland ist gestoppt. Wir haben zum erstenmal wieder Marktanteile dazugewonnen.
Wenn wir diesen positiven Trend unterstützen wollen, dürfen wir nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Unsere Veredlungswirtschaft wird sich im Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt auf Dauer nur behaupten können, wenn wir uns in Deutschland zu einer leistungsfähigen Veredlungswirtschaft bekennen, Bremsklötze beseitigen und verhindern, daß immer neue rote und grüne Stolpersteine in den Weg gerollt werden.
({1})
Ich denke beispielsweise an die von Frau Höhn ins Gespräch gebrachte Gülleabgabe. Was für eine absurde Idee, wenn man an eine wettbewerbsfähige Veredlungswirtschaft denkt!
Alles, was wir für unsere Landwirtschaft erreicht haben, haben wir gegen den Widerstand der rotgrünen Verhinderungsallianz durchgesetzt
({2})
- da hilft kein Lachen -, die auch im Agrarbereich den Bundesrat als Instrument ihrer Blockadepolitik mißbraucht.
Das haben wir auch bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes wieder erlebt. Die Bundesregierung wollte mit ihrem Entwurf einen fairen Ausgleich zwischen Landwirtschaft und Naturschutz sicherstellen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal
betonen: Ein wesentliches Element dieses Gesetzes bleibt die Ausgleichsregelung für die Landwirtschaft. Ein Ausgleich für Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinausgehen, muß den Bauern entgolten werden.
({3})
- Das ist zu bezahlen. Die Länder können natürlich nicht mehr ausweisen, als sie finanzieren können. Dies gilt nicht nur beim Bundesnaturschutzgesetz, sondern auch beim Bodenschutzgesetz. Auch hier blockieren Sie erneut. Eine Politik mit Umweltauflagen ohne Ausgleich für die Landwirtschaft untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft und vergrault am Ende den bäuerlichen Nachwuchs. Jeder weiß: Nur eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft hat Zukunft. Deshalb wollen wir eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft, die marktorientiert produziert, die umweit- und tierschutzgerecht wirtschaftet und die dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet ist. Dies ist Maßstab unserer Agrarpolitik.
An dieser Richtschnur orientieren wir uns auch bei den Beratungen über die Agenda 2000. Wir sind für Reformen, auch in der europäischen Agrarpolitik. Aber wir sind nicht für diese Reform. Eine Reform, bei der Deutschland Milliarden DM mehr nach Europa zahlen müßte und gleichzeitig unsere Bauern pleite gehen würden, ist keine Reform, der wir zustimmen können.
({4})
- Vorschläge, Herr Kollege Sielaff, haben wir gemacht. Ich zähle sie gleich noch einmal auf.
Ich denke, es hat sich ausgezahlt, daß wir bei den vorangegangenen Ratssitzungen immer wieder auf die Schwachpunkte der Agenda hingewiesen haben; denn bei den Schlußfolgerungen, die der Rat in der vergangenen Woche verabschiedet hat, hat sich unsere Position voll und ganz durchgesetzt. Diese Beschlußfassung zeigt, daß wir in Europa alles andere als isoliert sind. Vielmehr nehmen wir mit einer breiten Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten Veränderungen vor. Wer behauptet, wir seien in Europa isoliert, der lebt offensichtlich auf einem anderen Stern.
({5})
Wir sind uns mit allen Mitgliedstaaten einig, daß wir das europäische Agrarmodell innerhalb und außerhalb Europas verteidigen wollen. Dies gilt auch für die WTO-Verhandlungen, die wir offensiv angehen müssen. Wir wollen auf allen Ebenen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Landwirtschaft ihre multifunktionalen Aufgaben in Deutschland und in Europa wahrnehmen kann und damit wir die Vitalität und Lebensfähigkeit der ländlichen Region sichern.
Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir die Gemeinsame Agrarpolitik auf der Basis der bewährten
Prinzipien der 1992er Reform weiterentwickeln. Dafür haben wir rechtzeitig Vorschläge gemacht, etwa im Milchbereich, im Rindfleischbereich und auch in anderen Bereichen. Nur, die Agenda 2000 ist keine Weiterentwicklung der 1992er Reform, sondern sie ist eine völlig neue Agrarpolitik. Einen solchen Weg gehen wir nicht mit.
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- Dann lesen Sie noch einmal genau nach. Ich erinnere mich an die Zwischenrufe aus Ihrer Fraktion bei der Einbringung des Haushalts, als gesagt wurde, mit unserem Nein zur Agenda 2000 würden wir verhindern, daß Mittel in der europäischen Agrarpolitik eingespart würden. Nur, damals hatten die Kollegen, die die Zwischenrufe gemacht haben, offensichtlich überhaupt keinen Blick in die Agenda 2000 geworfen. Man sollte erst lesen und dann Zwischenrufe machen.
Das heißt konkret: Die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik muß dauerhaft abgesichert werden. Dabei muß auch die Nettozahlerposition Deutschlands verbessert werden. Ein wesentlicher Bestandteil der Gemeinsamen Agrarpolitik ist und bleibt die gemeinsame Markt- und Preispolitik und der Außenschutz. Stützpreissenkungen dürfen nicht über das unbedingt notwendige Maß hinausgehen. Sie sind voll auszugleichen. Die Höhe und die Dauer der Ausgleichszahlungen müssen verbindlich festgelegt werden.
Umweltauflagen kann es nur gegen einen zusätzlichen Ausgleich geben. Wer die Ausgleichszahlungen der Europäischen Union an ökologische und soziale Kriterien binden will, der mutet damit den Bauern zusätzliche Einkommensverluste zu. Dies ist für uns nicht akzeptabel.
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- Aber natürlich ist das so. Wenn Sie zusätzliche Auflagen machen, gibt es diese nicht zum Nulltarif, sondern dies bedeutet zusätzliche Kosten. Wer etwas anderes sagt, streut sich und den Bauern Sand in die Augen.
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Deshalb werde ich ebenso wie meine Kollegen im Agrarrat sehr genau darauf achten, daß die Kommission ihren Verpflichtungen nachkommt. Wir werden in dieser Koalition gemeinsam mit allen Kollegen in der europäischen Agrarpolitik und in der nationalen Agrarpolitik die agrarpolitischen Rahmenbedingungen so gestalten, daß die bäuerliche Landwirtschaft das Zukunftsmodell der Landwirtschaft in Deutschland und in Europa bleibt.
Herzlichen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu drei Änderungsanträgen zum Einzelplan 10.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9202: Dieser Änderungsantrag wurde versehentlich beim Einzelplan 30 aufgerufen. Selbstverständlich stimmen wir über ihn jetzt im Zusammenhang mit dem Einzelplan 10 ab. Wer stimmt also für diesen Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9202? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9127? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9128? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition bei Enthaltung der SPD gegen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 10 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes, Drucksachen 13/8443 und 13/9074 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf Drucksache 13/9204? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Regierungskoalition bei
Enthaltung von SPD und PDS gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9203. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer umweltorientierten Neuausrichtung ¢es Pflanzenschutzgesetzes, Drucksache 13/9074 Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8505 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Regierungskoalition bei Enthaltung von SPD und PDS gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.