Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile mit, daß der Ältestenrat vereinbart hat, daß in der Haushaltswoche vom 24. November 1997 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e einschließlich weiterer hiermit im Zusammenhang stehender Vorlagen, die in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/8991 aufgeführt sind, sowie den Zusatzpunkt 9 auf:
17. a) - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten
- Drucksachen 13/7163, 13/8586 -({0})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern
- Drucksache 13/7559 -({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Sicherungsverwahrung ({2})
- Drucksache 13/2859 - ({3})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksachen 13/8989, 13/9062 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Altmaier
Franz Peter Basten Norbert Geis
Eckart von Klaeden
Dr. Jürgen Meyer ({5}) Erika Simm
Volker Beck ({6}) Jörg van Essen
b) Beratung und Beschlußempfehlung des Berichts des Rechtsausschusses ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gerald Häfner, Halo Saibold, Elisabeth Altmann ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßnahmen zur wirksameren Verfolgung der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Deutsche im Ausland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({9}), Rita Grießhaber, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt ({10}), Dr. Jürgen Meyer ({11}), Dorle Marx, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
30-Punkte-Programm: Gesamtkonzept zum Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern
- Drucksachen 13/5139, 13/7087, 13/7092, 13/7166, 13/8989, 13/9062
Abgeordnete Peter Altmaier
Franz Peter Basten Norbert Geis
Echart von Klaeden
Dr. Jürgen Meyer ({0})
Volker Beck ({1}) Jörg van Essen
c) - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({2})
- Drucksachen 13/7164, 13/8587 - ({3})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Strafgesetzbuches und zur Reform der Strafvorschriften gegen Kinderhandel
- Drucksache 13/6038 - ({4})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafechtsänderungsgesetzes - § 174 c StGB ({5})
- Drucksache 13/8267 ({6})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({7}), Annelie Buntenbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 174 c und 174 d StGB ({8})
- Drucksache 13/8548 - ({9})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches ({10})
- Drucksache 13/2203 - ({11})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Totengedenkstättenschutz - ({12})
- Drucksache 13/3468 - ({13})
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({14})
- Drucksachen 13/8991, 13/9064 Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Franz Peter Basten Volker Beck ({15}) Dr. Herta Däubler-Gmelin
Norbert Geis
Alfred Hartenbach Erika Simm
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({16})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur Frage gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Schutz vor sexuellem Mißbrauch in Abhängigkeits- und Therapieverhältnissen
- zu dem Antrag des Abgeordneten Volker Beck ({17}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entkriminalisierung des Ladendiebstahls, Schwarzfahrens und der Fahrerflucht bei Sachbeschädigung
- Drucksachen 12/8336, 13/725 Nr. 42, 13/ 2005, 13/8991, 13/9064 Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Franz Peter Basten Volker Beck ({18}) Dr. Herta Däubler-Gmelin
Norbert Geis
Alfred Hartenbach Erika Simm
ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({19}), Gerald Häfner, Kerstin Müller ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reform des Straf- und des Sanktionenrechts - Drucksache 13/8957 -
17. e) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({21})
- Drucksache 13/7165 -({22})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer ({23}), Dr. Eckart Pick, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum EinPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
Satz von Videogeräten bei Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung
- Drucksache 13/3128 ({24})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({25})
- Drucksache 13/4983 ({26})
Beschlußempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({27})
- Drucksachen 13/8990, 13/9063 - Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann
Dr. Jürgen Meyer ({28})
Dr. Eckart Pick
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU, und F.D.P., der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem hat die Fraktion der SPD zwei Änderungsanträge eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu kein Widerspruch; wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort nimmt der ) Kollege Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute über drei wichtige Gesetze: über das Gesetz gegen Sexualdelikte, über das Sechste Strafrechtsreformgesetz, ein Gesetz zur Strafrahmenharmonisierung, sowie über ein Gesetz zum Schutz von Zeugen, die Opfer sind, und in diesem Zusammenhang eine Teilregelung für den Opferanwalt. Mit diesen Gesetzen werden tiefgreifende Neuerungen im Strafrecht und im Strafprozeßrecht eingeführt. Das gilt insbesondere für das Sechste Strafrechtsreformgesetz, das eine umfangreiche Veränderung des besonderen Teils des Strafgesetzbuches vorsieht.
Damit setzen wir die Linie fort, die wir mit dem Gesetz gegen die organisierte Kriminalität aus dem Jahre 1992, dem Gesetz gegen die Geldwäsche aus dem Jahre 1993, dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahre 1994 und dem Antikorruptionsgesetz aus dem Sommer dieses Jahres begonnen haben. Die Linie setzt sich jetzt, wo die Widerstände gegen den Lauschangriff gefallen sind, weiter fort. Wir werden hoffentlich noch vor Weihnachten ein Gesetz einbringen, um dies im Grundgesetz, aber auch in einem darunterliegenden Gesetz abzusichern. Im Zusammenhang damit wollen wir ein Gesetz gegen den illegalen Geldtransfer und ein Gesetz zur Novellierung des Geldwäschegesetzes verabschieden.
Diese Gesetze zeigen zusammen mit den heute zu verabschiedenden Gesetzen, daß eine Umorientierung im Strafrecht stattgefunden hat. Wir gehen weg von dem Versuch, immer nur den Täter in den Mittelpunkt zu stellen, hin zu dem Versuch, mehr das Opfer zu sehen und vor allem die öffentliche Sicherheit, die Sicherheit unserer Bevölkerung und hier im Sexualstrafrecht insbesondere die Sicherheit unserer Kinder in den Vordergrund zu stellen.
({0})
Es geht in der Rechtspolitik ganz offensichtlich, und zwar übereinstimmend, wieder mehr darum, das Strafrecht und das Strafvollzugsrecht auch als ein Mittel der Verbrechensbekämpfung anzusehen. Das war es natürlich schon immer. Aber es ist in den Debatten der zurückliegenden Zeit vielleicht mehr in den Hintergrund getreten. Jetzt wollen wir es wieder in den Vordergrund rücken, ohne deswegen allerdings andere wichtige Elemente der Kriminalitätsbekämpfung für geringfügig zu erklären. Wir wollen nur beides wieder gleich gewichten.
Wir meinen nicht, daß wir die Kriminalität allein auf Arbeitslosigkeit und auf Perspektivlosigkeit zurückführen können. Das sind gewiß wichtige Gründe. Nach unserer Auffassung kann Kriminalität aber auch dadurch bekämpft werden, daß wir dem Täter sagen: Wir haben eine gut funktionierende Polizei; du mußt damit rechnen, daß du entdeckt wirst; wenn du entdeckt wirst, wirst du hart verurteilt; wenn du verurteilt wirst, dann wird die verhängte Strafe auch vollstreckt. Diese ganz simple Abschreckung mit Hilfe des Strafrechts haben wir in der Vergangenheit vielleicht etwas zu sehr vernachlässigt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen - im Grunde genommen besteht hierüber in allen großen Parteien Übereinstimmung; das beweist auch Schröder aus Niedersachsen -, daß wir diesem Teil der Verbrechensbekämpfung wieder eine größere Bedeutung beimessen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Beratung dieser Gesetzesvorlagen kam es uns zunächst insbesondere darauf an, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten schnell zu verabschieden. Die besondere Dringlichkeit dieses Gesetzes wurde uns durch die Ereignisse des vergangenen Jahres, durch die Konferenz von Stockholm, die Geschehnisse in Belgien, aber auch die Ereignisse, die wir hier in Deutschland erlebt haben, vor Augen geführt. Täglich müssen wir mit neuen derartigen Taten rechnen. Dies alles hat uns bewogen - das wollen wir frei bekennen -, darüber nachzudenken, ob die jetzigen Regelungen, die wir haben, ausreichen, um diesen Taten entgegentreten zu können. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß wir die Entscheidung aus dem Jahre 1972, als die Kinderschändung - § 176 des Strafgesetzbuches - vom Verbrechen zum Vergehen herabgestuft wurde, korrigieren müssen - wir sind übereinstimmend dieser Meinung -,
({1})
und zwar nicht vollständig, aber doch zumindest in den Fällen, bei denen eine besonders schwere Kinderschändung vorliegt. Im neuformulierten § 176 a markieren wir eine solche Tat als Verbrechen und verschärfen die Strafe in einem ganz entschiedenen
Maß von sechs Monaten bis zum Höchstmaß von zehn Jahren auf jetzt ein bis 15 Jahre. Das ist eine ganz klare und eindeutige Entscheidung.
Als wir von der Union dies vor einem Jahr vorgeschlagen haben, wurde uns Populismus vorgeworfen. Man hat uns gesagt: Ihr wollt nur augenblicklichen Strömungen folgen und den Leuten, die das draußen laut fordern, gerecht werden; es geht euch gar nicht um die Sache, sondern mehr um Anerkennung in der Öffentlichkeit.
Ich will überhaupt nicht verschweigen, daß wir uns natürlich auch von der aufgewühlten Volksmeinung haben beeindrucken lassen. Bei Unterschriftensammlungen wurde beispielsweise innerhalb von 14 Tagen eine Million Unterschriften zusammengebracht. Das zeigt, daß die Menschen Sorge haben. Es wäre völlig verfehlt, wenn wir als Parlamentarier uns dieser Sorge nicht annehmen wollten.
Aber nachdem uns zunächst einmal Widerspruch entgegengebracht wurde bei der Forderung, Taten nach § 176 zum Verbrechen hochzustufen, hat man dann doch die eigene Meinung geändert. Der Bundesrat, der in seiner ersten Stellungnahme noch gemeint hat, man könne diese Verbrechen nicht mit einer Verschärfung von Strafen bekämpfen, übertrifft uns jetzt sogar. Er fordert, wie Sie wissen, den gesamten § 176, also auch die Begehensformen, von denen wir sagen, daß wir sie nicht zum Verbrechen hochstufen können, nunmehr genau so einzustufen.
Wir haben uns dieser Auffassung aus einem ganz bestimmten Grund nicht angeschlossen. Es gibt nämlich die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c des Strafgesetzbuches. Diese bedeutet, daß nur dann, wenn eine Tat von einer gewissen Erheblichkeit festgestellt wird, überhaupt die Frage auftaucht, ob sie strafbar ist oder nicht. Diese Begrenzung hat ihren guten Sinn; denn dann werden nicht alle Annäherungsversuche, auch wenn Sie plump sind, gleich als Vergehen oder gar als Verbrechen eingestuft. Deswegen ist die Erheblichkeitsschwelle richtig.
Aber es gibt auch viele Taten, die knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegen. Dann ist der Tatbestand des § 176 gegeben; dann ist die Tat ein Vergehen. Aber weil diese Taten so knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegen, hat das Gericht im Einzelfall das Bedürfnis - wer einmal eine solche Strafverhandlung im einzelnen miterlebt hat, sieht das auch ein -, jetzt nicht mit der ganzen Fülle des Strafrechtes reagieren zu müssen, sondern vielleicht mit einem Strafbefehl reagieren zu können oder ein solches Verfahren gegen Auflagen vielleicht sogar einmal einzustellen. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn diese Taten von Anfang an als Verbrechen eingestuft werden. Aus diesem Grund ist es richtig, zwischen Vergehen und - bei schweren Taten - Verbrechen zu unterscheiden.
Dies hat auch noch folgenden wichtigen Hintergrund: Wenn wir das nicht so regeln, werden die Gerichte, die sich ja um den Einzelfall zu kümmern haben, sehr schnell dazu neigen, die Erheblichkeitsschwelle, von der ich vorhin gesprochen habe, noch höher anzusetzen und noch mehr Straftaten unter diese Schwelle fallen zu lassen. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen.
({2})
Ich halte diese Regelung deshalb für sehr sinnvoll; deswegen verteidige ich sie auch gegen die Auffassung des Bundesrates.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir berücksichtigen das Interesse der Bevölkerung an Sicherheit auch dann, wenn es um den Straftäter im Strafvollzug und um die Frage geht, ob er nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe auf Bewährung entlassen werden kann. Wir stellen hier klar: Dies kann nur möglich sein, wenn die öffentliche Sicherheit gewährleistet ist, das heißt, wenn davon auszugehen ist, daß sich der Täter normgerecht verhalten wird.
Wenn er die Strafe voll verbüßt hat, aber immer noch die Gefahr besteht, daß er neue Straftaten begeht, sieht das Strafgesetzbuch jetzt schon die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung vor. Dafür sind aber erhebliche Schwellen zu überwinden. Wir sind der Meinung gewesen, daß diese Schwellen bei Sexualstraftätern und Aggressionstätern gesenkt werden müssen. Wir müssen es leichter ermöglichen, solche Täter in die Sicherungsverwahrung zu nehmen. Ich weiß, daß die Sicherungsverwahrung ein schwerer Eingriff ist. Sie ist Wegnahme der Freiheit, ohne daß Verschulden vorliegt. Der Täter hat ja seine Strafe voll abgebüßt und ist eigentlich ein freier Mann. Deswegen ist die Sicherungsverwahrung in einem solchen Fall eine schwierige Sache. Das sehen wir so. Dennoch sehen wir auf der anderen Seite das große Bedürfnis nach Sicherheit für unsere Bevölkerung und unsere Kinder. Deshalb meinen wir, daß, so wie wir es vorgesehen haben, nach der zweiten Wiederholungstat die Möglichkeit bestehen muß, den Täter, wenn die Gutachter ihm nach wie vor Gefährlichkeit bescheinigen, in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Dazu stehen wir auch.
({3})
Die SPD wird den Antrag stellen, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, eine solche Entscheidung unter Vorbehalt zu treffen. Das Gericht kann sich also vorbehalten, die Sicherungsverwahrung zu einem späteren Zeitpunkt dann doch noch auszusprechen. Ich möchte diesen Antrag nicht einfach in Bausch und Bogen ablehnen, weil ich die dahinterstehende Motivation kenne, billige und anerkenne. Aber wir sollten da erst einmal Erfahrungen sammeln und Praktiker zu Wort kommen lassen. Der Antrag wurde erst in der letzten Woche gestellt. Er wurde zwar vorher schon diskutiert, kam aber erst in dieser Woche konkret auf den Tisch. Deshalb wollen wir dazu zunächst Praktiker anhören. Dann können wir darüber entscheiden.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ansprechen. Meine Zeit ist leider schon fast abgelaufen
- ich meine die Zeit hier.
({4})
- Erst als ich es ausgesprochen hatte, habe ich die Doppeldeutigkeit bemerkt, aber ich freue mich, daß Sie heute morgen schon zu solchen Scherzen bereit sind.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Sechsten Strafrechtsreformgesetz sagen. Das wurde ja lang und heiß diskutiert und ist im Grunde genommen von dem gesamten Gesetzgebungsvorhaben, das wir heute in dreifacher Weise zu verabschieden haben, eigentlich das schwerwiegendste. Es steht zwar auf Grund des Kampfes gegen die Sexualstraftäter jetzt nicht im Vordergrund, aber ist schwerwiegend, weil im Grunde genommen der ganze Bereich des besonderen Teils des Strafgesetzbuches in irgendeiner Weise verändert worden ist. Es ist ein großes Werk. Ich möchte dem Justizministerium für die Vorlage dieses Werkes ausdrücklich meine Hochachtung zollen.
Es gab darin verschiedene Punkte, bei denen wir uns auseinanderdividiert haben. Wir werden auch hier erleben, daß wir in verschiedenen Punkten nicht übereinstimmen, obwohl in vielen anderen Punkten eine große Übereinstimmung zwischen den Parteien festgestellt werden kann.
Einen wichtigen Punkt möchte ich noch erwähnen, weil er bei der Diskussion in der Öffentlichkeit eine gewisse Rolle gespielt hat: Das ist der schwere Raub. Für die Ahndung des schweren Raubes sehen wir jetzt gewissermaßen eine Dreiteilung vor: eine Strafe nicht unter fünf Jahren für den - gestatten Sie mir den Ausdruck - ganz schweren Raub, also für den Fall, daß der Täter die Waffe verwendet. Für den Fall, daß er die Waffe nur mit sich führt - es gibt noch andere Fälle, die unter diese Kategorie fallen -, sehen wir eine Eingangsstrafe von drei Jahren vor. Für den minderschweren Fall schließlich sehen wir eine Eingangsstrafe von einem Jahr vor.
Nach dem Vorschlag der Eingangsstrafe von nur drei Jahren hat man uns vorgeworfen, das könnte ein falsches Signal sein. Ich verstehe diese Befürchtung. Aber wenn man den ganzen Sachverhalt richtig bedenkt, kommt man zu dem Ergebnis, daß dies eine Verschärfung der jetzigen Praxis darstellt.
({6})
Denn was ist geschehen? Wir haben im Augenblick die Mindeststrafe von fünf Jahren bei schwerem Raub. Für den minderschweren Fall haben wir die Mindeststrafe von einem Jahr. Was haben die Gerichte im Einzelfall gemacht? Sie wollten das Strafmaß von fünf Jahren nicht aussprechen, weil sie meinten, das werde der Tat nicht gerecht. Sie sind in 70 bis 80 Prozent der Fälle einfach auf den minderschweren Fall ausgewichen und haben Strafen von einem Jahr bis zu drei Jahren ausgesprochen.
({7}) [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
Diese Rechtsprechung versuchen wir zu korrigieren, indem wir in solchen Fällen eine Mindeststrafe von drei Jahren vorsehen. Wir verbessern also im Grunde genommen die Praxis, die im Augenblick herrscht, im Sinne eines besseren Schutzes vor Verbrechen. Deswegen bejahen wir die gesamten Regelungen des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes.
Die Koalition hat mit diesem Gesetzentwurf erneut bewiesen, daß sie in der Rechtspolitik handlungsfähig ist.
Herr Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgang von Stetten?
Bitte sehr.
({0})
Herr Geis, stimmen Sie mir zu, daß wir den Richtern mindestens mit auf den Weg geben sollten,
({0})
den Strafrahmen auszukosten,
({1})
und daß wir den Psychologen sagen sollten, ihre Gutachten doch etwas sorgfältiger zu machen? Ich erinnere an den Fall des 17jährigen in Münster, der sechs Menschen auf dem Gewissen hat, zu dem der Gutachter sagte, er sei schuldunfähig. Ein Mann, der eine Geliebte hat und ein Haus anzündet, läuft frei herum. Ist es nicht so, daß gerade in den jetzt bekanntgewordenen Fällen sich die Psychologen schlichtweg geirrt haben und daß wir den Psychologen nicht zuviel Macht geben?
({2})
In der Praxis weiß jeder - verehrter Herr Kollege von Stetten, Sie kommen aus der Praxis; Sie waren lange Zeit Anwalt und dann Richter -,
({0})
daß, wie Sie sagen, den Sachverständigen - das gilt nicht nur für den Bereich der Psychologen, sondern auch für andere Bereiche - tatsächlich deswegen sehr viel Macht eingeräumt wird, weil die Richter
von sich sagen müssen: Wir haben nicht den Sachverstand. Durch die Bewertung der Entwicklung eines Straftäters mittels eines Gutachtens hat der Sachverständige, nach dessen Urteil sich das Gericht richten muß - es muß erhebliche Gründe haben, wenn es sich nicht danach richtet -, viel Macht. Wir müssen uns schon die Frage stellen, wie wir das in den Griff bekommen.
Das gilt insbesondere, Herr Kollege von Stetten, für die Frage, wie wir mit der Therapie von Sexualstraftätern umgehen. Dies ist ein ähnliches Problem. Wir sehen ja im Strafvollzug vor, daß der Sexualstraftäter therapiert werden soll, weil wir meinen, daß die Resozialisierung ein wichtiger Punkt ist. Wir wollen sie nicht hintenanstellen - in gar keinem Fall. Ich würde völlig falsch verstanden werden, wenn Sie das daraus schließen würden. Auch im Fall der Therapie geben wir dem Therapeuten die Möglichkeit zu einer Bewertung und fragen ihn, ob er der Auffassung ist, daß der Täter in die Freiheit entlassen werden kann. Praktisch geben wir ihm das Urteil in die Hand. Also hat der Therapeut, der Sachverständige insgesamt eine starke Stellung.
Ich bin mir nicht darüber im klaren, wie wir das einschränken können. Ich kann nur auf den Sachverstand der Richter hoffen, darauf, daß die Entscheidung bei den Richtern bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Schlußsatz: Ich glaube, daß die Koalition in dieser Frage einen weiteren Schritt hin zu mehr innerer Sicherheit getan hat. Es kommt jetzt darauf an, daß die Länder, daß die Polizeien, die Gerichte, die Strafvollzugsbehörden mitziehen. Wir haben - so meine ich - jedenfalls unseren Teil dazu beigetragen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Geis, Sie haben recht: Wir reden heute über sehr wichtige Fragen der Veränderung des Strafrechts, und Sie haben einige allgemeine Bemerkungen vorangestellt. Deswegen möchte ich gern mit einer kurzen Antwort auf diese beginnen.
Ich glaube, daß Sie in manchem recht haben, aber insgesamt das Problem der Kriminalitätsbekämpfung und der Stärkung der inneren Sicherheit zu eng angehen. Es ist richtig, wir alle - Bund, Länder und Gemeinden, auch die Öffentlichkeit - müssen klarstellen, daß wir Kriminalität wirksam bekämpfen. Es ist richtig, daß diese Kriminalitätsbekämpfung zur inneren Sicherheit und zum inneren Frieden gehört. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, daß ihr Gemeinwesen sie schützt - keine Frage.
Richtig ist ebenfalls, daß, wie gesagt, auch der Bund dazu sein Teil beitragen muß, neben Ländern und Gemeinden, aber auch neben der Öffentlichkeit, deren Verantwortung zum Beispiel für die Nachbarschaft und für die Gemeinschaft wieder stärker betont werden muß.
Aber es ist ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, daß der Bund seiner Verantwortung dadurch gerecht werden könnte, daß er die Strafrahmen erhöht.
({0})
Das mag - das ist völlig in Ordnung - in dem einen oder anderen Fall das richtige Signal geben, aber mehr, als daß Papier vollgeschrieben wird, ist es nicht. Deswegen kommt nicht nur hinzu, daß diese Gesetze ausgefüllt werden müssen - das wäre dann wieder die Sache von Ländern und auch von Gemeinden -, daß sie umgesetzt und akzeptiert werden müssen. Nein, der Bund hat auch die Aufgabe, mit einer veränderten Bundespolitik - einer anderen als derjenigen, die in den letzten Jahren einen Nährboden für Kriminalität und für Verwahrlosung geboten hat - tatsächlich zur Verbrechensbekämpfung beizutragen.
Dazu, verehrter Herr Geis, brauchen wir nicht nur ein anderes Strafrecht, wie Sie das sagen, sondern auch eine andere Gesellschaftspolitik, eine andere Familienpolitik und mehr Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({1})
Vor allen Dingen brauchen wir erheblich mehr und wirksamere Maßnahmen zur Integration der Menschen. Solange wir das nicht haben, kommen wir nicht voran.
Es wird sich gerade bei diesen Punkten zeigen, daß wir zudem eine andere, eine seriöse Steuerpolitik und eine seriöse Finanzpolitik brauchen, die den Ländern und den Gemeinden auch die Möglichkeiten gibt, das zu tun, was wir von ihnen verlangen,
({2})
nämlich Opferschutz und eine vernünftige Polizei, vernünftige Gerichtsverfahren und auch vernünftiges Community policing zu finanzieren. Wenn sie das nicht haben, bleiben die besten Gesetze nur vollgeschriebenes Papier, und das wollen wir nicht.
Lassen Sie mich jetzt zum ersten wichtigen Punkt kommen, dazu, wie wir unseren Kindern mehr Schutz und Hilfe vor sexuellem Mißbrauch und auch vor Rückfalltätern garantieren.
Sie wissen, diesbezüglich gibt es Gott sei Dank eine große Einigkeit in diesem Hause. Vor etwa einem Jahr haben die Politikerinnen und Politiker aller Fraktionen in diesem Haus gesagt: Wir müssen dringend überprüfen, was wir an Verbesserungen durchsetzen können, was wir mehr tun können, um den Schutz unserer Kinder zu erhöhen.
Anlaß waren jene zwei schrecklichen Verbrechen, das eine an der kleinen Natalie in Epfach und das andere an der kleinen Kim in Varel, das kurz danach
passierte. Ich darf hier - sicherlich für alle - sagen: Wir leiden mit den Eltern, und wir verstehen das Entsetzen der Öffentlichkeit, ja, wir teilen es.
Wir haben uns damals gesagt, wir schauen uns jede Etappe der Strafverfahren und des Strafvollzugs an, und das haben wir auch getan. Wenn Sie sich daran erinnern, meine Damen und Herren: Damals in der Anhörung des Rechtsausschusses, als wir die Sachverständigen befragt haben, fanden wir viel mehr Schwachstellen, als den Eltern in diesem Land oder auch den für die Justiz oder für die Verfahren Verantwortlichen recht sein kann. Das bezog sich nicht alleine auf Rückfalltäter, auf die die Öffentlichkeit mit Recht und mit Unruhe schaut, sondern auch auf etwa 35 000 Fälle von sexuellem Kindesmißbrauch, die es heute in der Bundesrepublik gibt. Diese Zahl ist in den letzten Jahren etwas gestiegen, wie uns die polizeiliche Kriminalstatistik sagt.
Hinter dieser Zahl verbergen sich furchtbare Schicksale. Wir wissen ganz genau, daß die Kinder nach sexuellem Mißbrauch häufig für das ganze Leben unter den schweren Folgen und der Traumatisierungen leiden, daß Mädchen viermal so häufig sexuell mißbraucht werden wie kleine Jungen, daß aber auch die Zahl des Mißbrauchs kleiner Jungen leicht ansteigt. Wir wissen, daß etwa drei Viertel der sexuell mißbrauchten Kinder nicht etwa von Fremden, sondern von Männern aus ihrem Verwandten- bzw. Bekanntenkreis mißbraucht werden. All diesen Kindern müssen wir mehr Schutz und vor allen Dingen auch mehr Hilfe zukommen lassen.
Wir haben versucht, entsprechende Schwachstellen in den Bundesgesetzen auszuräumen. Wir haben aber festgestellt, daß wir viel zuwenig wissen: sowohl über die Rückfalltäter - diese Daten mußten wir erst anfordern; sie liegen uns laut Bundesjustizminister noch nicht vor; ich hoffe, wir werden sie sehr bald bekommen - als auch über die speziellen Wirkungen von Behandlungsmöglichkeiten, die wir gerade im Hinblick auf den Opferschutz brauchen, weil wir die Absenkung der Rückfallquote erreichen wollen.
Das gilt für beide Gruppen von Sexualstraftätern, zum einen für solche - das ist die überwiegende Mehrheit -, die keineswegs krank und keine perversen Triebtäter sind, sondern Macht- und Aggressionstäter, die sich an Kinder heranmachen, weil sie annehmen, den Kindern werde nicht geglaubt, mit denen könne man es machen, die seien hilflos und widersprächen nicht. Welch üble Einstellung! Hier muß hart bestraft werden. Gleichzeitig muß die Rückfallgefahr durch Training und Therapien gesenkt werden. - Das gilt zum anderen für sexuelle Deviationen mit Krankheitswert, auf die die Öffentlichkeit schaut. Auch hierfür gibt es wirksame rückfallsenkende Behandlungsmöglichkeiten, auch wenn wir längst noch nicht genügend wissen. Fest steht jedoch, daß zum Beispiel qualifizierte Gutachter fehlen, daß es zu wenig Behandlungsmöglichkeiten gibt und daß es viel zu viele Gerichte gibt, die noch nicht genau wissen, wie sorgfältig man mit Sexualstraftaten umgehen muß.
Wir haben weiterhin feststellen müssen - das ist ein Punkt, der uns alle sehr bewegt hat und aus dem
wir Folgerungen gezogen haben -, daß es ein Skandal ist, wie seitens der Polizei und der Gerichte - ich meine jetzt nicht nur die Richter, sondern auch die Staatsanwaltschaften - häufig noch mit Kindern umgegangen wird, die Opfer von Sexualdelikten geworden sind.
({3})
Dies geschieht nicht etwa aus bösem Willen. Die Beteiligten geben sich sogar viel Mühe. Aber oft führt die gedankenlose, unwissende und herzlose Umgangsweise zu einer zweiten Traumatisierung bzw. Viktimisierung. Wodurch? Durch Mehrfachvernehmungen, lange Verfahren und die Tatsache, daß Kinder immer wieder das gleiche sagen müssen. Stellen Sie sich das bitte vor: Da muß ein kleines Mädchen oder ein kleiner Junge, das oder der sexuell mißbraucht wurde, im Gerichtssaal oder auch in einem anderen Raum dem Peiniger, mit dem es vielleicht verwandt oder bekannt ist, gegenübertreten und über intimste Dinge reden. Was bedeutet das für ein Kind und seinen Lebensweg? Das muß man sich einmal vorstellen!
Mit den Gesetzesänderungen haben wir an dieser Stelle vieles verbessert. Gerade wir Sozialdemokraten haben darauf bestanden - ich möchte das betonen -, daß das getan wird. Deshalb ist dieses Gesetz insgesamt ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung geworden: Wir bieten mehr Hilfe und Schutz für die Opfer. Die Kinder rücken mehr in den Mittelpunkt. Es ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wirklich gelungen, eine Verbesserung der Verfahren zu erreichen, also überflüssige Mehrfachvernehmungen und da, wo es schrecklich wird, die Konfrontation mit dem Täter zu unterbinden.
Sie wissen, wir wären bei der Hilfe und dem Beistand für die kindlichen Opferzeugen gerne einen Schritt weitergegangen. Wir hätten gerne auch durch Gesetz das aufgegriffen, was modellhaft zum Beispiel in Magdeburg - vielleicht auch schon an anderen Stellen - praktiziert wird. Wir hätten gerne festgelegt, daß dann, wenn eine solche sexuelle Mißbrauchstat angezeigt wird, das Kind, also das Opfer, sofort eine geschulte Person seines Vertrauens als Beistand zur Seite gestellt bekommt, die es dann in all den schwierigen Dingen gegenüber den Eltern, den Verwandten, den fremden Tätern, dem Jugendamt, dem Gericht, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei begleitet. Das ist leider nicht gelungen. Wir werden diesen Antrag jetzt nochmals stellen, und wir bitten Sie, dem zuzustimmen. Wenn Sie das nicht tun, werden wir in den nächsten Jahren immer wieder darauf zurückkommen.
({4})
Im übrigen erhöht das vorliegende Gesetz die Strafrahmen. Darüber hat Herr Kollege Geis lange gesprochen. Mehr als ein Signal wird dies nicht sein können, aber dieses Signal halten wir für nötig. Es muß in der Öffentlichkeit völlig klar sein, daß jemand, der Kinder sexuell mißbrauchen will - aus welchen Gründen auch immer -, mit keinerlei Verständnis zu rechnen hat, sondern auf den ganz klaren Widerstand unserer Gesellschaft stößt.
Das bezieht sich nicht nur auf diese schrecklichen Sexualmorde, sondern auch auf die 35 000 Fälle sexuellen Mißbrauchs im Jahr, über die man in der Öffentlichkeit längst nicht soviel hört, und auch auf die scheinbar anständigen Deutschen, die zu Zehntausenden ins Ausland fahren, um dort Kindersex zu begehen. Die sind kein Haar besser. Auch die werden jetzt vor deutsche Gerichte gestellt, und wir werden darauf drängen, daß es dabei bleibt.
({5})
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Richtig ist auch, daß die Länder ihren Teil beitragen müssen: bei der Fortbildung der Richter, bei der Organisation in der Polizei, bei Strafvollzug und Therapie. Aber es gibt auch eine Verantwortung der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien, und auch eine Verantwortung im Bereich der Erziehung der Kinder zu mündigen Menschen, die nein sagen können, die sagen: Nein, ich will das nicht; ich gehe nicht mit, und ich weiß, mir wird geglaubt; ich bekomme Hilfe, wenn eine solche Gefahr droht.
Hier müssen wir einen großen Schritt weiterkommen, weil wir wissen, daß gerade die Täter im Bereich des sexuellen Mißbrauchs besonders solche Kinder aussuchen, die wenig selbstbewußt sind, die nicht gelernt haben, nein zu sagen. Das sollte uns allen zu denken geben.
Insgesamt bin ich froh über die Gemeinsamkeit zwischen den Fraktionen bei diesem Gesetz. Aber das kann ich leider in bezug auf das sogenannte Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts nicht sagen. Die Harmonisierung der Strafrahmen ist zwar ein Thema, das wir seit langen Jahren nicht nur auf unserer Wunschliste, sondern auch auf der Liste unserer parlamentarischen Initiativen haben. Das wissen Sie. Hier sitzt eine ganze Reihe von Kollegen, die dieses Thema mit Intensität vorangetrieben haben. Dazu gehören Hermann Bachmaier und Jürgen Meyer, eigentlich die ganze Arbeitsgruppe Recht der SPD. Das wissen Sie auch. Warum ist das so?
Die Notwendigkeit, das Strafgesetzbuch zu modernisieren, die Strafrahmen nicht nur besser an den Güterschutz des Grundgesetzes anzupassen, das den Schutz des Lebens viel höher stellt als den Schutz des Eigentums, haben wir immer gesehen. Wir wollten auch die Strafrahmen besser aufeinander abstimmen. Dazu gab es eine Menge Initiativen von unserer Seite, aber das, was Sie jetzt vorlegen, entspricht dem, was wir als Ergebnis dringend brauchen, leider nicht.
Wir hatten Ihnen schon 1993 vorgeschlagen, eine Kommission einzusetzen, die in großer Ruhe alles durchberaten sollte. Sie meinten, alles schnell mit Bordmitteln machen zu können, und haben uns jetzt kurzfristig ein Gesetz vorgelegt, das im Grunde genommen außer redaktionellen Änderungen und Anhebungen der Strafrahmen nur Problemfälle mit sich bringt.
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In der Anhörung des Rechtsausschusses sind Sie von der Fachwelt zerrissen worden. Sie haben noch nicht einmal ihren Rat aufgenommen, auch das Nebenstrafrecht einzubeziehen. Sie sehen über 200 Veränderungen des Strafgesetzbuches vor, die Sie dann auch noch meinten, im Eilverfahren durch dieses Haus durchziehen zu sollen. Sie wissen: Keiner - nicht einmal der oder die Gutwilligste, die mitberaten haben könnte sagen, das sei ein angemessenes oder seriöses Beratungsverfahren gewesen. Das muß man hier feststellen.
Die Folgen werden sein: Sie schaffen viele Zweifelsfälle. Die Gerichte werden über Sie herfallen, die Fachwelt wird über Sie herfallen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß der Bundesrat dieses Ergebnis so durchgehen läßt, und zwar aus fachlichen Gründen.
Ich will Ihnen nur fünf Punkte nennen: Sie haben jetzt für Kindesentziehung ins Ausland die gleiche Strafandrohung wie für Diebstahl gewählt. Das ist natürlich schwachsinnig. Sie haben es tatsächlich geschafft, die Beschneidung von Frauen - ein Skandal, dessen Bekämpfung Sie doch in jedem einzelnen Fall mit uns vornehmen wollen - nicht einmal unter die schwere Körperverletzung zu subsumieren.
Sie haben die Einzelfälle und die Grenzfälle von Betrug und Versicherungsbetrug nicht sauber gegeneinander abgrenzen können. Sie schaffen bei dem von uns allen gewünschten Schutz von Totengedenkstätten eine große Zahl von vermeidbaren Gerichtsverfahren, die den Zweck des Schutzes von Totengedenkstätten, insbesondere solcher, die in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und anderen Unterdrückungsregimen gestorben sind, aushöhlen werden. Das ist schade. Auch diese Schlamperei wäre nicht nötig gewesen.
Um einen letzten Punkt anzubringen, der den unausgereiften und bisher nicht abgeschlossenen Beratungsprozeß verdeutlicht: Sie schaffen es sogar, Tausende von Vorsitzenden von Fußballvereinen und anderen Vereinen, mit einem Fuß ins Gefängnis zu stellen, wenn sie künftig wieder eine Tombola veranstalten wollen. Das kann doch nicht Zweck einer Strafrahmenharmonisierung sein, geschweige denn einer Veränderung des Strafgesetzbuches.
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Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen immer gesagt, daß Sie das alles sorgfältiger beraten sollten. Es ist nicht erforderlich, hier alles im Schweinsgalopp durchzuziehen. Es kommt auf vernünftige und tragfähige Ergebnisse an; die Rechtsprechung sollte nicht verunsichert werden. Wenn Sie klug sind, werden wir heute über dieses Gesetz nicht abstimmen.
Wenn Sie aber meinen, Ihren Mehrheitswillen hier durchdrücken zu müssen, dann werden wir uns der Stimme enthalten. Für diesen Fall allerdings garantieren wir Ihnen, daß diese Flickschusterei uns in den nächsten Jahren heftig beschäftigen wird.
Ganz herzlichen Dank.
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Als nächster spricht der Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist notwendig, in der heutigen Debatte zwischen den beiden Themenkomplexen zu differenzieren: Zum einen geht es um die Verbesserung des Schutzes vor gefährlichen Sexualstraftätern, zum anderen um die Frage, wie wir die Schieflage der Strafrahmen im Strafgesetzbuch von 1871, gemessen an den heutigen Wertvorstellungen, beseitigen.
Die Debatte über den Umgang mit Sexualstraftätern verdient es, vorgezogen zu werden. Der Schutz der Kinder liegt uns allen hier im Hause am Herzen. Er verlangt von uns aber auch einen kühlen Kopf. Wir brauchen Rationalität, Zielgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schutzmaßnahmen.
Wir begrüßen grundsätzlich die Heraufstufung schwerster Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern zum Verbrechen - dies geht ja auf einen Vorschlag von uns zurück - und die Betonung der Therapie von Sexualstraftätern. Therapien sind sicherlich keine Wunderwaffe; jedoch führen sie in vielen Fällen zum Erfolg. Es reicht aber nicht aus, eine Therapieverpflichtung in das Strafvollzugsgesetz zu schreiben. Es müssen auch die Voraussetzungen für die Durchführung von Therapien geschaffen werden. Diese aber fehlen. Sie haben es versäumt, die Länder hier in die Pflicht zu nehmen, und ihnen einen Zeitrahmen von fünf Jahren eröffnet, um die erforderlichen Therapieplätze einzurichten. Ich warte nur auf die Verlängerung dieser Frist im Gesetz. Damit streuen Sie der Öffentlichkeit Sand in die Augen.
Trotz Therapie brauchen wir bei einer Restgruppe der Gewalt- und Sexualstraftäter auch das Instrument der Sicherungsverwahrung. Aber für die von Ihnen hier vorgeschlagene Verschärfung fehlen leider jegliche empirische Grundlagen. Das ist nicht rational, das ist nicht zielgenau.
Auch anderen Maßnahmen Ihres Gesetzes mangelt es an dieser Zielgenauigkeit. Statt sich auf schwere Sexualstraf- und Gewalttaten zu konzentrieren, überlasten Sie die Instrumente durch einen undifferenzierten Einsatz. Der Glaube an die Fähigkeit von Gutachtern, das zukünftige Verhalten anderer Menschen sicher voraussagen zu können, ist bei Ihnen deutlich überhöht. Auch der beste Gutachter ist kein Hellseher. Gut ausgebildete Gutachter stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Wir müssen ihren Einsatz daher auf schwerste Sexual- und Gewaltverbrechen konzentrieren. Die von Ihnen vorgeschlagene Ausdehnung des Gutachterwesens muß auf Kosten der Prognosequalität gehen.
Bei alledem rückt leicht in den Hintergrund, daß es sich beim sexuellen Mißbrauch und sexualisierten Gewaltdelikten in 80 bis 90 Prozent der Fälle um Täter aus dem engen sozialen Umfeld handelt.
Für die populistische Linie der Koalition ist es bezeichnend, daß sie den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt vorrangig durch Strafverschärfungen erreichen wollte. Erst auf Drängen der Opposition waren Sie bereit, heute den Opferschutz aufzunehmen. Leider ist er halbherzig geraten.
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Wir fordern den Opferanwalt für Opfer von Sexualdelikten. Wir wollen, daß traumatisierende Mehrfachvernehmungen von Kindern, die Opfer einer schweren Straftat wurden, deutlich reduziert werden. Nach unseren Vorstellungen sollen Kinder deshalb im Regelfall nur einmal, und zwar bereits im Ermittlungsverfahren, von einem Richter vernommen werden.
Die von der Koalition vorgeschlagene Regelung wird dem Schutz der Kinder nicht gerecht. Darin werden alle Zeugengruppen in einen Topf geworfen: Ob Aussteiger aus der organisierten Kriminalität, ob V- Mann, Betrugsopfer oder sexuell mißbrauchtes Kind - für jeden soll das gleiche gelten. Sie haben den verfassungsrechtlich bestehenden Spielraum, der beim Kinderschutz vorhanden ist, gesetzlich nicht ausgeschöpft. Wir wollen den maximal möglichen Schutz von kindlichen Opferzeugen.
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Unter der Flagge „Zeugenschutz" segelt die Vernehmung verdeckter Ermittler via Standleitung gleich mit. Da muß man sich doch fragen, unter welchen Umständen eine solche Vernehmung überhaupt Sinn macht. Der V-Mann, der seine Identität nicht im Gerichtssaal preisgeben will, wird sein Gesicht genausowenig vor eine Videokamera halten wollen. So werden diese Leute für die Übertragung mit falschen Bärten ausgestattet und ihre Stimmen verzerrt. Das ist fürwahr abenteuerlich in einem rechtsstaatlichen Verfahren.
Nun zum angeblichen Jahrhundertwerk der Strafrechtsreform, die im Schatten der Debatte über die Sexualstraftäter segelte. Die von der Regierungskoalition vorgenommene Erhöhung des Strafrahmens hat etwas demonstrativ Übermäßiges. Was hier als Strafrahmenharmonisierung verkauft werden soll, ist in Wahrheit ein phantasieloses Strafverschärfungsprojekt. Bei Straftaten gegen die körperliche und sexuelle Integrität wird schlicht das Strafmaß auf das bestehende hohe Niveau bei Eigentumsdelikten erhöht. Damit erreicht die Reform noch nicht einmal ihr Ziel, die Wertigkeit der verschiedenen RechtsgüVolker Beck ({2})
ter zum Ausdruck zu bringen. Der Schutz des Eigentums wird mit dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gleichgesetzt, obwohl diese Rechtsgüter gegenüber dem Eigentum höherwertig sind.
Die Einigung der Koalitionsfraktionen trägt deutlich die Handschrift der CSU. Herr Geis, Sie können sich auf die Schulter klopfen.
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Dem Justizminister ist es noch nicht einmal gelungen, die ursprünglich als Kernstück der Reform gedachte Herabsetzung der Mindeststrafe beim schweren Raub auf zwei Jahre durchzusetzen.
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Statt dessen soll nach dem ausdrücklichen Willen der Entwurfsverfasser derjenige, der beim Raub eine Spielzeugpistole mit sich führt, für mindestens drei Jahre hinter Gitter. Eine Strafaussetzung zur Bewährung ist selbst bei einem geständigen Ersttäter nicht möglich.
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- Sie sagen, es sei ganz gut so. Ich halte es für eine Katastrophe.
Das 6. Strafrechtsreformgesetz enthält darüber hinaus zahlreiche problematische Einzelregelungen wie die Einführung der versuchten Körperverletzung - ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Strafrechtspflege in den Ländern; das wird uns ein weiteres Rechtspflegeentlastungsgesetz bescheren - oder den Unfug der „kleinen Wehrmachtssoldatenehre" beim Gedenkstättenschutz, den Frau Däubler-Gmelin bereits angesprochen hat.
Bei buchstabengetreuer Anwendung dieses Gesetzes werden die ohnehin hoffnungslos überfüllten Strafvollzugsanstalten in einem bisher noch nicht gekannten Ausmaß belastet werden. Wie die Länder unter diesen Umständen die notwendigen Anstrengungen zum Ausbau von Therapieplätzen für Sexualstraftäter unternehmen sollen, bleibt fürwahr das Geheimnis der Bundesregierung.
Dieser Gesetzentwurf ist nicht entscheidungsreif. Wir fordern eine Strafrechtsreform, die den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit sowie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gegenüber dem Recht auf Eigentum betont und das Sanktionenrecht endlich modernisiert. Die Harmonisierung muß aber für eine Herabsetzung der Mindest- und Höchststrafen genutzt werden.
Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage, ein ausgereiftes Konzept für eine Strafrechtsreform vorzulegen. Diese Aufgabe sollte von einer unabhängigen Expertenkommission wahrgenommen werden. Sie glauben, mehr Strafrecht wird es schon richten - je schärfer, desto sicherer! Der Opferschutz, die Verhältnismäßigkeit, die Effizienz der Strafrechtspflege, die Liberalität unseres Rechtsstaats bleiben dabei auf
der Strecke. Es ist schon zum Verzweifeln: Nichts bekommt diese Koalition hin.
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Rentenreform, Steuerreform - alles gescheitert. Diese Strafrechtsreform haben Sie dagegen, ohne lange nachzudenken, im Schweinsgalopp durchs Parlament gepeitscht. Bei einem rechtsstaatlichen Elchtest wäre diese Reform sofort aus der Spur gesprungen.
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Als nächster spricht in der Debatte der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den heutigen Gesetzgebungsvorhaben gehen zwei wichtige Signale aus: Der sexuelle Mißbrauch von Kindern wird härter und besser geahndet, und die steigende Gewalt in diesem Land wird vom Gesetzgeber nicht toleriert. Daß wir trotzdem auf die Mithilfe der Medien angewiesen sind, hat sich in dieser Woche nach meiner Auffassung in besonderer Weise gezeigt. Wir sprechen über den Mißbrauch von Kindern, und, passend zu dieser Debatte, erscheint in dieser Woche ein großes deutsches Magazin mit einem Titelbild, das eine Lolita, ein junges Mädchen als sexuelles Anreizobjekt, zeigt. Ich glaube, daß das mehr als alles andere deutlich macht, daß es nicht ausreicht, wenn wir als Gesetzgeber handeln, sondern daß wir dazu auch ein Verantwortungsbewußtsein bei den Medien brauchen.
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Bevor ich auf die aus meiner Sicht besonders wichtigen Aspekte eingehe, will ich ausdrücklich den vielen Menschen danken, die sich in den vergangenen Monaten mit großem Engagement für eine Verbesserung des Schutzes von Kindern eingesetzt haben. Sie können heute mit Zufriedenheit feststellen, daß sich ihr Einsatz gelohnt hat.
Wer die öffentlichen Diskussionen nach Mordtaten an Kindern Revue passieren läßt, wird immer wieder feststellen, daß an der Spitze der Forderungen sowohl von Fachleuten wie von politisch Verantwortlichen die nach einer Verbesserung der Therapiemöglichkeiten steht. Das ist richtig so. Eine Therapie kann dazu führen, daß der Täter mit seinem krankhaften Hang besser umgehen kann. Um so erstaunter war ich, welch harter Widerstand gegen eine schnelle Verbesserung der Situation von Länderseite in den Beratungen ausgeübt worden ist. Natürlich haben auch die Länder Haushaltsprobleme. Aber der Föderalismus ist kein Schönwetterprinzip. Wer zu Recht darauf pocht, daß Justiz Ländersache ist, muß sich der Verantwortung stellen. Ich danke deshalb alJörg van Essen
len Mitberichterstattern, daß wir standhaft geblieben sind und den Ländern nur eine kurze Übergangsfrist gewährt haben. Was bei gutem Willen möglich ist, machen Hamburg und Berlin mit einer großen Zahl von Therapieplätzen vor. Die großen Flächenländer müssen schnell folgen.
Ich stehe auch dazu, daß das Gericht eine Therapie ohne Einwilligung des Täters anordnen kann. Erfahrene Psychotherapeuten sind sehr wohl in der Lage, jemanden für die notwendige Heilbehandlung zu öffnen. Aber niemand bleibt in der Behandlung, wenn sich herausstellt, daß er therapieunfähig ist.
Mir scheint es besonders wichtig, daß der Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit bei den Entscheidungen über eine Strafaussetzung zur Bewährung künftig eine größere Rolle spielt. Das zeigt sich etwa in der Notwendigkeit, bei besonders gefährlichen Tätern ein Gutachten vor der Entscheidung einzuholen. Ich übersehe nicht, daß es nicht immer leicht sein wird, einen geeigneten Gutachter zu finden. Aber niemand darf es sich hier leichtmachen.
Ein Kernpunkt unseres Vorschlages ist die Neuordnung des Rechtes der Sicherungsverwahrung. Sie kann künftig schneller, bereits nach dem ersten Rückfall, verhängt werden. Wir haben aus den Anhörungen die wichtige Anregung aufgegriffen, daß nicht nur Sexual-, sondern auch Körperverletzungsdelikte ein Indiz für eine besondere Rückfallgefährdung eines Täters sein können. Eine weitere Anregung aus diesen Anhörungen war, die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung - zehn Jahre - aufzuheben. Die Notwendigkeit der regelmäßigen Überprüfung durch ein Gericht sorgt dafür, daß niemand unzulässig in seinen Grundrechten beeinträchtigt wird.
Wir haben auf Vorschlag der Kollegen aus der SPD die Strafbarkeit von sexuellem Kindesmißbrauch auf alle Deutschen ausgedehnt, unabhängig davon, wo sie ihre Lebensgrundlage haben. Damit wird eine aufgetretene Strafbarkeitslücke geschlossen.
Ich erwähne dies auch deshalb, weil es deutlich macht, daß wir auf vernünftige Anregungen der Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsparteien gerne eingegangen sind
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und alle - bevor Sie sich aufregen - in eine Richtung gedacht haben.
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Ich denke, das ist ein wichtiges Signal, weil viele Bürger das Gefühl haben, daß im Bundestag nur gestritten wird. Wir haben in die gleiche Richtung gedacht. Ich bin dankbar dafür, daß das so gewesen ist.
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Die Strafvorschrift betreffend den sexuellen Mißbrauch von Kindern haben wir neu gefaßt und in vielen Bereichen verschärft. Die Kollegen sind bereits darauf eingegangen und haben das im einzelnen vorgestellt, so daß ich das nicht mehr machen muß.
Wer einmal - wie ich - als Staatsanwalt in die Augen von sexuell mißbrauchten Kindern sehen mußte, weiß, welche Verantwortung wir haben. Aber auch in dieser Debatte muß es möglich sein, darauf hinzuweisen, daß das Leben nicht nur aus schwarz und weiß, aus Gut und Böse besteht. Auch hier gab und gibt es immer wieder minderschwere Fälle, und wir haben die Bestimmungen, darauf angemessen reagieren zu können, im Gesetz belassen.
Wer die spektakulären Freisprüche in Mainz gesehen hat, spürt im übrigen, welche Verantwortung wir auch gegenüber den Mitmenschen haben, die fälschlicherweise des Mißbrauchs von Kindern beschuldigt worden sind. Auch das muß in dieser Debatte erwähnt werden.
Eine wichtige Ergänzung sind die mit großer Mehrheit erarbeiteten Vorschriften zur Verbesserung des Zeugenschutzes. Der bereits erwähnte Prozeß in Mainz mit seinen Videovernehmungen der kindlichen Zeugen hat deutlich gemacht, wie hilfreich diese Einrichtung sein kann und daß sie zur Schonung der kindlichen Zeugen beiträgt. Gerichtssäle sind oft architektonisch bewußt drohend gestaltet und verstärken damit den ohnehin bei einer Zeugenaussage auf dem Kind lastenden Druck.
Wir lehnen uns, Herr Beck, an das bewährte Vorbild in Großbritannien - dort wird das seit vielen Jahren in dieser Weise gemacht - an, wo alle Prozeßbeteiligten in einem Raum bleiben und von dort das Kind vernommen wird.
Wir halten es für richtig, daß nicht nur Kindern, sondern auch anderen gefährdeten Personen dieser Schutz einer Videovernehmung gewährt werden kann, falls er notwendig ist. Hier ist insbesondere an Vergewaltigungsopfer oder Zeugen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zu denken. Wir öffnen diese Vernehmungsmethode auch für Vernehmungen etwa im Ausland, was die Beweismöglichkeiten und damit die Wahrheitsfindung erheblich verbessern kann.
Auch der zum Schutz des Zeugen beizuordnende Beistand ist ein wichtiger und begrüßenswerter Schritt für eine bessere Wahrung der Rechte von Zeugen im Strafverfahren.
Das Sechste Strafrechtsreformgesetz, das wir sorgfältig beraten und in vielen Fällen ja auch mit Zustimmung der SPD - deshalb hat mich Ihr Urteil, Frau Däubler-Gmelin, besonders gewundert - verabschiedet haben, ist einer der großen strafrechtlichen Reformschritte. Wir begrüßen mit Nachdruck, daß der strafrechtliche Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern wie dem des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit gegenüber dem Schutz von materiellen Rechtsgütern wie dem Eigentum in Zukunft ein größeres Gewicht hat.
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Fälle wie der bekanntgewordene - ich glaube, es war in Niedersachsen -, daß eine Studentin vergewaltigt wurde und dafür eine Einsatzstrafe von vier Jahren verhängt wurde und für den gleichzeitig erJörg van Essen
folgten Raub ihres Zeltes eine Einsatzstrafe von fünf Jahren, darf sich einfach nicht wiederholen.
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Ich habe platte Vorwürfe gehört und gelesen, auch in dieser Debatte, daß es eine Strafverschärfungsorgie gegeben habe. Wer den Gesetzentwurf ohne Schaum vor dem Mund studiert, wird sehr schnell das Gegenteil feststellen, nämlich daß es in allen Fällen eine vernünftige Abwägung gegeben hat. Es wird in Zukunft demjenigen leichter gemacht, sich zu seiner Verantwortung zu bekennen, der sich nach einem kleineren Parkschaden in der ersten Unüberlegtheit vom Unfallort entfernt hat.
Wie groß der Reformbedarf war, zeigt sich darin, daß das Strafgesetzbuch für Eigentums- und Vermögensdelikte - selbst für Urkundendelikte - höhere Strafen vorgesehen hat als für Körperverletzungsdelikte. Gerade die stark angestiegenen Zahlen von Gewaltdelikten gegen Menschen fordern eine deutliche Antwort des Gesetzgebers. Sie zeigt sich unter anderem darin, daß die Freiheitsstrafdrohung bei der einfachen Körperverletzung von drei auf fünf Jahre angehoben wird.
Ich halte es im übrigen auch für richtig, daß die versuchte Körperverletzung - übrigens ebenso wie der versuchte Diebstahl - in Zukunft strafbar ist.
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Wer dazu ansetzt, einen anderen Menschen körperlich zu verletzen, begeht eben kein Kavaliersdelikt.
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Der Bereich des Raubes hat zu besonderen politischen Diskussionen geführt. Ich verkenne nicht, daß wir eine Dreiteilung der Raubstraftaten als besonders sachgerecht angesehen haben. Wir haben uns in der Koalition auf den Vorschlag des Bundesrates geeinigt. Der Kollege Geis hat darauf hingewiesen, daß in dieser Frage dringender Handlungsbedarf bestanden hat. Die Gerichte sind immer mehr auf den minderschweren Fall ausgewichen.
Es macht zwar für das Opfer keinen Unterschied, welche Gefährlichkeit die ihm entgegengehaltene Pistole hat. Für die Beurteilung der Schuld des Täters ist es jedoch von erheblicher Bedeutung, ob die verwendete Pistole etwa aus Schokoladenmasse geformt war oder ob sie eine scharfe mit 9-Millimeter-Patronen war. Das Signal ist aber auch hier klar und eindeutig: Da, wo bei der Begehung von Raub eine besondere Gefährlichkeit herrscht, wird mit hohen Mindeststrafen dafür gesorgt, daß den Tätern deutlich gemacht wird, daß die Rechtsordnung ihr Verhalten nicht hinzunehmen bereit ist.
Ich freue mich auch über die Reform der Brandstiftungsdelikte. Mit ihr sorgen wir dafür, daß aufgetretene Fragen in Zukunft besser beantwortet werden können.
Ich danke allen, die sich an der Diskussion beteiligt haben. Ich glaube, wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Jetzt liegt es an den Gerichten, dafür zu
sorgen, daß in Zukunft der Schutz der Kinder, der Schutz aller Bürger besser gewährleistet ist.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Reform des Strafrechts und auch der Strafpraxis in der Bundesrepublik ist seit langem überfällig. Die von der Bundesregierung und der Regierungskoalition vorgelegten Gesetzentwürfe machen jedoch deutlich, daß von konservativer Seite die moderne rechtspolitische und rechtswissenschaftliche Debatte völlig ignoriert worden ist.
Das trifft auch auf die Strafrahmenharmonisierung zu. Statt die im internationalen Vergleich ohnehin schon hohen Strafen für Eigentumsdelikte abzusenken, wurde das Strafmaß für Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit fast ausnahmslos nach oben korrigiert. Auf die seit längerem laufende Diskussion über eine Reform des Sanktionensystems, über die Abschaffung der Sicherungsverwahrung und der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie über humane Alternativen, wurde nicht eingegangen. Mit hektischer Betriebsamkeit hat die Bundesregierung auf die jüngsten Sexualverbrechen mit einer Reform des Strafrechts reagiert.
Ich finde das durchaus verständlich, aber es geht am eigentlichen Problem vorbei. Die Zahl der Sexualverbrechen mit Todesfolge ist keineswegs gestiegen. Einen akuten strafrechtlichen Handlungsbedarf gibt es also nicht. Es ist schon außerordentlich bemerkenswert, daß die Tatsache, daß Jahr für Jahr fast 50 000 Kinder im Straßenverkehr verunglücken und ungefähr 350 von ihnen getötet werden, vergleichsweise gleichmütig hingenommen wird. Nicht einmal eine so simple und selbstverständliche Konseqenz wie ein absolutes Alkoholverbot am Steuer ist - wir werden das ja nachher sehen - in diesem Hause mehrheitsfähig.
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Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das Strafrecht nur die Täter erreicht, die verurteilt werden. Das aber ist nur eine sehr kleine Minderheit der Täter. Die Dunkelziffer ist gerade bei dieser Deliktart außerordentlich hoch. Ein besserer Schutz der Bevölkerung vor sexualisierter Gewalt ist mit einer bloßen Strafverschärfung nicht erreichbar. Das anzunehmen offenbart einen grundsätzlichen Denkfehler, mit dem sich die konservative Seite zum Anwalt populistischer Forderungen macht.
Nein, meine Damen und Herren, ein wirklicher Schutz ist nur über Prävention möglich. Das bedeutet aber auch, daß man sich endlich den Ursachen zuwenden muß. Die grundlegende Voraussetzung für Gewalt ist die Hierarchie zwischen Täter und Opfer. Immer noch ist es üblich, Kinder eher als Besitz der Eltern wahrzunehmen denn als Persönlichkeiten mit einem eigenen Recht auf Schutz und Integrität. Das
Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, verbunden mit einer immer noch weit verbreiteten Geringschätzung und Verachtung gegenüber Frauen, führt zu einer besonderen Häufung von sexualisierter Gewalt im sozialen Nahbereich. Solange die Gleichstellung der Geschlechter nicht realisiert ist, wird es dabei bleiben, daß die Opfer in der Regel Mädchen sind, die Täter in der Regel Männer.
Auch am Ausmaß der Gewalt wird sich solange nichts Wesentliches ändern. Gegenwärtig ist zirka jede vierte Frau Opfer sexualisierter Gewalt. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist alltägliche Realität. Wer wirklich Prävention will, muß etwas gegen die Machtstrukturen zwischen Männern und Frauen tun, gegen die Hierarchie, die Abhängigkeiten und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Das ist vor allem eine sozioökonomische Frage.
Auch das Selbstverständnis und das Rollenbild von Männern gehören zu den Ursachen. Männliche Sozialisation geht in der Regel mit dem Erlernen der Abwehr von Gefühlen einher. Gewaltausübung ist eine Form der Angstabwehr. Die Selbstunsicherheit, die Frustration, die Infragestellung in bestimmten Situationen werden auf sexualisierte Weise mit Gefühlen von Überlegenheit und Macht kompensiert. Das heißt, Jungen müssen lernen, Ängste und auch Schwächen zuzulassen, Empathie zu empfinden. Die Sozialisation von Jungen muß dringend humanisiert werden. Hier muß noch vieles getan werden, und zwar möglichst schnell.
Die Bundesregierung setzt jedoch einseitig auf das Strafrecht und im wesentlichen auf drei Instrumente.
Das ist erstens die Anhebung der Höchststrafe. Eine höhere Strafe hat gerade bei Sexualstraftätern keine abschreckende Wirkung. Langjährige Haftstrafen erhöhen im Gegenteil gerade wegen der spezifischen Situation in Strafvollzugsanstalten die Rückfallgefahr der Sexualstraftäter erheblich. Auf diese Weise, meine Damen und Herren, wird kein einziger Fall sexualisierter Gewalt verhindert. Hier gaukelt die Bundesregierung eine Sicherheit vor, die so nicht erreichbar ist.
Ein zweiter Punkt ist die Heilbehandlung. Das heißt, behandlungsbedürftige und behandelbare Straftäter müssen sich bereits während der Haft einer Therapie unterziehen. Nach neueren Erfahrungen erscheint das vernünftig. Expertinnen und Experten beklagen aber schon seit langem, daß die forensische Psychotherapie bzw. Psychiatrie hierzulande sowohl quantitativ als auch qualitativ unterentwickelt ist und den jetzt im Gesetzentwurf formulierten Anforderungen nicht wird genügen können. Forschung, Lehre und auch Ausbildung müssen deutlich verstärkt werden.
Im übrigen offenbaren die hier verwendeten Begriffe „Heilbehandlung" und „Therapie", wie ich meine, ein sehr grundlegendes Mißverständnis. Sie bergen die Gefahr der Psychiatrisierung von Sexualstraftätern in sich. Sexualstraftäter sind jedoch in aller Regel nicht krank. Nur in den seltensten Fällen liegt eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vor. Die Bearbeitung der Persönlichkeitsdefizite von Sexualstraftätern, die sich im Machtmißbrauch in Form sexualisierter Gewalt ausdrücken, zielt also auf einen Zugewinn an Selbstkontrolle und eine Stärkung der sozialen Kompetenzen ab. Von daher muß also klar sein, daß Heilung im eigentlichen Sinne in der Regel nicht erreichbar sein wird. Das heißt auch, daß Gutachter und Gutachterinnen - und seien sie noch so Bach- und fachkundig - keine hundertprozentig sicheren Prognosen über die Rückfallgefährdung abgeben können. Ein gewisses Risiko bleibt immer. Das muß man der Bevölkerung auch so klar sagen.
Zugleich wird sich mit zunehmenden Erwartungen an die Gutachtensicherheit eine Tendenz zu übervorsichtiger, also zu falsch-negativer Prognose herausbilden. Das heißt, es bleiben Menschen im Strafvollzug bzw. in der Unterbringung, von denen keine Gefahr mehr ausgeht. Das ist nicht hinnehmbar. Um Rückfälle so weit als möglich zu vermeiden, müssen neue Wege beschritten werden. Dazu gehören eine intensive Nachbetreuung von Sexualstraftätern in ihrem sozialen Umfeld und niederschwellige Angebote zur Krisenintervention. Das ermöglicht die Aufdekkung kritischer, rückfallgefährdender Situationen und kann somit gezielt zu deren Vermeidung beitragen. Dafür muß gerade in Deutschland noch sehr viel getan werden.
Der dritte Punkt ist die exzessive und auch wesentlich restriktivere Handhabung der Sicherungsverwahrung. Die Sicherungsverwahrung war bisher die absolute Ausnahme. Was hier jetzt von konservativer Seite vorgeschlagen wird, bedeutet, daß dieses Instrument bei Sexualstraftätern nahezu zum Regelfall gemacht werden soll. Das ist ein außerordentlich gefährlicher Weg.
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Es gibt seit langem Kritik an diesem Instrument - Herr Geis, das wird Ihnen nicht entgangen sein -, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen ist die Gefahr falsch-negativer Prognosen nicht aus der Welt schaffbar. Das heißt, es besteht immer die Gefahr, Menschen der Sicherungsverwahrung zu unterstellen, die nicht rückfallgefährdet sind. Zum anderen stellt die Sicherungsverwahrung de facto eine Strafe ohne Straftat, quasi eine Präventivstrafe, dar. Beides widerspricht insbesondere dem in Deutschland bisher gepflegten Rechtsverständnis. Konsequenz kann nur die Abschaffung der Sicherungsverwahrung sein, wie die PDS das in ihrem Antrag fordert.
Natürlich, meine Damen und Herren, wird es immer einige Straftäter geben, bei denen mit den heutigen Methoden eine deutliche Senkung der Rückfallgefahren nicht erreicht werden kann. Für diese Gruppe müssen humane Unterbringungsmöglichkeiten deutlich abseits des Strafvollzugs gefunden werden, die nicht bloß eine sichernde, sondern vor allen Dingen auch eine behandelnde Funktion haben. Hier ist es angebracht, meine ich, sich die im Ausland, insbesondere in den Niederlanden, gemachten Erfahrungen anzusehen. Es muß endlich auch in Deutschland mit intensiven Forschungen begonnen werden. Ein erster Schritt wären Evaluationsstudien zum Verlauf und Erfolg der Vielzahl derzeit praktiChristina Schenk
zierter Behandlungsprogramme und Therapieformen.
Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß bei den jetzigen Diskussionen stets die Täter im Mittelpunkt standen. Wann aber, frage ich, bekommen endlich die Opfer sexualisierter Gewalt einen Anspruch auf Therapie?
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Unerträglich ist es auch, daß bestehende Hilfs- und Aufklärungsangebote, Antigewaltprojekte, Notunterkünfte und Frauenhäuser der Sparpolitik der Bundesregierung zum Opfer fallen.
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Das macht deutlich, daß es in der jetzigen Debatte vordringlich um Aktionismus, nicht aber um das ernsthafte Bemühen geht, das Problem der sexualisierten Gewalt wirksam anzugehen.
Danke.
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Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Justiz, Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die heutige Thematik zeigt, daß dieser Tag für die Rechtspolitik, für die Koalition, vor allem aber für die Bürger in diesem Lande ein wichtiger und ein guter Tag ist. Die größte geschlossene Strafrechtsreform seit über 20 Jahren steht vor ihrem Abschluß. Sie ist für den Besonderen Teil des Strafgesetzbuches die erste große Reform seit - das muß man ganz nüchtern sagen - seinem Erlaß im Jahre 1871.
Nun will ich - das würde dem kühlen, sachlichen Liberalen auch überhaupt nicht ähnlich sehen - nicht Jahrhundertwerke für die Koalition in Anspruch nehmen. Aber man darf die Dinge schon deutlich machen, und ich verstehe überhaupt nicht, liebe Frau Däubler-Gmelin, weshalb nicht auch Sie diesen erfolgreichen Schritt anerkennen.
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Sie haben gefordert, man solle für die Strafrahmenharmonisierung doch bitte eine Kommission einsetzen. Jedermann weiß, was mit Kommissionen getrieben wird. Wir sollten bitte schön auch noch das gesamte Nebenstrafrecht einbeziehen. Es liegt auf der Hand, daß wir das Vorhaben damit überfrachtet hätten. Herr Beck hat sogar gefordert, wir sollten dann gleich noch das Sanktionensystem im Strafgesetzbuch mitreformieren.
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Freuen Sie sich daran, daß die Reform eines schwierigen Gesetzgebungsverfahrens Stück für Stück fertig wird.
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Sie können sicher sein: Wenn diese Regierung in ihrer Kontinuität belassen wird - mit solchen Dingen werben wir wirklich eindringlich dafür -, dann wird es auch kein Stückwerk sein, sondern es wird sich Stück für Stück zu einem Ganzen zusammenfügen.
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Als einer der politischen Väter - vielleicht sogar als der politische Vater - dieses Gesamtwerkes empfinde ich es als einen Tag der Freude. Bitte gestatten Sie mir, daß ich diesen Tag zum Anlaß nehme, den Rechtspolitikern in Bund und Ländern - sie sind nicht nur in den Koalitionsfraktionen gewesen; liebe Frau Däubler-Gmelin, es gab nicht soviel Streit, wie Sie angedeutet haben - über die Parteigrenzen hinweg für die kritische, durchweg konstruktive und vor allem zeitlich sehr straffe Begleitung dieser Reform zu danken.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer?
Sofort.
Ich möchte vorher noch einen Dank aussprechen, auch das sei mir gestattet. Mein Dank gilt den Beamten des Bundesjustizministeriums; denn sie haben dieses Gesetzespaket mit großem Einsatz, mit großer Akribie und mit großer Präzision ermöglicht.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer?
Ja.
Bitte.
Herr Justizminister, nachdem Sie mit so offenkundigem Vaterstolz in bezug auf das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts aufgetreten sind, möchte ich Ihnen eine doppelte Frage stellen: Haben Sie bei den vielfältigen Strafverschärfungen, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, einmal bedacht, vielleicht sogar durchgerechnet, daß Sie eine Vielzahl neuer Plätze in den
Dr. Jürgen Meyer ({0})
Haftanstalten, Haftanstalten, die bereits jetzt überfüllt sind, benötigen und daß als Folge dieses Gesetzes, wenn es denn von der Justiz ernstgenommen und angenommen wird, die Länder ein gigantisches Programm für den Bau neuer Gefängnisse auflegen müssen?
Haben Sie außerdem bedacht, daß wir uns in der Vergangenheit eigentlich einig darin waren, daß unser Sanktionensystem reformiert werden müßte, daß also in den Fällen, in denen Freiheitsstrafe mehr schadet als nützt, sinnvollere Sanktionen vorgesehen werden müßten - wie in entsprechenden Fallgestaltungen Fahrverbot, gemeinnützige Arbeit, mehr Täter-Opfer-Ausgleich - und daß es allein logisch gewesen wäre, erst das Sanktionensystem zu reformieren und anschließend dieses dann moderne Sanktionensystem auf das Strafgesetz und auf das Nebenstrafrecht anzuwenden? Haben Sie nicht das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt?
Lieber Herr Meyer, das glaube ich ganz und gar nicht. Dies paßt zu dem, was ich eben angedeutet habe. Sie wollen das gesamte große Kunstwerk auf einen Schlag schaffen, wissen aber genau, daß dies nicht funktioniert. Deswegen sind Sie dagegen, daß man das Gesamtwerk schrittweise ansteuert.
Wir fangen mit der Strafrechtsreform an. Dann machen wir die Sanktionensystemreform. Sie wissen, daß wir dies wollen. Dafür wird es eine Kommission geben, die noch vor dem Weihnachtsfest eingesetzt werden wird.
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Dann schaffen wir uns Stück für Stück das Gesamtwerk.
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Einfach zu sagen: „Weil dies noch nicht das Gesamtkunstwerk ist, sind wir dagegen, praktische Schritte voranzugehen" halte ich für eine Reformpartei für völlig unangängig. Ich glaube nicht, daß das die richtige Methode ist.
Lassen Sie uns zunächst die Strafrechtsreform zustande bringen und dann die Sanktionenreform ansteuern. Ich glaube, dies ist die richtige Reihenfolge. Dann können wir wirklich etwas vorweisen. Dies ist besser, als wenn wir mit großen Reden durch die Lande ziehen und hinterher an den Verhältnissen scheitern.
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Ein Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch diese Reform, und zwar durch alle drei Teile, nämlich der bessere Schutz der Opfer. Dies kann man noch so heftig verbal leugnen, es ist aber so.
Das Strafrecht kann zwar das Leid der Opfer nicht ungeschehen machen - ich nenne als Beispiel die Sexualverbrechen an Kindern -, es ist aber - hier gibt es im Grunde gar keinen Dissens - die verdammte
Pflicht und Schuldigkeit des Staates, Leib und Leben, Freiheit und Eigentum der Opfer auch mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Niemand bestreitet, daß der Staat bei dem, was er an Anstrengungen unternimmt, nicht stehenbleiben darf, daß es noch ganz andere Strategien geben muß.
Gestern haben wir das schöne Lisztsche Wort zugrunde gelegt: „Die beste Kriminalitätspolitik ist die Sozialpolitik." Niemand bestreitet das. Aber wir müssen auch die strafrechtlichen Schutzmöglichkeiten für die Opferrechte im Auge behalten. Das will diese Initiative; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Weil diese Reform dem Rechnung trägt, ist sie, wie ich finde, wahrhaft liberal. Sie baut den Schutz der Grundrechte der Opfer aus, ohne die Rechte der Täter übermäßig zu beschneiden. Sie ist auch eine wahrhaft rechtsstaatliche Strafrechtsreform, weil sie in dem Normenwerk die Gerechtigkeitsempfindungen der Menschen wieder besser zum Tragen bringt.
Lassen Sie mich das an den drei Bestandteilen des Gesamtpaketes, nämlich der Bekämpfung der Sexualdelikte an Kindern, der Strafrahmenharmonisierung und dem Opferschutz im Verfahren, noch einmal kurz aufzeigen.
Von dieser Reform, von dieser Debatte heute muß und wird ein Signal ausgehen: Kinder sollen in Zukunft wirksamer vor sexuellem Mißbrauch geschützt werden.
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Dafür sieht die Reform zwei Stufen vor. Stufe eins: Tätertherapie ist Opferschutz; denn die erfolgreiche therapeutische Behandlung eines Straftäters bietet den besten Schutz vor einer Rückfalltat. Dies sage ich, auch wenn wir die genauen Zahlen jetzt noch nicht kennen.
Stufe zwei: Opferschutz verlangt auch Härte gegenüber solchen Straftätern, die trotz langfristiger Inhaftierung und - demnächst hoffentlich durchgehend - diverser Therapien weiterhin eine erhebliche Bedrohung darstellen.
In der ersten Stufe können künftig Sexualstraftäter, die zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, ohne ihre Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden. Die Umsetzung wird - das wird überhaupt nicht verkannt - erhebliche Anstrengungen der Bundesländer zur Schaffung von Therapieplätzen erfordern. Das wissen wir alle. Aber die Sicherheit der Bevölkerung ist nun einmal nicht zum Nulltarif zu erhalten. Ich appelliere deshalb sehr und mit allem Nachdruck an einige Länder, die sich da noch besonders anstrengen sollten, die fünfjährige Übergangsfrist zu nutzen. Eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen ist sich die Gesellschaft wirklich schuldig, weil ohne eine ausreichende Therapieplatzzahl nicht wirksam genug vor gefährlichen Straftätern zu schützen ist.
Ich gebe mich allerdings nicht der Illusion hin, jeder gefährliche Straftäter könne allein durch Therapie veranlaßt werden, keine Straftaten mehr zu begehen. Deshalb, weil wir nicht bei dem einen Schritt
stehenbleiben wollen, sieht der Entwurf in einer zweiten Stufe darüber hinausgehende Maßnahmen vor. Insbesondere bei solchen Tätern, die schwere Sexualverbrechen an Kindern begangen haben, kann eine Strafrestaussetzung zur Bewährung nur erfolgen, wenn ein Rückfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
Bei Sexual- und Gewaltstraftätern wird das schärfste Schwert unseres Strafrechts, die Sicherungsverwahrung die Brisanz, die in diesem Instrument steckt, ist jedem Rechtspolitiker sofort klar -, wirksam verstärkt und jetzt auch deutlicher eingesetzt werden können. Die Gerichte können die Sicherungsverwahrung schon nach dem ersten Rückfall und nicht erst, wie bisher, nach der zweiten Wiederholungstat verhängen. Schon die erste Sicherungsverwahrung wird unbefristet verhängt, wenn die Gefahr besteht, daß der Täter erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer beschädigt werden.
. Schließlich werden natürlich auch die Strafrahmen angehoben. Für schwere Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern wird die Höchststrafe von 10 Jahren auf 15 Jahre erhöht, also bis an die Grenze der zeitlich beschränkten Freiheitsstrafe. Verursacht der Täter den Tod des Kindes, kann künftig sogar lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Für Wiederholungstäter, die sich auch eine Verurteilung nicht zur Warnung gereichen lassen, gilt künftig eine Mindeststrafe von einem Jahr, so daß die Tat auf jeden Fall in die Kategorie der Verbrechen aufrückt.
Zwar ist kaum anzunehmen, daß triebgesteuerte Täter ins Gesetzbuch sehen, bevor sie zuschlagen. Aber die Heraufsetzung der Strafrahmen ist die deutliche Dokumentierung des Gesetzgebers, daß er dem Schutzgut dieser Vorschriften, also der psychischen und der physischen Integrität der Kinder, höchste Priorität beimißt. Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt im Strafrecht, den man nicht zu gering achten darf.
({4})
Lassen Sie mich damit zu dem angemesseneren Rechtsausgleich zwischen Opfern und Tätern durch die Strafrahmenharmonisierung kommen. Sie setzt der Unterbewertung höchstpersönlicher Rechtsgüter wie Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit, Persönlichkeitsrechte - jetzt ist Herr Beck leider nicht da; dazu hätte ich ihn gerne unmittelbar angesprochen; das scheint ihm nicht ganz zu passen -, also immaterieller Werte gegenüber Vermögensinteressen, den materiellen Werten, ein Ende.
Liebe Frau Däubler-Gmelin, darüber, daß Beschneidung eine gefährliche Körperverletzung ist und in vielen Fällen ein Fall schwerer Körperverletzung sein wird, sind wir uns doch hoffentlich einig.
({5})
Deswegen müssen Sie da nicht irgend etwas im Strafgesetzbuch vermissen, weil es dafür ausdrücklich Regelungen gibt.
({6})
In diesen Bereichen haben wir die Strafrahmen sogar ausdrücklich erhöht. Ihr Memento an diesem Punkt ist also nicht berechtigt.
({7})
- Doch, es stimmt, daß das eine gefährliche Körperverletzung ist. Wollen Sie das bestreiten?
({8})
- Es ist in wesentlichen Fällen auch eine schwere Körperverletzung.
In beiden Fällen sind die Strafrahmen heraufgesetzt worden. Das muß man deutlich sagen. Beschneidung ist nur nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt. Das ist in Ihren Augen möglicherweise ein Manko. Aber in der Sache werden wir Ihrem Anliegen voll gerecht, ob Ihnen das nun angenehm ist oder nicht.
({9})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?
Gerne.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, das Problem ist, daß Beschneidungen nicht, wie Sie gesagt haben, in wesentliche und unwesentliche aufgeteilt werden können; Beschneidungen sind vielmehr immer schwere Körperverletzungen.
({0})
Nach der Fassung Ihres Gesetzentwurfs sind sie es, so leid es mir tut, nicht. Die differenzierenden Worte, die Sie gerade dafür gefunden haben, treffen diesen Skandal nicht. Unsere Bitte geht in diesem Punkt ausdrücklich dahin, jetzt nicht „ja" oder „aber" zu sagen oder eine Differenzierung in wesentlich oder unwesentlich vorzubringen, sondern zu sagen: Beschneidungen sind schwere Körperverletzungen und werden als solche geahndet. Darum geht es uns.
({1})
Beschneidungen sind - ich brauche das hier wahrscheinlich nicht näher auszuführen - nicht überBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
all, in allen Bereichen, in allen Ländern und allen Gesellschaftsschichten, in der Tatausführung gleich.
({0})
- Ich sage nicht: in der Bewertung - um Himmels willen -, sondern ich sage: in der Tatausführung. Hören Sie bitte zu!
({1})
Sie sind immer gefährliche Körperverletzungen. Die Strafrahmen dafür sind in Zukunft infolge der Reform höher als vorher.
({2})
Das ist nicht alles über einen Kamm zu scheren; man muß dieses Thema einmal ethnologisch angehen. Es gibt ganz unterschiedliche Verfahren bei Beschneidungen.
({3})
Aber wo immer sie schwere Körperverletzungen sind, sind die Strafrahmen dafür angehoben worden.
({4})
Deswegen ist es in der Sache nicht richtig, hier eine Lücke zu beklagen. Es fehlt nur der Ausdruck „Beschneidung" im Gesetz.
({5})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wolf?
Na schön.
Ich habe eine Frage genau dazu. Ich hoffe, daß Sie die Pekinger Frauenkonferenz mit verfolgt haben. Es gibt nicht nur bei uns, sondern weltweit eine Kampagne und Empörung, weil Genitalverstümmelungen - das ist der richtig Ausdruck dafür - ein Verbrechen an Frauen sind und ihre Menschenrechte einschränken. Es ist wichtig, daß das auch in unserem Strafgesetzbuch so deutlich steht. Weil Sie davon sprachen, es sei eine ethnische und kulturelle und damit erlaubte Verstümmelung, habe ich die Bitte: Könnten Sie das noch einmal klarstellen?
Das ist eine ausdrückliche Fehlinterpretation. Ich habe gesagt: „in der Tatausführung" . Ich sage Ihnen ebenso ausdrücklich: Das Grundsätzliche, das Sie im ersten Teil Ihrer Frage geäußert haben, wird voll geteilt und unterstützt. Unsere politischen Ziele unterscheiden sich da überhaupt nicht.
Nur behaupte ich im Gegensatz zu Frau DäublerGmelin, daß wir an diesem Punkt in der Tat den Strafrahmen - was der einzelne Richter daraus macht, können wir ohnehin nicht zwingend vorschreiben - erhöhen und damit also auch die strafrechtliche Bekämpfung dieser schrecklichen Genitalverstümmelungen erleichtern.
({0})
Das ist doch überhaupt keine Frage. Nur sind wir juristisch darüber auseinander, ob der Weg, den wir einschlagen, richtig ist, oder der Weg, den Sie fordern, Frau Däubler-Gmelin.
Von der geplanten Strafrahmenharmonisierung geht also ein klares Signal gegen Gewalt und Gewalttäter aus. Das kann man an allen Stellen dieser Reform sehen. Es ist ein Signal, das die Bevölkerung angesichts der steigenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft erwartet.
Betroffen sind neben anderen vor allem Körperverletzungsdelikte sowie die Sexualstraftaten. So muß etwa derjenige, der eine Frau vergewaltigt und dabei eine Waffe einsetzt, künftig mit Freiheitsstrafen zwischen fünf und 15 Jahren rechnen, also wieder bis an die höchste Grenze. Damit wird dem längst nicht mehr hinnehmbaren Zustand abgeholfen, daß der schwere Raub härter bestraft wird als die schwere Vergewaltigung. Der Kollege van Essen hat auf das Beispiel vor dem Landgericht Lüneburg hingewiesen.
Ein anderes Beispiel ist der Mißbrauch geistig behinderter Menschen. Wegen ihrer besonderen Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit wird der Strafrahmen des § 179 StGB für den sexuellen Mißbrauch Widerstandsunfähiger auf sechs Monate bis zu zehn Jahren verschärft. Damit setzt der Gesetzgeber eine klare Markierung für den Opferschutz.
So notwendig die Anhebung des Strafrahmens auch ist, so wenig ist die jetzige Reform ein einseitiges Strafverschärfungsvorhaben. Wer auch immer das Gegenteil behauptet, belegt nur, daß er die Reform nicht komplett gelesen hat.
({1})
Ich habe von Anfang an deutlich gemacht, daß eine Reform mit dem Ziel, Justitias Waage wirklich ins Gleichgewicht zu bringen, auch die moderate Absenkung bestimmter Strafrahmen erforderlich macht. Ich bin im übrigen, liebe Frau Däubler-Gmelin, gerne bereit und verpflichte mich dazu, Ihnen dieses Papier, das wirklich existiert und in dem das aufgeführt ist, mitzugeben, damit Sie sehen, daß Ihre Behauptung - Pardon, vielleicht waren Sie das gar nicht -, alle Strafrahmen seien angehoben worden, nicht stimmt.
({2})
- Ich werde es Ihnen zuschicken. - Ich bin froh, daß
sich die Einsicht, daß der Strafrahmen nicht nur nach
) oben gehen darf, wirklich weitgehend durchgesetzt hat. Zum Beispiel werden die Strafrahmen für schwere Fälle von Betrug, Untreue oder Urkundenfälschung maßvoll abgesenkt. Daß dies notwendig ist, zeigt etwa der Strafrahmenvergleich für schwere Fälle der Urkundenfälschung - nach geltendem Recht bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe - und für schwere Fälle des Kindesmißbrauchs - nach geltendem Recht nur bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. Will der Gesetzgeber deutlich machen, daß er in dem sexuellen Mißbrauch von Kindern ein größeres Unrecht sieht als in einer Urkundenfälschung, muß er im ersten Bereich auch zur Korrektur nach unten bereit sein; deshalb erfolgt sie auch.
Im übrigen gibt es natürlich keine flächendekkende Absenkung der Strafrahmen bei Vermögensdelikten, etwa Einbruchdiebstahl und schwerem Raub, weil dort wieder das Gewaltmoment hineinkommt und es keine reinen Vermögensdelikte sind, sondern Mischdelikte. Was zum schweren Raub gesagt wurde, brauche ich nicht zu wiederholen. Es ist richtig, daß wir hier die ausufernde Praxis wieder einfangen. Die 80 Prozent der Fälle schweren Raubes nämlich, die bisher als minder schwere Fälle beurteilt wurden, werden durch die Absenkung in der ersten Stufe beim schweren Raub wieder eingefangen.
Meine Damen und Herren, ein Ausbau der Opferrechte ist ein Kernanliegen - das ist ja völlig unübersehbar - des Zeugenschutzgesetzes. Ist nämlich etwa einem Kind bereits durch die Straftat schwerstes Leid zugefügt worden, so muß es vor weiteren Belastungen und weiteren Traumatisierungen durch das gerichtliche Verfahren, soweit es irgend möglich ist, geschützt werden. Ich danke Ihnen, Frau DäublerGmelin, ausdrücklich für Ihre Ausführungen zu diesem Punkt. Der Entwurf stellt deshalb zum einen die Videovernehmung nicht im Gerichtssaal anwesender schutzbedürftiger Zeugen auf eine gesetzliche Grundlage und ermöglicht zum anderen in besonderen Fällen, die Videoaufzeichnung einer früheren Vernehmung in der Hauptverhandlung als Vernehmungsersatz zu verwerten. Die Einzelheiten - das wird deutlich gesagt - sind nicht unmaßgeblich durch Vorarbeiten aus der SPD und aus dem Bundesratsentwurf befruchtet und angeregt worden.
Meine Damen und Herren, Sexualstrafrecht, Strafrahmenharmonisierung und Zeugenschutz sind ein wesentlicher Beitrag zu Schutz und Ausbau der Rechte der Menschen in diesem Staat. Das vorgelegte Gesetzespaket ist also ein wahrhaft rechtsstaatliches und ein liberales Reformwerk, für das ich um Ihre Zustimmung bitte.
Danke sehr.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Simm.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute umfangreiche und gravierende Änderungen im Strafrecht. Das Ausmaß der Veränderungen und
Eingriffe ist durchaus vergleichbar mit der in den 70er Jahren durchgeführten Strafrechtsreform. Damals hat sich der Bundestag für sein Reformvorhaben mehrere Jahre Zeit genommen. Es gab eine hochkarätig besetzte Kommission, die Vorschläge erarbeitet hat. Vor der Verabschiedung des Gesetzes fand eine öffentliche Diskussion auf breiter Basis statt. Wissenschaft und Praxis waren intensiv einbezogen.
Diesmal haben wir das alles im Schnellgang gemacht, in der Art, wie in letzter Zeit leider immer häufiger auch wichtige Gesetze verabschiedet werden, so als handele es sich um irgendeine dritte Durchführungsverordnung zum fünften Ausführungsgesetz.
({0})
- Die Hackfleischverordnung wäre ein Beispiel.
({1})
Wir verabschieden in letzter Zeit zunehmend wichtige Gesetzesvorhaben unter großem Zeitdruck auf der Grundlage umfangreicher Formulierungshilfen aus dem Justizministerium, die uns kurz vor der abschließenden Beratung auf den Tisch gelegt werden und kaum noch verarbeitet werden können.
({2})
- Wir können immer wieder feststellen, daß sie in sich nicht stimmig sind.
Ich finde das nicht gut, weil die Qualität der Gesetzgebung darunter leidet, ja leiden muß, und weil wir uns durch ein solches Verfahren um die Chance bringen, bei den Bürgerinnen und Bürgern die für so weitgehende Rechtsänderungen notwendige Akzeptanz zu schaffen.
({3})
Lassen Sie mich beginnen mit Änderungen des Strafgesetzbuches, die zunächst Gegenstand eines gesonderten Gesetzentwurfs der Bundesregierung waren und nun im großen Aufwasch mit in das 6. Strafrechtsreformgesetz gekommen sind. Es handelt sich um die Neufassung der Regelung des sexuellen Mißbrauchs von kranken und hilfsbedürftigen Menschen in stationären Einrichtungen, des sexuellen Mißbrauchs in ambulanten Beratungs-, Betreuungs- und Therapieverhältnissen und des sexuellen Mißbrauchs von widerstandsunfähigen Personen. Das sind die §§ 174a, 174c und 179 StGB. Ich möchte dazu gerne etwas sagen, weil ich seit längerer Zeit an dem Thema arbeite und die Aufgabe der Berichterstattung hatte.
Die Tatsache sollte hier nicht untergehen, daß in diesem Bereich tatsächlich etwas geschehen ist. Ich finde es gut, daß mit der Neuregelung der Schutz kranker und behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen verbessert und insbesondere nun auch der sexuelle Mißbrauch in Therapieverhältnissen unter Strafe gestellt wird. Es hatte dazu bereits vor zwei Jahren eine Initiative aus dem Bundesrat gegeErika Simm
ben. Wir meinten aber, ihr in der Form, in der sie damals vorlag, nicht folgen zu können.
Der - zugegebenermaßen - wesentlich verbesserte Gesetzentwurf der Bundesregierung, der in das 6. Strafrechtsreformgesetz Eingang gefunden hat, war bei der ersten Lesung im September bezüglich einer Reihe von, wie ich meine, nicht unwichtigen Details nicht nur bei mir auf Kritik gestoßen. Diese Kritik ist mit den zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen nur zum Teil erledigt. So wurde zwar beim sexuellen Mißbrauch Widerstandsunfähiger - das ist der § 179 StGB - der für den Grundtatbestand völlig unangemessene Strafrahmen - Freiheitsstrafe oder Geldstrafe - auf eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten angehoben, so daß nun wenigstens die für derartige Vergehen völlig unangemessene Geldstrafe als Regelstrafe ausscheidet. Dennoch bleibt eine sachlich nur schwer zu rechtfertigende Diskrepanz zum Strafrahmen insbesondere des § 178 StGB - es handelt sich um die sexuelle Nötigung -, der eine Mindeststrafe von einem Jahr vorsieht, wenn die sexuelle Nötigung unter Ausnutzung einer hilflosen Lage des Opfers begangen wird.
Ich vermag nicht zu erkennen, daß das völlig hilflose Opfer, das nicht einmal einen entgegenstehenden Willen bilden oder einen solchen äußern kann, weniger schützenswert wäre oder daß der sexuelle Mißbrauch ein geringeres Unrecht als die sexuelle Nötigung ist, die im § 178 StGB behandelt wird. Die jetzt ausgewiesene, immer noch niedrigere Strafe erscheint in meinen Augen nicht gerechtfertigt.
({4})
Insbesondere aber finde ich ärgerlich, daß nach wie vor bei den §§ 174a und 174c StGB - diese regeln die ambulanten und stationären Betreuungs-
und Obhutsverhältnisse und die Therapieverhältnisse - neben Freiheitsstrafe immer noch Geldstrafe als Regelstrafe neben der Freiheitsstrafe vorgesehen ist, und zwar nicht etwa für einen minderschweren Fall oder dergleichen. Gerade dabei geht es doch um Menschen, die auf Grund einer Behinderung oder Krankheit in besonderem Maße des Schutzes vor sexuellen Übergriffen bedürfen.
Nicht aufgegriffen haben Sie unsere Vorschläge zur Verjährungsverlängerung bei derartigen Straftaten;
({5})
nicht aufgegriffen haben Sie das Problem, daß es bei Therapieverhältnissen auch noch für einen gewissen Zeitraum nach Beendigung der Therapie eines strafrechtlichen Schutzes bedarf.
Hier hätten wir Beratungsbedarf gehabt. Ich habe diesen Beratungsbedarf bei der ersten Lesung ausdrücklich angemeldet, aber der Zeitdruck, unter den Sie uns bei der Verabschiedung auch dieses Teils der Reform gestellt haben, hat dies alles nicht mehr zugelassen, so daß wir wahrscheinlich auf diesen Komplex auch noch einmal werden zurückkommen müssen.
Ich möchte nochmals feststellen, daß ich sehr unglücklich darüber bin, wie diese wichtigen Gesetzes vorhaben behandelt wurden, bei denen es um den Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch, um die Behandlung von Sexualstraftätern, um einen verbesserten Schutz von Zeugen im Strafverfahren und um die Änderung einer Vielzahl von Vorschriften im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches geht.
Sie, die Mehrheit in diesem Hause, haben uns - ich bleibe dabei - zu einem wahren Parforceritt durch die Paragraphen gezwungen. Eine der Bedeutung der zu regelnden Sachverhalte angemessene Beratung wurde jedenfalls uns, der Opposition, nicht ermöglicht.
({6})
Für das Ergebnis tragen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Verantwortung.
({7})
Sie haben uns kaum Gelegenheit gegeben, fachlich begründete Korrekturen anzubringen.
({8})
Allein zum 6. Strafrechtsreformgesetz haben wir in dem Versuch - die Grundstruktur war bei dem vorgegebenen Zeitablauf nicht mehr zu verändern -, wenigstens in Einzelpunkten noch Änderungen anzubringen, die, wie ich meine, alle gut begründet waren, 13 Anträge eingebracht; einen davon haben Sie mit Ihrer Mehrheit akzeptiert. Dieser betraf die Änderung bei § 226 StGB, weil es nun wirklich unerträglich war, daß bei den schweren Verletzungsfolgen zwar der Verlust der Empfängnisfähigkeit der Frau straferhöhend berücksichtigt worden wäre, nicht aber der Verlust der Gebärfähigkeit.
Wohlbegründete Einwände wurden regelmäßig von Ihnen damit abgetan, in der Koalition habe man darüber eingehend beraten und anders entschieden. Was Sie uns in den letzten zwei Wochen zugemutet haben, war - ich betone es noch einmal - alles andere als ein geordnetes Gesetzgebungsverfahren. Das Ergebnis dieses Verfahrens kann nicht befriedigen. Die Praktiker, die künftig mit diesem Gesetz umgehen müssen, werden Ihnen das auch bestätigen. Das ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche.
({9})
Sie reden ständig davon, daß die Justiz entlastet werden müsse, und schaffen gleichzeitig mit dieser Strafrechtsreform ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Strafgerichte.
({10})
Straftatbestände werden aufgebläht, ohne Not werden neue Begriffe eingeführt und beliebig verwenErika Simm
det, Ungereimtheiten produziert und Fallen eingebaut, die Fehler geradezu provozieren.
({11})
- Ich bringe sie gleich.
Die Folge wird sein, daß die Gerichte zu sehr unterschiedlichen Auslegungen und Entscheidungen kommen und die Obergerichte lange damit beschäftigt sein werden, das aufzuarbeiten und zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu kommen.
Wir waren uns mit Ihnen durchaus einig, daß wir diese wichtigen Gesetzgebungsmaterien regeln wollten: Schutz der Kinder, Zeugenschutz, Harmonisierung im Strafrahmen. Ich finde es gut, daß wir beim sexuellen Mißbrauch von Kindern die Strafrahmen bei den schwereren Fallgestaltungen erhöht haben.
Aber bitte erklären Sie mir, warum der Vollzug des Beischlafes - das ist ein Tatbestandsmerkmal; da haben wir den alten Begriff beibehalten - oder die gemeinschaftliche Begehungsweise beim sexuellen Mißbrauch an Kindern nach § 176a StGB ein Qualifizierungsmerkmal und zwei Paragraphen weiter bei der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall ist. Ich vermag den Unterschied nicht zu erkennen. Die Rechtsprechung wird sich darüber den Kopf zerbrechen müssen.
({12})
Sie haben mit dem neuen § 176a im Strafgesetzbuch einen Rückfallparagraphen durch die Hintertüre wiedereingeführt, nachdem wir einen solchen 1985 glücklicherweise mit dem alten § 48 StGB abgeschafft hatten. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, daß allein die Anwendung dieser Bestimmung Anlaß für unzählige Rechtsmittel sein wird.
Im Zusammenhang mit der Behandlung von Sexualstraftätern haben Sie darauf bestanden, die Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung und die Aussetzung von Maßregeln neu zu formulieren. Angeblich soll sich dadurch an dem Sinn des Gesetzes nichts ändern. Ich bin gespannt darauf, wie die Gerichte damit umgehen werden, und befürchte, daß das zu einer restriktiveren Handhabung bei Aussetzungen führen wird mit der Folge - dies betrifft gerade die Belastung der Länder mit dem Strafvollzug -, daß die Gefängnisse, die schon jetzt voll sind, künftig noch voller werden. Wenn dann im Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts steht: „Kosten der öffentlichen Haushalte: keine", dann ist festzustellen, daß den Ländern noch die Augen übergehen werden angesichts dessen, was da auf sie zukommt; denn höhere Strafen wirken sich kostenerhöhend aus.
({13})
Sie haben die Fristen für die Löschung der Daten von
Sexualstraftaten im Bundeszentralregister verlängert. Das ist im Prinzip in Ordnung. Es ist aber nicht in Ordnung, daß Sie die Daten eines Jugendlichen, der eine geringfügige Sexualstraftat unter Jugendlichen begangen hat, für 20 Jahre im Bundeszentralregister stehenlassen wollen und er mehr als zehn Jahre lang im polizeilichen Führungszeugnis diese Verurteilung mit sich herumschleppen muß, nur weil er zufällig noch andere Straftaten, die nichts mit dem Sexualstrafrecht zu tun haben, begangen hat und er zu einer Haftstrafe von beispielsweise 13 Monaten verurteilt worden ist.
Sie haben im 6. Strafrechtsreformgesetz mit Ihrer Mehrheit unser Anliegen, den strafrechtlichen Schutz der höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung gegenüber dem Schutz von Eigentum und Vermögen zu stärken, durch eine allgemeine Strafschärfungsorgie - ich bleibe dabei, genau das ist es ({14})
ad absurdum geführt. Die sowieso schon hohen Strafrahmen für Eigentums- und Vermögensdelikte wurden nicht nur beibehalten, sondern teilweise noch erhöht, während die Strafen für Sexual- und Körperverletzungsdelikte lediglich angehoben wurden.
Ich hatte den Eindruck, man verfährt nach dem Motto - Frau Präsidentin, ich bin gleich fertig -: Jeder, der hier im Rahmen einer Strafschärfung etwas einbringen möchte, kann das tun, soweit er der Koalition angehört. Zuvörderst hat Herr Geis als Sprachrohr der Bayerischen Staatsregierung
({15})
im Rechtsausschuß das durchgesetzt, was im Bundesrat nicht mehrheitsfähig war. Auch das, Herr Geis, kann ich Ihnen belegen.
({16})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Basten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich möchte zunächst dankbar anerkennen, daß wir zumindest im Bereich der Reform des Sexualstrafrechts mit der größeren Oppositionspartei im Deutschen Bundestag einen Konsens erreicht haben. Ich glaube, es tut dem Gesetzgebungsverfahren gut, daß wir in den Kernfragen der Strafrechtsordnung, gerade wenn sie so sensibel sind wie das Sexualstrafrecht, auf einer breiten Basis Gesetze beschließen können. Deswegen möchte ich das ausdrücklich anerkennen.
({0})
Auf der anderen Seite, Frau Kollegin, kann ich nicht verstehen, weshalb Sie - das halte ich von der Sache her nicht für gerechtfertigt - die abschrekkende Wirkung der Strafe grundsätzlich in Frage stellen. Wir haben es doch nicht nur mit kranken SeFranz Peter Basten
xualtätern zu tun. Wir haben es sehr häufig - das ist die kriminalpolitische Wirklichkeit - auch in unserem Lande mit rücksichtslosen Räubern, mit brutalen Schlägern und mit geldgierigen Schiebern und Betrügern zu tun. Glauben Sie etwa, die könnten wir mit einer guten Sozialpolitik bekämpfen? Oder wie soll ich das verstehen? Da hilft einfach nur schuldangemessener Knast. Auf etwas anderes reagieren viele dieser Verbrecher eben nicht.
({1})
Deshalb bleibe ich dabei, daß wir ein ausgewogenes System von Strafe und Maßregel brauchen. Wo die Maßregelung angemessen und angebracht ist, muß sie auch eingesetzt werden. Wir zeigen gerade bei der Reform des Sexualstrafrechts, daß wir das Recht weiterentwickeln und gerade auch im Zusammenhang mit der Änderung des § 9 des Strafvollzugsgesetzes sehr weit gehen mit der verbindlichen Auflage für die Länder, sozialtherapeutische Vorrichtungen vorzuhalten, damit der kranke Täter behandelt werden kann.
Herr Kollege Basten, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?
Bitte schön.
Danke schön, Herr Kollege. - Die abschreckende Wirkung von Strafe als solcher bestreitet sicher kein vernünftiger Mensch, ich schon gar nicht; bei Ihnen, den ich schätze, nehme ich das auch an. Was ich gesagt habe und was Sie hoffentlich auch akzeptieren können, ist, daß mit einer Erhöhung des Strafrahmens, wenn wir also eine schärfere Strafe auf das Papier schreiben, der kriminelle Nährboden, den wir beide gemeinsam bekämpfen müssen, noch lange nicht bekämpft ist.
({0})
Sie müßten das eigentlich bemerkt haben, denn nach 15 Jahren Ihrer Regierung sind die kriminelle Bedrohung und der kriminelle Nährboden durch Ihre falsche Politik im übrigen immer größer geworden.
({1})
- Übertreibe ich?
({2})
- Nein? Wer regiert denn hier in Bonn?
({3})
Das war eine Zwischenbemerkung.
Ich habe das eher als eine Zwischenintervention aufgefaßt, Frau Kollegin, will Ihnen aber dazu sagen: Sie können doch nicht die Regierung dafür verantwortlich machen, daß es europa- und weltweit mehr Verbrecher gibt, denn es ist kein isoliertes deutsches Problem, daß es in verschiedenen Bereichen der Kriminalität diese Entwicklung gibt.
Glauben Sie denn, daß die Weichmachertour im Kampf gegen die Kriminalität die richtige Lösung wäre? Wir glauben dies nicht, und deswegen reagieren wir. Schon bevor ich diesem Bundestag angehört habe, haben wir in den vergangenen Jahren dazu deutlich Stellung genommen und zum Beispiel mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 weitere Maßnahmen getroffen, damit die Verbrecher wirksam bekämpft werden können.
({0})
Ich will Ihnen an Hand einiger Beispiele verdeutlichen, daß wir die Strafrahmen sehr wohl schuldangemessen, aber auch dem Unrechtsgehalt entsprechend erhöhen mußten. Das Beispiel der campenden Frau, die überfallen und mit dem Messer bedroht und vergewaltigt wird, ist schon angeführt worden. Das alte Recht sah fünf Jahre Mindeststrafe für das Klauen des Zeltes und zwei Jahre für die Vergewaltigung vor. Wir haben jetzt im Rahmen des § 177 StGB eine Änderung vorgenommen, daß die Mindeststrafe für die Vergewaltigung unter Einsatz einer Waffe fünf Jahre beträgt und nicht zwei Jahre. Das können Sie doch sicherlich nachvollziehen.
({1})
Gehen wir doch einmal die einzelnen Tatbestände nacheinander durch. Dann werden Sie sehen, daß das, was wir vorgeschlagen haben, alles sehr vernünftig ist und eigentlich auch Ihre Zustimmung verdienen sollte.
Im Zusammenhang mit der Neufassung des Tatbestandes des schweren Raubes noch eine Anmerkung: Die Rechtsprechung ist in den vergangenen Jahren in 70 bis 80 Prozent der Fälle auf den minderschweren Fall mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünf Jahren ausgewichen. Nunmehr können Fälle wie etwa der Banküberfall mit einer Spielzeugpistole nach § 250 Abs. 1 StGB mit einer Mindeststrafe von drei Jahren abgeurteilt werden, ohne daß das Gericht wegen der zu hohen Strafdrohung von 5 Jahren auf den minderschweren Fall ausweichen muß. Frau Kollegin, ist das nun eine vernünftige Regelung oder nicht? Ich glaube, Sie können dem ebenfalls zustimmen.
Eine weitere Harmonisierung des Strafrahmens wird im Verhältnis der Körperverletzung zum Diebstahl herbeigeführt. Nachdem das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 bereits eine Angleichung der Strafrahmen herbeigeführt hat, soll nun die versuchte Körperverletzung im Grundtatbestand ebenso strafbar werden, wie es der versuchte Diebstahl schon war und ist. Es handelt sich um zwei Tatbestände mit erkennbar vergleichbarem Unrechtsgehalt, was auch beim angedrohten Strafrahmen zum
Ausdruck kommen soll. Ich verkenne nicht, daß der Tatbestand einer versuchten Körperverletzung in der Praxis zu Schwierigkeiten führen kann; das kann man nicht in Abrede stellen.
Auf der anderen Seite gilt aber auch: Warum soll der Griff nach dem Portemonnaie in meiner Gesäßtasche, dessen Erfolg ich durch eine plötzliche Körperdrehung vereitle, strafbar sein, der Schlag in Richtung eines meiner Augen, dessen veilchenblaue Einfärbung von mir durch eine geistesgegenwärtige Kopfbewegung vermieden werden kann, aber straflos sein? Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund.
({2})
Das ist in der Praxis auch handhabbar und regelbar.
Das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts verfolgt aber auch das Ziel, Strafvorschriften auf Grund neuer Entwicklungen zu ergänzen oder übersichtlicher zu fassen oder nicht mehr zeitgemäße oder überflüssige Vorschriften abzuschaffen. Vor dem Hintergrund einer bedrohlichen Zunahme der organisierten Kriminalität, die sich häufig bandenmäßig und grenzüberschreitend vollzieht, wird in zahlreichen Bestimmungen die bandenmäßige Begehungsweise als neuer Tatbestand aufgenommen. So ist in Zukunft die bandenmäßige Begehung der Geldfälschung und der Fälschung von Zahlungskarten, des Kinderhandels, der Urkundenfälschung, des Betruges, der Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen und der Verschaffung von amtlichen Ausweisen strafbar. Die Regeln der Einziehung und des erweiterten Verfalls sowie der Vermögenstrafen werden auf die Fälle der bandenmäßigen Begehung ausgedehnt.
Wir haben es nicht nur mit der Erhöhung von Strafrahmen zu tun, sondern wir schließen auch Strafbarkeitslücken, die sich auf Grund besonderer Entwicklungen in der Vergangenheit ergeben haben. Deswegen ist der Begriff der Strafrahmenharmonisierung für dieses 6. Strafrechtsreformgesetz auch ein verkürzter und nicht ganz zutreffender Begriff. Darauf möchte ich ebenfalls hinweisen.
Nun noch zu einigen einzelnen Tatbeständen eine Anmerkung: Wir halten den gesonderten Privilegierungstatbestand der Kindstötung gemäß § 217 StGB für überflüssig. Die sich aus der besonderen Lage der Mutter ergebende Ausnahmesituation kann über den Tatbestand des minderschweren Falles des Totschlages gemäß § 213 StGB und über allgemeine Minderungsgründe tat- und schuldangemessen behandelt werden. Überflüssige Tatbestände soll man abschaffen. Ich glaube, das ist eine vernünftige Überlegung.
Einer neueren Entwicklung beim Zahlungsverkehr Rechnung tragend, wird der § 152a StGB - Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Eurocheques - angepaßt. Neben den Eurochequeverkehr ist in den letzten Jahren in beträchtlichem Umfange die internationale Kreditkarte getreten. Die Eurochequekarte ist zu einem eigenständigen Zahlungsmittel geworden. Bisher wird die Fälschung solcher Zahlungskarten lediglich als Betrug oder Urkundenfälschung bestraft. Das selbständige Rechtsgut der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs erfordert eine selbständige Erfassung der Fälschung und der Verbreitung solcher Zahlungskarten. Ist das eine vernünftige oder eine unvernünftige Regelung? Ich glaube, die Opposition kann auch einer solchen Regelung zustimmen.
({3})
Wenn wir einmal aus der allgemeinen, ideologisch befrachteten Diskussion das herausnehmen und praktisch durchgehen, was in diesem sechsten Reformgesetz vorgeschlagen wird, dann sehen wir, daß es auch für die Opposition zustimmungsfähig ist, wenn man es denn nur will, weil vernünftige und notwendige Strafnormen vorgeschlagen werden.
Nehmen wir noch den Straftatbestand des Kinderhandels: Mit § 236 StGB wird ein neuer Straftatbestand gegen Kinderhandel eingeführt. Damit wird insbesondere das Verkaufen und das Kaufen von Kindern aus der dritten Welt umfassend unter Strafe gestellt.
Mit dem neuen § 235 StGB werden Strafbarkeitslücken bei der Kindesentziehung geschlossen. Zukünftig ist auch der Versuch der Kindesentziehung strafbar. Diese Regelung beseitigt die unerträgliche Situation, daß zwar der versuchte Diebstahl des Kinderwagens, in dem der Säugling liegt, nicht aber die versuchte Wegnahme des Säuglings selbst strafbar ist. Das kann doch nicht richtig sein! Auch wenn dieses Beispiel nicht so bekannt ist, verlangt es doch dringend nach einer Änderung der Strafrechtsnormen.
({4})
Lassen Sie mich abschließend noch darauf hinweisen, daß wir auch Änderungen bei § 168 StGB - Störung der Totenruhe - vorsehen. In Zukunft wird auch bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Sozialdemokraten bekämpfen diese Bestimmung mit allem Nachdruck; das ist heute morgen schon deutlich geworden. Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Koalitionsfraktionen verbindlich zu: Mit uns wird es weder an einem Kriegerdenkmal für die Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg noch an einem Kriegerdenkmal für die Gefallenen aus dem zweiten Weltkrieg eine straflose Zerstörung oder Beschädigung oder straflosen beschimpfenden Unfug geben.
({5})
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich halte das, was Sie da vorhaben, für unerhört. Sie wollen dem Kriegerdenkmal auf dem Dorffriedhof den strafrechtlichen Schutz versagen. Das ist ein unerhörter Vorgang. Sie sollten sich noch einmal gründlich überlegen, ob Sie das wirklich wollen. Es ist gut, daß die Leute draußen hören, was Sie in diesem Punkt vorhaben.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte, gerade auch der letzte Beitrag des Herrn Basten, und die Reaktion des Publikums haben gezeigt,
({0})
daß das Thema „sexuelle Gewalt und ihre Bekämpfung" ein hochemotionales Thema ist und hohe Wogen schlägt - ich denke, zu Recht, weil die Folgen dieser Gewalt uns alle bewegen. Wir alle haben das Anliegen, mehr zu tun, um diese Gewalt zu verhindern, und in der Gesellschaft positiv darauf hinzuwirken, daß etwas passiert.
Ganz besonders bewegt uns das Thema, wenn diese Gewalt Kinder trifft. Wir alle wissen, daß die Kinder ein Recht darauf haben, daß wir alles tun, was in unserer Macht steht, damit sie in Geborgenheit und Sicherheit aufwachsen können.
({1})
Dann aber müssen wir fragen: Was gewährleistet ihren Schutz? Was muß man wirklich tun? Wenn ich in die Medien schaue und mir ansehe, was ein Echo hervorruft, dann sehe ich: Es sind meistens die Fälle mit sogenannten Fremdtätern, Fälle, in denen Kinder entführt und mißbraucht werden. Vergessen wird immer - Frau Däubler-Gmelin hat vorhin darauf hingewiesen, auch viele andere -, daß bei der sexuellen Gewalt im sozialen Nahbereich ein qualitativ ganz anderer Handlungsbedarf besteht.
Dabei können wir eine Menge tun. Das Paket, das heute vorliegt, ist so umfangreich und betrifft so viele unterschiedliche Gesetze, daß man immer nur einen Teil herausgreifen kann. Ich beschränke mich auf das Thema der Kinder.
Daß die Gesetzeslücken beim Kinderhandel geschlossen werden, ist gut. Es ist auch richtig, den sexuellen Mißbrauch im schweren Fall als Verbrechen zu ahnden. Das Strafrecht dokumentiert das Unrecht. Es hilft allen, wenn gefaßte Täter an weiteren Taten gehindert werden. Es ist wichtig, daß möglichst viele Täter durch eine adäquate Therapie nicht mehr rückfällig werden.
Aber - und das kommt in Ihrer Strafrechtsreform einfach zu kurz - das Strafrecht bietet keinen Hebel für die Fälle, in denen die meiste sexuelle Gewalt vorkommt. So bitter es ist, aber es ist die Wahrheit: Der gefährlichste Ort für Kinder ist die Familie. Die wenigen Zahlen, die wir dazu haben, sind erschrekkend. Die Schätzungen gehen nämlich davon aus, daß 60 bis 80 Prozent der Täter aus dem sozialen Nahbereich der Opfer stammen. Je enger das Abhängigkeitsverhältnis ist, desto intensiver und länger andauernd ist der Mißbrauch. Außerdem wird davon ausgegangen, daß der Anteil der Wiederholungstaten in den Familien bei 75 Prozent liegt. Das sind wirklich unglaublich erschreckende Zahlen. Da besteht ein ganz anderer und viel dringenderer Handlungsbedarf. Er geht über das hinaus, was wir jetzt mit dem allgemeinen Strafrecht abdecken.
({2})
Dieses Strafrecht greift zu kurz. Wir brauchen ein umfassendes Konzept der Prävention. Es muß da ansetzen, wo Gewalt entsteht, und da, wo Familien alleingelassen oder überfordert sind.
Eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen hat ausdrücklich den Zusammenhang von Gewalterfahrungen in der Familie und sexuellem Mißbrauch aufgezeigt. Die Koalition hat beim Kindschaftsrecht leider die Chance vertan, das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung festzuschreiben.
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- Nein, haben Sie nicht.
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Sie haben eine Verschärfung des Mißhandlungsverbotes eingeführt, aber nicht das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung in das Gesetz hineingenommen. Lassen Sie diese Feststellung doch einmal so stehen.
({5})
Denken Sie auch daran, daß sexualisierte Gewalt in einer Gesellschaft stattfindet, die sich immer noch durch eine ungleiche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen auszeichnet. Mich beunruhigt das Ergebnis einer Studie der Universität Potsdam über sexualisierte Gewalt unter Jugendlichen. Die Gewaltbereitschaft bei jungen Männern und das Bedrohungsgefühl bei jungen Frauen sind sehr weit verbreitet. Angesichts dessen reicht ein Verweis auf das Strafrecht nicht. Wir müssen uns andere Instrumente einfallen lassen.
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Machtverhältnisse und Rollenbilder ändern sich nicht von einem Tag auf den anderen; sie ändern sich auch nicht auf Grund eines Satzes in einem Gesetz. Diese Veränderung zu bewirken ist ein zähes Geschäft, bei dem alle und alle Ebenen gefordert sind. Es hilft nichts, zu suggerieren, daß mit einer schärferen Bestrafung der Täter diese Probleme gelöst seien.
({7})
Beruhigungspillen nach dem Motto „Seht her, die Politik handelt und setzt die Strafen herauf! " reichen nicht.
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Wir müssen bei den Gewaltursachen ansetzen und ihnen einen anderen Stellenwert einräumen. Da, wo wir keine Patentlösungen haben, müssen wir das in der Öffentlichkeit offen eingestehen.
Man kann auch nicht einfach den Ländern und Kommunen den Schwarzen Peter zuschieben. Natürlich tragen sie eine hohe Verantwortung, und natürlich sind sie für viele Bereiche, die besonders die Prävention betreffen, zuständig. Nur, wenn man will, daß sie handeln, darf man ihnen in der Finanzpolitik nicht den Hahn so zudrehen, daß sie überhaupt keinen Spielraum mehr haben, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
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Die Justiz muß mit den kindlichen Opfern anders umgehen. Wir brauchen eine kindgerechte Vernehmung. Aber warum die Koalition die dafür eingeräumten Möglichkeiten nun auch noch auf verdeckte Ermittler ausdehnt, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Denken Sie bitte an die Zeit.
Wenn wir den Schutzauftrag, den auch die Politik einlösen muß, ernst nehmen, dann frage ich mich, wie die Bundesregierung rechtfertigen will, daß sie der Verlängerung der Amtszeit des Richters am Europäischen Gerichtshof, Wathelet, zugestimmt hat. Wir wissen doch, daß er als belgischer Justizminister den Sexualverbrecher Marc Dutroux vorzeitig auf freien Fuß gesetzt hat. Hier haben Sie nicht die nötige Sensibilität bewiesen, mit der man Vertrauen der Bevölkerung in die Politik, das gerade in diesem Bereich erforderlich ist, schaffen kann.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Herr Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Dr. Ulrich Goll.
Minister Dr. Ulrich Goll ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Menschen haben von der Politik erwartet, daß sie nach den schrecklichen Delikten an Kindern die bisherigen Regelungen auf Schwachstellen untersucht und daß sie handelt. Mit den jetzt getroffenen Beschlüssen haben wir einen wichtigen Schritt vollzogen, um die Bevölkerung besser vor Sexualstraftätern zu schützen und gleichzeitig die Belastungen von Zeugen und Opfern in Gerichtsverfahren zu senken.
Lassen Sie mich zunächst auf das 6. Strafrechtsreformgesetz eingehen, und zwar auf den Teil dieses Gesetzespakets, der sicherlich die längste Vorgeschichte hat. Wie lange haben wir eigentlich beklagt, daß es ein Ungleichgewicht in bezug auf den Schutz zwischen höchstpersönlichen Rechtsgütern einerseits und Vermögenswerten andererseits gibt? Wie oft haben wir die Beispiele angeführt, die wir auch heute wieder gehört haben? - Jahrelang! Jetzt passiert etwas. Es ist gut, daß etwas passiert und daß dieser wichtige Bereich, bei dem Handlungsbedarf bestand, einer Lösung zugeführt wurde. Das ist möglich, weil diese Reform nicht auf die lange Bank geschoben wurde.
Um einen zweiten Punkt zu nennen: Wie oft haben wir darauf hingewiesen, daß den Gerichten beim Raub nicht mehr die Instrumente zur Verfügung stehen, die sie brauchen, und daß wir in diesem Bereich einen unglücklichen „Drall" beklagen müssen, der darin besteht, daß die Gerichte auf den minderschweren Fall ausweichen, so daß diese Delikte bagatellisiert werden? Jetzt wird auch dem ein Ende gemacht, und auch das ist richtig so.
({1})
In diesem Zusammenhang wird allerdings auch deutlich, daß wir richtig gehandelt haben, als wir in bezug auf den sexuellen Mißbrauch von Kindern zwar alle schweren Tathandlungen als Verbrechen gewertet wissen wollten, aber auch noch einen Vergehenstatbestand im Gesetz belassen haben. Denn sonst hätten wir bei diesem Delikt genau das heraufbeschworen, was wir beim Raub jahrelang beklagt haben, nämlich daß die Gerichte dem Tatbestand ausweichen, so daß ein Bagatellisierungseffekt entsteht, den wir nicht wollen.
({2})
Aber, liebe Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin, wenn ich das so deutlich sagen darf: Wir haben über dieses Strafrechtsreformgesetz wahrlich lange genug diskutiert - nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern. Es ist in den letzten Jahren viel darüber geredet worden. Ich glaube wirklich, jetzt muß gehandelt werden - trotz mancher Bedenken gegen einzelne Punkte. Ich möchte fast annehmen, daß Sie als gute Opposition dann, wenn wir nicht gehandelt hätten, als erstes gesagt hätten: Das haben Sie in dieser Legislaturperiode wieder nicht hingebracht. - Diese Kritik wäre berechtigt gewesen. Aber wir haben es hingebracht, wir haben diese Reform auf den Weg gebracht. Da ich aus dem Land komme, das die Autos baut, die in der Regel den Elchtest bestehen, möchte ich eines ganz deutlich sagen: Dieses Vorhaben ist gelungen, lieber Herr Abgeordneter Beck. Allerdings haben Sie bei Ihrem Vergleich, bei Ihrem Bild vergessen, zu sagen, daß es gerade Ihre Fraktion, Ihre Partei ist, die, wenn es um Vorhaben der vernünftigen Fortentwicklung des Strafrechtes geht, gerne die Rolle des Elchs übernimmt.
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Was mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz erreicht wird, ist eine Leistung, auf die wir jahrelang gewartet haben; sie wird jetzt abgeschlossen. Das ist auch vor
Minister Dr. Ulrich Goll ({4})
der Geschichte eine bleibende Leistung dieser Regierungskoalition.
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Keine so lange Vorgeschichte, meine Damen und Herren, hat das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten. Aber die Notwendigkeit einer Änderung hat sich gerade bei den furchtbaren Delikten gezeigt, die passiert sind.
Ich habe es am Anfang gesagt: Es wird von der Politik erwartet, daß sie die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt, daß sie nach Verbesserungsmöglichkeiten sucht, und ich glaube, wir haben eine ganze Menge gefunden, was verbessert werden mußte.
Es war schon die Rede von der sachgerechten Angleichung der Strafrahmen. Sicher ist es richtig, daß sich ein Sexualstraftäter wohl kaum durch die Nachricht aus dem Bundestag von heute, die Strafrahmen seien erhöht worden, ohne weiteres von seinem schändlichen Vorhaben abhalten läßt. Das ist traurig, aber auf die präventive Wirkung des Strafrechts kann man nur in Maßen setzen.
Doch wenn man das betont, dann vergißt man mehrere weitere Umstände. Es war heute schon mehrfach von der Rolle der Opfer die Rede. Wenn wir die Situation der Opfer wirklich ernst nehmen, dann müssen wir das Strafmaß so bemessen, daß es für die Opfer verständlich ist.
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Denn wenn die Opfer das Strafmaß nicht verstehen, wenden sich gerade die vom Rechtsstaat ab, zu deren Schutz wir ihn aufgebaut haben. Ich füge hinzu: Durch Strafverschärfungen besteht schlicht und einfach die Möglichkeit, manchen Täter länger festzuhalten. In manchem Fall ist das einfach richtig; so wird die Bevölkerung, die Allgemeinheit geschützt.
({7})
Auch wenn unsere Vollzugsanstalten stark belastet sind, können wir nicht einfach sagen, wir machen eine notwendige Reform nicht, weil wir die Haftplätze dazu nicht haben. Dann muß natürlich reagiert werden; denn wo die Sicherheit es erfordert, muß der entsprechende Preis bezahlt werden. Das ist klar.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Stetten?
Minister Dr. Ulrich Goll ({0}): Gern.
Herr Minister Goll, Sie haben von der Überlastung der Justizvollzugsanstalten gesprochen. Die Länder beklagen das allenthalben. Könnten Sie sich vorstellen, daß wir zur Entlastung der Justizvollzugsanstalten mal einen Versuch mit der elektronisch überwachten Fußangel machen, mit der man per Satellit den Aufenthalt des Täters - wo auch immer er sich
aufhält - kontrollieren kann? Wäre das eine Möglichkeit der Entlastung? Würde unser reformfreudiges Land Baden-Württemberg hier eventuell voranmarschieren?
Minister Dr. Ulrich Goll ({0}): Lieber Herr Abgeordneter von Stetten, ich glaube, daß die Justiz als eine moderne Verwaltung immer gut daran tut, technische Neuerungen zunächst zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, ob sie angewandt und sinnvoll eingesetzt werden können.
Man muß allerdings bei der Fußfessel zwei kurze Vorbemerkungen machen: Ich würde jedes Mittel, jede Maßnahme ablehnen, die den Anschein hat, als würde man sie nur ergreifen, weil die Vollzugsanstalten voll sind.
({1})
Straftäter, die in die Vollzugsanstalten gehören, kommen weiterhin in die Vollzugsanstalten. Da versuchen wir nicht, sozusagen auf billige Wege auszuweichen.
Wir dürfen bei der Bevölkerung auch keine Mißverständnisse zulassen, daß Täter, die in den Strafvollzug gehören, jetzt mit einer milderen Maßnahme bedacht werden, so daß sie - wie mein Kollege Leeb zu sagen pflegt - dann vielleicht auf dem Balkon sitzen und Weißbier trinken.
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Es geht eigentlich darum, ob eine Fußfessel in manchen Fällen eine angemessene Sanktion ist. In welchem Bereich wir in Baden-Württemberg über einen Einsatz nachdenken, kann ich Ihnen ganz kurz skizzieren: Es geht um den Bereich der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen.
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In Baden-Württemberg werden 500 von 8000 Haftplätzen ständig durch jene belegt, die eine Freiheitsstrafe verbüßen, weil sie die Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Wir untersuchen im Moment, ob es, salopp formuliert, einen „Kundenkreis" von Leuten gibt, die unverschuldet in wirtschaftliche Not geraten sind und jetzt eine Freiheitsstrafe absitzen, obwohl sie zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Ich schätze, daß wir im Frühjahr darüber Klarheit haben. Wenn die Möglichkeit besteht, das für diejenigen anzubieten, für die es einfach die bessere Sanktion ist, dann werden wir das in einem Versuch tun. Aber nur in diesem Bereich prüfen wir den Einsatz von Fußfesseln.
Der Deutsche Bundestag könnte den Ländern an anderer Stelle helfen, nämlich was die Umrechnung bei Ersatzfreiheitsstrafen angeht. Wenn wir den Maßstab von Tagessätzen zu Hafttagen von 1 : 1 auf 2 : 1 verändern könnten, würden wir meines Erachtens eine Entlastung in einem Bereich erreichen, in dem man das voll vertreten kann.
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Minister Dr. Ulrich Goll ({5})
Meine Damen und Herren, ich sehe in dieser Diskussion, in der auf schlimme Taten hingewiesen worden ist, die Notwendigkeit, über das wahre Bedrohungspotential sachlich zu informieren. Denn manchmal entsteht - natürlich auch durch die Medien - der falsche Eindruck, man könne bei uns seine Kinder nicht mehr auf die Straße lassen, weil hinter jedem Busch ein Kinderschänder lauere. So ist es zum Glück nicht. Die Zahl der schlimmen Delikte hat sich praktisch nicht verändert. Das heißt immer noch: Jedes Delikt ist eines zuviel, und die Zahl der Delikte ist zu hoch. Aber - das ist wichtig zu wissen - die Zahl der Delikte in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren nicht vergrößert.
Geändert hat sich allerdings die öffentliche Aufmerksamkeit. Seit 1990 hat sich der Umfang der Berichterstattung über den Mißbrauch von Kindern verachtfacht. Das kennzeichnet die jetzige Diskussion, zeigt aber auch die sehr ernstzunehmenden Sorgen der Bevölkerung, die die Frage stellt: Werden wir noch richtig geschützt? Diese Frage müssen wir glaubwürdig beantworten, auch wenn sich die Zahlen nicht explosiv nach oben entwickelt haben.
An dieser Stelle muß man einmal zur Beruhigung sagen: Nicht jeder Sexualtäter ist sofort ein Hang- und Serientäter. Die jetzt angelaufenen Untersuchungen der Kriminologischen Zentralstelle zur Rückfallgefährdung haben beispielsweise ergeben, daß von den im ersten Halbjahr 1997 verurteilten Tätern, die schwerere Delikte begangen haben, etwa jeder Zehnte ein Rückfalltäter war. Das ist natürlich immer noch viel zuviel, aber weicht doch schon von mancher Zahl ab, von der wir bisher ausgegangen sind.
Es wird auch nicht so sein, daß jeder Sexualtäter einer Therapie bedarf. Auch das ist, wie es teilweise schon aus den Worten der Vorredner hervorging, nicht der richtige Ansatz. Aber wir können mit Therapie - davon bin auch ich überzeugt - ein ganzes Stück mehr erreichen. Die erforderliche Ausdehnung der Behandlungskapazitäten stellt die Länder zwar vor eine schwierige Aufgabe; aber diese müssen wir lösen.
Wir müssen die Zahl der verfügbaren Plätze in den sozialtherapeutischen Anstalten ausbauen. Zumindest in Schwerpunktanstalten muß eine flächendekkende psychotherapeutische Begleitung gewährleistet sein. Zudem müssen wir mit externen Therapeuten zusammenarbeiten. Alle drei Wege werden mittlerweile beschritten. In dem Land, für das ich zuständig bin, haben wir bereits zusätzliche Therapeutenplätze geschaffen. Die Länder stehen insgesamt vor der Aufgabe, diese Reform auch in bezug auf die Therapie umzusetzen.
Lassen Sie mich noch wenige Worte zu dem dritten vorliegenden Gesetz sagen, dem Zeugenschutzgesetz. Ich begrüße die Gesetzesinitiative deshalb, weil sie dem Opferschutz den Stellenwert im Strafverfahren beimißt, den er verdient, weil die Opferorientierung zum Ausdruck kommt, über die wir alle miteinander - ich glaube, das gilt für alle Fraktionen - stärker als früher nachdenken.
Der Entwurf wird seinem Ziel, durch den Einsatz von Videotechnik sicherzustellen, daß Kinder, die
schon einmal Opfer von Sexualdelikten geworden sind, wenigstens im Strafverfahren weitgehend geschont werden, voll und ganz gerecht. Er entspricht auch den Forderungen, dem Opferanwalt im Strafverfahren mehr Gewicht zu verschaffen. Er sieht vor, daß schutzbedürftigen Kindern für den Zeitraum der Vernehmung ein Zeugenbeistand auf Staatskosten bestellt werden kann.
({6})
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sind die Gerichte und Staatsanwaltschaften aufgerufen, den Opfern und Zeugen im Gerichtsalltag mehr Beratung und Hilfe zuteil werden zu lassen. Der Gesetzgeber kann für die Verfahren immer nur einen bestimmten Rahmen setzen; seine Ausfüllung obliegt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz. Die aber haben den Ruf nach mehr Aufmerksamkeit für die Opfer schon längst gehört.
Ich darf auf ein Modell hinweisen - ich gehe davon aus, daß es in anderen Ländern ähnliche Einrichtungen gibt -: Ausgehend vom Landgericht Ravensburg betreuen bei uns die Referendare in besonderen Zeugen- und Opferschutzstellen die Opfer und die Zeugen. Der Zeuge, der sich meldet, wird, was den Gang des Verfahrens anbelangt, sozusagen ein bißchen an die Hand genommen, aufgeklärt über seine Rolle, über seine Möglichkeiten, auch über Hilfsmöglichkeiten, damit wir irgendwann einmal das Ziel erreichen, daß jemand, der in einem Verfahren als Zeuge mitgewirkt hat, wiederkommt und das nächste Mal nicht die Augen verschließt, weil er vor Gericht nicht mehr als Zeuge erscheinen will. Das gilt natürlich besonders für die Opfer.
In diesem Bereich kann man also über das hinaus, was der Gesetzgeber richtig beschließt, noch einiges tun: durch ehrenamtliches Engagement, durch außerordentliches Engagement über die beruflichen Pflichten hinaus. Es ist erfreulich, daß es gerade unsere jungen Leute sind, die Referendarinnen und Referendare, die sich da stark einsetzen. Ich begrüße die Gelegenheit, hier einmal allen, die sich um den Opferschutz bemühen, zu danken.
({7})
Ich meine, meine Damen und Herren, daß mit diesem Gesetzentwurf insgesamt eine Lösung gefunden worden ist, die die berechtigten Interessen der Opfer und die Interessen an einem zügigen und noch bezahlbaren Strafverfahren in ein angemessenes Verhältnis bringt.
Zusammenfassend kann ich schließlich sagen: Ich bin froh, daß es gelungen ist, innerhalb relativ kurzer Zeit eine Gesamtregelung zu finden, die wesentliche Verbesserungen zum Schutz vor gefährlichen Straftätern bringt. Auch wenn wir bei realistischer Betrachtung nie alle Straftaten werden verhindern können, zeigen diese Gesetze, daß wir willens sind, das Machbare zu tun.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Staatsminister der Justiz des Freistaates Bayern, Hermann Leeb.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesetze zum Sexualtäterkomplex und zur Strafrechtsreform wollen den strafrechtlichen Schutz vor allem von höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leib und Leben oder sexueller Selbstbestimmung stärken. Zugleich sind sie Ausdruck dafür, daß im Mittelpunkt einer verantwortungsvollen Kriminalpolitik das Opfer stehen muß.
Zentrale Bedeutung mißt die Bayerische Staatsregierung dem Schutz vor gefährlichen Straftätern bei. Dieses Thema hat die öffentliche Diskussion der letzten Monate nachhaltig beschäftigt. Die Stichworte Natalie, Kim sind bereits gefallen.
({1})
Wir alle kennen die Ängste und Sorgen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Politik, meine Damen und Herren, ist aufgerufen, die Ängste und Sorgen der Bevölkerung aufzunehmen. Natürlich kann man solche Taten nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen. Aber man muß alles menschenmögliche unternehmen, um ihnen entgegenzuwirken. Die Anstrengungen beschränken sich dabei nicht auf das Strafrecht. Ansetzen muß man bei der Prävention, ansetzen muß man in der Praxis der Strafverfolgung, und ansetzen muß man auch bei den Therapiemöglichkeiten.
Entgegen vielfach kolportierten Behauptungen sind wir auf diesem Gebiet nicht untätig geblieben. So versuchen wir in Bayern derzeit eine verstärkte Vernetzung der mit Straftaten des Kindesmißbrauchs befaßten Stellen. Trotz der außerordentlich angespannten Haushaltslage konnte ich in diesen Tagen eine neue sexualtherapeutische Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Würzburg in Betrieb gehen lassen. Schließlich hat der Bayerische Landtag mir Mittel bewilligt, damit ich auch externe Therapeuten verstärkt heranziehen kann.
Klar, meine Damen und Herren, ist andererseits, daß auch der Gesetzgeber seinen Beitrag leisten muß. Ich begrüße es, daß das Gesetz zum Sexualtäterkomplex zahlreiche Anliegen aufgreift, die Bayern seinerzeit in den Bundesrat eingebracht hat. Stichworte sind die Änderungen bei der vorzeitigen Entlassung von Straftätern, der Ausbau der Führungsaufsicht, die Ermöglichung der Sicherungsverwahrung bereits nach dem ersten Rückfall und natürlich auch Strafverschärfungen beim Kindesmißbrauch.
In einigen Punkten konnten wir uns nicht durchsetzen. So muß ich als Vertreter des Bundesrates zu dessen Gesetzentwurf hier das Monitum anbringen, daß die Mehrheit des Bundesrates den Kindesmißbrauch insgesamt gern zum Verbrechen aufgestuft gesehen hätte. Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Sicherungsverwahrung etwas anders geregelt worden wäre. Die Details will ich Ihnen und mir an dieser Stelle aber ersparen.
Auch das 6. Strafrechtsreformgesetz greift in zahlreichen Punkten Vorstellungen und Vorschläge der Bayerischen Staatsregierung auf. Ich nenne nur die Strafschärfungen bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung, mit denen unerträgliche Wertungswidersprüche beseitigt werden. Ich nenne die Änderungen bei den Körperverletzungsdelikten, die das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit stärken. Ich nenne die Reform der Brandstiftungsdelikte, die entsprechend unseren Vorstellungen gestaltet worden sind. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Einige Probleme gab es natürlich im Vorfeld dessen, was nun als Gesetzesbeschluß auf den Tisch gekommen ist. In der Frage des schweren Raubs konnten in verschiedenen Gesprächen zahlreiche Ungereimtheiten beseitigt werden, so daß mir, wenn auch mit etwas Bauchschmerzen, das zustimmungsfähig erscheint, was die Koalition auf den Weg gebracht hat.
Trotz mancher Abstriche, die man beim Lob des Gesamtvorhabens vornehmen muß, bin ich - zusammen mit der Bayerischen Staatsregierung - davon überzeugt, daß die heute zu behandelnden Gesetze das Instrumentarium zur Bekämpfung der Kriminalität insgesamt erweitern, daß sie die innere Sicherheit stärken und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor gefährlichen Straftaten verbessern. Wir werden die Vorhaben im Bundesrat unterstützen.
Wir müssen noch sorgfältig prüfen, ob wir auch den Entwurf zu einem Zeugenschutzgesetz, so wie er derzeit vorliegt, im Bundesrat unterstützen können. In der Zielsetzung des Opfer- und Zeugenschutzes gibt es keinen Dissens, Herr Kollege Geis. Man wird allerdings sehr sorgfältig abklopfen müssen, ob das, was Sie auf den Weg gebracht haben, mit den Vorstellungen des Bundesrates insgesamt vereinbar ist; denn alle 16 Länder hatten gemeinsam einen Entwurf zum Schutz kindlicher Opferzeugen eingebracht, der auch hier zur Beratung ansteht. Wir finden uns bezüglich der Belange, die der Bundesrat artikuliert hat, nur teilweise wieder.
({2})
Wenn Sie jetzt darauf hinweisen, daß das Institut des Zeugenbeistands geregelt werden soll, ist das sicherlich ein Weg in die richtige Richtung. Aber - hier möchte ich ein ursprünglich bayerisches Anliegen ansprechen dürfen - wir waren der Auffassung, daß das Institut des Zeugenbeistands, der dem Opfer in der Vernehmung punktuell zur Seite stehen kann, nicht ausreicht.
Wir wollten und wollen den Opferanwalt, der in allen Phasen des Verfahrens dem Opfer des Verbrechens zur Seite steht. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht. Er ist leider, Frau Wolf, an der Mehrheit der SPD-regierten Länder gescheitert.
({3})
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Sehr gern.
Herr Staatsminister Leeb, Sie haben anscheinend geahnt, daß das Stichwort „Opferanwalt" mich zu einer Zwischenfrage veranlaßt.
Zunächst: Wir sind hier der Deutsche Bundestag.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Natürlich!
Wir haben heute Anträge zu beraten und zu beschließen, die sich mit der Thematik des Opferanwalts befassen.
Es gibt einen Antrag der SPD, den wir natürlich auch im Familienausschuß beraten haben und über den wir dort abgestimmt haben. Gegen diesen Anrag haben die Kollegen von der CSU gestimmt, wie sie auch heute dagegen stimmen werden.
Es kann also nicht so sein, wie Sie sagen. Sie sagen: Die SPD-regierten Länder haben dagegen gestimmt. - Das kritisieren wir. Aber jetzt stimmen Ihre eigenen Kollegen von der CSU im Deutschen Bundestag dagegen. Können Sie mir bitte erklären, warum Sie es nicht geschafft haben, daß die CSU- Kollegen hier auf unserer Seite waren, um hier das Anliegen, das Sie sehr engagiert in Bayern vertreten, nämlich die Position der Opfer im Prozeß zu stärken, zu unterstützen? Warum haben Sie nicht Druck auf Ihre Kollegen und Kolleginnen im Deutschen Bundestag ausgeübt? Dann könnten Sie jetzt nicht sagen: Die SPD hat es verhindert. Wir sagen jetzt: Die CSU hat es verhindert.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Frau Kollegin Wolf, dazu darf ich Ihnen sagen, daß die Bayerische Staatsregierung natürlich kein Weisungsrecht gegenüber unabhängigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages hat.
Zum zweiten nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir die Forderung nach Einführung des Opferanwalts bei schweren Nebenklagedelikten nachdrücklich aufrechterhalten. Ich darf Ihnen versichern: Die Bayerische Staatsregierung wird nichts unversucht lassen, dieses Thema immer wieder und so lange zur Sprache zu bringen, bis es irgendwann seinen Niederschlag im Gesetzblatt findet.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Sehr gern.
Herr Minister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir im Opferschutzgesetz, das wir derzeit noch im Ausschuß beraten, dem Opferanwalt eine umfängliche Passage widmen und versuchen, das Institut des Opferanwaltes so durchzusetzen, wie das von Frau Wolf jetzt - entgegen der Mehrheit des Bundesrates - so dringlich gewünscht wird, wie es aber auch den Vorstellungen der Bayerischen Staatsregierung, die den Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht hat, wo er an der SPD-Mehrheit gescheitert ist, entspricht?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Herr Kollege Geis, es ist mir selbstverständlich bekannt, daß die Koalition dem Opferschutz eine sehr große Bedeutung beimißt. Ich weiß auch, daß Sie weiterhin an der Gewährung des Opferschutzes arbeiten. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß hierzu auch der eine oder andere Anstoß von uns ausgegangen ist. Ich denke etwa an das gesetzliche Forderungspfandrecht an Erlösen, die ein Täter für die Vermarktung seiner Story bekommt.
({1})
Dies zeigt, daß wir uns gemeinsam - Sie auf der Bonner Bühne und die Länder über den Bundesrat - des Opferschutzes annehmen und uns hier von niemandem übertreffen lassen wollen.
({2})
Herr Minister, auch die Kollegin Däubler-Gmelin möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Weitere Zwischenfragen würde ich an dieser Stelle aber nicht mehr zulassen. - Bitte.
Herr Minister, könnten Sie sich meiner Bitte anschließen - natürlich nicht im Sinne einer Weisung an die Kolleginnen und Kollegen, die selbstverständlich unabhängig sind -, einen stärkeren Schritt hin zum Opferschutz und auch hin zum Beistand von Anfang an - das bringen wir heute in zweiter Lesung ein - zu unterstützen? Dann wären wir gemeinsam ein Stück weiter. Vielleicht gelänge es Ihnen dann besser, unsere gemeinsame Haltung im Bundesrat durchzusetzen.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich habe hier zwar Rederecht, aber keine Stimme. Deswegen kann ich Ihnen bezüglich Ihres Anliegens - zumindest was die Abstimmung anbelangt - nicht hilfreich sein.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe zwei entzükkende Enkel: ein vierjähriges Mädchen und einen fast sechsjährigen Jungen. An beiden habe ich große Freude. Aber wenn ich oft lese und höre, welche Gewalttätigkeiten an Kindern verübt werden und was ihnen alles geschehen könnte, erfaßt mich das blanke Entsetzen. Ich frage mich: Wie kann ich meine Enkel schützen? Wie kann ich unsere Kinder vor jeder Form von seelischer und körperlicher Gewalt schützen?
Ich sage vorab: Wir können einem Kind keinen umfassenden Schutz vor Gewalt geben. Wir können Eltern nicht versprechen, daß ihrem Kind kein Mißbrauch widerfahren wird. Kinder werden immer wieder Gewalt - auch sexueller Gewalt - ausgesetzt sein. Wir werden sie sogar in der engsten Schutzgemeinschaft, in der Familie, nicht vollkommen dagegen schützen können. Aber wir alle in diesem Hause haben die Pflicht - ich möchte in diesem Hause nicht fluchen, wie es der Bundesminister der Justiz vorhin getan hat - und Schuldigkeit, unseren Kindern den höchstmöglichen Schutz vor sexueller Gewalt zu bieten.
({0})
Die vorgesehenen Änderungen des Sexualstrafrechts sind zu begrüßen. Sie sind aber kaum geeignet, Straftaten einzudämmen, geschweige denn sie zu verhindern. Ich bin fast 30 Jahre lang zuerst als Anwältin und später als Richterin tätig gewesen. Ich kann Ihnen aus meiner beruflichen Erfahrung sagen: Kaum ein Straftäter läßt sich von einer empfindlichen Strafandrohung abschrecken und an der Tatausübung hindern. Selbst Wiederholungstäter, denen Sicherungsverwahrung drohte, erklärten mir auf Vorhalt, sie seien davon ausgegangen, dieses Mal nicht erwischt zu werden. Wir müssen also mehr tun, als hart zu bestrafen oder nur wegzusperren. Wir müssen hier den umfassenden Schutz unserer Kinder gewährleisten.
Gewalt, insbesondere sexuelle Gewalt - das sagt die Erfahrung -, findet in überwiegendem Maße im sozialen Nahbereich statt. Rund 50 Prozent der Täter sind Bekannte, rund 20 Prozent Familienangehörige. Dies sind Tatsachen, aus denen wir endlich Konsequenzen ziehen müssen. Wenn wir den Täterkreis betrachten, stellen wir fest, daß dies überwiegend, nämlich zu 96 Prozent, Männer sind. Die Opfer sind vorwiegend Mädchen, nämlich zu 80 Prozent. Das wird insbesondere in weiten Bereichen der Medienindustrie und ihrer Kontrollinstanzen zuwenig berücksichtigt. Durch Film und Fernsehen werden Jungen durch Gewaltdarstellungen in Überlegenheitsphantasien bestärkt, während Mädchen in der Opferrolle dargestellt werden. Diese geschlechtsbezogenen Machtverhältnisse werden so weiter verfestigt. Das müssen wir möglichst ändern.
({1})
Ich möchte Ihren Blick aber auch noch auf einen anderen Punkt lenken. In vielen Fällen sind sexuelle Straftäter von gewalttätigen Eltern erzogen worden,
sind in ihrer Kindheit selbst Opfer von Gewalt, auch sexueller Gewalt, gewesen. Das ist natürlich keine Entschuldigung für ihr heutiges Verhalten; denn selbstverständlich ist die sogenannte schlechte Kindheit und Jugend keine Rechtfertigung für Gewalt. Aber es lassen sich dennoch Verhaltenswiederholungen bestimmen. Eine Kindheit, in der der Wert eines Menschen nicht geachtet wird, fördert ein menschenverachtendes Verhalten des Erwachsenen. Eine Erziehung, die von Gewalt nicht frei ist, begünstigt ein gewalttätiges Verhalten im späteren Leben. Gewalt erzeugt oft Gewalt, und Gewalt wird weitergegeben.
Dabei bedient sich der Täter oft eines Vorgehens, das wir alle schon seit frühester Jugend aus der Märchenwelt kennen. Vielleicht waren Märchen die Möglichkeit unserer Eltern und Großeltern, uns auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Denn Pädophile suchen sich wie der böse Wolf im Märchen eine meist kinderfreundliche Tarnung. Sie suchen in vielen Fällen eine Tätigkeit, die ihnen beruflich oder auch ehrenamtlich die Betreuung von Kindern ermöglicht. Hier knüpfen sie oft den ersten Kontakt zu den späteren Opfern. Das ist eine Erkenntnis aus der Untersuchung von Täterprofilen.
Es ist aber leider kein Märchen, das uns jetzt den Schauer aus der Kinderzeit über den Rücken jagt. Heute geht es um die Wirklichkeit, um die brutale, böse Realität, in der viel zu viele Kinder leben müssen.
Zur Wirklichkeit gehört auch, daß ein Sexualstraftäter die Möglichkeit hat, sich an einem anderen Ort unerkannt niederzulassen, wenn er seine Strafe verbüßt hat und sie auch verjährt ist. Niemand in seinem neuen Umfeld, weder Arbeitgeber noch Verantwortliche aus der Kinder- und Jugendfreizeit, erfahren etwas über seinen entsprechenden Hindergrund.
Kennen Sie Megans Gesetz? Ich nehme an, nicht. Nach dem Sexualmord an ihrer Tochter Megan erkämpfte ihre Mutter in New Jersey, USA, ein Gesetz: Der Wohnort von Sexualstraftätern wird öffentlich bekanntgegeben, und zwar ohne Rücksicht auf Verjährung. - Soweit kann man sicher nicht gehen. ({2})
Im Sommer 1994 war die siebenjährige Megan von einem bereits zweimal wegen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger einschlägig vorbestraften Nachbarn der Familie sexuell mißbraucht und umgebracht worden. Die Mutter: „Hätten wir gewußt, wer auf der anderen Straßenseite wohnt, wäre meine Tochter noch am Leben. "
Ich kann das Leiden dieser Mutter und die Verzweiflung spüren. Ich spüre auch die Einsamkeit in ihrem Schmerz. Ich frage mich: Was können wir für die Opfer und ihre Familienangehörigen in ihrem Leid tun? Sie fragen uns zu Recht oft: Wer hilft uns denn?
Leider sehen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, fast den alleinigen Weg zur Problemlösung in härteren Strafen. Sie rufen nach dem
Staat zur Gefahrenabwehr; das ist in Ordnung. Sie rufen nach schärferen Strafen; auch das tragen wir mit. Wir sind stets auch für eine große Strafrechtsreform gewesen, die die Wertigkeit der geschützten Rechtsgüter richtigstellt, die aber auch gründlich durchdacht ist. Wir sind gegen ein in sich widersprüchliches und hektisch durchgepeitschtes neues Strafrecht, das nur neue Probleme mit sich bringt.
({3})
Wir tragen deshalb auch die Verschärfung des Sexualstrafrechts mit und stellen einen Entschließungsantrag - der auf dem Tisch liegt -, der noch mehr umfaßt. Erkennen Sie nicht die Vielzahl der Möglichkeiten, die Prävention zum Schutze unserer Kinder bietet? Sie nehmen sie offensichtlich nicht ernst genug.
({4})
- Den kenne ich. Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Kostenargument; das habe ich heute morgen schon öfter gehört. Wir haben alle die Pflicht, den Schutz unserer Kinder über jede finanzielle Frage zu stellen. Da ist mein Appell auch an die Länder gerichtet.
Nur wenn wir allen Verantwortlichen der Kinder- und Jugenderziehung die notwendigen Rahmenbedingungen verschaffen, werden wir sexuellen Mißbrauch eindämmen können. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Kinder so zu erziehen, daß sie keine Opfer werden.
Jedes Kind hat seine eigene Persönlichkeit. Wir als Erwachsene haben diese zu respektieren. Wir müssen ihnen helfen, selbstbewußt und optimistisch in die Zukunft zu schauen. Ich möchte, daß sich meine Enkel und ihre Spielkameraden ihres eigenen Wertes bewußt werden. Dann werden sie auch als Erwachsene die Würde jedes anderen achten.
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- Das tue ich auch. - Ich möchte, daß sie lernen, nein zu sagen. Dann werden sie auch selbstbewußte Erwachsene sein. Ich möchte, daß sie zwischen guten und schlechten Geheimnissen unterscheiden lernen; denn dann werden sie auch als Erwachsene wissen, was Recht und Unrecht ist. Kurz: Kinder sollen zu selbstbewußten und mündigen Erwachsenen erzogen werden.
Deshalb lehne ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der SPD Gewalt in jeder Form als Erziehungsmittel ab. Die gewaltfreie Erziehung von Kindern gehört eigentlich in die Verfassung. Leider sind die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause nicht so angelegt, daß wir das erreichen könnten.
Zum Wohle unserer Kinder sollten Sie jedoch zumindest in der Lage sein, die gewaltfreie Erziehung im Familienrecht zu verankern. Aber auch das ist noch sehr fraglich.
Wir wollen weiterhin - da wissen wir uns mit dem Kinderschutzbund einig -, daß alle Maßnahmen ergriffen werden können, die präventiv wirken. Dies ist ein entscheidender Punkt, wenn wir Kinder wirklich vor sexueller Gewalt schützen und den Eltern Schutz nicht nur vorgaukeln wollen.
Präventionsarbeit als Pflicht aller Verantwortlichen muß im Kinder- und Jugendhilfegesetz abgesichert werden. Das Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen, so umfassend wie wir es verstehen, erfordert aber mehr.
Ich möchte auch sicherstellen, daß Personen, die wegen mit sexuellem Mißbrauch zusammenhängender Delikte vorbestraft sind, nicht als Betreuer mutmaßlicher Opfer beschäftigt werden können. Wir müssen im Interesse des Schutzes von kindlichen Opfern wirklich überlegen, wie wir hier helfen können. Ich frage mich, ob der Schutz von Kindern nicht wichtiger ist als der Datenschutz.
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Wir fordern in unserem Gesamtkonzept ferner staatliche Hilfe für die Opfer und ihre Familienangehörigen. Es reicht nicht, über die Täter, ihre harte Bestrafung und ihre anschließende Behandlung zu reden; Ziel muß vielmehr sein, mögliche Straftaten zu verhindern.
Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag den Gesetzgeber auf, auf vier Ebenen statt nur auf einer einzigen zu handeln. Neben der Verschärfung des Strafrechts setzen wir gleichermaßen auf Beratung, Therapie und umfassenden Opferschutz. Wir haben nicht nur einen Zeugenbeistand, sondern auch einen Opferanwalt gefordert, der das Opfer in der Verhandlung uneingeschränkt begleitet und seine Nöte kennt.
Die Koalition will heute offensichtlich jedoch nur den halben Weg gehen. Das ist zuwenig. Ich fordere Sie auf: Zeigen Sie Verantwortungsbewußtsein! Machen Sie weitere Schritte, um den langen Weg zum Ziel mit uns gemeinsam zu gehen!
Das folgende Zitat ist schon gefallen; ich möchte es trotzdem wiederholen: Die beste Kriminalpolitik - so hat bereits im vorigen Jahrhundert ein Jurist gesagt - ist immer noch eine gute Sozialpolitik.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die umfassenden Neuregelungen zum Strafrecht bilden den Schwerpunkt dieser heutigen Debatte gerade auch als Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt. Dies ist richtig und dringend notwendig. Ich bin für eine Strafverschärfung, für eine stringentere Handhabung der Sicherungsverwahrung und für mehr Therapiemöglichkeiten. Wir
haben als CSU-Landesgruppe bereits im Oktober letzten Jahres dazu eine Gesetzesinitiative gestartet.
Ich bin aber auch davon überzeugt, daß neben der stärkeren Schutzmauer des Strafrechts und des Strafvollzugsrechts ebenso die Verbesserung von Prävention und Opferschutz notwendig sind.
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Familien, Betroffene und Fachleute legen besonderen Wert auf eine umfassendere Aufklärung und stärkere Bewußtseinsbildung. Dies gilt ganz besonders vor dem Hintergrund, daß zwei Drittel aller sexuellen Gewalthandlungen von Tätern aus dem engeren sozialen Umfeld des Opfers begangen werden. Davon kommen nur etwa 10 Prozent zur Anzeige.
Hier sind ganz besonders Aufklärung und Beratung der Eltern wichtig. Denn die Eltern tragen die Hauptverantwortung für die Kindererziehung. Sie sind es, die die unterdrückten Hilferufe der Kinder erkennen und Schutz bieten müssen. Genauso notwendig sind aber auch eine stärkere Aufklärungsarbeit und bessere Hilfsangebote für Kinder. Wenn sie sich ihren Eltern nicht offenbaren können, müssen sie ohne Hemmschwelle andere Hilfen nutzen können, zum Beispiel das Kinder- und Jugendkrisentelefon, das derzeit auch in den neuen Bundesländern flächendeckend aufgebaut wird. Weiter ist es erforderlich, daß die Problematik der sexuellen Gewalt in die Aus- und Fortbildung von Pädagogen, Ärzten und Juristen einbezogen wird. Dazu sind Qualifizierungsmaßnahmen auch für das Fachpersonal in Kindergärten, Jugendämtern und Beratungsstellen sowie für Lehrerinnen und Lehrer notwendig.
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Es ist wichtig, daß die oft verdeckten Hilferufe von Kindern von ihnen nicht überhört werden.
Wichtig ist auch, daß wir die Rechte der Kinder in allen Lebensbereichen weiter stärken. Die UN-Kinderkonvention bietet dazu einen wichtigen Leitfaden. Mit der Kindschaftsrechtsrefom haben wir hier entscheidende Verbesserungen umgesetzt.
Die Befassung mit der Vielfalt der Präventionsmaßnahmen macht schnell deutlich, daß der Bund nicht allein helfen kann. Die Bundesländer und die Kommunen sind ebenfalls stark gefordert. Die Jugendämter vor Ort und die Familienberatungsstellen müssen für Kinder und Eltern vertrauensvolle Ansprechpartner sein. Die Erfahrungen zeigen, daß selbst bei einem guten Hilfeangebot die Hilfesuchenden oft trotzdem nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Da wir insbesondere die finanziellen Nöte der Kommunen nicht außer acht lassen können und uns vielmehr diesen Gegebenheiten stellen müssen, ist es um so notwendiger, daß die vorhandenen Hilfeangebote besser vernetzt und mehr als bisher bekannt gemacht werden.
Die Opfer sind als Zeugen fast immer unverzichtbar. Nur sie können die Täter tatsächlich überführen. Sie dürfen jedoch nicht unnötigen Qualen ausgesetzt werden. Deswegen ist es notwendig, daß wir die gesetzliche Grundlage des Zeugenschutzes durch die
Einführung der Videovernehmung und die Einführung des Zeugenbeistandes verbessern.
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Gleichzeitig müssen wir aber noch weitergehen. Wir befinden uns auch hier noch in der Beratung, Frau Wolf und Frau Brandt-Elsweier. Die betroffenen Familien fordern zu Recht einen Opferanwalt im Prozeß. Das unterstützen wir auch, denn für Opfer sexueller Gewalt ist es unzumutbar, die eigenen Interessen und Anliegen in einem Verfahren deswegen ohne anwaltliche Unterstützung vertreten zu müssen, weil sie es sich finanziell nicht leisten können.
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Daher setzen wir uns für den Opferanwalt ein. Wir tun das im Rahmen des zweiten Opferschutzgesetzes. Sie haben vorhin die Entscheidung des Familienausschusses angesprochen: Es ist ganz klar, daß wir Ihren Antrag aus fachlichen Gründen abgelehnt haben, weil die Sachverständigen sogar bei der von Ihnen initiierten Anhörung gesagt haben, daß Ihr Ansatz in der jetzt vorgelegten Form nicht durchführbar ist. Dieser fachlichen Stellungnahme haben wir uns angeschlossen. Wir verschließen uns überhaupt nicht weiteren Beratungen und sind für den Opferanwalt.
Natalie und andere Kinder könnten noch leben, wenn die Täter nicht vorzeitig aus der Haft entlassen worden wären. Von daher halte ich es für richtig, daß Sicherungsverwahrung in Zukunft bereits nach dem ersten Rückfall und auch unbefristet angeordnet werden kann.
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Ebenso konsequent ist es, bei der Strafaussetzung zur Bewährung stärker zu berücksichtigen, ob sie unter dem Aspekt des Schutzes der Gesellschaft und vor allen Dingen auch der Kinder tatsächlich zu verantworten ist.
Ich halte Strafverschärfungen bei Sexualverbrechen für notwendig und richtig und begrüße insbesondere auch das härtere Vorgehen gegen die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie, die ja auch hier einbezogen wird.
Wir dürfen aber nicht den Eindruck vermitteln, als könnten wir durch die richtigen und vielfältigen Maßnahmen, die wir jetzt beschließen, einen absoluten Schutz der Kinder garantieren. Gleichzeitig darf aber auch nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Gefahren täglich und überall lauern. Sensibilität im Umgang mit diesem Thema ist notwendig. Dies gilt nicht zuletzt für die Medien.
Wir sind uns alle einig, daß durch Prävention Kinder vor sexueller Gewalt besser geschützt werden können. Deswegen stellen wir heute einen Entschließungsantrag zur Abstimmung. Es wäre ein sehr gutes Signal an die Familien, wenn dieser Entschließungsantrag eine breite Zustimmung finden könnte.
Ich bin überzeugt davon, daß auf der einen Seite die strafrechtliche Regelung und auf der anderen
Seite die verbesserte Prävention das richtige Konzept für den besseren Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt sind. Vor allen Dingen die Eltern der betroffenen Kinder haben diese Maßnahmen schon lange gefordert. Ich bin dankbar, daß wir hier heute ein Gesamtpaket verabschieden können. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
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Das Wort hat jetzt die Ministerin Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Form körperlicher oder seelischer Mißhandlung an einem Kind ist unentschuldbar. Ihnen wird es ähnlich wie mir gehen: Ich kann mir manchmal gar nicht vorstellen, warum und mit welcher Brutalität gegen Kinder vorgegangen wird.
Sexueller Mißbrauch ist dabei eine der abscheulichsten Formen von Demütigung und Menschenverachtung. Sexuelle Gewalt an Kindern mißachtet die Rechte der Schwächsten in unserer Gesellschaft. Deshalb ist es unsere gemeinsame Pflicht, Kinder auf bestmögliche Weise zu schützen, damit Verbrechen wie die an Natalie oder Kim verhindert werden können.
Verehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich verstehe nicht ganz, warum Sie die Regierungskoalition und die Regierung für die Existenz von Sexualverbrechern verantwortlich machen. Wir hatten - das wissen Sie genauso gut wie ich - in den letzten Jahrzehnten eine recht konstante Anzahl von sexuellem Mißbrauch und Sexualverbrechen. Diese Zahl wird nicht durch irgendeine Handlung der Regierung beeinflußt. Was sich Gott sei Dank verändert hat, ist, daß wir endlich das Tabu gebrochen haben, über diese Verbrechen zu sprechen, sie anzuklagen und dagegen wirklich vorzugehen.
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Wenn Sie andere Bereiche meinten, dann will ich auch dazu gern etwas sagen. Wir haben gestern beispielsweise über einen Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität gesprochen und diskutiert. In diesem Zusammenhang verweisen Sie ebenfalls gern auf die Regierungsbank. Man muß dann aber darauf hinweisen dürfen, daß in den 80er Jahren die Kinder- und Jugendkriminalität rückläufig gewesen ist. Ich glaube nicht, daß Sie diese Tatsache mit Dank an die Bundesregierung verbunden haben. Es ist naheliegend, daß durch die seit 1990 bestehenden Veränderungen, die sehr viele soziale Umbrüche mit sich gebracht haben, und daß durch den Zuzug einer großen Zahl von Ausländern nach Deutschland, der große Integrationsleistungen erfordert, Probleme entstanden sind.
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Für mich zählt natürlich auch das Strafrecht, verbunden mit der Erhöhung von Mindest- und Höchststrafen, zu den Möglichkeiten des Schutzes der Kinder vor sexuellen Verbrechen. Ich wäre froh, wenn in Zukunft die Justiz die ihr zur Verfügung gestellten Strafmaße auch ausschöpfen würde. Es ist nicht einzusehen, warum Delikte gegen das Eigentum härter bestraft werden als Delikte gegen körperliche Unversehrtheit, zumal sexueller Mißbrauch von Kindern ganz sicher kein Vergehen und kein Kavaliersdelikt ist.
Das gilt erst recht für Täter, die sich zum wiederholten Male an Kindern vergreifen. Diese Täter müssen die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Deshalb stehe ich dazu, daß wir hier vereinbaren, daß für Wiederholungstäter im Einzelfall die Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, wenn Therapiemaßnahmen allein nicht ausreichen, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen. Ich finde, auch bei der vorzeitigen Entlassung von Wiederholungstätern muß viel sorgfältiger im Einzelfall geprüft werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jetzt zur Abstimmung anstehenden Gesetze sind Teil des Arbeitsprogramms der Bundesregierung gegen Kindesmißbrauch, Kinderpornographie und Sextourismus, das ich im Sommer dieses Jahres, rund ein Jahr nach der Stockholmer Konferenz gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, für die Bundesregierung vorgestellt habe. Neben der Strafgesetzgebung enthält es Maßnahmen in den wichtigen Bereichen der Aufklärung und Prävention und im Opferschutz.
Gerade den Schutz der betroffenen Kinder bei der Zeugenvernehmung halte ich für dringend geboten. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen vor weiteren Traumata im Gerichtssaal schützen, denn allein die Tat war Trauma genug.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muß uns vor allem darum gehen, solche Verbrechen von Anfang an zu verhindern, so gut es geht. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden: Wir werden keinen hundertprozentigen Schutz sicherstellen können. Deshalb dürfen wir in unseren Bemühungen um Aufklärung und Prävention nicht nachlassen, auch um Eltern Sicherheit im Umgang mit ihren Kindern zu geben und sie nicht weiter in Verunsicherung zu belassen.
Unser Aktionsprogramm sieht ganz konkrete Maßnahmen für die Kinder vor, beispielsweise durch den Aufbau eines flächendeckenden Netzes eines Kinder- und Jugendkrisentelefons in den neuen Ländern, wie wir sie hier in den Altbundesländern haben, und durch die finanzielle Unterstützung von Hilfs- und Beratungszentren. Es sieht Maßnahmen für die Eltern durch Aufklärungs- und Präventionsbroschüren und künftig auch in der Familienarbeit vor, ebenso für Multiplikatoren wie Erzieher, Lehrer, medizinisches Personal und Juristen, beispielsweise dadurch, daß Ausbildungsbausteine zur Verfügung
gestellt werden. Es sieht als weitere konkrete Maßnahme die Aufklärung mit Hilfe von Medienpaketen für Schulen zur Gewalt gegen Mädchen vor, die entwickelt werden, wie auch einen Informationsfilm und ein dazugehöriges Handbuch mit dem Titel „Stop - Kindesmißbrauch! "; beides wird im Frühjahr 1998 erscheinen.
Ich denke, wir geben damit Eltern und Multiplikatoren eine Vielzahl von Hilfen an die Hand, um den sexuellen Mißbrauch von Kindern zu bekämpfen. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, daß wir alles in unserer Kraft Stehende tun und uns in den uns zugänglichen Bereichen zugunsten unserer Kinder einsetzen und für sie handeln.
Die Eltern der Opfer, alle Eltern mit Kindern erwarten von uns zu Recht, daß wir entschlossen und einmütig vorgehen. Sexueller Mißbrauch von Kindern und Mord an Kinderseelen muß verhindert und konsequent verfolgt werden.
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Diesem Ziel kommen wir mit dem Arbeitsprogramm, kommen wir mit der Verschärfung des Sexualstrafrechts durch die heutige Verabschiedung der Gesetzentwürfe einen großen Schritt näher.
Vielen Dank.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, wobei ich darauf hinweise, daß es eine ganze Reihe von Abstimmungen sein wird.
Zunächst stimmen wir über die von der Bundesregierung sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwürfe zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten ab. Das sind die Drucksachen 13/8586 und 13/7163.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8989 Nr. 1, die Gesetzentwürfe zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Über einige Vorschriften stimmen wir trotzdem jetzt gleich einzeln ab.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Art. 1 Nr. 1 und 2 sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Ich rufe auf Art. 1 Nr. 3. Hierzu liegt auf Drucksache 13/9060 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der SPD abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die Art. 1 Nr. 3 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Art. 1 Nr. 3 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 bis Art. 6 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/9037. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ganzen Opposition angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9038. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9059. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der SPD abgelehnt worden.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Verbesserung des Schutzes der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern. Das ist Drucksache 13/8989 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/7559 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit einstimmig mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Änderung des Strafrechts - das betrifft die Sicherheitsverwahrung - auf Drucksache 13/2859. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8989 Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2859 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur wirksamen Verfolgung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, Drucksache 13/8989 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5139 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Das ist die Drucksache 13/8989 Nr. 5. Auch hier empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/7087 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Gesamtkonzept zum Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt, Drucksache 13/8989 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7092 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern, Drucksache 13/8989 Nr. 7. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7166 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Reform des Strafrechts, Drucksachen 13/7164 und 13/8587.
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 8991 Nr. 1, die Gesetzentwürfe zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte deshalb diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Es gibt hier jetzt einen Wechsel.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des § 174 c StGB, Drucksache 13/8991 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/8267 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung der §§ 174c und 174d StGB auf Drucksache 13/ 8548. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8891 Nr. 4, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8548 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, Drucksache 13/8991 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/2203 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes, Totengedenkstättenschutz, Drucksache 13/8991 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/ 3468 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD, und PDS gegen
Vizepräsidentin Michaela Geiger
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Bericht der Bundesregierung zur Frage gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Schutz vor sexuellem Mißbrauch in Abhängigkeits- und Therapieverhältnissen, Drucksachen 13/8336 und 13/8991 Nr. 7. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Entwurf des Bundesrates zur Bereinigung des Strafgesetzbuches und zur Reform der Strafvorschriften gegen Kinderhandel, Drucksache 13/8991 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/6038 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 17 d: Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Entkriminalisierung des Ladendiebstahls, Schwarzfahrens und der Fahrerflucht bei Sachbeschädigung, Drucksache 13/8991 Nr. 8. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2005 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Zusatzpunkt 9: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Straf- und des Sanktionenrechts, Drucksache 13/ 8957. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 17 e: Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren, Drucksachen 13/ 7165 und 13/8990 Buchstabe a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/ 9058 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der SPD zur Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Einsatz von Videogeräten bei Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung, Drucksache 13/8990 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3128 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates zum Schutz kindlicher Zeugen, Drucksache 13/8990 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/4983 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ({0})
- Drucksachen 13/8012, 13/8653, 13/8794 - ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 13/8994 Berichterstattung:
Abgeordneter Adolf Ostertag
Es liegen drei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Die Gruppe der PDS hat beantragt, daß über ihre Änderungsanträge auf den Drucksachen 13/9035 und 13/9036 namentlich abgestimmt wird.
Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob die Anträge der PDS das erforderliche Quorum erreichen, werde ich vor der Abstimmung feststellen.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden. Da zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren orangefarbenen Stimmausweis. Den Stimmausweis können Sie, soweit es
Vizepräsidentin Michaela Geiger
noch nicht geschehen ist, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. '
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die finanziellen Engpässe der öffentlichen Hand, insbesondere aber die hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen zwingen uns, neue Wege zu gehen, um aus diesem Dilemma herauszukommen. Dies sollte nicht nur für die Politik gelten, sondern auch für die Tarifpartner und die Gesellschaft insgesamt.
Wenn wir Entscheidendes ändern wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß sich einiges, vielleicht auch einiges mehr, in den Köpfen bewegen.
({0})
- Ja, es ist richtig: Bei uns muß sich etwas bewegen. Ich habe aber auch an die gedacht, die vom Herzen und vom gesunden Menschenverstand her etwas bewegen möchten, aber im Kopf bewußt eine Blockade aufbauen.
({1})
Wir können die Herausforderungen, die uns in Europa und weltweit ins Haus stehen, nicht mit den Gesetzen und Konzepten der 60er und 70er Jahre bewältigen. Deshalb ist es folgerichtig und logisch - es ist auch dringend geboten -, das AFG aus dem Jahr 1969 grundlegend zu reformieren.
Dies haben wir getan. Wir hätten die entscheidenden Teile dieser Gesetzesänderung, die auf Grund der Blockade des Bundesrates bisher nicht wirksam geworden sind, lieber schon Anfang des Jahres wirksam werden lassen. Dies war nicht möglich. Das holen wir heute nach.
Nachdem in wichtigen Punkten Konsens mit der SPD, insbesondere mit den SPD-regierten Ländern - ich bin einmal auf die Abstimmung nachher gespannt -, hergestellt werden konnte, ist dies ja möglich.
Ich möchte jetzt einige Hauptziele bei der Reform des Arbeitsförderungsrechtes nennen: Es sind dies die Verbesserung der Feststellbarkeit des Leistungsmißbrauchs sowie die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Es werden allerdings auch Hemmnisse beseitigt und Verwaltungsvorschriften praktikabler gemacht. Der Bußgeldrahmen bei Verletzung der Vorschriften, insbesondere bei Dumping und Schwarzarbeit, wird auf bis zu 500 000 DM erheblich erweitert. Verstöße gegen das Entsendegesetz treffen nämlich insbesondere - das möchte ich ausdrücklich sagen - das heimische Handwerk, das im Wettbewerb nur bei für alle gleichen Rahmenbedingungen bestehen kann. Wer dies mißachtet, muß bestraft werden. Da beißt keine Maus den Faden ab.
({2})
Um Leistungsmißbrauch und illegale Beschäftigung wirksam bekämpfen zu können, bedarf es einer möglichst reibungslosen Zusammenarbeit der Behörden. Dies war bisher nicht möglich. Die Behörden verfügen über wesentliche Daten und können bei Verfolgung der Delikte in sinnvoller Weise zusammenarbeiten. Da solche Regelungen ohne die Länderbehörden nicht möglich sind, brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates.
Durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz wurde das Monopol der Berufsberatung aufgegeben. Wir haben einen neuen Weg beschritten. Aber um dem Schutzbedürfnis insbesondere jugendlicher Ratsuchender in ausreichendem Umfang Rechnung zu tragen, soll die Bundesanstalt für Arbeit im Zusammenhang mit der Aufgabe der Berufsberatung verpflichtet werden, bei der mißbräuchlichen Ausübung der mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz zugelassenen Berufsberatung durch Dritte die weitere Ausübung dieser Beratungstätigkeit zu untersagen.
Das Arbeitsförderungs-Reformgesetz sieht wie das Arbeitsförderungsgesetz vor, daß Leistungsbezieher in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert sind. Dies gilt in Zukunft auch für privat Versicherte.
Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus weitere verwaltungsvereinfachende Regelungen für die Zusammenarbeit der Bundesanstalt für Arbeit mit Länderbehörden.
Das eine ist die Beseitigung des Mißbrauchs; das andere sind die Wege aus der Arbeitslosigkeit. Hier gilt es, Instrumente zu nutzen, um Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Wenn wir uns einmal vergegenwärtigen, daß es in Deutschland 1,3 Millionen Empfänger von Arbeitslosenhilfe und 700 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger gibt, dann sehen wir, daß wir hier eine Aufgabe haben. Wir müssen Brücken bauen, um sie wieder in den Arbeitsmarkt zurückzuführen.
({3})
Wie können wir dieser Bevölkerungsgruppe wieder Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Erwerbsleben verschaffen? Das ist entscheidend. Die Möglichkeiten hierzu sind eben noch nicht - ich würde sogar sagen: noch lange nicht - ausgeschöpft. Die Kombination von existenzsichernden sozialen Hilfen und Arbeit ist der richtige Weg. Dazu gibt es keine Alternative. Es darf nicht weiter so sein, daß diese Gruppe der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen wird.
Arbeit ist nach unserem Verständnis mehr als nur reiner Gelderwerb. Arbeit ist auch ein Stück Selbstverwirklichung. Die Einarbeitungsverträge, die Kombi-Maßnahmen und die Existenzgründungsmöglichkeiten, die das Arbeitsförderungs-Reformgesetz eröffnet - dort haben wir das eingebaut -, sollten noch mehr genutzt werden. Leider ist diese Botschaft
draußen nicht in der Weise angekommen, daß das den Arbeitslosen schon helfen könnte.
({4})
Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich anmahnen, daß wir diese Flexibilität, die wir mit der Reformierung des Arbeitsförderungsgesetzes geschaffen haben, auch nutzen, wie das beispielsweise in den Nachbarländern, zum Beispiel in Dänemark und in den Niederlanden, in Europa überhaupt, erfolgreich vorgeführt wird. Dort können wir lernen.
Ich fordere deshalb von dieser Stelle Wirtschaft, Gewerkschaften, Kommunen und Verbände auf, die Instrumente des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes zu nutzen und damit die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Ich würde es allerdings auch begrüßen, wenn die Opposition - ähnlich, wie es die A-Länder tun - bei diesem Stück des Reformwerkes mitwirken würde. Ich glaube, das gäbe ein gutes Beispiel nach draußen. Konsens im Sinne der Arbeitslosen wäre sicherlich geboten. Wir würden alle davon profitieren, denn diese Botschaft ginge an die Menschen, die auf unsere Zuwendung warten.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Adolf Ostertag, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es vergeht ja kein Monat, ohne daß der Kanzler die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 verspricht, und aus Nürnberg bekommt er dann monatlich eine schallende Ohrfeige, wenn die Zahlen veröffentlicht werden.
({0})
Es vergeht auch keine Woche - eben haben wir es auch von Herr Schemken wieder gehört -, in der nicht der Bundesarbeitsminister und die Koalitionsparteien den Arbeitgebern ihre neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente andienen. Die wissen inzwischen, wie erfolglos das ist. Da wird von grundlegenden Reformen der Arbeitsförderung gesprochen.
Diese leierkastenähnlichen Versprechungen werden noch bis Ende dieser Legislaturperiode andauern. Das müssen die Bürgerinnen und Bürger, das müssen wir ertragen. Dann werden allerdings die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wähler dieser Regierung den Leierkasten abnehmen, sprich: sie abwählen.
({1})
Was wurde uns nicht alles versprochen! Ich zitiere aus der vor dieser Legislaturperiode abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung der Noch-Regierung. Dort heißt es im Kapitel „Arbeitsmarktpolitik" :
Arbeitsmarktpolitik bleibt zur Entlastung des Arbeitsmarktes unverzichtbar, sie hilft bei der beruflichen Qualifizierung und flankiert wirtschaftlichen Wandel. Ihre Verzahnung mit regionalpolitischen und strukturpolitischen Anforderungen muß weiter verbessert werden.
Dazu kann die SPD sagen: Einverstanden! Aber es stellt sich natürlich gleich die Frage: Warum hat diese Bundesregierung dreieinhalb Jahre lang nicht danach gehandelt? Sie hat statt dessen in den letzten vier Jahren bewährte beschäftigungsschaffende und -sichernde Instrumente des AFG demontiert. Sie hat zuletzt mit dem SGB III zum finalen Kahlschlag angesetzt. Das ist eben ganz anders, Herr Schemken, als Sie gesagt haben.
Das Ergebnis ist die Rekordarbeitslosigkeit. Es muß befürchtet werden, daß wir im kommenden Winter 5 Millionen registrierte Arbeitslose haben. Das Versprechen Kohls von der Halbierung der Arbeitslosigkeit wird so endgültig zu einem schlechten Treppenwitz der Geschichte.
Die Fakten sehen eben anders aus: Allein innerhalb des letzten Jahres ist die Jugendarbeitslosigkeit um 10 Prozent gestiegen, bei den unter 20jährigen sogar um 16 Prozent.
Innerhalb eines Jahres sind über 270 000 neue Langzeitarbeitslose hinzugekommen. Das ist ein Anstieg um 23 Prozent.
Einzig als Folge des SGB III, des so hochgelobten AFRG und der völlig unzureichenden Finanzierung der Arbeitsförderung können heute rund 250 000 Menschen weniger an einer Qualifizierungs- oder Beschäftigungsmaßnahme teilnehmen als noch vor einem Jahr.
Im Jahre 1997 sind 41 Prozent weniger Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt worden als im vergangenen Jahr.
Das Ergebnis dieses Gesetzes werden immer mehr Arbeitslose sein, die immer eher in die Sozialhilfe abrutschen und aus der Gesellschaft gedrängt werden. Mit einem Wort: Die Regierung hat mit diesem Gesetz den Crashkurs in der Arbeitsmarktpolitik fortgesetzt.
({2})
Bei der heute anstehenden Entscheidung zum SGB III-Änderungsgesetz hat ja die Koalition ein tolldreistes Stück Parlamentsgeschichte geschrieben. Zur Erinnerung: Als die Koalitionäre den ursprünglichen AFG-Entwurf von Sachverständigen und auch vom Bundesrat um die Ohren gehauen bekommen haben, haben sie schnell einen Teil abgezwackt, der heute zur Entscheidung ansteht, und haben den materiellen Teil im vergangenen Jahr durchgepaukt.
Jetzt schieben Sie dieses Änderungsgesetz nach - ein Gesetz, das im Grunde genommen nach wie vor ein Torso ist. Wenn es für die Arbeitslosen und die um ihren Arbeitsplatz bangenden Menschen nicht so traurig wäre, könnte man ja über soviel Unverfrorenheit noch lachen. Aber die Situation ist viel zu ernst für die vielen Menschen.
({3})
Seit April 1997 sind schon wesentliche Bestimmungen des SGB III gültig. Eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt sucht man aber nach wie vor vergeblich. Statt dessen beschimpft die Bundesregierung die Arbeitgeber, sie nähmen die neuen Arbeitsförderungsinstrumente nicht an. Die Arbeitgeber ihrerseits werfen der Bundesregierung „mangelndes wirtschaftliches Verständnis" vor und verlangen weitere Entlastungen.
Es ist schon bemerkenswert: Jahrelang begünstigt die Bundesregierung die Arbeitgeber mit ihrer verhängnisvollen Deregulierungs- und Sozialabbaupolitik, und jetzt muß sie sich von ihrer eigenen Klientel schelten lassen. Aber auch hier gilt: Den Arbeitslosen nützt dieser Streit nichts.
Nicht viel gebracht haben auch die neuen Instrumente des AFRG, trotz der teuren Propagandaaktionen, die gelaufen sind. Seit April 1997 wurden bundesweit ganze 664 Eingliederungsverträge mit Arbeitslosen geschlossen. Es wurden weniger als 2800 Einstellungszuschüsse bei Neugründungen bewilligt
({4})
und nur für rund 80000 Arbeitslose Trainingsmaßnahmen ermöglicht. Trotz der vielbeschworenen neuen Instrumente und trotz aller Bemühungen sind heute mehr als 400 000 Menschen mehr arbeitslos als vor einem Jahr.
({5})
Inhaltlich bringt dieses Änderungsgesetz keine Trendwende in der Arbeitsmarktpolitik.
({6})
Wir verkennen nicht, daß gegenüber dem im Frühjahr verabschiedeten SGB III einige Regelungen verbessert wurden - Herr Schemken hat darauf hingewiesen -, die im bürokratischen Bereich liegen. Das wollen wir akzeptieren und anerkennen. Wenigstens in diesen Punkten ist die geballte Kritik von Bundesrat, Sachverständigen und Praktikern aus den Arbeitsämtern und Arbeitsgerichten auf Einsicht gestoßen.
({7})
Nur: Wenn die Regierung jetzt 10 Meter zurückrudert, vorher aber 100 Meter in die verkehrte Richtung gerudert ist, bleibt das SGB III immer noch ein Rückschrittsgesetz, dem wir als Sozialdemokraten nicht zustimmen können.
({8})
Die in der Koalitionsvereinbarung genannten Ziele, nämlich eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Verzahnung mit Struktur- und Regionalpolitik, hat diese Regierung schon längst aufgegeben. Angesichts der seit 1993 sukzessiv gestiegenen Arbeitslosenzahlen wäre ihre Verfolgung aber nötiger denn je gewesen. Das belegen die Zahlen Monat für Monat.
Wir, die SPD, haben bereits 1995 ein innovatives Gesetz vorgelegt, nämlich das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz. Dieses Gesetz hätte binnen kurzer Zeit rund 500 000 Menschen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt ermöglicht. Dieses ASFG wäre eine Reform gewesen, die ihren Namen wirklich verdient. Es hätte den Schwerpunkt in der Arbeitsförderung endlich von den passiven Maßnahmen auf die aktive Politik verschoben und die teure Finanzierung von Arbeitslosigkeit in die Finanzierung von Arbeit gewandelt.
Doch was haben diese, wie ich eingangs schon sagte, Leierkastenmänner der Regierungskoalition getan? - Immer wieder haben sie den vielgelobten Entwurf zerredet und ihn letzten Endes natürlich niedergestimmt. Sie haben all das nicht getan, was sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung vor dreieinhalb Jahren festgeschrieben haben. Sie haben eine wirkliche Reform verhindert.
({9})
Statt dessen müssen wir heute über ein Gesetz beraten, das die Flickschusterei fortsetzt, das die vom Grundsatz her verfehlte Arbeitsmarktpolitik letzten Endes kaschiert. Eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik und damit im Arbeitsmarkt kann es mit dieser Regierung nicht geben. Nach der Bundestagswahl wird eine sicherlich von uns geführte Regierung das ASFG in Kraft setzen und - davon bin ich überzeugt - eine Kurskorrektur vollziehen, um die strukturellen Probleme anzupacken und den Crashkurs zu beenden.
({10})
Eine Zustimmung der SPD zu diesem Crashkurs können Sie beim besten Willen nicht erwarten.
({11})
Die Bankrotterklärung an Ihre Arbeitsmarktpolitik müssen Sie schon alleine unterschreiben und vor den Wählerinnen und Wählern verantworten.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Marieluise Beck, Bündnis 90/ Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht geht es ein bißchen leiser. Es ist schon sehr schwer für die Redner, sich hier durchzusetzen.
Das sind die Sternstunden des Parlaments: Freitag mittag um halb eins vor der namentlichen Abstimmung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Schlachten geschlagen sind, dann muß man deren Ergebnis zunächst einmal akzeptieren. Die große Schlacht um das AFRG ist in den vergangenen Monaten geschlagen und von rotgrüner Seite verloren worden.
Marieluise Beck ({0})
Wir haben das Arbeitsförderungs-Reformgesetz abgelehnt. Zwar nimmt es durchaus auch vernünftige Ansätze auf, aber im wesentlichen markiert es den Abbau von Standards. Mit der Knebelung von Erwerbslosen kann man keine erfolgreiche Politik machen.
Heute stimmen wir über einen Wurmfortsatz ab, mit dem Sie die Länder ins Boot geholt haben. Diesen Kompromissen werden wir uns nicht entgegenstellen, zumal die Interventionen der A-Länder durchaus zu Verbesserungen geführt haben.
({1})
Sie sind im Zusammenhang mit dem AFRG mit sehr weitreichenden Ansprüchen aufgetreten. Herr Minister Blüm hat uns die Ausrichtung auf den ersten Arbeitsmarkt versprochen. Aber im wesentlichen haben Sie Konzessionen an Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik gemacht. Damit ist vom Ergebnis her nichts im Netz geblieben.
Erfolgreich waren Sie statt bei der Halbierung der Zahl der Erwerbslosen bei dem Projekt der Halbierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das ist wirklich das absolute Alarmsignal, daß nach Inkrafttreten des AFRG der Anteil der aktiven Arbeitsmarktpolitik von ehemals 50 Prozent auf ein Drittel heruntergefahren worden ist.
Auch wir sind für die Auflösung der starren Grenzen zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt; denn wir halten den zweiten Arbeitsmarkt für eine oft gefährliche Sackgasse für die Erwerbslosen. Aber es reicht eben nicht, einfach Ansprüche und Leistungen zu reduzieren.
Lassen Sie uns doch einmal ganz genau anschauen, was Sie gemacht haben. Das neue Instrument des Eingliederungsvertrags, das sehr arbeitgeberfreundlich ist, hat sich als Flop erwiesen. Ein halbes Jahr nach der Einführung dieses Instruments haben Sie gerade einmal 500 Abschlüsse zu verzeichnen, und das bei 1,5 Millionen Langzeitarbeitslosen.
({2})
Die untertarifliche Bezahlung, eines der zentralen Instrumente der Arbeitsförderung, hat keine positiven Beschäftigungseffekte gehabt. Es geht eben nicht um Billigarbeitsplätze. Es geht offensichtlich um etwas anderes, und das ist Qualifikation, Qualifikation, Qualifikation.
({3})
Auch Ihr Versuch, die polnischen Saisonarbeiter durch deutsche Arbeitslose zu ersetzen, ist fehlgeschlagen. Dieses Marktsegment eignet sich nicht für eine moderne Arbeitsmarktpolitik.
Bei der produktiven Arbeitsförderung, bei den Lohnkostenzuschüssen für Ostdeutschland, mußten Sie den Ansatz erst gestern um 1 Milliarde DM reduzieren, weil das Geld nicht ausgegeben, nicht gebunden werden kann - zwar sehr schön für Herrn Waigel, aber nicht schön für Ostdeutschland.
Sie müssen sich bei dieser Bilanz Ihres Gesetzes doch fragen, warum diese Instrumente keine beschäftigungspolitische Wirkung gehabt haben. Offensichtlich ergibt sich eine absolute Negativbilanz bei den von Ihnen angewendeten Instrumenten. Das allerdings ist eine Herausforderung für die Neueröffnung der Debatte.
Das, was bis jetzt passiert ist, ist tatsächlich keine sinnvolle Strategie gewesen. Man kann Ihnen auch sagen, warum: Sie können keine Beschäftigungspolitik machen, ohne gleichzeitig die Strukturen des ersten Arbeitsmarktes zu verändern.
({4})
Wenn Sie die Instrumente und Ansätze der Beschäftigungsförderung nicht mit einer Änderung der Strukturen auf dem ersten Arbeitsmarkt kombinieren, werden wir noch in zehn Jahren hier stehen und über Millionen von Erwerbslosen, die dauerhaft ausgegrenzt sind, klagen. Diese Herausforderung wollen Sie offensichtlich nicht annehmen. Aber nur hier besteht ein erfolgversprechender Ansatz für Arbeitsmarktpolitik, mit der die Dauerarbeitslosigkeit endlich beseitigt werden kann.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Gisela Babel, F.D.P.
Frau Präsidentin, wir befinden uns in der zweiten und dritten Lesung des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes. Auf Grund der leidenschaftlichen Beiträge der Opposition und aus der Tatsache, daß wir darüber mit Kanzlermehrheit abstimmen müssen, könnte der Eindruck entstehen, es handele sich hier um ein wichtiges Gesetz. Das ist nicht der Fall.
({0})
Man kann eine große Bilanz ziehen, aber das Gesetz selbst ist außerordentlich marginal. Die Notwendigkeit der Kanzlermehrheit ergibt sich nur aus der Tatsache, daß der Bundesanstalt für Arbeit neue Aufgaben übertragen werden und wir eine Kontrolle der Berufsberatung brauchen. Ich habe keinen Satz von den Kollegen der Opposition darüber gehört, daß Sie das, was Inhalt dieses Gesetzes ist, nicht für sinnvoll und richtig halten. Insofern denke ich, kann man das ein wenig weiter unten ansiedeln.
Frau Beck, ich möchte nur eine wertende Bemerkung machen. Ich verstehe den Widerspruch nicht, den Sie dadurch erzeugen, daß Sie die Erfolglosigkeit der arbeitsmarktpolitischen Instrumente darstellen, aber gleichzeitig ein Mehr an diesen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wollen.
({1})
Sie müßten sich in irgendeiner Weise zu einer in der
Tat kritischen Bilanz darüber aufraffen, was von uns
mit sehr viel Geld gemacht wird und welche Wirkung es hat.
Das SGB III-Änderungsgesetz enthält viele technische Vorschriften. Wir machen das Recht der Arbeitslosenversicherung handhabbarer. Einige der Vorschriften standen bereits im Arbeitsförderungs-Reformgesetz, denen der Bundesrat allerdings nicht zugestimmt hat. Deswegen mußten wir sie in einem gesonderten Gesetz vorlegen.
Ich darf Ihnen aber sagen, daß sich in der Zwischenzeit die Einschätzung auf seiten der Länder in manchen interessanten Fragen durchaus ein wenig geändert hat. Man kann von einem Gesinnungswandel reden; denn die Landesminister und Ministerpräsidenten der SPD rufen inzwischen unverhohlen zu einer strikten Anwendung der Zumutbarkeitskriterien auf. Diese neuen Kriterien sind noch im Frühjahr dieses Jahres auf vehemente Kritik der SPD in diesem Hause gestoßen.
Zum zweiten - ich begrüße das ausdrücklich - gab es klare Signale der Länder im Bundesrat, daß sie diesem Gesetz zustimmen werden. Ich finde es interessant, wie sich die Bundestagsfraktion der SPD demgegenüber aufführt.
Inhaltlich bemerkenswert ist die Anrechnung von Entlassungsabfindungen. Dazu gab es Kritik seitens der Gerichte, die sagten, daß das, was wir beschlossen hatten, zu mehr Streitigkeiten führen würde. Hier gibt es jetzt eine flexiblere Regelung, die gerade älteren Arbeitnehmern in Zukunft entgegenkommen wird. Es wird jetzt nicht mehr allein die Betriebszugehörigkeit, sondern auch das Alter berücksichtigt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß der mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz eingeführte Lohnkostenzuschuß für gewerbliche Unternehmen in den neuen Ländern nun auch in Westberlin - bisher war es auf Ostberlin beschränkt - gewährt wird. Ihn ausgedehnt zu haben erscheint mir sehr sinnvoll.
Wir haben einen weiteren Schwerpunkt bei der Verstärkung der Kontrolle illegaler Beschäftigung gesetzt. Ich bin der Meinung, daß wir alles daransetzen müssen, daß Gesetze auf Geltung und Wirksamkeit überprüft werden. Das ist bei einigen Gesetzen, zum Beispiel dem Entsendegesetz, besonders schwierig.
Man darf es aber mit den Kontrollen nicht übertreiben. Man darf die Schutzzäune für neue Vorschriften nicht so hoch ziehen, daß die Tätigkeit ausländischer Unternehmen in Deutschland in einem bürokratischen Dschungel geradezu unmöglich wird. Die F.D.P. hat gerade noch verhindern können, daß ein Generalunternehmer künftig für die Sozialabgaben seiner Subunternehmer in Mithaftung genommen wird. Es gilt also, ein wachsames Auge auf die Kontrollen zu haben; sie sollen nicht zu Schikanen werden.
Schließlich ist das SGB III noch für Änderungen in anderen Gesetzen in Anspruch genommen worden. Es ist also ein Omnibusgesetz geworden. Jeden Tag gab es schneefallartig neue Änderungsvorschriften, weil man offensichtlich übersehen hatte, welche Auswirkungen die Änderungen auf andere Gesetze haben. Ich frage mich manchmal, ob nicht wenigstens das Ministerium und alle anderen, wenn schon nicht das Parlament, noch den Überblick über das gesamte deutsche Gesetzeswerk haben.
Ich bedanke mich.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin allerdings der Meinung, daß es sich hier, Frau Dr. Babel, um ein wichtiges Gesetz handelt. Heute sollen wir nämlich beschließen, daß mit dem SGB III ein sinnvolles und beschäftigungswirksames Arbeitsförderungsrecht entwickelt wird. Das finde ich äußerst bedauerlich, denn das müssen Millionen Arbeitslose ausbaden.
Mit dem in diesem Gesetz vorgesehenen behördlichen Datenabgleich wird es sicher noch besser gelingen, alle Leistungsbezieher und Leistungsbezieherinnen grundsätzlich unter Mißbrauchsverdacht zu stellen und ihre Untaten aufzuspüren. Aber schon bei der Aufdeckung illegaler Beschäftigung, vor allem der wirklich Verantwortlichen, gehen Sie nicht halb so konsequent vor. Das ist es, was Ihre Politik so unglaubwürdig macht.
Es gibt in diesem Gesetz aber eine Reihe anderer substantieller Änderungen: die mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz eingeleitete Tendenz, Arbeitslose zu disziplinieren, ihre Qualifikation zu entwerten, ihnen jede Arbeit zuzumuten und die öffentlichen Mittel der Arbeitsförderung auf die Lohnsubvention gewerblicher Unternehmen zu konzentrieren und zu verstärken. Diese Entwicklung ist fatal und erweist sich beschäftigungspolitisch als Flop.
Am deutlichsten wird dies bei den von Ihnen so hoch gelobten Vergabe-ABM. Trotz üppigster Lohnkostenzuschüsse beißen die Arbeitgeber nicht an. Statt dessen aber brechen massenhaft gut arbeitende Beschäftigungsförderstrukturen, vor allen Dingen in den neuen Ländern, weg. Es gibt also keine besseren Chancen zur Integration von Langzeitarbeitslosen auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Was tun Sie also, statt für neue und zusätzliche Arbeit zu sorgen? Sie stellen die Instrumente nun auch für kurzfristig Arbeitslose bereit, wogegen ich im Prinzip überhaupt nichts habe. Nur, unter Ihren Bedingungen heißt das, daß damit unter den Arbeitslosen ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf um die knapper werdenden Mittel entstehen wird. Sie überlassen so die wirklich Förderbedürftigen ihrem Schicksal, auf Dauer ausgegrenzt zu sein. Das ist zutiefst unsozial.
({0})
Sie verpassen die Chance, mit dem Gesetzentwurf die richtigen Konsequenzen aus der sich weiter verschärfenden Situation auf dem Arbeitsmarkt zu zieDr. Heidi Knake-Werner
hen. Dies gibt keinem Arbeitslosen im Land neue Hoffnung und Initiative.
Deshalb haben wir von der PDS drei Änderungsanträge eingebracht, für die wir bei zweien um die namentliche Unterstützung bitten. Wir wollen erstens, daß allen arbeitslosen Menschen mit Behinderungen ein Rechtsanspruch auf volle berufliche Rehabilitation erhalten bleibt.
({1})
Zweitens wollen wir, daß, statt massenhaft Fördergelder in Ex-und-hopp-Maßnahmen zu verplempern, ein Fonds für soziale und ökologische Gemeinschaftsaufgaben geschaffen wird, aus dem dauerhaft neue Arbeit finanziert werden kann.
Drittens wollen wir durch die Schaffung eines Rechtes auf Ablehnung nicht versicherungspflichtiger und nicht tariflicher Beschäftigung mit der sich hier weiter ausbreitenden Doppelzüngigkeit aufhören, indem auch die Arbeitsämter nur noch dazu beitragen, diese Art der Beschäftigung auszuweiten.
Mit diesen Änderungsanträgen - so unsere Meinung - könnte das SGB III zu einer wirklichen Trendwende auf dem Arbeitsmarkt beitragen.
({2})
Ich erteile jetzt dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort und bitte Sie gleichzeitig, etwas ruhiger zu sein. Es ist ein starkes Gemurmel im Raum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Kollegen Ostertag wie immer mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Es ist wie auf einer alten Schallplatte, es kommt immer dasselbe: Crashkurs, finaler Kahlschlag, Bankrotterklärung, Zertrümmerung. Lieber Kollege Ostertag, wenn das so ist - Rückschrittsgesetz, Bankrotterklärung, Crashkurs -, wie erklären Sie sich dann
({0})
- Vorsicht mit Beifall -, daß der A- und S-Ausschuß des Bundesrates mit 16 : 0 diesem Gesetz zugestimmt hat?
({1})
Ich muß die SPD-geführten Länder ausdrücklich gegen die Unverschämtheiten des Kollegen Ostertag in Schutz nehmen.
({2})
- Man muß die Leute ja mal aufklären.
Was ist daran sozialer Rückschritt, wenn wir jetzt das Bußgeld für Verstöße gegen illegale Beschäftigung von 100 000 DM auf 500 000 DM erhöhen? Was, Kollege Ostertag, ist daran nicht im Sinne der Solidarität?
({3})
Die Solidarkassen sind schutzwürdig und schutzbedürftig. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität hat Rechte und Pflichten. Wenn wir die Solidarkassen gegen Mißbrauch, gegen illegale Beschäftigung, gegen Schwarzarbeit schützen, ist das ein Gesetz zur Sicherung der Solidarität und kein Zertrümmerungsgesetz. Ist denn die Welt übergeschnappt?
({4})
Das ist im Sinne der Arbeitnehmer, und das ist auch im Sinne der Arbeitgeber. Es kann nicht Sinn unseres Sozialstaates sein, daß derjenige, der sich an die Spielregeln hält, der Dumme ist, daß der Arbeitgeber, der seine Pflichten erfüllt, die Lasten für den anderen mitträgt. Wenn wir die Bußgelder erhöhen, dann ist das auch ein Signal an die Gerichte, illegale Beschäftigung nicht als ein Kavaliersdelikt zu behandeln.
({5})
Muß ich der Arbeiterpartei SPD erklären, was bei illegaler Beschäftigung passiert? Ausbeutung! Ich dachte, Sie wären die Partei gegen Ausbeutung. Hier werden ausländische Arbeitnehmer ausgebeutet. Wir schützen sie besser als bisher, und da tritt ein SPD-Sprecher auf und hält das für Rückschritt. - Sind wir denn auf der Geisterbahn?
({6})
Wir wollen, daß die Bundesanstalt stärkere Kontrollrechte bekommt, auch gegenüber den Generalunternehmern, denn auch sie stehen in der Pflicht. Da gab es bisher so gut wie keine Kontrolle. Die Bundesanstalt hat im letzten Jahr 22 000mal ein Bußgeld verhängt und 6500 Strafverfahren auf den Weg gebracht. Ist das im Sinne der Solidarität, oder ist das gegen die Solidarität? Die Anständigen müssen doch geschützt werden. Das Entsendegesetz bleibt doch auf dem Papier, wenn seine Durchsetzung nicht wirksam kontrolliert werden kann. Sie sind immer mit Papier zufrieden. Nein, wir wollen die Praxis verändern und Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser schützen, als das bisher der Fall war.
({7})
Wir wollen - das ist ebenfalls ganz praktisch - einen deutschen Gerichtsstand auch für ausländische Firmen. Damit hat auch der ausländische Arbeitnehmer eine Chance, in Deutschland zu klagen. Ebenso können die deutschen Urlaubskassen hier klagen und müssen das nicht in Lissabon oder irgendwo anders tun. Ist das im Sinne der Arbeitnehmer? Ist das im Sinne der Solidarität?
({8})
Das ist doch wieder ein klassisches Beispiel - alle Zuschauer müssen das mitbekommen -: Da tritt einer auf und nennt es Zertrümmerung des Sozialstaates, wenn wir nichts anderes machen, als ihn zu schützen. Aber das ist immer, wie ich sagte, die gleiche Schallplatte. Egal, was kommt, es wird immer die gleiche Schallplatte gespielt.
Die Finanzämter erhalten größere Eingriffsmöglichkeiten. Sie bekommen die Unterlagen von den
Landesarbeitsämtern und können damit prüfen, ob nach den Doppelbesteuerungsabkommen auch in Deutschland Steuern gezahlt werden müssen. Ist das im Sinne von Gerechtigkeit, oder ist das nicht im Sinne von Gerechtigkeit?
Trainingsmaßnahmen wurden neu eingeführt. Im übrigen, Herr Kollege Ostertag, für Sie und die Öffentlichkeit: Diese Trainingsmaßnahmen waren sehr erfolgreich. Von April bis Oktober gab es 76 000 neue Eintritte. Die Möglichkeiten sollen jetzt auch für Frauen verbessert werden. Wenn Kinderbetreuung notwendig ist, wird sie finanziell vom Arbeitsamt unterstützt. Ist das Rückschritt? Nennen Sie es Crashkurs, nennen Sie es Zertrümmerung, wenn nun Kinderbetreuung vom Arbeitsamt unterstützt wird, damit Trainingsmaßnahmen möglich werden?
({9})
- Wenn Sie mich reizen, sage ich es noch einmal ganz langsam: Bußgeld erhöhen, Trainingsmaßnahmen erleichtern, illegale Beschäftigung bekämpfen, Entsendegesetz wirksam machen - das nennt die SPD Rückschritt. Ich halte es für Fortschritt.
({10})
Die SPD, die hier sitzt, muß ihren Anhängern erklären, warum 16 Länder - darunter müssen doch auch ein paar SPD-regierte Länder sein - diesem Gesetz zustimmen und Sie sich - nicht warm und nicht kalt - mit Enthaltung heraushalten. Erklären Sie das einmal Ihren Anhängern!
Abfindungen werden auf das Arbeitslosengeld angerechnet, jedoch nicht bis 10000 DM. Das ist eine klare Regel.
Dann gibt es die Arbeitnehmerhilfe, die auch Arbeitslosengeldbeziehern gewährt wird. So bekommt jemand, wenn er als Saisonarbeiter arbeitet, noch 25 DM pro Arbeitstag zugezahlt. Ich wiederhole: Was ist daran unsolidarisch? Wenn für einen polnischen Mitbürger Erntearbeit zumutbar ist, warum dann nicht für einen deutschen Arbeitslosen? Haben wir zwei Klassen von Menschen? Menschenwürde ist völlig unabhängig von der Herkunft.
({11})
Die Debatte heute morgen war ein Beweisstück: Es gab große Worte und große Kanonenkugeln, alle mit den gleichen Hammerschlägen bearbeitet. Das Gesetz dient dem Schutz der Solidarität. Es ist ein Diebstahlsicherungsgesetz; denn auch die Sozialkassen müssen gegen Diebstahl geschützt werden.
({12})
Solidarität ist das Stichwort dieses Gesetzes, dem die SPD nicht zustimmt. Soweit sind Sie gekommen.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksachen 13/8012, 13/8653 und 13/8794. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/8994, die Gesetzentwürfe zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen.
Es liegen drei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Wie bereits zu Beginn der Aussprache mitgeteilt, hat die PDS beantragt, über die beiden Änderungsanträge auf den Drucksachen 13/9035 und 13/ 9036 namentlich abzustimmen. Dafür ist die Unterstützung von mindestens 34 anwesenden Abgeordneten erforderlich. Ich frage deshalb: Wer unterstützt den Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung? - Wir können so nicht zählen. Ich bitte die Abgeordneten, sich zu setzen, damit wir einen Überblick bekommen. - Die Schriftführer sind sich einig, daß das erforderliche Quorum nicht erreicht ist. Über die Änderungsanträge wird deshalb nicht namentlich abgestimmt.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/9034. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9035. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9036 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist wiederum mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die absolute Mehrheit erforderlich. Das sind mindestens 337 Stimmen. Deshalb benötigen Sie außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren Stimmausweis in der Farbe Rosa. Den Stimmausweis können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Bitte achten Sie darauf, daß Stimmkarte
Vizepräsidentin Michaela Geiger
und Stimmausweis Ihren Namen tragen, um Verwechslungen auszuschließen.
Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen, übergeben Sie bitte Ihren Stimmausweis einem der Schriftführer an der Urne.
Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, daß Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in die Urne geworfen werden dürfen, die vorher ihren Stimmausweis übergeben haben.
Ich bitte nun die Schriftführer und Schriftführerinnen, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 e auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/1439 - ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/422 - ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 13/8917 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Alfred Hartenbach
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der weiteren Abgeordneten der PDS
Senkung der Promille-Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille
*) Seite 18476 A
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann ({4}), Albert Schmidt ({5}), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Senkung der Promille-Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille
- Drucksachen 13/612 ({6}), 13/694, 13/8917 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Alfred Hartenbach
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/3764 - ({7})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({8})
- Drucksache 13/8979 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Günter Oesinghaus
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 13/6914 - ({9})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({10})
- Drucksache 13/7888 - Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Jung ({11}) Elke Ferner
Gila Altmann ({12})
e) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze
- Drucksache 13/5418 -({13})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des StraßenverkehrsVizepräsidentin Michaela Geiger
gesetzes und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
- Drucksache 13/3691 - ({14})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15})
- Drucksache 13/8655 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten Alfred Hartenbach
Es liegen mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge vor. Der Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/7906 zum Straßenverkehrsgesetz auf Drucksachen 13/6914 und 13/7888 wurde zurückgezogen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang von Stetten, CDU/ CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Fast eine Odyssee", so kann man die Debatten um die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwürfe nennen, wobei es um eine ganz Reihe von unstreitigen Themen geht, insbesondere bei der Frage der Umsetzung der Euro-Richtlinien für Führerscheine, Fahrerlaubnisse und Fahrlehrerausbildung. Die strittigen Punkte waren - sie sind es letztlich auch heute noch, wie die eingebrachten Anträge zeigen -, wie wir in Zukunft mit der Fahrtüchtigkeit in bezug auf den Konsum von Alkohol und Drogen umgehen.
Es ist kein Geheimnis, daß ein Großteil unserer Fraktion gerne bei der 0,8-Promille-Grenze geblieben wäre, weil die meisten keinen Handlungsbedarf sahen. Es war und ist eine Illusion, zu glauben, daß diejenigen, die in der Vergangenheit unter Alkoholeinfluß gefahren sind, deswegen keinen Alkohol mehr trinken, weil das Überschreiten einer von 0,8 auf 0,5 Promille abgesenkten Grenze als einer Warnfunktion oder Schwellenstufe mit einem Ordnungswidrigkeitengeld und mit Punkten in Flensburg belegt wird.
Viel wichtiger ist, daß in Zukunft neben der Blutprobe auch die Atemalkoholanalyse zugelassen ist, wobei hier sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, weil die Erfahrung der Praxis noch die eine oder andere nicht erkennbare Auswirkung mit sich bringen wird.
Mein Vorschlag, es im Regelfall bei der Grenze von 0,8 Promille zu belassen, dafür aber für die Zeit des Führerscheins auf Probe eine 0,0-Promille-Regelung einzuführen, hat leider nicht die Mehrheit gefunden. Auch die SPD hat in diesem Punkt keine Gegenliebe gezeigt. Durch diese Regelung hätte ich mir eine Verstärkung der Vernunft unserer jungen Leute versprochen, die im übrigen heute schon überwiegend für die Fahrt zum Disco-Besuch und zu Veranstaltungen Fahrgemeinschaften bilden. Die Crew achtet dabei sehr genau darauf, daß derjenige, der für diese Aufgabe, an diesem Abend zu fahren, ausgesucht oder auch ausgewürfelt wurde, keinen Tropfen Alkohol trinkt. Trotzdem: Mit dem Damoklesschwert, schon bei geringsten Alkoholmengen die Fahrerlaubnis zu verlieren, wäre auf manchen Neuling ein noch stärkerer Druck ausgeübt worden.
Auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, müssen ja immer wieder montags beim Aufschlagen der Zeitung die Berichte über Unfälle von meist jungen Leuten lesen, die an den Wochenenden ihr Leben verloren haben. Häufigste Unfallursachen sind überhöhte Geschwindigkeit und Alkoholkonsum. Sie verursachen die für junge Leute typischen Unfälle.
({0})
Dennoch stehe ich voll und ganz hinter dem Kompromiß der Koalition, weil naturgemäß die Regelungsdichte und Einführung der 0,5-PromilleGrenze, sozusagen die gelbe Karte im Straßenverkehr, wieder die Aufmerksamkeit auf die Unfälle lenkt, bei denen Alkohol im Spiel ist.
Wir sollten aber eines wissen: Wir sind kein Volk von alkoholisierten Fahrern, wie manche uns weismachen wollen. Alkoholfahrten sind die Ausnahme.
({1})
Fahren ohne Alkohol ist in über 98 Prozent die Regel.
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben gezeigt, daß über den Alkohol hinaus jede Art und jede Menge von Drogen im Straßenverkehr zu verminderten Reaktionen, zu Fehlreaktionen oder auch Aggressionen führt. Deswegen haben wir, zunächst im Einklang mit den Damen und Herren von der Opposition, die Drogenproblematik aufgenommen.
Wir waren uns einig, daß - unabhängig von anderen Vorschriften - der Konsum von Drogen dann eine Ordnungswidrigkeit darstellt, wenn der Betroffene ein Fahrzeug führt. Er kann nun mit einem Bußgeld bis zu 3 000 DM oder auch einem Fahrverbot belegt werden. Ich glaube, das ist eine wirksame Maßnahme.
Wir sind mit der SPD-Opposition deswegen nicht einig geworden, weil die Sozialdemokraten nicht bereit waren, jede Art Drogennachweis für jemanden, der ein Kraftfahrzeug führt, ausreichen zu lassen, sondern abgestufte Kriterien forderten.
({2})
Unabhängig davon, daß es schwierig ist, bei den sehr unterschiedlichen zugrunde liegenden Substanzen Stufen einzuführen, ist dies auch ordnungsrechtlich sehr bedenklich. Jeglicher Handel mit Betäubungsmitteln aller Art ist strafbar, und wenn schon der Eigenverbrauch als solcher nicht verfolgt wird, so sind doch die Bürger vor den Folgen dieser Handlungen zu schützen.
So ist es nicht mehr als konsequent, jegliche Einnahme von berauschenden Mitteln im Straßenverkehr zu verbieten, urn auch nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen, daß man geringe Mengen für ungefährlich hält und durch Billigung verniedlicht.
Folgerichtig werden zu den klassischen berauschenden Mitteln wie Cannabis, Heroin, Morphin, Kokain auch die Amphetamine einschließlich der Designer-Amphetamine hinzugerechnet, um keine Lükken zu lassen. Wir haben vorgesorgt, daß seitens des Bundesministers für Verkehr im Einvernehmen mit dem Minister für Gesundheit und dem Minister der Justiz sowie mit der Zustimmung des Bundesrates weitere Mittel und Substanzen hinzugerechnet werden können.
Zusammen mit Herrn Hartenbach ist es mir gelungen, etwas durchzusetzen, was andere jetzt als ihren Erfolg feiern, nämlich die Möglichkeit für diejenigen, die noch nicht mit einem Fahrverbot belegt waren, sich als Ersttäter den Termin dafür innerhalb von vier Monaten aussuchen zu können, damit es sie nicht gleich wie einen Keulenschlag trifft. Davon versprechen wir uns eine deutliche Entlastung der Gerichte, weil vielfach Rechtsmittel nur eingelegt wurden, um mit der Rücknahme des Rechtsmittels zu einem geeigneten Zeitpunkt das Fahrverbot in Kraft treten zu lassen. Richtig ist, daß wir dies nicht für Wiederholungstäter wollen.
Eine Expertengruppe der CDU/CSU hat in den vergangenen Wochen ein deutliches Signal setzen wollen. Wir wollen nämlich nicht den Eindruck erwecken, daß Autofahrer Gegner sind, und wir finden, daß Autofahrer nicht Melkkühe werden dürfen.
Wir wollen deswegen in Zukunft - dazu dient unser Entschließungsentwurf - deutlich auch dem Gestrüpp von unübersichtlichen Bestimmungen entgegentreten und Autofahrer, die sich lange Zeit ordnungsgemäß verhalten haben, die keinen Eintrag aufweisen, mit einem Bonussystem belohnen.
({3})
Dazu gehört unter Umständen auch - das ist noch etwas strittig -, daß Fahrverbote auf Zeit ausgesetzt werden können, eigentlich eine logische Folge. Warum sollte, wenn ich eine Freiheitsstrafe auf Zeit aussetzen kann, dies nicht auch für eine geringere Nebenstrafe bei Ersttätern möglich sein? - Wir wollen damit zeigen, daß wir ein autofreundliches Land sind und nicht die Autofahrer verteufeln.
Der große Teil der Autofahrer fährt verantwortungsbewußt, und wir wollen das mit einem Bonussystem belohnen. Einzelheiten will ich hier nicht nennen, aber es ist wichtig, daß jeder weiß, daß er auch einen „Fehltritt" wiedergutmachen kann.
Meine Damen und Herren, die medizinisch-psychologische Untersuchung ist für Betroffene oft zu einem Horror- und Folterinstrument geworden.
({4})
Für die Betroffenen - entweder mit hohem Blutalkoholgehalt oder Wiederholungstäter - ist die vom Gericht ausgesprochene Sperre völlig uninteressant, weil die Probleme erst dann beginnen, wenn der Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bei der Verwaltungsbehörde gestellt wird. Was hier geschieht, ist oft nicht nachvollziehbar, und es wird höchste Zeit, daß wir einheitliche Richtlinien auf stellen, damit manche Willkür entfällt.
Der Schilderwald ist zu durchforsten; notwendige Geschwindigkeitsbeschränkungen sind auf ihren Zweck zu begrenzen. Temposchilder zum Beispiel an Schulen und Kindergärten verlieren nachts und in den Ferien völlig ihren Zweck.
Geschwindigkeitsanordnungen sind auch zu überprüfen, wenn sie zur Begrenzung des Lärmpegels dienen. Eine solche Begrenzung müßte für Lkws ausreichen und nicht auf Pkws ausgedehnt werden.
Meine Damen und Herren, wenn die SPD generell Tempo 30 in der Stadt fordert, so ist das wirklichkeitsfremd und auch nicht einzuhalten.
({5})
Wenn dann noch morgens um 6 Uhr oder nachts um 24 Uhr in solchen Zonen Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt werden, dann dient dies eben nicht der Sicherheit, sondern der Autofahrer wird zugunsten des Stadtsäckels abgezockt. Dies wollen wir in Zukunft verhindern. Wir werden daran arbeiten, diese Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode vorlegen zu können.
Meine Damen und Herren, mit den heute vorgelegten Gesetzentwürfen sind sinnvolle, maßvolle und nachvollziehbare Regeln eingeführt, die den redlichen Autofahrer nicht berühren und die Fahrer durch Geldbußen oder Strafen zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Verkehr anmahnen, wenn sie gefehlt haben. Ich bitte daher um Zustimmung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und F.D.P. wird die von der SPD, den Grünen und der PDS vorgelegten anderen Gesetzentwürfe und Entschließungen als überzogen, unnötig oder nicht durchführbar ablehnen.
Danke schön.
({6})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch auf Drucksachen 13/8012, 13/8653, 13/8794 und 13/8994 mitteilen. Abgegebene Stimmen: 620. Mit Ja haben gestimmt: 340. Mit Nein haben gestimmt: 27. Enthaltungen: 253. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Vizepräsidentin Michaela Geiger Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620; davon
ja: 340
nein: 27
enthalten: 253
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({1}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Hartmut Büttner
({3})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({4}) Peter Harry Carstensen
({5})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({6})
Leni Fischer ({7})
Klaus Francke ({8}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({9}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({10}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({11}) Hansgeorg Hauser
({12}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({13}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
({14})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({15}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({16})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link ({17}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({18})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({19}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({20}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({21}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({22})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({23}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({24}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({25}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({26}) Klaus Dieter Reichardt
({27})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({28}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
({29}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({30})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Riffle
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({31}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({32}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({33})
Andreas Schmidt ({34}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({35}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({36}) Gerhard Schulz ({37}) Frederick Schulze
({38}) Diethard Schütze ({39}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({40})
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({41}) Gert Willner
Willy Wimmer ({42}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({43})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({44})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert ({45}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({46}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({47})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Wemer Rolf Köhne
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({48}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Fraktionslose
Kurt Neumann ({49})
Enthalten
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury
Hans Büttner ({50}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Lothar Fischer ({51}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({52}) Angelika Graf ({53}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({54})
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({55}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({56}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({57}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Detlev von Larcher Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({58}) Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({59})
Winfried Mante Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({60}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({61}) Jutta Müller ({62}) Christian Müller ({63}) Volker Neumann ({64}) Gerhard Neumann ({65}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer ({66})
Ulla Schmidt ({67}) Dagmar Schmidt ({68}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({69})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann ({70})
Brigitte Schulte ({71}) Volkmar Schultz ({72})
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({73}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling
Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt ({74})
Karsten D. Voigt ({75}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Reinhard Weis ({76}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({77}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({78}) Marieluise Beck ({79}) Volker Beck ({80})
Angelika Beer
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({81}) Joseph Fischer ({82}) Gerald Häfner
Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller ({83}) .Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch ({84}) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({85}) Wolfgang Schmitt
({86})
Ursula Schönberger
Werner Schulz ({87}) Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({88})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({89}) Terborg, Margitta, SPD
Jetzt erteile ich das Wort der Abgeordneten Elke Ferner, SPD.
Frau Präsidentin! Lassen Sie mich zu Beginn außerhalb meiner Redezeit noch eine Korrektur zu der Beschlußempfehlung zum Straßenverkehrsgesetz vortragen, auf die wir uns einvernehmlich geeinigt haben, weil der gleiche Sachverhalt auch im Ordnungswidrigkeitengesetz enthalten ist. In der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Drucksache 13/7888, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, Drucksache 13/6914, haben in Art. 1 Nr. 14 die Buchstaben b - das betrifft § 25 Abs. 2 a neu StVG - und f - das betrifft § 25 Abs. 8 StVG - zu entfallen, da die betreffenden Regelungen in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, Drucksache 13/8655, zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, Drucksache 13/5418, ihrerseits getroffen worden sind.
Das ist die Korrektur der Beschlußempfehlung, Frau Präsidentin.
({0})
Nun eine Vorbemerkung zur heutigen Debatte. Wir sollen heute in einer Stunde - zunächst war nur eine halbe Stunde vorgesehen - vier höchst komplexe Themen behandeln, die für die Verkehrssicherheit und die künftige Verwaltungs- und Gerichtspraxis von entscheidender Bedeutung sind. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, über Peinlichkeiten sprechen Sie natürlich nicht gerne.
({1})
Zur Umsetzung des EU-Führerscheins kann ich deshalb nur wenige Bemerkungen machen. Die nationale Umsetzung war schon 1994 fällig. Man mußte sich aber zuerst über die letzte Bundestagswahl und dann noch über verschiedene Landtagswahlen retten, bevor man mit der Umsetzung begonnen hat. Im März haben wir Berichterstatter begonnen, die parlamentarische Beratung aufzunehmen, und waren vor der Sommerpause soweit, daß man darüber hätte eigentlich abstimmen können. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich beim Ausschußsekretariat und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die gute Vorbereitung bedanken.
Die Mehrheit dieses Hauses war dann aber zu feige, über einen Änderungsantrag meiner Fraktion abzustimmen, und hat den ganzen Gesetzentwurf schlicht und ergreifend abgesetzt. Jetzt haben Sie ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission am Hals.
({2})
Das ist die Quittung für Ihre taktischen Spielchen, die Sie auch mit anderen Gesetzen permanent treiben.
({3})
Der Gesetzentwurf selber enthält in wesentlichen Teilen wichtige und positive Neuregelungen, die wir ausdrücklich begrüßen. Aber Sie schütten natürlich wieder einmal das Kind mit dem Bade aus. Die Verkehrssicherheit wird durch zahlreiche Regelungen wie mit einer Dampfwalze plattgemacht, zum Beispiel durch die Begünstigung von Amokfahrern im Punktesystem. Wer also innerhalb kürzester Zeit rote Ampeln überfährt, zu schnell und mit kurzem Abstand fährt, soll im Ergebnis dann besser dastehen als diejenigen, die ihre Punkte langsam angesammelt haben.
({4})
Ein anderes Beispiel ist der Einstieg in eine freiwillige zweite Fahrausbildung. Sie wird vom Minister
gewollt, von Experten gefordert, von Union und SPD unterstützt und von der F.D.P. blockiert.
({5})
Ich hätte mir gewünscht, daß die Koalition die notwendigen Konsequenzen aus der Anhörung „Junge Fahranfänger" zieht, Herr von Stetten. Aber Sie sind überhaupt nicht mehr in der Lage, ein einziges Problem in dieser Republik positiv zu regeln.
({6})
Das Ganze gipfelt darin, daß dieses Parlament aus der Zeitung weitere Schritte des Ministeriums und der Koalition gegen die Verkehrssicherheit erfahren muß. Der Ministerpräsident kündigt nämlich an, Raser für ihren Nervenkitzel damit zu entschädigen, daß im Wiederholungsfall einer Überschreitung zwischen 26 und 31 km/h innerorts beispielsweise kein Fahrverbot mehr verhängt werden soll. Die Koalition entblödet sich auch nicht, diesen Vorschlag in ihrem Entschließungsantrag aufzugreifen.
Damit ist es aber noch nicht genug. Tempo-30-Zonen behindern die Raser. Also ändern Sie kurzerhand die Regeln, damit die Kommunen, in denen bereits Tempo-30-Zonen eingerichtet wurden, diese wieder raserfreundlicher gestalten. Da kommt bei Eltern kleiner Kinder und sicherlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen in den Stadt- und Gemeinderäten richtiggehend Freude auf.
Sie können aus unserem Änderungsantrag und auch aus unserem Entschließungsantrag ersehen, welche konkreten Vorschläge wir zum Führerschein und zur Verkehrssicherheit haben. Aber Sie werden das wahrscheinlich wie immer blockieren, weil der Schwanz wieder einmal mit dem Hund wedelt.
Bei den Änderungs- und Entschließungsanträgen scheint der Koalition und auch den Grünen weitgehend der Überblick dafür verlorengegangen sein, zu welchem Gesetzentwurf man welche Änderungsanträge stellt.
({7})
Was hat beispielsweise der Gesetzentwurf zu Drogen im Verkehr mit Tempo-30-Zonen zu tun? Bei dem Änderungsantrag der Grünen zur Senkung der Promillegrenze auf 0,0 Promille wird die Zahl „0,8" lediglich durch „0,0" ersetzt, aber alles, was dahinter kommt, die Koalitionsregelung zu 0,5 Promille und die Regelung zur Atemalkoholanalyse, wird unangetastet gelassen. Insofern werden wir dieses ganze Sammelsurium an Änderungsanträgen ablehnen.
Jetzt zur unendlichen Geschichte der Absenkung der Promillegrenze. Unsere Vorschläge liegen seit mehr als fünf Jahren auf dem Tisch. Mit dubiosen Verfahrens- und Geschäftsordnungstricks blockiert die Koalition seit Jahren jede Abstimmung. Herr Kollege von Stetten schreibt in einem Brief an seinen Parteifreund Wissmann, daß er seit Jahren „immer
wieder bei den Verzögerungen zur Verhinderung der Abstimmung aktiv mitgewirkt" hat.
({8})
Das zeigt die Blockadehaltung dieser Koalition insgesamt.
Die gesamte Verkehrswissenschaft, die Autoversicherer, die Verkehrssicherheitsverbände, der Verkehrsgerichtstag und nicht zuletzt die große Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen schütteln ihre Köpfe über die Selbstblockade der Koalition.
({9})
Wenn es eine freie Abstimmung gegeben hätte, wäre die Promillegrenze längst nach unseren Vorschlägen abgesenkt.
({10})
Wir wissen alle, daß schon ab 0,5 Promille die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit so deutlich herabgesetzt ist, daß das Unfallrisiko nicht mehr tolerabel ist.
({11})
Die jetzige 0,8-Promille-Grenze ist eindeutig zu hoch. Schon ab 0,5 Promille treten regelmäßig gefährliche Ausfallerscheinungen auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier um das Leben und die Unversehrtheit von Menschen, um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.
({12}) Ihre Gegenargumente ziehen einfach nicht.
({13})
Zwar wird die Mehrzahl der schweren Verkehrsunfälle bei Werten weit oberhalb von 0,8 Promille begangen, aber die Absenkung der Promillegrenze führt dazu, daß man sich nicht mehr so schnell an die höheren Werte herantrinkt. Sie setzt außerdem ein eindeutiges politisches Signal, das von der großen Mehrheit der Bevölkerung mit Sicherheit auch richtig verstanden wird.
({14})
- In den Niederlanden, lieber Kollege Friedrich, ist nämlich nach Einführung der 0,5-Promille-Grenze die Zahl der alkoholbedingten Unfälle deutlich zurückgegangen. Sie stieg dann zwar wieder etwas an, hat aber nie mehr das Niveau erreicht, das sie vor der Gesetzesänderung hatte. Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag, jeder Verkehrstote sei einer zuviel. Handeln Sie endlich danach, statt die Probleme auszusitzen!
({15})
Auch viele unserer europäischen Nachbarn haben die Grenzwerte abgesenkt, zuletzt Frankreich. Aber Sie begeben sich lieber wieder einmal in die internationale Isolation.
({16})
Noch eine kurze Anmerkung zum absoluten Alkoholverbot. Das scheint zunächst logisch, wirft aber in der Praxis Probleme auf. 0,0 Promille wäre sicher eine Idealregelung. Wir als Gesetzgeber verordnen aber kein Idealverhalten, sondern ahnden schuldhaftes, vorwerfbares Verhalten. Das ist bei 0,5 Promille auch klar nachweisbar. Bei 0,0 Promille hingegen würden sonst weitgehend gesetzestreue Bürger kriminalisiert. Das verstieße gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel, und ein solches Verbot würde auch weitgehend nicht beachtet werden. Dabei spielt dann oft nicht einmal der Vorsatz eine Rolle. So wäre etwa bei geringem Restalkohol am Morgen, den der Fahrer gar nicht bemerkt und der sich auch nicht negativ auswirkt, bereits eine Bestrafung angesagt. Der Gesetzgeber müßte also von vornherein massenhafte Übertretungen dieser Vorschrift in Kauf nehmen oder sogar tolerieren. Damit stünde aber seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Insofern können wir diesen Anträgen auch nicht zustimmen.
Ich fasse zusammen: 0,5 Promille ist der wissenschaftlich akzeptierte und geforderte Grenzwert. Er setzt sich europaweit immer mehr durch und ist zur Wahrung der Verkehrssicherheit auch dringend notwendig.
({17})
Ihr fauler Kompromiß, meine Damen und Herren von der Koalition, wird diesem Anspruch nicht gerecht, sondern dient lediglich dem inneren Frieden der Koalition.
({18})
Außerdem vergrößert er die Verwirrung. Sie führen eine fünfte Promille-Grenze ein, deren Überschreitung mit 200 DM und zwei Punkten in Flensburg geahndet wird. Den Autofahrern wird damit quasi augenzwinkernd signalisiert, zwischen 0,5 und 0,8 Promille sei das alles gar nicht so schlimm. Das einzig wirksame Mittel, nämlich das Regelfahrverbot, droht nach wie vor erst ab 0,8 Promille. Das ist inkonsequent, meine Kollegen und Kolleginnen.
({19})
Wenn ab 0,5 Promille die Unfallwahrscheinlichkeit drastisch höher ist, dann muß man auch die Konsequenzen ziehen. Wenn wir ein Verhalten als gefährlich für Leib und Leben Dritter erkennen, dann müssen wir Verstöße gegen gesetzliche Verbote auch mit spürbaren Konsequenzen ahnden. Polizei und Ordnungsbehörden wissen, wovon ich spreche. Das einzig wirksame Mittel ist das Fahrverbot.
Außerdem haben wir, wenn sich Ihr fauler Kom- promiß durchsetzt, fast ein halbes Dutzend verschiedener Promille-Grenzen: 0,3, wenn es zu einem Unfall oder zu schweren Fahrfehlern kommt, 0,5, ohne daß irgend etwas Großartiges passiert, 0,8 mit Fahrverbot und hohem Bußgeld, 1,1 mit Gerichtsverfahren und Führerscheinentzug und 1,6 mit der Konsequenz einer MPU vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis.
({20})
Wer soll das eigentlich überhaupt noch verstehen?
({21})
Die Wahrheit steht in Ihrer Pressemitteilung, wo es heißt: „Die 0,8-Promille-Grenze wird beibehalten." Das wollen Sie eigentlich. Sie wollen das Thema nach der Melodie „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" vom Tisch haben.
({22})
Deshalb appelliere ich an Sie: Machen Sie wenigstens einmal Nägel mit Köpfen,
({23})
springen Sie einmal in dieser Wahlperiode über Ihren eigenen Schatten und zeigen Sie ein einziges Mal Rückgrat. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Ihr Vorschlag ist kein Beitrag zur Lösung der Probleme.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gila Altmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Elke, wenn es da Verwirrung gibt, dann hat es damit zu tun, daß man bei dieser Antragslage schon im nüchternen Zustand besoffen wird. Allerdings werden wir noch klären, wer den Überblick verloren hat.
Heute fällt also der letzte Vorhang im absurden Theater um die Promille-Grenze.
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Es ist eine Chance vertan worden, Herr Jobst, fraktionsübergreifend die Mehrheit der Vernünftigen zu organisieren und wenigstens den ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun und eine echte Absenkung der Promille-Grenze zu erreichen. Genau davon rede ich. Leider haben sich diese Abgeordneten wieder von der Alkohollobby innerhalb der Koalition einfangen lassen, die den Thekenstandort Deutschland in Gefahr sieht.
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Gila Altmann ({2})
Übriggeblieben ist ein fauler Kompromiß, der das Wort nicht wert ist:
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ein erhobener Zeigefinger statt konsequenten Handelns. Herr von Stetten, wir sind sicherlich kein Volk von Alkoholikern. Aber die Alkoholiker sind in erster Linie Männer. Vielleicht wird ja deshalb diese Nachsicht geübt.
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Jetzt gibt es also zwischen 0,5 und 0,8 Prozent zwei magere Punkte in Flensburg,
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und es kostet schlappe 200 DM. Weil eben etwa 90 Prozent derer, die erwischt werden und ihren Führerschein loswerden, Männer sind, gibt es diese zweite Chance. Ich frage Sie: Wer gibt eigentlich den Unfallopfern eine zweite Chance?
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Wohlgemerkt: Bei jedem zweiten Unfalltoten ist Alkohol im Spiel.
Notwendig wäre zumindest der konsequente Entzug der Fahrerlaubnis ab 0,5 Promille. Ich möchte einmal ganz deutlich sagen: Die 0,5-Promille-Grenze ist ein gesellschaftlicher Kompromiß. Es wäre notwendig, ein absolutes Alkoholverbot am Steuer auszusprechen, ein klares Signal zu setzen: Alkohol und Autofahren passen nicht zusammen.
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Wir wissen: Ab 0,2 Promille ist die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt. Ab 0,3 Promille beginnt der Tunnelblick. Ich weiß nicht, ob Sie gestern die „Tagesthemen" gesehen haben. Da wurden schon bei 0,5 Promille im Simulator die Rehe angefahren und Strichmännchen im Protokoll gezeichnet. Herr Eylmann hat in seinem Selbstversuch bei 0,7 Promille ähnliches erlebt. Ich möchte hier einmal erleben, wie bei diesem Grenzwert eine zusammenhängende Rede gehalten werden kann. Ich glaube, das ist nur wenigen Kollegen in diesem Hause vergönnt. Und der, dem das gelänge, fehlt gerade.
Statt dessen wird verharmlost und bagatellisiert. Es ist, wie Herr von Stetten sagte, ein „Fehltritt". Das ist in der Tat entlarvend. Von Problembewußtsein, Imageänderung und Aufklärungsarbeit keine Rede - und das, wo doch die Gesellschaft weiter ist: 50 Prozent sind für ein absolutes Fahrverbot nach Alkoholkonsum.
Die Zauberwaffe heißt statt dessen „Atemalkoholanalysen" . Damit soll alles besser werden: Die Blutprobe wird ersetzt, die Kontrolldichte erhöht. Dabei ignorieren Regierungskoalition und leider auch SPD
jede Kritik und alle Bedenken von Rechtsmedizinern. Ich finde es positiv, daß Sie inzwischen eingeräumt haben, wenigstens darüber nachzudenken. Bezeichnend ist auch, daß unsere Kleine Anfrage zu diesen Lücken nicht beantwortet wird und genau in diesem Punkt die neue Langsamkeit geübt wird.
Das, was bei der Volksdroge Alkohol in unverantwortlicher Weise versäumt wird, holt man dann an anderer Stelle nach: Stichwort „andere Drogen". Obwohl es keine klaren Nachweismethoden gibt und das größere Problem, nämlich der Medikamentenmißbrauch, weiterhin ausgeblendet wird, wird hier stigmatisiert und kriminalisiert, der Kiffer am Steuer zum Popanz aufgebaut. Wer zukünftig mit einem Stück Shit erwischt wird, läuft Gefahr, wegen charakterlicher Mängel den Führerschein zu verlieren. Bezogen auf die Droge Alkohol hieße das: Wer zu Hause mit einer Kiste Bier angetroffen wird, ist charakterlich nicht geeignet, ein Auto zu führen.
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Darüber können wir ja mal reden.
Aber als ob das alles nicht reichen würde, setzt Herr Wissmann noch einen drauf; denn er hat seine Autofahrer lieb.
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Weihnachten und Wahlkampf stehen vor der Tür, da ist es Zeit für ein paar milde Gaben an die gebeutelte Bevölkerung. Drei Dinge braucht der schnelle Bürger: flotte Autos, hohes Tempo, freie Fahrt. Also: Weg mit den Tempo-30-Zonen! Nachts darf wieder vor den Schulen gerast werden, weil keine Kinder auf den Straßen unterwegs sind. Dafür fallen sie dann eben durch den Lärm aus dem Bett. Auch die Fahrverbote werden in Zukunft toleranter gehandhabt. Es wurde hier schon angesprochen: 31 km/h innerorts und 41 km/h außerorts, bei 10 Prozent Meßtoleranz mehr kosten dann freundliche 3 000 DM. Und das nennt man dann Verwaltungsvereinfachung.
Der jahrelange Kampf der Elterninitiativen, ihre Kinder zu schützen, das Wohnumfeld zu verbessern, weniger Lärm und bessere Luft zu bekommen, wird mit einem Federstrich einfach so vom Tisch gewischt.
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Über 350 getötete und 12 000 verletzte Kinder pro Jahr sind anscheinend kein gewichtiges Argument.
Ganz im Gegenteil: Im Gegenzug werden die Sanktionen im neuen Gesetz geringer. Ein wahrer Ablaßhandel wird da angezettelt: Geldbußen werden ausgeweitet. Dafür wird die Gefahr, den Führerschein loszuwerden, geringer. - Und das alles nur für eine kleine Minderheit von Rasern; denn die Mehrheit der Autofahrer fährt selbst bei dieser Politik immer noch vernünftig.
Notwendig wäre jetzt ein deutliches Signal zu mehr Verantwortungsbewußtsein, eine grundlegende Umkehr in den Verkehrsleitbildern: Weg vom Fetisch Auto und vom Geschwindigkeitswahn!
Gila Altmann ({11})
Das heißt auch: Weg von dem positiven Image des Alkohols als Gewinnerdroge! Hin zu einer menschenfreundlichen und umweltschonenden Mobilität für alle!
Aber von dieser Idee ist die Koalition leider meilenweit entfernt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Wir lehnen ihn ab, und zwar kategorisch.
Danke.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Altmann, ich nehme zur Kenntnis, daß Ihnen anscheinend die von Ihnen soeben propagierte „0,8-Prozent-Grenze" für Alkohol etwas den Blick getrübt hat, so daß Sie nicht mehr unterscheiden konnten, was Gesetz und was Entschließungsantrag ist. Ich glaube, zumindest das sollte man noch auseinanderhalten. Darüber hinaus gewinnt man als Zuhörer dieser Debatte den Eindruck, es gehe nur um die Promille-Grenze. Daß mit diesen Gesetzeswerken eine der größten Revolutionen im Bereich des Straßenverkehrsrechts umgesetzt wird,
({0})
was die Führerscheinklassen, das Punktesystem, die MPU und auch die Fahranfänger betrifft, das ist bisher überhaupt nicht zur Sprache gekommen.
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Im Hinblick auf die Zweite EU-Führerscheinrichtlinie wird nämlich einiges verändert. Es gibt zum einen eine Neubenennung der Führerscheinklassen. Diese neuen Namen wird jeder, der bei der Bundeswehr war, mit Sicherheit schon einmal gehört haben. Darüber hinaus wird - das ist wesentlich unter dem Aspekt der Sicherheit zu sehen, Frau Kollegin Ferner - ein neuer Anhängerführerschein eingeführt. Es wird der Unterschied zwischen Pkw und Lkw deutlich gemacht. Bisher war es ja möglich, mit einem Führerschein der Klasse 3, den man auf einem Kleinwagen gemacht hat, einen Lkw mit einem Gesamtgewicht bis zu 7,5 Tonnen plus Anhänger zu fahren.
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- Ja, gut; wer keine Ahnung hat, sollte vielleicht auch nicht in bezug darauf, welche Probleme sich daraus ergeben, dazwischenrufen.
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Es wird darüber hinaus festgelegt, daß ärztliche Wiederholungsuntersuchungen beim Führerschein ab Klasse Cl regelmäßig zu erfolgen haben und daß dieser Führerschein nur befristet erteilt wird. Das alles dient ausschließlich der Verkehrssicherheit und nichts anderem.
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Ergänzend dazu wird das Punktesystem, das bisher ausschließlich als Bestrafungskriterium genommen wurde, um ein Bonussystem erweitert, um denen, die erkennen, daß ein bestimmtes Verhalten vielleicht gewisse Konsequenzen haben könnte, die Chance zu geben, ihr Punktekonto dadurch, daß sie sich freiwillig einer Nachschulung unterziehen, zu verringern. Nur unter diesen Bedingungen funktioniert das, und auch erst innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen.
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Es bleibt weiterhin dabei, daß jemand, der 18 Punkte erreicht hat, den Führerschein entzogen bekommt. Aber wir geben den Fahrern jetzt zumindest die Chance, daß sie sich vorher - ohne daß deswegen ein Gesetzeshüter einschreiten muß - besinnen und ihr Verhalten ändern. Auf dieses Thema sind Sie, Frau Altmann, gar nicht eingegangen, und die Kollegin Ferner ist darauf nur unter dem Aspekt eingegangen: Jetzt wird jemand, der rast, auch noch belohnt. Die Definition, was eigentlich Rasen ist, ist vielleicht des Schweißes der Edlen wert.
Zu den Fahranfängern. Es gibt mit Sicherheit zwei Möglichkeiten, wie man die in diesem Bereich bestehenden Probleme lösen kann. Wenn allerdings richtig ist - das ist bisher von niemandem widerlegt worden -, daß von allen Fahranfängern 10 Prozent in den ersten zwei Jahren auffällig werden und genau diese 10 Prozent in ihrem weiteren Fahrverhalten immer wieder auffällig werden, dann muß man doch zumindest einmal intensiv darüber nachdenken dürfen, warum man die anderen 90 Prozent mit einer Präventivstrafe, der Verdoppelung des Zeitraums für den Führerschein auf Probe, belegen soll, wenn diese 90 Prozent gar nicht auffällig werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Eine solche Regelung haben wir jetzt in das Gesetz hineingenommen. Man droht denen, die auffällig werden, automatisch die Verdoppelung des Zeitraums, in dem sie den Führerschein nur auf Probe erhalten, an, und sie haben dann die Pflicht zur Nachschulung. Ich glaube, das ist das entscheidende Erziehungsmittel.
Jetzt komme ich zur Promille-Grenze. Auch bei diesem Punkt versucht man, mit Nebelkerzen zu werfen. Wenn ich das im einzelnen beschreiben wollte, müßte ich fast ausfällig werden. Frau Kollegin
Altmann stellt sich hier mit Tränen in den Augen hin und sagt,
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daß die meisten Opfer Kinder sind. Das ist ja richtig. Nur, man muß hinzufügen, daß mehr als die Hälfte der getöteten Kinder im Auto der eigenen Eltern ums Leben kommt, und zwar nicht, weil die Eltern Alkohol getrunken haben, sondern weil die Kinder nicht angeschnallt waren. Das ist doch der entscheidende Punkt.
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Die Debatte über die Promille-Grenze vernebelt die Fakten. Es ist nun einmal unwiderlegbar so, daß neun von zehn Unfällen jenseits von 0,8 Promille stattfinden; da ist die 0,8-Promille-Grenze gar nicht mehr relevant. 30 Prozent aller im Verkehr auffälligen Alkoholtäter weisen über 2 Promille auf.
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Sie glauben doch wohl nicht tatsächlich, daß Sie diese Spezialspezies der sogenannten fahrenden Trinker damit erweichen können, wenn Sie jetzt die Grenze auf 0,5 Promille reduzieren, darauf hoffend, daß die sich dann vielleicht nicht an die 2 Promille herantrinken, sondern schon bei 1,5 stehenbleiben. Das ist doch schlicht und ergreifend jenseits jeglicher Realität.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Aber bitte!
Verehrter Herr Kollege Friedrich, wären Sie bereit, eventuell einzuräumen, daß genau der Sachverhalt, den Sie zuletzt beschrieben haben, damit zu tun haben könnte, daß eben jenseits der 0,5 Promille so etwas wie ein Kontrollverlust eintritt und eben unkontrolliert weitergetrunken wird, bis man dann freilich irgendwann blau ist?
Herr Kollege Schmidt, ich räume Ihnen ein, daß zwischen 0,5 und 0,8 Promille durchaus Unterschiede in der Wirkung sein können. Niemand hat bisher wissenschaftlich plausibel belegt, wie groß diese Auswirkungen sind, vor allen Dingen auch nicht, wie groß der Rückgang ist.
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Allerdings gestatte ich mir, darauf hinzuweisen, daß jemand, der schon zwischen 0,5 und 0,8 Promille Probleme hat, mit Sicherheit nicht mehr in der Lage
ist, mit 2,0 Promille Auto zu fahren, vor allen Dingen dann auch nicht unauffällig. Das Motto „Tragt mich ins Auto, ich fahre euch alle heim" ist mit Sicherheit ab 2,0 Promille ungeeignet, wenn 0,5 oder 0,8 bereits entsprechende Probleme bereiten.
Das weitere entscheidende Kriterium wird sein, und davon bin ich fest überzeugt: Solange der Autofahrer sicher sein kann oder glaubt, sicher sein zu können, mit Alkohol am Steuer nicht erwischt zu werden - dabei ist es für mich wenig entscheidungsrelevant, ob die Dunkelziffer bei 1 zu 60 oder bei 1 zu 600 liegt -, solange die Meinung also vorherrscht, man könne sich diese oder jene Alkoholfahrt erlauben, solange es nicht konsequenterweise zumindest dem Anschein nach so ist, daß man erwischt wird, so lange wird das funktionieren.
Deswegen ist der zweite Teil, nämlich die Atemwegsalkoholanalyse, auch des Erwähnens wert. Sie erleichtert zumindest die Durchführung von regelmäßigen Kontrollen und führt dazu, daß der eine oder andere jetzt vielleicht mit höherer Wahrscheinlichkeit damit rechnen muß - wenn er denn schon meint, mit Alkohol am Steuer sitzen zu müssen -, erwischt zu werden. Ich glaube, genau das ist das entscheidende Kriterium. Die Promille-Grenze und die Diskussion darüber allein haben noch niemanden abgehalten.
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Die Umfragen sind immer toll. Es gibt auch zu den Tempolimits Umfragen. 80 Prozent aller Deutschen sind dafür, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen.
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Die restlichen 20 Prozent fahren nach meiner Einschätzung als Praktiker anscheinend ausschließlich auf der Autobahn.
Ich möchte noch einmal etwas zum Thema Änderung des Straßenverkehrsrechts insgesamt sagen. Es gibt jetzt auch - das ist, glaube ich, für die Gerichte wichtig - die Chance, den Antritt eines Fahrverbots im Zeitraum von vier Monaten zu variieren und zu gestalten. Ich gehe davon aus, diese Regelung führt dazu, daß ein großer Teil der Rechtsmittel, der die Gerichte jetzt belastet, in Zukunft nicht mehr eingelegt wird, weil er ausschließlich taktisch begründet war und ist.
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Insofern werden wir aus der Gesamtsicht und aus dem, was sich insgesamt als Conklusio ergibt, diesen Gesetzesvorlagen zustimmen und die Änderungsanträge ablehnen.
Danke sehr.
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Ich erteile jetzt das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Manfred Such.
Kollege von Stetten, Sie haben gesagt, daß eine Fülle von Änderungsanträgen vorläge, die zum Teil überflüssig, unnötig oder nicht durchführbar wären.
Ich weise darauf hin, daß es in unserer Gesellschaft ein wesentliches Kriminalitätsproblem gibt, das durch das Straßenverkehrsgesetz geregelt werden könnte, nämlich die Tatsache, daß unfallbeschädigte Fahrzeuge, die als Totalschaden gemeldet werden, dann von den Versicherungen im Schaden abgeglichen werden. Diese Fahrzeuge werden von dubiosen Gebrauchtwagenhändlern aufgekauft. Dann versucht man über kriminelle Organisationen eine Dublette zu beschaffen: Ein Fahrzeug desselben Baujahres und Typs wird gestohlen. Dieses Fahrzeug wird mit den Papieren des als nicht mehr reparierbar bezeichneten Fahrzeuges ausgestattet.
Dem wäre sehr leicht entgegenzutreten, wenn man die Versicherungen auffordern würde, bei solchen Fahrzeugen, die Totalschaden haben, die Fahrzeugbriefe und die Fahrzeugnummern einzuziehen und diese an die Verkehrsbehörden zu geben, damit eine erneute Anmeldung dieser Fahrzeuge nicht mehr möglich ist. Ich frage mich, wieso das nicht möglich, wieso das überflüssig sein soll. Seit langen Jahren fordern alle Kriminalisten und Polizeifachleute, daß man dieses Problem, das zu einer erheblichen Arbeitsbelastung führt, beseitigt und endlich dieses Verfahren einführt. Ich möchte Sie fragen, warum das überflüssig sein soll, und Sie veranlassen, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
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Der Abgeordnete von Stetten wünscht nicht zu antworten.
Dann gebe ich jetzt der Abgeordneten Frau Dr. Dagmar Enkelmann, PDS, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Horst Friedrich, von Revolution hatte ich bisher etwas andere Vorstellungen. Ich denke, die Revolution ist bei diesem Thema in diesem Haus von seiner rechten Seite verhindert worden.
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Es war schon bezeichnend, welche Prioritäten gesetzt worden sind. Ich denke, es ging letztendlich damm, davon abzulenken, was die Bürgerinnen und Bürger in diesem Zusammenhang tatsächlich interessiert, nämlich von der Frage: Wie geht ihr mit Alkohol am Steuer um, welche Entscheidungen trefft ihr hier, wie konsequent seid ihr am Ende?
Damit Sie Ihre wertvolle Atemluft - ob mit oder ohne Alkohol, ist mir egal - nicht mit sinnlosen Zwischenrufen vergeuden, eine Vorbemerkung von mir: Schwarze Schafe gibt es auch unter roten Socken; das weiß ich wohl. Aber hier geht es nicht um Einzelfälle, hier geht es auch nicht um persönliche Erfahrungen nach einem von der Spirituosenlobby für Abgeordnete finanzierten Trinktest im Labor. Letztlich ist der Bundestag meines Erachtens auch nicht der Ort, um über medizinische Wirkungen von Grenzwerten zu verhandeln. Wir sind hier politischer Entscheidungsträger, und es geht hier um eine politische Entscheidung. Die Kernfrage, die hier im Raume steht, ist meines Erachtens die Frage danach, ob Alkohol am Steuer ein Kavaliersdelikt oder ein gesellschaftlich zu ächtender Tatbestand ist.
Elke Ferner, als Gesetzgeber - das ist richtig - regeln wir hier nicht den Idealfall. Wir formulieren Handlungsgebote und -verbote. Wir regeln sozusagen die Rahmenbedingungen für das Handeln, unter anderem natürlich auch im Verkehr.
({1})
Zugegeben, in der Politik geht es nicht immer ohne Kompromisse. Oftmals muß es auch den sogenannten goldenen Mittelweg geben, nach dem gesucht wird. Aber einen Mittelweg zwischen Autofahren und Alkohol kann es nicht geben. Einen Kompromiß kann es an dieser Stelle nicht geben.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ganseforth?
Ja.
Bitte schön, Frau Ganseforth.
Frau Enkelmann, man kann ja darüber streiten, ob Tests wie der, den die Abgeordneten gemacht haben, sinnvoll sind oder nicht. Aber ist Ihnen bekannt, daß wir die Rechnungen selber bezahlt haben, das also nicht, wie Sie eben gesagt haben, auf Kosten irgendeiner Lobby gegangen ist?
Das ist sehr löblich für die Abgeordneten der SPD.
({0})
- Der Punkt ist eigentlich ein anderer, nämlich ob ein solcher Labortest, wie ihn die Abgeordneten gemacht haben, bei einer politischen Entscheidung in diesem Parlament tatsächlich von Relevanz ist.
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Das ist mein Hauptkritikpunkt, und dazu habe ich mich geäußert.
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Eine geringfügige Absenkung der Promille-Grenze oder der Vorschlag, so wie er hier von der Koalition gemacht worden ist - also eigentlich nicht mehr als der erhobene Zeigefinger -, sind meines Erachtens genau das falsche Signal. Um ein Beispiel zu nennen aus der Witzkiste der Koalition: Im vorliegenden Entschließungsantrag ist zu lesen:
Durch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wird zur bereits bestehenden 0,8-PromilleRegelung zusätzlich eine neue Grenze bei 0,5 Promille als ernste Warnung an den Autofahrer eingeführt, daß Trinken und Autofahren miteinander nicht zu vereinbaren sind.
Wer kann für sich wirklich einschätzen, ob er 0,5 oder 0,8 oder 0,9 Promille im Blut hat? Es ist ja gerade eine Folge von Alkoholkonsum, daß die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung stark verändert wird. Mit steigendem Alkoholpegel steigt auch die Überschätzung des eigenen Könnens einschließlich der Fahrfertigkeiten. Dann wird mal schnell mit Hilfe des Bleifußes der starke Mann markiert.
({3})
- Schönen Dank für das Stichwort: Jetzt mag mancher fragen, wo eigentlich der feministische Ansatz der PDS bleibt. Warum spricht sie nicht von der „starken Frau"? Nein, meine Herren, es ist eine Tatsache, daß nur 8 Prozent der alkoholbedingten Unfälle mit Personenschäden von Frauen verursacht werden.
({4})
Es stimmt also: Männer sind die Verkehrsrüpel Nummer eins.
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Eine klare, konsequente Entscheidung kann nur lauten: Verbot von Alkohol am Steuer, das heißt 0,0 Promille.
So großzügig, wie Sie mit der Volksdroge Nummer eins umgehen, so hart wollen Sie den Konsum anderer Drogen ahnden ({6})
nein, eigentlich nur ganz bestimmte: die, die Ihre eigenen Kinder in einer Disco möglicherweise einmal in die Hände bekommen. Wollen Sie damit Ihre eigenen familiären Probleme lösen? Um nicht mißverstanden zu werden: Die PDS ist nicht nur bei Alkohol für 0,0 Promille, sondern auch bei allen anderen Drogen.
Das, was von der Koalition hier vorgelegt wird, ist aber mehr als halbherzig. Dosis-Wirkung-Beziehungen bleiben völlig unberücksichtigt, weil sie noch nicht untersucht sind. Das ist auch von Gila Altmann schon gesagt worden. Die Diskrepanz zwischen Wirksamkeits- und Nachweisdauer ist nicht geklärt. Zum Beispiel sind bestimmte Substanzen länger im Blut nachweisbar, als sie Einfluß auf das Verhalten haben.
Mit purem Aktionismus ist diesem Problem nicht beizukommen. Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Matthäus-Maier, SPD.
Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben den Selbstversuch kritisiert. Das ist Ihr gutes Recht. Meine Fraktion war auf Grund der Aussagen ihrer Fachleute wie Elke Ferner und anderer Kolleginnen und Kollegen dafür.
Ich habe den Selbstversuch mitgemacht und war davon sehr beeindruckt, weil ich mir vorher nicht im klaren darüber war und erst bei dem Versuch gemerkt habe, daß man schon nach geringem Alkoholgenuß beeinträchtigt ist, etwa am Simulator.
Ihr gutes Recht ist es, diesen Selbstversuch zu kritisieren. Daß Sie hier gesagt und nur ganz leicht zurückgenommen haben, die Spirituosenindustrie habe diesen Selbstversuch bezahlt - nach dem Motto: Wir Abgeordnete haben mal wieder auf anderer Leute Kosten gegessen und getrunken -, ist typisch für Sie. Hier haben wir Sie erwischt und können das richtigstellen.
({0})
Sie erzählen das aber auch in den neuen Ländern. Deswegen fordere ich Sie auf, sich für Ihre Behauptung zu entschuldigen. Herr Eylmann, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, hatte vorher nämlich offiziell mitgeteilt, daß wir das alles selbstverständlich selbst bezahlen. Und so war es auch.
({1})
Wir kommen jetzt zur Antwort. Bitte schön, Frau Enkelmann.
Gut, ich nehme diese Behauptung zurück. Das ändert allerdings überhaupt nichts an meiner Kritik an diesem Laborversuch und seinen Ergebnissen;
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denn ich glaube, dieser Versuch ist nicht geeignet, die entsprechenden Voraussetzungen für die politische Entscheidung zu schaffen.
({1})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Justiz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich spreche nur zu dem relativ nüchternen Thema: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze. Da werden nicht wie bei der Promille-Grenze des Blutalkoholgehalts, wo offenbar Zehntelstellen eine Rolle spielen, die Welten verändert und die Emotionen hochgeschaukelt. Da geht es um eine ganz nüchterne Abwägung.
Wir haben uns in diesem Haus bereits im Mai letzten Jahres mit den Möglichkeiten einer Entlastung der Justiz in Bußgeldverfahren beschäftigt. Damals waren sich alle Seiten einig, daß unsere Justiz durch verhältnismäßig geringfügige Sachen im Bereich der Ordnungswidrigkeiten über Gebühr belastet ist. Insoweit war Bereitschaft bekundet worden, trotz unterschiedlicher Vorstellungen im einzelnen zu einem Kompromiß zu kommen. Entsprechend konstruktiv verlief die Zusammenarbeit im Rechtsausschuß, für die ich mich an dieser Stelle besonders bei den Berichterstattern bedanken möchte.
So meine ich, daß wir mit der maßvollen Anhebung des subsidiären Bußgeldrahmens von 1000 DM auf 2000 DM einen zusätzlichen Spielraum für die Ahndung gravierenderer Rechtsverstöße geschaffen haben, ohne den Bogen zu überspannen. Es gab durchaus auch Vorschläge, weit höher zu gehen, bei denen ein bißchen die Überlegung oder zumindest der Anschein mitschwang, man wolle auf diese Art und Weise die öffentlichen Kassen etwas aufbessern.
Auch in anderen Punkten ist es uns gelungen, sachgerechte und rechtsstaatlich verträgliche Lösungen zur Justizentlastung zu finden. Das gilt insbesondere für die maßvolle Anhebung der Wertgrenzen far Rechtsmittel, mit der wir sowohl die Entlastungsinteressen der Justiz als auch die Interessen der Bürger angemessen berücksichtigt haben.
Mir ist natürlich bewußt, daß der Bundesrat ursprünglich eine wesentlich höhere Anhebung wollte, um die Oberlandesgerichte und die Generalstaatsanwaltschaften noch weitgehender zu entlasten.
Ich meine aber, daß der jetzt eingeschlagene Weg für die Länder um so gangbarer ist, als die außerdem vorgesehene Entlastung in der ersten Gerichtsinstanz deutlich weiter reicht als nach den Bundesratsvorstellungen.
So ist beispielsweise eine Regelung vorgesehen, die es ermöglicht, das Wirksamwerden des Fahrverbots um bis zu vier Monate nach Rechtskraft hinauszuschieben. Das ist eine sehr pragmatische und praktische Regelung. Es wird überhaupt nicht bestritten, daß sie praktisch ist, deswegen ist sie ja auch befürwortet worden.
Unsere Gerichte werden damit von einer Vielzahl von Einsprüchen entlastet, die bisher ausschließlich zu dem Zweck eingelegt wurden, die Wirksamkeit der Fahrverbote auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Der Rechtsausschuß hat es sich mit der Vorschrift, wonach Richter in der Hauptverhandlung von der Zuziehung eines Urkundsbeamten absehen können, nicht leichtgemacht. Auch das ist ein Punkt, der die Justiz durch die Änderung des Ordnungswidrigkeitenrechts entlastet. Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß angesichts der Personalnot Druck von der Justizverwaltung auf die Richter ausgeübt werden könnte, auf die Zuziehung von Urkundsbeamten zu verzichten.
Der Rechtsausschuß trägt diesen Bedenken Rechnung, indem er für diese Fälle eine Entscheidung durch Beschluß vorgesehen hat, ohne die es bei der Zuziehung des Urkundsbeamten bleibt. Damit dürfte ausreichend gesichert und klargestellt sein, daß es sich um eine in richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidung handelt; denn an der richterlichen Unabhängigkeit dürfen wir bei dieser Problematik auch an dieser Stelle - sei sie noch so gering - überhaupt nicht herumbasteln.
Alles in allem - ich sage das aus voller Überzeugung - ist die vorliegende Novelle zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ein Beispiel für ausgereifte, praxisnahe und ausgewogene Gesetzgebungsarbeit, die sowohl für den Bürger als auch für die Justizpraxis - da bin ich sicher - zu guten und sachgerechten Ergebnissen führt.
Vielen Dank.
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Ich erteile dem Abgeordneten Günter Oesinghaus, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zu Drogen im Straßenverkehr bleibt leider auch in der geänderten Fassung noch immer weit hinter dem selbstgesteckten Anspruch zurück. Natürlich unterstützen wir jede Initiative, die hilft, das Führen von Kraftfahrzeugen unter Einfluß von illegalen Drogen zu ahnden.
Aber auch der nachgebesserte Gesetzentwurf, in den einige Forderungen des Bundesrates aufgenommen wurden, ist kein sinnvoller Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit; im Gegenteil: Er leistet der Rechtsunsicherheit Vorschub. Ich will Ihnen auch sagen, warum.
Auf Grund der fehlenden Grenzwerte bei den im Gesetzentwurf genannten illegalen Drogen genügt schon der Nachweis der Substanz im Blut, um zuGünter Oesinghaus
künftig ein Bußgeld zu verhängen oder den Führerschein einzuziehen. Das ist eine krasse Ungleichbehandlung gegenüber den Konsumenten von legalen Drogen wie beispielsweise Alkohol oder Medikamenten. Sie messen hier mit zweierlei Maß.
({0})
Meine Fraktion fühlt sich nach der Expertenanhörung auch in diesem Punkt in ihrer ablehnenden Haltung bestärkt. Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit müssen zuverlässige Kriterien für die Fahrtüchtigkeit - differenziert nach der jeweiligen Substanz - gefunden werden.
Für den Bereich der illegalen Drogen müssen abgestufte Grenzwerte analog der Blutalkoholkonzentration festgeschrieben werden. Experten haben dazu praktikable Modelle sowohl für die Dosis-Wirkung-Beziehung als auch für die Grenzwertbildung vorgelegt.
Die Festschreibung von Grenzwerten ist deshalb erforderlich, weil eben nicht zwangsläufig jeder Genuß von Drogen die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt und bestimmte Nachweissubstanzen ohne die drogenspezifische Wirkung im Blut und im Urin noch nach Tagen vorhanden sein können.
Die Experten waren sich auch darin einig, daß in dem Gesetzentwurf die verkehrsbeeinträchtigende Wirkung der sogenannten Benzodiazepine, die zum Beispiel in Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie in Medikamenten gegen Allergien enthalten sind, berücksichtigt werden sollten, zumal eine Kombination mit Alkohol diese verkehrsgefährdende Wirkung noch verschärft, was hinreichend belegt ist.
Sie können diesen Tatbestand aus dem Gesetzentwurf nicht einfach ausklammern. Im Gegenteil, es ist aus Gründen der Verkehrssicherheit dringend notwendig, die verkehrsgefährdende Wirkung solcher psychoaktiven Substanzen mit einer entsprechenden Grenzwertbeschreibung in den Gesetzentwurf aufzunehmen.
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Dies trifft im übrigen auch auf die Problematik der verkehrsgefährdenden Wirkung von Medikamenten zu. Ich zitiere dazu Herrn Wissmann aus einer Broschüre der Apothekerverbände:
Durch die Einnahme bestimmter Medikamente kann die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt werden.
So der Minister. Wenn dies richtig ist, dann frage ich mich, warum sich diese Erkenntnis nicht auch im gesetzgeberischen Handeln niederschlägt.
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In Ihrem Gesetzentwurf steht dazu leider nichts. Dies wird auch ausdrücklich vom Bundesrat kritisiert. Sie können sich hier nicht durchmogeln.
Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht nur lückenhaft, er läßt bei der Umsetzung auch die Länder und die Polizei mit den Problemen alleine. Bereits in der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, daß die
entscheidenden Fragen der Umsetzung nicht geklärt sind. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Glauben Sie im Ernst, daß alles das, was nötig wäre, durch die Länder innerhalb von drei Monaten realisiert werden kann?
Hoffentlich sind wir uns wenigstens darin einig: Wer Drogen nimmt, Alkohol trinkt oder Medikamente einnimmt, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen - noch dazu mit Alkohol -, gehört nicht hinters Steuer.
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Aber Sie können nicht ernsthaft Zustimmung zu einem Gesetzentwurf erwarten, der die Notwendigkeit der Grenzwertziehung außer Acht läßt, die Gefährdung durch legale Drogen nicht berücksichtigt und anschließend Länder und Polizei bei der Umsetzung allein läßt.
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Der Gesetzentwurf begegnet ohne die erforderlichen Nachbesserungen zu recht erheblichen rechtlichen und fachlichen Bedenken. Legen Sie einen neuen Gesetzentwurf mit entsprechenden Regelungen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit vor. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab. Ich bitte um Zustimmung zu unserem vorliegenden Entschließungsantrag.
Danke.
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Das Wort hat der Abgeordnete Michael Jung, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Was mich an der Diskussion und insbesondere an dem Redebeitrag der Kolleginnen Ferner und Altmann gestört hat, ist das Freund-Feind-Bild, das hier geschaffen worden ist.
Der Autofahrer ist nicht unser Feind, sondern unser Partner. Mit diesem müssen wir auch partnerschaftlich umgehen.
({0})
Wir müssen nicht gegen ihn, sondern mit ihm zusammen versuchen, dort Lösungen zu finden, wo es Probleme gibt.
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- Frau Kollegin Ferner, auf Sie komme ich gleich noch im einzelnen zu sprechen. Sie haben uns vorhin zum Handeln aufgefordert.
Herr Abgeordneter, von der Abgeordneten Altmann wird eine Zwischenfrage gewünscht.
Gerne.
Herr Kollege Jung, Sie reden hier von der Partnerschaft mit den Autofahrern. Dies steht gar nicht in Zweifel. Hier jedoch geht es um die Partnerschaft mit den alkoholisierten Autofahrern. Ich würde Sie gern fragen, wie Sie es mit der Partnerschaft gegenüber den Verkehrsteilnehmern halten, die eben nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind und die Opfer solcher alkoholisierter Autofahrer werden, die Sie gerade als Partner bezeichnet haben. Von den 9000 Verkehrstoten pro Jahr sind das immerhin 50 Prozent.
Frau Kollegin Altmann, Sie sollten zuhören, was ich sage.
({0})
Sie haben meine Rede noch gar nicht bis zum Ende gehört, sondern bereits am Anfang Einwände erhoben, als ich kritisiert habe, daß Sie hier ein Feindbild aufbauen. Sie haben Formulierungen gewählt wie „absurdes Theater" und „wir bräuchten eine Koalition der Vernünftigen", was indiziert, wir hätten sie im Moment nicht, wir würden also unvernünftig handeln.
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Ich sage gleich noch etwas zu dem Rückgang der Zahlen. Aber Ihre Formulierungen beweisen, daß wir uns in Fragen der Verkehrssicherheit von Ihnen sicherlich nicht übertreffen lassen.
Es kommt darauf an - das tun wir im übrigen durch Bonus-Regelungen und andere -, an die Vernunft zu appellieren und Sanktionen dort zu verhängen, wo es notwendig ist. Dies machen Sie in anderen Bereichen, zum Beispiel bei Drogen, nicht mit; um dies auch einmal deutlich zu sagen. Hier klammern Sie sich aus. Deswegen versuchen wir aber, partnerschaftlich mit den Menschen umzugehen und sie nicht zu bevormunden, wie Sie das offensichtlich vorhaben.
({2})
Ich will mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir erhebliche Erfolge auch in der Verkehrssicherheitsarbeit zu verzeichnen haben. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der auf deutschen Straßen Getöteten mit rund 8700 erstmals seit 1952 wieder unter 9000. Das bedeutet allein gegenüber 1995 einen Rückgang um 8 Prozent. Damit starben im deutschen Straßenverkehr im vergangenen Jahr weniger Menschen als 1951, obwohl sich der Kraftfahrzeugbestand seither von 3 Millionen auf über 51 Millionen vervielfacht hat. Das zeigt doch, daß solche auf Partnerschaft angelegte Arbeit erfolgreich ist und daß wir auf diesem Weg weiter fortschreiten sollten.
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Jetzt möchte ich mich zu einigen Schwerpunkten äußern. Das erste Thema ist die Promillegrenze. Ich wundere mich - das sage ich als jemand, der in diesem Bereich als Anwalt praktiziert -, daß offensichtlich noch immer nicht erkannt ist, daß die erste Promillegrenze bei 0,3 Promille liegt,
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nämlich nach der Rechtsprechung eindeutig dann, wenn andere Zeichen der Fahruntüchtigkeit hinzutreten. Insofern sollten Sie nicht, wie dauernd geschehen, fälschlicherweise von einer 0,8- oder 0,5Promille-Grenze reden, sondern im Interesse der öffentlichen Aufklärung auch von der 0,3-PromilleGrenze, die von der Rechtsprechung schon lange gezogen worden ist und die im übrigen auch durch andere Grenzen, die wir jetzt einführen, überhaupt nicht geändert wird, sondern weiter bestehenbleibt.
Dann haben wir die 0,8-Promille-Grenze mit Fahrverbot, § 24 a StVG, und wir haben die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit, früher durch Sicherheitszuschlag 1,3 Promille, jetzt durch Rechtsprechung auf 1,1 Promille festgelegt.
({5})
Wir haben im übrigen noch eine andere Größe - das spielt dann bei der MPU für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde eine Rolle -, nämlich 1,6 Promille.
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Das sind die Grenzen, die hier eine Rolle spielen und
die wir auch für die Arbeit zu berücksichtigen haben.
Jetzt hat es eine lange und intensive Diskussion auch bei uns in der Fraktion gegeben: Ist eine Veränderung der Grenzen notwendig, oder ist es sinnvoll, anderes zu tun? Da komme ich auf einen Punkt, der bisher in der Diskussion keine entscheidende Rolle gespielt hat, obwohl er notwendig wäre, nämlich die Frage der Kontrolle und der Dunkelziffer.
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Es gibt hier unterschiedliche Zahlen. Experten des Verkehrsgerichtstages in Goslar und andere Experten schätzen, daß auf eine abgeurteilte Alkoholfahrt zwischen 300 und 600 unentdeckte Fahrten kommen. Das Problem sind nicht unbedingt die Personen mit zwischen 0,5 und 0,8 Promille, sondern diejenigen mit deutlichen Werten über 1 Promille, die fahren, weil sie glauben, ihre Chance, erwischt zu werden, sei sehr gering. Das ist das eigentliche Problem, mit dem wir uns hier beschäftigen müssen.
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Da kommen wir zu dem Ergebnis, daß dies nur durch eine größere Anzahl von Kontrollen verbessert werden kann. Das ist Sache der Länder. Da können Sie ja einmal Ihren Einfluß geltend machen - nach
Michael Jung ({9})
den Mehrheitsverhältnissen, die wir dort haben. Das ist eine Frage der personellen Stärke der Polizei
({10})
- dazu komme ich jetzt gerade, Frau Kollegin, auch ohne Ihr Stichwortgeben -, und das ist auch eine Frage der Atemalkoholanalyse. Jeder weiß, wie das in der Praxis geschieht. Es wird, selten genug, eine Kontrolle durchgeführt. Dann muß die Kontrollstation abgebaut werden, weil die Blutentnahme nicht an Ort und Stelle vorgenommen wird. Das wird dann entweder auf dem Revier oder im Krankenhaus beim Arzt gemacht. All dies kann durch die Atemalkoholanalyse vermieden werden.
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Wir erreichen dadurch eine größere Dichte von Kontrollen. Genau dies ist absolut notwendig.
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Bei uns in der Fraktion war - das hat der Kollege von Stetten vorhin schon formuliert - diese Frage durchaus von unterschiedlichen Seiten betrachtet worden. Die Kollegen aus den neuen Bundesländern hatten ihre Erfahrungen,
({13})
andere hatten praktische Erfahrungen in der Beurteilung aus juristischer Sicht und anderes mehr. Wir haben dann nach einer Phase der Überlegung und der Diskussion, sehr oft vom Kollegen Dr. Jobst, dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, angestoßen und auch mit seinem Namen verbunden, was diese Regelung der 0,5-Promille-Grenze angeht, eine Neuregelung eingeführt, die für den Bürger eine Denkzettelfunktion hat, die ihm deutlich macht, daß nach Möglichkeit überhaupt kein Alkohol im Straßenverkehr genossen werden soll, die aber die härteste Sanktion des Fahrverbotes außen vor läßt. Insofern glauben wir, daß diese Staffelung, die wir auch in anderen Bereichen haben, zum Beispiel bei Geschwindigkeitsüberschreitungen erst als Ultima ratio die Möglichkeit des Fahrverbotes, auch hier nutzbringend angewendet werden kann. Deswegen halten wir dies für einen guten und sinnvollen Kompromiß, der hier vorgeschlagen wurde und heute realisiert wird.
Ich möchte eine zweite kurze Bemerkung zu dem Thema Drogen im Straßenverkehr machen. Ich bedaure ein bißchen, wenn ich sehe, Frau Kollegin Altmann, - Sie haben sich vorhin zu dem Thema Promillegrenze sehr deutlich geäußert -, daß Sie in diesem Bereich gar nichts tun wollen. Sie begründen dies mit - so steht es in Ihrem Entschließungsantrag - angeblich lückenhaften wissenschaftlichen Untersuchungen. Man könnte ja auch sagen, daß das, was Sie da betreiben, Klientelpolitik wäre, was auch aus anderen Teilen Ihres Programmes hervorgeht.
Das kann man uns nicht nachsagen. Wir sind in diesem Bereich zu Ergebnissen gekommen, und wir
sind der Auffassung, daß es längst überfällig gewesen ist, daß wir im Bereich der Drogen im Straßenverkehr eine solche Regelung auch im Ordnungswidrigkeitenrecht einführen, wie dies nunmehr geschieht.
Ich möchte zwei abschließende Bemerkungen machen, die mir am Herzen liegen. Das eine ist: Ich habe vorhin gesagt, daß der partnerschaftliche Umgang mit dem Autofahrer natürlich nicht ausschließt, dort, wo es notwendig ist, zu Sanktionen zu kommen. Aber was mich immer gestört hat, ist, daß wir immer nur eine Malus-Regelung gehabt haben. Wir haben den Autofahrer bestraft. Warum soll man Leuten, die sich vernünftig verhalten, Nachschulungen annehmen, bereit sind, über ihr Verhalten nachzudenken und praktische Übungen zu machen, nicht einen Bonus in Form der Möglichkeit der Abarbeitung von Punkten geben? Das verstehe ich unter partnerschaftlichem Zusammenwirken mit dem Autofahrer, wie wir es in unserer ganzen Straßenverkehrspolitik auch für sinnvoll ansehen.
Eine zweite Anmerkung, die in die gleiche Richtung geht: Es ist aus der praktischen Erfahrung geboren worden und ist heute unter der Belastung der Justiz vielfältig Praxis, daß eine gewisse zeitliche Wahlmöglichkeit für das Nehmen des Fahrverbots existiert. Jeder, der anwaltlich oder richterlich in diesem Bereich tätig war oder ist, weiß, wie das heute läuft. Es wird Einspruch eingelegt, weil das Fahrverbot sonst nach einer Woche sofort rechtskräftig würde. Verhandlungen werden anberaumt. Dann paßt es nicht, man beantragt eine Verschiebung des Termins. Dies wird mit dem Richter abgesprochen. Später wird der Einspruch zurückgenommen. All dies können wir in Zukunft durch diese Regelung vermeiden.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident.
Durch diese Regelung können wir eine solche Belastung der Gerichte vermeiden. Im übrigen könnten wir es so regeln, wie wir das auch in anderen Feldern des Strafrechts handhaben. Ich persönlich hätte auch Sympathie für das Fahrverbot auf Bewährung. Darüber wird man weiter nachdenken müssen. Wir wollen all dies durchführen, ohne den Autofahrer zu belasten, wo es nicht notwendig ist. Wir wollen durch vernünftige Sanktionen sicherstellen, daß die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten weiter zurückgeht. Bei dieser Arbeit bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
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Das Wort für eine Kurzintervention hat die Kollegin Altmann.
Herr Kollege Jung, eigentlich bin ich für Ihren Vorwurf der Klientelpolitik sehr dankbar und möchte deshalb extra für Sie noch einmal das GlaubensbeGila Altmann ({0})
kenntnis abgeben - was ich auch schon in früheren Reden getan habe -, daß wir natürlich gegen jede Art von Drogen am Steuer sind, da aber eine Gleichbehandlung fordern.
Wenn ich mir einmal anschaue, wie hier argumentiert wird - das hat der Kollege Friedrich so schön gesagt -: Solange nicht erwiesen ist, daß 0,5 Promille wirklich die Folgen hat, wie sie immer beschworen werden, so lange soll auch nichts getan werden. Bei den anderen Drogen wird genau das Gegenteil gemacht. Im letzten Verkehrsausschuß war zu hören, daß man zwar einräumt, daß die Meßmethoden und auch die Wirkungen noch gar nicht einmal so sicher und klar sind. Aber man wolle natürlich zugunsten der größtmöglichen Sicherheit mit dieser Härte vorgehen.
Ich frage mich und ich frage Sie: Wo ist da die Klientelpolitik? Ganz bestimmt nicht bei uns, sondern bei Ihnen, was den Alkohol, seine Akzeptierung und Tolerierung, angeht.
Herr Kollege Jung, wollen Sie erwidern?
Nein.
Dann hat das Wort jetzt der Kollege Hartenbach, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das hier scheint mir eine rechte La-ola-Diskussion zu sein. Immer, wenn es um Alkohol und Drogen geht, gehen die Wogen hoch. Dann, wenn es um die nüchternen Gesetzesausführungen geht, bleiben wir ruhig und gelassen. Vielleicht liegt es auch daran, daß die Koalitionsparteien bei dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und des Straßenverkehrsgesetzes insbesondere in bezug auf die Fahrerlaubnis ausnahmsweise einmal ihr Ohr der Opposition zugeneigt haben, weil nämlich von dort, Herr Friedrich, sehr vernünftige Vorschläge gekommen sind.
({0})
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei dem Kollegen von Stetten bedanken, mit dem ich in vielen Einzelgesprächen als Berichterstatter
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- zur Frage OWiG - die Sache klargemacht habe. Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei den jeweiligen Bediensteten aus der Abteilung für Ordnungswidrigkeiten, die hier sehr konstruktiv mitgearbeitet haben, bedanken.
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Dieses Gesetz ist auch in enger Abstimmung mit den Praktikern zustande gekommen. Wir haben uns des Rates des Autors eines der wesentlichen Kommentare versichert und diejenigen angehört, die mit dem
Gesetz umgehen müssen. Zwei Ziele sollen bei der dabei herausgekommenen Reform erreicht werden: die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren sowie die Entlastung der Gerichte von der Flut der Massenverfahren bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr.
Dabei ist das Herzstück der Reform der Teil, den Herr Jung zum Schluß erwähnt hat. Es wird nämlich den Kraftfahrern, die von einem Fahrverbot betroffen sind, die Möglichkeit eingeräumt, die Vollstreckung dieses Fahrverbots in einem vertretbaren Zeitrahmen von vier Monaten selbst zu bestimmen. Wir erreichen damit wiederum zweierlei: Auf der einen Seite ist hier eine sehr starke soziale Komponente enthalten. Wir verhindern, daß unbescholtene Bürger wegen eines angeordneten Fahrverbotes ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir alle, die wir in der Praxis gearbeitet haben, wissen, daß ein Fahrverbot von einem Monat in aller Regel schon dann zur Kündigung führt, wenn der Kraftfahrer nicht in der Lage ist, in irgendeiner Form sein Fahrverbot so zu verbüßen, daß es den Betrieb nicht stört. Genau dieses verhindern wir mit der Reform und erreichen auf der anderen Seite, daß eine Fülle von Verfahren erst gar nicht die Verwaltungsbehörde, die Staatsanwaltschaft und vor allen Dingen die Amtsgerichte belastet. Wenn ich ganz vorsichtig schätze, werden von den etwa 400 000 Bußgeldverfahren, die heute noch vor den Gerichten verhandelt werden, gut 100000 erst gar nicht mehr auf den Tisch der Gerichte kommen. Das entlastet mehr als 100 Richterinnen und Richter in Deutschland, die sich mit anderen sinnvollen Sachen befassen können, wie zum Beispiel mit den Problemen, die wir heute morgen diskutiert haben.
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Wir haben auch einige Vorschriften klarer gefaßt, so zum Beispiel den Zeitpunkt der Unterbrechung der Verjährung, zu dem es immer wieder Fragen gegeben hat. Wir haben den Gerichten mehr Entscheidungsbefugnisse eingeräumt und dadurch gerade im Vorverfahren den Aktentourismus zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichten erheblich eingegrenzt. Auch das ist ein Zeitgewinn und ein Gewinn an Arbeitskraft. Die Beweismittelverfahren wurden vereinfacht, ohne daß dabei in elementare Rechte eingegriffen wurde, aber - das sage ich einmal sehr deutlich - auch prozeßtaktische Winkelzüge werden dadurch erschwert. Wenn die Richter ihr Handwerk beherrschen, kann ein Verfahren an einem Tag erledigt sein.
Vor die Oberlandesgerichte kommen künftig nur noch tatsächlich schwerwiegende Fälle, die mit hohen Geldbußen oder Fahrverboten und einem damit verbundenen Eingriff in den Beruf einhergehen. Wir möchten auch, daß bei den Oberlandesgerichten zeitgemäß verhandelt wird. Was ein Amtsrichter kann, muß auch ein Richter am Oberlandesgericht können, nämlich eine Entscheidung alleine treffen. Hier soll der gesamte Senat nur noch in wirklich schwerwiegenden Fällen zusammentreten.
Nun ist uns sicherlich kein Jahrhundertwerk gelungen. Es ist sicherlich, Herr Friedrich, auch nicht die große Revolution, die Sie eben für das StraßenAlfred Hartenbach
verkehrsgesetz angekündigt haben. Aber wir haben hier ein sauber durchdachtes, eingehend beratenes und von der Praxis sehr stark beeinflußtes Gesetz geschaffen, daß den Gerichten die Arbeit erleichtert, ohne in elementare Rechte der Betroffenen einzugreifen. Das, bitte schön, soll uns in diesem Hause erst einmal jemand nachmachen.
Es ist für mich müßig, zu streiten, ob nun der Entwurf des Bundesjustizministeriums oder der Entwurf der SPD-Fraktion das bessere Gesetz ist. Wir haben die Ideen und Gedanken in beiden Gesetzesvorlagen so vernünftig miteinander verwoben, daß in vielen Punkten Übereinstimmung erzielt werden konnte und daß wir mit diesem Gesetz letztlich in der Praxis vernünftig umgehen können und auch sicherlich vernünftig umgehen werden.
Ich bitte Sie um Zustimmung. Ich denke, das ganze Haus kann diesem Gesetz zustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat Herr Bundesminister Wissmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Hartenbach von der SPD-Fraktion dankbar für Ton und Inhalt seiner Ausführungen, die sich doch wesentlich von dem abheben, was wir sonst in dieser Debatte gehört haben. Letztlich handelt es sich bei der Straßenverkehrssicherheit um eine gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Kräfte. Jeder Unfalltote ist einer zuviel.
({0})
Wir müssen alles tun, um uns in den Fragen der Verkehrssicherheit noch weiter voranzubewegen.
Wir haben - das ist vorhin vom Kollegen Jung schon gesagt worden - mit einer Zahl von 8 700 Toten, die immer noch zu hoch ist, eine der besten Sicherheitsbilanzen in Europa. Erstmals seit 1952 hatten wir im letzten Jahr weniger als 9 000 Tote. Die Zahl der Unfälle ging um 8 Prozent zurück. Wir sind damit noch nicht zufrieden. Aber die Zahlen zeigen, wir sind auf dem richtigen Wege.
Mit dem heutigen Tag machen wir den Weg frei für ein Bündel weiterer Maßnahmen, die der Verkehrssicherheit dienen: eine veränderte Promillegrenze als Warnung an alle, die glauben, Fahren im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluß sei ein Kavaliersdelikt; ein Drogenentwurf, der ein klares Signal für alle die setzt, die glauben, man könne unter Drogeneinfluß im Straßenverkehr unterwegs sein; eine Verbesserung der Kontrolldichte durch die Einführung der Atemalkoholanalyse - die Antwort auf Ihre Anfrage, Frau Kollegin, ist Ihnen übrigens heute zugegangen -;
({1})
und schließlich eine Veränderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes, um beispielsweise mit einer deutlichen Anhebung der Obergrenze des Bußgeldrahmens von 1 000 auf 2 000. DM die Möglichkeit zu schaffen, wirklich extremen Rasern, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um mehr als 50 Stundenkilometer für Lkw bzw. um 60 Stundenkilometer überschreiten, noch stärker als bisher entgegenzutreten.
Ich glaube, es kommt auf zweierlei an: Auf der einen Seite muß man dem notorischen Verkehrssünder ganz eindeutig die rote Karte zeigen.
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Auf der anderen Seite muß man deutlich machen, daß auch ein kleiner Sünder im Straßenverkehr mit einer Ahndung rechnen muß, daß er aber nicht stärker. kriminalisiert werden darf als jeder andere Rechtsverletzer.
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Wir müssen auch in diesem Bereich die Chance der Resozialisierung schaffen.
Wir werden diesen Grundsätzen gerecht:
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Härtere Maßnahmen zur Verkehrssicherheit und weg mit unnötigen Schikanen. Wir erreichen dies unter anderem mit der Neuregelung des Führerscheinrechts, mit der wir das Punktsystem überarbeiten und dabei eine neue Bonusregelung einführen. Betroffene Autofahrer können durch den freiwilligen Besuch eines Aufbauseminars und einer freiwilligen verkehrspsychologischen Beratung Eignungsdefizite beseitigen und ihr Punktekonto abbauen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?
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Ja, bitte.
Entschuldigen Sie, liebe Kollegen, ich kann Ihren Unmut verstehen. Ich möchte aber in Frageform nur etwas richtigstellen.
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Antwort auf die Kleine Anfrage noch nicht bei mir angekommen ist? Ich hätte sie gern gehabt.
Die Antwort auf die Anfrage, liebe Kollegin, ist gestern aus unserem Hause abgeschickt worden, und ich muß eigentlich beim Postweg davon ausgehen, daß sie heute bei Ihnen vorliegt.
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Wenn das nicht der Fall sein sollte, bin ich gern bereit, sie Ihnen nachher selbst zu überreichen.
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Ich habe allerdings, verehrte, liebe Frau Kollegin, Zweifel, ob Ihnen sachliche und wissenschaftlich geklärte Antworten wirklich bei der Urteilsfindung weiterhelfen; aber trotzdem sind wir gern bereit, Ihnen die Antworten zu übermitteln.
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Meine Damen und Herren, wir glauben, daß die Regelung zur Promillegrenze ein deutliches Signal setzt, das Signal, daß nicht nur wie bisher die 0,3- oder die 0,8-Promille-Grenze gelten. Wir hoffen, daß auch für den Bereich der schätzungsweise 9 Prozent der Autofahrer, die bei den Kontrollen zwischen 0,5 und 0,8 Promille aufweisen, ebenfalls ein klares Signal gesetzt wird: Alkohol hat im Straßenverkehr nichts zu suchen.
Meine Damen und Herren, wir machen mit dem heutigen Verkehrssicherheitspaket auch den Weg für die Verabschiedung der 2. EU-Führerscheinrichtlinie frei;
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denn in einem gemeinsamen Europa brauchen wir einheitliche Bedingungen beim Erwerb und bei der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse.
Nachdem wir den Wegfall der Umtauschpflicht für Führerscheine aus anderen Mitgliedsstaaten bereits zum 1. Juli 1996 realisiert haben, geht es nun um das neue Führerscheinrecht. Wir schaffen insbesondere die Grundlagen für die neuen Fahrerlaubnisklassen und das neue Führerscheinmuster.
Mit den neuen Klassen werden wir auch ein neues Führerscheinmuster in Scheckkartenformat einführen. Der neue Kartenführerschein ist handlich, besonders fälschungssicher, und er wird mit rund 40 DM etwa soviel kosten wie der heutige Ersatzführerschein.
Meine Damen und Herren, ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Arbeit an diesen Verkehrssicherheitsgesetzen beteiligt haben, danken. Ich möchte nur noch einmal darum werben, daß wir den Grundsatz, von dem ich gesprochen habe - harte Strafen für die wirklichen Sünder, aber weg mit unnötigen Schikanen -, auch in der Praxis ernst nehmen.
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Wir haben es in den Koalitionsfraktionen quer durch alle Fachbereiche diskutiert, mit Verkehrspolitikern, mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen. Überall hat man aus der Praxis gehört, wie wichtig die Härte des Gesetzes gegenüber dem wirklichen Sünder im Interesse der Verkehrssicherheit ist,
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wie fragwürdig es aber ist, wenn man den Bürger mit bürokratischen Regelungen überzieht, die er selbst nicht nachvollziehen kann.
Auch zur Tempo-30-Zone sage ich ganz deutlich: Solche Zonen in Wohngebieten machen Sinn, und sie müssen durchgesetzt werden. Tempo-30-Zonen in Durchgangsstraßen oder nur zur Aufstellung von Radargeräten für Abzocker machen keinen Sinn. Ich glaube, zwischen diesen beiden Zwecken müssen wir unterscheiden.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie den Satz ernst, der vorhin vom Kollegen Jung ausgesprochen worden ist: Wir gewinnen die Verkehrsteilnehmer, auch die Autofahrer, für ein partnerschaftliches Verhalten, wenn wir überzeugend für Verkehrssicherheit werben, wenn wir den wirklichen Verkehrssünder hart bestrafen, aber nicht, wenn der Bürger das Gefühl hat, der Staat wolle ihn schikanieren. Das gilt für alle Verkehrsteilnehmer.
Wenn wir diese Grundsätze ernst nehmen, dann erreichen wir mehr Verkehrssicherheit und weniger Bürokratie, und genau das ist unser Ziel.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den etwas länger andauernden Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 18a: Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes in der Ausschußfassung auf den Drucksachen 13/ 1439 und 13/8917 Buchstabe a. Dazu liegen insgesamt vier Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8981: Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - per Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9051: Absenkung der Promillegrenze auf 0,0 und anderes. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor bei einer Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 8982: Absenkung der Promillegrenze auf 0,0. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS ohne Enthaltung abgelehnt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8973: Absenkung der Promillegrenze auf 0,5 unter Beibehaltung der bisherigen Ahndung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich muß die Abstimmung noch einmal wiederholen. Das hat mich glatt überfordert.
({0})
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und einiger bei der PDS gegen die Stimmen der SPD und einigen Stimmen aus der Gruppe der PDS abgelehnt.
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- Herr Kollege Dr. Gysi, ich darf das von diesem Stuhl aus nicht kommentieren.
Ich stelle jedenfalls fest, daß alle Änderungsanträge abgelehnt worden sind.
Dann kommen wir zu dem Gesetzentwurf. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes auf Drucksache 13/422. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/8917, Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/422 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und einer Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr auf 0,0, Drucksache 13/8917, Buchstabe c.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/612 ({2}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr auf 0,0, Drucksache 13/8917, Buchstabe d.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/694 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 c: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Führen von Kraftfahrzeugen unter Drogeneinfluß -, Drucksachen 13/3764 und 13/8979.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen; die Mehrheitsverhältnisse waren wie zuvor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/8985.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8984 ({3}): Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 9049: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 18 d: Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes in der Ausschußfassung auf Drucksachen 13/6914 und 13/7888, Nr. 1.
Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7907? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9061? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der vorgetragenen Berichtigung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen; die Abstimmungsverhältnisse waren wie zuvor.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7888 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7908. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 18e: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. Das sind die Drucksachen 13/5418 und 13/ 8655, Buchstabe a.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Drucksache 13/8655, Buchstabe b.
Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3691 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum Widerruf der Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen auf Drucksache 13/9045 zu erweitern. Über die Vorlage soll jetzt gleich ohne Aussprache abgestimmt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4})
Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
hier: Widerruf der Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen gegen das Mitglied des Deutschen Bundestages Dr. Erich Riedl ({5}) gemäß Artikel 46 Abs. 4 des Grundgesetzes
- Drucksache 13/9045 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Andreas Schmidt ({6})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 13/9045? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Gegenstimme einmütig angenommen.
Ich' rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a und 19b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stopp der deutschen Beteiligung am Eurofighter
- Drucksache 13/8150 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({7}) Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tippach, Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Keine Beschaffung des Eurofighters 2000
- Drucksache 13/8578 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({8}) Haushaltsausschuß
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und, wie ich vermute, gleich auch Staatssekretär Wilz erwecken den Eindruck, als sei die Anschaffung des Eurofighters zwangsläufig und selbstverständlich sowie vor allem aus industriepolitischen Gründen geboten. Da wir Parlamentarier allerdings eine gesamtpolitische Verantwortung tragen und keine Lobbyisten sein dürften, haben wir zwei Kernfragen zu beantworten.
Erstens. Sind die geplanten 180 Eurofighter sicherheits- und friedenspolitisch notwendig und unverzichtbar oder, entgegengesetzt, überflüssig und schädlich?
Zweitens. Sind die mehr als 30 Milliarden DM allein für die Anschaffung des Eurofighters im Rahmen der gesamten politischen Aufgaben, die wir bewältigen müssen, überhaupt politisch verantwortbar? - Um diese beiden Kernfragen geht es.
Zunächst zur sicherheitspolitischen Ebene. Der Eurofighter ist „ein Produkt des kalten Krieges"; das behauptet das Internationale Institut für Strategische Studien in London in seinem jüngsten Jahresbericht. Wie wahr: Das Rüstungsvorhaben entstand zu einer Zeit, als im Bereich des Warschauer Paktes 5400 Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber bereitstanden, um gegebenenfalls innerhalb kürzester Zeit über kürzeste Distanzen Angriffe vorzunehmen.
Die sogenannte Reorientierung, also die Anpassung an neuere sicherheitspolitische Bedingungen, die in Wirklichkeit aber mehr eine Desorientierung war, geschah vor dem Hintergrund des neuen strategischen Konzepts der NATO, das im November 1991 in Rom vorgelegt wurde. Sie wurde allerdings Jahre vor der Ingangsetzung der „Partnership-for-peace"Programme, Jahre vor der anlaufenden NATO-Osterweiterung, Jahre vor der seit Mai so hervorgehobenen strategischen Partnerschaft mit Rußland beschlossen.
Heute befinden sich die russischen Land- und Luftstreitkräfte - das wissen wir alle - im fortschreitenden Niedergang, hat die NATO jedes Gleichgewichtsdenken hinter sich gelassen und sich zu der militärischen Vormacht überhaupt aufgeschwungen. In dieser Situation 144 bisherige Jagdflugzeuge durch 180 drei- bis fünfmal so kampfstarke neue Eurofighter zu ersetzen ist nicht nur stures Besitzstandsdenken, sondern Rüstungsfundamentalismus pur.
({0})
Das bedeutet zugleich, daß der Jäger-Anteil in der Bundeswehr auf Jahrzehnte festgeschrieben wird,
unabhängig von der Fortentwicklung der NATO- Osterweiterung, unabhängig vom neuen strategischen Konzept der NATO, das zur Zeit in Arbeit ist und 1999 vorgelegt werden soll, und völlig unabhängig von den enormen Chancen des KSE-Prozesses. Zusammengefaßt: Die Eurofighter-Beschaffung ist nichts anderes als abrüstungsfeindlich.
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Doch damit nicht genug. Staaten wie Brasilien, Chile, die Türkei, Südkorea, Malaysia, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate werden inzwischen als Interessenten für den Eurofighter genannt. Und Minister Rühe bezeichnete hier im Deutschen Bundestag vor wenigen Wochen den Export des Eurofighters als Chance für die europäische Rüstungsindustrie.
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Damit schließt sich der Argumentationskreis der Eurofighter-Befürworter, die sonst notorisch auf die Entwicklung moderner Waffentechnologie und ihre Weiterverbreitung verweisen.
Durch Exporte in potentielle Krisengebiete sorgt man dafür, daß die potentiellen Bedrohungen nie ausgehen und die Rechtfertigung für die eigene Aufrüstung erhalten bleibt. Das ist in seiner zynischen Logik ein Beitrag zur Verewigung von Rüstungsspiralen.
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Wie sieht es mit unserer haushaltspolitischen Verantwortung aus? Bisher weigert sich die Bundesregierung, dem Parlament eine Gesamtaufstellung der Kosten des Eurofighters vorzulegen. Damit behindert sie ausdrücklich und mutwillig eine verantwortungsvolle Beratung.
Die Bundeswehr erhebt den Anspruch, Friedensunterstützung mit militärischen Mitteln bereitzustellen. Zugleich beteuern Sie von der Koalition immer wieder, daß es zuallererst auf die Krisenprävention ankomme. Nur, die Realitäten des Bundeshaushaltes laufen diesen Beteuerungen kraß, aber wirklich kraß, entgegen. Minimal und in der Regel schrumpfend sind die Ausgaben für internationale Krisen- und Gewaltprävention, sei es in Form der Entwicklungszusammenarbeit, sei es in Form der Demokratiehilfe. Auch für Friedensfachkräfte, die für eine Gewaltprävention in Krisengebieten enorm wichtig wären - dies hat eine Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit vor wenigen Tagen gezeigt -, für die eine Ausbildung von Bedeutung wäre, gibt es keine einzige Mark. Diese Diskrepanzen sind nicht nur skandalös; das ist vor allem kurzsichtig und dumm.
Die letzte Steuerschätzung machte erneut deutlich, wie desolat und zunehmend außer Kontrolle der Bundeshaushalt ist. In einer solchen Situation den Bundeshaushalt bis ins zweite Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts alljährlich mit insgesamt 3 Milliarden DM allein für den Eurofighter zu belasten zeugt nicht nur von Ressortegoismus und Ellenbogenmentalität gegenüber anderen Politikfeldern, es ist - so kann
man das zusammenfassend sagen - eine Haltung nach dem Motto: nach mir die Sintflut!
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Nach der letzten Emnid-Umfrage lehnen 80 Prozent der Bevölkerung, aber auch 65 Prozent der Anhänger der Koalition die Anschaffung des Eurofighters ab. Offenbar können Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Notwendigkeit des Eurofighters in keiner Weise vermitteln und plausibel machen.
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Wenn Sie ihn aber trotzdem durchboxen, dann sollen Sie wenigstens die Gelegenheit bekommen, bei der namentlichen Abstimmung in zwei Wochen Ihre persönliche Mitverantwortung für diesen räuberischen Vogel zu dokumentieren.
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Ansonsten wünsche ich Ihnen ein gutes Wochenende.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Wilz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen zur Rede des Kollegen Nachtwei.
Erstens. Es mag vieles für unsere Gesellschaft notwendig und wünschenswert sein. Aber neben der Gesundheit ist die Freiheit das höchste Gut. Mit der Freiheit sollte man nicht spielen und auch nicht experimentieren.
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Die zweite Bemerkung bezieht sich auf das, was Sie, Herr Kollege Nachtwei, zum Rüstungsexport gesagt haben. Was Sie uns dabei unterstellt haben, ist, gelinde gesagt,
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ein Auf-den-Kopf-Stellen der Tatsachen. Es gibt kein Land auf der Welt, das eine so restriktive Exportpolitik wie Deutschland hat.
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Die Luftwaffe muß mit einem modernen und leistungsfähigen Jagdflugzeug ausgerüstet werden. Dies verlangen die Verantwortung für Deutschlands Sicherheit und für unseren Bündnisbeitrag und vor allem die Verantwortung gegenüber der Truppe im Einsatz.
Die deutsche Luftwaffe hat im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung sowie der Krisenreaktion ein breites Aufgabenspektrum abzudecken. Luftgestützte Waffensysteme haben dabei im Frieden die Funktion, den Luftraum zu kontrollieren und die Lufthoheit zu wahren.
In Krise und Krieg stellen sie den Raumschutz insbesondere dort sicher, wo es keine Abdeckung durch bodengebundene Systeme gibt. Nur Jagdflugzeuge können eine lageangemessene flexible und variable Schwerpunktbildung im Gesamtluftverteidigungssystem gewährleisten. Unter den Luftverteidigungsmitteln sind nur Jagdflugzeuge im gesamten Spektrum von Frieden bis Krieg gleichermaßen einsetzbar.
Schon auf Grund der andauernden Proliferation von Waffen und Technologie wächst das Risiko von Luftangriffen nicht nur im Rahmen der Krisenreaktion, sondern mittel- bis langfristig auch für Deutschland oder Europa selbst.
Ab dem Jahre 2002 brauchen wir Ersatz für das seit 1974 in der Luftverteidigung eingesetzte Waffensystem Phantom sowie für die 23 MiG-29, die wir 1990 von der ehemaligen NVA übernommen haben. Sie erreichen das Ende ihrer Lebensdauer. Für die Luftverteidigung sind 140 Jagdflugzeuge erforderlich. Darüber hinaus soll ab dem Jahr 2012 ein Teil der alternden Tornado-Flotte durch 40 leichtere, mehrrollenfähige Kampfflugzeuge ersetzt werden.
Mit der von Verteidigungsminister Rühe 1992 eingeleiteten Reorientierung wurde der Eurofighter 2000 auf die sicherheitspolitischen Anforderungen der Zukunft zugeschnitten.
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Am 10. Dezember 1992 haben die vier Verteidigungsminister der betreffenden Länder eine Vereinbarung über die Anpassung des Programms unterzeichnet. Diese Vereinbarung zielte auf einen um bis zu 30 Prozent verringerten Preis - gemessen am Preisstand vom Dezember 1991.
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Dieses Ziel ist genauso erreicht worden wie die von den Generalstabschefs der vier Partnerstaaten neu definierte, reduzierte militärische Forderung. Deshalb gehört Ihr Vorwurf vom kalten Krieg, Herr Kollege Nachtwei, in das Reich der Fabel. Dies entspricht in keiner Weise der Wahrheit.
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Mit dem Eurofighter werden wir über das modernste Jagdflugzeug der Welt verfügen.
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Es ist im internationalen Vergleich das Flugzeug mit
der besten Einsatzwirksamkeit. Als Flugzeug der
vierten Generation ist es preisgünstiger als vergleichParl. Staatssekretär Bernd Wilz
bare Typen wie die französische Rafale oder die amerikanische F-18 E, auch in der Version F des Fighters.
Der Eurofighter ist in unsere Planung für die Bundeswehr stimmig und schlüssig eingestellt.
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- Hören Sie lieber zu, liebe Frau Kollegin Beer, was ich Ihnen sage. Das wird Sie dann überzeugen.
Die Finanzierung des Eurofighters ist im Plafond des Einzelplans 14 für 1998 und mit dem 31. Finanzplan gesichert. Es gibt keine unzumutbaren Verdrängungseffekte. Trotz der angespannten Haushaltslage haben wir eine Materialplanung, die dem Bedarf der Teilstreitkräfte aufgabenorientiert und angemessen Rechnung trägt. Die gesamten Streitkräfte werden ausgewogen ausgerüstet und modernisiert, natürlich auch Heer und Marine.
Bei der Marine darf ich nur an die Fregatten und die U-Boote erinnern, an den Einsatzgruppenversorger; beim Heer an den Tiger und den NH 90, an die Panzerhaubitze, an intelligente Munition und an neue Führungs- und Aufklärungsmittel.
Schließlich machen wir mit dem Gefechtsübungszentrum des Heeres auf dem Truppenübungsplatz Altmark unter Nutzung modernster Technik einen Quantensprung in der Ausbildung unserer Verbände. Die Simulationstechnik des Heeres liegt international an der Spitze.
Die Entscheidung zum Eurofighter unterstreicht Deutschlands Zuverlässigkeit als Partner in der internationalen Kooperation. Kein Land kann einseitig in das quadrolaterale Programm eingreifen. Das Flugzeug soll durch die Industrien der vier Partnerstaaten gemeinsam hergestellt werden. Jede Baugruppe für das Flugzeug wird nach dem „ Single-Source-Prinzip " jeweils nur in einem Land für alle anderen hergestellt. Zugleich wurde vereinbart, daß jeder Partner nach dem Territorialprinzip bezahlt, was in seinem Land gefertigt wird.
Wir bündeln die Luft- und Raumfahrttechnologie Europas. Nur durch diese Kooperation ist die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie weltweit konkurrenzfähig und in der Lage, entscheidende Zukunftstechnologien zu sichern. Auch sichern wir damit 18 000 qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland. 70 Prozent der deutschen Investitionen fließen über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in öffentliche Kassen zurück.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Unsere Verantwortung für unsere Sicherheit, für Deutschlands Beitrag zum Bündnis, vor allem aber gegenüber der Truppe im Einsatz verlangt, daß die Luftwaffe mit einem modernen Jagdflugzeug ausgerüstet wird. Sollte es in Zukunft einmal erforderlich werden, was wir nicht hoffen, Jagdflugzeuge international einsetzen zu müssen, wird niemand sagen: Das Flugzeug ist zu gut, zu teuer oder zu modern. Die Frage wird vielmehr lauten: Ist es gut genug? Gibt es nicht noch Besseres? Wurde zum Schutz unserer Soldaten
genug getan? Wenn wir dann mit Ja antworten, können Sie sagen: Der Eurofighter 2000 hat für unsere Sicherheit einen wichtigen Beitrag geleistet.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Wilz, Sie haben das hier sehr schneidig vorgetragen, aber leider nicht so überzeugend.
({0}) - Für Sie sicher, Herr Nolting.
Ich möchte aber doch fragen, warum der Herr Minister bei der Diskussion über ein so wichtiges Projekt nicht hier ist. Ich vermisse ihn schmerzlich.
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Wir diskutieren das größte Rüstungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und eines der umstrittensten. Petitionen mit 80 000 Unterschriften wurden vom Petitionsausschuß der Bundesregierung zur Erwägung empfohlen. 80 Prozent der Bevölkerung lehnen dieses Rüstungsprojekt ab. Sogar 65 Prozent der CDU/CSU-Wähler und -Sympathisanten sind dagegen.
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Warum ist dieses Projekt so umstritten?
Angesichts der sicherheitspolitischen Lage und angesichts der gesellschaftspolitischen und finanziellen Situation in Deutschland können Sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären, warum die Bundesregierung mindestens 23 Milliarden DM für ein Flugzeug ausgeben will, wenn gleichzeitig sich Armut ausbreitet, Renten, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld gekürzt werden, am Bildungssystem gespart wird, Jugendliche keine Ausbildung bekommen, keine Zukunftsperspektive haben und notwendige Investitionen wegen der riesigen Löcher in der Haushaltskasse nicht getätigt werden. Das ist nun einmal Tatsache.
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Gerade wieder sind wir damit konfrontiert worden, daß Steuereinnahmen in Höhe von mindestens 17 Milliarden DM fehlen.
Frau Kollegin Zapf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?
Wenn es denn der Sache dient.
Frau Kollegin Zapf, ich möchte Sie dreierlei fragen. Bin ich erstens richtig informiert, daß die Verteidigungspolitiker der SPD-Fraktion in ihrer Mehrheit ebenfalls für ein Jagdflugzeug sind?
Müßte man angesichts dieser Tatsache zweitens nicht das verteilungspolitische Problem, von dem Sie sprechen, wollte man Ihre Position wahrnehmen - unabhängig von der Frage nach dem Eurofighter -, ebenso lösen?
Und drittens: Der Verteidigungsetat wird doch nach wie vor nicht erhöht.
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Vielmehr handelt es sich um eine Auseinandersetzung, die die Prioritätensetzung innerhalb des Verteidigungsetats betrifft. Oder sind Sie da anderer Meinung?
Herr Kollege Breuer, ein Großteil der Fragen, die Sie gestellt haben, wird sich im Laufe meines Vortrages beantworten.
Zu der Verteilungsfrage will ich anmerken, daß jede Mark nur einmal ausgegeben werden kann und sich die Frage der Prioritätensetzung dann gesamtgesellschaftlich stellt. - Soweit die Antwort zu Ihrer Frage. Den Rest werden Sie meinen Ausführungen entnehmen können, wenn Sie diese paar Minuten noch Geduld haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich hier nicht im Detail mit den vorliegenden Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS auseinandersetzen, weil es wenig Sinn macht, sich mit einer sicherheitspolitisch grundsätzlich anderen Position auseinanderzusetzen. Die SPD will ja - Herr Kollege Breuer, vielleicht wird Sie das trösten - weder die Bundeswehr noch die NATO abschaffen.
Ich trage hier die sicherheitspolitischen, technischen und finanziellen Bedenken der SPD vor und gehe auf die Risiken ein, die wir in der Beschaffung des Eurofighters sehen.
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Das ist, so denke ich, eine seriöse Vorgehensweise, Herr Kollege Breuer.
Die Bundesregierung hatte von Anfang an dieses Projekt alleine zu verantworten. Die Koalitionsfraktionen werden es jetzt alleine zu verantworten haben, wenn sie der Beschaffung zustimmen, obwohl die Entwicklung noch nicht ausgereift und mit großen finanziellen Risiken behaftet ist. Die SPD hat der Entwicklung des Jäger 90 - jetzt: des Eurofighters - noch nie zugestimmt.
Ich führe einige Aspekte aus, die durchaus zu einer Abwägung bei einem solchen Projekt gehören. Der erste Bereich, den man betrachten muß, ist, so glaube ich, der sicherheitspolitische Aspekt. Es gibt keine
ausreichende sicherheitspolitische Begründung für dieses Rüstungsprojekt.
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Es ist ein Kind des kalten Krieges. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und erst recht nach der geplanten NATO-Osterweiterung sind wir von Freunden umgeben. Eine Bedrohung, die die Beschaffung von 180 Waffensystemen vom Typ Eurofighter begründet, existiert nicht.
Weder für die Bundesrepublik noch im Bündnis liegt ein abgestimmtes integriertes zukünftiges Luftverteidigungskonzept vor. Die Bundesregierung war bisher nur in der Lage, einen mageren Bericht zu diesem Thema abzugeben. Der Bedarf von 180 Flugzeugen ist gegriffen und industriepolitisch motiviert, um den ursprünglich geplanten Arbeitsanteil von 30 Prozent halten zu können.
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Es ist ein großes Planungsversäumnis, daß der Bedarf eines zukünftigen operativen Minimums der Kräfte und Mittel für die NATO-Luftverteidigung nicht bestimmt worden ist. Das ist angesichts knapper Kassen unverantwortlich.
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Neben dem Eurofighter gibt es zwei weitere europäische Flugzeuge, Gripen und Rafale. Es gibt die amerikanischen F-18 und F-22. Und es wird ein weiteres Flugzeug entwickelt, nämlich der Joint-StrikeFighter.
Eine Aufgabenteilung im Bündnis, die auch einer gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik dienlich sein könnte, wurde nie ernsthaft untersucht. Die einzelnen Mitgliedsländer könnten ihr Potential zum Beispiel in einen Pool einbringen, um eine Senkung der Stückzahlen und damit eine Senkung der Kosten zu erreichen.
Auch weitere Abrüstungsmaßnahmen, wie wir alle sie anstreben, werden bei den genannten Stückzahlen nicht betrachtet. Ich finde es bezeichnend, daß beim NATO-Vorschlag zur Revision des KSE-Vertrages beim fliegenden Gerät keine Reduzierungen vorgesehen sind.
Darüber hinaus gibt es technische Risiken, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen werde. Diese Risiken sind ungeheuer groß. Eine Beschaffungsentscheidung erscheint mir angesichts dieser Risiken zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Bei seriöser Planung dürften Sie dieses Projekt nicht in die Beschaffung gehen lassen. Es liegt noch nicht einmal eine vorläufige Einführungsgenehmigung für den Eurofighter vor, die nach den internen Vorschriften des BMVg bindende Voraussetzung für eine Beschaffungsentscheidung ist.
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Derzeit sind erst rund 10 Prozent der während der Entwicklungs- und Erprobungsphase vorgesehenen
Testflüge absolviert worden. Bei diesem Erprobungsstand ist eine seriöse Beurteilung des Restrisikos der Entwicklung und der späteren Nutzung nicht möglich, da die Anforderungen erst im Verlauf der weiteren Flugerprobungen gesteigert werden. Eine realistische und aussagekräftige Risikoeinschätzung ist somit erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Ich kann nicht verstehen, daß der Herr Minister den Bundesrechnungshof, der diese technischen Risiken aufzeigt - das ist immerhin seine Aufgabe - und davor warnt, so abqualifiziert und mit Hohn und Spott übergießt, wie er das im Verteidigungsausschuß gemacht hat.
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Dies ist nicht angemessen, meine Damen und Herren. Es ist die Aufgabe des Rechnungshofes, vor solchen Risiken zu warnen. Der Bundesrechnungshof hat sich das nicht aus den Fingern gesogen, sondern er bezieht sich auf Firmengutachten, auf Studien der IABG und auf Berichte des BWB, also des Bundeswehrbeschaffungsamtes des Ministers. Ich denke, man muß den Bericht des Bundesrechnungshofes an dieser Stelle in Schutz nehmen.
Meine Damen und Herren, wo liegen die technischen Risiken? Erstens. Sie liegen im Gewicht des Eurofighters. Es ist rund 10 Prozent zu hoch. Dadurch wird die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Frau Kollegin Zapf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Zapf, ist Ihnen bekannt, daß der Bericht des Rechnungshofes für eine Beschaffung des Eurofighters 2000 plädiert?
Herr Kollege Rossmanith, ich habe diese Frage durchaus erwartet, weil sie sich von Ihrer Seite nachgerade anbietet. Wenn Sie genau zugehört haben, dann wissen Sie, daß ich hier vor allen Dingen auf die finanziellen und technischen Risiken hingewiesen habe, die zum augenblicklichen Zeitpunkt bestehen und die bei einem Beschluß über die Beschaffung berücksichtigt werden müssen. Ich bin nicht darauf eingegangen, ob wir hier ein solches Fluggerät brauchen und in welchem Zeitraum wir es brauchen.
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Mir ist sehr wohl bekannt, daß der Rechnungshof Vorschläge für eine andere Einteilung bei der Beschaffung gemacht hat, die die Regierungsfraktionen allerdings abgelehnt haben.
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- Ich habe den Bericht des Rechnungshofes insofern in Schutz genommen, als der Minister die Risiken, die dort beschrieben sind, abqualifiziert hat mit dem Hinweis, daß die Herren vom Rechnungshof wohl nicht die Qualifikation hätten, so etwas überhaupt zu beurteilen. Darauf zielte meine Bemerkung. - Ich fahre fort, wenn Sie erlauben.
Die Gewichtsprobleme wirken sich auf die Beschleunigung, die Steigfähigkeit und die Agilität des Flugzeuges aus.
Zweitens entspricht das Radar in keiner Weise den Anforderungen an ein modernes Gerät. Es bestehen gerade bei diesen zentralen Systemen erhebliche Entwicklungsrisiken. Man muß davon ausgehen, daß das „Ding" entweder irgendwann einmal weggeschmissen werden muß oder daß die Reduzierung der Mängel zusätzliche erhebliche Haushaltsmittel erforderlich machen wird.
Das Flugsteuerungssystem, das eine der Hauptursachen für die Verzögerung des Programms war, ist nicht ausreichend erprobt. Da dieses System bei einem aerodynamisch instabilen Flugzeug wie dem Eurofighter von zentraler Bedeutung ist, ist es unverantwortlich, die Beschaffung ohne die erforderliche abschließende Erprobung des Systems zu beschließen. Die Erprobung des Flugsteuerungssystems soll aber erst 1999 abgeschlossen sein.
Es gibt Probleme bei der Defensiv-Avionik. Sie ist unverzichtbar, aber in der Beschaffungsvorlage nur in Teilen enthalten. Ein modernes Jagdflugzeug ohne ausreichende Schutzeinrichtung ist unvollständig, für die Piloten gefährlich und deshalb nicht zu verantworten.
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Außerdem fehlen ganze Systeme in der Beschaffungsvorlage, die aber laut interner Bundeswehrplanung zwingend gebraucht werden und nachbeschafft werden müssen. Die Vorlage ist also überhaupt nicht komplett. Es fehlen beispielsweise MIDS zum Datenaustausch zwischen Flugzeug und Bodenstation, FLIR als wesentliches System zur Erfassung von Zielen, NIS als - unbedingt erforderliche - Freund/Feind-Kennung. Neben all diesem: Von der Bewaffnung ist dann noch nicht einmal die Rede gewesen.
Ich komme jetzt zu den Kosten. Der Herr Minister hat eine sehr kreative Kostenrechnung vorgelegt,
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um auf den von ihm politisch gewünschten Gerätestückpreis in Höhe von 99 Millionen DM zu kommen. Mit einem viel zu niedrig angesetzten Systemzuschlag in Höhe von 26,5 Prozent rechnet er sich zusätzlich gesund und kommt auf einen Gerätesystempreis von 125 Millionen DM.
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Allerdings fehlen diesem System wesentliche Teile.
Mit allen Systemteilen braucht er 144 Millionen DM.
Und wenn er dann noch einen realistischen SystemUta Zapf
zuschlag in Höhe von 40 Prozent ansetzt, ist er schon bei fast 160 Millionen DM für einen Eurofighter - ohne Bewaffnung! Wenn wir die Bewaffnung noch dazurechnen, dann sind es 162 Millionen DM bzw. 177 Millionen DM für ein Jagdflugzeug oder 174 Millionen DM bzw. 189 Millionen DM für einen Jagdbomber.
Und da wollen Sie, Herr Staatssekretär Wilz, noch behaupten es würden keine wesentlichen Verdrängungseffekte entstehen. Ich sage: Es wird zu ungeheuren Verdrängungseffekten kommen. Wenn Sie nur das zugrunde legen, was in der Beschaffungsvorlage steht, wird ein Viertel aller militärischen Beschaffungsmittel allein durch den Eurofighter beansprucht, das heißt, die Ausrüstung zwischen den Teilstreitkräften wird unausgewogen. Ausbildung, Übungen und Betrieb der Bundeswehr werden in Mitleidenschaft gezogen. Die Materialerhaltung, die Ersatzteil- und Betriebsstoffversorgung werden noch schlechter werden, als sie es ohnehin schon sind.
Letztlich ist unsere Ablehnung auch damit begründet, daß der Schaden durch diese Beschaffungsvorhaben für die gesamte Bundeswehr, für die Streitkräfte und die Bundeswehrverwaltung, nicht zu verantworten ist.
Staatssekretär Wilz hat von 18 000 Arbeitsplätzen gesprochen. Ich möchte hinzufügen: Sie rechnen sich damit in die andere Richtung gesund. Es ist doch so, daß das Wirtschaftsministerium in der Beschaffungsvorlage von 10 000 Arbeitsplätzen ausgeht. Das ist doch ein gravierender Unterschied zu Ihrer Zahl. Vielleicht setzen Sie sich einmal zusammen und stimmen das ab. Trotzdem bleibt ihre Rechnung eine Milchmädchenrechnung, weil durch die unterlassenen anderen Beschaffungen, durch die Verschiebungen und ähnliches in anderen Bereichen Arbeitsplätze wegfallen. Sie können jede Mark nur einmal ausgeben.
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Deshalb sticht das Arbeitsplatzargument nicht, obwohl Sie uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen an diesem Punkt immer am meisten zu treffen vermögen. Das ist schon wahr, aber leider ist dieses Argument in diesem Fall wirklich nicht stichhaltig.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege Günther Nolting, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Luftwaffe braucht im nächsten Jahrzehnt ein neues Jagdflugzeug, da die gegenwärtig genutzte Phantom bereits jetzt veraltet ist. Ich will neben allen übergeordneten Gründen, auf die ich noch zu sprechen komme, heute festhalten: Wir schulden dies besonders unseren Piloten und ihren Angehörigen; denn wir müssen unsere Besatzungen notfalls in einen gefährlichen Einsatz schicken. Daher haben unsere Piloten und ihre Familien einen Anspruch auf eine angemessene Ausstattung, die ihnen die größtmögliche Gewähr dafür bietet, daß sie ihre erteilten Aufträge - diese Aufträge bekommen sie von der Politik - erfolgreich und ohne Schaden für Leib und Leben durchführen können.
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Wenn wir zum Auftrag der Bundeswehr stehen, dann wissen wir alle, daß dem Jagdflugzeug innerhalb der Luftverteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland und der NATO eine zentrale Rolle zukommt.
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- Frau Kollegin, wenn Sie sich noch einen Moment gedulden würden.
Ich möchte hier gern noch einmal auf den Auftrag der Bundeswehr eingehen: Erstens. Die deutsche Luftwaffe hat im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung im Frieden die nationale Lufthoheit zu wahren, den deutschen Luftraum zu überwachen und gemeinsam mit den Bündnispartnern zu schützen.
Zweitens. In der Krise hat die deutsche Luftwaffe zur Konflikteindämmung beizutragen und im Verteidigungsfall den Luftraum zu schützen und zum Schutz der Bevölkerung beizutragen.
Drittens. Bei internationalen Kriseneinsätzen muß die Luftwaffe in der Lage sein, einen schnellen und flexiblen Beitrag zum Schutz der eigenen Kräfte zu leisten und im Zusammenwirken mit den Bündnispartnern Krisenmanagement zu betreiben.
Diese Aufgaben sind mit der veralteten Phantom nicht mehr zu bewältigen.
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Ich verweise auch auf die in ökonomisch unsinnige Dimensionen gestiegenen Wartungsstunden pro Flugstunde. Mittlerweile kommen auf eine Flugstunde mehr als 80 Wartungsstunden.
Das Jagdflugzeug ist auf absehbare Zeit das einzige Mittel, das die positive und sichere Identifizierung von Bewegungen im Luftraum und damit seine Kontrolle und Überwachung ermöglicht. Frau Kollegin, ich möchte auf diese Risikovorsorge auch in Zukunft nicht verzichten. Ich denke, hier stehen wir gemeinsam in der Verantwortung.
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Die Konflikte der letzten Jahre haben gezeigt, daß Jagdflugzeuge für die Wahrung der Lufthoheit unverzichtbar sind. Damit wird auch in höchstem Maße der Schutz von am Boden eingesetzten Einheiten gewährleistet. Diese Einsatzkonzeption entspricht auch und gerade der neuen sicherheitspolitischen Lage.
Mit der Entscheidung für das neue Jagdflugzeug treffen wir eine Entscheidung für die nächsten
40 Jahre. Es gilt also, für mehr als zwei Generationen eine Risikovorsorge für unsere Bevölkerung zu treffen. Diese Risikovorsorge ist nicht zum Nulltarif zu haben. Der Eurofighter ist aber im Vergleich zu anderen Kampfflugzeugen die wirtschaftlichste Lösung. Frau Kollegin Zapf, Sie wissen ganz genau, daß Vergleiche durchgeführt wurden. Sie hätten das hier zumindest erwähnen können.
Wenn Sie die Gesamtkosten ansprechen, erwekken Sie den Eindruck, als müßten diese 23 Milliarden DM, die Sie hier genannt haben, im nächsten Jahr auf den Tisch gelegt werden. Wir reden hier aber über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.
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Es geht also um einen langen Zeitraum, für den wir Sicherheit zu gewährleisten haben, auf den sich aber auch die Kosten verteilen. Auch das wissen Sie ganz genau. Die Kosten sind also mit Blick auf den Zeithorizont erträglich und vertretbar.
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- Frau Kollegin Zapf, auch darauf hätten Sie hinweisen müssen, wenn Sie hier schon Zahlen in den Raum stellen.
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Ein letzter Punkt: Das Vorhaben Eurofighter sichert den Erhalt von Mindestkapazitäten in der deutschen und europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie und in den mittelständischen Zulieferbetrieben. So erhalten wir auf lange Sicht die europäische und transatlantische Kooperationsfähigkeit. Auf diese Fähigkeit möchte ich nicht verzichten.
Die Finanzmittel kommen letztlich dem Industriestandort Deutschland zugute und sichern qualifizierte Arbeitsplätze. Ein Großteil der Gelder fließt über Steuern und Abgaben in die öffentlichen Haushalte zurück. Dies alles sind Argumente, die für eine europäische Lösung beim Jagdflugzeug sprechen.
Daß wir ein neues Jagdflugzeug benötigen, Frau Kollegin Zapf, hat übrigens auch der Bundesrechnungshof festgestellt. Auch dies hätten Sie hier bei der Beantwortung der Frage, die der Kollege Breuer gestellt hat, zumindest erwähnen können.
Wenn wir ein neues Jagdflugzeug brauchen - das ist nach allem, was man von den Verteidigungsexperten hört, der Fall -, dann ist es vernünftig, es in Deutschland zu bauen.
So Ministerpräsident Schröder aus Niedersachsen, Mitglied der SPD. Er sagt weiter, er hoffe, daß das auch in seiner Fraktion umgesetzt werde. Er sprach sich dafür aus, für die Abstimmung im Bundestag den Fraktionszwang aufzuheben.
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Ich darf weiter zitieren, Frau Kollegin:
Ich hoffe, daß die Wahlkreisabgeordneten, um die es da geht, auch die meiner Partei, von der Fraktionsführung die Gelegenheit erhalten, so abzustimmen, wie es den Interessen des Wahlkreises und der eigenen Verantwortung entspricht.
So Ministerpräsident Schröder, SPD.
Ich hoffe, Sie werden ihm folgen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Graf von Einsiedel, PDS.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich weiß, für die meisten von Ihnen gehört Karl Marx in die Rumpelkammer der Geschichte.
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Ich zitiere ihn dennoch: „Der Mensch macht seine Geschichte, indem er seine Bedürfnisse befriedigt." Ein Satz, den noch keiner schlüssig widerlegt hat. Aber wie die vielen Heiligtümer, Tempel, Dome und Kathedralen, die seit der Steinzeit an allen Ecken und Enden dieser Welt errichtet worden sind, beweisen, hat der Mensch eben nicht nur materielle Bedürfnisse, sondern ein im tiefsten Innern seines Wesens begründetes Glaubensbedürfnis, ein Sicherheitsbedürfnis, ein Rückversicherungsbedürfnis.
Mit diesem Bedürfnis - ich möchte es einmal das metaphysische Bedürfnis nennen - sind nicht erst seit dem Ablaßhandel glänzende Geschäfte gemacht worden.
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Die Paläste der Versicherungskonzerne und die Paläste der Rüstungskonzerne legen dafür Zeugnis ab. Ihr geliebter Jäger 2000 ist in meinen Augen nichts anderes als ein gigantischer Ablaßhandel, mit dem ein irrationales Sicherheitsbedürfnis befriedigt werden soll. Rund 700 Stück will man davon in „Euroland" anschaffen. Kostenpunkt der nackten Anschaffung: weit über 100 Milliarden DM mit unabsehbaren Folgekosten. Da werden sicher auch glänzende Geschäfte gemacht werden. Aber ob das der Stabilität des Euro nützt, daran habe ich meine starken Zweifel.
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Wissen Sie eigentlich, was Sie da tun und warum Sie das tun? Psychoanalytiker würden bei Ihnen vielleicht eine Neurose diagnostizieren.
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Soweit will ich gar nicht gehen. Aber eine Sucht sehe ich schon. In über 40 Jahren kalten Krieges konnten Sie Sicherheit fast ausschließlich über militärische Macht definieren. Nun ist Ihnen der Feind abhanden gekommen.
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Nun lauert für Sie das Böse immer und überall. Rüstung ist für Sie durch Gewöhnung ein starkes Bedürfnis geworden, eine Sucht, ein Selbstzweck.
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Ich habe den Eindruck, Saddam Hussein ist für Sie geradezu ein Glücksfall. Denn so haben Sie einen pseudorationalen Anlaß, dieses Sicherheitsbedürfnis auch noch hochzujubeln.
Man könnte sich - um auf ein anderes Thema zu kommen - mit der NATO noch abfinden, mit einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem einschließlich Rußland, wenn das mit starken Abrüstungsschritten verbunden wäre. Aber der Jäger 2000 ist ein Signal in genau die entgegengesetzte Richtung.
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Sie werden Ihr Sicherheitsbedürfnis damit auf die Dauer nicht befriedigen. Sie werden Ihre Ängste nicht abbauen. Sie belügen sich selbst, wenn Sie daran glauben.
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Das Wort hat der Kollege Raidel, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach so vielen literarischen Einlassungen darf ich die Fakten ein bißchen zusammenfassen. Fakt ist: Kein Projekt ist so lange und so
intensiv in den zuständigen Ausschüssen beraten worden. Es liegen entsprechende Konzepte zugrunde. Unsere Beschaffung unterliegt der NATO- Erwartung und der NATO-Anforderung.
Fakt ist auch: Die Bundesregierung, der Verteidigungsausschuß und der Haushaltsausschuß haben beschlossen: EF 2000 wird beschafft. Die Finanzierung ist gesichert und in die entsprechenden haushaltstechnischen Jahresplanungen eingestellt. Damit ist grünes Licht gegeben, und ideale Startvoraussetzungen für EF 2000 sind vorhanden. Selbst der Bundesrechnungshof hat festgestellt: Wir brauchen ein Flugzeug. Er hat bei der Entwicklung zwar vieles kritisiert, hat dann aber auf der Grundlage der Entwicklung von EF 2000 selbst den Vorschlag gemacht, dieses Flugzeug zu beschaffen. Ich bin mir sicher, daß auch die große Mehrheit der Bevölkerung das so sieht und für diese Beschaffung ist.
Bündnis 90/Die Grünen und PDS haben Anträge gestellt, aus dem Projekt auszusteigen, den Eurofighter also nicht zu beschaffen. Diese Anträge sind nach meiner Auffassung zurückzuweisen; denn sie verkennen die militärische Notwendigkeit, die europolitische Bedeutung, die Innovationsqualität für den Standort Deutschland und auch die soziale Wirkung auf den deutschen Arbeitsmarkt.
Die Entscheidung für EF ist richtig und notwendig. Das wurde bereits militärisch begründet;
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denn der Luftraumschutz und die Luftverteidigung sind eben ohne ein modernes Jagdflugzeug nicht darstellbar. Wenn die Bundeswehr - davon gehen wir doch alle aus - kein unnützes Spielzeug sein soll, dann braucht sie eben auch das taugliche Gerät.
Interessierte Kreise sprechen von einem Verdrängungseffekt. Der ist nicht gegeben.
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Bei Großprojekten war es schon immer so, daß Schwerpunktfinanzierungen notwendig waren - schauen Sie beim Leo nach, schauen Sie bei Phantom nach, schauen Sie bei Tornado nach. In öffentlichen Haushalten allgemein, insbesondere aber im Verteidigungshaushalt, gibt es immer den Spagat zwischen Notwendigkeiten und haushaltstechnischen Möglichkeiten und Zwängen. Das ist immer so, das weiß auch jeder.
Trotz aller Skepsis, meine Damen und Herren: Der Verteidigungsminister und auch der Generalinspekteur haben ein positives Bild über die Entwicklung und über die Ausrüstung der Bundeswehr gezeichnet. Daran sollten wir uns halten, an nichts anderes.
Zur europäischen Bedeutung: An EF sind UK, Italien, Spanien und Deutschland quoten- und produktionsmäßig beteiligt. Durch solch multinationale Projekte wird die Gemeinsamkeit in Europa gestärkt. Mit der Entscheidung wird ein Stück Glaubwürdigkeit gegenüber unseren europäischen Partnern hergestellt, und - was ganz wichtig ist - die Unternehmen können jetzt endlich planen.
Zur innovationstechnischen Qualität: Eine moderne Industriepolitik weiß daß gerade der Flugzeugbau ein ungeheures Innovationspotential bei Avionik, bei Computertechnik, bei Elektronik, bei Datenverarbeitung, in der Metallurgie und bei anderen Werkstoffen beinhaltet. Flugzeugbau ist eben High-Tech und bedeutet Zukunft. Wer will, daß der Airbus technische Innovationen verwirklichen kann, der muß auch für EF 2000 sein. Jeder weiß: Der militärische Flugzeugbau ist die Mutter des Erfolges im zivilen Bereich.
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- Nein, das ist ganz direkt gedacht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie immer ganz klar denken würden und es nicht um die Ecke herum versuchen. Es bekommt Ihnen nicht besonders gut. - Deutschland darf sich nicht ausklinken, darf im Flugzeugbau den internationalen Anschluß nicht verlieren.
Zur sozialen Wirkung auf den deutschen Arbeitsmarkt: Jeder weiß, daß EF Arbeitsplätze in der wehrtechnischen Industrie in Deutschland und Europa schafft und erhält, aber eben nicht nur bei DASA, sondern auch bei weit über 100 mittelständischen und kleinen Unternehmen, zum Beispiel im Bereich der Ausrüstungsfirmen.
Sie sagen doch immer: Die beste Sozialpolitik in Deutschland ist diejenige, die Arbeitsplätze erhält und neue schafft. Kommt EF nicht, dann muß ein
Flugzeug im Ausland beschafft werden. Das heißt: Deutsches Geld würde ausländische Arbeitsplätze sichern, deutsche Arbeitsplätze und deutsches technisches Know-how gingen verloren. Die Abhängigkeit vom Ausland wäre perfekt. Wer will das denn? Im übrigen: Der Kauf von EF entspricht genau Ihrer Forderung, Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Genau das wird mit diesem Projekt gemacht.
Bündnis 90/Die Grünen und PDS sind gegen die Beschaffung. Die SPD ist in dieser Frage zerstritten und gespalten. Die einen sagen: Wir sind dafür, wir brauchen das Flugzeug, aber wir stimmen dagegen; die Verträge werden allerdings eingehalten. Andere sagen: Wir brauchen es nicht. Wieder andere meinen, es müsse neu verhandelt werden.
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Deswegen ist es richtig, daß im Parlament namentlich abgestimmt wird. Dann muß jeder Farbe bekennen.
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Alle Fachleute, meine Damen und Herren - ich betone: alle Fachleute, nicht irgendwelche Möchtegern-Fachleute -, stellen fest:
({5})
Technisch ist EF ausgereift und zu diesem Preis und für die vorgesehenen Aufgaben das beste Produkt auf dem Markt.
({6})
EF hat sich vom vielkritisierten häßlichen Entlein - das weiß jeder - zum stolzen Schwan gemausert. Er hat alle Hindernisse genommen, alle Gefahren gemeistert, alle Entwicklungsstufen erfolgreich durchlaufen
({7})
und die Serienreife erlangt. Wir möchten, daß EF fliegt - und er wird fliegen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil meine Fragen eben nicht beantwortet wurden, habe ich mich noch einmal zu einer Kurzintervention gemeldet.
Frau Kollegin Zapf, Sie sagten im Namen Ihrer Fraktion, es gebe keine sicherheitspolitische Begründung für das Flugzeug.
({0})
- Ich beschäftige mich, Herr Kollege Nachtwei, jetzt
mit den Äußerungen von Frau Kollegin Zapf, wenn
Sie gestatten. - Sie haben der Berichterstattergruppe Luftverteidigung selbst angehört. Ich kann das Ergebnis der sicherheitspolitischen Betrachtung hier nicht vortragen, weil es die Zeit nicht zuläßt.
({1})
Aber es trifft zu, daß dort gesagt wurde: Erstens erfordert die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung ein geeignetes Jagdflugzeug, und zweitens brauchen wir auf Grund von Risiken sowohl in der Luft wie auch am Boden Möglichkeiten für eine weiträumige Verteidigungsfähigkeit, also Boden-Luft-Fähigkeit. Das steht in den Unterlagen, die in dieser Berichterstattergruppe erarbeitet worden sind. Das war die sicherheitspolitische Begründung, die Ihre Kollegen von der SPD dazu gebracht hat, zu sagen: Ja, auch in der Zukunft benötigen wir die Fähigkeiten eines Jagdflugzeuges.
({2})
Nun weiß ich, daß das bei Ihnen nicht unumstritten ist. Ich weiß aber auch, daß eine klare Mehrheit der Verteidigungs- und Sicherheitspolitiker innerhalb der SPD diese Betrachtung teilt.
({3})
Dann kann man aber nicht hierher kommen und sagen, es gebe keine sicherheitspolitische Begründung. Das ist nicht seriös.
Ein Zweites: Herr Schröder, der ja nun immerhin die Aussicht hat, Kanzlerkandidat Ihrer Partei zu werden, sagt: Wenn der Eurofighter denn sicherheitspolitisch begründet ist und wenn der Preis darstellbar ist - so habe ich ihn verstanden - , bitte, dann beschafft ihn doch jetzt zusammen mit unseren Partnern. Dazu muß ich sagen: Es ist absolut logisch, was er sagt. Wenn der Eurofighter begründet ist und der Preis darstellbar ist, dann muß er jetzt deshalb beschafft werden, weil ihn die anderen Partner auch beschaffen.
({4})
Dritter Punkt - auch an Ihre Fraktion adressiert -: Wenn Herr Scharping, Ihr Fraktionsvorsitzender, in der sicheren Erkenntnis, daß wir jetzt kein Jagdflugzeug haben und keines in Entwicklung ist, sagt, man solle statt Jagdflugzeuge Transportflugzeuge beschaffen, heißt das, Sie wollen dem Thema absolut ausweichen.
Ich schließe mit einer Feststellung, die Ihr britischer Labour-Freund Bruce George, Vorsitzender des britischen Verteidigungsausschusses, getroffen hat.
Herr Breuer, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum Ende.
Nein, Sie sind am Ende. Noch einen Satz, dann ist Schluß!
Es ist ein gutes Schlußwort, was Bruce George neulich bei einem Besuch des britischen Verteidigungsausschusses hier äußerte: Gott sei Dank gibt es mit Blick auf den Eurofighter die CDU/CSU.
({0})
- Und die F.D.P.
Ich bedanke mich.
({1})
Frau Kollegin Zapf, möchten Sie erwidern? - Sie haben das Wort.
Herr Kollege Breuer, ich bin natürlich beeindruckt, daß Sie so viele Sozialdemokraten als Ihre Zeugen aufrufen.
({0})
Allerdings muß man manchmal etwas mehr differenzieren.
Ich möchte zunächst auf Ihr Argument der sicherheitspolitischen Begründung und auf die Aussagen der Luftverteidigungsgruppe eingehen. In dieser Luftverteidigungsgruppe haben immer noch die Koalitionsfraktionen die Mehrheit. Wenn dort etwas beschlossen wird, ist das nicht immer reinste sozialdemokratische Ansicht. Ich denke, ich habe ziemlich klar dargestellt, daß im Moment die sicherheitspolitische Begründung nicht für diese Anzahl von Flugzeugen spricht.
Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Breuer, daß sowohl aus Sicht des Rechnungshofs als auch aus sicherheitspolitischer Sicht die Verteidigungsstruktur eines Landes so aussehen muß, daß sie auch über eine fliegende Luftverteidigung verfügt.
Ich sage Ihnen aber folgendes zu der Situation, in der wir uns augenblicklich befinden. Wir haben ein Gerät, das zwar sicher nicht mehr das modernste ist, das wir aber gerade mit viel Geld modernisiert haben. Deshalb wäre es in der Tat seriöser, die Serienreife eines so unsicheren Projektes mit all seinen finanziellen und technischen Risiken abzuwarten, ehe man es beschafft. Das war meine Argumentation am Rednerpult. Man sollte sich nicht auf unkalkulierbare Risiken einlassen, um möglicherweise ein Starfighter-Desaster zu erleben. Das werden Sie nicht wollen, Herr Kollege Breuer. Wenn Sie es aber wollen, dann stimmen Sie allein dafür, jedenfalls nicht mit der kompletten SPD-Fraktion.
({1})
- Gut, ich komme jetzt auf Schröder zu sprechen.
Wenn Herr Schröder meint, die Anschaffung des Eurofighters sei begründet, dann sollten wir ihn wenigstens in Deutschland bauen. Das ist alles in Ordnung, Hen Kollege Breuer. Ich habe aber ausführlich dargestellt, warum ich glaube, daß im Moment die
Anschaffung sicherheitspolitisch nicht ausreichend begründet ist. Das operative Minimum, was dringend erforderlich ist, ist überhaupt noch nicht festgestellt. Die Synergieeffekte zwischen den NATO-Staaten sind noch nicht ausdiskutiert. Die Risiken sind zu hoch. Es gibt für mich im Moment also keine vernünftige Begründung, zu der Beschaffung ja zu sagen.
Herr Scharping hat auf das Transportflugzeug hingewiesen. Da sollten Sie vor allen Dingen im Auge haben, daß es dabei um die Argumentation in bezug auf den Erhalt von technischem Know-how und von Arbeitsplätzen geht. Herr Kollege Breuer, wir sind uns im Ausschuß eigentlich darüber einig, daß auch Transportkapazitäten notwendig sind. Die Verdrängungseffekte finden an dieser Stelle statt, denn das FLA wird ja verschoben. Es wird noch anderes verschoben. Zum Beispiel wird die Anschaffung von Hubschraubern verschoben, die ich in meiner Funktion als Berichterstatterin für wichtiger halte.
Frau Kollegin, bitte nur noch einen Satz.
Mich auf diese Punkte festzunageln, obwohl ich etwas ganz anderes ausgeführt habe - nämlich die Unmöglichkeit, zum augenblicklichen Zeitpunkt über eine so teure Beschaffung seriös zu entscheiden -, war einfach daneben, Herr Kollege.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8150 und 13/8578 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beendigung der Strafverfolgung für hoheitliches Handeln von DDR-Bürgern und über die Gewährung von Straffreiheit für Handlungen, bei denen der Strafzweck mit Herstellung der deutschen Einheit entfallen ist ({0})
- Drucksache 13/1823 - ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 13/4053 -Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dietrich Mahlo Hans-Joachim Hacker
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Prof. Uwe-Jens Heuer, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem von der PDS-Bundestagsgruppe vorgelegten Entwurf eines Strafverfolgungsbeendigungsgesetzes wird davon ausgegangen, daß kein Bedürfnis für ein derartiges Gesetz bestehe. Wir sind da entschieden anderer Meinung. Auch in der öffentlichen Debatte wird dies sehr häufig ganz anders gesehen.
Als wir vor dem 5. Jahrestag der Vereinigung unseren Gesetzentwurf unter anderem mit einer Anhörung vorbereiteten und einbrachten, gab es parteiübergreifende Bemühungen für das erklärte Ziel: Die Strafverfolgung muß ein Ende haben. So hat es am 23. Januar 1995 zumindest der vorherige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im „Spiegel" formuliert.
Im konservativen Spektrum der Bundesrepublik - das sage ich an Ihre Adresse - hat sich gerade in jüngster Zeit Peter Gauweiler trotz einer sehr scharfen Kritik am politischen System der DDR für Großzügigkeit, ja, für Ritterlichkeit gegenüber den Besiegten ausgesprochen. Es wäre um so notwendiger, sagte er im „Spiegel" vom 8. September dieses Jahres, wenn man diesem Gegner zuvor auch noch den Hof gemacht hätte.
Wenige Tage nach der ablehnenden Entscheidung des Rechtsausschusses zu unserem Gesetzentwurf hielt Egon Bahr am 16. März dieses Jahres seine bekannte Rede in Weimar zur Chance friedlicher Gemeinsamkeit. Er bekräftigte ausdrücklich seine Auffassung, daß zur inneren Gesundung eine Amnestie notwendig sei. - Soweit zu der Behauptung des Rechtsausschusses vom angeblichen Konsens über ein fehlendes Bedürfnis. Er hat in seiner Rede die Frage aufgeworfen, warum sich in anderen Ländern - aber gerade in Deutschland nicht - nach Bürgerkriegen und Revolutionen der Übergang zu friedlicher Gemeinsamkeit vollzogen hat.
Wieso sind es zum einen die PDS und zum anderen Querdenker aller anderen Parteien, die ernsthaft eine Wende in der Politik anmahnen? Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung - der Prozentsatz liegt zumindest nach der Meinungsumfrage des Bonner Dimap-Instituts vom 24. August 1997 bei rund 52 Prozent insgesamt, davon 58 Prozent in Ostdeutschland - fordert das Ende der Strafverfolgung der führenden Politiker der DDR. Im Bundestag gibt es dahingegen nur eine begrenzte Anzahl an Befürwortern dieser Forderung.
Offenbar hat das etwas damit zu tun, daß in der Politik allzu oft der Versuchung nachgegeben wird, zugunsten machtpolitischer Vorteile politische Probleme und Gefahren zu negieren.
({0})
Ich erinnere Sie noch einmal daran, was wir über die Versöhnung mit Tschechien in diesem Hause gesagt haben. Im Namen des ganzen Hauses konnte Frau Bundestagspräsidentin anläßlich der Rede von Nelson Mandela die Politik der Versöhnung in Südafrika würdigen. Aus der Kenntnis der konkreten Verhältnisse in anderen, ehemals realsozialistischen Ländern - in der Ukraine, in den baltischen Staaten, wo wir als Abgeordnete des Rechtsausschusses waren - weiß ich, daß in keinem anderen Land gegenüber der politischen Elite des Realsozialismus eine derartige Politik der Abstrafung betrieben wird, wie wir sie in der Bundesrepublik erlebt haben und erleben.
Es geht hier um einen deutschen Sonderweg. So, wie es hier läuft, läuft es in keinem dieser Länder. Dieser Weg kann weder aus einem besonders repressiven Charakter der DDR noch etwa unter Hinweis auf eine Gewaltpolitik am Ende der DDR gerechtfertigt werden.
Die Gründe für diesen Sonderweg haben offenbar etwas mit aktuellen Machtinteressen zu tun. Sie sind „Ausdruck eines Rachebedürfnisses", wie der Strafrechtler Ernst Tugendhat in der „TAZ" vom 13. November 1991 äußerte. Mittlerweile dürfte die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Funktionsträger und Bürger der DDR ebenso wie gegen westdeutsche Bürger, die für die Auslandsaufklärung der DDR gearbeitet haben, bei etwa 60 000 liegen - bis Mitte 1996 waren es 52 000. In fieberhafter Eile wurden jetzt noch Ermittlungsverfahren eingeleitet. Während die „Spione Ost" des BND rehabilitiert und entschädigt wurden, gab es über 6 600 Ermittlungsverfahren und 320 rechtskräftige Verurteilungen von „Spionen West" - ein eindrucksvolles Beispiel für skandalöse Ungleichbehandlung. Dabei liegt das Verhältnis von erledigten Eingängen zu Anklagen bei Regierungskriminalität bei 26 : 1 und bei Justizunrecht sogar bei 206:1, wobei von den Angeklagten nur jeder 7. rechtskräftig verurteilt worden war. Sichtbar wird hier ein geradezu blinder Verfolgungseifer, verbunden mit der Verschleuderung von Steuermitteln und psychischen und finanziellen Belastungen.
Die PDS-Bundestagsgruppe ist mit ihrem Entwurf völlig zu Recht davon ausgegangen, daß die politisch gewollte Strafverfolgung in Ostdeutschland weiter eskalieren wird, wenn sie nicht durch die Politik gestoppt wird. Wir haben mit unserem Strafverfolgungsbeendigungsgesetz der Beendigung der Strafverfolgung von hoheitlichen Handlungen einerseits und der Gewährung von Straffreiheit für teilungsbedingte Delikte andererseits eine Alternative aufgezeigt.
Wir bedauern es sehr, daß aus der Mitte des Bundestages keinerlei andere Vorschläge gekommen sind, die sich ebenfalls am Ziel des inneren Rechtsfriedens orientieren. Wir haben mehrfach betont, daß wir uns auch einer Amnestielösung nicht verschließen würden. Wir sehen in dem deutschen Sonderweg den krassen Ausdruck eines zutiefst falschen Gesamtkonzepts. „Wenn Deutschland auf dem Gebiet der inneren Aussöhnung nicht vorankommt, wird es
Europa nur hinkend erreichen", sagte Egon Bahr zu Recht.
Unser Entwurf will dem Sonderweg der Fortsetzung des Kalten Krieges ein Ende setzen. Damit würde auch die notwendige Auseinandersetzung um deutsche Geschichte, auch um persönliche Verantwortung, nicht erschwert, sondern erleichtert werden.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Luther, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von der PDS eingebrachten Entwurf eines Strafverfolgungsbeendigungsgesetzes kann man eigentlich nicht viel mehr sagen als das, was in der Begründung der Beschlußempfehlung steht, nämlich daß der Gesetzentwurf abzulehnen sei. Ansonsten ist die Beschlußempfehlung ein Kommentar ohne Worte. Denn wer den Gesetzentwurf liest, wird sehr schnell feststellen, von welcher Ideologie er geprägt ist.
Sie wollen diejenigen, die in der DDR hoheitlich tätig gewesen sind, schützen. Sie wollen, daß diese Menschen nicht strafverfolgt werden. Die Frage für mich ist: Wer sind denn diese hoheitlich Tätigen? Sie haben es in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf geschrieben. Sie meinen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR; Sie meinen Egon Krenz. Dann sagen Sie es doch klar. Sie wollen diejenigen schützen, die Menschenrechtskonventionen zwar unterschrieben haben, aber dafür verantwortlich sind, daß es in der DDR Hunderttausende politisch Verfolgter gab, die wir rehabilitiert haben, daß es Verwaltungsunrecht und Menschen gab, die politisch diskriminiert wurden oder an der Mauer bzw. am Grenzstreifen erschossen worden sind.
Meine Damen und Herren, diese Menschen werden auf Grund geltenden DDR-Rechts bzw. anerkannten internationalen Menschenrechtsschutzes zur Verantwortung gezogen. Deswegen ist es eine infame Behauptung in diesem Gesetzentwurf, daß es sich hierbei - man kann dies nachlesen - um politische Verfolgung seitens der Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland handeln soll.
Es besteht nicht der Eindruck, sondern die PDS will mit diesem Gesetzentwurf, aber auch sonst, den Eindruck erwecken - ich zitiere -, „daß die Sieger im Kalten Krieg diesen nunmehr über die strafrechtliche Abrechnung mit dem politischen Gegner von einst fortsetzen wollen". Das stimmt nicht. Das ist falsch. Das ist eine Lüge, die Sie verbreiten wollen.
({0}) Sie behaupten:
Die bislang ergangenen Urteile liefen im Ergebnis in hohem Maße darauf hinaus, Recht und Rechtsvorstellungen der Bundesrepublik Deutschland rückwirkend auf Handlungen in der DDR anzuwenden.
Das ist falsch. Es wird lediglich das Gesetz angewendet, das zu DDR-Zeiten gegolten hat. Daraufhin wird geprüft, ob sich die damaligen Machthaber zu Recht verhalten haben.
Herr Kollege Luther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heuer?
Nein.
In Ihrer Begründung kommen Sie noch zu viel schlimmeren Behauptungen - ich zitiere -:
Es gibt eine riesige Zahl von Ermittlungsverfahren, die tief in das Leben von Zehntausenden von Bürgerinnen und Bürgern eingreift.
Frau Luft hat in der Einbringungsrede, also in der ersten Lesung über diesen Gesetzentwurf das Ganze noch viel weitergetrieben und gesagt - ich zitiere -:
Wir debattieren heute ein Thema, das in den neuen Bundesländern Millionen Menschen persönlich betrifft.
Ich zitiere weiter:
Drittens geht es uns - also der PDS um die Aufhebung aller Formen der juristischen Diskriminierung ostdeutscher Menschen. Der von unserer Abgeordnetengruppe
- gemeint ist die PDS eingebrachte Entwurf eines Strafverfolgungsbeendigungsgesetzes hat das Ziel, den Kalten Krieg in Deutschland nun endgültig zu beenden.
Sie hätten es gerne, daß die Menschen diese Mär vom Kalten Krieg glauben. Der Kalte Krieg ist zu Ende - Gott sei Dank. Die meisten Menschen sind sehr froh darüber. Sie haben 1989 die Freiheit gewählt. Sie sind der Gefangenschaft in den Mauern der DDR entflohen. Darüber sind sie sehr froh.
({0})
Die Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sich nicht politisch verfolgt. Sie fordern vielmehr mehrheitlich und vielstimmig die Verlängerung von Verjährungsfristen für die strafrechtliche Verfolgung. Millionen Menschen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin fordern uns auf, die Verantwortlichen, die in der DDR hoheitlich gehandelt haben, die Verantwortlichen der Diktatur - verantwortlich für politische Verfolgungen, für das Ruinieren einer Volkswirtschaft, für die Erzeugung von Umweltkatastrophen und für den Tod an der Grenze - endlich zur Verantwortung zu ziehen.
Die Bundesrepublik Deutschland hält sich an das, was sie am 2. Dezember 1956 versichert hat - ich zitiere aus der Begründung Ihres Gesetzestextes -:
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß
freie Wahlen in ganz Deutschland, wie sie auch
immer ausgehen mögen, nur den Sinn haben dürfen, das deutsche Volk zu einen und nicht zu entzweien. Die Errichtung eines neuen Regierungssystems darf daher in keinem Teile Deutschlands zu einer politischen Verfolgung der Anhänger des alten Systems führen. Aus diesem Grunde soll nach Auffassung der Bundesregierung dafür Sorge getragen werden, daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands niemand wegen seiner politischen Gesinnung oder nur, weil er in Behörden oder politischen Organisationen in einem Teil Deutschlands tätig gewesen ist, verfolgt wird.
Meine Damen und Herren, dies wurde 1956 aufgeschrieben und stimmt noch 1989 und in den Jahren danach.
Viele arbeiten noch dort - das kann man sehen -, wo sie vor der Wende gearbeitet haben, zum Beispiel in der Verwaltung oder in der Schule. Auch die PDS wird nicht politisch verfolgt, sondern darf die demokratischen Rechte eines freiheitlichen Systems ausnutzen und hier im Deutschen Bundestag Anträge stellen, seien sie unsinnig oder nicht.
Vor wenigen Tagen war der 9. November. Am 9. November gab es in der deutschen Geschichte unrühmliche Ereignisse. Daran sollten wir immer wieder erinnern. Aber was auch wahr ist: Am 9. November 1989 ging in der DDR das Tor zur Freiheit auf. Der 9. November war und ist deshalb für mich auch ein Freudentag. Der 3. Oktober ist für mich ein Feiertag.
Frau Enkelmann, Sie haben in der ersten Lesung - ({1})
- Ich weiß, aber Frau Enkelmann hat das gesagt. Sie wollen offensichtlich im Protokoll stehen haben, daß Frau Enkelmann nicht da ist.
Frau Enkelmann hat in der ersten Lesung gesagt, daß sie am 3. Oktober nicht viel zu feiern habe. Ich verstehe das, aber das ist nicht unser Problem; für uns ist es ein Feiertag.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat Kollege Hacker, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gerade gestern hat sich der Deutsche Bundestag mit den strafrechtlichen Verjährungsfristen für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, die mit einer Haftstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, beschäftigt. Im Unterschied dazu geht es bei dem heute zu beratenden PDS-Gesetzentwurf nicht nur um mittelschwere Straftaten, sondern um eine Beendigung der Strafverfolgung bzw. die Aufhebung von Urteilen für alle Straftaten dieser Art während der DDR- Zeit.
Dabei legt die PDS-Gruppe ihrem Antrag die Annahme zugrunde, es gebe gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland eine Strafverfolgung von Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR allem deswegen, weil sie damals ein staatliches Amt inne gehabt oder eine Rechts- und Dienstpflicht nach DDR-Recht ausgeübt haben.
Meine Damen und Herren, diese Behauptung kann so nicht stehenbleiben. Die Gruppe der PDS sollte heute in der Debatte - leider ist dies nicht getan worden - eine Klarstellung in dieser Frage vornehmen, denn die Behauptung, Bürger der DDR würden allein wegen ihrer Amtsstellung oder wegen ihrer Rechts- oder Dienstpflichtsausübung verfolgt, ist schlicht und einfach falsch.
({0})
Die Verfolgung von Straftaten im Bereich der Regierungs- und Vereinigungskriminalität knüpft konkret an die Verletzung von Straftatbestimmungen des DDR-Rechts und die Verletzung elementarer Menschenrechte an.
Der Gesetzentwurf der PDS kritisiert, daß die gegenwärtige Rechtspraxis die Rechtskultur und die Rechtssicherheit untergrabe. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Regierungskriminalität und vergleichbaren Taten geht es aber nicht um eine pauschale Kriminalisierung des normalen Verwaltungshandelns und der alltäglichen Rechtsprechung der Gerichte der DDR, sondern nur um solches Handeln, das eben strafbaren Charakter hatte.
Herr Kollege Hacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?
Bitte schön, Herr Kollege Heuer.
Verehrter Herr Kollege Hacker! Sie sagten eben, daß die Taten alle nach DDR-Strafrecht abgewickelt würden. Ich weiß, daß das in vielen Fällen umstritten ist. Gerade deswegen haben wir unseren Entwurf so gestaltet.
Aber geben Sie nicht zu, daß jedenfalls in bezug auf die Schüsse an der Grenze das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung, das Rückwirkungsverbot insoweit nicht anzuwenden, doch davon ausgeht, daß hier nicht nach DDR-Recht bestraft wird?
Herr Professor Heuer, ich gehe davon aus, daß grundsätzlich das DDR- Recht Anwendung findet, wenn nicht das Recht der Bundesrepublik Deutschland das mildere Recht ist, was dann Anwendung findet.
Was die Schüsse an der DDR-Grenze angeht, so waren dies Straftaten, und die müssen verfolgt werden. Es gab in der DDR einen allgemeinen Schutz
des Lebens, und die Handlungen an der Grenze der DDR waren Unrecht.
({0})
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Heuer?
Bitte schön. Dr. Uwe-Jens Heuer ({0}): Wenn das so ist,
({1})
wieso hat dann das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß in diesem Fall das Rückwirkungsverbot des Art. 103 nicht gilt? Denn wenn das nach DDR- Recht strafbar gewesen wäre, hätte das Bundesverfassungsgericht nicht entscheiden müssen, daß das Rückwirkungsverbot in diesem Fall nicht gilt.
Herr Professor Heuer, mir ist nicht bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht die Urteile gegen die Mauerschützen, wie sie bezeichnet werden, aufgehoben hat. Die Urteile gegen die Mauerschützen, die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren gefällt worden sind, haben Bestand. Sie sind auch ein Ausdruck hoher Rechtskultur, weil bei all diesen Urteilen nach dem Alter und den sonstigen konkreten Umständen geurteilt worden ist und die Urteile auch dem zeitlichen Abstand und dem Alter derjenigen, die damals gehandelt haben, entsprochen haben.
Meine Damen und Herren, würde man entsprechend den Vorschlägen der PDS die Verfolgung dieser Straftaten vor Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen beenden, würden dies die Opfer dieser Straftaten und deren Angehörige als Verhöhnung ihres Schicksals empfinden; denn während der DDR- Zeit wurden diese Handlungen von den dazu verpflichteten Strafverfolgungsorganen eben nicht verfolgt, weil sie im Sinne der SED-Politik lagen. Allein deswegen lehnt die SPD-Bundestagsfraktion diesen Gesetzentwurf ab.
Wir können auch der PDS-Auffassung nicht folgen, daß die gegenwärtige Strafverfolgung, die von der PDS fälschlicherweise als eine politische Strafverfolgung bezeichnet wird, eine Politik der Aussöhnung behindern würde. Das Ziel des Gesetzentwurfs besteht anscheinend darin, die politischen Straftaten und die Menschenrechtsverletzungen in der DDR unter den Teppich der Geschichte zu kehren.
({0})
Das von der PDS erklärte Ziel, eine Politik der Aussöhnung zu befördern, würde geradezu konterkariert werden. Einen solchen Weg werden wir nicht mitgehen.
Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, sollte auch mit einer Legende aufgeräumt werden, die von interessierter Seite immer wieder verbreitet wird und auch aus dem Gesetzentwurf durchschimmert, nämlich der Legende von einer angeblichen Siegerjustiz. Dieser Vorwurf, Herr Kollege Heuer, ist unhaltbar; Sie wissen es. Es gibt in Deutschland keine Siegerjustiz, was allein durch den Verlauf und das Ergebnis der bisher durchgeführten Verfahren hinreichend belegt ist.
({1})
Man sollte sich in der PDS auch einmal die Frage stellen: Wer hätte wohl eine Justiz der Sieger ausüben können?
({2})
Es waren bekanntlich die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die das politische System der SED in einer friedlichen Revolution gestürzt haben.
({3})
Die Bürger der DDR haben 1989 über das SED-Regime gesiegt, nicht das System der alten Bundesrepublik. Die Bürger der DDR haben sich, wie immer man es in Ihren Reihen bewerten mag, entschieden, der Bundesrepublik Deutschland beizutreten. Auch ich habe mich so entschieden. Über die Wege dahin und die Mängel dabei könnte man an anderer Stelle lange diskutieren.
Wir, die Bürgerinnen und Bürger der DDR, haben uns selbst befreit und sind nicht von außen befreit worden.
({4})
Siegerjustiz, meine Damen und Herren, sieht anders aus. Die DDR hat selbst jahrzehntelang tausendfach das Beispiel dafür geliefert, wie Andersdenkende und politisch mißliebige Bürger in Siegermanier in einem totalitären System behandelt werden. Den Beschuldigten und Angeklagten wurden elementare Rechte im Strafprozeß verweigert. Oder wollen Sie vielleicht die Verfahren in Waldheim mit den Verfahren vor unseren Gerichten heute gleichsetzen, Herr Heuer? Das kann doch nicht wahr sein.
Nicht ein Angehöriger der staatlichen Organe, nicht ein Angehöriger der NVA, der VP, des DDR- Zolls, nicht ein Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit ist allein wegen seiner Zugehörigkeit zu diesen Organen strafrechtlich verfolgt worden. Der begründete Tatverdacht war und ist die Grundlage entsprechender Maßnahmen im rechtsstaatlichen Verfahren. Auch die Tatsache, daß es oft wegen schwieriger Beweissituationen bei weit zurückliegenden Straftaten nicht zu einer Anklage oder Verurteilung kommt, belegt doch überzeugend, daß nach rechtsstaatlichen Maßstäben ermittelt und entschieden wird.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf und insbesondere einzelne Begründungen zeugen davon, daß in der PDS die notwendige Auseinandersetzung mit Charakter und Methoden ihrer Vorgängerpartei und dem politischen System der DDR nicht ausreichend erfolgt ist.
({5})
Nicht wenige Mitglieder der PDS haben diese Defizite selbst erkannt und zum Teil auch öffentlich benannt.
Die Verfolgung politisch motivierter Straftaten ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den Opfern, die in Gefängnissen Leben und Gesundheit eingebüßt haben, denen Lebenschancen zerstört wurden und die andere mannigfache Unterdrückungsmaßnahmen erleiden mußten. Sie hat auch eine präventive Wirkung dahin, daß sich derartiges Unrecht in Zukunft in Deutschland nicht wiederholen kann.
Die Ablehnung des PDS-Entwurfs für ein Strafverfolgungsbeendigungsgesetz verbinden wir erneut mit der nachdrücklichen Feststellung, daß es Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers bleibt, endlich die Defizite bei der Wiedergutmachung für die Opfer des SED-Regimes zu beseitigen.
Hier gibt es nach wie vor Defizite. Ich bin an dieser Stelle dazu aufgerufen, diese zu benennen. Wir sind dafür, das geltende Recht im Rehabilitierungsbereich zumindest in der nächsten Legislaturperiode zu novellieren.
Abschließend ein Rat an die Gruppe der PDS: Sie wissen, daß dieser Gesetzentwurf in diesem Haus keine Chance hat. Er ist aus historischen, juristischen und am Ende auch politischen Gründen nicht vertretbar. Ich bitte Sie: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Denken Sie auch an den Ausspruch von Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
({6})
Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade in dieser Woche manches hier im Haus beschlossen, was heftige Kritik verdient hätte. Aber ein schlimmerer Gesetzentwurf, ein Gesetzentwurf, der mich wütender machen könnte als der, der heute vorliegt, ist mir bisher nicht unter die Augen gekommen.
Herr Heuer, ich habe Ihnen das in der ersten Lesung gesagt und war fest davon überzeugt, daß die PDS diese Geschichte in den Papierkorb des wohlfälligen Vergessens verschwinden läßt. Daß Sie nach den Ausschußberatungen die Stirn haben, hier noch einmal einen solchen Gesetzentwurf zu präsentieren, finde ich wirklich skandalös. Ich finde es gespenstisch.
({0})
Sie haben nach der gesamten deutschen Geschichte einen Gesetzentwurf formuliert, dessen § 1 lautet:
Bürger der DDR,
- das könnte man auch weglassen die in Ausübung hoheitlicher Aufgaben für die DDR und ihre Behörden tätig wurden, werden mit Inkrafttreten dieses Gesetzes für diese Tätigkeiten nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Dieser Gesetzentwurf besagt also - und das ist doch ein Wahnsinn; es ist alles sauber enthalten -: Wer zum Beispiel einen Brief geöffnet und das Geld darin in die eigene Tasche gesteckt hat, den wollen wir bestrafen. Diejenigen aber, die Tausende von Briefen geöffnet, also das Briefgeheimnis verletzt haben, die ihre Nachbarn, ihre Frauen bespitzelt und verraten haben, auch die Kinder, die ihren Vater ins Gefängnis gebracht haben, wollen wir nicht bestrafen. Wir wollen noch nicht einmal den Stasi-Agenten bestrafen, der Freiheitsberaubung betrieben hat, der in Ausübung seiner Tätigkeit einen Mord begangen hat. Nein, im Gesetzentwurf steht: Begleitende Straftaten werden nicht verfolgt.
Ich halte es wirklich für absoluten Irrsinn, uns so etwas auf den Tisch zu legen. Was mich schockiert, ist das Staatsverständnis, das in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt, ist die Haltung zu sagen: Ja, wenn du privat eine Straftat begehst, dann werden wir dich vor Gericht stellen und hart bestrafen. Wenn aber dein Staat dir sagt: „Werde der Verräter deines Bruders", dann kannst du sicher sein, daß dies nie verfolgt werden wird.
Das, Herr Heuer, ist ein Signal an Pinochet, an Pol Pot, an Kim Il-sung, ist der Schulterschluß mit Filbinger und Gauweiler, den Sie als Ihren Kronzeugen aufgerufen haben. Schämen Sie sich nicht? Ich kann das nicht begreifen. Von Gauweiler bis Gysi, von Filbinger bis Heuer - diese bunte Truppe im Land - ({1})
- Nein, Herr Heuer. Es gibt Menschen, die gesagt haben: Das mit der Vereinigung wird nichts. Ich habe den Eindruck, daß hier allmählich zusammenkommt, was zusammengehört; das sage ich Ihnen ganz deutlich. Da sage noch einmal jemand, der Vereinigungsprozeß schreite nicht voran.
In welcher Gesellschaft befinden Sie sich jetzt nach dieser deutschen Geschichte? Wir können die Nürnberger Prozesse und den Majdanek-Prozeß vergessen, wenn wir Ihrem Antrag folgen. Es gibt keine Aufarbeitung mehr.
({2})
- Herr Heuer, Sie werden ertragen müssen, daß ich mich hier ärgere, daß Sie sich - ({3})
- Jetzt wird es natürlich ganz toll, Herr Heuer.
Erlauben Sie, daß wir uns kurz unterhalten! Wenn Sie sagen, die Nazis sollte man verfolgen, aber die Stasi-Agenten nicht, dann ist das Tischtuch zwischen uns zerrissen. Ich bin der Meinung: Da verfolgen wir völlig unterschiedliche Traditionen.
Unsere Leute vom Bündnis 90/Die Grünen in Ost und West, zumindest viele davon, sind diejenigen gewesen - das meinte ich eben mit „Staatsverständnis" -, die, auch wenn es schwierig war, versucht haben, eine Opposition zu sein, Widerstand zu leisten und für Demokratie, Menschenrechte und Ökologie zu kämpfen. Wir stellen uns auf die Seite der Opfer.
Was tun Sie? Sie standen auf der Seite der Täter; Sie stellen sich wieder auf die Seite der Täter. Sie sagen: Was damals Recht war, kann doch heute nicht Unrecht sein. Sie bemerken gar nicht, in welche fatale historische Allianz Sie eintreten, weil Sie meinen, daß man links und rechts nicht gleichsetzen könne. Nein, hier schließen sich die Kreise, Herr Heuer. Ein totalitäres Staatsverständnis werden wir immer bekämpfen, mag es sich nun als links oder als rechts maskieren. Ich bin froh, daß Sie hier einmal die Maske haben fallen lassen.
({4})
Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege Häfner?
Ich lasse immer Zwischenfragen zu.
Bitte.
Ich habe mich auf Egon Bahr bezogen. Mit diesem Gesetzentwurf verfolgen wir das Anliegen, daß mit dieser Strafverfolgung Schluß gemacht wird. Wir haben eine unterschiedliche Auffassung darüber, was strafbar war und was nicht. Darüber wird sehr viel gestritten; darüber kann auch gestritten werden. Deswegen sehen wir diesen Weg als den einzigen an, auf dem wir das beenden können. Auf welchem Wege wollen Sie das beenden? Wollen Sie das auf dem Wege einer Amnestie beenden, oder wollen Sie es überhaupt nie beenden?
Es handelt sich um 60 000 bis 70 000 Ermittlungsverfahren. Das zieht sich bis in das nächste Jahrhundert hin.
({0})
Ist es nicht doch sinnvoll, wenn man in Deutschland überlegt, auf welche Weise man das beenden kann?
Dann kommen die Drogen; es kommt immer etwas Neues hinzu. Die Staatsanwaltschaft wird das rastlos verfolgen. Ich frage: Auf welchem Wege wollen Sie denn irgendwann einmal damit Schluß machen?
Nach 1945 ist das alles beendet worden. Taten, die der mittleren Kriminalität zuzuordnen waren, sind überhaupt nicht mehr verfolgt worden.
({1})
Aber jetzt soll alles bis ins Unendliche hinein verfolgt werden. Das ist mein Problem. Sehen Sie einen anderen Weg?
Die Frage ist angekommen.
Herr Heuer, das ist ja die Tragik der deutschen Geschichte. Was Sie mir jetzt sagen, haben mir mein Vater und meine Lehrer auch immer gesagt. Sie haben nämlich gesagt: Wann wollen wir denn mit dem ganzen Zeug aufhören? Können wir das denn nicht endlich beenden? Soll denn immer noch darüber geredet werden, wer damals was gemacht hat?
Die Aufarbeitung unserer Geschichte - so schmerzhaft das ist - wird nie zu Ende sein. Wir werden mit dieser Last leben müssen.
Ich will als Antwort auf Ihre Frage klar sagen, was ich will.
Deutschland ist immer das Land von Gesetzen gewesen. Ich habe zu Hause das Gesetzbuch für das Protektorat Böhmen und Mähren. Das erste, was man gemacht hat, war, den ganzen totalitären Wahnsinn in Gesetzesform zu gießen.
Ich möchte, daß diejenigen, die Terror gegen Menschen ausüben - die DDR ist eine Diktatur gewesen, in der Menschen ihrer Überzeugung wegen in das Gefängnis geworfen und verfolgt wurden -,
({0})
nicht hinterher wieder wie die Fettaugen auf der Suppe schwimmen. Ich möchte, daß sie wissen, daß es irgendwann einen Richter geben wird, der über solche Taten und auch über jene Taten richtet, bei denen man mit einem Gesetz Unrecht zu Recht erklärt hat.
Was Sie vorhin behauptet haben, ist ja völlig unwahr. Sie sagen, es stehe nicht der jeweilige einzelne Mensch mit seiner Tat vor Gericht, sondern ein ganzes System; die Menschen würden pauschal abgeurteilt.
Sie haben am Anfang Ihrer Rede die Fallzahlen genannt. Der bloße Blick auf die Fallzahlen beweist das Gegenteil. Sie wissen, daß über 90 Prozent der Verfahren mit Einstellungen und Freisprüchen enden. Warum? - Weil wir in den meisten Fällen rückwirkend gar nichts mehr tun können, weil wir nicht anders können, als DDR-Strafrecht anzuwenden.
Aber daß wenigstens vor Gericht geklärt wird, wer was getan hat, daß mit der pauschalen Verurteilung von Menschen, aber auch mit den pauschalen Freisprüchen, die Sie hier ergehen lassen wollen, Schluß gemacht wird, daß für die Zukunft klargestellt wird, daß es einen Richter geben wird, der nach Gesetz und Recht urteilt und vor dem sich diese Menschen werden verantworten müssen - das möchte ich, und das möchten Sie nicht. Sie wollen einen Freifahrtschein für Diktaturen und totalitäre Systeme. Das lehnen wir, Herr Heuer, mit aller Entschiedenheit ab.
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Es macht mich wütend, daß Sie hier so etwas einbringen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Röhl, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt wirklich schwer, bei dieser Debatte ruhig zu bleiben.
Mit dem Gesetzentwurf für ein Strafverfolgungsbeendigungsgesetz versucht die PDS - Frau Luft, Herr Heuer, Herr Gysi und Genossen - wieder einmal, eine Generalamnestie für - das hat sich in den jüngsten Prozessen gezeigt - Rechtsbeuger, Menschenräuber - ein solcher Prozeß findet jetzt in Berlin statt -, Mandantenverräter, Wahlfälscher - und was es sonst noch alles im Unrechtsstaat DDR gab - zu erwirken.
Nein, meine Damen und Herren von der PDS, das wiedervereinigte Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Wir lassen nicht zu, daß diejenigen, die über Jahrzehnte hinweg Menschen in der DDR gepeinigt, gequält, vertrieben und auch ermordet haben, unbestraft davonkommen.
Gerade gestern hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung eine Vorlage über die Verlängerung der Verjährungsfristen für vereinigungsbedingte Straftaten beraten. Das heißt: Wir, die parlamentarischen Vertreter des deutschen Volkes, haben im Einklang mit den Wünschen der Menschen der ehemaligen DDR gerade das Gegenteil Ihres Gesetzentwurfes beraten.
Sobald es auf rechtsstaatlichem Weg nur irgend möglich ist, soll derjenige, der in der DDR Unrecht an seinen Mitmenschen begangen hat, verfolgt werden. Nicht die vorzeitige Beendigung der Strafverfolgung allen DDR-Unrechts führt zum Rechtsfrieden, sondern dessen Verfolgung und Aufbereitung. Von den Opfern geht die Versöhnung aus, nicht von den Tätern.
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Deshalb hat der Bundestag eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung des von der SED angerichteten Unrechts eingesetzt. Daß gerade Sie, meine Damen und Herren von der PDS, diesen Gesetzentwurf einbringen, spricht Bände. Jeder hier im Haus und im ganzen Land weiß, daß Sie damit Ihre eigenen und im Sinne der SED verdienten Genossen, die sogenannten Altkader, vor Strafverfolgung schützen wollen.
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Nicht nur wir hier im Bundestag, sondern besonders die Menschen, die unter dem DDR-Regime gelitten haben, müssen dies als Verhöhnung ihres Schicksals auffassen. Wer solche Gesetzentwürfe einbringt, bringt nicht den Rechtsfrieden. Im Gegenteil: Er untergräbt jegliche Bemühung, inneren Rechtsfrieden im wiedervereinigten Deutschland überhaupt einmal herzustellen. Sie wollen einen Rechtsfrieden befehlen: gegen den Willen der Menschen und besonders gegen die Rechte der Opfer.
Ich bin überzeugt, daß diejenigen Mitglieder des Hohen Hauses, die demokratischen Parteien angehören, geschlossen gegen den Antrag der Gruppe der PDS stimmen werden.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion will - wie auch alle anderen, wie wir jetzt festgestellt haben - keine vorzeitige, keine generelle Amnestie für die willigen Täter einer Diktatur, sondern Gerechtigkeit für die Opfer. Wir müssen den Gesetzentwurf mit Entschiedenheit zurückweisen.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir müssen jetzt über den von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurf eines Strafverfolgungsbeendigungsgesetzes - Drucksache 13/1823 - abstimmen. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 4053, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/1823 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen eine Stimme von der PDS
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- ich habe eine Stimme gesehen; oder haben Sie mitgestimmt, Frau Fuchs? ({1})
- gegen zwei Stimmen von der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt.
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- Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe hingeschaut. Er hat nicht mitgestimmt. Es waren zwei Stimmen. Diese habe ich registriert. Dabei bleibt es. Wenn er jetzt erklärt, er wolle zustimmen, nehme ich das zu Protokoll. Aber korrigieren Sie nicht meine Feststellung! Er hat vorhin nicht mitgestimmt.
Wollen Sie für den Gesetzentwurf stimmen?
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- Also ist der Gesetzentwurf gegen die drei Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 25. November 1997, 11 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.