Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 200. Sitzung des 13. Deutschen Bundestages.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich drei Kollegen nachträglich ganz herzlich zum 60. Geburtstag gratulieren. Diesen runden Geburtstag feierte Peter Keller am 11. Oktober,
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Rudolf Seiters am 13. Oktober
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und Kurt Palis am 16. Oktober.
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Die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hauses!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing, Annelle Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschäftigung für Europa - Drucksache 13/ 8848 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Müller ({3}), Hanns-Peter Hartmann, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Beschäftigungsgipfel der Europäischen Union in Luxemburg am 20. und 21. November 1997 - Drucksache 13/ 8849 4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Werner Schulz ({5}), Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fördergebietsdarlehen für die Erneuerung des Wohnungsbestandes ostdeutscher Eigentümer und für Bauinvestitionen ostdeutscher Gewerbetreibender - Drucksachen 13/5000, 13/7292 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({6})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke DietertScheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Festlegung eines Kontingents für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstzufluchtsländern - Drucksache 13/ 8812 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Hans-Otto Schmiedeberg und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.: 5. Rahmenprogramm
Forschung der EU mit strategischer Schwerpunktsetzung zur Überwindung von Innovationsdefziten in Europa - Drucksache 13/8855 7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten
Des weiteren sollen Tagesordnungspunkt 13 b und c - es handelt sich um den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung -, der Tagesordnungspunkt 16 a bis c - das sind abschließende Beratungen zum Sexualstrafrecht und zum 6. Strafrechtsrefomgesetz - sowie der Tagesordnungspunkt 19 - Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - abgesetzt werden.
Die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 1996 der Wehrbeauftragten soll bereits nach der sogleich beginnenden Debatte zum Hochschulrahmengesetz aufgerufen werden und fällt somit in die Kernzeit.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Die in der 184. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Juni 1997 bereits überwiesenen nachfolgenden Vorlagen sollen nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 13/8035 überwiesen: Ausschuß für Gesundheit ({7}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
Gesetzentwurf von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Neunten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ({8})
- Drucksache 13/8039 überwiesen: Ausschuß für Gesundheit ({9}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Marieluise Beck ({10}), Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundsätze zur gesetzlichen Regelung der Berufe der Psychologischen Psychotherapie und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
- Drucksache 13/8087 überwiesen: Ausschuß für Gesundheit ({11}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
Der in der 197. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. Oktober 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf von der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuordnung der Steinkohlesubventionen
- Drucksache 13/8635 überwiesen: Ausschuß für Wirtschaft ({12})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
- Drucksache 13/8796 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({13}) Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes ({14})
- Drucksache 13/5358 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({15})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias Berninger, Andrea Fischer ({16}), Rita Grieshaber, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes ({17})
- Drucksache 13/8824 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({18}) Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({19}), Matthias Berninger, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reform der Personalstruktur an Hochschulen - Drucksache 13/6121 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({20}) Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Wolfgang Bierstedt, Maritta Böttcher, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Für offene, demokratische Hochschulen - Drucksache 13/8847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({21}) Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Rüttgers, das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät heute eines der wichtigen Reformprojekte dieser Legislaturperiode. Daß wir das heute tun können, darauf hätte am Beginn dieser Legislaturperiode kaum jemand zu wetten gewagt.
Ich möchte all denjenigen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben, herzlichst danken. Mein Dank richtet sich insbesondere an die Minister Zöllner und Zehetmair sowie die übrigen Landesminister und Beteiligten auch in den Fraktionen des Deutschen Bundestags.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an den Anfang dieser Rede ein Zitat stellen:
Ein wahrer menschlicher Staat vollzieht mit der Macht zugleich die Selbstbegrenzung der Macht, weil er das Recht verwirklicht. Er verwurzelt seinen Sinn in der alltäglichen Denkweise seiner Bürger, in ihrer Solidarität. Er vollzieht wie alles geistige Leben ständig Selbstkorrekturen. Seine Freiheit zeigt sich im gesetzlich geformten Kampf der Geister, die noch im radikalsten Gegensatz miteinander verbunden bleiben durch die gemeinsame Aufgabe. Er erfüllt sich mit allem Wissen und findet daher in dem geistigen Schaffen der Universität nicht nur sein hellstes Bewußtsein, sondern die Quelle der Erziehung seiner Bürger.
So sprach Karl Jaspers, als man 1945 die Universität Heidelberg unter bewegenden Umständen wiedereröffnete. Würdiger läßt sich das Verhältnis zwischen Universität und Staat schwerlich beschreiben.
Die Begriffe Recht, Solidarität und Freiheit sind damals wie heute in der Tat die Schlüsselbegriffe im Verhältnis des Staates zu den Hochschulen. Ein Rechtsrahmen muß sein, damit der Begriff der Freiheit in einer Demokratie konkrete Gestalt gewinnt und gestaltbar ist. Innerhalb des Rahmens kann und soll soviel Freiheit herrschen wie irgend möglich, nach meiner Überzeugung heute noch mehr als in der Vergangenheit.
Unser gemeinsames Ziel muß es sein, die Hochschulen so zu reformieren, daß der unverzichtbare Zusammenhalt zwischen Hochschulen, Gesellschaft und Staat erhalten bleibt und sich weiter entfalten kann.
Eine sachgemäße Hochschulreform kann zwar nur unter den realen Bedingungen von Staat und Gesellschaft, aber entscheidend doch nur aus dem Inneren der zeitlosen Idee der Universität erfolgen.
Auch dies sagte Karl Jaspers. Das Zitat stammt von 1960, also aus einer Zeit lange vor der Institutionalisierung der Gruppen, dem Öffnungsbeschluß und der Erfahrung der Massenuniversität. Jaspers' zeitlose Idee der Universität war dem Wirken und dem Denken Wilhelm von Humboldts verbunden.
Heute scheint die zeitlose Idee der Universität zwar nicht irrelevant, aber irgendwie doch unzeitgemäß. Idee und Wirklichkeit haben sich denkbar weit voneinander entfernt. Humboldts Universität ist tot. Diesen Satz muß man aussprechen und verinnerlichen, um Kopf und Herz für die neuen Aufgaben, die sich unserem Bildungssystem stellen, zu befreien.
Rückblickend haben Humboldts Reformideale de facto dem deutschen allgemeinen Bildungssystem des Industriezeitalters den Weg bereitet. Humboldt hat einen Bildungsgedanken befördert, der der damals weithin erstarrten Feudalgesellschaft den Übergang zur Dynamik der Industriegesellschaft erleichterte. Umgekehrt hat die Industrialisierung, die damit einhergehende Verschwisterung von Wissenschaft und Wirtschaft, das Humboldtsche Ideal schon im vergangenen Jahrhundert zusehends ausgehöhlt.
Lehre und Forschung können sich heute nicht mehr in Einsamkeit und Freiheit verwirklichen, wie Humboldt das meinte. Wir stehen heute vor einer Zeitenwende, dem Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft vergleichbar. Wir sind im Begriff, in ein neues gesellschaftliches Entwicklungsstadium einzutreten, ein Stadium, das ich die Wissensgesellschaft nenne.
Wo in der Agrargesellschaft Boden und Arbeit den landwirtschaftlichen Erfolg bestimmten, wird in der Wissensgesellschaft zunehmend die Kenntnis genetischer Pflanzencodes für Ernteerfolg und -erlös entscheidend sein. Wo in der Industriegesellschaft Maschinen und Stahlblech den Wert eines Automobils bestimmten, ist es heute schon das in der Mikroelektronik der Fahrzeugsteuerung gespeicherte Wissen.
Wer von Wissensgesellschaft spricht, meint, daß dem Wissen als charakteristischem Merkmal der sich wandelnden Gesellschaft in Abgrenzung zu früheren Zeiten in Zukunft mehr Bedeutung zukommt - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dafür brauchen wir ein Bildungssystem, das seine Aufgabe nicht nur in der Ausbildung erkennt, sondern vor allem auch in der Einstimmung junger Menschen auf ein Leben des Lernens.
Deutschlands Hochschulen sind nicht, wie manchmal behauptet wird, im Kern verrottet. Sie sind auch nicht in der Masse erstickt. Sie leisten unter schwierigen Bedingungen immer noch Enormes. Die Bedingungen für Bildung durch Wissenschaft, für forschendes Lernen, das zum wissenschaftlichen Denken befähigt, haben sich im 20. Jahrhundert gewaltig verändert. Vor 100 Jahren gab es 30 Hochschulen in Deutschland. Heute sind es 326. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es knapp 30 000 Studenten in Deutschland. Heute sind es 1,9 Millionen. Auf 10 000 Einwohner kamen seinerzeit knapp sechs Studenten. Heute sind es rund 240, und es werden in absehbarer Zeit noch mehr sein.
Preußisches Landrecht und Universitätsverfassung haben bis vor 100 Jahren noch ausdrücklich vorgeschrieben - ich zitiere -, „daß Frauen weder als Studierende noch als Hospitantinnen aufgenommen werden dürfen". Heute überwiegen in manchen Studiengängen die Frauen. Aber es gibt auch Bereiche, in denen man glaubt, das preußische Landrecht gelte noch immer, etwa im Bereich der C-4-Professuren.
Der Wissenschaftsglobus am Ende des 19. Jahrhunderts war klein. Das heutige Weltzentrum für Forschung und Lehre, die Vereinigten Staaten von Amerika, spielte eine geringe Rolle, und die heute so dynamischen asiatischen Bildungsstaaten existierten als wissenschaftliche Subjekte überhaupt noch nicht. Aber ausländische Studenten kamen damals nach Deutschland. Heute werden es immer weniger, und zu wenige deutsche Studenten studieren im Ausland.
Die Hochschulen müssen sich auf diesen Wandel der Verhältnisse, der sich erkennbar noch beschleunigen wird, besser als bisher einstellen können. Wir werden die Universitäten in die Unsicherheiten der Moderne entlassen müssen.
Drei Elemente spielen dabei eine Schlüsselrolle. Das erste ist die Freiheit. Die deutschen Hochschulen brauchen weitaus mehr Raum zur Veränderung, als der Staat bisher bereit war, ihnen zuzugestehen. Hier haben wir es mit einem konkreten Fall der Neuvermessung der Verantwortungsräume zwischen Staat und Gesellschaft zu tun.
Das zweite ist die Vielfalt. Die Einheitshochschule, welcher Prägung auch immer, ist kein Zukunftsmodell. Das Hochschulsystem muß offen sein für Innovationen, für Varianten und Variationen.
Das dritte ist der Wettbewerb, Wettbewerb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck. Nur
im Wettbewerb wird sich erweisen, wie sich Forschung und Lehre unter den Bedingungen der Wissensgesellschaft optimal entfalten können. Wer gegen Bürokratie ist, muß für Wettbewerb sein.
Wir werden im 21. Jahrhundert nicht mehr eine einheitliche Hochschule in Deutschland haben, sondern wir werden Hochschulen mit unterschiedlichem Profil haben. Die Hochschule wird ebenso Schule wie Forschungsstätte sein. Sie wird geistiges Zentrum einer Region wie auch Kristallisationspunkt internationaler Kontakte sein. Sie wird junge Menschen nicht mehr überwiegend für den Staatsdienst, sondern für die unterschiedlichsten Berufe ausbilden. Sie wird vor allem auch den Willen und die Fähigkeit zur Selbständigkeit stärken, ja stärken müssen. Sie wird Bildung und Wissen verbinden. Sie wird das Ganze im Auge behalten müssen und sich nicht im Einzelnen verlieren dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesen Leitgedanken orientiert sich der Entwurf des neuen Hochschulrahmengesetzes. Wir führen eine leistungsorientierte Hochschulfinanzierung ein. Die staatlichen Mittelzuweisungen an die Hochschulen sollen sich künftig an den in Lehre und Forschung sowie bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erbrachten Leistungen orientieren.
Es soll eine systematische Evaluation, also Überprüfung von Forschung und Lehre, geben. Die Studierenden werden an dieser Überprüfung der Lehre beteiligt sein.
Die Regelstudienzeiten werden im Hinblick auf die heutige Auffassung über angemessene Regelstudienzeiten neu festgesetzt. Künftig beträgt die Regelstudienzeit bei Fachhochschulgängen, die zu einem Diplomgrad führen, höchstens vier Jahre und bei den übrigen Diplom- sowie den Magisterstudiengängen in der Regel viereinhalb Jahre.
Das Thema Multimedia hält breiten Einzug in die Hochschulen.
Die Studienberatungspflicht der Hochschulen wird verstärkt.
Wir führen eine Zwischenprüfung in allen Studiengängen mit mindestens vier Jahren Regelstudienzeit ein. Das Bestehen der Zwischenprüfung soll im Regelfall Voraussetzung für die Aufnahme des Hauptstudiums sein.
Der sogenannte Freischuß wird in allen geeigneten Studiengängen eingeführt. Dadurch lassen sich die Studienzeiten nachweislich verkürzen.
Es wird ein Leistungspunktesystem geschaffen, das die internationale Mobilität der Studierenden und Absolventen fördert sowie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen gegenüber ausländischen Hochschulen stärkt.
Den Hochschulen wird die Möglichkeit gegeben, in grundständigen Studiengängen einen Bachelorgrad und in postgraduierten Studiengängen einen Mastergrad zu verleihen. Das macht den Studienstandort Deutschland für Ausländer wieder attraktiver.
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Wir führen eine Leistungsquote bei der Studienplatzvergabe für bis zu 25 Prozent der Studienplätze im Ortsverteilungsverfahren der ZVS ein.
Es wird ein hochschuleigenes Auswahlverfahren neben dem allgemeinen Auswahlverfahren für rund 20 Prozent der Studienplätze in bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen geschaffen.
Die pädagogische Eignung wird zu einer unbedingten Einstellungsvoraussetzung für Professoren gemacht. Die Habilitation wird als zwingende Einstellungsvoraussetzung für Professoren aufgehoben. Gleichwertige wissenschaftliche Leistungen auch aus einer Tätigkeit außerhalb des Hochschullebens werden anerkannt.
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Im übrigen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzt die Hochschulrahmenrechtsnovelle auf die Freiheit der Hochschulen durch Abschaffung unnötiger und hinderlicher Regulierungen. Entscheidung und Verantwortung werden bei den Hochschulen wieder zusammengeführt. Wir werden keine Hochschulreform von Ministeriumsschreibtischen aus organisieren. Sie muß vielmehr von denjenigen umgesetzt werden, die in den Hochschulen arbeiten.
Deshalb streichen wir mit dieser Novelle eine Vielzahl von Detailregelungen: Regelungen zur Ordnung des Hochschulwesens, zur Weiterentwicklung des Studiums und zum Lehrangebot, die Rahmenprüfungsordnung und die Studienordnung, Regelungen zur Prüfung und Prüfungsordnung, zur Hochschulforschung, zur Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Hochschulen usw. Das alles sind Regelungen, die wir streichen, um denjenigen, die in der Hochschule arbeiten, wieder Entscheidungen in eigener Verantwortung zu ermöglichen. All das muß nicht zentral geregelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Hochschulrahmengesetz wird auf einen Kernbestand von Vorschriften beschränkt, der für ein Hochschulsystem des 21. Jahrhunderts bundeseinheitlich geregelt werden muß.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Das neue Hochschulrahmengesetz ist nicht d i e Hochschulreform, aber der Anfang einer Hochschulreform. Am Ende wird die Hochschule des 21. Jahrhunderts stehen - mit mehr Freiheit, mehr Vielfalt und mehr Wettbewerb nach innen und nach außen.
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Ich erteile jetzt der Kollegin Edelgard Bulmahn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debatEdelgard Bulmahn
tieren heute den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes. Dieser Entwurf ist kein großer Zukunftsentwurf, in seinem Kernbereich aber ein vertretbarer Kompromiß. Er greift die in den Ländern vorangetriebenen Reformen auf und räumt den Ländern insgesamt größere Gestaltungsspielräume für weitergehende Reformen ein. Das halten wir für den richtigen Weg.
Dies und der damit einhergehende Abbau an Regelungsdichte im Gesetz wird von der SPD-Bundestagsfraktion nachhaltig begrüßt; denn wir wollen keinen staatlich verordneten Einheitstyp von Hochschulen, sondern ein differenziertes, leistungsfähiges System von Hochschulen, das den unterschiedlichen Anforderungen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Rechnung trägt.
Wir erwarten - das sage ich mit Nachdruck -, daß die Länder den Gestaltungsspielraum, den sie dazugewonnen haben, nutzen, den Hochschulen selbst ein höchstmögliches Maß an Autonomie einzuräumen und die Regelungsdichte in den Landeshochschulgesetzen zurückzunehmen. Denn wir vertrauen darauf, daß vor Ort, in den Hochschulen, am besten die notwendigen Entscheidungen getroffen werden können.
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Der zwischen Bundesregierung und Ländern ausgehandelte Gesetzentwurf bringt zweifelsohne in vielen Bereichen Fortschritte. Nennen möchte ich in diesem Zusammenhang nur die Einbeziehung der Weiterbildung und des Wissens- und Technologietransfers in den Aufgabenkatalog der Hochschulen, die stärkere Verpflichtung zur Frauenförderung, die Erweiterung des Aufgabenkatalogs der verfaßten Studentenschaften, die Ansätze zur Studienreform mit der Einführung des Credit-point-Systems, die Möglichkeit der Modularisierung der Studiengänge, die Ermöglichung der Einführung international üblicher Abschlüsse sowie die stärkere Berücksichtigung der pädagogischen Eignung bei Berufungen, die Einschränkung der Bedeutung der Habilitation als Berufungsvoraussetzung und die Selbstverpflichtung der Länder zur leistungsbezogenen Finanzierung und Evaluierung der Hochschulen. Der Gesetzentwurf ist daher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Für eine umfassende Hochschulreform, soweit diese in die Zuständigkeit des Bundes fällt, ist der Entwurf allerdings nicht ausreichend. Dieser Entwurf - das ist völlig unstrittig - muß durch eine Neuordnung der Ausbildungsförderung sowie durch eine bessere und verläßlichere Finanzausstattung der Hochschulen selbst ergänzt werden.
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Der Entwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß dringend auch durch eine Reform des Dienstrechtes und der Personalstruktur ergänzt werden, die einen Schlüssel zur Reform der Hochschulen selber darstellen.
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Schließlich bedarf der Gesetzentwurf selbst an einer ganzen Reihe von Punkten der Nachbesserung und Ergänzung.
Einer Nachbesserung bedarf die Frauenförderung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß trotz der Bemühungen der vergangenen Jahre die Unterrepräsentanz von Frauen in vielen Studiengebieten, insbesondere in den Ingenieur- und in den Naturwissenschaften, vor allem bei den Lehrenden gravierend ist. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Wissenschaft und Forschung - das wissen wir sehr wohl - ist nicht allein das Ergebnis von staatlichen Eingriffen, sondern vor allem das Ergebnis eines soziokulturellen Wandlungsprozesses.
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Aber es bleibt Aufgabe der Hochschulpolitik, Herr Laermann, diesen Wandlungsprozeß im Interesse der Frauen zu fördern.
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Es kommt in den nächsten Jahren des Generationswechsels an den Hochschulen darauf an, daß wir den Anteil der Frauen an den C3- und C4-Professuren steigern. Das ist Aufgabe der Hochschulen, und das muß explizit festgeschrieben werden.
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Deshalb bedürfen die im HRG-Entwurf enthaltenen Regelungen zur Frauenförderung, die zweifelsohne ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Gesetz sind, der weiteren Konkretisierung. So muß aus unserer Sicht die angestrebte leistungsorientierte Finanzierung genauso wie die Evaluierung auch an eine erfolgreiche Frauenförderung an den Hochschulen geknüpft werden. Dann können diese Instrumente einen wirksamen Beitrag zur Frauenförderung leisten.
Wir sollten darüber hinaus die Hochschulen im Gesetz verpflichten, Frauenförderpläne aufzustellen sowie Frauenbeauftragte einzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Studierenden sind das Herz einer Hochschule. Ich hoffe, das bestreitet niemand in diesem Plenum. Sie sind wesentliche Innovationsträgerinnen und -träger im Hochschulbetrieb und müssen diesen daher auch mitbestimmen können. Studierende haben ein Recht darauf, ihre Anregungen in den Prozeß der inhaltlichen und strukturellen Modernisierung der Hochschulen einfließen zu lassen.
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Wenn sie dieses Recht wahrnehmen sollen, gehört dazu auch die aktive Auseinandersetzung mit den gesamtgesellschaftlichen Problemen. Der Aufgabenkatalog der Studentenschaften wurde im HRG-Entwurf zwar entsprechend erweitert, aber die Einrichtung der verfaßten Studentenschaften ist in diesem Entwurf als Kann-Bestimmung geregelt. Das heißt im Klartext, es bleibt in Zukunft in das Belieben der jeweiligen Landesregierung gestellt, ob es eine verEdelgard Bulmahn
faßte Studentenschaft an der Hochschule gibt oder nicht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann der Bundestag nicht mitmachen. Ich sage das ganz deutlich.
({7})
Wir halten die Regelung im HRG-Entwurf für nicht ausreichend. Hier hat der Bundesgesetzgeber die Pflicht, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bundesgebiet zu sorgen. Deshalb müssen die Länder verpflichtet werden, an allen Hochschulen die Bildung verfaßter Studentenschaften zuzulassen. Das ist einer der wesentlichen Auseinandersetzungspunkte in den kommenden Beratungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich vermisse in dem Entwurf eine klare Aussage zur Frage der Studiengebühren. Allen Überlegungen, den Hochschulzugang und die Studienmöglichkeiten durch die Erhebung von Studiengebühren zu erschweren und soziale Barrieren zu schaffen, erteilt die Bundestagsfraktion der SPD eine ganz klare Absage.
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Studiengebühren sind kein geeignetes Instrument zur Überwindung der Unterfinanzierung der Hochschulen. Studiengebühren richten neue und zusätzliche soziale Barrieren für die Aufnahme eines Studiums auf. Sie sind dazu angetan, Jugendliche, insbesondere junge Frauen, aus Schichten mit geringem Einkommen vom Studium abzuhalten.
Da, liebe Kolleginnen und Kollegen, nützen auch keine Rückerstattungen. Ich sage Ihnen ganz klar: Ich habe es satt, daß gerade junge Frauen aus einkommensschwächeren Familien immer wieder in die Rolle von Bittstellerinnen und Almosenempfängerinnen gedrängt werden. Das machen wir nicht mit.
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Zumindest über einen Punkt müßte in dieser Republik Klarheit und Einigkeit bestehen, nämlich über den Punkt, daß für die Aufnahme eines Studiums allein die Leistungsfähigkeit und der Leistungswille der Studierenden entscheidend sind und nicht das Portemonnaie der Eltern.
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Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir einen Antrag einbringen, mit dem wir sicherstellen wollen, daß in der Bundesrepublik keine Studiengebühren erhoben werden.
Die in dem Hochschulrahmengesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, künftig auch den Bachelor- und den Mastergrad zu verleihen, wird von meiner Fraktion nachhaltig begrüßt. Wir halten dies für die richtige Weichenstellung. Die vorliegenden Formulierungen, so wie sie im Entwurf gefaßt worden sind, bei der vorgesehenen Doppelgleisigkeit von herkömmlichen deutschen und neuen angelsächsischen Abschlüssen werden allerdings erhebliche Probleme mit sich bringen. Hier gibt es einen ganz klaren und sehr dezidierten Beratungs- und Konkretisierungsbedarf.
So muß zum einen die Durchlässigkeit zwischen den Studiengängen sichergestellt werden und zum anderen eine Benachteiligung der Fachhochschulen, die im Moment bei dieser Formulierung gegeben ist, verhindert werden.
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Außerdem muß gewährleistet werden, daß diejenigen, die einen Bachelor-Abschluß erfolgreich erworben haben, auch für den Master-Studiengang zugelassen werden und im Rahmen der Ausbildungsförderung nicht anders behandelt werden als diejenigen, die einen Magister- oder Diplomstudiengang absolvieren. Auch das ist bisher nicht gewährleistet.
Schließlich müssen die Regelstudienzeiten für die verschiedenen Abschlüsse noch einmal überprüft werden. Ich habe mich jedenfalls immer dafür eingesetzt, einen Bachelor- und Masterabschluß zuzulassen, allerdings nicht mit dem Ziel, die Studienzeiten zu verlängern.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat aus meiner Sicht eine ganz große Schwäche. Er klammert den Bereich der Personalstruktur und der Schaffung eines einheitlichen Dienstrechtes der Hochschulen weitgehend aus. Innovationen werden aber von Menschen erdacht, erforscht, entwickelt und umgesetzt. Wenn wir von den Hochschulen erwarten, daß sie Stätten der Innovation für das 21. Jahrhundert werden, so sind die dort arbeitenden Menschen der Schlüssel zum Erfolg. Alle noch so dringenden Investitionen in Geräte und Gebäude helfen nicht weiter, wenn wir nicht in die Köpfe, in die Menschen, investieren
({12})
und wenn wir nicht für Personalstrukturen und ein Dienstrecht sorgen, die diesen Anforderungen, die sich aus den Aufgaben der Hochschule in Gesellschaft, Wirtschaft, Lehre und Forschung ergeben, Rechnung tragen. Das tut dieses wirklich altmodische Dienstrecht, wie wir es noch immer im HRG stehen haben, nicht.
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Deshalb ist die Überprüfung und Reform des Dienstrechtes und der Personalstruktur mehr als überfällig. Sie ist deshalb mehr als überfällig, damit wir diese einmalige Chance, die wir jetzt und nicht in zehn oder zwanzig Jahren haben und die sich aus der bevorstehenden Emeritierungswelle ergibt, neue Strukturen, neue Studiengänge und neue Forschungsschwerpunkte an den Hochschulen zu schaffen, nicht verspielen, sondern nutzen können.
Ich erwarte deshalb von der Bundesregierung, daß sie in Kürze - entsprechende Ankündigung des Bundesbildungsministers in diesem Haus vom 24. September - einen Vorschlag für eine Reform des Dienstrechtes und der Personalstrukturen, vorlegt.
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Im Rahmen der Beratungen, die wir in den kommenden Monaten durchführen werden, sollte auf jeden Fall innerhalb des HRGs die auch für die WissenEdelgard Bulmahn
schaft hinderlichen starren Zeitvertragsregelungen durch tarifvertragliche Vereinbarungen ersetzt werden. Wir werden beantragen, daß wir in das HRG eine Öffnungsklausel aufnehmen, die genau dies ermöglicht. Das ist das Mindeste, was wir den jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern schuldig sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lebendige, leistungsfähige Hochschulen sind angesichts der zunehmenden Wissensintensität aller Lebensprozesse ein Gebot der Selbsterhaltung und der Zukunftsvorsorge. Hochqualifizierte, sich ständig weiterbildende Fachkräfte und die Verfügbarkeit der jeweils neuesten, wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse sind hierfür die Schlüssel.
Hochschulen sind als Zentren der geistigen Auseinandersetzung Zentren der Kultur und tragen als solche nicht nur zur Persönlichkeitsentfaltung der Studierenden bei, sondern sie prägen darüber hinaus die Einschätzungen und Einstellungsmuster der gesamten Gesellschaft. Wenn man den Hochschulen bessere Rahmenbedingungen für ihre Aufgaben und Arbeiten geben will, dann darf man sich nicht auf Reparaturen am HRG beschränken, sondern dann brauchen die Hochschulen Reformen und größere Gestaltungsspielräume. Aber sie brauchen auch eine ausreichende Finanzierung.
({16})
Die Devise kann nicht lauten: Reform statt Geld. Niemand kann daran vorbeisehen, daß unsere Hochschulen in dramatischer Weise unterfinanziert sind. Besonders besorgniserregend ist aus meiner Sicht der kontinuierliche Rückzug des Bundes und der Länder aus der Hochschulfinanzierung. Es macht mir auch große Sorgen, wenn sich die Länder aus der Finanzierung zurückziehen. Dies trifft für beide Verantwortlichen zu, sowohl für den Bund als auch für die Länder.
Ich kann nicht daran vorbeischauen, daß sich der Anteil des Bundes an der Hochschulfinanzierung stark verringert hat. 1970 betrug der Anteil noch 14,3 Prozent; inzwischen sind wir bei 5,2 Prozent gelandet. Das ist eine falsche Entwicklung, die wieder rückgängig gemacht werden muß.
({17})
Eine unverzichtbare Voraussetzung für eine grundlegende Reform der Hochschulen ist eine Neuordnung der Ausbildungsförderung. Das BAföG ist infolge der verfehlten Politik der Bundesregierung regelrecht ausgeblutet und wird der ursprünglichen Zielsetzung, auch Jugendlichen aus einkommensschwächeren Familien die Teilnahme am Studium zu ermöglichen, nicht mehr gerecht. Die unzureichende ökonomische Absicherung der Studierenden steht auch in klarem Gegensatz zu allen Bestrebungen, die Studienzeiten zu verkürzen.
Deshalb, Herr Bundesminister Rüttgers, möchte ich Sie noch einmal nachdrücklich auffordern: Hören Sie endlich auf, die von allen für wichtig erachtete
Reform des BAföG weiter zu verzögern. Von Ihrer Seite ist bisher kein einziger konstruktiver Vorschlag gekommen.
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Wenn wir keine Reform des BAföG hinkriegen, ist eine Reform der Hochschulen nicht möglich. Deshalb mein eindringlicher Appell an Sie: Sorgen Sie endlich dafür, daß wir in diesem Deutschen Bundestag, in dieser Legislaturperiode, eine BAföG-Reform verabschieden können!
Ich hoffe, daß das Beratungsverfahren im Deutschen Bundestag sachgerecht fortgeführt wird. Ich hoffe, daß die Änderungsvorschläge der Fraktionen ernsthaft diskutiert werden und keine „closed shop"- Attitüde an den Tag gelegt wird, sondern wir das HRG an den Punkten, wo es notwendig ist, noch verbessern.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat der Kollege Thomas Rachel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erleben heute eine große Koalition der Vernunft. Nach jahrzehntelangen ideologischen Grabenkämpfen um die Hochschulpolitik beginnen wir, einen pragmatischen, von der Ideologie befreiten Kompromißweg zu gehen, der die Chance bietet, in den Hochschulen ein neues Kapitel aufzuschlagen, das Zukunftsfähigkeit bedeutet.
1976 trat das Hochschulrahmengesetz in Kraft. In diesen vergangenen 21 Jahren hat sich national und international viel verändert. Deutschland steht in einem tiefgreifenden Wandlungsprozeß, der nicht ohne Reformen bewältigt werden kann. Die deutsche Hochschullandschaft hat sich nicht ausreichend verändert. Wir müssen sie aber verändern, damit sich die junge Generation mittels einer exzellenten Ausbildung auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten kann.
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Sprechen wir es offen an. Wir haben derzeit Mängel in der Hochschullandschaft: überlange Studienzeiten, sinkende internationale Attraktivität - der Anteil ausländischer Studenten geht zurück -, drangvolle Enge an den Universitäten, 900 000 Studienplätze bei 1,9 Millionen Studenten.
Ich möchte jedoch nicht die Leistungen der Hochschulen kritisieren. Es ist bemerkenswert, wieviel Studenten Jahr für Jahr an unseren Hochschulen ausgebildet werden. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen haben die deutschen Hochschulen eine beachtliche Leistung erbracht.
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Die jetzige Hochschulreform muß dazu führen, daß Deutschland wieder eine internationale SpitzenstelThomas Rachel
lung einnimmt. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis. Wettbewerb zwischen den Hochschulen muß national wie auch international sein. Das können wir nur erreichen, wenn wir die einengende Reglementierung der Fachhochschulen und Universitäten beenden. Wir machen also etwas Politikuntypisches: Wir nehmen Reglementierungen des Staates zurück und verlagern Kompetenz dorthin, wo sie hingehört, geben sie an die Hochschulen zurück. Ich denke, daß dies der richtige Weg ist, auf dem wir vorgehen sollten.
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Meine Damen und Herren, Konkurrenz belebt das Geschäft. Wettbewerb auch unter den Hochschulen macht Verantwortung sichtbar. Der Erfolg des einen, wenn man ihn denn läßt, wirft ein grelles Licht auf Versäumnisse des anderen. So soll doch jeder Hochschulrektor zeigen, was seine Einrichtung beim Abbau des Defizits leisten kann. Aber er soll vom Erfolg auch profitieren können. Diese neue Denkrichtung wollen wir in die Hochschulreform einbringen.
Nun fordern manche die Einführung von Studiengebühren. Ich halte dem entgegen: Es ist eine demokratische und soziale Errungenschaft der Bundesrepublik, daß qualifizierte junge Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft und Einkommen der Eltern gleiche Chancen haben zu studieren. Ich halte nichts von der Einführung von Studiengebühren für das reguläre Lehrangebot an staatlichen Hochschulen.
Aber die SPD kann sich hier nicht aufschwingen. Wenn sie ein Bundesgesetz zum Verbot von Studiengebühren fordert, ist das eigentlich ein schlechter Witz. Wer wie Frau Brunn zuerst Krokodilstränen vergießt, daß durch eine HRG-Novelle die Eigenständigkeit der deutschen Bundesländer bedroht sei, und gleichzeitig eine gesamtstaatliche Reglementierung des Bundes in der Gebührenfrage fordert, der ist auf schwachen Füßen. Das ist keine argumentative Glaubwürdigkeit.
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Wir unterstützen Jürgen Rüttgers bei seiner klaren Haltung gegen Studiengebühren für das reguläre Lehrangebot. Das macht auch Sinn.
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Denn Studiengebühren bedeuten, daß Studenten zum falschen Zeitpunkt belastet werden, nämlich während des Studiums. Das hat den Zwang zum Jobben zur Folge und bewirkt eine Verlängerung des Studiums. Sie erfordern einen zusätzlichen Verwaltungsapparat. Und letztlich weiß jeder: Das Geld kommt nicht den Hochschulen zugute, sondern den Finanzministern der Länder.
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Deshalb wollen wir - jedenfalls ich - auf gar keinen Fall solche Studiengebühren.
Wo liegen die wichtigen Elemente der Hochschulreform? Wir wollen einheitliche Regelungen dort, wo wir sie für die nationale und internationale Mobilität der Studenten brauchen. Wir wollen aber gleichzeitig den Hochschulen mehr Luft zum Atmen geben. Unter den Talaren frische Luft nach all den Jahren - das ist das Ziel, das wir mit unserer Hochschulreform erreichen wollen.
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Wir wollen eine leistungsorientierte Hochschulfinanzierung: Staatliche Zuschüsse sollen sich an den erstklassigen Leistungen in Lehre und Forschung orientieren. Das ist der Ansatz, den wir gehen wollen. Dafür brauchen wir eine Evaluation der Hochschulen. Das heißt, daß wir die Hochschulen bewerten wollen, und zwar zweistufig: erst eine Bewertung der Hochschule intern auf der Ebene der Fachbereiche, aber dabei natürlich auch eine Befragung der Studenten. Denn sie wissen, was an den Universitäten gut oder auch schlecht läuft. Ihre Meinung ist gefragt. Erst danach eine externe Evaluation, also Bewertung, durch unabhängige Gutachter, die eine Vergleichbarkeit der Hochschulen gewährleisten soll.
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Das bedeutet Pluspunkte für die Studenten. Das Leistungsangebot der Hochschulen wird transparenter, und die Erfahrung der Studenten ist erstmalig bei der Hochschulgestaltung gefragt.
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Frau Odendahl, ich muß sagen, die Sonne blendet so sehr, daß ich Sie gar nicht gesehen habe. - Bitte!
Es ist gut, Frau Präsidentin, wenn man nur von der Sonne geblendet ist.
Herr Kollege Rachel, ich habe mich über Ihre Ausführungen hinsichtlich der Studiengebühren sehr gefreut. Sind Sie denn mit uns der Meinung, nachdem Sie so dezidiert dagegen Stellung genommen haben, daß wir dem Vorhaben, Studiengebühren ganz einhellig eine Absage zu erteilen, durch Aufnahme eines Verbots der Einführung von Studiengebühren in das HRG begegnen sollten?
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Liebe Frau Kollegin Odendahl, gern beantworte ich Ihnen diese Frage. Eigentlich könnte ich nur auf meinen Redetext verweisen.
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Ich habe gesagt, daß politisch die Aussage ganz klar ist: Ich halte nichts von Studiengebühren, weil sie die Studenten zum falschen Zeitpunkt belasten, einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeuten und nicht den Hochschulen, sondern den Finanzministern der Bundesländer zur Verfügung gestellt würden.
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Aber ich sage auch: Die SPD versucht, die Öffentlichkeit hier mit einem argumentativen Trick zu täuschen. Das werden wir als Koalition natürlich nicht mitmachen. Wenn man sich einerseits wie Frau Brunn dagegen wehrt, daß der Bund überhaupt eine Novelle zum Hochschulrahmengesetz vorlegt, weil die Eigenständigkeit der Bundesländer bedroht sei, aber auf der anderen Seite gerade in der Gebührenfrage, in der der Bund für die Länder nichts verbindlich zu regeln hat, fordert, daß der Bund eine gesamtstaatliche Reglementierung vornimmt, ist das scheinheilig. Diese Scheinheiligkeit werden wir als Koalition nicht mitmachen.
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Wir wollen die Hochschullandschaft wettbewerbsfähig machen. Wir wollen ein Leistungspunktesystem einführen. Das heißt, daß ein Transfer von Studien- und Prüfungsleistungen ermöglicht wird. Wir wollen die nationale, aber auch die internationale Mobilität der Studenten. Hochschulleistungen sollen an Hand dieser „credit points" angerechnet werden. Das sind Pluspunkte für die Studenten, bedeutet Erhöhung der Mobilität und aktiveres Studieren, da die Prüfungen vorlesungsbegleitend laufen. Schließlich können wir damit auch eine Verkürzung der Studienzeit erreichen.
Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang die Universität Bonn anschauen. Das ist doch das Modell. Die Universität Bonn hat im Studiengang Volkswirtschaft vor vier Jahren das Leistungspunktesystem, das wir in Deutschland jetzt generell einführen wollen, eingeführt. Seitdem hat sich die durchschnittliche Studienzeit von 14,5 Semestern auf 12,2 Semester verkürzt. Ich finde, das ist der beste Beweis, daß die Vorlage von Minister Rüttgers richtig ist.
Stichwort Zwischenprüfungen: Wir wollen spätestens nach dem vierten Semester Zwischenprüfungen einführen. Sie sollen im Regelfall auch das Aufnahmekriterium für das Hauptstudium sein. Zwischenprüfungen bedeuten Pluspunkte für die Studenten, denn sie bedeuten eine frühere Leistungskontrolle und damit auch eine Orientierung über den eigenen Leistungsstand, und sie dienen der Verkürzung der Studienzeit. Das ist eine wichtige Maßnahme, die wir brauchen.
Stichwort Freischuß: Meine Damen und Herren, die Juristen haben doch vorgemacht, daß man Studenten die Prüfungsangst nehmen kann, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, im Rahmen eines Freischusses, ohne daß es nachher angerechnet wird, frühzeitig ein Examen zu machen.
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Wir sollten doch als Gesetzgeber das, was an manchen Hochschulen bereits gang und gäbe ist, aber eben nicht an allen, nicht nur in der Juristerei zulassen, sondern in allen geeigneten Studiengängen. Der Freischuß ist ein gutes Modell. Er ist ein Pluspunkt für die Studenten, denn er bedeutet die Verringerung der Prüfungsangst und die Verkürzung der Studienzeit.
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Stichwort Verstärkung der Studienberatungspflicht: Meine Damen und Herren, es kann doch nicht angehen, daß sich Studenten Semester für Semester in Universitäten und Fachhochschulen aufhalten, aber die Frage, wann sich ein Professor mit ihnen auseinandersetzt, sie berät, ihnen Orientierungshilfe gibt, oftmals auf die Zeit kurz vor der Examensprüfung verschoben ist, mit dem Ergebnis, daß wir erst kurz vor dem Examen Studienabbrecher haben. Das wollen wir ändern. Deswegen sieht das Hochschulreformgesetz vor, in Zukunft die Hochschulen zu verpflichten, frühzeitig eine Studienberatung für die Studenten einzurichten. Das ist wieder ein Pluspunkt für die Studentenschaft in Deutschland. Es ist eine frühzeitige Information über die Eignung für das Studium. Vielleicht kommt es auch zu dem Hinweis, daß ein anderes Studienfach geeigneter wäre. Es bedeutet eine frühzeitige Orientierungshilfe.
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Meine Damen und Herren, wir wollen auch den Hochschulen mehr Rechte geben. Was wir wollen, ist ein Wettbewerb der Hochschulen in Deutschland, und zwar nicht nur leistungsorientiert um die staatlichen Gelder, um die besten Professoren, sondern auch ein Wettbewerb um die besten Studenten. Denn wir wollen, daß die Hochschulen aus ihrer Verkrustung herauskommen und sich in diese Konkurrenzsituation begeben.
Deswegen führen wir für einen Teil der Studienplätze, 20 Prozent, ein hochschuleigenes Auswahlverfahren in den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen ein. Ich halte das für sinnvoll, weil sich die Hochschulen plötzlich mehr Gedanken machen werden, welche Studenten oder Studierwillige mit welchen Vorkenntnissen aus den Schulen der verschiedenen Bundesländer sie aufnehmen, und auch mit der Frage befassen werden, welche Qualität die Schüler und Schulabgänger mitbringen. Diese Fragen werden plötzlich an Bedeutung gewinnen. Das ist gut für die Hochschulen in Deutschland. Das ist auch wieder ein Pluspunkt für die Studenten, denn Studenten mit knapp vom Numerus clausus abweichenden Notendurchschnitt bekommen plötzlich eine Chance, an eine erstklassige Universität oder Fachhochschule zu gehen, die sie vorher nicht gehabt hätten.
Schließlich zur Steigerung der internationalen Attraktivität: Meine Damen und Herren, Japans Führungskräfte werden in den Vereinigten Staaten ausgebildet. Das war vor einigen Jahren noch anders. Sie kamen nach Deutschland. Das muß uns mit Sorge umtreiben.
Woran liegt es? Erstens: Unsere Studienzeiten sind zu lang. Das sagt auch die SPD. Zweitens: Die deutschen Abschlüsse sind nur begrenzt verwendbar. Drittens: Die Hochschulen sind zu bürokratisch und auch zu unpersönlich. Viertens: Wir bieten weitgehend kein fremdsprachiges Angebot an.
Was können wir tun? Wir haben Verkürzungsmaßnahmen im Bereich der Studienzeiten angedacht. Wir wollen aber auch internationale Studienabschlüsse, Bachelor und Master, an den deutschen Hochschulen einführen - ich freue mich, daß auch die SPD diesem Gedanken zustimmt -, denn sie sind international anerkannt. Sie eröffnen mehrere Pluspunkte für die Studenten: bessere Verwendung und Verwertbarkeit von in Deutschland erworbenen Abschlüssen auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn die deutschen Absolventen werden sich ja nicht nur in Deutschland, sondern zunehmend auch auf europäischer und internationaler Ebene um einen Arbeitsplatz bemühen. Wir werden die Attraktivität der deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich verbessern und die wechselseitige Mobilität fördern. Das ist ein wichtiger Grundgedanke der Hochschulreform von Jürgen Rüttgers.
Da wir aber nicht warten wollen, bis die Hochschulreform Gesetzeskraft erlangt - das wird im Frühjahr nächsten Jahres der Fall sein -, hat das Bundesbildungsministerium ein Modellprojekt auf den Weg gebracht, durch das schon jetzt mehrere Universitäten und Fachhochschulen gefördert werden, die internationale Studiengänge auf den Weg bringen. Mit mehreren Millionen DM wird ein neues Programm auf die Beine gestellt: Vorlesungen, Übungen und Seminare werden auf deutsch und englisch gehalten. Dabei wird die Hälfte der Plätze von ausländischen Studenten belegt.
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Die Studenten werden die Chance haben, nicht nur das deutsche Diplom oder den Magister zu machen, sondern sie werden auch die Möglichkeit haben, die internationalen Abschlüsse Bachelor und Master abzulegen. Das sind Pluspunkte für Studenten.
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- Frau Bulmahn, ich sage Ihnen ganz klar: Wir sind sehr dafür, daß mehr ausländische Studenten in Deutschland studieren. Wir werden alles dafür tun, daß alle Hürden aus dem Weg geräumt werden, damit sie in unser Land kommen können; das ist ein wichtiger Punkt.
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Die internationalen Studiengänge sind ein Pluspunkt nicht nur für die internationale Attraktivität unserer Hochschulen, sondern auch für deutsche Studenten, unsere Absolventen, deren Chancen auf dem globalen Arbeitsmarkt erhöht werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tauss?
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe ja mehrmals per Zwischenruf versucht,
({0})
auf ein Thema aufmerksam zu machen, das Sie offensichtlich nicht ansprechen wollen. Deswegen stelle ich an dieser Stelle eine ganz konkrete Frage. Wir sind uns ja in der Zielsetzung einig, daß es notwendig ist, viele Ausländer in Deutschland studieren zu lassen, damit die künftigen Eliten in Wirtschaft und Politik aus diesen Ländern von Deutschland und Europa und nicht nur von den USA geprägt sind. Das ist ein großer Vorteil; dem wollen wir nicht widersprechen. Aber was tun Sie denn ganz konkret, damit die Behinderung des Zuzuges und der Einreise von ausländischen Studierenden, die im Innenministerium ausgebrütet wird, aufhört und man dort zu anderen Erkenntnissen kommt und unsere Einschätzung teilt?
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Was tun Sie, um diese Entwürfe endlich vom Tisch zu bekommen? Dadurch würden wir ein Signal nach außen geben, daß ausländische Studierende in Deutschland erwünscht sind, und nicht das Signal, wie es von Ihnen gesendet wird, gegeben, daß sie unerwünscht sind. Das ist ein völliger Blödsinn, den Sie dort anrichten. Was tun Sie da?
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Herr Kollege Tauss, ich stelle fest, daß Ihr Zwischenruf genauso wie Ihr Wortbeitrag einzuschätzen ist, der keine Frage war.
({0})
Ich finde es immer bemerkenswert, auf welch polemische Art Sie ein Problem ansprechen,
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um daraus parteipolitischen Nutzen zu ziehen. Das finde ich verwerflich.
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Wenn Sie hier dem Minister oder Abgeordneten der Koalitionsfraktionen vorwerfen wollen - das haben Sie mit Ihrem Wortbeitrag getan -, daß wir das Ziel hätten, den Anteil ausländischer Studenten zurückzufahren,
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weise ich das hier im Deutschen Bundestag mit aller Entschiedenheit zurück.
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Im Gegensatz zu Ihnen, der Sie hier lautstark in den Saal hereinbrüllen, vertreten wir diese Interessen und führen konkrete Gespräche nicht nur im Bundesbildungsministerium - Jürgen Rüttgers engagiert sich bei diesem Thema sehr -, sondern auch mit
den Kollegen der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung sowie dem Bundesinnenministerium mit dem klaren Ziel, Studenten nicht auszugrenzen, jemandem, der hier studieren will, auch die Chance zu geben, seinen Ehepartner mitzubringen,
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und ihn nicht nur in einem normalen Studiengang studieren zu lassen, sondern ihm auch anschließend die Möglichkeit zu geben, hier zu promovieren, wenn er es will. Freuen Sie sich doch einmal, daß wir auf dem richtigen Weg sind und vernünftige Maßnahmen auf den Weg bringen. Unterstützen Sie uns, und traktieren es nicht durch parteipolitische Gegenmaßnahmen!
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Meine Damen und Herren, auch ein Zwischenruf des Abgeordneten Tauss wird die große Koalition der Vernunft, die parteiübergreifend zwischen 16 Bundesländern unter Führung von Herrn Zehetmair und Herrn Zöllner und dem Bundesbildungsminister Rüttgers besteht, nicht daran hindern, eine Hochschulreform auf den Weg zu bringen, die frischen Wind und frische Luft in die deutsche Hochschullandschaft bringt. Das ist es, was wir brauchen: Leistungsorientierung und Profilierung der deutschen Hochschulen durch Wettbewerb. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen. Er wird sich für die Studentenschaft und das wissenschaftliche Personal an den deutschen Hochschulen positiv auswirken.
Herzlichen Dank.
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Ich rufe jetzt den Abgeordneten Matthias Berninger auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bildung ist das Megathema der Zukunft, hat Bundespräsident Roman Herzog kürzlich gesagt. Er hat recht damit. Ich glaube aber, daß die Art und Weise, wie wir die Bildungsreform zur Zeit diskutieren, und die Schwerpunkte, die die Politik in Bund und Ländern aktuell setzt, dieser Äußerung nicht entsprechen. Bildung ist nach wie vor eben nicht das Topthema, das sie eigentlich vor dem Hintergrund der Herausforderungen, denen wir uns alle stellen müssen, sein müßte. Bildung hat eher eine geringe Bedeutung und spielt sich auf einem Nebengleis der Politik ab. Vor diesem Hintergrund ist es gut, richtig und wichtig, daß wir hier über die Bildung und die Hochschulreform diskutieren und daß wir dabei vielleicht Fortschritte machen.
Wir sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Auch das ist inzwischen eine Binsenweisheit. 1985 waren 28 Prozent aller Arbeitsplätze von sogenannten Höherqualifizierten besetzt; im Jahre 2005 werden es weit über 40 Prozent sein. Das heißt, wir brauchen immer mehr Qualifikationsmöglichkeiten für junge Leute, die neu in die Berufe hineinkommen und die ausgebildet werden wollen; wir brauchen aber auch immer bessere Angebote für Menschen, die bereits im Beruf sind; wir brauchen endlich bessere Bedingungen für ein lebenslanges Lernen.
Das alles funktioniert aber nur, wenn Bildung endlich wieder zum Bürgerrecht wird. Im Moment kann man das für Deutschland nicht unbedingt behaupten, weil die Bildungslandschaft in Deutschland eine sehr große Gruppe von Menschen ausschließt. Weil wir keine Rahmenbedingungen für die Weiterbildung schaffen, schließt die Bildungslandschaft zum einen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus, die eigentlich eine Qualifikation bekommen müßten, und sie schließt zum anderen eine große Anzahl junger Leute aus, die zwar an die Hochschulen gehen könnten, weil sie die Fähigkeiten dazu besitzen, die aber keinen Zugang zu den Hochschulen finden, weil ihre Eltern schlicht und ergreifend nicht das Geld haben, um ihnen ein Studium - und sei es noch so kurz - zu finanzieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf muß sich daran messen lassen, ob er dieser Herausforderung, das Bürgerrecht auf Bildung zu verwirklichen, tatsächlich gerecht wird. Ich behaupte: nein. Zum einen gibt es keine wirkliche Neuerung in diesem Entwurf; es gibt nichts, das nicht schon in irgendeinem Bundesland - zum Teil weit über die vom Rahmenrecht gesteckten Grenzen hinaus und unter waghalsiger Interpretation der gegenwärtigen Rechtssituation - eingeführt worden wäre. Die Finanzautonomie ist schon seit langem - beispielsweise in Niedersachsen - eingeführt worden; das Auswahlrecht - ich sehe, daß sich Herr von Trotha nach oben bewegt hat - ist ebenfalls schon seit langem eingeführt worden, obwohl das im geltenden Gesetz noch gar nicht geregelt wurde. Ebenso sind viele weitere Punkte, die noch im Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz stehen, nur die Nachahmung dessen, was die Länder - und zwar parteiübergreifend - dem Bundesbildungsminister vorgemacht haben. Deshalb sollte er, der sich hier als der große Bildungsreformer geriert, lieber auf etwas leiseren Sohlen daherkommen, weil er ein großer Bildungsreformer nicht sein kann, wenn er nur das nachvollzieht, was in den Bundesländern schon längst erprobt wird.
({0})
Es gab eben eine Diskussion über das Thema der Studiengebühren. Es ist schon einmal gut, wenn in diesem Parlament gesagt wird: Das Bürgerrecht auf Bildung paßt nicht zu Studiengebühren. Ich finde es gut, daß alle Fraktionen sagen: Wir wollen keine Studiengebühren. Wenn man dann aber fortfährt und sagt, das sei Ländersache, dann irrt man sich ganz gewaltig, und zwar aus folgendem Grund: Auch Herr Kollege Rachel hat es gefordert; wir alle wollen eine bundesweite Mobilität der Studierenden. Wenn wir zulassen, daß einige Bundesländer anfangen, Studiengebühren zu erheben, während die anderen mit guten Argumenten, die wir alle im Hause teilen, sagen, daß sie keine Studiengebühren wollen, werden wir diesen Grundsatz der Mobilität nicht verwirkliMatthias Berninger
chen können. Vielmehr wird es Länder geben, in denen nur die Reichen studieren können, und es wird andere Länder geben, die allen Menschen die Gelegenheit geben, das Bürgerrecht auf Bildung zu verwirklichen. Das halte ich für einen falschen Weg.
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Nicht umsonst steht im Grundgesetz, daß uns das Ziel aufgegeben ist, eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten.
Minister Rüttgers hat die Länder über den Tisch gezogen. Er hat gesagt - ganz anders als die Konservativen in den 70er Jahren behauptet haben -, das Hochschulrahmengesetz sei überhaupt nicht mehr zustimmungsbedürftig. Das heißt, wir in diesem Hause hätten, wenn wir dieser Lehre folgten, die Möglichkeit, unserer Meinung Nachdruck zu verleihen und Studiengebühren bundeseinheitlich auszuschließen. Daß wir es nicht machen, wird ein Fehler sein.
Die letzte Bildungsreform ist durch eine BAföG-Reform angeschoben worden. Es gab ein Bildungswerbungsgesetz. Die derzeitige Bildungsreform wird die zaghaften Versuche in einigen Ländern beschleunigen und in Deutschland eine Studienlandschaft schaffen, wo manche Studiengebühren erheben werden und andere das aus guten Gründen nicht tun werden. Das wird zu Verzerrungen und Ungerechtigkeiten führen, die wir von Anfang an ausschließen könnten. Wenn wir das nicht machen, dann verpassen wir eine große Chance.
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Ich sagte eingangs, daß das Thema Bildung sonntags furchtbar wichtig genommen wird, im politischen Alltag aber nicht. Herr Erichsen hat, als er als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz aus dem Amt geschieden ist, gesagt, er habe, was die Finanzierung der Hochschulen angeht, sieben magere Jahre durchgemacht. Da hat er völlig recht.
Wenn ich auf der einen Seite sehe, was andere mächtige Industrieländer, die in der Standortdebatte als Konkurrenten auf dem globalen Markt angeführt werden, im Bereich Bildung investieren, und auf der anderen Seite sehe, daß Bundesbildungsminister Rüttgers im Bildungsbereich Jahr für Jahr gespart hat - auch dieses Jahr wieder -, daß der Bund - Frau Bulmahn hat das angedeutet - heute nur noch ein Drittel dessen für die Hochschulen aufbringt, was er in diesen 70er Jahren für sie aufgewendet hat, dann kann ich nur sagen: Diese Ausgangsthese von Herrn Rüttgers - im letzten September vorgetragen -, die Bildungsreform müsse zum Nulltarif gemacht werden, ist dermaßen falsch, daß ich für den Erfolg einer solchen Hochschulreform sehr, sehr schwarzsehe.
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Wir reden immer von den Hochschulen des 21. Jahrhunderts. Wer will das bestreiten? In spätestens drei Jahren haben wir die Hochschule des 21. Jahrhunderts.
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Das ist richtig. Das ist unbestreitbar. Das wird so sein. Ich glaube aber, daß, wenn wir bestimmte Strukturreformen nicht anpacken, diese Hochschule des 21. Jahrhunderts nicht das sein wird, was wir alle wollen, nämlich eine Stätte, an der möglichst viele Menschen die Chance bekommen, sich zu bilden, eine Stätte, die Deutschland in die Lage versetzt, die zukünftigen Herausforderungen auch im wirtschaftlichen Bereich in den Griff zu bekommen, eine Stätte, an der wieder ein Bürgerrecht verwirklicht wird, von dem ich glaube, daß das heute nicht mehr geschieht.
In der Debatte ist ein weiterer Punkt angesprochen worden, der für meine Begriffe eines der Hauptversäumnisse darstellt. In den nächsten zehn Jahren geht die Hälfte aller Professoren - man muß Professoren sagen, weil relativ wenige Frauen darunter sind - in Pension. Die sind nicht mehr da. Das heißt, die Bildungslandschaft wird sich radikal verändern. Die Personalstruktur an den Hochschulen kann in einer solchen Situation wunderbar radikal reformiert werden, weil die Besitzstände infolge der Pensionierungen dahin gehen, wohin sie gehören, nämlich auf das wohlverdiente Altenteil. Wir können eine neue Reform starten. Wir können anfangen, im Personalbereich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Hochschulen den Anspruch, den wir an sie haben, nämlich Bildungsreformen in Gang zu setzen, auch erfüllen.
Dabei gibt es zwei Probleme, Das eine Problem ist die Verbeamtung von Professoren. Hier ist Herr Kanther davor. Da möchte er nicht heran. Das zweite Problem ist: Das gesamte Dienstrecht Verbeamtung ist ein alter Zopf. Auch dadurch verhindert das Bundesinnenministerium die Bildungsreform.
({5})
Thomas Rachel, ich glaube, es ist richtig, zu sagen, daß die meisten Bildungspolitiker die Bedingungen für ausländische Studierende verbessern wollen. Man muß aber auch sagen, daß im Bundesinnenministerium überhaupt nicht so gedacht wird. Während sich Herr Rüttgers und Herr Kinkel hinstellen und uns im Rahmen auswärtiger Kulturpolitik erzählen, wie offen die Hochschulen sein sollen, steht auf der anderen Seite der Bundesinnenminister, der dicke Wälzer produzieren läßt, die die Bedingungen für ausländische Studierende effektiv verschlechtern werden. Das ist der eigentliche Skandal.
({6})
Herr Berninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Laermann?
Ja.
Bitte, Herr Laermann.
Herr Berninger, Sie und andere möchte ich fragen,
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ob Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, daß es seit eh und je möglich war, daß Hochschullehrer, daß Professoren - auch als es noch sogenannte ordentliche Professoren gab - als Angestellte an den Hochschulen tätig sein konnten. Eine ganze Reihe meiner Kollegen waren Angestellte und nicht Beamte. Diese Möglichkeit gab es immer und gibt es nach wie vor. Es ist auch jetzt nicht darauf abzuheben, daß der Bundesinnenminister verhindert, daß es eine Veränderung in den Personalstrukturen an den Hochschulen gibt. Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? Mir ist sehr daran gelegen.
Herr Kollege, selbstverständlich bestanden diese Möglichkeiten. Deshalb fordere ich ja, daß es zur Regel wird, daß Professoren nicht mehr verbeamtet werden, daß es zur Regel wird, daß sich Professoren nicht mehr - wie es heute oft der Fall ist - relativ wohlbetucht um das kümmern, was sie interessiert, und nicht um das, was ihre Aufgabe ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Sie wissen selbst, daß beim Beamtenstatus ein grober Klotz nötig ist. Sie wissen auch, daß die Mehrzahl aller Professoren nach wie vor verbeamtet ist. Es ist auch so, daß diejenigen Professoren, die in den letzten Jahren an den Hochschulen nachgekommen sind, verbeamtet worden sind. Ich erwarte von einem solchen Gesetz, daß es hier zu einer radikalen Trendwende führt.
Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel nennen, von dem ich glaube, daß es wichtig ist: die Evaluation. Wir wollen alle Studierenden daran beteiligen, daß sich die Universität selbst überprüft und selbst verbessert. Das nützt aber nur dann etwas, wenn man mit der Evaluation auch eine Handhabe hat. Warum sollte man Professoren nicht erst einmal für vier Jahre auf Probe benennen und dann sehen, ob sie pädagogisch und wissenschaftlich qualifiziert sind oder sich nicht eignen? Wir spielen heute an sehr vielen Stellen va banque. Wir schicken die angehenden Professoren durch bürokratische Habilitationsverfahren, an deren Ende natürlich sehr viel Wissenschaftliches herauskommt und bei denen sie am Ende diesen Titel bekommen. Dies ist aber häufig viel zu spät. Sie werden viel zu alt sein, wenn sie dann an den Hochschulen lehren werden. Zugleich ist auch überhaupt nicht sicher, daß sie pädagogisch geeignet sind. Aus meiner Sicht sind die kleinen Schritte, die im Gesetz zur Verbesserung der pädagogischen Eignung vorgenommen werden sollen, nicht ausreichend.
Ich will noch einmal auf den zweiten Teil zurückkommen. Warum wird die Pensionierungswelle zu einem
solchen Problem für die Hochschulreform? Ein Beispiel dafür sitzt links neben mir. In den nächsten Jahren sollen in Baden-Württemberg 1500 Stellen, die frei werden, nicht wieder besetzt werden. Man möchte die Personalstrukturreform nicht zu einer Verjüngung des Hochschulapparates nutzen, sondern etwas anderes machen: man möchte Geld sparen. Das wollen fast alle Länderfinanzminister. Ich halte es für eine ganz elementare Gefahr, wenn die Hochschulreform nicht dazu benutzt wird, die Personalstruktur zu verbessern. Sinnvoll könnte sein, daß nicht mehr Herr Innenminister Kanther, sondern die Hochschulrektorenkonferenz mit den Gewerkschaften per Tarifautonomie ein eigenständiges Dienstrecht aushandelt. Wenn diese Chance aber verstreicht, weil einige Länderfinanzminister nur Geld sparen wollen, sehe ich hier ein enormes Problem auf uns zukommen.
Ein weiteres Problem ist klar: 880 Professoren im schönen Land Rheinland-Pfalz sind an den Universitäten angestellt bzw. verbeamtet. Davon sind ganze 46 Frauen. Dies ist nur ein Beispiel für den Zustand in der gesamten Republik. Ich halte dies für einen wirklichen Skandal. Ich denke, daß wir die Chance der nächsten zehn Jahre nutzen müssen. Deswegen ist es ein solches Versäumnis, daß in diesem Gesetz nichts zum Thema Personalstruktur steht.
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Ich glaube nicht, daß es eine große Koalition der Vernunft war, als man sich auf diesen Kompromiß geeinigt hat, sondern es war sehr viel Zauderei im Spiel. Ich glaube nicht, daß dieser Kompromiß ausreichen wird. Ich erwarte von dem Prozeß der parlamentarischen Beratung, der jetzt in Gang gesetzt wird, daß wir Veränderungen an diesem Gesetz vornehmen können, zum Teil auch in Bereichen, in denen wir uns einig sind. Ich erwarte, daß dieser Prozeß offen gestaltet wird.
Ich kann den Ländern nicht empfehlen - nachdem sie im Sommer Herrn Rüttgers auf den Leim gegangen sind -, bei dieser Linie zu bleiben. Ich meine vielmehr, daß es besser wäre, dieses Gesetz zu stoppen. Ich halte es nach wie vor für ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Der Bundesrat muß hier mitreden. Hier wird ganz klar in die Regelungskompetenz der Länder eingegriffen. Diese taktischen Spielchen schaden der Hochschulreform. Wir müssen allesamt schauen, wie wir die Defizite, die heute in der Debatte von vielen Rednern angesprochen worden sind, in den Griff bekommen. Ich befürchte sonst, daß eines nicht erreicht werden wird: Es wird nicht die Hochschule für das 21. Jahrhundert geben, die den Herausforderungen wirklich gerecht wird. Es wird vielmehr eine Fortschreibung des Status quo geben.
Zum letzten Punkt, zur Autonomie: Ich halte den Konsens, den wir haben, daß wir den Hochschulen vertrauen und davon ausgehen, daß die Hochschulen die Reform selbst am besten im Wettbewerb der Ideen auf die Reihe kriegen, für einen guten Konsens. Ich persönlich glaube aber, daß wir das erst dann erreichen, wenn die Studierenden an der Hochschule wieder als das angesehen werden, was sie
sein müssen: Sie sind der Mittelpunkt der Hochschule. Ohne Studierende gibt es keine Hochschule.
Vor diesem Hintergrund ärgert es mich, daß Studierende in diesem Gesetzentwurf als zu überprüfende, auszuwählende Nutzer der Hochschule vorkommen, daß man ihnen aber nicht das einräumt, was sie eigentlich haben müßten, nämlich eine ganz zentrale, elementare Stellung innerhalb der Hochschulreform.
Ich bitte die Studierenden genauso wie die anderen Menschen an den Hochschulen, daß sie versuchen, was wir nur in Gang setzen können, nämlich eine echte Hochschulreform zu verwirklichen. Wir können die Rahmenbedingungen setzen. Die Rahmenbedingungen, die hier gesetzt werden, reichen mir jedoch nicht aus.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Karl-Hans Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der bisherige Verlauf der Debatte hat gezeigt, daß doch eines unstreitig ist: Eine Reform des deutschen Hochschulsystems ist dringend erforderlich.
({0})
Mit dem von der Bundesregierung jetzt vorgelegten Entwurf einer Novelle des Hochschulrahmengesetzes sollen die Hochschulen den nötigen Freiraum erhalten, um diese Reform nach Inhalten, Struktur und Organisation durchzuführen. Sie sollen mehr Autonomie erhalten. Durch Deregulierung, durch Leistungsorientierung und Leistungsanreize soll Wettbewerb der Hochschulen untereinander angeregt, sollen Kooperation und Wettbewerb auf internationaler Ebene gestärkt werden.
Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Neuregelungen vor, denen die F.D.P. grundsätzlich zustimmt, entsprechen sie doch den Prinzipien der von ihrem Vorsitzenden Gerhardt initiierten Bildungsoffensive.
({1})
Natürlich werden wir uns im Laufe der parlamentarischen Beratungen - selbstverständlich unter Einbeziehung der Vorschläge, die wir im Ausschuß und auch auf anderer Ebene zu diskutieren haben - ausführlich mit den Detailfragen zu befassen haben. Wir werden auch die Praktikabilität der einen oder anderen Regelung erörtern müssen, und ich kann auch Ergänzungen bzw. Konkretisierungen nicht ausschließen.. Dabei denke ich, Frau Bulmahn, zum Beispiel an die Frage der Frauenförderung und an Verbesserungen auf diesem Gebiet.
Ich versage mir aus Zeitgründen, hier und heute auf einzelne Punkte einzugehen. Dazu sollten wir uns in den anstehenden Beratungen ausreichend Zeit nehmen.
Unsere Grundforderung aber heißt: Überwindung der zentralistischen und bürokratischen Strukturen des Hochschulwesens. Wir begrüßen deshalb den weitgehenden Verzicht auf Regelungen zur inneren und äußeren Organisation und Verwaltung der Hochschulen.
Wir müssen aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sicherstellen, daß die so geschaffenen Freiräume für die Hochschulen nicht anschließend über die Landeshochschulgesetze wieder aufgefüllt werden. Außerdem bin ich nicht der Meinung, daß mit einer Novellierung des Hochschulrahmengesetzes allein schon die Reform des deutschen Hochschulwesens bewältigt wäre. Damit werden zunächst nur Grundvoraussetzungen - gewiß wichtige Voraussetzungen - geschaffen, aber ich denke, danach muß mehr kommen; denn eine bloße Reorganisation der Hochschulen ohne neue Paradigmen, ohne aus den tradierten Denkschemata herauszutreten, ist - wenn überhaupt - nur wenig hilfreich bei einer zweifelsfrei notwendigen dynamischen Fortentwicklung der Bildungssysteme und insbesondere unseres tertiären Bildungssystems.
Das ist im übrigen keine neue Erkenntnis, wie ich durch einen Ausspruch von Petronius Arbiter vor etwa 1800 Jahren belegen möchte.
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Ich zitiere:
Wir betreiben harte Ausbildung, aber jedesmal, wenn wir dabei waren, Gemeinschaften zu bilden, wurden wir umorganisiert. Später im Leben habe ich gelernt, daß wir dazu neigen, neuen Situationen mit Reorganisation zu begegnen, und dies kann eine glänzende Methode sein, die Illusion von Fortschritt zu schaffen, während Verwirrung, Wirkungslosigkeit und Demoralisierung produziert werden.
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- Herr Kollege Kubatschka, gehen Sie etwas weiter zurück in die Geschichte, denn vor 1800 Jahren - so bekenne ich - gab es leider die F.D.P. noch nicht.
({4})
Diese Feststellung von Petronius Arbiter trifft meiner Meinung nach höchst aktuell auch auf unsere heutige Situation im Bildungssystem zu. Haben die Reorganisationsbemühungen der zurückliegenden zwei oder zweieinhalb Jahrzehnte nicht eher Verwirrung, Verunsicherung und Demotivierung ausgelöst denn effektive Fortentwicklung unseres Bildungsystems bewirkt?
Obwohl generell die Reformbedürftigkeit unbestritten war und ist, kam das Hochschulsystem aus
den eingefahrenen Gleisen, ausgefahrenen Wagenspuren vergleichbar, nicht heraus, im Gegenteil, es geriet in immer tiefere Spuren. Es gab zwar gelegentlich Versuche einer Erneuerung, oft zu sehr ideologisch begründet, aber ohne im Kern die alten Denkschemata zu überwinden.
Meine Damen und Herren, es kommt nach meiner Meinung bei der Verwirklichung grundlegender Reformen ganz entscheidend darauf an, daß diese von innen heraus ansetzen, damit die am Prozeß Hochschule Beteiligten - ich folge insoweit den Ausführungen von Frau Bulmahn und auch von Herrn Berninger und meine damit alle Beteiligten, wozu auch die Studierenden gehören - überzeugt und motiviert werden, den längst überfälligen Wandel zu vollziehen. Das gilt vor allem für eine durchgreifende Studienreform nach Struktur und Inhalten. Natürlich schließt das unter anderem auch Änderungen in den Personalstrukturen ein. Schon die bisher im Gesetzentwurf vorgesehenen neuen Regelungen werden nämlich erheblich weitergehende Auswirkungen haben müssen; anderenfalls wird das Unternehmen nicht die Bezeichnung „Reform" verdienen.
Die Situation an den Hochschulen hinsichtlich ihrer personellen und sachlichen Ausstattung sowie ihrer Infrastruktur ist hinlänglich bekannt. Sie bietet weder an Fachhochschulen noch an Universitäten die Voraussetzungen dafür, die große Zahl der Studierenden in dem gebotenen Maße zu betreuen, ihnen die nach individueller Fähigkeit gebotene Zuwendung und die notwendigen Bedingungen für ein zügiges Studium zu gewähren, und zwar auf international vergleichbarem Niveau, auch hinsichtlich der technischen Einrichtungen.
Wenn im Vorblatt zum Entwurf der Novelle unter „Kosten der öffentlichen Haushalte" steht, „Bei einer Abwägung der kostensteigernden und kostenmindernden Faktoren wird erwartet, daß das Gesetz insgesamt nicht zu Kostenerhöhungen führt", so halte ich dies, mit Verlaub, für eine Illusion. Ich hoffe sehr, daß die vorliegenden Reformansätze nicht, zumindest nicht wesentlich von der Überlegung ausgehen, daß das derzeitige Finanzierungsniveau auskömmlich sei bzw. sein solle. Ich wiederhole: Die Reform des Hochschulwesens kann und darf sich, wenn sie den allseits erkannten Notwendigkeiten entsprechen soll, nicht auf die bloße Novellierung des Hochschulrahmengesetzes beschränken; denn dann würden wir die gewünschten, unverzichtbaren Ziele nicht erreichen. Dazu gehört aber nicht nur eine angemessene Finanzierung auf höherem Niveau als bisher, sondern auch, wie es F.D.P.-Forderung ist, eine Neuregelung der Hochschulfinanzierung insgesamt.
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Die an die Hochschulen gerichteten Anforderungen lassen sich nach meiner festen Überzeugung auf Dauer nicht mehr mit kameralistischen Konzepten und Instrumenten bewältigen.
({6})
Die nachhaltige Förderung eines kreativen Wettbewerbs unter den Bildungseinrichtungen erfordert vor
allem den Übergang von der bisherigen Praxis der staatlichen Bildungsfinanzierung über starre Finanzpläne zu einer nachfrageorientierten Bildungsfinanzierung über die Bildungsteilnehmer. Dies läßt sich über das liberale Konzept der Bildungsgutscheine bewerkstelligen.
Schließlich gehört meines Erachtens in ein umfassendes Reformkonzept für das tertiäre Bildungswesen auch die Neuorientierung der Ausbildungsförderung, des BAföG. Dies sei hier erneut angemahnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte, ganz grundsätzliche Anmerkung machen; ich folge damit vielleicht den philosophischen Ansätzen des Ministers. Es ist mir wirklich ein Bedürfnis, einen Gedanken auszusprechen, der sich auf eine Bestätigung der grundlegenden Bedeutung der Hochschulen und des Ausbildungssystems bezieht: Bildung und Ausbildung dürfen nach meiner Ansicht für ein Kulturvolk nicht nur unter den wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Wettbewerbsfähigkeit und des Strukturwandels gesehen werden. Vielmehr haben Bildung und Ausbildung neben dem wirtschaftlich-nützlichen einen sehr hohen ideellen Wert. Sie sind Voraussetzung für die freie Entfaltung des einzelnen Menschen, sind für seine Selbstverwirklichung von herausgehobener Bedeutung, sind Grundlage für die Herausbildung seiner Persönlichkeit, für die Erfüllung seiner Lebensvorstellungen und seiner Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Das sollten wir bei der Diskussion und Beratung über das Hochschulrahmengesetz doch mit bedenken und beherzigen.
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Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Ludwig Elm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Laermann zu, daß es in unserem Kreis unbestritten ist, daß die Universitäten und Hochschulen zu reformieren sind und dazu die Gesetzgebung auf Bundes- und Landesebene zu novellieren ist. Ich schließe mich auch dem bisher Gesagten insofern an, als im Mittelpunkt der heutigen Beratung der Entwurf der Bundesregierung für ein Viertes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes steht.
In diesem Entwurf finden auch wir einzelne Elemente und Ansätze, die zeitgemäß sind und die, für sich genommen, konsensfähig wären, beispielsweise die Öffnung des Hochschulzugangs neben dem Abitur, die höhere Bewertung der Lehre auch bei Berufungen, die regelmäßige Evaluierung von Lehre und Forschung, die Verbesserung der Studienberatung, Module zur flexiblen Gestaltung oder Kombination von Studiengängen, die Aufnahme von international verbreiteten Abschlüssen, aber auch der Verzicht auf die Habilitation als Regelvoraussetzung für die Berufung als Hochschullehrer.
Zugleich und vor allem sind jedoch grundsätzliche Einwände unumgänglich, mit denen wir unsere Ablehnung des Gesetzentwurfes und die Vorschläge und Ziele in unserem Antrag „Für offene, demokratische Hochschulen" begründen. Einige der wichtigsten Kritikpunkte für uns sind:
Erstens. Die Zielstellung, durch Deregulierung und Leistungsorientierung Wettbewerb und Differenzierung sowie internationale Wettbewerbsfähigkeit für das 21. Jahrhundert - das kommende Dienstleistungsjahrhundert, wie es der Kanzler nannte - zu sichern, ist von bornierter Enge. Sie verrät das Fehlen eines gesamtgesellschaftlichen Zukunftskonzepts, in das die Fragen nach Verantwortung und Aufgaben der Hochschulen einzuordnen wären. Dieses Defizit wird nicht genannt, geschweige denn problematisiert. Aber wo soll die Hochschule in einer Gesellschaft fortschreitender Desintegration und sozialer Spannungen ihren Platz finden, und welches sind die Aufgaben, denen dabei Priorität zukäme?
Zweitens. Den realen Erfordernissen entgegengesetzt ist das Grundkonzept, daß sich Staat und Gesellschaft aus ihrer Verantwortung für die Hochschulen schrittweise zurückziehen. Deregulierung, Privatisierung und Kommerzialisierung - kurzum: die Hochschule als rentables Dienstleistungsunternehmen - sollen soziale, ökologische sowie bildungs- und wissensschaftsimmanente Triebkräfte und Orientierung am Gemeinwohl weitgehend ersetzen.
Die beabsichtigte Finanzzuweisung nach völlig unklaren und in ihren Wirkungen unüberschaubaren Leistungskriterien erweist sich als Flucht vor der Forderung, die chronische Unterfinanzierung zu beenden und die Grundfinanzierung der Hochschulen durch Bund und Länder entsprechend dem Bedarf an Studienplätzen, Forschung, Infrastruktur usw. perspektivisch als herausragende Zukunftsinvestition zu gewährleisten. Ohne diese Grundvoraussetzung besteht die Gefahr, daß Autonomie, Lehr- und Forschungsfreiheit sowie neue Schritte mit Globalhaushalten der Hochschulen zu Phrasen und kaum lebensfähigen Gebilden verkommen.
Die rasch voranschreitende Auslieferung der Hochschulen an wirtschaftliche Interessengruppen oder an die Gesetze der Kapitalverwertung, der Konkurrenz und des Marktes wäre die unvermeidliche Folge. Das ginge zu Lasten der Lösung gesellschaftlicher Probleme, der Offenheit und Chancengleichheit in Bildung und Wissenschaft, der Vielgestaltigkeit der Disziplinen, Studiengänge und kulturellen Impulse und nicht zuletzt der Unabhängigkeit und der kritischen Funktion der Wissenschaft.
Es gibt beispielsweise Aussagen wie auf dem Romanistenkongreß vor einem Monat in Jena, wo festgestellt wurde, der Rückzug der öffentlichen Hand aus der Universitätsfinanzierung sei ein Trend, der die Romanistik als Teil der Fremdsprachenphilologien gravierend betrifft und in ihrer künftigen Entwicklung verändern wird. Professor Weinrich aus Paris erklärte auf dem Kongreß: „Zur Zeit ist das Geld das Maß aller Dinge."
Entscheidungsprozesse an der Hochschule sollen vom Politischen und Wissenschaftlichen ins Betriebswirtschaftliche verlagert werden. Je mehr das mit der Novellierung beabsichtigte betriebswirtschaftliche Konzept mit Auswahlrecht, mit fest vorgeschriebenen Regelstudienzeiten, zusätzlichen Prüfungen, Finanzierungskriterien, starken Leitern und von da aus entwickelten Managementstrukturen funktioniert, desto entbehrlicher werden offenbar auch nach den Überlegungen, die uns unterbreitet werden, demokratische Strukturen, Mitwirkungsmöglichkeiten und entsprechende Entscheidungsprozesse.
Ein Gespräch in der Leitung der Universität Frankfurt/Oder, in der Viadrina, vor wenigen Tagen hat mich darin bestärkt, daß auch unter hochschulpolitisch aktiven Professoren und weiteren Hochschullehrern ernstes Unbehagen über die Tendenzen zu autoritären Strukturen der Führung an den Hochschulen, über die Verschlechterung der Betreuung der Studenten durch Sparmaßnahmen, über die Verknüpfung dieser Novellierung mit Sparpolitik und überhaupt über die völlig offenen Fragen der Auswirkungen der Finanzzuweisungen nach Leistungskriterien, wie sie jetzt als Vorschläge unterbreitet werden, vorhanden ist.
In den Entscheidungsgremien der Hochschulen - so wird uns das unterbreitet - sollen Hochschullehrer und die in viel geringerer Zahl vertretenen Hochschullehrerinnen mindestens über die Hälfte der Stimmen oder über die Mehrheit der Stimmen verfügen. Vor allem die Studierenden, aber auch die wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden als für die akademische Selbstverwaltung nicht hinreichend kompetent und urteilsfähig eingestuft. Ihrem kritischen und kreativen Vermögen wird offenbar mißtrauisch und ignorant begegnet.
Der Satz „Eine angemessene Vertretung von Frauen und Männern ist anzustreben" verrät in seiner Unverbindlichkeit, daß der Gesetzentwurf mehr gegenwärtige Mißverhältnisse und deren Fortdauer als notwendige radikale Veränderungen zu legitimieren hat.
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Die Hochschulen würden danach - wie es kürzlich in einer Debatte der Enquete-Kommission „Deutsche Einheit" von einer Teilnehmerin formuliert wurde - Bastionen partriarchaler Strukturen und Machtverhältnisse bleiben.
Unser Verständnis von Hochschulreform kommt dem sehr nahe, was Professor Laermann eben in bezug auf den unumgänglichen, man kann sagen, entscheidenden Anteil der unmittelbar davon Betroffenen, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der Studierenden, gesagt hat. Hochschulreform ist vor allem eine Aufgabe der Einrichtungen. Sie ist periodisch - wie in der gegenwärtigen Phase, also bis zur Neugestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes erfolgen soll - eine neue Zäsur und eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.
Wir stehen in der Verantwortung für die Vorgaben, die im Ergebnis unserer Meinungsbildung und Entscheidungen an die Länder zur Fortentwicklung ihrer Hochschulgesetzgebung ergehen.
Wir haben in unseren Antrag auch Anregungen und Vorstellungen aus gewerkschaftlichen, studentischen, gleichstellungspolitischen und anderen Gruppierungen, Verbänden und Initiativen zur Hochschul- und Studienfinanzierung, zum Verbot von Studiengebühren, zu Chancengleichheit und Frauenförderung, zu Demokratisierung, zu Studienreform und Reform der Personalstruktur und zum politischen Mandat der verfaßten Studentenschaft aufgenommen.
Wir unterstützen nachdrücklich die Vorbereitung einer ganztägigen Anhörung zum künftigen Hochschulrahmengesetz, die zwar nicht alle bisherigen Versäumnisse in der breiten öffentlichen Diskussion wettmachen kann, aber doch noch eine wichtige Phase der weiteren und abschließenden Meinungsbildung darstellt, in die man beispielsweise - da gibt es inzwischen differenzierte Urteile - die Erfahrungen des Hochschulwesens der DDR in neuer und differenzierter Weise mit einbeziehen könnte.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes könnte nur der Auftakt zur Fortsetzung der Kontroversen um zukünftige Entwürfe sein. Allerdings würde sich, wenn es gegenüber dem jetzt vorliegenden Entwurf keine wesentlichen Änderungen gibt, die künftige Debatte langwieriger und schwieriger gestalten, nachdem sich viele weitreichende Erwartungen auf die jetzige Phase und die nun zu treffenden gesetzgeberischen Entscheidungen richteten. Die Forderungen nach einer offenen und demokratischen Hochschule werden in dieser oder jener Weise auch über parlamentarische Entscheidungen hinaus aktuell bleiben. Sie werden vor allem von den Betroffenen in einem langwierigen Prozeß selbst zu gestalten sein.
Danke schön.
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Das Wort hat jetzt der baden-württembergische Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Klaus von Trotha.
Minister Klaus von Trotha ({0}): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines modernen, international attraktiven und konkurrenzfähigen Hochschulsystems in Deutschland. Für das Land Baden-Württemberg begrüße ich diesen Schritt sehr. Er weist den Weg in Richtung Leistungsorientierung, Internationalisierung und Stärkung der Kulturhoheit der Länder im Kernbereich ihrer Zuständigkeiten.
Die Länder haben in der vorbereitenden BundLänder-Arbeitsgruppe untereinander und mit dem Bund um gute Lösungen gerungen. Sie haben den Gesetzentwurf des Bundes nicht widerspruchslos - wie einst Moses die Gesetzestafel vom Herrn - entgegengenommen. Dies war auch nicht zu erwarten. Der jetzt vorgelegte Regierungsentwurf ist ein Gemeinschaftswerk von Bund und Ländern. Ich gratuliere Herrn Bundesminister Dr. Rüttgers dazu, diesen Konsens ermöglicht zu haben.
({1})
Gemeinschaftswerke enthalten freilich keine reine Lehre. In wesentlichen Bereichen kann der Regierungsentwurf deshalb seinen Kompromißcharakter nicht verleugnen. Ich will aber überhaupt nicht klagen. Im Gegenteil, in wesentlichen Bereichen wurden begrüßenswerte Ansätze gefunden, insbesondere bei der staatlichen Finanzierung der Hochschulen nach Leistung, bei der Einführung der internationalen Abschlußgrade Bachelor und Master - die übrigens auch für die Fachhochschulen möglich sein müssen -, bei der Aufnahme eines Auswahlrechts der Hochschulen im Rahmen der Zulassung zum Studium, bei der Ausdünnung zahlreicher Vorgaben über die Hochschulorganisation und bei der Einführung einer obligatorischen Zwischenprüfung.
Baden-Württemberg hat hier einige Schrittmacherdienste leisten können. Dies hat sich im HRG-Entwurf niedergeschlagen, etwa beim Auswahlrecht für die Hochschulen, das für die in der Regelungskompetenz des Landes liegenden Studiengänge mit örtlicher Zulassungsbeschränkung in Baden-Württemberg bereits seit diesem Wintersemester Wirklichkeit ist, ferner bei der Neuordnung der Leitungsstrukturen, für die in den Hochschulen in Baden-Württemberg mit der Einführung einer organisationsrechtlichen Experimentierklausel kreative Freiräume eröffnet wurden, und schließlich bei der Strukturierung des Studiums, für das eine obligatorische Zwischenprüfung mit Sanktionsfolgen in Baden-Württemberg längst selbstverständlich ist.
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Leistung, Qualitätssicherung, Differenzierung und Wettbewerb sind für mich die leitenden Grundsätze jeder zukünftigen Hochschulreform. Insofern bedauere ich, daß zwei baden-württembergische Anliegen in den Verhandlungen nicht berücksichtigt werden konnten, die in Hochschulausbildung und Hochschulorganisation zu mehr Leistungsorientierung hätten beitragen können. Zum einen: Ich hätte es im Hinblick auf ein zielorientiertes und rasches Studium für sinnvoll gehalten, die Zwischenprüfung mit einer obligatorischen Sanktionsregelung zu verknüpfen.
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Denn bei den hohen Studienabbrecherquoten, etwa bei den Geisteswissenschaften, ist das Problem nicht nur der Studienabbruch als solcher, sondern auch der Zeitpunkt des Studienabbruchs. Je früher wir den Studierenden Orientierung über den Studienverlauf geben können, um so besser.
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Zum anderen: Ich hätte es im Hinblick auf eine effektive Erprobung von Professorinnen und ProfessoMinister Klaus von Trotha ({5})
ren in den Anfangsjahren nach ihrer Erstberufung für sinnvoll gehalten, diese Erstberufung auf Professuren grundsätzlich zu befristen. Denn die ganz große Mehrheit unserer Professorinnen und Professoren leistet vorzügliche Arbeit. Es gibt aber einige wenige Versager, die den ganzen Stand desavouieren. Eine generelle Erstberufung auf Zeit - die wir in Baden-Württemberg im Fachhochschulbereich übrigens längst erfolgreich praktizieren - hätte uns hier ein geeignetes Instrument in die Hand gegeben.
Zusammengefaßt heißt dies: Auch wenn nicht alle unsere Vorstellungen realisiert werden konnten, begrüße ich die HRG-Novellierung sehr. Mit Sorge beobachte ich dagegen die im Zusammenhang mit der HRG-Novellierung geführte Debatte über ein Verbot von Studiengebühren. Mein rheinland-pfälzischer Kollege, Herr Professor Zöllner, hat die Studiengebührenfrage noch im Nachklapp zu dem von ihm mitgetragenen Beratungsergebnis der Bund-LänderArbeitsgruppe als strittig bezeichnet und damit die mühsam erreichte Einigung im Ergebnis wieder in Frage gestellt.
Wer gegen die Aufnahme eines Verbots von Studiengebühren ist, muß damit noch nicht für die Einführung von Studiengebühren sein.
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- Das erläutere ich gern. - Ich sage es Ihnen vor diesem Haus mit aller Deutlichkeit: Auch Baden-Württemberg will zumindest für die laufende Legislaturperiode bis zum Jahr 2000 keine Einführung allgemeiner Studiengebühren.
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Mit dem Abschluß eines sogenannten Solidarpakts, Frau Odendahl, haben wir den Universitäten Planungssicherheit und finanzielle Absicherung bis in das nächste Jahrtausend garantiert. Herr Kollege Berninger hat vor wenigen Minuten hier behauptet, dieser Solidarpakt solle nicht zu Strukturänderungen genutzt werden. Dies ist falsch. 500 der 1500 Stellen stehen für neue Strukturen und neue Aufgaben zur Verfügung. Der Solidarpakt erlaubt es uns, Studiengebühren für diese Zeit definitiv auszuschließen.
({8})
Ungeachtet dessen - jetzt antworte ich auf Ihren Zwischenruf - bin ich generell der Meinung, daß man spätestens seit dem Fall Galileo Galilei das Nachdenken über Ideen nicht ex cathedra verbieten sollte.
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Zum anderen - das mag vielleicht nicht allen bewußt sein - stünde ein bundesrechtlich geregeltes Verbot von Studiengebühren einer schon im badenwürttembergischen Landeshochschulgebührengesetz verankerten Regelung entgegen, mit der das Land Baden-Württemberg zum laufenden Wintersemester Studiengebühren für Langzeitstudierende ab dem 13. bzw. im 14. Semester eingeführt hat.
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- Da liegt das Problem, Herr Kollege. - Mit der Aufnahme eines generellen Verbots von Studiengebühren in das HRG wäre die baden-württembergische Regelung zumindest gefährdet, eine Regelung, die in der Lage ist, dieses spezifisch deutsche Problem der Langzeitstudierenden in den Griff zu bekommen.
({11})
Mit dem Bildungsguthabenmodell hat BadenWürttemberg das Studium nach einem bundesweit völlig neuen Konzept geordnet. Das Land übernimmt die von den Studierenden grundsätzlich vom 1. Semester an aufzubringenden Gebühren für eine begrenzte Zeit, indem es jedem Studierenden ein sogenanntes Bildungsguthaben gewährt. Dieses umfaßt die Regelstudienzeit des jeweiligen Studiengangs und vier weitere Toleranzsemester, weil die Verhältnisse trotz der inneren Studienreform noch nicht überall so sind, wie wir es gern hätten. Erst nachdem das Guthaben aufgezehrt ist, tritt die Zahlungspflicht ein. Sozialen Härten und besonderen Lasten trägt das Gesetz überdies durch eine Reihe von Ausnahmebestimmungen Rechnung.
Das baden-württembergische Modell des Bildungsguthabens verfolgt den Zweck, Studierende zu einem zügigen Abschluß des Studiums zu bewegen, indem es ihnen bewußt macht, daß sie eine teure staatliche Leistung in Anspruch nehmen, die nicht beliebig lange kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann,
({12})
etwa nach dem Motto - wenn dies auch nur für eine Minderheit der Studierenden gilt -: Mir ist kein Opfer zu groß, das der Steuerzahler für mich erbringt.
Bei den Studierenden wächst damit bereits mit dem Beginn des Studiums das Bewußtsein dafür, daß das Studium zügig und effektiv anzulegen ist. Die Hochschulen würden umgekehrt in die Pflicht genommen, ihrerseits alles zu tun, um einen zügigen und strukturierten Studienverlauf zu gewährleisten.
Indem also das Bildungsguthabenmodell letztlich nur überlange Studienzeiten mit finanziellen Lasten belegt, hält es das Studium bis zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluß grundsätzlich kostenfrei und bewirkt damit keinerlei sozialen Numerus clausus. Eine Aufnahme des Verbots von Studiengebühren in das HRG würde dieses zukunftsweisende Modell gezielt außer Kraft setzen.
Meine Damen und Herren, die HRG-Macher sind angetreten, das Hochschulrecht zu deregulieren, um den Wettbewerb kreativer und zukunftsweisender Ideen zwischen den einzelnen Ländern anzustoßen. Dies ist gut so.
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Minister Klaus von Trotha ({14})
Mit der Aufnahme eines Gebührenverbots würde dieses Ziel verfehlt.
Die HRG-Macher sind angetreten, das Hochschulrahmenrecht für Leistungsorientierung zu öffnen. Dies ist gut so. Mit der Aufnahme eines Gebührenverbots würde dieses Ziel verfehlt.
Schließlich: Die HRG-Macher sind angetreten, im Hochschulrahmenrecht durch Reduktion materieller Vorgaben die in der Kulturhoheit der Länder angelegte Regelungskompetenz für den Hochschulbereich zu stärken. Dies ist gut so. Mit der Aufnahme eines Gebührenverbots würde dieses Ziel verfehlt - ganz abgesehen von der Frage, ob der Bund für eine Gebührenregelung überhaupt die Gesetzgebungskompetenz hat.
Deshalb möchte ich abschließend dieses Hohe Haus eindringlich bitten: Gefährden Sie nicht die mühsam erreichte Einigung durch nachgeschobenen Sprengstoff, Sprengstoff, für den es keine sinnvolle Notwendigkeit gibt, dessen Aufnahme aber die gesamte Einigung in Frage stellen könnte! Dies hätte fatale Folgen für die deutsche Hochschulentwicklung, Folgen, die niemand ernstlich verantworten kann, dem daran liegt, unsere Hochschulen auf das 21. Jahrhundert verantwortlich vorzubereiten.
({15})
Es folgt jetzt der rheinland-pfälzische Minister für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, Professor Dr. Jürgen Zöllner.
Minister Dr. Jürgen Zöllner ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hochschulen sind für diese Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Sie müssen es in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft auch bleiben.
Vorab - dies ist mir wichtig, damit der Ausgangspunkt klar ist und damit letzten Endes diejenigen, die nachher den Hauptteil der Verantwortung bei der Umsetzung zu tragen haben und die das nötige Selbstvertrauen besitzen, um die Probleme bewältigen zu können, wissen, woran sie sind - will ich klarstellen, daß die deutschen Hochschulen eindeutig besser sind als ihr Ruf.
({1})
Ich gehe sogar noch weiter: Ich persönlich zumindest kenne keine relevante Institution in dieser unserer Gesellschaft, die mit den Herausforderungen sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur in den letzten zehn oder zwanzig Jahren so gut fertiggeworden ist wie die deutschen Hochschulen. Das gilt für die Wirtschaft und für öffentlich verantwortete Institutionen.
Trotzdem muß ohne Zweifel etwas passieren. Das vorhandene Wissen wird heute schon nicht optimal genutzt. Ich meine damit nicht nur, aber auch die
Wirtschaft. Nicht Technologietransfer alleine, sondern ein umfassender Wissenstransfer - übrigens in beide Richtungen, zu den Hochschulen und aus den Hochschulen heraus - ist die Entwicklung, die wir nehmen müssen. Eine Fortentwicklung der Hochschulen im Sinne einer Weiterentwicklung zu offenen Hochschulen - dies ist die Forderung.
Ich will es vereinfacht und möglicherweise auch etwas provokant so formulieren, daß wir Hochschulen brauchen, die sich neben einer primären Angebotsorientierung ein gleich starkes Bein durch nachfrageorientierte Lehre und Forschung zulegen.
({2})
Auf diesem Weg in offene Hochschulen der Zukunft, meine Damen und Herren, gibt es Probleme, die die Hochschulen alleine und deren engagierte Mitglieder nicht lösen können. Nur Organisations- und Leitungsstrukturen, die es ermöglichen, daß Hochschulen lernfähige Organisationseinheiten werden, das heißt solche Organisationseinheiten, bei denen Sachkompetenz, Entscheidungskompetenz, aber auch das Tragen von Verantwortung für die Folgen von Entscheidungen zusammenkommen, werden in der Lage sein, die schwierigen Probleme der Zukunft zu lösen und die nicht optimale Partizipation aller Beteiligten, die geringe internationale Attraktivität des Studiums und inflexible Personalstrukturen zu überwinden.
Der vorliegende Entwurf einer HRG-Novelle bringt uns eindeutig einen Schritt weiter, ohne alle Probleme zu lösen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist besser, heute 60 Prozent eines Weges zu gehen, als wertvolle Zeit verstreichen zu lassen, weil möglicherweise nicht alles möglich ist.
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Herr Berninger, ein Megathema insgesamt zu schultern birgt die Gefahr, daß man sich verhebt, und das ist in wichtigen Feldern ein falscher Weg. Der Weg, den wir dann zurückzulegen haben, ist nämlich noch länger.
Es gab im Vorfeld einen Dialog zwischen Bundesministerium und Ländervertretern. Der vorliegende Entwurf zeigt einen Kompromiß zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den Ländern und zwischen unterschiedlichen politischen Ausgangspositionen auf.
Dies ist gut so, meine Damen und Herren, weil in einem zentralen Bereich für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, über die wir zumindest immer reden - ich sage aus meiner Sicht sogar: im wichtigsten Bereich -, eine Weiterentwicklung nur auf Bewährtem aufbauen kann. Sonst bestünde die Gefahr, durch radikale Brüche das gesamte System zu gefährden. Evolutionäre Weiterentwicklung und Lernfähigkeit heißt es auch hier, das heißt Einzelschritte mit der Fähigkeit zur Fehlerkorrektur.
Der Wegfall fast aller Vorschriften zur Organisation im HRG-Entwurf ist ein wesentlicher Schritt dabei. Deregulierung und daraus erwachsende Möglichkeiten des Wettbewerbs aber sind kein Selbstzweck,
Minister Dr. Jürgen Zöllner ({4})
sondern sie sind nur ein Weg zum Erreichen eines vorgenannten Ziels, das immer die entscheidende Meßlatte bleiben muß. Deshalb ist es auch gut, daß wir den Wissenstransfer und die Weiterbildung als Aufgaben der Hochschulen gestärkt haben.
Der Ansatz verstärkter Handlungsmöglichkeiten für die Hochschulen entspricht einer seit langem vorgetragenen Forderung der Länder, angestoßen durch eine von Nordrhein-Westfalen initiierte Bundesratsinitiative mit dem Ziel, eine entsprechende Experimentierklausel im HRG zu verankern. Ihr würde bei der Verabschiedung dieser HRG-Novelle Rechnung getragen werden.
Kein Zweifel allerdings darf aus meiner Sicht aufkommen, daß es auch zukünftig eine zentrale staatliche Verantwortung für die Hochschulen gibt. Ich bin froh, daß es gelungen ist, dieses weiterhin im Entwurf zu verankern.
({5})
Meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie nehmen sich und Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Länderparlamenten mit Ihrem Entwurf durch Ihre Konstruktion von Akkreditierungsinstanzen und Kuratorien praktisch voll aus dieser Verantwortung. Man könnte es unter dem Motto zusammenfassen: Interessenvertreter und Betroffene mit ihrer natürlicherweise und legitimen egoistischen Sichtweise der Dinge werden es schon regeln. Für was, frage ich Sie, als für diese zentrale gesamtstaatliche Verantwortung sollen Parlamentarier denn noch Verantwortung übernehmen?
({6})
Die nun vorgeschlagene Formulierung ermöglicht es den Ländern im Gegensatz zum letzten HRG-Entwurf, bei der Ausgestaltung im Bereich der Mitbestimmung bis an die durch das Verfassungsgericht gesetzten Eckpunkte zu gehen. Dies wie eine Erweiterung des Aufgabenkataloges der Studentenschaften und eine Verankerung und grundsätzliche Stärkung der Frauenförderung bis in mehrere Detailregelungen hinein ist eine notwendige Anpassung an heutige Erfordernisse und zugleich Voraussetzung für eine offene Hochschule der Zukunft.
Das Credit-point-System und die behutsame Einführung internationaler Abschlüsse werden dem Studiensystem entscheidende Impulse vermitteln. Gerade letzteres kann auch ein Beitrag sein, die internationale Attraktivität des Studienstandortes Deutschland zu erhöhen. Aber dazu bedarf es mehr - es ist mehrfach angesprochen worden - eines Zusammenwirkens der verschiedenen Politikbereiche. Ich könnte mir eine Beteiligung der Innenpolitiker vorstellen.
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Übrigens wäre hier in diesem internationalen Bereich der Bachelor- und Masterabschlüsse eine Umsetzung ein sinnvoller Ansatz zur schrittweisen Erprobung eines Akkreditierungssystems. Dieses muß sich aber, wenn es erfolgreich sein will, durch zwei
Punkte auszeichnen: erstens durch eine Einheitlichkeit für die gesamte Bundesrepublik Deutschland von Beginn an und zweitens durch eine hohe Akzeptanz; denn sonst ist die Einheitlichkeit des deutschen Hochschulsystems tatsächlich gefährdet, und der hohe Standard kann nicht gewährleistet werden. Die Studenten wären die Leidtragenden, wenn diese Voraussetzungen nicht gewährleistet sind.
Für die Studierenden hat sich vernünftigerweise an Stelle der ursprünglichen Sanktionen das Prinzip Orientierung und Beratung vor Kontrolle und Sanktionen durchgesetzt. Eine entsprechende Verpflichtung der Hochschulen zu dieser Aufgabe ist festgeschrieben. Dies ist gut so; denn die Hochschulen sind für die Studierenden da und nicht umgekehrt. Dies war uns SPD-Ministern besonders wichtig.
({8})
Zwei wesentliche Punkte sind offengeblieben: die Personalstruktur und die Frage der Studiengebühren. Eine zukunftsweisende Personalstruktur muß gerade im Hochschulbereich ein hohes Maß an Flexibilität beinhalten und noch mehr als in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes die Verkrustungen vermeiden. Dazu sind sicher erst die Ergebnisse der laufenden Diskussion über Dienst- und Besoldungsrecht abzuwarten. Ich bin gespannt, ob in diesem Falle dem Reden auch Handeln folgt.
Ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Personalstruktur liegt zur Zeit nicht vor. Auch ich bekenne offen, daß ich es nicht habe. Daß dies nicht einfach ist, belegt der Alternativentwurf. Zu Ende gedacht in seinen theoretischen Möglichkeiten und unter Kenntnis der realistischen Umsetzungspraxis in Hochschulen bedeutet es, daß wir in Zukunft nur noch qualifikante und dauerbeschäftigte Wissenschaftler, möglicherweise Professoren haben werden. Das können wir nicht wollen, weil es für Generationen junger Menschen die Hochschulen verschließt.
({9})
Anders verhält es sich in der Frage der Studiengebühren. Studiengebühren sind ohne ein funktionierendes Stipendiensystem - davon kann nun wahrlich heute keine Rede sein - unsozial und nicht zu verantworten.
({10})
Studiengebühren - das ist so - können abschrekken. Die Gesellschaft, nicht der einzelne, braucht möglichst viele gut ausgebildete junge Menschen in Deutschland. Studiengebühren, Herr von Trotha, von einzelnen Ländern isoliert eingeführt, sind extrem wettbewerbsverzerrend,
({11})
also dem zentralen, auch von Ihnen mitgetragenen
Leitgedanken der Novellierung, die richtigen Rahmenbedingungen - darum geht es uns doch wohl Minister Dr. Jürgen Zöllner ({12})
für einen qualitätsbezogenen Wettbewerb zu setzen, extrem zuwiderlaufend.
Studiengebühren - das wird in der öffentlichen Diskussion häufig vergessen - sind nach dem geltenden Hochschulrahmengesetz möglich. Es gibt bisher keinen bundesweiten Verzicht. Zu Zeiten der letzten HRG-Novelle ist jedoch niemand auf die Idee gekommen, sie einzuführen. Das ist heute offensichtlich anders.
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Deshalb haben die SPD-geführten Länder - übrigens bevor es andere thematisiert haben - vorgeschlagen, Studiengebühren hochschulrahmenrechtlich für das grundständige Studium auszuschließen. Eine Einigung war leider nicht möglich. Es gibt hier, Herr von Trotha, kein Nachplappern. Wir vertreten vielmehr eine klare Position in den Gesprächen und in den sofortigen öffentlichen Äußerungen. Ich gehe davon aus, daß Ihre Äußerungen in der Diskussion nur ein Beleg für Ihre Uninformiertheit war.
({14})
Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß wir hier eine Lösung brauchen. Wenn alle, die öffentlich beteuern, daß sie gegen Studiengebühren sind - inklusive derjenigen, die hier heute geredet haben -, auch so handeln, dann bin ich optimistisch, daß wir dieses Problem schnell lösen können.
({15})
Noch wichtiger als die Frage der Studiengebühren ist die Frage der Studienfinanzierung insgesamt. Die Weiterentwicklung des BAföG ist das realistisch dringendste Problem, das wir heute im Hochschulbereich haben. Hier müssen wir zu einer Lösung kommen.
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Die Bundesregierung hat den Entwurf als nicht zustimmungsbedürftige Novelle eingebracht. Dies ist nicht nachvollziehbar. Nach Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes bedarf diese Novelle der Zustimmung des Bundesrates, da sie eine Vielzahl von Bestimmungen und Einrichtungen von Behörden und Verwaltungen der Länder regelt. Ich will dieses hier gar nicht in toto aufzählen. Meine Damen und Herren, haben die, die anderen so oft Blockadepolitik vorwerfen, in diesem Zusammenhang etwa Angst bekommen, es könnte in Deutschland tatsächlich etwas geschehen?
Ich betone: Dies wäre keine Blockade; es wäre Obstruktion, wenn man weit hergeholte Formalia gegen einen möglichen Fortschritt in der Sache setzt. Dies können die Länder nicht akzeptieren. Gerade in der Hochschulpolitik hat sich der Föderalismus ohne Zweifel bewährt. Es ist kein Nachteil, Herr Berninger, sondern es ist gut so, daß die Novelle viel von dem aufnimmt, was in einzelnen Ländern schon Norm und Gesetz geworden ist, und nun hier zu einem allgemeinen Rahmen gemacht wird: vom Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte bis hin zur leistungs- und belastungsorientierten Ressourcenzuweisung - hier als großer Fortschritt gefeiert, in vielen Ländern in unterschiedlicher Ausprägung schon seit Jahren Praxis.
Meine Damen und Herren, denken Sie daran: Es geht nicht um das Profil von Parteien, es geht nicht um das Profil der Bundesregierung oder von Länderregierungen. Es geht um das Profil von Hochschulen. Diese Gesellschaft braucht leistungsfähige Hochschulen, wenn wir die Zukunft erfolgreich gestalten wollen. Lassen Sie uns die Wege gehen, die wir heute gehen können, und das andere für morgen aufbehalten.
Ich bedanke mich.
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Matthias Berninger.
Herr Zöllner, ich bin mißverstanden worden, wenn Sie glauben, ich hätte gemeint, es sei ein Nachteil, daß Herr Rüttgers in seinem Entwurf viele gute Ideen aus den Ländern übernommen hat. Ich sage nur, daß er nicht der große Reformer ist, der das alles erfunden hat, sondern daß vieles in verschiedenen Ländern bereits geltende Praxis ist.
Aber Sie haben eine konkrete Frage zu einem anderen Bereich gestellt, bei dem man in dieser Hochschulreform einen Schritt weiter hätte gehen können. Ich glaube, daß die Art und Weise, wie die Hochschulen heute organisiert sind, und ihr Verhältnis zur Bürokratie, vor allem zur Ministerialbürokratie, einer Hochschulreform und auch dem Bestreben nach Wettbewerb zuwiderlaufen.
Die Vorstellungen zu verfolgen, die aus der Zeit Humboldts stammen - nach denen Universitäten und Fachhochschulen mehr oder weniger nachgeordnete Behörden einer Ministerialbürokratie sind -, ist nicht der richtige Weg. Auch deswegen haben wir einen eigenen Gesetzentwurf gemacht und dazu eine andere Vorstellung in die Debatte eingebracht, über die wir gerne weiter streiten können. Dieser anderen Vorstellung liegt zugrunde, daß sich die Hochschulen in Zukunft nicht mehr gegenüber den einzelnen Länderbürokratien, sondern gegenüber einer Art Hochschul-TÜV rechtfertigen müssen. Es würde in Zukunft also eine andere Form des Managements der Hochschulen geben. Diese Akkreditierungsinstanz könnte ein wichtiger Beitrag dazu sein, verschiedene Formen der Verankerung von Hochschulen in die Wege zu leiten.
Sie fragten, was da noch die Aufgabe des Staates sei. Sie besteht vor allem aus drei Aspekten: einen vernünftigen Rahmen zu schaffen, für genügend Geld zu sorgen und Kriterien festzulegen, nach denen man besonders fördern will. Ein Beispiel: Der Frauenanteil an den Professuren kann nur dann erhöht werden, wenn sich die Politik heftigst dazu
durchringt, die Hochschulen, die mehr Frauen einstellen, finanziell zu belohnen, und die anderen Hochschulen, die sich nach wie vor weigern, entsprechend zu bestrafen.
Für all diese neuen Steuerungsinstrumente brauchen wir aber eine neue Verankerung der Hochschule. Daher der andere Weg, den wir in unserem Gesetzentwurf gegangen sind.
Vielen Dank.
Wird um Antwort gebeten? - Nein.
Dann erteile ich jetzt dem Kollegen Josef Hollerith das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Drittel des Reinstsiliciums der Welt kommt aus meinem Wahlkreis von der Firma Wacker-Chemie Burghausen.
({0})
Warum nenne ich Ihnen in einer bildungspolitischen Debatte dieses Beispiel?
({1})
Aus zwei Gründen. Der erste Grund: Die Firma Wacker hat die Chancen der Globalisierung erkannt und nutzt sie, um Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und zu erhalten. 560 Millionen DM - bei Gesamtinvestitionen in Höhe von 900 Millionen DM - werden in Deutschland investiert. Der zweite Grund: Bei einer internen Tagung der Wacker-Chemie zum Thema Globalisierung war das Problem, was Globalisierung für unser Bildungssystem bedeutet und welche Antworten unser Bildungssystem auf diese Herausforderungen geben muß, eine zentrale Fragestellung an die Politik.
Damit sind wir, der Bund und die Länder, gefordert: die Länder in Verantwortung für die Schulen. Ich nenne das Stichwort Herstellung der Berufsschulfähigkeit. Wenn der Bund 800 Millionen DM im Jahr ausgeben muß, um die Nachqualifizierung herzustellen, dann ist das ein Thema.
({2})
Es geht um die Sprachfähigkeit. Englisch ist heute die Weltsprache der Wirtschaft. Es geht um die Herstellung der Fähigkeit des Umgangs mit Multimediasystemen. Minister Rüttgers hat dazu - das war sehr richtig - eine Anstoßinitiative ergriffen, Stichwort „Schulen ans Netz".
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Hochschulgesetze zu verabschieden ist natürlich auch eine Aufgabe der Länder. Unsere Verantwortung liegt im Hochschulrahmengesetz.
Wie notwendig eine Weichenstellung hin zu mehr Autonomie, mehr Eigenverantwortung und mehr
Wettbewerb an den Hochschulen ist, mag Ihnen ein Blick auf drei Beispiele darstellen, die ich Ihnen jetzt nennen werde.
Erstes Beispiel. Ich habe an einer Hochschule - ich nenne den Namen nicht, weil es mir nicht um Anklage, sondern um Erkenntnis geht ({4})
geprüft und festgestellt, auf welche Wochentage die Lehrveranstaltungen verteilt sind. Ich habe dabei zu meiner Überraschung erkennen können, daß sie sich an Dienstagen, Mittwochen und Donnerstagen häufen, während eine - für mich nicht erklärliche - Minderung der Lehrveranstaltungen an Montagen und Freitagen stattfindet. Dies zum Stichwort Kapazität.
Zweites Beispiel. Ich habe die Veranstaltungen, die im Vorlesungsverzeichnis zu Beginn des Semesters aufgeführt wurden, mit denjenigen verglichen, die am Ende des Semesters noch stattfanden.
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Da gab es bestimmte Veränderungen. Dies zum Stichwort Erfüllung der Lehrdeputate.
Drittes Beispiel. Ich habe mir angeschaut, wie die Institute ihre millionenteuren Einrichtungen nutzen. Da liegen für die mittelständische Wirtschaft Kapazitäten brach, weil ein Anreizsystem für die Einwerbung von Eigenmitteln nicht gegeben ist.
Sie erkennen an diesen drei Beispielen, wie notwendig es ist, manchen Elfenbeinturm zu öffnen und manchen Besitzstand zu verändern. Heute ist ein guter Tag, weil wir heute in erster Lesung die Änderung des Hochschulrahmengesetzes auf den Weg bringen.
Ich habe dabei eine gute Vision, eine Vision, wie die Hochschule sein wird, wie wir die Herausforderung der Globalisierung mit der neuen Chance des Wettbewerbs im Hochschulsystem bewältigen werden.
Ich habe die Vision der Hochschule,
({6})
die die Qualität der Lehre stärkt, weil es sich lohnt, weil es mehr Geld dafür gibt. Ich habe die Vision der Hochschule, die attraktiv wird für mehr Forschung.
({7})
Es ist nicht einzusehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die deutsche Pharmaindustrie jährlich 4 Milliarden DM für klinische Forschung im Ausland ausgibt, weil es für deutsche Universitätsklinika nicht attraktiv genug ist, dieses Geld einzuwerben. Ich nenne nur das Stichwort Anreizsystem.
Ich habe die Vision der Hochschule, die ein Interesse daran hat, die Zahl der Patente zu steigern, weil bei der Berufung der Professoren nicht nur die Zahl
der Veröffentlichungen eine Rolle spielt, sondern auch die Zahl der Patente.
({8})
Ich habe die Vision, daß die Hochschule sich zur Ausbildung von Eliten bekennt, weil wir Eliten brauchen, weil wir nur einen Rohstoff haben, nämlich den unseres Geistes.
({9})
Ich habe die Vision, daß die Hochschulen die Chancen der Bauhoheit annehmen, weil sie dadurch in der Lage sind, schneller, zeitnaher, flexibler und billiger in neuen Finanzierungsformen - Stichwort Leasing - die Kapazitäten bereitzustellen.
Ich habe die Vision der Hochschule, die ihre Kapazitäten von Räumen für Kongresse nutzt, die ihre Labors zu Grenzkosten für die mittelständische Wirtschaft öffnet und damit automatisch den jungen Wissenschaftlern Perspektiven am Arbeitsmarkt verschafft und eine Orientierung der Forschung hin zu den Bedürfnissen der Wirtschaft herstellt.
({10})
Ich habe die Vision der Universitätsklinika, in die Kostenbewußtsein einzieht. Nahezu die Hälfte aller Ausgaben der Länder und des Bundes an den Hochschulen werden für die Universitätsklinika ausgegeben, für Lehre und Forschung an den Kliniken. Ich erwarte, daß der neue Wettbewerb dazu führt, daß eine Trennung stattfindet, daß eine Kostenrechnung stattfindet, mit der man die Ausgaben für Lehre und Forschung in den Universitätsklinika auf der einen Seite und für den Versorgungsbetrieb, für die Gesundheit, für die Versorgung der Kranken in den Häusern der höchsten Versorgungsstufe auf der anderen Seite feststellen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erwarte bei meiner Vision der Hochschulen, daß wir im internationalen Wettbewerb um die Studenten wettbewerbsfähiger werden. Es ist schlicht falsch, was von dem Kollegen der SPD gesagt worden ist, nämlich daß es Ideen gäbe, über Ausländerrechtsänderungen die Möglichkeiten ausländischer Studenten in Deutschland zu verringern.
({11})
Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir kämpfen bei der Anwerbung ausländischer Studenten für deutsche Universitäten nicht mit Problemen des Ausländerrechts, sondern wir leiden unter der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen.
Ich habe die Vision, daß auch in der neuen Autonomie, in der neuen Eigenverantwortung der Hochschulen in Deutschland vermehrt englischsprachige Studiengänge angeboten werden, damit wir für ausländische Studenten wettbewerbsfähig werden und damit die Sprachfähigkeit unserer deutschen Nachwuchsmanagementeliten gestärkt wird, um mit unserer Wirtschaft wettbewerbsfähig zu sein.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bund geht voran.
({13})
Wir stellen mit dieser Novelle die Weichen. Die Länder sind in gleicher Weise gefordert, die Öffnungsklausel zu nutzen, um ihre Länderhochschulgesetze zu verändern und die Chancen anzunehmen. Es ist vieles möglich, auch im Personalrecht. Es ist völlig falsch, was hier gesagt worden ist, daß nämlich nur eine Verbeamtung der Hochschullehre möglich sei. Das ist völlig offen. Die Länder haben die Chance, die Aufgabe und die Verantwortung, die Globalisierung im Bildungssystem zusammen mit uns und unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die wir vom Bund her bieten, zu meistern. Ich appelliere an alle Verantwortungsträger, auch in den Hochschulen, diese Chancen zu nutzen.
Es wurde schon gesagt: Wir sind viel besser und stärker, wenn wir nur daran glauben und die Chancen wahrnehmen, die wir nutzen können. Ich wünsche mir, daß wir dazu mit der heutigen Debatte einen mentalen Beitrag leisten. Lassen Sie uns die Chance, die eine Gesetzesänderung bietet, nutzen. In diesem Sinne erwarte ich und freue mich, daß die Kolleginnen und Kollegen von der SPD dieses mit uns gestalten.
Herzlichen Dank.
({14})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Tilo Braune.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hollerith, Sie haben eine sehr visionäre Rede gehalten. Ich habe aber eher das Gefühl, daß Sie sich angesichts trüber Realitäten in Visionen flüchten. Eine klare Analyse der Situation ist aber besser als fade Visionen.
({0})
({1})
Der Handlungsbedarf für das vorliegende Gesetz ist immens. Während vor Zeiten wissenshungrige junge Leute aus aller Welt massenhaft nach Deutschland strömten, um sich am gelobten Platz von Wissenschaft und Forschung für ihre Zukunft mit einem Maximum an Bildung auszustatten, während Anfang der 70er Jahre - zu Zeiten Willy Brandts - für dieses Thema deutschlandweit ein breiter gesellschaftlicher Konsens bestand und spürbar in Hochschulen und Forschung investiert wurde, während heute beinahe
jedes Kind weiß, daß neben den klassischen ökonomischen Faktoren - Kapital, Arbeit und Boden - Wissen und technischer Fortschritt der vierte wichtige Produktionsfaktor einer entwickelten Industriegesellschaft sind, dümpelt dieser für die Zukunft unseres Landes so wichtige Bereich seit der Machtübernahme der derzeitigen Koalition immer träger und ineffizienter am Rande des gesellschaftlichen Bewußtseins dahin.
({2})
Der Bildungsstandort Deutschland hat in der Ära Kohl massiv an Attraktivität verloren. Technologieexperten lästern, daß Deutschland die besten „19.-Jahrhundert-Produkte" der Welt herstellt.
Daß das deutsche Bildungswesen kaum mehr über Mittelmaß hinauskommt, hat sich international weit herumgesprochen. Betrug der Anteil japanischer Auslandsstudenten, die nach Deutschland kamen, 1975 noch 11 Prozent, so sank er bis 1992 auf 2 Prozent, bei indonesischen Studierenden gar von 50 auf 12 Prozent. Das ist kein Wunder, wenn Innenminister Kanther jeden ausländischen Studierenden als verkappten Asylbewerber begreift.
({3})
Unser Land ist dabei, international den Anschluß und damit seine Zukunft angesichts einer ignoranten, selbstherrlichen bildungsfeindlichen Politik der Regierung Kohl zu verpassen. Da hilft auch die plakative Bestellung eines sogenannten Zukunftsministers nichts, wenn die versprochene finanzielle wie politische Unterstützung ein pures Lippenbekenntnis bleibt.
Während im Großbritannien Tony Blairs und im Frankreich Lionel Jospins massiv in Bildung und Forschung investiert wird, gleichsam die Versäumnisse der alten konservativen Regierungen kompensiert werden, passiert bei uns nichts Vergleichbares. Der Anteil des BMBF am Bundeshaushalt sank von 1982 bis 1998 von 4,7 auf 3,2 Prozent; preisbereinigt liegt er im Jahre 1998 um 15,7 Prozent unter den Ausgaben von 1982. Es ist also höchste Zeit für einen Politikwechsel in Deutschland, damit wir auch bei uns die Chance haben, die Versäumnisse der derzeitigen Koalition zu beseitigen.
({4})
Die Bundesländer haben sich in den vergangenen Jahren, das geltende Rahmenrecht auslotend, teilweise sogar überschreitend, bereits auf den Weg der Erneuerung begeben. Eine Entschlackung, Straffung und Entbürokratisierung des HRG war damit längst überfällig. Die SPD-Bundestagsfraktion kritisiert beim vorliegenden Entwurf, daß keine Aussage zur Hochschulfinanzierung getroffen und keine Regelung zur Studienfinanzierung vereinbart wurde. Wir suchen vergebens nach Ansätzen zur Reform des öffentlichen Dienstrechtes. Für besonders fatal aber halten wir die Tatsache, daß es nicht gelungen ist, ein klares Verbot von Studiengebühren zu vereinbaren. Mit der SPD - ich sage das noch einmal mit aller Deutlichkeit - gibt es keine Studiengebühren. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre hier sinnvoll und hilfreich.
({5})
Der Auftrag der Hochschulen vor dem Hintergrund des globalen ökonomischen wie sozialen, kulturellen und ökologischen Wandels muß in einem Diskurs aller gesellschaftlichen Kräfte bestimmt werden. Die vorgesehene Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung. Für sich allein jedoch wird dies nichts bewirken. Im Hinblick auf die Entwicklung der Hochschulen zu Stätten der Innovation muß eine Reform neben den Rahmenbedingungen auch so elementare Fragen wie die der Finanzierung, der Ausbildungsförderung und des öffentlichen Dienstrechtes klären.
Wir meinen, daß es zwar keinen formalen, aber wohl einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen HRG- und BAföG-Reform gibt. Während sich die Bundesländer auf eine Regelung zur elternunabhängigen Sockelförderung geeinigt haben, blockiert hier die Bundesregierung wieder einmal - und dies, obwohl auch die wenigen CDU-geführten Bundesländer zugestimmt haben.
({6})
Wer ist hier wohl der Blockierer in dieser Republik, meine Damen und Herren?
Wie sehen die Vorstellungen der SPD hinsichtlich der Reform der Hochschulen aus? An dieser Stelle sei auf die klassische Dreiteilung Lehre, Forschung und Weiterbildung bzw. Transfer verwiesen. Dabei steht die Lehre an den Hochschulen an erster Stelle. Doch auch als Stätten der Weiterbildung müssen die Hochschulen für den Transfer in Richtung Gesellschaft und Wirtschaft bereitstehen. Die SPD will die Hochschulen öffnen, sie untereinander und für die Arbeitswelt durchlässig machen. Oberstes Prinzip ist Chancengleichheit.
Die Absprache zwischen den Ländern und der Bundesregierung über die Novelle orientiert sich zu Recht an einer leistungsorientierten Finanzierung der Hochschulen. Dies betrifft besonders die angestrebte Autonomisierung der Hochschulhaushalte. Auch die konsequente Evaluierung von Lehre und Forschung mit besonderem Augenmerk auf die Feststellung der pädagogischen Eignung der Lehrenden ist ein wichtiger Ansatz.
({7})
Die hochschulinterne Studienplatzvergabe jedoch findet nicht die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion.
Für die SPD ist klar, daß ein Gesetz von der Bedeutung des Hochschulrahmengesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Ich will Herrn Rüttgers davor warnen, den mühevoll gefundenen Kompromiß mit den Ländern zu gefährden. Allen muß klar sein, daß das Hochschulrahmengesetz eben ein Rahmen ist, der noch durch Landeshochschulgesetze mit Leben erfüllt werden muß. Wenn Herr Rüttgers aus dem Konsens aussteigt, muß er damit rechnen, daß
auch die Länder ihre bisherige kooperative Haltung aufkündigen. Dies würde letztlich ein Scheitern der löblichen Absicht bedeuten. Dies darf nicht geschehen.
Im anstehenden parlamentarischen Verfahren wird sich die SPD-Bundestagsfraktion neben der Bereinigung der genannten Kritikpunkte noch um weitere Verbesserungen des Textes bemühen. Der vorliegende Text sagt nichts über die notwendige Veränderung der allgemeinen Hochschulfinanzierung. Der Staat steht hier in der Verantwortung, und das betrifft sowohl die Bundes- als auch die Länderseite. Das sei noch einmal deutlich wiederholt.
Die Hochschulen sind aufgefordert, sich deutlicher zu artikulieren. Wenn in der Gesellschaft der Wert der Hochschulen nicht Gemeingut ist, wird es in Zeiten knapper Kassen auch keine entsprechenden Aufwüchse geben. Es muß wie in den 70er Jahren gesellschaftlicher Konsens sein, daß Bildung - vor allen Dingen höhere Bildung - eine wichtige Option zur Zukunftssicherung unseres Landes ist.
({8})
Dies zu leisten ist nicht allein die Aufgabe der Bildungspolitiker in den Ländern und im Bund. Vielmehr muß dieser Prozeß wesentlich auch von den Hochschulen selbst mitgestaltet werden.
In einer Zeit, in der der Anteil des Wissens pro Kilogramm Produktgewicht ständig zunimmt und rasch umsetzbares Wissen in hohem Maße Wertschöpfung und Einkommenshöhe bestimmt, braucht es einen Ruck in der Gesellschaft, braucht es ein Umdenken und Umsteuern von konservativer zu moderner - ich meine: sozialdemokratisch gefärbter - Hochschulpolitik. Das sichert die Zukunft unseres Landes. Arbeiten wir gemeinsam daran!
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8796, 13/5358, 13/8824, 13/6121, 13/8847 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte
Jahresbericht 1996 ({1}) - Drucksachen 13/7100, 13/8468 - Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS zweimal fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat gemäß § 115 der Geschäftsordnung verlangt, der Wehrbeauftragten des Bundestages, Frau Claire Marienfeld, das Wort zu ihrem Jahresbericht zu erteilen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
Claire Marienfeld, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Jahresberichte der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sind seit jeher keine umfassenden Darstellungen der Bundeswehr. So ist auch mein Jahresbericht 1996 im wesentlichen als Wiedergabe und Bewertung der Erkenntnisse zu verstehen, die ich im vergangenen Jahr bei Schwerpunktthemen gewonnen habe.
In Ihrem Auftrag, meine Damen und Herren, übe ich die parlamentarische Kontrolle über die Streitkräfte aus und biete gleichzeitig dem einzelnen Soldaten die Möglichkeit, im Wege einer Eingabe Rechts- und Interessenschutz zu finden. Kontrolle bedingt ebenso wie Hilfeleistung ein problemorientiertes Arbeiten. Dementsprechend wird notwendigerweise der Jahresbericht zum Mängelbericht.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat mit seiner Stellungnahme zum Jahresbericht 1996 wieder deutlich machen können, daß es eine gute Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ziel hin gibt: die Erhaltung einer an den Wertmaßstäben unseres Grundgesetzes orientierten, leistungsfähigen, motivierten und in die Gesellschaft integrierten Bundeswehr.
Mir liegen die Soldaten und ihre Familien wie auch die Bundeswehr sehr am Herzen. Deshalb lege ich den Finger in die Wunde, wenn nach meinem Dafürhalten Verantwortlichkeiten nicht in der richtigen Weise wahrgenommen werden.
Die meisten der von mir anzusprechenden Probleme lassen sich nicht binnen Jahresfrist umfassend oder endgültig lösen. Insbesondere dort, wo Entwicklungen die Bundeswehr beeinflussen, die nicht in der Bundeswehr selbst ihren Ursprung haben, sind ein geduldiger Umgang mit den Herausforderungen und langer Atem gefragt.
Die Bundeswehr wird Jahr um Jahr mit gesellschaftlichen, finanziellen und - seit wenigen Jahren noch intensiver - auch mit außenpolitischen Entwicklungen konfrontiert, die ihre Reaktions- und Einsatzfähigkeit auf die Probe stellen. Es ist gut zu wissen, daß diese Streitkräfte mit dem seit Jahrzehnten bewährten Konzept der inneren Führung über ein Rüstzeug verfügen, das sie den Herausforderungen bislang im wesentlichen gewachsen sein ließ.
Wenn ich von gesellschaftlichen Entwicklungen spreche, meine ich zum Beispiel den sich seit Jahren
Wehrbeauftragte Claire Marienfeld
so schleichend wie bedrohlich vollziehenden Umstand, daß die Erstkonsumenten von Alkohol und Drogen immer jünger werden. Genausowenig dürfen die Augen davor verschlossen werden, daß es in Teilen der Gesellschaft eine Zunahme rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Verhaltensweisen gibt, eine Zunahme an Gewaltbereitschaft, einen rapiden und beängstigenden Werteverlust.
Hier möchte ich - zumal nach den aktuell bekanntgewordenen Vorgängen von Schneeberg - sehr deutlich werden. Es ist richtig, daß die Bundeswehr von der Gesellschaft vorgeprägte Menschen zu integrieren und auszubilden hat. Dies spricht die Bundeswehr nicht von Verantwortung frei. Die Truppe ist vielmehr gefordert, den erkennbaren Problemen wirksam zu begegnen.
({2})
Zwei Dinge sind für mich vordringlich: eine stärkere Dienstaufsicht auf allen Ebenen, insbesondere aber durch die Einheitsführer. Zeitmangel darf unzureichende Dienstaufsicht nicht entschuldigen. Wo es irgend möglich ist, müssen die Chefs daher von bürokratischem Ballast befreit werden.
Zweitens muß gewährleistet werden, daß die klare Weisung des Generalinspekteurs zur politischen Bildung umgesetzt wird. Ich meine konkret die Zielvorgabe von 32 Jahresstunden.
Prävention in der Kombination von politischer Bildung, fordernder, aber gleichzeitig menschenwürdiger Ausbildung, Dienstaufsicht und Fürsorge kann die Soldaten davor bewahren, anfällig für derart schädliche Einwirkungen zu sein. Allerdings wäre es wirklichkeitsfremd, anzunehmen, daß es einen Weg gibt, der alle Vorfälle dieser Art garantiert ausschließt.
Eine weitere wichtige, von außen in die Bundeswehr hineinwirkende Entwicklung geht von der beengenden Haushaltssituation aus; seien es Stellenkürzungen, die Laufbahnperspektiven schmälern und bei ehemals begeisterten Soldaten Frustration zum Vorschein kommen lassen, seien es dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen, die auf Grund fehlender Haushaltsmittel aufgeschoben werden müssen.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Grundsätze sparsamer Haushaltsführung vor einem so ausgabenintensiven Bereich wie der Landesverteidigung nicht haltmachen können. Aber ich achte bei meinen zahlreichen Truppenbesuchen immer darauf, ob die Mittelverwendung den elementaren Bedürfnissen der Menschen in den Streitkräften gerecht wird: Ich nenne funktionstüchtiges und sicheres militärisches Gerät, ich nenne Hygiene und menschenwürdige Unterbringung.
Ich stimme mit dem Bundesminister der Verteidigung in dem Ziel völlig überein, daß alles getan werden muß, um eine Zweiklassenarmee zu vermeiden, wobei es nur natürlich ist, daß Verbände mit unterschiedlichem Auftrag auch unterschiedlich ausgerüstet und ausgestattet sind. Es gilt aber, sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht den Soldaten in den Krisenreaktionskräften wie den Soldaten in den Hauptverteidigungskräften das Gefühl zu vermitteln, einer Bundeswehr anzugehören, einen wichtigen und auch als solchen eingeschätzten Dienst für die Gemeinschaft zu leisten.
({3})
Schließlich möchte ich noch kurz unter zwei Aspekten auf die außen- und sicherheitspolitische Entwicklung eingehen: Der erste Aspekt ist, daß die Bundeswehr infolge der gewachsenen außenpolitischen Verantwortung der Bundesrepublik Seite an Seite mit befreundeten und verbündeten Streitkräften in internationalen Friedenseinsätzen steht.
Ich gestehe den Führungsverantwortlichen zu, bei dieser Art von Einsätzen noch Erfahrungen sammeln, auswerten und umsetzen zu müssen. Gleichwohl werde ich intensiv darüber wachen, daß die Personalauswahl, die Qualität der Ausbildung und der psychologischen Vorbereitung sowie die Einsatzbedingungen mit unseren Vorstellungen von der Bundeswehr harmonieren. Die Grundsätze der inneren Führung sollen gerade für derart fordernde Einsätze einen verläßlichen Rahmen bilden.
Ein zweiter Aspekt ist die zunehmende multinationale Integration auf der Ebene militärischer Verbände. Es muß bedacht werden, daß beim Aufbau multinationaler Strukturen in der Streitkräfteorganisation die rechtliche Entwicklung mit der politischen Entwicklung Schritt hält. Die Pflege bilateraler Kontakte zu den jeweiligen Partnerstaaten sehe ich hier auch als meine Aufgabe an.
Mittelfristig wünsche ich mir, daß es so etwas wie einen europäischen Wehrbeauftragten geben möge, der die Integration der unterschiedlichen Wehrrechtsordnungen und Führungskulturen fördern könnte.
({4})
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, um Ihre Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich im Zuge der hier aufgezeigten Entwicklungen stellen.
Lassen Sie mich noch einige Worte zur Wehrpflicht sagen: Es wird über die Fortführung der allgemeinen Wehrpflicht diskutiert. Die Entscheidung über ihre Beibehaltung ist eine politische Entscheidung, die dem Deutschen Bundestag vorbehalten ist. Ich möchte mich allerdings unter einem Aspekt zu Wort melden: Die Präsenz interessierter und mitdenkender junger Staatsbürger, die ihre gesetzliche Verpflichtung erfüllen, prägt den Charakter dieser Armee. Unter den Bedingungen dieser Wehrform sehe ich die Grundsätze der inneren Führung, das Ziel der Einbettung der Streitkräfte in die Demokratie, besonders gut aufgehoben.
Schließen möchte ich damit, an dieser Stelle den Soldaten der Bundeswehr für ihren Dienst, speziell den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages und auch dem BundesmiWehrbeauftragte Claire Marienfeld
nister der Verteidigung für die gute Zusammenarbeit und die Unterstützung meiner Arbeit zu danken.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich möchte der Wehrbeauftragten und ihren Mitarbeitern im Namen des ganzen Hauses den Dank für die Vorlage des Berichtes aussprechen. Sie können sicher sein, daß Sie für Ihre Arbeit die Unterstützung aller Fraktionen des Hauses haben.
({0})
Der Bundesminister der Verteidigung hat nachher eine Verpflichtung im Haushaltsausschuß, für die man Verständnis haben muß. Er möchte daher gleich am Anfang der Aussprache sprechen. Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich ausdrücklich für die Möglichkeit bedanken, schon an dieser Stelle zu sprechen, denn es geht im Haushaltsausschuß um ein größeres, modernes Flugzeug, von dem ich weiß, daß es für die Zukunft unserer Streitkräfte sehr wichtig ist.
Ich möchte der Frau Wehrbeauftragten und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre engagierte und sachkundige Arbeit für unsere Bundeswehr danken. Mein besonderer Dank, liebe Frau Marienfeld, gilt Ihrem uneingeschränkten und klaren Bekenntnis zur Wehrpflicht. Ihre Anregungen zur weiteren Verbesserung des Innenlebens der Streitkräfte sind konstruktiv, und der Jahresbericht 1996 zeichnet insgesamt ein gutes und damit ein zutreffendes Bild über den Zustand der Bundeswehr.
Ein Schwerpunkt des Jahresberichtes waren die Auswirkungen der Haushaltsentwicklung. Zweifellos ist der finanzielle Rahmen für die Auftragserfüllung der Streitkräfte enger geworden. Die Bundeswehr hat viel sparen müssen, aber trotz der knappen Mittel sind Ausbildung und Betrieb der Bundeswehr sichergestellt.
Die Schwierigkeiten in der Materialerhaltung und der Ersatzteilversorgung sind erkannt; wir handeln. Für die Materialerhaltung vor allem des Heeres sind beträchtliche zusätzliche Mittel bereitgestellt worden. Besonderes Augenmerk gilt den Maßnahmen, mit denen die Ersatzteilversorgung Zug um Zug den neuen Erfordernissen angepaßt wird.
Darstellungen und Berichte in den Medien, die von der Bundeswehr das Bild eines Mangel- und Reparaturbetriebes zeichnen, haben mit der Realität der deutschen Streitkräfte nichts zu tun.
({0})
Modernes Gerät, gute Ausstattung, solide, einsatzorientierte Ausbildung sind wir vor allem unseren
Soldaten im Einsatz schuldig. Deshalb hat auch künftig Vorrang - Politik hat sehr viel damit zu tun -, zu sagen, was das Wichtigere im Vergleich zu dem Wichtigen ist, immer wieder Entscheidungen in bezug auf Prioritäten zu treffen. Vorrang hat all das, was unsere Soldaten im Einsatz brauchen, in der Ausrüstung, in der Ausbildung. Unsere Soldaten, die in den Einsatz gehen, erhalten das Beste, was wir haben.
Ich war gestern mit Finanzminister Theo Waigel bei unseren Soldaten in Bosnien, in sehr schwierigem, vereistem Gelände und auch m anderen Bereichen, und jeder kann sehen: Die Ausrüstung unserer Soldaten der Bundeswehr in Bosnien hält jedem Vergleich mit derjenigen anderer Armeen stand.
({1})
Dafür, daß er dies möglich gemacht hat, gilt mein besonderer Dank dem ganzen Deutschen Bundestag.
({2})
Aber unsere Streitkräfte insgesamt müssen eben heute und auch morgen nicht mehr in 48 Stunden einsatzbereit sein, und deshalb können wir im Unterschied zu der Situation vor 1989 in der Materialausstattung und in der Einsatzbereitschaft differenzieren.
Der Jahresbericht gibt Einblicke in den Alltag der Bundeswehr, und ich bin der Wehrbeauftragten dankbar, wieviel Zeit sie darauf verwendet, unangemeldet und angemeldet in der Truppe zu sein. Das ist auch ein hervorragendes Frühwarnsystem.
Ich möchte das wiederholen, was ich gestern im Ausschuß gesagt habe: Dies ist ein Parlamentsheer - so hat es auch das Verfassungsgericht gesagt -, das sind Ihre Streitkräfte, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe deswegen den Wunsch, daß so viele von Ihnen wie nur irgend möglich ihre Streitkräfte besuchen, und Sie werden immer offene Türen finden. Für die Mitglieder des Verteidigungsausschusses habe ich auch die Sperre vor den Wahlen beseitigt. Das heißt, sie haben 365 Tage im Jahr die Gelegenheit, ihre Bundeswehr zu besuchen. Das ist eine offene, eine transparente Armee, die nichts zu verbergen hat, und ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere diese Bundeswehr noch häufiger besuchen würde. Die Soldaten freuen sich darüber.
({3})
Der Alltag der Bundeswehr wird nicht von Skandalen bestimmt, sondern von dem engagierten täglichen Einsatz unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter, die mit ihren Leistungen an der Oder, für den Frieden in Bosnien, beim Aufbau der Armee der Einheit höchste Anerkennung und im übrigen auch großes Vertrauen in der Bevölkerung und bei unseren Freunden und Partnern erworben haben.
Die Ereignisse von Detmold, Hammelburg und Schneeberg haben in der Öffentlichkeit den EinBundesminister Volker Rühe
druck eines zunehmenden Rechtsextremismus erweckt. Das trifft nach meiner Überzeugung nicht zu.
({4})
Im übrigen möchte ich mich ausdrücklich für die besonnenen und sehr fairen Einlassungen auch der Opposition oder, sagen wir einmal, des maßgeblichen Teils der Opposition bedanken. Es war sehr gut, wie fair letztlich die Debatte gestern im Verteidigungsausschuß vor allen Dingen gegenüber unseren Soldaten gewesen ist. Das ist noch wichtiger als die Frage der Fairneß gegenüber dem Verteidigungsminister. Für die Fairneß gegenüber den Soldaten bedanke ich mich, wie gesagt, ausdrücklich.
({5})
Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie, und ihr Alltag ist in keiner Weise von rechtsextremistischen Aktivitäten bestimmt. Der in den vergangenen Tagen bekanntgewordene Videofilm ist das Produkt einiger rechtsradikal Verirrter. Wer aber Gewaltvideos erstellt und jetzt in der Maske eines demokratischen Saubermanns versucht, das Ansehen aller anständigen Soldaten zu beschädigen, der verdient unseren besonderen Abscheu.
({6})
Der Film wurde bereits 1994 aufgenommen. Er ist dennoch eine schlimme Sache für die Bundeswehr. Jeder Einzelfall findet unsere volle Aufmerksamkeit und wird aufgeklärt und unnachgiebig geahndet. Jeder muß wissen: In den Streitkräften ist kein Platz für rechtsextreme Gewalttäter und für rechtsextreme oder extremistische Auffassungen überhaupt.
({7})
Wehrdienst ist Ehrendienst. Es ist nicht zu verantworten, daß Extremisten in der Bundeswehr an Waffen ausgebildet werden. Es treibt mich um, daß Leute, die schon straffällig geworden waren, bevor sie zur Bundeswehr gekommen sind, eine logische Minute, nachdem sie die Uniform der Bundeswehr anziehen, für „Straftaten der Bundeswehr" verantwortlich sind. Solche sind es aber nicht, und deswegen muß ich zumindest wissen, was diese Leute vorher verbrochen haben, wenn ich sie in schweren Fällen aus der Bundeswehr heraushalten muß und ihnen keine Uniform und keine Ausbildung an der Waffe geben kann. Dafür, daß das ein berechtigtes Anliegen des. Verteidigungsministers ist, wächst, glaube ich, auch das Verständnis.
({8})
Das ist ja der Unterschied zu anderen. Sicherlich gibt es auch unter den Hunderttausenden von Ersatzdienstleistenden einzelne schwarze oder rote Schafe oder wie auch immer.
({9})
Wenn dort irgend jemand etwas Schlimmes treibt,
spricht niemand von „den" Ersatzdienstleistenden.
Aber in der Bundeswehr reicht ein Fall, weil sie alle dieselbe Uniform tragen.
Deswegen haben wir ein besonderes Schutzbedürfnis. Wenn wir jungen Menschen Waffen mit einer gewaltigen Wirkung anvertrauen, dann kann es doch nicht sein, daß der Verteidigungsminister nicht darüber informiert ist, was sie getrieben haben, bevor sie in die Kasernen gekommen sind. Daher bin ich froh, daß der Justizminister mir gerade gesagt hat, daß er in dieser Angelegenheit gesprächsbereit sei. Ich hoffe, daß wir in der Sache dann weiterkommen.
({10})
- Ich glaube, daß es sehr wichtig war, was gestern im Verteidigungsausschuß von allen Fraktionen geäußert wurde, Herr Sohns. Es geht darum, daß die Bundeswehr nicht irgendein Teil unserer Gesellschaft ist. Angesichts der Waffen, die wir den Frauen und Männern anvertrauen, gibt es ein besonderes Schutzbedürfnis gegenüber Extremisten.
({11})
Die Vorgesetzten sind für die Probleme des Extremismus und des Radikalismus und die davon ausgehenden Gefahren für unser Gemeinwesen in hohem Maße sensibilisiert.
In unserer Empörung über einzelne Straftäter in der Bundeswehr dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, daß Fälle von Extremismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt schlimme Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft sind. Deswegen halte ich es für richtig, daß man sich damit beschäftigt, aber nicht isoliert im Hinblick auf die Bundeswehr. Der weit überwiegende Teil unserer jungen Wehrpflichtigen - das möchte ich auch sagen - überzeugt durch hohe Qualität, durch Vitalität, durch Offenheit und durch klare demokratische Orientierung. Das darf auch nicht aus dem Auge verloren werden.
({12})
Versäumnisse von 18 Jahren Erziehung und Prägung in Elternhaus, Schule und Beruf können in zehn Monaten Grundwehrdienst nicht ausgebügelt werden. Selbst die phantastischsten Offiziere und Unteroffiziere können nicht in zehn Monaten ausbügeln, was in 18 Jahren in der Gesellschaft versäumt worden ist. Das ist die richtige Betrachtungsweise; hier ist jeder einzelne von uns gefordert.
Die Vorgesetzten in der Bundeswehr tragen große Verantwortung. Sie tun das in der weit überragenden Zahl auch engagiert und vorbildlich. Ich stelle mich vor unseren Führungsnachwuchs, wenn mit zweifelhaften Studien und fragwürdigen Interpretationen versucht wird, konservative Grundeinstellung mit rechtsextremer Gesinnung in eine Linie zu stellen. Wir können auf unseren Offiziersnachwuchs stolz sein.
({13})
Ich lade Sie alle ein - ich habe das gegenüber den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses bereits getan -, in die Offiziersbewerberstellen zu gehen und einmal an den Interviews teilzunehmen. Dann werden Sie feststellen, daß es eher der bessere Teil der jungen Generation in unserem Lande ist, der den Offiziersberuf ergreift.
Ich möchte auch hier noch einmal sagen: Niemand hat ein größeres Interesse als der Verteidigungsminister daran, daß die Offiziere in der Gesellschaft ganz breit verankert sind. Eine Armee ist nie die Armee einer Regierung oder einer Koalition. Sie muß die Armee des ganzen deutschen Volkes sein.
({14})
Deswegen haben wir ein riesiges Interesse daran, daß das Spektrum dieser Offiziere das entsprechend widerspiegelt.
Die Soldaten der Bundeswehr stehen vorbehaltlos und ohne Einschränkung und im übrigen, wenn es sein muß - im Unterschied zu uns -, mit ihrem Leben - das darf man nicht verkennen, wenn man über sie diskutiert - für die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung ein.
Für Ausbildung, Führung und Nachwuchswerbung gelten Maßstäbe, die sich ohne Abstriche an den Werten des Grundgesetzes orientieren. Prinzipien der inneren Führung sind Garant für diese Zielsetzung. Moralische Normen und ethische Werte, politische Bildung, professionelle Ausbildung und zeitgemäße Menschenführung sind das solide Fundament für den Staatsbürger in Uniform. Die innere Führung ist nicht umstritten, sondern wird in den Streitkräften ohne Wenn und Aber anerkannt. Sie prägt den Geist und das Klima in der Truppe. Sie ist auch Vorbild für die Streitkräftereform unserer Freunde in Osteuropa.
Die Bundeswehr - davon bin ich überzeugt - kann auf ihre Leistungen stolz sein. Ihr Ansehen in der Bevölkerung und die Zustimmung der Bevölkerung waren noch nie so hoch wie jetzt. Das ist Ansporn und Verpflichtung. Niemand kann ausschließen: Es wird immer wieder schwarze Schafe und auch Vorfälle geben, aber entscheidend ist, wie man darauf reagiert.
Ich fordere alle zu einem Wettbewerb auf. Ich möchte wissen, wer in ähnlich harter, kompromißloser Weise auf Extremismus reagiert, wie das die Bundeswehr macht. Insofern ist sie ein Vorbild auch für andere.
({15})
Wir werden die in unserer Stellungnahme zum Jahresbericht der Frau Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages angekündigten Maßnahmen zügig umsetzen und das Parlament zum 1. März 1998 über Sachstand und Ergebnisse unterrichten.
Ich darf mich bedanken.
({16})
Ich gebe dem ({0}) Abgeordneten Uwe Göllner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Rühe, wir halten es für einen großen Fortschritt, daß im fünften Kabinett Kohl dessen Mitglieder untereinander gesprächsbereit geworden sind.
({0})
Es ist in diesem Hause seit vielen Jahrzehnten gute Tradition, daß in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zumindest das Bemühen uni den größtmöglichen Konsens im Vordergrund steht. Das gilt natürlich auch für den vorliegenden Bericht der Wehrbeauftragten und findet seinen Ausdruck in der gemeinsamen Beschlußempfehlung, die der Verteidigungsausschuß Ihnen heute zu diesem Bericht vorgelegt hat.
Die Frau Wehrbeauftragte und ihre Mitarbeiter, die das ganze Jahr über wenig Lob erfahren, sind heute so oft gelobt worden, daß es fast müßig ist, sich dem anzuschließen. Aber, Frau Marienfeld, Ihnen und Ihren Mitarbeitern - bevor man es am Ende vergißt - von dieser Stelle aus ganz herzlichen Dank für diesen Bericht, der die Lage der Bundeswehr ungeschminkt wiedergibt, den Finger in Wunden legt, die den Abgeordneten normalerweise nicht sichtbar sind, und der vor allen Dingen zeigt, daß die erste Frau in diesem schweren Amt dem Anspruch, den der Deutsche (D; Bundestag an sie gestellt hat, voll gerecht wird.
({1})
Kein uns zur Verfügung stehendes Dokument vermittelt ein so umfassendes Bild über den inneren Zustand unserer Streitkräfte wie der zur Debatte stehende Jahresbericht 1996. Fast alle Bereiche der Bundeswehr wurden präzise angesprochen. Auch wurden unter den Teppich gekehrte Dinge wieder ans Licht des Tages geholt. Die Frau Wehrbeauftragte hat den vorliegenden Bericht eine „Mängelliste" genannt. Es kann in der Debatte der Eindruck aufkommen - der falsch wäre -, daß die Bundeswehr insgesamt eine Mängeltruppe sei. Von diesem Zustand sind wir weit entfernt. Wir müssen also, wenn wir jetzt eine Stunde lang nur über Mängel reden, das ins Verhältnis setzen zu dem, was an Vorgängen in der Bundeswehr insgesamt passiert und was uns jetzt in konzentrierter Form vorliegt.
({2})
Die Auseinandersetzung über die Finanznot der Bundeswehr bleibt der Haushaltsdebatte vorbehalten. Dennoch kann dieses Thema in dieser Debatte nicht ganz ausgeklammert werden; denn die Folgen fehlender Kontinuität in der Finanzplanung ziehen sich wie ein roter Faden durch den vorliegenden Bericht.
Uwe Göllner
Es ist die nur schwer zu verantwortende Haushaltskürzung des Bundesministers der Finanzen, die den inneren Zustand der Bundeswehr beeinträchtigt. Wo man hinschaut, stimmen die finanziellen Mittel nicht mehr mit Auftrag, Struktur, Umfang und Ausrüstung überein. Nach dem Studium des Berichts der Wehrbeauftragten muß man feststellen, daß unsere Streitkräfte derzeit von ihrer Substanz zehren. Das sieht im übrigen auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Gertz, so, der gestern beim Festakt während der 15. Jahreshauptversammlung erklärt hat:
Wir
- der Bundeswehrverband sind es leid, ständig zum Spielball der Haushaltspolitik der Bundesregierung gemacht zu werden.
Das ist also keine rein sozialdemokratische Erkenntnis.
({3})
In Kapitel 5.5 des vorliegenden Berichts - Material- und Ersatzteillage - heißt es:
Wie schwierig die Lage ist, zeigt der Umstand, daß ... von 150 für den Einsatz im ehemaligen Jugoslawien abzugebenden Kraftfahrzeugen 140 die vorgeschaltete Überprüfung aufgrund von Mängeln nicht im ersten Anlauf bestanden haben.
Nach meinen Erkenntnissen findet zur Ausleihe oder zum Tausch von Ersatzteilen eine rege Transporttätigkeit mit Lastkraftwagen statt.
In manchen Bereichen ist man dazu übergegangen, Ersatzteile aus anderen Fahrzeugen oder Luftfahrzeugen auszubauen. Dieser aufwendige sogenannte „gesteuerte Ausbau" wird von den betroffenen Soldaten als „Kannibalismus" bezeichnet.
Daß das nicht nur von der Wehrbeauftragten und von uns festgestellt wird, sondern auch in der CDU-Fraktion, gibt folgendes wieder: Der Kollege Kossendey, Mitglied der CDU-Fraktion, wird in der „Süddeutschen Zeitung" vom 20. Juni dieses Jahres folgendermaßen zitiert:
Immer mehr soll also mit immer weniger Geld geleistet werden. Diese Rechnung geht nicht auf. Da helfen auch keine Denkverbote, wie der Verteidigungsminister sie gerne verkündet, noch populistische und phantasielose Schnellschüsse, wie wir sie in diesen Tagen von einigen F.D.P.-Kollegen hören.
({4}) Herr Koppelin, der wohl gemeint war, hat
({5})
geäußert, man solle 10 000 Wehrpflichtige weniger
einziehen; dann könne man 300 Millionen DM anderswo einsetzen. Ein solcher Schnellschuß löst das Problem aber nicht.
({6})
Er zeigt nur deutlich, daß Handlungsbedarf besteht. Wir Sozialdemokraten setzen uns daher für eine parteiübergreifende Wehrstrukturkommission ein, die neue und für alle tragbare Lösungen entwickeln könnte.
({7})
- Man kann das nicht oft genug wiederholen, Herr Breuer.
In den Hauptverteidigungskräften verfestigt sich der Eindruck, daß man wegen der Finanznot hinter den Krisenreaktionskräften zurückstehen müsse. Abgesehen von der psychologischen Wirkung, die sich bei Angehörigen der für die Hauptverteidigung vorgesehenen Verbände motivationsmindernd bemerkbar macht, führt eine Unterversorgung dieser Verbände auch zu verschlechterten Ausbildungsbedingungen sowie zu Schwierigkeiten auf dem Wege des Materialnachschubs für im Einsatz befindliche Kräfte. Eine Politik, die das faktische Herausbilden einer Zweiklassenarmee billigend in Kauf nimmt, läuft Gefahr, ihre Akzeptanz zu verlieren.
({8})
Die Politik kann nicht verhindern, daß den Krisenreaktionskräften in den Medien mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als den Hauptverteidigungskräften. Aber Politik kann verhindern, daß dieser öffentliche Eindruck objektiv stimmt. Es bleibt festzuhalten, daß die offensichtlich begonnene Vernachlässigung der Hauptverteidigungskräfte im Interesse der gesamten Bundeswehr gestoppt werden muß.
({9})
Im demokratischen Rechtsstaat lebt die Armee von ihrer Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft. Das disziplinierte und freundliche Verhalten unserer Soldaten in Ex-Jugoslawien, noch mehr jedoch der Katastropheneinsatz an der Oder haben der Bundeswehr einen Grad an Akzeptanz gebracht, der kaum noch zu steigern ist. Diesen Zustand zu erhalten ist Aufgabe von uns allen. Da müssen Verstöße gegen die Menschenwürde, wie sie in Kapitel 4 des vorliegenden Berichts beschrieben werden, strenger verfolgt und auch strenger geahndet werden. Wer als Wehrpflichtiger so, wie dort beschrieben, behandelt wurde und wer von uns von so behandelten Soldaten davon berichtet bekommt, der wird nicht zur Akzeptanzsteigerung der Bundeswehr beitragen.
Da wird dann oft und gerne das entschuldigende Argument angeführt, die Bundeswehr sei als Wehrpflichtarmee eben auch nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Das ist, wie wir alle wissen, Unsinn. Die Bundeswehr ist längst nicht mehr ein Ebenbild unserer Gesellschaft.
({10})
Uwe Göllner
Unsere Gesellschaft ist nicht nach den Prinzipien von Befehl und Gehorsam organisiert; die Bundeswehr ist dies aus gutem Grund. Weil das so ist und weil wir alle nur das Beste für die Bundeswehr wollen, muß es auch möglich sein, daß die für sie Verantwortlichen sie so organisieren, so führen und so ausbilden, daß sie besser ist als der Durchschnitt dieser Gesellschaft.
({11})
Das Prinzip der inneren Führung bedingt den „Staatsbürger in Uniform".
({12})
Zum „Staatsbürger in Uniform" gehört unter anderem Selbstbewußtsein. Zum gesunden Selbstbewußtsein gehört ein bestimmtes Maß an Bildung und Ausbildung. Was die Bildung angeht, so kann die Bundeswehr nur auf Vorhandenes aufbauen. Da gibt es Defizite auch in den Schuljahrgängen 11 bis 13. Das erleben wir selbst immer wieder bei Besuchen von Schulklassen und Kursen hier in Bonn. Die Ausbildung aber ist Sache der Ausbilder in der Bundeswehr. Auch da gibt es Defizite, wie der vorliegende Bericht ausweist.
Im Jahresbericht 1995 hatte die Wehrbeauftragte darauf hingewiesen, daß als Gruppenführer nur derjenige eingesetzt werden sollte, der hierfür durch seine Ausbildung, Erfahrung, menschliche Reife und Menschenkenntnis qualifiziert erscheint. Sie bekräftigt im vorliegenden Bericht diesen Appell deutlich. Das kann wohl nur bedeuten, daß der letztjährige Appell ungenügende Berücksichtigung fand.
Das Kapitel 5 belegt sehr eindrücklich, daß die Wehrbeauftragte ihren Appell zu Recht wiederholt. Wenn es da zum Beispiel heißt, Führungsfehlverhalten sei nicht nur auf unzureichende Ausbildung zurückzuführen, sondern auch auf charakterliche Mängel junger Vorgesetzter, so muß das angesichts des folgenden Beispiels nachdenklich stimmen: Wenn der Küchenraum an einer Bundeswehruniversität mit Lebensmitteln, zersplitterten Glasflaschen und anderen Dingen verunreinigt wird, so ist das an einer Schule, die Elite ausbilden soll, Herr Breuer, schon schlimm genug. Wenn aber der Versuch eines einsichtigen Studenten, den selbstproduzierten Dreck auch selbst zu beseitigen, von anderen mit der Feststellung zurückgewiesen wird: „Was soll denn das? Wozu sind die Putzfrauen da?", dann spiegelt das ein Menschenbild wider, das - nicht nur, füge ich hinzu - in der Bundeswehr nichts verloren hat.
({13})
Für den Mangel an Ausbildungsmaterial will ich nur zwei bezeichnende Beispiele anführen: Ein Regimentskommandeur berichtet, einer seiner Ausbildungskompanien stünden lediglich drei Kompasse und zwei Doppelferngläser zur Verfügung. In einer anderen Einheit seien die Kraftfahrzeuge, an denen ausgebildet und geübt werde, mehr als 30 Jahre alt. Eine Zündkerze für ein solches Nostalgiefahrzeug koste heute 70 DM. - Eine sachgerechte Ausbildung ist so nicht möglich; die unsachgemäße Ausbildung zudem auch noch zu teuer.
Ein Punkt, den die Wehrbeauftragte oft anführt, ist die politische Bildung. Sie hat noch immer nicht den Stellenwert, den wir ihr beimessen. Seit Jahren betonen und fordern wir, politischer Bildung auch und besonders in der Zeit der Auslandseinsätze besondere Bedeutung beizumessen. Es darf nicht zugelassen werden, daß militärische Vorgesetzte darüber entscheiden, daß politische Bildung infolge angeblichen Zeitmangels zugunsten von Gefechtsausbildung ausfällt. Dem Vorgesetzten muß bewußt gemacht werden, daß gerade auch die politische Bildung bei der Erfüllung seines militärischen Auftrages hilfreich ist. Sicherlich hat die Bundeswehr die rechtsradikalen Ausschreitungen im Berichtsjahr nicht hervorgerufen. Aber daß sie sie nicht hat verhindern können, zeigt, wie wichtig politische Bildung ist. Vorgesetzte, welche diese Notwendigkeit nicht erkennen, machen deutlich, wie sehr sie selbst der entsprechenden Unterweisung bedürfen.
Der Kollege Augustinowitz hat mich in der Verteidigungsausschußsitzung vor den Sommerferien gebeten, mich bei der Bundeswehr für meine Äußerungen zu entschuldigen. Herr Augustinowitz, die vom Verteidigungsminister vorhin negierte, aber tatsächlich vorhandene Steigerung der Zahl dieser Vorfälle - wenn man der Wehrbeauftragten glaubt, um 50 Prozent - zeigt, wie richtig ich mit meiner Einschätzung lag. Wir sollten uns gemeinschaftlich bemühen, Entsprechendes zu verhindern.
({14})
Zu den aktuellen Dingen um diese Vorgänge wird der Kollege Gerd Höfer nachher noch Stellung nehmen.
Die Bundeswehr hat mit dem Konzept der inneren Führung und der politischen Bildung den „Staatsbürger in Uniform" geprägt. Das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform" ist weiterzuentwickeln und behält seine Bedeutung für den Dienst in der Bundeswehr. Die Bundeswehr genießt unser Vertrauen und verdient gerade in dieser für sie schwierigen Periode der Umstellung unser aller Unterstützung.
Danke schön.
({15})
Ich gebe dem Abgeordneten Winfried Nachtwei das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Marienfeld, Sie üben ein sehr wichtiges und zugleich sehr diffiziles Amt aus. Sie tun dies zusammen mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr engagiert und - damit meine ich Sie persönlich; so bekommen wir das mit - mit einer hohen Sensibilität. Es ist kein Ritual, wenn wir Ihnen dafür danken.
({0})
Zugleich aber können wir Ihrem Bericht trotz vieler Übereinstimmungen im einzelnen nicht zustimmen. Mit Ihrem Bericht legen Sie nämlich - dies meint der Minister - „ein überzeugendes Bekenntnis zur Wehrpflicht" ab. Wir sind der Auffassung, daß das erstens falsch ist und daß Sie zweitens als Hilfsorgan des Bundestages Ihre Befugnisse damit eindeutig überschreiten.
({1})
- Herr Nolting, Sie können gleich etwas dazu sagen.
Vor zwei Jahren beging die Bundeswehr ihren 40. Geburtstag unter anderem mit einem Großen Zapfenstreich. Sie alle erinnern sich vielleicht noch daran, wie danach die Debatte um den sogenannten Ehrenschutz von Soldaten hochbrandete.
({2})
Im Bericht der Wehrbeauftragten von 1995 spielte dieses Thema noch eine besondere Rolle; die Koalition legte dazu einen Gesetzentwurf vor. In diesem Bericht aber ist von diesem Problem keine Rede mehr. Ich schließe daraus, daß sich dieses Problem aufgelöst hat und daß die Wehrbeauftragte diesen Gesetzentwurf inzwischen für völlig überflüssig hält. Das ist unserer Auffassung nach völlig vernünftig.
An diesem Gesetzentwurf heute festzuhalten wäre auch besonders lächerlich und absurd; denn viel mehr als jeder „Mörder"-Ruf draußen gegen Bundeswehrsoldaten haben inzwischen Soldaten der Bundeswehr selbst die Bundeswehr beleidigt, indem sie Mörder und Vergewaltiger spielten, indem sie sich fremdenfeindlich und rassistisch aufführten.
({3})
Alle paar Wochen werden inzwischen Fälle mit minderheitenfeindlichem, gewaltverherrlichendem und rechtsextremem Hintergrund in der Bundeswehr bekannt. Gegen weit mehr als 100 Soldaten wird zur Zeit ermittelt.
Die Bundeswehrführung mit dem Minister an der Spitze verurteilte diese Akte jeweils sehr deutlich und ging konsequent gegen die mutmaßlichen Täter vor. Das ist gut so. Zugleich aber werden Ihre Reaktionen immer mehr zu einem Ritual, nämlich dann, wenn sie mit dem beschwörenden, inzwischen sehr bekannten Dreisatz einhergehen: Die Bundeswehr sei ein Spiegelbild der Gesellschaft; es seien verwerfliche Einzelfälle; insgesamt gebe es keine rechtsextreme Entwicklung in der Bundeswehr.
Selbstverständlich ist die Bundeswehr Teil der Gesellschaft und ihrer Probleme. Die Frage ist aber nicht, ob sie Spiegelbild ist, sondern wie sich die Gesellschaft in der Bundeswehr widerspiegelt. Da ist es doch banal, festzustellen - aber nicht unwichtig -, daß die Bundeswehr überwiegend eine Männergesellschaft ist, in der der Anteil von jungen Männern mit ihren ganz spezifischen Merkmalen besonders groß ist, und daß die politische Grundorientierung von Grundwehrdienstleistenden und von Offiziersstudenten, wie wir es gerade gehört haben, gegenüber dem gesellschaftlichen Durchschnitt konservativer ist. Insofern also ist es völliger Unsinn, von einem Spiegelbild an sich zu reden.
Die große Mehrheit der Soldaten verurteilt glaubwürdig die Ausschreitungen der letzten Monate. Trotz unserer Oppositionsrolle und trotz aller Militärkritik unsererseits haben wir keinerlei klammheimliches Bedürfnis, dies möge doch die Spitze eines Eisbergs sein. Daher erheben wir auch keinen Generalverdacht gegen die Bundeswehr. Nur, die Kette und die Umstände dieser einzelnen Fälle machen hellhörig und mißtrauisch. Ich denke an die Zahl der an einzelnen Fällen aktiv und passiv Beteiligten und an die Dauer dieser Vorfälle - eben nicht ein einzelner Abend, sondern viele Abende - und ihre oftmalige Wiederholung. Ich erinnere mich an die Aussagen des Kommandeurs eines Panzergrenadierbataillons in Sachsen, der schätzte, daß ungefähr 10 bis 15 Prozent der Soldaten eine eher rechtsextreme Orientierung hätten. Er berichtete auch von einem ausdrücklichen Tarnverhalten organisierter Rechtsextremer.
({4})
Wir erhalten von der Bundesregierung in der Regel sehr sorgfältige Untersuchungen zu Einzelfällen, aber Entscheidendes wissen wir nicht, weiß offenkundig auch die Bundeswehrführung nicht. Zum Beispiel: Wie groß ist das wegsehende, duldende bis sympathisierende Umfeld bei solchen Taten? Wie verbreitet sind minderheitenfeindliche, gewaltverherrlichende und rechtsextreme Einstellungen unter Soldaten, aufgeschlüsselt nach verschiedenen Dienstgradgruppen oder in verschiedenen Truppenteilen?
Wir wissen, daß Militär generell auf Rechtsorientierte besonders anziehend wirkt. Aber wir wissen nicht, wie der allgemeine militärische Alltag, wie die militärische Ausbildung und wie die politische Bildung auf entsprechend disponierte junge Männer wirken, ob eher relativierend oder gar bestärkend. Hierzu gibt es bis heute keinerlei Untersuchung. Wir brauchen sie dringend - nicht um Pauschalurteile bestätigt zu bekommen, sondern wir brauchen sie dringend, um klar zu sehen, wo bisher vor allem Nebel ist.
Wenn wir in den letzten Jahren solche sozialwissenschaftlichen Untersuchungen forderten, reagierte der Minister nur immer abwehrend mit den Worten, das seien die Probleme der Gesellschaft, das habe nicht die Bundeswehr zu klären, er wolle keine abstrakten Untersuchungen. Was im militärischen Bereich tödlich wäre, nämlich Verzicht auf ein genaues Lagebild, das haben Sie, Herr Minister, hier bisher zum Prinzip erhoben, nämlich die mutwillige partielle Blindheit gegenüber dem, was sich subtil auf der Ebene von Einstellungen und Einstellungsveränderungen in der Truppe tut. Ein solches Verhalten
- das sage ich ausdrücklich - ist politisch grob fahrlässig.
({5})
Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund sind nichts Neues in der Bundeswehr. 1993 legte der Beirat für Fragen der Inneren Führung Empfehlungen vor, wie die Bundeswehr Rechtsextremismus entgegenwirken solle. Gefordert wurde ein konsequentes disziplinar- und strafrechtliches Vorgehen. Das wird zumindest im oberen Bereich, an der Spitze eindeutig gemacht.
Es wurde gefordert, die Dienstaufsicht zu verstärken. Bis heute wird in jedem Untersuchungsbericht festgestellt, daß es gerade bei der Dienstaufsicht gemangelt habe. Es handelt sich also um ein fortdauerndes Problem. Die Wehrbeauftragte hat in ihrem Bericht darauf hingewiesen, daß ihr der Opportunismus auch mancher höherer Vorgesetzter Sorgen mache, die zunächst unzulässige Ausbildungsmethoden duldeten, dann aber, wenn es zu einer Untersuchung komme, plötzlich einen Schwenk machten. Um so besser ist es, daß die Wehrbeauftragte in ihrem vorliegenden Bericht zum erstenmal ausdrücklich auch auf den Komplex Zivilcourage eingegangen ist.
Es wird weiterhin eine verbesserte politische Bildung gefordert. Ihre begrenzte Wirksamkeit ist bekannt. Aber die fortgesetzte Vernachlässigung der politischen Bildung im Truppenalltag, ihre Verdrängung durch andere militärische Aufgaben ist nicht hinnehmbar. Für mich ist auch nicht nachvollziehbar, wie gerade in einer so hierarchischen Organisation wie der Bundeswehr ein solches Vollzugsdefizit auftauchen und sich so lange halten kann.
Schließlich wird eine kritische Überprüfung von Kasernennamen gefordert. Manche mögen da meinen: Ach, das ist Militärfolklore, was soll das? Schnee von gestern! - In Wirklichkeit geht es aber bei militärischer Traditionspflege in jeder Armee elementar um das eigene Selbstverständnis und Gruppenbewußtsein. Sie liefert Vorbilder in diese oder jene Richtung. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, daß die Wehrbeauftragte in diesem Bericht kein Wort zur militärischen Traditionspflege verliert. Das ist ein gravierendes politisches Versäumnis dieses Berichts.
({6})
Denn auf diesem Feld ist eben nicht alles in Ordnung; hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf.
Bezeichnendes Beispiel dafür sind die Kasernennamen. Hier ist das Verhalten des Ministers bis heute äußerst widersprüchlich. Einerseits werden Kasernen nach Widerstandskämpfern des 20. Juli benannt. Andererseits wird notorisch an Namensgebern festgehalten, die nicht nur sogenannte Helden des ersten und zweiten Weltkrieges waren, sondern zugleich auch ausgewiesene Antidemokraten, Nationalisten und Militaristen. Das ist ein gefährliches Doppelsignal: einerseits ein positives gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit, andererseits ein Signal gegenüber bestimmten Subkulturen vor Ort in der
Truppe und in Traditionsverbänden, die eine demokratieferne Traditionspflege durchführen. Hier ist eine eindeutige Vorgabe des Ministers längst überfällig.
({7})
Bitte kuschen Sie nicht weiter vor diesen manchmal entstehenden Sumpfblüten demokratieferner Traditionspflege!
({8})
Zusammengefaßt: Scharfes Verurteilen, vermehrte Kontrollen von Spinden, vielleicht sogar des Wertfachs, und unnachsichtiges Vorgehen gegen Täter reichen längst nicht. - Das mit der Spindkontrolle habe ich mal in Klammern gesagt. - Wir raten Ihnen dringend: Tun Sie Schritte in die von uns vorgeschlagene Richtung. Vor allem: Verschaffen Sie sich ein genaues Bild von dem, was wirklich los ist. Die Kolleginnen und Kollegen im Plenum bitte ich, unseren Entschließungsantrag, der diese Probleme aufnimmt, zu unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich gebe dem Abgeordneten Günther Nolting das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nachtwei, ich will ganz kurz auf Ihren Redebeitrag eingehen. Ich frage mich, nachdem ich gehört habe, was Sie vorgetragen haben, in welch einer Welt Sie leben. Welches Bild haben Sie von dieser Bundeswehr?
({0})
Wie können Sie die Soldaten dieser Bundeswehr pauschal in eine Ecke stellen, in die sie nicht hineingehören? Haben Sie vergessen, was diese Bundeswehr für dieses Land getan hat? Haben Sie die Bilder vergessen, die zeigen, wie die Soldaten unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit unlängst am Oderbruch für Ordnung gesorgt haben? Haben Sie all das vergessen?
({1})
- Ich komme später noch einmal darauf zurück, Herr Nachtwei. Es werden Ihnen noch einige andere Unannehmlichkeiten vorgetragen werden. Darauf können Sie sich verlassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Wehrbeauftragte, ich möchte Ihnen im Namen der F.D.P.-Fraktion für Ihre geleistete Arbeit ausdrücklich danken. Ich beziehe in diesen Dank auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses ein. Sie haben durch Ihre Anregungen im Jahresbericht 1995 ebenso wie durch das Aufgreifen der Vorschläge der
Koalitionsfraktionen im Verteidigungsausschuß im Berichtszeitraum 1996 mit dazu beigetragen, daß es zu einer spürbaren Verbesserung der Rahmenbedingungen und zu einer Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes gekommen ist.
Dies betrifft auch den rein finanziellen Bereich. Ich denke, dieser darf gerade mit Blick auf die Grundwehrdienstleistenden nicht vernachlässigt werden. So können wir bei Truppenbesuchen feststellen, daß in dieser Hinsicht nur noch selten geklagt wird. Hier wird deutlich, daß gerade auch der von der Koalition eingeführte Mobilitätszuschlag die gewünschte Wirkung gezeigt hat.
Aber in anderen Themenfeldern kommt es von seiten der Grundwehrdienstleistenden natürlich zur Kritik. Die Spannbreite reicht von mangelnden baulichen Zuständen über Unterforderung durch vermeintlich eintönige Dienstgestaltung bis hin zur uns allen bekannten Kleiderfrage. Dabei geht es eben nicht nur um Olivgrün kontra Fleckentarnanzug. Aber es muß uns schon alarmieren, wenn in einigen Einheiten das Olivgrün nur noch in unzureichendem Zustand zur Verfügung steht oder wenn Soldaten wegen Sondergrößen monatelang keine Uniform erhalten. Hier sind die Vorgesetzten gefragt. Hier sind die Standortverwaltungen gefordert, flexibel und umgehend für Abhilfe zu sorgen. Ähnliches gilt für die Dienstzeit, die in jedem Fall fordernd und abwechslungsreich gestaltet werden kann und muß. Hier ist mit Eigeninitiative und Flexibilität der Vorgesetzten meiner Meinung nach noch vieles zu verbessern.
({2})
Dies ist ein Appell an die Vorgesetzten; aber es ist auch ein Aufruf an die Führung der Bundeswehr, den Ausbildern in den Kompanien, in den Bataillonen und in den anderen Einheiten ausreichend Gestaltungsspielraum zu belassen.
Ein weiterer wichtiger Komplex für die Akzeptanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung ist die Einberufungspraxis. Die Wehrbeauftragte widmet sich dieser Thematik in ihrem Bericht und stellt unter anderem fest, daß insbesondere landwirtschaftliche Betriebe und Betriebe junger Existenzgründer häufig durch Einberufung wichtigen Personals in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich möchte hier noch einen Schritt weitergehen und sagen, daß zumindest die jungen Firmen häufig sogar in ihrem Fortbestand gefährdet sind.
Ich teile auch die Auffassung der Wehrbeauftragten, daß es keine generelle Sonderregelung für männliche Angehörige zum Beispiel landwirtschaftlicher Familienbetriebe geben kann, insbesondere wenn andere Familienangehörige oder Ersatzkräfte die Arbeit vorübergehend leisten oder koordinieren können. Etwas anderes ist es allerdings, wenn, wie gerade in meiner Region vorgekommen, ein Junglandwirt - einziges Kind und alleinige Arbeitskraft im Betrieb, die Mutter durch schwere Krankheit nicht arbeitsfähig - durch die Umstände und die Einberufung in die Bundeswehr in seiner Existenz definitiv bedroht ist.
Ich stelle auch die Frage in den Raum, ob es angesichts der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitslosenzahl in unserem Land alleine bei dem Existenzgründererlaß des Verteidigungsministeriums - den ich ansonsten ausdrücklich begrüße - bleiben kann oder ob es schon bald zu einer grundsätzlichen Überprüfung aller gesetzlichen und administrativen Ausnahmetatbestände und zu einer Neubewertung unter Berücksichtigung unserer heutigen Gesamtlage und der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität kommen muß. Ich verweise hier auch auf den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes der letzten Tage. Ich denke, hier sind wir als Parlament, hier ist auch die Bundesregierung aufgerufen, Änderungen vorzunehmen, bevor dies auf dem Rechtswege erfolgt.
Frau Wehrbeauftragte, ich habe die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realität angesprochen. Ich hätte mir diese Berücksichtigung gern in einem anderen Bereich gewünscht, so wie Sie es im Jahresbericht 1995 noch unter dem Stichwort Soldatinnen in den Streitkräften getan haben. Wir wissen alle, daß sich bei den fehlenden gleichen Karrierechancen für Bewerberinnen und Soldatinnen in den letzten Monaten nichts bewegt hat, abgesehen von einer kleinen Diskussion über Wachdienst von Sanitäterinnen.
Ich halte nichts davon, sich - wie die Opposition - hinter einem altbackenen Frauenbild zu verstecken, um dieser Diskussion auszuweichen.
({3})
Ich halte aber auch nichts davon, sich zum gleichen Zweck hinter einer vermutlich oder tatsächlich fehlenden Parlamentsmehrheit zu verschanzen. So wurde politische und gesellschaftliche Änderung noch nie erreicht. Daß das Thema in der Gesellschaft und hier insbesondere bei den betroffenen Frauen immer aktueller wird, das belegen nach wie vor die Berichte der Wehrdienstberater, auch die Berichte der Jugendoffiziere sowie zahlreiche Gerichtsverfahren, Eingaben und Petitionen. Ich wünsche mir, daß die Fraktionen des Hauses hier den Vorstellungen der F.D.P. folgen und mit dazu beitragen, daß sich die Bundeswehr in allen Bereichen für Frauen öffnet, um auch hier entsprechende Chancengleichheit zu schaffen.
({4})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal das unerfreuliche Thema aufgreifen, das auch von meinen Vorrednern angesprochen wurde. Die beiden in Hammelburg und Schneeberg von Bundeswehrangehörigen aufgenommenen Videobänder werfen ein erschreckendes Licht auf einige wenige - ich betone: einige wenige - Soldaten der Bundeswehr. Herr Kollege Nachtwei, es hätte schon Ihres Hinweises bedurft, daß es sich hier um Einzelfälle handelt.
Aber ich füge hinzu: Hier sind lückenlose Aufklärung und alle sinnvollen Gegenmaßnahmen geforGünther Friedrich Nolting
dert, die der Rechtsstaat ergreifen kann. Ich wiederhole das, was ich gestern im Verteidigungsausschuß dazu gesagt habe: Es muß um sinnvolle Maßnahmen gehen. Aktionismus kann nur den Blick für das eigentliche Problem verstellen oder von den eigentlichen Verantwortlichen ablenken.
Manche ins Spiel gebrachte Maßnahmen wie etwa Auskünfte aus dem Bundeszentralregister oder ähnliches mehr scheinen auf den ersten Blick das Problem zu lösen. Aber es handelt sich hier offensichtlich nur um eine Scheinlösung. Denn alle Daten, die wo auch immer abzufragen wären, geben kaum Auskunft über die politische oder sonstige Motivation von Straftätern. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die überwiegende Mehrheit der in der jüngeren Vergangenheit in dieser Hinsicht negativ in Erscheinung getretenen Soldaten vorher in keiner Weise strafrechtlich aufgefallen sind. Ich habe die Befürchtung, daß wir Grauzonen schaffen, in die wir junge Wehrpflichtige - vor allem diejenigen, die weniger gefestigt sind - treiben könnten, indem sie sich solchen Aktivitäten nähern, um sich dadurch dem Dienst entziehen zu können.
Ich stelle noch einmal für die F.D.P.-Fraktion fest: Wir müssen uns den Problemen stellen. Wir werden im Verteidigungsausschuß und, so denke ich, auch im Rechtsausschuß darüber Gespräche führen, um so zu einer Lösung zu kommen. Hier ist aber zunächst sowohl die politische als auch die militärische Führung der Bundeswehr gefragt. Aber auch jeder einzelne Vorgesetzte ist in der Pflicht, seiner Dienstaufsicht und Fürsorge nachzukommen. Ich wünsche mir, daß es über diese Frage auch in der Bundeswehr zu einer offenen Diskussion und zu keiner falschen Kameradschaft kommt.
Letztlich betone ich aber auch: Es bleibt dabei, daß rechtsradikale Auffälligkeiten ein gesamtgesellschaftliches Problem sind. Wir sind zu Recht darauf stolz, daß die Bundeswehr ein Spiegelbild dieser Gesellschaft ist.
({5})
Wir müssen dann allerdings auch ertragen können, daß hier nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen zur Geltung kommen. Damit haben wir uns auseinanderzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin von Einzelfällen in der Bundeswehr gesprochen. Jeder Einzelfall ist ein Fall zuviel. Alle Fälle müssen aufgeklärt werden. Ich wehre mich dagegen, daß zum Beispiel die Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen am gestrigen Tag in den Medien davon spricht, sie sehe in der Bundeswehr Strukturen, die rechtsradikale Jugendliche anzögen.
({6})
Ich wehre mich auch dagegen, daß sie pauschal von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr spricht. Es ist schon bemerkenswert, wenn die Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen behauptet, es sei zu befürchten, daß Rechtsradikale und Neofaschisten es geschafft hätten, innerhalb der Bundeswehr organisiert Strukturen aufzubauen,
({7})
und daß wir dringend notwendige Aufklärung verweigerten. Sie wertet dies als Versuch, von eigentlichen Problemen abzulenken. Es werde negiert, so die Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, daß die Bundeswehr ein Problem habe.
({8})
Dies möchte ich nicht weiter kommentieren. Aber ich wiederhole für die F.D.P.-Bundestagsfraktion: All diese Vorfälle müssen lückenlos aufgeklärt werden. Aber all diese Vorfälle bilden keine Grundlage für die Gesamtverurteilung unserer Streitkräfte.
({9})
Ebensowenig können Einzelfälle in der Bundeswehr zu einem pauschalen Urteil führen.
Ich denke, wir sollten die weiteren Aufklärungen abwarten. Wir sollten auch abwarten, wie hier rechtsradikale Täter plötzlich zu Kronzeugen werden. Wir sollten einmal abwarten, ob das, was in diesen Videos gezeigt wurde, nicht von langer Hand vorbereitet wurde und dementsprechend inszeniert wurde. Der eine oder andere in diesem Haus wird dann hoffentlich zu einer anderen Beurteilung kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Die Wehrbeauftragte des Bundestages berichtet unter anderem, daß sich ihre Befürchtungen aus dem Jahre 1995, daß weitere Kürzungen im Wehretat den inneren Zustand der Bundeswehr beeinträchtigen könnten, bestätigt hätten.
Die nachhaltigste Kürzung des Haushalts für die Bundeswehr im allgemeinen wird in den kommenden Jahren ohne Zweifel von der gestern im Verteidigungsausschuß beschlossenen Anschaffung des Jägers 2000 verwirklicht werden. Sie belastet den Haushalt der Bundeswehr mit voraussichtlich 5 Milliarden DM jährlich, und sie wird entgegen den Wünschen der Wehrbeauftragten nicht dem Eindruck entgegenwirken, durch die einseitig bevorzugte Ausstattung der Krisenreaktionskräfte werde es zu einer Zweiklassenarmee kommen. Vielmehr wird diese voraussichtlich insgesamt 100 Milliarden DM verschlingende Beschaffung diesen Zustand auf Jahre hinaus zementieren.
Der Jäger 2000 wird die bereits bestehenden Strukturprobleme der Bundeswehr außerordentlich verschärfen und damit eine höchst negative Wirkung
gerade auch auf den inneren Zustand der Bundeswehr, mit dem wir uns heute zu befassen haben, ausüben. Doch dies nur zur allgemeinen Einleitung.
Angesichts des ekelhaften Geschwürs, das mit dem Auftauchen der skandalösen gewaltverherrlichenden rechtsradikalen und antisemitischen Videos, die in einer Einheit der Bundeswehr gedreht wurden, aufgebrochen ist, ist es einfach unangemessen, sich heute routinemäßig mit den sicherlich interessanten und kommentierungsbedürftigen Details dieses Berichts zu beschäftigen. Heute stehen andere, viel brennendere Fragen auf der Tagesordnung.
Ich gehöre sicherlich nicht - das gilt auch für die Grünen und Herrn Nachtwei, Herr Nolting - zu den Leuten, die für diese rechtsradikalen Elemente die Bundeswehr pauschal verantwortlich machen wollen - genausowenig wie man die PDS pauschal für kommunistische Sekten verantwortlich machen kann, die vergeblich versuchen, die PDS als Plattform zu mißbrauchen, um sich medial aufzuplustern.
({0})
Ich bin aber der Überzeugung, daß Krankheitserscheinungen am Körper der Bundeswehr ein erheblich schrilleres Alarmsignal sind als solche am Körper der PDS, die von Ihnen so gerne dramatisiert werden, um die PDS pauschal zu diffamieren. Denn die Bundeswehr wird ja nicht zu Unrecht von Ihnen so gern als Spiegelbild der Gesellschaft bezeichnet. Sie ist es natürlich auch, an Kopf und Gliedern.
Die Krankheitskeime, die im Blut der Gesellschaft kreisen, kreisen aber auch im Blut der Bundeswehr. Wenn sie jetzt so dramatisch zum Vorschein kommen, so ist es höchst fahrlässig - wie der Minister und Herr Nolting es tun -, dies als isolierte Einzelfälle zu betrachten. Es ist auf die ganze ideologische und geistige Wende zurückzuführen, auf diesen Salto rückwärts, der sich in den 15 Jahren der Regierung dieser Koalition in diesem Lande vollzogen hat.
({1})
Ich weiß, wovon ich rede. Die Auseinandersetzungen über die Wehrmachtsausstellung, in die ich seit drei Jahren verwickelt bin, haben mir äußerst scharf vor Augen geführt, in welchem Ausmaß versucht wird, den eigentlich überparteilichen Konsens, daß das Naziregime ein Verbrechersystem war, auszuhöhlen.
({2})
An dieser Geschichtsklitterung beteiligen sich nicht nur „rechtsextremistische Strolche", wie der Minister sich auszudrücken beliebte, sondern durchaus auch bürgerlich und akademisch etablierte Leute. Ob sie sich nun als nationalkonservativ oder christlich-konservativ bezeichnen, ist ganz egal.
({3})
Diese Leugnung oder zumindest die Verharmlosung der Verbrechen des Naziregimes und damit auch der Wehrmacht, die eine der tragenden Säulen dieses Systems war, ist genau der Humus, auf dem diese Krankheitskeime wuchern,
({4})
von denen auch die Bundeswehr nicht unberührt bleiben kann. Im Gegenteil: Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Armee besonders anfällig ist für Nationalismus, Rassismus und Gewaltverherrlichung. Das weiß man spätestens seit der Affäre Dreyfus.
Daß diese Krankheitskeime jetzt so dramatisch zum Vorschein gekommen sind, hat ja vielleicht auch etwas Gutes. Es wird hoffentlich die Führung der Bundeswehr dazu veranlassen, die gravierenden Mängel, die die Wehrbeauftragte in der politischen und staatsbürgerlichen Erziehung der Soldaten konstatiert hat, energischer als bisher anzupacken. Woher man allerdings das Personal dafür nehmen will, dafür findet sich in diesem Bericht keine Antwort. Soweit wir Einblick haben, sind ja gerade im ganzen geistigen Umfeld der Bundeswehr diejenigen Kräfte, die so heftig an der Revision des Geschichtsbildes arbeiten, nicht gerade unterrepräsentiert.
({5})
Aber dies zu ändern, dazu fehlt dieser Bundesregierung und dem Verteidigungsminister ganz offenbar der Wille.
({6})
Die Forderung von rechts und merkwürdigerweise auch von links, MAD und Verfassungsschutz stärker einzusetzen, halte ich für völlig verfehlt. Auch mit der besten Wessi-Stasi wird man dieses Problem nicht lösen.
({7})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Paul Breuer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn es manche nicht glauben mögen: Ich bin davon überzeugt, daß die Art, wie wir diese Debatte über den Bericht der Wehrbeauftragten führen, nicht nur erhebliche Beachtung in unserer Gesellschaft, sondern auch außerhalb Deutschlands findet.
({0})
Wer heute morgen die Zeitungen, auch aus dem europäischen Ausland, gelesen hat, weiß, daß die Fragen, über die wir hier diskutieren, hohe Beachtung finden.
({1})
Der gute demokratische Ruf der Bundeswehr und ihre Loyalität zum Grundgesetz stellen ein hohes Gut für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland sowohl im Inneren wie im Äußeren dar. Wir tragen eine große Verantwortung dafür, dieses zu bewahren.
({2})
Deswegen bin ich dankbar, daß wir als die demokratischen Kernkräfte unseres Landes - ich möchte besonders den Kollegen Kolbow und andere Kollegen der SPD lobend hervorheben - uns nicht nur in der gestrigen Sitzung des Verteidigungsausschusses, sondern auch in den letzten Tagen schützend vor die Bundeswehr gestellt haben.
Die Vorwürfe im Hinblick auf die von Soldaten des Jägerbataillons in Schneeberg und Hammelburg gedrehten Videoinszenierungen sind zumeist gerechtfertigt. Das ist leider so. Wenn man sich im Fernsehen diese Szenen angesehen hat, stellt man fest, daß es sich um eine widerliche und abscheuliche rechtsradikale Gewaltverherrlichung handelt. Unsere Aufgabe ist zum einen eine Einschätzung dieser Dinge und zum anderen, die richtige Therapie vorzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entscheidend ist zunächst einmal die Frage, um welche Symptome es sich handelt und woher sie kommen. Mit den Therapieforderungen von Bündnis 90/Die Grünen, niedergelegt in Ihrem Entschließungsantrag, stimme ich deshalb nicht überein, weil Sie sich im wesentlichen nur mit der Bundeswehr beschäftigen wollen und nicht bereit sind zu sehen, daß das, was sich innerhalb der Bundeswehr abspielt, eine jugendpolitische und eine Sozialisierungsproblematik ist, die es in der Gesellschaft und natürlich leider auch innerhalb der Bundeswehr gibt. Es ist sehr wesentlich - das zu sagen ist kein Akt der Verharmlosung, Frau Kollegin Beer -,
({3})
dies festzustellen.
({4})
Wenn ich mir Ihren Entschließungsantrag anschaue - wir werden ihn an den Ausschuß überweisen und uns dort noch einmal mit ihm beschäftigen -, dann komme ich zu der Überzeugung, daß man diesen Antrag in eine Reihe mit anderen Aktionen von Bündnis 90/Die Grünen stellen muß. Auch mir ist klar, was der Herr Verteidigungsminister in der Debatte gesagt hat, nämlich daß das, was in 18 Jahren durch die Familie, die Schule, im Beruf, durch andere Organisationen und Institutionen unserer Gesellschaft versäumt worden ist, nicht innerhalb weniger Wochen und Monate innerhalb der Bundeswehr repariert werden kann. Das ist uns klar.
({5})
- Wenn es auch Ihnen, Herr Nachtwei, klar ist, dann ist es okay. Aber ich muß mich natürlich auch damit beschäftigen, welche anderen Bewertungen seitens Ihrer Partei vorgenommen werden. Da würde es mich schon interessieren, Herr Nachtwei, wie Sie dazu stehen. Frau Kollegin Beer hat festgestellt, daß Rechtsradikalismus und Gewaltbereitschaft, bedingt durch militärische Strukturen, längst Bestandteil der Bundeswehr seien.
({6})
Das ist eine ganz andere Feststellung. Das heißt nämlich, daß sie der Meinung ist, militärische Strukturen bringen notwendigerweise Rechtsradikalismus hervor. Es wäre fürchterlich, wenn es so wäre. Es ist aber nicht die Realität innerhalb der Bundeswehr.
({7})
Frau Kollegin Beer, unsere Soldaten müssen ihr militärisches Handwerk lernen, und sie müssen es beherrschen. Sie müssen wissen - das müssen auch wir und Sie wissen -, daß dies zum Schutz unserer demokratischen Grundordnung und unseres demokratischen Gemeinwesens notwendig ist. Aber sie müssen ebenfalls wissen, daß nur die demokratische Grundordnung eine eventuelle Gewaltanwendung legitimiert. Das ist der große Unterschied, über den diskutiert werden muß und den man in einer solchen Debatte ansprechen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?
Ja, bitte sehr.
Bitte.
Herr Kollege Breuer, sehen Sie aber nicht auch das Problem beim Militär überhaupt und deshalb also auch bei der Bundeswehr, daß im Rahmen der militärischen Ausbildung notwendigerweise das Gewalt- und Tötungstabu, das sonst in der Gesellschaft herrscht, zugunsten einer kontrollierten Gewaltbereitschaft, die durch staatliche Ziele legitimiert werden muß, abgebaut werden muß? Sehen Sie das nicht auch als Problem? Sehen Sie nicht ferner das Problem, daß militärische Hierarchie, das Prinzip von Befehl und Gehorsam und die Wertschätzung von Stärke Momente sind, die nach aller Erfahrung zumindest auf Rechtsorientierte besonders attraktiv wirken? Ich will damit der Bundeswehr überhaupt nichts unterstellen.
({0})
Herr Kollege Nachtwei, die Frage nach der Gewalt und ihrer Legitimation ist eine der zentralen Fragen des demokratischen Rechtsstaats. Zur Gewalt ist außer dem demokratischen Rechtsstaat - und dann nur als Ultima ratio - niemand legitimiert.
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Zur Gewaltanwendung sind auch unsere Streitkräfte nach außen nur dann legitimiert, wenn wir, dieses Parlament, auf der Basis der demokratischen Grundordnung in einem doch wohl sehr schwierigen Prozeß der Abwägung ihnen den Auftrag dazu geben. Sonst ist niemand zur Gewalt legitimiert.
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Zur Erziehung der Soldaten gehört, daß sie diesen Prozeß der Legitimation verstehen lernen und zu dem Wissen gelangen, daß gegebenenfalls als Ultima ratio, als äußerste Entscheidung leider Gewalt eingesetzt werden kann, wenn keine anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr bestehen. Das muß verdeutlicht werden.
Was ich Ihnen und Ihrer Fraktion vorwerfe, ist, daß Sie in der Öffentlichkeit oftmals das Gegenteil sagen, nämlich: Das sind Leute, die zum Töten abgerichtet werden. Deswegen verdienen sie nicht - so sagen Sie es - unseren besonderen Schutz, sondern sie verdienen unsere Verachtung. - Leider gehen Sie mit den Soldaten sehr schändlich um.
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Sie, Herr Kollege Nachtwei, und noch mehr Frau Kollegin Beer, benutzen diese Diskussion, um Ihr politisches Süppchen auf diesem Feuer zu kochen. Sie instrumentalisieren diese Diskussion.
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Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Herr Präsident, ich lasse die Zwischenfrage zu, möchte aber zuvor noch ein paar Sätze sagen.
Sie instrumentalisieren genauso wie der Urheber der Gewaltvideos, der Hauptgefreite Rüggeberg, der von der Bundeswehr nicht weiter verpflichtet wurde, weil er nicht geeignet war und wegen rechtsradikaler Umtriebe. Er ist der Hersteller der Videos. Er ist der Regisseur. Er ist zum Teil Darsteller. Er verkauft die Videos an SAT 1- die senden sie auch noch - und spielt sich in der entsprechenden Sendung als der absolute Saubermann auf. Leider lassen sich im Rahmen dieser schändlichen, miesen Diskussion viele instrumentalisieren. Das muß verachtet werden, meine Damen und Herren.
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Herr Kollege Büttner, Sie können Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Breuer, Ihre Meinung zu den Ursachen dieser Tendenzen bei der Bundeswehr teile ich voll und ganz. Aber halten nicht auch Sie es für überfällig, daß wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages in diesem Zusammenhang nicht länger so herumeiern, wenn es darum geht, eine klare Abgrenzung zwischen Bundeswehr und Wehrmacht zum Beispiel an Hand der Diskussion über Kasernennamen und Traditionsverständnis vorzunehmen?
Halten Sie es nicht für längst überfällig, daß wir unseren Soldaten das Begehren mit auf den Weg geben, über so etwas offensiv zu diskutieren, um diese Kasernennamen aufzugeben, statt uns immer wieder zu verstecken und zu sagen, sie müssen das selber tun? Halten Sie es nicht für überfällig, daß wir auch unseren Soldaten endlich klar sagen, es ist für uns nicht mehr vertretbar, daß wir die Namensgebung mit einem Traditionsverständnis erklären, das wir mit der Bundeswehr nicht in Einklang bringen können?
Ich möchte Sie noch einmal fragen: Wären Sie bereit, solche Anliegen künftig nicht mehr wie in der Vergangenheit mit den Worten „Das sollen die vor Ort klären" abzuschmettern? Wären Sie bereit, endlich auch hier im Parlament den Mut zu haben, nicht mehr länger Rücksicht auf irgendwelche Verbindungen zu Traditionsverbänden zu nehmen? Wären Sie bereit, unserer Bundeswehr und unseren Soldaten endlich den Rücken für ein demokratisches Verständnis zu stärken, um sie da nicht weiter im Zweifel zu lassen?
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Herr Kollege, ich bedanke mich für die Frage. Diese Frage ist hier mehrfach debattiert worden. Sie ist dadurch aber nicht leichter geworden.
Ich will meine persönliche Meinung zu dieser Debatte sagen. Erstens. Die Mehrheit der Soldaten der Wehrmacht ist vom Naziregime und von Adolf Hitler mißbraucht worden.
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Das ist leider die Schwierigkeit der davon betroffenen Generation. Mein Vater gehört auch dazu. Ich sehe mich in der Verantwortung, diese Generation in dieser zum Teil nicht nur moralischen, sondern auch moralisierenden Diskussion nicht alleine zu lassen.
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Zweitens. Ich wurde gestern morgen von einem Journalisten des WDR in einem Interview nach den Vorwürfen, die Giordano in den letzten Tagen erhoben hat, gefragt. Der WDR-Journalist fragte: Wie stehen Sie denn dazu, daß die Hitler-Generale Namensgeber für die Kasernen der Bundeswehr sind?
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Die Generale der Wehrmacht pauschal als Hitler-Generale zu bezeichnen
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ist in meinen Augen genauso schändlich, wie die Bundeswehr wegen einzelner Rechtsextremisten in der Bundeswehr als rechtsradikal zu bezeichnen.
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Es ist schwierig, aus der gesicherten Position heraus, die wir heute bei der Wahrnehmung unserer Freiheitsrechte haben
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- ich weiß sehr genau, Frau Kollegin, was ich hier sage -, auf Moral zu pochen.
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- Ich habe bei Ihnen den Eindruck - ich schaue Sie schon die ganze Zeit an -, daß Sie gar nicht richtig zugehört haben. Zur deutschen Wehrmacht, die ganz anders ist als die Bundeswehr - die Bundeswehr ist unsere demokratische Armee -, gehören die Männer des 20. Juli - dem werden Sie wohl zustimmen - genauso wie andere, die Verbrechen begangen haben. Weil das so ist, und weil die Mehrheit der Wehrmachtsoldaten mißbraucht worden ist, stimme ich nicht zu, daß der Versuch unternommen wird, sie in Bausch und Bogen zu verurteilen. Es wäre schändlich gegenüber dieser Generation.
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Es ist wieder gelungen, diese Debatte ein Stück umzufunktionieren.
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Lassen Sie mich eines sagen:
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Ich bin fest davon überzeugt, daß der ständige Versuch, die Bundeswehr, die demokratisch legitimiert ist, die besser als jede andere Armee der Welt demokratisch kontrolliert ist, die demokratisch loyal ist, mit der Wehrmacht, die mißbraucht worden ist, in Verbindung zu bringen, auch damit zu tun hat, daß diese Diskussion in den letzten Tagen insbesondere von Ihnen bei den Grünen wieder so geführt worden ist, wie sie geführt worden ist. Wir lassen das nicht zu.
Ich komme zu dem zurück, was ich am Anfang gesagt habe. Die internationale Öffentlichkeit schaut sich diese Diskussion an. Wir haben diese Diskussion nach innen und außen zu führen. Wenn ich mir die Bundeswehr auch in ihrer Art, wie sie auf diese schändlichen Vorfälle reagiert, anschaue, kann ich sagen: Ich bin davon überzeugt, daß sie demokratisch loyal ist und daß sie dazu in der Lage ist, Abwehrkräfte gegenüber rechtsradikalen Elementen zu bilden. Ich bin stolz darauf, daß das hohe Gut des hohen Ansehens der Bundeswehr innen und außen in den letzten Jahrzehnten durch uns alle entstehen konnte. Wir sollten pfleglich damit umgehen.
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Ich gebe dem
Abgeordneten Gerd Höfer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, zum Bericht der Wehrbeauftragten zu reden, und die Absicht, die Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Wehrbeauftragten einzubeziehen.
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Frau Wehrbeauftragte, dabei muß ich etwas zurücknehmen, was ich Ihnen einmal privat gesagt habe. Das ist mir gerade bei dem letzten Teil der Debatte klargeworden. Ich habe bemängelt, daß bei den Berichten der Wehrbeauftragten und den Stellungnahmen die Sprache arg ritualisiert sei. Das trifft auf Ihren Bericht nicht zu. Im Gegenteil, ich empfinde es als wohltuend, daß Sie Ihren Bericht mit Schwerpunkten beginnen, die sich in der Regel an der inneren Führung ausrichten und nicht so sehr an den Beschreibungen der Tatsachen, die Sie bei Ihren Besuchen gesehen haben.
Ich füge weiter hinzu, daß die Ritualisierung der Sprache in der Regel von der Bundesregierung gepflegt wird. Paul Breuer, Sie haben sich vorhin deshalb verzettelt, weil Sie Gefangener Ihrer rituellen Sprache über die Bundeswehr sind. Das hätten Sie eigentlich nicht nötig gehabt, denn Sie und kein anderer hat diese Debatte in diese Richtung gebracht.
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Ich begrüße ausdrücklich, daß die Frau Wehrbeauftragte in ihrem Bericht mit der Wehrpflicht beginnt und fordert, an der Wehrpflicht festzuhalten - so wie es seit Bestehen der Bundeswehr auch bei der SPD-Fraktion Tradition geworden ist, darauf hinzuweisen, daß die Wehrpflicht ein wichtiger Anker der Bundeswehr in der Gesellschaft ist.
Ich bedauere, daß die Wehrpflicht Gegenstand einer populistischen Diskussion geworden ist, die sich mehr an den Finanzen als an der Frage orientiert, was mit der Wehrpflicht in der Bundeswehr gewonnen wird oder nicht. Es ist leider üblich geworden zu fordern, daß man bestimmte Dinge gegeneinander aufwiegt, die mit der Bundeswehr nichts zu tun haben. Das zeigt aber, wie weit man sich davon entfernt, finanzielle Verantwortung für diese Bundeswehr zu übernehmen und zu dieser finanziellen Verantwortung auch zu stehen.
Diese Auseinandersetzung steht uns noch bevor, und ich bin gespannt, was die Umfrage bei der F.D.P. ergeben wird, ob sich das populistische Element, daß man damit irrsinnig viel Geld sparen könne, um es anderswo einzusetzen, durchsetzt oder ob das StaatsGerd Höfer
tragende, was auch Günther Nolting meinte hier vortragen zu müssen, sich entsprechend verbalisiert.
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- Ich bin jederzeit bereit, eine Meine Partei so zu unterstützen, daß sie im Parlament satisfaktionsfähig bleibt. Wenn sie allerdings unter die Fünfprozentklausel fallen würde, dann - das sage ich als meine persönliche Meinung - könnte ich teilweise wegen ihrer Politik Schadenfreude empfinden.
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Das ist aber meine persönliche Meinung, die mit der SPD-Meinung überhaupt nichts zu tun hat.
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- Ich bedanke mich für das „eigentlich".
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Ich freue mich auch, daß die Wehrbeauftragte die neuen Aufgaben mit an den Anfang ihrer Ausführungen gestellt hat, weil diese neuen Aufgaben, wie hier zu Recht bereits von Uwe Göllner gesagt worden ist, das Innere der Bundeswehr in der öffentlichen Darstellung bei weitem überwiegen und zudecken. Die Bundeswehr besteht eben nicht nur aus den Krisenreaktionskräften, sondern sie besteht in ihrem weitaus größten Teil aus der sozusagen normalen Bundeswehr.
Es darf auch nicht davon abgelenkt werden, daß vor den Krisenreaktionskräften und ihren Einsätzen praktisch die Hauptverteidigungskräfte stehen, die in ihrer Masse die Ausbildung dieser Krisenreaktionskräfte betreiben und dabei einen hohen Zeitaufwand, einen hohen Materialaufwand einbringen, der in der öffentlichen Debatte nicht berücksichtigt wird.
Wer sich die Ausbildung in Hammelburg angesehen und erkannt hat, welchen Aufwand dort die Bundeswehr über die Hauptverteidigungskräfte leistet, der weiß, wovon ich rede.
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Bedauerlicherweise ist es zur Zeit noch so, daß etliche meinen - damit bin ich bei meinem Leitwort zum Bericht der Wehrbeauftragten -, daß die Bundeswehr eine Leasingarmee geworden sei. Denn um ein solches Ausbildungskontingent zusammenzustellen - ich habe mir das zeigen lassen -, sind aus über 300 Standorten verschiedene Leute zusammengezogen worden - der S 3 hat mir da unheimlich leid getan -; von Fahrzeugen und ähnlichem will ich gar nicht reden. Das führt zu einer Kettenreaktion, die sich innerhalb der Bundeswehr auf die Ausbildung und andere Dinge auswirkt.
Damit bin ich bei einem Grundsatz. Ich hoffe, es hat keiner das Gefühl, ich wollte die Bundeswehr schlechtreden. Vielmehr bezieht sich etwas, was ich bemängele, immer darauf, wie die Regierung mit der Bundeswehr umgeht. Das hat mit der Bundeswehr in sich zunächst nichts zu tun. Ich messe die Regierung an ihren Ansprüchen, die sie hier in ihrer ritualisierten Sprache von der Bundeswehr verbreitet.
Damit sind wir bei dem Punkt der Haushaltsentwicklung. Wenn der Bericht der Wehrbeauftragten tatsächlich in Einzelbeispielen sehr deutlich ist, der Minister - der erstaunlicherweise noch ziemlich lange hier geblieben ist; er wußte wahrscheinlich noch nicht, daß Theo Waigel gerade eben eine Haushaltssperre verhängt hat; sonst wäre er vielleicht überhaupt nicht mehr in den Haushaltsausschuß gegangen -,
({7})
aber sagt, daß die Haushaltsentwicklung nicht so sei, daß man von der Bundeswehr als einem Reparaturbetrieb oder ähnlichem sprechen kann, so leidet er unter den kognitiven Umstrukturierungen, die wohl seines Amtes sind. Das hat aber vielleicht auch etwas mit dem Meldewesen in der Bundeswehr zu tun, denn in der Regel ist es ja so: Wenn ein neuer Bataillonskommandeur kommt, dann übernimmt er immer das schlechteste Bataillon des Heeres; wenn er wieder geht, dann gibt er immer das beste ab. Irgendwo dazwischen muß die Wahrheit liegen. Ich nehme an, er hat immer das gemeldet, was sein neues Bataillon im besten Licht erscheinen läßt. Das reicht dann bis zur Materiallage und bis zu der Frage, ob Ausbildungsziele erreicht worden sind oder nicht.
Somit ist richtig, was die Wehrbeauftragte feststellt, daß die Haushaltssituation die Ausbildung bei der Bundeswehr erheblich erschwert und daß erhebliche Defizite in der Ausbildung auftreten, und das hängt eben mit der Materiallage und mit dem Geld zusammen.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß ein Oberfähnrich sagt, er hätte Soldaten am Panzer auszubilden, obwohl dieses Bataillon nur über zwei fahrfähige Panzer verfügte, so daß die Soldaten im Grunde genommen das Gerät gar nicht richtig gesehen haben. Das erinnert mich an die Zeit, als wir mit einem Unimog mit aufgesetztem Kanonenrohr durch die Gegend gefahren sind und das ungeheure Gefühl hatten, mit einem Panzer unterwegs gewesen zu sein.
Die Haushaltsentwicklung und die Folgen, die dort sichtbar werden, werden also von dieser Regierung bewußt heruntergespielt, um abzulenken. Zur Ablenkung gehört dann eben die ritualisierte Sprache. Es ist unzweifelhaft richtig, daß sich die Bundeswehr ungeheure Verdienste sowohl in Bosnien als auch an der Oder erworben hat. Aber es ist genauso richtig, daß dieses Bild der Bundeswehr - ich gehe nachher noch einmal darauf ein - im Inneren so nicht ganz stimmt, weil ihre Ausstattung unterfinanziert ist und Mängel in weit größerem Maß auftreten, als es vom Ministerium wahrgenommen wird.
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Ebenso wird durch die Frage der Dienstaufsicht heruntergespielt, daß die politische Bildung überall leidet. Ich habe mir einmal zur ZDV 12/1 die Unterrichtsmaterialien besorgt - es sind zwei dicke Mappen -, in denen sowohl die didaktisch-methodiGerd Höfer
sche Vorgehensweise als auch unterrichtliche Beispiele ausgearbeitet vorliegen. Wenn ich mir dann überlege - da gebe ich Frau Marienfeld uneingeschränkt recht -, daß der Kompaniechef als Disziplinarvorgesetzter die Dienstaufsicht hat und gleichzeitig die politische Bildung mit der Professionalität eines Lehrers leiten soll, dann bin ich skeptisch, ob jeder Kompaniechef eine Doppelausbildung als Soldat und Lehrender für seine Einheit hat, es sei denn, er hat ein Pädagogikstudium absolviert.
Daher kommt es häufig vor, daß die politische Bildung im Frontalunterricht nach dem Motto „Kompanie, heraustreten und ab in den großen Hörsaal, ich erzähle euch etwas über politische Bildung" abgehandelt wird. - Ich weiß, daß ich jetzt etwas überzogen habe. Aber da Übertreibung anschaulich macht, werde ich wohl auch nicht mißverstanden.
Insofern ist die politische Bildung Stiefkind geworden, zumal durch das „Leasingsystem" in der Bundeswehr die notwendigen Ausbilder fehlen, um etwa im Gruppenunterricht die politische Bildung zu betreiben. Es ist äußerst selten, daß die Kasernentore, die in der Regel offen sind, sich auch einmal für Leute von außen öffnen, die an der politischen Bildung teilhaben oder einen Teil ihrer politischen Arbeit - ich denke hier auch an die öffentliche Verwaltung - in die Kasernen einbringen, um die Soldaten an lebensechten Beispielen von dem zu unterrichten, was politische Bildung beinhaltet. In dieser Hinsicht würde ich schon für Mut zu Öffnung plädieren.
Das Kapitel „Zivilcourage" läuft auf etwas Ähnliches heraus. Wenn das Meldesystem so entwickelt ist, daß man bei § 70-Überprüfungen von einem anderen Bataillon die Materialien ausleiht, die man selber nicht mehr hat, statt die Defizite zu melden, dann ist die Zivilcourage genau so angesprochen, wie es die Wehrbeauftragte meint. Zivilcourage ist eine der wichtigsten Führungsfähigkeiten eines Disziplinaroder anderen Vorgesetzten. Nur dann, wenn beispielsweise vorhandene Mängel deutlich auch gegenüber der Führung angesprochen werden, festigt sich das Vertrauen der Soldaten in ihre Führung. Hier ist ein Rückgrat nicht vorhanden.
Alle diejenigen, die intern mit der Bundeswehr zu tun haben, wissen, daß hinsichtlich der Erlangung von Kenntnissen über die Bundeswehr der Obergefreitendienstweg immer noch besser als das ist, was in offiziellen Berichten zu lesen ist. Insofern sind die Truppenbesuche, die wir machen, sehr hilfreich. Selbstverständlich gilt das gleiche für die Besuche der Wehrbeauftragten.
Das Kapitel „Soldat und Gesellschaft" hat seinen Zwiespalt. An diesem Punkt muß man einen kleinen Exkurs sowohl zu den Schneeberger Vorfällen als auch zu der Untersuchung machen, die der Bundeswehr jetzt dazu vorliegt, welche politische Richtung Offiziere der Bundeswehr möglicherweise haben.
Ich möchte zuvor aber auf eines hinweisen - damit bin ich wieder bei der ritualisierten Sprache -: Es ist völlig richtig, daß die Bundeswehr in den Medien, aber auch in persönlichen Gesprächen eine sehr hohe Akzeptanz in der Gesellschaft erfährt. Sie hat sie auch verdient; das ist überhaupt keine Frage. Daß aber diese öffentliche Akzeptanz in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem steht, was die Öffentlichkeit für die Bundeswehr zu finanzieren bereit ist, merkt man spätestens dann, wenn man vor der Beschaffungsentscheidung zum Eurofighter Briefe aus der Bevölkerung bekommt, in denen steht, wie viele Kindergärten man für den Preis eines Eurofighter bauen kann.
Täuschen Sie sich also mit Ihren Ritualen nicht darüber hinweg, daß dann, wenn es um die Finanzierung der Bundeswehr geht, eine ganz andere öffentliche Meinung als diejenige auf Sie zukommt, die Sie mit dem Wort „Akzeptanz" beschreiben. Die Bundeswehr gerne haben, für sie aber so wenig wie möglich ausgeben wollen, das wird nicht gehen.
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Ich habe Sie jetzt an Ihrem Anspruch gemessen. Unser Anspruch ist da etwas anders; Herr Kollege Göllner ist darauf eingegangen. Eine Wehrstrukturkommission könnte die Defizite in der Bereitschaft der Gesellschaft, Geld für die Bundeswehr auszugeben, aufarbeiten. Dies verweigern Sie stereotyp, weil Sie in dieser Frage versuchen, die Bundeswehr gesundzubeten.
Wenn beim Kapitel „Soldat und Gesellschaft" der Exkurs zu den rechtsradikalen Vorfällen an der richtigen Stelle ist, so sollte man auf einen Punkt hinweisen; das hat auch etwas mit Zivilcourage und etwas mit der Studie zu tun. Diese Studie hat mich insofern köstlich amüsiert, als man dort schreibt, daß man nicht nach parteipolitischen Präferenzen gefragt hat, aber dann eine Kategorisierung in rot-grün und ähnliche Dinge vornimmt. Dabei kommt etwas heraus, das einer Gaußschen Häufigkeitsverteilung verdammt ähnelt. Denn die meisten Menschen glauben, daß sie, wenn sie in der Mitte sitzen, politisch neutral seien. Genau das ist ja nicht der Fall, daß sie politisch neutral sind.
Es gibt überhaupt keinen Anlaß, stolz darauf zu sein - schade, daß der Minister weg ist -, daß die Neigung zu den Konservativen in Prozentzahlen höher ist als die Neigung zu den Sozialdemokraten oder den Grünen. Denn genau in dieser Auseinandersetzung - ich freue mich, daß der Kollege Kolbow dies sehr eindeutig gesagt hat - ist eine gesellschaftliche Untersuchung fällig, welche normativen Werte in dem Links-Rechts-Spektrum vernünftig überhaupt noch angesiedelt werden können.
Es ist nicht die Frage, ob etwas links oder rechts ist, sondern es ist die Frage, welchen inneren Abstand ein Soldat zu dem hat, was sich in der Gesellschaft praktisch tut. Wer einen inneren Abstand hat, ist sensibler, um zu beurteilen, ob sich rechtsradikale Tendenzen entwickeln oder ob Keimlinge rechtsradikaler Tendenzen entwickelt sind.
Ansonsten wiederhole ich das, was Walter Kolbow hinsichtlich der 99 Prozent gesagt hat. Ich gehe davon aus, daß mehr als 99 Prozent in der Bundeswehr diese Tendenzen ablehnen.
Aber wenn diese Latenz vorhanden ist, weil der innere Abstand möglicherweise fehlt und weil die Uniform möglicherweise in bestimmten Teilen der Bundeswehr und bei bestimmtem Führungsverhalten, wie es in Schneeberg der Fall gewesen ist, zu mehr Kameraderie führen kann, dann ist es möglich, daß solche Vorgänge so lange unter der Decke bleiben, daß ein Video so lange herumgeistern kann, bis endlich einmal herauskommt, was dort geschehen ist.
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Insofern hat die Studie, die veröffentlicht worden ist, ein Gutes getan. Sie schärft das Bewußtsein für die Fragen des Rechsradikalismus, seiner Ursachen und andere Dinge mehr in der Gesellschaft und damit auch in der Bundeswehr. Die Bundeswehr in einer solchen Untersuchung isoliert zu betrachten ist nicht gerecht, und sie bringt auch für die Erkenntnisse, die wir gewinnen wollen, überhaupt nichts Besonderes.
Es kann nicht wahr sein, daß man dies alles der Selbsteinschätzung überläßt. Wenn ich mich selber einschätze, neige ich meistens zu Überschätzung, nicht zu Übertreibung - um das etwas zu differenzieren. Es wäre doch schlimm, wenn ich von mir nicht so überzeugt wäre, daß diese Latenz der Überschätzung nicht gegeben wäre.
Ich habe mich köstlich darüber amüsiert, daß der Herr Minister in einem Interview in der ,,Bild"-Zeitung gesagt hat - er muß es ja wohl gesagt haben -:
Wenn es mehr Offiziersnachwuchs auch von den Grünen und den jungen Sozialdemokraten geben soll, dann müssen diese ein anderes Verhältnis zur Bundeswehr finden. So herum wird ein Schuh daraus.
({11})
Die Sozialdemokraten haben sich mit ihrem Verhältnis zur Bundeswehr überhaupt nicht zu verstekken. Wenn die Sozialdemokraten nicht diese ritualisierte Sprache haben, sondern nüchterner mit der Bundeswehr umgehen, vielleicht auch in dem einen oder anderen Teil kritischer, weil wir bei uns den Stachel haben, nämlich den der gern integrierten Pazifisten, deren Meinung ich hoch achte, dann hat das nichts damit zu tun, daß die Sozialdemokraten ihre Meinung über die Bundeswehr ändern sollten. Es wird vielmehr die Frage aufgeworfen, die sich der Minister gefallen lassen muß, ob die Bundeswehr tatsächlich ein Spiegel der Gesellschaft ist oder ob es dem Minister lieber ist, aus CDU-Gründen die Bundeswehr zu instrumentalisieren. Dieser Aspekt ist in seiner Antwort auf jeden Fall latent vorhanden.
({12})
Lieber Paul Breuer, das ist so.
Es war vorhin etwas schwierig mit den schwarzen Schafen und den roten Schafen, wobei braune gemeint waren. Ich meine, wenn man schwarz und rot mischt, kommt möglicherweise braun heraus. Man sollte mit diesen Vergleichen sehr vorsichtig sein.
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- Wir können das ganze Farbspektrum nicht mischen. Ich weiß nicht, was Subtraktionsfarben und Komplementärfarben sind. Das wird etwas schwierig. Das sehe ich ein.
Diese Passage ist praktisch ein verdeckter Hinweis auf das Selbstverständnis des Ministers und darauf, wie er einen Teil der Bundeswehr sieht. Da kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen! Man sollte da mit der Sprache etwas sorgfältiger umgehen.
Wenn ich das zusammenfassen soll, dann fällt mir der Spruch ein, daß man das Ganze in seinen Teilen sehen soll. Wenn ich den Bericht der Wehrbeauftragten erst in seinen Teilen sehe und dann versuche, mir auf Grund dieses Berichts ein Bild von der Bundeswehr zusammenzusetzen, so ist dieses Bild von der Bundeswehr wesentlich anders als das, was der Minister in seiner Rede vermittelt hat. Das ist ein hohes Verdienst der Frau Marienfeld; denn die Einzelbeispiele - damit sind wir wieder bei den einzelnen Fragen - summieren sich zu einem Bundeswehrbild, das wegen der Unterfinanzierung im Prinzip erschütternd ist und dringend einer Reparatur bedarf, in welche Richtung auch immer.
Sie nehmen es mir hoffentlich nicht übel, wenn ich in dem Zusammenhang noch einmal für die Wehrstrukturkommission werbe, die die Akzeptanz der Bundeswehr im materiellen und - ich hoffe - auch im ideellen Bereich wird fördern können. Die Bundeswehr hat es verdient. Ich hoffe, daß Sie endlich über Ihren Schatten springen und an dieser Wehrstrukturkommission konstruktiv mitarbeiten.
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Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Wolfgang Dehnel das Wort.
In besonderer Weise ist immer wieder der Standort Schneeberg angesprochen worden. Dieser Standort der Bundeswehr befindet sich in meinem Wahlkreis. Sie, Herr Höfer, haben dazu immer wieder in kritischer Weise Stellung genommen. Ich muß doch etwas dazu sagen, damit das Bild des Standorts Schneeberg wieder ins rechte Licht gerückt wird.
Bei aller Betroffenheit, die wir angesichts der Vorgänge haben müssen, ist es nämlich so, daß dieser Standort in der Bevölkerung große Achtung erworben hat. Es ist bisher ein NVA-Standort gewesen. Dieser NVA-Standort ist bis zur Wende in der Bevölkerung verachtet gewesen. Das muß man wirklich so deutlich sagen. In diesem Regiment wurde man auch dann als Genosse angesprochen, wenn man kein Genosse war; das war leider so. Ich selbst wurde, als ich als Wehrpflichtiger gedient habe, als Genosse angesprochen. Man hat sich nicht nur über diese Sachen
geärgert, sondern auch über das Bild der damaligen Armee.
Dort ist jetzt ein völlig anderer Geist eingezogen; das muß ich ganz deutlich sagen. Darüber freue ich mich. Das habe ich immer wieder erfahren, wenn ich dort - auch mit Kollegen - zu Besuch war. Mit Herrn Paul Breuer zum Beispiel war ich im vergangenen Jahr einen ganzen Tag lang im Standort. Wir waren mitten in der Truppe. Ich muß Ihnen sagen: Es ist dort ein neuer Geist eingezogen.
Ich glaube, daß die Bürger über diese Vorgänge mit den Gewaltvideos genauso überrascht waren wie ich. Ich bin dafür, daß diese Vorgänge ganz schnell aufgeklärt werden. Sie müssen sowohl rechtlich als auch wehrpolitisch entsprechende Folgen haben; das ist mir völlig klar.
Aber die Bürger haben jetzt auch ein Recht darauf, daß das Bild von diesem Standort wieder ins rechte Licht gerückt wird. Ich glaube, die klaren Aussagen von Bundesminister Rühe und von mehreren Generälen der Bundeswehr zu diesen Problemen haben sehr deutlich gezeigt, daß bald wieder klare Luft über Schneeberg herrschen wird. Zwar ist die Luft dort im Moment etwas getrübt. Aber ich glaube schon, daß die Sache in Kürze bereinigt sein wird. Ich denke, die dort lebenden Menschen haben ein Recht darauf, daß dies geschieht, damit sie wieder Vertrauen zu diesem Standort und zu der Bundeswehr haben können. Das haben sie im Grunde auch jetzt noch. Das geht aus den Leserbriefen in den Zeitungen hervor.
Ich glaube, Herr Kollege Höfer, Sie sehen das genauso, und ich bin da mit Ihnen fast einer Meinung.
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Herr Kollege Höfer, Sie können darauf antworten.
Verehrter Herr Kollege, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir mit der Frage der Genossen etwas mehr Probleme haben als Sie;
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denn die Tradition verbindet uns länger als das, was dann hinterher entstanden ist und sich dieses Namens bedient hat.
Ich möchte auf Ihre Kurzintervention insofern antworten, als ich für die SPD-Fraktion betonen möchte: Die Kürzel, die in der öffentlichen Auseinandersetzung immer verwendet werden - der Ortsname; es könnte auch der Kompaniename sein -, erwecken den Eindruck, als sei dies ein Dauerzustand. Das ist mit Sicherheit nicht so. Ich unterstreiche Ihre Äußerungen, daß die Vorfälle in der Kompanie zeitlich begrenzt stattgefunden haben, daß sie heute sicherlich nicht wiederholbar sind, in dieser Art und Weise schon gar nicht, und daß die Stadt Schneeberg es verdient, dort ein Bataillon zu haben, das geachtet wird.
Wir sollten alles dazu beitragen, diesen Eindruck, den wenige über Schneeberg verbreitet haben, den heutigen Tatsachen entsprechend zu bereinigen. Vielleicht tut es der Truppe auch gut, wenn sich der eine oder andere dort in Schneeberg sehen läßt.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem so viel Lob über die Bundeswehr übergekübelt worden ist, sehe ich mich direkt veranlaßt, zu sagen, daß ich mich als Pazifist über jede Armee freue, die es nicht mehr gibt.
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Insofern bin ich mit der deutschen Geschichte durchaus sehr einverstanden. Wir haben die kaiserliche Armee losgekriegt, wir haben die Reichswehr losgekriegt, wir haben die Wehrmacht losgekriegt, wir haben die NVA losgekriegt, und ich hoffe auf den Tag, an dem wir auch die Bundeswehr loskriegen, weil es nirgendwo mehr eine Notwendigkeit für ihren Erhalt gibt.
({1})
Zu der schönen Landschaft Schneeberg möchte ich sagen: Neben Schneeberg gibt es noch Schwarzenberg. Das hat eine ganz erfreuliche Tradition. Da haben nämlich 1945 die beiden Armeen, die dort erobernd eingezogen sind, nicht zueinandergefunden, so daß es dort eine freie Republik gab. Ich hoffe, das wird nicht vergessen.
Ich möchte etwas zu meinen Erfahrungen mit der Bundeswehr sagen, denn auch ein Pazifist kann versuchen, gegenüber Soldaten fair zu sein, solange es sie noch gibt. Ich habe dreierlei Erfahrungen mit Bundeswehrsoldaten gemacht. Eine Erfahrung habe ich in der Vergangenheit gemacht, als es noch um die Heimatverteidigung gegangen ist. Da gab es große, ernsthafte Auseinandersetzungen in Konfliktsituationen; aber es ist fair zugegangen. Wir haben mit den Offizieren - das waren meist Oberstleutnante der inneren Führung von Koblenz - zwar natürlich keinen Frieden schließen können; aber es wurden Positionen bezogen, und man hat gegenseitig geachtet, daß es um Heimatverteidigung ging.
Darüber, weshalb es jetzt so verschärft um andere Konflikte geht, müßte man schon einmal nachdenken. Entsprechend sind auch meine Erfahrungen. Wenn man als Offizieller, zum Beispiel als Abgeordneter, in einen Bundeswehrstandort kommt oder mit Soldaten der Bundeswehr spricht, dann kann man sehr zufrieden sein. Ich kann nicht sagen, ob da Potemkinsche Dörfer gebaut werden; das weiß ich nicht.
Aber ein anderes weiß ich: Wenn ich zum Beispiel nach konfliktreichen Talkshows, bei denen Offiziere, manchmal auch a.-D.-Offiziere, der Bundeswehr anwesend sind, mit jungen Offizieren, Offiziersnachwuchs, und Schüler von Bundeswehrhochschulen
spreche, zeigt sich, daß sie untereinander sofort in ungeheure innere Konflikte geraten, weil es dort die Verteidiger dessen gibt, was wir akzeptieren. Außerdem gibt es ausgesprochen rechtsradikale Trends. Wir sollten einmal darüber nachdenken, wer dafür verantwortlich ist.
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Wenn hier fortwährend bagatellisierend gesagt wird, es handele sich um Einzelfälle, will ich das gar nicht bestreiten; ich will die Fälle gar nicht zählen. Die Frage ist: Lassen diese Einzelfälle auf Trends schließen? Das ist die eigentliche Frage, die zu untersuchen ist. Hier fürchte ich, daß sie tatsächlich einem Trend entsprechen. In diesem Falle muß man das ernst nehmen und gegen diesen Trend vorgehen.
({3})
Zu den Gewaltvideos muß man wirklich sagen: Hier geht es gar nicht darum, ob Soldaten Mörder sind, sondern es geht darum, daß sie Mörder spielen. Sie spielen Mörder, sie spielen Vergewaltiger, und sie spielen Antisemiten. Da muß man natürlich auch fragen: Ist das nur Frust, der dazu führt, oder ist das etwas, was aus dem tiefsten Innern kommt? Es sind ja vor allen Dingen Soldaten, die von den Einsätzen in Jugoslawien betroffen sind. Also muß man fragen: Spielt hier noch etwas anderes eine Rolle, oder sind das tatsächlich nur Dummejungenstreiche? Dies glaube ich nun nicht mehr. Ist es also Spieltrieb, ist es Mordlust, oder was ist es?
Ich möchte jetzt nichts über Frau Marienfeld sagen; soviel Zeit habe ich nicht. Ich fürchte aber, daß das, was unten in der Bundeswehr als Trend herauskommt, oben von wichtigen Beamten und Militärs in diese Bundeswehr hineingesteckt wird.
Ich habe im vorigen Jahr einen sehr langen Brief an den Bundeskanzler geschrieben. In dem Brief habe ich diese Punkte alle aufgeführt. Ich habe ein freundliches Antwortschreiben vom Bundeskanzler bekommen, das nicht auf die entsprechenden Fakten eingegangen ist.
Ich möchte zitieren. Was heißt es denn zum Beispiel, wenn in einem Organ „Truppenpraxis Wehrausbildung " 2/3/96 geschrieben steht:
Bundeswehrsoldaten haben keine Vorstellung von der Grausamkeit, zu der diese Art Krieger fähig sind ... Es wäre jedoch unklug, sie nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die kleinen bösen Männer auszubilden.
Dort steht: Dem „zivilisierten westlichen Soldaten" steht leider der „rohe, barbarische fremde Krieger" gegenüber, der „dem Proletariat" entstammt. Das ist meiner Meinung nach eine Zielansprache. Oben wird etwas hineingesteckt, das dann unten entsprechend radikalisiert, nämlich rechtsradikalisiert, herauskommt. Dies müssen Sie beachten. Das tun Sie bisher nicht.
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Sie haben dies einfach bagatellisiert.
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- Ich bin nicht in der PDS, sondern vertrete nur ihre Interessen.
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Und von Ihnen brauche ich schon gar keine Belehrungen.
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Was Sie vorhin gesagt haben, ist sowieso widerlegt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Lassen Sie sich etwas Besseres einfallen!
Gucken Sie doch einmal in Schneeberg nach! Wie weit reicht eigentlich der Einfluß der bayerischen Gebirgsjäger? Haben Sie sich damit einmal beschäftigt? Was ist mit Zeitungen wie „Gebirgstruppe" oder „Gebirgsjäger"? Was bedeutet es, wenn ich dort lese, daß sich die Wehrmachtsoldaten für das Vaterland geopfert haben, wenn ich lese, daß es eine stolze Tradition der Wehrmacht gibt?
Herr Breuer, Ihnen möchte ich antworten: Wir haben bei der Wehrmachtausstellung nie behauptet, daß die 18 Millionen Soldaten, die bei der Wehrmacht waren, Kriminelle oder Verbrecher gewesen sind. Die Wehrmacht als Instrument aber war das Instrument des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges. Darum geht es.
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Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich habe gehört, daß meine fünf Minuten um sind. Ich hätte gern so lange gesprochen wie mein Vorredner, der gemäß meinem Redezeitplan auch nur mit fünf Minuten verzeichnet war. Offensichtlich aber gibt es dehnbare Längen.
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Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Augustinowitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen doch einmal zum Bericht der Wehrbeauftragten zurückkommen. Frau Marienfeld, für die CDU/CSU-Fraktion sage ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Sie ein ganzes Jahr über für die Bundeswehr tätig sind, herzlichen Dank. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich festhalten.
({0})
Wir wollen Sie vor allen Dingen ermuntern, Ihre Truppenbesuche auch weiterhin möglichst unangemeldet zu machen. Das ist ein klasse Ansatz. So sollten Sie weiter verfahren.
({1})
Wir wissen aus der Vergangenheit: Wehrbeauftragtenberichte sind immer Mängelberichte. Wir brauchen den Wehrbeauftragten auch nicht, um die Bundeswehr insgesamt zu loben. Das können wir hier im Plenum selber tun.
Ich will ein paar Punkte aufgreifen, um deutlich zu machen, was die Koalition an schwierigen Punkten umgesetzt hat.
Hier wird dauernd die Materialerhaltung angesprochen. Wir kennen die schwierige Lage gerade im deutschen Heer. Warum verschwiegen Sie eigentlich immer, wie wir reagiert haben? 60 Millionen DM mehr in 1997, 80 Millionen DM mehr in 1998. Ich finde, das sind Zahlen, die sich sehen lassen können, wenn man sich einmal das Gesamtvolumen der Umschichtungen ansieht. Deswegen will ich sie hier erwähnen. Das Ministerium muß aber auch zusehen, daß organisatorische Mängel, die es hier gibt, abgestellt werden. Dies erwarten wir vom Ministerium.
Ich will das Thema der Beförderungsprobleme bei Unteroffizieren mit Portepee ansprechen. Diese Probleme sind mit dem Haushalt 1998 gelöst. Wir haben einen entsprechenden unbefristeten Haushaltsvermerk eingestellt, damit vermehrt lebensältere Hauptfeldwebel Stabsfeldwebel werden können, wenn die Leistung stimmt.
Wir erhöhen den Mobilitätszuschlag für Grundwehrdienstleistende zum 1. Juli 1998. Wir führen eine neue Stufe ein. 90 Prozent der Grundwehrdienstleistenden werden zukünftig diesen erhöhten Mobilitätszuschlag erhalten. Sie können ihn in Anspruch nehmen.
Wir erhöhen den Wehrsold zum 1. Januar 1999.
Dies sind phantasievolle, intelligente, zielgerichtete Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage unserer Wehrpflichtigen. Wir lassen die Gießkanne außen vor; andere können sie gerne weiterhin benutzen.
Immer wieder, auch heute, wird die Forderung nach neuen Strukturen oder nach der Einsetzung von Wehrstrukturkommissionen laut. Ich weise diese Forderung zurück.
({2})
Wir brauchen diese Dinge nicht. Die Bundeswehr braucht jetzt, Herr Kollege Kolbow, Zeit und Ruhe, um die neugeschaffenen Strukturen einzunehmen. Sie wissen doch selbst, daß wir uns noch immer in der Phase der Einnahme neuer Strukturen befinden. Die ständigen Forderungen nach Strukturreformen
sind schädlich. Sie führen nur zu einer weiteren Verunsicherung der Soldaten. Das sollten wir nicht tun.
({3})
Einen besonders unrühmlichen Höhepunkt, finde ich, bildet der Entwurf des Wahlprogramms der Grünen. Ich wundere mich, daß bisher noch keiner darauf eingegangen ist.
({4})
- Hören Sie zu, Frau Beer, Sie haben Ihr Wahlprogramm anscheinend noch gar nicht gelesen. Ich habe mir von den Grünen extra den Originalwortlaut besorgt, um im Original zitieren zu können. Sie sagen hier - Zitat, Frau Beer -:
Mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht wollen wir schrittweise den Abbau der Bundeswehr beginnen. In einem Zeitraum von vier Jahren soll die Bundeswehr auf weniger als 150 000 Soldaten reduziert werden.
Wir haben heute 340 000 Soldaten. In weiteren vier Jahren wollen die Grünen diese Zahl von 150 000 nochmals um die Hälfte reduzieren. Deutschland, ein Land mit 80 Millionen Einwohnern im Herzen Europas, soll eine Armee von 75 000 Soldaten haben. Viel Vergnügen dabei, wenn Sie mit denen einmal eine Koalition machen wollen! Aber seien Sie sicher, wir werden Ihnen helfen, daß Sie nicht in diese Lage kommen.
({5})
Ich möchte hervorheben, daß wir zum 1. Oktober 1997 im deutschen Heer einen wichtigen Schritt vollzogen haben. Wir haben nämlich die erste Krisenreaktionsfähigkeit für 10 000 Soldaten hergestellt. Bei der Aufstellung und bei der Ausbildung des Kommandos Spezialkräfte geht es ebenfalls sehr gut voran. Wir begrüßen diese Schritte ausdrücklich.
Die Bundeswehr ist eine Armee mit verschiedenen Aufgaben. Die Hauptaufgabe bleibt die Landes- und Bündnisverteidigung. Hinzu kommen aber neue Aufgaben, wie die Beteiligung an internationalen Friedenseinsätzen oder auch die Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Krisensituationen im Ausland. Für diese verschiedenen Aufgaben werden die Soldaten selbstverständlich unterschiedlich ausgebildet und ausgerüstet. Von einer Zweiklassenarmee zu reden ist völliger Unsinn.
Die persönliche Ausrüstung der Soldaten halte ich für besonders wichtig. Hier, finde ich, muß das Ministerium dafür sorgen, daß es eine möglichst einheitliche Ausrüstung in allen Truppenteilen der Bundeswehr gibt. Ich denke hier insbesondere an den
Fleckentarnanzug, an den neuen Gefechtshelm, aber auch an das neue Sturmgewehr G 36. Hier sollte man nicht zu lange zwischen KRK- und HVK-Truppenteilen unterscheiden.
({6})
Die Wehrbeauftragte hat neben dem Jahresbericht Einzelberichte im Auftrag des Ausschusses vorgelegt. Wir haben diese Punkte im Ausschuß sehr intensiv beraten. Es gibt keinen Zweifel daran: Fälle wie die in Detmold oder in Hammelburg sind schwere Verfehlungen einiger weniger Soldaten. Wir verurteilen solche Fälle in Gänze scharf und eindeutig.
Die CDU/CSU-Fraktion findet es gut, was Minister Rühe hier tut, nämlich daß nachdrücklich und entschieden gegen diese Dinge vorgegangen wird. Aber wir halten es für völlig inakzeptabel, daß Teile der politischen Linken diese Verfehlungen einzelner Soldaten dazu mißbrauchen, die Bundeswehr insgesamt in übelster Weise zu diffamieren. - Sie, Frau Beer, sollten den Kopf lieber nicht schütteln.
({7})
Dann werden nämlich Begriffe wie ,,Rechtsextremismus", „rechtskonservativ" usw. wahllos miteinander vermischt. Es ist doch unanständig, so etwas zu tun.
Es gibt eine weitere schlimme Entgleisung des Bundesvorstandes der Grünen. Er sprach am 16. September dieses Jahres von einer „Spezialausbildung für weltweit brutale Kampfeinsätze" . Wissen Sie, das ist eine schwere Beleidigung der Soldaten der Bundeswehr, die sich bei ihren zutiefst humanitären Einsätzen in Kambodscha, in Somalia, bei IFOR, bei SFOR große Verdienste erworben haben. Auf diese Leistungen ist Deutschland insgesamt stolz.
({8})
Die Wehrbeauftragte sagt in ihrem Bericht 1996, daß es in der Bundeswehr keine rechtsextreme Entwicklung gebe. Dieser Aussage schließen wir uns als Koalition ausdrücklich an.
({9})
Im übrigen halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, daß sich das Offizierskorps der Bundeswehr ganz überwiegend zu konservativen Werten bekennt. Man kann doch von Offizieren der Bundeswehr wirklich nicht erwarten, daß sie zu Parteien oder Ideen stehen, die die Bundeswehr abschaffen wollen.
Aber ganz unabhängig von der politischen Richtung des einzelnen Soldaten: Die Bundeswehr ist und bleibt die Armee des deutschen Volkes. Sie genießt in der Öffentlichkeit zu Recht hohes Ansehen. Sie hat sich dieses Ansehen in über vier Jahrzehnten verdient und dafür gesorgt, daß wir Frieden und Freiheit aufrechterhalten können. Sie hat humanitäre Leistungen bei vielen internationalen Friedenseinsätzen geleistet. Sie hat im Inneren unseres Landes im Oderbruch engagiert gehollen. Das ist heute schon erwähnt worden. Aber ich finde, diese Leistung sollte man immer wieder deutlich machen. Es zeigt: Das ist die Bundeswehr und nicht manche wenige Negativbeispiele.
({10})
Unsere Fraktion wird nicht nachlassen, und wir werden darauf achten, daß das hohe Ansehen der Bundeswehr nicht beschädigt wird, weder von einigen wenigen fehlgeleiteten Soldaten, die es nicht wert sind, die Uniform der Bundeswehr zu tragen, aber genausowenig von denen, die aus diesen Einzelfällen politisches Kapital zum Schaden der Bundeswehr schlagen wollen. Auch das lassen wir nicht zu.
Die Soldaten der Bundeswehr können sicher sein, daß die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, aber auch überall draußen im Land die Bundeswehr vor ungerechtfertigten Anwürfen und Vorwürfen, von wem auch immer, in Schutz nehmen wird.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe jetzt die Aussprache.
Ich muß an den Kollegen Zwerenz einige Worte richten, auch wenn er im Moment nicht da ist. Zu der konkludenten Unterstellung, das Präsidium handle je nach Redner und Fraktion bei der Beachtung der Redezeiten unterschiedlich, erlaube ich mir den Hinweis, daß der von ihm zitierte Vorredner eine Redezeit von 17 Minuten hatte. Es gab zwei Redner, die die Redezeit überschritten haben. Das war der Kollege Zwerenz selber um eine Minute und der Kollege Graf von Einsiedel um eine Minute, während der Kollege Breuer seine Redezeit deutlich unterschritten hat.
({0})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 1996 der Wehrbeauftragten. Das sind die Drucksachen 13/7100 und 13/8468. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Es ist, wie ich höre, vereinbart worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8851 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21a bis
21 q sowie den Zusatzpunkt 6 a und 6 b auf:
21. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts
- Drucksache 13/7673 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes
- Drucksache 13/8282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Fremdenverkehr u. Tourismus
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. Juni 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Altenheim und Eschau
- Drucksache 13/8686 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({3})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Finanzausschuß
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Unidroit-Übereinkommen vom 28. Mai 1988 über das internationale Factoring
- Drucksache 13/8690 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Oktober 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich SaudiArabien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 13/8691 -
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Dezember 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Aserbaidschanischen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 13/8692 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kenia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 13/8693 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Juni 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Georgien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 13/8694 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 22. April 1996 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Aserbaidschan andererseits
- Drucksache 13/8695 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft vom 21. Juni 1996 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Usbekistan andererseits
- Drucksache 13/8696 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 28. November 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits
- Drucksache 13/8697 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({6})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Februar 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 13/8698 -
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. November 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 13/8699 -
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß
n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Februar 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kuba über die Seeschiffahrt
- Drucksache 13/8709 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({7}) Finanzausschuß
o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetzes
- Drucksache 13/8711Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({8}) Haushaltsausschuß
p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bauproduktengesetzes
- Drucksache 13/8801 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({9})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
q) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler
- Drucksache 13/8850 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({10})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({11})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Festlegung eines Kontingents für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstzufluchtsländern
- Drucksache 13/8812 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({12}) Auswärtiger Ausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Lenzer, Hans-Otto Schmiedeberg und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.
5. Rahmenprogramm Forschung der EU mit strategischer Schwerpunktsetzung zur Überwindung von Innnovationsdefiziten in Europa
- Drucksache 13/8855 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({13}) Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Entwurf des Bundesschienenwegeausbaugesetzes auf Drucksache 13/8282 - das ist der Tagesordnungspunkt 21 b - soll zusätzlich dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus überwiesen werden. Der Gesetzentwurf zum Vertrag mit der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein auf Drucksache 13/8686 - das ist der Tagesordnungspunkt 21 c - soll zusätzlich dem FiVizepräsident Hans-Ulrich Klose
nanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie mit diesen Überweisungen einverstanden? - Dann sind sie so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22a bis 22h auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 22 a:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung
- Drucksache 13/8668 -({14})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({15})
- Drucksache 13/8862 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans-Hinrich Knaape
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltung? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor.
Tagesordnungspunkt 22 b:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ilse Janz, Ernst Bahr, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Michaele Hustedt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Peter Harry Carstensen ({17}), Renate Blank, Peter Bleser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Lage der Fischerei
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz ({18}), Ilse Janz, Michael Müller ({19}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbot der Treibnetzfischerei in der Europäischen Union
- zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorsorgeprinzip in der Fischerei verankern
- Drucksachen 13/3621, 13/3634, 13/1633, 13/2583, 13/3044 ({20}), 13/ 5775, 13/6057, 13/7846 Berichterstattung: Abgeordneter Egon Susset
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3621 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU und der F.D.P. zur Lage der Fischerei; Drucksache 13/ 7846 Buchstabe b.
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3634 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Verbot der Treibnetzfischerei in der Europäischen Union; Drucksache 13/ 7846 Buchstabe a.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5775 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verankerung des Vorsorgeprinzips in der Fischerei, Drucksache 13/7846 Buchstabe b.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6057 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 c:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({21})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission
Stellungnahme der Bundesregierung zum Zweiten Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR ({22}) über das Vermögen der DDR-Parteien
Christlich-Demokratische Union Deutschlands
Demokratische Bauernpartei Deutschlands
Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
National-Demokratische Partei Deutschlands
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR ({23}) über das Vermögen der Freien Deutschen Jugend ({24})
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksachen 12/6515, 13/725 Nr. 14, 13/ 5376, 13/5377, 13/7981Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({25}) Rolf Schwanitz
Manfred Such
Ulla Jelpke
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 d:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({26}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Regierungskonferenz
- EuB - EP 244 -
- Drucksachen 13/7706 Nr. 1.1, 13/8428-Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen Heidemarie Wieczorek-Zeul Christian Sterzing
Der Ausschuß empfiehlt, in Kenntnis der Entschließung des Europäischen Parlaments eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 22 e bis h:
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 214 zu Petitionen ({28})
- Drucksache 13/7815 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 249 zu Petitionen
- Drucksache 13/8729-
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 250 zu Petitionen
- Drucksache 13/8730-
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 232 zu Petitionen - Drucksache 13/8499Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Die Kollegin Petra Bläss hat das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme gegen die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, das Verfahren abzuschließen, in dem sich über 50 Petentinnen und Petenten mit der Forderung an den Bundestag gewandt haben, ihre langjährig bezogenen Renten nach der Einheit nicht nur pauschal umzuwerten, sondern neu berechnen zu lassen.
Ich stimme gegen diese Beschlußempfehlung und für den Änderungsantrag der PDS, weil ich meine, daß durch die pauschale Umwertungsregelung viele ältere Menschen in den neuen Bundesländern benachteiligt werden. Es handelt sich um Rentnerinnen und Rentner, die in der DDR der Sozialversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung FZR angehörten, die in der DDR die mehrheitlich übliche Sicherung für das Alter darstellte. Uns ist klar, daß bei der Umstellung von Millionen Renten von einem Tag auf den anderen auch pauschalisierte Verfahren notwendig waren. Wir können aber nicht akzeptieren, daß diesen Rentnerinnen und Rentnern keine Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Renten exakt neu berechnen zu lassen.
Ich stimme gegen den Abschluß des Verfahrens, weil für die älteren Menschen, für die sich das Abstellen der Rentenberechnung allein auf den versicherten Arbeitsverdienst der letzten 20 Jahre negativ auswirkt, die Chance geschaffen werden muß, ihre gesamte Erwerbsbiographie für die Berechnung der Rente wirksam werden zu lassen. Der Antrag der PDS fordert eine exakte Berechnung nicht für alle Bestandsrenten, sondern nur auf Antrag. Solche Anträge werden diejenigen stellen, die aus gesundheitlichen oder berufsspezifischen Gründen im Vorrentenalter die Arbeitszeit verkürzten bzw. in für ihre physische und psychische Konstitution zuträglichere Tätigkeiten mit zumeist geringeren Einkommen wechselten. Wenn die sogenannten Hochleistungsphasen im Erwerbsleben dieser Menschen nicht bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden, sind sie erheblich benachteiligt. Das betrifft überwiegend Frauen, die zu Teilzeitbeschäftigung übergingen, aber auch solche Berufsgruppen wie Stahl-, Bauoder Montagearbeiter.
Ich stimme für den Antrag der PDS. Denn wenn ihm gefolgt werden würde, könnte diesen Menschen durch Anerkennung ihrer tatsächlichen Anwartschaften ohne unnötige Belastung der Rentenversicherungsträger Gerechtigkeit widerfahren.
({0})
Zu Tagesordnungspunkt 22 e liegt der eben erwähnte Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/8856? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. *)
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 214 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. )
Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 22f. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 249 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 22 g. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 250 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der gesamten Opposition angenommen.
Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 22 h. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 232 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
4. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Europäischer Sondergipfel „Beschäftigung" am 21./22. November 1997 in Luxemburg
- Drucksache 13/8747 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing, Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beschäftigung für Europa - Drucksache 13/8848 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
*) Siehe auch Seite 18051 A
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Müller ({2}), Hanns-Peter Hartmann, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Beschäftigungsgipfel der Europäischen Union in Luxemburg am 20. und 21. November 1997
- Drucksache 13/8849 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die SPD 25 Minuten erhalten soll. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Günter Gloser, SPD.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute auf Antrag der SPD-Bundestagsfraktion über den bevorstehenden Beschäftigungsgipfel der Europäischen Union in Luxemburg. Wohl wahr: nur eine Stunde! Aber nachdem sich alle, ob Europäisches Parlament oder Europäische Kommission, dieses Themas angenommen haben, halte ich es für wichtig, daß sich der Deutsche Bundestag im Vorfeld dieses Gipfels damit befaßt.
({0})
Die SPD will damit die Aufmerksamkeit auf die Arbeitslosigkeit von über 18 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union lenken. Aber die SPD - das hat sie mit ihrem Antrag getan - will auch Wege und Lösungen aufzeigen. Wir zeigen - das ist auch wichtig - einmal mehr die Bremserrolle von CDU/CSU und F.D.P. sowie der Bundesregierung in Sachen europäischer Beschäftigungspolitik auf.
({1})
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion hat sich von Anfang an - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Dr. Haussmann - für das zentrale Thema Arbeitslosigkeit eingesetzt und ist auch im Gegensatz zur CDU/CSU und F.D.P. für die Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den Vertrag von Maastricht eingetreten. Sie können ja nicht leugnen, wer von Anfang an dabei war.
({2})
Erst durch den Druck sozialdemokratisch geführter EU-Mitgliedstaaten wurde die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit als gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten im Vertrag von Amsterdam verankert. Europa hat jetzt eine Initiativfunktion bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Endlich, sage ich.
({3})
Darüber hinaus hat sich - damit werde ich natürlich wieder Widerspruch hervorrufen - über zwei Jahre ein Bündnis aus Blockierern in Ihren Reihen gesträubt, zur Einsicht zu gelangen, wie notwendig angesichts der globalen Herausforderungen - ein Thema von Ihnen, Herr Dr. Haussmann - neben der finanz- und wirtschaftspolitischen Koordinierung auch eine beschäftigungspolitische Abstimmung ist, da doch - das wissen Sie vermutlich - die mangelnde Koordination nicht nur Wachstum pro Jahr verhindert, sondern auch sehr viele Arbeitsplätze.
Verzögern, Bremsen, Blockieren - das ist das verheerende Motto der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition in Sachen europäischer Beschäftigungspolitik.
({4})
Deshalb ist jetzt der Zeitpunkt, sich über konkrete und überprüfbare Ziele zu verständigen.
Wo aber ist die Bundesregierung mit ihren Vorschlägen? Wohlgemerkt: mit seriösen Vorschlägen. Es ist schon dreist, wenn die Bundesregierung das sogenannte Arbeitsförderungsreformgesetz - ich mag den Namen schon gar nicht mehr aussprechen; wo ist da eine Reform? - als ein Beispiel für erfolgreiche Initiativen für Luxemburg nennt. Es handelt sich um ein Reformgesetz, das die Beschneidung von Ansprüchen für Arbeitslose beinhaltet, aber auch die Reduzierung entsprechender finanzieller Mittel.
Ich frage, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Wo ist der Einsatz des Bundeskanzlers für den Beschäftigungsgipfel? Er kann sich vom konservativen luxemburgischen Ministerpräsidenten und derzeitigen Ratspräsidenten Juncker eine Scheibe abschneiden, was das Engagement für das Gelingen des Gipfels betrifft.
({5})
So aber gefällt sich die Bundesregierung - alle, die ich bis jetzt angesprochen habe, sind natürlich heute nicht hier -, beispielsweise der bekannte Finanzminister Waigel, der auf die Vorschläge der EU-Kommission nur mit einem glatten Nein geantwortet hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD will ein europäisches Bündnis für Arbeit und soziale Stabilität. Wir wollen - damit unterstützen wir die Vorschläge der Europäischen Kommission - eine europäische Beschäftigungsstrategie entwickeln, die natürlich die einzelstaatlichen Maßnahmen der MitGünter Gloser
gliedstaaten unterstützt. Diese Strategie bedeutet einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einer europäischen Beschäftigungs- und Sozialunion und - ich dachte, das sei unser gemeinsames Ziel - auch auf dem Weg zu einer politischen Union.
Statt aber als beschäftigungspolitische Lokomotive die treibende Kraft zu bilden, sitzen die Konservativen und die Abteilung Neoliberalismus im Bremserhäuschen.
({6})
- Herr Dr. Haussmann, letztere - das hat gestern der Europaausschuß wieder gezeigt - glauben immer noch, mit einem zügellosen Wettbewerb ließen sich die Probleme in Sachen Beschäftigung oder auf dem Arbeitsmarkt lösen.
({7})
Wo bleibt denn endlich die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung? Während andere ihre Konzepte präzisiert haben, hat die Abstimmung innerhalb der Regierung noch nicht einmal stattgefunden. Man stelle sich vor: Dies geschieht nur wenige Tage vor der Sitzung des Rates der Arbeits- und Sozialminister und des Ecofin-Rates.
({8})
Das nenne ich „Koordinierung". Aber, wie gesagt, Sie blockieren sich ja gegenseitig.
({9})
Nach den Beratungen im Europäischen Parlament sollte es doch für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, überhaupt kein Problem sein, hier mitzumachen, denn eine breite Mehrheit aus Konservativen und Sozialdemokraten hat im Europäischen Parlament eine Entschließung auf den Weg gebracht, die eine Fülle von Vorschlägen macht und mit vielen Forderungen der Europäischen Kommission, aber auch mit vielen Vorstellungen und Überlegungen identisch ist, die die Sozialdemokraten in den letzten Wochen vorgelegt haben.
({10})
Ich rufe dafür auch einen Zeugen auf:
Wenn über 18 Millionen Menschen in der Gemeinschaft arbeitslos sind, dann ist die Union als solche herausgefordert, auch wenn die Hauptzuständigkeit in der Beschäftigungspolitik bei den Mitgliedsstaaten liegt.
Das erklärt der CDU-Politiker und Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung im Europäischen Parlament, Herr Winfried Menrad.
({11})
- Sie sind nicht angesprochen. Die CDU/CSU ist angesprochen. Sie sind dort ja nicht mehr vertreten, lieber Herr Dr. Haussmann.
({12})
Wer nach langem, schließlich aber erfolglosen Kampf gegen ein Beschäftigungskapitel in seinem CDU/ CSU-Fraktionspapier - ich erinnere an das Papier von Schäuble, Seiters, Glos und Lamers - zugeben mußte, daß die Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den revidierten Maastricht-Vertrag doch sinnvoll sei, der muß auch die entsprechenden Konsequenzen für seine Politik ziehen und darf nicht glauben, das ganze Thema sei abgehakt.
({13})
Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der Herbstprognose der Wirtschaftsforschungsinstitute. Danach steigt die Arbeitslosigkeit 1998 auf ein Rekordniveau. Die sich abzeichnende konjunkturelle Erholung wird wiederum am Arbeitsmarkt vorbeigehen. Handeln ist angesagt. Was fordern wir Sozialdemokraten deshalb für diesen europäischen Beschäftigungsgipfel?
Erstens fordern wir konkrete, überprüfbare Konvergenzziele zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
({14})
Diese Forderung ist konsequent, denn bei der Bekämpfung der Inflation war die Vorgabe konkreter Ziele ein erfolgreiches Instrument. Das habe auch ich immer wieder aus Ihren Darstellungen entnommen. Was berechtigt den Bundeskanzler, wenn er sogar von einer Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 spricht, die Vorschläge der Europäischen Kommission allen Ernstes zu kritisieren? Entweder so oder so!
({15})
Man kann gerne über Ziele diskutieren, aber man
kann dann nicht für das eigene Land etwas beanspruchen, was man auf einer anderen Ebene ablehnt.
Zweitens fordern wir die Bundesregierung auf, endlich die Chancen des Beschäftigungskapitels zu nutzen. Dazu gehört eine wirksame Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, wie sie in Art. 103 des EG-Vertrages geregelt ist.
({16})
Drittens gehören dazu Schritte zur EU-weiten Kostenentlastung des Faktors Arbeit und der Einstieg in eine ökologische Steuerreform. Es kann doch nicht angehen, daß wir ständig nur darüber diskutieren, aber nicht die entsprechenden Möglichkeiten auf europäischer Ebene schaffen.
({17})
Viertens gehört es zu einer Beschäftigungspolitik, verbindliche Absprachen zur Beendigung des ruinöGünter Gloser
sen Wettlaufs um niedrige Unternehmensteuern und zur Beseitigung von Steueroasen in der Europäischen Union zu treffen.
({18})
Fünftens. Ein wesentlicher Punkt, bei dem nationales Handeln mit dem auf Gemeinschaftsebene abzustimmen ist, ist es, auf europäischer Ebene die Möglichkeiten zu beschäftigungspolitischen Initiativen auszuschöpfen.
({19})
Ich denke hier nur an die Verwirklichung der Projekte im Rahmen der transeuropäischen Netze. Die 14 in Essen beschlossenen vorrangigen Projekte müssen endlich - Essen liegt ja schon einige Zeit zurück - umgesetzt werden. Hier kann auf sehr umweltverträgliche Weise ein wichtiger Beitrag für mehr Beschäftigung geleistet werden.
({20})
Sechstens - das durchzieht ja auch unsere arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Diskussionen wie ein roter Faden -: In ganz Europa müssen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik umgeschichtet werden, um nicht Arbeitslosigkeit zu bezahlen, sondern aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.
({21})
Sie von der Koalition haben dazu ja einen entsprechenden Beitrag geliefert, indem Sie die entsprechenden Mittel bei der Bundesanstalt für Arbeit gekürzt haben.
Siebtens. Kleinere und mittlere Unternehmen sind durch Bereitstellung von Risikokapital und zinsbegünstigten Darlehen im Rahmen eines Programms der Europäischen Investitionsbank zu fördern. Auch dies ist ein wichtiger Bereich.
Achtens. Es müssen Sofortprogramme zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit zugesagt werden. Insbesondere muß der Situation junger Frauen Rechnung getragen werden. Auch hier stellen wir Ihr Versagen in der nationalen Politik ständig fest.
({22})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Wachstum allein reicht nicht aus.
({23})
Kommissar Padraig Flynn - Sie, Herr Dr. Haussmann, waren ja gestern Zeuge - hat recht:
({24})
Wir brauchen einen neuen Weg.
Wer allerdings glaubt, dieser Beschäftigungsgipfel werde ein Flexibilisierungs- und Deregulierungsgipfel zu Lasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
({25})
hat sich gewaltig getäuscht.
Herr Dr. Haussmann, ich möchte die Äußerung von Herrn Stihl ansprechen. Wer sich als Präsident des DIHT in einer derartigen Weise äußert und zeigt, daß für ihn Sozialsysteme oder Sozialstandards nur eine neue Art von Protektionismus darstellen, der hat, glaube ich, überhaupt nicht erkannt, welche Gefahrenmomente er in diese Diskussion bringt.
({26})
Wir lassen gerade von Herrn Stihl nicht an dem europäischen Sozialmodell sägen.
({27})
Begreift denn dieser Funktionär nicht, daß er selbst den Ast absägt, auf dem er sitzt, wenn er ständig auf Sozialsysteme und soziale Standards eindrischt?
({28})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vielen ist deutlich geworden: Europa ist mehr als eine neue Banknote oder eine neue Münze. Ich wünsche mir für die Umsetzung neuer beschäftigungspolitischer Ziele endlich soviel Aufmerksamkeit wie bei der Präsentation einer neuen Banknote oder einer T-Aktie.
({29})
In welchem Bereich kann man besser beweisen, daß die Europäische Union nicht nur eine abgehobene und - wie manche sagen - bürokratische Veranstaltung ist, sondern sich auch um die unmittelbaren Sorgen der Menschen kümmert, als in diesem? Ratsvorsitzender Juncker hat recht: Ein Gipfel literarischer Übungen - sprich: eines weiteren belanglosen Papiers - bringt uns nicht weiter. Jedoch kann die Vorabredung auf konkrete Ziele des notwendigen Handelns von Regierung und Sozialpartnern uns auf dem Weg voranbringen, die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union zu senken. Erst dann ist der Vertrag von Amsterdam mit Leben erfüllt; erst dann sind die Hausaufgaben gemacht.
Vielen Dank.
({30})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, muß ich für einen Augenblick auf den Tagesordnungspunkt 22 e,
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Sammelübersicht 214 zu Petitionen, und den dazu vorliegenden Änderungsantrag der PDS zurückkommen. Der Kollege Uwe Lühr von der F.D.P. legt Wert auf die Feststellung, daß er sich bei beiden Abstimmungen, also sowohl bei der über den Änderungsantrag der PDS als auch bei der über die Beschlußempfehlung, der Stimme enthalten hat.
({0})
Jetzt zurück zum Tagesordnungspunkt 4 und zu den Zusatzpunkten 2 und 3. Das Wort hat die Kollegin Professor Tiemann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon richtig, auf die Bedeutung des Beschäftigungsgipfels in Luxemburg hinzuweisen. Er wird sicher insofern ein zentrales Ereignis für die Europäische Union sein,
({0})
als vor dem Hintergrund von 18 Millionen Arbeitslosen zum ersten Mal ein solcher Beschäftigungsgipfel zustande kommt.
Das Beschäftigungskapitel im Vertrag hat die Weichen für eine koordinierte Beschäftigungsstrategie in Europa gestellt. Es besteht ein breiter Konsens darüber, daß Beschäftigungspolitik heute keineswegs nur mehr isoliert auf nationaler Ebene gemacht werden kann. Im Zeitalter der europäischen Integration und der Globalisierung sind die Märkte allzusehr miteinander verflochten, als daß dies heute noch möglich wäre.
Nur, dies bedeutet nicht, die Beschäftigungspolitik in Europa zu vergemeinschaften.
({1})
Die Politik muß in der nationalen Verantwortung bleiben. Jeder Mitgliedstaat muß gegenüber den anderen Rechenschaft über die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, und ihre Erfolge ablegen. Allzu groß ist sonst die Versuchung, die Verantwortung auf die europäische Ebene abzuwälzen.
({2})
Zu unterschiedlich sind außerdem die Probleme und ihre Ursachen, aber auch die Lösungsmöglichkeiten. Deshalb gibt es keine Allheilmittel in Europa. Es bedarf eines differenzierten Instrumentariums zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dieses Instrumentarium muß zum Teil regional, zum Teil in den einzelnen Betrieben selbst in Form größerer Flexibilität umgesetzt werden. Deshalb sind wir der Auffassung, daß eine solche koordinierte Beschäftigungsstrategie unter Wahrung nationaler Zuständigkeiten und durch Übernahme von Verantwortung verfolgt werden muß.
({3})
Denn Koordinierung brauchen wir. Wir brauchen den Austausch von Informationen. Wir brauchen die Abstimmung der nationalen Maßnahmen. Wir brauchen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Institutionen, die Diskussion über die geeigneten Maßnahmen, die Orientierung der nationalen Politik an den besten Politiken der anderen Mitgliedstaaten. Wir müssen voneinander lernen. Das ist das Stichwort. Europa und die europäische Integration muß auf nationaler Ebene Impulse für eine wirkungsvolle Beschäftigungspolitik freisetzen.
Ein zweites ist wichtig. Wir haben doch vor vielen Jahren einen Konsens auf der Basis von Grünbüchern, von Weißbüchern und darauf fußenden Beschlüssen mehrerer Räte gefunden. Ich erwähne den Rat in Essen, an dem Deutschland ganz maßgeblich beteiligt war. Wir waren uns einig, daß wir Beschäftigung nur dann erreichen, wenn wir die erste Voraussetzung erfüllen, nämlich Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Deshalb ist es wichtig, daß die Mitgliedstaaten stabilitätsorientierte gesamtwirtschaftliche Politik betreiben und damit günstige Rahmenbedingungen für die Beschäftigung schaffen.
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Der Stabilitäts-
und Wachstumspakt, den wir in Amsterdam geschlossen haben, sieht dies als Priorität vor. Das bedeutet eine Begrenzung der öffentlichen Ausgaben, eine Senkung der Abgabenbelastung, eine Reform der Steuer- und Sozialsysteme,
({4})
eine zukunftsorientierte Strukturpolitik mit Wettbewerb, Deregulierung, Privatisierung und Innovation, um private Initiative freizusetzen und nicht das Allheilmittel Staat bei der Lösung der Beschäftigungsprobleme in Europa in den Vordergrund zu stellen.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf dieser Grundlage hat auch die Bundesregierung ihr Aktionsprogramm für den Beschäftigungsgipfel in Luxemburg erarbeitet und vorgelegt. Dieses Programm stellt klar die Wege zum Abbau der Arbeitslosigkeit dar. Sie legen so großen Wert auf klar definierte Ziele. Diese Ziele sind in den Leitlinien der Kommission enthalten. Aber der Ratspräsident Juncker hat vor einigen Tagen zu Recht gesagt: Nicht die Ziele sind es, die Priorität haben müssen, sondern die Instrumente, die wir anwenden, um die Ziele verwirklichen zu können. Diese Politik machen wir.
Allerdings werden die Anträge der Opposition, die uns vorliegen, diesen Anforderungen nur schwerlich gerecht;
({6})
denn wieder wird vorrangig auf die Vergemeinschaftung von Kompetenzen auf europäischer Ebene gesetzt. Wieder wird vorrangig auf den Einsatz von neuen Finanzmitteln abgestellt. Damit wird das Übel nicht bekämpft, sondern noch verschlimmert - entgeDr. Susanne Tiemann
gen dem Beschluß in Amsterdam, der eine Haushaltssparpolitik auch in bezug auf die Beschäftigungsmaßnahmen vorsieht.
In keiner Weise stellen die Anträge darauf ab, Europa als Wirtschaftsstandort wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das ist aber wesentlich. Nichts davon findet sich in den Anträgen. Ich spreche hier insbesondere von dem Antrag der SPD. Kein Wort von günstigen Rahmenbedingungen für Unternehmen, damit diese Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen erhalten.
({7})
Statt dessen wieder nur Progamme, schöne Worte. Unter dem Stichwort „Steuerreform" finden sich nur wieder die Umverteilungsthesen,
({8})
die die SPD auch bei der Blockade unserer Steuerreform gebracht hat.
({9})
In diesen Anträgen zeigt sich wieder einmal der tiefgreifende Dissens, den wir hinsichtlich der Erfordernisse unternehmensfreundlicher Bedingungen gerade für kleine und mittlere Unternehmen haben, die bei der Schaffung von Arbeitsplätzen so ungeheuer wichtig sind.
({10})
- Dieses Wort nehme ich nicht einmal in bezug auf Ihre Anträge in den Mund, liebe Kollegen.
Sie gehen mit Ihren Anträgen hinter den Bericht der europäischen Kommission 1997, hinter die Leitlinien zurück, die die Kommission erarbeitet hat. Sie gehen weit hinter das Aktionsprogramm zurück, das die Bundesregierung erarbeitet und vorgelegt hat. Sie gehen hinter allen Konsens zurück, der auf europäischer Ebene über die Voraussetzungen beschäftigungsfreundlicher Rahmenbedingungen gefunden worden ist.
Mit diesem Antrag werden wir als eine der wichtigsten europäischen Wirtschaftskräfte - wie Sie dies ausdrücken - unserer Rolle nicht gerecht, vor allem nicht unserer Verantwortung als eine der treibenden Kräfte für die Integration Europas.
Frau Kollegin Tiemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wieczorek-Zeul?
Nein, danke.
({0})
Die Bürger Europas dagegen erwarten vom Gipfel in Luxemburg neue und entscheidende Impulse. Sie wollen Vertrauen in die europäische Entwicklung schöpfen. Welche Impulse wir dort setzen können, welche Impulse wir mit unserer nationalen Politik in Koordination setzen können, davon wird abhängen, welches weitere Vertrauen die Bürger in die europäische Integration setzen werden.
Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden dieser Verantwortung mit unserer Politik gerecht, die Anträge der Opposition nicht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort für eine Kurzintervention hat die Kollegin WieczorekZeul.
Ich möchte auf diese Art und Weise die Kollegin Tiemann, die offensichtlich den Antrag der SPD-Fraktion nicht gelesen hat, und auch ihre Kolleginnen und Kollegen darüber informieren, daß die Forderungen unserer Fraktion in der Sache fast wortgleich mit den Beschlüssen sind, die im Europäischen Parlament gefaßt worden sind.
({0})
Ich lege Wert darauf, klarzustellen, daß dieser Resolution bis auf zwei einzelne Christdemokraten aus der Bundesrepublik alle anderen christdemokratischen Mitglieder des Europäischen Parlaments mit großer Mehrheit zugestimmt haben.
({1})
Ich bin der Meinung, daß Ihre Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament offensichtlich an der Lösung des Problems wirklich interessiert sind und deshalb die Borniertheit, die ein Teil Ihrer Kolleginnen und Kollegen hier zeigt, abgelegt haben. Das ist gut so. Denn die 18 Millionen Menschen, die in Europa Arbeitslosigkeit zu erleiden haben, haben kein Interesse an derartigen Blockadehaltungen, die Sie hier aufzeigen.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mehrfach gesagt, daß wir mit dem neuen Beschäftigungskapitel von Amsterdam nicht zufrieden sind. Es ist zu unverbindlich gehalten. Die Beschäftigungspolitik wird weiterhin der Wirtschafts- und Währungspolitik nachgeordnet. Die Instrumente und Mittel, die für eine Koordinierung der Beschäftigungspolitik in Europa zur Verfügung gestellt werden, sind unzureichend.
Aber das Amsterdamer Beschäftigungskapitel eröffnet bei aller Unverbindlichkeit, bei aller Mangelhaftigkeit auch Chancen. Lassen Sie mich vier Aspekte besonders hervorheben:
Erstens. Die Beschäftigungspolitik wird nun endlich auch auf europäischer Ebene als ein Bereich von gemeinsamem Interesse anerkannt. Dies ist ein wichtiges Signal, ein Signal für 20 Millionen Erwerbslose in Europa, die nun hören: Es soll über wortreiche Erklärungen hinausgehen und zu einer Koordination von Beschäftigungspolitik kommen.
Entgegen allen Behauptungen der Bundesregierung und der CDU, wie wir sie auch heute gehört haben, ging es in Amsterdam nicht damm, eine gemeinschaftliche Politik auf europäischer Ebene anstelle einer nationalen Politik zu entwickeln, sondern es ging um die Eröffnung einer neuen Dimension einer gemeinsamen europäischen Beschäftigungsstrategie, die zur Verstärkung, zur Unterstützung und Ergänzung nationaler Politiken beitragen sollte.
({0})
Ich glaube, insofern ist dies das wichtige Signal, das aus Amsterdam kam: Nationale Maßnahmen gegen die Erwerbslosigkeit reichen heute nicht mehr aus. Ihre Wirksamkeit muß durch eine Einbindung auf europäischer Ebene erhöht werden.
({1})
Der zweite Aspekt: Durch Amsterdam ist auch die aktive Beschäftigungspolitik wieder zu einem zentralen politischen Thema geworden. Die offensichtliche Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum einerseits und Beschäftigung andererseits macht deutlich, daß wir doch Beschäftigung als eine politische Aufgabe wahrnehmen müssen und die Hoffnung nicht mehr allein auf Wachstum setzen können und daß die bloße soziale Abfederung der vermeintlich unvermeidbaren Folgen der Globalisierung nicht ausreicht.
Deshalb ist drittens ein Handlungsdruck entstanden. Den vielen Worten auf den europäischen Gipfeln in den letzten Jahren müssen endlich Taten folgen. Dabei ist die Verknüpfung von nationaler und europäischer Ebene ein ganz wesentliches Element. Durch die Beschlüsse von Amsterdam werden nämlich gerade auch die Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Politiken in die Pflicht genommen. Sie müssen über ihre eigenen Aktivitäten Rechenschaft ablegen, Aktionspläne entwickeln und sich eben auch mit den Aktionsplänen anderer Mitgliedstaaten auseinandersetzen, lernen, Erfahrungen austauschen. Der Handlungsdruck auf der EU-Ebene löst somit auch einen Handlungsdruck auf der nationalen Ebene aus.
Viertens schließlich eröffnet Amsterdam die Chance, daß sich in Sachen Beschäftigungs- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene in Zukunft eine Integrationsdynamik entwickelt, so daß aus diesem zarten Pflänzchen der Koordination der Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene vielleicht auch einmal ein Busch, ein Baum wird,
({2})
der aus der EU so etwas wie eine Beschäftigungs-
und Sozialunion macht.
Für Luxemburg hat die Kommission nun Vorschläge vorgelegt, die - wie ich meine - die dürftigen und zaghaften Ansätze von Amsterdam doch recht offensiv aufgreifen und die Chancen zu einem Kurswechsel nutzen wollen. Das liegt im Interesse von Millionen von Arbeitslosen, und das liegt auch im Interesse von Europa. Der Sondergipfel könnte durch substantielle Ergebnisse durchaus zur Glaubwürdigkeit der Integration und auch zur Akzeptanz der EU beitragen; aber er muß gelingen.
Die Kommissionsvorschläge sind natürlich nicht vollständig in unserem Sinne; auch wir haben Kritik zu äußern. Da ist von den Beschäftigungspotentialen einer ökologischen Politik nicht die Rede; da werden auch die Ansätze des Delorsschen Weißbuches nicht weiterentwickelt, aber deutlich wird: Wir brauchen eine europäische Beschäftigungsstrategie, und sie wird gerade auch im Hinblick auf das Kommen der Währungsunion immer wichtiger. Solange nämlich auf der europäischen Ebene bei einer augenblicklichen Inflationsrate von 1 bis 2 Prozent immer noch Preisstabilität als das oberste Ziel dargestellt wird,
({3})
solange die Haushaltspolitik auf drastische Ausgabenkürzungen programmiert bleibt und Beschäftigungswirkungen ignoriert, kann eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik auf nationaler Ebene dem ja nur sehr begrenzt entgegensteuern. Solange auch der Wettlauf um die niedrigsten Unternehmensteuern und Sozialabgaben, um die niedrigsten Sozial- und Umweltstandards fortgesetzt wird, ist jede nationale Regierung erpreßbar, die mit Arbeitszeitverkürzungen, aktiver Arbeitsmarktpolitik oder mit ökosteuerfinanzierten Innovationsprogrammen die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt verändern will.
({4})
Eine gemeinsame europäische Beschäftigungsstrategie könnte also der Anfang sein, wenn ihn die Bundesregierung nicht noch verhindert, denn von der Bundesregierung hören wir im Augenblick nur, daß sie offensichtlich gewillt ist, ihre Blockadestrategie von Amsterdam fortzusetzen und alle zaghaften Ansätze für eine europäische Beschäftigungspolitik zu verwässern.
({5})
Nichts ist im deutschen Aktionsplan davon zu merken, daß sie lernfähig ist, daß sie bereit ist, Impulse aufzunehmen, im Gegenteil. Hier wird ohne jede Selbstkritik das eigene Programm dargestellt. AngeChristian Sterzing
sichts der beschäftigungspolitischen Bilanz der Bundesregierung finde ich das doch recht dreist.
({6})
Hier wird souverän ignoriert, welche Fehlschläge auf nationaler Ebene in den letzten Jahren produziert worden sind. So zielt die Regierungspolitik weiterhin darauf, Ansätze für eine noch zaghafte Koordinierung auf europäischer Ebene schon im Keime zu ersticken.
Wir hoffen, daß sich die Bundesregierung in den nächsten Wochen im Vorfeld des Sondergipfels nicht durchsetzen kann;
({7})
denn es besteht die Chance, daß aus Luxemburg ein erster wichtiger Anstoß für eine europäische Beschäftigungs- und Sozialunion kommt.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Haussmann, F.D.P.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hauptdebatte zu dem heutigen Thema wird ja anläßlich der Regierungserklärung stattfinden. Ich weise darauf nur hin, damit sich nicht ein falscher Eindruck festsetzt.
Aber wir sind bereit, in jeder Woche über Arbeitslosigkeit zu diskutieren. Es gibt in dieser Frage hier im Deutschen Bundestag überhaupt keinen Unterschied. Wenn jeder dritte junge Spanier, jeder vierte junge Franzose, zum Glück nur jeder zehnte junge Deutsche arbeitslos ist, gibt es in Europa kein wichtigeres Thema. Nur, wer weniger Arbeitslose in Europa will, muß ehrlich sein und den Arbeitslosen erklären, welche Ebene, welche Funktion, welche finanziellen Mittel und welche Zuständigkeiten hat,
({0})
und darf nicht so tun, als könne man eine beschäftigungspolitische Blockade in Deutschland ausgleichen, indem man auf europäischer Ebene unendliche Forderungen stellt. Wer mehr Beschäftigung will, muß zunächst einmal seine Hausaufgaben machen.
({1})
Er muß hier zunächst einmal der Steuerreform zustimmen
({2})
und dafür sorgen, daß eine Steuerreform in Gang kommt.
({3})
Es gibt überhaupt niemanden mehr, der heute den
Zusammenhang zwischen struktureller Arbeitslosigkeit und Steuerreform bestreitet. Sie aber machen das hier aus wahltaktischen Gründen bewußt kaputt. Das ist die Wahrheit, und das gehört an den Anfang einer Diskussion über die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit.
({4})
Herr Dr. Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
({0})
Meine Damen und Herren, wer zum anderen die Währungsunion überhaupt nicht erwähnt - kein Wort von der Währungsunion bei Rot und Grün -, der hat gar nicht verstanden, daß die Europäische Währungsunion zunächst einmal die Grundvoraussetzung dafür ist, daß Europa im Vergleich zu Amerika mit dem Dollar und Japan mit dem Yen überhaupt eine Chance hat.
({1})
Das Schlimme ist immer, daß Sie sagen, es gebe bald eine Währungsunion und man brauche eine gesonderte Beschäftigungspolitik. Das hat jedoch miteinander zu tun.
({2})
Wer wie Herr Schröder und leider auch wie Herr Biedenkopf ständig eine Verschiebung der Währungsunion fordert, der sorgt für mehr Arbeitslosigkeit, und zwar aus zwei Gründen: Erstens kann sich der Mittelstand nicht rechtzeitig auf die Währungsunion vorbereiten, und zweitens kommen die notwendigen internationalen Investitionen nicht nach Deutschland, solange nicht politisch klar ist, daß die europäische Währung pünktlich eingeführt wird. Deshalb fordere ich heute auch im Interesse der Arbeitslosen alle Ministerpräsidenten noch einmal auf, sich klar zu einer pünktlichen Schaffung der Währungsunion zu bekennen. Ich empfinde es auch als zynisch, wenn sich beim Beamtentreffen Anfang 1998 in Bad Kissingen zwei deutsche Ministerpräsidenten - einer von der CSU und eine von der SPD - ein „Streitgespräch zur Währungsunion - Wird sie ein finanzpolitischer Flop?" leisten. Glauben Sie tatsächlich, daß es internationale Investoren nach Europa zieht, wenn man so über einen gültigen Vertrag diskutiert?
Nun speziell zu Herrn Gloser: Wer Herrn Stihl kennt und weiß, daß er einer der erfolgreichsten mittelständischen Unternehmer in Deutschland ist, der über 5000 Arbeitsplätze geschaffen hat und nach wie
vor zusätzliche Arbeitsplätze schafft, und ihn dennoch als kalten Funktionär bezeichnet,
({3})
der hat von Marktwirtschaft wirklich nichts verstanden. Das will ich Ihnen wirklich ganz deutlich sagen.
({4})
Die neue Strategie des deutschen MöchtegernBlairs, Herrn Schröder, hat in der Bundestagsfraktion nur wenig gefruchtet. Der Sprecher der Sozialdemokraten spricht davon, daß Flexibilisierung und Deregulierung gegen Arbeitnehmer gerichtet seien. Wer unter Globalisierungsbedingungen Deregulierung oder Flexibilisierung fürchtet, der hat mit neuen Arbeitsplätzen in neuen Branchen natürlich nichts zu tun.
({5})
Zur Rolle der Europäischen Union. Wir haben gestern eine wissenschaftliche Anhörung gehabt. Dabei ist völlig klargeworden: Die Europäische Union hat eine entscheidende Funktion für mehr Beschäftigung in Europa, zunächst einmal bei den Rahmenbedingungen, bei der Ordnungspolitik. Sie muß eine gemeinsame Währung einführen. Sie muß den Binnenmarkt vollenden. Sie muß für eine bessere Infrastruktur in Europa sorgen. Aber die nationalen Regierungen behalten natürlich die Verantwortung für die konkreten beschäftigungspolitischen Maßnahmen.
({6})
Diese kann ihnen niemand abnehmen; denn die Europäische Union hat weder die Zuständigkeit noch das Geld, verehrte Frau Kollegin. Deshalb muß man ehrlich bleiben und darf den Arbeitslosen in Europa nicht eine falsche Hoffnung machen, so als könne man mit wahnsinnig viel neuem Geld die Arbeitsmarktpolitik vergemeinschaften. Das geht nicht. Das Ganze bleibt Aufgabe der Nationalregierungen. Die Ehrlichkeit gebietet, das den Arbeitslosen zu sagen.
({7})
Von anderen Ländern zu lernen - best practice - ist okay. Dann würde ich aber nicht nur von anderen europäischen Ländern lernen. Dann würde ich auch einmal nach Übersee gehen. Dann würde ich einmal schauen, wie die Beschäftigungspolitik in Asien, in Amerika, in Neuseeland aussieht.
({8})
Wer dann davon redet, daß Flexibilisierung oder Deregulierung keine Rolle spielt, der überholt Tony
Blair weit rechts. Denn Tony Blair hat längst die liberale Ideologie, die neoliberale Ideologie, wie Sie sie nennen, aufgenommen, indem er sagt:
({9})
Die Rolle der Europäischen Union liegt in einer europäischen Ordnungspolitik; die Rolle des Nationalstaates liegt darin, für optimale Aus- und Weiterbildung sowie für eine sehr gute Infrastruktur zu sorgen, aber im übrigen den Wettbewerb laufen zu lassen, damit die Unternehmer ihrer Aufgabe gerecht werden.
Nicht die Europäische Union und nicht die Bürokratie in Brüssel, sondern nur die Unternehmer in Europa können Arbeitsplätze schaffen.
({10})
Wir können lediglich Beamtenarbeitsplätze schaffen. Das ist die Wahrheit. Wer unter den Bedingungen der Globalisierung und virtueller Unternehmen glaubt, man könnte mit altem sozialdemokratischem Denken die Menschen in Europa vor dem Weltwettbewerb schützen, der begeht eine große Unehrlichkeit.
({11})
Das hat der Vertreter des Weltwirtschaftsinstitutes in Kiel klar gesagt. Er hat ausgeführt: In Zukunft kommt es vor allem darauf an, daß die Unternehmer die Ausgangsbedingungen haben
({12})
- hören Sie bitte zu, dann sind Sie mit mir wieder zufrieden -, die sie brauchen, daß sie aber nicht nur auf den Shareholder value achten, daß sie nicht nur Kosten einsparen und Arbeitnehmer entlassen, sondern daß sie für Wachstum, für Markteroberung und für Innovationen sorgen; denn nur so bekommt man in einer Marktwirtschaft mehr Arbeitsplätze.
Er hat auch darauf hingewiesen - das ist die Politik von Tony Blair -: Es kommt in Zukunft in einem offenen Weltmarkt auf den Arbeitnehmer selbst an. Er muß vom Staat die Grundvoraussetzungen bekommen. Er muß lebenslange Bildung erhalten. Er muß in seiner Mobilität und Flexibilität unterstützt werden, weil er sonst unter den Bedingungen des Weltwettbewerbs keine Chance hat, einen Arbeitsplatz zu finden. Das ist eine harte Wahrheit; aber zu dieser Wahrheit muß man sich durchringen.
Ich möchte zum Schluß sagen - das ist sehr, sehr wichtig -: Wir sollten gegenüber den Arbeitslosen in Europa ehrlich bleiben. Wir können mehr auf europäischer Ebene tun. Wir können mehr von den anderen Staaten lernen. Wir können mehr koordinieren. Aber die Nationalstaaten müssen ihre Arbeitnehmer und ihre Unternehmen auf die Bedingungen der Währungsunion vorbereiten. Das ist bei Herrn Sterzing ja angeklungen. Nur, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nicht durch mehr Abschottung, durch kleinDr. Helmut Haussmann
räumiges Denken, sondern durch mehr Flexibilität, durch mehr Bildung und mehr Mobilität wird man mit den Bedingungen der Währungsunion fertig. Denn es entfällt dann in der Wirtschaft eine Möglichkeit, unterschiedliche Nationalwirtschaften einander anzupassen. Das passiert dann eben nicht mehr über Auf- und Abwertung, sondern das passiert über einen verschärften Wettbewerb am Arbeitsmarkt über die Grenzen. Es ist wichtig, daß sich die deutschen Gewerkschaften trotz dieser Erkenntnis stärker als viele Sozialdemokraten für die Europäische Währungsunion einsetzen; denn wir bleiben nur durch die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa unter globalen Bedingungen wettbewerbsfähig.
Beginnen wir also pünktlich mit der Währungsunion. Tun wir auf nationaler Ebene alles, damit die Unternehmen selbst und die Arbeitnehmer auf die Bedingungen der Währungsunion vorbereitet werden. Das ist der wichtigste Beitrag, um die Arbeitslosigkeit in Europa zu verringern.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat der Kollege Manfred Müller, PDS.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Haussmann, was wir von Ihnen zu erwarten haben, wenn die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion eingerichtet ist, das haben Sie in den vergangenen Jahren Ihrer Politik bewiesen. Sie werden den Kündigungsschutz unter den Bedingungen internationaler Konkurrenz abschaffen. Sie werden die Krankenversicherung weiter reduzieren. Sie werden die Rentenversicherung weiter herunterschrauben. Das ist Ihre neoliberale Deregulierungspolitik, die wir zu erwarten haben. Deshalb werden wir gegen dieses Politikmodell kämpfen.
Sie haben sich sogar auf Tony Blair berufen. Sie können froh sein, daß er nicht hier ist, um sich vor dieser Vereinnahmung schützen zu können. Dessen Politikvorstellungen sind völlig anders als Ihre neoliberale Deregulierungspolitik.
({0})
Seit Jahren hat die Bundesregierung die Signale für eine gemeinsame europäische Beschäftigungspolitik auf Rot gestellt. Wenn nun dennoch in Luxemburg ein europäischer Beschäftigungsgipfel stattfindet, dann nicht wegen, sondern trotz der Verweigerungshaltung dieser Bundesregierung.
Immerhin: Jetzt rollt der Zug nach Luxemburg. Doch die Bundesregierung bekommt ihren Fuß nicht von der Bremse. Oder wie wollen Sie Ihr sogenanntes Aktionsprogramm nennen? Für mich ist das nichts anderes als die phantasielose Aneinanderreihung neoliberaler Glaubenssätze. Seit mehr als einem halben Jahrzehnt reiten Sie nun schon auf diesen altbackenen Vorschlägen von maßvollen und moderaten Lohnabschlüssen herum.
({1})
Seit mehr als einem halben Jahrzehnt predigen Sie, daß Reallöhne langsamer wachsen müssen als die Produktivität. Herr Dr. Haussmann, das alles haben wir doch längst. Ob Wirtschaftsweise oder Bundesbank, alle loben die ach so moderaten Tarifabschlüsse. Und das Ergebnis? Wir haben in Deutschland nicht mehr Arbeitsplätze, sondern immer mehr Arbeitslose.
({2})
Im kommenden Winter werden es nach Einschätzung des DGB 5 Millionen sein. Ich habe von Ihnen heute nichts dazu gehört, was Sie dem entgegensetzen wollen.
({3})
Seit Ihrer Regierungsübernahme vor 15 Jahren hinken die Reallöhne der Produktivität brav hinterher. Heute müssen sich die Beschäftigten in diesem Land doch schon glücklich schätzen, wenn ihre Realeinkommen nur stagnieren und nicht sinken. Hat das mehr Beschäftigung gebracht?
({4})
Sagen wir doch, wie es ist: Diese Bundesregierung hat sich längst vom Ziel der Vollbeschäftigung verabschiedet. Diese Bundesregierung ist dabei, den Sozialstaat zu den Akten zu legen. Die Partei Ludwig Erhards geht daran, sich unter dem Druck ihres neoliberalen Koalitionspartners von der sozialen Marktwirtschaft zu verabschieden. Welch eine Ironie der Geschichte!
Das Schlimmste aber ist: Mit dieser arbeitsmarktpolitischen Bilanz, mit solch unlauteren Absichten und untauglichen Konzepten wollen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, in Europa Politik machen. Man kann nur hoffen, daß Sie damit in Luxemburg nicht durchkommen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir leben nicht im beschäftigungspolitischen Wolkenkukkucksheim. Wir wissen, daß sich die traditionelle Arbeitsgesellschaft in einem Umbruch befindet, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Wir wollen aber auch, daß diesen Umbrüchen endlich in sozial verantwortlicher Weise Rechnung getragen wird. Während die Bundesregierung die unumkehrbare gesellschaftliche Arbeitszeitverringerung mit einem Programm zur unumkehrbaren sozialen Spaltung dieses Landes beantwortet, setzen wir auf einen neuen sozialen Kompromiß, auf eine Erneuerung sozialer Verantwortung und auf soziale Gerechtigkeit.
Herr Schäuble will den Vollarbeitsplatz zum arbeitnehmerischen Luxusgut erheben. Wir dagegen wolManfred Müller ({6})
len Vollbeschäftigung, moderne Vollbeschäftigung. Dazu muß erstens die Verteilungsschieflage in diesem Land überwunden werden. Unsere Gesellschaft ist nicht zu arm, um allen einen menschenwürdigen Arbeitsplatz anbieten zu können.
({7})
Im Gegenteil, vielmehr ist ein Teil dieser Gesellschaft so reich, daß sich der Reichtum nicht mehr in Arbeit verwandeln kann.
Zweitens muß die Schieflage bei der Verteilung der Arbeitszeit überwunden werden. Es ist doch volkswirtschaftlicher Blödsinn, einen Teil der Gesellschaft Überstunden leisten zu lassen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern und sogar noch nach der 40Stunden-Woche zu schreien, während viereinhalb Millionen Menschen zur Null-Stunden-Woche gezwungen sind.
Da bringen unsere europäischen Partner in Frankreich und Italien eine drastische Verkürzung der Wochenarbeitszeit in die europäische Beschäftigungspolitik ein. Und was macht diese Bundesregierung? Sie spielt Vogel Strauß und will von Arbeitszeitverkürzung nichts wissen. Da werden in Dänemark außerordentlich erfolgreiche Modelle zur sozial abgesicherten Teilung vorhandener Arbeitsplätze praktiziert. Und wie reagiert die Bundesregierung? Sie setzt stur darauf, daß in Deutschland immer weniger immer mehr zu arbeiten haben.
Die PDS hat Vorschläge für einen innovativen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor vorgelegt. Diese Vorschläge decken sich nicht nur mit denen, die Wissenschaft, Kirchen und Gewerkschaften in diesem Land vorbringen. Sie entsprechen auch dem, was die französische Regierung vorschlägt und was in vielen skandinavischen Ländern erfolgreich praktiziert wird.
Herr Kollege Müller, achten Sie bitte auf die Zeit.
Der letzte längere Satz.
({0})
Nach unserer Ansicht wird die europäische Beschäftigungspolitik nur dann über eine unverbindliche Ankündigungspolitik hinauskommen können, wenn die Sanktionen, die bei Ihrer Haushaltspolitik für Stabilitätssünder vorgesehen sind, auch für Versäumnisse bei der Bekämpfung der europäischen Massenarbeitslosigkeit entsprechend vereinbart werden. Diese Beträge können dann zum Beispiel europaweit zweckgebunden für die Berufsausbildung und den Berufseinstieg junger Menschen eingesetzt werden. Dann hätten wir nicht nur einen monetaristischen Stabilitätspakt, sondern auch einen wirksamen Beschäftigungspakt.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union waren sich bereits beim Europäischen Rat in Amsterdam im Juli dieses Jahres einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit derzeit die dringendste Aufgabe in Europa ist. Sie haben deshalb einen neuen Beschäftigungstitel in den EU-Vertrag aufgenommen und eine eigenständige Entschließung für mehr Wachstum und Beschäftigung verabschiedet.
({0})
Dabei hat sich der Gipfel den Empfehlungen des Gipfels von Essen, der unter deutscher Präsidentschaft geführt wurde, angeschlossen.
Aufgabe des in drei Wochen in Luxemburg beginnenden Sonderrates wird es sein, eine koordinierte Beschäftigungsstrategie zu entwickeln. Dazu finden derzeit eine Vielzahl von Besprechungen und Beratungen bilateraler Art statt.
Die Bundesregierung will einen Erfolg des Beschäftigungsgipfels. Ich bin sicher, daß sie einen entscheidenden Beitrag zu diesem Erfolg leisten wird. Ich bin auch zuversichtlich, daß uns das gelingt.
Die EU-Kommission hat entsprechend dem in dem Vertrag von Amsterdam vorgesehenen Verfahren am 1. Oktober 1997 einen Entwurf für die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten in 1998 vorgelegt, der zur Zeit in den zuständigen Gremien beraten wird.
({1})
Wie ich bereits am 9. Oktober 1997 im Ältestenrat erläutert habe, wird die Bundesregierung ihre Position für den Beschäftigungsgipfel heute noch nicht im einzelnen und abschließend vortragen.
({2})
Wir hätten es sehr begrüßt, wenn wir uns im Rahmen der Debatte, die für den 13. November vorgesehen ist, umfassend mit dieser Thematik befaßt hätten.
({3})
Aber wir respektieren selbstverständlich nicht nur die Zwischenrufe von Frau Wieczorek-Zeul, sondern auch die Tatsache, daß der Bundestag diesen Punkt heute auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Dafür, daß wir heute noch nicht abschließend vortragen möchten, gibt es gewichtige Gründe. Insbesondere stehen noch wichtige Termine und Gespräche aus: Am 5. November 1997 befassen sich die
Wirtschafts- und Finanzminister im sogenannten ECO/Fin-Rat mit dem Vorschlag der Kommission für die beschäftigungspolitischen Leitlinien. Am 6. November 1997 sind die beschäftigungspolitischen Leitlinien Gegenstand des Rates der Arbeits- und Sozialminister.
({4})
Zusätzlich führt die Bundesregierung in diesen Tagen eine Reihe von bilateralen vorbereitenden Gesprächen über den Beschäftigungsgipfel unter anderem mit Frankreich und Großbritannien, und naturgemäß auch mit Luxemburg, das die Präsidentschaft innehat.
Deshalb wird der Bundeskanzler am 13. November, also rechtzeitig vor dem Beschäftigungssondergipfel in Luxemburg, eine Regierungserklärung dazu abgeben. Er wird über den Stand der Vorberatungen innerhalb der Bundesregierung berichten. Daran wird sich eine Diskussion anschließen. Danach ist immer noch Zeit bis zum Gipfel selbst, der aus unserer Sicht ein Erfolg werden wird.
({5})
Im Rahmen ihrer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der luxemburgischen Präsidentschaft und unseren europäischen Partnern hat sich die Bundesregierung bereits frühzeitig für ein Gelingen des Sonderrates eingesetzt. Dazu hat Bundesminister Rexrodt dem Vorsitzenden des Europäischen Rates, dem luxemburgischen Premierminister, das deutsche Aktionsprogramm zur Beschäftigungspolitik in Europa übermittelt.
({6})
Aus Sicht der Bundesregierung müssen im Zentrum der gemeinsamen Anstrengungen die Koordinierung des nationalen Handelns und der gegenseitige Informationsaustausch stehen. Neue Gemeinschaftskompetenzen und eine zusätzliche Mittelübertragung an die Europäische Union und damit neue europäische Ausgabenprogramme auf Kosten der Steuerzahler wird es nicht geben.
({7})
Vielmehr müssen die vorhandenen Mittel verstärkt für beschäftigungsintensive Projekte genutzt werden.
({8})
- Herr Schreiner, es kommt nicht auf den Kehlkopf an, sondern auf den Kopf.
({9})
Die Bundesregierung stimmt mit der Europäischen I Kommission und der luxemburgischen Präsidentschaft überein, daß die konsequente Fortführung der Weiterentwicklung der Strategie des Europäischen Rates von Essen im Jahre 1994 besonders wichtig ist. Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen führt vorrangig über Strukturreformen, vor allem durch mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten.
Hier ist die Bundesregierung in den vergangenen Jahren mit gutem Beispiel vorangegangen. Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen zur Modernisierung unserer Wirtschaft durchgesetzt.
({10})
So sind mittlerweile fast alle Programme und Maßnahmen für mehr Wachstum und Beschäftigung vom April 1996 umgesetzt oder auf den Weg gebracht worden.
({11})
Wir werden auch weiterhin unsere Politik der Modernisierung des Standorts Deutschland fortsetzen, um damit das Entstehen neuer, wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze zu beschleunigen.
({12})
In diesem Sinne werden wir uns weiter an die Arbeit machen, damit der Beschäftigungsgipfel in Luxemburg ein Erfolg wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Kollege Ottmar Schreiner, SPD.
Sehr verehrter Herr Minister, bei allem Respekt: Ein kleines bißchen mehr Leidenschaft in der Sache hätte ich Ihnen schon zugetraut.
({0})
Wir reden immerhin über ein wichtiges Thema; denn in der Europäischen Union haben wir nahezu 20 Millionen Arbeitslose. Wer da eine derart trostlose Blattrede fabriziert, wie Sie das eben gemacht haben, gibt genügend Anlaß für die schlimme Befürchtung, daß Sie das Thema nach wie vor nicht ernst zu nehmen bereit sind.
({1})
Zunächst will ich mich dem Kollegen Haussmann widmen, bevor er hier vorne zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeht. Der Kollege Haussmann hat
gesagt: Wer in Europa mehr Beschäftigung will, muß zunächst seine Hausaufgaben machen.
({2})
Herr Haussmann, Sie haben nicht geringsten Grund zu Großmäuligkeiten, welcher Art auch immer.
Die Bundesrepublik Deutschland ist in Europa seit vielen Jahren das Land mit dem stärksten Anstieg der Arbeitslosigkeit.
({3})
Vielen anderen Ländern ist es inzwischen gelungen, die Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr zurückzuführen, wenn auch nicht in großen Schüben. In Deutschland haben wir genau den umgekehrten Weg genommen:
({4})
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist von Jahr zu Jahr gestiegen. Wenn man den gestrigen Aussagen der wissenschaftlichen Institute Glauben schenken darf, steht zu befürchten, daß sie auch im Jahre 1998 weiter steigt.
({5})
Sie haben nicht den geringsten Grund für Großmäuligkeiten, welcher Art auch immer.
({6})
Sie haben diesem Land mit völlig falschen Instrumenten die größte und dramatischste Arbeitslosigkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte beschert. Das ist Ihre Morgengabe in Europa.
({7})
Zu dem Hinweis auf Tony Blair: Eine der ersten Maßnahmen von Tony Blair als britischer Premier war die Auflage eines Sonderprogramms zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien.
({8})
Wir warten in Deutschland bis zur Stunde darauf, daß sich die Bundesregierung dazu aufrafft, irgend etwas zu tun, um 550000 arbeitslosen jungen Menschen in Deutschland, die weder einen Ausbildungs- noch einen Arbeitsplatz haben, zu helfen.
({9})
Nichts außer Schall und Rauch!
Also reden Sie nicht über Blair. Wenn Sie über Blair reden, sollten Sie dazu sagen, daß die britische Regierung die Probleme ihrer jungen Generation offenkundig tausendmal ernster nimmt, als die deutsche Regierung sie ernst zu nehmen bereit ist.
({10})
Der nächste Punkt: Sie predigen Deregulierung. Das heißt im Klartext: weiterer Abbau sozialer Schutzrechte.
({11})
Daß Sie damit beschäftigungspolitisch restlos gescheitert sind, müßte Ihnen doch bereits der Blick auf das letzte Jahr zeigen.
({12})
Ich will Sie daran erinnern, daß der durchaus konservative, aus Irland stammende Kommissar Pádraig Flynn seine Ausführungen vor den Mitgliedern des Europaausschusses gestern mit folgendem Satz beendete: Tastet die Arbeitnehmerrechte nicht an!
({13})
Meine Güte, die Konservativen dieses Hauses sind selbst bei den Konservativen Europas restlos isoliert.
({14})
- Also, lieber Herr Haussmann, in der Bundesliga gibt es einen Torschützenkönig. Wir sollten hier den Titel eines Eigentorschützenkönigs schaffen. Für diesen Titel wären Sie der erste Kandidat im Deutschen Bundestag.
({15})
Übrigens, die von Ihnen beabsichtigte Verschiebung dieser Debatte läßt auch nichts Gutes ahnen. Wenn die Bundesregierung wirklich der Meinung ist, daß sie im Grunde genommen in wenigen Tagen gut gerüstet auf den Gipfel nach Luxemburg geht, hätte sie keinen Grund gehabt, mit großem Druck zu versuchen, diesen Tagesordnungspunkt heute zu unterbinden. Dann hätte sie guten Grund gehabt, hier zu erklären, was sie will. Sie ist bis zur Stunde nicht in der Lage, positiv anzudeuten, in welche Richtung sie in Luxemburg argumentieren will.
({16})
Minister Bohl hat nichts anderes getan, als Nebelkerzen zu werfen. Er hat keinen einzigen Satz darüber gesagt, in welche Richtung es gehen soll. Und das im Grunde wenige Tage vor Beginn des Beschäftigungsgipfels in Luxemburg! Es ist eine einzige Blamage, Herr Minister, was Sie mitsamt der Koalition heute geboten haben.
({17})
Zum nächsten Punkt: Wir haben in den letzten Jahren immer wieder gefordert, daß in Europa mehr zum Abbau der Arbeitslosigkeit getan werden muß. Diese Sorgen werden auch von konservativen Politikern
aus anderen Ländern ernstgenommen, im Gegensatz zu dem, was in diesem Hause passiert.
Ich will Sie an einige fast schon irritierende Bemerkungen des amtierenden Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Santer, eines christdemokratischen Politikers aus Luxemburg, erinnern. Vor wenigen Wochen, am 10. September 1997, stand im „Handelsblatt" folgendes zu lesen:
So habe der Europäische Rat der Regierungschefs
mindestens viermal die Notwendigkeit einer Reduzierung der Lohnnebenkosten hervorgehoben.
In einigen Ländern sind die Lohnnebenkosten gleichwohl gestiegen. In Deutschland sind sie von allen Ländern der Europäischen Union am stärksten gestiegen. Viermal hat Kohl Lösungen, Ratschlägen zugestimmt, die Lohnnebenkosten abzusenken. In Deutschland sind sie am massivsten von allen Ländern gestiegen.
Ich zitiere weiter:
Santer verwies auf die Kommissionsvorschläge, die Steuerbelastung vom Faktor Arbeit auf die Energieprodukte zu verlagern.
Das sagt der konservative Politiker Santer. Nochmals: Die Steuerbelastung soll vom Faktor Arbeit auf den Faktor Energie, Energieverbrauch verlagert werden.
Wir als sozialdemokratische Fraktion haben in den letzten Jahren mindestens dreimal Versuche in dieser Richtung unternommen, zuletzt vor wenigen Wochen im Rahmen des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses. Sie haben alle diese Vorschläge, die voll auf der Linie der Europäischen Kommission und der anderen Europäischen Länder liegen, hier blockiert. Sie haben alles blockiert und die Ampel auf Rot gestellt.
Das letzte Bremserhäuschen in Europa steht hier in Bonn. Das ist wirklich Ihre Rolle.
({18})
- Na, ich war in den letzten Wochen einige Male in Brüssel, in Den Haag, in Luxemburg. Ich habe mir da einiges angeguckt. Bevor Sie wieder großmäulig werden, versuchen Sie einmal, ein bißchen nachzudenken und ein kleines bißchen zuzuhören. Sie bekommen ja gleich ein paar hilfreiche Hinweise.
({19})
Aber ich fürchte, beim Eigentorschützenkönig des Bundestages ist das alles vergebliche Liebesmühe.
Ich will die Kernfrage formulieren, auf die die Regierung Antwort geben muß. Die Kernfrage lautet: Ist eine europäisch vereinbarte Beschäftigungsstrategie mit klaren und zahlenmäßig präzisen Zielen gewollt, deren Realisierung mit derselben Bestimmtheit wie die Kriterien der Wirtschafts- und Währungsunion zu verfolgen ist? Das ist die zentrale Frage. Diese Frage werden Sie zu beantworten haben.
Wer übrigens auf nationaler Ebene seit Jahren die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 propagiert, der müßte doch dankbar sein, wenn im Rahmen von europäischen Vereinbarungen quantitative Ziele angegeben werden, mit denen in Deutschland das Ziel der Halbierung bis zum Jahr 2000 durchgesetzt werden soll.
({20})
Sie müssen doch für quantitative Vereinbarungen geradezu die Tür aufstoßen, wie sie von nahezu allen anderen Mitgliedsländern in den letzten Monaten gefordert worden sind.
Schauen wir uns nun die Vorgaben der europäischen Einrichtungen im Vorfeld des Beschäftigungsgipfels an: Es gibt den Vorschlag der Kommission für die Leitlinien der Beschäftigungspolitik. Es gibt den mit übergroßer Mehrheit gefaßten Beschluß des Europäischen Parlaments. Es gibt die Stellungnahme vom 1. Oktober dieses Jahres vom Wirtschafts- und Sozialausschuß des Europäischen Rates zu Beschäftigungsfragen.
Alle diese Vorschläge unterscheiden sich im Grunde nur in Nuancen. Sie haben folgende Cherlegung zum Kern: Oberste Priorität, gewissermaßen die Priorität der Prioritäten, ist die Halbierung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa oder gar ein noch weiterreichendes Ziel. Jedes Mitgliedsland verpflichtet sich, innerhalb von fünf Jahren jedem arbeitslosen jungen Mann oder jeder jungen Frau unter 25 Jahren eine Perspektive anzubieten.
({21})
Meine Güte, wo bleibt die Stellungnahme der Bundesregierung? Alle diese Vorschläge konzentrieren sich, was die Priorität der Prioritäten anbelangt, auf die Probleme der jungen Generation in Europa. Die Bundesregierung schweigt. Sie lehnen die bescheidenen Vorschläge, die im Parlament in den letzten Wochen dazu gemacht worden sind, nahezu ab.
Zweiter Vorschlag: Halbierung der Langzeitarbeitslosigkeit innerhalb von fünf Jahren. Wie kommentiert die Bundesregierung diese Vorschläge der europäischen Einrichtungen? Es sind wohlgemerkt nicht einmal unsere Vorschläge. Es sind Vorschläge einer ganzen Reihe von führenden europäischen Einrichtungen: Europäische Kommission, Beschäftigungsrat des Rates, Europäisches Parlament. Es sind nahezu einstimmige Vorschläge.
Vorschlag des Ratspräsidenten Juncker: Anteil der Arbeitslosen an Qualifizierungsmaßnahmen verdreifachen. Meine Damen und Herren, Sie werden in den nächsten Tagen Farbe bekennen müssen. Wir können es Ihnen nicht mehr durchgehen lassen, daß Sie mit großmäuligem Gerede darüber hinwegzutäuschen versuchen, daß Sie innerhalb der Europäischen Union mit Ihrer erzkonservativen Politik völlig isoliert sind.
Nächster Punkt: Der hier bereits mehrfach zitierte Ministerpräsident von Luxemburg, Herr Juncker, hat vor einer Woche in der Zeitung „Die Zeit" folgendes formuliert:
Wir müssen umsteuern, bisher ist unsere Politik viel zu passiv. Die fünfzehn EU-Staaten stecken jährlich die gewaltige Summe von 400 Milliarden Mark in ihre Beschäftigungspolitik. Aber davon gehen nur etwa 30 Prozent in aktive Maßnahmen wie Umschulung, Fortbildung oder neue Jobs, 70 Prozent fließen in rein passive Zahlungen wie Arbeitslosengeld.
Das ist übrigens genau die deutsche Situation. Juncker weiter:
Von hundert Arbeitslosen in Europa nehmen zur Zeit gerade mal zehn an einer Aus- oder Fortbildung teil. Der Gipfel sollte zum Beispiel beschließen, ihre Zahl innerhalb von fünf Jahren auf wenigstens 20 oder 25 Prozent zu steigern.
Weiter sagt er:
Bisher haben Europas Staats- und Regierungschefs sich immer nur auf breite literarische Übungen verständigt. Die Vorstellung, das zu wiederholen und dann in einem Jahr erneut festzustellen, daß nichts passiert ist, die ekelt mich - mit Verlaub gesagt - regelrecht an.
Auf Ihrem Parteitag der CDU vor wenigen Tagen hat er in seinem Referat unter anderem gesagt:
Manchmal höre ich in der Bundesrepublik: Ja, was der luxemburgische Ministerpräsident da sagt, konkrete Beschäftigungsziele, quantifiziert, und daß der die Regierungschefs Jahr für Jahr im Dezember dazu bewegen möchte, sich wieder mit diesen Richtlinien zu beschäftigen, das ist ja alles komisches Zeug, das wird ja eh nichts.
Dann sagte er:
Wir müssen versuchen, in Europa einen atmosphärischen Wechsel dadurch herbeizuführen, daß wir endlich etwas tun.
Der Ministerpräsident dieses kleinen, sehr kleinen Landes Luxemburg hat mehr Mut als die ganze Bundesregierung und alle sie tragenden Koalitionsabgeordneten dieses Hauses. Es ist wirklich blamabel!
({22})
Europa braucht ein neues, identitätsstiftendes Projekt. Für die arbeitslosen jungen Menschen brauchen wir das Projekt der sozialen Teilhabe. Friede ist für viele selbstverständlich geworden. Warum haben wir nicht den Mut, zu formulieren: Wir trauen uns zu, in den nächsten fünf Jahren jedem arbeitslosen jungen Mann und jeder arbeitslosen jungen Frau eine berufliche Perspektive zu geben?
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Im Bereich der Fiskalpolitik ist es möglich gewesen, in wenigen Jahren die im Maastrichter Vertrag formulierten sehr mutigen und sehr anspruchsvollen Ziele zu erreichen. Was in Sachen Geld möglich gewesen ist - heute wird ja gemeinhin angenommen, daß die hochgesteckten Ziele erreicht werden -, muß bei Menschen, vor allem bei jungen Menschen, erst recht möglich gemacht werden.
({24})
Deshalb sage ich Ihnen noch einmal: Wir brauchen den Mut, in diesen Gipfel mit klaren Zielvorgaben hineinzugehen. Das, was aus der Bundesregierung bisher zu hören ist, läßt eher das Gegenteil fürchten. Ich will Finanzminister Waigel laut der „Süddeutschen Zeitung" vom 14. Oktober dieses Jahres zitieren:
Kritisch beurteilte Finanzminister Waigel die Vorschläge der EU-Kommission zur Beschäftigung. Die Kommission lege ein zu starkes Gewicht auf die Arbeitsmarktpolitik. Auch strikte quantitative Vorgaben über die Schaffung neuer Jobs seien ein falsches Signal ...
Wenn das Linie der Bundesregierung in Luxemburg und im Vorfeld wird, dann blockieren Sie jeden Fortschritt in Sachen europäischer Beschäftigungsmaßnahmen und treiben Sie Deutschland in einem für Europa zentralen Thema in die Isolation.
({25})
Deshalb rufe ich Sie zu einem grundlegenden Kurswechsel auf. Unterstützen Sie aktiv diejenigen Kräfte, die wirksame Beschäftigungsmaßnahmen zur europäischen „Prioriät der Prioritäten" , so Jacques Santer, machen wollen. Leiten Sie diesen Kurswechsel unverzüglich ein. Greifen Sie den Antrag der SPD-Fraktion auf!
({26})
Dort gibt es genügend Ideen und Vorschläge, die den überfälligen Kurswechsel möglich machen und ihn erleichtern werden.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({27})
Das Wort hat der Kollege Rudolf Meyer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als praktischer Landwirt und gelernter Verbandspolitiker befasse ich mich seit mehr als 20 Jahren gezwungenermaßen mit Europapolitik und erlebe deren Auswirkungen - meist im negativen Sinne - auf meinem Kontoauszug.
Dabei habe ich gelernt, daß sich, bei aller Kritik im Detail, über die man hier lang streiten könnte, für Europa ein riesiges gesellschaftspolitisches Chancenpotential eröffnet hat und dieses „window of opportunity" - man kann sogar sagen: „wonder of opportunity" - von den Ländern der Europäischen Union in brillianter Weise genutzt wird, um Europa dauerhaft den Frieden zu sichern, darüber hinaus den gesellschaftlichen Wohlstand zu stabilisieren und im RahRudolf Meyer ({0})
men des Möglichen weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund begrüße ich jede Initiative, die dem Plenum des Deutschen Bundestages Gelegenheit gibt, europapolitische Debatten zu führen.
Der europäische Sondergipfel ist mit Sicherheit ein solcher Anlaß. Gegenwärtig ist es - das hat die Debatte gezeigt - natürlich zu früh, sich mit Detaildiskussionen oder quasi-imperativen Mandaten des Bundestages an die Bundesregierung oder gar mit vorweggenommenen Ergebnissen zu befassen. Von daher wäre es sicher besser gewesen, wenn der Antrag der SPD im Vorfeld des Sondergipfels in der nächsten Sitzungswoche zusammen mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers beraten worden wäre.
Wenn nun heute für die SPD eine Extrawurst gebraten wird
({1})
- dazu komme ich gleich; immer ruhig, meine Damen und Herren -, so darf man wohl getrost unterstellen, daß die SPD wieder einmal versucht, die Bundesregierung vorzuführen, obwohl es objektiv betrachtet just zu diesem Thema überhaupt nicht den geringsten Anlaß gibt.
({2})
Die Union ist mit Helmut Kohl an der Spitze seit vielen Jahren der Hauptantreiber für konstruktive Europapolitik. Ich möchte nicht wissen, auf welchem Niveau sich
({3})
- hören Sie einmal einen Augenblick zu - bei allem Respekt vor dem Problem, das sich uns angesichts von 18 Millionen Arbeitslosen in der EU stellt, die Arbeitslosenstatistik in Europa heute befinden würde,
({4})
wenn es die bisherige europäische Zusammenarbeit bis hin zum Maastricht-II-Vertrag nicht gegeben hätte.
({5})
Die aktuelle Europapolitik der Vollendung des Binnenmarktes einschließlich der Einführung des Euros verbunden mit einer zukunftsorientierten Strukturpolitik inklusive einer gesteigerten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bietet exzellente Voraussetzungen für mehr Beschäftigung, für mehr Arbeitsplätze in Europa und damit auch in Deutschland. Es gibt viele Beispiele, die man an dieser Stelle nennen könnte und über die wir im entsprechenden Kreis ständig diskutieren.
Daß dieser Weg richtig ist, erkennt doch auch die SPD in ihrem Antrag an. Sie fordert in großen Teilen des Papiers Dinge, die als Selbstverständlichkeit betrachtet werden können, wobei ich es sehr begrüße, daß wenigstens in der Europapolitik in vielen Punkten Konsens besteht und wir uns damit diesen Weg in die Zukunft nicht auch noch verbauen.
Was allerdings die nationalen Hausaufgaben zur Beschäftigungspolitik angeht - das sind nun wirklich unsere ureigenen Aufgaben, bei denen uns die EU sowohl vor als auch nach dem Sondergipfel nur bedingt unterstützen wird -, muß ich mich allerdings über die Forderungen der SPD wundern. Für wie dumm, glauben Sie eigentlich, lassen sich unsere Mitbürger verkaufen, wenn Sie mit Forderungen auftreten, die im Rahmen unserer Reformvorhaben längst vorgelegen haben? Sie haben mit Ihrer Haltung im Bundesrat dafür gesorgt, daß die große Steuerreform, die uns alle einen gewaltigen Schritt nach vorn gebracht hätte,
({6})
nun um ein Jahr verschoben werden muß. Sie haben dafür gesorgt, daß andere Reformen bundesratszustimmungsfrei verabschiedet werden mußten - mit all den Unzulänglichkeiten in der praktischen Umsetzung.
Herr Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Gerne.
Herr Kollege Meyer, Sie haben gerade in bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von einem großen Schritt gesprochen, der durch die Steuerreform erreicht worden wäre. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß in der Anhörung zu dieser großen Steuerreform zum Beispiel vom Kieler Institut für Weltwirtschaft gesagt worden ist, daß die Verschärfung der Abschreibungsregelungen für sich genommen dazu führen, daß Anlageinvestitionen in Deutschland weniger attraktiv werden - unabhängig davon, ob der potentielle Investor In- oder Ausländer ist. Es werde somit das Gegenteil dessen erreicht, was angestrebt werde. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung stellte fest: Die intendierten positiven Beschäftigungswirkungen werden kaum spürbar sein werden.
Herr Kollege von Larcher, dies ist eine Zwischenfrage.
({0})
Ich bin sofort fertig. - Herr Eekhoff sprach in bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch die Steuerreform sogar von einer Mogelpackung. Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
({0})
Wenn Sie mich fragen, ob ich das zur Kenntnis nehmen würde, dann antworte ich natürlich: Ich tue das. Aber ich bin
Rudolf Meyer ({0})
mir sicher, daß es auch wissenschaftliche Aussagen gibt, die genau das Gegenteil dessen beinhalten, was Sie angeführt haben. Im übrigen möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ich die Passage bezüglich der nationalen Politik hier nur deswegen anbringe, weil sich Ihr Antrag zu einem großen Teil mit urnationaler Politik befaßt.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie schaffen mit Ihrer Politik, so wie ich sie in diesem Bereich erlebt habe, weder bei den Arbeitnehmern Vertrauen auf langfristigen Erhalt ihrer Arbeitsplätze, noch erwecken Sie bei den Arbeitslosen Hoffnung, daß sich an ihrer Situation in naher Zukunft etwas verändern könnte.
Wenn Sie darüber hinaus von der EU erwarten, daß Maßnahmen der Kommission, ausgestattet mit entsprechenden Kompetenzen, uns in unseren Problemen wesentlich weiterhelfen, dann befinden Sie sich mit Sicherheit im Irrtum. Harmonisierung im Sozialbereich auf EU-Ebene bedeutet meistens Abstriche für unser Sozialsystem, worauf Sie sich doch keineswegs einlassen.
({2})
Ich erinnere nur an die europäische Richtlinie hinsichtlich der Betriebsräte, wo wir eine ganz andere Position vertreten. EU-Projekte zur Beschäftigungssicherung und -erweiterung bedeuten den Abzug von nationalen Mitteln, deren effizienter Einsatz auf EU-Ebene überhaupt nicht gesichert ist.
Unser Feld, meine Damen und Herren, müssen wir selbst bestellen. Da helfen uns EU-Projekte - sie helfen sicher - nur ganz am Rande.
({3})
Arbeitsplätze werden dezentral geschaffen; dies müssen wir politisch begreifen und vor allen Dingen im Sinne unseres Programmes für Wachstum und Beschäftigung politisch begleiten,
({4})
welches in wesentlichen Teilen umgesetzt ist und von dessen Erfolg ich zutiefst überzeugt bin. Dabei wären wir schon wesentlich weiter, wenn Sie sich bei der Suche nach Konsens auch ein wenig beteiligt und nicht mit Neiddiskussionen und -parolen jede Entwicklung blockiert und damit reale Zukunftschancen für mehr Arbeitsplätze leichtfertig aufs Spiel gesetzt hätten.
In Zukunft kommen weitere Herausforderungen auf Europa zu. Mit der Agenda 2000 zeichnet sich ein roter Faden der zukünftigen EU-Politik ab - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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Es werden für uns alle große Chancen deutlich, aber auch die Risiken, gerade in der Sozialpolitik, lassen sich zwischen den Zeilen leicht herauslesen. Darin sind wir uns doch einig. Vor diesem Hintergrund ist ein Beschäftigungskapitel im EU-Vertrag wichtig. Es schafft für uns die Möglichkeit, zum Beispiel die arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen einer EU-Erweiterung rechtzeitig zu erkennen und mit in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Auf dem EU-Sondergipfel werden viele arbeitsmarktpolitische Herausforderungen diskutiert; er wird mit dazu beitragen, den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu verstärken. Hierin sehe ich auch seine Hauptaufgabe. Er dient nicht dazu, von den Problemen in Deutschland und schon gar nicht von denen der SPD abzulenken. Sie haben im Rahmen der großen Reformen viele Chancen gehabt, konstruktiv mitzuarbeiten und dabei eigenes Profil zu gewinnen.
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- Auch Sie, Frau Wieczorek-Zeul! - Mit dieser heutigen Sonderveranstaltung zum Thema Europa gewinnen Sie dieses Profil mit Sicherheit nicht zurück.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/8747, 13/8848 und 13/ 8849 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8747 soll zusätzlich an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
Der Anlaß für diese Aktuelle Stunde ist, daß die Koalitionsfraktionen zur Zeit ein Papier zur Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes diskutieren. Positiv daran ist, daß die vom Bundesrat angeregte Verbesserung der Bedingungen für Biogasanlagen aufgenommen wurde.
({0})
Positiv aus unserer Sicht ist auch, daß der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen übernommen wurde, daß zukünftig der Netzbetreiber und nicht
mehr der Stromproduzent zur Aufnahme und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen verpflichtet ist. Dadurch wird das Gesetz wettbewerbsneutral.
({1})
Leider wurde unsere Anregung, dadurch den regionalen Ausgleich bundesweit völlig unproblematisch zu ermöglichen, nicht aufgenommen. Das wäre verfassungskonform und wird von der EU ausdrücklich gewünscht. Statt dessen steht in der Härtefallregelung immer noch die 5-Prozent-Deckelung, gegen die wir entschieden sind. Ich hoffe, daß sie auch noch entfällt. Aber da selbst Preussenelektra auf der Anhörung gesagt hat, daß unser Vorschlag eines regionalen Ausgleichs gut sei, bin ich doch guten Mutes, daß wir Sie auch noch in diesem Punkt überzeugen können.
Ich werte diese Fortschritte im Stromeinspeisungsgesetz als Erfolg guter Oppositionsarbeit.
({2})
So weit, so gut. Aber der Grund für diese Debatte liegt in der Ungeheuerlichkeit, daß der Uldall-Vorschlag wieder auf dem Tisch liegt. Die Anhörung und die Demonstration zum Stromeinspeisungsgesetz am 23. September in Bonn haben doch gezeigt: Die einzigen, die für die Absenkung der Einspeisevergütung sind, sind die Stromkonzerne. Auf der Demo haben Arbeitgeber und IG Metall, Umweltverbände und Bauernverbände Seite an Seite dagegen protestiert. Das ist die breite gesellschaftliche Mehrheit. Der Uldall-Vorschlag ist aus meiner Sicht deswegen der Vorschlag der Stromkonzerne.
({3})
Warum fahren Sie überhaupt noch nach Kyoto, wenn Sie gleichzeitig den einzigen Ansatz in der Politik, mit dem das CO2-Ziel noch erreicht werden kann, systematisch kaputtmachen? Nicht alle von Ihnen, aber, wie gesagt, die Uldalls und Friedhoffs.
Die Absenkung der Vergütung würde nämlich eine weitere Markteinführung und Ausweitung der Windenergie im Binnenland unmöglich machen. Das wäre ein absoluter Genickschlag für eine dynamische Branche, die 10 000 Arbeitsplätze neu geschaffen hat und in der noch sehr viel Potential für neue Arbeitsplätze liegt.
({4})
Jetzt gilt es, die küstenfernen, schwierigen Standorte zu erobern. Das allein reicht aus unserer Sicht als Innovationsdruck vollständig aus. Sie wissen auch genau, daß wir noch gar nicht wissen können, welche Ertragslage sich später ergeben wird. Denn keine dieser Anlagen läuft für eine solche Aussage lange genug.
Sie selbst haben vor kurzem noch gesagt: Im Jahre 2001 wird überprüft. Das sollten wir dann auch machen, aber nicht nur mit Zahlen von Preussenelektra, sondern an Hand von objektiven Gutachten. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber nicht bei Ihnen, jedenfalls nicht bei einigen von Ihnen, bei denjenigen nämlich nicht, die der lange Arm der Stromkonzerne hier in diesem Parlament sind. Ich fordere Abgeordnete wie Herrn Ramsauer, Herrn Hirche, Herrn Carstensen oder Herrn Austermann auf, daß sie auch jetzt ganz eindeutig gegen den Uldall-Vorschlag Stellung beziehen. Auch Friedhelm Ost sollte sich das überlegen; denn in seinem Kreisverband Paderborn werden inzwischen 10 Prozent der Energieversorgung durch Windenergie bereitgestellt. Wenn er dagegen Stellung bezieht, wird er sich in Paderborn nicht mehr sehen lassen können.
Ich prophezeie, daß es für diesen Vorschlag keine Mehrheit in diesem Parlament geben wird und daß es eine Niederlage für die Uldalls und Friedhoffs an diesem Punkt geben wird.
({5})
Parallel dazu diskutieren Sie die Alternative, die Gewinne auf die Rendite festverzinslicher Wertpapiere im Inland zu beschränken. Was ist denn das für eine realsozialistische
({6})
Satire? Warum, bitte, soll denn ein Unternehmer investieren, wenn er das Geld auch ohne jegliches Risiko mit dem gleichen Gewinn in Bundesschatzbriefen anlegen kann? Warum soll er überhaupt die Kosten reduzieren, wenn er mit der Absenkung der Vergütung bestraft wird? Das wäre der sicherste Weg, wie wir niemals unter 17 Pfennig kommen. Dieses sozialistische Vergütungsmodell muß deswegen schnellstmöglich vom Tisch.
({7})
Daß Sie ständig - immer wieder und ohne aufzuhören - über die Verschlechterung der Bedingungen dieser innovativen Branche reden, schafft dort Verunsicherung und hat viel Schaden angerichtet. Hören Sie endlich auf damit! Werfen Sie dieser Branche nicht ständig weiter Knüppel zwischen die Beine!
Man kann Ihre Politik, jedenfalls diejenige der Uldalls und Friedhoffs, in den Worten zusammenfassen: Alle reden vom Innovationsstandort - wir zerstören ihn. Bei wachsender Weltbevölkerung und bei wachsendem Energieverbrauch und angesichts der begrenzten Aufnahmekapazität der Atmosphäre für CO2 sind die erneuerbaren Energiequellen ein sicherer und wachsender Zukunftsmarkt. Andere Länder fördern sie mit aller Kraft, wie zum Beispiel das kleine Dänemark, das durch offensive Marketingkonzepte und durch die Zusammenarbeit von Staat und Pionierunternehmen 64 Prozent des Weltmarkts in diesem Bereich erobern konnte.
Wir wollen den Einstieg in das Solarzeitalter. So läßt sich der Gedanke von Rio, eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen, verwirklichen, und so läßt sich die Bewahrung der Lebensgrundlagen mit wirtMichaele Hustedt
schaftlichem Erfolg verbinden. Hören Sie also auf mit den Störmanövern! Kehren Sie zu den konstruktiven Verbesserungen zum Stromeinspeisungsgesetz zurück! Dieses Gesetz ist jetzt um so notwendiger, denn in ihm steckt die Hoffnung für das 21. Jahrhundert.
({8})
Herr Kollege Uldall, sind Sie einsatzbereit? - Dann haben Sie das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe zunächst einmal für Sie, liebe Frau Kollegin Hustedt, eine gute Nachricht. Sie lautet: Es wird von seiten der Koalition keinen Vorschlag in bezug auf eine Änderung der Vergütung geben.
({0})
- Ich dachte, der Beifall würde ein bißchen stärker ausfallen.
({1})
Ich hoffe nur, daß ich jetzt Ihre gesamte Debattenstrategie nicht gegen die Wand gefahren habe und daß Sie Ihre vorbereiteten Reden jetzt noch verwenden können.
Es bleibt dabei: Es wird keine Festschreibung der Vergütung auf 16 oder 17 Pfennig geben.
({2})
Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich eine andere Auffassung vertreten habe, nämlich daß es besser gewesen wäre, jetzt eine solche Festschreibung vorzunehmen. Diese Regelung, verbunden mit einer Festschreibung - wie ich das eben ausgeführt habe -, hätte eine größere Planungssicherheit für die Verfechter der Windenergie bedeutet. Das ist überhaupt keine Frage. Denn eine Absenkung der Vergütung
({3})
wird jetzt kommen. Sie wird natürlich kommen,
wenn wir das Energiewirtschaftsgesetz verabschieden. Wenn das Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet ist, werden die Strompreise in Deutschland erfreulicherweise sinken.
({4})
Mit der bestehenden Regelung erfüllen wir Ihre Wünsche, Frau Kollegin. Eine Regelung, wie wir sie vorgesehen hatten, hätte eine größere Planungssicherheit bewirkt.
({5})
Die Strompreise werden nicht mehr gesenkt, indem wir eine Höchstmenge definieren. Wir wollen vielmehr eine gleichmäßige Festsetzung der Strompreise in ganz Deutschland erreichen. Damit unterstützen wir den windstarken Standort an der Küste genauso wie den windschwachen Standort.
({6})
- Die Menge des an einem windstarken Standort erzeugten Stromes ist natürlich viel, viel größer als die Menge des Stromes, der in einem windstillen Tal irgendwo im Mittelgebirge erzeugt wird. Das heißt, Sie haben eine sehr schnelle Amortisation an der Küste, und Sie haben eine sehr schwache Amortisation im Binnenland. Da frage ich: Ist das eigentlich im Sinne einer langfristigen Förderung der Windenergie? Das kann ich beim besten Willen nicht feststellen.
({7})
Der Beitrag der Windenergie zur Energieversorgung in Deutschland wird sich in sehr begrenztem Rahmen halten - es sei denn, es wird eine große Erfindung gemacht. Auf diese Erfindung warten wir noch immer. Sie müßte darin bestehen, daß an 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden am Tag gleichmäßig Wind weht. Das wird selbst den tüchtigsten Professoren nicht gelingen. Solange dieses nicht gelungen ist, muß es auch in Zukunft für jede Windanlage entsprechende Kapazitäten an konventionellen Kraftwerken oder Kernkraftwerken geben. In Deutschland kann kein einziges Kraftwerk abgeschaltet werden - trotz der vielen Windenergieanlagen, die wir in Deutschland bisher installiert haben. An Tagen wie heute - an der Küste in Norddeutschland ist es sehr kalt, absolut windstill - nützt uns die Windenergie überhaupt nichts. Das zeigt, wie begrenzt die Möglichkeiten der Windenergie sind.
Ich möchte noch eine zweite gute Nachricht bringen. Wir werden die Deckelung bei 5 Prozent, beantragt durch die rot-grüne Landesregierung Schleswig-Holsteins, von seiten der Koalition akzeptieren.
({8})
- Ich meine den Bundesratsantrag; Zustimmung durch das Land NRW mit rotgrüner Regierung,
({9})
von den Hessen mitgetragen. Diesen Antrag werden wir hier annehmen.
Ich kann mir vorstellen, daß es den Kollegen von der roten und der grünen Fraktion sehr schwerfallen wird, den entsprechenden Anträgen, die von den Umweltministern dieser Länder eingebracht worden sind, weiter zu widersprechen, so daß ich davon ausgehe, daß sie unseren Anträgen zustimmen.
Meine Damen und Herren, ich habe hier eine Liste - ich kann sie leider nicht mehr vorlesen - über die Einspeisungsvergütung in den europäischen Ländern. In allen europäischen Ländern ist die Einspeisungsvergütung bei weitem nicht so hoch wie bei uns.
({10})
Also frage ich: Sind unsere Windmüller nicht so tüchtig wie die in den anderen Ländern? In Österreich 0,3 ECU, in Dänemark 0,6 ECU, in Frankreich 0,4 ECU, in Deutschland 0,8 ECU, in den Niederlanden 0,5 ECU, in Schweden 0,3 ECU, in England 0,5 ECU. In einem zusammenwachsenden Europa wird es wohl möglich sein, daß wir hier die gleichen Verhältnisse schaffen wie in den Nachbarländern, zumal der Wind in Europa überall der gleiche ist.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dietmar Schütz, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, daß wir durch das Stromeinspeisungsgesetz eine Erfolgsgeschichte sondergleichen gehabt haben, an der wir alle - auch Sie von der Koalition - unseren Anteil hatten. Diese Geschichte sollten wir eigentlich aufrechterhalten.
Wir haben - ich erinnere daran -1992 etwa 100 MW Strom aus der Windkraft am Netz gehabt. Wir haben heute ungefähr 1600 MW durch die Windenergie. Das finde ich beachtlich. Durch die jetzt auftretende Diskussion kommt es zu einer massiven Verunsicherung der Stromeinspeiser und -produzenten, die wir schleunigst beenden müssen, damit wir nicht noch einmal erleben, wie ein so renommiertes Unternehmen wie Tacke über den Deister geht.
({0})
Das hat auch etwas damit zu tun, daß sich die Nachfragesituation geändert hat.
Wenn man sieht - ich bin Nachbar von Enercon -, daß bei diesem Erfolgsunternehmen, das jedes Jahr sowohl den Betriebsumsatz als auch die Anzahl der Beschäftigten verdoppelt hat, jetzt gebangt und gebibbert wird, weiß man, daß wir jetzt zu vernünftigen Lösungen kommen müssen und an dieser Front für regenerative Energien Ruhe einkehren lassen und Vertrauen im Lande herstellen müssen.
({1})
Herr Uldall, bei Ihren Vorschlägen wußte ich nicht, welche Meinung genau Sie jetzt vertreten. Nach wie vor halte ich es nicht für völlig richtig, Herr Uldall - wir haben einen anderen Vorschlag dazu gemacht -, daß wir die 90-Prozent-Regelung des Stromeinspeisungsgesetzes übernehmen, wie Sie jetzt noch einmal gesagt haben. Es ist aber ein Fortschritt gegenüber den anderen Überlegungen, die Sie angestellt haben.
Mit einem haben Sie völlig recht: Die 90 Prozent bedeuten eine Absenkung des Preises, weil wir in der Tat auf Grund der liberalisierten Märkte eine Preisentwicklung nach unten bekommen. Deswegen haben wir in unserem Gesetzentwurf die 17 Pfennig festgeschrieben, um hier eine permanente Größe zu schaffen. Ich glaube, das ist nach wie vor richtig.
Ich finde es gut, daß Sie jetzt - wie ich gehört habe - den Abnehmer im Gesetz festschreiben und das Stromeinspeisungsgesetz in das Energiewirtschaftsgesetz integrieren wollen. Aber Sie haben sich nach wie vor nicht dazu geäußert, was Sie gegen die besonderen Belastungen in den norddeutschen Küstenländern machen wollen. Sie wissen, daß wir den sehr vernünftigen Vorschlag gemacht haben, einen Kostenausgleich auf der Netzebene der gesamten Bundesrepublik herzustellen. Das ist deswegen gerecht, weil es nicht sein kann, daß die Sonderbelastung von 400 Millionen DM - ich will die Zahl nicht als richtig anerkennen, aber sie wird von der Preussen Elektra genannt - nur das norddeutsche Küstengebiet trifft und die anderen Bundesländer verschont bleiben. Dies müssen wir ändern. Wir wollen das durch einen Kostenausgleich auf der Netzebene erreichen. Wir wollen dadurch die Wettbewerbsverzerrung aufheben.
({2})
- Nein, Herr Friedhoff, genau das ist nicht richtig. Dieser Kostenausgleich ist möglich. Ich erinnere an den Brief der EU-Kommission an Herrn Ost. Darin wurde quasi als neue Härteklausel formuliert, daß es möglich sei, die lokale Belastung der Betreiber der Verteilungsnetze auf einer höheren Netzebene geographisch zu verteilen.
Ich finde es nicht richtig - was Sie offensichtlich verfassungsjuristisch denken -, daß Sie das mit dem Kohlepfennig vergleichen. Das ist eine andere Struktur. Wir haben unsere Verfassungsjuristen dazu gefragt. Ich selbst bin auch Jurist genug, um darüber nachdenken zu können. Ich halte es nicht für eine vergleichbare Situation. Sie sollten die Vergleichbarkeit mit dem Kohlepfennig wirklich noch einmal von der Regierung prüfen lassen. Hier wird eine von der EU erlaubte Ausgleichsregelung möglich gemacht, die wir auch schaffen sollten. Deswegen werbe ich sehr für diesen Kostenausgleich, um Schleswag, EWE und Preussen Elektra als nachgeordnetes Unternehmen zu entlasten.
Dietmar Schütz ({3})
Herr Uldall, es mag trickreich klingen, daß Sie den Vorschlag des Landes Schleswig-Holstein im Bundesrat hinsichtlich der doppelten Deckelung übernommen haben. Der Bundesratsvorschlag läuft jedoch bei der jetzigen Diskussion leer. Wenn wir die Liberalisierung erreichen, weiß ich nicht, welches dann das vorgelagerte und welches das nachgelagerte Unternehmen ist. Man muß darüber nachdenken, ob das noch stimmt.
Darüber hinaus haben wir als Bundestagsfraktion immer gesagt: Der zweite Deckel begrenzt den Einsatz von regenerativen Energien. Der zweite Deckel läßt eine bestimmte Grenze zu. Man kann darüber streiten, wieviel das ist. Wir haben immer gesagt, daß die Einspeisung im Jahre 2001/2002 zu Ende ist, weil dann zumindest in Norddeutschland schon der Dekkel greift. Wir haben gesagt: Statt dieser Härtefallklausel, die das Land Schleswig-Holstein vorgeschlagen hat, die den zweiten Deckel betrifft, sind wir sehr dafür, daß wir den Kostenausgleich bei der Einspeisungsvergütung herstellen. Ich glaube, das ist die vernünftige Lösung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Wir müssen - ich glaube, viele von uns haben den Willen, das zu tun - hier wieder schleunigst eine Versicherung schaffen, damit wir eine Einspeisesituation auch hinsichtlich der Biomasse bekommen - ich begrüße, daß Sie dies jetzt mit aufgenommen haben -, um den Vormarsch der regenerativen Energien, der in Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern so erfolgreich war, auch weiterhin zu sichern.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Paul Friedhoff, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist gerade gesagt worden - ich bin sehr froh darüber, Herr Schütz, daß Sie es gesagt haben -, daß dieses Gesetz unter der Federführung des hier immer als neoliberaler Wirtschaftsminister apostrophierten Helmut Haussmann 1990 durch das Parlament gebracht wurde. Wie erfolgreich es ist, kann man daran sehen, daß die Zahl der Anlagen in dem Zeitraum von 1990 bis 1995 um 700 Prozent zugenommen hat. Das war beabsichtigt, und wir sind recht zufrieden damit.
Es ist aber auch richtig, daß dieses Gesetz, das 1990 - ohne daß man Erfahrungen hatte - verabschiedet wurde, auf seine Zweckmäßigkeit überprüft werden muß, darauf, ob es heute noch sinnvoll ist. Wenn man weiß, wie die technische Entwicklung durch dieses Gesetz gefördert worden ist, wieviel besser der Wirkungsgrad solcher Anlagen geworden ist, wieviel preiswerter auch die Stromerzeugung aus Wind geworden ist, dann muß man sagen: Es muß erlaubt sein, darüber einmal nachzudenken, ohne daß man diffamiert wird, ohne daß einem alles mögliche unterstellt wird, wie das von den Windverbänden, von der Opposition laufend getan worden ist. Wir lassen uns dadurch nicht beirren. Wir überlegen uns das, was notwendig ist.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir das Gesetz novellieren müssen. Ein ganz wesentlicher Grund dafür war, daß in dem neuen Energierecht der Adressat gar nicht mehr vorhanden ist. Deswegen ist es selbstverständlich, daß derjenige, an den die Rechnung geschickt werden muß, wenn es keinen Monopolisten mehr gibt, gesetzlich neu bestimmt werden muß. Wir haben das entsprechend geregelt.
({0})
Diese Regelung ist hier bereits besprochen worden. Sie ist identisch mit dem, was seitens des Bundesrates vorgeschlagen worden ist.
Man kann darüber nachdenken, daß Sie das jetzt kritisieren und verniedlichen und sagen, das sei alles verkehrt gemacht worden. Aber ich glaube, der Protest wird vermutlich deswegen etwas geringer sein, weil das aus Ihren Reihen stammt, und wir werden das so machen müssen. Die Problematik, die Sie aufgerissen haben, daß es sich dabei natürlich möglicherweise um einen zweiten Deckel handelt, der dann dazu führt, daß zwar die Abnahme von Windstrom garantiert wird - darüber gibt es eine Verbändevereinbarung -, daß aber die Höhe der entsprechenden Vergütung damit nicht gesichert ist, ist gegeben. Aber ich bin ziemlich sicher, Herr Schütz, daß wir, bevor dieser Deckel greift, in diesem Haus über dieses Gesetz noch einmal reden müssen. Es stehen ja einige Entscheidungen nicht nur aus Brüssel, sondern auch aus Karlsruhe an.
Nachdem wir uns intensiv darüber Gedanken gemacht haben, wie wir die Vergütung möglicherweise neu regeln können und wir hier nicht den Stein des Weisen gefunden haben, der dazu geführt hätte, daß die dazu unterbreiteten Vorschläge mehrheitsfähig sind, sollten wir es aus diesem Grunde bei dem belassen, was auch von Ihnen immer wieder gefordert worden ist. Allerdings: Mit der Maßgabe „90 Prozent von einem sinkenden Strompreis" sinkt auch die Vergütung für den Windstrom. Das ist völlig klar, und auf diesem Weg bewegen wir uns.
Wir wollten aber noch etwas mehr tun und haben gesagt: Wir wollen eine andere technische Entwicklung mit dem Stromeinspeisungsgesetz anstoßen, nämlich auf dem Gebiet der Biomasse, weil wir dort größere Chancen sehen, insbesondere auch deswegen, weil dort eine Stromquelle erschlossen wird, die nicht nur dann angezapft werden kann, wenn zufällig Wind weht, sondern die kontinuierlich - so wie bei anderen Stromerzeugungsverfahren auch - Strom erzeugen kann, und zwar abnehmerorientiert. Sie hat somit den großen Vorteil, Kosten in einer anderen Größenordnung zu vermeiden, als das beim Windstrom je der Fall sein wird.
Aus diesem Grunde haben wir die Novellierung vorgenommen. Wir werden sie in den nächsten Tagen sicher abschließen und erfolgreich zum Ende kommen, so daß wir mit diesem Gesetz wie auch mit dem Energierecht rechtzeitig die Blätter erreichen, in denen Gesetze bei uns verkündet werden.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Opposition und außerparlamentarischer Widerstand sind offensichtlich doch nicht so ganz sinnlos; denn nur so ist es zu erklären, daß wir jetzt die positive Nachricht vernehmen konnten, daß es bei der Windstromvergütung in ihrer bisherigen Form bleibt. Es gibt auch gar keinen Grund, an dieser Vergütung herumzubasteln, da die meisten Windkraftanlagen erst seit ungefähr fünf Jahren in Betrieb sind.
({0})
- Ein paar wenige, sicherlich, Herr Friedhoff. Auf jeden Fall aber liegen noch nicht genügend Erfahrungen über die Langzeitinstandhaltungskosten und über die Lebensdauer solcher Anlagen vor, so daß man noch gar nicht sagen kann, welche Amortisation des eingesetzten Kapitals sich am Ende ergeben wird. Von daher sind wir der Meinung, daß es durchaus bei der bisherigen Vergütung bleiben kann. Wenn in einigen Jahren die erforderlichen Informationen vorliegen, kann man das vielleicht überprüfen.
Nach unserer Auffassung sollten die wirtschaftlichen Daten solcher Anlagen veröffentlicht werden, denn ungerechtfertigte Gewinne dürfen nicht gemacht werden.
({1})
Das gilt, Herr Friedhoff, vor allen Dingen für die PreussenElektra, die Deutsche Bank und andere Konzerne, bei denen gewaltige Gewinne anfallen.
({2})
Wenn ich heute in der Zeitung lese, daß allein die Deutsche Bank in diesem Jahr eine Steigerung des Gewinns nach Steuern - das heißt nach dem, was sie nicht verstecken konnte - in Höhe von 56 Prozent verzeichnet, dann muß ich feststellen, daß da die Gewinne gemacht werden und nicht bei den paar Bauern, die ein Windrad auf dem Acker haben. Gönnen Sie denen doch die paar Mark!
({3})
Kurz noch zum doppelten Deckel: Wir sind der Meinung, daß Mehrkosten für Windstrom gesellschaftlich zu tragende Kosten sind. Sie sollten deshalb über Netzbenutzungsgebühren bundesweit umgelegt werden. Dies wäre die vernünftigste Lösung. Der doppelte Deckel wäre insofern also unsinnig.
({4})
- Weil zum Beispiel in Norddeutschland schon in wenigen Jahren ein Windstromanteil von 10 Prozent erreicht werden könnte. Dann würde das greifen.
Dazu noch eine Bemerkung, Herr Kollege Uldall: Es ist nicht notwendig, daß der Wind an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden lang weht. Wenn wir zu mehr Windstrom und mehr Strom aus sonstigen regenerativen Quellen kommen, die wie Solarenergie ebenfalls wetterabhängig sind, dann brauchen wir zusätzlich intelligente Laststeuerungen. Dann kann die Wäsche in Waschmaschinen nur gewaschen werden, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Hier gibt es noch eine ganze Reihe von intelligenten Lösungen.
({5})
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich freue mich darüber, daß es bei dieser Windstromvergütung bleibt.
({6})
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung Herr Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch für die Bundesregierung gilt, daß das Stromeinspeisungsgesetz nicht zur Disposition steht. Es ist ein wirksames Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien; es ist Bestandteil der Energiepolitik und der Umweltpolitik.
Aber, meine Damen und Herren, der Anwendungsbereich ist begrenzt und erfaßt nur die Stromerzeugung außerhalb der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft. Wir sind dafür, daß auch die EVUs und der Wärmemarkt einen Beitrag dazu leisten, daß erneuerbare Energien stärker als bisher genutzt werden. Deshalb wollen wir gerade dafür die Rahmenbedingungen in der ganzen Breite verbessern. Ein Beispiel dafür ist das Bauplanungsrecht, das es möglich macht, daß die Gemeinden in Zukunft im Außenbereich leichter Windparks genehmigen. Ich will auch die Zinsverbilligungsprogramme des Bundes erwähnen, die für erneuerbare Energien geöffnet worden sind.
Bundesregierung und Koalition geht es bei der Novellierung des Stromeinspeisegesetzes in dieser Legislaturperiode um dreierlei:
Erstens wird das Gesetz an das neue Energiewirtschaftsrecht angepaßt, das noch im November dieses Jahres im Bundestag beraten werden soll. Auch im neuen wettbewerblichen Ordnungsrahmen muß jeder Windmüller und jeder andere alternative Energieerzeuger klar wissen, wer seinen Strom abzunehmen hat. Daher wird, wie erwähnt, ausdrücklich festgelegt, daß der Netzbetreiber die Pflichten aus dem Stromeinspeisegesetz zu erfüllen hat.
Zweitens will die Bundesregierung mit dem Stromeinspeisegesetz generell die Stromerzeugung aus Biomasse begünstigen. Die schwierigen Abgrenzungsprobleme des geltenden Rechts werden damit auf einen Schlag beseitigt.
Drittens soll im Gesetz eine freiwillige Selbstverpflichtung der EVUs verankert werden. Die EVUs erhöhen die Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien und Kraft-Wärme-Kopplung, und die Bundesregierung kann dafür die Ziele festsetzen. Wir wollen, daß die EVUs wirklich substantielle Anstrengungen unternehmen, um erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung in Zukunft stärker zu nutzen. Mit dem neuen Gesetz werden die Chancen, dies ohne zusätzliche Reglementierungen und Bürokratie zu machen, wirklich verbessert.
Keine Änderung wird es in dieser Legislaturperiode bei der Förderung der Windenergie geben. Über das Ob und Wie einer begrenzten Korrektur zur Förderung bei Wind hat die Koalition intensiv und, wie ich meine, auch sehr verantwortungsvoll diskutiert. Wir werden jetzt weder eine Degression der Förderung vornehmen, noch werden wir die geförderte Menge Strom pro Anlage beschränken. Damit werden die Investoren und die beteiligten Banken keine Unsicherheiten bei der Kalkulation neuer Vorhaben haben. Diese Unsicherheiten werden beseitigt. Damit bleibt dann auch den Betreibern Zeit, die Leistungsfähigkeit der neuen Anlagen unter Beweis zu stellen.
Meine Damen und Herren, die technologische Spitzenposition der deutschen Hersteller ist unbestritten, und wir können auf erhebliche Erfolge in unserem Land verweisen. Bei der Windkraft ist Deutschland wirklich Weltmeister. In keinem anderen Land der Erde ist so viel Kapazität installiert wie bei uns. Aber längerfristig kommt es auch darauf an, die windgünstigen Standorte außerhalb Deutschlands, im benachbarten Ausland zu nutzen. Hier sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig.
Unser gegenwärtiges Fördersystem ist, wie wir wissen, nicht ohne Probleme. Das ist hier gesagt worden; vor allem der Kollege Friedhoff hat das unterstrichen. Das ist kein Tabu. Man muß nach gewisser Zeit über die Förderbedingungen und das Fördersystem nachdenken können, ohne daß man diskriminiert wird. Das ist leider nicht geschehen.
Auch jetzt bleibt, wie wir alle wissen - ich glaube, auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition -, das Problem der regionalen Differenzierung der Förderung auf der Tagesordnung. Das ist nicht aus der Welt; denn die Stromproduktion pro Anlage variiert je nach Windgeschwindigkeit bis zum Faktor drei oder gar bis zum Faktor vier. Das ist nun einmal so. Hinzu kommt die beträchtliche Belastung in der Küstenregion. Für die Betriebe und auch für die Verbraucher an der Küste kann das leicht zu einem Standortnachteil führen. Ich habe Verständnis dafür, daß gerade von der Küste - unabhängig von der politischen Couleur - erhebliche Bedenken laut werden. So hat Schleswig-Holstein über den Bundesrat vorgeschlagen, die Pflicht zur Abnahme erneuerbarer Energien bei 5 Prozent zu deckeln.
Zur Ausgestaltung dieser Härteklausel - ich möchte das für die Bundesregierung noch einmal sagen - werden wir in der Koalition im Detail noch Gespräche führen. Dabei soll sichergestellt werden, daß die Förderung nicht abbricht, bevor in der nächsten Legislaturperiode das Gesetz umfassend geprüft wird. Was mit der Umlage so schnell vorgeschlagen wird, muß sich jeder sehr gut überlegen. Ich lasse einmal die verfassungsrechtlichen, die europarechtlichen Bedenken außen vor. Ich denke nur an den Bundesrat und frage mich, ob die Menschen in Bayern, Hessen, Thüringen oder Sachsen, also die Menschen im Binnenland, gerne dafür zahlen möchten, daß an der Küste noch mehr Windmüller in Erscheinung treten, noch mehr eingespeist wird. Jeder möge sich bitte die Antwort selbst geben und die Dinge an den Realitäten messen, meine Damen und Herren.
Mit der vorliegenden Änderung zum Stromeinspeisungsgesetz unterstreichen Bundesregierung und Koalition ihren Willen, die erneuerbaren Energien zu stärken. Diese Änderungen sollen zusammen mit der Reform des Energiewirtschaftsrechts realisiert werden. Dazu wird die Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes als Artikel in das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts aufgenommen.
Das Stromeinspeisungsgesetz - da gab es vorhin möglicherweise ein Mißverständnis - bleibt als eigenständiges Gesetz erhalten. Es rundet ein Reformvorhaben ab, dem für Investitionen und Arbeitsplätze in unserem Land eine herausragende Bedeutung zukommt. Die Strompreise in unserem Lande werden sinken. Das ist eine große Reform, die kurz vor der Verabschiedung steht.
Die Koalitionsfraktionen wollen den Gesetzentwurf in der nächsten Sitzungswoche abschließend beraten. Ich begrüße das sehr. Meine Damen und Herren, ich hoffe auf eine zügige parlamentarische Beratung.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Schönberger.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rexrodt, wenn man Ihren Ausführungen zuhört, könnte man den Eindruck gewinnen, eigentlich wollte die Bundesregierung mit ihren Aktivitäten in den letzten Monaten das Stromeinspeisungsgesetz nur verbessern und lediglich Sicherheit schaffen.
({0})
Tatsache ist, daß sowohl die Energieversorgungsunternehmen als auch Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen seit Monaten, seit Jahren versuchen, Unsicherheiten in den Markt hineinzubringen. Zum Teil sind sie sicherlich erfolgreich gewesen. Wir wissen, daß die Auftragserteilungen in der Windbranche teilweise zurückgegangen sind, und zwar deswegen, weil sich Investoren und Banken auf Grund des Verhaltens der Energieversorgungsunternehmen, aber auch auf seiten der Regierung und der Regierungsfraktionen nicht sicher sein konnten, daß sich Investitionen in den Windmarkt tatsächlich amortisieren. Wir waren immer dafür, Sicherheit in diesem Markt zu belassen. Sie sind dieUrsula Schönberger
jenigen, die in diesen Markt überhaupt erst Unsicherheit hineingebracht haben.
Seitdem das Gesetz den erwünschten Effekt hat, nämlich der Windenergienutzung in diesem Land tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen, wird an ihm herumgezerrt. Wir alle haben im Wirtschaftsausschuß das Vorhaben der Energieversorgungsunternehmen einstimmig zurückgewiesen. Diese haben die Vergütung gesetzeswidrig nicht gezahlt und gesagt, die Hersteller könnten ja vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen, ein Energieversorgungsunternehmen, das sagt: Ich halte das Gesetz einfach nicht ein. Als sie damit gescheitert sind, sind sie auf Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.- und CDU/CSU-Fraktion zugegangen und haben bei ihnen - leider - bei dem Versuch, dieses Gesetz wieder abzuschaffen, einen fruchtbaren Boden vorgefunden.
Vielleicht könnte man das Ganze ja verstehen, wenn man es bei den Energieversorgungsunternehmen mit Unternehmen zu tun hätte, die am Hungertuch nagen, die auf Grund der 17 Pfennige pro Kilowatt Windstrom Konkurs anmelden müßten. Doch nichts dergleichen! Tickermeldungen von heute: Die PreussenElektra AG schloß 1996 mit dem besten Ergebnis ihrer 70jährigen Geschichte ab. Nach Steuern blieb dem zum Düsseldorfer VEBA-Konzern gehörenden Energieversorger ein Reingewinn von 1,6 Milliarden DM, rund 800 Millionen DM mehr als 1995. Das ist eine gewaltige Gewinnsteigerung. Preussen Elektra rechnet im nächsten Jahr mit einer ähnlichen Gewinnentwicklung.
Das ist die Realität, nicht das notleidende Stromunternehmen, das auf Grund der Windenergiestrompreise vor dem Konkurs steht. Gerade das Energieversorgungsunternehmen PreussenElektra, das in Niedersachsen und Schleswig-Holstein aktiv ist, erzielt Rekordgewinne. Das sind die Gewinne eines Monopolunternehmens an einem geschützten Markt. Das ist der wahre Skandal! Das sind Gewinne, die gefangene Stromkunden bezahlen. Das sind Gewinne, die sich auf die Kapitalliquidität stützen, die PreussenElektra durch die steuerfreien Rückstellungen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle hat. Es sind Gewinne, die die Stromkunden und die Steuerzahlerinnen und -zahler zahlen.
Daran, Herr Rexrodt, wird auch Ihre Energierechtsnovelle nichts Wesentliches ändern. Denn wenn es heute auf Grund der Demarkationsgrenzen geregelte Monopole gibt, so werden diese nach Ihrer Novellierung durch De-facto-Monopole abgelöst werden. Was anderes als das machen denn Energieversorgungsunternehmen wie PreussenElektra und RWE im Moment mit ihren Rekordgewinnen? Sie bereiten sich auf den liberalisierten Binnenmarkt vor, um mit einer ungeheuren Kapitalliquidität in diesen Markt hineinzugehen. Diese De-facto-Monopole werden dann wieder diese großen Energieversorgungsunternehmen haben, die jetzt mit Hilfe Ihrer staatlichen Unterstützung die Marktmacht für morgen ansammeln und die alle anderen Konkurrenten ganz schnell vom Markt fegen werden. Denn welches kleine Energieversorgungsunternehmen wird denn gegen das geballte Kapital der Groß-EVUs konkurrieren können?
Wer sich nicht völlig von einer vernünftigen umwelt- und zukunftsverträglichen Energiepolitik verabschieden will - wir wollen das nicht, denn die derzeitige Energieversorgung ist nicht zukunftsverträglich; sie verschleudert wertvolle natürliche Ressourcen, zerstört ganze Landstriche, wie in Garzweiler und Horno geplant, verstrahlt ganze Regionen und hinterläßt zukünftigen Generationen strahlenden Müll -, muß die Instrumentarien, die Energieeinsparung, rationelle Energieerzeugung und regenerative Energien fördern, ausbauen und darf sie nicht in Frage stellen oder abbauen. Ein wirkungsvolles Stromeinspeisungsgesetz gehört elementar dazu.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Börnsen.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den Beitrag von Dietmar Schütz zum Thema Energieeinspeisevergütung sollte man bei der weiteren Diskussion der Novellierung noch einmal aufgreifen, auch wenn er ein wenig NiedersachsenTouch gehabt hat,
({0})
was nicht verkehrt sein mag. Ich glaube schon, daß man auch einen solchen Ansatzpunkt ernst nehmen muß.
Wer Wind sät, wird Sturm ernten. So läßt sich die Erfolgsstory der Windenergie in Deutschland überschreiben. Innerhalb von zehn Jahren wurde die Bundesrepublik zum Windland Nummer eins in Europa und ist heute bereits Nummer zwei in der Welt. Windkraftanlagen sind in der Welt ein Exportschlager geworden. Die hohe CO2-Vermeidung nutzt auch dem Image der Windkraftnutzung. 1990 hatten wir noch 70 Megawatt Windkraftleistung, heute sind es bereits 1600 Megawatt, davon allein ein Drittel in Schleswig-Holstein. Als vor zehn Jahren 70 Unionsabgeordnete - einige sitzen heute unter uns - einen Gruppenantrag zur Förderung der Windenergie einbrachten und damit den Startschuß für einen solchen Boom gaben, war nicht voraussehbar, daß es zu einer solchen dramatischen Entwicklung kommen würde. Die Windmüller der ersten Stunde, die Pioniere dieser regenerativen Energienutzung, haben diesen Aufschwung bewirkt.
Der Gesetzgeber hat das gewollt und muß diese Initiative durch einen Vertrauensschutz garantieren. Was als Anschubfinanzierung gedacht war, ist zu einer Dauerförderung geworden - mit Verzerrungen, die weder wirtschafts-, noch umwelt-, noch finanz-, noch energiepolitisch sinnvoll sind. Eine erste Korrekturaufforderung gab es durch den Bundesrat, angestoßen durch Schleswig-Holstein. Absicht war es, die Kosten in den Griff zu bekommen. Auch der BunWolfgang Börnsen ({1})
deswirtschaftsminister hat diesen Punkt aufgegriffen, nicht zuletzt auf Grund der Aufforderung der Europäischen Kommission. Die Windkraftwirtschaft hat dagegen zum Sturm geblasen, viele sachlich fair, einige leider auch mit Diffamierung, Druck und Drohung.
Wir waren für eine Überprüfung, weil wir einen zweiten Sündenfall wie bei der Steinkohleförderung nicht wollen. Die jetzt vorgesehene Beibehaltung von 90 Prozent wird bei einem liberalisierten Strommarkt zu einer Preiskorrektur führen. Wir stehen in Europa mit unseren Strompreisen an der Spitze. Damit schaden wir dem Wirtschaftsstandort Deutschland, belasten wir den Bürger über Gebühr.
Auch bei der Stromeinspeisevergütung sind wir Spitzenreiter in Europa. Obwohl die Kosten für die Windturbinen in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent gesunken sind, garantiert man bei uns eine Vergütung von 18 Pfennigen; der europäische Durchschnitt liegt bei 11,5 Pfennigen. Die Folgen: Sachkenner verweisen auf eine Überförderung an der Küste und eine finanziell lukrative, aber energiepolitisch fragwürdige Eroberung windarmer Binnenlandgebiete durch neue Anlagen.
Die Bürger wehren sich dagegen. Umweltverbände machen mobil. Allein in den vergangenen fünf Monaten hat es im Norden Schleswig-Holsteins fünf Bürgerbegehren gegeben. Bei einer Wahlbeteiligung zwischen 85 und 98 Prozent wurde der von der schleswig-holsteinischen Landesregierung propagierte Grenzlandwindpark von weit über 70 Prozent aller Wahlberechtigten abgelehnt. Auch bei Anträgen für Gruppenwindanlagen ist es zu ähnlich eindeutigen Resultaten gekommen.
Ein radikaler Meinungsumschwung zeichnet sich ab. Front wird nicht nur gegen die Landschaftsveränderung gemacht, sondern auch gegen die für uns immer noch positive Ökobilanz der Windenergie. Man wehrt sich gegen die Stanzung gewachsener Kultur- zu Industrielandschaften. Und es sind nicht nur passionierte Umweltgruppen, die zum Widerstand gegen den Wind aufrufen; die Abneigung geht bis weit ins bürgerliche Lager. Beide entfachen sie Sturm gegen den Wind. Zuwenig wird gegen diesen Trend Front gemacht. Wer die Windenergie weiterhin will, muß sie wieder akzeptabel machen.
Ich begrüße daher, daß die anstehende Novellierung eine Klarstellung zur Nutzung von küstennahen Seegebieten für die Windenergie enthält. Die Windausbeute auf See ist doppelt so groß wie auf dem Land. Lärm- und Landschaftsprobleme scheiden aus. Ich plädiere sehr für die Schaffung von Off-shore-Anlagen und nenne als Beispiel das Königreich Dänemark. Dort werden bereits in Nord- und Ostsee Offshore-Anlagen eingerichtet.
Doch der Bürgerwiderstand wächst auch gegen die einseitige Kostenbelastung beim Windstrom. Dieser wird zwar für die ganze Republik propagiert, doch zu drei Vierteln allein von norddeutschen Stromkunden finanziert. Die Antwort muß lauten: entweder Deckelung der Kosten oder Anwendung der Härteklausel. Eine Lasten- und Kostengerechtigkeit muß es auf jeden Fall geben.
({2})
Es besteht Handlungsbedarf, um die Zukunft dieser regenerativen Energie zu sichern, auch deshalb, weil eine öffentliche Finanzvergabe ihren Sinn behalten muß. Der Bund war bisher mit 6,57 Milliarden DM an Forschung und Förderung der Windenergie beteiligt, die Länder in den letzten fünf Jahren mit über 1 Milliarde DM. Die Ausgleichsbank vergab 2 Milliarden DM. Das heißt: Für die Windenergienutzung in Deutschland sind in 20 Jahren fast 10 Milliarden DM ausgegeben worden. Das ist wahrhaftig kein Pappenstiel und zeigt, wie ernst es der Bundesregierung mit der regenerativen Energie ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Hinweis auf meine Kollegen Gunnar Uldall und Herrn Friedhoff schließen. Wenn sich zwei Kollegen unseres Hauses mit einer Thematik beschäftigen, die einen so hohen Sympathiewert hat, dann sollte man in angemessener Weise tolerieren, daß sie hier aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung heraus handeln.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich ausdrücklich bei den vielen Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion und vielleicht auch in der F.D.P.-Fraktion bedanken
({0})
- sicher auch in der F.D.P.-Fraktion -, die die Versuche einer Korrektur des Stromeinspeisungsgesetzes nach unten abgewehrt haben.
Das Stromeinspeisungsgesetz ist seit zweieinhalb Jahren umstritten. Es ist umstritten gemacht worden
- nicht aus der Politik heraus, sondern von der Energiewirtschaft, die nach dem Motto „Wehret den Anfängen" vorgeht, weil sich hier durch unabhängige Erzeugerstrukturen ein Strukturwandel der Energiewirtschaft anbahnt. Das ist der Kern des Widerstands und nichts anderes, nicht die Kosten, nicht irgendwelche Gesichtspunkte technischer Art, die ins Feld geführt werden.
Der Bundestag hat sich vor zwei Jahren einmütig dagegen gewehrt. Er hat dieses Verhalten der Stromwirtschaft verurteilt. Bedauerlich war, daß unabhängig davon einige Zeit später versucht wurde, dieses Gesetz sozusagen nach unten zu korrigieren. Das hat große Unsicherheiten geschaffen. Es ist zu hoffen, daß es jetzt endlich mit dieser organisierten Unsicherheit vorbei ist und daß die doppelten Maßstäbe, die bei erneuerbaren Energien angewandt werden, endlich nicht mehr gelten; doppelte Maßstäbe, wenn
es um angebliche „windfall profits" oder um die Deklarierung der Einspeisungsvergütungen als Subventionen geht. In Wirklichkeit sind es nämlich entgangene Gewinne der Stromwirtschaft, um die es hier geht.
Wenn dann auf einmal Preiskontrollen gefordert werden, so sage ich: Ich bin sehr wohl für eine vernünftige Preiskontrolle, aber dann bei allen; denn sie ist offensichtlich in anderen Teilen der Stromwirtschaft notwendiger.
({1})
Ich bin für Marktregeln, aber Preisgestehungskontrollen sind mit Marktregeln unvereinbar. Wenn sie durchgeführt werden sollen, dann bei allen. Aber das wäre sicherlich nicht der richtige Weg.
Regionale Preisdifferenzierungen in die Zukunft hinein zu erörtern - in Ordnung. Aber das kann ja wohl nicht auf der Basis einer Minderung der Preise geschehen, so daß die gelungenen Anfänge kaputtgemacht werden. Das würde im Moment für das Binnenland eine Preisdifferenzierung nach oben bedeuten, wenn man das will.
24-Stunden-Angebote, Herr Kollege Uldall, unterbreitet kein Energieträger, wenn auch aus anderen Gründen. Wenn eine Energiequelle im Moment nicht arbeitet, wird eine andere zugeschaltet. Das ist Strompraxis. Bei erneuerbaren Energien ändern sich die Gründe, aber nicht die Art und Weise, wie man das regelt.
Jetzt in die Zukunft: Es geht meines Erachtens zunächst um die Frage, ob eine Deckelung in der zweiten Stufe noch richtig ist. Prinzipielle Bedenken dagegen hat der Kollege Schütz wegen der neuen gesetzlichen Rahmenbestimmungen des EU-Binnenmarktes schon geäußert. Eine Deckelung in einer zweiten Stufe, also auf der Vorlieferantenebene, würde bedeuten, eine gesetzliche Obergrenze für die Einführung erneuerbarer Energien festzulegen, während es bei allen anderen Energieträgern keine gesetzliche Obergrenze gibt. Dies habe ich auch kritisch zum schleswig-holsteinischen Entwurf gesagt, als wir hier schon einmal darüber diskutiert haben. Deswegen ist das nicht von vornherein so gegessen.
Es trifft zu, Herr Kollege Uldall, daß es differenzierte, unterschiedliche Preisregelungen in den europäischen Ländern gibt. Sicherlich haben wir zusammen mit Dänemark die höchsten Preise. Wir haben aber auch zusammen mit Dänemark die mit Abstand höchsten Installations- und Einführungsraten. Reden wir doch über das Positive und nicht über das, was es gekostet hat, wenn es doch offensichtlich niemanden wirklich belastet hat!
({2})
Wir haben trotz all der hier genannten Zahlen gegen Jahresende 2000 Megawatt installierter Leistung, und diese Entwicklung geht weiter.
Wenn es darum geht, die windgünstigen Standorte in ganz Europa wirklich zu erschließen und eine konsistente, einhellige, in Europa ungefähr gleiche Regelung zu schaffen, ist die einzige Konsequenz, daß wir uns alle darum bemühen, daß eine europäische Einspeisungsrichtlinie für erneuerbare Energien geschaffen wird.
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Wenn die Bundesregierung eine solche Initiative im Ministerrat ergreift, wird sie eine zunehmende Resonanz finden. Das Europäische Parlament hat im Mai mit einstimmigem Votum eine solche Einspeisungsrichtlinie gefordert. Da waren Kollegen aller Parteien, auch die aus der Bundesrepublik, die im Parlament der Europäischen Union sitzen, anwesend.
Dann wird es nach einem ganz klaren Prinzip gehen. Das Prinzip wird sein: Die Verteilerebene muß sowieso gegenüber Einspeisern neutral werden, ob es jetzt herkömmliche Kraftwerke sind oder Kraftwerke, die erneuerbare Energien anliefern. Dann wird es den Preisbonus für umweltfreundlichen, emissionsfreien Strom in ganz Europa geben müssen. Das ist die richtige Perspektive.
Wir haben dazu zwei Möglichkeiten: entweder eine Stromsteuer. Die erneuerbaren Energien fallen nicht darunter. Dann braucht man keinen Preisbonus mehr; er wäre indirekt gegeben. Oder wir entwickeln eine Stromeinspeisungsrichtlinie mit einem entsprechenden Preisbonus, wenn die Stromsteuer nicht kommt.
Herr Scheer, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich bin fertig, Frau Präsidentin.
Weder das eine noch das andere zu machen kann wohl angesichts der Entwicklungen, die wir haben, nicht in Frage kommen. Das kann keiner ernsthaft wollen.
Bewegen wir uns also, wenn es um Erweiterung geht, in diese Richtung! Ich glaube, darüber können wir uns alle gut verständigen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Petzold.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich nach der Wende das erste Mal leibhaftig vor einer modernen Windenergieanlage stand, die ich bis dahin nur aus dem Westfernsehen kannte, war ich schon schwer begeistert. Das steht, so glaube ich, einem Diplomingenieur und Technikfreak zu. Wenn man jahrelang in einer Dreckschleuder von Braunkohlekraftwerk gearbeitet hat, dann fesselt einen die hohe, schlanke Silhouette eines Windrades sehr.
Doch Schönheit, auch wenn man sich darüber streiten kann, und Wirtschaftlichkeit treffen nun einmal bei technischen Anlagen nicht immer aufeinanUlrich Petzold
der. In dem Kraftwerk, in dem ich damals arbeitete, tobte ein ständiger Kampf um die Verfügbarkeit der Maschinen und Dampferzeuger, die teilweise noch aus dem Jahre 1915 stammten.
Ein Kriterium, das ganz entscheidend für die Wirtschaftlichkeit ist, ist nun einmal die Verfügbarkeit einer Anlage. So war ich ganz erschrocken, als ich von dem Monteur, der mich damals führte, erfuhr, daß die Windkraftanlage gerade einmal etwas mehr als 2000 Stunden im Jahr unter Vollast in Betrieb war. Nach meinem heutigen Wissensstand war das schon ein windgünstiger Standort, den ich besuchte und dessen Verfügbarkeit bei weitem nicht von allen Anlagen erreicht wird.
Nur ein Viertel bis ein Drittel des Jahres liefern Windräder die Elektroenergie, die von ihnen erwartet wird. Spannung steht also nur an, wenn gerade Wind in einer bestimmten Stärke weht. Doch welche Hausfrau und welcher Hausmann ist bereit, den Elektroherd und die Waschmaschine erst zu dem Augenblick einzuschalten, wenn in Schleswig-Holstein gerade Wind weht?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Produktion von Elektroenergie unterscheidet man drei Bereiche recht deutlich: Grundlast, Mittellast und Spitzenlast. Elektroenergie, die nur sporadisch und dann nicht zum gewünschten Zeitpunkt ansteht, aber jederzeit vom Netz abgenommen werden muß, ist nur dem Grundlastbereich zuzuordnen. Demzufolge ist jedoch beim Ausfall dieser Versorgung eine andere Versorgung zu gewährleisten.
Das heißt, daß für jede installierte Kilowattstunde Windkraftenergie eine kurz, höchstens mittelfristig an das Netz zu nehmende Ersatzleistung vorhanden sein muß. Dies zwingt uns, Grundlast durch eine Energieerzeugung, die sonst nur für Spitzen- oder Mittellast gedacht ist, zu ersetzen. Unter rein finanziellem Gesichtspunkt ist das eine Irrsinnstat.
Billiger Grundlaststrom wird an windreichen Tagen - politisch gewollt - von Strom aus subventionierten Windkraftanlagen ersetzt. An Tagen mit zu hoher oder zu niedriger Windgeschwindigkeit muß dann dieser fehlende Strom aus Kraftwerken ersetzt werden, die mit teurem 01 oder Gas arbeiten.
Das war nicht das erklärte Ziel, das mit dem Stromeinspeisungsgesetz verfolgt wurde. Vielmehr sollten die Startchancen für erneuerbare Energiequellen so verbessert werden, daß sie sich zukünftig auch unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten in unsere Volkswirtschaft einfügen lassen. Eine Volkswirtschaft läßt sich nur begrenzt nach dem gerade anstehenden Elektroenergieangebot ausrichten. Hier kann ich nur auf die negativen Erfahrungen in der DDR verweisen, wo in Spitzenzeiten ganze Produktionsbereiche abgeschaltet wurden.
Ein nachfrageorientiertes Energieangebot muß für eine industriell geprägte Volkswirtschaft gleichberechtigt neben dem Ziel der CO2-Minderung stehen, für das wir uns wohl alle in diesem Hohen Hause einsetzen. Die Nutzung der Windenergie, die als erneuerbare Energie deutlich überproportional in den Vordergrund getreten ist, muß wieder gleichberechtigt neben anderen erneuerbaren Energien stehen und durch sinnvolle Maßnahmen der Energiespeicherung ergänzt werden. Dem Neubau eines Pumpspeicherwerks im thüringischen Goldisthal sollte man in diesem Zusammenhang auch einmal Aufmerksamkeit schenken.
Der unbestreitbare Handlungsbedarf beim verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien und die Minderung des CO2-Ausstoßes auch bei der Elektroenergieerzeugung sollte unseren Blick nicht einengen, sondern gerade weiten auf der Suche nach Lösungen bei der Energieerzeugung. Es gilt, nicht den Menschen der Technik, sondern die Technik dem Menschen anzupassen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Pfannenstein.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis vor kurzem war - bildlich gesprochen - die Windindustrie im Aufwind. Das war auch dem Stromeinspeisungsgesetz zu verdanken, das diese Entwicklung herbeigeführt hat. Aber nun hat sich eine Flaute angebahnt. Seit im Gespräch ist, daß die Vergütungsregeln und andere Elemente des Gesetzes zurückgenommen werden sollen, geht die Zahl der Aufträge zurück, und - darüber wurde bereits gesprochen - es gibt die ersten Konkurse. Investoren haben Rückzieher gemacht, und Kredite wurden unter Hinweis auf die unsichere Rechtslage verweigert. Den Windmüllern bläst ein kalter Wind entgegen, und eine lähmende Planungsunsicherheit greift um sich.
Mit ihrer Energierechtsnovelle droht die Regierung eines der wenigen sinnvollen Gesetze, die sie je gemacht hat, zumindest teilweise zu kassieren. Wenn nicht bald ein klares Signal für den Erhalt der Stromeinspeisung kommt, werden Arbeitsplätze wegbrechen und wird sich die Flaute am Arbeitsmarkt verstärken. Die Wachstumschancen des Exportmarktes für regenerative Energien würden ebenso vertan werden, wie sie bei der Solarenergie bereits vertan wurden - und das ausgerechnet in einer Branche, die sich seit 1990 einem stetigen Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen erfreut hat. Dies ist mittlerweile ein Novum in der Geschichte unserer Republik; wir wissen alle, daß die Arbeitslosigkeit unendlich groß ist.
Mit einer reduzierten Vergütung wäre die Kostendeckung vieler Anlagen nicht mehr gewährleistet. Trotzdem oder gerade deshalb versuchen die EVUs mit windigen Argumenten, die Vergütungsregeln zu Fall zu bringen. Angeblich gebe es dadurch untragbare Mitnahmeeffekte und Marktverzerrungen. Für die überwiegende Zahl der Anlagen ist dies schlichtweg unzutreffend. Profite sind bei Windkraftanlagen kaum zu machen, es sei denn, man hat ganz besonders gut ausgewählte Standorte an der Küste. Aber die sind zum großen Teil vergeben.
Neun von zehn Windanlagenbetreibern sind - das hat sich bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses gezeigt - auf die derzeitige Vergütung von 17 Pfennig je Kilowattstunde angewiesen. Wer das Windkraftpotential auch in Baden-Württemberg oder in Bayern erschließen möchte, der darf die Vergütung generell nicht absenken.
Über die immensen Gewinne kommerzieller Energieunternehmen wie Preussag ist bereits gesprochen worden. Diese Energiemultis machen ihre Gewinne durch Abwälzung von Umweltkosten und Einstreichung satter Subventionen, also auch durch Mitnahmeeffekte und Marktverzerrungen. Wenn dagegen ein Betreiber von Windanlagen schwarze Zahlen schreibt, dann ist dies geradezu ungehörig, und es gibt einen Sturm der Entrüstung. Solches Denken ist absurd.
Es geht dabei nicht nur um Windenergie. Die Diskussion konzentriert sich derzeit zwar auf diesen Zweig. Aber dahinter verbirgt sich der Wunsch der EVUs, sich des gesamten Stromeinspeisungsgesetzes und damit der kleinen und mittelständischen Energieerzeuger zu entledigen, die die Pfeiler der regenerativen Energieerzeugung darstellen.
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Werden die Regeln des Stromeinspeisungsgesetzes verwässert, wird das natürlich auch Risiken für die Stromerzeugung aus Sonne und Wasserkraft mit sich bringen. Auch hier können geringere Einspeisungsvergütungen oder gedeckelte Abnahmemengen folgen, die vielerorts das Aus bedeuten würden. Dies ist vor allem im süddeutschen Raum ein Problem, wo die EVUs ohnehin versuchen, den vielen kleinen Kraftwerken sprichwörtlich das Wasser abzugraben. In Bayern stellen Wasserkraftwerke zirka 15 Prozent der öffentlichen Stromversorgung. Viele Kleinanlagen tragen zu einer sinnvollen dezentralen Stromversorgung bei. Hier liegt noch viel Potential brach. Hier muß man Wasser auf die Mühlen gießen und nicht die Entwicklung austrocknen.
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Wer die kleinen Stromerzeuger den Bach runtergehen läßt - wie man in Bayern sagt -, beschleunigt die ohnehin bedenklichen Monopolisierungstendenzen im Energiesektor. Der Markt an regenerativen, ressourcenschonenden und damit klimaneutralen Energien würde beschnitten. Dabei sollte doch der Kohlendioxidausstoß bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent reduziert werden. Es gibt dazu vollmundige Erklärungen auch des Bundeskanzlers. Schon jetzt ist abzusehen, daß wohl bestenfalls eine 10prozentige Verringerung erreicht werden wird.
Angesichts dieser Vorgaben ist es wirklich unsinnig, schon jetzt von einer Beschränkung bei der Einspeisung von Strom aus regenerativen Energien in das Netz zu sprechen. Statt dessen müssen wir für einen regionalen Kostenausgleich sorgen, damit wir der Kritik an der punktuellen Belastung einzelner EVUs den Wind aus den Segeln nehmen können.
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Im übrigen hat sich ja auch die EU zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 den Primärenergieanteil regenerativer Energien gegenüber 1995 zu verdreifachen. Dazu ist es notwendig, Strom aus regenerativen Energien bei der Netzeinspeisung den Vorrang zu geben. Art. 8 Abs. 3 der EU-Stromrichtlinie erlaubt eine solche Vorrangigkeit ausdrücklich. Der Buhmann ist also nicht, wie immer gerne behauptet wird, in Brüssel zu suchen. Der EU-Kommissar van Miert hat mehrfach ausdrücklich erklärt, daß er die Regelungen des Stromeinspeisungsgesetzes keinesfalls in Frage stellt.
Herr Abgeordneter, denken Sie bitte an die Zeit.
Vielen Dank. Noch ein Satz.
Sie sollten also bei Ihren Beratungen in der nächsten Woche daran denken, daß die Absenkung des Anteils von Strom aus regenerativen Energien nicht durch die Hintertür durch die Liberalisierung des Strommarktes erfolgt.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Ramsauer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde ist die Frage nach der Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes. Diese ist klar zu beantworten: Die Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes ist gesichert, und zwar nicht nur deshalb, weil dieses Gesetz eines der erfolgreichsten energiewirtschaftlichen und umweltpolitischen Gesetze dieser Koalition war und ist.
Die Elemente, die wir neu regeln wollen, sind bereits dargestellt worden. Wenn man alles zusammen nimmt, dann erreichen wir hier einen kleinen Energiekonsens, der von allen Parteien dieses Hauses mitgetragen werden kann.
Mit der Einbeziehung der Energieerzeugung aus Biomasse in den Geltungsbereich des Gesetzes und mit der Selbstverpflichtung der EVUs zur Erhöhung des regenerativ erzeugten Stroms wollen wir ein Stück der Lücke schließen, die wir noch immer hinsichtlich der Erreichung des CO2-Reduktionsziels bis zum Jahre 2005 haben. Mit der Neuregelung bezüglich des Netzadressaten stellen wir sicher, daß das Stromeinspeisungsgesetz auch in einen künftig wettbewerblich strukturierten Ordnungsrahmen paßt. Eine Diskussion - das ist der vierte Punkt - müssen
wir wohl noch über den Punkt eines doppelten Dekkels von 5 Prozent hinsichtlich der Abnahmemengen führen.
Wir haben das beschlossen. Ich stehe dazu. Das ist ganz klar. Aber wir müssen uns auch vollkommen klar darüber sein: Wenn wir diesen doppelten FünfProzent-Deckel einführen, dann heißt das, daß etwa im Jahr 2000 im Gebiet der PreussenElektra - das betrifft ein großes Stück von Deutschland - mit dem zusätzlichen Ausbau der Windenergie Schluß ist, es sei denn, es baut jemand Anlagen mit wesentlich niedrigeren Einspeisekosten. Das wird aber niemand tun. Darüber müssen wir uns im klaren sein.
Es besteht noch ein weiteres Problem. Ich zitiere aus dem Protokoll der Anhörung vom 8. September 1997. Dort hat der Vertreter von PreussenElektra gesagt, daß dieser doppelte Fünf-Prozent-Deckel in Zukunft nicht mehr in die energiepolitische Wettbewerbslandschaft passe. Er sagte wörtlich:
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es dieses Modell des doppelten Deckels gemäß unserer Auffassung nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz und dem Wettbewerbsrahmen überhaupt nicht mehr geben kann. Damit müssen wir auch die Frage, ob dies überhaupt funktionieren kann, eindeutig mit Nein beantworten.
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Wenn es geht, ist das in Ordnung. Aber wir müssen es uns noch einmal genau anschauen, gerade weil es ein Vertreter von PreussenElektra sagt.
Wir sollten uns auch fragen: Ist nicht auch die bestehende Härteklausel mit einer geringfügigen Anpassung an den künftigen Wettbewerbsordnungsrahmen in der Lage, die Probleme zu lösen? Dazu zitiere ich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. Oktober 1996:
Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vorschrift - gemeint ist die bestehende Härteklausel - insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihrer Bestimmtheit - bestehen nicht.
Das heißt, der Bundesgerichtshof sagt ein klares Ja zu der Justitiabilität dieser Vorschrift.
Zugegebenermaßen ist die Härteklausel nie angewandt worden. Aber nur deshalb nicht, weil die hauptbetroffenen Regional-EVUs, etwa Schleswag oder EWE, als Konzerntöchter diese Härteklausel nicht gegen die Konzernmutter anwenden. Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein falsch verstandener Mutterschutz. Einen solchen Mutterschutz wollen wir nicht haben. Das fällt mir ein, weil ich auch noch Sozialpolitiker bin.
({1})
Die Härteklausel wäre durchaus anwendbar gewesen, wenn nur der Wille bei den Konzerntöchtern vorhanden gewesen wäre. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das aber noch einmal überlegen.
Wenn wir diese vier Punkte zusammen nehmen, schaffen wir glasklare Verhältnisse für die Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes und lassen keinerlei Zweifel an unserer Unterstützung für erneuerbare Energien.
Ich möchte noch ein paar Forderungen erheben. Ich fordere von denjenigen EVUs, die die Einspeisevergütungen nach wie vor unter Vorbehalt zahlen, von dieser Diskriminierung abzulassen, den Vorbehalt bei den Bezahlungen einzustellen und damit Verunsicherungen und Einschüchterungen zu beenden. Ich fordere die investierwilligen Betreiber auf, ihre Zurückhaltung aufzugeben und in die auch in Zukunft gesicherten erneuerbaren Energien zu investieren. Ich fordere auch die finanzierenden Kreditinstitute auf, ihre Zurückhaltung aufzugeben und wieder vernünftige Finanzierungen zu bewilligen.
Eine Bitte hätte ich an Bundesminister Rexrodt. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat er gesagt, er wolle in der nächsten Legislaturperiode wieder eine umfassende Überprüfung des Einspeisungsgesetzes vornehmen. Davor kann ich nur warnen. Wenn wir jetzt schon wieder eine umfassende Überprüfung ankündigen, schaffen wir erneut Verunsicherung. Das dürfen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht tun. Einlassen könnte ich mich auf eine Überprüfung, bevor der zweite Fünf-Prozent-Deckel zuschnappt. Ich glaube, lieber Kollege Friedhoff, so war es auch gemeint.
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Es war keine umfassende Überprüfung vorgesehen. Wir müssen beim Stromeinspeisungsgesetz klar Schiff für die erneuerbaren Energien machen. Diesen kleinen Energiekonsens sollten wir uns im Deutschen Bundestag leisten. Deswegen bitte ich auch die Oppositionsparteien, bei unseren Vorschlägen mitzuziehen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mehl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist ja nun einer der seltenen Momente, daß in einer Aktuellen Stunde etwas richtig Aktuelles kommt. Herr Uldall, die Überraschung ist Ihnen gelungen. Es ist schön, daß Sie es am Anfang und nicht erst zum Schluß gesagt haben, nachdem schon alle gesprochen hätten.
Es ist gut, daß es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Ich beglückwünsche die Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion, die sich durchsetzen konnten. Herr Rexrodt sagte vorhin, dies sei verantwortlich diskutiert worden. Das kann man ja nun wirklich nicht sagen. Das haben ja viele meiner Kollegen angeführt - auch ich will das unterstreichen -: Sie haben über mehrere Monate intensiv miteinander gerangelt. Gott sei Dank ist es zu einem anscheinend vernünftigen Ergebnis gekommen. Das hätten
Sie eigentlich schon vor vielen Monaten haben können. Wir haben ja auch entsprechende Vorschläge gemacht.
Das monatelange Diskutieren hat dazu geführt, daß Hersteller von Windkraftanlagen pleite gegangen sind, daß Investitionen nicht getätigt worden sind, daß Investoren immer händeringender gefragt haben, was denn jetzt passiere, und daß sie hinzugefügt haben, daß sie ihr Geld zwar in Windkraftanlagen stecken könnten, es aber nicht täten, wenn das nicht gesetzlich geregelt sei. Von Ihrer Seite ist sehr eindeutig signalisiert worden, insbesondere vom Herrn Wirtschaftsminister, daß kein Interesse an diesem Thema besteht.
Wir brauchen nicht mehr über verschüttete Milch zu reden. Es können jetzt sicherlich einige aufatmen. Dennoch wollte ich noch einmal gesagt haben, daß das keine verantwortliche Politik war.
Im übrigen haben Sie einen wichtigen Punkt - auch das ist mehrmals gesagt worden; im Grunde ist in der ersten Runde der Diskussion zu diesem Thema schon alles gesagt worden - nicht geregelt. Das ist die Lastenverteilung. Ich komme aus Schleswig-Holstein und führe dort Diskussionen mit der Schleswag und mit denjenigen, die die Windenergie voranbringen wollen. Sie sagen: Wir im Norden wollen nicht allein die Last der regenerativen Energien tragen. - Zu den regenerativen Energien zählt man übrigens nicht nur die Windenergie. Ich will noch einmal sagen: Kein Mensch will eine 100prozentige Versorgung durch Windenergie. Darum geht es doch gar nicht. Windenergie ist ein Teil der regenerativen Energiequellen. Ihr Anteil ist zur Zeit noch viel zu klein; ihn wollen wir ausbauen.
Das darf nicht zu Lasten von Unternehmen gehen, die nur in einem Bundesland tätig sind. Vielmehr sind wir der Meinung, daß die Lasten verteilt werden müssen. Dazu haben wir auch einen Vorschlag gemacht. Das darf man nicht offenlassen; das darf man auch nicht dem Markt überlassen und warten, was eintreten wird. Vielmehr muß das geregelt werden. Deswegen fordere ich Sie auf: Setzen Sie sich intensiv auch mit unserem Vorschlag in bezug auf die Lastenverteilung auseinander! Verfassungsrechtliche Bedenken muß man natürlich prüfen. Wir haben sie geprüft. Rangeln Sie deswegen nicht monatelang miteinander! Lassen Sie uns diese Punkte vielmehr ernsthaft diskutieren.
Ich finde es gut, daß von Ihrer Seite heute signalisiert worden ist: Wir sind für regenerative Energien, und das nicht nur in einer Nische. Vielmehr sollten regenerative Energien ein wesentliches Standbein der Energieproduktion sein. Das muß natürlich in Richtung Energiesparen und anderer Technologien weitergehen.
Sie haben keine Probleme damit, bei Technologien wie dem Transrapid zu klotzen. Ihn halte ich nicht von der Technologie her, sondern als Verkehrsmittel für problematisch. Da wird Geld hineingesteckt; da wird geklotzt. Aber bei regenerativen Energien ist dann plötzlich die Luft heraus.
({0})
Ich hoffe, daß das stimmt, was Sie uns heute gesagt haben. Sie haben uns das ja mündlich mitgeteilt; wir müssen das noch einmal prüfen. Es geht nicht nur um das Stromeinspeisungsgesetz, sondern es geht auch um das Energiewirtschaftsgesetz. Wir wollen einmal schauen, ob die regenerativen Energien auch in diesem Gesetz gefördert werden oder ob dort der Korken im Flaschenhals steckt. Das wollen wir nicht.
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Ich will noch einmal den Gesamtzusammenhang deutlich machen - auch das ist in einigen Reden gesagt worden -: Es geht hier nicht nur um Märkte oder um Technologien. Vielmehr ist der große Hintergrund der Klimaschutz. Wir sind im Vorfeld der nächsten Weltklimakonferenz in Kyoto. Die Bundesregierung steht nach unserer Auffassung im Moment mit nahezu leeren Händen da. Man kann sich ja auf internationalen Konferenzen verbal und sonstwie wunderbar verkaufen, aber gemessen wird ein Land daran, was es tatsächlich selber umsetzt.
Vielleicht hat die bevorstehende Konferenz Ihnen noch einmal einen Schub gegeben, eine positive Entscheidung zu treffen. Das wäre gut. Vielleicht war das für diejenigen Rückenwind, die in Ihren Reihen schon länger dafür kämpfen. Aber alle sollten im Kopf behalten: Es geht nicht nur um das Image auf der internationalen Ebene. Vielmehr geht es um den Klimaschutz, und das nicht nur auf dem Papier, sondern in der tatsächlichen Umsetzung. Dann kann es sich nicht darum handeln, regenerative Energien in einer Art Nische zu fördern. Vielmehr müssen sie intensiv gepuscht werden.
Wir werden Sie in den Ausschüssen an dem messen, was Sie im Energiewirtschaftsrecht regeln werden und welchen Stellenwert die regenerative Energie dann haben wird. Sie darf nicht bei 10 Prozent oder wo auch immer gebremst werden. Nach meiner Auffassung muß für die Produktion regenerativer Energien aus Wind, Biomasse, Sonne das maximal Mögliche gemacht werden. Hinzu kommen Energieeinsparmaßnahmen; auch diese müssen gefördert werden. Wenn Sie das gemacht haben, werden wir sehen, ob wir die Ziele, die Sie international vertreten wollen, auch wirklich erreichen.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Mehl, ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß das Land, das Kraft-Wärme-Koppelung und Windenergie hat und hier immer wieder als Vorbild zitiert wird, für Kyoto mit die schlechteste CO2-Bilanz in
Europa vorlegt: Dänemark. Wir müssen also schon ein bißchen tiefer und differenzierter in die Sache einsteigen.
Ich denke, daß das Thema dieser Aktuellen Stunde die Tatsache ist, daß das Stromeinspeisungsgesetz eher Probleme mit seinem Erfolg als mit einem Mißerfolg hat. Wir haben eine strukturelle Entwicklung, über die wir ohne Scheuklappen miteinander diskutieren müssen. Es gibt eine Reihe von Dingen, denen sich auch die erneuerbaren Energien stellen müssen, unter anderem Preiswürdigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit.
Ich denke, eine solche Fragestellung bedeutet nicht, daß man etwas gegen erneuerbare Energien hat. Es geht vielmehr darum, wie man erneuerbare Energien auf den Weg des Erfolges bringt. Daß wir sie brauchen - auch unter langfristigen, nachhaltigen Aspekten der Energiepolitik - ist doch unbestritten.
Es ist schon ein bißchen erstaunlich - das gilt für Frau Schönberger und für Frau Mehl -, daß Sie Vergleiche mit den Fördersummen ziehen, die in andere Bereiche gegangen sind. Frau Mehl, Sie sprachen den Transrapid an. Hätten Sie sich mal an die Kohlebeschlüsse und die Forderungen Ihrer Fraktion gehalten!
({0})
Das sind die Maßstäbe. Da geht es um 200 Milliarden DM. Es ist nicht die Kernenergie, es ist nicht der Transrapid. Wenn wir über neue Technologien reden, dann sage ich ganz freimütig: Der Maßstab für eine glaubwürdige Förderung der erneuerbaren Energien ist für mich eher der Wettbewerb mit der Kohle als mit anderen Dingen.
Frau Schönberger, Sie werden nicht darüber hinwegtäuschen können, daß auch die Grünen innerhalb weniger Stunden 2 Milliarden DM mehr auf die Kohle und nicht auf die erneuerbaren Energien gelegt haben. Das ist die Realität.
Die Betrübnis, die Sie hier über die Irritationen, die durch die Diskussion erfolgt sind, geäußert haben, hält einer Marktüberprüfung nicht stand. Ich habe vor vier Wochen mit einem Vertreter des Deutschen Windenergieinstituts aus Wilhelmshaven gesprochen. Bei den deutschen Windkraftherstellern sind mehr Anlagen bestellt, als sie in diesem Jahr liefern können. Das ist die Realität. Deswegen ist es vollkommen falsch, wenn wir jetzt hier so tun, als sei dem Windkraftmarkt durch die notwendige Diskussion, die auch einen Klärungsprozeß bedeutet, irgendein Schaden zugefügt worden. Wenn wir mehr Bestellungen haben, als wir liefern können, sind wir doch eigentlich in einer glücklichen Lage.
({1})
Ich denke, daß wir nun zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich das, was wir im Energierecht wettbewerbsmäßig orientieren, natürlich auch in diesem Bereich niederschlägt. Insofern, Frau Hustedt, war es doch überhaupt nicht schwierig, aber notwendig, aus dem System des Wettbewerbs heraus den Netzzugang neu zu regeln. Das haben wir doch nicht bei Ihnen abschreiben müssen. So intelligent sind wir ganz alleine. - Das ist das eine.
Das zweite ist, Frau Hustedt: Sie haben an dem Tag der Demonstration ganz stolz etwas verkündet, was wir angeblich beschlossen haben. Manche von denen, die demonstriert haben, sind nach Hause gefahren und haben dann über unsere Vorschläge nachgedacht. Ich sage Ihnen: Viele entdecken jetzt, daß die Vergütung, wenn wir sie nicht neu regeln, schneller sinkt, als das bei unserem strukturellen Vorschlag - mit den zwölf Jahren, den Vollaststunden, der Rotorfläche und den 17 Pfennig - der Fall wäre. Im nächsten Jahr sind es 16,3 Pfennig. Nach unserem Vorschlag wären es 17 Pfennig. Sie kennen die Vorschläge.
Auf der anderen Seite ist es natürlich notwendig, einen Ausgleich zu finden. Herr Rexrodt, es geht nicht nur um die Windenergie, sondern um die erneuerbaren Energien insgesamt. Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich sagen: Wir würden viel zu kurz greifen, wenn wir uns nur auf die Wind-Diskussionen konzentrieren würden. Wir müssen vielmehr auch die Biomasse und die anderen Energiearten einbeziehen.
Nur wenn wir die erneuerbaren Energien auch im Rahmen der Selbstverpflichtung wettbewerbsfähig machen, werden die erneuerbaren Energien über das Jahr 2005 hinaus einen nachhaltigen Beitrag für eine Energiepolitik in Deutschland leisten. Wenn wir sie aus der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit entlassen, werden wir weder den erneuerbaren Energien noch den Bürgern, noch der Wirtschaft einen Gefallen tun.
In diesem Sinne plädiere ich nachhaltig für einen anderen Weg, für eine neue Öffnung in diese Richtung, für eine andere Finanzierung, damit die Dekkung des Energiebedarfs auf Dauer gesichert wird und wir nicht auf irgendwelche Deckel stoßen, die eine intelligente Lösung verhindern.
Herzlichen Dank.
({2})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Berichts des Innenausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Kerstin Müller ({1}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mindestkriterien für eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Hermann Bachmaier, Dr. Herta Däubler-Gmelin, wei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts
- Drucksachen 13/3657, 13/259, 13/2833, 13/ 8836 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem Özdemir
Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Kinder ausländischer Eltern
- Drucksache 13/8157 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({2})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Meinrad Belle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Koalitionen gleichen gelegentlich dem Versuch, den rechten Schuh auf dem linken Fuß zu tragen, ohne Hühneraugen zu riskieren.
So Stuttgarts früherer Oberbürgermeister Manfred Rommel.
Diese Zustandsbeschreibung trifft auf unsere Koalition, meine sehr geehrten Damen und Herren von der F.D.P., und unsere Arbeit in der Innenpolitik selbstverständlich nicht zu. Bis auf unsere grundsätzliche Meinungsverschiedenheit bei der doppelten Staatsbürgerschaft arbeiten wir hier vertrauensvoll und erfolgreich zusammen. Deshalb will ich auch die Unterschiede in dieser Frage ganz offen ansprechen.
Sie von der F.D.P. sind im Interesse einer vermeintlich besseren Integration der ausländischen Mitbürger bereit, die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Wir machen da nicht mit.
({0})
- Lassen Sie mich ausreden; nur keine Aufregung, nur langsam, nur Ruhe! - Mit der CDU/CSU-Fraktion wird es die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht geben.
({1})
Dies ist für die Union eine Frage ihrer Identität, die nicht verhandelbar ist. Wir werden auch eine zeitweilige doppelte Staatsbürgerschaft nicht zulassen.
Ich möchte auch heute wieder darauf hinweisen, daß wir uns in der Koalition in 80 Prozent der anderen zu regelnden Punkte der Reform des Staatsbürgerrechtes einig sind. Wir wollen die Einbürgerungsvoraussetzungen verbessern, Fristen weiter verkürzen, weg von der Ermessensentscheidung der Einbürgerungsbehörden und hin zum Einbürgerungsanspruch unserer ausländischen Mitbürger kommen. Auch die Integration der hier bei uns bleibenden Ausländer soll weiter verbessert werden.
Aber ({2})
hier liegt der wesentliche Unterschied zur Opposition und zur F.D.P. - wir sehen in der Übernahme der deutschen Staatsangehörigkeit keine Voraussetzung für eine Integration, sondern wir sehen darin ein Zeichen einer gelungenen Integration. Wer als Ausländer langfristig in Deutschland leben will, sollte sich entscheiden, wem seine Loyalität letztlich gilt, was er nun eigentlich sein will. Die Staatsbürgerschaft kann dann diesen Vorgang nach außen verdeutlichen.
Ein Blick in Nachbarländer wie etwa Frankreich oder Großbritannien bestätigt, daß der andere Weg eines vereinfachten Staatsangehörigkeitserwerbs sich in der Praxis gerade nicht als Zaubermittel gegen dort bestehende, zum Teil erhebliche Integrationsprobleme erweist. Gerade die Erfahrungen in Frankreich mit schätzungsweise mehr als 2 Millionen Moslems mit französischer Staatsangehörigkeit zeigen keine besonderen Erfolge eines solchen Integrationsansatzes.
Wir werden als Fraktion auch in Zukunft die generelle Zulassung von Doppelstaatsangehörigkeit entschieden ablehnen,
({3})
weil sie mit unserem Verständnis vom Wesen der Staatsangehörigkeit unvereinbar ist.
({4})
Wie das Bundesverfassungsgericht betont hat, ist die Staatsangehörigkeit „Ausdruck der Grundbeziehung der mitgliedschaftlichen Verbindung und
rechtlichen Zugehörigkeit zur staatlichen Gemeinschaft". Aus der Staatsangehörigkeit heraus ergibt sich deshalb ein umfassendes Rechtsverhältnis, aus dem Pflichten und Rechte erwachsen.
({5})
Diese Staatsbürgerrechte und Staatsbürgerpflichten sind jedoch keineswegs nur beliebig austauschbare Äußerlichkeiten. Sie betreffen vielmehr den innersten Kern unseres Staates und unserer Demokratie.
Wie kann es nun weitergehen? Die Frage ist berechtigt. Ich bin immer noch der Auffassung und auch guter Hoffnung, daß die zur Zeit und auch heute nachmittag auf höchster Ebene laufenden Gespräche auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung - sachgerecht fortentwickelt - gute Lösungsansätze bringen können.
({6})
Wir sind immer noch in der Lage, dieses Problem auch in der jetzigen Legislaturperiode zu lösen.
Da und dort veröffentlichten Spekulationen will ich aber eindeutig entgegentreten. In dieser Frage wird es keine Abstimmung mit wechselnden Mehrheiten geben. Dies würde, meine Damen und Herren, keine Koalition aushalten, und ich bin der Kollegin Frau Schmalz-Jacobsen für ihre klarstellenden Äußerungen dankbar.
Auch allen Überlegungen bezüglich eines interfraktionellen Gruppenantrages oder einer Freigabe der Abstimmung erteile ich für die CDU/CSU-Fraktion eine klare Absage.
({7})
Herr Abgeordneter Belle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Penner?
Meinem Ausschußvorsitzenden immer.
({0})
Herr Kollege Belle, manches läßt sich ja nachvollziehen, wenn man Ihren Standpunkt zugrunde legt. Aber könnten Sie mir vielleicht dabei behilflich sein zu verstehen, was Sie denn mit den 1,8 Millionen in der Bundesrepublik schon lebenden Doppelstaatlern anstellen wollen?
({0})
Lieber Kollege Penner, Sie sollten und wir müssen alle zur Kenntnis nehmen, daß es natürlich ein ganz wesentlicher Unterschied ist, ob jemand die Doppelstaatsbürgerschaft durch Geburt erreicht, weil eines der Elternteile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Hier ist eine direkte, unmittelbare Verbindung gegeben.
({0})
Hier ist die Integration von vornherein gegeben. In einem solchen Fall sind da keine Probleme zu erwarten.
Uns geht es eben darum, mit der Staatsbürgerschaft den Schlußpunkt für eine gelungene Integration zu setzen. Darin liegt der wesentliche Unterschied.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Bitte schön, Herr Schily.
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß Sie sehr für einen Austausch zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland sind. Das führt mitunter dazu, daß eine Familie zeitweise Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika nimmt, und mitunter fügt es sich, daß ein Kind einer deutschen Familie dann in Amerika geboren und auf diese Weise Doppelstaatler wird. Hat dieses Kind dann Probleme in der Integration, wenn es in seine Heimat zurückkehrt?
Natürlich nicht.
({0})
Das ist doch gar keine Frage.
({1})
Wir müssen das doch bitte, meine Damen und Herren, von dem Fall unterscheiden, daß zum Beispiel ein türkischer Staatsbürger, der bei uns in Deutschland lebt und dessen Kinder hier geboren werden, gar keine Voraussetzungen, gar keine Bereitschaft zu einer Integration zeigt. Das muß doch klar und deutlich gesagt werden.
Es ist doch ein ganz wesentlicher Unterschied, ob die doppelte Staatsbürgerschaft aus einer binationalen Ehe entsteht oder automatisch zugestanden wird, einfach weil das Kind eines türkischen Ehepaares bei uns in Deutschland wohnt. Hier haben wir doch wirklich ganz praktische, tatsächliche Unterschiede, die man einfach zur Kenntnis nehmen muß, auch wenn Sie das nicht wollen.
Herr Kollege Belle, auch der Kollege Hirsch möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie dafür eintreten wollen, daß in Zukunft Aussiedler, die nach Deutschland kommen, die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann erwerben, wenn sie ihre bisherige aufgeben?
Lieber Kollege Hirsch, Sie sollten auch hier zur Kenntnis nehmen, daß es ein ganz wesentlicher Unterschied ist, ob ein Aussiedler mit seiner deutschen Staatsangehörigkeit nach Deutschland kommt
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- oder einen entsprechenden Erwerbsanspruch hat -, in vielen Fällen bereit ist, den Antrag auf Entlassung aus der russischen oder der kasachischen Staatsangehörigkeit zu stellen, und nur dann, wenn sich dieses Entlassungsverfahren verzögert, noch vorübergehend eine andere Staatsangehörigkeit hat oder ob das Kind eines türkischen Ehepaares, das rein zufälligerweise in Deutschland geboren wird und bei dessen Eltern keine Integrationsbereitschaft herrscht, die doppelte Staatsangehörigkeit bekommen soll. Da sind wir wirklich grundsätzlich unterschiedlicher Auffassung.
Ich möchte nun zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, wer, genährt durch spekulative Veröffentlichungen, heute nachmittag sensationelle Entwicklungen erwartet, wird enttäuscht werden. Wir lehnen auch heute die Anträge und Entwürfe der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen ab.
({1})
Ich hätte gerne noch einen Satz zum Kollegen Westerwelle gesagt. Da er leider nicht anwesend ist, bitte ich, es ihm weiterzugeben. Er hat auf eine entsprechende Frage erklärt, das Wasser suche sich seinen Weg. Natürlich ist das richtig. Aber der Mensch zähmt und bändigt das Wasser und weist ihm sein Flußbett zu.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Belle, es richtet sich nicht gegen Sie persönlich. Aber wir haben es wirklich satt.
({0})
Wir haben es satt, hier den Dauerkrach zwischen CDU/CSU, aufgespalten in Reformfreunde und -gegner, und F.D.P. zu erleben. Wir haben es satt, hier immer wieder Muskelspiele zwecks Medienwirkung und Profilierung zu bestaunen, denen keine parlamentarische Tat folgt.
Wir haben es auch satt, aus dem Kreise von Liberalen und Christdemokraten die Erkenntnis zu hören, es gebe in diesem Hohen Hause eine Mehrheit für eine vernünftige und durchgreifende Reform. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie das seit drei Jahren predigen, verhelfen Sie doch dann dieser Mehrheit zum Durchbruch!
({1})
Dafür brauchen wir jetzt auch keine Neuauflage des Stücks aus der Serie „Begrenzte Aufmüpfigkeit", die uns „junge Milde" gerne liefern, und auch keine Fernsehstatements mit vagen Ankündigungen irgendeines möglichen Ausbruchs aus der Koalitionsraison. Liebe Kolleginnen und Kollegen, tun Sie endlich etwas, statt nur zu tönen! Die Sache gehört hierher ins Parlament. Hier werden Gesetze gemacht, nicht auf Pressekonferenzen.
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Wie sollten wir nun vorgehen? Sie brauchen nicht mehr viel Gehirnschmalz zu verschwenden; es liegt alles schon auf dem Tisch. Wir haben genügend Anträge und Gesetzentwürfe von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, in denen genau das aufgeschrieben ist, von dem die Kollegen Altmaier, Blens, Eylmann, Geißler, Hirsch, Schmalz-Jacobsen bis hin zu Herrn Westerwelle reden, den ich im Moment leider auch nicht entdecken kann.
Diese Vorlagen hätten längst im Innenausschuß abschließend beraten und abgestimmt werden können. Da das nicht geschieht, haben wir unser parlamentarisches Recht nutzen müssen, um das Parlament überhaupt zum Austragungsort für diese wichtige Frage zu machen. Sie aber haben sich leider im Dauerkrach verhakelt und damit ein wichtiges Reformvorhaben für die gesamte Legislaturperiode auf eine erbärmliche Weise zerredet, verschleppt und kaputtgemacht.
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Dafür trägt die gesamte Koalition, Herr Belle, die Verantwortung - und nicht nur einerseits die Hardliner und andererseits vielleicht die Pseudorebellen, die immer nur Anlauf genommen haben, statt auch einmal zu springen. Wir Parlamentarier könnten das alles ja noch verkraften. Schließlich kennen wir Selbstblockade auch in anderen Fragen, die die Koalition zu bewältigen versucht.
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Aber dieser Bundestag hat die Pflicht, veraltete und verkrustete Gesetze durch bessere und zeitgeDr. Cornelie Sonntag-Wolgast
mäße zu ersetzen. Darum geht es. Vor allen Dingen geht es darum, bei den Betroffenen endlich die Erwartungen zu befriedigen, die wir als Gesetzgeber schon vor Jahren erweckt haben. Deshalb nenne ich noch einmal unsere wesentlichen Forderungen und Ziele.
Wir wollen die erforderlichen Fristen der Einbürgerung deutlich absenken, nämlich auf acht Jahre rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik. Wir wollen die Einbürgerung nach Ermessen ab fünf Jahren Aufenthalt ermöglichen.
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Die Kinder hier lebender Zuwanderer sollen mit der Geburt automatisch Deutsche werden. Dieses Recht können die Eltern im ersten Lebensjahr des Kindes ausschlagen. Niemand soll zwangsgermanisiert werden. Aber es ist notwendig, das Abstammungsprinzip um das Territorialprinzip zu ergänzen.
Wir wollen auch niemanden in die doppelte Staatsangehörigkeit auf Gedeih und Verderb hineindrängen. Doch die Beibehaltung der bisherigen oder der althergebrachten Staatsangehörigkeit soll einem Menschen, der einen deutschen Paß erwerben will und einen Rechtsanspruch darauf hätte, nicht im Wege stehen. Wir verlangen auch nicht, daß eingebürgerte Kinder und Jugendliche aus ausländischen Familien spätestens mit 18 oder 21 Jahren sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Tun sie es freiwillig, um so besser.
Jetzt appelliere ich an die Reformgegner in der CDU/CSU: Holen Sie bitte - Herr Belle, das gilt auch für Sie - das Thema „doppelte Staatsangehörigkeit" einmal von dem hohen Sockel herunter, auf den Sie es selber gestellt haben!
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Gehen Sie doch einmal nach Lebenswirklichkeit!
Folgen Sie doch einfach der Erkenntnis, daß wir fast
2 Millionen hier eingebürgerte Doppelstaatler haben!
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Und die Welt ist in der Bundesrepublik noch immer nicht aus den Fugen geraten. Ich höre aus Ihren Kreisen nicht Zeter und Mordio, daß die meisten davon deutschstämmige Aussiedler sind. Es klappt sogar mit der Loyalität.
Es geht bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts um unser wichtigstes und dringlichstes Angebot an diejenigen Zuwanderer und ihre Familien, die hier längst heimisch und verwurzelt sind. Es geht um ein überfälliges Signal gegen die zunehmende Neigung gerade bei jungen Ausländern, sich aus Frust und Enttäuschung von dieser Gesellschaft abzukoppeln, Zuflucht bei gewaltbereiten Gruppen oder in fundamentalistischen Strömungen zu suchen.
Diese gleichberechtigte Teilhabe hilft beim Hineinwachsen in diese Gesellschaft, ebenso aber auch wie den Einheimischen das Wissen darüber hilft: Diese Menschen übernehmen mit dem deutschen Paß die gleichen Rechte und Pflichten. Es geht - das klingt ein bißchen pathetisch - um einen Beitrag zum inneren Frieden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das hat nichts zu tun mit einer erneuten und vermehrten Einwanderung. Diese wollen wir nicht. Wir wollen einen Beitrag zur Integration hier längst heimisch Gewordener leisten, zu Partnerschaft und gegenseitiger Achtung.
Der Bundeskanzler hat es am vergangenen Wochenende leider für nötig befunden, die Reform auf eine krasse Weise abzulehnen. Ich finde das enttäuschend, und ich finde das schlimm. Noch schlimmer finde ich, daß er das mit dem völlig abwegigen und von keiner Sachkenntnis getragenen Argument macht, es gebe dann nicht zwei oder drei, sondern vier, fünf, sechs Millionen Türken in diesem Land. Das ist eine diskriminierende Aussage. Das ist dumpfe Stimmungsmache und schlichtweg erschrekkend.
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Daß mit der Erklärung zur Chefsache von höchster Stelle zugleich der Tiefpunkt der Debatte erreicht ist, das hätte ich nun doch nicht erwartet. Aber klar ist: Der Kanzler braucht in seinen Reihen Ruhe im Karton. Einen weiteren Koalitionskrach oder Punktsieg der Liberalen kann er sich nicht leisten. Deshalb meinte er also, ein Machtwort sprechen zu müssen. Es war inhaltlich falsch, taktisch eine Notbremse und politisch leider ein Wegweiser in die falsche Richtung.
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Meine lieben Kollegen unter den Reformwilligen, was bleibt Ihnen jetzt noch zu tun? Sie haben zwei Möglichkeiten.
Erste Möglichkeit: Sie stimmen unseren Anträgen sowie der Initiative des Bundesrates, zu der der Kollege Bökel aus Hessen gleich noch reden wird, ausdrücklich zu, statt in der Sache nur mit dem Kopf zu nicken, wenn wir deren Inhalte hier erläutern.
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Zweite Möglichkeit: Sie bringen eine parlamentarische Initiative ein, über die sich reden läßt. Ein Gruppenantrag wird nun ja wohl auszuschließen sein.
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Wenn diese Initiative - sollte sie noch kommen, Herr Marschewski; auch ich bin da skeptisch ({13})
wesentliche Punkte der Forderungen enthält, die ich eben beschrieben habe, dann ist die SPD für Gespräche offen. Sollte es sich aber um Minimallösungen wie das einstmals verunglückte Modell der Kinderstaatszugehörigkeit oder die jüngst aufgetauchte Variante einer Einbürgerungsgarantie für junge Ausländer, die aber erst nach dem 18. Lebensjahr greift, handeln, dann ist dieser Versuch einer Einigung gescheitert.
Wir können es nicht dulden, vor jungen Zuwanderern nur die Option des deutschen Passes wie eine zu hoch angebrachte Christbaumkugel baumeln zu lassen. Solch ein Vorschlag verdient nicht den Namen „Reform", sondern er verdient unsere Ablehnung. Ich finde, Sie sollten, wenn das alles so ist, ehrlicher sein, klipp und klar sagen: Unter dem Regiment Kohl und Kanther war nichts zu bewegen.
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Das finde ich gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den Zuwandererfamilien ehrlicher, als weiterhin immer nur den Taktstock zu heben; und wenn der Chor anfangen will zu singen, dann kann er nicht und wird zurückgepfiffen.
({15})
Das ist ein Zustand, den wir nicht länger dulden wollen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cern Özdemir.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit über sieben Jahren diskutiert dieses Haus nun schon die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes. Seit sieben Jahren verspricht diese Koalition eine Reform - mal grundlegend, mal umfassend. Herausgekommen ist bisher nichts. Man kann sich nur die Frage stellen: Wo bleibt die vom Bundespräsidenten Herzog geforderte Reformoffensive?
({0})
- Es ist unser aller Bundespräsident; deshalb steht das Zitat nicht nur Ihnen zu.
({1})
Wir alle reden von der Einführung des Euro. Gleichzeitig leisten wir uns ein Staatsangehörigkeitsrecht aus Wilhelminischer Zeit, mit dem man sich nicht nur nicht in Deutschland, sondern nirgendwo in Europa blicken lassen kann.
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Ein solches Staatsangehörigkeitsrecht gehört auf dem Schrottplatz der Geschichte umweltfreundlich entsorgt, aber es gehört nicht in einen modernen europäischen republikanischen Verfassungsstaat.
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Mit diesem Staatsangehörigkeitsrecht können wir uns nicht nur nicht in Europa blicken lassen. Auch unsere amerikanischen Freunde - wenn Sie einmal das Gespräch mit unseren amerikanischen Freunden führen, erkennen Sie das - lachen uns aus. Sie können nicht verstehen, daß wir nach wie vor an einem solchen Mummenschanz festhalten.
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Frau Hamm-Brücher, die große Dame des politischen Liberalismus in Deutschland, hat mir kürzlich auf einer gemeinsamen Veranstaltung in München erklärt, warum Art. 38 Abs. 1 unseres Grundgesetzes so lautet, wie er lautet: „Sie", also wir Abgeordneten, „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" . Es war die Erfahrung eines Theodor Heuss, unseres ersten Bundespräsidenten, es war die Erfahrung aus der Weimarer Republik, die uns dazu geführt hat, daß dieser Artikel so in unser Grundgesetz aufgenommen wurde. Dies ist, so glaube ich, mit Recht geschehen.
Es ist an der Zeit, daß alle Abgeordneten dieses Hauses sich in dieser Situation daran erinnern. Heute erleben wir eine Situation, in der die reformwillige Mehrheit dieses Hauses systematisch kaltgestellt wird von einer Minderheit in diesem Haus, die nicht an einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes interessiert ist
({5})
und damit - ich sage das auch als jemand von nicht deutscher Herkunft - deutschen Interessen schadet. Sie schaden den Interessen dieses Landes. Sie schaden den Interessen der Mehrheit dieser Bevölkerung, nicht der Minderheit. Sie schaden der Mehrheit dieses Landes. Das sollten Sie sich einmal gut überlegen.
({6})
Diejenigen Reformkräfte, die so denken wie wir, sollten sich überlegen, ob sie sich nach wie vor an das Gängelband der Koalitionsdisziplin legen lassen wollen.
({7})
Cem Özdemir
Die Reformvorschläge liegen auf dem Tisch. Sie schmoren und werden von Ihnen verschoben und ausgesessen.
Keine Woche vergeht, ohne daß neue Vorschläge gemacht werden: nach dem Geburtsrecht, mit dem Kindergartenalter, mit dem Schuleintritt. Ich warte schon auf den Vorschlag, daß es dann endlich beim Renteneintritt die Einführung der erleichterten Staatsbürgerschaft geben soll. Ich glaube, das zeigt, daß es denen, die diese Vorschläge machen, nicht um die Sache geht. Es geht ihnen ganz offensichtlich darum, sich bis zum Wahltag zu retten.
Ich möchte noch ein Wort an die F.D.P. richten. Unsere Freunde von der F.D.P. setzen sich lautstark für eine Reform ein und zeigen immer wieder Drohgebärden. Ich traue es dieser F.D.P. zu, daß sie bis zum Wahltag an die Presse geht und verkündet: Noch eine Koalitionsrunde, eine letzte, finale Koalitionsrunde, dann kommt die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes garantiert. Ich prophezeie: Es wird nichts kommen. Diese F.D.P. hat jedes liberale Feigenblatt abgelegt. Sie steht nicht mehr für eine Rechtspolitik, die damit aufhört, Nichtdeutsche in dieser Republik zu Menschen zweiter Klasse abzustempeln.
({8})
Wenn Sie tatsächlich ein Interesse daran haben, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren, dann f ordere ich Sie auf: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen. Lassen Sie uns gemeinsam nach einem Kompromiß suchen.
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Es gibt eine Mehrheit in diesem Hause. Verkünden Sie nicht nur vor der Bundestagswahl in Anzeigen in der türkischen Presse, wie Sie sich ein Staatsangehörigkeitsrecht vorstellen, sondern machen Sie das auch nach der Wahl. Sie haben den Auftrag dazu bekommen.
Ich stelle mir die Frage, warum der Umzug unseres Parlaments in die Hauptstadt Berlin bei uns eine Gewissensfrage, aber die Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes nicht eine Gewissensfrage sein soll.
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Zumindest in diesem Punkt stimme ich Herrn Gerhardt, dem Vorsitzenden Ihrer Fraktion, ausdrücklich zu. Herr Gerhardt hat es sehr eindrücklich formuliert. Wenn Sie in dieser Legislaturperiode in dieser Frage wieder einknicken, dann brauchen Sie sich nicht nur hier nicht mehr sehen zu lassen, sondern, ich glaube, dann können Sie sich wirklich einseifen lassen; denn dann hat dieses Parlament, dann hat Deutschland wirklich jede Art von Achtung vor Ihnen verloren.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie gemäß dem biblischen Motto „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein" mit uns zusammen - Sie haben jetzt die Gelegenheit - einen Gruppenantrag folgen. Dann wollen wir sehen, ob wir das nicht zusammen hinbekommen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Özdemir, ich werde jetzt nicht über Garzweiler reden.
({0})
Alle, die wir koalitionserfahren sind, wissen, daß es Ecken gibt, die schwierig sind.
({1})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.
({2})
Die Bundesrepublik Deutschland ist heute ein erfreulich aufgeschlossenes Land, wie man sieht, wenn man sie betrachtet. Sie ist ein großzügiges Land. Das Zusammenleben klappt weithin ziemlich gut. Wir haben ein Ausländergesetz, das wesentlich liberaler ist als viele andere Ausländergesetze
({3})
und das sehr viel besser ist als sein Ruf. Aber es hat einen Nachteil: Es nimmt zuwenig Rücksicht auf diejenigen, die nicht mehr darunter fallen sollten, die hier geboren sind, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, die hier die Schule durchlaufen.
({4})
Aus diesem Grund brauchen wir ein anderes Gesetz, das diesen Tatsachen Rechnung trägt. Alle in Deutschland geborenen Kinder, die hier aufwachsen und ausländische Eltern haben, gelten als Ausländer und müssen sich den Aufenthalt in dem Land, in dem sie geboren wurden, genehmigen lassen. Das bedeutet doch etwas für das Zugehörigkeitsgefühl bzw. das mangelnde Zugehörigkeitsgefühl. Ich denke, es ist im Interesse unseres ganzen Landes und aller seiner Einwohner, daß wir hier Änderungen schaffen.
Auch Sie alle werden heute den großen Leitartikel auf der ersten Seite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gelesen haben - wahrlich kein Blatt, das linksradikaler Umtriebe als verdächtig gilt.
({5})
Dort steht der schöne Satz, bezogen auf die Kinder: „Es lassen sich am besten Staatsbürger zu Staatsbürgern erziehen. "
({6})
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen; das ist sehr klug.
Ich möchte nun in aller Kürze darlegen, worum es geht und worum es nicht geht, und zwar nach der Methode: Falsch ist ...; richtig ist vielmehr ...
Es ist nicht richtig, wenn behauptet wird, daß jetzt alle ausländischen Kinder, die in Deutschland geboren werden, zu Deutschen werden sollen. Das ist nicht das Thema. Wir möchten das an bestimmte Kriterien binden, zum Beispiel an das Kriterium, daß ein Elternteil bereits lange hier lebt und einen verfestigten Aufenthaltsstatus hat.
Es geht nicht in erster Linie um Doppelstaatsbürgerschaften, sondern um eine bessere Integration. Der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit bleibt nach unseren Vorstellungen erhalten.
({7})
Es ist falsch, wenn in die Welt gesetzt wird - übrigens vom Oberbürgermeister von Stuttgart, wenn ich mich richtig erinnere -, daß wir einen größeren Zustrom hätten. Ich will Ihnen eine Zahl des Statistischen Bundesamtes, das ebenfalls unverdächtig ist, nennen. In dem letzten statistisch erfaßten Jahr ist bei den Türken - wir reden offenbar nur über Türken - unterm Strich ein Plus von 30 000 Menschen verzeichnet. Dazu gehören der Familiennachzug und auch die Asylbewerber; die meisten sind Kurden und haben die türkische Staatsbürgerschaft.
Es ist nicht richtig, wenn gesagt wird: Bei uns gibt es keine Doppelstaatsbürgerschaft. Es gibt sie, und zwar massenhaft. Ich weiß nicht, bei wieviel Familien unseres Koalitionspartners es diese Fälle gibt. Ich weiß von einigen binationalen Ehen. Offenbar ist dies wenig dramatisch.
Binationale Ehen gibt es in großer Zahl. Hier, meine Damen und Herren, vollzieht sich vor unseren Augen ein Wandel in unserem Land, ohne daß manche ihn überhaupt wahrnehmen, der wesentlich stärker ist als all unsere Worte. Wenn jede achte Ehe, die heute geschlossen wird, eine binationale Ehe ist - und die Zahl ist gestiegen -, dann spricht dies für einen tiefgreifenden Wandel in unserem Land.
Das hat zur Folge, daß die Kinder eigentlich gleich sind, daß sie gleich aufwachsen: Kinder mit zwei deutschen Elternteilen, Kinder mit einem deutschen Elternteil, die binational sind, und ausländische Kinder, die hier aufwachsen. Nur, wir sind der Meinung, daß sie sich nicht nur als gleiche empfinden sollten, daß sie vielmehr gleichberechtigt sein sollten und das auch wissen sollten. - Eine Doppelstaatsbürgerschaft auf Zeit, meine Damen und Herren, ist kein Glaubensartikel.
Ich will Ihnen sagen: Wer hier von einem Störfeuer der F.D.P. spricht, ist auf dem Holzweg. Wenn jede Artikulation der Überzeugung als Störfeuer angesehen wird, dann ist das eigentlich in einer Demokratie ein trauriges Zeichen.
({8})
Wir haben hier, wie auch in vielen anderen Bereichen, einen Reformstau. Ich stehe nicht an, zu sagen, daß das alles nicht einfach ist; denn es gibt Loyalitäten innerhalb einer Koalition; das wird überhaupt nicht abgestritten. Als Gesetzgeber, als Parlament aber haben wir die Aufgabe, veränderten Wirklichkeiten, in welchem Bereich auch immer sie auftreten, gerecht zu werden.
({9})
Ein offenes parlamentarisches Verfahren, an dem sich Mitglieder aller Fraktionen - ich betone: aller Fraktionen - beteiligen, um eine akzeptable Lösung für diejenigen, um die es geht, zu finden, könnte eine befriedende Lösung sein.
Danke schön.
({10})
Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Kerstin Müller das Wort.
Frau Schmalz-Jacobsen, Sie haben sich hier noch einmal nachdrücklich für das Geburtsrecht unter bestimmten Bedingungen eingesetzt, Sie haben den Reformstau beklagt und zum Schluß das offene parlamentarische Verfahren angesprochen. Ich meine, daß es dann aber auch wirklich an der Zeit ist, daß Sie und die mit Ihrem Anliegen sympathisierenden Abgeordneten in der CDU - Herr Altmaier und andere - diese Initiative ergreifen. Andernfalls, so muß ich sagen, werde ich den Eindruck nicht los, daß es sich hier wie im Jahre 1993 und wie im Jahre 1994 auch wieder um Wahlkampfgetöse handelt. Damals - wir hatten hier schon einmal diese Abstimmung - haben Sie gegen Ihren eigenen Antrag, gegen Ihren Entwurf, den der Bundesrat eingebracht hatte, gestimmt und ihn damit beerdigt. Ich finde, daß das nicht noch einmal passieren darf.
Sie haben selbst erklärt, daß die Verhandlungen mit der Koalition gescheitert seien. Das heißt dann aber auch, wenn Sie es wirklich ehrlich meinen, daß jetzt ein Entwurf für einen interfraktionellen Gruppenantrag auf den Tisch muß, weil das wirklich der einzige Weg ist, auf dem wir noch zu einer Reform in diesem Jahr kommen können.
Ich kann Ihnen sagen, daß wir gern bereit sind, uns daran zu beteiligen, aber dieser Entwurf muß dann wirklich auf den Tisch dieses Hauses. Sonst wird das nichts mehr, und dann war das Ganze nur ein Wahlkampfgeschrei.
({0})
Frau Schmalz-Jacobsen, bitte.
Frau Kollegin Müller, ich habe in dieser Angelegenheit nie gegen meine Überzeugung gestimmt. Sie waren 1993 nicht im Parlament; darum wissen Sie das wahrscheinlich nicht so genau.
Ich finde es schon stark, wenn Sie hier Worte wie „Geschrei" und „Getöse" gebrauchen. Ich weise das für meine Person zurück. Dazu nehme ich meine Arbeit zu ernst.
({0})
Wie und wann wir zu Rande kommen, das müssen Sie, bitte schön, uns überlassen. Nur, nehmen Sie mir bitte eines ab: Der Eindruck, daß hier gar nichts getan werde, ist ein sehr falscher Eindruck. Sie können selbstverständlich nicht wissen - wir haben auch gar keine Veranlassung, mit Ihnen darüber zu sprechen -, wieviel Stunden wirklich schwierigster Arbeit und schwierigster Verhandlungen bereits hinter uns liegen. Ich hoffe sehr, daß wir zu einer Lösung kommen. So denken, glaube ich, viele in diesem Parlament und auch viele beim Koalitionspartner. Jetzt schauen wir mal!
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht um die Frage der Integration von Millionen Menschen und dabei vor allem auch um die Frage der Integration von Kindern. Man kann zu Reformvorschlägen unterschiedlicher Auffassung sein, aber daß die Reform notwendig ist, hat von denen, die hier gesprochen haben, noch niemand bestritten. Tatsache ist nur, daß die Reform seit Jahren nicht zustande kommt.
Sie wissen, wie wichtig die Frage der Staatsbürgerschaft für die Frage der Integration ist; denn nur Menschen, die gleichberechtigt sind, sind dann auch in den Augen ihrer Kolleginnen und Kollegen, ihrer Nachbarinnen und Nachbarn gleichwertig, und nur Menschen, die gleiche Rechte haben, nützen sie auch. Daraus entstehen auch Pflichten, und damit entsteht eine andere Form von Integration.
({0})
Ich finde es ziemlich übel, Herr Belle, wenn Sie hier sagen, wenn ein Kind zufällig in Deutschland geboren werde, sollte es die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Darüber könnte man auch reden. Analog machen das übrigens die Briten seit mehreren Jahrzehnten und sind dabei nicht untergegangen. Das ist durchaus eine denkbare Konstruktion. Aber diese Konstruktion hat hier noch niemand vorgeschlagen. Hier ist vorgeschlagen worden, den Kindern eine deutsche Staatsbürgerschaft zu geben, wenn zumindest ein Elternteil seit längerer Zeit in Deutschland lebt. Das ist eine ganz andere Voraussetzung als die, die Sie hier benannt haben.
Von den Kritikern wird eingewandt, daß eine doppelte Staatsbürgerschaft schädlich sei. Ich habe noch nie gehört, warum. Was ist an einer doppelten Staatsbürgerschaft eigentlich problematisch? Nach dem Staatsbürgerschaftsrecht gilt die Staatsbürgerschaft immer nur in dem Land, in dem die entsprechende Staatsbürgerschaft erworben ist. Das heißt, wenn jemand eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, darunter eine deutsche Staatsangehörigkeit, und in der Bundesrepublik Deutschland lebt, wird er hier ausschließlich als Deutscher oder als Deutsche behandelt. Die andere Staatsbürgerschaft spielt dann gar keine Rolle. Das heißt, es beeinträchtigt überhaupt niemanden.
({1})
Ist es Ihr preußischer Ordnungssinn, der dagegen spricht, gibt es irgend etwas, was Sie dabei durcheinanderbringen, oder ist es in Wirklichkeit so, daß Sie eben nicht wollen, daß diese Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, und daß sie deshalb die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft hochspielen, um Ihr eigentliches Anliegen nicht zum Ausdruck bringen zu müssen? Diese Sorge habe ich.
({2})
Jetzt sage ich Ihnen noch folgendes: Sie erklären, es müßte gleich eine richtige Entscheidung für die eine oder andere Staatsangehörigkeit getroffen werden. Jetzt frage ich Sie: Wie soll ein Säugling, ein Dreijähriger diese Entscheidung treffen? Warum machen Sie solche Dinge von Menschen abhängig, die das gar nicht entscheiden können? Wenn sich die Eltern nicht entscheiden wollen, können Sie doch dafür die Kinder nicht verantwortlich machen. Insofern ist es doch das mindeste, ihnen wenigstens befristet die doppelte Staatsangehörigkeit zuzubilligen.
({3})
Jetzt komme ich zur letzten Frage, weil mich das sehr stört - das muß ich sagen -, wie damit seit Jahren umgegangen wird und wie hier keine Einigung zustande kommt. Ich muß Ihnen sagen, Frau Schmalz-Jacobsen: Es kann sein, daß Sie stundenlang verhandeln. Das glaube ich Ihnen gerne. Auch glaube ich, daß Sie ernsthaft um eine Lösung ringen. Aber es ist doch absehbar, daß Sie bei bestimmten Sturköpfen in der CSU einfach keine reale Chance haben, zu einer Einigung zu kommen.
({4})
Wir sind in diesen Bundestag auch in einer bestimmten Einzelverantwortung gewählt worden. Eine für Millionen von Menschen und auch für Tausende von Kindern so wichtige Frage der Koalitionsräson zu opfern heißt auch, seine Interessenvertretungspflicht zu verletzen.
Ich möchte noch eines hinzufügen: Die Koalition würde doch an dieser Frage nicht scheitern. Sie ist schon an ganz anderen Dingen nicht gescheitert, bei denen man es hätte erwarten können. Sie müssen sich einfach nur einen Ruck geben und sagen, Koalitionsräson tritt hier zurück. Es geht um das Schicksal
von Millionen von Menschen. Das muß endlich gelöst und darf nicht weiter vertagt werden, wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben.
({5})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, wenn man die Herkunft Ihrer Partei und Ihre eigene Vergangenheit bedenkt, dann ist es wirklich unerträglich, zu einem so elementaren Problem wie der deutschen Staatsangehörigkeit und des Verhältnisses zum demokratischen Staat von Ihnen Ratschläge erteilt zu bekommen. Das muß ich Ihnen wirklich in aller Offenheit sagen.
({0})
Wir erörtern dieses Thema nicht zum erstenmal. Auch werden wir es nicht zum letztenmal erörtern. Daß es Probleme gibt, bestreitet niemand. Aber wir sollten alle bedenken, daß es sich eben um eine sehr prinzipielle, das Verhältnis von Bürger und Staat elementar betreffende Materie handelt. Deshalb muß jeder Schritt gründlich beraten und sorgfältig bedacht werden. Wir haben zugegebenermaßen bis heute das Ei des Kolumbus nicht gefunden. Aber ich muß Ihnen schon sagen, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, auch die Vorschläge der Opposition, die Sie so preisen, zeigen keinen unproblematischen Weg auf.
Die Staatsangehörigkeit ist keine Belanglosigkeit, sondern betrifft das Geben und Nehmen zwischen dem Bürger und seinem demokratischen Staat und umgekehrt. Dieses Verhältnis muß - ich glaube, das versteht sich von selbst - konfliktfrei gestaltet sein. Es muß Loyalität beinhalten und auch eine verläßliche Schutzfunktion des Staates für den Bürger, zum Beispiel im Ausland, vermitteln können.
Das ist aber dann nicht ohne weiteres der Fall, wenn eben konkurrierende Loyalitäten, zum Beispiel bei einer Doppelstaatsangehörigkeit, bestehen. Diese Staatsangehörigkeit kennzeichnet nicht nur ein bloßes, jederzeit variables gegenseitiges Vertragsverhältnis, sondern sie bedeutet schließlich die Zuordnung zu einer bestimmten Rechts- und Gesellschaftsordnung, hier also zur deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung, die sich bekanntermaßen über lange Zeit hin entwickelt hat. Es geht um die Zuordnung beispielsweise zu einem bestimmten Familienrecht, Erbrecht und Strafrechtsverständnis. All diese Dinge gehören damit hinein, so daß eben auch die Gefahr besteht, daß sie nun, wenn sie Loyalitätskonflikte zulassen, den Konflikt geradezu in die Familien und in die familiären Beziehungen hineintragen. Das bietet keine Hilfe, sondern führt überflüssige vermeidbare Konflikte herbei.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Onur?
Bitte schön.
Bitte, Frau Onur.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie mir persönlich und hunderttausend anderen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande, die wie ich eine zweite Staatsbürgerschaft haben, die Loyalität absprechen, diesem Staat und diesen Bürgern in diesem Lande aufrecht und mit Überzeugung zu dienen? Habe ich Sie richtig verstanden: Ist das Ihre Aussage gegenüber mir und hunderttausend anderen Bürgern in diesem Lande?
({0})
Frau Kollegin, ich habe Ihnen überhaupt nichts abgesprochen, sondern auf die bekannte Gefahr hingewiesen, daß es zu Loyalitätskonflikten kommen kann. Das können Sie nicht bestreiten - ohne Rücksicht auf die Frage, wie bei vorhandener Doppelstaatszugehörigkeit dieser Konflikt im Einzelfall gelöst wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Bitte schön.
Herr Kollege Lintner, stimmt es, daß die CSU sehr betont dafür eintritt, daß Bürger in einer bestimmten Region Europas die Doppelstaatsangehörigkeit behalten?
Herr Kollege Schily, da Sie wie ich aus Bayern kommen, kann ich mir vorstellen, auf was Sie anspielen. Aber Sie wissen, daß die ,,bayerische Staatsangehörigkeit" keine rechtliche Qualität hat.
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Bevor wir ins Folkloristische kommen, erlauben Sie mir, zum Ende zu kommen.
({1})
Es geht hier um mit Vorbedacht zu treffende Regelungen und nicht um die Realisierung bereits vorhandener Anknüpfungspunkte, wie es dann der Fall ist, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit beispielsParl. Staatssekretär Eduard Lintner
weise bei dem Ehegatten oder einem Elternteil vorliegt.
Das Verhältnis zwischen Staatsbürger und seinem Staat ist nicht beliebig und kann auch nicht beliebig gestaltet werden. Das zeigt sich etwa in der Sorgfalt, mit der das Bundesverfassungsgericht die Staatsangehörigkeit in seinen Entscheidungen behandelt hat. Der Kollege Meinrad Belle ist darauf bereits eingegangen.
Auch die Frage, ob ein Ausländer in einem Staat, in einer Gesellschaft integriert ist oder nicht, hängt nicht in erster Linie von der Staatsangehörigkeit ab, sondern davon, ob er diese Integration anstrebt oder nicht und ob diese Integration von der einheimischen Bevölkerung gleichermaßen akzeptiert wird. Deshalb ist es sinnvoll und logisch, daß die Staatsangehörigkeit als Schlußpunkt des Integrationsprozesses und nicht eben als ein Element der Integration zu sehen ist.
Meine Damen und Herren, da es in unserer Diskussion um Fälle geht, in denen die Eltern der betroffenen Kinder längst ihre Einbürgerung als Deutsche hätten herbeiführen können, dies aber ausdrücklich nicht getan haben, wird dieser Integrationsschritt bewußt nicht getan. Auch das muß zur Kenntnis genommen werden. Von den zur Zeit 7,3 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Ausländern sind rund 3 Millionen, also 40 Prozent, länger als 15 Jahre hier, könnten sich also einbürgern lassen. Realisiert wurde dieser Anspruch in den letzten fünf Jahren jedoch nur von rund 10 Prozent dieses Personenkreises.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß es sich auch aus der Sicht der deutschen Bevölkerung um ein emotional höchst sensibles Thema handelt.
({2})
Jeder Schnellschuß - da werden Sie mir recht geben - verbietet sich daher. Deshalb tut die Bundesregierung gut daran, sich Veränderungen im Staatsangehörigkeitsrecht sorgfältig zu überlegen und nicht schnelle Kompromisse zu schließen. Wir sind derzeit im Ringen um verträgliche Wege und lassen uns dabei auch nicht durch die Ungeduld der Opposition zu unbedachten Schritten verleiten. Dafür haben Sie als Opposition kein Verständnis - das weiß ich -, aber sehr wohl die Bevölkerung, die wir zu vertreten haben.
Vielen Dank.
({3})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast? - Das ist nicht der Fall.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gysi.
Herr Staatssekretär Lintner hat zum wiederholten Male - so auch in dieser Debatte - darauf hingewiesen, daß mir und der Gruppe der PDS wegen der Geschichte meiner Partei die Legitimität fehlt, zu solchen Dingen Stellung zu nehmen. Sie haben dann auch noch auf meine persönliche Biographie hingewiesen. Nun hatte ich früher mit Staatsangehörigkeitsfragen nichts zu tun, so daß ich nicht einmal weiß, was Sie meinen.
Irgendwann werden auch Sie akzeptieren müssen, daß wir auf demokratische Art und Weise in dieses Parlament gewählt worden sind, also das Recht zur Stellungnahme haben, ob Ihnen diese Stellungnahme nun gefällt oder nicht. Das werden Sie einfach lernen müssen.
Sie haben auch keine Ahnung von der Geschichte der DDR. Sonst wüßten Sie nämlich, daß sich ein Vergleich hier nicht anbietet; denn das Problem in der DDR war es, die Staatsangehörigkeit loszuwerden, und nicht, sie zu bekommen, was jetzt aber das Problem in der Bundesrepublik Deutschland ist.
({0})
Frau SchmalzJacobsen, jetzt wird erst Herr Lintner antworten. Ich glaube, daß Sie eine andere Frage haben. Deswegen gebe ich erst Herrn Lintner das Wort zur Antwort.
Sehr geehrter Kollege Dr. Gysi, es geht weniger um den Inhalt, als vielmehr um die Art und Weise, in der Sie diese Dinge hier vortragen. Im übrigen ist der Vergleich mit der DDR hier völlig abwegig. Denn Sie wissen aus eigenem Erleben sehr genau, was dort los war. Deshalb versteht es sich von selbst, daß solche Bezüge für die Thematik, über die wir hier sprechen, nicht angemessen sind.
({0})
Zu einer Kurzintervention jetzt die Kollegin Schmalz-Jacobsen.
Frau Präsidentin, ich hätte dem Herrn Staatssekretär gern eine Frage gestellt. Ich muß das jetzt in der Form einer Kurzintervention tun, weil ich mich zu spät zu einer Zwischenfrage gemeldet hatte.
Ich möchte darum bitten, daß diejenigen, die Probleme mit dem sogenannten kleinen Türchen bezüglich des Geburtsrechts unter bestimmten Voraussetzungen haben, einmal den Standort wechseln und sich überlegen sollten, ob es nicht in unserem ureigenen Interesse ist, daß wir diese Kinder bei uns als unsere Staatsbürger aufwachsen lassen und sie nicht erst in die Situation drängen, ihren Wunsch nach einer deutschen Staatsbürgerschaft anmelden und anfragen zu müssen. - Das ist eine Sache.
Die Kinder, so glaube ich, sollten so aufwachsen, daß sie sich wirklich dazugehörig fühlen können, und sollten nicht in die Gefahr geraten - und wir nicht mit ihnen -, daß hier eine Diaspora wächst, die uns allen nicht guttun kann. Ich möchte Ihnen noch einmal den von mir bereits genannten Leitartikel in der „FAZ" zur Lektüre empfehlen.
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich kann Ihnen versichern - Sie wissen das ja, denn Sie sind bei den Gesprächen immer dabei -, daß all diese Gesichtspunkte mit großem Ernst und mit großem Einfühlungsvermögen geprüft und debattiert werden. Deshalb möchte ich zum Ausdruck bringen, daß Ihre Sorge, das könnte nicht geschehen, nicht berechtigt ist.
Im übrigen darf ich Ihnen versichern, daß ich den Leitartikel, den Sie nun schon mehrfach zitiert haben, bereits heute früh zur Kenntnis genommen habe.
Ebenfalls zu einer Kurzintervention der Kollege Häfner.
Ich möchte nach dieser Debatte meine große Sorge über die Art ausdrücken, wie wir diese geführt haben.
({0})
- Das ist ein Problem, mit dessen Lösung Sie als Koalition angetreten sind. Sie haben gesagt: Das wollen wir in diesen vier Jahren lösen. Ich finde, es ist ein erbärmliches Bild der Koalition, daß Sie das nicht zustande bringen.
({1})
Das ist aber nicht das Thema. Ich finde es für das Bild dieses Parlaments, des Deutschen Bundestages, noch erbärmlicher, daß wir ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, dieses große Problem zu lösen, und daß noch immer Menschen, und zwar Millionen von Menschen, in diesem Lande leben, die Inländer sind, hier geboren sind, hier aufwachsen, unsere Sprache sprechen, hier lernen, arbeiten, in die Sozialkassen einzahlen, aber behandelt werden wie Ausländer.
({2})
Wir haben in dieser Debatte klipp und klar die Standpunkte gehört - traurigerweise nicht alle. Aus der Union haben sich diejenigen, die auf unserer Seite stehen, nicht zu Wort gemeldet, oder sie durften nicht. Das bedaure ich. Aber wir wissen doch: Es gibt eine Mehrheit in diesem Haus für eine vernünftige Regelung der Staatsangehörigkeit. Ich möchte ernstlich fragen: Welcher Zacken bricht Ihnen und uns aus der Krone, hier einmal über Ihren Schatten zu springen und das zu tun, was das Grundgesetz in Art. 38 verlangt, nämlich einmal nicht Aufträgen und Weisungen zu folgen, sondern einmal Ihrem Gewissen folgend hier für eine vernünftige Regelung zu stimmen.
({3})
Es gibt in der CDU und in der F.D.P. gemeinsam mit PDS, SPD und Grünen weiß Gott genug Menschen, die für eine vernünftige Regelung dieser
Frage eintreten. Als Bayer bin ich nicht gewillt, weiter hinzunehmen, daß ein kleines Häuflein Ewiggestriger in der Union eine Abstimmung in diesem Parlament blockiert. Deswegen der dringende Appell an Sie, nun endlich über Ihren Schatten zu springen und eine Lösung dieser Frage möglich zu machen.
({4})
Herr Staatssekretär, Sie können darauf antworten. - Sie verzichten. Dann gebe ich dem Vertreter des Landes Hessen als Mitglied des Bundesrates das Wort, dem Staatsminister des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Gerhard Bökel. Herr Minister, bitte.
({0})
Staatsminister Gerhard Bökel ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde hier nicht zum Naturschutzgesetz reden. Dabei würde auch eine Debatte über das Naturschutzgesetz keine Glanzleistung für diese Koalition sein.
({2})
- Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin Verhandlungsführer der sozialdemokratischen Seite.
({3})
Es ist erbärmlich, wie gering die Kompromißbereitschaft auch in diesem Bereich war, eine wichtige Frage voranzubringen.
({4})
Es ist eben deutlich geworden, daß es hier eine Mehrheit für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht gibt. Auch im Bundesrat gibt es eine klare Mehrheit für eine Neuregelung. Meine Damen und Herren, wie kommt es denn in der Öffentlichkeit an, wenn Bundesrat und Bundestag mehrheitlich sagen: Eigentlich wollen wir etwas regeln, von dem wir überzeugt sind, aber wir bringen die Kraft dazu nicht auf.
({5})
Wenn man das so beobachtet, könnte man sagen, eigentlich ist es ja schön für die andere politische Seite, daß es in der Koalition eine tiefe Kluft gibt.
({6})
Nein, meine Damen und Herren, Schadenfreude kommt bei mir nicht auf. Dafür ist dieses Thema, um das es geht, viel zu wichtig.
Wir können es aus Verantwortung für die demokratische Zukunft und den inneren Frieden unseres Landes nicht zulassen, daß immer mehr Menschen in Deutschland geboren werden und aufwachsen und in zweiter und dritter Generation auf Dauer dem
Staatsminister Gerhard Bökel ({7})
Ausländerrecht unterliegen. Dies darf nicht akzeptiert werden.
({8})
Es darf auch nicht hingenommen werden, daß - alle Prognosen bestätigen dies -, wenn wir nicht eine Trendwende in der Gesetzgebung herbeiführen, in 30 bis 40 Jahren ein Drittel der Bevölkerung dieses Landes nicht mehr zum Staatsvolk gehört. Meine Damen und Herren und liebe Juristen, hat nicht das Bundesverfassungsgericht sowohl dem Bundestag als auch dem Bundesrat den Auftrag gegeben, zu einer möglichst weitgehenden Identität von Wohn- und Staatsbevölkerung beizutragen?
({9})
Müssen wir nicht auch zur Kenntnis nehmen - Sie sagen ja immer, die Betreffenden wollen nicht -, daß es eine große Zahl von Gründen und Motiven gibt, warum Menschen keinen Einbürgerungsantrag stellen? Diese Frage kann ja in den Raum gestellt werden, spielt aber interessanterweise in allen anderen großen europäischen Staaten keine Rolle.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen zu einer Novellierung kommen. Es ist von einem Redner der CDU/CSU gesagt worden, wir hätten noch ein Jahr Zeit. Ein Jahr Zeit haben Sie, mehr aber auch nicht.
({10})
Wenn dieses eine Jahr aber genutzt werden soll, dann muß wirklich eine Reform kommen. Dann reichen ein paar Erleichterungen - Verkürzung von Aufenthaltszeiten, „Schnupperstaatsangehörigkeit" und, wie ich es eben gehört habe, deutsche Staatsangehörigkeit erst im Rentenalter - nicht aus. Nein, es muß eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden.
Da wir im Bundestag heute auch über einen Gesetzentwurf des Bundesrates reden, fordere ich: Es muß möglich gemacht werden, daß die dritte Ausländergeneration einen eigenständigen Anspruch erhält, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, und daß neben das Abstammungsprinzip auch das Territorialprinzip tritt, wenn die Eltern der hier geborenen Kinder schon integriert sind. Genau das ist der Inhalt des Gesetzentwurfes, den der Bundesrat Ihnen heute hier vorlegt.
({11})
- Ich rede davon, daß der Bundesrat - bei allem Respekt vor Ihrer Entscheidungsverantwortung - auf Antrag des Landes Hessen nach ernster Diskussion mit deutlicher Mehrheit einen Gesetzentwurf verabschiedet hat, der für Kinder, deren Eltern schon in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind, einen automatischen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ermöglicht. Ich denke, der Bundesrat hat ein
Recht darauf, daß sich der Bundestag mit seinen Argumenten auseinandersetzt.
({12})
Ich komme zur doppelten Staatsangehörigkeit. Herr Kollege Lintner, ich begreife immer noch nicht, wo da die Gefährdung liegen soll.
({13})
Es gibt keine vernünftigen Gründe. Der Sprecher der CDU hat gesagt - das war das einzige Argument -: Da geht es an die Identität der CDU. Ich frage: Mein Gott, ist das alles?
({14})
Das kann doch nicht ernsthaft so behauptet werden. 1,8 Millionen Menschen haben die doppelte Staatsangehörigkeit. Wir wissen es oft gar nicht.
({15})
- Nein. Sie haben gesagt: Da geht es an die Identität unserer CDU,
({16})
wenn es um diese Fragen geht.
({17})
Meine Damen und Herren, das ist kein Ei des Kolumbus. Es darf aber auch nicht mit einem Tabu belegt werden,
({18})
darüber nachzudenken - Frau Schmalz-Jacobsen hat es gesagt -, ob gegebenenfalls für eine Übergangszeit eine doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen wird.
({19})
- Nein, das ist nicht niveaulos. Das ist der Vorschlag des Bundesrates, der eben genau dies möglich machen will.
Seien wir ehrlich, meine Damen und Herren: Mit Ihren Argumenten in bezug auf die doppelte Staatsangehörigkeit wollen Sie nur einen ganz billigen Nebenkriegsschauplatz eröffnen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" ist ja schon zitiert worden. Ich meine jetzt nicht den Beitrag auf der Titelseite, sondern einen im Inneren. Da steht auch etwas von diesen Schwierigkeiten. Wir wollen der Öffentlichkeit klarmachen, daß die doppelte Staatsangehörigkeit keineswegs unerträglich oder gefährlich ist, sondern vielmehr eine völlig normale Situation darstellt, die - das ergibt sich aus einem Brief von CDU-Abgeordneten - in Großbritannien, in Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, den Vereinigten Staaten gang
Staatsminister Gerhard Bökel ({20})
und gäbe ist. Wollen wir dann der deutschen Öffentlichkeit einreden, daß das in Deutschland nicht geht?
({21})
- Da haben Sie völlig recht. Es gibt natürlich Länder, in denen die gleiche Rechtslage herrscht wie bei uns
- das steht auch in dem Brief der jungen Kollegen von der CDU -: Liechtenstein, Luxemburg, San Marino.
({22})
Meine Damen und Herren, an diesen Ländern sollten wir uns nicht orientieren. Wenn wir über Integration reden, sollten wir uns einmal anschauen, welche Entscheidungen unsere Nachbarländer in Europa in diesem Punkt getroffen haben.
({23})
Nun sagen Sie ja, daß Sie noch ein Jahr Zeit haben. Ich habe das schon einmal angeführt. Ich fordere Sie auf: Dann nutzen Sie das eine Jahr! Man muß auch nicht bei Null anfangen. Vielmehr hat ja der Bundesrat schon einen sehr spezifizierten Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir aus Ländersicht aufgeführt haben, wo Regelungsbedarf besteht.
({24})
Wir sind dabei nicht stehengeblieben, sondern wir haben auch konkret dargelegt, welche Regelungen wir uns vorstellen könnten. Nachdem zwei Jahre lang nichts gekommen ist, haben wir Hessen dann gesagt: Wir nehmen einen Teil heraus, wo Regelungsbedarf besteht. Ich meine die Kinder von Eltern, die hier geboren sind. Meine Damen und Herren, nun erklären Sie mir doch - wenn nicht heute, dann in den nächsten Debatten, die ja offenbar aus Ihrer Sicht noch zu führen sein werden -, wie Sie dem Argument, daß die Kinder von Eltern, die schon hier geboren sind, automatisch Deutsche werden sollen, wirklich ernsthaft begegnen wollen.
({25})
Wir können uns auf dem Gebiet der Staatsangehörigkeit angesichts der Tatsache, daß wir eben 1,8 Millionen Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit bei uns haben, keine faulen Kompromisse leisten. Vielmehr muß eine umfassende Reform auf den Tisch. Das hat auch etwas mit Befriedung und Demokratisierung in dieser Gesellschaft zu tun. Ich sage auch als Innenminister, der für Polizei und innere Sicherheit zuständig ist: Wer Gräben gar nicht erst aufreißt, muß diese hinterher auch nicht zuschütten.
({26})
Ich gebe der Abgeordneten Müller das Wort zur Geschäftsordnung.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Ende dieser Debatte nach § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung beantragen, daß der Innenausschuß bis Ende November eine Beschlußempfehlung vorlegt. Das heißt, daß wir uns auf diese Frist für den Abschlußbericht verständigen. Ich sage kurz, warum.
Wir alle müssen ein Interesse daran haben, daß wir in dieser Debatte schnell zu Ergebnissen kommen. Wir möchten nicht, daß das eine Geschichte ohne Ende wird, daß wir die Menschen draußen weiter hinhalten. Das können wir den hier lebenden Migrantinnen und Migranten nicht zumuten. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, bald zu erfahren, wie die Ergebnisse sind. Deshalb bitte ich Sie, daß wir uns hier gemeinsam diese Frist setzen und zu einem schnellen und baldigen Ende dieser Debatte kommen.
Vielen Dank.
({0})
Ich gebe ebenfalls zur Geschäftsordnung das Wort dem Abgeordneten Marschewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Staatsbürgerschaft für dieses Land ist eine außergewöhnlich schwierige Frage,
({0})
die wir nach allen Seiten bedenken müssen.
({1})
Wir haben diese entscheidende Frage in der Koalition in der letzten Zeit über vier oder fünf Sitzungen hinweg diskutiert. Ich sage noch einmal eindeutig: Wir wollen keine doppelte Staatsbürgerschaft, wie die Grünen dies für richtig halten. Eine bedingungslose doppelte Staatsbürgerschaft lehnen wir ab.
({2})
Ich möchte etwas zum Zeitplan sagen. Wir haben uns in der Koalition zusammengesetzt; und wir stehen vor einer Entscheidung. Wir haben - Herr Kollege Schlauch, hören Sie zu!; ich rede erst weiter, wenn Sie ruhig sind ({3})
dieses Problem diskutiert, und wir stehen vor einer Entscheidung.
Bei der Staatsangehörigkeit gibt es unendlich viele Probleme zu regeln. Erstens. Wie ist es beispielsweise, Herr Kollege Schily, mit dem Problem der Anspruchseinbürgerung? Ich will Ihnen nur sagen, wie problematisch das ist. Im Augenblick haben wir die Ermessenseinbürgerung. Wir schlagen vor, die Ermessenseinbürgerung durch die Anspruchseinbürgerung zu ersetzen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt.
Zweitens. Wir befassen uns ausdrücklich mit dem Recht des Kindes.
({4})
Wir haben - das wissen Sie - einen Koalitionsvertrag. In diesem ist das Recht des Kindes angesprochen. Wir sind dennoch der Auffassung, daß eine Aufstokkung des Koalitionsvertrages, zum Beispiel durch die Einbürgerungsgarantie, sicherlich eine sinnvolle Regelung darstellen könnte.
Alles in allem: Dies bedarf noch einer gewissen Zeit. Ich gehe davon aus, daß eine Inzwangsetzung des Innenausschusses nicht der rechte Weg ist. Sie werden sich wundern, meine Damen und Herren: Wir werden in ganz kurzer Zeit das gesamte Staatsbürgerrecht neu regeln - die Frage, die Sie ansprechen, ist sicherlich wichtig; sie ist aber nicht die allerwichtigste Frage -, weil wir das Verhältnis zwischen Bürger und Staat generell neu regeln wollen. Das Recht muß erneuert werden, neu kodifiziert werden, da es von 1913 stammt. Wir stehen unmittelbar vor einer Entscheidung. Sie werden sich wundern: In den nächsten Wochen werden wir ein vollends erarbeitetes, umfassendes Konzept auf den Tisch legen.
Herzlichen Dank.
({5})
Nun erteile ich das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Max Stadler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Müller, es gibt Situationen, da geht Richtigkeit vor Schnelligkeit.
({0})
Herr Westerwelle hat gesagt: Das Wasser wird sich seine Bahn brechen. „Gutta cavat lapidem", wie der Lateiner sagt. Das dauert unter Umständen eine längere Zeit.
({1})
Wenn wir aber in einer Situation sind, die auf eine Entscheidung zutreibt - ich hätte beinahe gesagt, nach Art der klassischen Tragödie; der Vergleich paßt allerdings nicht recht -, dann darf es auf eine Sitzungswoche mehr oder weniger nicht mehr ankommen.
({2})
Das sind wir auch denen schuldig, um die es geht, nämlich insbesondere den Kindern, für die wir mit der Neuregelung etwas tun wollen.
({3})
Im November gibt es - Sie haben die Frist so gesetzt - noch genau eine reguläre Sitzung des Innenausschusses. Ansonsten gibt es nur die Haushaltswoche, wie Sie wissen.
({4})
Wir werden das in dieser einen Sitzung nicht bewältigen. Sie wissen genau, daß es jetzt auf eine Entscheidung hinausläuft. Die Alternativen sind allgemein bekannt. Es spricht nichts dagegen, die Entscheidung zwischen - wenn ich das recht sehe - drei denkbaren Varianten abzuwarten.
({5})
Haben Sie doch soviel Geduld, dem Innenausschuß Gelegenheit zu geben, eine vernünftige Lösung, die wir anstreben, herbeizuführen, egal, ob im November oder im Dezember. Wir beantragen, Ihren Geschäftsordnungsantrag abzulehnen.
({6})
Zu einem Antrag zur Geschäftsordnung gebe ich der Abgeordneten Baumeister das Wort.
({0})
Herr Präsident! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich, in diesem Hohen Hause die Beschlußfähigkeit feststellen zu lassen.
({0})
Meine Kollegen, wenn die Beschlußfähigkeit des Hauses bezweifelt wird, also offen ist, ob mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder des Hauses anwesend sind, und wenn der Sitzungsvorstand diese Frage nicht einmütig beantworten kann - was der Fall ist -, wird mit der Abstimmung über den gestellten GeschäftsVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
ordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Beschlußfähigkeit durch Hammelsprung festgestellt.
Ich bitte Sie daher, den Saal zu verlassen, und die Schriftführer, die Eingänge zu besetzen. - Darf ich auch die Kollegen von der Koalition bitten, den Saal zu verlassen. - Ich bitte die Schriftführer, die Türen zu besetzen.
Darf ich fragen, ob die Türen besetzt sind. - Kann bitte festgestellt werden, ob Schriftführer an allen Türen stehen? Ich möchte das gern wissen.
Darf ich noch einmal fragen, ob die Türen besetzt sind. - Ich möchte auch die letzten Kollegen bitten, den Saal zu verlassen. - Frau Baumeister, Sie müssen bitte den Sitzungssaal verlassen. - Ich stelle fest, daß die Kollegen den Saal verlassen haben und daß die Türen ordnungsgemäß besetzt sind.
Wir verbinden die Feststellung der Beschlußfähigkeit mit der Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dem Innenausschuß eine bestimmte Frist zu setzen.
Ich eröffne die Abstimmung.
Darf ich die Schriftführer an den Türen fragen, ob noch Kollegen da sind, die das Haus betreten wollen? Darf ich noch einmal fragen, ob die Kollegen, die den Saal betreten wollen, drin sind? - Kann mir einer der Schriftführer das bestätigen? - Dann schließe ich die Abstimmung und werde das Ergebnis gleich bekanntgeben können. Einen Augenblick, bitte. Darf ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit wir die Sitzung fortsetzen können.
Zur Erreichung der Beschlußfähigkeit sind 337 Stimmen erforderlich. Mit Nein haben gestimmt: 247, mit Ja: 215. Es gab eine Enthaltung. Damit stelle ich fest, daß die Beschlußfähigkeit des Hauses gegeben war und daß der Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt wurde.
({0})
Wir haben noch über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/8157 zu entscheiden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Telekommunikationsgesetz ({1})
- Drucksachen 13/8016, 13/8453 - ({2})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({3})
- Drucksache 13/8776 -Berichterstattung:
Abgeordnete Elmar Müller ({4}) Hans Martin Bury
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/8797 - Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Detlev von Hammerstein Jürgen Koppelin
Manfred Hampel Oswald Metzger
Darf ich die Kollegen, die der weiteren Beratung nicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen, damit wir fortfahren können.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Elmar Müller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem gerade Verzögerung wichtig war, sind wir nun bei einem Gesetz, bei dem die Geschwindigkeit eine wichtige Rolle spielt.
Ich möchte zunächst auf zwei kleine redaktionelle Änderungen hinweisen, die das Begleitgesetz vervollständigen sollen; darum haben mich der Ausschußvorsitzende Börnsen und der Bundesminister gebeten.
Wir müssen im Begleitgesetz den Art. 2 Abs. 23 Nr. 3 ändern. Es muß „1. Halbsatz" eingefügt werden. Richtig muß es also heißen: „Absatz 2 1. Halbsatz wird wie folgt neu gefaßt: ", und am Ende des entsprechenden Halbsatzes muß nach den Wörtern „genutzt werden" statt des bisherigen Punktes folgerichtig ein Komma gesetzt werden.
Die zweite kleine Änderung betrifft den Art. 4 Abs. 2. Hier müssen die Wörter „Abs. 9 Nr. 2" gestrichen werden, da diese Regelung weggefallen ist. Ich werde das nachher noch schriftlich zu Protokoll an die Schriftführer weitergeben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Telekommunikationsbegleitgesetz soll den veränderten Rahmenbedingungen ab dem 1. Januar 1998 Rechnung getragen werden, die sich auf Grund der Postreform II des TKG und des neuen Postgesetzes ergeben haben.
Elmar Müller ({0})
Lassen Sie mich zunächst einige Anmerkungen zum personalrechtlichen Teil des Gesetzes machen. Ich möchte hier die Gelegenheit ergreifen, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die vielfach in der Öffentlichkeit geführte Diskussion über die Größe der Regulierungsbehörde bzw. der dort rund 2800 Beschäftigten völlig in die Irre führt. Das gleiche gilt für die angeblich zu hohe Bewertung der neu einzurichtenden Stellen.
Wir schaffen keine neue Riesenbehörde, sondern legen Aufgaben und Behörden zusammen. Dabei werden allein etwa 2500 Beschäftigte vom Bundesamt für Post und Telekommunikation in Mainz mit ihren Aufgaben in die neue Behörde wechseln. Lediglich 230 Mitarbeiter des bisherigen Postministeriums werden zukünftig in der Regulierungsbehörde arbeiten.
Es geht um alte, aber nicht weniger wichtige Aufgaben, wie zum Beispiel die technische Überwachung und die Frequenzüberwachung, ebenso wie um neue Aufgaben für die anstehende Marktöffnung sowohl im Bereich der Telekommunikation wie auch im Bereich der Postdienste, die absolut notwendig sind. Ein Vergleich mit dem Ausland, insbesondere mit den liberalisierten Märkten in Großbritannien und den USA, kann dies eindrucksvoll belegen. Gerade hierfür brauchen wir zukünftig mehr und nicht weniger Personal, wenn wir schnell und effektiven Wettbewerb schaffen wollen.
Wir würden dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen Bärendienst erweisen, wenn wir alle Erfahrungen in den Wind schlagen und damit sozusagen am falschen Ende sparen würden, nämlich bei der Behörde, die einen Monopolmarkt zum stärksten Wachstumsmarkt in Deutschland führen soll. Unser Ziel ist es, die Gründung neuer Unternehmen zu fördern und für neue Arbeitsplätze zu sorgen. Ich möchte auch auf die im Ausschuß umstrittene Streichung des § 99 StPO und die befristete Fortgeltung von § 12 FAG, insbesondere was die neuen Abhörmöglichkeiten und -techniken betrifft, also beispielsweise IMSI-Catcher, eingehen.
Die Kritik der SPD an dieser Verfahrensweise kann ich nicht mehr nachvollziehen, da sich doch gerade die SPD-geführten Bundesländer für eine Ausweitung der Abhörmöglichkeiten ausgesprochen haben. Die von der Bundestagsfraktion der SPD gewünschte weitere Einschränkung von Abhörmöglichkeiten erscheint mir vor diesem Hintergrund besonders fragwürdig und wird offensichtlich von SPD-Politikern vor Ort geradezu für absurd gehalten. Wenn wir hier einem gravierenden Streitpunkt mit den Bundesländern auf Grund der Eilbedürftigkeit des Gesetzes aus dem Weg gehen wollen, so kann ich daran nichts Kritikwürdiges erkennen. Würden wir den Forderungen der Bundestags-SPD nachgeben, so könnte dies die Ablehnung des Gesetzes im Bundesrat zur Folge haben.
Eine letzte Anmerkung möchte ich hier zur vorgesehenen Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung machen.
({1})
Mit der vorliegenden Formulierung in Art. 2 Abs. 36 soll berücksichtigt werden, daß hier - ich möchte dem Bundesrat ausdrücklich beipflichten - für den Wettbewerb der Post gleiche Rechte bei gleichen Verpflichtungen gelten müssen. Eine Ausuferung von Sonderrechten für eine unüberschaubare Zahl von Postbeförderungsunternehmen muß allerdings gleichfalls verhindert werden.
Insgesamt halte ich das Begleitgesetz für gelungen, zumal hier schwierige Abstimmungen der betroffenen Ressorts erforderlich waren. Dutzende Gesetze waren zu ändern und anzupassen. Dabei standen wir alle unter einem enormen Zeitdruck. Eine Ablehnung des Gesetzes durch die Opposition erschiene mir sachlich in keinster Weise gerechtfertigt. Auch hier würde Blockadepolitik
({2})
in der Tat auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
({3})
Sie würden verantwortungslos handeln, wenn es so käme. Ich bin mir sicher, daß die Bürger unseres Landes dies erkennen und auch entsprechend quittieren würden.
Ich bedanke mich.
({4})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Arne Börnsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen doch, lieber Kollege Müller, beim Telekommunikationsbegleitgesetz die Laternen nicht allzu hoch hängen. Hier von Blockade sprechen zu wollen, wenn wir - was ich damit auch ankündigen möchte - dieses Gesetz hier im Bundestag ablehnen, wäre doch etwas übertrieben.
Ich will aber gerne begründen, Kollege Müller, warum wir das ablehnen. Denn es gibt sachliche Rechtfertigungen dazu. Das sind insbesondere die Regelung des § 99 a und die Regelungen, die mit der Ermächtigung zum Abhören zusammenhängen.
Aber bevor ich im einzelnen darauf eingehe, möchte ich sagen, daß wir bis auf diese strittigen Punkte mit den weiten Inhalten dieses Gesetzes einverstanden sind und ich sogar Ihre Ausführungen dazu, daß dieses Gesetz nun so schnell wie möglich auch Rechtskraft erlangen muß, unterstützen möchte.
Ich möchte deswegen ausdrücklich an den Bundesrat appellieren, dieses Gesetz trotz gewisser politischer Bedenken in Details nicht anzuhalten, nicht den Vermittlungsausschuß anzurufen, sondern die Möglichkeit, daß es mit Beschlußfassung des Bundesrates entsprechend in Kraft treten kann, zu unterstützen.
({0}) Ich will auch gerne sagen, warum.
Arne Börnsen ({1})
Es ist sehr liebenswürdig, daß Sie jetzt klatschen. Aber die Ursache dafür, daß wir erst heute, am 30. Oktober, über diesen Gesetzentwurf sprechen, liegt auf Ihrer Seite. Klatschen Sie also nicht zu laut!
({2})
Dieses Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz, Herr Kollege Müller, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lag schon vor mehr als einem Jahr als Entwurf im Bundespostministerium. Die Irritationen, die sich daraus ergeben, daß dieses Gesetz heute, Ende Oktober, noch immer nicht in Kraft ist, haben Sie und das Bundespostministerium zu vertreten.
({3})
Wenn ich hier ausführe: „Bundesrat, leg bitte keine Stolpersteine! " , dann können Sie uns dafür dankbar sein, daß wir, wie oftmals, so staatstragend sind. Von der Verursachung aber wollen wir nicht ablenken.
Ich habe heute ein Gespräch mit Personalvertretern im Bundespostministerium geführt. Dort führt es verständlicherweise zu Irritationen, daß ihre künftige Rechtsstellung, die Überleitung in andere Funktionen, die Sicherstellung ihrer Aufstiegsmöglichkeiten und ihrer Zulagen, bis heute noch keine Rechtskraft hat. Es handelt sich um einen Vorgang, der, seitdem bekannt ist, daß das Bundespostministerium aufgelöst werden soll, jetzt bereits drei Jahre in Anspruch nimmt. Erst heute, zwei Monate vor dem entscheidenden Tag der Auflösung, kommt man dazu, die gesetzlichen Regelungen, die notwendig sind, zu treffen.
({4}) Das ist nicht in Ordnung.
({5})
Ich meine, daß eine gewisse Fürsorgepflicht - ich will mich zurückhaltend äußern - etwas ernsthafter hätte zum Ausdruck kommen müssen.
Lieber Kollege Müller, ich will in diesem Zusammenhang auf das zurückkommen, was Sie hier bereits ansprachen. Dies möchte ich nicht nur an die Regierung richten, sondern auch an unsere eigenen Vertreter. Wird die Notwendigkeit einer Regulierung und einer entsprechenden Instanz von diesem Haus wirklich mit ausreichender Ernsthaftigkeit geprüft und beurteilt? Man mag manchmal den Eindruck haben, daß die Beurteilung etwas oberflächlich ist und daß nicht in erster Linie die Chance gesehen wird, einen gewaltigen Wachstumsmarkt für die Bundesrepublik Deutschland zu nutzen, sowohl was den Industriestandort und die Ausstrahlung des Telekommunikationsmarktes auf andere Bereiche, als auch was die Möglichkeiten angeht, auf dem Arbeitsmarkt die Dynamik des Telekommunikationsmarktes vollständig zu nutzen.
({6})
Wird nicht vielmehr manchmal aus einer kurzfristigen Perspektive heraus nur gefragt: Entspricht das den Charakteren der anderen Behörden? Auf anderes will ich verständlicherweise gar nicht eingehen.
Dies ist an diejenigen gerichtet, die darüber noch zu entscheiden haben: Hier besteht eine Chance, die genutzt werden kann, aber auch ein Risiko, wenn man zu kurz springt, welches außerordentlich negative Auswirkungen auf unser Land haben kann. Die Irritationen, die es bereits in dem Bereich der betroffenen Industrie gibt, sind eindeutig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zu den Punkten kommen, warum wir diesem Gesetzentwurf nicht unsere Zustimmung geben werden.
Zum einen besteht Unverständnis darüber, daß es noch immer keine Regelung zum Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen gibt.
({7})
Wir haben diesen Punkt vor anderthalb Jahren erstmals im Ausschuß für Post und Telekommunikation diskutiert; der Kollege Barthel hatte ihn damals angesprochen. Wir haben versucht, im Bereich des Telekommunikationsgesetzes entsprechende Regelungen zu treffen. Das ist gescheitert.
({8})
Wir haben erneut eine Anregung des Bundesdatenschutzbeauftragten vorliegen. Lieber Herr Kollege Müller, ich weiß nicht, ob Sie Herrn Dr. Jacob Blockadepolitik vorwerfen wollen. Das, was er in seinem Schriftstück gegenüber dem Ausschuß zum Ausdruck gebracht hat, übernehmen wir hier vollständig.
Wir müssen jetzt feststellen, daß uns bei der Chance, im Begleitgesetz endlich zu einer Regelung zu kommen, wieder eine Nullösung zugemutet wird. Das muß ich schon sagen. Und da reden Sie von „Blockade"? Das ist doch ein Treppenwitz, Herr Kollege Müller.
({9})
- Lieber Kollege Müller, das betrifft den nächsten Punkt - vielleicht können wir uns darauf verständigen -, nämlich die Frage der Anhörungen. Ich will gar nicht vorlesen - das ist ja den meisten Interessierten, die jetzt im Raume sitzen, bekannt -, was der Datenschutzbeauftragte zu diesem Bereich, also zu § 99a der Strafprozeßordnung, sagte. Ich möchte mich auf den Bereich des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 b konzentrieren, in der eine Ausdehnung der Eingriffsbefugnisse nach dem Gesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes vorgesehen ist, wobei der Datenschutzbeauftragte sagt, diese Ausdehnung auf sogenannte geschlossene Benutzergruppen stoße bei ihm auf erhebliche Bedenken.
Dem kann ich mich anschließen, und dem schließen wir uns an. Dabei geht es nicht darum, bei der SPD irgendwelche Differenzen zwischen Bundesrat und Bundestag zu sehen. Es wird hier eine Öffnung der Möglichkeiten des Abhörens geschaffen, die Arne Börnsen ({10})
wie ich gar nicht bestreiten will - auf eine notwendige Änderung zurückzuführen ist; denn wir haben bis jetzt ein Netzmonopol gehabt, welches eine einfache Regelung ermöglichte, und werden in Zukunft eine Vielzahl von Anbietern haben. Es wird einer Regelung bedürfen, die vorsieht, bei geschlossenen Benutzergruppen möglicherweise eine Abhörmöglichkeit zu schaffen. Das ist gar nicht zu bestreiten.
Aber das, was im Gesetzentwurf steht, lieber Kollege Müller, ermöglicht eine Ausdehnung in der Praxis draußen ohne jegliche Begrenzung. Wenn es bei dieser Formulierung bleibt - wir müssen, wenn wir heute darüber beschließen, von der Formulierung ohne weitere Rahmenbedingungen ausgehen -, dann ist die Meldung des „Spiegel" von dieser Woche richtig.
Wir müssen bei der Bewertung dieses Punktes von dem Anspruch ausgehen, den der Bundesinnenminister geäußert hat. Er hält dieses Regelwerk für unverzichtbar, um eine lückenlose, flächendeckende und standortunabhängige Gewährleistung des legalen Abhörens zu realisieren. Lückenlos, flächendekkend und ortsunabhängig, ohne jede Eingrenzung.
Lieber Kollege Müller und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir wissen, daß dieses Bestreben des Bundesinnenministers auch in der Bundesregierung nicht von allen geteilt wird. Wir wissen, daß eine Rechtsverordnung in Vorbereitung ist, die unsinnige Auswüchse dieser Formulierung vermeiden soll; denn auch bei Ihnen beabsichtigt niemand, jedes Hotel, jede Jugendherberge oder jede Verwaltung abzuhören, sondern da werden Ausschlußtatbestände in einer Rechtsverordnung formuliert werden.
Wo aber ist diese Verordnung? Wo haben wir die Möglichkeit, abschließend zu bewerten, was tatsächlich nachher an Rechtsgrundlagen für das Abhören geschaffen wird, wenn diese Rechtsverordnung noch nicht einmal in die Ressortabstimmung gegeben worden ist? Da liegt das Defizit, und Sie können von uns nicht erwarten, lieber Kollege Müller, daß die SPD einer solchen Öffnungsklausel ohne jede Einschränkung ihre Zustimmung gibt.
({11})
Darin liegt auch der Unterschied zu der Bewertung des Bundesrates, wobei die Innenminister - so wie Ihr Innenminister auch - aus verständlichen Gründen manchmal über das Ziel hinausschießen. Wir aber halten dieses ganz sensible Thema, Abhörmöglichkeiten ohne Grenzen auszuweiten, bei einer solchen Formulierung ohne Einschränkungen für nicht tragfähig, und deswegen lehnen wir das ab.
Schönen Dank.
({12})
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und
Kolleginnen! Ursprünglich sollten wir uns mit dem heute hier zu beratenden Telekommunikationsbegleitgesetz gar nicht befassen. In erster Lesung fand keine Aussprache im Plenum statt. Weil der Postminister mit seinen Regelungen zur Regulierungsbehörde in Zeitverzug kam, sollte alles sehr schnell gehen. Im Vorfeld sah es so aus, als sollte auch die Abschlußberatung ohne Aussprache über die Bühne gehen.
Es gibt aber zwei gute Gründe, warum wir uns mit diesem Artikelgesetz befassen sollten und warum unsere Fraktion die vorgelegte Fassung des Telekommunikationsbegleitgesetzes ablehnen wird.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz legt die Grundlage für einen neuen Kostenschub bei Bundesbehörden. Schon 1996 war einer der designierten Vizepräsidenten der Regulierungsbehörde in der Boulevardpresse mit der Aussage zu vernehmen, das Gehalt eines Präsidenten einer solchen Behörde liege nur wenig über der Abgeordnetenpauschale. Durch sein beharrliches Einwirken wird es nun doch ein wenig mehr sein.
Er und seine zukünftigen Kollegen Vizepräsidenten sollen nach dem Begleitgesetz in die Gehaltsstufe B 9 eingeordnet werden, der Präsident in B 11, laut Bundesrechnungshof mindestens zwei Stufen über der Besoldung vergleichbarer Behörden. Gleiches gilt übrigens auch für die Leistungsebene der Regulierungsbehörde.
Halten wir fest: Die große Koalition von CDU/CSU, F.D.P. und SPD hat die Postreform gestrickt. Die Postkoalitionäre CDU/CSU, F.D.P. und SPD werden jeweils mit einem Präsidenten belohnt. Die große Koalition aus CDU/CSU, F.D.P. und SPD sprengt zur finanziellen Absicherung egoistischer Politiker die Bundesbesoldungsordnung.
({0})
Dies muß hier klar angeführt werden, und dies heißt auch, daß wir dieses Gesetz ablehnen werden. Das ist der eine Grund.
({1})
Der zweite Hammer ist, daß in Art. 2 des Begleitgesetzes - Kollege Börnsen hat auf diesen Punkt schon hingewiesen - nicht nur syntaktische Kosmetik betrieben wird. Die Forderungen des Bundesrates haben bereits gezeigt, worum es geht, nämlich das Fernmeldegeheimnis kräftig zu stutzen. Um die Regulierungsbehörde nicht zu gefährden, sind die umstrittensten Punkte herausgenommen und vertagt worden. Dies sind die IMSI-Catcher, die die SPD- und CDU-Innenminister der Länder über den Bundesrat einhellig gefordert haben, und ein Peilsenderparagraph für Handys.
Was wir heute entscheiden sollen, greift aber schon einschneidend genug in unsere Grundrechte ein. Nach dem geänderten G-10-Gesetz soll zukünftig bereits jeder, der „geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt" , zur Mitwirkung an Überwachungsmaßnahmen verpflichtet sein. Die Bundesregierung versichert uns, es diene dazu, Corporate netDr. Manuel Kiper
works zu überwachen. Dies sei nötig, weil die Mafia diese für eine unbeobachtete Kommunikation nutze.
Die Bundesregierung will uns also glauben machen, die Mafia sei zwar höchst gefährlich, würde sich aber an das Telekommunikationsbegleitgesetz halten, gesetzestreu werden und bereitwillig den Verkehr auf ihrem Telekommunikationsnetz abhören lassen, ja sogar dafür entsprechende technische Einrichtungen auf eigene Kosten vorhalten. Das glaubt niemand, weder Herrn Bötsch noch Herrn Kanther.
Die Gesetzesänderung bedeutet konkret - Kollege Börnsen hat es ausgeführt -: Jeder Verein, jedes noch so kleine Unternehmen, Hotel oder Krankenhaus, das Mitarbeitern oder Gästen das Telefonieren gegen Entgelt erlaubt, erbringt geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und wird jetzt zu Schnüffeldiensten verpflichtet.
Jedes Computernetzwerk in einem Unternehmen, jedes firmeninterne Intranet und weite Teile des Internet sind geschäftsmäßig erbrachter Telekommunikationsdienst. Alle diese Einrichtungen müssen jetzt den kleinen Lauschangriff ermöglichen. Alle diese zur Überwachung Verpflichteten haben die technischen Einrichtungen dafür einzubauen, auf eigene Kosten.
Nun ist dieses Gesetz ein teurer Hemmschuh bei der Entwicklung der Telekommunikationsmärkte geworden. Selbst der Bundesregierung ist klargeworden, daß diese ungezügelte Überwachungswut rechtlich fragwürdig und zu teuer ist. Sie will deshalb einige Ausnahmen festlegen, bei denen auf technische Überwachungseinrichtungen verzichtet werden kann. An der Mitwirkungspflicht der Überwachung ändert dies aber nichts.
Meine Damen und Herren, heute beraten wir eine erneute Beschneidung von Grundrechten. Es geht um Art. 10 unserer Verfassung. Wir beraten ein Gesetz, das mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist. Deshalb ist es auch gut, daß diese Debatte öffentlich geführt wird und daß dies noch einmal im Lande bekannt wird.
Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der Ihnen die Möglichkeit gibt, die schlimmsten Auswüchse dieses Gesetzes zu verhindern. Lassen Sie nicht die Aushöhlung von Grundrechten zu. Lassen Sie auch nicht die egoistische Sprengung der Bundesbesoldungsordnung durchgehen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie deshalb: Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu!
({2})
Ich gebe nun das Wort dem Abgeordneten Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht immer läßt die Überschrift eines Gesetzentwurfs für den geneigten Leser erkennen, worin denn die eigentliche politische Brisanz seines Inhalts besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Hauptproblematik in Vorschriften liegt, die zwar noch im Regierungsentwurf enthalten waren, in den Ausschußberatungen aber keine Mehrheit gefunden haben und daher in der endgültigen Textfassung gar nicht mehr auftauchen.
Genauso verhält es sich beim vorliegenden Begleitgesetz zum TKG. Daß es in einem derartigen Gesetz vor allem auch um grundlegende Fragen der Strafprozeßordnung gehen könnte, wird wohl doch viele verblüffen. Genauer gesagt: Es geht um Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis, also um den sensiblen Bereich der Beschränkung von Grundrechten, gerechtfertigt im Interesse der Strafverfolgung, und um daraus folgende weitere Abgrenzungsprobleme.
Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nicht neu. Telefonüberwachungen gemäß § 100a StPO werden in der Bundesrepublik Deutschland jährlich zu Tausenden angeordnet und durchgeführt. Sie sind einerseits zu einem unverzichtbaren Mittel bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität geworden, gleichen aber einem Fluß, der über die Ufer getreten ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung kann man sich nämlich strikter vorstellen, die Praxis der Strafverfolgungsbehörden weniger routinemäßig. Kurz: Wachsamkeit ist geboten, wenn aus einer Ausnahme eine Regel wird.
Demgegenüber schien der Regierungsentwurf zum Begleitgesetz zum TKG harmlos, der einen neuen § 99 a StPO vorsah, wonach für Zwecke der Strafverfolgung nicht der Inhalt von Telekommunikation, sondern „nur" die Telekommunikationsdaten den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen gewesen wären.
Neuland sollte damit nicht betreten werden; vielmehr war eine Ablösung des bisherigen § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen durch den neuen § 99a StPO vorgesehen. Und doch steckte in dieser Bestimmung des Regierungsentwurfs eine fundamentale Abgrenzungsproblematik, auf die der Bundesdatenschutzbeauftragte zu Recht kritisch reagiert hat. Dieselbe Problematik wird übrigens demnächst bei den Regelungen zum sogenannten großen Lauschangriff erneut auftauchen.
Es geht um die Vertraulichkeit der Unterredung - und damit auch der Telekommunikation - von Privatpersonen mit sogenannten Berufsgeheimnisträgern. Anders ausgedrückt: Es geht um einen zentralen Bereich der Berufsausübung von Rechtsanwälten, Journalisten, Wirtschaftsprüfern, Notaren, Steuerberatern, Ärzten und Geistlichen. Sie alle können ihre verantwortungsvolle Tätigkeit nur dann sinnvoll ausüben, wenn sicher ist, daß die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant, zwischen Journalist und Informant, zwischen Priester und Ratsuchendem gesichert ist.
({0})
Für die F.D.P.-Fraktion, die in dieser Frage dankenswerterweise Unterstützung bei den Innenpolitikern sowohl der Union als auch der Oppositionsfraktionen gefunden hat, sind diese Berufsgeheimnisse wesentlicher Bestandteil einer rechtsstaatlichen Ordnung.
Zum Schutz der Berufsgeheimnisse reicht der Verweis auf Zeugnisverweigerungsrechte, die es weiterhin wie bisher gibt, nicht aus. Es bedarf vielmehr weitergehender beweisrechtlicher Regelungen. Der Gesetzgeber ist aber bisher im Bereich des Strafverfahrensrechts mit der Festlegung von Beweisverboten sehr zurückhaltend gewesen und hat vieles der Rechtsprechung zur Klärung überlassen, die wiederum aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen heraus Abwägungen entwickelt hat, wann Beweisverbote gegeben sind und wann nicht.
Wir meinen, daß der Rückzug auf allgemeine Grundsätze nicht mehr ausreicht. Gerade der Streit um die Beschlagnahme von selbst recherchiertem Material von Journalisten zeigt nämlich, daß in letzter Zeit in der Praxis das Pendel immer mehr zu Lasten der bürgerlichen Freiheit ausschlägt.
Daher konnten wir uns nicht mit dem Entwurf eines § 99a StPO zufriedengeben, der die Berufsgeheimnisse nicht hinreichend beachtet hat.
({1})
Ich gebe zu, Herr Kollege Börnsen, daß es in der Kürze der Ausschußberatungen nicht gelungen ist, die sehr komplexe Problematik einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob für das Verhältnis von Anwalt zu Mandant von vornherein Beweisgewinnungsverbote aufgestellt werden sollen - dann dürften derlei Kommunikationsdaten bei einem Anwalt von vornherein gar nicht erhoben werden - oder ob es ausreicht, Beweisverwertungsverbote zu statuieren, für die es dann sicherlich wiederum Ausnahmen geben muß, wenn es um die Aufklärung und Verfolgung schwerster Kriminalität geht.
Dies sind außerordentlich schwierige Abwägungsvorgänge. Daher haben wir uns dafür entschieden, den bisherigen § 12 FAG beizubehalten und die Bundesregierung aufzufordern, bis Ende April nächsten Jahres neue Vorschläge zur Regelung der Problematik vorzulegen.
Der politische Wille der F.D.P.-Fraktion ist jedenfalls exemplarisch im Begleitgesetz zum TKG deutlich geworden - exemplarisch deshalb, weil es sich um ein Problem handelt, das, wie schon erwähnt, an anderer Stelle erneut auftauchen wird. Wir erkennen berechtigte Interessen der Strafverfolgungsbehörden an Eingriffen in die Telekommunikationsfreiheit zur Unterbindung und Verfolgung schwerster Straftaten an. Wir wollen aber zugleich, daß das Anwaltsgeheimnis, das Beichtgeheimnis, das Vertrauensverhältnis zwischen Journalist und Informant sowie ähnliche schützenswerte Freiheitsräume prinzipiell gewahrt bleiben.
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Deswegen haben wir durchgesetzt, daß § 99 a StPO aus dem Regierungsentwurf gestrichen worden ist, daß darüber neu nachgedacht und verhandelt wird und daß wir statt dessen eine Übergangsregelung für zwei Jahre treffen.
Herr Kollege Stadler, Sie müssen zum Schluß kommen.
Mein letzter Satz: Wir wollen, daß eine Lösung dieser grundlegenden rechtsstaatlichen Problematik bei anderer Gelegenheit noch in dieser Legislaturperiode in befriedigender Weise gefunden wird.
Vielen Dank.
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Ich gebe dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz sollen, so heißt es, die erforderlichen personalrechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung der Regulierungsbehörde geschaffen werden. Auch sollen Regelungen des Bundesrechts mit den veränderten Rahmenbedingungen in Einklang gebracht werden.
Von Einklang und Harmonie bei der Schaffung dieser Behörde konnte allerdings von Anfang an keine Rede sein. Das begann schon beim wochenlangen lautstarken Gerangel zwischen dem Minister einerseits und dem Regulierungsrat von Bundestag und Länderparlamenten andererseits um die Besetzung der obersten Posten der künftigen Behörde. Das setzte sich schließlich bei der Besoldung fort, die auch vom Bundesrechnungshof als maßlos empfunden wurde. Der Minister begründete das mit „der außerordentlichen Bedeutung der Behörde". Deshalb soll ihr Präsident eine Vergütung von 17 425 DM erhalten - 5 000 DM mehr als zum Beispiel der Präsident des Bundeskartellamtes. Das geschieht in einer Zeit, in der die Ärmsten im Lande von dieser Regierung pausenlos zum Sparen ermahnt werden. Jeder mache sich selbst einen Vers darauf, wie das beim Bürger ankommt.
Um so mehr darf man sich wundern, daß im mittleren und unteren Personalbereich dieser angeblich so wichtigen Behörde befriedigende Lösungen offensichtlich nicht gefunden wurden. Oder wie ist es sonst zu erklären, daß sich, wie zu hören und zu lesen war, die Mehrzahl der Referatsleiter und Referenten des Postministeriums bei der neuen Telekommunikationsabteilung des Wirtschaftsministeriums bewirbt und nicht bei der Regulierungsbehörde?
Was die Anpassung von Regelungen im Nachgang zum Telekommunikationsgesetz betrifft, so möchte ich mich wegen der Kürze der Zeit auf zwei Beispiele beschränken, die ich für äußerst kritikwürdig halte. Da ist zum einen § 99 a der Strafprozeßordnung. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat schriftlich seine Bedenken dahin gehend kundgetan, daß mit diesem Paragraphen keine Schutzklausel für Telefonate von Personen besteht, die zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind. Das räumt die Koalition sogar ein. Trotzdem soll eine Neuformulierung durch die Bundesregierung erst zum 30. April nächsten Jahres erfolgen.
Herr Kollege Bury hat dazu im Ausschuß erklärt, er halte dieses Vorgehen für unseriös. Die Bundesregierung habe genügend Zeit für eine entsprechende Lösung gehabt. Das kann ich nur voll unterstreichen.
Das zweite Beispiel betrifft eine Regelung, die ich für sehr realitätsfern halte. Die Deutsche Post soll verpflichtet werden, in Katastrophen- und Notfällen über ihr Filialnetz Geldauszahlungen, beispielsweise Rentenzahlungen, vorzunehmen. Dabei ist dieses Netz inzwischen vielerorts, gelinde gesagt, sehr großmaschig geworden. So gibt es zum Beispiel in der thüringischen 14 000-Einwohner-Stadt Walters-hausen und in einem Stadtteil von Gera, in dem 35 000 Menschen leben, demnächst überhaupt keine Filiale mehr. Die Post verfolgt jedoch die Strategie, ihre Leistungen zunehmend nur noch über die McPaper-Kette bzw. sogenannte Agenturen anzubieten; das sind zum Teil Tante-Emma-Läden mit einem Winkel für Briefmarken und sonstiges.
Man will doch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, in solchen Einrichtungen Renten auszuzahlen! Welch chaotische Zustände drohen da! Auf den eingetretenen Notfall würde die Post gezwungenermaßen noch eine eigene Katastrophe draufsetzen. Oder sollten vielleicht die Rentner stundenlang fahren, um in einer der letzten größeren Filialen noch nach endlosem Warten ihr Geld zu bekommen?
Ein Gesetz, das derart grobe Ungereimtheiten vorprogrammiert, kann ich nur ablehnen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Paul Laufs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem am 1. August letzten Jahres in Kraft getretenen Telekommunikationsgesetz wurden die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für einen sehr weitgehend liberalisierten Telekommunikationsmarkt festgelegt und den zukünftigen Marktteilnehmern die notwendige Rechts- und Planungssicherheit geboten.
({0})
Es geht nun darum, das neue Recht mit Leben zu erfüllen, das heißt, es in kurzer Frist im Marktgeschehen umzusetzen und durchzusetzen. Dazu bedarf es einer starken Regulierungsbehörde. Mit dem heute zur Beschlußfassung vorliegenden Begleitgesetz zum TKG sollen die erforderlichen personalrechtlichen Voraussetzungen für deren Errichtung geschaffen werden. Die Regulierungsbehörde soll zum 1. Januar 1998 ihre Arbeit aufnehmen. Sie hat für die Öffnung des Telekommunikations- und Postmarktes, also für die Gestaltung eines zentralen Bereichs der Volkswirtschaft, eine sehr hohe Bedeutung. Die Ausgestaltung der Regulierungsbehörde und ihre Leistungsfähigkeit werden wesentlich mit darüber entscheiden, ob Wettbewerbern in Deutschland faire Markteintrittschancen gegeben, neue Investitionen getätigt und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie wird vom ersten Tag ihres Bestehens an unmittelbar mit Aufgaben konfrontiert werden, die für den Standort Deutschland und den Arbeitsmarkt von erheblicher Tragweite sind.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die starke Resonanz, die jüngste Regulierungsentscheidungen im Bereich von Netzzugängen und Zusammenschaltungen in der Fachöffentlichkeit gefunden haben. Die Regulierungsbehörde wird sich ebenfalls vom ersten Tag an fachlich hervorragend vorbereiteten Spezialisten der Telekommunikationsindustrie gegenübersehen, die ihrerseits massive unternehmerische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen gewillt sein werden. Es ist deshalb von hoher Bedeutung, eine durchsetzungsfähige, in ihrer Kompetenz breit anerkannte Regulierungsbehörde aufzubauen. Die komplexen und schwierigen Regulierungsaufgaben, zum Beispiel bei Fragen der Netzzusammenschaltung oder der Entgeltregulierung, erfordern eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Recht, Ökonomie und Technik, die in der Organisation Berücksichtigung finden muß.
Diesen Zielsetzungen dienen sowohl die in Art. 1 des Begleitgesetzes enthaltenen Überleitungs-, Rahmen- und Bestandschutzregelungen für die Bediensteten des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation einschließlich des nachgeordneten Bereichs als auch das gesetzlich vorgesehene öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis für die Leitung der Regulierungsbehörde.
Meine Damen und Herren, in Staaten, in denen der Telekommunikationsmarkt bereits liberalisiert ist, finden sich Regulierungsinstanzen, die sowohl organisationsrechtlich als auch hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen einen besonderen Status innerhalb der Behördenhierarchie innehaben. Diese Erfahrung dürfen wir nicht einfach ignorieren.
Im Hinblick auf die Organisation hat sich die Bundesregierung nach intensiver Erörterung für eine Integration des bisherigen Bundesamtes für Post und Telekommunikation in Mainz in die künftige Regulierungsbehörde entschieden. Kollege Müller hat das Erforderliche dazu gesagt.
Mit Art. 2 des Begleitgesetzes unter der Überschrift „Anpassung von Rechtsvorschriften" erfolgt eine weitgehende Angleichung rechtlicher Rahmenbedingungen für die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost und deren Wettbewerber. Im Nachgang zum Postneuordnungsgesetz von 1994, der Postreform II, und in Umsetzung des TKG sind zahlreiche Regelungen des Bundesrechts, die nicht mehr in Einklang mit diesen veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen sind, anzupassen. Dies betrifft einerseits Unstimmigkeiten in der verwendeten Terminologie, andererseits aber auch Diskrepanzen in der materiellen Rechtslage. Hier ist insbesondere die erforderliche Schließung von StrafbarkeitsParl. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
löcken bei der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie die Sicherstellung der Überwachbarkeit von Telekommunikation durch die dazu berechtigten Behörden zu nennen.
Im Zuge der Ausschußberatungen wurden einzelne Regelungen im Bereich des Strafprozeßrechts sowie der Überwachung der Telekommunikation kritisch hinterfragt. Dabei lag, Herr Kollege Börnsen, oft die Federführung bei ganz anderen Bereichen, wobei wir Postpolitiker das Geschehen nicht bestimmt haben und nicht bestimmen konnten, gerade was Fragen des Datenschutzes und des Zeugnisverweigerungsrechtes betrifft.
Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Neuregelung des Auskunftsanspruchs der Strafverfolgungsbehörden über Verbindungsdaten von TK-Teilnehmern haben wir deshalb mit dem Ziel zurückgestellt, innerhalb der Strafprozeßordnung eine konsistente Lösung für Fragen der Berufsgeheimnisse und der Zeugnisverweigerungsrechte herbeizuführen. Kollege Stadler hat dies im einzelnen erläutert.
Im übrigen beruhen die vorgelegten Rechtsänderungen auf sorgfältiger Abwägung zwischen Aspekten der inneren Sicherheit und der Bürgerrechte.
({1})
Die notwendigen Beschränkungen des Grundrechts des Post- und Fernmeldegeheimnisses erfahren keine Ausweitung, Herr Kollege; sie werden lediglich den liberalisierten Märkten angepaßt.
({2})
- Beschäftigen Sie sich einmal mit der Materie, bevor Sie solche Zwischenrufe machen.
Herr Kollege Börnsen, ich empfand auch Ihre Rechtfertigung der SPD-Ablehnung als ein bißchen aufgesetzt. Aber ich danke Ihnen ausdrücklich dafür, daß Sie mithelfen wollen, daß der Bundesrat seine Zustimmung zu diesem Gesetz gibt.
Mit dem vorliegenden Begleitgesetz zum TKG ist der Weg frei für die Errichtung einer zum 1. Januar 1998 funktionsfähigen Regulierungsbehörde, die sachgerecht ihre Arbeit leisten kann, um auf Dauer im Telekommunikationssektor den Wettbewerb zu schaffen, den wir uns zum Ziel gesetzt haben. Ich bitte Sie deshalb, heute diesem Gesetz zuzustimmen, und ich bitte Sie auch um Unterstützung bei den anstehenden Haushaltsberatungen, bei denen die konkrete personelle und finanzielle Ausstattung dieser wichtigen Behörde festgelegt wird, damit wir eine eigenständige und unabhängige Regulierung in dem für den Standort Deutschland wichtigen Telekommunikationsmarkt sicherstellen können.
({3})
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre Nachsicht mit meiner Erkältung.
({4})
Für die wünschen wir Ihnen gute Besserung.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Begleitgesetzes zum Telekommunikationsgesetz; das sind die Drucksachen 13/8016, 13/8453 und 13/8776. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8858 vor, über den wir zuerst abstimmen. Dabei verlangt die Fraktion der SPD getrennte Abstimmung.
Wir stimmen also zunächst über die Nrn. 1 und 2 des Änderungsantrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8858 ab. Wer den Nrn. 1 und 2 zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Nrn. 1 und 2 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden sind.
Dann rufe ich die Nm. 3 bis 5 des Änderungsantrages auf. Wer diesen Nummern zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Nummern mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden sind.
Ich rufe die Nr. 6 des Änderungsantrages auf. Wer dieser Nummer zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Nummer mit demselben Stimmenverhältnis und damit der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt worden sind.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Damit treten wir in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen worden ist.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 und den Zusatzpunkt 5 auf:
8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Angelika Mertens, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun ({1}), Horst Friedrich, Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Städtebauförderung - neue Schwerpunkte und Perspektiven
- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({2}), Oswald Metzger, Werner Schulz ({3}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Städtebauförderung als gemeinschaftliche
Aufgabe erhalten und verstärken
- Drucksachen 13/4761, 13/5960, 13/6491, 13/7830 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Götz Angelika Mertens
ZP 5 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Werner Schulz ({5}), Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fördergebietsdarlehen für die Erneuerung des Wohnungsbestandes ostdeutscher Eigentümer und für Bauinvestitionen ostdeutscher Gewerbetreibender
- Drucksachen 13/5000, 13/7292 - Berichterstattung:
Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele Franziska Eichstädt-Bohlig
Wolfgang Ilte
Gerhard Schulz ({6})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Götz.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Städten entscheidet sich die Zukunft der Menschen. Deshalb kommt der Entwicklung unserer Städte eine besondere Bedeutung zu. Es geht dabei um mehr als nur um Wohnen und Arbeiten. Es geht darum: Wie gelingt es uns, den Verstädterungsprozeß nachhaltiger zu gestalten? Wie gelingt es, innerstädtische Brachen zu aktivieren? Wie können wir Wirtschaftswachstum einerseits und Flächenverbrauch andererseits entkoppeln?
Wir haben in Deutschland lebendige, liebens- und lebenswerte Städte, die zu einem Aushängeschild des Landes geworden sind. Die Städtebauförderung hat an dieser positiven Entwicklung einen hohen Anteil. Sie hat sich in nun mehr als 25 Jahren bewährt.
Mit der Städtebauförderung haben wir ein rechtliches, ein organisatorisches, ein finanzpolitisches Instrument zur Verfügung, das eine nachhaltige Siedlungsentwicklung gewährleistet, die Lebensbedingungen in den Städten fördert und das kulturelle Erbe erhält.
Insgesamt sind seit 1971 Finanzhilfen des Bundes in einer Größenordnung von mehr als 14 Milliarden DM zur Verfügung gestellt worden, davon allein in den letzten sieben Jahren 6 Milliarden DM in den neuen Bundesländern. Diese Investitionsförderung hat vor allem in den neuen Ländern dazu beigetragen, daß die traurigen Hinterlassenschaften der Sozialisten und Kommunisten in vielen Städten in relativ kurzer Zeit beseitigt werden konnten.
({0})
Die Weichen für ein urbanes, innerstädtisches Leben sind dort gestellt worden. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, und zwar nicht nur in den neuen Ländern, sondern auch im Westen.
Wir müssen die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden stärken, das heißt: weniger Umweltbelastungen, kürzere Wege, mehr regionaler Handel, mehr lokales Handwerk, lokale Dienstleistungen und Dezentralisierung. Das sind die Stichworte, die es zu nennen gilt.
Funktionierende Städte und eine intakte Sozialstruktur sind die beste Vorbeugung für mehr Sicherheit und weniger Kriminalität; denn Angst und Bedrohung sind Gift für Freiheit, Solidarität und Toleranz.
Mit der Novellierung des Bau- und Planungsrechts, die im nächsten Jahr in Kraft treten wird, haben wir eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen verabschiedet, die den Handlungsspielraum für die Städte und Gemeinden erweitern und gleichzeitig die Innenstädte stärken. So haben wir die finanz-
und förderpolitischen Bestimmungen des Städtebauförderungsgesetzes übersichtlich im neuen Baugesetzbuch zusammengefaßt und gleichzeitig praxisgerecht vereinfacht.
Um die Städte nachhaltig zu entwickeln, müssen wir künftig gezielt vorgehen. Wir müssen Brachflächen in den Innenstädten nutzen. Dies gilt für Konversionsbrachen genauso wie für Industriebrachen und Bahnbrachen. In den letzten sieben Jahren sind vom Bund über 400 000 Hektar Konversionsliegenschaften übernommen worden. Dies entspricht in etwa der Größe des Saarlandes, der Stadt Berlin und der Stadt Bremen zusammen. Davon sind bereits mehr als die Hälfte verwertet worden.
Auch wenn dies nicht alles innerstädtische Grundstücke sind, so wird doch deutlich, welche riesigen Chancen sich dadurch für eine Revitalisierung der Innenstädte eröffnen. Dies gilt genauso für die Bahn- und Industriebrachen in oft zentralster Lage, die bereits heute Problemgebiete darstellen.
Das deutsche Sanierungsrecht und die Städtebauförderung bieten geeignete Ansätze zur Beseitigung dieser städtebaulichen Mißstände. Sie wirken dem Entstehen von Gettos und einer Bedrohung des sozialen Friedens in bestimmten Wohnquartieren frühzeitig entgegen. Deshalb bin ich dankbar dafür, daß es uns gemeinsam gelungen ist, das Städtebauförderungsrecht im Baugesetzbuch mit dem notwendigen Stellenwert zu verankern.
Wir wissen alle: Funktionierende Innenstädte sind wichtige Standortfaktoren von Städten und Gemeinden und damit für den gesamten Standort Deutschland. Ich möchte an dieser Stelle an eine in der Welt nicht selbstverständliche Tatsache erinnern: Demokratische Strukturen, Dezentralisierung und kommunale Finanzautonomie in Deutschland sind wichtige Grundvoraussetzungen für funktionierende Stadtstrukturen.
Dies wird übrigens auch ein Thema sein, mit dem wir uns in der nächsten Woche in der internationalen Parlamentarierkonferenz der Global Parlamentarians on Habitat hier in Bonn auseinandersetzen werden, in der es unter anderem um genau diese Fragen einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik gehen wird.
Es muß unser Ziel sein, eine Verslumung städtischer Quartiere zu verhindern. Anstatt die Stadtränder zu zersiedeln und Einkaufszentren auf die grüne Wiese zu verlagern, sollten Bund, Länder und Gemeinden alle Anstrengungen auf die Innenstädte konzentrieren. Wir brauchen eine ganzheitliche Strategie und müssen koordiniert auf allen Ebenen handeln. Wir sollten deshalb das Städtebaurecht fortentwickeln, zum Beispiel durch die notwendige Änderung der Baunutzungsverordnung, was in diesem Hause einvernehmlich so gesehen wird.
Zum Schutz der Umwelt müssen wir darauf hinwirken, daß Wohn- und Arbeitsort wieder mehr aneinanderrücken. Es gilt, Urbanität dort, wo sie verlorengegangen ist, zurückzugewinnen. Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle.
Wenn wir sehen, daß der Druck von Einzelhandelsunternehmen, sich großflächig auf der grünen Wiese ansiedeln zu können, nicht nachgelassen hat, und sehen, daß jetzt neue städtebaulich sowie handels- und raumordnungspolitisch noch problematischere Handelsformen wie Factory-outlet-centers auf den Markt drängen, sehen wir wie alle anderen auf den politischen Ebenen akuten Handlungsbedarf.
Wir haben mit der Novellierung des Bau- und Planungsrechts das rechtliche Instrumentarium, um die Errichtung von außerstädtischen Einkaufszentren bis hin zu Factory-outlet-centers raumordnerisch zu steuern. Gerade die Länder stehen nun in der Pflicht, diesen richtigen Zielvorgaben Rechnung zu tragen.
Wir unterstützen ferner die Initiativen von Bauminister Töpfer, auch im grenzüberschreitenden Bereich Lösungen nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur zu verhindern reicht aber nicht aus. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit die innerstädtischen Quartiere gestärkt werden. Die Städtebauförderung bietet auch nach 25 Jahren hierfür nach wie vor einen hervorragenden Ansatz. Sie ist ein Schlüsselinstrument, um die Innenstädte und die Stadtteilzentren zu revitalisieren. Wir alle wollen lebendige Innenstädte, die zum Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und auch zur Freizeitgestaltung einladen und damit wieder Orte der Kommunikation, des Austausches und der kulturellen Vielfalt werden. Die Städtebauförderung kann hierzu durch ihren integrativen Ansatz einen sehr wertvollen Beitrag leisten.
Wir müssen auch ernsthaft darüber nachdenken, wie sich private Unternehmensinitiativen und privates Kapital bei der Finanzierung besser als bisher nutzen lassen. Eine Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren bietet neue Chancen, den Handlungsspielraum für dringend notwendige städtebauliche Aufgaben zu sichern und zu vergrößern. Die Städtebauförderung bündelt geradezu privates Investitionskapital in Deutschland und verhindert damit, daß das in unserer Gesellschaft in hohem Maße vorhandene Kapital weiter ins Ausland abwandert.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das im Auftrag des Bundesbauministeriums eine Expertise über die Anstoßwirkung öffentlicher Mittel in der Städtebauförderung herausgegeben hat, macht deutlich, daß jede Mark an öffentlicher Städtebauförderung 8 DM Bauvolumen bedeutet. Davon sind nahezu 6 DM Privatinvestitionen.
Diese Bündelung und Anstoßwirkung sind auch unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten ein wichtiger Faktor. Deshalb bin ich froh und dankbar, daß es im Rahmen der Haushaltsplanberatungen für 1998 den Wohnungspolitikern der Unionsfraktion gelungen ist, sich mit ihrer Auffassung durchzusetzen, eine ungeschmälerte Verstetigung der Städtebaufördermittel auf dem Niveau der letzten Jahre, nämlich erneut insgesamt 600 Millionen DM mit dem Schwerpunkt Ostdeutschland, vorzusehen.
Mit diesem Verpflichtungsrahmen können bauwirksame Investitionen in einer Größenordnung von zirka 6 Milliarden DM angestoßen werden. Es handelt sich dabei um Investitionen, durch die hauptsächlich im Bauhaupt- und Ausbaugewerbe viele Menschen Beschäftigung finden werden. Die Städtebauförderung kommt überwiegend dem örtlichen, mittelständischen Baugewerbe und dem Handwerk zugute. Insofern erzeugt sie sinnvolle wirtschaftspolitische Effekte, die vor allem auch in den neuen Ländern von großer Bedeutung sind. Wir brauchen in den neuen Ländern nach wie vor viele Investitionen, um das in Ordnung zu bringen, was die Sozialisten uns hinterlassen haben.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in den alten Ländern entsteht durch die zu Recht zugunsten der neuen Länder reduzierte Förderung ein Stau bei Sanierungsprojekten, der abgebaut werden muß. Wir brauchen in Deutschland auf allen Ebenen InvestitioPeter Götz
nen. Dies gilt für die Städte und Gemeinden genauso wie für die Länder und den Bund.
Wenn wir es schaffen, auf kommunaler Ebene Strukturen für angemessenes Wohnen und Arbeiten, für ein selbstbestimmtes Leben zu sichern, dann fördert dies auch den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft. Die Städtebauförderung ist hervorragend geeignet, die knappen öffentlichen Mittel dort einzusetzen, wo besonders hohe Anstoßwirkungen erwartet werden. Bund, Länder und Gemeinden haben dies in der Vergangenheit in vorbildlicher Weise getan.
Die CDU/CSU-Fraktion wird auch in Zukunft eine nachhaltige positive Weiterentwicklung der Städte und Gemeinden unterstützen.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volkmar Schultz.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch - ich betone: noch - sind die Städte Europas unser wichtigster Standortfaktor. Noch nehmen sie eine vorrangige Stellung bei der Bildung von Wohlstand und Innovation, bei der sozialen und kulturellen Entwicklung in Europa ein.
Auf Grund des immer rascheren ökonomischen Wandels nehmen jedoch Arbeitslosigkeit, Umweltbelastung, Armut, schlechte Wohnverhältnisse, Kriminalität und Drogenmißbrauch zu. Es ist offensichtlich, daß neue Anstrengungen benötigt werden, um die Rolle von Europas Städten als Orte sozialer und kultureller Integration, als Basis für demokratische Entwicklung, als Quelle ökonomischen Wohlstands und nachhaltigen umweltgerechten Wachstums zu stärken oder wiederherzustellen.
Unser Bundesbauminister Töpfer zieht als Nachhaltigkeitsapostel durch die Weltgeschichte, aber im eigenen Land betreibt er eine Politik, die genau das Gegenteil von Nachhaltigkeit bewirkt,
({0})
eine Politik, die die Kernstädte nicht nachhaltig stärkt, sondern nachhaltig auszehrt. Ich meine damit insbesondere die forcierte Wohnungseigentumspolitik, solange diese - ich lege Wert auf diese Zusatzbemerkung - nicht von einer entsprechenden Bodenpolitik begleitet wird.
Die Folgen sind katastrophal: Am Stadtrand von Köln oder Düsseldorf kostet das kleine Grundstück für das kleine Reihenhaus etwa das Fünffache von dem, was in einer kleinen Gemeinde 40 Kilometer vor den Toren der Stadt genommen wird. Diese Bodenpreisdifferenz führt dazu, daß viele junge Familien aus den Großstädten abwandern. Die schöne Stadt Münster verliert jedes Jahr zirka 2000 Familien. In den Großstädten an Rhein und Ruhr sind die Zahlen deutlich höher. Auch aus den neuen Bundesländern kommen nachhaltige Alarmmeldungen. Im Zusammenhang mit der Stadtflucht spricht ein Migrationsforscher aus Leipzig der „Süddeutschen Zeitung" zufolge von einer Dynamik, wie es sie im Westen nie gab.
Die Folgen sind großflächige Zersiedelung und irrsinnige Pendlerströme mit bedrückenden ökologischen Auswirkungen. Unser Bodenrecht trägt dazu bei, daß die Großstädte ihr noch vorhandenes hochwertiges Infrastrukturangebot von immer weniger leistungsfähigen Menschen finanzieren lassen müssen.
({1})
- Es wundert mich nicht, daß Sie den Zusammenhang nicht begreifen.
In den Nebenzentren der Großstädte sind die Auszehrungserscheinungen schon deutlich erkennbar. Ein zunehmender Anteil von Arbeitslosen und sozial schwachen Familien, Industriebrachen, dramatisches Wegbrechen des Einzelhandels, geschwächte öffentliche und private Investitionstätigkeit, geschlossene Postfilialen und Begegnungszentren, fehlende Kultureinrichtungen - das ist der Stoff, aus dem Ausgrenzungen entstehen und der Angstsyndrome bei den Menschen wachsen läßt.
Eine Politik, die auf diese Entwicklung mit einer Diskussion um Nulltoleranz antwortet, eine solche eindimensionale Politik ist unglaubwürdig.
({2})
Fehlende ökonomische, ökologische, soziale, kulturelle und psychologische Nachhaltigkeit kann man nicht durch Polizeibeamte ersetzen, so wertvoll sie sonst auch sein mögen.
In dieser Situation nun fällt dem Bundesbauminister etwas ein, was ihm immer einfällt, wenn er nicht mehr weiter weiß: ein Pilotprojekt - mit dem schönen Namen „Städte der Zukunft". Wer die dazugehörigen Arbeitshefte liest, reibt sich verwundert die Augen. Da wird die Forderung aufgestellt, bis zum Jahr 2010 den Siedlungsflächenzuwachs auf Null zu reduzieren. - Da lacht das grüne Herz, nicht wahr, Frau Eichstädt-Bohlig? - Aber gleichzeitig fordert Herr Töpfer Millionen neuer Einfamilienhäuser zur Deckung des Wohnungsbedarfs und zur Befriedigung der Wohnwünsche. Akute Schizophrenie, kann ich dazu nur sagen.
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Als das Städtebauförderungsgesetz vor gut 25 Jahren von der sozialliberalen Koalition geschaffen wurde, war es im Anfangsjahr mit 100 Millionen DM dotiert. Am Wert des Geldes von heute gemessen war das sehr viel mehr, als die Zahl vermuten läßt. Heute stehen im Ansatz für die westlichen Bundesländer noch ganze 80 Millionen DM zur Verfügung. Herr Professor Ganser, der Direktor der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, nennt diesen Betrag eine „Briefmarke" und weist darauf hin, daß in fünf Jahren für Agrarstrukturpolitik und WirtschaftsVolkmar Schultz ({4})
förderung 20 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Er weist ferner darauf hin, daß das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz größeren Schaden anrichtet, als man je mit der Städtebauförderung wieder heilen könnte, wenn man nicht umsteuert.
„Kein Geld" ist die stereotype und phantasielose Antwort. Das, was einmal als Gemeinschaftsfinanzierung von Bund, Ländern und Gemeinden konzipiert war, wird zu einem Verschiebebahnhof in Richtung auf die Länder umfunktioniert. Nur noch zwischen 3 und 5 Prozent beträgt der Anteil des Bundes an der Städtebauförderung bei den Maßnahmen der westlichen Länder.
Die Sozialdemokraten haben schon lange vor dem Erscheinen der jüngsten Untersuchung des RWI auf den besonderen arbeitsplatzschaffenden Charakter der Städtebauförderung und auf ihre gesamtwirtschaftlichen Anstoßwirkungen und ihre fiskalischen Segnungen hingewiesen. Bei der Beratung unseres Antrages vom Mai 1996, der eine sehr maßvolle Erhöhung der Fördersätze insbesondere für die westlichen Bundesländer vorsieht, haben die Koalitionsfraktionen diese Zusammenhänge schlichtweg negiert. Jetzt, nachdem auch die Langfassung des RWI-Gutachtens vorliegt, können sie nicht länger an der Tatsache vorbeischauen, daß Städtebaumittel der öffentlichen Hand in hohem Maße private Mittel aktivieren, daß daraus gesamtwirtschaftliche Nachfrage entsteht, die mehr als fünfmal so hoch ist wie die ursprünglich eingesetzten öffentlichen Mittel. Aus diesen wirtschaftlichen Aktivitäten entstehen Steuereinnahmen, Einnahmen an Sozialversicherungsbeiträgen und verringerte Ausgaben für Arbeitslosigkeit, die insgesamt den Einsatz der öffentlichen Mittel übersteigen. Das heißt im Klartext: Städtebauförderung finanziert sich auf mittlere Sicht selbst.
Was also läge näher, als in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit im Baubereich, in einer Zeit, in der der städtebauliche Handlungsbedarf in den Gemeinden immer deutlicher zutage tritt, in der der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft erkennbar bedroht ist, den Kommunen mit einem Sonderprogramm zur Finanzierung ihres Eigenanteils zu Hilfe zu kommen, dadurch neue Investitionsanreize für zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, kleine und mittlere Handwerksbetriebe zu stärken und durch den Strukturwandel besonders hart betroffene alte Stadtteile für den Wettbewerb wieder aufzurüsten? Andere Rüstungsprojekte scheinen mir dafür wesentlich weniger geeignet zu sein.
Wir Sozialdemokraten fordern einen Vorrang für die Innenentwicklung unserer Städte, ein modernes Bodenrecht, wie es etwa in den Niederlanden praktiziert wird - man hält uns ja sonst immer das niederländische Modell vor -, einen höheren finanziellen Einsatz insbesondere für die westlichen Bundesländer mit gesetzlicher Festschreibung analog zum GVFG, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den stadtzerstörenden Wirkungen des Individualverkehrs, und zwar nicht nur auf dem Papier.
Ich weiß, daß unsere Forderungen bei dieser Mehrheit und bei dieser Regierung auf taube Ohren stoßen werden. Herr Töpfer ist schon halb in Nairobi. Er wird allein für die Schürmann-Ruine mehr Geld ausgeben als ein ganzes Jahr lang für Stadterneuerung in ganz Deutschland. Wir werden das in Zukunft ändern müssen.
Vielen Dank.
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Ich gebe dem Abgeordneten Hildebrecht Braun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt unterschiedliche Gründe, weswegen man keine feurige Rede halten will oder kann. Ein Grund dafür ist, wenn die Stimme es ganz schlicht nicht hergibt. Das ist heute bei mir der Fall. Es gibt aber einen weiteren Grund. Wir haben hier Vorlagen der SPD, der Grünen und der Koalition, die so nahe beieinander sind, daß es aus meiner Sicht überhaupt keinen Grund gibt, jetzt aufeinander einzuhacken. Wir sollten statt dessen festhalten, daß wir über die Wertigkeit der Städtebauförderung einer Meinung sind. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag durchlesen, Herr Schultz, dann werden Sie feststellen, daß Ihr Antrag anders klingt als all das, was Sie jetzt an Tiraden gegen den Bauminister losgelassen haben - übrigens schlichtweg zu Unrecht. Aber das ist eine andere Ebene.
Ich halte mich an die Anträge, die hier vorgelegt wurden. Diese besagen mit aller Klarheit: Die Städtebauförderung hat sich in den letzten 25 Jahren ungeheuer bewährt. Sie besagen auch, daß sie fortgeführt wird. Das ist die gute Botschaft, und diese lassen wir uns auch nicht nehmen, Herr Schultz.
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Sie wissen ganz genau, daß wir auf Grund der Finanzknappheit der öffentlichen Hand gegenwärtig in allen Bereichen sparen müssen und daß die Ansätze zurückgefahren werden. Im Bereich der Städtebauförderung aber halten wir das Niveau der letzten Jahre, und zwar ganz exakt. Das sollte festgehalten werden; das ist eine positive Nachricht für alle Betroffenen.
Die Städtebauförderung hat die Revitalisierung der Innenstädte nachhaltig gefördert. Sie hat dazu geführt, daß ein lebens- und liebenswertes Umfeld in den Städten und in den Kommunen wiederhergestellt werden konnte, dort, wo Innenstädte zu verrotten drohten.
Städtebauförderung hat erheblich zum Denkmalschutz beigetragen. Denkmalschutz ist für uns von der F.D.P. ganz besonders wichtig; denn die Identifizierung mit der eigenen Kommune hat eine Menge mit Gebäuden und mit Plätzen zu tun, die unverändert sind und die an die Erlebnisformen früherer Generationen anknüpfen. Es kommt hinzu, daß über die Städtebauförderung in erheblichem Maß auch sehr preiswerte Wohnungen wiederhergestellt und bewohnbar gemacht werden konnten - eine sehr positive Auswirkung.
Hildebrecht Braun ({1})
Wir haben gehört - da sind wir völlig einer Meinung -, daß die Städtebauförderung sehr arbeitsplätzefördernd ist. Gerade das Ausbaugewerbe, also kleine und mittelständische Unternehmen, findet dort Arbeitsplätze in großer Zahl. Allein die Anstoßwirkung, die Sie gar nicht bestritten haben, führt dazu, daß hier Investitionen öffentlicher Mittel in besonders glücklicher Weise stattfinden.
Wir haben den Schwerpunkt der Städtebauförderung wieder in die neuen Bundesländer gelegt. Ich gebe zu: 80 Millionen DM für Deutschland West und 520 Millionen DM für Deutschland Ost, das sind happige Zahlen; denn es gibt natürlich auch in Deutschland West viele Gemeinden, die dringend Städtebauförderungsmittel brauchen könnten. Aber diese Priorität zugunsten der neuen Bundesländer ist auch ein Zeichen der Solidarität der Menschen im Westen Deutschlands mit den Menschen im Osten Deutschlands. Das sollten wir hier auch deutlich betonen.
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Ich möchte klarstellen, daß diese Tendenz, den Schwerpunkt im Osten zu setzen, beibehalten werden wird, auch wenn die Zahlen sicherlich nicht dauerhaft im gleichen Verhältnis zueinander stehen werden.
Wir mußten nicht zuletzt deshalb - das haben Sie meines Erachtens ganz richtig gesagt, Herr Schultz - im Osten mehr tun, weil das Herausziehen des Einzelhandels aus den Innenstädten in großflächige Einzelhandelszentren auf der grünen Wiese den Prozeß der Verödung der Innenstädte natürlich beschleunigt hat. Deswegen mußte hier gegengesteuert werden. Nach der Vereinigung von Deutschland Ost und West waren Verkaufszentren auf der grünen Wiese zu unbekümmert genehmigt worden.
Im Haushalt ist der Ansatz stabil, während viele andere Ausgabenposten - auch im Bauhaushalt - zurückgeführt werden mußten. Wir sind stolz darauf und halten das für richtig.
Ich möchte betonen: Es geht hier um echte Zukunftsinvestitionen in die Lebensfähigkeit von Städten und Dörfern. Hier werden nicht Kohlezechen konserviert, sondern die Lebensräume zukünftiger Generationen vor dem Verfall bewahrt, attraktiv gemacht. Sie werden so für alle Schichten zu begehrten Wohnquartieren und Plätzen, an denen man sich gerne aufhält. Kurz: Es handelt sich um eine Politik, die auf eine nachhaltige Entwicklung der Kommunen ausgerichtet ist.
Vielen Dank.
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Ich gebe das Wort der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, wir sind uns partei- und fraktionsübergreifend einig, daß die Städtebauförderung ein sehr positives und treffsicheres Instrument der Bauförderung ist. Aus meiner Sicht ist sie das treffsicherste; ich weiß nicht, ob Sie dem zustimmen würden. Dennoch hat die Politik bis heute nicht den Versuch gemacht, die Qualitäten dieses Instruments auch auf andere Förderprogramme zu übertragen; lin Gegenteil.
Ich möchte noch einmal kurz - einiges haben meine Vorredner schon gesagt - auf ein paar Aspekte dieser besonderen Qualitäten hinweisen. Die Städtebauförderung ist ein sehr flexibles Instrument. Es ist auf den Ort bezogen und umfaßt alle Aufgaben zur Verbesserung dieses einen Ortes. Darum wirkt es integrierend. Bauliche, wirtschaftliche und soziale Ziele sind untrennbar miteinander verknüpft. Es ist auch Ziel, sie zu integrieren und wechselseitig zu stärken. Es besteht die Möglichkeit, ressortübergreifend Förderinstrumente zu bündeln.
Die Städtebauförderung ist ein kommunikatives Instrument; darauf lege ich besonderen Wert. Bürgerbeteiligung spielt eine große Rolle in der Städtebauförderung. Wenn es gut gemacht wird, ist sie ein echtes Instrument der kommunalen Demokratie, wo Eigentümer, Mieter, Investoren, Gewerbetreibende und Verwaltung zusammen an einen Tisch kommen.
Zur Arbeitsplatz- und Wirtschaftsförderung haben meine Kollegen etwas gesagt. Ich kann das nur voll unterstützen.
Ich möchte noch auf eines verweisen, was eigentlich den Konservativ-Liberalen besonders wichtig sein müßte: Es bestehen echte Chancen, kleinteilige Eigentümerstrukturen zu fördern und zu stabilisieren. Letztlich ist die Städtebauförderung, offensiv eingesetzt, auch ein Instrument zur Stärkung von Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe und zur Knüpfung von sozialen Netzen. Ich denke, auch das ist sehr wichtig. Was bislang immer noch fehlt, ist, sie sehr viel stärker auch als Instrument der ökologischen Stadtteilplanung zu nutzen.
Trotzdem kann ich bestimmte Kritik nicht verbergen. Wir haben seit 25 Jahren Städtebauförderung - jetzt sind es eigentlich schon 26 Jahre -, doch die Jubilarin leidet an Schwindsucht. Wir haben eindeutig das Problem fehlender Gelder. 600 Millionen DM Städtebauförderung stehen allein auf Bundesebene 5,7 Milliarden DM entgegen, die in die Eigenheimförderung gehen. Da zeigt sich, wo - allen Lobreden zum Trotz - die eigentlichen Prioritäten liegen.
Das Problem reicht aber weiter - und darauf bitte ich sehr genau zu achten -: Die anderen Förderinstrumente im Baubereich wirken alle zersiedelnd. Die direkte Wohnungsbauförderung ist - zumindest so, wie Sie sie mit der Baulandförderung koppeln - ein Instrument zur Zersiedelung. Die steuerliche Wohnungsbauförderung ist es ebenfalls. Die Eigenheimförderung ist es allemal, dem Ökobonus zum Trotz - der bezieht sich auf die Technik, nicht auf den Standort der Eigenheime.
Kurzum, die sonstige Bauförderung ist übermächtig, auch vom Volumen her, und die Städtebauförderung kann gar nicht alles kompensieren, was zur Zersiedelung und zum Auseinanderdriften unserer Städte beiträgt.
Die Wirtschaftsförderung wird nicht integriert. Letztlich - das muß man deutlich sagen - haben die letzten Jahre der Förderung im Osten nicht nur die Zersiedlung im Wohnungsbereich bewirkt, sondern auch, gerade auf Grund der Subvention der Verbrauchermärkte, im Bereich des Einzelhandels zerstörerisch gewirkt. Dagegen kommen wir mit den bescheidenen Mitteln der Städtebauförderung nicht an.
Unsere Forderung gerade für den Osten lautet - auch das steht heute zur Abstimmung -, die Umstellung der Fördergebietsförderung auf Fördergebietsdarlehen für Modernisierung und Instandsetzung in den Mittelpunkt zu rücken. Das ist von Ihnen nicht ernst genommen worden. Wir haben eben nicht nur das Problem der geschwächten Innenstädte, sondern auch das Problem der geschwächten öffentlichen Haushalte. Herr Waigel hätte gut daran getan, unsere Anträge schon im Jahre 1995 ernst zu nehmen.
Ich möchte zum Schluß, weil meine Redezeit abläuft, kurz sagen, was mir das Wichtigste ist: Wir sehen - anders als die SPD - angesichts der Haushaltslage keine Chancen, mehr Geld für die Städtebauförderung zur Verfügung zu stellen, es sei denn, die anderen Programme werden deutlich zurückgefahren. Ich fände es daher gut, wenn sich die SPD dazu auch bei der Eigenheimförderung durchringen könnte.
Unser wichtigstes Ziel ist es also, die Mittel in allen anderen Programmen, insbesondere im Bereich der Wohnungsbauföderung, auch auf die Sanierung und auf die Entwicklungsmaßnahmen im Innenstadtbereich zu konzentrieren. Ich hoffe, daß wir da Unterstützung bekommen.
Ein zweites Ziel ist die verstärkte CO2-Minderung.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich sage nur noch zwei Sätze.
Drittes Ziel: Wir haben einen Vorschlag gemacht, im Baugesetzbuch den Vorrang der Innenentwicklung vor der Außenentwicklung festzulegen. Wir haben auch einen Vorschlag zur Bodenpolitik, zum Abbau des Bodenpreisgefälles gemacht. Beides ist von den Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt worden. Daher finde ich es falsch, wenn Sie jetzt wegen der fehlenden Nachhaltigkeit Krokodilstränen vergießen.
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Ich gebe dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation ist klar: Die Zahl der Arbeitslosen in der Bauwirtschaft - und leider nicht nur dort - steigt ständig an. Der Wohnungsbau in Deutschland geht kontinuierlich zurück. Dies ist zwar auf eine leichte Entspannung am Wohnungsmarkt zurückzuführen, aber daraus schlußfolgern zu wollen, daß dem Bausektor die Arbeit ausgeht, wäre eine völlig falsche Interpretation der Lage.
In den Innenstadtbereichen vieler Kommunen warten noch Millionen Wohnungen auf Instandsetzung und Modernisierung. Ein wirklich ökologischer Umbau der Gesellschaft und die Ausschöpfung der CO2-Minderungspotentiale erfordern Investitionen und Arbeitsleistungen im Wohnungsbau, die wohl kaum zu beziffern sind. Der El-Niño-Effekt wird uns vielleicht schneller, als viele glauben, zum Handeln zwingen. Konversionsflächen und Industriebrachen in riesigem Umfang warten zum Teil schon seit Jahrzehnten auf Wiedererschließung oder Rückgabe an die Natur.
Hinzu kommt, daß eine Reduzierung des Wohnungsneubaus sehr schnell zu neuem Wohnungsmangel für eine große Zahl von Menschen mit allen daraus bekannten Nachteilen führen wird - fallen doch statistisch bei einer angenommenen Nutzungsdauer von 100 Jahren pro Haus jedes Jahr etwa 350 000 Wohnungen aus den Bestand heraus. Herr Bundesbauminister und Frau Staatssekretärin, zufrieden zurücklehnen können Sie sich also nicht.
Das Bundesfördervolumen der Städtebaumittel ist jedenfalls weiterhin unzureichend. Um welche Summen hier gestritten wird, erschließt sich dem Außenstehenden wohl erst richtig, wenn sie ins Verhältnis zu anderen Bundesausgaben gesetzt werden: 80 Millionen DM an Fördermitteln für Städtebaumaßnahmen im gesamten Westen der Republik - das sind gerade einmal 1 Mark und 18 Pfennig pro Einwohner und Jahr. Dem stehen 400 Millionen DM für das neue Bundeskanzleramt, 500 Millionen DM für den Flop des Schürmannbaus oder 600 Millionen DM für das Berliner Reichstagsgebäude gegenüber. Das ist das Fünf- bis Siebeneinhalbfache für jeweils ein einziges Objekt in Deutschland, verglichen mit den 80 Millionen DM an Fördermitteln für Städtebaumaßnahmen in Gesamtwestdeutschland - ganz zu schweigen vom Milliardengrab Transrapid. Dessen staatliche Subventionierung verschlingt mit zirka 10 Milliarden DM die gleiche Summe an westdeutschen Städtebaufördermitteln, die nach heutigem Haushaltsansatz für 125 Jahre reichen würde.
Die gemeinsame Forderung von Städten und Gemeinden, der Bauwirtschaft und Gewerkschaften sowie der Wohnungswirtschaft nach mehr Städtebaumitteln findet daher unsere volle Unterstützung, um so mehr, als uns Wirtschaftsforschungsinstitute, die übrigens nicht von der PDS gesponsert wurden, kompetent vorrechnen, daß eine Erhöhung der Städtebaufördermittel auf insgesamt 2 Milliarden DM real keine zusätzlichen Ausgaben des Staates bedeuten würde. Dazu wäre aber eine gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise statt hinterwäldlerischen Ressortdenkens notwendig. Wahrscheinlich ist die jetzige Regierung damit aber total überfordert.
Die Demokratischen Sozialisten haben in den Beratungen zum Bundeshaushalt 1998 wie auch in den vergangenen Jahren eine deutliche Erhöhung gefordert: je 1 Milliarde DM für Ost- wie für Westdeutschland. Wichtig ist auch eine langfristige Sicherung dieser Mittel, um Städten und Gemeinden endlich
kommunale Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum zu ermöglichen.
Wenn wir uns so einig sind, wie es nach all den heutigen Reden scheint, hoffe ich, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD und von den Grünen, aber auch aus des Bauministers Reihen diesem Vorschlag in der abschließenden Beratung des Bundeshaushalts zustimmen werden.
Ich danke Ihnen.
({0})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zu neuen Schwerpunkten und Perspektiven in der Städtebauförderung, Drucksache 13/7830 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5960 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion der SPD zum Erhalt und Ausbau der Städtebauförderung, Drucksache 13/7830 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4761 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Erhalt und zur Verstärkung der Städtebauförderung, Drucksache 13/7830 Nr.. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6491 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Fördergebietsdarlehen für die Erneuerung des Wohnungsbestandes ostdeutscher Eigentümer und für Bauinvestitionen ostdeutscher Gewerbetreibender; das ist die Drucksache 13/7292. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5000 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
- Drucksachen 13/5226, 13/6402, 13/8006 -Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Iwersen Margarete Späte
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Margarete Späte.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag befaßt sich bereits seit Jahren mit dem Problem der Obdachlosigkeit und mit Maßnahmen, die aktive Hilfe zur Lösung dieser sozialen Notlage bieten. Aufgabe des Bundes ist dabei die Schaffung des gesetzlichen Handlungsrahmens, der wirksame Lösungsansätze bietet. Gerade im vergangenen Jahr sind hier entscheidende Schritte getan worden, auf die ich im folgenden noch näher eingehen werde.
Die Diskussion darf aber nicht nur auf Bundesebene geführt werden,
({0})
sondern muß besonders im Zuständigkeitsbereich der Länder und Gemeinden, in der Wohnungswirtschaft und in den Verbänden der Wohlfahrtspflege stattfinden.
({1})
Nur durch das Zusammenwirken der Institutionen vor Ort können die Probleme Betroffener langfristig bewältigt werden. Die Bundesgesetzgebung muß deshalb allen Beteiligten ein adäquates FörderinstruMargarete Späte
mentarium an die Hand geben und ihnen ausreichenden Handlungsspielraum gewähren.
Angesichts der zahlreichen vom Deutschen Bundestag geforderten und von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen zur Vermeidung und Bewältigung von Obdachlosigkeit ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Wir müssen uns vor Augen halten, daß der Problemkreis Obdachlosigkeit ausgesprochen komplex und vielschichtig ist. Drohender Wohnungsverlust ist die Auswirkung von tiefgreifenden persönlichen Lebenskrisen. Auslöser sind häufig Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Krankheit, familiäre Konflikte, unzureichende berufliche Qualifikationen, Ursachen, die oft in einem Teufelskreis enden, aus dem der einzelne allein nicht mehr herausfindet, besonders dann, wenn kein Rückhalt in der Familie und im sozialen Umfeld besteht.
({2})
Es kann auch unsere Nachbarn treffen; denn häufig reden von Wohnungslosigkeit Bedrohte aus falscher Scham nicht über ihre Situation - bis es zu spät ist. Der Hilfebedarf ist in diesen Fällen besonders groß und geht über die bloße Wohnraumversorgung hinaus.
Der Armutsbericht der Bundesregierung und der Armutsbericht des Europäischen Parlaments verdeutlichen, daß die Angst vor sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung viele Menschen davon abhält, die ihnen zustehenden Leistungen einzufordern. Die Ausgestaltung der wohnungspolitischen Rahmenbedingungen ist dabei nur ein Element innerhalb eines interdisziplinären Gesamtkonzeptes
({3})
von Arbeitsmarkt-, Gesundheits-, Sozial- und Bildungspolitik. Entscheidend für die konkrete Hilfe zur Vermeidung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist ein auf allen Ebenen reibungslos funktionierendes Netzwerk für den Einzelfall,
({4})
da die mit der Obdachlosigkeit einhergehende soziale Ausgrenzung und die Benachteiligungen auf dem Wohnungsmarkt unüberwindbare Hindernisse für den einzelnen darstellen.
Zwar fängt das bestehende soziale Netz im Fall von Arbeitslosigkeit den Wegfall des Erwerbseinkommens mittels Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf. Die damit einhergehenden psychischen Probleme werden jedoch weit unterschätzt und sind nicht mit bloßen monetären Unterstützungsleistungen zu bewältigen.
Die Hilfe des Staates zielt dahin, rechtzeitig den Betroffenen bei der Bewältigung von schwierigen persönlichen Lebenssituationen Hilfestellung zu geben, wobei besonders wichtig ist, deren Eigenverantwortung zu stärken und ihnen eine aktive Lebensperspektive zu bieten.
Der Deutsche Bundestag hat mit seinem Beschluß vom Juni 1995 „Obdachlosigkeit - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung" eine Reihe von Forderungen an die Bundesregierung gerichtet, von denen erfreulicherweise bereits der überwiegende Teil umgesetzt werden konnte.
Mit dem Inkrafttreten der Reform des Sozialhilferechts am 1. August 1996 wurde bereits einem Großteil unserer Vorschläge und Forderungen Rechnung getragen. Im Falle von Mietrückstand und der damit verbundenen drohenden Kündigung übernimmt jetzt nach § 15 a BSHG das Sozialamt die Mietzahlung direkt an den Vermieter. Die Mietzahlung in bar an den Hilfeempfänger erfolgt nicht mehr, so daß eine zweckentfremdete Verwendung der Leistung des Sozialamtes von vornherein vermieden wird. Durch die Zweckbindung der Sozialhilfe kann so ein drohender Wohnungsverlust, der oft Obdachlosigkeit bedeutet, rechtzeitig abgewendet werden.
Mit der durch § 15 Abs. 2 BSHG ebenfalls neu eingeführten Meldepflicht der Amtsgerichte an die Sozialhilfeträger über Räumungsklagen wegen Mietrückständen auf Grund von Zahlungsunfähigkeit können die Sozialämter rechtzeitig eingreifen, bevor die Zwangsräumung droht.
Diese Modifikationen des § 15 BSHG zeigen nach ersten Angaben der Ämter bereits ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes positive Auswirkungen. Prävention ist mit sehr viel geringeren finanziellen Folgekosten verbunden. Eine Untersuchung des Deutschen Städtetages belegt, daß Obdachlosigkeit etwa siebenmal teurer ist als vorbeugende Hilfe durch die Übernahme rückständiger Mieten.
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Mit der 1995 auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion eingeführten Vorgabe im Bundeshaushaltsplan, die eine Aufstockung von Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau zugunsten der Wohnraumversorgung von Obdachlosen in Höhe von 50 Millionen DM vorsieht, dokumentiert die Bundesregierung ihre Bereitschaft, mit Hilfe des Instrumentariums der Wohnungsbauförderung aktive Hilfe zu leisten.
Angesichts der Belebung des sozialen Wohnungsbaues seit 1993 ist nun eine Entspannungsphase auf dem deutschen Wohnungsmarkt eingetreten. Die 16 Bundesländer haben den Verpflichtungsrahmen im sozialen Wohnungsbau Jahr um Jahr abgebaut. Kann man in Kenntnis dessen behaupten - wie im SPD-Antrag ausgeführt -, daß sich der Bund aus seiner Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau zurückziehen wolle, wenn die Länder ihre Mittel in diesem Zeitraum um 8,4 Milliarden DM kürzen und gleichzeitig den Bund für Kürzungen im gleichen Zeitraum in Höhe von 1,9 Milliarden DM anprangern?
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Die schwierige finanzielle Situation von Bund und Ländern muß Anlaß sein, die Hilfen auf diejenigen zu konzentrieren, die es aus eigener Kraft nicht schaffen. Es gilt angesichts der Tatsache, daß für Familien mit schmalem Geldbeutel zuwenig preiswerter Wohnraum zur Verfügung steht, erst recht, die finanziellen Hilfen gerade auf den WohnungsbeMargarete Späte
stand zu konzentrieren, um auch mit Blick auf die Möglichkeiten, die kostensparendes Bauen und Eigeninitiative bieten, ein wesentlich erweitertes Angebot zur Verfügung zu haben.
Die Bundesregierung hat sich mit einer Vielzahl von Forschungsprojekten und Modellvorhaben des Themas Obdachlosigkeit angenommen. Dazu gehören unter anderem Maßnahmen der Jugendsozialarbeit, der Drogen- und Suchthilfe sowie der dauerhaften Wohnungsversorgung Obdachloser.
Auf das Projekt „Dauerhafte Wohnungsversorgung von Obdachlosen" im Rahmen des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus des Bundesbauministeriums möchte ich hinweisen. Dieses Modell ist jetzt weitgehend abgeschlossen. Vor wenigen Tagen fand hier in Bonn die Präsentation der einzelnen Projekte statt. Die Abschlußberichte als Ergebnisse der Studie wurden dabei vorgestellt.
Diese Wohnprojekte ganz bewußt in ein nachbarschaftliches Umfeld einzubinden schafft bessere Voraussetzungen für eine soziale Integration als die Ausgrenzung problembelasteter Haushalte in dezentraler Gemeinschaftsunterbringung. Ziel ist ein Heranführen des einzelnen an ein eigenständiges geregeltes Leben. Die Bewältigung des Alltags ohne fremde Hilfe muß wieder gelernt werden.
Dieses Modellprojekt verdeutlicht, wie die Vernetzung und Koordination aller Hilfeleistenden aussehen muß. Es gilt, Sozialhilfemaßnahmen, Arbeitsförderungsmaßnahmen, Suchttherapien und psychische Begleitung so aufeinander abzustimmen, daß langfristig sowohl eine dauerhafte Wohnungsversorgung als auch die soziale Integration gewährleistet wird. Die Bezeichnung Unterstützungsmanagement ist zur Beschreibung dieser Verzahnung der Leistungsträger durchaus treffend.
Trotz einer Vielzahl von Hemmnissen, wie der zähen Entwicklungsfortschritte der Projekte und der noch fehlenden Langzeitbeobachtung, war die Resonanz von seiten der beteiligten Institutionen durchweg positiv. Grund dafür war auch die Tatsache, daß für die überwiegende Zahl der Betroffenen eine Stabilisierung der Wohnverhältnisse und der persönlichen Situation eingetreten ist. Im Ergebnis ist dieser von der Bundesregierung initiierte Modellversuch erfolgreich verlaufen.
Die nach wie vor bestehende Möglichkeit der preiswerten Veräußerung bundeseigener Liegenschaften eröffnet den Kommunen die Chance, Einrichtungen für Obdachlose bereitzustellen.
Die vom Deutschen Bundestag geforderte amtliche Erfassung von Wohnungslosen in Deutschland gestaltet sich in der Praxis schwierig. Derzeit werden vom Statistischen Bundesamt im Rahmen einer Machbarkeitsstudie Möglichkeiten einer realitätsnahen Erfassung von Wohnungslosen in einer Bundesstatistik erarbeitet, die bis Ende Februar 1998 vorgelegt werden wird.
Einige konkrete Initiativen und Hilfsangebote für Obdachlose, die von Obdachlosen auch angenommen werden, möchte ich beispielhaft nennen: so das ärztliche Obdachlosenmobil in München oder die Obdachlosenpraxis am Berliner Hauptbahnhof. Beeindruckend ist die Initiative des Cellisten Thomas Beckmann, der die bundesweite Aktion „Gemeinsam gegen Kälte" initiiert hat.
Einzufordern bleibt, klare und einheitliche Zuständigkeitsregelungen für Hilfen nach § 72 BSHG doch noch gemeinsam mit dem Bund zu erwirken, bei der Reform des Wohnungsbaurechts die Fördermaßnahmen so auszurichten, daß besonders diejenigen, die sich nicht aus eigener Kraft am Wohnungsmarkt versorgen können, unterstützt werden; preisgünstigen Wohnraum durch Modernisierung im Bestand unter Nutzung der Möglichkeiten des kosten- und flächensparenden Bauens zu schaffen; weiterhin mittels konkreter Projekte die Möglichkeiten zur Versorgung von Wohnungsnotfällen durch Kooperation von Gemeinden, Wohnungswirtschaft und Wohlfahrtspflege auszuschöpfen.
Das Beratungsangebot und vor allem die Beratungsqualität für diejenigen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, muß in so mancher Amtsstube gerade mit Blick auf rechtzeitige präventive Maßnahmen dringend verbessert werden. Dies verdeutlicht eine in der vergangenen Woche vorgelegte Studie aus Sachsen-Anhalt.
Das große Engagement der Kommunen, der Wohlfahrtspflege und der kirchlichen Organisationen sei hier besonders hervorgehoben. Der verstärkte Einsatz der sozialen Betreuungsorganisationen ist gerade im Bereich der sozialen Nachsorge besonders wichtig. Die Abstimmung von wohnungsbaupolitischen und sozialintegrativen Elementen, die in vielen Bereichen noch besser koordiniert werden muß, ist ein Schlüssel für die erfolgversprechende Umsetzung der Maßnahmen; denn soziale Probleme sind nicht einfach wegzusanieren, erst recht nicht durch eiligst vorgelegte Entschließungsanträge der Grünen.
Mein Appell gilt allen Verantwortlichen der Länder und Gemeinden, sich weiterhin dieses Themas anzunehmen, die vorhandenen Instrumentarien zielgerichtet einzusetzen und damit die auf Bundesebene bisher realisierten Ergebnisse umzusetzen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Gabriele Iwersen, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir nun schon gehört haben, daß gerade für Leute, die wohnungslos geworden sind, in dieser Republik eigentlich paradiesische Zustände wenn auch nicht ganz vorhanden, aber doch unmittelbar vor uns stehen, will ich meine eigene Form der Bilanz ziehen; denn es geht damm, daß wir im Jahre 1995 einen gemeinsamen Antrag beschlossen haben - Frau Späte hat ihn schon angesprochen -, diese Gemeinsamkeiten aber leider schon bei der Bewertung des ersten Berichts, den die Bundesregierung im vergangenen Jahr vorlegen mußte, ein Ende gefunden haben, nämlich als es
darum ging, zu bewerten, was daraus geworden ist und was noch offen ist.
Konnten wir noch 1995 fraktionsübergreifend den Satz „Das Wohngeld ist an die gestiegenen Mieten anzupassen und sozial fortzuentwickeln" verabschieden und die Forderung nach einer meldefähigen Anschrift für wohnungslose Personen gemeinsam erheben, so lesen wir jetzt in dem Bericht des Ausschusses, daß der SPD-Antrag abzulehnen sei, da Forderungen zu Wohngeld und zur meldefähigen Anschrift von der Mehrheit - sprich: von den Koalitionsfraktionen - nicht mitgetragen werden könnten.
Schade, daß die Ankündigung einer Novellierung des Wohngelds West durch den Bauminister so einfach mit einem Federstrich von der Bildfläche verschwunden ist, wie offensichtlich auch der ganze Bauminister. Dabei waren wir uns einig, daß der Verlust der Wohnung zum Teil auf Zahlungsunfähigkeit durch Arbeitslosigkeit, nach Scheidung, Krankheit, Unfall und dergleichen zurückzuführen ist. Der Zusammenhang zwischen Wohnungsverlust und Wohngeldhöhe ist also durchaus vorhanden und sollte auch bekannt sein. Deshalb ist der belehrende Hinweis der Bundesregierung auf Sinn und Zweck des Wohngeldes im erwähnten Bericht eher unangebracht.
Ich möchte aber nicht nur Negatives über den Bericht der Bundesregierung anmerken. Es gibt auch positive Entwicklungen. Wir begrüßen die Änderung des § 15a BSHG. Die vermehrten Meldungen von Räumungsklagen wegen Mietrückständen wirken sich inzwischen insofern positiv aus, als bei den Kommunen und Sozialhilfeträgem eine größere Bereitschaft entsteht, lieber Mietschulden zu übernehmen als Zwangsräumungen zu akzeptieren. Darauf hat auch Frau Späte hingewiesen.
Auch in bezug auf § 72 BSHG sind wir uns mit der Koalition einig. Wir fordern, daß die neue Durchführungsverordnung bis zum Ende dieses Jahres endlich in Kraft tritt. Leider ist sie aber immer noch nicht fertiggestellt. Wir haben sie jedenfalls noch nicht zu Gesicht bekommen. Im Sommer sollte es soweit sein.
Die Bundesländer müssen endlich die einheitliche Zuständigkeit der überörtlichen Sozialhilfeträger für die Hilfen nach § 72 BSHG regeln, wie sie es ihrerseits bereits im Vermittlungsausschuß versprochen haben. Sie haben sich praktisch dazu verpflichtet, aber sind noch nicht in die Strümpfe gekommen, wenn ich das so sagen darf. Andernfalls muß erneut ein Versuch gestartet werden, § 100 BSHG für eine einheitliche Zuständigkeitsregelung im Bundesrat noch einmal zur Sprache zu bringen.
Die von der Koalition angesprochene Förderung des sozialen Wohnungsbaus dagegen gibt sehr zu denken. Ist es nicht Ziel der Regierungskoalition, den sozialen Wohnungsbau kräftig zurückzufahren? Warum sonst wurden die Fördermittel für 1998 um 660 Millionen DM gekürzt? Bei solch drastischen Kürzungen steht der soziale Wohnungsbau praktisch vor dem Aus.
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Da nützt es den finanziell und sozial benachteiligten Haushalten wenig, wenn laut Beschlußempfehlung, die Sie für den heutigen Tag vorgelegt haben, der soziale Wohnungsbau als das wichtigste Instrument zur Wohnraumversorgung fortzuentwickeln sei.
Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Wohngesetzbuches gibt auch keinen Hinweis darauf, daß unsere gemeinsamen Forderungen von Juni 1995 nach einer bedarfsgerechten Sicherung des Wohnungsbaus weiterverfolgt werden. Die Abschaffung des Kostenmietprinzips für Sozialwohnungen würde eine jährliche Mieterhöhung um 5 Prozent ermöglichen. Das dürfte, zusammen mit der Kürzung des Wohngeldes und der Streichung der Fördermittel des Bundes, vernichtend sein für den sozialen Wohnungsbau. Der Bund darf sich seiner Verantwortung aber nicht zu Lasten der Länder und Gemeinden entziehen. Ungereimtheiten wie diese entwerten zweifellos den Entschließungsantrag von CDU/CSU und F.D.P., den sie uns heute vorlegen.
Zu unverbindlich erscheint uns auch die Forderung, daß „die Arbeiten an Statistiken über Wohnungsnotfälle fortzusetzen" seien. Das war wieder ein Zitat aus der Beschlußempfehlung. Das deutet darauf hin, daß Sie noch immer glauben, Obdachlosigkeit sei nur ein vorübergehendes Phänomen des angespannten Wohnungsmarktes, das sich aussitzen läßt. Sie irren, meine Damen und Herren von der Koalition. Das Problem der Obdachlosigkeit wird uns dauerhaft herausfordern. Selbst bei einer entspannten Lage auf dem Wohnungsmarkt bleibt immer eine mehr oder weniger große Gruppe von Betroffenen unversorgt, es sei denn, unsere Gesellschaft akzeptiert den Hilfebedarf, der über die reine Vermittlung einer Wohnung weit hinaus geht.
Sie vergessen die zigtausend Menschen, die nach oft jahrelanger Unterbringung in staatlichen Einrichtungen, wie zum Beispiel psychiatrischen Kliniken, Jugendwohnheimen, Haftanstalten oder Suchtkliniken, ohne Freunde und ohne Verwandte auf der Straße stehen. Wenn für uns auch vielfach die Ursachen der Obdachlosigkeit, für ein Leben auf der Straße bzw. in Notunterkünften der Obdachlosenhilfe nicht nachvollziehbar sind, so ist es doch die Pflicht und Schuldigkeit dieser Gesellschaft - und damit auch dieses Staates -, all denjenigen zu hellen, die eine Rückkehr in „normale Lebensverhältnisse" wünschen.
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Dazu brauchen wir endlich eine umfassende Statistik, die den jeweiligen Umfang der von Wohnungslosigkeit betroffenen Gruppen und ihre Veränderungen erfaßt. Es ist dringend erforderlich, die Wohnungslosen nach Alter und Geschlecht zu differenzieren; denn der Hilfebedarf ist höchst unterschiedlich.
Auffällig ist die Zunahme der Zahl wohnungsloser Frauen, die in der Obdachlosenszene eindeutig einen besonders schweren Stand haben und ihre eigenen Bewältigungsstrategien zu entwickeln suchen. Auf Grund vielfältiger Gewalterfahrungen ist für sie oft ein männerfreier Raum, in dem sie ihre SelbstverGabriele Iwersen
sorgungskompetenz erhalten können, von allergrößter Bedeutung.
Die nun schon seit vier Jahren geforderte Statistik ist unerläßlich, um zielgruppenorientierte, nachhaltige Hilfe schnell organisieren zu können. Eine regelmäßig vorzulegende Statistik zeigt den Ländern und Kommunen, aber auch den freien Trägern der Wohlfahrtspflege oder der Wohnungswirtschaft, wie groß der Bedarf an sozial orientierter Vermietungspraxis ist, um eine dauerhafte Wohnungsversorgung für diejenigen zu erreichen, die aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage sind.
Positiv muß das bereits von Frau Späte erwähnte Forschungsfeld „Dauerhafte Wohnungsversorgung von Obdachlosen" beurteilt werden. An Hand von sieben Modellversuchen ist nachgewiesen worden, daß die traditionellen Mittel der Wohnraumbeschaffung für einen Teil der Obdachlosen nicht ausreichend sind. Durch unterschiedliche Methoden der sozialorientierten Wohnraumvermietung, zum Teil in Verbindung mit Selbsthilfeprojekten, wurde aufgezeigt, wie weit psychosoziale und materielle Betreuung aufrechterhalten werden muß, um die gewünschte Dauerhaftigkeit der Mietverhältnisse zu gewährleisten. Jetzt gilt es aber, Schlußfolgerungen aus diesen Forschungsergebnissen zu ziehen.
Dabei bedarf ein kritischer Punkt mit Sicherheit einer Verbesserung - dies ist eigentlich nur eine Kleinigkeit -: Bei notorischen Mietschuldnern, die Arbeitslosenhilfe beziehen, kann es sich als sinnvoll erweisen, durch eine Abtretungserklärung die Mietzahlungen direkt durch das Arbeitsamt an den Vermieter leiten zu lassen, so wie es ja auch bei den Sozialämtern gehandhabt wird. In vielen Arbeitsämtern wird das auch so praktiziert, zum Beispiel in meinem in Wilhelmshaven. Auch das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen unterstützt diese Regelung.
Aber es gibt Ausnahmen. Das Arbeitsamt Hagen hat zum Beispiel eine ganz andere Vorstellung. Diese Dienststelle weigert sich in mehreren Fällen, die Abtretungserklärung zu berücksichtigen. Dies tut sie mit der Begründung, es sei nicht Sinn des § 53 SGB I, mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit, mit begrenzten Mitteln planvoll wirtschaften zu müssen, zu ersetzen. Deshalb weigert sie sich, den Dauerauftrag bezüglich der Mietzahlungen auszuführen.
Dabei steht in dem genannten Paragraphen des SGB: Ansprüche auf Geldleistungen können übertragen werden, wenn die Übertragung „im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt" . Dies muß der Leistungsträger lediglich feststellen. Hier soll keine erzieherische Funktion auf den Berechtigten ausgeübt werden. Seine Interessen sollen vielmehr unterstützt werden. Eine dauerhafte Sicherung des Mietverhältnisses liegt nun mit Sicherheit in dessen Interesse. Aber das Arbeitsamt Hagen verweist statt dessen auf die Möglichkeit einer Klage vor dem Sozialgericht. Sie wurde inzwischen auch eingereicht.
Es bleibt also abzuwarten, wie die Gerichte entscheiden. Aber mit Sicherheit ist dieser Fall nicht unter dem Stichwort „schnelle und unbürokratische Hilfe" einzuordnen.
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Meine Damen und Herren, hier ist die Einengung des Interpretationsspielraums vonnöten, um in diesen Fällen Räumungsklagen bei Mietverzug zu verhindern. Weil es sich um die Bundesanstalt für Arbeit handelt, habe ich die Hoffnung, daß die Bundesregierung diesen Hinweis aufnimmt und im wohlverstandenen Interesse von Mietern und Vermietern vermittelnd tätig wird.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Der Bericht der Bundesregierung zeigt gute Ansätze bei der Vermeidung und Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, läßt aber noch viel Handlungsbedarf erkennen. Dem Entschließungsantrag der Koalition können wir aus den genannten Gründen nicht zustimmen. Der von den Grünen, so muß ich sagen, ist besser. Aber trotzdem denke ich, daß der Entschließungsantrag der SPD eine logische Fortsetzung des ursprünglich einmal gemeinsam verfaßten Antrags ist. Deshalb wäre es eigentlich wünschenswert, daß Sie ihm zustimmen. Denn das Thema Obdachlosigkeit macht es notwendig, daß wir uns einigen und uns nicht profilieren.
Schönen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten. Es fällt mir auf, daß heute nur Frauen sprechen. Das gibt mir so ein bißchen das ungute Gefühl, daß das einmal wieder eines der zentralen sozialen Themen ist, das den Frauen zugeordnet wird.
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- Klaus Warnick spricht auch. Das ist wunderbar. Dann kommt es doch noch zu einer gewissen Männerquote.
Zum zweiten. Es ist mir schon ein Bedürfnis, die Bitte auszusprechen, daß wir gerade dieses Thema nicht nutzen, um uns hier zu profilieren. Wir sollten vielmehr auf die Punkte zu sprechen kommen, die uns gemeinsam wichtig sind. Es ist schon erstaunlich, daß zumindest auf der Ebene des Bundestages im Bereich der sozialpolitischen Maßnahmen weitgehende Einigkeit darüber besteht, welche Hausaufgaben inzwischen teils geleistet worden sind und teils noch anstehen. Es sind schon einige Punkte angesprochen worden. Ich will mich daher kurz fassen.
Bei der Übernahme rückständiger Mieten und auch bei den Mitteilungen über Räumungsklagen sind wir wirklich einen Schritt weitergekommen. Die Organisation der meldefähigen Anschrift ist noch immer ein wunder Punkt. Ein zentraler ungelöster Punkt ist § 72 BSHG, nämlich die Vereinheitlichung der Zuständigkeiten, damit Hilfesuchende nicht von einer Stelle zur anderen geschoben werden.
Wir wissen auch, daß viele Probleme wirklich nur auf der Ebene der Kommunen gelöst werden können. Insbesondere bei der Einrichtung von integrierten Fachstellen mit gesundheitlicher und sozialer Beratung vor Ort gibt es noch ganz erhebliche Mängel. Was bei wachsenden Problemen immer mehr fehlt, sind Notunterkünfte bzw. Wärmestuben. Sie sollten nicht nur im Winter, sondern ganzjährig geöffnet sein. Dies betrifft insbesondere spezielle Einrichtungen für Frauen.
Auch wenn die finanzielle Situation in den Kommunen zur Zeit schwierig ist, tragen wir als Abgeordnete, die in den jeweiligen Kommunen leben, trotzdem dafür die Verantwortung, daß dort in der nächsten Zeit - gerade auch in diesem Winter - eher mehr als weniger getan wird. Wir alle sollten uns davon in die Pflicht nehmen lassen.
Schon weniger Einigkeit besteht im Bereich der wohnungspolitischen Maßnahmen. Da gibt es massive Dissense. Das Wohngeld hat Frau Iwersen schon angesprochen. Die Sicherung preiswerter Wohnungsbestände, insbesondere im Bereich der öffentlichen Wohnungen, scheint mir in Zeiten, in denen weniger Geld für die Neubauförderung zur Verfügung steht, eine ganz zentrale Aufgabe zu sein. Um so wichtiger ist, wie ich es immer wieder fordere, die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinwirtschaft, damit die Bestände, die schon einmal preiswert aus Steuergeldern finanziert worden sind, wenigstens gehalten werden, statt sie entweder zu verkaufen oder deren Mieten, wie es zur Zeit geschieht, massiv zu verteuern. Das können wir uns angesichts der wachsenden Armut - wir stehen hier erst am Anfang des Problems - sozialpolitisch wirklich nicht leisten.
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Ein weiterer Punkt ist die Konzentration der Wohnungsbauförderung. Soweit wir überhaupt noch Mittel haben, müssen sie den wirklich bedürftigen Schichten zugute kommen. Heute reden wir über die wirklich Bedürftigen. Auch bei diesem Punkt wird immer noch ausgewichen, aber wir müssen ihn fraktionsübergreifend sehr ernst nehmen.
Ganz zum Schluß möchte ich noch zwei Punkte ansprechen, die mir sehr wichtig sind. Zum einen brauchen wir wirklich mehr Engagement in den Kommunen für betroffene und bedrohte Frauen; denn gerade denen geht es wegen der Angst vor Gewalt und der realen Gewalt, der sie ausgesetzt sind, besonders schlecht. Bisher gibt es nur sehr wenig Unterkünfte für Frauen. Für sie müssen auch die Maßnahmen, die gegen drohenden Wohnungsverlust ergriffen werden, ausgeweitet werden, damit sie nicht auf der Straße landen.
Der zweite Punkt - Herr Präsident, ich bitte, mir noch diesen Moment zu geben - ist die Unterstützung für selbstbestimmte Wohnungs- und Bauprojekte. Wie wir wissen, gibt es eine Reihe von Gruppen - leider geschieht das noch viel zu selten -, die eigene Bauprojekte auf den Weg zu bringen versuchen, indem sie sich um ein Grundstück und ein Baukonzept bemühen. Ich bitte auch die Bundesregierung sehr darum, den Ländern für diesen Bereich eine Gebrauchsanweisung zu geben, damit sie nicht dem Druck ausgesetzt sind, all dies nach den Regeln des sozialen Wohnungsbaus durchzuführen. Einerseits sollten die Kommunen helfen, geeignete Grundstücke zu finden, andererseits sollte auf der Förderseite mehr Großzügigkeit walten, indem die Möglichkeit eröffnet wird, von den klassischen Förderbestimmungen abzuweichen. Die selbstbestimmte Organisation eigenen Wohnens ist nämlich, wie ich glaube, die beste und dauerhafteste Maßnahme, die wir uns wünschen können.
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Das Wort hat die Kollegin Lisa Peters.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und meine Damen! Es ist schon von Frau Späte erwähnt worden, daß sich der Deutsche Bundestag, vornehmlich der Bauausschuß, aber auch die Damen und Herren aus dem Bereich Arbeit und Soziales, wiederholt mit dem Problem der Obdachlosigkeit umfassend - da bin ich mit Ihnen einer Meinung - beschäftigt hat. Ich denke schon, daß alle Gespräche, Aufträge, Entschließungsanträge und Unterrichtungen durch die Bundesregierung zusammengenommen dazu geführt haben, die Probleme der Obdachlosigkeit zu verdeutlichen.
Ich erinnere mich an die guten und informativen Gespräche, die wir im Rahmen der Arbeitsgruppe mit den beteiligten Organisationen der Wohnungslosen - Männer und Frauen - geführt haben. Wir konnten feststellen, daß viele unterschiedliche Fakten zur Wohnungslosigkeit führen und es schwer ist für die Betroffenen, wieder Fuß zu fassen.
Wenn es darum geht, Hilfestellung zu geben, gibt es kaum Differenzen unter den Abgeordneten. Bei den Ansätzen zur Problemlösung beschreiten wir jedoch unterschiedliche Wege. Frau Iwersen, Sie haben das erwähnt. Auch wenn wieder mehr Wohnungen zur Verfügung stehen und angeboten werden, ist damit die Obdachlosigkeit nicht beseitigt. Wohnungen müssen bezahlbar sein. Es gibt zweifellos ein größeres Angebot am Wohnungsmarkt, die Höhe der Mieten ist jedoch konstant geblieben.
Alle Aufzeichnungen beweisen, daß die vorbeugende Hilfe wesentlich preiswerter ist als die Aufwendungen für Obdachlosigkeit.
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Mir ist es bis heute unbegreifbar, daß es immer noch Städte und Gemeinden gibt, in denen es keine Zusammenarbeit zwischen Amtsgericht, Wohnungs- und Sozialamt sowie den betreuenden Diensten gibt; dazu zählen sicher noch viel mehr Institutionen.
Ich weiß auch nicht, warum Kommunen nicht ständig einige Belegwohnungen für Familien freihalten, die ohne Vorwarnung obdachlos werden - auch das gibt es ja manchmal -, mitten in der Nacht. Gerade
Familien mit Kindern benötigen ein Zuhause. Hier muß die Zusammenarbeit einfach funktionieren. Man darf keinen Menschen auf die Straße setzen. Die Unterrichtung der Bundesregierung auf Drucksache 13/8006 macht hierzu klare und positive Aussagen.
Wenn wir der Obdachlosigkeit mittelfristig Herr werden wollen, müssen Voraussetzungen geschaffen werden. Vor allem kommt es mir wieder auf die Menschen an, auf diejenigen, die betroffen sind, und auf diejenigen, die mit den Betroffenen zu tun haben.
Dies sind auf der einen Seite die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Verwaltungen, die für die Betroffenen einstehen und manchmal Unmögliches möglich machen; es sind auf der anderen Seite die vielen Ehrenamtlichen, die in Verbänden und Kirchen den Obdachlosen helfen und ihnen das tägliche Leben erleichtern. Ich möchte wirklich allen danken, die nicht müde werden, zu helfen.
Ich denke auch an die Mitglieder unserer Kirchengemeinde und an die Spender in Buxtehude, die zweimal in der Woche ein reichliches Frühstück, aber auch Gespräche mit der Möglichkeit, zuzuhören, anbieten. Die Obdachlosen nehmen das sehr an. Darunter sind aber nur fünf Prozent Frauen.
Ich freue mich, daß es ebenfalls gelungen ist, einen aus Spendengeldern finanzierten Raum zur Verfügung zu stellen, in dem es den Obdachlosen ermöglicht wird, sich zu duschen, die Wäsche zu waschen und die Wäsche auch zu trocknen. Auch das sind keine Selbstverständlichkeiten. Wir kommen ohne diese Hilfen nicht aus; wir leben davon.
Nur die Ehrenamtlichen können zusammen mit den Bemühungen der öffentlichen Hand für ein langsames Zurückgehen der Obdachlosenzahlen sorgen. Auf Nachfrage wurde mir in meiner Region bestätigt, daß sich die Situation leicht entspannt hat. Gerade die Zahl der Nichtseßhaften hat sich wesentlich reduziert. Hier ist es nicht ganz klar, ob Obdachlose - das sind vornehmlich Männer - in andere Bundesländer ausgewichen sind.
Ich danke von dieser Stelle aus auch den Selbsthilfegruppen der Obdachlosen. Ihnen gelingt es immer wieder, Obdachlose mit einer Wohnung und mit einer Arbeitsstelle zu versorgen. Mir ist es in letzter Zeit mehrfach passiert, daß die jungen Männer, die bei uns die Obdachlosenzeitung verkaufen - im Hamburger Raum heißt sie „Hinz und Kunz " -, zu mir sagten: „Ich stehe hier in diesem Monat zum letztenmal. Ich habe ab dem 1. des nächsten Monats eine Arbeitsstelle, und ich habe auch eine Wohnung bekommen. " Ich erkundige mich dann immer noch, weil ich diese Dinge von Anfang an mit verfolgt habe, und ich muß sagen: Wenn Obdachlose dazu bereit sind und wenn man einen Arbeitgeber findet, dann gelingt es, diese Männer - in der Regel sind es Männer - wieder in Lohn und Brot zu bringen.
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Meine Herren und meine Damen, wir alle müssen noch viel tun. Ich will auch nicht die Bundesregierung, die Länder und die Kommunen aus ihrer Verpflichtung entlassen. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß wir nur im Miteinander das Problem der Obdachlosigkeit lösen können. Auch die Ergebnisse der Forschungsprojekte und der Modellprogramme weisen ganz klar aus, daß es in erster Linie auf die Menschen, ihre Sachkenntnis und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit ankommt. Dort wird Margestellt, daß Kontakte zwischen den Verwaltungen und den Verbänden nötig sind, daß man alles nur mit großer Sensibilität lösen kann. Keine Wiedereingliederung wird ohne Betreuung funktionieren. Wenn man eine hohe Wohnzufriedenheit erreichen will, müssen auch die Betroffenen eine Wiedereingliederung wollen. Das ist klar. Sie müssen dazu beitragen.
Der nächste Bericht soll am 28. Februar 1998 vorliegen. Ich gehe davon aus, daß dann die noch anstehenden Fragen positiv beantwortet werden. Für mich gilt: Mit viel Wohlwollen und Einsatz muß es gelingen, Obdachlose wieder einzugliedern und ihnen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Warnick, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit ich im Deutschen Bundestag bin, ist es jedes Jahr das gleiche Ritual. Immer wenn die Nächte kälter werden, haben wir das Thema Obdachlosigkeit auf der Tagesordnung, so auch dieses Jahr. Aber außer schönen Reden passiert nichts. Den Betroffenen nutzen unsere Reden Null Komma nichts. Die Regierung wird ihrer Verantwortung nämlich nicht gerecht.
Ein Meines praktisches Beispiel für selbstlose Hilfe, von der Frau Peters gerade gesprochen hat, ist Frau Dr. de la Torré, die seit Jahren am Berliner Hauptbahnhof Obdachlose in der Krankenstation des Deutschen Roten Kreuzes betreut. Sie ist stadtbekannt. Sie ist am 9. Oktober mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Aber das nützt ihr herzlich wenig, wenn gleichzeitig die für ihr Projekt zur Verfügung stehenden Mittel immer weiter zusammengestrichen werden und sie in Zukunft diese Arbeit nicht mehr leisten kann.
Der beste Beweis dafür, daß Wohnungslosigkeit ein Problem des Gesellschaftssystems ist, ist das Beispiel Ostdeutschland. Wir hatten in der DDR oft einen sehr schlechten Wohnungsstandard und mit Sicherheit zu wenig Wohnungen. Es gab aber trotzdem keine Obdachlosen. Die Situation jetzt ist: Obwohl 1,3 Millionen Ostdeutsche in den letzten Jahren gen Westen gezogen sind und zusätzlich 350 000 Wohnungen neu gebaut wurden, also wir, rein statistisch, einen Wohnungsüberschuß haben, ist die Zahl der Obdachlosen sprunghaft angestiegen. Und sie steigt besorgniserregend weiter.
Ich habe mir die Zahlen von Leipzig geben lassen. Von 621 Betroffenen in Notquartieren im Jahre 1994 verdoppelte sich die Zahl der Betroffenen auf 1 154
im Jahre 1996. Im August dieses Jahres waren es 2 580 Wohnungsnotfälle. Die Zahlen sprechen für sich - und das, obwohl Sachsen offiziell Spitzenreiter im Wohnungsleerstand ist. Dort gibt es 185 000 leerstehende Wohnungen. Das ist der beste Beweis, daß die Kausalkette „Wir bauen genügend Wohnungen, dann ist das Problem erledigt" falsch ist.
Nur ein ganzes Bündel von Maßnahmen könnte dieses Problem lösen. Ich kann das während meiner kurzen Redezeit leider nicht erläutern. Ich nenne nur ein paar Stichworte. Es fängt an mit der Schul- und Berufsbildung, geht weiter mit der Vermittlung eines anderen Weltbildes durch die Medien, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Fragen der gerechten Verteilung des produzierten Reichtums, Stichwort: Steuerrecht, Mietrechtsänderungen und ausreichenden sozialen Wohnungsbau bis zum Stopp des Verkaufs kommunaler und bundeseigener Wohnungen. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortführen.
Drei Maßnahmen sind für uns vorrangig: erstens die sofortige Anpassung des gesamtdeutschen Wohngeldes an die sozial verschärfte Lage noch zum 1. Januar 1998; zweitens ein Sofortprogramm der Bundesregierung, um Obdachlosenhilfeprojekte - wie von Frau Dr. Torré vorgestellt - wirksam unterstützen zu können; und drittens die baldige Verankerung des Rechtes auf Wohnen in eine neue gesamtdeutsche Verfassung, wie sie den Ostdeutschen 1990 versprochen wurde. Man versprach, daß wir eine neue, eine andere Verfassung bekommen würden.
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Ich gebe zu, das kommt einem Umbau der Gesellschaft gleich, den Sie nicht wollen. Er ist aber notwendig; er ist der einzige Ausweg aus der Sackgasse. Die demokratischen Sozialisten wollen ihn.
Aus den Reihen der Koalition hören wir immer Zwischenrufe über die menschenverachtende Diktatur in der DDR. Ich, der ich aus dem Osten komme und mit den Verhältnissen in der DDR in vielen Punkten auch nicht einverstanden war, frage mich da immer: Sind die Zustände in gesamtdeutschen Obdachlosenasylen und Bahnhofsvorhallen nicht ebenso menschenverachtend?
({1})
Sie, die sich Christen nennen und in einem der reichsten Länder der Welt 1 Million Wohnungslose zulassen, sollten in dieser Frage sehr ruhig sein.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Das ist die Drucksache 13/8006 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme des Berichts auf Drucksache 13/5226. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist die Drucksache 13/8006 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6402 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/8006 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Opposition angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8864. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen ({0})
- Drucksache 13/8052 -({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
- Drucksache 13/8837 Berichterstattung:
Abgeordnete Jella Teuchner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verlorengegangenes Vertrauen der Verbraucher in deutsches Rindfleisch kann nur durch eine klare und auch nachvollziehbare Kennzeichnung wiedergewonnen werden. Die Fleischwirtschaft in Europa ist in den letzten Jahren leider
durch skrupelloses Verhalten von einigen Fleischhändlern und Fleischverarbeitern, durch mangelnde Kontrollsicherheit an den Grenzen und durch die grobe Fahrlässigkeit der britischen Regierung bei der Zulassung von Tierabfällen zum Einsatz in der Fütterung stark in Verruf geraten.
Die BSE-Krise und die nicht auszuschließende Übertragbarkeit dieser Krankheit auf den Menschen haben zu großen Zweifeln an der Qualität von Rindfleisch geführt. Das Ergebnis dieser Entwicklung sind eine tiefgreifende Verunsicherung des Verbrauchers, ein dramatischer Rückgang des Fleischverzehrs und damit verbundene Milliardenverluste in der Fleischwirtschaft, am schlimmsten jedoch bei unseren Bauern.
So ging der Pro-Kopf-Verbrauch von Rind- und Kalbfleisch in Deutschland - so die ZMP - von 20,6 Kilogramm 1991 um über 6 Kilogramm auf nunmehr 14,5 Kilogramm, also um 30 Prozent, zurück. Damit haben die Verbraucher deutlich gezeigt, daß die bisherigen Kontrollen auf diesem Sektor keineswegs ausreichend waren. Sie verlangen qualitativ hochwertige, gesunde und schmackhafte Fleisch- und Wurstwaren und wollen mehr über die Herkunft dieser Produkte wissen.
Dank der Initiative unseres Ministers Borchert war es nun möglich, eine entsprechende EU-Verordnung einzuführen, die eine Kennzeichnung von Rindfleisch vorschreibt. Die jetzt vorliegende EU-Verordnung Nr. 820/97 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und zur Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen ist mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf in nationales Recht umzusetzen.
Der zunächst freiwilligen Etikettierung ab dem 1. Januar 1998 wird sich ab dem Jahr 2000 eine globale und obligatorische Kennzeichnung anschließen.
Leider ist erst jetzt in Brüssel eine Mehrheit für ein solches Vorhaben gefunden worden. Es läßt sich gar nicht ausmalen, was unserer Fleischwirtschaft erspart geblieben wäre, wenn man diese Möglichkeit vor der BSE-Krise gehabt hätte.
Die Durchführung dieser am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen EU-Verordnung macht einige Änderungen nationaler Rechtsvorschriften erforderlich: Erstens. Die Elemente zur Kennzeichnung und Registrierung werden durch eine Änderung der Viehverkehrsordnung fristgerecht umgesetzt, so daß sie am 1. Januar 1998 in Kraft treten können. Dazu gehören die Einführung einer zweiten Ohrmarke und die Anpassung des bei uns seit 1995 benutzten Begleitpapiers sowie eines Bestandsregisters an die EU-Vorgaben.
Zweitens. Der Erlaß des Rindfleischetikettierungsgesetzes ist insbesondere deshalb erforderlich, um die Zuständigkeit zur Durchführung der bundeseinheitlichen Genehmigung von Etikettierungssystemen der BLE zu übertragen sowie zur gesetzlichen Verankerung von Straf- und Bußgeldvorschriften.
Der Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfaßt Rindfleisch und für den Fall einer Änderung der EUVerordnung auch Rindfleischerzeugnisse. Die Rindfleischerzeugnisse wurden nach eingehenden Überlegungen der Agrarminister in Brüssel nicht in das EG-Recht einbezogen. Denn zum einen ist die Fleischwirtschaft bereits mit der Etikettierung von Rindfleisch besonders gefordert, und zum anderen sind Rindfleischerzeugnisse in der Regel bereits unternehmensbezogen etikettiert. Dort ist also das Markenzeichen des herstellenden Unternehmens erkennbar angebracht.
Außerdem ist die Herkunftskontrolle des Inhaltes mancher Rindfleischerzeugnisse, wie zum Beispiel einer Wurst, nur schwer möglich. Glaubhaft sind wir nur dann, wenn wir alle Angaben auf dem Etikett auch beweisen können.
Es ist auch gut, daß die Kontrolle der Etikettierung durch die Wirtschaft selbst vorgenommen wird. So kann sie für Verbraucher und Erzeuger kostengünstiger und effizienter durchgeführt werden.
Gleichzeitig fordere ich die Vergeber dieser Kontrollzeichen dazu auf, diese so zu gestalten, daß für den Verbraucher auf den ersten Blick zu erkennen ist, daß dieses Teilstück aus Deutschland kommt. Auch wenn es die EU-Verordnung nicht zuläßt: Ich möchte eine Art „Made in Germany" auf dem Rindfleisch haben, das für den Verbraucher leicht zu erkennen ist.
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Ich denke, mit etwas Phantasie läßt sich ein für den Verbraucher verständliches adäquates Logo kreieren.
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- Mir fällt da schon einiges ein.
Auf dem Etikett ist nach der Richtlinie ein Referenzcode anzugeben, mit dessen Hilfe man die Herkunft des Fleisches bis in den Stall und zu dessen Besitzer zurückverfolgen kann. Möglich sind jedoch auch Angaben über den Geburtsort, den Mast- und Schlachtort sowie über das Mastverfahren. Ich hoffe, daß die Wirtschaft diese Möglichkeit zum besseren Informieren der Verbraucher intensiv nutzt.
Meine Damen und Herren, die BLE genehmigt die Zulassung eines Etikettierungssystems und vergibt die Anerkennung privater Kontrollstellen, die dann für die Durchführung der Kennzeichnung vor Ort zu sorgen haben. Dadurch wird sichergestellt, daß bundesweit alle Antragsteller zur Genehmigung eines Etikettierungssystems gleiche Bedingungen vorfinden.
Die Überwachung der Kontrollen der Wirtschaft obliegt den nach Landesrecht zuständigen Stellen. Diese zweite, für den Verbraucher vertrauensfördernde Kontrollstufe ist allein schon durch die Zuständigkeitsverteilung entsprechend dem Grundgesetz so vorgegeben.
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Außerdem verfügen die Länder über detaillierte Ortskenntnisse - das ist sicher noch wichtiger, Frau Teuchner - und können vorhandene Behörden mit dieser Aufgabe betrauen. Die entstehenden Kosten können ja im übrigen durch die Erhebung einer Gebühr abgedeckt werden.
Die Ablehnung des vorliegenden Gesetzentwurfes durch die Länder ist nach meiner Ansicht nicht bis zu Ende überlegt; denn wenn hier kein Bundesgesetz verabschiedet wird, dann haben die Länder alle Maßnahmen der Genehmigung, Kontrolle usw. durchzuführen. In der Diskussion darf nicht vergessen werden, daß die EU-Verordnung seit dem 1. Juli dieses Jahres bereits geltendes Recht ist, auch hier bei uns in Deutschland.
Ich hoffe, daß in den verbleibenden Wochen dieses Jahres noch die Vernunft bei den Ländern wächst und die notwendige Zusammenarbeit mit dem Bund doch noch zustande kommt - um es einmal so vorsichtig auszudrücken.
Meine Damen und Herren, derzeit kommt eine sofortige Einführung der obligatorischen Etikettierung von deutschem Rindfleisch noch nicht in Betracht, weil bislang nicht alle Rinder in Deutschland über einen Tierpaß verfügen und insbesondere die älteren Kühe zur Zeit diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Die sofortige Einführung einer obligatorischen Kennzeichnung hätte zur Folge, daß alle Tierhalter nach nationalem Recht Herkunftsbelege vorlegen müßten, die aber, besonders bei älteren Tieren, gar nicht erbracht werden können.
Hier gilt der Grundsatz - das ist ganz wichtig -, daß wir dem Verbraucher nichts vormachen, was wir nicht auch belegen und beweisen können. Ich bin aber sicher, daß das starke Verlangen der Verbraucher nach einem gesicherten Herkunftsnachweis zu einer quasi obligatorischen Etikettierung führen wird. Das heißt, auch im Übergangszeitraum von Januar nächsten Jahres bis zum Januar 2000 wird der größte Teil des Rindfleischangebotes schon gekennzeichnet sein.
Meine Damen und Herren, leider war es auch bei diesem Gesetz notwendig, einen Strafenkatalog zu erarbeiten. Er sieht Geldstrafen und Haftstrafen von bis zu einem Jahr vor. Dieses Ausmaß der Bestrafung ist vor dem Hintergrund der Vorfälle im Zusammenhang mit der BSE-Krise - so meine ich jedenfalls - notwendig, um einigen mit hoher krimineller Energie handelnden Personen gehörig das Handwerk legen zu können.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetz können Sie das Verbrauchervertrauen in die Qualität insbesondere des deutschen Rindfleisches zurückgewinnen. Dazu bedarf es allerdings einer engen Zusammenarbeit aller Beteiligten im Bereich des Rindfleischmarktes.
Ich bin sicher, die beteiligten Unternehmen und die deutsche Landwirtschaft verstehen es, die Vorzüge des dann sofort als heimisch erkennbaren Rindfleisches zur Freude des Verbrauchergaumens wieder mehr herauszustellen.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
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Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner, SPD.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Daß sich die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien beim Verbraucherschutz schwertun, ist eigentlich eine ganz altbekannte Geschichte.
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Daß Sie bei der nationalen und europäischen Debatte um die Kennzeichnung von gentechnisch hergestellten Lebensmitteln keine rechte Lust an den Tag gelegt haben, ist zwar bedauerlich, aber angesichts der liberalen Marktgläubigkeit des kleineren Koalitionspartners eigentlich noch zu verstehen. Aber den Vorwurf, daß das, was Sie sich bisher im Zusammenhang mit der BSE-Krise geleistet haben, schon an Fahrlässigkeit grenzt, werden Sie so schnell nicht los.
Die SPD hat schon zwei Jahre, bevor die britische Regierung endlich die Gefährlichkeit von BSE eingestehen mußte, ein Verbot des Importes von britischem Rindfleisch gefordert. Unsere Bedenken wurden mit dem berühmten Lächeln von Herrn Seehofer vom Tisch gewischt. Als verschiedene Bundesländer, darunter auch das CSU-regierte Bayern, von sich aus den Importstopp verfügten, mußten sie sich der Unbotmäßigkeit bezichtigen lassen, nur weil ihnen die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher mehr am Herzen lag als der Bundesregierung.
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Sie haben damals Ihre Untätigkeit hinter fehlenden europäischen Regelungen versteckt und wertvolle Zeit verloren. Daß der von Minister Borchert vollmundig geforderte nationale Alleingang eine leere Worthülse geblieben ist, wundert einen heute noch viel weniger als damals. Damals ließ sich noch gnädig ein Mantel über den Zustand dieser Regierung breiten. Heute ist das beim besten Willen nicht möglich.
Jetzt haben wir mit dem Rindfleischetikettierungsgesetz tatsächlich einen nationalen Alleingang. Die EU-Kommission hat im Frühjahr eine Verordnung zur Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen vorgelegt, und die Bundesregierung und die Koalitionsparteien, die ja sonst bei der Umsetzung von Brüsseler Vorgaben Europameister im Verzögern sind, haben, kaum zu glauben, unverzüglich die Umsetzung in nationales Recht angepackt und noch vor allen anderen Mitgliedstaaten einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.
Wenn man sich diesen Gesetzentwurf allerdings ein bißchen genauer anschaut, dann wird einem doch sehr schnell klar, warum das alles so flott vonJella Teuchner
statten gegangen ist. Schon die Vorlage der EU-Kommission hält sich vornehm zurück, wenn es um Konkretes und Obligatorisches geht. Sie bietet allerdings eine griffige Begründung, und sie wälzt die Kosten nach unten ab. Diese beiden Aspekte hat der Entwurf mit Freuden übernommen.
Zielsetzung ist immerhin die hehre Absicht, mit der „Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in die Qualität von Rindfleisch" „den Markt für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse ... zu stärken". Das erscheint mir doch sehr interessant. Sie greifen da ein Konzept auf, das Sie doch sonst fürchten wie der Teufel das Weihwasser und jedesmal abschmettern, wenn es von uns kommt: Sie wollen die Krise auf dem Rindfleischmarkt durch eine Stärkung der Nachfrageseite lösen.
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Aber letztlich sind Sie dann doch konsequent. Es soll ja nur eine moralische Stärkung, eine „Stärkung des Vertrauens" sein; denn es darf zumindest den Bund nichts kosten.
Auch wenn im Gesetzentwurf behauptet wird, es gebe keine Auswirkungen auf die Verbraucherpreise, werden die Kosten für die Rindfleischetikettierung am Ende an den schwächsten Gliedern der Kette hängenbleiben: an den Landwirten und auch an den Verbrauchern. Dafür bekommen sie dann nicht etwa ein einheitliches Etikettierungssystem, mit dem sie sich in ganz Deutschland über die Herkunft ihres Rindfleisches informieren können. Vielmehr ermöglicht das Gesetz jedem, der ein Markenfleischprogramm betreibt, jedem, der ein Qualitätssicherungsprogramm betreibt, aber auch jedem, der es versteht, mit bunten Bildern und phantasievollen Markennamen Geschäfte zu machen, auf Antrag die Anerkennung als Etikettierungssystem.
Was außer dem von Brüssel vorgeschriebenen Referenzcode und dem Namen des Etikettierungsinhabers noch auf dem Etikett stehen muß oder stehen darf, verrät uns der Entwurf leider nicht. Daß hierüber erst auf dem Verordnungsweg entschieden werden soll, stärkt die Akzeptanz durch Landwirte, verarbeitende Betriebe und Verbraucher doch wohl kaum.
Auf genauso schwachen Beinen steht die Kontrolle der Anwendung der Etikettierungssysteme. Sie verlangen allen Ernstes, daß die Wirtschaft sich über private Kontrollstellen selbst kontrollieren soll. Das bedeutet auf gut deutsch, daß Sie den Bock zum Gärtner machen wollen.
({3})
Daß diese Kontrollstellen zwar einerseits von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung anerkannt werden müssen, die Überwachung ihrer Tätigkeit aber von den Überwachungsbehörden der Länder sichergestellt werden soll, die ohnehin schon am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten, erhöht die Verwirrung noch.
Die Möglichkeiten zum Mißbrauch, die sich durch diese unterschiedlichen Zuständigkeiten ergeben, liegen doch auf der Hand. Es wird zwar den Damen und Herren von der F.D.P. kaum gefallen, aber private Kontrollstellen und marktwirtschaftliche Mechanismen können nicht das richtige Instrument zur Kontrolle von lebensmittelrechtlichen Bestimmungen sein, es sei denn, die Zügel sind sehr eng angelegt. Das sehe ich allerdings in diesem Entwurf nicht.
({4})
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die SPD will eine Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, einen klaren Herkunftsnachweis, und zwar vom Stall bis zur Ladentheke.
({5})
Wir wollen allerdings ein wirksames und möglichst einheitliches System, das die Verbraucherinnen und Verbraucher objektiv informiert und den Landwirten und Verarbeitern die Chance bietet, ihre Kundinnen und Kunden von ihrer Seriosität zu überzeugen.
Wir hätten dem Entwurf zustimmen können, wenn der Kompetenzenwirrwarr bei der Genehmigung und Überwachung der Etikettierungssysteme behoben worden wäre. Es geht doch vollkommen an den Erfordernissen der Praxis vorbei, wenn mit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung eine Bundesbehörde für die Genehmigung von Etikettierungssystemen zuständig ist, die eigentliche Kontrolle der Anwendung durch private Firmen erfolgt und diesen dann wieder die Überwachungsbehörden der Länder über die Schulter schauen sollen.
Bis in einem solchen System die Informationen bei der richtigen Stelle angelangt sind, bis einem schwarzen Schaf die Anerkennung seines Etikettierungssystems entzogen wird, bis auch wirksame Schritte eingeleitet werden können, gehen ganze Lkw-Ladungen von falsch deklariertem Fleisch über die Ladentheke.
({6})
Das hat mit wirksamem Verbraucherschutz nichts mehr zu tun. Wir wollten deshalb im Ausschuß diese offensichtlichen Defizite in Überwachung und Kontrolle mit einem schlüssigen und konsequenten Änderungsantrag beheben. Da die Genehmigung der bundesweit gültigen Etikettierungssysteme durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erfolgen soll, ist es nur konsequent, auch die Überwachung der Kontrolleure in die Hände dieser Behörden zu legen. Daß Sie das nicht wollen, wissen wir jetzt. Aber warum Sie das nicht wollen, das haben Sie uns bis heute noch nicht schlüssig mitteilen können.
Was wir weiterhin vermissen, sind Regelungen über die Etikettierung von Rindfleischerzeugnissen. Bei einem Steak oder einem Bratenstück läßt sich noch leicht nachvollziehen, wo es herkommt und welchen Weg es gegangen ist. Aber was ist mit Wurst, mit Konserven, mit Hackfleischprodukten, in denen Fleisch von mehreren Tieren verarbeitet ist?
Jella Teuchner
Wir wissen, daß das einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Aber weil der Entwurf ausdrücklich auch Rindfleischerzeugnisse mit einschließt, haben wir zumindest Ansätze einer Verfahrensweise im Gesetz erwartet - statt dessen nur Fehlanzeige.
({7})
So wollen Sie den krisengeschüttelten Rindfleischmarkt wieder in Gang bringen? Glauben Sie denn im Ernst, daß Sie mit einem solchen leichtgewichtigen Entwurf Ihre gesundheitspolitischen, Ihre agrarpolitischen und Ihre verbraucherpolitischen Versäumnisse der letzten Jahre ausbügeln können?
Die Krise auf dem Rindfleischmarkt war in ganz Europa schon vor BSE akut. Viele andere EU-Mitgliedstaaten haben ihre Hausaufgaben längst gemacht und stehen als unsere Konkurrenten auf dem Binnenmarkt wesentlich besser da als Deutschland.
Unsere Bauern kämpfen dagegen seit Jahren an allen Fronten. Sie kämpfen mit sinkenden Erzeugerpreisen, sie kämpfen mit überholten Strukturen, sie kämpfen mit Konkurrenten, ohne konkurrenzfähig zu sein. Die Bundesregierung läßt sie dabei schon lange im Stich.
Der zeitweise Zusammenbruch des Rindfleischmarktes war genauso hausgemacht. Das ewige Zögern der Bundesregierung bei der Verhängung wirksamer Maßnahmen gegen BSE hat die Krise doch nur verstärkt. Um da herauszukommen, brauchen wir nicht nur eine Stärkung des Vertrauens der Verbraucher in Rindfleisch. Wir brauchen ein altrar- und verbraucherpolitisches Gesamtkonzept, das den Landwirten Zukunftsperspektiven und den Verbrauchern Sicherheit vor verantwortungslosen Geschäftemachern bietet.
({8})
Mit einem kleinen, nett aussehenden Rindfleischetikettierungsgesetz läßt sich die BSE-Krise nicht lösen. Aus diesem Grund werden wir einem solchen Gesetzentwurf nicht zustimmen.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir sehen die Einführung eines Rindfleischetikettierungsgesetzes nur als ein ganz kleines Schrittchen zur Information der Verbraucherinnen. Wir begrüßen es als ersten Schritt, in der Hoffnung - auch die Koalitionsfraktionen hoffen ja -, daß es der Markt schlichtweg einfordert, weitere Schritte zu gehen. Die Kennzeichnung kommt aber als Verbraucherschutzmaßnahme und zum Schutz vor BSE viel zu spät. Vor allem bezieht sie wichtige Bereiche nicht ein.
Weitere Schritte sind dringend notwendig. Schaf- und Ziegenfleisch, das in der letzten Zeit als besonders infektiös mit dem Erreger BSE erkannt worden ist, muß auf Grund der aktuellen Gefährdung in die Etikettierung und Herkunftskennzeichnung mit aufgenommen werden, und zwar von heute an.
In einem zweiten Schritt müssen alle anderen Fleischsorten und in einem dritten Schritt alle verarbeiteten Fleischerzeugnisse bei der Kennzeichnung und Etikettierung berücksichtigt werden. Denn wie wir alle wissen, ist es so: Die besonders infektiösen Teile sind nicht das Steak oder das Muskelfleisch, sondern gerade diejenigen, die in der Wurst verarbeitet werden. Insofern müssen natürlich die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, woher diese Wurstprodukte und Fleischerzeugnisse kommen. Alles andere ist letztendlich eine Verbrauchertäuschung.
({0})
In der konkreten Umsetzung muß die Kennzeichnung sofort und nicht erst in zwei Jahren obligatorisch sein. Die Verwendung eines Nummerncodes reicht bei weitem nicht aus. Daraus können die Verbraucherinnen und Verbraucher wahrhaftig nichts ersehen. Vielmehr müssen die Herkunft - Mitgliedsstaat, Region, Ort - und das Mastverfahren eindeutig deklariert werden. Die Bundesregierung hat für eine solche Umsetzung weder ein Konzept noch Perspektiven aufgezeigt. Vielmehr gibt sie ihren Hoffnungen Ausdruck.
Das vorgelegte Rindfleischetikettierungsgesetz wird in der vorliegenden Form kaum das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Tierhaltung und Fleischvermarktung zurückgewinnen oder illegale Einfuhren wirksam kontrollieren oder verhindern können. Eine Kennzeichnung, die beim rohen Fleisch endet, .bringt den Verbrauchern nur wenig Information und Sicherheit. Wir haben es ja gesehen: Die großen Mengen an illegalen Einfuhren sind eben auch über verarbeitete Produkte auf den Markt gelangt.
Ich will ein letztes Wort zur CMA sagen, die einer der Hauptakteure in dem Bereich der Kontrolle und Etikettierung sein soll. Natürlich muß es auch zu einer Umsetzung kommen, die eine wirkliche Transparenz für die Verbraucher beinhaltet und nicht etwa das, was wir jetzt erleben müssen: Auf der einen Seite gibt es ein Produktzeichen der CMA, das die Endprodukte beurteilt, auf der anderen Seite einen Zertifizierungsnachweis, der auch für Endprodukte in Betracht käme. Beide Zeichen werden aber verwechselbar nebeneinander verwandt. Es kann dem Verbraucher wahrhaftig nicht zugemutet werden, daß hier keine klare Unterscheidung getroffen wird und die Landwirte und Verbraucher auch noch die Gebühren dafür zahlen müssen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die beschriebenen Schritte für eine umfassende Fleischkennzeichnung in die Wege zu leiten und schnell umzusetzen. Angesichts des 21. Todesfalls infolge der Rinderseuche BSE ist es Zeit zu handeln.
Danke.
({1})
Das Wort hat der Kollege Heinrich, F.D.P.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Teuchner, mit Ihrer Rede haben Sie leider Gottes wieder dazu beigetragen, daß von staatlichem Handeln nicht Vertrauen ausgeht, daß dem Verbraucher nicht Vertrauen signalisiert wird, sondern genau das Gegenteil geschieht. Sie haben mit Halbwahrheiten und Verunsicherungen wieder dazu beigetragen, daß die Verbraucher nicht so recht wissen, woran sie sind.
Wir reden hier sehr verantwortungsvoll. Wir haben hier sehr verantwortungsvoll unsere Aufgaben wahrzunehmen. Es gilt jetzt nicht, kurzfristig einmal im politischen Tagesgeschäft Punkte zu sammeln. Vielmehr geht es darum, das Vertrauen der Verbraucher in das Rindfleisch wiederherzustellen. Dazu dient nun einmal die Etikettierung.
Mit der Umsetzung der EG-Verordnung 820/97 des Rates soll das Ziel verfolgt werden, gerade dieses Vertrauen wiederherzustellen. Diese Ratsverordnung wurde auch auf ständiges Drängen von Bundesminister Borchert ausgearbeitet und umgesetzt. Ich möchte hier ein ganz besonderes Dankeschön an das Haus sagen, daß die Umsetzung so konsequent durchgesetzt worden ist. Letztendlich ist das auch ein Verdienst des Bundesministers Borchert. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland Spitze, was die Sicherheit für den Verbraucher anlangt.
({0}) Wir sind da weit vor anderen Staaten.
Ich sage ganz deutlich: Die damit verbundene Bürokratie und der Aufwand in den Betrieben werden von uns in Kauf genommen. Meistens stöhnen wir über eine ausufernde Regelungswut aus Brüssel. Diesmal loben wir die Brüsseler, weil sie es fertiggebracht haben, eine für Europa einheitliche Verordnung auf den Weg zu bringen. Wir hätten uns allerdings auch gewünscht - da treffen wir uns bezüglich der Interessenlage -, daß es zwei Jahre früher geschehen wäre. Aber die Brüsseler Mühlen mahlen nun einmal etwas langsamer.
In dieser überaus schwierigen Situation für die Rindermäster und Milchviehhalter sind wir sicherlich gut beraten, wenn wir gemeinsam alles Erdenkliche unternehmen, um das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von deutschem Rindfleisch zurückzugewinnen.
Im Zusammenhang mit dem Rindfleischetikettierungsgesetz von gezielter Verbrauchertäuschung zu reden ist nicht nur fachlich falsch, sondern bringt alles in Verruf, was wir seither mühsam aufgebaut haben. Der Schaden für die Landwirte und den Handel ist durch diese unnötige Verunsicherung der Verbraucher noch erhöht worden.
Wir wollen und werden durch einen genauen Herkunftsnachweis für Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse, durch den man den Weg des Fleisches von der Ladentheke bis zum Stall genau zurückverfolgen kann, das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen. Das ist das Ziel dieser Maßnahme. Da wir in Deutschland bereits 1995 ein Tierpaßsystem eingeführt haben, bestehen gute Voraussetzungen für eine rasche Einführung und Umsetzung des EU-Kennzeichnungs- und Registrierungssystems.
Zudem haben F.D.P. und CDU/CSU mit ihrem Änderungsantrag den Weg für die vorzeitige Einführung einer obligatorischen Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen in Deutschland frei gemacht. Die bei uns schon heute erzielten Erfolge für den Verbraucherschutz sind in Europa beispielhaft.
Ein grundsätzlicher Unterschied zur SPD und zu den Grünen - das ist heute wieder exemplarisch deutlich geworden - besteht in folgendem: Die einen rufen nach mehr Bürokratie; wir sagen: Selbstverantwortliches Handeln der betroffenen Wirtschaft ist für uns allemal besser, ist allemal zuverlässiger, als der Bürokratie immer das letzte Wort zu geben. - Insofern widerspreche ich Ihnen sehr deutlich in Ihrer Auffassung, Frau Kollegin Höfken und Frau Teuchner,
({1})
daß mit einer staatlichen Kontrolle mehr erreicht wird. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Abschließend fordere ich die Verbraucher nochmals auf, von ihrer Nachfragemacht noch stärker Gebrauch zu machen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Verbraucher müssen aufgeklärt werden, und es muß ihnen gesagt werden, was sie mit ihrer Nachfrage bewirken können. Die Nachfrage nach Fleisch aus der Region, aus der heimischen Produktion muß gestärkt werden. Damit bekommt der Verbraucher automatisch ein qualitativ hochwertiges und sicheres Produkt geliefert. Das ist der Weg und der Schlüssel zum Erfolg.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Maleuda, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist leider Tatsache, daß trotz strenger Produktionsvorschriften und trotz eines strengen Lebensmittelrechts bei der Herstellung von Lebensmitteln immer wieder erschreckende Beispiele von Gesetzesmißachtungen auftreten. Hormoneinsatz und illegaler Import von Rindfleisch aus Großbritannien sind zwar nicht tägliche Ereignisse, doch auch Einzelbeispiele verunsichern die Verbraucher und diskreditieren die Landwirtschaft. Sie haben den Ruf des Rindfleisches letztlich sehr stark beschädigt; das ist bereits in allen Beiträgen deutlich gemacht worden.
Mit dem Gesetz zur Rindfleischetikettierung soll erreicht werden, daß der Verbraucher die Fleischherkunft kontrollieren kann, daß Gesetzesverstöße leichter aufgedeckt und Schuldige zur Verantwortung gezogen werden können. Auf den ersten Blick ist die Absicht, den Verbraucherschutz zu verbessern, löblich, und es gibt keine ernsthaften Gründe, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern.
({0})
Mit dem Gesetz werden aber nicht die Ursachen aus der Welt geschafft, die zu den eingangs genannten Problemen führen. Die Bundesregierung setzt auch in der Landwirtschaft auf eine Globalisierungs-
und Liberalisierungstrategie. Damit wird sich der dramatische Überlebenskampf der Bauern und der Verarbeitungsindustrie weiter zuspitzen und zu einem steigenden Risiko, aber auch zur weiteren Verletzung von Rechtsvorschriften führen.
Wie das praktische Leben zeigt, steigt mit wachsenden Profitchancen auch die betrügerische Wirtschaftstätigkeit bzw. die Ausnutzung von Gesetzeslücken. Die Gefahr ist nicht zu übersehen, daß die Rindfleischetikettierung zu einem Etikettenschwindel verkommt, wenn der Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" nicht strikt beachtet wird. Auf mögliche Probleme gerade im Bereich der Kontrolle hat Kollegin Teuchner in ihrem Beitrag hier hingewiesen.
Nicht einmal der Verbraucher, der beim Erzeuger kauft, kann sich letztlich sicher sein, die auf dem Etikett ausgezeichnete Qualität geliefert zu bekommen. Daß bei europaweitem Tiertransport ein exakter Herkunftsnachweis garantiert werden kann, glauben wahrscheinlich selbst die Einbringer des Gesetzentwurfs nicht. Die Praxis bestätigt das jedenfalls.
Technisch gesehen ist die Etikettierung von Tieren und Tierprodukten kein Problem, auch wenn man sich über den Inhalt der Etiketten und die Art und Höhe der Strafen bei Verletzung der Etikettierungsvorschriften streiten kann. Die reale Chance für einen größeren Verbraucherschutz ist aber nicht von einer veränderten Agrarpolitik in Einheit mit der Verarbeitungsindustrie zu trennen. Diese Aufgabe ist noch zu lösen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über die besondere Etikettierung von Rindfleisch; das sind die Drucksachen 13/8052 und 13/8837. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD sowie eine Stimme aus der PDS bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS im übrigen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen; Stimmenverhältnisse wie zuvor.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11a bis 11d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Hermes-Bürgschaften für Algerien - Drucksache 13/8639 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke DietertScheuer, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Friedensinitiative für Algerien
- Drucksachen 13/8572, 13/8860 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Christoph Zöpel
Dr. Irmgard Schwaetzer
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Simone Probst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aussetzung des Rückübernahmeabkommens mit Algerien
- Drucksachen 13/8037, 13/8868- Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cern Özdemir
Ulla Jelpke
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Eine kohärente Mittelmeerpolitik der Europäischen Union
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Elisabeth Altmann ({4}), Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratische, ökologische und soziale Prioritäten bei der Vertiefung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union
- Drucksachen 13/4868, 13/4581, 13/4843, 13/ 7871 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Christoph Zöpel
Dr. Helmut Lippelt
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, wenn heute Einigkeit zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestags über die künftige Mittelmeerpolitik der Europäischen Union besteht. Es ist deshalb gut, weil der Mittelmeerraum für die Union genauso wichtig ist wie die Staaten Mittel- und Osteuropas.
({0})
Die Staaten Nordafrikas, Kleinasiens und des Nahen Ostens sind unsere unmittelbaren Nachbarn, und ihre Bevölkerungen wachsen sehr schnell. Es wäre freilich noch besser, wenn über die politischen Absichtserklärungen hinaus auch Einigkeit in der konkreten Ausformulierung der Mittelmeerpolitik bestünde.
Eine kohärente Mittelmeerpolitik und unser Umgang mit Algerien sind die beiden Seiten derselben Medaille. Wer außenpolitisch die Zusammenarbeit der Europäischen Union fordert, darf nicht aus innenpolitischen Gründen bei der Umsetzung dieser Politik deutsche Sonderwege fordern.
Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir könnten Lösungen für Konflikte anbieten, denen wir hilflos gegenüberstehen. Wenn islamischer Fundamentalismus vor allem die Ablehnung westlicher Werte und westlicher Politik zum Inhalt hat, dann sind es nicht wir Westeuropäer, die die Hauptrolle bei der Beendigung des Konflikts in Algerien übernehmen können. Hier müssen wir denen den Vortritt lassen, die bei allen Konfliktparteien eine möglichst hohe Akzeptanz genießen. Das sind nicht wir Europäer, das sind schon eher die arabischen Nachbarn.
Wenn wir in der Mittelmeerpolitik eine gemeinsame Reaktion auf Migrationsströme anmahnen, können wir nicht gleichzeitig verbriefte Sonderrechte für die in Deutschland lebenden Algerier einfordern. Wir brauchen gemeinsame Antworten innerhalb der Europäischen Union und keine deutschen Alleingänge.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Außenbeziehungen der Europäischen Union kann es auch keine regionale Arbeitsteilung geben. Mittelmeerpolitik ist nicht nur eine Angelegenheit der Spanier, der Italiener und der Franzosen. Sie ist Sache der gesamten Europäischen Union, wie auch die Politik gegenüber Mittel- und Osteuropa Angelegenheit der gesamten Union ist.
({2})
Darum begrüßen wir die Entscheidung der Außenministerkonferenz von Malta, die nächste Konferenz im Rahmen des Barcelona-Prozesses im Frühjahr 1999 in Deutschland abzuhalten.
Dieser Konsultationsprozeß mit den Nachbarn der EU aus dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum stellt klar: Eine aktive Mittelmeerpolitik und eine aktive Ostpolitik sind keine Alternativen. Beide haben für uns die gleiche Bedeutung. Beide dienen dem gleichen Ziel der Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu mehr Marktwirtschaft und zu mehr Demokratie.
Eine engagierte Teilnahme an dieser Mittelmeerpolitik der Europäischen Union liegt im deutschen Interesse. Wir wollen gute Beziehungen zu allen Nachbarn der Union. Wir wollen politische Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Austausch zum Nutzen aller Staaten der Region.
Der südliche und östliche Mittelmeerraum ist schon heute ein attraktiver Markt für die europäischen Unternehmen. In 15 Jahren werden dort zirka 300 Millionen Menschen leben.
Unzureichende wirtschaftliche Entwicklung und politische Konflikte im südlichen Mittelmeerraum lösen Migrationsbewegungen in die Staaten der EU aus. Diese Probleme können wir nicht allein durch eine neue Asylpolitik lösen. Entscheidend ist, ob es gelingt, die Ursachen der Migration in den Heimatländern der Menschen zu beseitigen.
Wer sich heute im Mittelmeerraum engagiert, darf aber keine kurzfristigen Erfolge erwarten. Wir brauchen uns nur die Bevölkerungsentwicklung anzuschauen. Die Bevölkerung in Nordafrika wird sich in den nächsten 30 Jahren von heute 130 Millionen auf 260 Millionen Menschen verdoppeln. Allein in unserem Jahrzehnt, in den 90er Jahren, wächst die Bevölkerung in den Mittelmeerdrittstaaten um 20 Prozent.
Das sind 50 Millionen Menschen, die zusätzlich Arbeitsplätze und damit ein Einkommen suchen.
Die Auslandsverschuldung der Mittelmeerdrittländer liegt bei über 200 Milliarden Dollar. Sie geht zu Lasten der Investitionen. Darum müssen wir diesen Ländern durch individuelle Regelungen helfen, aus der Verschuldungsspirale herauszukommen.
Die notwendigen Reformen müssen aber dort vereinbart und dort umgesetzt werden. Wir Europäer dürfen keine unrealistischen Hoffnungen wecken und so tun, als könnten wir die Probleme der Mittelmeerdrittstaaten lösen. Wir können Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Die konsequente Umsetzung marktwirtschaftlicher und demokratischer Reformen vor Ort eröffnet Entwicklungschancen.
Wir suchen den vertrauensvollen Dialog mit den politisch Verantwortlichen, aber auch mit den gesellschaftlichen Gruppen im Mittelmeerraum. Deswegen begrüßen wir den Dialog der großen monotheistischen Weltreligionen. Wir begrüßen das Gespräch zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden südlich und nördlich des Mittelmeers. Wir begrüßen auch die Arbeit der politischen Stiftungen und Hochschulen, die den Austausch zwischen den beiden Seiten des Mittelmeers organisieren.
In der Diskussion über die Mittelmeerregion steht immer wieder der Islamismus oder, wie andere sagen, der islamische Fundamentalismus im Mittelpunkt. Samuel Huntington sagt ja sogar den zwangsläufigen Zusammenprall der Kulturen voraus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns vor solchen Automatismen hüten. Wir sollten uns vor allem auch vor Vorurteilen hüten. Den islamischen Fundamentalismus darf man nicht mit dem Islam gleichsetzen.
({3})
Der Islamismus hat mit dem Islam so viel zu tun wie die Brutalität spanischer Eroberungskriege mit dem Christentum.
Der Islamismus ist auch in den arabischen Ländern sehr umstritten. Er ist in erster Linie eine Bewegung der wirtschaftlich und politisch zu kurz Gekommenen und keine Bewegung der besonders Religiösen.
Junge Menschen, die beruflich nicht auf eigenen Beinen stehen und keine Lebensperspektive sehen, haben in arabischen Staaten kaum eine Chance, sich vom Elternhaus abzunabeln, eine eigene Familie zu gründen. Für sie ist der Islamismus oft der einzige Ausweg, den sie aus einer hoffnungslosen Situation sehen. Das führt zur Ablehnung der bisher weitgehend an westlichen Mustern orientierten wirtschaftlichen Zielsetzungen.
Und damit komme ich zu den Anträgen zurück, die uns heute von den Grünen vorliegen. Wenn Islamismus im wesentlichen die Ablehnung westlicher Entwicklungsmodelle ist, dann sind wir die letzten, die mit lauten Erklärungen den Friedensprozeß in Algerien befördern können.
Zur internationalen Vermittlung sind Opposition und Regierung in Algerien im Augenblick nicht bereit; deshalb sollten wir auf Fensterreden verzichten und lieber im Stillen dort helfen, wo wir Einflußmöglichkeiten haben.
({4})
Wir können das Vorgehen der algerischen Regierung im Augenblick nicht beurteilen. Die Situation ist einfach zu unübersichtlich für eine klare Bewertung. Wir wissen aber, wir müssen den Menschen in Algerien helfen, ihre schiere Existenz zu sichern.
Darum ist es grundfalsch, wenn die Grünen jetzt die Aussetzung der Finanzhilfen fordern. Dies bedeutet doch nichts anderes, als gegenüber Algerien den Barcelona-Prozeß zu stoppen und die Leiden der Menschen zu vergrößern. Das ist weder in unserem Interesse noch im Interesse der Menschen in Algerien.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Widerstehen Sie der Versuchung, außenpolitischen Aktionismus zu entwickeln, um sich innenpolitisch zu profilieren.
({5})
Das gilt auch für Ihren zweiten Antrag, den Antrag zur Aussetzung des Rückführungsabkommens mit Algerien. Sie wissen natürlich selbst, daß dieses Abkommen noch gar nicht ratifiziert ist. Es ist noch nicht einmal unterschrieben. Da erhaschen Sie wiederum in einer außenpolitischen Frage innenpolitische Effekte.
Sie fordern einen absoluten Stopp der Abschiebung von Algeriern aus Deutschland. Das wäre der Situation nicht angemessen.
Erstens ist die Lage in Algerien nicht homogen. Es gibt äußerst unsichere Regionen, aber auch weithin sichere. Deshalb ist es richtig, wenn auch künftig im Einzelfall entschieden wird, ob jemand abgeschoben wird oder nicht.
Zweitens würde ein genereller Abschiebestopp Zigtausende von Algeriern, die momentan einigermaßen sicher in Europa leben, dazu veranlassen, nach Deutschland zu kommen, weil nur in Deutschland eine Abschiebung grundsätzlich ausgeschlossen wäre. Wir Deutschen können die Migrationsprobleme in Europa nicht allein lösen.
Der Deutsche Bundestag wird die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union weiterhin konstruktiv begleiten. Sie kann eine Atmosphäre des Vertrauens und der guten Partnerschaft zwischen der EU und ihren Nachbarn schaffen, die zur Bewältigung der großen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen erforderlich ist.
Die Ausgestaltung der Beziehungen der Europäischen Union zu ihren Nachbarn im Süden und Osten des Mittelmeerraums wird zusammen mit der Stabilisierung Mittel- und Osteuropas zur Schlüsselfrage für die künftige Struktur unseres Kontinents. Wir sind bereit, die dafür notwendigen Entscheidungen zu fällen und die notwendigen Lasten mitzutragen. Ich hoffe, wir werden die weitgehende Einigkeit dieDr. Andreas Schockenhoff
ses Hauses in Fragen der Mittelmeerpolitik erhalten können.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß wir heute über einen gemeinsamen Antrag zur Weiterentwicklung der Mittelmeerpolitik der EU beraten; denn damit bringen wir zum Ausdruck, daß diese Politik in allen Fraktionen verläßliche Partner findet.
Es ist erfreulich, daß bei der Erarbeitung dieses Antrags viele Passagen aus dem SPD-Antrag übernommen, wenige strittige Passagen, etwa die zur Kernkraft, aus dem Koalitionsantrag gestrichen und wesentliche Passagen, etwa die zum nahöstlichen Friedensprozeß, erweitert wurden.
Schließlich besteht Konsens sowohl über die Hauptziele der Barcelona-Deklaration, einen gemeinsamen Raum des Friedens, des Wohlstands und der Achtung der Menschenrechte und eine Freihandelszone bis zum Jahr 2010 in der Region zu schaffen, als auch darüber, daß mit der Euro-MittelmeerKonferenz ein erster wesentlicher Schritt zur Entwicklung einer umfassenden euromediterranen Partnerschaft gemacht wurde.
Es ist gut, daß die EU mit dem Mittelmeerkonzept, das es noch zu konkretisieren gilt, den Versuch unternommen hat, die geographische Verlagerung nach Nord- und Osteuropa auch südlich auszugleichen. Besonders weitsichtig ist es, daß sich die Erklärung nicht auf Handel und Finanzen beschränkt, sondern ebenso den politischen und Sicherheitsbereich und Partnerschaft im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich umfaßt.
({0})
Da wird zumindest verbalisiert, daß die EU ihre südlichen Nachbarn nicht nur als Absatzmärkte oder Billiglohnländer betrachtet, sondern ein großes Interesse an einer engen kulturellen Zusammenarbeit sowie dem kontinuierlichen und direkten Austausch zwischen den Zivilgesellschaften hat.
Ob Männer und Frauen aus der Wissenschaft, ob Männer und Frauen aus der Wirtschaft, Journalisten und Journalistinnen, Künstler und Künstlerinnen und selbstverständlich erst recht Parlamentarier und Parlamentarierinnen - die Kontakte zwischen Europa und den nichteuropäischen Mittelmeeranrainern dürfen sich nicht auf die jeweiligen Regierungsebenen beschränken.
({1})
Erst wenn sie auf alle Ebenen des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt werden, wenn Austauschmöglichkeiten unter Gleichen anwachsen, wenn die Eindimensionalität der Vergangenheit angehört, erst dann dürfen wir von Partnerschaft sprechen. Dabei muß die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen eine besondere Beachtung finden.
Der vorliegende Antrag greift die Bedeutung der Frauenförderung auf. Aber müssen wir nicht viel mehr trommeln? Müssen wir die Schlüsselrolle der Frauen im Entwicklungsprozeß nicht viel mehr betonen? Wir müssen sensibel die Anstrengungen der Frauen unterstützen, ihre Leistungen anerkennen, ihre Verletzungen und Zurückweisungen brandmarken.
Gerade die Rolle der Frau in den arabischen Ländern muß differenzierter betrachtet werden. Beschneidung von Mädchen und Frauen, Verfolgung von Frauen unter dem Vorwand des islamischen Rechts und Gewalt gegen Frauen gehören auf die offizielle Tagesordnung der EU-Mittelmeerpolitik und gehören abgeschafft.
({2})
Eine andere Gewichtung: Schon die Hälfte der Bevölkerung in den arabischen Ländern sind Kinder und Jugendliche. Ihre Bildungs- und Ausbildungschancen sind die Zukunft der Region. Doch solange überfüllte Klassen kaum Chancen zum Erlernen partizipatorischer Strukturen bieten, solange Grenzschließungen palästinensischen Kindern die Chance einer kontinuierlichen Bildung und Ausbildung nehmen, solange hohe Jugendarbeitslosigkeit mögliche Chancen auf eine bessere Zukunft verbaut, so lange bleibt der Boden fruchtbar für Gewalt und Selbstaufopferung.
Mit Jugendaustausch könnte die EU, ebenso die Bundesregierung, ein Signal setzen. Führungskräfte, die einmal ausländische Förderprogramme durchlaufen haben, orientieren sich später gerne am jeweiligen Gastland.
({3})
Mit Austauschprogrammen, egal, für welche Zielgruppe und von wem, können wir das Verständnis füreinander und für die Bedingungen in anderen Ländern fördern. Gerade hinsichtlich Religion und Gesellschaft können wir dazu beitragen, daß gegenseifige Vorurteile abgebaut werden und die Einsicht wächst, enger zusammenzuarbeiten.
Vertrauen läßt sich nun einmal nicht herstellen, wenn wir überheblich den Westen modern und aufgeklärt und den arabischen Teil der Welt rückständig - weil islamisch - nennen. Wir brauchen den gleichberechtigten Dialog der Religionen. Noch bleibt das häufig privaten Initiativen überlassen.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das mich unheimlich beeindruckt hat. Unser Freund Hans-Jürgen Wischnewski will in Bethlehem ein Zentrum für religiöse Verständigung realisieren - Verständigung zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen.
Dagmar Schmidt ({4})
Ich wünsche ihm sehr, daß er das nötige Geld aufbringt und die Politik ein wenig damit beschämt, indem er aufzeigt, daß man Worten Taten folgen lassen muß, echte Anstrengungen, die ein Auseinanderdriften verhindern.
Der Mittelmeerraum ist für Europa zu wichtig, um nachrangig behandelt zu werden. Schwerpunkte im politischen und Sicherheitsbereich sollten dabei auf folgenden Problemen liegen: der Flüchtlingsfrage, der politischen Partizipation, der Rüstungskontrolle und Abrüstung, dem Abbau von Gewaltbereitschaft, der Prävention neuer Krisen und Konflikte und vor allen Dingen der Wiederbelebung des Friedensprozesses.
Glaubwürdig in dieser Frage ist die EU nur, wenn sie erstens alle Staaten gleichermaßen in die Pflicht nimmt, internationale Übereinkommen, insbesondere den Vertrag von Oslo, verläßlich einzuhalten, und wenn sie zweitens selbst an der Vereinheitlichung außenpolitischer Positionen und Handlungen arbeitet. Nur wenn sie mit einer Stimme spricht, kann sie in gemeinsamen Strukturen einen stabilisierenden Faktor bilden. Spricht jedes EU-Land mit eigener Stimme, wird dies kaum gelingen.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Kapitel Rüstung verlieren. Da paßt doch was nicht zusammen: ein immenses Manko an Armutsbekämpfung, aber Top-Positionen als Waffenkäufer. Nur, neben den USA verdienen sich auch die europäischen Länder Frankreich, Großbritannien und Deutschland eine goldene Nase am Rüstungshandel.
({5}) Das dürfen wir nicht vergessen.
Ist nicht langsam Eile geboten für vertrauensbildende Maßnahmen? Die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen im Nahen Osten ist so nah, und Gewalt ist so gegenwärtig. Gewalt vergeudet Ressourcen - Ressourcen, die sinnvolle nachhaltige Verwendung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung finden müssen.
Es ist gut, daß sich die EU in Barcelona verpflichtet hat, regelmäßig sektorale Treffen mit allen interessierten Mittelmeerländern zu veranstalten. Wirtschaftlich sinnvoll wären diese Treffen vor allem in den Bereichen: Wasser, Energie, Tourismus, Infrastruktur und Umwelt.
Der höchst unterschiedliche Zugang zu Wasser stellt eine Quelle latenter Instabilität für die Region dar. Seit Jahren ist bekannt, daß die vorhandenen Wasserressourcen in der Region angesichts der rapiden Bevölkerungszunahme, aber auch auf Grund eines künftigen wirtschaftlichen Aufschwungs nicht ausreichen werden, um den steigenden Bedarf zu decken. Regionale und bilaterale Vereinbarungen können zur Entschärfung dieses wichtigen Problems beitragen, dessen Lösung nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit ist.
Wasserverschmutzung und andere Umweltprobleme machen nicht an Grenzen halt. Darum muß diese Problematik im regionalen Verbund angegangen werden. So werden Grenzen Nahtstellen. Verlassen wir uns also nicht auf die Handelsbeziehungen - die Freihandelszone - allein!
Ein letzter Appell: Sie stimmen mir sicher zu, wenn ich im Hinblick auf die Pressefreiheit sage, daß Öffentlichkeit der Feind jeglicher Menschenrechtsverletzungen ist. Der SPD-Antrag enthielt den Versuch, vor der eigenen Haustüre zu kehren. Er forderte regelmäßige Berichte. Ich sage dazu: Regelmäßige Berichte sind der Feind von Untätigkeit.
({6})
Die Erklärung von Barcelona war ein erster Schritt. Die Ausgestaltung unserer Beziehung zu den Mittelmeerländern im Süden und Osten wird von uns allen als Schlüsselfrage für die künftige Struktur unseres Kontinents eingestuft. Aber zwei Jahre nach der Barcelona-Konferenz haben wir das Stadium des Einstiegs noch immer nicht überwunden. Den hehren Worten dürfen langsam Taten folgen.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Angelika Köster-Loßack, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mitnichten einen deutschen Sonderweg angesichts dieser Katastrophe in Algerien gefordert. Meine Fraktion hat den Antrag für eine Friedensinitiative deswegen eingebracht, weil wir der Auffassung sind, daß ein Punkt erreicht ist, an dem die internationale Gemeinschaft - auch die Bundesregierung - dem Morden in Algerien nicht länger tatenlos zusehen darf. Ich sage bewußt „tatenlos". Denn es reicht schon lange nicht mehr aus, es bei Appellen an die Konfliktparteien bewenden zu lassen.
Die algerische Regierung und ihre Sicherheitskräfte sind offensichtlich nicht in der Lage und nicht gewillt, die algerische Bevölkerung zu schützen. Die Regierung ist darüber hinaus nicht bereit, zu einer vollständigen Aufklärung der Massaker beizutragen. Journalisten wurden und werden an der Berichterstattung gehindert. Die Presse wird zensiert und die Öffentlichkeit mit pauschalen Schuldzuweisungen abgespeist. Deswegen wird immer wieder die Vermutung geäußert, daß Sicherheitskräfte an diesen Aktionen entweder beteiligt sind oder sie billigend in Kauf nehmen.
Die algerische Führung - das heißt im Klartext das Militär - ist in rivalisierende Gruppen zerfallen, die sich über den politischen Kurs nicht einigen können. Jede dieser Gruppen ist bemüht, ihre Macht und damit auch die Kontrolle über bestimmte Wirtschaftszweige und beträchtliche Einkünfte zu sichern. Die halbherzigen Versuche der Legitimation, wie zum Beispiel die letzten Wahlen, dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Militär die eigentliche Macht im Lande ist.
Die Abwehr gegenüber den verschiedenen Vermittlungsangeboten mit dem Argument, hier gehe es um innere Angelegenheiten, dient allein dem Machterhalt der jetzigen Regierung, ob das die Angebote von Kofi Annan oder die Vorschläge von Mary Robinson waren. Dies heißt jedoch nicht - das möchte ich mit aller Entschiedenheit sagen -, daß Greueltaten der bewaffneten Gruppen, insbesondere der GIA, in irgendeiner Weise zu rechtfertigen sind. Das heißt genausowenig, daß das islamistische Gesellschaftsprojekt eine wünschenswerte Alternative darstellt. Insbesondere die Frauen in Algerien befürchten zu Recht, bei einer islamistischen Regierung noch massiveren Diskriminierungen ausgesetzt zu sein, als dies bisher schon durch das extrem frauenfeindliche Familienrecht der Fall ist.
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Trotzdem bleibt es faktisch dabei: Die Regierung ist gegenwärtig die einzige Konfliktpartei, auf die die internationale Gemeinschaft Einfluß nehmen kann. Es ist vollkommen klar: Zu einer wirklichen Versöhnung und einer dauerhaften friedlichen Entwicklung in Algerien kann es nur dann kommen, wenn der Verständigungsprozeß von der Bevölkerung getragen wird. Eine Beendigung dieser Tragödie kann nur durch die algerische Gesellschaft selbst geschehen. Uns geht es aber darum, daß darüber geredet wird, hierfür überhaupt erst einmal die Voraussetzungen zu schaffen.
Mit der Erklärung von Barcelona im November 1995 ist die Europäische Gemeinschaft und damit auch die Bundesrepublik eine sehr enge Beziehung mit den Ländern des Mittelmeerraums eingegangen. Partnerschaft kann jedoch nicht bedeuten, daß wir ohne Wenn und Aber eine Regierung unterstützen, die in so eklatanter Weise gegen Grundprinzipien der Barcelona-Erklärung verstößt. Die Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens mit Algerien, das eine Menschenrechtsklausel enthält, ist in dieser Situation unmöglich. Wenn die Mittelmeerpartnerschaft ein erfolgreiches außenpolitisches Projekt der EU werden soll, muß sie insbesondere eine Partnerschaft der Menschen sein. Nähere Ausführungen dazu hat meine Kollegin schon gemacht.
Partnerschaft und Solidarität aber mit den Algerierinnen und Algeriern bedeuten für uns in dieser Situation, daß wir nichts unversucht lassen dürfen, was auch nur die geringste Chance in sich birgt, das Morden zu stoppen und den Menschen ein Minimum an Sicherheit wiederzugeben. Dies ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren Schritte. Wir hatten vor ungefähr zehn Tagen Besuch von Frauen aus algerischen Fraueninitiativen, die uns gesagt haben, daß sie jeden morgen aus dem Haus zu ihrer Arbeit gehen und nicht wissen, ob sie abends wieder lebend zurückkommen.
In diesem Zusammenhang sind nun verschiedene Maßnahmen zu prüfen. Dabei ist es hilfreich, daß die Krise in Algerien mittlerweile internationalisiert ist. Eine Möglichkeit der internationalen Befassung ist die Aufsetzung auf die Tagesordnung der UN-Menschenrechtskonferenz im März nächsten Jahres. Auch eine Behandlung im UN-Sicherheitsrat ist in Erwägung zu ziehen. Wir dürfen jedenfalls nicht länger durch Tatenlosigkeit eine Politik unterstützen, die allein auf militärische Terrorismusbekämpfung setzt und sich dabei selbst massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig macht.
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Mir ist es absolut unverständlich, wie die Bundesregierung in dieser Situation über Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit dem algerischen Verteidigungsministerium beraten kann. Solange die Wirtschaftsbeziehungen weiterhin Vorrang vor Menschenrechtsfragen haben, bleiben alle humanitären Appelle bloße Rhetorik.
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Solidarität mit Algerierinnen und Algeriern bedeutet auch, diejenigen zu schützen, die bei uns Asyl suchen. Menschen, die von islamistischen Gruppen verfolgt werden, haben in Deutschland keine Chance auf Asyl; denn sie werden ja nicht vom Staat verfolgt. Der UNHCR hat darauf wiederholt hingewiesen. Es gibt immer wieder Berichte darüber, daß abgeschobene Flüchtlinge von Sicherheitskräften festgenommen und gefoltert werden oder verschwinden. Wenn die Bundesregierung in der gegenwärtigen Situation über ein Rückführungsabkommen verhandelt und/ oder Abschiebungen vornehmen läßt, zeigt dies einmal mehr ihre menschenverachtende Haltung in der Asylpolitik.
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Während sich einige Bundesländer zu einem Abschiebestopp entschließen konnten, lehnt der Bundesinnenminister einen bundesweiten Abschiebestopp kategorisch ab. Glaubwürdige Menschenrechtspolitik muß im eigenen Land beginnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie dringend bitten, die heutige Beratung der Mittelmeeranträge und auch der algerischen Krise nicht zu einem weiteren folgenlosen Betroffenheitsritual werden zu lassen. Ich fordere Sie eindringlich auf, konkrete Schritte in Angriff zu nehmen, damit diese Tragödie beendet wird. Wir haben einige konkrete Vorschläge gemacht. Im Sinne unseres Antrages verstehe ich auch die Erklärung der EU-Außenminister, die vor einigen Tagen über den Ticker lief.
In diesem Zusammenhang Herrn Huntington mit seinem Zusammenprall der Kulturen zu bemühen, ist fehl am Platze. Es dient, wie ich glaube, auch nicht der Achtung unter Parlamentskolleginnen und -kollegen, wenn die Bemühungen, in dieser schrecklichen Situation politische Schritte einzuleiten, nur als eigensüchtige innenpolitische Profilierung dargestellt wird.
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Ich möchte jedenfalls Sie alle auffordern, sich diesen Fragen so zuzuwenden, wie es die potentiellen Opfer dieses Bürgerkrieges verdienen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Europäische Union hat sich mit ihrer gemeinsamen Mittelmeerpolitik im Barcelona-Prozeß engagiert. Das heißt, sie hat die Verpflichtung aus der Nachbarschaft zu dieser unruhigen Region im Sinne einer Kooperation und Partnerschaft in allen Bereichen, die sowohl entwicklungspolitisch als auch im politischen Dialog wichtig sind, angenommen und aufgenommen. In der vom ganzen Haus getragenen Resolution mit den Grundsätzen einer umfassenden Zusammenarbeit wird das ja auch sehr deutlich. Ich begrüße es, daß wir uns darin fraktionsübergreifend einig sind.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit steht aber in diesen Wochen zweifellos Algerien. In der Tat ist die Situation hinsichtlich der Massaker grauenhaft. Hier ist eine Spirale der Grausamkeit in Gang gesetzt worden, die offensichtlich längst rein religiöse Motivierungen verlassen hat. Wer wollte nicht Bundesminister Kinkel zustimmen, daß dies eine Situation ist, die wir nicht hinnehmen können? Also stellt sich die Frage, was wir tun können, Frau Kollegin. Wir wissen über die Situation in Algerien nicht genug. Unsere Botschaft kann nicht in ausreichender Form berichten, weil sie sich aus Sicherheitsgründen im Land und auch in der Stadt einfach nicht frei bewegen kann. Insofern müssen wir aufpassen, daß wir nicht der Gefahr erliegen, den Erklärungen der amtierenden Regierung in Algier zu sehr zu glauben.
Was wissen wir? Was können wir daraus schließen? Zum einen ist die von dieser Regierung angekündigte Demokratisierung auch nach den abgeschlossenen Kommunalwahlen zumindest fragwürdig. Es ist keine plural strukturierte Parteienlandschaft zugelassen worden. Auch die Islamisten, die der Gewalt abgeschworen haben und sich um eine Teilnahme an den Wahlen beworben haben, sind nicht zugelassen worden.
Hier müssen wir einfach die Frage stellen, wie ein innerer Frieden gestaltet werden kann. Für die Einleitung eines solchen Prozesses ist ja wohl die Regierung, die inzwischen in einer demokratischen Wahl legitimiert worden ist, am ehesten zuständig. Es ist die Frage, wie ein solcher innerer Frieden gegen den entschiedenen Willen weiter Teile der Bevölkerung - außer mit militärischen Mitteln - durchgesetzt werden kann. Daß militärische Mittel aber nicht wirklich einen inneren Frieden auf der Grundlage von Demokratie gewährleisten können, das wissen wir aus vielen Beispielen. Die Frage ist also, ob die algerische Regierung wirklich zum Dialog entschlossen ist.
Die Frage ist auch, ob diese Regierung wirklich ein Interesse daran hat, die Massaker aufzuklären. Die Sicherheitskräfte setzen, wie sie selber sagen, auf eine physische Vernichtung der Terroristen. Das bedeutet: Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Terroristen gibt es keine Gefangenen, wie das formuliert wird. Es herrscht Bürgerkrieg in den Vorstädten. Die Sicherheitskräfte fühlen sich an Recht und Ordnung nicht gebunden. Normalerweise formulieren wir: Es herrscht Willkür.
Mit der Initiative von Kofi Annan, die von allen in Algerien zurückgewiesen worden ist, wird eines klar: Öffentlicher Druck wird nichts nützen. Insofern, Frau Kollegin, wird eine Behandlung in den Vereinten Nationen nicht zielführend sein.
Also greifen wir auf die Möglichkeiten zurück, die die Europäische Union hat. Ich denke, dies ist eine Frage der Entschlossenheit und des Willens der Europäischen Union. Den Auftrag, sich zu engagieren, hat die Europäische Union in Barcelona mit der Deklaration, die sie abgegeben hat, selber übernommen. Hier ist die vielfach diskutierte und häufig sehr effektive stille Diplomatie gefordert. Sie muß angewendet werden. Warum gibt es keine Troika-Mission, die dann ausgewertet wird und an die sich eventuell weitere Missionen anschließen? Ich setze sehr darauf, daß die Diskussion, die die Außenminister bei ihrem informellen Treffen in Mondorf am vergangenen Wochenende geführt haben, auch dazu beiträgt, den Willen der Europäischen Union so weit zu formen, daß sie aktiv wird.
Dies alles muß natürlich auch vor dem Hintergrund dessen gesehen werden, was die Bundesregierung bilateral mit der algerischen Regierung zu klären hat. Es gibt zum einen das Rückübernahmeabkommen. Wir haben darüber in den Ausschüssen des Bundestages sehr gründlich debattiert. Meine Schlußfolgerung daraus kann nur lauten: Wir bitten die Bundesregierung, dieses Rückübernahmeabkommen vorläufig nicht in Kraft zu setzen und nicht in Kraft treten zu lassen.
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Ich halte es aber nicht für gerechtfertigt, daraus den Schluß zu ziehen, über das, was die Bundesländer im Bereich der Asylbewerber schon heute praktizieren, hinaus weiterzugehen. Es muß auch in der Zukunft eine Einzelfallprüfung des jeweiligen Asylbewerbers mit der individuellen Entscheidung darüber, ob er abgeschoben wird oder nicht, geben.
Frau Dr.
Schwaetzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dietert-Scheuer?
Wenn es, wie immer, nicht auf die Redezeit angerechnet wird, ja. Ich habe nämlich noch einen Punkt.
Es wird nie angerechnet.
Bitte.
Ich will zu zwei Punkten eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe gerade mit Freude festgestellt, daß auch Sie die Bundesregierung auffordern, das Rückübernahmeabkommen derzeit nicht in Kraft treten zu lassen. Ich frage mich nur, warum Ihre Fraktion unserem entsprechenden Antrag nicht zuzustimmen bereit ist.
Zu dem zweiten Punkt. Sie sagen, bei den Abschiebungen müßten Einzelfallprüfungen vorgenommen werden. Stimmen Sie der Auffassung zu, daß das gerade auf Grund der Tatsache, daß Menschen, die nicht von staatlichen Organen, sondern von Islamisten verfolgt werden, die Asylanerkennung aus formalen Gründen verweigert wird, worauf sie aus dem Raster herausfallen, schlicht und einfach nicht greift und daß für diese Menschen eine allgemeine Schutzregelung gefunden werden muß?
Frau Kollegin, mein Vertrauen in die Asylverfahren, so, wie sie derzeit praktiziert werden, ist ausreichend groß, um zu sagen, daß wir es bei der gegenwärtigen Regelung belassen können. Eine Einzelfallprüfung findet statt. Sie wissen selber, wie die Länder mit den Konsequenzen aus dieser Einzelfallprüfung umgehen. Ich denke, daß die gegenwärtige Regelung flexibel genug ist und daß wir sie rechtfertigen können.
Die Position zum Rückübernahmeabkommen ist dahingegen schlicht damit zu erklären, daß die Bundesregierung uns gesagt hat, dieses Abkommen werde in absehbarer Zeit nicht in Kraft treten. Mein Vertrauen in die Bundesregierung und in die Wahrnehmung ihrer Verantwortung ist in diesem Punkt sehr groß.
Lassen Sie mich zum Schluß noch darauf hinweisen, daß ein ganz entscheidender Punkt bei allen Konflikten in der Mittelmeerregion - und das wird häufig übersehen - natürlich die sozialen und die wirtschaftlichen Probleme sind, die ihre Ursache in einem enormen Bevölkerungswachstum und in einem enormen Generationenkonflikt haben und auch dadurch entstanden sind, daß die junge Generation unter ganz anderen Bedingungen, auch ganz anderen staatlichen Bedingungen geboren wurde und aufgewachsen ist als die Generation, die noch heute die Macht in den Händen hält.
Deswegen hielte ich es für absolut falsch, unsere Bemühungen auf eine wirtschaftliche Stärkung dieser Länder zu beschränken. Deswegen werden wir Ihren Antrag, Hermes-Bürgschaften nicht mehr zu gewähren, ablehnen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege Tippach, PDS.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich muß noch einmal betonen, wovon wir hier eigentlich sprechen, gerade hinsichtlich der Anträge, die zu Algerien gestellt worden sind. Wir reden von einer unbekannten Anzahl von Opfern dieses Konfliktes. Man schätzt die Zahl der Toten auf 50 000 bis 120 000. Wir reden von 3 000 Verschwundenen in den letzten Jahren. Wir reden von illegalen Haftzentren. Wir reden von Folter.
Unter all diesen Bedingungen finde ich es bemerkenswert, mit welcher Gelassenheit business as usual weitergeführt wird, daß keinerlei Konsequenzen aus diesen Vorgängen gezogen werden, auch nicht aus den Massakern, die in den letzten Wochen täglich in fast allen Regionen Algeriens stattgefunden haben. Ich muß sagen: Diese Gelassenheit finde ich ein ganz gewaltiges Stück empörend.
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Wir haben einen Antrag zur Aussetzung des Rückübernahmeabkommens vorliegen. Man kann es auch Abschiebeabkommen nennen. Der Kollege Schokkenhoff sagte dazu unter anderem, das sei noch nicht einmal unterzeichnet, geschweige denn in Kraft.
Herr Kollege Tippach, gestatten Sie dem Kollegen Duve eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Herr Kollege, Sie sprechen von Gelassenheit bei den Kollegen, die seit Beginn dieser Massaker in dieses Land gefahren sind. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß etwa unsere dortigen diplomatischen Vertreter, die wenigen dort verbliebenen Journalisten und auch wir Besucher dort in einer sehr ungelassenen Weise versuchen, präsent zu bleiben in einem staatlichen Zusammenfallen, wo auf nichts mehr Verlaß ist?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß alle, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, etwa hier im Hause heute abend, daß wir alle, die wir hier heute abend sind, keineswegs gelassen mit dieser Tragödie und mit diesen Verbrechen umgehen und umgehen können?
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Herr Kollege Duve, ich freue mich, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich bitte, dies nicht mit der Botschaft zu vermischen. Ich habe eine Hochachtung vor jedem einzelnen Angehörigen der deutschen Botschaft, die dort vor Ort sind. Ich möchte dies nicht dort hineingemischt wissen.
Mir geht es damm, welche Konsequenzen wir aus dieser Situation ziehen. Hier liegt das Problem. Das Rückübernahmeabkommen existiert und ist unterzeichnet. Ich habe hier das Schreiben des Innenministers vorliegen, Herr Schockenhoff. Wo ist er? - Er ist nicht mehr da. Na gut: Geredet hat er, weg ist er. Das meinte ich mit Gelassenheit. Das Schreiben ist
am 13./14. Februar 1997 unterzeichnet worden. Entweder hat der Innenminister keine Ahnung, was er unterzeichnet, oder der Kollege Schockenhoff weiß nicht, was er sagt.
Im Anhang dieses Abkommens befindet sich ein Schriftverkehr zwischen der algerischen Botschaft und dem deutschen Innenministerium, in dem das Inkraftsetzen dieses Abkommens binnen 90 Tagen vereinbart wird, egal, ob es ratifiziert ist oder nicht. Nun könnte man sagen: Es wird trotzdem nicht angewandt. Der Schriftverkehr zeigt aber vielmehr, daß dieses Abkommen über allem schwebt und durch einen simplen Schriftwechsel jederzeit exekutiert werden kann. Genau hier liegt der Punkt.
Wenn Sie bereit sind - die Kollegin Dietert-Scheuer hat es angesprochen -, gerade diejenigen Menschen abzuschieben, die auf Grund des deutschen Asylrechtes gar kein Asyl bekommen können, weil sie nicht von staatlicher Seite verfolgt werden, sondern beispielsweise von GIA, von islamistischen Fundamentalisten - das ist der Inhalt dieses Rückübernahmeabkommens -, muß ich von viel Gelassenheit ausgehen. Diese Menschen theoretisch und praktisch - wie viele Fälle von nach der Rückführung verschwundenen Menschen beweisen - vor die Messer der GIA zu werfen ist für mich zuviel Gelassenheit. Davon rede ich hier.
Ich rede auch davon, daß die SPD heute - worüber ich mich freue - einen Änderungsantrag zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen betreffend die Aussetzung des Rückübernahmeabkommens des Inhalts gestellt hat, zumindest auf Grund der momentanen Situation die Aussetzung von Abschiebungen generell als gerechtfertigt anzusehen. Das war vor einem Jahr noch nicht so. Damals haben wir als PDS in diesem Bundestag einen Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge verlangt. Das hat die SPD ohne ein Wort der Diskussion mit der Begründung abgelehnt, man könne eine Einzelfallprüfung machen. Ich freue mich aber, daß es diese Änderung in der Auffassung - im Unterschied zur Koalition - gegeben hat; und dies vor dem Hintergrund, daß die deutsche Botschaft, das deutsche Außenministerium und auch das Innenministerium überhaupt nicht wissen, was in Algerien eigentlich vor sich geht. Sie wissen es nicht.
Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer hat dazu gesagt und er wird darüber noch sprechen
({0})
- davon gehe ich auch aus, ich habe die Liste gesehen -: Wobei wir uns nur mit größter Mühe ein wirkliches Bild von der Lage in Algerien machen können. - Dies war am 2. Oktober 1997.
Die deutsche Botschaft - Sie sagten es selbst - steht unter einem derartigen Druck, daß die dort Tätigen wirklich gerade noch über den Zaun schauen können. Das kann man ihnen auch nicht verübeln. Es ist sehr schwierig, Informationen zu bekommen. Aber warum gehen Sie dann mit Sicherheit davon aus, daß den zurückgeschobenen Personen nichts passieren wird? Woher nehmen Sie die Gelassenheit, das zu vermuten, wenn Sie überhaupt nicht wissen, was in diesem Land vorgeht? Deswegen kann ich Sie nur noch eindringlichst auffordern, dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen.
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Auf Grund der etwas knappen Redezeit möchte ich nur kurz zu der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu Anträgen aller übrigen Fraktionen dieses Hauses sprechen. Dies sind vernünftige Anträge. Wir sind wie immer nicht einbezogen worden; aber damit kann und muß ich leben. Ich würde mich freuen, wenn den Anträgen, die eine Fortsetzung des Barcelona-Prozesses sind, tatsächlich reale Dinge folgen würden. Es bestehen erhebliche Zweifel, daß die guten Ansätze in der Praxis tatsächlich durch die Bundesregierung umgesetzt werden. Wir werden darauf drängen, daß das Beachtung findet.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin DietertScheuer.
Ich wollte mich auf den letzten Punkt der Rede von Frau Schwaetzer beziehen, die mir freundlicherweise das Stichwort gegeben hat, auf unseren Antrag zu den Hermes-Bürgschaften.
Sie sagen, ein sinnvolles Instrument zur Entwicklung und auch zu Fortschritten bei der Demokratisierung könne auch die wirtschaftliche Stärkung sein. Grundsätzlich ist dagegen erst einmal nichts einzuwenden; es muß dann natürlich auch eine Bereitschaft zu einer Zivilisierung der Gesellschaft vorhanden sein.
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Wenn diese Bereitschaft nicht besteht, dann halten wir es durchaus auch für sinnvoll und gerechtfertigt, wirtschaftliche Druckmittel anzuwenden.
Insbesondere war aber die Erteilung von HermesBürgschaften - ausgerechnet für Rüstungsgüter und ausgerechnet an ein Land wie Algerien - Anlaß für unseren Antrag. Das mit wirtschaftlicher Stärkung zu rechtfertigen, kann nicht ganz der gegebenen Situation entsprechen.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß gerade in den letzten Tagen vom Hamburger Hafen zirka 150 Sattelzugmaschinen, die geeignet sind, Panzer zu transportieren, an das algerische Verteidigungsministerium als Besteller geliefert worden sind und diese Lieferungen weiter fortgesetzt werden.
Darüber hinaus wurde Algerien im vergangenen Jahr von der Liste der Länder, an die keine Rüstungsgüter geliefert werden, wie zum Beispiel Iran und
Irak, gestrichen. Das ist nicht das, was ich mir unter wirtschaftlicher Stärkung von Staaten vorstelle, sondern das ist für mich eine Kumpanei mit einem menschenrechtsverachtenden Militärregime.
({2})
Ich möchte noch eine Bemerkung in Reaktion auf die Rede von Herrn Tippach anschließen. Ich kann Ihre Bewertung des SPD-Antrages nicht ganz verstehen. Dieser Antrag zielt ja darauf ab, unseren ursprünglichen Antrag durch die hier dargestellte Formulierung zu ersetzen, die meiner Meinung nach im ersten Teil mit der Feststellung, die Lage in Algerien entziehe sich einer Beurteilung im Rahmen ausländer- und völkerrechtlicher Kategorien, schlicht falsch ist.
Der Antrag enthält weiter mit der Formulierung, die Abschiebestopps seien grundsätzlich gerechtfertigt, im Grunde eine Null-Aussage. Das ist eine Kommentierung von Länderverhalten, die ich als solche richtig finde, zu der ich aber von vornherein sagen muß: Als Änderungsantrag zu unserem Antrag ist das für uns absolut nicht akzeptabel.
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Frau Kollegin, jetzt haben Sie eine neue Variante in die Geschäftsordnung eingebracht, indem Sie in einer Kurzintervention zwei Interventionen untergebracht haben.
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Ich gebe zunächst das Wort zur Antwort an Frau Kollegin Schwaetzer.
Frau Kollegin Dietert-Scheuer, ich kann nur noch einmal unterstreichen, was ich eben schon gesagt habe.
Wenn man in einem Land, das sich in einer solchen katastrophalen sozialen und ökonomischen Lage wie Algerien befindet - wir sind uns sicherlich einig, daß sich in dem algerischen Konflikt eine Menge Komponenten überlappen -, friedensbereite Kräfte unterstützen will,
({0})
wenn man die Voraussetzungen dafür schaffen will, daß ein Dialog, wenn er denn angesetzt wird, auch zum Wachsen von innerem Frieden führen kann, dann müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die wir haben, um am ökonomischen Aufbau des Landes mitzuwirken.
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- Hermes-Bürgschaften werden ja nicht ausschließlich für den Bereich der Küstenschutzboote gegeben,
sondern auch für andere Dinge. Auch die Küstenschutzboote halte ich nun überhaupt nicht für problematisch, weil dies etwas ist, was ein souveränes Land selbstverständlich braucht.
Sie kennen die Argumentation unserer Kollegen aus allen Fraktionen, die von der Nordseeküste kommen und immer ein Interesse daran haben, ihre Werften mit Aufträgen zu versorgen,
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die uns immer darauf hinweisen, daß man mit Schiffen in Konflikte, die zu Lande ausgetragen werden, in der Regel nicht eingreifen kann, und bei Küstenschutzbooten ist das sicherlich der Fall.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Tippach zu einer Entgegnung.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte kurz auf die Bemerkung von Frau Dietert-Scheuer antworten.
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Da ich ein bescheidener Mensch bin, freue ich mich über jeden Fortschritt, den es bei der SPD in dieser Frage gibt. Auch wenn ich ihn mit Blick auf diesen Änderungsantrag nicht für ausreichend halte, muß ich aber zur Kenntnis nehmen, daß sich doch ein klein wenig bewegt, auch wenn ich an die Aussagen des Kollegen Zöpel in den letzten Tagen denke, der Abschiebung generell für überhaupt nicht mehr gerechtfertigt hält, wie ich der „taz" entnehmen konnte. Das ist für mich ein Fortschritt, den ich zumindest erfreut zur Kenntnis nehme, auch wenn ich ihn natürlich nicht für ausreichend halte und er den grundsätzlichen Antrag nicht ersetzen kann. Das ist richtig.
Ich gebe das Wort dem Staatsminister Dr. Werner Hoyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das algerische Volk hat ein Recht darauf, endlich in Frieden und Sicherheit zu leben. Es ist ganz sicher richtig, daß eine Analyse der Lage in Algerien, die jeder Aktion zwingend vorausgehen muß, alles andere als einfach ist. Ich wundere mich teilweise, wie leichtfertig einige bei einer so komplizierten Lage hier zu den ganz klaren Lösungen kommen.
({0})
Die Europäische Union hat sich übrigens sehr ausführlich und intensiv mit dem Thema befaßt, zuletzt bei dem Treffen der Außenminister am Wochenende in Mondorf.
Für jemanden, der sich wie ich und eine Reihe von Kollegen hier im Hause in den letzten Jahren für und
in Algerien engagiert hat, ist es schon erschreckend, festzustellen, daß Algerien in den letzten zehn Jahren für viele in Politik und Medien fast in Vergessenheit geraten war, daß nur sehr wenige mutige Journalisten wie Samuel Schirmbeck uns regelmäßig mit Berichten aus dem Lande versorgt haben, daß sich aber jetzt - lassen Sie mich es etwas zuspitzen -, da eine gewisse kritische Grenze bei der Anzahl der Toten pro Wochenende erreicht ist, erstaunlich viele zu erstaunlich weitgehenden Urteilen, Bewertungen und Empfehlungen in der Lage sehen, und seien Analyse und Informationsgrundlage noch so dünn und brüchig. Hier sind Vorsicht und Besonnenheit angesagt.
Zunächst möchte ich meinen herzlichen Dank an die deutschen Staatsbürger richten, die, in welchen Funktionen auch immer, nach wie vor in Algier sind und diese Brücke der Information, des Kontaktes und des Baues von Perspektiven aufrechterhalten.
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Es trifft sich, daß unser Botschafter in Algier, Joachim Broudré-Gröger, zur Zeit in Bonn ist. Ich habe ihn gebeten, an dieser Debatte teilzunehmen. Ich möchte Ihnen, Herr Botschafter, sagen, daß Sie bitte den Dank und die Anerkennung der Bundesregierung, aber, wie ich denke, auch der Kolleginnen und Kollegen des Hauses an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben.
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Das schließt selbstverständlich nicht nur die Angehörigen des Auswärtigen Amtes, sondern auch die des Bundesgrenzschutzes und des Bundeskriminalamtes ein. Es ist eine ungeheuer schwierige Arbeit, die dort unter fast unmenschlichen Umständen bewältigt werden muß.
Es ist offensichtlich, daß die Gewaltbereitschaft islamistischer Gruppen seit 1992 erheblich zugenommen hat und daß es ihnen gelungen ist, inselartig insbesondere im Westen Algeriens und im Gebiet der Hauptstadt Algier eigene Strukturen und territoriale Stützpunkte zu errichten. Von diesen Stützpunkten aus übten diese Gruppen, vor allem die GIA, ihre terroristischen Aktivitäten immer intensiver aus, bis offensichtlich die algerische Bevölkerung der GIA mehr und mehr eben wegen dieses Terrorismus die früher durchaus vorhandene Unterstützung entzog.
Gleichzeitig einsetzende Gesprächsbemühungen der algerischen Regierung mit der islamistischen Gruppierung FIS und deren militärischen Arm AIS führten zu einem Teilerfolg. Die AIS hat die Kampfhandlungen ab 1. Oktober eingestellt. Es spricht makabererweise, liebe Kolleginnen und Kollegen, einiges dafür, daß die Zunahme der Massaker in den letzten Wochen ein Indiz für den Erfolg dieses Dialoges ist. Durch Verbreitung von Furcht und Schrecken sollen schwankend gewordene Sympathisanten auf Linie gehalten werden. Das besonders schreckliche Massaker Ende August in Rais fand in einem Dorf statt, dessen Bewohner stets islamistische Bestrebungen unterstützt hatten.
Es gibt auch keine Beweise dafür - deswegen warne ich hier vor übereilten Schlußfolgerungen -, daß die algerische Armee, wie vielfach behauptet wird, in die Massaker involviert ist. Bevor sich jemand im Parlament zu einer so weitgehenden Schlußfolgerung aufrafft, soll er bitte erst einmal solide Beweise beibringen.
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Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, daß die islamistischen Terrorgruppen - vor allem die GIA - unerreichbar sind für Verständigung und Dialog. Die algerische Regierung setzt in dieser Lage auf eine Taktik der energischen Bekämpfung der Terroristen in deren Stützpunkten.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Köster-Loßack?
Nein, ich werde jetzt diesen Gedanken zu Ende führen. Ich komme am Ende der Rede gerne auf Zwischenfragen zurück.
Es gibt jedoch gleichzeitig auch auf seiten der Islamisten Kräfte, die zu einer Verständigung mit der Regierung bereit sind. FIS und AIS habe ich bereits genannt. Es gibt Anzeichen dafür, daß auch Angehörige von AIS und FIS auf Grund dieser Verständigungsbereitschaft zum Ziel von Racheakten der GIA geworden sind.
Ich appelliere eindringlich an alle politischen, sozialen und religiösen Kräfte in Algerien, jede Chance zu nutzen, um das Blutvergießen zu beenden und in den Dialog einzutreten.
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Übrigens laden wir auch die Vertreter des algerischen Parlaments ein, zusammen mit uns deutschen Parlamentariern zu sprechen. Das hat nichts mit unangemessener Einmischung zu tun, sondern mit Solidarität, Mitgefühl und Sehnsucht nach Frieden für das algerische Volk.
Es wird in der Diskussion und in der Hitze der Debatte häufig übersehen, daß die algerische Regierung unter Staatspräsident Zéroual Legitimität hat und aus Wahlen hervorgegangen ist. Man mag zu den Einzelheiten dieser Wahlen einiges anmerken wollen. Aber diese Wahlen haben stattgefunden. Die Legitimität der Regierung wird nicht in Frage gestellt. Nebenbei bemerkt: Die Bevölkerung hat trotz erheblicher Risiken durch die Teilnahme an den Wahlen schon eine Abstimmung mit Füßen für Frieden und gegen Gewalt vorgenommen.
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Ich wundere mich eigentlich, wie manche Journalisten in unserem Lande auf die Idee kommen, eine Kommunalwahlbeteiligung von 66 Prozent als eine geringe Wahlbeteiligung zu brandmarken. Wie hoch sind denn eigentlich die Wahlbeteiligungen bei uns
bei Kommunalwahlen, wo kein Mensch bei Leib und Leben bedroht ist, wenn er es wagt, sein Wahlrecht in Anspruch zu nehmen?
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Algerien wird noch viel tun müssen, um den Abschluß des Aufbaus demokratisch legitimierter Institutionen zu bewältigen. Aber wir sollten ihnen dabei helfen. Der Weg ist richtig.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß eine Konsolidierung der Lage in Algerien und die feste Begründung der Demokratie nur durch eine Wiederherstellung der inneren Sicherheit und parallel hierzu durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage erreichbar sind. Insbesondere müssen wir die wirtschaftliche Weiterentwicklung Algeriens bilateral und über die europäische Union unterstützen.
Ich danke übrigens der Nah- und Mittelostinitiative der deutschen Wirtschaft, deren Vertreter mich bei meiner letzten Reise nach Algerien begleitet haben, dafür, daß sie sich so stark engagiert, um gerade im Norden des Landes wieder wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen. Die auch wirtschaftliche Isolierung Algeriens muß überwunden werden, gerade in Nordalgerien.
Algerien hat 29 Millionen Einwohner, von denen die Hälfte unter 25 Jahre alt und zum allergrößten Teil arbeitslos ist. Aus diesen arbeitslosen Jugendlichen im Norden des Landes die terroristischen Gruppen zu rekrutieren ist relativ leicht, solange nicht Perspektiven geschaffen werden. Deswegen ist eine Aussetzung der finanziellen ' und politischen Unterstützung und zum Beispiel eine Aussetzung von Hermes-Bürgschaften genau der falsche Weg. Er spielt nach Ansicht der Bundesregierung nur den Extremisten in die Hände. Das kann nicht unser Wunsch sein. Im Gegenteil: Wir haben uns in der letzten Zeit sehr darum bemüht, die Hermes-Bürgschaften zu steigern, übrigens für absolut zivile Projekte. Dazu stehe ich auch.
Das im Februar vereinbarte Rückübernahmeabkommen hat bisher zwar keinerlei praktische Bedeutung, aber bevor man dieses Instrument so leichtfertig aus der Hand gibt und sich wünscht, daß es niemals in Kraft treten möge, muß man bitte sehr vorsichtig sein. Man muß unterscheiden zwischen der Nutzung eines solchen Instrumentes und der Möglichkeit, ein derartiges Instrument überhaupt in der Hand zu haben. Denn Algerien hat sich jahrelang geweigert, eigene Staatsbürger, die sich illegal im Ausland aufgehalten haben, überhaupt wieder ins Inland aufzunehmen und damit den völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, denen nach der UNO-Charta jeder unterliegt. Von daher ist die Frage, ob man von dieser Rückführungsmöglichkeit Gebrauch macht, von der Frage, ob man ein solches Instrument nicht behandeln sollte, durchaus zu unterschreiben.
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß die Fraktionsgeschäftsführer mir leider zwei Minuten weniger als vereinbart beim Präsidenten angemeldet haben. Ich versuche einmal zurechtzukommen.
Ich denke, wir müssen aufpassen, daß wir jetzt das Richtige tun. Das kann nicht darin bestehen, daß wir Algerien von außen Lösungsvorschläge aufdrücken. Die EU hat in Mondorf beschlossen, ihre guten Dienste anzubieten, wenn und sobald sie von den Algeriern darum ersucht wird. Aber die Lösung muß von den Algeriern selbst gefunden und gewollt werden. Dabei muß allen klar sein, meine Damen und Herren: Am Anfang jeder Bemühung um Fortschritte bei Menschenrechten und Gleichberechtigung, bei Frauenrechten, bei Pressefreiheit, Dialog und Demokratie muß eine glasklare und unmißverständliche Absage an jede Form des Terrorismus in Algerien stehen.
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Das Leiden dieses geschundenen Volkes muß enden. Hier ist Solidarität gefordert, auch und gerade in der Auseinandersetzung mit dem menschenverachtenden Terrorismus.
Massaker und Brutalitäten, das Grauen und Entsetzen: Sie machen hilflos und drängen zum Handeln. Sie dürfen aber nicht blind machen. Wer will mit Menschen sprechen, die Babys an die Tür nageln, Schwangeren den Bauch aufschlitzen, Mädchen vergewaltigen, und das alles im Namen ihres, ja unseres Gottes? Wer will ihnen denn wirklich dennoch die Rechte der Demokratie einräumen, damit sie danach die Instrumente der Demokratie nutzen, um genau diese zu beseitigen? Die Drahtzieher des Terrors in Algerien sind keine Opfer. Wer anderes sagt, ist ein Pharisäer.
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In Algerien gibt es zwei Realitäten: die des Terrorismus und die des tagtäglichen Lebens von Millionen Frauen, Männern und Kindern, die ihr Leben weiterführen müssen. Sie sind in ihrer großen Mehrheit bereit, den eingeschlagenen demokratischen Weg mitzugehen, um die eigentlichen Probleme des Landes, die wirtschaftlichen und sozialen Fragen, zu lösen.
Der Terrorismus hat nicht nur gemordet. Er hat das Schicksal eines ganzen Landes in Geiselhaft genommen. Unser Gewissen verbietet es uns, ohnmächtig zuzuschauen. Unsere Vernunft muß uns gebieten, keine falschen Vorschläge zu machen, für deren Ergebnis nicht wir die Verantwortung zu übernehmen oder die nicht wir selbst zu durchleben hätten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Erich Fritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort zu dem Kollegen von der PDS sagen: Unser Kollege Schockenhoff mußte, was schon manchem hier pasErich G. Fritz
siert ist, auf Grund der Verschiebung der Debatte zu einem Termin, der für ihn unabweisbar war und bei dem er schon in starkem Verzug war. Deshalb, meine ich, kann man auch akzeptieren, wenn jemand dann eine Debatte früher verläßt.
Die bisherige Debatte zeigt in großer Eindringlichkeit die gemeinsame Sorge über die Entwicklung in Algerien, aber auch die geringen Einflußmöglichkeiten Deutschlands. Selbst diejenigen, die sich für eine aktivere Rolle Deutschlands einsetzen, können im Prinzip nicht präzisieren, wie das erfolgversprechend gelingen soll.
Als gemeinsamen Standpunkt erkenne ich die große Zustimmung zur europäischen Mittelmeerpolitik. Ich glaube, daß da langfristig wirklich erfolgversprechende Schritte für eine Zusammenarbeit getan werden können, die zu Frieden, Stabilität und entsprechender wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung führt. Diese Ansätze auszubauen und mit Leben zu füllen ist Aufgabe der gemeinsamen Politik, an der Deutschland maßgeblich beteiligt sein kann.
Wenn Frau Schmidt bemängelt, daß da noch nichts Sichtbares geschehen ist, ist das sehr verständlich. Bei den Zuständen, die wir betrachten, hätten wir alle es lieber etwas schneller. Aber Sie wissen auch, daß das nicht nur an der Europäischen Union liegt, sondern auch gerade an der sehr unterschiedlichen Struktur der Länder, mit denen wir es auf der Partnerseite zu tun haben.
Die Situation in Algerien ist unübersichtlich. Die algerische Regierung trägt zur Transparenz nicht bei. Regierung wie Opposition sind nicht an internationaler Diskussion interessiert. Die demokratische Opposition ist in ihren Möglichkeiten denkbar beschränkt. Die Berichte über die unbeschreibliche Serie von Gewalttaten machen den Ruf nach internationaler Intervention verständlich. Jeder Gesinnungsethiker kann da doch nur sagen: Da muß jetzt etwas geschehen. Auch ich bin dieser Meinung.
Aber gerade diese zunehmende Heftigkeit des Rufs entspricht ziemlich genau dem Maß an Hilflosigkeit und dem Mangel an konkreten Handlungsoptionen, die wir feststellen müssen. Erfolgsaussichten sind nicht vorhanden, vor allen Dingen deshalb, weil die Bereitschaft der Beteiligten für einen wirklichen Dialog bisher überhaupt nicht zu erkennen ist. Der Beitrag von Frau Köster-Loßack paßt leider genau zu dieser Szenerie.
Ich glaube, daß wir alle überhaupt keine Probleme haben, uns diesem Thema in tiefgreifender Betroffenheitsrhetorik zu nähern und dann voller Stolz auf uns auseinanderzugehen.
Wichtiger aber ist, daß wir ein ausreichendes Maß an Realismus und Klarheit in diese Diskussion bekommen, so daß das, was getan werden kann, auch wirklich geschieht. Alle Analysen über das Verhältnis zwischen Regierung und Islamisten in Algerien, Terroristen und Armee, Hardlinern und Falken unter den Militärs, über Clan-Kämpfe, Machtkämpfe mit religiöser Verbrämung der Positionen zeigen, daß die Situation für europäische oder deutsche Interventionen denkbar ungeeignet ist. Arabische und islamische Organisationen und Länder zu ermutigen, eine Vermittlerrolle einzunehmen, scheint in dieser Gemengelage erfolgversprechender als großangelegte Reisediplomatie von EU oder UNO, die den Beteiligten nur Anlaß für neue Ablenkungsmanöver bieten würde. Da gefallen mir einige der Anregungen von Frau Schwaetzer, die sie gerade gemacht hat, schon besser.
Jeder von uns im Raum weiß, daß internationale Interventionen nur dann einen Sinn haben, wenn alle Beteiligten sie wünschen, daß sie aber überhaupt nicht zum Ziel führen können, wenn sie mitten in eine streitige Situation gesetzt werden.
Auch der Ruf nach wirtschaftlichen Sanktionen, Aussetzung der Assoziierungsverhandlungen oder Verweigerung von Hermes-Bürgschaften für deutsche Exporteure wäre der falsche Weg. Wer die Geschichte Algeriens kennt und die Brüche der letzten Jahrzehnte vor Augen hat, weiß auch, daß es Ursachen für die gegenwärtige Entwicklung gibt, die man nicht geringschätzen darf. Die Krise ist das Produkt einer unbewältigten Kolonialzeit, was sich immer noch in den Handelsbeziehungen, die von Nord nach Süd verlaufen, ausdrückt. Sie ist aber vor allem das Ergebnis des Großversuchs des sogenannten islamischen Sozialismus, der bürokratisch und ineffektiv ist und zu enormen sozialen Verwerfungen geführt hat. Er ist vom politischen Islam hinweggefegt worden, aber es ist nichts Neues entstanden. Es ist nicht gelungen, alte Machtstrukturen, alte Verteilungsfunktionen zu verändern. Dies wird nach meiner Einschätzung in absehbarer Zukunft auch nicht gelingen. Noch immer entscheidet die Sécurité militaire, wer an der Macht ist, wer sie behält oder bekommt.
Wer dem algerischen Volk helfen will, der muß vor allem die Veränderungen unterstützen, die es der zumindest ein wenig demokratisch legitimierten Regierung gestatten, in dem schwierigen Umfeld, das Herr Hoyer gerade plastisch und eindringlich dargestellt hat, einen Prozeß in Gang zu bringen, der es wenigstens den Gesprächsbereiten ermöglicht, miteinander zu reden.
Die wirtschaftliche Lage eröffnet der Bevölkerung, insbesondere der Jugend, nach wie vor keine Perspektiven. Sie alle wissen genausogut wie ich, daß die Bevölkerungsentwicklung angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse jeden Fortschritt sofort wieder zunichte macht. Es wäre schon unter normalen Umständen eine enorme Anstrengung, gegen dieses Bevölkerungswachstum anrennen zu wollen.
Die Assoziierung mit der Europäischen Union ist notwendige Voraussetzung für einen besseren Marktzugang, den dieses Land dringend braucht, für bessere Investitionsmöglichkeiten, für eine Diversifizierung der algerischen Wirtschaft und für Chancen für eine freie wirtschaftliche Betätigung, einen Warenaustausch ohne Hindernisse, die auch die Europäische Union Ländern wie Algerien bisher nicht gewährt.
Eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen ist nötig. Es darf keine Einschränkung geben; dadurch würde der Druck auf die Bevölkerung nur erhöht. Der deutsche Außenhandel mit Algerien hat sich seit 1982 stark verringert. Unsere Einfuhren haben sich halbiert; unsere Ausfuhren gingen ebenfalls zurück. Im ersten Halbjahr dieses Jahr hat es nochmals einen deutlichen Rückgang gegeben. Das kann nicht im Interesse der algerischen Bevölkerung sein.
Eine dauerhafte Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Mittelmeerländer mit der Europäischen Union - ausgehend von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen - ist ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung dieser Länder. Ganz besonderen Wert sollten wir Europäer darauf legen, daß regionale Zusammenarbeit stattfindet.
Nach dem Ende des Kolonialismus haben sich die Beziehungen, was die Wirtschaftsströme angeht, nicht verändert. Wenn wir es bei der völlig unterschiedlichen Strukturierung der nordafrikanischen Länder nicht schaffen, quer zur bisherigen Richtung regionale Märkte zu entwickeln, Arbeitsteilung in diese Region hineinzubringen und dadurch auch mit den regionalen Möglichkeiten zu einer allmählichen Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur beizutragen und so etwas wie einen Mittelstand entstehen zu lassen und Menschen eine eigene wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen, dann ist alles andere nur Makulatur.
Deshalb denke ich, daß wir überhaupt keinen Anlaß haben, in einer Situation, in der ohnehin die Chance zu wirtschaftlicher Entwicklung sehr gering ist, mit wirtschaftlichen Sanktionen zu drohen, sondern wir haben allen Anlaß dazu, zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit, zu Investitionen, vor allem zu mittelständischer Zusammenarbeit zu ermuntern. Da ist Hermes ein gutes Instrument. Mittelständische Unternehmen sind daran stark beteiligt. Herr Hoyer ist vor nicht allzu langer Zeit mit einer Delegation dort gewesen, die das belegt hat.
Wenn man sich die Entwicklung der südlichen Mittelmeerländer in den letzten 30 Jahren ansieht und betrachtet, was von der politischen, kulturellen und ökonomischen Ausrichtung her abgelaufen ist, dann stellt man fest: Wir haben Länder vor uns, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Deshalb ist es so schwierig, einen gemeinsamen Nenner für die Zusammenarbeit zu finden. Es wird für die Europäische Union ein ganz mühsames Unternehmen sein, jeweils spezifische Wege zu finden, um dazu beizutragen, daß so etwas wie ein Raumverständnis, ein regionales Verständnis und die Bereitschaft, dann auch gemeinsam an der Überwindung von Schwierigkeiten und Konflikten zu arbeiten, wie wir es in Algerien brauchen, überhaupt entsteht.
Wer sich in der Statistik des Handels der südlichen Mittelmeeranrainer mit Deutschland die Rohstoffabhängigkeit, den Grad der Weiterverarbeitung und die Bilanzunterschiéde ansieht, der kann leicht ermessen, daß große Entwicklungschancen aus den dargestellten Veränderungen für beide Seiten entstehen könnten, sowohl für den Norden als auch für den
Süden des Mittelmeers. Bei gründlicher Abwägung der Zusammenhänge kann man nur empfehlen, die gerade begonnene gemeinsame Politik der EU gegenüber den Mittelmeerländern nicht durch hektische Aktionen zu entwerten, sondern an den entscheidenden Punkten weiterzuarbeiten. Stille Diplomatie zur Unterstützung von Vermittlungsversuchen und Hilfe für die Dialogfähigkeit sind nötig. Dazu kann Deutschland beitragen.
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Zu einer Kurzintervention zu der Rede des Staatsministers Hoyer gebe ich das Wort dem Abgeordneten Tippach.
Vielen Dank. - Ich habe mit Bedauern festgestellt, daß der Herr Staatsminister nicht auf die zentrale Frage eingegangen ist, nämlich, ob das Rückübernahmeabkommen unterzeichnet ist oder nicht und ob es durch den anhängigen Schriftwechsel mit der algerischen Seite oder in anderer Form in Kraft getreten ist oder nicht, was es vielleicht überflüssig machen würde, diesen Antrag zu stellen. Daß dazu keine Aussagen kamen, macht die Debatte natürlich etwas schwieriger und wird auch für den einen oder anderen das Abstimmungsverhalten schwieriger machen.
Herr Staatsminister, wollen Sie dazu etwas sagen?
Herr Kollege Tippach, es wird sich herumgesprochen haben, daß natürlich die Aussage des Innenministeriums, daß das Abkommen unterzeichnet worden ist, absolut zutrifft, gleichwohl aber das Abkommen nicht in Kraft getreten ist und gegenwärtig auch keine Anzeichen dafür gegeben sind, daß das Inkrafttreten auf der algerischen Seite befördert wird.
Die andere Frage ist die Frage, was man von der Qualität eines solchen Abkommens hält. Dazu habe ich in der Tat deutlich meine Meinung gesagt. Daß ich mich ansonsten mit dieser Frage nicht detailliert befaßt habe, liegt an der Schwerpunktsetzung meiner Rede. Die Schwerpunktsetzung dieser Rede wird allerdings dem Thema, um das es heute in der Substanz geht, eher gerecht als die Frage des Sophismus, wann ein unterzeichnetes Abkommen zweckmäßigerweise in Kraft treten sollte oder ob es nicht in Kraft ist.
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Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In dem Beschluß zur Mittelmeerpolitik beginnen wir sehr bedeutungsvoll. Wir werden gleich, wenn wir der Beschlußempfehlung des Ausschusses folgen, überwiegend beschließen, daß die Ausgestaltung der BezieDr. Christoph Zöpel
hungen der Europäischen Union zu ihren Nachbarn im Süden und Osten des Mittelmeerraums zur Schlüsselfrage für die künftige Struktur unseres Kontinents wird. Ich will das nicht bezweifeln. Es gibt auch entsprechende Vereinbarungen. Sie atmen europäischen Formulierungsgeist und europäische Formalität. Arabische Diplomaten haben trotzdem unterschrieben.
Wie ernst wir selber diese Deklaration nehmen, kann man an einigen Stellen hinterfragen.
Herr Staatsminister, mir ist es bisher nicht gelungen, in Ihrem Amt eine deutsche Fassung der Barcelona-Deklaration zu bekommen. Das hat mich nachdenklich gemacht.
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- Mir ist bekannt, daß viele Englisch können. Nur, ich nehme an Konferenzen teil, in denen vor allem Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen mit einer nicht zu kritisierenden Hartnäckigkeit auf der Benutzung der deutschen Sprache bestehen.
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Eine andere Sache: In dieser Deklaration steht, die Parlamentarier sollten sich regelmäßig treffen. Wir bemühen uns darum, aber stattgefunden haben diese Treffen noch nicht.
Schon das alles macht nachdenklich. Es geht aber über Nachdenklichkeit hinaus, wenn sich plötzlich die Wirklichkeit der europäischen Formulierungskunst und den europäischen Kategorien entzieht. Dann tritt Hilflosigkeit ein, vor allem bei uns. Diese Hilflosigkeit führt zu unterschiedlichen Reaktionen.
Manchmal tritt wieder Hochmut gegenüber den arabischen Nachbarn auf, gestützt auf unsere überlegene Wirtschaftskraft und, wenn es um Sicherheitsfragen geht, auf die nicht mehr diskutierte Sicherheit durch den Schutz des atomaren Schilds der Vereinigten Staaten, den die Araber nicht haben.
Es kann auch Verbalmoralismus auftreten, verbunden mit der Forderung, es müsse sich etwas ändern. Nur, Verbalmoralismus hat ganz selten Instrumente zur Hand, vor allem weil Moralismus - zu Recht - eine militärische Intervention ausschließt.
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- Das mag sein. Davon verstehe ich nicht soviel.
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Es mag auch Aggressivität aufkommen, seltener explizit, manchmal frustriert.
Dann kommen die einfacheren Forderungen: nach Sanktionen, nach dem Abbruch von Gesprächen, nach dem Ausladen von politischen Repräsentanten. Man könnte ja darüber reden, wenn nicht fast immer in Europa diese Form von Bestrafungen mit dem Stöckchen sehr schnell unterschiedlichen Maßstäben unterläge.
Immer wieder gibt es besondere Rücksichtnahmen. Es macht keinen Sinn, es zu verschweigen, oft aus guten historischen Gründen: Wir messen schon jetzt Israelis und Araber in vielem mit unterschiedlichen Maßstäben. Es gibt unterschiedliche Vorlieben wegen der kolonialen Vergangenheit oder wegen der nicht kolonialen Vergangenheit. Beides ist feststellbar.
Das alles führt ganz schnell zu dem Eindruck, Europa habe bei seiner Politik gegenüber diesen Nachbarn, die so wichtig sind, Doppelstandards. Dafür nenne ich Beispiele.
Afghanistan ist mit dem Mittelmeerraum durch die Zugehörigkeit zum Mittleren Osten verbunden. Hier erleben wir ein neues Höchstmaß an Menschenverachtung durch die Taliban. Frauen werden nicht nur nicht geachtet, sie sollen auch in Krankenhäusern nicht mehr behandelt werden. Das Mittel der Sanktion hilft schon gar nicht mehr, weil Unterstützungen gar nicht gewollt werden. Und gleichzeitig lesen wir: Die Ölabkommen mit der Taliban sind geschlossen, durch internationale Gesellschaften, unterstützt von Pakistan und Saudi-Arabien.
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Bei dem Stichwort Pakistan erlaube ich mir, doch noch einen Schritt weiterzugehen. Zumindest der Logik der Menschenrechtspolitik kann es nicht entsprechen, wenn die USA atomare Anlagen nach China exportieren, es aber mit der Verpflichtung verbinden, daß China keine atomaren Anlagen nach Pakistan exportieren darf. Das müßte einmal erklärt werden.
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Diese Frage, von den Arabern im euro-mediterranenDialog gestellt, führt, wenn wir ehrlich sein wollen, zur Sprachlosigkeit.
Ein weiteres Beispiel ist Libyen. Dort war ich im März zusammen mit Frau Kollegin Augustin und dem Kollegen Feldmann. Wir alle wissen, daß die schwierigen Verhältnisse - man soll möglichst nicht dorthin reisen; deshalb fliegen auch keine Flugzeuge - von Großbritannien durchgesetzt werden. Vor allem Kollege Feldmann mußte lernen, daß der Masterplan für den Ausbau des Tourismus in Libyen von Großbritannien erstellt wird.
Ich darf Ihnen nach Beschluß des Präsidiums, damit im Namen der Frau Präsidentin, mitteilen, daß ich heute als Vorsitzender der deutsch-maghrebinischen Parlamentariergruppe eine Delegation des libyschen Parlaments hierher eingeladen habe. Ich halte das für einen Beitrag gegen Doppelstandards.
Bei dem Verhältnis zwischen Europa und den Mittelmeerländern - das ist meine Erfahrung und Oberzeugung aus dem, was ich auf diesem Feld in den letzten sechs, sieben Jahren erleben durfte - hellen nur drei Vorgehensweisen:
Erstens die allseitige Gesprächsbereitschaft. Ich kann nicht sehen, was es nützt, mit irgendeiner Regierung grundsätzlich nicht zu sprechen. Die Sanktionen haben nirgends geholfen. Und hätte Saddam Hussein nicht so bescheuerte Schwiegersöhne gehabt - wir wüßten über die Waffen wenig.
Zweitens ein Netz vor allem multilateraler und bilateraler Verträge, die sich bemühen, die Komponenten Sicherheit, Wirtschaft und Menschenrechte miteinander zu verknüpfen. Das Interesse an der Einhaltung der Verträge - aus unterschiedlichen Gründen - muß gegenseitig werden. Nur dann gibt es eine Chance. Es muß ein aktives Interesse an der Einhaltung geben und nicht die Furcht vor Sanktionen. Sie funktioniert nicht.
Drittens brauchen wir gemeinsame Institutionen der vielfältigsten Art, und deshalb, nicht wegen unserer Reisetätigkeit, habe ich das Ausbleiben der Parlamentarierzusammenkünfte beklagt.
Damit bin ich bei Algerien. Hier haben wir sicherlich ein Höchstmaß an Hilflosigkeit erreicht. Wer über Algerien viel liest und sich dabei nur auf Autoren stützt, die er für glaubwürdig hält - die anderen können wir unberücksichtigt lassen -, bekommt ein so vielfältiges Bild, daß jedes Urteil verantwortungslos ist.
lin „Spiegel" hat der bekannteste, am meisten übersetzte algerische Autor meines Erachtens zu Recht geschrieben, daß Algerien im Vergleich mit den meisten arabischen Ländern demokratisch sei. Saudi-Arabien darf ich einmal nennen. Über SaudiArabien wird nie geredet. Warum eigentlich nicht?
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Die Frage „Wer ist schuld?" ist nicht beantwortet. Reden wir mit der Opposition, bekommen wir ganz unterschiedliche Vorschläge von unterschiedlichen Oppositionsparteien. Die einen sagen, mit der FIS müsse gesprochen werden - das sind solche, die meiner Partei nahestehen -; die anderen, die Mitglieder der RCD, der Vereinigung für Kultur und Demokratie, warnen auf das entschiedenste davor, weil sie durch ein Bündnis zwischen Islamisten und Militärtechnokraten, wie wir es im Sudan erleben, das Aufgeben der Aufklärung befürchten. Das ist alles nicht so einfach.
Das Schwierigste aber in Algerien ist ein Phänomen dort, das Phänomen nämlich, daß alle Algerier eigentlich nicht so genau erklären können, wer sie regiert. Sie sprechen von einer geheimnisvollen Macht, von „le pouvoir", lächeln verlegen, zynisch, hilflos.
Die Europäer müssen den Algeriern eines sagen: Wenn ihr euch an die Barcelona-Deklaration halten wollt, die euer Außenminister unterschrieben hat, dann muß eure Macht ein Gesicht bekommen, dann müssen Europäer wissen, wer wirklich das Gesicht der politischen Macht in Algerien ist. Sonst kann man mit diesem Land in der Tat schlecht reden.
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Es ist auch die einzige Chance der algerischen Macht und der algerischen Regierung, den vielleicht unberechtigten Vorwürfen zu entgehen, sie seien in manche Morde involviert. Nur dann haben sie diese Chance. Ich unterstelle hier nicht, daß die Sicherheitskräfte oder die Regierung involviert sind; nur, wenn der Sprecher des Außenministeriums weiterhin so absolut gegen Geist und Buchstaben der Deklaration von Barcelona auf das Angebot der Außenminister bei ihrem Treffen in Luxemburg vom vergangenen Wochenende reagiert, mit Algerien über dessen Sorgen zu sprechen, dann macht sich diese Regierung in der Tat verdächtig.
Das ist für den heutigen Tag meine Botschaft - die Aufforderung an Algerien: Zeigt das Gesicht eurer Macht!
Unser Verteidigungsminister sollte die Generale und die Gendarmerie einladen. Wir möchten sie sehen. Noch glauben wir, sie tun das Beste, aber sie müssen es beweisen.
So habe ich auch, obwohl der Präsident des algerischen Parlaments es in einem unverständlichen Brief an die Ebert-Stiftung abgelehnt hat, daß Parlamentarier der Regierungsfraktion zu einem Dialog hierherkamen - zu diesem Dialog erschienen dann nur Oppositionsparteien; es war ein beeindruckender Dialog -, auf Beschluß des Präsidiums heute wieder die Möglichkeit gehabt, eine Delegation des algerischen Parlaments einzuladen, und auch das habe ich getan.
So hoffe ich, daß wir mit den praktischen kleinen Schritten, die dieses Parlament tun kann, einiges unternehmen: Doppelstandards gegenüber Libyen abbauen, mehr Dialogbereitschaft gegenüber Algerien zeigen. Vielleicht hilft das ein bißchen.
Ich habe bei all dem inzwischen ein Prinzip erkannt: Demokratie hat nur eine Waffe, nämlich das Gespräch, und zwar gestützt auf die Aufklärung, die aber zuerst zu Hause verteidigt werden muß. Weil diese zuerst zu Hause verteidigt werden muß, glaube ich, daß zur Zeit besser keine Algerier, die hier sind, nach Algerien zurückgeschickt werden sollten. Selbst wenn man da ein bißchen irrt - das sage ich jetzt zu den Juristen, die diese Einzelfälle exerzieren -, würde ich hier sagen: im Augenblick im Zweifelsfall für die Algerier.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8639 an die in der Tagesordnung
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Friedensinitiative für Algerien, Drucksache 13/8860.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8572 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Aussetzung des Rückübernahmeabkommens mit Algerien, Drucksache 13/8868.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8872 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist.
Damit kommen wir zurück zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8037 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Innenausschusses mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu den Anträgen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, Drucksache 13/ 7871.
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Drucksachen 13/4868, 13/4581 und 13/4843 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke ({1}), Karl Lamers und der
Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht, Freimut Duve und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.
Lage der Kosovo-Albaner
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lage der Albaner im Kosovo
- Drucksachen 13/5705, 13/5752, 13/8563 - Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Francke ({2}) Dr. Eberhard Brecht
Waltraud Schoppe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Klaus Francke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß der Kosovo durch unsere heutige Debatte wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wird. Denn viel zu häufig treten die Spannungen im Kosovo hinter anderen, gewalttätigeren Krisenherden der Region in der internationalen Aufmerksamkeit zurück.
Wir dürfen die gravierenden Verletzungen der Menschen- und Minderheitenrechte durch die serbische Regierung nicht tatenlos hinnehmen. Serbien unterdrückt weiterhin systematisch die Kosovo-Albaner, die mit 90 Prozent die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo stellen. Willkürliche Verhaftungen, Verurteilungen ohne ordentliche Gerichtsverfahren und Berichte von Folterungen sind an der Tagesordnung.
Die Serbisierung des Kosovo wird, unter anderem durch die Ansiedlung serbischer Flüchtlinge, unnachgiebig vorangetrieben. Bislang beantworten die Kosovo-Albaner das serbische Unterdrückungsregime mit friedlichem Boykott. Trotz ständiger serbischer Provokation und schwierigster Umstände hat die überwiegende Mehrzahl der Kosovo-Albaner auch nach beinahe sieben Jahren der Unterdrückung an dieser friedlichen Haltung festgehalten. Dies hat die gestrige Demonstration in Priština noch einmal deutlich gemacht. Dieser Haltung sollten wir Respekt zollen.
({0})
Aber es ist nicht zu übersehen, daß diese friedliche Haltung in letzter Zeit zunehmend wankt. Es mehren sich die Stimmen, die keinen Erfolg in diesem Weg sehen und auf radikalere Maßnahmen drängen. Die
Klaus Francke ({1})
Anschläge der seit einiger Zeit auftretenden „Befreiungsarmee Kosovo" und die Studentenproteste von Anfang Oktober sind ein deutliches Zeichen dafür. Ich finde es besorgniserregend, wenn der Rektor der Universität der Kosovo-Albaner vorgestern erklärte - ich zitiere ihn -: Sollten die Forderungen der Studenten nicht erfüllt werden, würden „andere Formen der Demonstrationen gesucht". Die „Basler Zeitung" überschreibt ihren Artikel zum Kosovo heute mit der Bemerkung: „Die Zeichen stehen auf Sturm."
Auch das Umfeld innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien wird schwieriger. Zwar wurde durch die Wahl des Reformers Djukanovic in Montenegro ein positives Signal gesetzt. Aber das gute Abschneiden des serbischen Nationalisten Seselj bei der serbischen Präsidentenwahl, der offen gegen die KosovoAlbaner hetzt, läßt befürchten, daß sich die Voraussetzungen für eine Konfliktlösung in Serbien weiter verschlechtern.
Auch die schwierige Situation in den benachbarten Ländern mit albanischen Bevölkerungen hat Einfluß auf die Situation im Kosovo. Die Auflösung der staatlichen Ordnung in Albanien hat im Kosovo besonders erschreckt. Die Gewalt droht dort in den Kosovo überzugreifen: Waffen sickern über die Grenze in den Kosovo, bewaffnete Banden aus Albanien kommen zu Raubzügen über die Grenze. Sie tragen weiter zur Gefahr einer Eskalation bei.
Auch in Mazedonien, wo etwa eine knappe halbe Million Albaner leben - und damit etwa ein Viertel der Bevölkerung stellen -, wachsen die ethnischen Spannungen seit dem Frühjahr gefährlich an.
Aber, meine Damen und Herren, ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang Bosnien: Es würde alle Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft um Frieden in Bosnien, die wir mit so großem personellen und materiellen Aufwand betreiben, ad absurdum führen, wenn wir uns im Kosovo nicht um eine Konfliktlösung bemühen. Sonst bleibt auch die Stabilität in Bosnien langfristig gefährdet. Um so dringlicher ist es, daß die Staatengemeinschaft ihre Bemühungen um Entschärfung des Konfliktes verstärkt.
Deutschland hat darüber hinaus wegen der etwa 100 000 in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner ein besonderes Interesse an der Stabilisierung des Kosovo. Sie sollen, wie wir wissen, gemäß dem mit der Bundesrepublik Jugoslawien abgeschlossenen Rückführungsabkommen in ihre Heimat zurückgeführt werden. Belgrad hat sich in dem Abkommen ausdrücklich zur menschenwürdigen Behandlung der Rückkehrer verpflichtet. Berichten über Mißhandlungen von Rückkehrern ist die deutsche Botschaft intensiv nachgegangen, und in einigen Fällen hat sie Klage geführt - wobei in fünf Fällen eine Antwort trotz Mahnung bislang noch aussteht. Aber man muß auch wissen, daß die Anschuldigungen nicht in allen Fällen stichhaltig begründet werden konnten.
Wir gehen weiterhin davon aus, daß die jugoslawische Seite ihre aus dem Abkommen erwachsenen
Verpflichtungen einhalten wird. Wenn aber Mißhandlungen auch unter der verbliebenen Bevölkerung an der Tagesordnung sind, werden solche Maßnahmen wenig fruchten. Wir werden unserer Verantwortung aus dem Abkommen nur gerecht werden, wenn wir uns intensiv um eine Besserung der Gesamtsituation bemühen. Jede Verbesserung der politischen Situation verbessert auch die Aussichten für eine gute Rückkehr der Flüchtlinge.
Obwohl sich die Situation schwierig darstellt, besteht doch Anlaß zur Hoffnung. Es gibt vorsichtige Ansätze eines Dialogs beider Seiten. Vor einiger Zeit wurde unter der Vermittlung der San-Egidio-Gemeinde zwischen der serbischen Seite und den Vertretern der Kosovo-Albaner ein Abkommen zum Bildungswesen unterzeichnet, das die Rückkehr der Albaner in die öffentlichen Schulen und Universitäten ermöglichen soll. Obwohl die Umsetzung des Abkommens noch aussteht, war es ein erster Schritt zu einer Normalisierung.
Es wird aber nur dann wirklich ein Symbol der Verständigung werden, wenn seine Umsetzung gesichert ist. Der derzeitige Zustand bewirkt eher eine Stärkung der unzufriedenen und radikalen Kräfte. Ein Fortschritt in dieser Frage wäre ein entscheidender Schritt zur Vertrauensbildung. Der nächste Schritt müßte dann ein intensiver Dialog über den autonomen Status des Kosovo im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien sein.
Um solche Gespräche zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen, sind zwei Dinge erforderlich:
Erstens. Beide Seiten müssen von ihren Maximalforderungen - das heißt Erhalt des Status quo auf der einen Seite und staatliche Unabhängigkeit auf der anderen Seite - abgehen. Zielsetzung kann nur ein spezieller Status des Kosovo innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien sein, der der Region weitreichende Autonomierechte einräumt und selbständige Strukturen ermöglicht. Dies ist im übrigen einheitliche Position der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten. Das bedeutet, daß auch die KosovoAlbaner ihre jetzige Forderung nach Errichtung eines eigenen Staates zurückstellen müssen.
Zweitens. Ohne massiven Druck von außen wird sich Belgrad nicht auf Gespräche einlassen. Der Kosovo ist zu sehr im serbischen Nationalgefühl verankert. Die internationale Staatengemeinschaft muß deshalb mit allem Nachdruck deutlich machen, daß die Rückkehr Belgrads in ihre Mitte, eine langfristig zufriedenstellende Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und - ganz entscheidend - der Zugang zu finanzieller Hilfe nur bei sichtbaren Fortschritten in der Kosovo-Frage gewährt werden. Sichtbare Fortschritte bedeuten, daß Belgrad seine systematischen Menschenrechtsverletzungen einstellt, die rückkehrenden Flüchtlinge aktiv integriert und sich zur Beobachtung der Lage vor Ort durch die OSZE bereit erklärt.
Bislang ist es ja so, daß der OSZE-Sonderbeauftragte van der Stoel keine Einreisegenehmigung erhält. Wir können auch nicht akzeptieren, daß Botschafter Lutz ebenfalls keine Einreisegenehmigung
Klaus Francke ({2})
erhält. Dies kann von der Europäischen Union nicht hingenommen werden.
({3})
Wir erwarten darüber hinaus die serbische Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen mit den Führern der Kosovo-Albaner. Die Serben müssen endlich erkennen, daß Fragen der Menschen- und Minderheitenrechte keineswegs eine innere Angelegenheit Serbiens sind.
({4})
Mit einer Fortsetzung dieser nationalistischen und gewalttätigen Politik werden sich die Serben dauerhaft in ganz Europa isolieren. Danke schön.
({5})
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Das öffentliche Interesse am Kosovo hat spürbar nachgelassen, und zwar, so ist mein Eindruck, indirekt proportional zur Zunahme der Spannungen in diesem Gebiet. Das hängt ein bißchen mit dem Ohnmachtsgefühl zusammen, das wir haben. Es hängt aber auch damit zusammen, daß es offensichtlich eine Erschöpfung hinsichtlich der Beachtung der Kriege und Konflikte auf dem Balkan gibt.
Dabei ist es eigentlich das ureigene Interesse unseres Landes, daß wir zu einer friedlichen Konfliktregelung auf dem Balkan, speziell im Kosovo, kommen - nicht nur aus den Interessen der Erhaltung des Friedens in Europa insgesamt, sondern weil wir Deutschen natürlich durch 100 000 Flüchtlinge besonders tangiert sind, die in den Kosovo zurück wollen. Wie wir eben diskutiert haben, gibt es eine ganze Reihe von Problemen, diese Flüchtlinge zurückzuführen. Ich habe eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Wir sollten darauf dringen, daß diese Personen keinen Schikanen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
Die Situation im Kosovo hat sich deutlich verschlechtert. Kollege Francke hat darüber schon einige Worte gesagt. Zum einen haben die Spannungen im Kosovo nicht abgenommen. Gelegentlich muß man sogar feststellen, daß sie durch die anhaltende Apartheidpolitik Belgrads in Priština zugenommen haben. Aber auch die Aktionen der sogenannten Befreiungsbewegung tragen nicht dazu bei, daß das Klima für Verständigung wächst. Bis heute wissen wir nicht, wer hinter dieser sogenannten Befreiungsarmee steckt. Deswegen sollte man ähnlich wie im Fall von Algerien mit Vorurteilen oder vorschnellen Urteilen vorsichtig sein.
Andererseits ist die Interessenlage Jugoslawiens sowie des nahen und fernen Auslands nicht gerade förderlich für den notwendigen Friedensprozeß. Es gibt eine Renaissance des Nationalismus, dokumentiert durch die letzte Wahl in Serbien. Zudem beschränkt auch der übergroße Teil der Opposition in Belgrad die Forderung nach Demokratie auf das Kernterritorium von Serbien und ist sehr restriktiv, wenn es um die Interessen der Kosovo-Albaner und deren Selbstbestimmungsrecht geht.
Dazu kommt, daß das Land Albanien, das bisher immer als Advokat der Kosovo-Albaner aufgetreten ist, in bezug auf seinen Einfluß marginalisiert wurde. Albanien kämpft um seine eigene Staatlichkeit und um seine Konsolidierung und kann keinesfalls ein Main player bei der Begrenzung dieses Konfliktes sein.
Auch der Nachbarstaat Mazedonien kann diese Rolle nicht spielen. Die ethnischen Spannungen zwischen dem albanischen Bevölkerungsanteil und der mazedonischen Mehrheit - sichtbar an dem absurden Flaggenstreit, der sich hier abgespielt hat - führen in Skopje zu großen Vorbehalten gegenüber einem unabhängigen Kosovo und zu einem sinkenden Interesse an einer Konfliktlösung, die dem Kosovo sehr viel mehr Autonomie zugestehen würde.
Schließlich beobachten wir auch eine gewisse Lustlosigkeit in der Europäischen Union, der OSZE und den USA, weil die bisherigen Vermittlungsversuche alle erfolglos geblieben sind. Madeleine Albright schwenkte sogar auf Belgrader Positionen ein, auch wenn die Aufhebung des äußeren Rings der Sanktionen von der Aufhebung der Repressionen auf Belgrader Seite abhängig gemacht wird.
Angesichts dieser ausgesprochen schwierigen Situation sind intelligente Lösungsansätze gefragt. Zu diesen intelligenten Lösungsansätzen gehören nicht Visionen, die mit dem Wort „groß" beginnen, seien es nun großserbische, großalbanische oder andere großnationale Träume. Es darf auf dem Balkan zu keiner weiteren Grenzziehung durch Blutvergießen kommen.
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Auch die verständliche Forderung der Kosovo-Albaner nach Sezession bedeutet die Inkaufnahme von Gewalt. Denn Belgrads Liebe zum Kosovo ist nicht nur durch die irrationale Reflexion auf die Schlacht, die dort 1389 stattgefunden hat, sondern auch durch den Rohstoffreichtum des Amselfeldes selbst begründet.
Meine Damen und Herren, ich frage mich: Was spricht gegen einen Kosovo, der föderal mit Montenegro und Serbien verbunden ist, in dem die Menschenrechte geachtet und eine weitreichende Selbstbestimmung gewährleistet wird? Was spricht gegen einen Kosovo, in dem die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Rechte von Albanern und Serben gleichermaßen garantiert sind? Was spricht gegen einen Kosovo, in dem zum Beispiel den Serben ein Minderheitenstatus garantiert wird, wie er in jedem anderen zivilisierten europäischen Land möglich ist? Im wesentlichen spricht dagegen doch nur das Mißtrauen auf beiden Seiten, das nur durch internationale Garantien abgebaut werden kann.
Eine wesentliche Chance für eine Bewegung in Richtung auf einen Friedensprozeß wurde im April dieses Jahres in New York vertan. Zajedno- und KosovoVertreter konnten sich nicht über die Teilnahme der Albaner an den Wahlen einigen, um Herrn Milošević abzulösen und im Gegenzug zu erreichen, daß nach einer veränderten politischen Situation in Belgrad über eine Lösung im Sinne eines verbesserten, wie auch immer gearteten Autonomiestatus diskutiert wird.
Meine Damen und Herren, wir sind nicht nur ohnmächtig - Herr Kollege Francke hat darauf hingewiesen -, wir haben auch Hebel. Belgrad ist daran interessiert, nach Europa zurückzukehren. Belgrad ist an Krediten und dem Zugang zu den europäischen Märkten interessiert. Das heißt, wir haben Mittel, die Zulassung von Beobachtern zu erzwingen und in Belgrad darauf zu dringen, daß eine Vertretung der Europäischen Union in Pristina gestattet wird. Wir müssen darauf dringen, eine paritätische Kommission in Belgrad und in Pristina zu installieren, um Verletzungen des Rückführungsabkommens vom Oktober 1996 auszuschließen.
Schließlich, denke ich, sollte sich auch die Europäische Union bemühen, ein „window of opportunity" aufzutun, wenn sich denn eine Chance dazu zeigt. Bei diesem Konflikt sollten wir Europäer den Beweis antreten, daß wir dieses Mal geschlossen den festen Willen haben, der anachronistischen Selbstzerstörung der Balkanvölker entgegenzutreten. Ein erwachsenes Europa sollte auch ohne den amerikanischen Lehrmeister in der Lage sein, den Kosovo-Konflikt zu entschärfen. Dazu sollte der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag einen bescheidenen Beitrag leisten.
Ich bedanke mich.
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Nun spricht der Kollege Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren - und auch heute wieder - kritisieren wir die Verletzung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechtes der Kosovo-Albaner und würdigen zu Recht ihren gewaltlosen Widerstand. Aber die politischen Konsequenzen bleiben aus. Denn wo ernsthaft den Gefahren des Krisenherdes Kosovo begegnet werden müßte, bleiben die Forderungen halbherzig, bleibt die praktische Politik der Bundesregierung widersprüchlich. Auf Dauer stabilisiert diese Politik sogar das Milošević-Regime. Die serbische Regierung fühlt sich sicher genug, die Unterdrückung der Albaner im Kosovo, unbeeindruckt von allen Resolutionen - von denen des Bundestages sowieso -, fortzusetzen.
Schon im Text des gemeinsamen Antrags der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD lassen sich Gründe dafür ablesen. Ich möchte nur ein Beispiel bringen: In diesem Antrag wird davon ausgegangen, daß das vor mehr als einem Jahr geschlossene Abkommen über das Erziehungswesen - ich zitiere - „rasch umgesetzt" wird. Wie sieht es aber tatsächlich aus? Tatsächlich haben auf Druck der USA neuerliche Verhandlungen über die Umsetzung stattgefunden. Aber was ist das Ergebnis? Die serbische Seite weigert sich, jegliche Terminierung zu akzeptieren, und fordert statt dessen die Unterwerfung der Kosovo-Albaner unter die serbischen Lehrprogramme. Gleichzeitig demonstrieren die albanischen Studenten in Pristina und werden dafür - so jedenfalls am 1. Oktober - zu Hunderten von der serbischen Polizei verhaftet und mißhandelt.
Das Hauptinteresse der Bundesregierung gegenüber Serbien gilt allerdings der Abschiebung der überwiegend albanischen Flüchtlinge. Entgegen dem Wortlaut des Rückführungsabkommens werden die Menschenrechte abgeschobener Albaner nach ihrer Rückkehr nachweislich massiv verletzt. Es handelt sich keineswegs nur um Einzelfälle, wie die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion behauptet. Das Diakonische Werk Württemberg hat allein für den Zeitpunkt bis Mitte Juni 1997 54 belegte Fälle dargestellt, und auch diese sind nur Beispiele. Andere Menschenrechtsorganisationen haben weitere Beispiele in ähnlicher Größenordnung gesammelt. Es gibt aber offensichtlich kein Interesse der Bundesregierung an den Folgen der Abschiebung für die Betroffenen, und es gibt auch keinen wirksamen Druck auf die jugoslawische Regierung zur Respektierung internationaler Standards - ganz zu schweigen von Verbesserungen der Lage im Kosovo - und damit zur Bekämpfung der Fluchtursachen.
Das Rückführungsabkommen selbst und erst recht seine Umsetzung zeigen einmal mehr, daß die Prioritäten deutscher Regierungspolitik nicht in der Krisenprävention liegen, sondern in populistischer Bedienung von Stammtischparolen.
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Wie sonst wäre zu erklären, daß die Bundesregierung ausdrücklich, auch in der Antwort auf die genannte Kleine Anfrage, die Wiederzulassung der OSZE-Langzeitmission im Kosovo gegenüber der Umsetzung des Rückführungsabkommens als nicht dringlich ansieht? Die Antwort stammt vom BMI, wohlgemerkt.
Das Rückführungsabkommen zu begrüßen - wie es im Antrag von Koalition und SPD geschieht - halte ich für der Situation unangemessen und für die Lösung der Krise im Kosovo kontraproduktiv.
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Es gibt deutliche Hinweise darauf - das wurde auch schon von anderen Kollegen gesagt -, daß der Konflikt im Kosovo eskaliert. Ein Indiz dafür ist, daß die Studenten angesichts der Ergebnislosigkeit der Verhandlungen mit der serbischen Seite inzwischen nicht mehr bereit sind, die eigenen albanischen Verhandlungsführer zu akzeptieren, zu denen immerhin ein Stellvertreter Rugovas gehört. Mit anderen Worten: Der bisherige gewaltlose Widerstand wird als erGerd Poppe
folglos erlebt und deshalb zunehmend in Frage gestellt. Militante Kräfte bis hin zu terroristischen Gruppen gewinnen an Boden.
Dafür mitverantwortlich ist die Tatenlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. So begrüßenswert die jetzt endlich beschlossene Einrichtung - das haben wir ja auch vor einem Jahr schon vorgeschlagen - eines Büros der Europäischen Union in Prishtina ist - sie ist zunächst nicht mehr als eine Geste und genügt angesichts der zugespitzten Lage längst nicht mehr.
Der Fall Kosovo ist eines von vielen Beispielen für zu schwache und zu späte Reaktionen der europäischen Regierungen, wie schon einmal gegenüber dem nationalistischen Milosevic-Regime. Wieder einmal droht die Gefahr,
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
- daß sie erst dann ernsthaft reagieren, wenn die Krise zum Krieg oder Bürgerkrieg wird, als hätten sie aus dem Krieg in Bosnien nichts gelernt.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ulrich Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute zum zweitenmal in diesen Abendstunden, daß die Bundesregierung attackiert wird, weil sie in Krisensituationen angeblich zuwenig tut. Meine Damen und Herren, wir müssen uns mal die Frage stellen: Was kann man denn tun? Sicher ist es schön, wenn man sagt: Hier muß die Staatengemeinschaft endlich aktiv werden. Aber in dem einen wie in dem anderen Falle stelle ich mal die Frage: Wollen Sie da eigentlich die Bundeswehr hinschicken?
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Wenn Sie die Bundeswehr dahin schicken wollen, dann würde ich an Ihrer Stelle von dem Vorschlag absehen, sie aufzulösen oder nach Hause zu schikken.
Sie machen es sich doch alle viel zu einfach; denn gegen den Willen der Beteiligten - das ist in Algerien so, das ist im Kosovo so - können Sie einen Konflikt nicht lösen. Bedauerlicherweise ist es so, daß die Beteiligten offensichtlich nicht wollen.
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Ich erinnere daran, daß das ganze Drama Jugoslawien mit dem Kosovo begonnen hat, nämlich als seinerzeit die serbische Regierung die Autonomie vom Kosovo und von Vojvodina aufgelöst hat. Das erste Mal, daß wir uns hier in Bonn mit dem Problem ernsthaft beschäftigt haben, war, als das KSZE-Komitee von Helsinki - Frau Renger, Leni Fischer und andere - Herrn Rugova und andere Vertreter der Kosovo-Albaner hier empfangen hat. Seither ist der Gesprächsfaden nicht abgerissen.
Leider ist die Situation aber nicht besser geworden. Sie ist vielmehr eskaliert, und zwar durch Zutun beider Seiten. Serbien hat nicht daran gedacht, die Autonomie wiederherzustellen. Serbien hat im Kosovo vielmehr eine brutale Verfolgungs- und Unterdrückungspolitik entfesselt. Leider hat das auch die andere Seite, nämlich die Kosovo-Albaner, in eine Radikalität getrieben.
Als wir im Jahre 1991 in Belgrad mit Herrn Rugova gesprochen haben, habe ich ihm die Frage gestellt: Denken Sie daran, irgendwann den Anschluß des Kosovo an Albanien zu fordern, vorausgesetzt daß - aus damaliger Sicht - sich die Situation in Albanien verbessert? - Das war vorübergehend ja der Fall. - Darauf hat er gesagt: Nein, wir denken überhaupt nicht daran. Wir wollen innerhalb des serbischen Staatenverbundes bleiben.
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Wir wollen nur unsere Autonomie wiederhaben. Wir wollen als Menschen und als nationale Minderheit geachtet und respektiert werden. Wir wollen uns entfalten können, unsere Sprache sprechen dürfen, unsere Zeitungen drucken und lesen dürfen usw.
Was ist gewesen? Das ist abgelehnt worden. Die Serben haben die Autonomie nicht wiederhergestellt. Seither besteht der Wunsch, sich Albanien anzuschließen. Man muß schon sagen: Die serbische Unterdrückung muß wirklich entsetzlich sein, wenn jemand auf die Idee kommt, sich diesem Albanien anschließen zu wollen. Das ist ein absolutes Trauerspiel.
Meine Damen und Herren, der Kollege Brecht hat völlig zu Recht gesagt: Die Lösung kann doch nicht darin liegen, daß wir an Grenzveränderungen denken.
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Das ist genau das falsche Rezept. Wenn wir überall, wo sich bestimmte Gruppen als eigene Nation definieren, die Grenzen verschieben wollten, dann könnten wir die ganze Welt im Blut versinken sehen - nicht nur in Europa, sondern insbesondere auch in Afrika und in anderen Regionen der Welt. Das heißt, das ist nicht das richtige Mittel.
Das einzige, was wir tun können, ist natürlich, auf Belgrad den uns zur Verfügung stehenden Druck auszuüben.
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Wir haben versucht, das in unserer Resolution zum Ausdruck zu bringen, indem wir gesagt haben: Der Weg nach Europa geht nicht ohne eine anständige Haltung im Kosovo, ohne dort die Menschen- und Minderheitenrechte zu respektieren. Sonst kommt ihr nicht nach Europa; sonst bekommt ihr auch keine Aufbauhilfe - aus! Mehr können wir kaum machen. Das heißt aber auch, daß wir auf Herrn Rugova und
auf andere im Grunde vernünftige Kräfte im Kosovo selbst einwirken, damit sie sich mäßigen.
Ich habe Herrn Rugova bei seinem Besuch vor wenigen Wochen hier in Bonn gefragt, warum erneut ein Boykott der Wahlen in Serbien ausgesprochen wurde. Ich habe gesagt: Es wäre doch viel besser, ihr würdet euch an den Wahlen beteiligen. Dann hättet ihr einige Abgeordnete in Belgrad im Parlament, und die könnten dann viel besser eure Interessen artikulieren, als wenn ihr sagt: Wir machen nicht mit. Genauso habe ich noch einmal gesagt, daß ich die Politik, eine Abspaltung des Kosovo und eine Vereinigung mit Albanien zu erreichen, für abenteuerlich halte.
Die Situation ist traurig. Es ist in später Stunde das zweite höchst unerfreuliche Thema. Ich weise den Vorwurf zurück, daß die Bundesregierung hier untätig sei. Wir tun, was wir können. Die Bundesregierung tut dies, und wir als Parlament tun es.
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- Herr Lippelt, meine Redezeit ist zu Ende. Ich möchte den Präsidenten, insbesondere diesen Präsidenten, nicht erzürnen. Aus diesem Grunde komme ich zum Schluß. Wir können uns nachher noch bilateral verständigen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. - Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Willibald Jacob das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni 1997 habe ich auf der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz erlebt, wie unversöhnlich sich orthodoxe und katholische Christen aus dem Kosovo gegenüberstanden. Drei Minuten reichen nicht aus, die ganze Tragweite der heutigen Situation des Kosovo zu beschreiben. Ich stimme dem Kollegen Brecht zu, der sagt: Wir sind überfordert, und mancher ist müde. - Dennoch ist es nötig, sich aufzuraffen. Ich will dies mit drei Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen tun.
Erstens. Kosovo war schon immer eines der größten Probleme in Jugoslawien. Hier begann eigentlich der Zerfall Tito-Jugoslawiens. Repressive serbische Politik hat maßgeblich dazu beigetragen. Nur bestimmten Umständen ist es zu verdanken, daß der Funke des jugoslawischen Krieges nicht auch auf den Kosovo übergriff. Hier verdient die Haltung der albanischen Bevölkerung des Kosovo Respekt. Hier spitzt sich die Lage erneut zu, und die Gefahr wächst, daß in Zukunft ein neuer Konflikt in Südosteuropa offen ausbricht, der mit Sicherheit auf andere Balkanstaaten übergreifen würde. Über diese Beurteilung der Lage besteht in diesem Haus offensichtlich weitgehend Übereinstimmung.
Die PDS könnte manchen Aussagen und Schlußfolgerungen der beiden Anträge zustimmen. Auch wir sehen in der Unterzeichnung der Vereinbarung über das Bildungswesen im Kosovo und in den unter Vermittlung der Gemeinschaft San Egidio geführten Gesprächen hoffnungsvolle Zeichen.
Zweitens. Nach Lage der Dinge ist das Hauptproblem die Beantwortung der Frage: Wie ist erreichbar, daß von dieser Region keine internationale Destabilisierung, keine Gefahren für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, darunter auch für die Bundesrepublik, ausgehen? Eine Politik einer alle umfassenden Kooperation ist notwendig. Vergleiche hinken zwar immer, aber dennoch möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik diese Kooperation mit dem früheren Jugoslawien bis in die 80er Jahre im wesentlichen durch Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit, durch die Aufnahme von Millionen von Gastarbeitern, durch die Förderung des Tourismus usw. gesucht hat. Die Bundesrepublik und das damalige Jugoslawien sind gut dabei gefahren.
Natürlich hat sich die Lage heute erheblich verändert, besonders tiefgreifend in bezug auf den Kosovo. Aber grundsätzlich gilt, daß es um die Friedenswahrung und den Beitrag zur generellen Stabilisierung der Region gehen muß. Dies sollte unter Einsatz politischer, wirtschaftlicher und geistiger Ressourcen im Interesse eines zusammenwachsenden Europas geschehen, ausgerichtet auf die Schaffung einer möglichst kooperativ und integrativ verbundenen Region.
Hierzu enthalten beide Anträge durchaus unterstützenswerte Forderungen, aber sie sind - gemessen am Ziel - keineswegs ausreichend. Beide Anträge beantworten diese Frage einseitig. Sie wollen die Wahrung der politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte der albanischen Bevölkerung. Die Verhandlungen darüber müssen unbedingt weitergeführt werden. Das Ziel aber muß sein, diese Rechte für alle Ethnien, also auch für die serbische Bevölkerung, zu wahren. Dafür sollte sich die Bundesregierung aktiv einsetzen, in ihren bilateralen Beziehungen sowie in den internationalen Organisationen.
Drittens. Der gemeinsame Antrag von Koalition und SPD setzt im besonderen auf das Rückübernahmeabkommen und seine zügige Realisierung.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Im Klartext heißt das doch schnellere Abschiebungen von Flüchtlingen und weitere Restriktionen im Sinne des Innenministeriums. Die PDS kann das nicht gutheißen. Deshalb bitten wir darum, im Interesse der Stabilisierung die Rückführungen nicht durchzuführen.
Wir werden aus den genannten Gründen den gemeinsamen Antrag von Koalition und SPD ablehnen und uns beim Antrag von Bündnis 90/Die Grünen der Stimme enthalten.
Danke sehr.
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Dann gebe ich für die Bundesregierung Herrn Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den interfraktionellen Antrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD zur Lage der Albaner im Kosovo, weil wir glauben, daß dies ein wichtiges Signal zum richtigen Zeitpunkt ist.
Wir haben - das ist in der Debatte zum Ausdruck gekommen - in den letzten Wochen und Monaten beobachtet, wie sich die Lage im Kosovo weiter verschlechtert, die Repression der serbischen Behörden unverändert anhält, Terroranschläge - zum Teil ungeklärter Urheberschaft - das Klima anheizen.
Die Ungeduld in der albanischen Bevölkerung, gerade auch unter den jungen Kosovo-Albanern, wächst. Es gab gestern wieder Demonstrationen, allerdings nach den Berichten unserer Botschaft dort Gott sei Dank - zumindest in Pristina - ohne Gewalt. Wir haben außerdem festzustellen - das ist natürlich sehr beängstigend -, daß zwischen Belgrad und dem Kosovo derzeit Sprachlosigkeit herrscht.
Die Haltung Belgrads - ich glaube, das ist die einvernehmliche Meinung des Deutschen Bundestages -, die Kosovo-Frage als eine innere Angelegenheit der Bundesrepublik Jugoslawien zu betrachten, können wir nicht akzeptieren.
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Die Stabilität der gesamten Region - so sagt es Ihr Antrag völlig richtig - steht im Kosovo auf dem Spiel. Wir wollen nicht, daß sich Bosnien im südlichen Balkan wiederholt, und deshalb müssen wir - dazu trägt auch diese Debatte bei - das Scheinwerferlicht der internationalen Öffentlichkeit wieder auf den Kosovo richten. Entscheidend ist, daß wir mit internationaler Unterstützung einen Verhandlungsprozeß in Gang setzen.
Herr Poppe, übernehmen Sie sich nicht, wenn Sie immer davon reden, daß diese Bundesregierung sozusagen die Probleme dieser Welt nicht löse? - Allein werden wir das, wie Sie nach Ihren vielen Reisen weltweit wissen müßten, nicht schaffen. Wir brauchen internationale Zusammenarbeit bei der Lösung so schwieriger Fragen.
Die im Antrag zu Recht gewürdigte Vereinbarung über das Erziehungswesen im Kosovo, das die Unterschrift von Milošević und von Rugova trägt, muß endlich in die Tat umgesetzt werden. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Fortsetzung der Vermittlung durch die Gemeinschaft San Egidio.
Wir sehen, daß kosovo-albanische Schüler und Studenten demonstrieren, weil dieses Erziehungsabkommen, das ja in sich gut ist, Makulatur geblieben ist. Deshalb müssen wir - das tue ich hier für die Bundesregierung - an die Regierung in Belgrad appellieren, aber auch an die Besonnenheit der Verantwortlichen im Kosovo, nichts zu tun, was zu einer Eskalation von Gewalt führen könnte.
Wir wissen, daß für die Kosovo-Albaner die Statusfrage im Mittelpunkt steht. Diese Frage darf aber nach unserer Auffassung dem Beginn eines vertrauensbildenden Dialogs nicht im Wege stehen. Der Bundesaußenminister hat die kosovo-albanische Führung deshalb zur Fortsetzung einer maßvollen und gewaltfreien Politik ermutigt, aber gleichzeitig bekräftigt, daß die internationale Staatengemeinschaft die Forderung nach Unabhängigkeit des Kosovo nicht unterstützen kann.
Nun noch zum Thema Rückführung: Ich darf hier sagen, daß von den 120000 ausreisepflichtigen jugoslawischen Staatsangehörigen, von denen gut drei Viertel Kosovo-Albaner sein dürften, inzwischen - das deutsch-jugoslawische Rückübernahmeabkommen wird seit dem 1. Dezember 1996 angewandt -2300 jugoslawische Staatsangehörige in die Bundesrepublik Jugoslawien rückgeführt wurden.
Auch Herr Rugova hat sich gegenüber Bundesminister Kinkel für die Rückführung seiner Landsleute in den Kosovo ausgesprochen, sofern die Rückführung nicht überstürzt, sondern in kleinen Schritten erfolge. Ich meine, diese Zahl spricht für sich und entspricht auch dem, was Herr Rugova uns gesagt hat.
Das Rückübernahmeabkommen garantiert die Achtung der Menschenrechte bei der Rückführung der betroffenen Personen. Ich betone hier noch einmal, Herr Kollege Lippelt, daß die Bundesregierung jedem Fall nachgeht, in dem Menschenrechtsverletzungen geltend gemacht werden, und daß sie auf die wenigen belegten Fälle von Übergriffen mit außerordentlich scharfen Protesten reagiert hat.
Auch die Europäische Union verfolgt die Lage im Kosovo sehr genau. Auf Initiative von Bundesminister Kinkel hat der Allgemeine Rat am 15. September den Auftrag zur Erarbeitung einer Kosovo-Strategie erteilt.
Herr Kollege Schäfer, zwei Kollegen haben sich zu Zwischenfragen gemeldet.
Ich bitte, diesen Gedanken noch zu Ende führen zu dürfen, da er sonst zerrissen wird.
Dazu müssen aus unserer Sicht insbesondere folgende Elemente gehören: Eröffnung einer Repräsentanz der Europäischen Union im Kosovo, Rückkehr der OSZE-Langzeitmission, Unterstützung für die Vereinbarung über das Bildungswesen und Unterstützung für den Beginn eines echten Dialogs zwischen Belgrad und den Albanern in Kosovo.
Belgrad muß wissen - ich sage das hier in aller Deutlichkeit -: Erstens. Durch Verzögerungstaktik kann das Kosovo-Problem nicht gelöst werden. Zweitens. Ohne Fortschritte in der Kosovo-Frage wird es
auch keine substantiellen Fortschritte in den Beziehungen Belgrads zur Europäischen Union geben; das hat Herr Kollege Irmer sehr deutlich gesagt.
Herr Präsident, ich bin jetzt gern bereit, die beiden Fragen zu beantworten.
Die erste Frage stellt Herr Kollege Poppe.
Herr Staatsminister Schäfer, Sie sagten, die Bundesregierung verfolge alle Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen bei abgeschobenen Albanern. Wir haben eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die vom BMI beantwortet worden ist, und ich frage Sie, wie Sie folgende Aussage interpretieren. Auf eine Frage von uns wird gesagt:
Nur in wenigen Einzelfällen konnten Menschenrechtsverletzungen belegt werden.
An anderer Stelle ist von fünf Fällen die Rede. - Eine andere Frage lautete:
Sind der Bundesregierung die Recherchen der Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl" bekannt, die von September 1996 bis März 1997 zirka 40 Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch serbische Polizisten an Rückkehrern dokumentiert hat?
Darauf antwortete das Bundesministerium des Innern sehr lapidar und pauschal:
Diese Publikation hat die Organisation „Pro Asyl" nicht an das Auswärtige Amt herangetragen.
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Nun frage ich Sie, ob man dann wirklich sagen kann, daß die Bundesregierung jedem Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen nachgeht.
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, ich kann nur sagen: Wenn uns - egal, ob dem Auswärtigen Amt oder wem auch immer in der Bundesregierung - Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen bei Menschen gegeben werden, die aus Deutschland auf Grund des Abkommens zurückgeführt worden sind, gehen wir diesen Fällen nach. Wir müssen uns dann natürlich im wesentlichen auf unsere Dienststellen konzentrieren. Ich habe Ihnen gerade eben in meiner Rede gesagt, daß wir in einzelnen belegten Fällen mit außerordentlich scharfen Protesten reagiert haben. Also, das wird beobachtet.
Zu einer weiteren Frage Herr Kollege Dr. Brecht.
Herr Staatsminister, könnten Sie an dieser Stelle die Zusage machen, daß die Bundesregierung im Prinzip bereit ist, der Einsetzung einer paritätisch zusammengesetzten Kommission in Pristina und Belgrad näherzutreten, um nicht nur den Wahrheitsgehalt von Folterbehauptungen zu prüfen, sondern um auch tatsächlich den Schutz für die Betroffenen sicherzustellen?
Wir sind für jeden vernünftigen und durchsetzbaren Vorschlag dankbar. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen, Herr Brecht, darüber zu reden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Der interfraktionelle Antrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD spiegelt den breiten Konsens des Bundestages zur Lage im Kosovo wider. Die Bundesregierung fühlt sich dadurch ermutigt, ihre bisherige Politik in Sachen Kosovo fortzusetzen. Wir müssen und werden dies auch in enger Abstimmung mit der internationalen Staatengemeinschaft, mit der Europäischen Union und natürlich auch mit den Vereinigten Staaten tun. Wir sind uns darüber im klaren, daß weitere Krisenherde auf dem Balkan enorme Gefährdungen für die gesamte europäische Sicherheitslage bedeuten.
Ich danke Ihnen.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Lage der Kosovo-Albaner, Drucksache 13/ 8563 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5705 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Lage der Albaner im Kosovo, Drucksache 13/8563 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5752 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung, den Antrag abzulehnen, mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 a auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Brigitte Adler, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Rückstände von Tierarzneimitteln in Lebensmitteln
- Drucksachen 13/6596, 13/8372 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Die Reden der Kollegen Editha Limbach *), Dr. Wolfgang Wodarg, Ulrike Höfken, Ulrich Heinrich und Dr. Maleuda sowie - für die Bundesregierung - der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl sind zu Protokoll gegeben worden.**) Ich nehme an, daß dazu Einverständnis besteht.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 13/8805 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit
Auch hier ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
Die Reden von Dr. Wolf Bauer, Horst Schmidbauer, Marina Steindor, Dr. Dieter Thomae und Dr. Günther Maleuda sowie - für die Bundesregierung - der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl sind zu Protokoll gegeben worden. ***)
Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich die Aussprache.
*) Die Rede der Abgeordneten Editha Limbach wird im Protokoll der 201. Sitzung als Anlage abgedruckt.
* *) Anlage 2 ***) Anlage 3
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/8805 an den Ausschuß für Gesundheit vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Simone Probst und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Förderung von Forschung und Entwicklung in der Informationstechnik
- Drucksachen 13/7225, 13/8636-
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Auch hier ist für die Aussprache interfraktionell eine halbe Stunde vereinbart worden.
Die Reden der Kollegen Dr. Michael Meister, Jörg Tauss, Dr. Manuel Kiper, Dr. Karl-Hans Laermann, Wolfgang Bierstedt und - für die Bundesregierung - der Parlamentarischen Staatssekretärin Elke Wülfing sind ebenfalls zu Protokoll gegeben. -*)
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8857 federführend an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 31. Oktober 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.