Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/1/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung die Zustimmung der Bundesregierung zur Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages mitgeteilt. Das Wort zu dem einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Herr Werner Hoyer. Bitte schön, Sie haben das Wort.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat gestern zugestimmt, daß der Bundesminister des Auswärtigen morgen den Vertrag von Amsterdam für die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit seinen Kollegen aus den 14 übrigen Mitgliedstaaten unterzeichnet. Dieser Vertrag ist der erste große Schritt zur Umsetzung der Agenda 2000, mit der wir Europa zukunftsfähig machen wollen. Die dreifache politische Botschaft des Vertrages lautet: Erstens. Der Weg ist frei, ganz Europa durch die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Länder und Zyperns zu einer einzigen Zone der Stabilität und des Wohlstands zu machen. Zweitens. Der Amsterdamer Vertrag schärft das politische Profil der Europäischen Union. Er bringt einen spürbaren Zuwachs an Handlungsfähigkeit nach innen und außen. Drittens. Europa wird bürgernäher. Es geht ein auf die Sorgen seiner Bürger durch eine entschlossene Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Kriminalität und schafft eine verbesserte Grundlage für eine gemeinsame Sozialpolitik aller Mitgliedstaaten. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag gibt es in der Europapolitik trotz einiger Meinungsunterschiede in Einzelfragen grundsätzlich einen breiten Konsens, für den wir dankbar sind und den wir erhalten wollen. Die Bundesregierung hat die Ausschüsse des Bundestages und die Länder laufend über den Stand der Vertragsverhandlungen unterrichtet. Ein erheblicher Teil der Forderungen des Bundestages und der Bundesregierung konnte durchgesetzt werden. Es ist natürlich, daß sich am Ende einer so langen Verhandlungsrunde das Interesse aller auf die wenigen Punkte konzentriert, die noch strittig sind. Dabei wird leicht übersehen, was im Laufe dieser eineinhalb Jahre hat erreicht werden können, und das kann sich in der Tat sehen lassen. Die Bundesregierung wird nach der Unterzeichnung in Amsterdam umgehend das Ratifikationsverfahren einleiten. Wir wollen die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam so rasch wie möglich schaffen. Was bringt der neue Vertrag? Er bringt vor allem die dringend notwendige Stärkung der politischen Union. Deshalb muß dieser Vertrag jenseits der vielen Auseinandersetzungen über Details in der Abfolge der Verträge gesehen werden, beginnend mit dem von Rom über die Einheitliche Europäische Akte, den Vertrag von Maastricht bis hin zum Vertrag von Amsterdam, und das ist nicht der Endpunkt, sondern ein Startpunkt für die weitere Entwicklung des Integrationsprozesses in Europa. Herzstück des Amsterdamer Vertrages sind die Bestimmungen zu den Bereichen Inneres und Justiz sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Weite Bereiche der Innen- und Justizpolitik werden zu einer echten Gemeinschaftspolitik. Das ist ein Quantensprung für die europäische Integration, wie er vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Der Wirtschaftsraum Binnenmarkt, der bald auch Währungsraum sein wird, soll zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden. Dazu gehören auch die Integration von Schengen in. den EU-Prozeß, die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Europol wird mit operativen Befugnissen ausgestattet. Nach außen wird die Europäische Union sichtbarer und handlungsfähiger. Ein Generalsekretär wird der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Gesicht und Stimme geben. Die Entscheidungsverfahren werden gestrafft und Mehrheitsentscheidungen eingeführt. Zukünftig wird die Hürde für Blockademöglichkeiten sehr hoch sein. In Krisensituationen wird die Europäische Union künftig wirksamer handeln können. Humanitäre, friedenserhaltende und friedensschaffende Maßnahmen sind in den Vertrag aufgenommen worden. Die Perspektive einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union ist vorgezeichnet. Meine Damen und Herren, die Bürger wollen eine Union, die Probleme anpackt und löst. Dabei steht an erster Stelle die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Der Vertrag von Amsterdam enthält ein eigenes Kapitel zur Beschäftigung. Damit gibt es eine Grundlage für eine bessere Koordinierung der Wirtschaftsstrategien in Europa. Die Beschäftigungspolitik bleibt aber in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Verantwortung hierfür läßt sich mit keinem Vertragsartikel abschieben. Auch und besonders im Bereich Umwelt, Verbraucherschutz und Gesundheit enthält der Vertrag wichtige Neuerungen, die den Belangen der Bürger Rechnung tragen. Ein Wort zum Thema Subsidiarität - ein zentrales Strukturelement im Bauplan der Union und ein besonderes Anliegen der Länder, für das sich die Bundesregierung bei den Vertragsverhandlungen besonders eingesetzt hat. Subsidiarität hatte für uns in diesen Verhandlungen einen hohen Stellenwert. Dabei wissen wir, daß schon in der katholischen Soziallehre die Kehrseite der Subsidiarität die Solidarität ist. Wir haben unsere Partner in der Europäischen Union davon überzeugen können, daß wir, wenn wir von Subsidiarität sprechen, nicht von Renationalisierung von Gemeinschaftspolitiken oder einem Ausbrechen aus der Solidarität sprechen, sondern von Funktionsfähigkeit und Bürgernähe der Union. Meine Damen und Herren, die Reform der Institutionen wurde in Angriff genommen. Dies ist Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Union, auch für die Erweiterung. Dabei ist das Europäische Parlament der Gewinner dieser Regierungskonferenz. Der neue Vertrag baut die Mitentscheidungsbefugnisse erheblich aus. Der Vertrag bringt damit ein wichtiges Stück mehr Demokratie und Bürgernähe für Europa. Die Stellung des Kommissionspräsidenten wird gestärkt. Bei der Frage der Stimmengewichtung im Rat muß noch vor dem ersten Beitritt nachgearbeitet werden. Den hier noch offengebliebenen Fragen werden wir nicht ausweichen können. Stichwort: verstärkte Zusammenarbeit oder Flexibilität. Der Vertrag bietet künftig für eine Gruppe von Mitgliedstaaten die Möglichkeit, innerhalb der EU-Institutionen bei der Vertiefung der Integration voranzuschreiten. Mit der Verankerung dieses Prinzips hat die Europäische Union ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Sie hat die vertragsstrukturelle Grundlegung geliefert für weitere Erschließung von Integrationsfeldern auch dann, wenn nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union an einer solchen weiteren Entwicklung des Integrationsprozesses mitwirken können. Der Amsterdamer Vertrag ist eine neue wichtige Etappe im EU-Integrationsprozeß. Sicherlich: Wo 15 Regierungen an einem Tisch sitzen, müssen Kompromisse geschlossen werden. Aber insgesamt gibt uns der Erfolg recht. Vor 40 Jahren sagte Robert Schuman: Ein geeintes Europa entsteht nicht auf einen Schlag. Dazu braucht es viele Schritte. Der Vertrag von Amsterdam ist ein wichtiger.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Schönen Dank. Wir kommen jetzt zu den Fragen. Ich bitte, zunächst die Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Angemeldet ist der Abgeordnete Günter Gloser als erster Fragesteller. Bitte.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich frage Sie: Welche Vorschläge hat die Bundesregierung in der Zwischenzeit vor dem Hintergrund des von Ihnen zitierten neu eingefügten Beschäftigungskapitels und des im November stattfindenen Beschäftigungsgipfels in Luxemburg unterbreitet?

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Die Bundesregierung wird ihre Vorstellungen auf dem Beschäftigungsgipfel unterbreiten, insbesondere im Hinblick auf eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, insbesondere im Hinblick auf Pilotprojekte, mit denen wir eine Verbesserung und Zusammenführung der Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vereinbaren wollen, und auch im Hinblick auf das, was wir in Zukunft von der Europäischen Investitionsbank in diesem Zusammenhang erwarten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zweite Nachfrage. Bitte.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wann werden diese Vorschläge dem Parlament vorgelegt, Herr Staatsminister?

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Herr Kollege, Sie wissen, daß wir immer vor europäischen Räten wie auch vor den Sitzungen des allgemeinen Rates den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union vertrauensvoll informieren. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Sie werden im Verfahren der Entwicklung des Vertrages von Amsterdam, dieser eineinhalbjährigen Regierungskonferenz, sicherlich bemerkt haben, daß wir in voller Transparenz verhandeln und den Bundestag nicht im unklaren darüber lassen, was wir in Brüssel verhandeln.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt eine Nachfrage des Kollegen Meyer. Bitte.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem Sie erklärt haben, daß Sie die Vorschläge der Bundesregierung zur europäischen Beschäftigungspolitik auf dem bevorstehenden Beschäftigungsgipfel in Luxemburg vorlegen werden, möchte ich von Ihnen präzise wissen, wann Sie das Parlament - wie Sie wissen, ist das nach der Verfassung vorher notwendig - vor dem Beschäftigungsgipfel über diese Vorschläge informieren werden.

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Ich kann Ihnen keine Zeiten nennen. Es ist mir gegenwärtig überhaupt nicht geläufig, wann der Deutsche Bundestag oder der Ausschuß, der sich mit den Angelegenheiten der Europäischen Union befaßt, die Gelegenheit hat, diese Dinge zu diskutieren. Ich bin sicher, daß wir mit den zuständigen Gremien des Parlaments hierüber schnell eine Verständigung herbeiführen können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Nachfrage: Wie Sie wissen, Herr Staatsminister, gab es aus Bonn erhebliche Widerstände gegen das Beschäftigungskapitel überhaupt. Auch wissen Sie, daß wir erklärt haben, daß wir dem Amsterdamer Vertrag nur zustimmen würden, wenn es ein substantielles Beschäftigungskapitel gebe. Deshalb sind wir jetzt daran interessiert, zu erfahren, wie es weitergeht. Nachdem fast alle anderen Mitgliedsländer Vorschläge für den Beschäftigungsgipfel vorgelegt haben, frage ich Sie jetzt: Wie stehen Sie zu den französischen Vorschlägen, europäische Ausbildungsprogramme für junge Menschen im Bereich neuer Berufe zu entwickeln, die transeuropäischen Netze vorrangig mit Mitteln der europäischen Investitionsbank zu finanzieren und Steuerharmonisierung zur Vermeidung von arbeitsplatzgefährdenden Steuerdumpingversuchen voranzubringen?

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Zunächst, Herr Kollege, muß klargestellt werden, daß sich die Bundesrepublik in den Regierungsverhandlungen nicht gegen ein Beschäftigungskapitel ausgesprochen hat, sondern dagegen, daß in einem solchen Beschäftigungskapitel gegebenenfalls das Falsche drinsteht. Deswegen haben wir uns darum gekümmert und sind mit dem Ergebnis durchgekommen, daß die Verantwortlichkeit für die Beschäftigungspolitik nicht auf Europa abgeschoben wird, weil wir der Auffassung sind, daß selbst im Inland schon zuviel Verantwortlichkeit von den Tarifvertragsparteien auf die Politik abgeschoben wird. Dieser weitere Verschiebebahnhof ist von uns verhindert worden. Darüber sind wir froh. Das heißt aber nicht, daß wir etwas gegen eine verbesserte Koordinierung von Beschäftigungspolitiken hätten. Das hat auch nichts damit zu tun, daß wir etwas dagegen hätten, daß sich die Europäische Investitionsbank beschäftigungswirksam in diesen Prozeß einbringt. Erst recht sind wir nicht dagegen, daß wir uns gemeinsam darum bemühen, die strukturellen Rigiditäten unserer Volkswirtschaften abzubauen, die gegenwärtig dafür sorgen, daß wir so stark mit dem Problem der Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Was die konkreten französischen Vorschläge angeht, so haben wir mit den französischen Partnern über diese Fragen zunächst einmal in Weimar gesprochen. Es wird noch weitere französisch-deutsche Abstimmungen in dieser Frage geben. Ich erkenne hier eine ziemlich eindeutige Konvergenz, die ich nach der Entwicklung der letzten sechs Monate für sehr erfreulich halte. Eine formelle Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Vorschlägen und zu den Vorschlägen anderer Partner wird es unmittelbar im Vorfeld des Europäischen Rates von Luxemburg geben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Ratifikation des Amsterdamer Vertrages eine Änderung des Grundgesetzes für erforderlich?

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Die Bundesregierung wird ihre Einstellung zu den rechtsförmlichen Fragen vereinbaren, wenn dem Bundesrat das Ratifikationsgesetz zugeleitet wird. Das wird voraussichtlich in der nächsten Woche geschehen. Bis dahin wird die Bundesregierung ihre Position zu dieser Frage klargemacht haben. Ich persönlich sehe eine Notwendigkeit zu einer Grundgesetzänderung nicht. Alles Weitere kommt nächste Woche.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Noch eine Nachfrage.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielen Dank für Ihre persönliche Stellungnahme. Welche anderen Gesetze müßten im Zusammenhang mit der Ratifikation verändert oder neu erlassen werden?

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Auch darüber wird im Detail nächste Woche zu sprechen sein. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, daß es bei dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Anpassungsbedarf gibt. Aber das ist im Zusammenhang mit der Rechtsförmlichkeitsprüfung noch im Detail auszudefinieren. Ich denke, das werden wir nächste Woche machen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nun eine Nachfrage der Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, worin sehen Sie den besonderen Fortschritt des Vertrages von Amsterdam als erste Revision des Maastrichter Vertrages gerade in bezug auf die Übertragung von Kompetenzen und Zuständigkeiten in bestimmten Bereichen von den nationalen Mitgliedstaaten auf die Europäische Politische Union? Das heißt, in welchen Übertragungen von Kompetenzen und Zuständigkeiten sehen Sie in diesem Vertrag einen wesentlichen Fortschritt?

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Ich finde es schon wichtig, daß wir uns darüber klarwerden, daß wir insbesondere im Bereich der sogenannten dritten Säule eine Reihe von Herausforderungen nur bestehen können, wenn wir die Verantwortung hierfür in der Europäischen Union gemeinsam tragen. Das gilt für Fragen der Außengrenzenregelungen, der Visapolitik, für die Zollzusammenarbeit und weitere Themen, die in diesen Kontext hineingehören. Hier hat der Vertrag von Amsterdam große Fortschritte gebracht. Darüber hinaus ist auch klar, daß wir eine ganze Reihe von Fragen, in denen wir keine Vergemeinschaftung erreichen können, aber eine sehr viel bessere Koordinierung und Zusammenarbeit in Europa brauchen, auch Fortschritte machen. Das gilt insbesondere für die polizeiliche Zusammenarbeit und die Kriminalitätsbekämpfung. Ich denke, wir haben insofern mit dem Vertrag von Amsterdam einen großen Schritt hin zur politischen Union gemacht, nachdem der Maastrichter Vertrag insbesondere durch Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion gekennzeichnet war. Es muß einfach gesehen werden, daß die politische Union nur glaubwürdig wird, wenn sie das Thema der Solidarität nicht auf die wirtschaftliche und soziale Sphäre reduziert, sondern auch dort für den Bürger spürbar wird, wo er für sich selber gemeinsames Handeln für besonders wichtig hält, das heißt bei innerer und äußerer Sicherheit. Gerade auf dem Gebiet der inneren Sicherheit sind wesentliche Kompetenzübertragungen vollzogen worden. Ich halte das für richtig.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Noch eine Nachfrage?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. - Herr Staatsminister, teilen Sie bei dieser Bewertung der Ausgestaltung der politischen Union Europas die Auffassung der F.D.P.-Bundestagsfraktion, daß es zur Ratifikation einer Zweidrittelmehrheit bedürfte?

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Die klare Position der F.D.P.-Bundestagsfraktion, die Sie in dieser Frage mit ihren einvernehmlichen Beschlüssen bezogen hat, ist mir ja nicht unbekannt, wie Sie sich vorstellen können. Gleichwohl interessiert hier nicht meine persönliche Meinung - obwohl ich mir vorhin das Recht herausgenommen habe, meine persönliche Meinung zu äußern -, sondern Sie haben den Anspruch, die Meinung der Bundesregierung zu hören. Die Bundesregierung wird ihre Position in dieser Frage bis zur Einbringung des Ratifikationsgesetzes in der nächsten Woche klarstellen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Ich sehe jetzt keine weiteren Nachfragen zu dem angegebenen Thema „Amsterdamer Vertrag". Ist das richtig? - Dann frage ich Sie: Gibt es darüber hinaus weitere Fragen allgemeiner Art an die Bundesregierung? - Bitte, Herr Abgeordneter Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion, daß der Erfolg von Europol ganz wesentlich davon abhängt, daß die Kontroversen um das Immunitätenprotokoll bald beigelegt werden? Teilen Sie in diesem Zusammenhang die Auffassung, daß eine deutliche Zustimmung des ganzen Bundestages zum Immunitätenprotokoll durch ein Nachverhandeln der Ihnen sicher bekannten kritisierten Einzelregelungen sichergestellt werden könnte?

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Herr Kollege Professor Meyer, Sie können sich vorstellen, daß mir das Thema Europol außerordentlich ans Herz gewachsen ist. Ich hätte mir nie vorstellen können, als ich in die Regierungskonferenz als deutscher Verhandlungsführer eingestiegen bin, daß ich mich die Hälfte meiner Arbeitszeit mit Fragen der inneren Sicherheit befassen würde. In der Tat handelt es sich bei der Rolle von Europol um eine ganz zentrale Frage. Deswegen sind wir außerordentlich daran interessiert, Europol nicht nur vertragsgemäß weiterzuentwickeln und mit operativen Befugnissen auszustatten, sondern vor allen Dingen zunächst einmal die Europol-Konvention zu ratifizieren. Dazu gehört auch die Frage der Regelung der Immunitäten. Hierüber gibt es einen Streit im Deutschen Bundestag, den ich nur teilweise nachvollziehen kann - aber auch das ist wiederum meine persönliche Wertung. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, hier ein Höchstmaß an Einvernehmen zu erzielen, weil wir daran interessiert sind, die Europol-Konvention unter Dach und Fach zu bringen und Europol handlungsfähig zu machen. Rechtsförmliche Fragen gebe ich aber gerne an die zuständigen Ressorts weiter.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine weitere Nachfrage, bitte.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trotz dieses mentalen Vorbehalts vor der Beantwortung einer Frage, die ich jetzt zu stellen gedenke, will ich nachfragen, in der Annahme, daß Sie wissen, daß Europol seine Tätigkeit nach der Konvention erst aufnehmen kann, wenn die Immunitätenfrage rechtlich bindend geregelt ist: Sind Sie etwa der Auffassung, daß BedienDr. Jürgen Meyer ({0}) stete von Europol im Unterschied zu Angehörigen anderer nationaler Polizeibehörden für die Ausübung ihrer Tätigkeit Straffreiheit auch bei auf Dienstfahrten verursachten Verkehrsunfällen genießen müssen und daß diese Regelung über die Dienstzeit hinaus gelten sollte? Ist Ihnen ferner bewußt, daß noch nicht einmal die geltenden Bestimmungen des Datenstrafrechts für diese Datensammelstelle - jetzt kommt der vielleicht weiterzugebende Hinweis auf § 201 des Strafgesetzbuches - nach dem Immunitätenprotokoll klar und befriedigend geregelt sind?

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Herr Professor Meyer, wie käme ich dazu, Ihnen hier eine Rechtsauskunft zu erteilen? Das würde ich grundsätzlich auf Grund meiner Funktion schon nicht machen und erst recht nicht Ihnen gegenüber. - Von daher bin ich der Auffassung, daß wir solche Detailfragen in den entsprechenden Gremien des Deutschen Bundestages mit den entsprechenden Fachleuten diskutieren müssen. Auf jeden Fall muß klargestellt sein, daß wir eine Lösung für die Immunitätenfrage bei Europol, aber auch im Zusammenhang mit Angehörigen anderer internationaler Organisationen brauchen. Man muß das in diesem Zusammenhang sehen. Ich denke, man sollte an das Thema ziemlich besonnen herangehen, um den Angehörigen von Europol ihre Arbeit unter voller Wahrung der rechtsstaatlichen Prinzipien unseres Landes und der Europäischen Union zu ermöglichen und zu erleichtern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Reicht diese Auskunft, oder wollen noch andere Kolleginnen und Kollegen, darauf antworten? ({0}) Das scheint nicht der Fall zu sein. Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, und beende diese Befragung. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 13/8595 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb erschienen. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf: . Welche Konsequenzen zur Verringerung des Energieverbrauchs durch den Stand-by-Betrieb von Büro- und Unterhaltungselektronikgeräten wird die Bundesregierung aus der vom Umweltbundesamt vorgelegten Studie „Klimaschutz durch Minderung von Leerlaufverlusten bei Elektrogeräten - Sachstand/Projektionen/CO2-Minderungspotentiale" ziehen, insbesondere im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs dieser Geräte im Stand-by und im laufenden Betrieb analog dem Energieverbrauchkennzeichnungsgesetz ({1}) für Haushaltsgeräte?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Kubatschka, die von Ihnen angesprochene Studie zu Leerlaufverlusten bei Elektrogeräten, die im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellt worden ist, kommt im wesentlichen zu folgenden Schlußfolgerungen: 11 Prozent des Stromverbrauchs von Elektrogeräten in Haushalten und Büros werden in Deutschland durch Leerlaufverluste, also durch den sogenannten Stand-by-Betrieb, verursacht. Das dürfte etwa 1,5 Prozent der bundesdeutschen CO2-Emissionen entsprechen. Etwa ein Drittel dieser Verluste, also rund 0,5 Prozent der deutschen CO2-Emissionen, könnten nach Auffassung der Gutachter im Jahre 2005 vermieden werden, sofern künftig nur noch die energieeffizientesten Geräte gekauft werden. Es handelt sich mithin um ein nicht unbeachtliches, aber auch um ein nicht überzubewertendes Potential. Im Hinblick auf die anzustrebende Reduzierung der Leerlaufverluste - darauf zielt ja Ihre Frage - halten es die Gutachter in erster Linie für angebracht, daß private Verbraucher und Beschaffungsstellen in Unternehmen und Verwaltungen energiebewußte Kaufentscheidungen treffen und sich Händler und Hersteller um die Entwicklung und den Einsatz der besten verfügbaren Technik und um eine bessere Produktinformation bemühen. Eine wie in Ihrer Frage angesprochene gesetzliche Festlegung von Energieverbrauchszielwerten wird nur als eine unter verschiedenen Möglichkeiten erwogen. Die Bundesregierung teilt insgesamt die Auffassung der Gutachter, daß zur besseren Erschließung vorhandener Einsparpotentiale flexible Instrumente auf seiten der Hersteller und Verbraucher die beste Lösung sind. Wir unterstützen nachdrücklich die Bemühungen der Europäischen Kommission, bei der Reduzierung des Energieverbrauchs von Bürogeräten und von Geräten der Unterhaltungselektronik zu freiwilligen Vereinbarungen mit den Herstellern zu gelangen. Zu nennen ist dabei insbesondere das in jüngster Zeit zwischen der EU-Kommission und dem europäischen Herstellerverband abgeschlossene Abkommen über eine Absenkung der Stand-by-Verluste von TV- und Videogeräten bis zum Jahr 2000. Freiwillige Lösungen sind gegenüber ordnungsrechtlichen Anforderungen an Energieverbrauchswerte vorzuziehen, soweit durch ein nachvollziehbares Monitoringsystem nachgewiesen wird, daß vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Das von Ihnen angesprochene Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz ermächtigt den Verordnungsgeber überdies nur dann zur Festlegung von Kennzeichnungspflichten für Haushaltsgeräte, wenn dies zur Umsetzung von EU-Rechtsakten erforderlich ist. Richtlinien oder Richtlinienentwürfe der Kommission für die Einbeziehung von Bürogeräten und Unterhaltungselektronik liegen jedoch nicht vor. Ich möchte ferner noch darauf hinweisen, daß bereits heute im Rahmen des nationalen UmweltzeiParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb chens „Blauer Engel" umweltverträgliche Bürogeräte freiwillig gekennzeichnet werden. Dabei wird auch der Aspekt der Stand-by-Verluste berücksichtigt. Die Bundesregierung prüft im übrigen gegenwärtig, auf welchem Wege sie über die genannten Maßnahmen hinaus die verschiedenen Marktteilnehmer zu Maßnahmen der in der Studie angeregten Art ermutigen kann und wie sie die entsprechenden Initiativen gegebenenfalls flankieren kann.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage, bitte.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das heißt, daß die Bundesregierung, obwohl es um 1,5 Prozent des Kohlendioxidausstoßes in Deutschland geht - die Bundesregierung hat einmal ein Ziel von 25 Prozent Reduzierung bis zum Jahre 2005 gehabt, also eine ganze Menge -, nicht gesetzgeberisch tätig werden will.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Kubatschka, ich habe erstens deutlich gemacht: Es geht nicht um 1,5 Prozent, sondern man muß sehen, wie hoch das Einsparpotential ist. Das ist mit einem Drittel dieses Wertes benannt. Ich habe zum zweiten deutlich gemacht, daß wir freiwillige Vereinbarungen, Aufklärung von Verbrauchern und Gespräche mit den Herstellern für ebenso geeignet halten wie gesetzliche Maßnahmen, zumal das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz hier nicht zur Verfügung steht. Ich habe gesagt, freiwillige Vereinbarungen müssen durch ein Monitoringsystem begleitet werden, damit auch wirklich etwas geschieht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie dann nicht auch dahin gehend Handlungsbedarf, daß man die Energieverbrauchsetikettierungsrichtlinie der EU ausweitet?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Kubatschka, ich kann hier nicht für die Kommission der EU - oder an welche Gremien auch immer Sie hier denken - sprechen. Ich kann nur sagen, daß wir aus den eben genannten Gründen wahrscheinlich eine entsprechende Initiative nicht ergreifen werden, weil wir glauben, daß wir die Probleme hier auch mit freiwilligen Maßnahmen in den Griff bekommen können. Ich weiß nicht, ob es entsprechende Initiativen in anderen EU-Partnerstaaten geben wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir verlassen damit diesen Geschäftsbereich. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Frage 2 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen 3 und 4 werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation auf. Die Fragen 5 und 6 werden wiederum schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Die Fragen 7 und 8 werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Die Frage 9 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 10 auf: Welche Gründe haben das Bundesministerium des Innern dazu bewogen, im Juni 1996 mit einem Erlaß die restriktive Abgabepraxis von Polizeivollzugsbeamten bzw. Polizeivollzugsbeamtinnen ({0}) des Bundesgrenzschutzes ({1}) dahin gehend zu lockern, daß künftig jährlich bis zu 10 PVB in den Polizeivollzugsdienst der Länder versetzt werden können? Beantworten wird die Frage der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Carstens.

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Mit der deutschen Wiedervereinigung, der Auflösung des Warschauer Paktes und der Schaffung des Schengen-Raumes hat sich das Aufgabenprofil des BGS entscheidend verändert. Insbesondere sind ihm weitere Aufgaben in den Feldern der Bahnpolizei und Luftsicherheit übertragen worden. Zur Bewältigung dieser Aufgaben waren alle BGS-Beamten gefordert. Unter diesem funktionalen Aspekt wurde die Abgabe von Polizeivollzugsbeamten des BGS an die Landespolizeien vorübergehend eingeschränkt. Zwischenzeitlich ist die Personallage des BGS ausgeglichen, so daß ohne Beeinträchtigung seiner Aufgabenerfüllung die bisherige restriktive Freigabepraxis etwas gelockert werden konnte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage, bitte.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in der schriftlich vorliegenden Frage liegt wohl ein Übermittlungsfehler hinsichtlich des Zeitpunktes des Bezugserlasses vor. Hier steht „Juni 1996". Ich glaube aber, mich erinnern zu können - zumindest geht das aus dem mir vorliegenden Protokoll hervor -, daß es „Juni 1997" heißen muß. Seit Juni 1997 ist es nunmehr möglich, bis zu zehn Polizeivollzugsbeamte oder PolizeivollzugsbeamtinWolfgang Ilte nen vom Bundesgrenzschutz in den Polizeidienst der Länder zu überstellen. Bezieht sich diese Zahl von zehn Polizeivollzugsbeamten oder Polizeivollzugsbeamtinnen auf den gesamten Bundesgrenzschutz oder nur auf das Bundesgrenzschutzpräsidium Süd, von dem mir das Protokoll vorliegt?

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Es ist so, daß dies für jedes Grenzschutzpräsidium die Abgabe von zehn Stellen bedeutet. Wir haben fünf Präsidien. Das heißt also, es umfaßt insgesamt 50 Stellen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wenn das jetzt klar ist, dann möchte ich Sie fragen, ob Sie noch eine Nachfrage zu Frage 10 stellen wollen. - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich jetzt die Frage 11, ebenfalls vom Abgeordneten Wolfgang Ilte gestellt, auf. Hält es das Bundesministerium des Innern mit Blick auf das Neustrukturierungskonzept des Bundesgrenzschutzes möglicherweise für angezeigt, die geltende Abgabepraxis dahin gehend weiter zu lockern, daß nicht nur nicht ausräumbare, besondere soziale Gründe für ein Versetzungsgesuch vorgebracht werden müssen, sondern auch den persönlichen Gründen der Antragsteller und Antragstellerinnen Rechnung getragen werden sollte?

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Das Bundesministerium des Innern wird die generelle Entwicklung im Zusammenhang mit der Neuorganisation des BGS sorgfältig beobachten und entsprechend dieser Entwicklung die Freigabe von Polizeivollzugsbeamten des BGS an die Landespolizeien einschränken oder erweitern. Im übrigen hängt die Freigabe von der Übernahmemöglichkeit bzw. Übernahmebereitschaft der Landespolizeien ab.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gesetzt den Fall, diese Übernahmebereitschaft der Landespolizeien würde vorliegen, würde es aus Sicht der Bundesregierung dann nicht doch Sinn machen, die Übergabepraxis dahin gehend zu ändern, - auf deutsch gesagt - mehr als zehn Polizeivollzugsbeamte zuzulassen und, wie in meiner Frage ausgeführt, nicht nur „nicht ausräumbare, besondere soziale Gründe", sondern möglicherweise auch persönliche Gründe der Polizeivollzugsbeamten als Grund für einen Wechsel zu akzeptieren?

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Diese Frage stellt sich nach einer gewissen Beobachtungszeit. Es wird jetzt neu strukturiert; der BGS gestaltet sich neu. Wir werden die Abgabepraxis erst einmal mit 50 Stellen angehen. Ich will nicht ausschließen, daß wir uns imstande sehen können, diese Praxis irgendwann wieder zu lockern. Aber wenn man eine gewisse Zeit abwarten will, um das Ergebnis zu überprüfen, sollte man nicht im voraus Prognosen stellen, wie das Ergebnis aussehen wird.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie eine Aussage darüber treffen, wann ungefähr der Zeitraum der Überprüfung abgeschlossen sein könnte?

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Wenn wir ein, zwei Jahre ins Land gehen lassen, dann wird das hinreichend genügen, um zu erkennen, wie die Entwicklung verläuft.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich danke dem Staatssekretär Carstens. Hinsichtlich der Fragen 12, 13, 14 und 15 wird ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch wird die Fragen beantworten. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Wolfgang Behrendt auf: Trifft es zu, daß für die Trassenführung des geplanten Transrapid zwischen Berlin und Hamburg im Bereich Berlin-Staaken jetzt der Bereich südlich der Bahnstrecke zwischen Berlin und Hannover vorgesehen wird, und inwieweit hat diese Neuplanung Auswirkungen auf die Bauarbeiten und den Inbetriebnahmetermin der ICE-Strecke Berlin-Hannover?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Herr Abgeordneter Behrendt, das Raumordnungsverfahren für die Magnetschwebebahn ist abgeschlossen. Es laufen jetzt die Beurteilungen der von den jeweiligen Landesregierungen aufgestellten Prüfungsforderungen. In diesem Bereich gibt es insbesondere die Forderung, noch einmal zu überprüfen, ob man die Beeinträchtigungen im Bereich des Wasserwerkes Staaken, also in dessen Brunnenbereich durch Verschiebung der Trasse in Richtung Süden und im Bereich der Siedlung Eichholzbahn, minimieren kann. Deshalb laufen zur Zeit die entsprechenden Untersuchungen, die Transrapidtrasse südlich der Hochgeschwindigkeitsbahngleise, des Stammgleises und des Gütergleises, zu verlegen. Wenn die Träger öffentlicher Belange diesen Vorstellungen, die dort jetzt angestellt werden, zustimmen, dann könnte das Transrapidgleis ab Wustermark südlich dieser genannten Gleise verlaufen. Die Frage zu den Auswirkungen auf den Inbetriebnahmetermin der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover - Berlin ist so zu beantworten, daß wir dort keinerlei zeitliche Auswirkungen haben werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie nachfragen? - Bitte.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie etwas über den zeitlichen Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für den Transrapid sagen? Als wie hoch würden Sie die Chance einschätzen, daß im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens möglicherweise eine ganz andere Trasse, nämlich über den Norden Berlins, gewählt wird?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Zunächst wird jetzt mit den Trägern der öffentlichen Belange der Weg geprüft, den ich beschrieben hatte, also ab Wustermark/Güterbahnhof und dann südlich des genannten Gleisbündels. Ich bin eigentlich davon überzeugt, daß wir mit diesem Trassenverlauf in das Planfeststellungsverfahren gehen können. Wenn nicht, dann ergeben sich neue Fragen. Die Planfeststellung wird in der Regel nach Vorlage der Unterlagen ein Jahr in Anspruch nehmen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß von der Planungsgesellschaft schon jetzt Verhandlungen mit Grundstückseigentümern geführt werden vor dem Hintergrund, daß letztlich noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist? Muß das nicht den Eindruck erwecken, als sei das weitere Planungsverfahren nur noch eine Farce, weil die Entscheidung schon feststeht?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Nein. Man muß im Vorfeld der Gespräche mit den Trägern der öffentlichen Belange vorlegen, wie die dann enstehenden Fragen gelöst werden können. Dabei geht es um Grundstückseigentümer, weitere Kreuzungen und ähnliches. Dies muß schon vorher geklärt werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage? - Bitte.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, wie der voraussichtliche Trassenverlauf - Sie haben ihn gerade beschrieben - vor Wustermark, speziell: in der Stadt Nauen, aussieht?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Der genaue Trassenverlauf liegt mir auf der Karte vor. Ich hoffe, daß ich das jetzt so schnell finde. Der Maßstab des Plans ist dafür eigentlich nicht geeignet; die ganze Strecke ist auf wenige Zentimeter zusammengedrückt. Ich kann das nicht mit hinreichender Genauigkeit ablesen. Wir können uns diesen Plan aber vielleicht anschließend gemeinsam ansehen; dann können wir uns etwas mehr Zeit dafür nehmen. Dies biete ich Ihnen an.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Sind Sie damit einverstanden?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Besten Dank.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Fragen 17 und 18 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich jetzt die Frage 19 des Abgeordneten Schauerte auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Lufthansa AG die Zusammenarbeit mit mittelständischen Reisebüros zugunsten der großen Reisebüroketten reduzieren will?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Herr Abgeordneter Schauerte, zu der von Ihnen aufgeworfenen Frage liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Aus Sicht des Bundesministeriums für Verkehr handelt es sich hierbei um rein privatrechtliche Beziehungen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie nachfragen?

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehen Sie denn die Möglichkeit, diese Fragen von der Bundesregierung über ihre Aufsichtsratsmitglieder in diesem Unternehmen, in dem wir nach wie vor einen bestimmenden Einfluß haben, klären zu lassen, und könnte dort eine Linie vertreten werden, die mittelständische Strukturen achtet und schützt und keinen Konzentrationsprozeß beschleunigt?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Über die Aufsichtsratsmitglieder ist das nach Ansicht der Bundesregierung nicht gut möglich, zumal wir uns im Moment in der Endphase der Privatisierung befinden. Ich glaube, die unternehmerischen Ziele legen uns im politischen Bereich eine gewisse Zurückhaltung auf. Ansonsten darf ich Sie daran erinnern, daß das Kartellamt einige Verfahren erfolgreich durchgeführt hat. Das hat verhindert, daß es eine beherrschende Stellung eines Luftfahrtunternehmens in Deutschland gibt.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß Aufsichtsratsmitglieder bei grundsätzlichen Entscheidungen der Unternehmen natürlich schon eine erhebliche Mitwirkungsmöglichkeit haben, daß zum Beispiel die Umsetzung der Grundidee, durchgängig ein mittelstandsfreundliches Verhalten sicherzustellen, von der Satzung und vom Recht her durchaus eine Angelegenheit des Aufsichtsrates ist und daß es deswegen auch geboten wäre, wenn die Bundesregierung dementsprechend mit ihren Aufsichtsratsmitgliedern spricht?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Herr Abgeordneter, es wird immer sehr streng abzuwägen sein, inwieweit eine solche Berücksichtigung im Interesse einer gesunden Wettbewerbssituation erfolgen kann oder inwieweit dadurch vielleicht unternehmerische Ziele beeinParl. Staatssekretär Johannes Nitsch trächtigt werden. Das muß sehr genau abgewogen werden. Im Prinzip gebe ich Ihnen recht, daß es, unter diesem Aspekt betrachtet, auch Interventionsmöglichkeiten der Aufsichtsratsmitglieder in diesen Fragen gibt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Schauerte, Sie haben jetzt schon zwei Nachfragen gestellt. Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob Ihre erste Antwort auch auf Frage 20 bezogen war oder nicht.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Im Prinzip überschneiden sich die beiden Fragen ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann rufe ich nachträglich die Frage 20 des Abgeordneten Schauerte auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Lufthansa AG den großen Reisebüroketten auf bestimmten Flugstrecken exklusive Sonderpreise einräumt, die diesen Ketten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den mittelständischen Reisevermittlern verschafften, und beabsichtigt die Bundesregierung, über ihre Vertreter im Aufsichtsrat hierauf Einfluß zu nehmen? Dann darf Herr Schauerte noch zwei Nachfragen stellen.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, daß Sie das so handhaben. Auch ich denke, daß die beiden Fragen eine Einheit bilden. Ich habe nur noch eine Nachfrage. Wenn wir in der Beurteilung, daß es solche Möglichkeiten gibt, übereinstimmen, habe ich jetzt noch die Frage, ob Sie denn bereit sind, die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat zu bitten, daß sie einmal prüfen, ob eine solche mittelstandsfreundliche Handhabung nicht geboten wäre.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Dazu bin ich durchaus in der Lage.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön, Herr Staatssekretär. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich müßte jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes aufrufen. Es ist mir gerade mitgeteilt worden, daß Herr Staatsminister Schäfer, der wie viele andere auf der Trauerfeier war, im Verkehrschaos steckengeblieben ist. Da die Kollegen, die die Fragen gestellt haben, anwesend sind, können wir es nicht so handhaben, daß wir von der Möglichkeit einer schriftlichen Beantwortung Gebrauch machen. Auch ein Vertreter des Bundesministeriums für Finanzen ist nicht da, so daß wir diesen Geschäftsbereich auch nicht vorziehen können. Somit bleibt mir nur, die Sitzung zu unterbrechen, bis Vertreter der Bundesregierung anwesend sind. ({0}) - Nein, die betreffenden Personen sind bei der Trauerfeier gewesen. Von daher sind sie mit Recht entschuldigt. Wir können sie jetzt auch nicht herbeizitieren. Ich werde jetzt die Sitzung so lange unterbrechen - es kann sich ja nur um ein paar Minuten handeln -, bis sie hier eintreffen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Da wir mit der Fragestunde schneller als vorgesehen durchkommen - das ist ja auch die Ursache unseres zeitlichen Problems -, möchte ich vorweg folgendes klären: Sind die Geschäftsführer damit einverstanden, daß wir den nächsten Tagesordnungspunkt für 13.30 Uhr anberaumen und dies im Wege eines Rundrufes bekanntgeben? - Ich kann Ihr Einvernehmen voraussetzen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Ich freue mich, daß Herr Staatsminister Helmut Schäfer hat kommen können und zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Eckart Kuhlwein auf: Trifft es zu, daß seit November 1996 deutsche Schüler bzw. Studenten, die zu längerfristigen Aufenthalten an Schulen in die USA reisen, mit „Schulgeld" in beträchtlicher Höhe auf Grund neuer Visabestimmungen belastet werden, und wie bewertet die Bundesregierung dies im Hinblick auf den Schüleraustausch mit den USA?

Not found (Gast)

Herr Kollege, es trifft zu, daß seit dem 30. November 1996 in den Vereinigten Staaten das Gesetz „Illegal Immigration Reform and Immigrant Responsibility Act" in Kraft ist. In seinem Abschnitt 625 verlangt dieses Gesetz von ausländischen Schülern die Erstattung von Gebühren, die öffentlichen US-Oberschulen durch den Schulbesuch eines Ausländers entstehen. Diese Schulgebühren in Höhe von durchschnittlich 10 000 DM je Schuljahr sind von den Eltern - auch deutscher Austauschschüler - bei der Antragstellung auf ein US-Einreisevisum im voraus zu entrichten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bestimmungen dieses Gesetzes im Widerspruch stehen zu der Förderung des bilateralen Schüleraustausches durch die Bundesregierung und die Regierung der Vereinigten Staaten, zumal Austauschschüler aus den Vereinigten Staaten für ihren Schulbesuch in Deutschland keine Gebühren zu entrichten haben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage des Kollegen Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, vielleicht sollten wir die zweite Frage, die denselben Sachverhalt, betrifft, gleich noch mit einbeziehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ja, das gehört inhaltlich zusammen. Dann rufe ich auch die Frage 22 des Kollegen Eckart Kuhlwein auf: Was hat die Bundesregierung bereits unternommen, und was gedenkt sie noch zu tun, um den schon traditionellen Schüleraustausch mit den USA wieder ohne finanzielle Beschränkungen - und damit erhebliche Belastungen vor allem für Einkommensschwache - möglich zu machen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung ist sogleich nach Bekanntwerden der neuen US-Visabestimmungen initiativ geworden, um deren Anwendung auf den deutsch-amerikanischen Schüleraustausch zu verhindern. Die Botschaft Washington hat in ihren Kontakten mit den zuständigen amerikanischen Behörden, insbesondere dem State Department, und auch Kongreßvertretern auf die Fehlentwicklung und die dadurch hervorgerufenen Irritationen in Deutschland aufmerksam gemacht und sich mit Nachdruck für eine Änderung der den deutsch-amerikanischen Schüleraustausch beeinträchtigenden Bestimmungen eingesetzt. Die US-Botschaft in Bonn wurde von Anfang an über die nachteiligen Folgen der neuen Gesetzgebung unterrichtet und gebeten, sich bei den zuständigen inneramerikanischen Behörden für eine Aufhebung der Bestimmungen einzusetzen, soweit sie den Schüleraustausch mit Deutschland belasten. Nachdem diese Bemühungen zu keinem Erfolg führten, wurde das Thema auch im Rahmen der deutschamerikanischen Kulturkonsultationen am 21. und 22. April dieses Jahres in Washington erörtert. Die amerikanische Seite hat bisher keinen Lösungsvorschlag gemacht, so daß ich davon ausgehe, daß sich der Bundesaußenminister der Frage persönlich annehmen und sie auch auf die Tagesordnung seiner nächsten Begegnung mit Außenministerin Albright setzen wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt die Nachfrage des Kollegen Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich begrüße es, daß sich die Bundesregierung energisch bemüht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Wäre es möglich - wie es von Eltern aus meinem Wahlkreis angeregt worden ist -, das Angebot zu machen, daß das Schulgeld, das im voraus gezahlt werden muß, bei der Ausreise zurückerstattet wird, weil damit ja das Ziel der Maßnahme der amerikanischen Einwanderungsbehörden erreicht ist?

Not found (Gast)

Sie wissen, daß Gesetze in Amerika - ähnlich wie bei uns - vom Kongreß beschlossen werden, nicht von der Regierung. Wir können mit der Regierung verhandeln; wir können mit dem Kongreß reden. Ein solcher Vorschlag ist vernünftig, um diesen sicher nicht guten Zustand zu beenden. Ich bitte alle Fraktionen herzlich darum, ihrerseits auf ihre Kollegen im amerikanischen Kongreß einzuwirken. Nicht die amerikanische Bundesregierung kann ein solches Gesetz aufheben, sondern nur der amerikanische Kongreß. Insofern bedarf es der Einwirkung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf den Kongreß in den USA. Ich halte Ihren Vorschlag für gut.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, falls alle diese Bemühungen scheitern sollten: Wäre es in dem gemeinsamen Interesse, daß der Schüleraustausch mit den USA auch für diejenigen funktioniert, die sich solche hohen Schulgelder nicht leisten können, denkbar, daß der Bund mit entsprechenden Zuschüssen einspringt?

Not found (Gast)

Da die 16 deutschen Bundesländer argwöhnisch auf alles achten, was mit Schule zu tun hat, sollte man die Kosten nicht allein dem Bund überlassen, sondern freundlicherweise auch die Länder beteiligen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Dann kommen wir zu Frage 23 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhardt: Wie rechtfertigt die Bundesregierung die schleppende Umsetzung der Deutsch-Tschechischen Erklärung, und wann ist mit einer Ausgestaltung des vereinbarten Zukunftsfonds zu rechnen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Umsetzung der Deutsch-Tschechischen Erklärung bezieht sich vor allem auf die durch die Erklärung beschlossene Errichtung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und eines Dialogforums. Die entsprechenden Gespräche mit der tschechischen Seite laufen zur Zeit noch. Sie sind so weit fortgeschritten, daß ein Abschluß noch in diesem Jahr zu erwarten ist. Ziel beider Regierungen ist die Arbeitsfähigkeit beider Institutionen zu Beginn des Jahres 1998. Die Gespräche zur Errichtung von Zukunftsfonds und Dialogforum begannen am 22. August dieses Jahres. Bisher haben drei Gesprächsrunden stattgefunden. Der parlamentarische Prozeß zur Verabschiedung der gemeinsamen Erklärung war erst am 5. März 1997 mit der Billigung durch den tschechischen Senat abgeschlossen. Der Gesamtprozeß wurde durch abschließende Reden der beiden Präsidenten vor dem jeweils anderen Parlament am 24. bzw. 29. April dieses Jahres beendet. Beide Seiten beabsichtigen die Errichtung des Zukunftsfonds in Form einer Stiftung tschechischen Rechts. Ein neues tschechisches Stiftungsgesetz wurde erst Anfang September 1997, also erst vor kurzem, vom Parlament verabschiedet. Ich bitte daher um Verständnis, daß noch nicht alle Einzelheiten, die sich aus diesem Verfahren ergeben haben, geregelt werden konnten. Die Gespräche sind im Gang. Ich hoffe, daß wir bald zu einem Abschluß kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie nachfragen?

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Herr Staatsminister, ich höre, daß 20 Millionen DM für das Jahr 1998 in den Haushalt eingestellt sind. Meine Frage ist: Wie ist das Prozedere? Sie sagten, es werde eine Stiftung geben. Welche Einwirkungen haben wir darauf? Wer wird da zuständig sein?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, da Verhandlungen in einer Phase, in der es um einige noch strittige Punkte geht, nicht ganz einfach sind, ist es sehr schwer, schon jetzt über solche Details zu sprechen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir das nach einem weiteren Fortschritt der Verhandlungen im Auswärtigen Ausschuß aufnehmen. Wir sollten das nicht in der Öffentlichkeit diskutieren; denn schließlich geht es darum, in dieser wichtigen Phase der Verhandlungen nicht zu früh Festlegungen unsererseits zu machen. Vielmehr müssen wir sehen, wie der Verhandlungsprozeß, der von beiden Seiten zu einem guten Ende gebracht werden soll, verläuft.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte ungern insistieren, muß es an dieser Stelle aber tun. Mir geht es um eine Gruppe Überlebender des Massakers von Lidice. Hier ist die Frage: Wie lange können wir das Ganze noch verschleppen? Ich möchte dazu gern einige konkretere Ausführungen hören.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Leonhard, ich wollte es eigentlich nicht sagen, muß es jetzt aber doch tun, weil Sie erneut das Wort „verschleppen" verwenden. Der Begriff „verschleppen" ist sicher nicht richtig. Die Bundesregierung verschleppt gar nichts. Sie mußte zunächst einmal abwarten, bis das tschechische Parlament ein Gesetz verabschiedet hat. Das war im September, ist also noch nicht einmal vier Wochen her. Es haben drei Gesprächsrunden stattgefunden. Ich habe Ihnen gesagt: Wir werden - so hoffen wir - bis Ende dieses Jahres fertig sein, so daß „verschleppen" sicher ein zu hartes Wort wäre. Wir wollen es nicht verschleppen. Wir müssen aber zusehen, daß die Umsetzung des Fonds auf beiden Seiten in vernünftiger Weise geregelt wird, so daß die Betroffenen eine Chance bekommen, an diesem Fonds in irgendeiner Weise beteiligt zu werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage des Kollegen Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, halten Sie es für ein deutliches Signal des ernsthaften Willens von Bundesregierung und Parlament, zu einer von beiden Seiten getragenen Lösung zu kommen, daß der Haushaltsausschuß bei der Beratung des Einzelplans 05 in der vergangenen Woche die ersten 20 Millionen DM für 1998 im Etat fest vorgesehen hat?

Not found (Gast)

Ich halte das für ein ganz hervorragendes Zeichen; denn normalerweise erwartet man vom Haushaltsausschuß, daß er zunächst abwartet, wie die Gespräche ausgehen. Daß er schon jetzt der tschechischen Seite deutlich macht, daß er bereit ist, das Ganze umzusetzen, in dem er 20 Millionen DM zur Verfügung stellt, ist sicher ein gutes Signal nach Prag. Zweifellos werden beide Seiten ihre Anstrengungen verstärken, um bald zu einem guten Ende zu kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu dieser Frage gibt es keine weitere Nachfrage. Ich rufe die Frage 24 der Abgeordneten Leonhard auf: Wie oft wurde der Posten des deutschen Botschafters in Großbritannien in den letzten vier Jahren neu besetzt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, der Posten des deutschen Botschafters in Großbritannien wurde in den letzten vier Jahren dreimal neu besetzt: von Mitte 1993 bis April 1995 mit Botschafter Hartmann, der später Staatssekretär im Auswärtigen Amt wurde, von April 1995 bis August 1997 mit Botschafter Oesterhelt und seit dem 5. September dieses Jahres mit Botschafter von Moltke.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe keine Zusatzfrage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Keine Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner. Dazu ist schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf: Ab welchem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung über die gegenwärtige Militärintervention der Türkei im Nordirak Kenntnis, und in welchem Rahmen wurde sie darüber informiert?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Bundesregierung hatte erstmals durch Agenturmeldungen vom 24. September dieses Jahres von dem erfolgten türkischen Vorstoß in den Nordirak, der sogenannten Operation Safak, Kenntnis erhalten. Die deutsche Botschaft in Ankara ist am 25. September 1997 vom türkischen Generalstab zu einer Unterrichtung am 26. September um 16 Uhr über die laufende Operation eingeladen worden. Der Verteidigungsattaché hat daran teilgenommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bedeutet Ihre Aussage, daß auch die NATO und NATO-Gremien nicht vorher von diesem Einmarsch unterrichtet wurden? Haben daher auch die deutschen Vertreter in den NATO-Gremien vorher nichts von dem Einmarsch gewußt?

Not found (Gast)

Mir ist nur bekannt, wann die deutsche Regierung informiert wurde. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ob andere NATO-Staaten vorher informiert werden konnten oder informiert wurden. Ich gehe aber davon aus, daß sich der Zeitrahmen deckt. Ich müßte das aber nachprüfen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es gibt keine Nachfrage mehr. Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf: Teilt die Bundesregierung die auch in der internationalen Presse vertretene Einschätzung, daß die Militärintervention der Türkei nicht aus einer akuten Bedrohung, sondern zur Unterstützung der Kurdisch Demokratischen Partei ({0}) erfolgte, und wie bewertet die Bundesregierung den Einmarsch türkischer Truppen völkerrechtlich?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, zum ersten Teil Ihrer Frage: Nach türkischen Angaben ist die Operation der türkischen Streitkräfte darauf ausgerichtet, die türkisch-irakische Grenze vor Infiltrationen durch die PKK zu schützen. Die KDP, die das Gebiet jenseits der türkischen Grenze kontrolliert, hat die Türkei nach deren Angaben erneut um Unterstützung gebeten. Zum zweiten Teil der Frage: Die Bundesregierung verfolgt das Vorgehen der Türkei mit kritischer Aufmerksamkeit. Sie bestreitet nicht das Recht der türkischen Regierung, die von der PKK ausgehenden terroristischen Aktivitäten zu unterbinden und die territoriale Integrität des türkischen Staates zu bewahren. Der Kampf gegen den Terrorismus muß aber unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel und unter Achtung der Rechtsstaatlichkeit, des Völkerrechts, insbesondere der Menschenrechte und der territorialen Souveränität des Iraks, geführt werden. Dies hat die Bundesregierung wiederholt nachdrücklich gegenüber der türkischen Regierung vertreten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die beiden Teile der Frage waren natürlich im Zusammenhang zu sehen, und zwar vor dem Hintergrund, daß die Intervention offensichtlich - nach Berichterstattung auch in der arabischen Presse - auf Grund der Auseinandersetzung zwischen KDP und PKK in der Region im Nordirak erfolgte und nicht auf Grund dessen, daß es Angriffe von PKK-Seite von irakischem Boden aus gegeben hätte. Diese hat es in der letzten Zeit kaum gegeben. Vor diesem Hintergrund stellt sich verschärft die Frage, ob das völkerrechtlich zu rechtfertigen ist?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich hatte gerade versucht, mit meiner Antwort deutlich zu machen, daß wir unsere Politik grundsätzlich gegenüber allen Staaten und damit natürlich auch gegenüber der Türkei an der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, aber auch der Wahrung des Völkerrechtes ausrichten. Die Türkei hat bei diesen Aktionen Motive, die ich im einzelnen nicht untersuchen will. Ich kann nur sagen: Wir bleiben bei diesen Grundsätzen und machen das auch der Türkei bei jeder denkbaren Gelegenheit deutlich.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den möglichen Einsatz von deutschen Waffen beziehungsweise aus Deutschland gelieferten Waffen bei dieser Intervention?

Not found (Gast)

Das ist die Frage, die Ihre Kollegin Beer im Anschluß stellen wollte.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die ist leider nicht anwesend.

Not found (Gast)

Am besten beantworte ich dann die Frage der Frau Beer mit: Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, daß deutsche Waffen oder andere in der Türkei mit deutscher Lizenz produzierte Rüstungs- oder Dual-Use-Güter bei der Militärintervention im Nordirak zum Einsatz gekommen sind.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Damit ist die Frage 28 schriftlich und mündlich beantwortet. Die Frage 29 wird auch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Herr Staatsminister, damit verlassen wir Ihren Geschäftsbereich. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Kommen und für die Antworten. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Hauser beantworten. Für die Fragen 30 und 31 ist eine schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 32 ist zurückgezogen worden. Ich rufe jetzt die Frage 33 der Abgeordneten Sabine Kaspereit auf: Wie hoch sind die Investitionskosten für die Einrichtung der Oberfinanzdirektionen in den neuen Bundesländern insgesamt, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer und wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Investitionskosten, wenn die Einrichtungen im Zuge der Neuorganisation der Oberfinanzdirektionen innerhalb kürzester Zeit nicht mehr benötigt werden?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Frau Kollegin Kaspereit, lassen Sie mich zunächst auf den zweiten Teil Ihrer Frage eingehen. Das Bundesfinanzministerium hat gestern auch der Presse einen Vorschlag für die Neuordnung der Bundesabteilungen der Oberfinanzdirektionen vorgestellt. Jetzt müssen die Stellungnahmen und Meinungsäußerungen der hiervon Betroffenen, insbesondere auch der neuen Bundesländer, eingeholt werden, damit mit ihnen das Benehmen hergestellt werden kann. Die Straffungsbemühungen des Bundes treffen die Oberfinanzdirektionen der neuen Länder schon deshalb nicht in ihrem Bestand, weil der Bund nicht über die Organisation der Landesabteilungen der Oberfinanzdirektionen bestimmen kann. Darüber hinaus bleiben auch nach der neuen Konzeption Bundesabteilungen in den neuen Ländern erhalten. Dies gilt zum Beispiel für die Bundesvermögensabteilung in Magdeburg. Insoweit kann es nicht zu einer Aufgabe des neu errichteten OFD-Gebäudes kommen. Unabhängig von der Präsenz des Bundes in der Mittelinstanz ist jedoch der Umfang des für ihn tätigen Personals auf Ortsebene zu sehen. Das neue Konzept sieht hier Verstärkungen durch Verlagerungen von Personal und Aufgaben aus der Mittel- auf die Ortsinstanzen vor. Nun zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Ihrer Bitte um Ermittlung der insgesamt für die Einrichtung der Oberfinanzdirektionen aufgewendeten Mittel konnte in der Kürze der Zeit nicht entsprochen werden. Ich weiß, daß Sie die Frage schon beim letztenmal gestellt haben. Aber wegen der Menge der zusammenzuführenden Kosten und insbesondere der unterschiedlichen Unterbringungssituationen der Oberfinanzdirektionen in den neuen Bundesländern ist eine Vielzahl von Daten zu erheben. Im Hinblick auf meine Antwort insbesondere zur Situation in Magdeburg kann ich vielleicht davon ausgehen, daß sich Ihr Informationswunsch bezüglich der Kosten zumindest insoweit erledigt hat.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß mich Ihre Antwort natürlich nicht befriedigen kann, wundert es mich wieder einmal, warum wir Informationen, die sich doch sehr eng auf unsere Fragen, die wir stellen, und auf unsere Arbeit beziehen, über die Presse bekommen und nicht - wie es eigentlich Tradition und Stil dieses Hauses ist - auf direktem und parlamentarischem Wege. Ich denke, dies sollte wieder Brauch werden. Es ist nicht das erste Mal, daß Informationen des Bundesministeriums für Finanzen aus den Medien zu erfahren waren und nicht direkt an die Abgeordneten gingen. ({0})

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Frau Kollegin Kaspereit, ich muß Sie darauf hinweisen, daß der Finanzausschuß und der Haushaltsausschuß als zuständige Gremien sehr wohl frühzeitig unterrichtet worden sind. ({0}) Die Information der Presse hat gestern stattgefunden, während die Unterrichtung der beiden Ausschüsse bereits in der letzten Woche war.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann hätte man uns natürlich auch ein Exemplar der Presseerklärung zukommen lassen können.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Wenn ich darauf noch antworten darf: Ich kann Ihnen selbstverständlich gern hier ein Exemplar mit all den Informationen über Personalstärken usw. überreichen. Das kann ich gleich unmittelbar anschließend machen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nachfrage des Kollegen Küster.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe natürlich einen langen Brief an den Bundesfinanzminister geschrieben. Wenn ich dann über die Presse informiert werde, ist das kein guter Stil. Darüber bin ich sehr betroffen. Selbst vor den Ausschüssen kann man den Fragesteller unterrichten. - Das war eine Vorbemerkung. Sie haben in Ihrer Antwort ein bestimmtes Wort gebraucht. Sie sprachen vom „Benehmen" mit den Landesregierungen. Meiner Kenntnis nach ist im Bundesfinanzverwaltungsgesetz von „Einvernehmen" mit dem jeweiligen Landesfinanzminister die Rede. Heißt Ihre Wortwahl, daß Sie jetzt eine Uminterpretation in Richtung Benehmen statt Einvernehmen wünschen, was eine andere Rechtsqualität hat? Oder worauf deutet das Ganze hin?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Die Beschlüsse, die wir auf der Bundesebene gefaßt haben, werden mit den Landesfinanzministern erörtert. Es wird ihnen das Konzept vorgelegt. Wir wollen das Benehmen mit den Landesfinanzministern herstellen. Noch eine ergänzende Information: Wir haben vorher versucht, einen anderen Weg zu gehen. Wir haben vorher versucht, mit den Ländern zusammen auf freiwilliger Basis ein Konzept zu erreichen, und haben die Länder gebeten, ihrerseits Vorschläge zu machen, wie eine Neuorganisation der Oberfinanzdirektionen erreicht werden kann. Diese Bemühungen haben lediglich im Land Baden-Württemberg einen Erfolg gebracht, indem die dortigen drei Oberfinanzdirektionen auf zwei Oberfinanzdirektionen reduParl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser ziert werden. In allen anderen Ländern ist bezüglich der Organisation der Oberfinanzdirektionen von der Landesseite her keine Änderung akzeptiert worden. Der Bund hat nun seinerseits die Initiative für seine Bundesabteilungen übernommen und das Acht-plusacht-plus-acht-Konzept hier entsprechend vorgestellt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich lasse noch eine Frage zu, weil wir genügend Zeit haben. Bitte.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber im Bundesfinanzverwaltungsgesetz steht eindeutig „Einvernehmen". Sie haben noch einmal ganz eindeutig betont: Benehmen. Ich frage noch einmal nach: Ist das eine Uminterpretation, oder wohin bewegt sich die Bundesregierung an dieser Stelle?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege, ich werde diese Frage sorgfältig prüfen und Sie davon unterrichten, ob es hier „Benehmen" oder „Einvernehmen" heißen muß.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Ilte, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Ihnen die vorgesehenen Änderungen im Bereich der Oberfinanzdirektion Cottbus geläufig? Denn sie gingen aus dem Konzept, das wir vorige Woche im Finanzausschuß besprochen haben, bisher nicht hervor.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Im Bereich Cottbus bleibt es bei der Abteilung Bundesvermögensverwaltung. Das ist die Änderung, die hier vorgenommen wird. ({0}) - Die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung wird in Potsdam angesiedelt. Wir werden im Bereich Brandenburg/Berlin weiterhin eine Bundesvermögensabteilung in Berlin, eine Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung in Potsdam und eine Bundesvermögensabteilung in Cottbus haben. Die Zusammenlegung in Berlin soll nach Abwicklung des Regierungsumzuges erfolgen. Das Ganze, Herr Kollege Ilte, ist aus dem Standortekatalog ersichtlich, der in der letzten Woche dem Finanzausschuß noch nicht mitgeteilt worden ist, weil es in der Zwischenzeit, in dieser Woche, noch Gespräche gegeben hat, in denen diese Zweifelsfragen abgeklärt worden sind. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich bin bei den Nachfragen schon großzügig gewesen. Aber da Ihre Frage 34 sich auf denselben Themenkomplex bezieht, möchte ich diese jetzt aufrufen. Sie werden auch da vermutlich nachfragen, so daß ich glaube, daß sich Ihre Fragen klären lassen. Ich rufe nun die Frage 34 auf: Welche Investitionen werden sich nach der Neuordnung der Oberfinanzdirektionen als unnötig erwiesen haben?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Auch hier ist ein Überblick - das habe ich bei der Frage 33 ja schon beantwortet - derzeit nicht möglich. Selbst wenn es wider Erwarten nach Abschluß der geplanten Neuordnung zu Leerständen von Arbeitsräumen in einzelnen Oberfinanzdirektionen kommen sollte, wird die Verwaltung selbstverständlich prüfen, inwieweit der Raumbedarf anderer Dienststellen entsprechend abgedeckt werden kann, so daß es per Saldo mit Sicherheit zu keinen Leerständen kommen wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage der Kollegin Kaspereit.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Haben Sie bemerkt, in welche Richtung meine Fragestellung gegangen ist? Aus Ihrer Antwort geht dies nicht hervor. Uns ging es im wesentlichen darum, zu erfahren, wie hoch die Investitionen für bestimmte Einrichtungen insgesamt sind, wie hoch nach einer Neustrukturierung der Bedarf ist, der dann angemeldet wird, und wieviel von den Steuermitteln dann unter Umständen vergeblich geflossen sein werden. ({0}) Dies ist ja nicht nur im Bereich von Verwaltungseinrichtungen der Fall, sondern auch im Bereich von öffentlichen Investitionen, zum Beispiel bei Kurkliniken. An der Stelle muß man schon einmal nachfragen dürfen, inwieweit da Steuermittel in den Sand gesetzt werden.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Ich bin bei Ihrer Fragestellung natürlich davon ausgegangen, daß Sie nach den Investitionen in die Oberfinanzdirektionen in den neuen Bundesländern gefragt haben, und ich habe Ihnen angeboten, daß wir diese Kosten ermitteln werden und Ihnen die Angaben zustellen werden. Wenn Sie jetzt speziell das Beispiel Magdeburg, das Sie bei der letzten Fragestellung erwähnt hatten, mit den Investitionskosten von 110 Millionen DM ansprechen, dann kann ich Ihnen hier klar zur Antwort geben, daß wir die Oberfinanzdirektion Magdeburg weiterhin als Standort erhalten, und zwar als Standort einer Bundesvermögensabteilung. Es ist vorgesehen, die Bundesvermögensabteilung der Oberfinanzdirektion Hannover mit der in Magdeburg zusammenzuführen. Auf der anderen Seite wird die Zoll-und Verbrauchsteuerabteilung, die zur Zeit in Magdeburg ist, mit der in Hannover zusammengelegt werden, so daß die Zahl der Beschäftigten in Magdeburg in etwa gleichbleiben wird. Auf keinen Fall sind hier Fehlinvestitionen vorgenommen worden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine zweite Zusatzfrage.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme an, daß wir den neuen Strukturplan demnächst auf dem Tisch haben werden und dann genauer Kenntnis von ihm nehmen können. Meine Zusatzfrage bezieht sich darauf, ob nicht nur eine lokale Veränderung erfolgt, sondern auch die Aufgabenverteilung in etwa so bleibt, daß ostspezifische Probleme im Osten entschieden werden. Ich denke da insbesondere an die Zuordnung von kommunalen Vermögen.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Durch den Erhalt von Einrichtungen im Osten sowie durch eine Verlagerung von Mittelinstanzen auf Ortsebenen ist auf jeden Fall sichergestellt, daß bei spezifischen Ostfragen Probleme auch vor Ort gelöst werden können. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nun eine Nachfrage des Kollegen Ilte.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich muß mich vorsichtig ausdrücken, damit ich nicht gerügt werde. Meine Frage bezieht sich natürlich auf die Investitionen für die Neuordnung der Oberfinanzdirektionen, also auf die Frage 34, aber vor dem Hintergrund dessen, was Sie auf die Frage 33 geantwortet haben. Kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß nach den in der letzten Woche im Finanzaus- schuß vorliegenden Unterlagen vorübergehend die Oberfinanzdirektionen Cottbus und Berlin Bestand haben werden, bis der Regierungsumzug abgeschlossen ist, und sich danach eine Verlegung der Oberfinanzdirektion Cottbus nach Berlin ergeben sollte?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Das war nicht in meiner Antwort enthalten. Über die zeitliche Dimension wird mit den Landesfinanzministern zu reden sein. Wir wollen das so rasch wie möglich abschließen. Aber das Thema Regierungsumzug spielt hier genauso eine Rolle. Deshalb ist nicht vorgesehen, in Cottbus derzeit die Bundesvermögensverwaltung aufzulösen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe nun die Frage 35 des Abgeordneten Heinz Schmitt auf: Wie viele Einkommensteuerpflichtige in Deutschland ({0}) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 1993 bis 1996 nach dem geltenden Spitzensteuersatz veranlagt, und wie hat sich der prozentuale Anteil dieser Gruppe von Steuerpflichtigen am Gesamtaufkommen der Einkommensteuer in diesem Zeitraum entwickelt?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege Schmitt, die gewünschten statistischen Daten liegen für den Zeitraum von 1993 bis 1996 natürlich noch nicht vor. Teilweise ist die Veranlagung zur Einkommensteuer für diesen Zeitraum noch gar nicht abgeschlossen. Die neueste Einkommensteuerstatistik, die sich auf den Veranlagungszeitraum 1992 bezieht, ist offiziell noch nicht erschienen. Auf der Grundlage einer dem Bundesfinanzministerium vorab zur Verfügung gestellten Fassung der Statistik wird gegenwärtig ein neues Einkommensteuersimulationsmodell erarbeitet. Das bisher verwandte Modell basiert auf der Einkommensteuerstatistik 1989 und enthält dementsprechend keine Daten über die neuen Länder. Diese mußten bislang aus Umfragedaten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hinzugeschätzt werden. Angesichts der in absehbarer Zeit möglichen Simulationsrechnungen für die Jahre nach 1992 auf der Grundlage der aktualisierten und verbesserten Datenbasis ist es nicht sinnvoll, noch Simulationsrechnungen auf der Grundlage der alten Daten anzustellen, die in Kürze revidiert werden müßten. Die von Ihnen angefragten Daten werden voraussichtlich bis Ende dieses Jahres vorliegen. Ich werde sie Ihnen dann unverzüglich zukommen lassen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Nachfrage, bitte.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie es gerade angesichts der momentan stattfindenden Diskussion über die Senkung des Spitzensteuersatzes nicht für sinnvoll, über die Zahlen der letzten fünf oder sechs Jahre zu verfügen, um überhaupt eine ordentliche Argumentationsgrundlage zu besitzen?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege Schmitt, die bisherigen Simulationsrechnungen sind auf der Basis des Jahres 1989 sowie der auf der Grundlage von Umfrageergebnissen hinzugeschätzten Daten für die neuen Bundesländer erstellt worden. Ich halte es für sinnvoll, aktuellste Daten zu verwenden. Dafür wird das neue Simulationsmodell erstellt.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie mir sagen, bis wann ungefähr die aktuell geschätzten oder aus Simulationsrechnungen gewonnenen Zahlenwerke vorliegen werden?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß das etwa bis zum Jahresende dauern wird und daß wir Ihnen diese Zahlen dann gerne zur Verfügung stellen werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wollen Sie nachfragen, Herr Büttner? - Bitte.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, mit welcher Datengrundlage die Bundesregierung dann ihre Forderung nach einer Senkung des Spitzensteuersatzes eigentHans Büttner ({0}) lich begründet, wo Sie doch selber sagen, es lägen noch keine Daten vor?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege Büttner, uns liegen die Daten für die Jahre 1993 bis 1996 noch nicht vor, weil, wie ich bereits ausgeführt habe, beispielsweise die Einkommensteuerveranlagung für 1996 noch nicht abgeschlossen ist; sie ist noch nicht einmal für das Jahr 1995 abgeschlossen. Aber man konnte auf der Grundlage des bisherigen Simulationsmodells und entsprechend hochgerechneter Daten für die neuen Bundesländer Schätzungen vornehmen. Es wird sich zeigen, inwieweit die neuen Daten diese Schätzungen dann verändern. Aber das werden wir, wie gesagt, an Hand der neuesten Daten erst am Jahresende sehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt rufe ich die Frage 36 des Kollegen Schmitt auf: Wie hoch lag die durchschnittliche Besteuerung aller einkommensteuerpflichtigen Beschäftigten in Deutschland seit 1993 bis 1996, und welchen Anteil hatte diese Gruppe von Steuerpflichtigen am Gesamtaufkommen der Einkommensteuer 1993 bis 1996?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Die Antwort auf die Frage 35 trifft im wesentlichen auch auf diese Frage zu. Auch dazu kann ich Ihnen noch keine Daten nennen; ich werde sie am Jahresende entsprechend nachreichen.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe in der letzten Woche ähnliche Fragen zum Jahr 1992 gestellt. Dafür bekam ich die Zahlen. Sie sprachen jetzt vom Jahre 1989. Die Zahlen für das Jahr 1992, die ja vorliegen, müßten ja auf irgendeine andere Art und Weise zusammengetragen worden sein.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege Schmitt, Sie haben nach den Zahlen für die Jahre 1993 bis 1996 gefragt. Ich habe Ihnen in der Antwort auf die Frage 35 gesagt, daß diese Zahlen selbstverständlich erst in das neue Simulationsmodell eingehen. Auf der Basis der Zahlen von 1992 läßt sich eine Rechnung erstellen. Diese Angaben haben Sie bereits bekommen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter Ilte.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich erinnere mich an Diskussionen im Finanzausschuß zur Frage der Vermögensteuer. Damals fragte ich die Bundesregierung, wie hoch der Anteil aller Steuerpflichtigen ist, die einen Effektivsteuersatz von über 50 Prozent zahlen. Diese Frage ist von Ihnen so beantwortet worden, daß es sich hierbei um 0,12 Prozent aller Steuerpflichtigen handelt. Jetzt bin ich natürlich etwas erstaunt, wenn ich höre, daß Sie überhaupt keine Datenbasis haben, auf Grund deren Sie mir seinerzeit diese Antwort geben konnten. Oder bringe ich jetzt irgend etwas durcheinander?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Das habe ich Ihnen gerade schon beantwortet. Unsere Zahlenbasis beruht auf den letzten amtlichen Statistiken aus dem Jahr 1989 plus den Schätzungen für die neuen Bundesländer. Daraus ist ein Simulationsmodell ermittelt worden. Ich kann Ihnen gerne vortragen, wie dieses Modell aufgebaut ist; aber das würde hier zu sehr in die Einzelheiten gehen. Aus dieser Datenbasis war sehr wohl ermittelbar, wie sich die Vermögensteuerverhältnisse zusammensetzen. Für die Vermögensteuer müssen ja nur alle drei Jahre neue Steuererklärungen abgegeben werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung ihre steuerpolitischen Vorschläge nicht auf der Grundlage von aktuellen Daten und Steuerentwicklungen macht, sondern auf Grund von Wünschen oder vagen ideologischen Überlegungen?

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Herr Kollege Büttner, dieser Schluß ist absolut falsch. Wir haben die Schätzungen für die Steuerstruktur immer aus diesem Grundmodell - Datenbasis 1989 -, hochgerechnet auf die neueren Entwicklungen einschließlich der neuen Bundesländer, vorgenommen. Deswegen ist es unzulässig, den Schluß zu ziehen, wir würden das auf Wünschen aufbauen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Schmitt, möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? - Nein. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir sind am Schluß der heutigen Fragestunde und beenden damit den Tagesordnungspunkt 2. Ich muß Ihnen vor Eintritt in den nächsten Tagesordnungspunkt noch folgende Mitteilung machen: Gemäß § 67 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes werden vom Deutschen Bundestag neun Mitglieder in den Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post berufen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt die Abgeordneten Dr. Bernd Protzner, Elmar Müller ({0}), Wolfgang Schulhoff und Dr. Hermann Pohler als ordentliche Mitglieder sowie die Abgeordneten Renate Blank, Hansjürgen Doss, Dr. Michael Meister und Ulrich Adam als stellvertretende Mitglieder vor. Die Fraktion der SPD schlägt die Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Hans Martin Bury und Christine Kurzhals als ordentliche Mitglieder sowie die AbgeVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ordneten Klaus Barthel, Siegmar Mosdorf und Gerhard Rübenkönig als stellvertretende Mitglieder vor. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt den Abgeordneten Dr. Manuel Kiper als ordentliches Mitglied sowie die Abgeordnete Antje Hermenau als stellvertretendes Mitglied vor. Die Fraktion der F.D.P. schlägt den Abgeordneten Dr. Max Stadler als ordentliches Mitglied sowie den Abgeordneten Dr. Klaus Röhl als stellvertretendes Mitglied vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Es wird Widerspruch angemeldet. Bitte, Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin, ich muß hier Widerspruch anmelden, ganz einfach deshalb, weil kein Mitglied der Bundestagsgruppe der PDS in diesen Beirat berufen wird. Damit werden wir aus einem Kontrollgremium ganz bewußt ausgeschlossen. Ich will daran erinnern, daß im Zuge der Privatisierung von Post und Telekommunikation die parlamentarischen Kontrollrechte stark eingeschränkt werden, ähnlich wie wir es schon bei der Privatisierung der Bahn haben, und auch die Petitionsrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingeschränkt werden. Ich halte es von daher für notwendig, daß das Parlament in seiner Gesamtheit in diesem Beirat vertreten wird. Wir werden uns der Stimme enthalten, weil wir nichts gegen die Kolleginnen und Kollegen haben, die hier vorgeschlagen worden sind. Aber auf Grund der Tatsache, die ich genannt habe, stimmen wir nicht zu.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Gruppe der PDS hat Widerspruch angemeldet. Das hat aber meines Erachtens keine aufschiebende Wirkung. ({0}) Ich frage deswegen: Sind Sie mehrheitlich mit der Berufung dieser Kollegen einverstanden? - Die PDS enthält sich der Stimme. Gegenstimmen gibt es nicht. Dann sind die genannten Kolleginnen und Kollegen mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS in den Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post berufen. Die Berufung war vorher abgesprochen worden; Sie haben das hiermit bestätigt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit der Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern: 1. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1995/96 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 13/79002. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung angesichts ständig steigender Arbeitslosenzahl zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen 3. Vereinbarte Debatte: Maßnahmen für mehr Beschäftigung in Deutschland 4. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Steuerreformgesetz ({2}) 1998 - Drucksachen 13/ 7242, 13/7775, 13/8020, 13/8177, 13/8178, 13/8326, 13/8465, 13/8466, 13/8592 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Steuerreformgesetz 1999 - Drucksachen 13/7480, 13/ 7917, 13/8022, 13/8023, 13/8177, 13/8179, 13/8327, 13/8465, 13/8467, 13/8593 ({4}) 6. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({5}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin Heyne, Gila Altmann ({6}), Albert Schmidt ({7}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einbeziehung der EU-rechtlich vorgeschriebenen Trassenpreise in das Finanzierungskonzept für den Transrapid - Drucksache 13/ 86317. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({8}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Neununddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/7916, 13/8095 Nr. 2, 13/8637 - 8. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Konsequenzen für die Drogenpolitik in der Bundesrepublik nach der Schweizer Volksabstimmung Des weiteren ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 5 - Verkehrsvorsorgegesetz - sowie den Tagesordnungspunkt 10a bis i - es handelt sich um die Vorlagen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Geldwäsche - abzusetzen. Die Gesetzentwürfe zu Tagesordnungspunkt 7, die unter anderem das Handelsrechtsreform- und Transportrechtsreformgesetz betreffen, sollen ohne Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden. Bei den Beratungen ohne Aussprache werden der Tagesordnungspunkt 12a - Rechtspflegeentlastungsänderungsgesetz - und Tagesordnungspunkt 13 f, Sammelübersicht 240 zu Petitionen, abgesetzt. Sind Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstanden? Es war zugegebenermaßen schwer, das alles mitzubekommen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir werden also so verfahren. Ich rufe damit den Tagesordnungspunkt 3 a bis 3j auf: a) Beratung des Berichts des Petitionsausschusses ({10}) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 1996 - Drucksache 13/8000 - b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 139 zu Petitionen ({12}) - Drucksache 13/5524 - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 142 zu Petitionen ({14}) - Drucksache 13/5613 - d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 182 zu Petitionen ({16}) - Drucksache 13/6985 - e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 158 zu Petitionen ({18}) - Drucksache 13/5990 - f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 192 zu Petitionen ({20}) - Drucksache 13/7276 - g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 194 zu Petitionen ({22}) - Drucksache 13/7278 - h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 195 zu Petitionen ({24}) - Drucksache 13/7279 - i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 196 zu Petitionen ({26}) - Drucksache 13/7280 - j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({27}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christa Nikkels, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Manuel Kiper und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Petitionsrecht und parlamentarische Kontrolle im Bereich der Telekommunikation und des Postwesens - Drucksachen 13/3327, 13/6149 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Schmidt ({28}) Johannes Singer Es liegen je drei Änderungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Auch da höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Der Grundtenor vieler eingegangener und bearbeiteter Petitionen im vergangenen Jahr lag häufig in verlangten Novellierungen von Gesetzen sowie in Gesetzen, die geschaffen werden sollten. So ist es kein Wunder, daß wir uns in der gegenwärtigen Zeit in einer Flut dieser Änderungen befinden. In vielen Petitionen wurden immer wieder auch Verfassungsänderungen gewünscht. Auf diese Vorschläge möchte ich heute in ganz besonderer Weise eingehen. Es gibt ganz einfache Regeln für das Leben der Menschen untereinander und innerhalb der Gesellschaft, die uns vorangestellt wurden. Das sind zum einen die Zehn Gebote. Die sind so einfach und schlicht und doch so voller Aussagekraft. Aber darüber möchte ich heute nicht sprechen. Das ist zum anderen unsere Verfassung, die mutige und verantwortungsbewußte Bürger unmittelbar nach Zusammenbruch der faschistischen Diktatur für uns erarbeitet haben. Dies waren zumeist Frauen und Männer des Widerstandes gegen die unmenschliche Barberei der NS-Diktatur. Genauso schlicht und einfach wie diese Menschen gewirkt haben, so wirkt auch die Erinnerungstafel an einem Schloßgebäude am Chiemsee, die nahezu unbemerkt auf die großartige Vorleistung für unser deutsches Volk hinweist. Auch ich habe dies nur zufällig entdeckt; denn ich selber fotografiere und filme sehr gerne. Dabei ist es so, daß man auf das Einfache eher hingewiesen wird, aber auch auf das große Ganze. Das ist genauso wie unsere Arbeit im Petitionsausschuß. Schon der erste Artikel mit den ersten Sätzen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." weist auf deren Eckstein hin. Würde hat sehr viel mit der Achtung des anderen und mit Anstand gegenüber den Mitmenschen zu tun. Es kann nicht nur Verpflichtung der staatlichen Gewalt sein, das zu garantieren. Das muß Verpflichtung aller sein. In besonderer Weise wurden wir jetzt durch die Berichte über das Leben und den Tod von Prinzessin Diana daran erinnert. Darauf gehe ich jetzt aber auch nicht ein. Jeder hat sich darüber wohl seine eigenen Gedanken gemacht. Als das Grundgesetz geschaffen wurde, war gerade eine Diktatur nach einem schrecklichen Weltkrieg in einem Meer von Trümmern und in einem Meer von Toten untergegangen. Staatliche Gewalt wurde für Unmenschlichkeit mißbraucht, die noch heute nachwirkt. Immer wieder werden wir in Petitionen aufgefordert, mehr für die Unterstützung und Entschädigung von NS-Opfern zu tun. Ich weiß, daß in dieser Beziehung schon sehr viel geschehen ist. Dennoch gibt es immer noch Gruppen von Menschen, die von den Leistungen der Bundesrepublik Deutschland praktisch noch nichts gesehen haben. Das ist nach der glücklichen Wende und nach der friedlichen Revolution insbesondere im jetzigen Tschechien der Fall. Ich bin froh, daß ich heute den aktuellen Bezug zu einer Delegationsreise des Petitionsausschusses nach Prag herstellen kann. Dort sind wir kürzlich mit Opfern der NS-Barbarei zusammengetroffen. Ich bin noch jetzt davon beeindruckt, wie diese Frauen und Männer, die in den KZs Theresienstadt und Dachau gelitten haben, völlig ohne Haß ihre Schicksale geschildert haben. Darüber gibt es ein Buch mit dem Titel „Theresienstädter Studien und Dokumente". Immer wieder muß ich auf die Titelseite schauen, die das Photo eines zehnjährigen Jungen zeigt. Jeder von uns Herren der mittleren und älteren Jahrgänge, die wir hier sitzen, haben in jungen Jahren so ausgesehen: ({0}) diese glattgekämmten Haare, der gerade Scheitel, diese fragenden Augen, dieser scheue Blick und der Anzug mit dem zum erstenmal gebundenen Schlips. Dieser Junge hat über sein Schicksal gedichtet, das er erahnt und vielleicht auch gekannt hat, weil ein unmenschliches System herrschte: Das kleine Rosengärtlein duftet heut so sehr. Es geht auf schmalem Wege ein Knabe hin und her. ({1}) Ein Knäblein, ach, so schön und hold. Ein Knösplein, das grad' blühen wollt'. Erblüht einmal das Knösplein klein, so wird das Knäblein nicht mehr sein. Meine Damen und Herren, angesichts des unglaublichen Leides der unzähligen Opfer, deren wir nicht nur immer wieder gedenken, sondern die wir auch immer wieder in unser Bewußtsein zurückrufen müssen, sollten wir für die heute noch lebenden Opfer unseren Anteil leisten, um das Leid ihrer Familien zu mildern. Denn viele der Frauen und Männer, die uns kürzlich in Prag gegenübersaßen, haben ganze Familien bis zum zweiten, dritten und vierten Verwandtschaftsgrad verloren. An anderer Stelle haben wir aber auch mit hochrangigen Vertretern der Regierung und des Parlamentes über andere dringende Probleme gesprochen. Darunter fällt auch die Beeinträchtigung der Würde des Menschen durch allzu große Umweltbelastungen. Das betrifft das deutsch-tschechische Grenzgebiet in merklichen Größenordnungen. Man spricht meist nur von den Waldschäden und den Belastungen der Bäume. Was aber die Emissionen und die daraus resultierenden Geruchsbelastungen für die Menschen bedeuten, die zum Beispiel den Tourismus befördern sollen und wollen, darüber wird in dieser Intensität meist nicht gesprochen. Ich freue mich aber und bin sehr dankbar dafür, daß die tschechischen Parlamentarier dies in gleicher Weise sehen und uns das Versprechen gegeben haben, daß die Belastungen bis Ende des Jahres 1998 verschwunden bzw. erträglich sein sollen. Das Grundgesetz fordert uns auf, die Würde des Lebens zu achten: die Würde des Kindes, die Würde der Frau, die Würde der Familie und auch die Würde der Flora und Fauna ganz allgemein. So haben wir sehr viele Petitionen bekommen, die den stärkeren Schutz des Lebens der Kinder sowie die Bestrafung des sexuellen Mißbrauchs fordern. Parteiübergreifend haben wir im Ausschuß darüber beraten und beschlossen, daß hier schnelle und klare Signale gesetzt werden müssen. Es gilt einfach, der Würde des Lebens der Kinder mehr Aufmerksamkeit zu widmen als der Würde der Straftäter in Luxusstrafanstalten. Die Angehörigen der Opfer von Gewalt, von Verbrechen haben ein Recht, daß eine Tat durch Strafe gesühnt und der Täter nicht nur therapiert wird. Wie oft haben Täter Straftaten auf das raffinierteste ausgeklügelt und geplant, berufen sich später aber auf Unzurechnungsfähigkeit, auch wenn diese durch Alkohol oder Drogen hervorgerufen wurde. Menschen ohne Arbeit verlieren einen Teil ihrer Würde. Wir sehen das an vielen Beispielen zu Hause im Wahlkreis, aber auch in ganz Europa. Die Verringerung der Arbeitslosigkeit muß höchste Priorität besitzen. Wir müssen uns wirklich fragen, ob wir immer mehr in immer weniger Arbeitsplätze investieren sollten und ob es richtig ist, daß immer größere Gewinne von Unternehmen in den Abbau von Arbeitsplätzen münden. Auch mit diesem Problem beschäftigen sich sehr viele Petitionen. Ich glaube, daß die richtige Antwort das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ist. Hier sollte endlich parteiübergreifend gehandelt und nicht immer nur blockiert werden. ({2}) Der Faschismus war die Hölle. Dort wurde die Würde des Menschen mit Füßen getreten und in Gaskammern erstickt. Der Realsozialismus in einem Teil Deutschlands war eine Nachhölle. Diese Nachhölle war nicht dasselbe System, aber in diesem System wurde die Würde des Menschen, die Freiheit des Menschen, das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit in höchstem Maße eingeschränkt. Auch hier konnte nur teilweise Wiedergutmachung gegenüber den Opfern geleistet werden. Das Erste und Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, für das sich auch der Petitionsausschuß stark gemacht hat, geben den Opfern Unterstützung und Hilfe, um zumindest einen geringen Teil der persönlichen Beeinträchtigung und Schäden wiedergutzumachen. Ich glaube aber auch, daß bei den Opfern dieses Systems die Dankbarkeit und die Freude über die wiedergewonnene Freiheit und deren Sicherung sowie über die gewonnene Demokratie und auch deren Sicherung durch unser Parlament überwiegen. Ehemalige Stasi-Offiziere und Vertreter der ISORGruppe, die deren Interessen vertritt, wollten mir in Petitionen und während meiner Bürgersprechstunden klarmachen, daß das Renten-Überleitungsgesetz letzten Endes Strafrecht sei. Wenn diese das so empfinden, kommen sie sich wahrscheinlich als Täter vor. Ich sage heute noch einmal ganz deutlich: Wir haben mit den Rentenüberleitungsänderungsgesetzen Schritt für Schritt eine gerechte Anpassung der Renten in den neuen Bundesländern geschaffen. Es wäre ja eine himmelschreiende Ungerechtigkeit gewesen, wenn ehemalige Stasi-Offiziere und hochrangige Mitarbeiter des Staatsapparates Luxusrenten aus den Sonderversorgungssystemen bekommen hätten und der einfache Arbeiter und Ingenieur weiterhin mit den geringen Ostrenten hätte auskommen müssen. ({3}) Das war einfach nicht zu vertreten. Ich möchte gerade auch die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen daran erinnern, daß sie maßgeblich mit an dem ersten Rentenüberleitungsgesetz sowie an der Forderung, dort Einschränkungen bei der Sonderversorgung vorzunehmen, beteiligt waren. ({4}) Ihre jetzige Haltung sollten Sie einmal in dieser Richtung überprüfen. ({5}) Das Grundgesetz hat die Grundrechte in 19 Artikeln verankert - einfach und schlicht, aber von höchster Bedeutung, was Menschenwürde, Handlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, Meinungsfreiheit, Ehe und Familie, Schulwesen, Versammlungsfreiheit, aber auch die Pflichten betrifft. Bei allen Ausstellungen und Präsentationen des Deutschen Bundestages mit Publikumsverkehr ist eine kleine Broschüre immer am schnellsten vergriffen, nämlich das Grundgesetz. Gerade Jugendliche sind begierig auf Inhalt und Entstehungsgeschichte dieses Werkes. Das habe ich immer wieder auf Veranstaltungen in Gesprächen mit Jugendlichen gespürt. Ein wichtiger Artikel, nämlich Art. 17, ist das Petitionsrecht. Dieses Recht, daß sich jedermann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertreter wenden kann, gibt es nur in Demokratien. Nur in seltenen Fällen gibt es dies in diktatorischen oder feudalen Strukturen. Wo es dieses Recht nicht gibt, wird oft auf schlimmste Weise die Würde des Menschen verletzt. Der Wahlkampf ist schon mitten unter uns. ({6}) Zur Achtung der Würde eines Bürgers dieses Landes gehört es aber auch, daß man bei Reden auf Veranstaltungen nicht durch Getöse, Pfeifen usw. gestört oder gar mit Tomaten oder Eiern angegriffen wird. Dieses gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für Soldaten, die ihren dienstlichen Verpflichtungen nachkommen. Soldaten sind keine Mörder und Politiker keine Schweine. ({7}) Eine Partei, die solche Auswüchse duldet oder gar unterstützt, vergeht sich an Art. 1 des Grundgesetzes. Für meine Fraktion kann ich hier erklären, daß unsere Anhänger und Mitglieder weder auf Veranstaltungen des politischen Gegners je gestört hätten, noch solches vorhaben. Das wollte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem auf der ganz linken Seite, mit auf den Weg bis zum nächsten Jahresbericht geben. ({8}) Meine Damen und Herren, wir im Ausschuß bemühen uns gemeinsam, daß die Würde und die Achtung des Menschen im einzelnen, aber auch in seiner Einbindung in die Gesellschaft nicht verletzt werden. In diesem Sinne gehen wir gemeinsam den nächsten Jahresbericht an. Abschließend herzlichen Dank allen Mitarbeitern des Ausschußdienstes für die gute Zusammenarbeit. ({9}) Dank gilt auch den Mitgliedern und den Mitarbeitern der Bundesregierung für die sehr gute Zusammenarbeit. ({10}) Ich sehe an dem vollen Haus, wie gut das klappt. Dank geht aber auch an Sie alle, die Sie in Ihren Wahlkreisen und darüber hinaus im Dienst der Bürger stehen. Danke schön. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Gast zu begrüßen. Auf der Tribüne hat Herr Ivan Bizjak Platz genommen. Er ist der Ombudsmann der Republik Slowenien. Herr Ombudsmann, wir freuen uns über Ihren Besuch. ({0}) Wir wünschen Ihnen gute Gespräche mit den Kollegen hier. Wir bitten Sie, Ihr Parlament vom Deutschen Bundestag zu grüßen. Jetzt erhält der Kollege Küster Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich genötigt, eine Richtigstellung zu einer Äußerung, die der Abgeordnete Dehnel eben gemacht hat, vorzunehmen. Ich stelle fest, daß die erste demokratisch und frei gewählte Volkskammer im Jahre 1990 mit großer Mehrheit im Rentenanpassungsgesetz - ich will kurz die wesentlichen Träger dieser Entscheidung benennen: das waren die SPD-Fraktion und die CDU-Fraktion - beschlossen hat, die Renten für Sonderversorgte und Zusatzversorgte zu begrenzen. Im Jahre 1991 ist im ersten gemeinsamen Deutschen Bundestag durch das Renten-Überleitungsgesetz Kontinuität dokumentiert worden. Es gab demnach keine Überleitungen der Rentenansprüche für Staatssicherheitsleute. Das war unsere Forderung. Da gab es bei der SPD auch kein Wackeln, wie Sie unterstellt haben. Auch bei allen anderen Nachbesserungen gab es in dieser Richtung nie eine Äußerung, daß wir das Sonderversorgungssystem der Staatssicherheit in irgendeiner Weise überführen wollten. Ich bitte also, diese Äußerung von Herrn Dehnel mit der Korrektur, die ich jetzt gegeben habe, zur Kenntnis zu nehmen. Ich sage ebenfalls, daß wir auch weiterhin bei dieser Linie bleiben und für die Zusatzversorgten aus dem Stasi-Sonderversorgungssystem keine Rentenansprüche überführen werden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie antworten, Herr Dehnel?

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe nichts anderes gesagt als das, was der Kollege jetzt ausgeführt hat. Die SPD war damals genauso für eine Beschränkung der Sonderversorgungen. Aber ich habe gesagt, Sie sollten Ihre jetzige Haltung überprüfen. Beim letzten Überleitungsgesetz haben Sie Anträge eingebracht, daß man auf solche Einschränkungen verzichten solle. Das meinte ich, als ich sagte, daß Sie Ihre Haltung gegenüber der Zeit in der ersten frei gewählten Volkskammer und gegenüber Ihrer Haltung beim ersten Überleitungsgesetz geändert haben. Daß Sie beim zweiten Überleitungsgesetz andere Anträge eingebracht haben, war sehr enttäuschend.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat die Abgeordnete Lisa Seuster das Wort. ({0})

Lisa Seuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Ich glaube, auf diese Diskussion gehe ich jetzt nicht weiter ein. Jede Petition, die 1996 den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages erreicht hat, zeigt, daß die Bürgerinnen und Bürger ihre Probleme mit Gesetzen und Behörden nicht einfach hinnehmen. Für viele ist der Weg zum Ausschuß und zu ihren Abgeordneten nach jahrelangem Schriftwechsel und Gerichtsverfahren eine letzte Möglichkeit, noch etwas für sich zu erreichen. Für das Parlament bieten Petitionen gute Gelegenheiten zur Überprüfung und eventuellen Novellierung der Gesetzgebung. Auch im Berichtsjahr 1996 hat es einige solcher Gelegenheiten gegeben. Leider ist es uns in mehreren Fällen im Ausschuß nicht gelungen, die Koalitionsmehrheit von der Dringlichkeit der Gesetzesänderungen auf Grund von Petitionen zu überzeugen. Wir als Opposition mußten in Kauf nehmen, daß diese Petitionen ohne den von uns gewünschten Erfolg von der Ausschußmehrheit abgeschlossen wurden. Doch selbst in den Petitionsfällen, in denen die Ausschußmitglieder geschlossen dem Anliegen der Petenten zustimmen, scheitert die Umsetzung unseres Votums immer häufiger an der Bundesregierung. Ich möchte dazu an dieser Stelle ein Beispiel erläutern. Dieses Beispiel ist auch im Jahresbericht enthalten. Es ist mustergültig für den Eiertanz, den diese Regierung seit Jahren in der Familienpolitik vorführt. ({0}) Zwischen den hehren familienpolitischen Zielen, wie sie die Ministerin immer wieder verkündet, und der realen Umsetzung familienpolitischer Maßnahmen klaffen ganze Abgründe. Dreieinhalb Jahre haben wir uns bemüht, einer Familie zu helfen, die mittels einer Petition erreichen wollte, daß die Eltern bei Teilzeitarbeit von jeweils 24 Stunden pro Woche Erziehungsgeld erhalten. Bislang wird Erziehungsgeld lediglich dann gezahlt, wenn ein Elternteil maximal 19 Stunden pro Woche erwerbstätig ist. Die Wochenarbeitszeit des Ehepartners spielt dabei überhaupt keine Rolle. Die Petenten argumentierten, daß sie mit einer gemeinsamen Erwerbsarbeit von 48 Stunden pro Woche wesentlich mehr Zeit für das Kind zur Verfügung haben, als dies beispielsweise mit einer Vollzeit und einer Teilzeitarbeit der Fall wäre. Wir Ausschußmitglieder haben die Petenten in diesem Anliegen gemeinsam unterstützt. Ihre vorbildliche Lösung, Vater und Mutter im gleichen Umfang an der Erziehung zu beteiligen, haben wir sehr begrüßt. Im Familienministerium stieß diese Lösung auf Ablehnung. Trotz mehrmaliger Ladung von Frau Ministerin Nolte und ihrer Parlamentarischen Staatssekretärin - ich muß sagen, letztere hatte zumindest Verständnis - beharrte man dort stur auf der Begründung, daß zum Wohle des Kindes in erster Linie ein Elternteil die Erziehung übernehmen müsse. Kindererziehung und Berufstätigkeit seien lediglich bis zu einer Grenze von 19 Arbeitsstunden pro Woche miteinander zu vereinbaren. Für mich ist diese Auffassung aus dem Hause von Frau Nolte ein klarer Hinweis auf eine überholte Familienpolitik, die nach wie vor darauf abzielt, Frauen von der Erwerbsarbeit fernzuhalten und sie in die Rolle der Hausfrau und Mutter zurückzudrängen. ({1}) Trotz aller fraktionsübergreifenden Bemühungen ist es uns in diesem Fall auch gemeinsam nicht gelunLisa Seuster gen, dem berechtigten Anliegen der Petenten durch eine Gesetzesänderung entgegenzukommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Durchschnitt erhalten wir Ausschußmitglieder pro Jahr einige hundert Akten auf den Tisch. Diese Größenordnung ist bei einer Relation von zirka 18 000 Neueingaben und 32 Ausschußmitgliedern verständlich. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußbüros kommt somit eine große Verantwortung zu, da das Gros der Akten in ihren Büros bereits abschließend bearbeitet wird. Beim Umgang mit Behörden reichen in vielen Fällen bloße Anrufe. Die Aussicht, mit dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages konfrontiert zu werden, läßt viele Behörden rasch reagieren. In anderen Fällen reicht es, wenn die Petenten die Darstellung der rechtlichen Situation erhalten oder aber deren Akten an die zuständige Stelle weitergegeben werden, zum Beispiel an die Petitionsausschüsse der Länder. In manchen Fällen ist den Petenten bei der Einreichung ihrer Petition bereits klar, daß sie auf Grund der politischen Auffassung der Bundesregierung mit ihrem Anliegen keine Aussicht auf Erfolg haben werden. Dennoch nehmen sie ganz bewußt ihre Rechte als Bürgerinnen und Bürger in Anspruch, um damit ihren Unmut zumindest an der richtigen Stelle abladen zu können. Für uns als Opposition besteht das Problem, daß die in den Ausschußbüros erarbeiteten Beschlußempfehlungen überwiegend die Auffassung der Regierungskoalition widerspiegeln. Das kann in abschließenden Schreiben an die Petenten zu dem f alschen Eindruck führen, daß die ablehnenden Voten in ihrer Sache einstimmig getroffen worden seien. Es wird nicht deutlich, daß es sich um Entscheidungen infolge der Mehrheitsverhältnisse im Ausschuß handelt. Wir werden verstärkt darauf achten und darauf drängen, daß Bescheide an die Petenten in den entsprechenden Fällen nicht pauschal im Namen des Deutschen Bundestages erfolgen, sondern im Namen der Mehrheit des Deutschen Bundestages. Das Votum auch der Ausschußminderheit muß in vielen Fällen erkennbar bleiben. ({2}) Seit der deutschen Vereinigung ist die Anzahl der Petitionen stark gestiegen. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, daß die einzelnen Petitionsakten nicht mehr mit der nötigen Sorgfalt bearbeitet werden. Das gilt auch für die Behandlung im Ausschuß: Eine immer umfangreichere Tagesordnung läßt in strittigen Fällen für intensive Debatten kaum noch Zeit. Ich kann gut nachvollziehen, daß sich viele Kolleginnen und Kollegen die Frage stellen, warum sie diese zusätzliche Ausschußarbeit übernehmen sollten, wenn sie statt dessen ihre Parlamentsarbeit auf ihren eigentlichen Arbeitsbereich beschränken können. Die Arbeit im Petitionsausschuß ist für viele lediglich Mehrarbeit. Sie ist unspektakulär, weil sich durch sie keine Lorbeeren im Rampenlicht holen lassen. Doch wer so urteilt, kennt die Materie nicht, der weiß nicht, wie wichtig dieses parlamentarische Kontrollorgan für den Bürger und sein Verhältnis zur Verwaltung ist. Petitionsarbeit ist die tägliche Auseinandersetzung mit den Sorgen und Nöten der Bürgerinnen und Bürger, ihren Verbesserungsvorschlägen und ihren Ideen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da ich dem Petitionsausschuß mittlerweile seit zehn Jahren angehöre, ist mir die Frage, warum mir diese enorme Mehrbelastung noch immer Spaß macht, alles andere als fremd. Allerdings stelle ich mir diese Frage mehr dann, wenn ich sehe, daß unsere gemeinsamen Bemühungen letztendlich an der Bundesregierung scheitern ({3}) und daß wir kein Stück weiterkommen. Jahr für Jahr müssen wir in unserer jährlichen Debatte anmahnen, daß die Bundesregierung unseren Überweisungen zur Erwägung oder zur Berücksichtigung nicht nachkommt. Sie verzögert Stellungnahmen und läßt sie zu inhaltslosen Satzbausteinen verkommen. ({4}) In diesem Jahr haben wir einen traurigen Rekord zu verzeichnen: In neun Berücksichtigungs- und 326 Erwägungsbeschlüssen ist die Bundesregierung dem Votum unseres Ausschusses nicht gefolgt. Das heißt, daß erstmalig die Grenze von 300 nicht umgesetzten Petitionen deutlich überschritten wird. Diese Entwicklung können und wollen wir Ausschußmitglieder im Interesse der Bürgerinnen und Bürger nicht hinnehmen. ({5}) Uns bleibt nur die Möglichkeit, in jedem Einzelfall alle zur Verfügung stehenden Mittel auszunutzen und die Regierung zur Beachtung der Voten zu drängen. Meine Damen und Herren, mit Ende der Legislaturperiode im nächsten Jahr werde ich dem Bundestag und damit dem Petitionsausschuß nicht mehr angehören. ({6}) Ich beende damit eine Arbeit, die ich immer als Herausforderung empfunden habe. Dank der guten und freundschaftlichen Atmosphäre in meiner eigenen Arbeitsgruppe habe ich diese Mehrarbeit gern bewältigt. Auch im Ausschuß ist das Arbeitsklima zumeist gut, da das ehrliche Bemühen im Vordergrund steht, in persönlichen Schicksalsfällen nach Abhilfe zu suchen. Auf ein Anliegen möchte ich aber noch deutlich hinweisen: Ich bedaure sehr, daß die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß noch immer nicht den Mut gefunden haben, öffentlich zu tagen. ({7}) Die Petitionsarbeit könnte so transparenter werden und würde nicht zuletzt auch eine Aufwertung erfahren. Wie dringend eine angemessene Einschätzung und Aufwertung der Ausschußarbeit selbst im Rahmen des Parlaments ist, zeigt die Tatsache, daß die neun Einzelpetitionen, die wir zur Kurzdebatte an den Bundestag überwiesen haben, heute kurzerhand mit einem Tagesordnungspunkt, dem Jahresbericht, abgehandelt werden. Ich befürchte, daß diese Vorgehensweise das Vorurteil bestätigt, daß die Politik in unserem Lande mit den Interessen, den Sorgen und Nöten der Menschen nur noch oberflächlich umgehe, daß sie sich sehr von ihnen entfernt habe. ({8}) - Dann entkräften Sie das Vorurteil! Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte vor allem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, auffordern, dem Rat der Bundestagspräsidentin, Frau Professor Süssmuth, zu folgen, mehr öffentliche Ausschußsitzungen durchzuführen. ({9}) Mein Vorschlag: Laden Sie Frau Süssmuth doch einfach einmal in Ihre Arbeitsgruppe ein! Lassen Sie sich von ihr erklären, weshalb sie öffentliche Ausschußsitzungen befürwortet! Vielleicht gelingt es Frau Süssmuth, Sie davon zu überzeugen, daß Sie nicht so ängstlich und scheu zu sein brauchen. ({10}) Die Petitionsarbeit würde neue Impulse erhalten, und der Ausschuß würde als Ansprechpartner für alle Bürgerinnen und Bürger bekannter werden. Ich hoffe, daß meine Fraktion, wenn sie denn Regierungsfraktion ist, nicht davor zurückscheuen wird, öffentliche Ausschußsitzungen durchzuführen. Ich jedenfalls werde das sehr aufmerksam beobachten. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christa Nickels. ({0})

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Seuster, auch ich möchte Ihnen für die Arbeit in den zehn Jahren danken sowie dafür, daß Sie diese Rede, in der Sie daran erinnert haben, wie wichtig und wie schön diese Arbeit ist, gleichzeitig dazu benutzt haben, den Kollegen und Kolleginnen - auch denen des eigenen Ausschusses - etwas ins Stammbuch zu schreiben. Ich meine den Punkt, daß unsere Arbeit in ihrem Wert nicht erkannt werden kann, wenn man sie im Verborgenen leistet, wenn man sich dann auch noch freiwillig fesselt, die Rolläden herunterläßt, so daß man hinterher jammern muß, daß die Arbeit nicht zur Kenntnis genommen wird. Ich hoffe - Ihr Wort in Bernd Reuters Ohr -, daß das in der nächsten Legislaturperiode auch umgesetzt werden wird. ({0}) Demokratien leben davon, daß sie Impulse auf greifen und sich verändern können. Veränderung ergibt sich nicht von alleine und über Nacht. Vielmehr gelangt man über Konflikt und Konsens zu Veränderungen. Beides lebt und arbeitet unser Ausschuß exemplarisch dahin gehend vor, daß wir uns nicht selber irgend etwas ausdenken. Vielmehr stellt das, was uns die Bürgerinnen und Bürger vortragen, an Beschwerden, aber auch an konstruktiven Vorschlägen, die sie aufgegriffen haben wollen, in beispielhafter Weise ein Instrument von „checks and balances " dar. Wir sind ein Forum geworden, mit dem die Bürgerinnen und Bürger auch das „Raumschiff Bonn" gut erreichen können. Die Betroffenen, die schon einmal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, wissen das in aller Regel auch zu schätzen. Was mich sehr freut, ist die Tatsache, daß die Zahlen zeigen, daß dieses Forum, das der Ausschuß mit seinen Abgeordneten, seinen Sitzungen und seinem Ausschußdienst bietet, genutzt wird, um in einen Dialog mit dem Parlament einzutreten. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang das Kleingedruckte im Jahresbericht. Es ist beeindruckend - wenn wir uns die Zahlen vergegenwärtigen -, zu erfahren, daß es 1980 bei etwa 12 000 Petitionen insgesamt etwa 4 770 Nachträge gab. Dabei handelt es sich um die Fälle, in denen noch einmal nachgefragt und rückgeantwortet wurde, es also einen Dialog gab. Im letzten Jahr hatten wir - wie die Kollegen schon sagten -17 914 Petitionen; es gab aber 16 415 Nachträge. Das belegt eindrucksvoll, daß die Möglichkeiten des Petitionsrechts von den Menschen, die es kennen, durchaus genutzt werden und daß damit präzise und praktisch das Vorurteil vom Parlament als abgehobenem Raumschiff widerlegt wird. Wir als Petitionsausschuß haben Brückenfunktion und bieten ein Forum. Hier, im Plenum des Deutschen BundesChrista Nickels tages, sage ich: Es wird genutzt. Darum ist es erst recht sehr bedauerlich, daß die Mehrheit der Abgeordneten in unserem Ausschuß aus einer Art „Angst des Parlamentariers vor sich selbst und seinen Möglichkeiten" heraus sich bis heute nicht dazu durchringen konnte, einmal öffentlich zu tagen. Dazu ist das Nötige schon gesagt worden. Die Vorbereitungen dazu sind getroffen, und ich hoffe, daß uns das in dieser Legislaturperiode noch gelingen wird. ({1}) Ein vielgelobtes Markenzeichen des Petitionsausschusses ist, daß wir in der Mehrzahl der diskutierten Fälle trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtung zu einem einvernehmlichen Votum gelangen. Das ist für über 90 Prozent der Fälle Fakt; das muß man auch einmal sagen, weil meistens die strittigen Fälle ein größeres Interesse finden. ({2}) Wir konnten dadurch in zahlreichen Einzelfällen hilfreich tätig werden. Über diese Einzelfälle ist nicht viel bekannt, aber die Betroffenen schreiben uns Dankesbriefe, weil sie froh sind, daß sie eben nicht an einer anonymen Institution gescheitert und gestrandet sind, sondern daß man ihnen wirklich tätig geholfen hat. Es sind auch zahlreiche politische Initiativen aus diesem unmittelbaren Erleben und der unmittelbaren Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger, die an uns herangetragen wurde, entstanden und sind in vielfältiger Weise in die Arbeit des Parlaments eingeflossen, durch Anträge, Anfragen, Anhörungen von Fraktionen und Ausschüssen. Ab und an hat man auch einmal das Erfolgserlebnis, daß ein bürgernaher Minister etwas aufgreift, ehe Gerichte letzten Endes zugunsten der Betroffenen entscheiden; meistens sind es die Sozialgerichte selber. ({3}) Wir könnten diese Arbeit nicht tun, wenn nicht dieser Ausschuß ein Gebilde mit zwei Flügeln wäre. Wir haben sehr engagierte Abgeordnete; Frau Seuster hat dazu schon etwas gesagt. Wir hatten 13 000 Einzelakten, die in den drei Jahren dieser Legislaturperiode die 32 Abgeordneten des Petitionsausschusses bearbeitet haben. Jeder von ihnen kennt die „schwarzen Särge", die einen selbst im Urlaub verfolgen und die einem nachgeschickt werden. Dabei handelt es sich um besondere Behältnisse, bei denen sichergestellt ist, daß die Akten nicht verlorengehen und der Datenschutz gewährleistet ist. Für Petitionsausschußmitglieder gibt es keine Ferien von der Ausschußarbeit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das wäre nicht möglich, wenn wir nicht gleichzeitig einen Ausschußdienst hätten, der die vorbereitende Arbeit erledigt. Ich als Vorsitzende danke auch im Namen des ganzen Ausschusses dem Ausschußdienst sehr herzlich für diese wichtige Tätigkeit, ohne die wir unsere Arbeit nicht leisten könnten. ({4}) Die Arbeit konnte auch im letzten Jahr bewältigt werden, obwohl dem Petitionsausschußdienst von seiten der Bundestagsverwaltung das Leben oft dadurch erschwert worden ist, daß viele Stellen - deren Inhaber entweder in Rente gingen oder die infolge des normalen Wechsels bei jungen Beamten frei wurden - sehr schleppend nachbesetzt worden sind. Im Schnitt waren dadurch im letzten Jahr vier bis fünf Planstellen vakant. Was das für die Arbeit heißt, kann man sich vorstellen angesichts der Tatsache, daß unser Ausschuß nicht üppig ausgestattet ist und auch wir unter dem Diktat knapper Kassen sparsam arbeiten müssen. Ich bin sehr stolz darauf, daß der Ausschuß dieses Problem zum Positiven gewendet hat: Wir sehen selbstverständlich ein, daß im Zeichen knapper Kassen auch wir unseren Beitrag zur Sparsamkeit leisten müssen. Das darf aber nicht zu Lasten des grundgesetzlich verbrieften Rechtes der Bürgerinnen und Bürger auf ordentliche Bearbeitung ihrer Eingaben gehen. ({5}) Wir haben eine „Verwaltungsrefom" im Petitionsausschußdienst angeregt, der ja immerhin eine von dreizehn Unterabteilungen der Bundestagsverwaltung ist. Ich stelle fest: Das, was der Herr Innenminister sonst immer von den Verwaltungen verlangt, exerziert eine Unterabteilung der Verwaltung des Deutschen Bundestages, der Petitionsausschußdienst, in Eigeninitiative - mit tatkräftiger Unterstützung der Obleute - vor. Ich bin sehr stolz darauf, daß wir nicht nur die Anliegen unserer Bürgerinnen und Bürger bearbeiten, sondern auch dann tätig werden, wenn es gilt, vor der eigenen Tür zu kehren. Ein anderes Problem für unseren Ausschußdienst ist die Sachmittelausstattung. Wir sind zuversichtlich, daß wir die Personalsituation durch die angesprochene „Verwaltungsreform" in angemessener Art und Weise meistern; aber die Sachmittelausstattung des Ausschusses ist weiterhin vollkommen unzureichend, in einigen Bereichen sogar katastrophal. Letzteres betrifft insbesondere die Datentechnik. Das liegt nicht an mangelndem Geld. Dem Ausschuß wird Geld zur Verfügung gestellt, 1 Million DM im Jahr. Ich habe den Eindruck, daß es bedauerlicherweise daran liegt, daß die Verwaltung des Deutschen Bundestages einen nicht sachgerechten Einsatz von Steuermitteln vornimmt. Ich bin nicht die Dienstvorgesetzte des Petitionsausschußdienstes. Ich bin nicht befugt, mich in verwaltungsinterne Entscheidungsabläufe des Bundestages mit Weisungen einzumischen. Aber im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und eines funktionierenden Petitionsrechtes fühle ich mich verpflichtet, die Bundestagsverwaltung an ihre Aufgaben zu erinnern. Seit Jahren wird von den Obleuten und von mir ein leistungsfähiges Datenverarbeitungssystem eingefordert. Trotz hartnäckigen Bohrens treffen wir immer wieder auf eine Wand des Schweigens, wenn die Frage gestellt wird, was mit den nicht geringen bewilligten Geldern konkret passiert ist. Ich habe den Eindruck, daß hier Leistungen bezahlt werden, die tatsächlich nicht erbracht worden sind. ({6}) Ich will endlich Fakten auf den Tisch und bin mir mit den Obleuten einig darin, daß die Bundestagsverwaltung endlich tätig werden muß. Auch im Namen der Obleute habe ich hierzu etliche Vermerke gemacht und Schreiben aufgesetzt, die abgesegnet sind. Ich hoffe, daß demnächst einiges in Bewegung kommt. Jetzt noch zu einigen Bereichen, deren Eingaben sehr interessant sind. Auf Grund zahlreicher ressortübergreifender Eingaben sind die Anliegen von Frauen zu einem unübersehbaren Themenschwerpunkt des Ausschusses geworden. Der Petitionsausschuß hat sich diesem Bereich mit großem Engagement gewidmet. Wir stellen fest, daß sich - im Schatten der sogenannten großen politischen Debatten - in den Bitten und Beschwerden der Frauen an den Petitionsausschuß der Alltag einer männlich dominierten Gesetzgebung und Rechtsprechung ganz plastisch dokumentiert. ({7}) So wurde in mehreren Eingaben beklagt, daß beim Anhörungsverfahren für die Anerkennung politischer Flüchtlinge frauenspezifische Verfolgungsgründe falsch bewertet werden und es an weiblichem Anhörungspersonal fehlt. Nicht zuletzt auf die hartnäckige Arbeit des Petitionsausschusses ist es zurückzuführen, daß § 19 Ausländergesetz von allen Fraktionen als veränderungsbedürftig angesehen wird. Besonders die Verbesserung der Stellung der Frau im Rentenrecht war Gegenstand zahlreicher Eingaben. In Sammelübersichten mit mehr als 200 000 Unterschriften ging es vor allem um die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Die Palette der Eingaben an den Petitionsausschuß ist bunt wie das pralle Leben. Von meinen Kolleginnen und Kollegen wird das in den weiteren Redebeiträgen sicher noch weiter ausgeführt. Jetzt noch zu der „unendlichen Geschichte" - ein Punkt, der uns auch heute beschäftigt - Petitionsrecht und parlamentarische Kontrolle. Wir haben dazu einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu beraten. Ich will das Schicksal und die Bemühungen, die mit diesem Antrag verbunden waren, nicht in epischer Breite darlegen. Das würde, wie gesagt, eine „unendliche Geschichte" und auch den zeitlichen Rahmen meiner Rede sprengen. Worum geht es? In den vergangenen Jahren haben sich Bürgerinnen und Bürger massiv über erhöhte Telefonrechnungen beschwert. Jeder weiß, daß die Rechnungen von der mittlerweile privatisierten Deutschen Telekom AG ausgestellt werden. Der Bundespostminister hat nach dem Telekommunikationsgesetz Kontrollrechte und Einwirkungsmöglichkeiten. Er ist derzeit die Regulierungsbehörde. Er wacht über die Kundenschutzverordnung. Deswegen erwartet der Petitionsausschuß qualifizierte Maßnahmen dieses Ministeriums zu den eingegangenen Petitionen. Er erwartet auch, daß nach Möglichkeiten der Hilfe für die Petenten gesucht wird. Erst letzte Woche haben wir eine solche Petition hier einmütig zur „Erwägung" überwiesen. Es ist also kein trockenes Thema. Es geht um ganz originäre Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, die mit diesen Problemen alleine gelassen werden. Der Petitionsausschuß hat zu dem heute zu beratenden Antrag auf Drucksache 13/3327 eine eindeutige Stellungnahme abgegeben: Er hat diesen Antrag abgelehnt. Als bündnisgrüne Abgeordnete bedauere ich das. Als Vorsitzende des Petitionsausschusses möchte ich aber darauf hinweisen, daß der Petitionsausschuß zu diesem Antrag einstimmig beschlossen hat - ich zitiere -, vor der abschließenden Beratung eine Klärung der Rechtsfrage herbeizuführen, welche Befugnisse das Bundesministerium für Post und Telekommunikation gegenüber der Telekom AG bei der Prüfung von Kundenbeschwerden besitzt. Noch einmal: Der Beschluß ist einstimmig ergangen. - Eine solche Klärung ist bis heute unterblieben. Sie ist auch mit der Auslegungsentscheidung des Geschäftsordnungsausschusses nicht erledigt, wie uns der allerletzte Satz der heute zu beschließenden Vorlage glauben machen will. Mit der Vorlage von Listen und der Enumeration auslegungs- und abgrenzungsbedürftiger Zuständigkeitskomplexe - noch dazu ohne ein einziges Wort der Begründung - kann man ein solches Problem rechtlich nicht bereinigen. So kann mit dem Petitionsgrundrecht des Bürgers und dem Kontrollrecht des Parlaments nicht verfahren werden. Dafür geht es hier um zu hohe Güter unserer Verfassung. Darüber hinaus liegt zu diesem Problem eine Organklage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Abschließend möchte ich mit einem hoffnungsvollen Ausblick enden. Seit vielen Jahren ist bekannt, daß die meisten Petitionen und Eingaben, bezogen auf die Zahl der Bevölkerung, von den Berlinerinnen und Berlinern kommen. Wir sind im Augenblick alle sehr intensiv mit der Umzugsproblematik beschäftigt: mit der Umsetzung des Umzugs, mit der Raumsituation und damit, wie die Arbeitsfähigkeit des Parlaments während des Umzugs erhalten bleiben kann. Für uns als Petitionsausschuß kann es dort eigentlich nur „rosige Zeiten" geben: Wenn der Petitionsausschuß 1999 mit dem Bundestag nach Berlin zieht, wird er dort sicher von den Berlinerinnen und Berlinern mit offenen Armen empfangen. Ich glaube, daß öffentliche Sitzungen des Petitionsausschusses dann Usus werden - so ähnlich, wie das in Bayern heute schon bewährte Praxis ist - und keine Ausnahme bleiben. Doch als Vorsitzende kann ich zur Zeit beChrista Nickels stenfalls davon träumen, noch in dieser Legislaturperiode die erste öffentliche Ausschußsitzung zu erleben. Danke schön. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Kurzintervention des Abgeordneten Küster.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich mich wieder in die Debatte einmischen muß. ({0}) Ich muß mich einmischen als Vorsitzender der Kornmission des Ältestenrats für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und Medien, IuK-Kommission, zur Unterstützung der Tätigkeit der Abgeordneten. Ein Satz, den Sie gesagt haben, Frau Nickels, geht, glaube ich ({1}) - ich will nicht sagen: in die Hose -, ein wenig weit. Sie sollten sich genau überlegen, ob Sie das meinen, was Sie gesagt haben, nämlich daß hier Leistungen bezahlt werden, die nicht erbracht werden bzw. erbracht worden sind. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Ich sehe mich genötigt, mich hier eindeutig vor die zuständige Unterabteilung des Deutschen Bundestages zu stellen. Wir haben, glaube ich, genügend getan, um solche Dinge zu vermeiden. Ich gehe davon aus, daß wir auch zukünftig darauf achten, daß leistungsgerecht bezahlt wird. Der zweite Punkt ist vielleicht viel wichtiger - das ist auch Ihr Anliegen; dazu haben wir, glaube ich, eine umfangreiche Korrespondenz -: Die IuK-Kommission des Ältestenrates sieht ihre Aufgabe darin, ein Informationssystem für den gesamten Bundestag zu schaffen. Das ist eine Aufgabe, der wir seit Jahren sehr viel Aufmerksamkeit widmen, die wir intensiv angehen und für die wir Mittel zur Verfügung stellen. Es gibt ein Ausschußrahmenkonzept. Wie Sie wissen, sollen acht Ausschüsse mit den neuen Techniken ausgestattet werden, um die Arbeit der Ausschußmitglieder und der Ausschußsekretariate zu er-leichtem. Es gibt ein Sondersystem für den Petitionsausschuß: das System Petkom. Es gibt dort technische Probleme. Die rühren aus der Vergangenheit. Der Ausschuß hat bis zum Jahr 1994 auf eine besondere Unterstützung offensichtlich nicht in dem Maße Wert gelegt. Es ist Ihr Verdienst, daß Sie darauf gedrängt haben, daß hier eine Vernetzung mit anderen Informationsquellen hergestellt wird. Das ist richtig und wichtig. Die Verwaltung und die zuständige Kommission des Ältestenrats sind seit ungefähr zwei Jahren damit befaßt, Ihren Ansprüchen zu genügen. Das stößt auf erhebliche Schwierigkeiten; das will ich hier nicht weiter ausführen. Wir werden Mühe haben, die alten Systeme in die Zukunft zu überführen. Aber ich darf Ihnen versichern, daß wir Ihr Anliegen weiterhin berücksichtigen werden. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Nickels, bitte.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie sagen, Sie haben mein Anliegen in der letzten Zeit sehr ernsthaft bearbeitet. Ich bedanke mich dafür, daß Sie zugesichert haben, das auch weiterhin zu tun. Ich habe mir natürlich kühlen Kopfes gut überlegt, ob ich das Thema heute anspreche. Ich möchte wiederholen, was ich in meiner Rede gesagt habe: Ich habe den Eindruck, daß hier Leistungen bezahlt wurden, die tatsächlich nicht erbracht worden sind. - Ich habe dazu eine umfangreiche Korrespondenz und Aktenvermerke; das ist mittlerweile eine „unendliche Geschichte". Aber lassen Sie mich das kurz anreißen: Als ich Vorsitzende dieses Ausschusses wurde, die für die Verwaltung nicht zuständig und ihr gegenüber auch nicht weisungsbefugt ist, sondern sich rauszuhalten hat, soweit es nicht die Arbeit des Parlamentsausschusses beeinträchtigt, habe ich einen Antrittsbesuch bei allen Referaten der Unterabteilung, Petitionen und Eingaben gemacht. Ich habe mir von den Sachbearbeiterinnen sagen lassen, daß sie sehr große Probleme mit den PCs haben. Erst 1993 ist die Ausstattung erfolgt. Es handelt sich also nicht um Uraltsysteme, die vor undenklichen Zeiten installiert wurden. Nach den Aussagen der Mitarbeiterinnen entstanden dann erhebliche Probleme, weil es teilweise systembedingte Wartezeiten von fünf Minuten bei einem Vorgang gab. Sie können sich vorstellen, was das bei unserem Arbeitspensum heißt. - Ich habe Ihnen das vorgetragen: 16 000 Nachträge und etwa 80 000 Vorgänge im Jahr. - Ich habe gedacht: Das darf nicht wahr sein. Das kann doch wohl nicht sein. Wo ist man denn hier? Wir haben doch eine IuK-Kommission. Hier wird intensiv gearbeitet. Ich habe das nicht begriffen. Ich habe dann festgestellt, daß es noch 386er waren. Dabei wurden schon 1994/95 PCs mit Pentium von mittelständischen Unternehmen für 700 bis 1 000 DM nachgerüstet. Das habe ich mit meiner laienhaften Kenntnis vorgetragen. Darauf wurde mir gesagt: Das Nachrüsten pro PC kostet mehrere tausend Mark. Dafür ist kein Geld mehr da. Als ich dann nachgefaßt habe, wurde mir gesagt, daß jährlich insgesamt 1 Million DM für Pet-Kom da sei. Ich fragte, warum uns das Geld dann nicht zur Verfügung stehe. Ich habe mich auch erkundigt, was eine Nachrüstung von PCs durchschnittlich kostet. Im „Dezemberfieber" wurde dann auf 486er nachgerüstet. Das ist ein System, das bereits 1995 veraltet war. Ich bin mit meinem Anliegen schließlich nicht durchgekommen, ohne begreifen zu können, was da eigentlich vor sich geht. Ich habe mich immer wieder gemeldet, habe einen Brief an den Direktor geschrieben und mich schließlich im letzten Jahr an Sie gewandt. ({0}) - Das ist mit Ihnen, Herr Dehnel, und mit den Obleuten abgesprochen gewesen. Ich denke, man muß jetzt nachfassen, damit es nicht so weitergeht, sondern damit ein Schnitt gemacht wird und die Mittel effizient eingesetzt werden. Das ist mein Anliegen. Wenn meine Rede dazu beigetragen hat, bin ich hocherfreut; dann hat sie genau die Wirkung erzielt, die ich gern erzielen möchte. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich habe den Eindruck, daß noch einiges im nachhinein geklärt werden sollte. Wir werden aber jetzt in der Debatte fortfahren. Ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten Günther Nolting auf.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß ist ein Pflichtaussschuß, der nach dem Grundgesetz gebildet werden muß. Ich will an dieser Stelle festhalten, daß der Ausschuß im letzten Jahr in dieser guten demokratischen Tradition gearbeitet hat. Ich denke, wir haben auch im letzten Jahr gezeigt, daß der Petitionsausschuß als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger gesehen werden kann. Diese erfolgreiche Arbeit ist auf die kollegiale und sachliche Zusammenarbeit zurückzuführen wie auch darauf, daß wir Mitarbeiter im Petitionsausschußsekretariat, aber auch in unseren Büros haben, die die Arbeit vorbereiten und uns zuarbeiten. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Mitarbeitern recht herzlich bedanken. ({0}) Aber - ich gehe jetzt auf die aktuelle Diskussion ein - ich denke, daß wir so gut zusammengearbeitet haben, liegt auch daran, daß wir - abgesehen von einem Pressemitarbeiter, der den Verlauf der Diskussion im Petitionsausschuß verfolgt - generell nicht öffentlich tagen. Ich frage mich, ob die Herstellung einer generellen Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen wirklich der Arbeit des Petitionsausschusses dient, ob dies vor allen Dingen dem Anliegen der Petenten dient, ob wir dann in Zukunft noch so fraktionsübergreifend arbeiten wie bisher, ob wir dann immer noch an der Sache orientiert arbeiten oder ob wir hier nicht auch zu entsprechenden - lassen Sie mich das ruhig so bezeichnen - Schaukämpfen kommen. Petitionen mit privaten Anliegen könnten sowieso nicht öffentlich diskutiert werden. Ich bitte, das auch bei den weiteren Diskussionen mit zu berücksichtigen. Ich denke, ich finde hierfür auch Unterstützung bei einigen Vertretern der SPD-Fraktion. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, daß Sie das im nächsten Jahr eventuell einführen müssen, wie Sie das hier bekundet haben. Das werden wir schon zu verhindern wissen. ({1}) Auch im letzten Jahr hat es die Fortsetzung eines Trends gegeben, nämlich daß sich die Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern überproportional häufig an den Petitionsausschuß gewandt haben. Der Petitionsausschuß wird in diesem Zusammenhang auch in Zukunft seinen Beitrag zur inneren Einheit der Bundesrepublik leisten. Hier ist darauf hingewiesen worden, daß es auch im Jahre 1996 einen deutlichen Schwerpunkt der Petitionen im Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung gab, auch wenn die Zahl dieser Eingaben sehr stark zurückgegangen ist. 1996 hat es auch andere Schwerpunkte in der Arbeit unseres Ausschusses gegeben. Ich nenne hier das Asylrecht, das Asylverfahrensrecht, und ich nenne - im weitesten Sinne - Verbesserungen bei der Gleichstellung von Frauen. Hierzu hat es eine Vielzahl von Petitionen gegeben. Sehen Sie mir nach, daß ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses hier kurz darauf eingehe, daß es auch mehrere Petitionen gegeben hat, in denen Frauen - aus Sicht der F.D.P. völlig zu Recht - verlangten, eine gleichwertige Karriere wie die männlichen Kollegen bei der Bundeswehr machen zu können. Dies wird auch von der Mehrheit unserer Gesellschaft so gesehen. Ich denke, es ist an der Zeit, dieses letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot hier im Deutschen Bundestag durch Gesetze oder Verordnungen abzuschaffen. ({2}) Hierzu sollte es auch Unterstützung aus den Reihen der Opposition, speziell aus den Reihen der SPD, geben. Es gibt auch Vertreterinnen der Grünen, die das unterstützen. Wir haben in diesem Jahr wie auch in den zurückliegenden Jahren sehr viele aktuelle Themenkomplexe behandelt, mit denen Bürger aus aktuellen Anlässen an den Ausschuß herangetreten sind, die deutlich die besondere Fähigkeit des Ausschusses zeigen, gesellschaftliche Stimmungen und Tendenzen zu erkennen. Ich will hier an einige schmerzliche Petitionen erinnern, nämlich an die, die im Inland und Ausland verübte Greueltaten an Kindern aufzeigten. Hier forderten Petenten einen besseren Schutz von Kindern und weitere Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Straftaten. Die Ängste so vieler Bürger wurden und werden von uns sehr ernst genommen. Dem Deutschen Bundestag liegen nunmehr parlamentarische Initiativen aller im Bundestag vertretenen Fraktionen mit dem Ziel eines wirkungsvolleren Schutzes von Kindern vor; sie werden derzeit noch intensiv beraten. Ich denke, dies ist auch richtig so. Denn bei aller Notwendigkeit, hier zu handeln, muß gleichzeitig die gebotene Sorgfalt gewährleistet sein. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der uns sehr am Herzen liegt, nämlich - so habe ich es vorhin gesagt - Anwalt des Bürgers zu sein, was selbstverständlich die sorgfältige Bearbeitung der Eingaben von Kindern ' und Jugendlichen einschließt. In diesem Zusammenhang können wir feststellen, daß es einen Anstieg der Eingaben von Jungen und Mädchen gegeben hat, die sich hauptsächlich mit dem Tierschutz, aber auch mit dem Umweltschutz beschäftigen. In der Öffentlichkeit bekannt wurde dabei eine von Greenpeace unterstützte Aktion von 30 Kindern und Jugendlichen, die Ende 1996 den Schlüssel für einen riesigen Briefkasten übergeben haben, in dem sich über 90 000 Unterschriften für ein neues Sommersmog-Gesetz befanden. Dieser Briefkasten kann noch besichtigt werden. Ich finde es gut, daß dieser Briefkasten im Eingangsbereich zur Zuschauertribüne Platz gefunden hat. Auch damit wird dokumentiert, daß wir das Ganze wichtig nehmen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich denke, wir begrüßen alle das gesellschaftliche und politische Engagement unserer jungen Bürger. Vielleicht können wir eventuell vorhandene Ressentiments zwischen den Generationen abbauen. Vielleicht können wir Politikverdrossenheit ein bißchen abbauen. Ich will allerdings auch darauf hinweisen, daß es Fälle gibt, in denen wir aus den unterschiedlichsten Gründen nicht helfen können. Aber aus meiner Sicht überwiegen die positiven Fälle; Frau Vorsitzende Nickels hat darauf hingewiesen. Ich denke beispielsweise an eine Petition, bei der es darum ging, daß in Berlin eine Hilfseinrichtung für blinde Menschen mit einer nicht bezahlbaren Pacht belegt werden sollte. Hier konnten wir - wie in vielen anderen Fällen - durch unser Engagement sehr schnell helfen. So konnte zum Beispiel auch älteren wehrpflichtigen Petenten konkret geholfen werden, die nach einer Existenzgründung zum Grundwehrdienst einberufen werden sollten. Ich begrüße, daß wir dafür sorgen konnten, daß sie nicht eingezogen wurden. Die Bereitschaft junger Menschen, durch Existenzgründungen zur Schaffung von dringend notwendigen Arbeitsplätzen beizutragen, ist wichtig und richtig und muß dementsprechend unterstützt werden. Wenngleich ich hier ein Spannungsverhältnis zu der Wahrung der Wehrgerechtigkeit sehe, denke ich, daß man auch andere Aspekte berücksichtigen muß. Aber ich will darauf hinweisen, daß man jeweils im Einzelfall entscheiden sollte. ({4}) Ich möchte auch die Regierung ansprechen - ich habe das schon vorhin in einem Zwischenruf angedroht - und hier vor allen Dingen auf die sogenannten Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse des Petitionsausschusses an die Bundesregierung hinweisen. Ich weiß, daß die Beschlüsse des Petitionsausschusses - und so des Deutschen Bundestages - auf Grund des Gewaltenteilungsprinzips grundsätzlich keine Bindungswirkung gegenüber der Bundesregierung haben. Ich appelliere trotzdem an die Bundesregierung, die nach umfangreicher und sorgfältiger Prüfung für berechtigt erachteten Anliegen von Petenten stärker zu berücksichtigen und in deren Sinne für Abhilfe zu sorgen. Ich denke, hier geht es auch um ein Stück Glaubwürdigkeit von Parlament und Regierung. ({5}) Diese zu wahren ist nicht nur alleine unsere Aufgabe. Wir sind hierbei auf die Mitarbeit der Regierungsvertreter angewiesen und setzen auf ihre Kooperationsfähigkeit, auf ihre Kooperationsbereitschaft wie auch auf ihre Kreativität im Hinblick auf die Umsetzung der berechtigten Ersuchen seitens des Petitionsausschusses. Ich will mich ausdrücklich dafür bedanken, daß bei den Beratungen zu Petitionsangelegenheiten die Regierungsvertreter immer in dieser großen Anzahl hier vertreten sind. Das ist nicht überall der Fall. ({6}) - Nicht nur heute, Herr Kollege Reuter. Das war in den letzten Jahren immer so. Trotz dieser Problematik möchte ich noch einmal festhalten: Der Petitionsausschuß hat für 1996 seine Hausaufgaben gemacht. Er wird von der Bevölkerung akzeptiert. Wir sind uns nach wie vor unserer großen Verantwortung als „Kummerkasten der Nation" bewußt. Frau Nickels, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Wir als F.D.P. werden uns aus diesen Gründen wiederkehrenden Bestrebungen zur Einsetzung eines Bürgerbeauftragten sehr vorsichtig nähern. ({7}) Ich will zumindest für mich festhalten: Wir werden diesen Vorschlag ablehnen. Das Petitionsrecht ist - und das wird auch in Zukunft so sein - die ureigene Aufgabe des gesamten Parlamentes. Aus dieser Verantwortung dürfen wir das Parlament nicht entlassen. ({8}) Wir dürfen auch uns selbst nicht aus dieser Verantwortung verabschieden. Die Einführung eines Bürgerbeauftragten jedoch würde von dieser Verantwortung zumindest ablenken, die jeder einzelne von uns trägt, die das Parlament insgesamt trägt und im Inter- esse aller Bürgerinnen und Bürger auch tragen muß. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu den hier zu beratenden Sammelübersichten machen, zunächst zur Sammelübersicht 139, die thematisch auf die Sozialhilfe abzielt. Hier trat der Petent mit der Bitte an uns heran, wir möchten uns für eine menschenwürdige Bekleidung und die Befriedigung kulGünther Friedrich Nolting tureller Bedürfnisse im Bereich der Sozialhilfe einsetzen. Wir haben mehrheitlich festgestellt, daß das durch die Sozialhilfe abgesicherte Versorgungsniveau ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Ich möchte eine weitere Petition ansprechen - Sammelübersichten 142 und 182 -, die sich der Benennung von Kasernen widmet, und in aller Kürze auf die Praxis verweisen. Kasernennamen werden - das halte ich im Grundsatz auch für richtig und gut - im Einvernehmen zwischen den betreffenden Truppenteilen und der jeweiligen Kommune, in der die Kaserne liegt, gewählt und durch den zuständigen Inspekteur und den Verteidigungsminister genehmigt. Eine Kasernenbenennung per Dekret aus Bonn - sei es durch die Exekutive, sei es durch die Legislative - halte ich wie die Ausschußmehrheit mit Blick auf die Betroffenen vor Ort für abwegig. Folgten wir dem so strikt, wie es gefordert wird, gäbe es in Zukunft keine Stauffenberg-Kaserne mehr. Dies kann ja wohl nicht richtig sein. In Sammelübersicht 158 fordern die Petenten ein Gesetz, das Informationszugangsrechte für alle Bürger regelt. Gemeint ist hier im wesentlichen ein Einsichtsrecht in Unterlagen, die bei Behörden vorliegen. Ich weise darauf hin, daß alle Vorschriften, wo notwendig, ein gesetzlich verbrieftes Akteneinsichtsrecht enthalten. Dem Bedürfnis des Bürgers auf Information in dieser Hinsicht ist also Rechnung getragen. In Sammelübersicht 192 geht es um eine angebliche Pflichtverletzung der Treuhandanstalt bzw. ihrer Nachfolgeeinrichtung. Unabhängig davon, daß eine derartige Pflichtverletzung für die Ausschußmehrheit nicht erkennbar ist, hatte der Petent bereits den Rechtsweg beschritten und war gegen einen weiteren Beteiligten unterlegen. Mit der Treuhandanstalt hatte er einen Vergleich geschlossen, mit dem er allerdings im nachhinein nicht einverstanden war. Aus meiner Sicht bleibt festzuhalten, daß der Vergleich, der durch die Treuhandanstalt mit dem Petenten geschlossen wurde, für diesen eher großzügig bemessen war. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf die Beschlußempfehlung zur Frage der Kontrolle von Telekommunikation und Postwesen eingehen. Hier ist dem, was wir vorhin in einer kurzen Debatte dazu bereits gehört haben, kaum etwas hinzuzufügen. Die Deutsche Telekom AG und die Deutsche Post AG sollten so bald wie möglich in jeder Hinsicht Privatunternehmen sein und auch so behandelt werden. Für ein Privatunternehmen kann es aber über die bereits für die Wirtschaft bestehenden und gut funktionierenden Kontrolleinrichtungen hinaus keine staatlichen Kontrolleure geben. Zum Abschluß möchte ich noch einmal unterstreichen, daß es in der Arbeit und den Beratungen des Petitionsausschusses auch in diesem Berichtsjahr - ich habe es schon erwähnt - über die Fraktionsgrenzen hinweg möglich war - das wird auch weiterhin so sein -, Lösungsvorschläge im Sinne der Petenten zu erarbeiten und umzusetzen. Hier liegt unsere Stärke, trotz politischer Unterschiede alleine den Petenten im Mittelpunkt unseres Handelns zu sehen. Der Erfolg unserer Arbeit ist in erster Linie ein Erfolg für die Bürgerinnen und Bürger, die sich rat- und hilfesuchend an uns gewandt haben und auch in Zukunft an uns wenden werden. Liebe Frau Kollegin Seuster, Sie haben gerade gesagt, Sie gehörten demnächst dem Ausschuß zehn Jahre an und wollten im nächsten Jahr aufhören. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Auch ich bin jetzt zehn Jahre im Ausschuß. Ich kann feststellen, daß wir in vielen Bereichen sehr gut zusammengearbeitet haben. Nur gestatten Sie mir einen Hinweis: Ich möchte noch ein bißchen weitermachen. Vielen Dankfür Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die letzte Bemerkung richtete sich an den Wähler, nehme ich an. ({0}) Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Winfried Nachtwei das Wort.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Nolting, Sie haben am Ende Ihrer Rede kurz die Sammelübersichten zu dem Komplex Umbenennung von Kasernen angesprochen. Dazu meinen sicherlich die meisten, daß dieses Thema Schnee von gestern sei. Aber, ich glaube, es hat eine gewisse Aktualität im Zusammenhang mit den in der letzten Zeit von uns allen sehr bedauerten, zunehmenden rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr. Die Mehrheit des Ausschusses hat in dieser Hinsicht keinen Handlungsbedarf gesehen und hat schlichtweg gesagt: Wir sind nicht dafür zuständig; der Bundestag ist nicht dafür zuständig, und das Verteidigungsministerium ist ebenfalls nicht dafür zuständig; die Truppe vor Ort soll das erledigen. Wir sollten uns aber noch einmal ins Gedächtnis rufen, worum es bei Kasernennamen geht. Dabei geht es nicht einfach um militärisches Brauchtum, sondern um Traditionspflege. Die Funktion von Kasernennamen ist zuletzt vom Ministerium im G-1-Hinweis 4/87 festgelegt worden. Darin heißt es ganz deutlich, sie hätten für die politische Bildung und die Erziehung junger Soldaten eine besondere Bedeutung, und sie schafften Bezüge und vermittelten Sinngebung. Mit Kasernennamen werden also auch Vorbilder gesetzt. Das ist an sich völlig klar; darin stimmen wir alle überein; das ist völlig richtig. Die Realität von nicht wenigen Kasernennamen steht dem aber konträr und diametral entgegen; denn es gibt noch immer eine ganze Reihe von Kasernen, die nach sogenannten Helden des Ersten Weltkriegs und der Wehrmacht benannt sind, die zugleich - das ist das Wichtige - überzeugte Antidemokraten und Nationalisten waren. Das paßt mit dem vorher zitierten und völlig richtigen Traditionsverständnis auch der Spitze des Ministeriums in keiner Weise zusammen. Wenn jetzt aber keine Umbenennung dieser Kasernennamen in Angriff genommen wird, dann bedeutet das im Klartext, daß Vorbilder, die Antidemokraten und Nationalisten waren, für junge Soldaten in Kauf genommen werden. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum dann einerseits solches in Kauf genommen wird, also antidemokratische Vorbilder gesetzt werden, die für ein ganz bestimmtes Gedankengut stehen, und andererseits, wenn ein solches Gedankengut von Soldaten bzw. von Wehrpflichtigen praktiziert wird, konsequent eingeschritten wird. Das paßt in keiner Weise zusammen. Deshalb ist es wirklich eine Ausflucht und Feigheit vor bestimmten militärischen Subkulturen, wenn das Ministerium immer wieder darauf hinweist, das Initiativrecht der Truppe sei in einer entsprechenden Weisung festgelegt, und da wolle es sich basisdemokratisch verhalten. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Nolting, Sie wollen darauf antworten, bitte.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe darauf hingewiesen - dazu stehe ich auch -, daß Umbenennungen nicht von oben her befohlen werden sollten - ich will das einmal so ausdrücken -, sondern in Abstimmung mit den jeweiligen Kommunalparlamenten erfolgen sollten. Ich denke, die Kommunalparlamente sind sich ihrer Verantwortung bewußt. Ich bin selber zehn Jahre in einem Kommunalparlament gewesen und weiß, welche Verantwortung Kommunalvertreter vor Ort haben. Herr Kollege Nachtwei, nicht die Wehrmacht kann traditionsbildend sein - und sie darf es auch nicht -, aber einzelne Offiziere der Wehrmacht können sehr wohl traditionsbildend sein, zum Beispiel die Offiziere des 20. Juli. ({0}) Ich wehre mich dagegen, daß wir heute Wehrmachtsoffiziere pauschal verurteilen. ({1}) Ich denke, Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten sind hier entscheidend. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wenn Sie hier heute versuchen, einen Zusammenhang zwischen dieser Frage und dem Rechtsextremismus in der Bundeswehr herstellen, so weise ich dieses mit aller Entschiedenheit zurück. ({2}) Es gibt keine rechtsextremen Tendenzen in der Bundeswehr. Es gibt Einzelfälle. Ich füge hinzu: Jeder Einzelfall ist ein Fall zuviel. Aber Sie wissen aus Ihrer Mitgliedschaft im Verteidigungsausschuß ganz genau, daß hiergegen rigoros vorgegangen wird, und zwar auch mit Ihrer und unserer Unterstützung. ({3}) Ich sage auch an dieser Stelle: Die Bundeswehr ist Spiegelbild der Gesellschaft - mit allen Stärken, aber auch mit allen Schwächen. Wenn junge Männer 18 Jahre lang durch diese Gesellschaft geprägt worden sind, können wir nicht erwarten, daß die Bundeswehr innerhalb weniger Monate Fehlverhalten, das vorliegt, beseitigt. Deshalb verwahre ich mich noch einmal ausdrücklich gegen diese pauschale Verurteilung auch in dieser Frage. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Heidemarie Lüth.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist es wie ein Wunder, daß heute, am 1. Oktober, rund 3 Monate vor Jahresende, nun endlich der Jahresbericht Petitionen 1996 im Bundestag debattiert wird. Es ist auch fast wie ein Wunder, daß heute in 90 Minuten ein Mammutprogramm über die Bühne des Hohen Hauses gehen soll, wobei zum einen der Jahresbericht im Galopp diskutiert und zum anderen acht Aussprachen zu Sammelübersichten mit Änderungsanträgen und außerdem ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen eingebunden werden sollen. Ich wage zu behaupten, daß das eine gewisse Bewertung der Arbeit des Petitionsausschusses verdeutlicht. ({0}) In dieser Hinsicht hat sich gegenüber den vergangenen Jahren nicht viel verändert, so daß ich den Hauptteil meiner Redezeit auf die Änderungsanträge verwenden möchte. Dennoch möchte ich einige Punkte hier noch einmal benennen. Zu einem Problem, das hier schon mehrfach angesprochen wurde, zu den Sammelpetitionen. Auch das hat sich in den vergangenen Jahren ständig wiederholt. Die Zahl der Sammelpetitionen hat sich von 1450 im Jahre 1995 auf 1301 im Jahre 1996 verringert. Allerdings ist anzumerken - das bitte ich besonders zu beachten -, daß im Jahre 1995 rund 244 000 Unterschriften zu den Sammelpetitionen eingegangen sind und im Jahre 1996 897 000 Unterschriften zu diesen Sammelpetitionen eingegangen sind. Angesichts dieser Masse sollten wir den Ausdruck des Kollegen Nolting übernehmen, der den Ausschuß als den Kummerkasten der Nation betrachtet. Wenn diese Unterschriften alle in Einzelfertigung hier erscheinen würden, müßte man ihn wohl Kummercontainer der Nation nennen. ({1}) Ohne Zweifel sind diese Zahlen Ausdruck der wachsenden Demokratie, vielleicht auch des Unwillens der Bevölkerung. Sie zeugen davon, daß die von der Koalition beschlossenen Gesetze im Bundestag nicht im Interesse aller Bürger liegen. Das können sie sicherlich nie sein. Aber sie zeugen auch davon, daß diese Gesetze in vielen Fällen negativ auf Befindlichkeiten und Lebensumstände von Menschen in diesem Land einwirken. Die Petitionen mahnen damit Änderungsbedarf an. Ich möchte noch einmal darauf verweisen, daß viele Beschlußempfehlungen - das haben schon mehrere Kollegen manchmal sehr drastisch, manchmal sehr freundlich benannt - von der Regierung - um es einmal lax zu formulieren, wenn das keine Beleidigung des Parlaments ist - ganz einfach nach vorn weggeschoben wurden. 1996 waren insgesamt neun Berücksichtigungs- und 326 Erwägungsbeschlüsse des Plenums von der Bundesregierung nicht befolgt worden. 1995 waren es demgegenüber 23 Berücksichtigungs- und 267 Erwägungsbeschlüsse. Es ist für mich schon ein starkes Stück, wenn wir gegenüber dieser hohen Summe von 1995 eine Steigerung von 20 Prozent haben. Herr Kollege Nolting ist immer sehr bemüht, zu erklären, warum das demokratisch so sein kann. Es muß aber sicherlich nicht so sein. Manchmal frage ich mich schon, wer in diesem Hause nun der Souverän ist. Daß die Bemühungen, das Petitionsrecht mit einem Mehr an parlamentarischer Demokratie auszustatten, nicht von allen Fraktionen ernsthaft erwogen werden und es sich, wenn dann einmal erwogen wird, häufig nur um ein Lippenbekenntnis handelt, zeigt natürlich auch, daß Sammelübersichten, die 60 000 oder 200 000 Unterschriften haben, bei Abstimmungen dann in einem Abklatsch mit anderen Petitionen ganz einfach über die Bühne gingen, als hätte es ein Problem der Bevölkerung gar nicht gegeben. Ich denke, in diesem Sinne wäre es dringend erforderlich, gerade der Behandlung von Massenpetitionen im Deutschen Bundestag größere Bedeutung zuzumessen. ({2}) Nun zu den zwei Änderungsanträgen der Gruppe der PDS zur Sammelübersicht 195. Hier steht zum wiederholten Male ein Thema auf der Tagesordnung, nämlich die Petition für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges. Ich weiß nun nicht, ob ich von der ehemaligen Bundesrepublik sprechen soll. Die Bundesrepublik ist nicht mehr das, was sie vor 1989 war. Aber ich sage dann: aus der alten Bundesrepublik. Seit Jahrzehnten setzen sich Petenten, die mit mehr als 6000 Unterschriften unterstützt werden, dafür ein, daß Opfer des Kalten Krieges, die seinerzeit massenhaft in politischen Strafprozessen verurteilt wurden, endlich rehabilitiert werden. Es geht mir nicht darum, noch einmal zu sagen, daß 1968 ein Gesetz für all diejenigen verfaßt wurde, die noch nicht verurteilt worden waren, sondern es geht mir darum, daß all diejenigen, die bereits vor 1968 die Strafe verbüßt haben, nicht rehabilitiert wurden. Auch muß man hier betrachten: Es gab in dieser Zeit nach vorsichtigen Schätzungen wissenschaftlicher Institute 250 000 Ermittlungsverfahren. Nun sagt man immer sehr schnell: Das waren die Mitglieder der KPD. Aber das übersteigt die Anzahl der Mitglieder der KPD in den damaligen Jahren ganz erheblich. Auch heißt es dazu im „Spiegel" bereits 1992 zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten: Voraussetzung für eine Rehabilitierung müßte das Eingeständnis sein, Unrecht getan zu haben. Dazu fehlt sowohl den Parlamentariern als auch den Richtern die nötige geistige Unabhängigkeit. Zum zweiten Änderungsantrag zur eingereichten Petition - der Kollege Nolting hat schon darauf hingewiesen - zur weiteren Einschränkung der Sozialhilfe. Ich möchte hier nur einige Punkte nennen. Gegenwärtig müssen in Deutschland 2,5 Millionen Menschen von Sozialhilfe leben. Unter ihnen sind 960 000 Kinder. Häufig wird von der Koalition darauf abgestellt, daß es vorrangig ausländische Kinder sind. Da ist für mich erst einmal der Punkt: Mir ist es völlig egal, ob es ein ausländisches oder ein deutsches Kind ist; Sozialhilfe ist Sozialhilfe. ({3}) Es sind noch einmal 240 000 Rentnerinnen und Rentner, die darunter fallen. Es wird gesagt, daß viele Sozialhilfeempfänger doch besser arbeiten sollten. Aber diese beiden Gruppen können nicht arbeiten. Ein weiterer Punkt ist: Herr Seehofer hat in einer Presseerklärung dargelegt, 52,2 Milliarden DM würden für Sozialhilfe ausgegeben. Er hat dabei ganz vornehm verschwiegen, daß es in diesem Bereich auch 9,5 Milliarden DM Einnahmen gibt und daß 27 Milliarden DM gar nicht reine Sozialhilfe sind, sondern entsprechend BSHG für Menschen mit Behinderungen und zur Hilfe zur Pflege gezahlt werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, danke. Das heißt, wenn man es richtig betrachtet, daß 0,5 Prozent des Bruttosozialproduktes dieses reichen Landes für 2,5 Millionen Menschen bereitgestellt wurde, um ihnen ein würdevolles Leben zu ermögliHeidemarie Lüth chen. Das ist so wenig, daß diese Summe dringend erhöht werden muß. Danke. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lüth, Ihre Rede hat in dieser Debatte eigentlich das beste Argument gebracht, warum öffentliche Sitzungen oft nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger liegen. In den nichtöffentlichen Sitzungen gelingt es uns immer wieder, uns mit Sachlichkeit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu widmen. Es kommt häufig vor - auch das sollte man in einer öffentlichen Debatte sagen -, daß die eigene Position aufgegeben wird, weil einen die Argumente der anderen Seite überzeugen, und man dann zu gemeinsamen Beschlüssen kommt. Wenn wir öffentliche Sitzungen durchführen, droht aber eine stärkere parteipolitische Polarisierung. Was das heißt, haben Sie, Frau Lüth, in Ihrer Rede wirklich gezeigt. Mir steht es nicht zu, das will ich deutlich sagen, Ihre Vergangenheit als Kreissekretärin der SED und als Lehrerin für Geschichte und Staatsbürgerkunde zu bewerten. Wenn Sie hier aber der Mehrheit des Parlaments eine nicht ausgereifte parlamentarische Haltung vorwerfen, ist das doch schon ein relativ starkes Stück. ({0}) Wes Geistes Kind man ist, zeigt sich auch darin, wie man das Recht und die Möglichkeiten wahrnimmt, Petitionen öffentlich zu machen. Wir haben die Möglichkeit, Petitionen öffentlich zu machen. Sie haben mit der Sammelübersicht 195 eine Petition angesprochen, auf die ich gerne eingehen möchte. In ihr geht es um die Rehabilitation von Opfern des Kalten Krieges. In der Sitzung des Petitionsausschusses habe ich gesagt, daß auch nach meiner Überzeugung die Strafgesetzbestimmungen, die damals bloße Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt haben, zu weit gegangen sind. In der Bundesrepublik Deutschland hat man mit dem Achten Strafrechtsänderungsgesetz von 1968 diese falsche Ausweitung der Strafbestimmungen korrigiert. Wir sollten die Souveränität haben, dieses einzugestehen. Sie sind rechtspolitisch falsch, aber nicht verfassungswidrig gewesen. Deswegen kommt eine Rehabilitierung im eigentlichen Sinne nicht in Frage. Welchen Geist diese Petition atmet, sehen wir, wenn wir uns die Position Nummer 3 vornehmen. Wenn Sie diese Petition hier öffentlich machen, bringt das auch zum Ausdruck, wes Geistes Kind Sie sind. Dort heißt es: Es wird gefordert, daß umgehend Schluß gemacht wird mit der erneuten Praxis politischer Strafjustiz und Berufsverboten gegen Bürger des ehemals selbständigen und völkerrechtlich anerkannten Staates der DDR. Im Rechtsstaat sind aber die Gerichte unabhängig. Wir können im Parlament beschließen, was wir wollen, es wird auf der Grundlage der Gesetze entschieden, die wir hier beschlossen haben. Es gilt die Gewaltenteilung. Gerade beim Umgang mit den Verbrechen und Vergehen in der ehemaligen DDR wenden wir den rechtsstaatlichen Grundsatz „nulla poena sine lege" und zugunsten der Angeklagten das DDR-Strafrecht an. Ich finde, wer eine derartige Petition hier unterstützt, in der gefordert wird, daß das Parlament auf die Gerichte Einfluß nehmen soll und bestimmte Verfahren nicht mehr durchgeführt werden sollen, der steht in einer unheilvollen Tradition, in der Politik auf Rechtsprechung Einfluß genommen hat. So etwas sollte es so jedenfalls nicht wieder geben. ({1}) Es ist die Frage der Benennung der Kasernen angesprochen worden. Hier hat der Kollege Nolting schon darauf hingewiesen, von welchen Prinzipien wir uns dort leiten lassen. Der Bundesminister der Verteidigung hat es am 15. November 1995 noch einmal auf der 35. Kommandeurtagung in München ausgeführt: Nicht die Wehrmacht, aber einzelne Soldaten können traditionsbildend sein - wie die Offiziere des 20. Juli, aber auch wie viele Soldaten im Einsatz an der Front. Wir können diejenigen, die tapfer, aufopferungsvoll und persönlich ehrenhaft gehandelt haben, aus heutiger Sicht nicht pauschal verurteilen. Aber wir dürfen uns nicht nur auf rein militärische Haltungen und Leistungen beschränken. Entscheidend sind Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten. In diesem Zusammenhang freut es mich, daß es gelungen ist, die eine oder andere Kaserne umzubenennen, so daß wir zum Beispiel keine Generaloberst-Dietl-Kaserne mehr in Füssen haben und die General-Kübler-Kaserne in Mittenwald diesen Namen nicht mehr trägt. Ich finde, das sind gute Entscheidungen. Natürlich kann man sagen, Sie hätten früher kommen müssen. ({2}) Man kann aber den Fortschritt schon feststellen. Gleichzeitig ist bemerkenswert, daß in dieser Petition, die als Sammelübersicht ausgewiesen wurde, die eine oder andere historische Frage doch ein wenig unter die Räder gerät. Man unterstellt z. B. dem Namensgeber der Krafft-von-Dellmensingen-Kaserne, daß er Wehrmachtsoffizier gewesen sei. Er gehörte aber der Königlich-Bayerischen Ersten Infanteriedivision an. Auch die Unterstellung, daß die Wilhelm-Leuschner-Kaserne in Erfurt ihren Namen nach der Wiedervereinigung hat aufgeben müssen, ist falsch, denn die ehemalige NVA hat Kasernennamen überhaupt nicht gekannt. Auch in dieser Frage sollten wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Als Abgeordneter aus Hildesheim will ich gerne zugestehen, daß es im Zusammenhang mit der Namensgebung der Generalfeldmarschall-August-vonEckart von Klaeden Mackensen-Kaserne Diskussionsbedarf gibt. Der Grund, der zu der Entscheidung geführt hat, die Kaserne nach von Mackensen zu benennen - auch dieser Punkt gehört zu der Debatte -, sind nicht die Äußerungen gewesen, die ihm jetzt unterstellt werden oder die er tatsächlich gemacht hat - ich kann es historisch nicht beurteilen -, sondern der Grund liegt in der Tatsache, daß er durch eigene Tüchtigkeit den höchsten Rang erreicht hat, daß er aus kleinen Verhältnissen kam und dabei - so sagen es die Zeitgenossen - bescheiden, aufrecht, hilfsbereit und kameradschaftlich geblieben war. Das ist die Motivation für die Namensgebung gewesen und nicht die Äußerungen, die ihm jetzt zugeschrieben werden. Ich will aber deutlich sagen, daß ich diese Äußerungen in keiner Weise verteidigen will. Er soll im Falle von Matthias Erzberger von einer unheilvollen Figur gesprochen haben, und er soll demokratiefeindliche Äußerungen gemacht haben. Als Christdemokrat muß ich sagen: Auch weil Erzberger zu meinen politischen Vorbildern gehört, kann eine derartige Äußerung keinesfalls toleriert werden. Es gibt noch die eine oder andere Sammelpetition, auf die wir hier eingehen müssen. Kollege Nolting hat bereits auf die Petition hingewiesen, in der es um die Frage eines Abschlusses eines Vergleichs mit der Treuhandanstalt geht. Ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man nicht über den Umweg Petitionsausschuß etwas mehr für sich herausholen kann, wenn man einen Vergleich geschlossen und sich gemeinsam auf eine Regelung geeinigt hat. Nach dem entsetzlichen Unglück, das auch viele deutsche Touristen auf der Rückreise von der Dominikanischen Republik getroffen hat, haben wir uns mit Fragen der Flugsicherheit beschäftigt. Wir haben dazu das Bundesverkehrsministerium gehört. Wir können sagen, daß die vorgeschlagenen und von einem Petenten angeregten Änderungen des Reisevertragsrechts letztlich nicht geeignet sind, die Flugsicherheit zu erhöhen. Es ist nämlich in erster Linie keine Frage des Zivilrechts, denn dort kommt es auf öffentlich-rechtliche Bestimmungen und auf die entsprechende Kontrolle an. Vor dem Hintergrund der Selbstverpflichtung der Fluggesellschaften wird deutlich, daß in der Bundesrepublik Deutschland das höchstmögliche Maß an Sicherheit eingehalten wird, um die Sicherheit der Teilnehmer solcher Reisen zu gewährleisten. Als letzte Petition will ich die Petition ansprechen, die sich auf das Bedürfnis nach Akteneinsicht und auf die Forderung nach einem an den Freedom-of-Information-Act angelehnten Gesetz in der Bundesrepublik Deutschland bezieht. In diesem Zusammenhang will ich sagen, daß wir im Rahmen des Umweltinformationsgesetzes die Akteneinsichtsrechte in der Bundesrepublik Deutschland erheblich erweitert haben. Wenn wir einmal eine Bilanz ziehen und das amerikanische Gesetz und seine gesamten Ausnahmen mit den Möglichkeiten vergleichen, die heutzutage in der Bundesrepublik Deutschland zur Akteneinsicht bestehen, dann können wir feststellen, daß wir uns nicht zu schämen brauchen. Die Akteneinsichtsrechte in der Bundesrepublik Deutschland entsprechen dem demokratischen Standard. Wir können auf diese Akteneinsichtsrechte stolz sein. Dazu gehört immer noch der Hinweis, daß sich in Akten oft auch persönliche und private Daten und Informationen über andere Bürger befinden, die dann wieder eines Datenschutzes bedürfen. Also: Das Recht auf Akteneinsicht kann mit dem Anspruch auf Datenschutz kollidieren. Ich will mich zum Schluß noch einmal herzlich bei der Vorsitzenden und den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich freue mich auf das letzte gemeinsame Jahr im Petitionsausschuß. Vielen Dank. ({3}) - Dieser Legislaturperiode, Frau Kollegin. Ich als Demokrat bin der Meinung, daß Demokratie immer Machtvergabe auf Zeit ist und daß ich daher erst einmal das Votum der Wählerinnen und Wähler abwarten muß. Aber wenn Sie davon ausgehen, daß Sie das nächste Mal dabei sind, wünsche ich Ihnen jedenfalls viel Glück. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Abgeordneten Lüth.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr von Klaeden, ich bin mir nicht so ganz sicher, wie Sie Ihre Einlassung meinten, daß die PDS - in diesem Fall in meiner Gestalt - so eine öffentliche Ausschußsitzung zu politischen Zwecken mißbrauchen könnte. Wenn man bedenkt, daß in Bayern seit Jahren in trauter Einheit von CSU und SPD öffentlich getagt wird, dann müßten Sie meinen - so muß ich das Ihren Worten entnehmen -, daß von dem einzigen Mitglied der PDS im Petitionsausschuß eine so große Gefahr für die öffentliche Arbeit ausgeht, ({0}) daß das der Hauptgrund ist. Denn wenn es in Bayern möglich ist, daß CSU und SPD gemeinsam beschließen, kann es ja nur an mir liegen, wenn das hier nicht klappt. Da ich aber die Absicht habe wiederzukommen, müßten Sie das in der kommenden Wahlperiode klären. Zu dem zweiten Punkt. Ich für meinen Teil habe weder in diesem Parlament noch im Ausschuß, noch persönlich einem Mitglied seine Vergangenheit aufgerechnet oder sie in irgendeiner Weise öffentlich bewertet, weil das nicht mein Stil ist. Aber in diesem Falle muß ich das einmal tun. Ich frage mich natürlich, Herr von Klaeden: Wenn Ihnen meine Arbeit als Vorsitzende einer Kreisorganisation vom 17. November 1989 bis zum Januar 1990 so verwerflich erscheint, wie verwerflich muß Ihnen dann erscheinen, wenn Mitglieder Ihrer Fraktion langjährige Mandatsträger und langjährige Funktionsträger in der CDU waren? ({1}) - Ich denke, es bringt die Demokratie auch keinen Schritt weiter, Herr Dehnel, wenn man immer wieder versucht, Vergangenheiten gegeneinander aufzurechnen, ohne daß man die Personen, die hinter Fakten stehen, betrachtet oder kennt. Eine direkte Frage an Herrn von Klaeden: Darf ich aus Ihren Gedanken zu der Frage der Petitionen der - ich nenne sie noch einmal in der Kurzfassung - Opfer des kalten Krieges entnehmen, daß es nach Ihrer Darlegung ein Unrecht war, diese Strafen zu verhängen, und darf ich daraus entnehmen, daß es jetzt so ist, daß die betreffenden Personen wieder in ihre Rechte eingesetzt werden, daß sie unter anderem die Entschädigung auf Grund ihrer Zeit des Widerstandes in der NS-Diktatur, die ihnen aberkannt wurde oder die sie zurückzahlen mußten, erhalten und daß ihre Haftzeiten in der Bundesrepublik

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- der letzte Satz; ich bitte um Entschuldigung - auch als Anwartschaften für die Rente anerkannt werden? Danke.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ehe ich Herrn von Klaeden das Wort zur Entgegnung gebe: Wir sollten uns bei unseren Debatten darum bemühen, nicht die persönlichen Daten von Kollegen des Hauses einzubeziehen, die sich nicht wehren können. Herr von Klaeden, Sie haben das Wort.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lüth, ich habe das nicht als rhetorische Floskel gemeint, als ich zitierte, was Sie früher gemacht haben, und gesagt habe, daß es mir nicht zustehe, darüber zu urteilen. Ich habe mich bloß über Ihre Bemerkung geärgert, als Sie der Mehrheit des Hauses unparlamentarische Arbeit vorgeworfen haben. Das habe ich für erwähnenswert gehalten. Zu Ihrer Frage. Ich habe wirklich keine Schwierigkeiten damit, zuzugestehen, daß in Zeiten des kalten Krieges in den 50er und 60er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland Dinge abgelaufen sind, die ich heute für falsch halte. Ich weiß auch nicht, wie ich mich, wenn ich damals gelebt hätte und politisch engagiert gewesen wäre, in der Bundesrepublik verhalten hätte. Ich halte das rechtspolitisch und politisch für falsch und bin froh, daß dieses Parlament 1968 die Kraft gefunden hat, diese Strafvorschriften entsprechend zu korrigieren. Ihre Frage richtet sich aber darauf, ob ich der Ansicht bin, daß sie verfassungswidrig gewesen seien. Dieser Ansicht bin ich nicht. Deswegen sind ja auch die ganzen Rechtsfolgen, die Sie soeben aufgeführt haben und die in Richtung Rehabilitierung gehen, nicht zutreffend und aus meiner Sicht dann auch nicht notwendig. Frau Lüth, ich hätte es schön gefunden, wenn Sie, soweit Sie schon von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen, zu meiner Kritik an dieser Petition und diesem Anliegen Stellung genommen hätten. In dieser Petition wird nämlich implizit gefordert, daß das Parlament unmittelbar auf die Rechtsprechung Einfluß nimmt. Das ist eine Verkennung des Grundsatzes der Gewaltenteilung. An dieser Kritik halte ich fest. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Barbara Imhof das Wort.

Barbara Imhof (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben eines schon sehr deutlich gemacht: Die Arbeit des Petitionsausschusses ist immer auch ein Spiegel der Sorgen und Nöte in der Bevölkerung. In nicht geringem Umfang zeigen die Petitionen des Jahresberichtes, wo der Schuh drückt. Wenn sich politische Entscheidungen häufen, die von den Bürgerinnen und Bürgern überwiegend als Fehlentscheidungen und soziale Ungerechtigkeiten wahrgenommen werden, dann sammeln sich bei uns dazu die Petitionen. Ich finde, daß Sammelpetitionen mit über 20 000 Unterschriften allein zur Rentenanrechnung von Kindererziehungszeiten und zur Anhebung der Altersgrenze für Frauen eine deutliche Sprache sprechen. ({0}) Wenn der Kanzler mit Krokodilstränen in den Augen sagt, daß solche Entscheidungen persönlich besonders schwerfallen, ist es damit für uns nicht getan. In diesem Zusammenhang ist die hohe Zahl der Petitionen zu sehen, die in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung fallen. Sie macht mit immerhin knapp 5 000 Eingaben trotz des leichten Rückgangs bei der Gesamtzahl mehr als ein Viertel aller Eingaben aus. Hier zeigen die Kürzungen des sogenannten Sparpaketes deutlich ihre Wirkung. Vor dem Hintergrund des plebiszitären Charakters, der dem Petitionsausschuß von den Bürgerinnen und Bürgern offenkundig in zunehmendem Maße verliehen wird, muß eine Zahl des Jahresberichts - meine Kollegin Lisa Seuster hat sie bereits genannt - erschrecken. Im vergangenen Jahr ist mit neun Berücksichtigungsbeschlüssen und 326 Erwägungsbeschlüssen, denen die Bundesregierung nicht gefolgt ist, eine deutlich höhere Zahl als in den davorliegenBarbara Imhof den Jahren erreicht und die Grenze von 300 nicht umgesetzten Petitionen erstmals überschritten worden. Arroganz der Macht, wenn ich es einmal so nennen darf, kann sich in vielen Formen zeigen: als Untätigkeit in der Arbeitsmarktpolitik, als Diskriminierung in der Sozialpolitik oder als Ausgrenzung in der Familienpolitik. Diese Steigerung der Zahl der Fälle, in denen sich die Regierung über die höchsten Voten des Petitionsausschusses hinwegsetzt, scheinen mir eine besonders bedenkliche Spielart jener Arroganz zu sein. Nirgendwo sonst kommt es ja zu einem solch engen Kontakt zwischen der Exekutive und dem Bürger. Ich kann sehr gut verstehen, daß viele Petenten ernüchtert und regelrecht enttäuscht darüber sind, daß der Ausschuß keine wirklich eigenständige Beurteilung vorgenommen, sondern lediglich die Argumentation des zuständigen Ministeriums übernommen hat. In den wenigen Fällen, von denen ich jetzt spreche, ist hingegen das eingetreten, was die Bürger ursprünglich erreichen wollten, nämlich daß die beurteilende und vermittelnde Instanz gleichfalls von der Rechtmäßigkeit ihres Anliegens überzeugt ist und deshalb die Regierung zu unmittelbaren Konsequenzen auffordert. Die Weigerung der Exekutive, auf unsere Einschätzung zu reagieren, ist genau deshalb so fatal, weil sie das mit dem Petitionswesen verbriefte Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger gerade in dem Punkt zur Makulatur macht, in dem ihre Sicht der Dinge bereits von dritter Seite bestätigt schien. Das Ignorieren von Berücksichtigungsbeschlüssen kann kaum anders als eine Ohrfeige sowohl für den Petenten als auch für den Ausschuß als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger empfunden werden. ({1}) Ich sage dies so kraß, weil die Zahlen für sich sprechen: Von den 14 Petitionen, die der Deutsche Bundestag 1996 der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen hat, sind bislang drei positiv erledigt worden. Bei den Erwägungsbeschlüssen beträgt das Verhältnis 19 : 96. Und es ist ja nicht so, als gingen wir mit diesem stärksten Instrument, das uns zur Verfügung steht, besonders freigiebig um: 14 Berücksichtigungsbeschlüsse sind bei einer Gesamtzahl von rund 18 000 Eingaben weniger als 0,1 Prozent. ({2}) Ich finde eine Ignorierungsquote von über 80 Prozent entschieden zu hoch. ({3}) Ich könnte auch umgekehrt argumentieren und sagen: In den Petitionen, bei denen wir eine rasche Umsetzung anmahnen, finden sich doch Anregungen für begrüßenswerte Initiativen und sinnvolle Gesetzesänderungen. Damit enthalten sie ein ganz beachtliches Potential, Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und Bürgernähe zu praktizieren. Es ist mir vollkommen unverständlich, daß Gelegenheiten, Signale zu setzen, in der Mehrzahl nicht genutzt werden. ({4}) Als eines der wenigen positiven Beispiele ist die Erledigung des Berücksichtigungsbeschlusses im Falle einer Ärztin zu nennen, die die Zulassung von Kassenärzten als Teilzeitkräfte gefordert hatte. Nach der geltenden Regelung gab es nur Zulassungen für Vollzeitkräfte. Hierdurch waren insbesondere Ärztinnen benachteiligt, die wegen ihrer kleinen Kinder weder ganztags arbeiten mochten noch während der Erziehungsphase ihren Beruf vollständig aufgeben wollten, um den Anschluß nicht zu verlieren. Die ersten Stellungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit bestätigten lediglich den Sachverhalt und stellten keine baldige Gesetzesänderung in Aussicht. Wir aber haben mit unserem hartnäckigen gemeinsamen Votum auf Berücksichtigung erreichen können - das möchte ich mit einem entsprechenden Dank an die Regierungsseite betonen -, daß es zu einer vernünftigen und angemessenen Regelung gekommen ist. Seit dem 1. Juli dieses Jahres können sich mehrere Ärztinnen und Ärzte in Teilzeitarbeit eine gemeinsame Praxis teilen. Ich denke, das ist ein sehr schöner gemeinsamer Erfolg. ({5}) Ich finde, daß die Signalwirkung, die von einer solchen Entscheidung ausgeht, beträchtlich ist. Die Änderung ist familienfreundlich und trägt überdies, wenn auch nur in ganz kleinem Umfang, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei. Deshalb möchte ich nochmals meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß es auf Grund der Verweigerungshaltung der Regierung in der überwiegenden Zahl der Berücksichtigungsbeschlüsse nicht gelingt, solche Zeichen zu setzen. Seiner Natur nach gibt ein Jahresbericht eine Menge von Zahlen und Fakten wieder; wir haben im Verlauf der heutigen Debatte schon einige davon gehört. Genauso natürlich aber ist es, daß viele Einzelheiten unter den Tisch fallen müssen, weil Zahlen nur die allgemeinen Tendenzen wiedergeben können. Die nüchterne Zahl von knapp 18000 Eingaben - diese Zahl ist schon mehrfach genannt worden - verdeckt aber eher, daß es sich um 18 000 einzelne Anliegen handelt, hinter denen sich oftmals Schicksale verbergen, die uns nicht gleichgültig sein dürfen. Ich möchte einen solchen Fall herausgreifen, gerade weil er nicht im Jahresbericht zu finden ist: Die spanische Interessenvereinigung „Amical de Mauthausen" besteht aus einer Gruppe von etwa 70 Personen, die alle schon über 70 Jahre alt sind. Sie alle haben keine oder nur eine geringe Entschädigung für Haft und Zwangsarbeit in deutschen Kanzentrationslagern erhalten. Ungefähr 10 000 Spanier wurden in deutsche KZ deportiert; davon starben etwa 7000, mehr als 5000 in Mauthausen und seinen Nebenlagern. Diese Deportierten hießen im Nazijargon „Rotspanier"; denn sie waren Anhänger und Kämpfer der im spanischen Bürgerkrieg unterlegenen Republik; sie emigrierten nach Frankreich. Sie gelangten in großer Zahl in deutsche Gefangenschaft und wurden nach dem Waffenstillstand nicht entlassen, sondern in KZ „verbracht", wie es damals hieß. Nach Kriegsende kehrte ein Teil der Überlebenden nach Frankreich zurück, wo sie Entschädigungen durch den französischen Staat erhielten, weil Frankreich zu den elf westeuropäischen Staaten gehörte, mit denen die Bundesrepublik Globalabkommen zur Opferentschädigung getroffen hatte. Ein anderer Teil derjenigen aber, die die beabsichtigte „Vernichtung durch Arbeit", wie es ja auch im Nazijargon hieß, in Mauthausen überlebt hatten, kehrte trotz der Angst vor francistischen Repressionen nach Spanien zurück. Sie konnten nicht mit Entschädigungen rechnen, weil Franco-Spanien der einzige westeuropäische Staat war, der aus begreiflichen Gründen an einer Globalregelung für die überlebenden Opfer im eigenen Land nicht interessiert war. Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz von 1953 waren diesen Opfern ebenso verwehrt. Voraussetzung hierfür war nämlich, daß der Betroffene zum Stichtag 1. Oktober 1953 den Status eines Flüchtlings oder Staatenlosen gehabt hätte, was aber auf die vorher nach Spanien Zurückgekehrten nicht zutraf. Eine Anzahl von ihnen - aber nicht einmal alle - konnte 1981 eine Härtefallregelung geltend machen, die eine geringe einmalige Zahlung bewirkte. Es ist demnach so, daß diese Gruppe spanischer Opfer durch die Maschen aller Leistungsgesetze gefallen ist. Das Bundesministerium der Finanzen hat in seiner Stellungnahme die Auffassung vertreten, daß diese Entschädigungslücke nicht dem deutschen Staat angelastet werden dürfe. Ich muß sagen, daß ich das nach wie vor beschämend finde. ({6}) Es ist mir auch noch gut der Satz von Staatssekretärin Karwatzki im Ohr, die hier zu Beginn des Jahres mit Bezug auf das vorhandene gesetzliche Regelwerk behauptet hat, daß fast alle durch NS-Unrecht verursachten Schäden erfaßt werden und die Regelungen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Für die „Amical de Mauthausen" kann dies nur wie Hohn klingen. Ich bedauere es außerordentlich, daß im Ausschuß nur ein Konsens über die formale Korrektheit der bestehenden Regelung, nicht aber einer über die moralische Verpflichtung erreicht werden konnte, diese Opfergruppe angemessen zu entschädigen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, nochmals eindringlich an Sie zu appellieren, unseren diesbezüglichen Anträgen zuzustimmen. Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ist auch über 50 Jahre nach Kriegsende keineswegs abgeschlossen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Helmut Heiderich.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuß gehört sicher nicht zu den Gremien, die häufig in der Tagespolitik in Erscheinung treten. Er nimmt jedoch in unserer parlamentarischen Demokratie eine entscheidende Funktion wahr, bietet er doch den Bürgern die Möglichkeit, sich direkt mit ihren Problemen und Anliegen an die Volksvertretung zu wenden. Auch im vergangenen Jahr haben wieder 17 900 Menschen von diesem Grundrecht Gebrauch gemacht. Der Rückgang der Eingaben um rund 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist angesichts der Tatsache, daß wir in diesen Zeiten des Umbruchs den Menschen einiges an Veränderungen zumuten müssen, immerhin eine bemerkenswerte Entwicklung. Ich denke, er widerlegt auch deutlich die Behauptung der Opposition aus der Diskussion zum Jahresbericht 1995, in der vorgetragen wurde, es werde eine Politik gemacht, die von vielen Menschen nicht mehr nachvollzogen werden könne. Besonders auffällig ist - auch da habe ich eine andere Auffassung, als sie eben geäußert wurde -, daß sich der Anteil des BMA an den Petitionseingängen um rund 1000 auf jetzt etwa 4800 reduziert hat. Die Sozialpolitik der Koalition wird von den Bürgern offenbar längst nicht so kritisch gesehen, wie die Opposition dies so gern öffentlich behauptet. ({0}) Offensichtlich haben die Menschen begriffen, daß bei weitem nicht mehr alles machbar ist, was wünschenswert erscheint, und daß keine Regierung in dieser Zeit ohne Einschränkungen und Straffungen der Leistungskataloge auskommt. ({1}) Erfreulich ist, daß den Bitten und Beschwerden der Petenten in zirka 45 Prozent der Fälle entsprochen bzw. Abhilfe geschaffen werden konnte. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, die symptomatisch sind. Im vergangenen Jahr konnte einer Petentin geholfen werden, von der das zuständige Arbeitsamt eine Rückzahlung in Höhe von 2600 DM einforderte mit der Begründung, sie hätte die Fehlberechnung des Amtes bemerken müssen und könne sich nicht auf den Vertrauensschutz berufen. Der Petitionsausschuß hat sich dieser Wertung nicht angeschlossen. Ein Bürger muß grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, daß die von der Behörde vorgenommenen Berechnungen richtig sind. Man kann von dem BetrofHelmut Heiderich fenen nicht in jedem Falle erwarten, die Fehlentscheidung von Behörden zu erkennen. - Mittlerweile ist dieser Mißstand entsprechend bereinigt. Ein anderes Beispiel: Eine Bürgerin hatte in Eigeninitiative für ihren lernbehinderten Sohn eine Lehrstelle als Dachdecker gefunden. Das zuständige Arbeitsamt lehnte die Zahlung eines Zuschusses an den Ausbildungsbetrieb zunächst ab, da es davon ausging, der lernbehinderte Sohn werde auf Grund seiner Leistungen im vergangenen Berufsvorbereitungsjahr den Lehrabschluß nicht erreichen. Die Prüfung des Anliegens durch uns ergab dann, daß eine behindertengerechte Ausbildung erfolgversprechend sei, und ein Zuschuß wurde bewilligt. Die Eigeninitiative von Bürgern zu unterstützen, die häufig von Vorschriften behindert und von Behörden etwas zurückhaltend begleitet wird, ist eine der wesentlichen Aufgaben des Petitionsausschusses. Hier wollen und können wir wertvolle Hilfe leisten, wie dieses Beispiel gerade zeigt. Nicht selten gibt die Arbeit des Petitionsausschusses Anlaß zu Gesetzesinitiativen oder Verbesserungen bestehender Gesetze. Denn kein Staat, keine Bürokratie ist unfehlbar. So können in der Praxis Mängel auftreten, die im Wege des Petitionsverfahrens und nach entsprechendem Anstoß durch diesen Ausschuß beseitigt werden können. Ein Beispiel dafür ist die in der letzten Zeit diskutierte Frage der Stellung von Behinderten in Werkstätten für Behinderte. Zwar sind mit der Sozialhilfereform zum 1. August zahlreiche Änderungen in Kraft getreten, die die Stellung der in Werkstätten für Behinderte Beschäftigten verbessern, zum Beispiel durch einen arbeitnehmerähnlichen Status mit der Folge, daß arbeitsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften jetzt volle Anwendung finden. Trotzdem hat sich der Petitionsausschuß der Auffassung angeschlossen, daß die Gleichstellung von Behinderten noch stärker in das öffentliche Bewußtsein gerückt werden muß, der bereits eingeschlagene Weg fortgeführt werden muß und daß Regelungen, die für Behinderte nach wie vor als nachteilig angesehen werden können, entsprechend geändert werden müssen. Weitere Beispiele betreffen. Initiativen, welche über Arbeitsgruppen weitergetragen werden oder in den Fraktionen eine nachfolgende Bearbeitung auslösen. Wie andererseits Petitionen gesetzgeberischen Aktivitäten auf dem Fuß folgen, zeigte im vergangenen Jahr beispielsweise die Tatsache, daß die Umsetzung der Pflegeversicherung einen großen Anteil der Beschwerden ausmachte. Jetzt ist die zweite Stufe der Pflegeversicherung umgesetzt. Daß bei einem solch umfassenden Projekt, der Schaffung einer grundlegend neuen Säule der Sozialversicherung, natürlich Sand im Getriebe sein kann, ist selbstverständlich. Aber inzwischen hat die Zahl der Petitionen abgenommen, die Leistungen der Pflegeversicherung werden anerkannt. Insgesamt werden 32 Milliarden DM pro Jahr verausgabt, etwa 1,7 Millionen Menschen erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung, und rund 75 000 neue Arbeitsplätze sind in diesem Umfeld entstanden. ({2}) Das macht, so denke ich, auch deutlich, daß man selbst eine Flut von Petitionen nicht falsch bewerten darf. Sie sind nicht immer einfach Hinweise darauf, daß Bürger eine bestimmte politische Entscheidung ablehnen, sondern helfen in der Regel auch bei der Feststellung, was in der Umsetzung noch zu harmonisieren und zu optimieren ist. ({3}) Unter diesem Gesichtspunkt muß man Petitionen sehen. Gelegentlich entwickeln Petenten mit ihrem Anliegen aber auch eine solche Egozentrik, daß man diese der Allgemeinheit nicht zumuten kann. Auch der Sozialstaat - das wird häufig vergessen - lebt von der Solidarleistung der Beitragszahler. Wer auf der einen Seite über zu hohe versicherungsfremde Leistungen redet, kann auf der anderen Seite nicht in Petitionsfällen die Erweiterung der Sozialleistungen fordern. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf das zurückkommen, was von der PDS eben zur Sozialhilfe vorgetragen worden ist. Da konnte man den Eindruck gewinnen, als sei die Sozialhilfe in einem bejammernswerten Zustand. Auf der kommunalen Ebene stellt sich das etwas anders dar. Der dortigen Presse ist zu entnehmen, daß ein Mißbrauch der Sozialhilfe stattfindet, daß manche Menschen aus diesem System zuviel für sich selbst herauszuholen versuchen. Sehr häufig wird die Erfahrung gemacht, daß Sozialhilfe so gut bemessen ist, daß Anreize zur Beschäftigung fehlen. ({4}) Auch das muß man in diesem Zusammenhang sicherlich feststellen - ich kann das ganz tagesaktuell zitieren -: Derjenige, der Sozialleistungen bekommt, muß auch bereit sein, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Meine Damen und Herren, man kann es natürlich auch schlicht und einfach so sagen wie Herr Schröder - das ist in der heutigen Presse nachzulesen -: „Es gibt kein Geld mehr für höhere Sozialleistungen. " Auch so kann man diese Situation natürlich sehen. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Rede kommen.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Abgeordneten - das darf ich sicher fraktionsübergreifend sagen - sind uns jedenfalls stets bewußt, daß die Vielzahl von Veränderungen, die Flut von Gesetzen und Verordnungen, das Tempo des Voranschreitens Bürgern und auch Behörden manches abverlangen. Deshalb nehmen wir jedes einzelne Anliegen ernst

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Rede kommen.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Herr Präsident, selbstverständlich - und gehen ihm mit Akribie nach. Ich hoffe, daß diese intensive Arbeit des Ausschusses auch in der Öffentlichkeit noch stärker gewürdigt wird. Schönen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Bernd Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Ausschuß ist von allen Seiten immer wieder bedauert worden, daß alle Versuche, mit den Regierungsvertretern zu einem Abkommen zu gelangen, unmöglich gewesen und zerschlagen worden sind... Die Verhandlungen sind von vomherein von dem Grundsatz ausgegangen, daß formalrechtlich die Regierung ihre Pflicht getan hätte... Das hat aber den Ausschuß nicht davon abhalten können, ...immer wieder... zu sagen: Hier ist eben das formale Recht mit dem wirklichen Leben in Widerspruch gekommen. Das Problem, das der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Biedermann in einer Sitzung des Reichstages im März 1928 ansprach, ist uns allen bei unserer Arbeit wohlbekannt. Noch heute erleben wir, daß sich die Regierung nicht selten auf formal-rechtliche Standpunkte zurückzieht. Noch heute ist es bei der Behandlung von Petitionen nicht selten der Fall, daß nicht der Mensch und sein Schicksal im Vordergrund stehen, sondern das Gesetz, die Verordnung oder der Erlaß; das konnten wir erst vor kurzem bei einer Regierungsbefragung im Ausschuß erleben. Ich will diese Tendenz und diese Bewertung nicht nur bei den Mitgliedern der Bundesregierung festmachen. Im gesamten Parlament müßten wir die Probleme der Menschen ernster nehmen, als wir es tun. Ich möchte diese Debatte zum Anlaß nehmen, deutlich darauf hinzuweisen: Es kann doch wohl nicht sein, daß man der Öffentlichkeit allen Ernstes eine 90 minütige Debatte zumutet, in der der Jahresbericht des Petitionsausschusses diskutiert wird, angehäuft mit einer Menge von Sammelübersichten. Das ist ein Sammelsurium. Sammelübersichten, meine Damen und Herren parlamentarische Geschäftsführer, sind doch nicht dazu da, im Ältestenrat gesammelt zu werden. Vielmehr sind sie nach § 112 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages innerhalb von drei Sitzungswochen nach der Verteilung auf die Tagesordnung zu setzen. ({0}) Die jüngste Sammelübersicht, die wir heute behandeln, ist zehn Sitzungswochen alt. Ich will im Hinblick darauf, daß das alles öffentlich ist, verschweigen, wie alt die älteste ist. ({1}) - Nein, ich halte mich in manchen Dingen vornehm zurück. Ich will auch keine Kritik an der Arbeit des Ausschußdienstes üben. Ich will an uns alle appellieren, mehr Mut zur Selbständigkeit und auch zu kritischerem Denken bei der Bearbeitung der Petitionen aufzubringen. Es ist erhellend, zu hören, was der Kollege Heiderich, der vor mir gesprochen hat, sagt: daß bei der Bundesregierung alles in den besten Händen sei und daß man im Prinzip froh sein müsse, wie da alles geregelt werde. Es kann doch nicht Aufgabe eines Abgeordneten sein, der im Petitionsausschuß tätig ist, sich immer schützend vor die Bundesregierung zu stellen. Wir haben die zentrale Aufgabe, uns schützend vor die Menschen dieses Landes zu stellen. Es ist ganz egal, welche Regierung wir haben. ({2}) Ich habe auch schon eine andere Regierung erlebt. Da waren wir nicht so zimperlich, wie Sie es heute sind. Man muß auch einmal den Mut haben, Kollege Dehnel, „zuzulangen"; denn wenn Sie sich hier hinstellen und das Kabinett loben - ich bin stolz und froh, daß da einige sitzen, die früher bei uns gelernt haben -, geht das zu weit. ({3}) - Herr Kollege Nolting, Sie leben immer noch in der Hoffnung. Der Punkt ist doch der: Wenn der Petitionsausschuß den Wunsch hat, einen Minister zu sprechen, dann hat der Minister zu erscheinen, ob es schneit oder stürmt. So einfach ist das. ({4}) - Es hat in Maßen funktioniert, Herr Kollege. Es muß alles besser werden. ({5}) - Wir kommen doch nicht weiter, wenn wir es so machen wie Sie, wenn wir uns hier hinsetzen und alles belobigen. Wir müssen doch auch deutlich sagen, wo es nicht funktioniert. Ich sage Ihnen, was mich immer vom Sessel reißt. Das ist dann der Fall, wenn in einem Vermerk steht: Das Ministerium hat nach Recht und Gesetz gehandelt, deshalb muß die Petition abgeschlossen werden. - Ich bin der Meinung: Ein Ministerium muß immer nach Recht und Gesetz handeln. Wenn es das nicht macht, muß der Minister zurücktreten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Reuter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Klaeden?

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Reuter, meinen Sie nicht, daß sich aus der Tatsache, daß wir eine ganze Menge Petitionen an die Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen haben und dies immer wieder löblich als Ausweis unserer Arbeit hervorgehoben wird, in gewisser Weise ergibt, daß auch die Abgeordneten der Koalition dann, wenn es sachgerecht ist, durchaus bereit sind, der Regierung Paroli zu bieten?

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege von Klaeden, ich bin fasziniert, daß es mit Ihnen manchmal gelingt, der Bundesregierung Petitionen zur Berücksichtigung zu überweisen, wobei ich hin und wieder den Eindruck habe: Das ist eine Beerdigung erster Klasse. Es hilft doch nichts, wenn 0,8 Prozent der Petitionen, die wir zur Berücksichtigung an die Regierung geben, tatsächlich umgesetzt werden. Natürlich ist die Bundesregierung ein anderes Verfassungsorgan, aber ich gehe immer davon aus, daß die Gewalt vom Volke, vom Parlament ausgeht und die Regierung mehr als bisher den Petitionen folgen sollte. Sind Sie anderer Meinung? ({0}) - Gut. Darin sind wir uns einig. Damit komme ich auch gleich zu Ihnen; denn Sie haben vorhin den Eindruck vermittelt, daß wir keine öffentlichen Sitzungen machen können, weil dann die böse Frau Lüth, das Gespenst der PDS, auftaucht. Wenn Sie gute Argumente haben, brauchen Sie vor der PDS doch keine Angst zu haben. ({1}) - Sie haben keine Argumente; das ist auch gut. ({2}) - Ach, Sie haben Argumente. Wenn Sie gute Argumente haben, dann haben Sie bitte keine Angst. Ich sage Ihnen dazu einmal einen Lehrsatz eines Menschen, der hier schon einige Jahre mitdiskutiert: Transparenz erzeugt Akzeptanz. ({3}) Ich bin nicht der Meinung, daß wir uns verstecken müssen. Das, was wir heute machen, ist im Prinzip nichts weiter als eine erweiterte öffentliche Ausschußsitzung. ({4}) Der Kollege Hörster sagt: immerhin. Es freut mich, daß wir uns auf dieser Ebene verständigen können. ({5}) Ich bin der Meinung: Wir müssen so manche Beamten- und Verwaltungsmentalität ablegen. Wir müssen die Petitionen ernster nehmen. Ich sage jetzt etwas an alle Fraktionen im Haus: Warum saugen wir eigentlich keinen Honig aus den Meinungen, die uns die Bürger vortragen? Warum lassen wir die vielen Petitionen einfach versanden und geben als Parteien und Fraktionen viel Geld aus, um herauszufinden, was die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes denken und von der Politik wollen? Wir könnten doch die Petitionen als Stimmungsbarometer und Fundus nutzen, um daraus politische Handlungsfelder zu gewinnen. Warum passiert das alles nicht? ({6}) Ich bin der Meinung, daß wir allesamt die Aufgabe haben, uns mehr um die Interessen und Befindlichkeiten der Bürger zu kümmern und die an uns herangetragenen Petitionen nicht allein im Bereich des Petitionsausschusses, sondern auch in der allgemeinen parlamentarischen Arbeit umzusetzen. Meine Damen und Herren, ich will in der gebotenen Kürze auf einige Änderungsanträge eingehen. Die Pflichtverletzung der Treuhandanstalt - Sammelübersicht 192 - ist bereits genannt worden. Es hilft jetzt nicht, detailliert auf die Probleme einzugehen. Ich will nur sagen, daß Bürgerinnen und Bürger in Not geraten sind, weil es in der Kompetenzverteilung der Treuhandanstalt Merkwürdigkeiten zwischen Halle und Berlin gab und weil das Bundesfinanzministerium meiner Ansicht nach nicht ordentlich gearbeitet hat. Dann müßten wir eigentlich den Mut finden, zu sagen: Solchen Menschen muß geholfen werden. Jetzt komme ich zum Reisevertragsrecht, Sammelübersicht 194. Wenn der Reiseveranstalter eine weniger renommierte Fluggesellschaft, als ursprünglich vorgesehen, für den Transport der Fluggäste beauftragt, kann der Fluggast vom Flug nur zurücktreten, wenn er gravierende Mängel am Flugzeug festgestellt hat. Soll denn der Fluggast in Frankfurt mit dem Ölkännchen um die Maschine laufen und schauen, ob die Räder noch rollen, oder mit dem Hammer klopfen, um zu sehen, ob die Flügel noch ganz sind? Das kann doch nicht wahr sein. Hier muß meiner Ansicht nach das Parlament den Mut finden, das geltende Reisevertragsrecht zu ändern, damit der Kunde in der Lage ist, von dem Flug zurückzutreten, wenn der Veranstalter sein Fluggerät ändert. Wenn man für die Interessen der Bevölkerung ein Ohr hat, kann es nur so funktionieren. ({7}) Die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen ist das Thema einer weiteren Sammelübersicht,' die heute noch nicht genannt wurde, die mir aber sehr am Herzen liegt. Mit dieser Petition wird beanstandet, daß die für die ehrenamtliche Tätigkeit gezahlte Aufwandsentschädigung auf die Überbrückungshilfe für Beschäftigte alliierter Behörden angerechnet wird. Der Bundesminister des Innern konnte in einem ähnlichen Fall Abhilfe schaffen. Hier kann er es nicht, weil die Mehrheit des Ausschusses nicht bereit ist, diese Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Ich habe etwas dagegen, daß wir in Sonntagsreden die Wichtigkeit des Ehrenamtes und des politischen Engagements beschwören und gleichzeitig diejenigen, die das machen, bestrafen. ({8}) Man muß sich einmal vergegenwärtigen, was dort passiert: Ein ehrenamtlicher Bürgermeister erhält eine Aufwandsentschädigung für eine Aufgabe, die er neben seinem Beruf erfüllt. Diese Aufwandsentschädigung wird ihm auf sein normales Gehalt angerechnet, das er von den alliierten Behörden bezieht. Dies kann eigentlich nicht gewollt sein. Ich bitte jetzt einmal die Mehrheit, hier - sofern das physikalisch möglich ist - über ihren Schatten zu springen und zuzustimmen. Den Änderungsanträgen der PDS - das will ich in der gebotenen Kürze sagen können wir nicht zustimmen. Bei der Petition, die die Rehabilitierung politisch Verfolgter während des kalten Krieges betrifft, müssen wir eine Ablehnung signalisieren. Dann möchte ich noch in der gebotenen Kürze auf die Petitionen zu den Kasernennamen eingehen. Es ist interessant, daß Herr von Klaeden hier mit Freude sagt: Es ist wirklich toll, daß es keine „Dietl-Kaserne" mehr gibt. Meine Damen und Herren, wie lange mußten die Petenten und auch eine Minderheit im Ausschuß kämpfen, bis der Herr Minister Rühe bereit war, sich zu bewegen? Dann kann man dies nicht als Erfolg feiern. Es ist eigentlich ein Dilemma, daß es so lange gedauert hat. ({9}) Zum Schluß komme ich noch zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hier besteht die Problematik, daß sich der Bundestag mit der Postreform selbst die Hände gebunden hat. Wir haben nur noch eingeschränkte Einflußmöglichkeiten. Wir werden daran gehindert, das Petitionsrecht so weiterzuentwickeln, daß auch noch Bereiche von Telekom und Bahn, die jetzt privatisiert sind, erreicht werden, weil uns das Aktienrecht Grenzen setzt. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir den Menschen anders helfen können. Ich bin von der SPD-Fraktion beauftragt, hier zu sagen, daß wir dem Antrag nicht zustimmen können. Ich füge für mich persönlich hinzu: Leider .kann ich diesem Antrag hier nicht zustimmen. ({10}) Meine Damen und Herren, ich möchte insbesondere Sie auf der rechten Seite - lieber Siegfried, auch dich - auf die Worte des Reichstagskollegen Biedermann hinweisen und appellieren: Gegenüber dem Formatrecht muß das lebendige Recht den Vorrang behalten. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir weiterhin im Petitionsausschuß mitarbeiten. Schönen Dank. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu Abstimmungen über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses. Ich rufe zunächst die Sammelübersicht 139 auf Drucksache 13/5524, „Keine weitere Einschränkung der Sozialhilfe ", auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/8543 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ich komme zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit derselben Stimmenmehrheit angenommen worden ist. Dann kommen wir zu der Sammelübersicht 142 auf Drucksache 13/5613, „Keine Benennung von Kasernen der Bundeswehr nach Offizieren der ehemaligen Deutschen Wehrmacht". Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, und zwar auf der Drucksache 13/8621, über den ich zuerst abstimmen lasse. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses in der Ausschußfassung. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch ) Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist. Dann kommen wir zu der Sammelübersicht 182 auf Drucksache 13/6985, „Umbenennung der Generalfeldmarschall von Mackensen-Bundeswehrkasernen" . Dazu gebe ich das Wort zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Hans Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde gegen die Beschlußempfehlung des Ausschusses und für Berücksichtigung der Petition stimmen. Ich will das kurz begründen. Über die Umbenennung von Bundeswehrkasernen haben wir bereits über ein Jahrzehnt im Ausschuß debattiert und dabei eines ignoriert: Die Namen, derenwegen Petitionen eingereicht werden und über die gestritten wird, wurden in der Regel in dem Zeitraum um 1965 gegeben. Zu dieser Zeit gab es noch nicht den Traditionserlaß, auf den man sich heute von seiten des Verteidigungsministeriums immer wieder beruft, wenn es darum geht, Namensänderungen vorzunehmen. Dennoch sind die Namen - das wurde schon mehrmals gesagt und in der Vergangenheit diskutiert - traditionsbildend und traditionsfördernd. Sie geben ein falsches Bild von Tradition, das mit der heutigen Bundeswehr nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun ) hat. Diese Namen - speziell der des Herrn Generalfeldmarschalls von Mackensen - sind überhaupt nicht geeignet, einer Armee in einem demokratischen Staat als Vorbild zu dienen. Mackensen war sicherlich ein tapferer Soldat, wie man so sagt, und hat sich in einem preußischen Armeekorps hochgedient. Aber er war absolut unfähig zu Demokratie. Er war der Diktatur hörig, und, was noch schlimmer ist, er hat sich von dieser Diktatur persönlich bestechen lassen. Ich denke dabei an das Geschenk, das ihm Herr Hitler in Form eines Gutes überreicht hat und das ihn dann veranlaßt hat, als alter Mann - ich will das gar nicht bewerten -, Lobreden auf den Führer zu halten. Dies macht ihn absolut ungeeignet, daß sein Name auch nur an irgendeiner Stelle der Bundeswehr, die sich in dem Führungskreis der jüngeren Generation nach 1965 vorbildlich demokratisch entwickelt hat, als Vorbild in Form eines Kasernennamens auftritt. Ich kann deswegen nicht verstehen, daß es trotz dieser Situation noch immer Kollegen und vor allem Vertreter im Verteidigungsministerium gibt, die, obwohl sie sagen: „Wir wollen Soldaten, die sich unserem demokratischen Staat verbunden fühlen, durch die Namensgebung ehren", diese Tradition selbst vehement verteidigen und sich noch immer auf die Argumentation zurückziehen, vor Ort müsse der Änderungsprozeß eingeleitet werden. Die Gemeinden vor Ort wurden damals nicht gefragt. Die Gemeinden, die heute betroffen sind, sagen mit aller Deutlichkeit: Es ist nicht unsere Aufgabe, sondern es ist die Aufgabe der Bundeswehr und auch die des Bundestages, als meinungsbildendes und -führendes Gremium darauf zu achten, daß unserer Bundeswehr nicht durch eine solche falsche Namensgebung Schaden zugefügt wird. Ich werde also für eine Berücksichtigung dieser Petition stimmen und möchte Sie, die Sie noch anderer Ansicht sind, erneut bitten, dem zu folgen. Wir schaden damit nicht der Bundeswehr, wir nützen ihr. Wir sollten alle daran interessiert sein, hier. einen Schritt voranzukommen. Dies kann und muß mit den Betroffenen vor Ort geschehen. Aber der Impuls dazu muß von diesem Parlament ausgehen. Hier muß möglichst schnell eine Entscheidung für unsere demokratisch orientierte Bundeswehr getroffen werden. Sie darf nicht länger mißbraucht werden, indem man sich hinter Formulierungen versteckt, die zum Zeitpunkt der Namensgebung überhaupt noch nicht bekannt waren. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wir kommen zu den Abstimmungen. Zuerst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 8622 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen bei einer Stimmenthaltung aus den Reihen der CDU/ CSU angenommen worden ist. Dann rufe ich die Sammelübersicht 158 auf Drucksache 13/5990, „Umfassende Informationsrechte für alle Bürger regeln", auf. Auch dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den ich zuerst abstimmen lasse. Das ist die Drucksache 13/8626. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Nun kommen wir zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Dann rufe ich die Sammelübersicht 192 auf Drucksache 13/7276, „Pflichtverletzung der Treuhandanstalt", auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch der Fraktion der SPD vor, über den ich zuerst abstimmen lasse. Das ist die Drucksache 13/8632. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag. mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Nun kommen wir zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Dann rufe ich die Sammelübersicht 194 auf Drucksache 13/7278, „Gesetzliche Regelung im Reisevertragsrecht" , auf. Auch dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8633 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Nun kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Ich rufe die Sammelübersicht 195 auf Drucksache 13/7279, „Rehabilitierung politisch Verfolgter", auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor - das ist die Drucksache 13/8544 -, über den ich zuerst abstimmen lasse. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Ich rufe die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe die Sammelübersicht 196 auf Drucksache 13/7280, „Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten", auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Das ist die Drucksache 13/8634. Darüber lasse ich zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ich komme nun zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit derselben Stimmenmehrheit angenommen worden ist. Nun kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, „Petitionsrecht und parlamentarische Kontrolle im Bereich der Telekommunikation und des Postwesens", auf Drucksache 13/6149 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3327 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich komme zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Auslegung der §§ 105 und 108 der Geschäftsordnung des Bundestages über den Umfang und die Grenzen parlamentarischer Fragerechte einschließlich der Petitionsinformationsrechte. Das ist die Drucksache 13/6149 Nr. 2. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist. Damit sind wir am Ende dieses Punktes der Tagesordnung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c und den Zusatzpunkt 1 auf: 4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stillstand in der Wettbewerbspolitik beenden - wettbewerbliche Strukturen sichern - Drucksache 13/4598 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Schwanhold, Hans Martin Bury, Anke Fuchs ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wettbewerbspolitik in Industrie und Handel auf eine gesicherte empirische Grundlage stellen - Drucksache 13/7029 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Innenausschuß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Elftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1994/1995 - Drucksachen 13/5309, 13/5310 ({4}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Rechtsausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ZP1 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1995/96 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 13/7900 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Professor Dr. Uwe Jens das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von den Sozialdemokraten wurde der Antrag „Stillstand in der Wettbewerbspolitik beenden - wettbewerbliche Strukturen sichern" vorgelegt. Wir diskutieren auch das Elfte Hauptgutachten der Monopolkommission. Ich gebe gerne zu: Es ist eine etwas trockene Materie, die jetzt ansteht. Aber sie ist von außerordentlicher Bedeutung für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft. Herr Rexrodt, der hier anwesend ist, hat zu diesem Thema - ich glaube, schon dreimal - eine Novelle angekündigt. Zweimal hat er auch schon Eckwerte vorgelegt. Bisher ist es noch nicht zum Kabinettsentwurf gekommen. Ich sage: leider. Aber ich füge hinzu: Das wird in dieser Legislaturperiode auch nichts mehr. Wer Erfahrung auf diesem Felde hat, weiß, daß solch ein Gesetzentwurf mindestens zwei Jahre vor Beendigung der Legislaturperiode eingebracht sein muß, wenn er noch verabschiedet werden soll. Das ist zwar traurig; aber dann bleibt uns Sozialdemokraten nichts anderes übrig, als am Anfang der nächsten Legislaturperiode sofort einen umfassenden Gesetzentwurf vorzulegen. ({0}) - Es ist nicht nur Blockadepolitik, Ernst, es ist vor allem wieder einmal der Streit in den eigenen Reihen. ({1}) Sie streiten nicht nur über die Steuerreform, Sie streiten auch über diese GWB-Novelle. Und zwar hat die CSU angedroht, wenn nicht endlich etwas Vernünftiges im Hinblick auf den Handel dazukomme, dann werde sie dagegen stimmen. ({2}) Herr Minister Wissmann ist dagegen, weil er Angst hat, daß sein Ausnahmebereich gestrichen werden soll. Herr Borchert ist ebefalls dagegen, weil auch er Angst hat um seinen Ausnahmebereich. Einmal mehr können Sie sich nicht zusammenraufen. Es ist in Ihren Reihen offenbar doch so etwas wie Endzeitstimmung aufgekommen. ({3}) Es läuft bei Ihnen nichts mehr. ({4}) Das ist wirklich bedauerlich. ({5}) Dabei muß ich zugeben: Ich fand die letzten Eckwerte von Herrn Rexrodt nicht völlig falsch. ({6}) Wenigstens waren darin ein paar Punkte enthalten, die mit den Vorstellungen unseres Antrages übereinstimmten. Das sollte man ehrlich sagen, finde ich. Auch wir wollen verstärkt Rücksicht auf den sogenannten potentiellen Wettbewerb, der vom Ausland auf die deutsche Wirtschaft zukommt, nehmen. Ich habe deshalb die Kritik des Bundesverbandes der Deutschen Industrie überhaupt nicht verstanden. Der BDI - das will ich hier ganz ehrlich sagen - ist meines Erachtens über Ludwig Erhard nicht hinweggekommen. Er hat seitdem nicht mehr allzuviel dazugelernt. Wir müssen doch zumindest erkennen, daß ein anständiger Wettbewerb generell dazu beiträgt, die Innovationen in der Volkswirtschaft zu fördern und zu beschleunigen. Darum geht es doch wohl uns allen. Wo liegen die Probleme? Die Konzentration schreitet unaufhaltsam voran. Sie hat ein Ausmaß angenommen, das auf verschiedenen Märkten nicht mehr akzeptabel ist. Die kleinen und mittleren Unternehmen kommen auf bestimmten Märkten immer stärker unter die Räder der Machtkonzentration. Das Instrumentarium, das wir haben, ist leider unvollkommen. Man muß einmal mehr feststellen: Der Gesetzgeber läuft der tatsächlichen Entwicklung auf diesem Felde hinterher und wirkt dementsprechend wenig gestaltend. Ich glaube, wir brauchen eine saubere Schwachstellenanalyse. Wir brauchen etwas mehr strategisches Denken. Wir müssen uns etwas mehr von den Interessen lösen, die in der Wirtschaft vorhanden sind und hier im Parlament dominieren. Ich füge hinzu: Für uns Sozialdemokraten kommt es verstärkt darauf an, das Gemeinwohl in Erinnerung zu behalten und an das anzuknüpfen, was Schiller und Erhard einmal vorgegeben haben. ({7}) Vorab zwei Grundsätze aus meiner Sicht. Beim GWB geht es darum, den Wettbewerb zu schützen und zu fördern. Das ist viel. Es geht mir darum, daß wir alles tun, um die Flexibilität der Preise zu erhalten und, wenn es geht, auch auszubauen. Preisflexibilität ist der entscheidende Wettbewerbsparameter. Herr Rexrodt, was auf dem Tourismusmarkt zur Zeit passiert, kann ich überhaupt nicht für vernünftig erachten. Es ist nicht akzeptabel, daß sich dort zwei Konzerne bilden: bekanntlich ein gelber und ein roter, die dann mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Reisenden verstärkt das Fell über die Ohren ziehen. Auch kann ich nicht verstehen, was im Bereich der Banken und Versicherungen passiert. Da haben wir einen Extragesetzentwurf vorgelegt. An und für sich müßten wir uns doch auf zwei Punkte einigen können, zum einen darauf, daß man es endlich verbietet, in zwei Aufsichtsräten von miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen zu sitzen. Das ist doch eine Eliminierung des Wettbewerbs par excellence. Weiterhin müßten wir uns doch einigen können, daß auf diesem Felde die Beteiligung der Banken an der Wirtschaft und an den Nichtbanken deutlich reduziert wird. ({8}) Herr Lambsdorff plädiert ebenfalls dafür. Aber Sie können sich auch auf diesem Felde nicht zusammenraufen. Die deutsche Wirtschaft ist extrem kartelliert. Die Banken beherrschen dieses Feld. Das ist mit eine entscheidende Ursache dafür, daß wir wirklich mit Innovationen und auch mit Investitionen in der Volkswirtschaft nicht vorankommen. Darauf kommt es uns Sozialdemokraten verstärkt an. ({9}) Vor allem die Lebensmittelbranche will ich nicht unerwähnt lassen. Sechs Konzerne haben mittlerweile einen Marktanteil von 70 Prozent. Auch hier muß etwas getan werden. Ich finde, das Bundeskartellamt war einmal besser, als Herr Kartte da war, Herr Minister. Es ist schwächer geworden. Aber auch die Bundesregierung täuscht manchmal Aktivitäten vor und tut nichts für die wirklich Bedrohten auf diesem Gebiet. Die Monopolkommission hat aus meiner Sicht recht, wenn sie feststellt: Konsequentes Wettbewerbsrecht wirkt sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen günstig aus. Das sollten wir uns alle ein wenig hinter die Ohren schreiben. Wir möchten vor allem in drei Feldern verstärkt aktiv werden. Zunächst einmal geht es uns darum, daß die Fusionskontrolle - der Zusammenschluß von Unternehmen; das sind alles Fachausdrücke, die man kaum übersetzen kann; dafür entschuldige ich mich - nicht aufgeweicht, sondern ausgeweitet, effektiver gestaltet und besser gemacht wird. Wir sind nicht der Ansicht, daß man nur Kontrollbeteiligung oder ähnliches machen darf. Jetzt ist die Aufgreifschwelle bei 25 Prozent festgelegt. Viele kaufen aber nur 24,9 Prozent, um aus der Fusionskontrolle herauszufallen. Wir sind der Auffassung: Wir müssen Fusionen auch kontrollieren, wenn nur 10 Prozent oder etwas mehr aufgekauft werden. Schon da muß man ansetzen. Wir sind nicht der Ansicht, daß eine Fusion erst dann untersagt werden kann, wenn eine marktbeherrschende Stellung bereits besteht. Vielmehr müßte sie schon untersagt werden können, wenn die wettbewerblichen Strukturen in Gefahr geraten. So steht es übrigens im europäischen Recht, wenigstens in Ansätzen. Das ist einfach nur logisch. Von Zeit zu Zeit wäre es ganz schön, wenn wir in der Politik der Logik eine Gasse bahnten. ({10}) Wir brauchen nach sozialdemokratischer Auffassung eine Entflechtungsregelung. Dort ist einfach eine Lücke im Kartellrecht. Wir haben Kartelle verboten, und wir kontrollieren Unternehmenszusammenschlüsse. Aber wenn es sehr große Marktmächte gibt, dann können wir nichts mehr machen. Insofern muß man wie in den Vereinigten Staaten sehr wohl dafür sorgen, daß solche ganz Mächtigen, die einen Markt beherrschen, nicht etwa vom Staat kontrolliert werden - das wäre völliger Blödsinn -, sondern zumindest wieder zerschlagen werden können, um wettbewerbliche Strukturen wiederherstellen zu können. Auch darüber muß man einmal reden. Das müßte verstärkt in Ihrem Hause vorangetrieben werden. Ich sage noch einmal: Das generelle Kartellverbot, das wir im GWB haben, ist richtig. Es ist auch durchaus richtig, wenn wir schon den Abschluß von Kartellverträgen, wie Herr Rexrodt das vorgesehen hatte, unter Strafe stellen und nicht erst die Praktizierung. Die Konditionen- und Rabattkartelle sind für mich aber, Herr Minister, ein Beitrag dazu, daß der Wettbewerb nicht auf fremde Felder ausgeweitet wird. Über Konditionen kann man ja streiten; wichtig ist aber, daß man solche Wettbewerbsbereiche am Rand durch die Zulassung solcher Kartelle eliminiert und den Wettbewerb auf den Preiswettbewerb konzentriert. ({11}) Deshalb meine ich: Eine apodiktische Abschaffung ergibt keinen Sinn. Wir treten auch dafür ein, daß die Mittelstandskartelle - § § 5 b und 5 c - die aus meiner Sicht eine Art Gegenmacht gegenüber den Großen bilden - nur dann darf es sie im übrigen auch geben -, nicht abgeschafft werden, sondern erhalten und vielleicht sogar ein wenig ausgeweitet werden, so daß die Kleinen auf diese Art und Weise eher eine Chance haben, im Wettbewerb mit den Großen zu bestehen. ({12}) Wenn wir schon einmal über die Ausnahmebereiche des Kartellgesetzes sprechen, müssen wir auch überlegen, ob wir außer den Konditionen- und Mittelstandskartellen nicht auch unter bestimmten Bedingungen Umweltkartelle akzeptieren sollten, wenn zum Beispiel der Umweltschutz auf diese Art und Weise sinnvoll vorangetrieben werden kann. ({13}) Ein Kartell - das sollten wir in Erinnerung behalten - ist gegenüber der Fusion und der Bildung eines Großkonzerns die harmlosere Art der Wettbewerbseliminierung. Deshalb sollten wir an Kartelle weniger strenge Maßstäbe als etwa an Fusionen oder Großkonzerne anlegen. Wichtig ist für mich, daß wir uns über den § 26 - Diskriminierungsverbot - Gedanken machen. Es gibt ja eine Fülle von Überlegungen - auch seitens der CSU, die ich aber nicht für so furchtbar vernünftig halte -, was wir machen können, um die Konzentration im Handel zu bekämpfen. Daß das ein ernstes Anliegen ist, gebe ich gerne zu. Eine spezielle Fusionskontrolle aber, wie es der Markenverband für den Handel gerne hätte, ergibt ja keinen Sinn. Dann benötigten wir demnächst auch eine spezielle Fusionskontrolle für den Touristikmarkt oder für die Elektrizitätsversorgung. Von solchen kuriosen, interessegeleiteten Vorstellungen sollten wir nun wirklich Abstand nehmen. Es macht aus meiner Sicht auch keinen Sinn, ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen generell einzuführen. ({14}) Im UWG haben wir das schon in Ansätzen geregelt, aber es generell einzuführen ist wirklich nicht sinnvoll. Wir wollen die Flexibilität der Preise auch nach unten. Das ist unternehmerisches Risiko. Dementsprechend können wir ein Verbot auch nicht für sinnvoll erachten. Ein generelles Diskriminierungsverbot macht auch keinen Sinn. Trotzdem müssen wir uns über das Diskriminierungsverbot im § 26 Gedanken machen, denn hier liegt die eigentliche Ursache für die zunehmende Konzentration im Handel. Manchmal werden den ganz Mächtigen Konditionen gewährt, die mit Wettbewerb nichts mehr zu tun haben und sachlich auch nicht gerechtfertigt sind. Hier spielen einfach Machtgelüste eine Rolle. ({15}) Ich habe das Gefühl, daß das Kartellamt hier stärker herangehen muß. Ich will nicht, daß das Kartellamt etwa zum Preiskommissar wird und nun überall die Bedingungen kontrolliert. Es wurde ja schon einmal überlegt, bestimmte Mindestpreise festzulegen, die auch gegenüber Kleineren nicht unterschritten werden dürfen. Das ist, auch auf Grund der Argumentation, die ich hier bisher vorgetragen habe, eine sehr schwierige Sache. Aber auf diesem Felde könnten wir mehr tun, um die Konzentrationen ein wenig zu verringern. An dieser Quelle müssen wir ansetzen. Die anderen Ansätze ergeben wohl kaum einen Sinn. Auch die kleineren und mittleren Unternehmen, für die wir uns immer eingesetzt haben und auch weiterhin einsetzen, weil wir genau wissen, daß sie das dynamische Element in der Wirtschaft darstellen und die Innovationen, die wir wollen, vorantreiben, wollen ja keinen Schutzzaun und kein abgeschottetes Gebiet, sondern ganz zweifellos Wettbewerb haben. Diesen Unternehmen kann man im Wettbewerbskampf wahrscheinlich eher dadurch helfen, indem man in der Steuerpolitik und nicht im Wettbewerbsrecht Änderungen durchführt. ({16}) - Das geht auch mit der SPD, wenn es um kleine und mittlere Unternehmen geht. Sie haben wohl unsere Vorschläge nicht gelesen. ({17}) Auch hier gilt es, den richtigen Ansatz zu finden, um die Unternehmen in der Zukunft ein bißchen zu stärken. Abschließend einige Bemerkungen zur Angleichung des deutschen Wettbewerbsrechts an das EU-Recht, Herr Rexrodt. Für mich ergibt es nur einen Sinn - weil wir mit dem deutschen Wettbewerbsrecht gut gefahren sind -, daß wir das EU-Recht an das deutsche Wettbewerbsrecht anpassen und nicht etwa das deutsche Wettbewerbsrecht an das EU-Recht. ({18}) Im übrigen geht das EU-Recht weitgehend auf deutsche Bestimmungen zurück. Wir haben bei der Diskussion immer gesagt: Das EU-Recht ist zu schwach; es ist noch nicht vollkommen und beinhaltet zu wenig; wir müssen noch nachbessern. Aber wir haben es geschluckt, weil es besser ist, daß für alle das schwache EU-Recht gilt, als daß wir es überhaupt nicht haben. Jetzt kann es aber nicht etwa darum gehen - wie der BDI es gerne möchte -, diese schwachen Regelungen auf Deutschland zu übertragen. Das ist völlig unakzeptabel. Sinnvoll ist es - Sie haben unsere Unterstützung, wenn es um die Schaffung einer unabhängigen Kartellbehörde geht; aus meiner Sicht sind wir in Deutschland mit unserem Kartellamt trotz aller. Problematik, die ich natürlich kenne, relativ gut gefahren -, zunächst einmal eine Fusion unter wettbewerblichen Gesichtspunkten zu prüfen; dann kann es auch noch eine Ministererlaubnis geben. Im allgemeinen hat das Kartellamt dazu beigetragen, verhältDr. Uwe Jens nismäßig viele wettbewerbliche Strukturen in unserem Lande zu erhalten. Wichtig ist uns Sozialdemokraten, daß Sie jetzt bitte endlich anfangen, zu versuchen, auf internationaler Ebene das Wettbewerbsfeld durch Politikkoordinierung zu beackern und voranzutreiben. Wir brauchen Wettbewerbsregeln für alle miteinander im Wettbewerb stehenden großen Industrienationen, und zwar die gleichen. Warum sollen nur die Deutschen diese Regeln zu spüren bekommen? Auch in anderen Ländern brauchen wir Fusionskontrolle, Kontrolle über marktbeherrschende Unternehmen und ein Diskriminierungsverbot. Deshalb gilt es gerade, zuerst und vor allem auf diesem Feld voranzugehen und darauf zu drängen, daß die Politik - meinetwegen im Rahmen der WTO; das läßt die WTO auch zu - endlich international vernünftig koordiniert wird. Die Kartellgesetznovelle sollte kommen. Aber sie kommt nicht. Mit unserem Antrag werden wir uns wohl nicht durchsetzen, obwohl er sehr vernünftig ist. Ich weise noch einmal darauf hin: Aus meiner Sicht müßten wir alle bereit sein, stärker den Interesseneinfluß zu ignorieren. Leider werden wir alle zu häufig und zu stark unter Druck gesetzt. Wir müßten bereit sein, stärker in Ordnungen zu denken. Wir brauchen mehr Gemeinwohlorientierung. Wir haben in der letzten Zeit auf diesem Felde leider schon viel versäumt. Es ist nicht weniger, sondern mehr Wettbewerb zur Förderung von Innovation notwendig. Die Sozialdemokraten wollen sich dafür einsetzen. Wir werden mit aller Macht dafür streiten. Schönen Dank. ({19})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Jens, Sie haben eben die unterschiedlichen Meinungen zwischen CSU und F.D.P. und weniger die Unterschiede innerhalb der CDU/CSU-Fraktion angesprochen. Es ist Grundlage der parlamentarischen Demokratie, daß die Meinungen nicht immer gleich konform sind, sondern daß man sich zusammensetzt, sich zusammenrauft und sich bemüht, eine vernünftige Lösung zu finden. Ich frage: Gibt es denn überhaupt die einheitliche Meinung in der SPD? ({0}) - Herr Kollege Schmidt, wir haben heute zwei Anträge vorliegen; Der erste Antrag ist federführend vom Kollegen Professor Jens unterzeichnet. Der andere Antrag entstand einige Monate später und ist vom Kollegen Ernst Schwanhold angeführt. Wenn Sie das genau lesen und gegenüberstellen, dann stellen Sie fest: So meinungsgleich ist das alles nicht. ({1}) Eine zweite Bemerkung. Herr Kollege Jens, mir ist auch aufgefallen, daß Sie vor einigen Monaten noch den Referentenentwurf bzw. die Eckwerte, die Bundesminister Rexrodt vorgelegt hat, wärmstens begrüßt haben. Wenige Wochen später hat sich Kollege Schwanhold hiervon distanziert und gesagt: Das ist nicht unsere Meinung. Deshalb frage ich mich natürlich schon: Was ist jetzt überhaupt die Meinung der SPD? ({2}) Ich bin nämlich aus Ihrer Rede nicht klüger geworden. Gerade der Bedeutung des Themas wegen, wie Sie es selbst gesagt haben, wäre es erforderlich, einen breiten Konsens zu finden, ({3}) der die Grundlage dafür schafft, daß es in Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland, gerade was Wettbewerbsrecht anbelangt, weiterhin gut läuft. Ich darf in diesem Zusammenhang schon feststellen, daß gerade die Themen, die im Rahmen dieser Aussprache heute hier angesprochen werden, in den nächsten Wochen und Monaten natürlich noch von Bedeutung sein werden, wenn wir den Entwurf das GWB betreffend auf dem Tisch liegen haben. ({4}) Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, weil ich dringenden Handlungsbedarf sehe. Ich meine nur, Sie von der Opposition wären gut beraten, hier mitzumachen und mit uns zusammen zu ringen, damit eine vernünftige Konzeption, wegweisend für das Jahr 2000, geboren wird. ({5}) Ich gehe davon aus, daß ein diesbezüglicher Entwurf der Bundesregierung in absehbarer Zeit vorliegt, damit wir ihn in den Ausschüssen diskutieren können. Dabei darf der Einzelhandel nicht außen vor gelassen werden. Denn gerade er ist es, der vom Konzentrationsprozeß am meisten betroffen ist. Es kann doch nicht wegdiskutiert werden, daß gerade das geltende Wettbewerbsrecht diese bedrohliche Entwicklung nicht hat aufhalten können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, keine Frage: Wer über Wettbewerb und Wettbewerbspolitik redet, der muß auch und insbesondere über den Mittelstand reden. Wettbewerb ohne eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen ist nicht nur unvorstellbar, sondern geradezu undenkbar. Wettbewerbspolitik in einer sozialen Marktwirtschaft ist nicht Catch-as-catch-can und ist auch nicht das völlig freie Spiel der Kräfte nach dem Motto: Groß frißt Klein, und Nochgrößer frißt Groß. Nur eine ausgewogene Unternehmensstruktur mit einer Vielzahl von Unternehmen verschiedener Größe kann die Grundlage einer dynamischen Wirtschaft bilden. Ein breiter Mittelstand stärkt nicht nur den Wettbewerb; er ist vielmehr auch Stütze unserer freien Gesellschaft. ({6}) - Ich sage das, Frau Kollegin Fuchs, für Herrn Kollegen Rexrodt genauso gerne wie für Sie, ({7}) weil ich Sie auf eine vernünftige Linie bringen möchte, wenn es eine Möglichkeit dazu gibt. ({8}) Deshalb rede ich insbesondere Sie gerne an. Dementsprechend muß Wettbewerbspolitik, wie ich sie verstehe, darauf ausgerichtet sein, faire Rahmenbedingungen für den Mittelstand zu setzen. Dies ist keineswegs mit einer Schutzzaun- oder gar Abschottungspolitik gleichzusetzen. Es geht auch nicht um die Konservierung überkommener Strukturen. Es geht aber ganz entschieden darum, Rahmenbedingungen für einen fairen Leistungswettbewerb zu setzen. Ich meine deshalb, daß es ein Gebot der Ehrlichkeit ist, hier festzustellen, daß sich gerade der Mittelstand infolge von fortschreitenden Konzentrationsprozessen und eines auf dem Einsatz von Marktmacht basierenden Verdrängungswettbewerbs in vielen Bereichen der Wirtschaft in einer schwierigen Lage befindet. In Gesprächen mit Mittelständlern, insbesondere im Handelsbereich, ist oftmals Klage darüber zu hören, daß nicht mehr die Leistung entscheidet, sondern Finanzkraft und Nachfragemacht. Hier pflichte ich Kollegen Professor Jens gerne bei. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, um die Probleme, die den Mittelstand bedrücken, am Beispiel des Einzelhandels in Deutschland exemplarisch darzustellen. Sicherlich kann man sich auf den Standpunkt stellen - wie etwa die Monopolkommission -, daß der Wettbewerb im Einzelhandel angesichts niedriger Verbraucherpreise und der im internationalen Vergleich niedrigen Umsatzrenditen funktioniert. Ich meine jedoch, wir sollten hier einmal innehalten und uns die Situation ein bißchen genauer betrachten. Der Einzelhandel ist nach Industrie und Handwerk der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Er zählt weltweit zu den leistungsfähigsten Einzelhandelssystemen und garantiert dem Bürger eine gute Versorgung. Er war in der Vergangenheit gewaltigen Wandlungen unterworfen, von denen der Konzentrationsprozeß die nachhaltigste Wirkung auf die Strukturen im Handel hatte. Am weitesten fortgeschritten ist die Konzentration eindeutig im Lebensmittelbereich. Ich befürchte aber, daß auch andere Bereiche des Facheinzelhandels hiervon nicht verschont bleiben. ({9}) Discountketten, große Einkaufsparks auf der grünen Wiese oder Megazentren wie das CentrO in Oberhausen kennzeichnen bereits im Gang befindliche Prozesse. Ein Blick zurück zeigt: Noch Anfang der 60er Jahre prägten die Tante-Emma-Läden das Bild des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Die fast 140 000 Geschäfte erwirtschafteten einen Umsatz von nahezu 20 Milliarden DM. Das waren 60 Prozent des Einzelhandelsumsatzes an Lebensmitteln. Anfang der 70er Jahre rutschte der Anteil von kleineren Geschäften auf unter 10 Prozent. Heute machen - es ist richtig, was Sie, Herr Professor Jens, gesagt haben - die fünf größten Einzelhandelsgruppen 59 Prozent des Gesamtumsatzes; bei den Top Zehn sind es sogar nahezu 80 Prozent. Kleine und mittlere Geschäfte können in ihren rund 6 400 Läden gerade einmal 1 Prozent des Lebensmittelumsatzes für sich verbuchen. Ich möchte das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Das geht nicht. Aber ich möchte die Handelsstruktur, so wie wir sie momentan in unserer Republik haben, erhalten wissen. ({10}) Wir alle sind gezwungen, notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Denn es kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, daß gerade dieser Prozeß mit einem Verlust an Arbeits- und Ausbildungsplätzen einhergegangen ist. Viele Ausbildungsplätze wurden von den kleinen und mittleren Handelsbetrieben vorgehalten. Bei den großen ist es ein bißchen anders. ({11}) Ich darf deshalb feststellen, daß zum Beispiel ein Discounter einen Umsatz von 1 Million DM mit einem Mitarbeiter erwirtschaftet, während der mittelständische Facheinzelhändler für einen Umsatz in dieser Höhe drei Mitarbeiter benötigt. ({12}) Allein deshalb kann uns diese Entwicklung nicht gleichgültig sein. ({13}) In letzter Zeit wird von allen Seiten der Ruf nach einer Existenzgründungswelle laut. Auch Sie haben das hier in der letzten großen Debatte über dieses Thema zur Sprache gebracht. Dies muß auch für den Handelsbereich gelten. Die Struktur darf sich nicht weiter, wie schon erwähnt, zugunsten der Großen und zu Lasten der Kleinen verändern. ({14}) Nach neueren Untersuchungen wird es bis zum Jahre 2000 zirka 300 000 Betriebsübergaben geben. Dann werden bei gleichbleibenden Bedingungen zirka 82 000 Unternehmen keinen Nachfolger finden. Das heißt, sie werden allein deswegen in die Krise geraten, weil sich niemand findet, der den Betrieb fortführen will oder kann. Mit anderen Worten: Eine Million Arbeitsplätze in Deutschland sind durch den Generationenwechsel im Mittelstand akut gefährdet. Viele dieser Unternehmen sind Handelsbetriebe. Diese werden aber nur Nachfolger finden, wenn sie rentabel sind. Dies ist, insgesamt gesehen, nur bei vernünftigen Rahmenbedingungen möglich. ({15}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist Konzentration nicht von vornherein und in jedem Wirtschaftsbereich des Teufels. Vielfach bedarf es einfach einer gewissen Größe, um auf bestimmten Märkten erfolgreich agieren zu können. Für den Einzelhandel trifft dies aber gerade nicht zu. Hier können kleine und mittlere Einheiten in hohem Maße leistungsfähig sein und die Bedürfnisse der Verbraucher befriedigen. Geradezu unerläßlich ist der Fortbestand einer gesunden mittelständischen Einzelhandelsstruktur für den Wettbewerb und damit für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. ({16}) Der Konzentrationsprozeß im Einzelhandel ist vielmehr Folge eines Verdrängungswettbewerbs, der auf dem Einsatz von Marktmacht basiert. Ein beinahe geflügeltes Wort im mittelständischen Handel lautet: Was nutzt es, wenn man in einem Jahr den Umsatz verdoppelt, wenn man im nächsten Jahr geschluckt wird? Traurig, aber wahr. Wir müssen uns ernsthaft fragen lassen, ob wir solchen Entwicklungen in anderen Branchen tatenlos zusehen wollen. ({17}) Es kann doch nicht gleichgültig sein - das ist auch kein Beleg für einen funktionierenden Wettbewerb -, wenn Sonderzahlungen in fünf- bis sechsstelliger Höhe für die Eröffnung des 100. Marktes in den neuen Bundesländern, anläßlich des soundso vielten Firmenjubiläums, für den Bau einer neuen Lagerhalle oder aber ein Hochzeitsrabatt für die Fusion zweier sowieso schon großer Einzelhändler gefordert und auch geleistet werden. Erst jüngst klagte ein Manager eines größeren Unternehmens mir gegenüber: Vor 15 Jahren hatten wir noch 2 000 Kunden. ({18}) Heute sind es nur noch 20. Und diese wenigen quetschen uns aus. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen auf allen Seiten des Parlaments, das muß ein Signal für uns alle sein; das kann doch nicht negiert werden. ({19}) Es bedarf doch wohl keiner näheren Erläuterung, wenn gegenüber den riesigen Nachfrageblöcken des Handels der Produzent von Lebensmitteln oder sonstigen Waren preispolitisch in die Knie geht und Sonderkonditionen einräumt, um den Großabnehmer zu behalten. Schließlich kann der Verlust eines einziges Abnehmers einen Umsatzausfall von 10 oder gar 20 Prozent bedeuten. Dafür gibt es ein ganz einfaches Wort; man nennt dies „Auslisten". Wollen wir dem weiter zusehen? ({20}) Ich glaube, daß die arabische Einkäuferweisheit, die einem vor wenigen Tagen im „manager magazin" erschienenen Artikel vorangestellt war, richtig liegt. Sie besagt: Sagt er 12, meint er 10, will er haben 8, wird es wert sein 6, möcht' ich geben 4, werd' ich sagen 2. Das ist nicht die Richtung für die Zukunft. ({21}) Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen, daß hierdurch manch ein Lieferant in arge Bedrängnis gerät bzw. an den Rand des Ruins gebracht wird. Die hierbei eingefahrenen Verluste muß er nun wiederum beim kleinen und mittelständischen Handel wettmachen, um nicht selbst den Laden dichtmachen zu müssen, was allerdings nicht gerade selten ist. So gaben beispielsweise seit 1992 allein in der deutschen Nahrungsmittelbranche mehr als 300 Betriebe mit über 50000 Beschäftigten auf. Das muß doch zu großer Sorge Anlaß geben. Wir kommen wohl nicht umhin, festzustellen, daß das geltende Recht weder den Konzentrationsprozeß stoppen noch derartigen Praktiken, die wir wohl alle mißbilligen, wirksam begegnen konnte. Weiter hieß es in diesem Wirtschaftsmagazin: Zwar sorgt der Wettbewerb im Handel vorerst noch für niedrige Preise. Doch mit jedem Markenartikler, der aufgibt, verringert sich die Auswahl; das Angebot wird immer gleichförmiger. ({22}) Ich kann diesen Bericht nur zur Lektüre empfehlen. Nun kann man dem natürlich entgegenhalten, daß staatliche Gebote und Verbote letztlich nichts bringen. Schließlich ist auch der Diebstahl von Fahrrädern strafbar; trotzdem werden täglich Hunderte Fahrräder gestohlen. ({23}) Gleichwohl denkt aber niemand daran, den Fahrraddiebstahl künftig straffrei zu stellen. ({24}) Ich finde es deshalb richtig, wenn von uns, dem Gesetzgeber, angesichts der besorgniserregenden Konzentrationsentwicklung gefordert wird, Instrumentarien zu schaffen, die die Freiheit und Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auch in Zukunft wirkungsvoll gewährleisten. Die wachsende Nachfragemacht ist Auswirkung, zugleich aber auch wesentliche Ursache für die zunehmende Konzentration in vielen Wirtschaftsbereichen. Die Konzentrationsentwicklung der letzten Jahre zeigt deutlich, daß der Gesetzgeber klar formulieren sollte, wenn er Marktbeherrschung auf Nachfragemärkten annimmt und bis zu welcher Grenze er sie tolerieren will. Vorschläge hierzu - in diesem Fall spreche ich ausdrücklich für die CSU - liegen auf dem Tisch. Ich will heute nicht näher darauf eingehen. Wir haben dazu die Möglichkeit, wenn wir die Novelle zum Kartellrecht beraten. Gerade hier, so meine ich, sind wir alle gefordert, vorurteils- und ideologiefrei zu diskutieren. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Erscheinungsform und damit ein weiteres Problem des skizzierten Verdrängungswettbewerbs stellen Verlustpreisstrategien, mit anderen Worten: der Verkauf unter Einstandspreis, dar, die zu Marktbereinigungszwecken systematisch eingesetzt werden und nach geltendem Recht nur sehr eingeschränkt untersagt werden können. Herr Kollege Jens, hier bin ich anderer Meinung als Sie. ({25}) Wenn so etwas zum Beispiel in Frankreich, in Belgien oder in Spanien funktioniert, dann können wir das doch auch einmal zugrunde legen und darüber diskutieren, was wir davon gegebenenfalls für die Bundesrepublik Deutschland übernehmen können. ({26}) Kollege Susset, was den Verkauf unter Einstandspreisen betrifft, verhehle ich auch nicht, daß ich einen Bauern oder eine Bäuerin sehr wohl verstehen kann, wenn sie fassungslos vor dem Regal eines Supermarktes stehen und sehen müssen, daß zum Beispiel ein Becher Joghurt zum Preis von 10 Pfennig verkauft wird - ein Preis, zu dem man diesen Joghurt nicht produzieren kann, noch dazu, wenn die Verpackung schon 8 Pfennig kostet. Ich kann nachempfinden, daß diese Bäuerin oder dieser Bauer hierin eine Mißachtung ihrer Leistung sehen. Darum verstehe ich auch Bundeslandwirtschaftsminister Borchert, wenn er sagt, daß er mit der Kartellrechtsnovelle in der Form, wie sie nach allem, was sich abzeichnet, eingebracht werden soll, nicht ganz einverstanden sein kann. ({27}) Genauso kann ich den Hersteller eines Markenartikels verstehen, der fassungslos und in der Regel auch wehrlos mit ansehen muß, wie sein Qualitätsprodukt verramscht wird. Ich möchte dem Einwand begegnen, daß es mir darum geht, allzusehr einschränkend zu regeln, zum Beispiel dem Obst- und Gemüsehändler zu verbieten, kurz vor Ladenschluß seine verderbliche Ware an den Mann zu bringen und sie zu verschleudern. Es geht auch nicht darum, Sonderaktionen, um etwa das Lager zu räumen oder Platz für neue Modelle zu schaffen, zu verbieten. O ({28}) Es geht vielmehr darum, Kollege Schwanhold, den systematisch als Mittel des Verdrängungswettbewerbs eingesetzten Verkauf unter Einstandspreisen in den Griff zu bekommen. Natürlich kenne ich die Einwände der Gegner einer solchen Lösung, die hierin den Einstieg in die staatliche Preiskontrolle sehen und eine überbordende Bürokratie fürchten. Ich nehme diese Einwände auch sehr ernst. Ich habe vorhin schon gesagt, daß wir gut beraten sind, gerade auch hier zu unseren Nachbarn zu schauen. Lassen Sie mich noch ganz kurz ein Phänomen ansprechen, nämlich daß momentan in Deutschland flächendeckend große Investorengruppen dabei sind, sogenannte Factory-outlet-Center zu errichten. Auch das kann nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein. Deswegen bin ich der Meinung, daß gerade bei der Beratung dieser sechsten Kartellrechtsnovelle auch dieses eine wesentliche Rolle spielen muß. Ich darf zusammenfassend feststellen, daß gerade hier Ihre Anträge, meine Damen und Herren von der Opposition, mit eine Grundlage der Beratung sein können und Anstöße geben können, die aufzugreifen wir gern bereit sind. Wir hoffen aber, daß Sie zumindest bei dem bleiben, was teilweise von Herrn Professor Jens gesagt worden ist ({29}) und was Sie, Herr Kollege Schwanhold, als nächster Redner bestätigen oder in Abrede stellen können. ({30}) Dieses Problem bewegt uns alle zusammen im Deutschen Bundestag. Dieses Thema kann nicht beiseite geschoben werden. Wir wollen, wie ich schon sagte, Handelsstrukturen so weit wie möglich erhalten. Dafür werden wir die Grundlage schaffen. Wir sind bereit, konstruktiv mitzuarbeiten. Das dumme Gerede, daß man etwa sagt, daß man jetzt schon aufgeben will oder daß es zu dieser GWB-Novelle gar nicht mehr kommt, verstehe ich nicht ganz. Ich habe, wie gesagt, die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß wir uns weiterhin damit auseinandersetzen werden. Wir wollen um eine Bewältigung dieser Probleme ringen. Für Ihre Aufmerksamkeit darf ich mich herzlich bedanken. ({31})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hinsken, es ist ja richtig, daß dieses Thema spannend ist und daß das Problem auch gelöst werden muß. Nur, Herr Rexrodt, ich muß Sie fragen: Warum ist es bisher nicht gelöst worden? Sie kündigen in Ihrem wunderbaren Mitteilungsblatt vom 31. Mai 1995 an, daß die GWB-Novelle zügig -„zügig", sage ich - angegangen werden muß. Herr Hinsken als Ihr Koalitionspartner hat Ihnen heute die Kooperation angeboten. Es muß etwas wundern, denke ich, wenn alle Fraktionen in diesem Hause heute in Opposition zum Bundeswirtschaftsminister argumentieren. Ich muß Sie in allem Ernst fragen: Sind Sie nicht der Meinung, daß die Tatsache, daß Sie mit dem GWB nicht vorankommen, daß sie mit der Aktienrechtsnovelle nicht vorankommen, vielleicht auch etwas mit mangelnder Kommunikationsbereitschaft und mangelnder Handlungsbereitschaft Ihres Hauses zu tun hat? ({0}) Ich freue mich sehr, daß der Kollege Hinsken - genauso wie Herr Michelbach, der das in einer Publikation angekündigt hat - unter diesen Bedingungen dem Referentenentwurf nicht zustimmen wird. Deshalb war es auch gut, daß er die Weisheit des Orients bemüht hat, um uns von seinem Anliegen zu überzeugen. Herr Minister, ich denke, wir sollten die Gelegenheit der heutigen Debatte dazu nutzen, die Defizite Ihres Konzepts zu diskutieren. Ich bin mit Herrn Jens der Meinung, daß Sie wettbewerbstheoretisch absolut in die richtige Richtung denken. Nur wurde dieser Referentenentwurf tatsächlich vom grünen Tisch aus geplant. Dieser Entwurf zeigt - das haben auch Herr Jens und Herr Hinsken gesagt - erhebliche Defizite, weil mit ihm nichts unternommen wird, um die kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern sowie die Machtkonzentration in diesem Bereich abzubauen. Wir wissen doch alle, daß die dynamischen Funktionen des Wettbewerbs und die Wettbewerbsfreiheit von großer Wichtigkeit für den ökologischen Umbau der Wirtschaft - auch darauf hat Herr Jens hingewiesen - und die Demokratisierung der Gesellschaft sein können. Es ist wirklich sehr schade, Herr Rexrodt, daß die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen in Ihrem Entwurf für eine 6. GWB-Novelle überhaupt nicht auftaucht. Das überrascht mich um so mehr, als wir doch alle die Lage am Arbeitsmarkt vor Augen haben und wissen, daß ein überproportional großer Anteil von Arbeitsplätzen von den kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen wird und gerade die Großunternehmen heutzutage Arbeitsplätze abbauen. Wir alle rufen doch immer nach mehr Flexibilität - Sie sind dafür ein Paradebeispiel - und fordern Innovationen. Gerade die kleinen Unternehmen können und sollen - das wissen wir auch alle - mit ihrer Flexibilität die Hauptantriebskraft für den Strukturwandel und die Innovationen sein. Diese Eigenschaften benötigen wir im vielfach beschworenen Standortwettbewerb dringend. Sie werden dem mit Ihrem seit nunmehr zweieinhalb Jahren diskutierten Entwurf mitnichten gerecht. Eine relativ einfache Maßnahme zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen wäre - Stichwort Bürokratie-TÜV - schon eine Befreiung des vorliegenden Textes von Überflüssigem und eine Reduzierung der Bestimmungen, die unverhältnismäßig hohe administrative Kosten, gerade für die KMUs, verursachen. Darauf weist das IfM in seinen Publikationen seit drei Jahren hin. Aber das findet in die Papiere, die Sie uns immer wieder vorlegen, keinen Eingang. Eine weitere Möglichkeit der direkten Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen wäre die Erweiterung der Freistellungstatbestände bei Kooperationen für Mittelständler. Herr Hinsken, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, daß auch Sie darauf hingewiesen haben. Es spricht alles dafür, daß in Zukunft die Netzwerkbildung existentiell sein wird für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für das Überleben von kleinen und mittleren Unternehmen. Aus diesem Grunde sollte, mit Unterstützung von Herrn Hinsken ({1}) - und selbstverständlich auch der SPD, dringend geprüft werden, ob eine Aufnahme weiterer Freistellungstatbestände bei der Kooperation kleiner und mittlerer Unternehmen, zum Beispiel im Bereich Forschung und Entwicklung - denn da liegen wir hinten - oder im Umweltbereich, die Bildung von Unternehmensnetzen sinnvoll unterstützen kann. ({2}) Wir alle wissen, daß die Verdrängung von Kleinunternehmen infolge der erhöhten Konzentration gerade im Einzelhandel ein alarmierendes Ausmaß angenommen hat. ({3}) Ich finde dies bedenklich. Angesichts der Tatsache, daß die Monopolkommission in ihrem Elften Gutachten darauf hingewiesen hat, daß wir von einer noch höheren Konzentration ausgehen können, als Herr Hinsken und Herr Dr. Jens das beschrieben haben, brauchen wir nicht nur eine Änderung des Bundesstatistikgesetzes, sondern auch Strategien, um die Konzentration im Handel aufzulösen. In diesem Zusammenhang möchte ich an einen, wie ich fand, sehr bemerkenswerten Beitrag unseres Kollegen Herrn Dr. Pinger erinnern, mit dem er seine Enthaltung bei der Abstimmung zum LadenschlußMargareta Wolf ({4}) Besetz am 21. Juni 1996 begründet hat - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: Ich fordere und erwarte, daß die Bundesregierung, insbesondere der Bundeswirtschaftsminister, in Kürze Regelungen für das Kartellrecht vorlegen wird, die den leistungswidrigen Verdrängungswettbewerb von Großunternehmen gegen den leistungsfähigen Mittelstand in Zukunft unterbinden. ({5}) In keinem Land mit einer derartig entwickelten Wirtschaft gibt es diese Möglichkeiten, sich leistungswidriger Praktiken durch Einsatz der Nachfragemacht zu bedienen. Der Kollege ist Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, Herr Rexrodt. ({6}) Eine Vernichtung des Mittelstands im Handel hat weitreichende Konsequenzen; das wissen wir alle. Das haben wir auch im Zusammenhang mit dem Ladenschluß diskutiert, nicht nur im Bereich des Wettbewerbs. Die Substitution des kleinen Einzelhandels durch Einkaufszentren auf der grünen Wiese, wie sie noch immer stattfindet, trägt nicht nur zum drohenden Verkehrskollaps bei, sondern fördert auch die Verödung der Wohngebiete mit einer Vielzahl von ganz negativen Folgen für die Leute - gerade für die alten Menschen -, die dort leben. Wir können uns in anderen europäischen Ländern und in den USA anschauen, wohin das führt. Hinterher muß wieder rückgesiedelt werden. Dies kostet sehr viel Geld. Sie, Herr Rexrodt, sind gefordert, dem endlich entgegenzuwirken. Analysen von sämtlichen Instituten liegen auf dem Tisch. ({7}) - Vielleicht ist von ihm sowieso nicht mehr so viel zu verlangen. Meine Damen und Herren, ich möchte Herrn Hinsken im Gegensatz zu Herrn Jens in einem Punkt ganz ausdrücklich unterstützen: Ich glaube, daß Preisunterbietungen Wettbewerbsverzerrungen verursachen können, wovon die kleinen und mittleren Unternehmen betroffen sind. Diese Strukturentwicklung im Einzelhandel kann möglicherweise durch ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis aufgehalten werden. Sie haben das erwähnt: Damit wurden in Spanien, Frankreich und Belgien sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich halte dieses Mittel zumindest für prüfenswert, ein Mittel, mit dem man dem Verdrängungswettbewerb im Handel und den Konzentrationsprozessen entgegenwirken kann. ({8}) Meine Damen und Herren, gerade im Lebensmitteleinzelhandel entsteht die Vergrößerung von Marktanteilen überwiegend durch den Erwerb kleiner und mittlerer Unternehmen. Ich denke, es sollte geprüft werden, ob es nicht sinnvoll wäre, sehr großen Unternehmen oberhalb einer bestimmten Umsatzschwelle die Akquisition weiterer Unternehmen zu untersagen. Sie hätten nach wie vor die Möglichkeit des internen Wachstums; aber sie hätten nicht mehr die Möglichkeit des externen Wachstums. Ich halte das für prüfenswert. Ein weiterer Punkt, den auch Herr Jens schon angesprochen hat: Unternehmenszusammenschlüsse werden nach den derzeitigen Regelungen erst dann überprüft, wenn der Zusammenschlußtatbestand vorliegt. Es ist für mich und, glaube ich, für uns alle sehr schwer einsehbar, daß eine Untersagung von Zusammenschlüssen erst dann möglich ist, wenn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, wenn also bereits ein sehr hoher Konzentrationsgrad erreicht ist. Wir können dem Vorschlag der SPD, nämlich der Abkoppelung der Fusionskontrolle vom Marktbeherrschungsbegriff, § 22 GWB, folgen und hoffen, daß auch Sie, Herr Minister, das können. ({9}) . Flankierend wäre nach unserer Ansicht, die Erweiterung der Möglichkeit der Auflösung bereits bestehender marktbeherrschender Unternehmen zu erwägen. Die Debatte, Herr Jens, gab es Anfang der 70er Jahre schon einmal. Im Gegensatz zur amerikanischen Wettbewerbsordnung wurde im deutschen Kartellrecht leider darauf verzichtet. In der Regel beschränkt sich das deutsche Wettbewerbsrecht darauf, bei nicht mehr hinzunehmendem Machtgefälle den Mißbrauch bereits entstandener wirtschaftlicher Macht einzugrenzen. Wir denken, daß dies angesichts der strukturellen Fehlentwicklung verschiedener Märkte nicht mehr ausreicht. Herr Rexrodt, ich bin nach der Debatte, wie ich sie bis jetzt verfolgen konnte, absolut optimistisch. Ich wünsche mir, daß wir die GWB-Novelle, die Anpassung, noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Mit uns wird es aber keine Zustimmung zu dem jetzigen Referentenentwurf geben. Ich freue mich, daß Herr Michelbach und Herr Hinsken ähnliches angekündigt haben. Setzen Sie sich doch mit allen Kräften dieses Hauses zusammen, und verbunkern Sie sich nicht weiter in Ihrem Ministerium, Herr Rexrodt. Danke schön. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jürgen Türk, F.D.P.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen uns nicht verbunkern, sondern wir fangen heute an, miteinander zu sprechen - hoffentlich sachlich. Den Ausführungen von Uwe Jens kann man zum Teil tatsächlich folgen. Das, was er gesagt hat, hat mit dem SPD-Antrag aber nicht so sehr viel zu tun; das habe ich jedenfalls festgestellt. ({0}) Die heutige Debatte erlaubt mir einige Bemerkungen zur grundsätzlichen Funktion des Wettbewerbs und zur Novelle des Kartellgesetzes. Das inzwischen 40jährige Gesetz manifestiert die Abkehr von einer verhängnisvollen Kartelltradition in Deutschland, die der Politik von Bismarck bis Hitler immer wieder den Mißbrauch konzentrierter wirtschaftlicher Macht ermöglicht hat. Das Grundanliegen des Kartellgesetzes ist so richtig wie aktuell. Es gibt nur ein Mittel, um Machtmißbrauch zu verhindern: Das ist marktwirtschaftlicher Wettbewerb. Fairer Wettbewerb ist der beste Schutz für Kleine und Mittlere, Frau Wolf. An die Wirksamkeit dieser Zusammenhänge muß erinnert werden, wenn heute die Sozialdemokraten versuchen, sich als die wahren Wettbewerbshüter darzustellen. Meine Damen und Herren, Wettbewerbsrecht bedeutet nicht Schutz vor Wettbewerb; das Wettbewerbsrecht muß dazu dienen, Märkte zu öffnen, damit dem Verbraucher die Konkurrenz zwischen den Anbietern zugute kommen kann. Darum geht es doch: Der Konsument soll davon profitieren, daß sich die Anbieter von Waren anstrengen müssen, ihre Konkurrenten im Wettbewerb um die knappe Mark des Verbrauchers zu übertrumpfen. Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, Ihr Antrag zur Wettbewerbspolitik enthält dennoch einige bemerkenswerte Sätze zur Globalisierung. Wenn Sie ausführen, daß der zunehmende internationale Wettbewerb Probleme schafft, die nationale Kartellbehörden mit einer Beschränkung der Sicht auf den Markt Deutschland oder den Markt Europa nicht lösen können, finden Sie meine Zustimmung. Allerdings ist der sozialdemokratische Reflex, dem offenen Wettbewerb mit der Beschwörung der internationalen Regulierung zu begegnen, ein Weg ins Abseits. Sie glauben doch nicht im Ernst, Ernst Schwanhold, Ernst Hinsken, daß auch nur ein aufholendes Land, dessen Menschen ihren Lebensstandard verbessern wollen - darum geht es ja -, uns zuliebe Verabredungen eingeht, die unseren Wohlstand schützen. Man gerät schon ins Grübeln, wenn man das bemerkenswerte Globalisierungspapier von Herrn Thierse liest. Da wird doch allen Ernstes empfohlen, den Herausforderungen der Globalisierung mit der Rückkehr zur Selbstversorgungswirtschaft zu begegnen. Ist das der dritte Weg der SPD, neben der Lafontaine- und der Schröder-SPD nun auch noch die Thierse-SPD? Die DDR läßt grüßen. ({1}) - Ich entschuldige mich dafür. ({2}) - Dann ziehe ich sie zurück. Die Diskussion um die sechste Novelle des GWB bringt auch einige Themen und Argumente von gestern erneut auf die Tagesordnung. So wird bei Ihnen über die Einführung einer handelsspezifischen Fusionskontrolle und das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis nachgedacht. Das ist alles schon einmal dagewesen. Im Zuge der vierten und der fünften GWB-Novelle wurden diese Vorschläge ausführlich erörtert und geprüft. Sie wurden von der Bundesregierung und vom Parlament verworfen. Gegen Konzentration, lieber Ernst Hinsken, muß man anders vorgehen. Ich glaube, es ist in erster Linie die Aufgabe des Kartellamtes zu prüfen, ob eine nicht zulässige Marktbeherrschung entstanden ist oder nicht. Wir müssen uns dann unterhalten, ob die Konditionen im Kartellrecht reichen, aber es ist und bleibt Aufgabe des Kartellamtes, das zu machen. ({3}) Man kann das nicht oft genug betonen: Ziel des deutschen Wettbewerbsrechts ist letztlich der Verbraucherschutz, Frau Kollegin Blunck. Leider ist sie bereits gegangen. Da gibt es für industriepolitische Ansätze im Sinne von Schutz für Produktions- und Handelsformen, die der Verbraucher nicht mehr schätzt, keinen Platz. Wer das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis fordert, hat nicht ganz zu Ende gedacht; schließlich bedeutet es auch eine Einschränkung der Preisgestaltung und staatliche Preiskontrolle. Der Staat müßte die betriebliche Kalkulation, verschiedene Rabattierungssysteme, Gewinnmargenberechnung, Rückvergütungen am Jahresende und vieles mehr kontrollieren. Das, Ernst Hinsken, muß auch bedacht werden, wenn wir darüber sachlich weitersprechen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Türk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Türk, Sie wissen, ich schätze Sie persönlich sehr. Ich möchte Sie fragen: Haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen, was ein Verkauf unter Einstandspreis bedeutet und wie das zum Beispiel in Frankreich, in Belgien, in Spanien und in Portugal gehandhabt wird? Könnte das nicht eine gewisse Grundlage für uns sein? Wir brauchen ja nicht alles zu übernehmen. Aber wenn wir feststellen, daß das vernichtend wirkt, können wir nicht tatenlos zusehen, sondern sind gezwungen, etwas zu tun. Teilen Sie meine Meinung?

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir können gern darüber sprechen, das ordentlich zu prüfen. Das sage ich Ihnen zu, und das werden wir in nächster Zeit tun. ({0}) Aber bis wir das machen, meine ich: Das paßt nicht in unser marktwirtschaftliches System. Es ist unpraktikabel - vorbehaltlich der Prüfung in Frankreich, Spanien oder wo auch immer - und würde nur zu einem Beschäftigungsprogramm für Behörden und Gerichte. So sehe ich das jedenfalls. ({1}): Das darf es nicht werden!) Die GWB-Novelle zeigt dabei den gangbaren Weg zwischen zwei Extrempositionen. Auch das zunächst skeptische Bundeskartellamt trägt ihn mit. Die Vorschläge zur Kartellnovelle sind zum einen die richtige Reaktion auf den BDI, dem die Pläne zur Kartellnovelle nicht weit genug gehen. Der BDI befürwortet eine stärkere Anpassung an das europäische Recht, wie heute schon festgestellt worden ist. Zum anderen sind die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers die richtige Reaktion auf die Position der Vertreter der Wissenschaft. Diese lehnen mit der gleichen Rigorosität, wie sie der BDI zeigt, eine Anpassung an das europäische Recht ab. Was machen wir nun? Was ist richtig? Auch hier wird man den Verdacht nicht los, daß in einer einseitig zugespitzten ordnungspolitischen Diskussion allzugern vergessen wird, daß das europäische Recht stark vom deutschen Modell beeinflußt ist. Es wäre im Sinne einer sachlichen Erörterung des Kartellrechtes - darum bitte ich -, wenn die Vertreter der Extrempositionen von ihrem ideologischen Streit absehen würden. Organisierte Interessen werden immer versuchen, Schutzzäune gegen den Wettbewerb zu errichten. Das ist so. ({2}) - Dazu kommen wir noch. Deshalb bleibt der Kampf für offene Märkte eine Daueraufgabe. Dieser Aufgabe haben sich die Liberalen seit jeher verschrieben, wie Sie wissen. Für seine neoliberalen Väter wie Walter Eucken und Ludwig Erhard stand das Kartellgesetz in der Verpflichtung, offene Märkte zu sichern und Wettbewerbsbehinderungen aller Art zu beseitigen. Ich habe festgestellt: Wir sind alle Anhänger Ludwig Erhards. Genau darin liegt auch heute die zwingende Handlungsaufforderung für Reformen in Deutschland, Reformen, die weit über die GWB-Novelle hinausgehen, aber eng mit der Idee „mehr Wettbewerb" verbunden sind. Wir reden über Wettbewerb und über Kartelle, die sich überlebt haben. Wenn wir darüber reden, schauen wir uns einmal das Kartell auf dem Arbeitsmarkt an. Auch das müssen wir abbauen. Wir dürfen nicht den geschlossenen Markt für die, die Arbeit haben, schaffen, sondern müssen an die Arbeitslosen denken. Ich glaube, das sollte man bei dieser Gelegenheit auch sagen. Wenn ich an die Entscheidungen zum Telekommunikationsgesetz oder jetzt an das Postgesetz denke: Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben genug Gelegenheit, Ihre Beweglichkeit für mehr Wettbewerb unter Beweis zu stellen. ({3}) Mehr Arbeitsplätze durch mehr Wettbewerb, das ist die Aufgabe der Zukunft. Herzlichen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann dem Anliegen des SPD-Antrages, Wettbewerbspolitik auf eine gesicherte empirische Grundlage zu stellen, nur zustimmen. Der Gefährdungstatbestand für den Wettbewerb ist durch die Konzentration der Wirtschaft, insbesondere im Handel, mehr als gegeben. Es geht deshalb um die Beschaffung von Informationen, die in wirtschaftspolitische Entscheidungen einfließen müssen. Wenn die Hälfte aller Geschäfte auf Golfplätzen oder an anderen lukrativen Orten entschieden wird, dann bleibt man unter sich und der Wettbewerb außen vor. Ostdeutsche Unternehmen laufen bei der Suche nach Absatzchancen gegen Wände. Wenn sie mühsam ein Problem, zum Beispiel das der hohen Listungsgebühren, geklärt haben, bleiben sie aus anderen Gründen draußen. Die Konsumgütermesse der Produkte aus den neuen Ländern im September in Düsseldorf - eine lobenswerte Initiative - belegte die Defizite mit aller Deutlichkeit. Es geht mir aber an dieser Stelle nicht um einen Konflikt zwischen Ost und West, denn ich meine, den kleinen Unternehmen im Westen Deutschlands geht es ähnlich; nur, im Osten häuft sich das Problem, weil es fast nur noch kleine Unternehmen gibt. Wer Wettbewerb tatsächlich will, kann auf gesicherte Kenntnisse über Kapital- und Konzernverflechtungen nicht verzichten. Ich möchte hier auch auf etwas eingehen, was Frau Wolf und andere Kollegen schon angesprochen haben: Mit der 6. GWB-Novelle, die derzeit vorbereitet wird, will die Bundesregierung das nationale Recht mit dem europäischen Wettbewerbsrecht möglichst weitgehend in Übereinstimmung bringen. Das hat Thomas Groger vom Bundesministerium für Wirtschaft gesagt. Und weiter: Wir bemühen uns immer, alles so schnell wie möglich zu machen. Wie dann hinterher das Ergebnis sein wird, das werden wir abwarten. Das hat er am 26. Januar 1996 gesagt. Nun bleibt natürlich die Frage, wie lange wir denn eigentlich noch abwarten wollen, bis das eintritt, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Hinsken. Das Prinzip Hoffnung mag für einen christlich-sozialen Menschen ein wichtiges Prinzip sein. Ich bin damit auf die Nase gefallen. ({0}) - Nur darauf zu hoffen, daß etwas passiert, das ist nicht ausreichend. Wenn die Suche nach dem eigenen Vorteil zum Nachteil des Ganzen umschlägt, wenn der Erfolg nicht mehr auf Leistung und Dienst am Kunden beruht, - so der Vorstand des Frankfurter Institutes „Stiftung Marktwirtschaft und Politik", Dr. Dahlmanns sondern auf die Nutzung von Marktmacht zurückzuführen ist, besteht eine der elementaren Aufgaben der Wirtschaftspolitik in der Begrenzung der Marktmacht einzelner. Ein wichtiges und richtiges Zitat! Jetzt hat das Bundeskartellamt ein seit 1902 bestehendes Kartell sozusagen zur Kasse gebeten, das Starkstromkabel-Kartell. 264,5 Millionen DM sind, so wird immer gesagt, vereinnahmt. Meine Frage an den Wirtschaftsminister ist: Wo ist eigentlich das Geld geblieben? Ich finde es weder im Nachtragshaushalt noch im neuen Haushalt. Aber irgendwo muß es ja sein, wenn es vereinnahmt worden ist. Tatsache ist, daß gewaltige Produktivitätsfortschritte - zu einem großen Teil erzielt unter Nutzung öffentlicher Gelder, Investitionen in Bildung und Infrastruktur, Subventionen, Fördermittel usw. - über radikalen Beschäftigungsabbau in eskalierende private Profite umgemünzt werden. Gleichzeitig wird die soziale Ausgleichsfunktion des Staates immer stärker zurückgenommen. Dies berührt einen zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte. Unter der Flagge der zum Mythos stilisierten Globalisierung richtet der Staat seine Politik in zunehmendem Maße darauf, die Unternehmen des eigenen Landes für den Kampf und den Sieg auf dem Weltmarkt zu stärken. Diesem Ziel werden alle anderen Ansprüche der Gesellschaft an die wirtschaftliche Reproduktion - der Anspruch auf Erwerbsarbeit, auf Einkommen, auf soziale. Sicherheit, auf ökologische Verträglichkeit - untergeordnet. Mit der Weltmarktexpansion soll die politikverursachte binnenwirtschaftliche Nachfrageschwäche kompensiert werden. Dies allein mit Wettbewerbsrecht flankieren zu wollen führt meines Erachtens in die Irre. Entgegen der ständig wiederholten Behauptung, zum Fundament der Marktwirtschaft gehöre ein leistungsfähiger Mittelstand und damit Wettbewerb, fühlt sich die Regierungskoalition tatsächlich zuvorderst dem Schutz und der Pflege von Großunternehmen und Konzernen, also den Global players, verpflichtet. Insolvenzen im Bereich der Meinen und mittelständischen Unternehmen werden schlicht als integrales Moment einer Marktwirtschaft etikettiert. Der gesellschaftliche Schaden von rasant zunehmenden Firmenpleiten - Entwertung, ja Vernichtung von Produktivvermögen, Steuerausfall, Wegbrechen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Häufung tragischer Schicksale für ganze Familien - bleibt völlig außer Betracht. Maßstäbe für Renditeerwartungen des Kapitals werden nicht mehr in der Produktionssphäre gesetzt, sondern von den Finanz- und Immobilienmärkten bestimmt. Die Regierungsparteien versuchen in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, sie stünden für „große Reformen". In Wahrheit schrumpfen diese „Reformen" auf restaurative Inhalte, auf Anpassung an Sachzwänge des Marktes und Kürzung von Sozialleistungen. Die Verselbständigung der Wirtschaft insbesondere in Form der Unternehmenskonzentration durch die Logik des Geldes, des Marktes und der Kapitalverwertung nimmt immer drastischere Formen an. Kollege Jens hat vorhin in seinem Redebeitrag ausreichend Beispiele, etwa aus dem Bereich des Tourismus, genannt. Wir halten es für überaus dringlich, die Wirtschaft gewissermaßen wieder in die Gesellschaft zurückzuholen, sie sozialen und ökologischen Erfordernissen unterzuordnen, ohne allerdings - das betone ich ausdrücklich - unternehmerisches Interesse zu drosseln. Dazu ist auch aus unserer Sicht der Wettbewerb ein geeignetes Mittel. Wir wollen dabei aber nicht außer acht lassen, daß eine adäquate Verbindung zwischen marktwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Regulierung erforderlich ist. Zwischen einzelbetrieblicher Effizienz und der gesellschaftlichen Rationalität muß das Wie der Abstimmung noch gefunden werden. Ich könnte, wenn ich an die vielen Berichte aus Anlaß des 100. Geburtstages von Ludwig Erhard, die ich gelesen habe, denke, auch sagen „wieder beachtet werden". ({1}) - Herr Hinsken, das Problem ist ja nicht, ob man etwas liest. Das Problem ist vielmehr, ob man daraus etwas lernt. ({2}) Sie sitzen auf Ihrem Stuhl und sagen, Sie seien in dieser Gesellschaft groß geworden, Sie müßten nicht mehr lernen. Ich bemühe mich wenigstens darum. ({3}) - Es ist ja schön, wenn Sie die Hoffnung nicht aufgeben. Ich tue es auch nicht! ({4}) Insbesondere fehlt es heute an einer aktiven staatlichen Struktur- und Technologiepolitik, die dort ansetzt, wo die Marktlogik versagt bzw. wo Entwicklungen nicht allein den Gesetzen des Marktes unterworfen sein dürfen. Ich nenne hier beispielhaft Vorsorgeforschung, medizinische Forschung und Grundlagenforschung. Auch für die Lösung solcher Zukunftsaufgaben wie ökologischer Umbau, Übergang zu nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung und Strukturwandel zugunsten von Dienstleistungen ist der Markt blind. Demokratisch-sozialistische Politik respektiert die Freiheit von Unternehmen und schätzt persönliche Initiative, soweit sie dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen. Die Frage lautet nicht, viel oder wenig Staat in der Wirtschaft, sondern, auf welchen Gebieten und mit welchen Zielen sich die öffentliche Hand engagieren soll. Auf die vorliegenden Materialien bezogen geht es darum, wie und wo der Wettbewerb erhalten werden soll. Besondere Handlungsnotwendigkeiten für die Wettbewerbspolitik sehen wir im Zusammenhang mit einer notwendigen Re-Regulierung des Kapitalverkehrs und der Handelspolitik. Ich sage hier offen, daß all dies einzelstaatlich nicht oder nur bedingt zu leisten ist. Allerdings darf die objektive Tendenz der Globalisierung nicht zum Fetisch verkommen und nicht als Vorwand für den Abbau von sozialen und demokratischen Rechten der Bürgerinnen und Bürger des eigenen Landes mißbraucht werden. Danke. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge attestieren Stillstand in der Wettbewerbspolitik. Ich kann Ihnen nur sagen: Nie zuvor ist für so viele Bereiche Wettbewerb eingeführt worden wie in dieser Legislaturperiode; nie hat es soviel Wettbewerb wie jetzt gegeben. Das beginnt mit dem auf den Weg gebrachten Wettbewerb bei der Bahnreform sowie bei der Post- und der Telekom-Reform, und jetzt sind wir kurz davor, auch die Energiemärkte in den Wettbewerb zu überführen. ({0}) - Das Versicherungswesen auch; es sind viele Bereiche, und es waren nie so viele wie jetzt. Wo war denn da die SPD? Wie lange hat denn die Postgewerkschaft die Privatisierung der Post verzögert? Danach war sie Bremser und Bedenkenträger, und das ist sie bis heute. Ich denke auch, lieber Herr Jens, an das Festklammern der SPD, am Briefmonopol; das ist ja noch nicht ausgestanden. Im übrigen würde ich mich freuen, wenn Niedersachsen bei der Privatisierung seines VW-Anteils so forsch voranmachte, wie es die Bundesregierung getan hat, als es um die Privatisierung unserer Unternehmen ging. ({1}) Wettbewerbspolitik ist aber nicht nur Privatisierung und Liberalisierung. Daher möchte ich noch einmal sehr deutlich machen, warum wir die Reform des GWB brauchen. Wir brauchen sie erstens, um unser Recht in wichtigen Punkten mit dem europäischen Recht zu harmonisieren. Zweitens brauchen wir sie, weil wir das Thema „Zugang zu den Netzen" aufgreifen müssen, was bisher nicht geregelt war und so auch nicht geregelt werden konnte. Das gilt für die Telekommunikation und für die Bahn, aber auch für die Energie. Wir brauchen diese Reform drittens, um wettbewerbspolitisch überholte Vorschriften, Herr Jens, wie beispielsweise die Ausnahmen für Export- und Importkartelle zu streichen. Vor allem brauchen wir die Novelle, weil vieles durch die fünf Novellen vorher unleserlich geworden ist. Das muß neu geordnet und gestrafft werden. Es gibt Vorschriften im Wettbewerbsrecht, die nicht mehr zu lesen sind. Wir brauchen insbesondere eine Einschränkung der Ausnahmetatbestände, die das Gesetz zerfasern. Die Verkehrspolitiker müssen hier lernen: Die Preisempfehlungen bei den Spediteuren sind schon heute nicht mehr mit europäischem Recht zu vereinbaren. Es ist also dringend erforderlich, daß wir im Wettbewerbsrecht etwas tun. Meine Damen und Herren, wenn man etwas tut, wird man kritisiert. Daß der BDI kritisiert, hat mich nicht überrascht. Er hat schon Kritik geübt, als Ludwig Erhard das Kartellrecht überhaupt schaffen wollte. Er hat über Jahre hinweg kritisiert. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn gar nichts gekommen wäre. Mich hat das nicht überrascht. Wir harmonisieren, wie ich noch einmal sagen möchte, nicht überall. Der BDI hat eine stärkere Nähe zu Europa erwartet. Aber wir übernehmen das europäische Recht nur dort, wo es uns als besser erscheint und wo es schlagkräftiger ist, weil wir den hohen Stand des deutschen Wettbewerbsrechts nicht gefährden wollen. Im übrigen ist der BDI alles andere als ein konsequenter Harmonisierer. Er möchte nur die für ihn vorteilhaften Regeln aus dem europäischen Recht übernehmen. Ich werde mich - damit das klar ist - bei meiner Novelle, bei meiner Reform nicht auf diese Rosinenpickerei einlassen. ({2}) Was sagt denn nun die SPD dazu? Herr Kollege Jens, Sie haben eben - wie ich meine - eine in weiten Teilen mit mir auch im Grundduktus übereinstimBundesminister Dr. Günter Rexrodt mende Rede gehalten. Vor fünf Monaten sind Sie in der „Süddeutschen Zeitung" zitiert worden. Da hieß es: Auch der SPD-Wirtschaftsexperte Uwe Jens äußert sich anerkennend. Das Vorhaben zeige Augenmaß und gesamtwirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein. ({3}) Ich danke Ihnen für dieses Lob, lieber Herr Jens. Das paßt jetzt aber so nicht mehr in die Szene: Am Montag hat sich der Herr Schwanhold gemeldet. Er wartete im „Handelsblatt" mit massiver Kritik auf. Ich muß mich fragen, wie es um Ihre Geschlossenheit ausschaut - die haben Sie bei uns ja hinterfragt. Zudem möchte ich jetzt feststellen: Wir sind ja nun ein Stück näher an der Wahl, Herr Schwanhold, und da macht es sich ja gut, wenn man einmal draufhaut. Ich sage Ihnen aber: Das waren mutige, sachverständige und wohldurchdachte Worte, die der Kollege Uwe Jens vor einigen Monaten gefunden hat. ({4}) Nun lassen Sie mich noch ein Wort zur Reform des GWB und zum Mittelstand sagen. Ich halte es für nicht berechtigt, die Reform, die wir machen, als mittelstandsfeindlich zu bezeichnen. Die Reform richtet sich gegen diejenigen Unternehmen, die den Wettbewerb gefährden, und nicht gegen die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die sich im Wettbewerb behaupten müssen. ({5}) Deshalb soll auch der Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ausdrücklich verboten werden. Das ist neu und stimmt mit dem, was Sie immer vorschlagen, überein. Um die unternehmerische Freiheit der kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den großen zu sichern, bietet das Kartellgesetz dem Mittelstand bereits heute vielfältige Möglichkeiten der Kooperation. Ich bedaure, daß diese vielen Kooperationsmöglichkeiten nicht ausreichend genutzt werden. So sind zum Beispiel nur 20 Prozent der Einzelhändler in Ostdeutschland in Verbundgruppen organisiert. Es ist an der Zeit, daß die Wirtschaftsverbände, die Handelskammern, aber auch die Wirtschaftspolitiker der Länder einmal darauf hinweisen, was man mit den Mittelstandsempfehlungen alles für den Einzelhandel und für mittlere und kleine Unternehmen machen kann. ({6}) Lieber Herr Schwanhold, ich hoffe, daß es bei Ihnen und bei der SPD nicht bei Lippenbekenntnissen für den Mittelstand bleibt. ({7}) Gucken wir uns doch einmal die Realität an, Frau Fuchs: In Nordrhein-Westfalen ist es die WestLB, die einen Touristikkonzern zusammenschmiedet, der alle Dimensionen sprengt. Fragen Sie einmal die kleinen Reisebüros und die kleinen Reiseveranstalter - nicht nur die in Nordrhein-Westfalen -, was sie denken, wenn ein solcher Gigant mit Hilfe einer Bank entsteht, die Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wohl nicht ganz fernsteht. So müssen wir die Dinge sehen. ({8}) Nicht nur Lippenbekenntnisse! Auf der einen Seite wird ein Vortrag über den Mittelstand gehalten, und auf der anderen Seite wird von Leuten, die Ihnen sehr nahestehen, ein Gigant geschmiedet. ({9}) Auch beim Thema Handel kursieren verschiedene Meinungen. Ich bin - daraus mache ich gar keinen Hehl; das weiß auch jeder - in einigen Punkten anderer Meinung als der Kollege Hinsken. Der Referentenentwurf enthält aus guten Gründen keine handelsspezifischen Änderungen. Wir alle wissen, daß trotz der Konzentrationsentwicklungen in den vergangenen Jahren im Handel ein scharfer Wettbewerb herrscht. Warum drängen denn keine ausländischen Unternehmen auf den deutschen Markt? Das ist eben die Folge der Tatsache, daß wir einen scharfen Wettbewerb haben. Es gibt Klischees wie „Der Rexrodt und die Großen" - ach was! ({10}) - Das kommt nicht von Ihnen, Herr Hinsken, das kommt von anderer Stelle. - Als ob nicht auch ich daran interessiert bin, daß eine lebendige Handelsstruktur erhalten bleibt, daß die Innenstädte ihre Attraktivität behalten und daß wir mittelständische Unternehmen im Handel und anderswo haben! Das gilt im übrigen nicht nur für den Handel. Wie kann ein Wirtschaftsminister vor dem Hintergrund, daß 99,9 Prozent aller Unternehmen mittelständische Unternehmen sind, nicht etwas gegen eine Verschiebung, Veränderung der Strukturen im unguten Sinne haben? Das sind Klischees. Das ist richtiggehend dummes Zeug. Aber wollen wir denn mit dem Wettbewerbsrecht, mit dem Kartellrecht Strukturkonservierung betreiben? Faktum ist: Das geht gar nicht. Das Kartellamt stellt fest: Da liegt ein Mißbrauch der Marktmacht vor; da entstehen durch Fusionen Giganten, die wir nicht wollen - deshalb präventive Fusionskontrolle -; da ist ein Kartell vorhanden. - Dann muß es einschreiten. Ich will das deutsche Kartellrecht beibehalten, will das deutsche Kartellrecht da bewahren, wo das europäische weniger straff ist, will sogar noch eins draufsetzen. Da sagt man dann: Diese Kartellnovelle, die der Rexrodt vorlegt, ist mittelstandsfeindlich. - Das ist doch gar nicht wahr.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, gern.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben eben das Kartellrecht angesprochen. Stellen Sie nicht mit mir zusammen fest, daß das Kartellamt oftmals ohnmächtig ist, wenn Roß und Reiter genannt werden müssen, damit es überhaupt einschreiten kann? Sehen Sie nicht hier genauso eine zwingende Notwendigkeit, die Nachfragemacht zu begrenzen? Das müßte doch unbedingt enthalten sein. Es kann doch nicht Sinn und Zweck sein, daß Sie novellieren, wie das von seiten der EG erforderlich ist und gewünscht wird, und dabei solche wichtigen Aspekte auszuklammern versuchen. Ich möchte Sie bitten, hier gegebenenfalls doch in die richtige Richtung mitzumarschieren.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Kollege Hinsken, ich glaube, daß wir in die richtige Richtung marschieren. Wir werden ein paar Dinge, über die wir uns derzeit streitig unterhalten, noch hinkriegen. Auch in der von Ihnen angedeuteten Roß-und-Reiter-Problematik werden wir einen Weg finden, mit dem wir leben können. Aber für das Kartellamt kann immer nur die Beeinträchtigung, der Mißbrauch der Marktmacht eine Rolle spielen. Das ist der Ansatz des Kartellrechts. Ich kann nicht Strukturkonservierungspolitik über das Kartellrecht betreiben, wenn das Kartellamt feststellt, daß Wettbewerb gegeben ist. Und er ist gegeben, unter Inkaufnahme eines Konzentrationsprozesses, den ich genauso wenig wie Sie will, Herr Hinsken. Wir müssen uns aber mit den Instrumenten auseinandersetzen, die Instrumente schärfen, die wir haben, und dürfen nicht sachfremde, dem Kartellrecht nicht immanente Elemente einbringen. ({0}) - Ich würde jetzt sehr gerne weitersprechen. Ich bitte um Verzeihung, Herr Präsident. Ich muß in den Haushaltsausschuß; da ist mein Haushalt zu verteidigen. Das ist eine wichtige Geschichte. Ich bitte sehr um Verständnis, wenn ich das noch zu Ende bringen will. Zwischenfragen abzulehnen ist sonst nicht meine Art. Herr Hinsken, zu den Konditionenkartellen: Ich bin nicht so ganz davon überzeugt, daß wir die Konditionenkartelle erhalten sollten. Aber daran hängt mein Herz auch nicht. Wenn überzeugende Argumente kommen, daß über den Erhalt der Konditionenkartelle die Marktmacht der großen Handelsunternehmen, aber auch der Unternehmen im Textilbereich unmittelbar eingeschränkt werden könnte, bin ich bereit, darüber mit mir reden zu lassen. Meine Damen und Herren, wir können aber nicht ein Kartellrecht machen, das, wenn es um die Mittelstandsempfehlung und die Einkaufskooperation, die Sie auch angesprochen haben, geht, dazu führt, daß der selbständige Unternehmer ein besserer Filialleiter wird. Ich lehne Kartelle in dieser Richtung ab. Das gilt auch für das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. Herr Hinsken, ich weiß, was Sie im Sinn haben. Die Intention ist okay. Aber was ist denn der Einstandspreis? Wie wird er definiert? Wie wird er kalkuliert? Wollen wir Behörden schaffen, die darüber befinden, was der Einstandspreis ist und was nicht? Da entsteht eine Bürokratie, da entsteht ein Einfluß auf die Preisgestaltungsfreiheit des Unternehmers. Das ist nicht machbar, bei allem Verständnis für die Intention, die Sie haben. Das geht nicht; das können wir nicht machen. Im übrigen will das auch niemand aus dem Handel, einmal vom Markenverband und ein paar Gruppierungen abgesehen, die einzuordnen Sie bitte selbst übernehmen sollten. Ich will jetzt nicht darüber reden, was sich hinter „Markt intern" und dem Gewerbeverband verbirgt. Auch der mittelständisch strukturierte Hauptverband des Deutschen Einzelhandels will davon nichts wissen. ({1}) - Frau Wolf, das, was Sie da reden, ist ein Stück Niedergang. ({2}) - Das ist so. Herr Hinsken, der HDE will das nicht. Frau Wolf, schon bei dem, was Sie zum Thema Kohle gesagt haben, habe ich mich darüber gewundert, welche Art von Populismus Sie und Ihre Partei an den Tag legen. ({3}) Jetzt gehen Sie genau auf derselben Linie: populistisch, opportunistisch. Sie reden einem Schutz und der Konservierung das Wort. Frau Wolf, das wird Ihrer Partei nicht bekommen. Das sage ich Ihnen einmal mit ganz persönlichen Worten. Es ist eine Art von Populismus, daß die Grünen - einst fundamentalistisch, einst an der Sache orientiert - nichts anderes tun, als Gruppen hinter sich zu scharen. Sie werden mehr und mehr Klientelpartei. Sie beschimpfen uns, aber Sie werden Klientelpartei. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, ich muß Sie gleichwohl fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Dr. Günter Rexrodt Bundesminister für Wirtschaft: Die letzte. Bitte.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, können Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels sehr wohl eine Änderung der vorgelegten Novelle will? Er will insbesondere auch keine Strukturveränderungen durch FacHans Michelbach tory-outlet-Centers. Es ist ja nicht so, daß der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels diese Dinge so festgelegt und ihnen zugestimmt hat. Vielmehr ist es die Gemeinschaft mit BHG und BFS, die nur in dieser Dreierkombination eine gemeinsame Zustimmung signalisiert hat. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels hat in den einzelnen Bereichen - Unterpreisverkäufe, Factory-outlet-Centers, Strukturentwicklung - sehr wohl deutliche Vorbehalte.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Kollege, über Factory-outlets habe ich ja gar nicht gesprochen. Was Factory-outlets angeht: Warum soll ein Hersteller seine Produkte nicht auch über den Einzelhandel vertreiben können? Ich möchte das eigentlich nicht generell verbieten. Was die Leute aufregt und umtreibt, ist die Tatsache, daß es eine Reihe von Ländern und Kommunen gibt, die ihr Planungsrecht dazu benutzen, um Kasse zu machen, indem Sie Gelände als Gewerbegelände ausweisen, und die dann die Herstellerbetriebe animieren, auf diesem ausgewiesenen Gelände in Factory-outlets zu investieren, damit ihre Kasse gefüllt wird. Das wird zu Recht angegriffen. Das finde auch ich nicht gut. Ich sage nichts anderes zum Factory- outlet. Dieses Thema habe ich hier gar nicht angeschnitten. Lassen Sie mich zum Schluß kommend sagen, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom vergangenen Freitag zum Gutachten der Monopolkommission den Referentenentwurf unterstützt. Ich möchte bitten und dafür werben, daß sich der Deutsche Bundestag diesem Urteil anschließt. Kartellgesetznovellen sind im Bundestag stets einmütig und einstimmig beschlossen worden. Diese gemeinsame Linie beim Wettbewerbsschutz sollten wir bewahren. Es geht um den Wettbewerb als Grundprinzip und Erfolgsrezept unserer Wirtschaft. So sehr sich der einzelne Unternehmer über lebhafte Konkurrenz beklagen und unter ihr leiden mag: Der Wettbewerb und die Konkurrenz sind Motor für Innovationen und der Garant für zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Wir machen diese sechste Novelle, weil wir ein Stück näher nach Europa wollen, ohne unsere Grundsätze aufzugeben - wir stärken sie sogar. Ich wäre froh, wenn sie in dieser Legislaturperiode über die Bühne gebracht werden könnte. Sie ist ein Beitrag dazu, daß in diesem Land die Strukturen stimmen. Sie ist ein Beitrag dazu, daß wir über Reformen Arbeitsplätze halten und Arbeitsplätze schaffen. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nahtlos an die Worte meines Vorredners anknüpfen. Dem Prinzip des Wettbewerbs in unserer sozialen Marktwirtschaft haben die Menschen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten - zumindest im freien Westen - viel zu verdanken: eine breite Auswahl von Gütern und Diensten bester Qualität zu Preisen, die niedriger sind als in vielen anderen Ländern, und eine Inflationsrate, die weltweit immer am unteren Rand der Skala lag. Unter diesen Umständen sind wir Europas führende Industrienation und eine der führenden Exportnationen der Welt trotz einer international vergleichsweise sehr geringen Exportförderung geworden. Die Einführung dieses Wettbewerbsprinzips war eine der weisesten Entscheidungen der Gründerväter der Bundesrepublik und seine Verteidigung mit Zähnen und Klauen ein großes Verdienst der deutschen Politik über alle Parteigrenzen hinweg. Die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs ist jedoch nicht zum politischen Nulltarif zu haben und erfordert Wachsamkeit und den Mut, notfalls auch Fehlentwicklungen gegen mächtige Interessen zu korrigieren. Solche Interessen stehen erneut an. Die Globalisierung und der dadurch verschärfte Standortwettbewerb zwingen zum weiteren Aufbrechen erstarrter Strukturen zum Beispiel in der Entsorgungswirtschaft, auf dem Energiesektor und im Medienbereich. Dies bestätigt auch in aller Deutlichkeit der vorliegende Bericht der Monopolkommission und spricht für unsere Absicht, das deutsche Wettbewerbs- und Kartellrecht den sich abzeichnenden europäischen Gesetzen und Richtlinien anzupassen. Es kann dabei nicht - ich bin hier mit Minister Rexrodt einer Meinung - um eine Anpassung in Form einer Aufweichung oder Abschwächung gehen, sondern wir sind gut beraten, auch hier zugunsten eines funktionierenden Wettbewerbs zu entscheiden und EG-Recht dort zu übernehmen, wo es strenger als das deutsche Recht ist, zum Beispiel beim ausdrücklichen Verbot von Kartellen oder dem Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, aber dort das deutsche Recht beizubehalten, wo es dem europäischen überlegen ist, etwa bei der Mißbrauchsaufsicht bei relativer Marktmacht zugunsten kleinerer und mittlerer Wettbewerber, gerade angesichts mancher Behinderungspraktiken marktbeherrschender Unternehmen. Die kürzliche Anhörung zur geplanten Novellierung des GWB, die heftigen Diskussionen um die Liberalisierung der Energiemärkte, aber auch die schwierigen jahrelangen Prozesse der Privatisierung ehemaliger staatlicher Großunternehmen wie Bahn, Post und Telekom machen deutlich - darauf hat Professor Jens auch eingangs hingewiesen -, wie viele unterschiedliche Interessen und Interessenten beim Stichwort „mehr Wettbewerb" auf allen Seiten drängen. Dies darf und wird uns jedoch keineswegs davon abschrecken, dieses Vorhaben planmäßig umzusetzen. Gerade in den schwierigen Wettbewerbsfragen lassen wir uns keine hastige Vorgehensweise diktieren. Nirgendwo kann man nämlich so wie hier hehre Ideale mit gesundem Pragmatismus verbinden. Was zum Beispiel national falsch ist, kann international lebensnotwendig sein. Der weltweite Wettbewerb zwingt einerseits zunehmend zu einer schnelleren wirtschaftlichen und politischen Verdichtung der Regionen und insbesondere auch Europas. Europa muß mit den KonkurrenzDr. Christian Ruck regionen in Asien und Amerika Schritt halten können. So sind manche Firmenzusammenschlüsse wie etwa der von Hoesch, Krupp und Thyssen vielleicht national bedenklich, europäisch aber sinnvoll. Europa muß auch mit größerem Nachdruck und mit stärkeren Ellenbogen faire Wettbewerbsregeln weltweit durchdrücken. Wir schieben hier ganz maßgeblich an, zum Beispiel in der WTO, bei der Einführung von sozial- und umweltpolitischen Mindeststandards oder bei internationalen Investitionsschutzabkommen. ({0}) - Man muß immer in die Zukunft schauen, meine Herren und Damen. ({1}) - Deswegen schaue ich ja mit so großer Hoffnung in die Zukunft. - Andererseits muß es uns auf nationaler Ebene - das trifft auch auf mich zu - mit Sorge erfüllen, wenn in bestimmten Märkten eine vormals bunte, fast unüberschaubare Vielzahl von Unternehmen auf wenige Giganten mit einer fast uneingeschränkten Nachfragemacht zusammenschrumpft. Es stimmt nachdenklich, wenn zum Beispiel einer dieser Giganten der Nahrungsmittelbranche in Deutschland vor 20 Jahren noch rund 2000 Unternehmen beliefert hat und jetzt nur noch zehn, aber mit wachsendem Umsatz beliefert. ({2}) Es ist in der Tat für die Zukunft des Wettbewerbs in Deutschland und damit für unsere Marktwirtschaft schon entscheidend, daß wir weiterhin Regeln finden und aufrechterhalten, die es tüchtigen und fähigen kleinen und mittleren Unternehmen erlauben, in einen Markt einzutreten, sich dort zu behaupten und hochzukommen. ({3}) Deswegen ist es richtig, weiter darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie wir zum Beispiel Wettbewerb auf dem Energiesektor schaffen können, ohne kleine Energieversorger oder die kommunalen Dienstleister zu strangulieren, ({4}) und wie wir im Zuge der anstehenden GWB-Novellierung wettbewerbsverzerrender Nachfragemacht und Konzentrationen - zum Beispiel auch im Handel - effizient und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand entgegenwirken können. ({5}) Nach meinem Kenntnisstand der Verhandlungen glaube ich allerdings, daß wir uns durchaus, auch zwischen CSU und Minister Rexrodt, gütlich und mit einem guten Ergebnis einigen können. In den Zusammenhang gehört auch die Frage, die Sie mit Ihrem Antrag aufgeworfen haben, wie das empirische Datenmaterial zur Beurteilung von Tendenzen zur Konzentration verbessert werden sollte. ({6}) Insofern geht der vorliegende SPD-Antrag durchaus in die richtige Richtung. Ich plädiere jedoch dafür, zuerst einmal die Machbarkeitsstudie, die von der Bundesregierung bereits in Auftrag gegeben wurde, in aller Ruhe abzuwarten, bevor man weiteren Gedankengängen des Antrags folgt. ({7}) - Die kommt wahrscheinlich erst im März. Entscheidende Schritte zugunsten des Wettbewerbs geschehen aber auch und vor allem außerhalb des Wettbewerbs- und Kartellrechts im engeren Sinne im Rahmen der Frage, wie wir den unternehmerischen Mut zu Existenzgründungen wiederbeleben können und wie wir den kleinen und mittleren Unternehmen in allen Bereichen wieder mehr Spielraum und Luft zum Atmen zurückgeben können. ({8}) Dies geht zum einen durch die konsequente Fortsetzung der Privatisierungspolitik in den Bereichen, wo es überhaupt keinen funktionierenden Markt mehr gegeben hat - wie zum Beispiel bei der Bahn, bei der Post, im Bereich der Telekommunikation und der Energie -, und zum anderen durch eine schrittweise Entlastung von der Flut der Kosten und Regulierungen, die gerade den kleinen und mittleren Unternehmen und auch potentiellen Neuunternehmern wie ein Mühlstein am Hals hängen. ({9}) Hier, meine Damen und Herren von der SPD, fällt die Überschrift Ihres zweiten Antrags - „Stillstand in der Wettbewerbspolitik beenden - wettbewerbliche Strukturen sichern" -, den wir in weiten Teilen durchaus mittragen können, auf Sie zurück. Der Antrag ist wirklich nicht schlecht; er wird aber von dieser Überschrift sozusagen versaut, wenn der Präsident mir diesen Ausdruck gestattet. ({10}) Denn die Bundesregierung und die Koalition haben - das weiß inzwischen jeder - im Bereich der Privatisierung, der Entbürokratisierung und der Hilfen für Existenzgründungen, aber auch der Senkung der Lohnzusatzkosten ein gigantisches Arbeitspensum erfolgreich hinter sich gebracht, und zwar in aller Regel gegen den offenen oder versteckten Widerstand der Sozialdemokraten als Bremser, ({11}) die die überkommenen, erstarrten Strukturen regelmäßig beibehalten wollen. Einem weiteren wichtigen Baustein zur Kostenentlastung und für mehr Wettbewerb haben Sie sich völlig verweigert, nämlich der von uns geplanten großen Steuerstrukturreform. Dies waren die Nagelproben für das sozialdemokratische wettbewerbspolitische Engagement und nicht etwa die verbale Wiederentdeckung der Marktwirtschaft durch Herrn Schröder. Diese Nagelproben haben Sie nicht bestanden. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold, SPD.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine eigenartige Debatte. Die Sozialdemokraten legen einen Antrag zur Stärkung des Wettbewerbs vor ({0}) - klar, Herr Hinsken, zwei Anträge -, und ihr tragt im Plenum eine Debatte aus, die sich mit einer Novelle beschäftigt, die innerhalb der Koalition völlig unausgegoren zustande gekommen ist und die heftigst von der CSU angegriffen wird. Ich finde, dies sollte sich die deutsche Öffentlichkeit anschauen. Da wird nicht über unsere Anträge, mit denen wir Sie zum Jagen tragen, diskutiert, sondern dieser Streit wird ausgetragen wie in der ersten Reihe bei ARD und ZDF: Wir schauen gelassen zu und warten ab, was am Ende dabei herauskommt. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schwanhold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, erst zu einem etwas späteren Zeitpunkt. Ich will zunächst einmal zwei oder drei Dinge klären.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt also nicht? Ernst Schwanhold ({0}): Nein. Ich möchte gerne Herrn Rexrodt sagen, von dem ich hoffe, daß er im Haushaltsausschuß noch das durchsetzt, was er bei der Kabinettsberatung des Haushaltes nicht durchgesetzt hat - er hat uns im Ausschuß um Unterstützung gebeten; insofern entschuldige ich sein Fehlen hier -: Eines kann man nicht machen, nämlich sagen, die Kommunen würden sich bemühen, daß Gewerbegebiete mit Factory-outlet-Centers besetzt werden, und dann sagen, die Kommunen seien schuld daran, anstatt darüber nachzudenken, ob möglicherweise die Unternehmen an der Verdrängung des Wettbewerbs, von der wir die ganze Zeit geredet haben, ein Eigeninteresse haben und ob man da nicht im Vorfeld etwas tun muß. ({1}) Zweite Bemerkung zu Ihnen, Herr Ruck. Im März 1995 haben wir Ihnen einen Antrag zum Risikokapital vorgelegt. Den haben Sie abgelehnt. Wir haben Ihnen im Mai 1995 einen Antrag zur Entlastung des Mittelstandes vorgelegt. Den haben Sie abgelehnt. Wir haben Ihnen im Herbst des Jahres 1996 einen Antrag zur Zusammenfassung der mittelständischen Förderprogramme vorgelegt. Darauf haben Sie bis heute noch nicht einmal reagiert, und das Ministerium hat noch nicht einmal eine Meinung. Wir haben Ihnen angeboten, den Vorschlag Ihres Fraktionsvorsitzenden Schäuble zur Senkung der Lohnnebenkosten zu unterstützen, und Sie haben Ihren Fraktionsvorsitzenden zurückgepfiffen. ({2}) Wie lange wollen Sie eigentlich diese Arie noch singen, bis Sie sich selbst wieder einigen können? Nun komme ich zum Thema Wettbewerbsbeschränkungen und Wettbewerbsrecht. Ich glaube, daß wir dringend eine Veränderung bei der Wettbewerbspolitik benötigen. Wir brauchen auch dringend eine Veränderung der rechtlichen Situation. Dazu ist in der Novelle - das hat mein Kollege Jens gesagt - an der einen oder anderen Stelle ein richtiger Hinweis. Ich will Ihnen sagen, was dieses aus der Sicht der Sozialdemokraten in der gegenwärtigen Situation nicht zustimmungsfähig macht. Wenn Sie dort nicht entscheidende Verbesserungen vornehmen, werden wir nicht zueinanderkommen. Der Kollege Jens hat völlig zu Recht den Zeitfaktor angesprochen. Wer so eine Novelle kurz vor dem Ende einer Legislaturperiode vorlegt, der will im Grunde gar nicht das Gesetz novellieren. Denn man weiß: Das kann man nur mit Anhörungen hinbekommen, und da muß man jeden einzelnen Bereich überprüfen. Es ist ein Luftballon, mit dem Sie dem einen oder anderen einen Gefallen tun zu können meinen. Zwischenzeitlich hat sich der Wirtschaftsminister bei allen Verbänden sowie in der eigenen Fraktion und in der Koalition in die Nesseln gesetzt. Und dann wundert er sich. Wir werden nicht zustimmen, wenn Sie nicht bereit sind, mehr Wettbewerb und die Stärkung des Mittelstandes im Handel, im Handwerk und in der Industrie sowie die Berücksichtigung von Arbeitsplatzeffekten in der Bundesrepublik Deutschland zu den Kernzielen dieser Novelle zu erheben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der unbedingt gesehen werden muß. Der nunmehr vorgelegte Referentenentwurf der Bundesregierung wird diesen Zielen nicht gerecht. Somit ist eine Zustimmung der SPD nicht möglich. ({3}) - Dies ist nicht nur die Auffassung der SPD, Herr Hinsken. Sie haben ja Ihre Meinung dazu gesagt. ({4}) - Ich komme Ihnen doch entgegen. Die SPD fordert erstens eine stärkere Mittelstandsausrichtung der Novelle durch ausdrückliche FreiErnst Schwanhold stellung der Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen vom Kartellverbot ({5}) - dies muß man wohl machen, sonst gibt es keine Chance -, ferner die Beibehaltung der Erlaubnis von Konditionenkartellen für kleine und mittlere Unternehmen - ich will insbesondere den Bereich der Textilindustrie ansprechen - sowie eine Prüfung des Verbots von überzogenen Untereinstandspreisen. Ich weiß, daß dies ein sensibler Bereich ist. Man muß dies auch zulassen. Schlußverkäufe usw. basieren auf diesem Vorgang. Aber es gibt einen offensichtlichen Verdrängungswettbewerb, bei dem Nachfragemacht dazu mißbraucht wird, um unter Einstandspreis gegenüber allen anderen Wettbewerbern zu verkaufen. ({6}) Der Elektrohandel ist da ein signifikantes Beispiel. Auch Metro und andere sind hier genannt worden. Es gibt eine Lex Metro in dieser Novelle. Diese werden wir schon zum Schutz des kleinen Handels nicht zulassen. ({7}) Es geht auch um mehr Wettbewerb durch weniger Marktbeherrschung. Großunternehmen einerseits und kleine und mittlere Unternehmen andererseits haben erheblich unterschiedliche Marktmacht. Sie können nicht und schon gar nicht vom GWB über einen Kamm geschoren werden. Indem wir dem Mittelstand Unternehmenskooperationen erlaub en , das heißt, mehr Möglichkeiten für Fusionen in Einkaufsringen, Verkaufsgemeinschaften schaffen sowie die Konditionenkartelle beibehalten, die für den mittelständischen Unternehmer ähnliche Lieferantenkonditionen erzielen können wie Großbetriebe, wollen wir Marktmachtunterschiede ausgleichen und wirklich vergleichenden Wettbewerb dann über den Preis organisieren und nicht über Nachfragemacht. Da wird sich der mittelständische Händler in Form von „After-sale-Service" und mit einem entsprechenden Preis im Wettbewerb schon bewähren können - da habe ich überhaupt keine Sorgen -, wenn wir ihm die Chancen dazu geben. - Herr Präsident, jetzt lasse ich die Zwischenfrage zu.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das ist nett von Ihnen. - Bitte, Herr Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schwanhold, ich möchte jetzt etwas anderes fragen als vorhin. Ich möchte von Ihnen wissen, ob sich Ihre Meinung mit der Meinung des Kollegen Uwe Jens deckt und wer hier für die SPD heute gesprochen hat. Sie oder der erste Redner?

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, wenn Sie nicht mit einer vorgefertigten Meinung hierhergekommen wären, sondern dem Kollegen Jens zugehört hätten, dann hätten Sie festgestellt, daß unsere Meinungen völlig deckungsgleich sind. Wir haben möglicherweise an einem Punkt eine etwas unterschiedliche Betrachtung, nämlich bei der Frage, ob unsere europäischen Harmonisierungsbemühungen wirklich ausreichen oder ob man sich noch ein Stückchen weiter auf die europäische Ebene zubewegen sollte. Wir haben aber keine unterschiedliche Betrachtung dahin gehend, dem Mittelstand zusätzliche Hilfestellungen im Rahmen dieser Kartellnovelle einzuräumen. Da gibt es keinerlei Differenzen. Um Sie völlig zu beruhigen: Auch ich habe mich im „Handelsblatt" dazu geäußert. Die Überschrift dort hieß nicht „Streit zwischen Jens und Schwanhold", sondern „Streit zwischen CSU und Rexrodt eskaliert". Das genau ist die Überschrift im „Handelsblatt". ({0}) Herr Hinsken, Sie müssen immer davon ausgehen, daß ich die Überschriften, die Ihre Partei betreffen, bereit habe, wenn Sie eine Frage stellen. Es muß überdies geprüft werden, ob der Begriff „Marktbeherrschung" in Verbindung mit dem Verkauf zu Einstandspreisen justitiabel ist, um die Macht von marktbeherrschenden Anbietern einzuschränken. Damit würden überzogene Untereinstands-preise von Großunternehmen, die gezielt zur Verdrängung bzw. Vernichtung von kleinen und mittleren Unternehmen führen, verboten. Es geht dabei nicht um Niedrigpreise, wie zum Beispiel in Schlußverkäufen. Zweitens. Wir fordern ein eigenes Ermittlungsrecht für das Bundeskartellamt auch deshalb, um der Roßund-Reiter-Problematik in ausreichendem Maße begegnen zu können. Dafür ist eine Neuregelung erforderlich, um die durch Marktmacht von Großunternehmen bei Lieferanten erzwungenen Vorzugskonditionen, zum Beispiel Listungsgebühren oder Preisdruck, erfassen und verfolgen zu können. Wir können doch nicht von den Anbietern auch noch verlangen, sich dazu zu äußern und sich damit von der nächsten Listung streichen zu lassen. Dann findet kein Einkauf mehr statt. Wir haben das ja zwischen Stixi und Metro erlebt. Da ist eine Marke verschwunden, weil man die Listungsgebühr in Höhe von 250 000 DM für die Einführung neuer Salzstangen nicht finanzieren konnte. Drittens. Besondere Bedeutung kommt der ausdrücklichen Berücksichtigung von Arbeitsmarktgesichtspunkten beim Instrument der Ministererlaubnis im Rahmen der Fusionskontrolle zu. Das Instrument der Ministererlaubnis ist bewußt geschaffen worden, um dem Bundeswirtschaftsminister die Möglichkeit zu geben, eine Fusion, die unter rein wettbewerblichen Gesichtspunkten abzulehnen wäre, dennoch zu erlauben, falls dies gesamtwirtschaftlich vorteilhaft ist. Nach unserer Auffassung sollte in dem Gesetz ausdrücklich verankert werden, daß in diesem gesamtwirtschaftlichen Bewertungsprozeß auch Arbeitsmarkteffekte zu prüfen sind. ({1}) Diese Verankerung ist wichtig. Daß dies gegenwärtig schon geschieht, ist klar. Alle begründen mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen ({2}) die Ablehnung einer Fusion oder auch deren Zustandekommen. Aber diese Arbeitsmarkteffekte müssen geprüft werden. Deshalb sollte dies in das Gesetz hineingeschrieben werden. ({3}) Herr Hinsken, damit wir nicht mißverstanden werden: Wir bejahen ausdrücklich das Kernziel des GWB, nämlich in erster Linie für mehr Wettbewerb zu sorgen. Dort aber, wo Freiraum für weitere Gesichtspunkte ist, etwa bei der Ministererlaubnis, sollte dieser im Hinblick auf Arbeitsmarktaspekte auch ausdrücklich genutzt werden. Viertens. Die europäische und internationale Dimension des GWB muß stärker berücksichtigt werden, und zwar speziell der tatsächliche oder potentielle Wettbewerb innerhalb und außerhalb der deutschen Grenzen. Dies bedeutet, daß ein Konzentrationsprozeß, wie er zum Beispiel im Bereich der Touristik- und Reisebranche stattfindet, den Wettbewerb auf dem deutschen Markt berücksichtigen kann, daß andererseits allerdings auch mehr Wettbewerb unter den Anbietern auf europäischer und internationaler Ebene herbeigeführt werden kann. Dies ist ein Abwägungsprozeß, den wir mit einbeziehen müssen. Ähnliches gilt für den Konzentrationsprozeß bei den großen Flugzeugbauern, wo angesichts der Elefantenehe von Boeing und McDonell Douglas nur ein ähnlich konzentrierter Großanbieter auf europäischer Ebene wirklich weltweiten Wettbewerb schaffen kann. ({4}) Sonst werden wir ein Monopol erhalten. Genau diese Richtung müssen wir verfolgen und die Voraussetzungen dafür schaffen. Fünftens. Wir fordern die Untersagung von parallelen Aufsichtsratsfunktionen in Kontrollgremien miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen. Dies ist beim Fall Krupp und Thyssen sehr deutlich geworden. Sechstens. Wir melden nachdrücklich einen Vorbehalt an bei der beabsichtigten Streichung der Ausnahmeregelung für Strom und Gas. Dieser Komplex muß im Zusammenhang mit der regierungsseitig ins Auge gefaßten Novellierung des Energiewirtschaftsrechtes gesehen werden. Es ist nicht einzusehen - und zudem unausgewogen -, daß Herr Rexrodt nunmehr die Bereiche Verkehr sowie Strom und Gas voll dem GWB unterwerfen, andererseits aber Ausnahmegenehmigungen im Bereich der Landwirtschaft, der Banken und Versicherungen und der Verwer- tungsgesellschaften erhalten will. Daran traut er sich nicht; und selbst da wäre Wettbewerb in besonderem Maße notwendig. Hier geht es allerdings mehr um die Frau Wolf vorgeworfene Klientelpolitik - jedoch eher zu Ihren Gunsten, verehrter einziger Herr Zuhörer von der F.D.P. Dieses Kerngesetz der deutschen Wirtschaft findet bei der F.D.P. so viel Beachtung, daß gerade einmal ein Abgeordneter anwesend ist. Man muß einmal darauf hinweisen, damit die Menschen das mitbekommen. ({5}) Last but not least: Ein wesentlicher und richtiger Ausgangspunkt eines neuen Gesetzes ist die Harmonisierung des deutschen Rechts mit dem europäischen. Wir müssen allerdings aufpassen, daß das bewährte deutsche Wettbewerbsrecht nicht unter die Räder kommt, wie der Kollege Jens bereits ausgeführt hat. Ich glaube, wir brauchen auf der internationalen Ebene, insbesondere bei allen am Welthandel beteiligten großen Industrienationen, tragfähige Wettbewerbsregelungen, die eine globale Politikverantwortung notwendig machen. Auch dies muß im Zusammenhang mit unserem Antrag, der genau darauf zielt, beraten werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Ausarbeitung eines verbindlichen internationalen Wettbewerbskodexes und die Einsetzung einer entsprechenden internationalen Wettbewerbsbehörde auf OECD-Ebene entschiedener als bisher voranzutreiben. Fazit: Die gesamtwirtschaftliche Verantwortung gebietet es unbedingt, die vorgetragenen Änderungsvorschläge bei der Reform des Kartellrechts ohne Abstriche zu berücksichtigen. Sie zeigen einmal mehr, daß die Interessen des Mittelstandes und der deutschen Industrie bei Ihnen eben nicht mehr in guten Händen sind, auch wenn manche, insbesondere Verbandsvertreter, vor Wahlen meinen, darauf hinweisen zu müssen, daß dies so sei. ({6}) Vorher wird kritisiert; aber je näher der Termin der Wahlen rückt, desto zurückhaltender werden sie, die Herrschaften, mit den großen Worten. Wir werden Sie daran messen, ob Sie tatsächlich die Bedingungen der mittelständischen Wirtschaft und der deutschen Unternehmen mit dem Wettbewerbsrecht auch für die Zukunft absichern. Bisher ist nicht erkennbar, daß diese Novellierung dem auch nur ansatzweise genügt. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4598, 13/7029, 13/5309, 13/5310 und 13/7900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung angesichts ständig steigender Arbeitslosenzahl zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt, SPD.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mittendrin und trotzdem draußen - geringfügig Beschäftigte sozial-versichern", das ist das Motto einer Kampagne, mit der Frauen mit einer gern erzählten Legende aufräumen wollen. Ich rede von der Legende, die mit dem Satz beginnt: „Die Frauen wollen das so." Nach dieser Legende wollen Frauen im Westen für 610 DM und im Osten für 520 DM arbeiten. Nach dieser Legende wollen Frauen ein kleines Zubrot verdienen, bar auf die Hand. Erst dann sind Frauen glücklich und zufrieden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Legende, und von dieser Legende haben Frauen genug. Dafür stehen Tausende von Unterschriften, die im Rahmen der Aktionswoche nächsten Mittwoch dem Bundesarbeitsminister übergeben werden. ({0}) Der Deutsche Frauenrat, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschland, der Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland, der kirchliche Dienst in der Arbeitswelt, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, der Deutsche Gewerkschaftsbund mit den hauptbetroffenen Gewerkschaften, Vereine und Verbände, Frauen und Männer von Parteien - sie alle haben sich zu einem bundesweiten Bündnis zusammengeschlossen, das nur ein Ziel hat: Der Deutsche Bundestag soll endlich einen Gesetzentwurf beschließen, der Schluß macht mit dem Ausschluß von Millionen Frauen und Männern aus der Solidargemeinschaft. ({1}) Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gab es im Frühjahr 1996 5,4 Millionen geringfügig Beschäftigte. Davon haben zirka 1,3 Millionen mehr als einen 610-DM-Vertrag - kein Wunder; denn weder von 610 DM im Westen noch von 520 DM im Osten kann ein Mensch leben. Insgesamt, so wurde errechnet, gibt es in Deutschland 6,7 Millionen derartige Arbeitsplätze; das ist eine Steigerung von 1991 bis 1996 um 19 Prozent. Wir stellen fest: Die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wachsen parallel zu den steigenden Arbeitslosenzahlen. Der Trend ist klar: Ehemalige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse werden zunehmend in Beschäftigungsverhältnisse ohne soziale Sicherung umgewandelt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich halte dies für einen Skandal. ({2}) Aber in dieser Regierungskoalition gibt es ja Leute, die dies für ein Jobwunder und für ein schätzenswertes Gut halten und die dabei noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben, im Gegenteil: Wenn ich mir beispielsweise Ihre Presseerklärungen, Frau Kollegin Babel, durchlese, dann habe ich den Eindruck, daß Sie sogar stolz darauf sind, die Retterin der 610-DM-Arbeitsverhältnisse zu sein. ({3}) Zum fünften Mal, so rühmen Sie sich am 5. September 1997, hat die F.D.P. wieder ein klares Nein gesagt. Nun freuen wir uns über jedes klare Nein von Ihnen. Aber ich kann Ihnen, meine Dame, nur eines sagen: Der Kern bei dieser Frage ist: Ihr Hauptaugenmerk hat noch nie darauf gelegen, Menschen soziale Sicherheit zu geben. Nach Ihrem Denken schützen Sie mit den 610-DM-Arbeitsverhältnissen ein höheres Gut, nämlich die Freiheit, insonderheit die unternehmerische Freiheit. Ich nenne dies schlicht eine Flucht aus der Sozialversicherung. ({4}) - Da können Sie jetzt ruhig zwischenrufen, Frau Kollegin Babel: Für mich ist es kein Normalfall, daß Millionen Menschen oft jahrelang erwerbstätig sind, anschließend zum Sozialamt gehen müssen und dann von Menschen Ihrer Couleur als Parasiten des Sozialstaates bezeichnet werden. ({5}) Wir wollen, daß Männer und Frauen, die einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen, auch eine eigenständige soziale Sicherung bekommen. Jetzt noch ein Wort zum Schluß. Ich habe mich gefreut, daß die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Professor Süssmuth - ich glaube, sie ist heute nicht da; ich hoffe, sie liest das Protokoll -, mit ihrer Unterschrift das bundesweite Bündnis „Mittendrin und trotzdem draußen" unterstützt. Es liegt nahe, daß wir hier im Deutschen Bundestag gleichfalls ein fraktionsübergreifendes Bündnis schließen. Dies wäre ein Signal nach draußen, daß Politikerinnen und Politiker nicht nur unterschreiben, sondern daß sie auch zu ihrem Wort und zu ihrer Unterschrift stehen. Das wäre ein Bündnis für die Frauen, und es wäre ein Bündnis für eine glaubwürdige Politik. Ich fordere Frau Süssmuth auf: Lassen Sie uns einen gemeinsamen Antrag zur Einbeziehung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in die Sozialversicherung einbringen! Haben Sie den Mut dazu! Vielleicht hat dann auch die Frauenministerin den Mut, zu handeln, anstatt draußen in den Veranstaltungen die Existenz von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zu beklagen. Ich glaube, Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU, viele von Ihnen wissen, Ulla Schmidt ({6}) daß dies ein richtiger Schritt wäre. Machen Sie mit uns gemeinsam einen solchen Gesetzentwurf. Wir haben eine Mehrheit auch ohne die Freien Demokraten. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer ({0}).

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir den Titel der heutigen Aktuellen Stunde anschaue, dann muß ich sagen, daß er eigentlich vollkommen falsch gewählt ist. Es geht der SPD um die „Haltung der Bundesregierung angesichts ständig steigender Arbeitslosenzahlen zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen" . Das ist deswegen falsch, weil sich die geringfügige Beschäftigung in der Arbeitslosenstatistik, die Sie hier ansprechen, zahlenmäßig überhaupt nicht niederschlägt, wenngleich sie eine Art der Beschäftigung ist. Welche Art von Beschäftigung sie im Hinblick auf die Sozialversicherungspflichtigkeit usw. ist, ist eine andere Frage. Allerdings stellt sie eine Art von Beschäftigung dar, und zwar eine, die ausufert. Das gebe ich zu. Deswegen - das ist nicht zu bestreiten - haben wir hier dringenden Handlungsbedarf. ({0}) Man kann willkürlich die Stellenanzeigen in den Zeitungen aufschlagen: In immer mehr Stellenanzeigen sind ausdrücklich 610-Mark-Arbeitsverhältnisse gewünscht. Auch auf Feldern wachsender Beschäftigung, bei denen wir immer davon ausgegangen sind, daß die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zunimmt, erleben wir leider Gottes, daß immer mehr geringfügig beschäftigt wird. Ein Beispiel aus jüngster Zeit sind die Pflegedienste. Wir haben geglaubt, wir könnten Hunderttausende neuer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Aber viele werden in Form geringfügiger Beschäftigung durchgezogen. ({1}) - Dazu komme ich gleich. Dann sage ich Ihnen auch gerne, Frau Kollegin Buntenbach, warum das nicht so leicht ist. Warum ist das so? - Der Grund für die starke Zunahme liegt in der Tatsache, daß die Bevölkerung flüchtet: vor der überzogenen Beitragsbelastung bei regulären Beschäftigungsverhältnissen, ({2}) vor dem übermäßigen Zugriff durch Steuern und Abgaben. Damit kommen wir auf den Punkt: Jeder Versuch der Koalition, die Steuer- und Abgabenbelastung zu senken, scheitert doch seit Beginn der Legislaturperiode am erbitterten Widerstand aller Oppositionsparteien. Deshalb: Nehmen Sie uns jetzt nicht bei der Nase! ({3}) Wir kennen die Ursachen des - sowohl aus Arbeitgebersicht wie auch aus Arbeitnehmersicht - eigentlich verständlichen Verhaltens der Betroffenen. Welche Handlungsalternativen gibt es? Ich glaube, wir brauchen die einzelnen Vorschläge nicht herunterzubeten. Sie sind in den letzten Jahren hinreichend betont worden. Aber ich möchte davor warnen, zu glauben, die vollständige Einbeziehung in die Sozialversicherungspflicht sei das Alleinseligmachende. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal ein paar Zahlen nennen: Nach den derzeitigen Regelungen kostet ein 610-Mark-Vertrag den Arbeitgeber bereits heute - einschließlich der 20 prozentigen Pauschalversteuerung, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag - 751 DM. Wenn man diesen Vertrag - bei Nebenbeschäftigungen - nur in die Rentenversicherungspflicht einbeziehen würde, kostete dieser Vertrag den Arbeitgeber schon 813 DM, und beim geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer „landeten" angesichts der hälftigen Aufteilung des Rentenversicherungsbeitrags nur 548 DM. ({4}) Wenn man das geringfügige Beschäftigungsverhältnis in alle vier Sozialversicherungszweige einbeziehen würde, kostete das Beschäftigungsverhältnis den Arbeitgeber 878 DM, und beim Arbeitnehmer „landeten" 483 DM. Jetzt frage ich Sie von der Opposition: Was würden die beiden tun? Wahrscheinlich würden sie sich schweigend tief in die Augen schauen und wüßten genau, was sie tun. Wenn wir solche Verträge in die gesetzliche Sozialversicherung einbeziehen würden, trieben wir die Leute zu Hunderttausenden in die Schwarzarbeit und in die Scheinselbständigkeit. ({5}) Darum warne ich davor, in dieser Lösung das Alleinseligmachende zu sehen. Wir müssen überlegen, ob es andere Wege gibt, anstatt die Leute in die Schwarzarbeit hineinzutreiben. Eine hohe Abgabenbelastung hätten diese Menschen auch bei regulärer Beschäftigung. Deswegen schlage ich vor - das, was wir kurzfristig tun können, müssen wir prüfen -, die Grenze heuer oder im nächsten Jahr, die im Westen dann 620 DM betragen wird, einzufrieren, also von der Siebtelkoppelung an die Bezugsgröße zu lösen. Das hat zwar erst langfristig eine Wirkung, aber man würde ein Zeichen setzen. Darüber hinaus könnte man überlegen, die sogenannte Sechstelregelung abzuschaffen. Ich könnte mir vorstellen, daß diese Regelung - auch sie ist für den Arbeitnehmer übrigens nicht steuerfrei, sondern sozialversicherungsbeitragsfrei - stark in Anspruch genommen wird, auch wenn dies nicht mit Zahlen belegbar ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Achten Sie bitte auf die Zeit.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin praktisch beim letzten Satz, Herr Präsident. Darüber hinaus könnte ich mir vorstellen, daß wir dort eingreifen, wo die geringfügige Beschäftigung sozusagen zu einer Massenbeschäftigungsart geworden ist, beispielsweise im Wege einer Quotierung der Lohnsumme eines Betriebes. Das wäre eine Möglichkeit, um dieses Problem zukunftsweisend in den Griff zu bekommen. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl der Jobs unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze ist in den letzten Jahren unglaublich gestiegen. Das DIW - die Kollegin Schmidt hat es vorhin schon gesagt - geht von 4 Millionen Menschen aus, die ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. Nimmt man diejenigen dazu, die einer Nebentätigkeit nachgehen, dann sind es 5,4 Millionen Menschen, die für weniger als 610 DM im Westen bzw. 520 DM im Osten arbeiten - Und: Es werden immer mehr. Es werden insbesondere immer mehr Frauen, die in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten - flexibel und billig. Herr Ramsauer, als „Fluchtverhalten" würde ich das nun wirklich nicht bezeichnen; denn Fluchtverhalten unterstellt, daß die Frauen eine Möglichkeit hätten, zu wählen. Aber bei so astronomisch hohen Arbeitslosenzahlen, wie wir sie im Moment haben, gibt es diese Wahlmöglichkeit für die allermeisten Frauen überhaupt nicht. Mit 610-DM-Verträgen haben diese Frauen keinen Zugang zu einer eigenständigen sozialen Absicherung, was vor allem im Alter zu einem Problem wird. Statt auf einen eigenen Rentenanspruch müssen viele dann auf Sozialhilfe zurückgreifen. Für Unternehmen ist die Beschäftigung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze längst zu einem systematischen Mittel der Personalplanung geworden. Vollzeit- oder abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze werden in Bruchteilbeschäftigungen zerlegt, um auf der Arbeitgeberseite die Kosten für die Sozialversicherung zu umgehen. Die Betroffenen sind dann entsprechend mangelhaft abgesichert. Die Folgekosten, die dadurch entstehen, werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Allein die dadurch entgangenen Beiträge zur Sozialversicherung werden auf zirka 10 Milliarden DM geschätzt. Wissen Sie, Herr Ramsauer: Brutto gleich netto wäre vermutlich vielen lieb, würde aber mit Sicherheit die Abschaffung der Sozialversicherung als solidarisches Netz bedeuten. Außerdem führt die Praxis der geringfügigen Beschäftigung zu Wettbewerbsverzerrungen; denn Unternehmen, die die Sozialversicherungsgrenze umgehen, haben wegen der geringeren Personalkosten einen erheblichen Konkurrenzvorteil gegenüber denjenigen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Hier müssen wir endlich die politischen Rahmenbedingungen ändern und den Schutz der Sozialversicherung auf alle Beschäftigten ausdehnen. Die Entwicklung ist erschreckend. Überraschend ist sie allerdings nicht. ({0}) Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, haben dieser Entwicklung nicht nur seit Jahren tatenlos zugesehen, sondern haben auch dazu beigetragen, das Problem zu vergrößern, indem Sie zum Beispiel die Ladenöffnungszeiten verlängert haben. Das Ergebnis: kaum Neueinstellungen, aber - wie befürchtet - eine überproportionale Zunahme der Zahl der Jobs unterhalb der Sozialversicherungsgrenze. Inzwischen hat sich außerhalb des Parlaments ein breites Bündnis der Vernunft zusammengefunden - aus Gewerkschaften, Kirchen, Frauenverbänden, Grünen, auch aus SPD und PDS -, das versucht, die Blockade der harten Deregulierer und Marktradikalen aufzubrechen. Ich fürchte allerdings: Auch dies wird die Haltung der F.D.P. nicht ändern. Die 610-DM-Jobs werden erst dann sozialversichert, wenn die Wählerinnen und Wähler im nächsten September eine andere Regierung gewählt haben werden. ({1}) Dabei könnte sich die F.D.P. durchaus beruhigen: Auch ohne Geringfügigkeitsgrenze wäre die Wirtschaft nicht am Ende. Das zeigen die vielen anderen Länder, in denen es so etwas wie eine Geringfügigkeitsgrenze gar nicht gibt. Ich glaube, Frau Babel, da ist die Wirtschaft flexibler, als Sie ihr zutrauen. ({2}) Ich könnte hier jetzt eine ganze Reihe von Zitaten vorlesen: von Herrn Minister Blüm, von Frau Ministerin Nolte und von vielen anderen. Herr Ramsauer, wenn Sie hier einen Vorschlag unterbreiten, ihn aber nicht umsetzen, frage ich mich, ob es Ihnen allen nicht inzwischen peinlich ist, daß Sie hier seit Jahren Sonntagsreden halten, ohne daß irgend etwas vorangeht. Sie haben es bis jetzt nicht geschafft, wenigstens Nebentätigkeiten sozialzuversichern, was Sie schon im vorigen Jahr schaffen wollten. ({3}) Zu Sonntagsreden gehören Montagsprodukte. Mit Ihrer Selbstblockade haben Sie die Dienstleistungsschecks zum Mißerfolg verurteilt. Diese werden kaum angenommen und helfen nicht bei der sozialen Absicherung der Minijobs in Haushalten, weil Sie sich nicht an die Geringfügigkeitsgrenze herangetraut haben. In Frankreich, wo das Modell der Dienstleistungsschecks entwickelt worden ist, gibt es so etwas gar nicht. Die 610-DM-Jobs sind nicht etwa, wie die F.D.P. immer wieder verkündet, der Hort der Freiheit, sondern ein Hort der Unvernunft und der gesellschaftlichen Verantwortungslosigkeit. ({4}) Verantwortungslos ist es, wenn eine Regierung ein so gravierendes gesellschaftliches Problem, das sich immer mehr ausweitet, nicht angeht, weil sich ein Koalitionspartner so in seiner Deregulierungsideologie verrannt hat, daß sie nicht mehr handlungsfähig ist. Wir Grünen und auch die SPD haben in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht. Zu dem Weg gibt es unterschiedliche Vorschläge; das gemeinsame Ziel ist, daß jede dauerhafte Beschäftigung sozialversichert werden muß, und das schnell. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde zu 610-DM-Verträgen - was ist daran aktuell? Aktuell ist nur die „Aktionswoche" in der nächsten Woche, von den Gewerkschaften organisiert. ({0}) Das Thema ist ein sozialpolitischer Evergreen. Wir haben es in jeder Plenarsitzung in irgendeiner Rede, und wir haben es im Ausschuß. Glauben Sie doch bloß nicht, daß wir das heute zum letztenmal bis zur Winterpause hier erörtern. Nein, dieses Thema wird hier noch des öfteren in extenso behandelt. Ich verspreche mir von der heutigen Aktuellen Stunde keine neuen Erkenntnisse. Sie bestätigt nur meine Erfahrung, daß die geringfügig Beschäftigten immer häufiger und immer heftiger über die politische Bühne gezerrt werden und dabei von der Erlösung aller drückenden Beschäftigungsprobleme gesprochen und - ich beziehe mich auf Frau Schmidt - sogar die Absicherung der Frauen in Aussicht gestellt wird. Meine Damen und Herren, das ist Augenwischerei. Es ist im Grunde infam, weil Sie genau wissen, daß all das, was Sie hier erzählen, nicht stimmt. Die 610-DM-Verträge sind legale Beschäftigung. Sie werfen sie in einen Topf mit der illegalen Beschäftigung. Die 610-DM-Verträge bieten keinen sozialen Schutz, wenn Sie sie versichern; denn weder wird die Frau einen Rentenanspruch in nennenswerter Höhe noch einen Krankenversicherungsschutz bekommen, weil sie dort, wo sie nicht versichert ist, auch durch 610-DM-Verträge keinen bekommen soll. Die Mär von einem sozialen Schutz, der damit erreicht werden soll, Frau Schmidt, müssen Sie also wirklich fallenlassen. Das ist aber absolut unwahr. ({1}) Ich bedaure, daß es uns nicht gelingt - vielleicht liegt das ein wenig an dem Organisationstalent der F.D.P. -, die 6 Millionen Beschäftigten, die diese Verträge haben, zu einer Gegendemonstration zusammenzubringen. Das sind Frauen - gewiß -, es sind Rentner, Studenten, Berufsrückkehrerinnen, und es sind Berufsanfänger. Diese Personen können in der Tat von 610 DM im Monat nicht leben. Sie brauchen diesen Verdienst oft nur als Hinzuverdienst für eine kurze Übergangszeit - oder um den Kontakt mit der Arbeitswelt zu behalten. Ihre Argumentation ist also falsch. Wir sehen, daß die Versicherungspflicht, würde sie eingeführt, den Verdienst schmälern würde. Die Zahlen hat Herr Ramsauer genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen. In der letzten Woche haben wir Sozialpolitiker in der Kernzeit, unter dem grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, allerdings ohne irgendein Echo, die illegale Beschäftigung abgehandelt. Die legale Beschäftigung wurde gleich mit diffamiert. Sehen Sie einmal genau hin: Es gibt Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel den gastronomischen Bereich, in denen Spitzen durch die Möglichkeit der 610-DM-Verträge abgefedert werden und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Aber ich sage ganz deutlich: Ich will nicht die Atomisierung von Arbeit in größeren Unternehmen. Ich appelliere an dieser Stelle an die Unternehmer, den Reformeiferern nicht durch übermäßigen Gebrauch von der 610-DM-Regelung die Argumente in die Hände zu spielen. Die Versicherungspflicht - das ist das eigentliche Motiv - soll Geld in die Kassen der Sozialversicherung bringen. Bei der Rentenversicherung wäre das nur eine kurzfristige Entlastung. Auf der anderen Seite stünde die Verteuerung von Arbeit. Für die F.D.P. steht fest: Die Abschaffung der 610-DM-Verträge ist zutiefst unsozial. Wir lehnen sie ab und beharren auf unserem Standpunkt. Ich bedanke mich. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Babel, Ihre Arroganz gegenüber dem Problem der Betroffenen ist ein absoluter Wahnsinn. Ich hoffe, daß viele Frauen diese Debatte verfolgen beziehungsweise im Protokoll nachlesen und sehen können, welches die Position der Liberalen zu diesem Problem ist. ({0}) Im Sozialversicherungsrecht wird momentan eine Reform nach der anderen durch den Bundestag gepeitscht, aber immer bleibt das Problem der geringfügig Beschäftigten ungelöst. Dabei entwickelt sich die Sozialversicherungsfreiheit dieser Beschäftigungsverhältnisse momentan zum Jobkiller Nr. 1. Traditionell sind diese Beschäftigungsverhältnisse aus dem Handel, den Reinigungsunternehmen, dem Gaststättengewerbe sowie den Privathaushalten bekannt. In den neuen Bundesländern kommen bei den Großhandelsunternehmen auf der grünen Wiese mit 80 Prozent geringfügig Beschäftigten jedoch Dimensionen hinzu, die aufhorchen lassen. Die müßten gerade auch Sie, Frau Dr. Babel, aufhorchen lassen. Das Ausmaß prekärer Beschäftigung erhält derzeit eine völlig neue Qualität. Post und Telekom übernehmen dabei eine Vorreiterrolle. Allein bei der Telekom fielen durch den Börsengang 60 000 Vollzeitarbeitsplätze weg. Wenn der Wirtschaftsminister Rexrodt in der vorangegangenen Debatte stolz verkündet hat, nie habe es so viel Wettbewerb gegeben wie jetzt, frage ich mich: Um welchen Preis? Die Konsequenzen haben die Beschäftigten zu tragen. ({1}) Vollzeitarbeit wird massenhaft zerstört und in geringfügige Beschäftigungen zergliedert. Die Tendenz ist klar: raus aus dem BAT, rein in die geringfügige Beschäftigung. Im Medienbereich beispielsweise finden derzeit unübersehbare Aufgliederungen statt. Wie viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse existieren, vermag derzeit keine Statistik eindeutig zu vermelden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung tituliert in einem seiner neuesten Werkstattberichte denn auch die Angaben des Mikrozensus bezüglich des Zugangs an geringfügiger Beschäftigung als „eher unterfaßt". Seriös geschätzt wird inzwischen, daß über 6 Millionen derartige Beschäftigungsverhältnisse bestehen. Hinter jedem stehen Schicksale, vor allem von Frauen. Wenig Geld für den Lebensunterhalt, keine soziale Sicherung für Gegenwart und Alter - das ist Diskriminierung pur. Es ist ein Skandal, zu sagen, daß die geringfügig Beschäftigten über die politische Bühne gezerrt werden, wenn sich hier die Oppositionsparteien eines Dauerproblems in der sozialen Arbeitsmarktpolitik dieses Landes annehmen. ({2}) Es ist beileibe nicht der Wunsch von Frauen, so zu arbeiten, wie immer aus Koalitionskreisen behauptet wird. Laut IAB-Bericht wollen in den alten Bundesländern 40 Prozent der geringfügig Beschäftigten gerne länger arbeiten. In den neuen Bundesländern haben nicht einmal 5 Prozent der Frauen den Wunsch, weniger als 25 Stunden zu arbeiten, geschweige denn unter 15 Stunden geringfügig. Millionenhafte geringfügige Beschäftigung in die Sozialversicherungspflicht und den Sozialversicherungsschutz einzubeziehen ist überfällig. Doch was tut sich? Nächste Woche wird in diesem Hause die Rentenreform der Koalition verabschiedet werden; und wieder wird versäumt, dieses Problem zu regeln. Schon allein deshalb ist diese Reform untauglich, die Probleme zu lösen, die heute und morgen vor uns stehen. Mit dem angeblichen Hinderungsgrund Lohnnebenkosten wird seitens der F.D.P. immer wieder bei geringfügiger Beschäftigung ein Popanz aufgebaut. Es ist wirklich bemerkenswert, mit welchem Pathos Sie die 520- bzw. 610-Mark-Jobs in diesem Hause immer wieder verteidigt haben. Natürlich ist die Beitragsfreiheit für den einzelnen Unternehmer ein Kostensenkungsfaktor. Aber gesamtgesellschaftlich betrachtet gehen den Sozialversicherungskassen Beiträge in Milliardenhöhe verloren. Mehr Versicherte könnten die Kassen entlasten und die Beiträge sinken lassen. Sagen Sie es doch ehrlich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Geringfügige Beschäftigung und Niedriglohn gehören zu Ihrer neoliberalen Strategie; daher Ihre Untätigkeit. Die PDS hat sich mit ihrem Antrag „Sozialversicherungspflicht für jede bezahlte Arbeitsstunde" in die alternativen Vorstellungen der Opposition eingereiht. Darin schlagen wir vor, die Anreize für derartige Beschäftigungen nicht nur zu beseitigen, sondern durch die alleinige Beitragstragung durch die Arbeitgeber einen umgekehrten Anreiz ({3}) - es ist mir klar, daß Sie hier brüllen - für Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, die mindestens existenzsichernd sind. ({4}) Es muß endlich Schluß damit sein, daß Millionen, vor allem Frauen, mittendrin und trotzdem draußen sind. Deshalb unterstützt die PDS das bundesweite Bündnis gleichen Namens mit Wort und Tat. Meine Damen und Herren, wir sind darüber empört, mit welcher Arroganz sich die Regierungskoalition den berechtigten Forderungen nach einer gesetzlichen Neuregelung dieser geeinten Kraft, die wirklich einmalig ist, von Gewerkschaften, Verbänden, kirchlichen Vereinigungen sowie Institutionen von Ländern und Kommunen verschließt. Aber wir sind uns sicher, daß Ihnen in der nächsten Aktionswoche landauf und landab die Leviten gelesen werden, so daß Sie hier diesbezüglich noch tätig werden. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther. ({0})

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer spannend, Kollege Andres. Wenn wir miteinander zu tun haben, ist es immer spannend, wie auch heute morgen im Ausschuß. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über ein zugegebenermaßen sehr schwieriges Thema. Mit Emotionen, so belebend sie sind, löst man das Problem nicht. Denn auch der Verlauf dieser Debatte zeigt, daß es zu diesem Thema ein großes Spektrum an unterschiedlichen Auffassungen gibt, die man zunächst einmal respektieren muß. Es darf allerdings nicht sein, daß Arbeitgeber reguläre Arbeitsplätze in eine Vielzahl von versicherungsfreien sogenannten 610-DM-Jobs umwandeln. ({0}) - Das habe ich ja gar nicht bestritten. Ich sage das ja selber, nur nicht mit Ihren, sondern mit meinen Worten. ({1}) Nicht dies war die Intention des Gesetzes, als es damals konzipiert wurde. Niemand kann eine Entwicklung gutheißen, in der Arbeitnehmer in unverhältnismäßig großer Zahl ein Arbeitsentgelt erhalten, das weder für den Lebensunterhalt ausreicht, noch für die Sozialversicherung eine sinnvolle Basis bildet. Das versicherungspflichtige Arbeitsverhältnis muß immer die Regel und das versicherungsfreie kann nur die Ausnahme sein. Durch das versicherungsfreie Arbeitsverhältnis sollen Spitzen abgefangen und aushilfsähnliche Beschäftigungsnotwendigkeiten abgedeckt werden können. Sonst funktionieren unsere Sozialversicherungssysteme langfristig nicht mehr ausreichend. Auch kann ein solches Arbeitsverhältnis in bestimmten Bereichen der gemeinnützigen oder ehrenamtlichen Funktion sinnvoll sein. Hier ergeben sich aber - das hat die Diskussion in der Vergangenheit gezeigt - ganz erhebliche Abgrenzungsprobleme. Ich halte es aber auch nicht für gut, wenn heute Betriebe teilweise bis zu 70 Prozent oder Klein- bzw. Kleinstbetriebe vollständig mit sogenannten 610-DM-Arbeitsverhältnissen ausgestattet sind. ({2}) Ich nehme an, daß nicht zuletzt auf Grund der übertriebenen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit die Rechtsprechung festgestellt hat, daß es sich hierbei arbeitsrechtlich um Teilzeitarbeit handelt und entsprechende Leistungen wie Lohnfortzahlung, Urlaubsbezahlung und vieles andere mehr zu gewährleisten sind. Ich sage dies hier einmal so deutlich, weil ich glaube, daß dies vielen Arbeitnehmern unbekannt ist und ihnen diese Rechte nicht zugänglich sind. Auch ist es nicht erlaubt, den vom Arbeitgeber zu zahlenden Pauschalsteuersatz von 20 Prozent auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Ich kenne einige Beispiele, wo dies passiert. Auch deshalb sage ich das in aller Deutlichkeit. Natürlich wäre die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze, wie sie von einigen auch hier heute wieder gefordert wird, nicht unproblematisch, weil für geringe Beitragsleistungen, zum Beispiel im Rentenrecht, Ansprüche entstehen, die unverhältnismäßig teuer sind, wenn man nur an die Rehamaßnahmen denkt. Dennoch ist erwogen worden, in der Rentenreform einen ersten Schritt zu tun. Es gab Überlegungen, im Grunde versicherungsfreie Einkommen dann einzubeziehen, wenn außerdem ein versicherungspflichtiges Einkommen vorhanden ist. Denn man muß davon ausgehen, daß zum Beispiel zwei 610-DM-Arbeitsverhältnisse der Versicherungspflicht unterliegen. Es hat hier keine Einigung gegeben. Aber es ist schwer, zu vermitteln, daß ein Arbeitnehmer im Betrieb X vollschichtig arbeitet und in einem anderen Betrieb 610-DM-Einnahmen hat, die nicht versicherungspflichtig werden, während bei einem Arbeitnehmer, der ebenfalls vollschichtig arbeitet und in demselben Betrieb Überstunden in Höhe von zum Beispiel 610 DM macht, diese unter die Versicherungspflicht fallen. ({3}) Das kann man schwer vermitteln. Deshalb wäre an dieser Stelle sicherlich die Überlegung wert, ob man nicht hier einmal einen ersten Schritt tun sollte. Die Beitragsbemessungsgrenze grenzt das Ganze ohne-hinein. Ein gewisser Handlungsbedarf ist also gegeben. Aber wenn man sich mit der Materie intensiv beschäftigt, wird schnell deutlich, daß sie viel komplizierter ist, als man annimmt. Ich hoffe, das zeigt auch die Aktionswoche in der nächsten Woche, wenn die Betroffenen zu Wort kommen: Es gibt viele Betroffene, die nicht in die Versicherungspflicht einbezogen werden wollen. Auch das ist eine Wahrheit in diesem Gesamtzusammenhang. Deshalb wiederhole ich: Der Teufel steckt im Detail. Das hat auch eine Reihe von Kommissionen gezeigt, die wir eingesetzt hatten, die sich aber - nicht zuletzt wegen der Komplexität dieser Materie - nicht zu einer Lösung haben durchringen können. Dennoch ist ein gewisser Handlungsbedarf vorhanden. Allerdings ist der SPD-Vorschlag ungeeignet, die Probleme zu lösen. Das möchte ich hier auch noch zu Protokoll geben. Vielen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Leyla Onur, SPD.

Leyla Onur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002747, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ramsauer hat seine tibetanische Gebetsmühle bemüht: man könnte, man müßte, man sollte. Dann hat er sich aus dem Staub gemacht. Sehen Sie ihn noch irgendwo? - Ich nicht. Frau Babel, eigentlich müßte man Ihre zynischen Bemerkungen unkommentiert lassen. Mir war schon immer klar, daß Sie auf dem falschen Dampfer waren. Aber daß Sie auf einem anderen Stern leben, ist mir heute besonders deutlich geworden; ({0}) denn Ihre Wahrnehmung der Realität hat mit der Realität nichts zu tun. Meine Damen und Herren, in meiner letzten Bürgersprechstunde hat mich eine Frau W. aufgesucht. Frau W. ist 52 Jahre alt. Vor ihrer Ehe hat sie als Sekretärin gearbeitet. Nach der Geburt ihres ersten Kindes hat sie ihren Beruf aufgegeben und sich, wie damals üblich, ihre bis dahin erworbenen Sozialversicherungsanteile auszahlen lassen. In den folgenden 25 Jahren hat sie sich ausschließlich um ihre Familie gekümmert. Vor neun Monaten ist ihre Ehe geschieden worden. Natürlich muß ihr Ex-Ehemann Unterhalt zahlen, und eines Tages wird sie auch im Rahmen des Versorgungsausgleichs eine Rente bekommen. Aber Frau W. hat sich erkundigt, wie hoch diese Rente voraussichtlich sein wird. Nach Auskunft ihres Rentenberaters kann sie mit rund 900 DM rechnen. Frau W. will aber im Alter nicht ihren Kindern oder dem Sozialamt zur Last fallen und hat sich deshalb auf Arbeitssuche begeben. Sie hat sich beim Arbeitsamt gemeldet und unsere Lokalzeitung nach Stellenangeboten mit sozialer Absicherung durchforstet. Stellenangebote gab es zahlreiche, sogar sehr viele, aber fast nur auf 610-DM-Basis. Nach Monaten verzweifelter Suche hat Frau W. eine Stelle als Schreibkraft in einer Rechtsanwaltskanzlei angenommen - auf 610-DM-Basis ohne Sozialversicherungsschutz. Ihre Träume von der eigenständigen Altersvorsorge sind fürs erste geplatzt. Frau W. wird, wenn sich nicht sehr schnell etwas ändert, im Alter doch dem Sozialamt oder ihren Kindern zur Last fallen. ({1}) Frau W. sucht keinen Job für wenige Stunden, Frau W. sucht eine Tätigkeit, mit der sie für ihre Altersvorsorge Beiträge zahlen kann. ({2}) - Hören Sie mit Ihren hämischen Bemerkungen auf, und schauen Sie sich die Wirklichkeit an! ({3}) Diese Sorge macht sich zwar Frau Anke M., 37 Jahre alt, noch nicht. Sie ist gelernte Friseuse und wollte, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, endlich wieder in ihrem erlernten Beruf arbeiten. Gleichzeitig muß Frau M. dazuverdienen, well sich die Familie durch den Kauf einer Eigentumswohnung - wohlgemerkt als Altersvorsorge - finanziell übernommen hat. Einen Teilzeit- oder gar Vollzeitjob hat sie nicht gefunden. So hat sie notgedrungen den 610-DM-Job angenommen. Frau M. weiß, daß sie, wenn ihre Arbeitgeberin morgen keine Verwendung mehr für sie hat, mit leeren Händen dasteht: keine Arbeit als Friseuse und auch kein Arbeitslosengeld. Natürlich hat Frau M. Angst, daß sie dann die Raten an die Bank nicht mehr zahlen kann und die Wohnung unter den Hammer kommt. Meine Damen und Herren, das sind keine Einzelfälle. Wir haben vorhin die aktuellen Zahlen gehört: Vier Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten ohne Anspruch auf Krankengeld, ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld und ohne Anspruch auf eine eigenständige Rente. Von Tag zu Tag steigt die Zahl dieser geringfügig Beschäftigten. Es ist ein Skandal! ({4}) Von Ihnen wird nichts getan, um diese dramatische Entwicklung endlich zu stoppen. Auch Bundesarbeitsminister Blüm schien dieser Meinung zu sein, als er am 19. November 1995 im Deutschlandfunk vollmundig verkündet hat, daß er diese Flucht aus der sozialstaatlichen Pflicht nicht länger hinnehmen und ihr einen Riegel vorschieben werde. Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie freundlicherweise dem Minister bestellen, daß seiner Flucht aus der Verantwortung endlich ein Riegel vorgeschoben werden muß. ({5}) Diese vollmundigen Ankündigungen sind zwei Jahre alt, meine Damen und Herren. Was hat Herr Minister Blüm inzwischen getan? - Nichts! Was anderes treibt denn nächste Woche die Menschen auf die Straße, wenn nicht die Untätigkeit dieses Ministers und dieser Bundesregierung? ({6}) Ich fordere deshalb den verantwortlichen Minister auf - auch wenn er heute nicht anwesend ist -, den Bürgerinnen und Bürgern noch in dieser Woche zu erklären, ob er ernsthaft bereit ist, den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung zu beseitigen und, wenn ja, wann er einen Gesetzentwurf einbringen wird. Danke schön. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Böhmer, CDU/CSU.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, daß die Polemik, die wir im Beitrag der Kollegin Onur gehört haben, der Sache einfach nicht gerecht wird. ({0}) Mit der Schilderung von Fällen, die mitten aus dem Leben gegriffen sind, reduzieren Sie das Problem auf einen Punkt. Aber die Situation ist wesentlich komplexer. Der Handlungsbedarf ist von uns - Sie wissen das genau - sowohl im Ausschuß als auch in vorausgegangenen Debatten immer wieder betont worden. Wir dürfen die Situation nicht verkürzt sehen. Ich will einmal an Hand des Zahlenmaterials, das heute auf den Tisch gelegt worden ist, deutlich sagen: Zum einen haben wir es mit einem klaren Anstieg im Bereich geringfügiger Beschäftigung und mit einem noch deutlicheren Anstieg im Bereich geringfügiger Nebenbeschäftigung zu tun. Zum anderen stehen wir vor der Situation, daß einige Teile des Dienstleistungsbereichs mehr als andere betroffen sind. Der Kollege Ramsauer hat den Pflegebereich und den Einzelhandel ganz richtig erwähnt. Ich nenne zusätzlich ein Feld, von dem Sie wissen, daß ich mich dort besonders engagiert eingebracht habe, nämlich den Privathaushalt. Dort haben wir erheblichen Handlungsbedarf. Das haben wir nie geleugnet. Von daher halte ich nichts von der gebetsmühlenartigen Wiederholung von Vorwürfen, wir täten in diesem Bereich nichts. Denn dann müßte ich Ihnen die Geschichte der Ministerin G. aus M. erzählen. Ich möchte sie Ihnen aber ersparen. ({1}) - Das ist die klassische Situation bei der SPD: Zwischen Reden und Handeln besteht eine Diskrepanz. Dort, wo sie in der Verantwortung steht und wo sie selbst handeln könnte, bleibt es bei hehren Worten. ({2}) Es verändert sich beispielsweise nichts, wenn es darum geht, Reinigungskräfte im Bereich von Landesbehörden in soziale Absicherung zu bringen. Dort und auch im kommunalen Bereich haben wir einen erheblichen Handlungsbedarf. Ich möchte daher genauso an die SPD-Kommunen appellieren. Jetzt lassen Sie mich aber von dieser polemischen Auseinandersetzung wegkommen. Ich denke, das führt in der Sache nicht weiter. Vielmehr müssen wir berücksichtigen, daß es in diesem Bereich neue Dimensionen gibt. Sie bedeuten ganz klar: Wir sind mit einer Umwandlung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse in geringfügige Arbeitsverhältnisse konfrontiert. Das können wir einfach nicht so stehenlassen. Wir müssen uns auch auf die neue Situation der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten einstellen. Das erfordert ein größeres Handeln. In diesem Gesamtzusammenhang müssen wir uns der Lösung der Probleme bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zuwenden. Wenn viele sagen, sie seien in einer Situation, in der sie angesichts hoher Lohnnebenkosten eine Beschäftigung im geringfügigen Bereich anstreben, dann sehe ich das mit großer Sorge, weil wir in diesem Zusammenhang zwei Anzeichen haben. Das eine Anzeichen ist die hohe Abgabenlast, die wir mit unseren Vorschlägen reduzieren wollen, wo bei Ihnen Blockade herrscht. ({3}) Das andere Anzeichen ist die Situation bei den Nebenbeschäftigungen. Wir haben Vorschläge zu den geringfügigen Nebenbeschäftigungen auf den Tisch gelegt. Wir haben in unserer Partei eindeutige Beschlüsse. ({4}) Wir waren bereit, diese umzusetzen. Sie wissen genau, wie diese Entwicklung vonstatten ging. ({5}) Ich denke, wir werden nach wie vor darauf dringen müssen, auf daß sich im Bereich geringfügige Beschäftigung im Sinne einer Zusammenrechnung mit der Hauptbeschäftigung etwas ändert. Ich sehe die Notwendigkeit, zum Handeln zu kommen, auch unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung. Denn wenn ein Unternehmen mehr mit geringfügig Beschäftigten arbeitet und das andere weniger, so sind das unterschiedliche Bedingungen. Wir haben den klaren Appell aus dem Bereich der Reinigungsunternehmen, hier etwas zu verändern. Ich sehe aber auch die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Ehrenamt und Hauptamt. Damit habe ich ein Problem angesprochen, das für mich unabdingbar ist, wenn wir insgesamt zu Veränderungen in diesem Bereich kommen wollen. Wir müssen zu einer klaren Abgrenzung von hauptamtlicher Tätigkeit, nebenamtlicher Tätigkeit und Ehrenamt kommen, wenn wir mit unseren Vorschlägen wirklich erfolgreich sein wollen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir werden angesichts dieser Komplexität in eine intensive Beratung eintreten müssen. ({6}) Ich appelliere auch an Frau Babel als Kollegin von der F.D.P., sich diesen neuen Entwicklungen nicht zu verschließen. Frau Babel, ich weiß, auch Sie sind immer für kreative Lösungen zu gewinnen. Lassen Sie uns an dieser Stelle wirklich einmal nachdenken, was wir tun können, um auf eine Situation, die neue Dimensionen gewonnen hat, weit über die Frage soDr. Maria Böhmer zialer Absicherung von Frauen hinaus, zu reagieren und zu neuen Wegen zu kommen, ({7}) so wie wir es gemeinsam im Bereich Privathaushalt getan haben. ({8}) Da haben wir eine Lösung gefunden, ({9}) die wir zwar verbessern müssen - auch das sage ich -, bei der wir aber auf deutliche Widerstände bei Ihnen gestoßen sind und zu der sich die SPD erst nach langen Diskussionen langsam bewegt hat. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten sich an dieser Stelle schneller bewegt. Aber ich weiß, so manches ist noch mit großen Scheuklappen versehen. Von daher sage ich: Lassen Sie uns bei der geringfügigen Beschäftigung über neue Wege reden. Die neuen Wege könnten auch darin bestehen - darüber könnten wir diskutieren -, Pauschalsteuer in Sozialversicherungsbeiträge umzuwandeln, über eine Quotenlösung nachzudenken oder die Grenze festzuschreiben oder abzusenken.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, es tut mir sehr leid, aber Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde einen letzten Satz sagen. Dann haben wir in der Tat die Möglichkeit, die geringfügige Beschäftigung einzudämmen ({0}) und sie auf das zurückzuführen, als was sie einmal gedacht war: auf ein Instrument für Ausnahmefälle. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Erika Lotz.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Kollegin Böhmer, Sie haben die Lohnnebenkosten angesprochen. Ich denke, wir sind uns einig, daß dort eine Senkung erfolgen muß. Ich sage noch einmal: Sie haben morgen Gelegenheit, Ihren Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten zu leisten. ({0}) Ich will ein Wort zu der Kostenbelastung der Arbeitgeber in dem Fall sagen, daß 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig gemacht werden. Heute finanzieren die Arbeitgeber die Lohnsteuer -20 Prozent - alleine. Wenn ich jetzt die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse in die Sozialversicherung und alle Abgaben einbeziehe, bedeutet das eine Kostenbelastung von zirka 40 Prozent. Sie wird je hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Für die Arbeitgeber ändert sich also nichts. Aber für die Arbeitnehmer ändert sich etwas; sie haben vor allen Dingen einen sozialen Schutz. Ich bin froh, wenn Herr Staatssekretär Günther hier berichtet, wie die ursprünglich als Ausnahme gedachten Fälle so angestiegen sind, daß dort endgültig etwas geschehen muß. Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn die Koalition diese ursprünglichen Ausnahmen in ihrem Betrag nicht dynamisiert hätte; denn zu Zeiten der sozialliberalen Koalition waren das 390 DM. Sie haben mit der Dynamisierung erst dazu beigetragen, daß dies für die Arbeitgeber an Reiz gewonnen hat. Die Arbeitgeber sind an der Stelle die Gewinner. Ich bin aber auf seiten der Verliererinnen. ({1}) Es ist hier schon darüber gesprochen worden, in welchen Bereichen diese Beschäftigungsverhältnisse anzutreffen sind. Ich will sie nicht noch einmal anführen. Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß sich ein neuer Bereich auftut, nämlich der Bereich der Rehabilitationskliniken. Das, was dort wegen der geringen Auslastung auf Grund Ihrer Gesetzgebung jetzt als Mangel auftritt, wird zum Teil auf dem Rükken der Frauen ausgetragen, indem ihre Beschäftigungsverhältnisse entweder gekündigt werden oder indem die Frauen, wenn ihnen gesagt wird, sie mögen einen 610-DM-Arbeitsplatz annehmen, ganz einfach danach greifen. Das ist auch das Ergebnis Ihrer Politik: Geringfügige Beschäftigung als Instrument der Deregulierung am Arbeitsmarkt. Insbesondere das Gebäudereinigerhandwerk und der Handel sind davon betroffen. Es gibt Einzelhandelsketten, die bis zu 37 Prozent ihrer Mitarbeiter sozialversicherungsfrei beschäftigen. Die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse hat sich im Bereich des Handels in den letzten zehn Jahren verzehnfacht. Durch diese Arbeitsverhältnisse ändern sich auch die Tätigkeitsmerkmale dieser Berufe. Sie werden durch den hohen Anteil geringfügig Beschäftigter entwertet. Die Frauen haben trotz Arbeit keine soziale Sicherheit. Ich meine, grundsätzlich muß für alle Erwerbstätigen gelten, daß sie nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihre soziale Sicherheit erarbeiten können. ({2}) Geringfügig Beschäftigte haben diese Möglichkeit nicht. Obwohl der Sozialstaat mehr als 100 Jahre alt ist, haben nicht alle begriffen, was dies bedeutet. Geringfügig Beschäftigte haben auch mit der Aufgabe des Buß- und Bettages als Feiertag den Beitrag der Arbeitgeber zur Pflegeversicherung mit kompensiert. Sie haben allerdings keinen eigenständigen Anspruch auf Leistungen. Die steigende Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse zeigt, wie Arbeitgeber ihren Schnitt machen. Es gibt bei uns leider keine exakten Zahlen. Es wird zwar sehr viel gezählt, vom Führerschein bis zur geschlachteten Kuh. Aber zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gibt es keine exakten Zahlen. Ich glaube, diese werden bewußt unter der Decke gehalten. Zur Wettbewerbsverzerrung ist hier schon einiges ausgeführt worden. Ich meine, durch die Verringerung der Lohnkosten wird auch Sozialdumping betrieben. Ich frage mich ganz einfach: Wo bleiben da die Hüter des Wettbewerbs? Ich wundere mich, daß diejenigen, die nahezu jede Stunde das Wort Wettbewerb auf den Lippen tragen, diese Wettbewerbsbenachteiligung von Betrieben nicht zur Kenntnis nehmen. ({3}) Geringfügig Beschäftigte sind keine Beitragszahler. Ich sehe dies als ein Unrecht gegenüber denjenigen an, die Beiträge zahlen. Es ist nicht in Ordnung, daß die Verkäuferinnen, die 2500 DM brutto im Monat verdienen, mit ihren Beiträgen die Sozialversicherungsfreiheit subventionieren; denn es sind Subventionen. Sie haben in der nächsten Woche Gelegenheit, das, was Sie hier immer als Lippenbekenntnisse vortragen, in die Tat umzusetzen. Es ist klar: Es muß etwas geschehen. Aber wir müssen endlich handeln und nicht nur reden. Danke schön. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja eine Art Tribunal, was Frau Schmidt und insbesondere Frau Onur hier durchgeführt haben. Das war gar nicht nötig. Wir sind für diese Diskussion ja ganz offen, weil auch wir sehen, daß wir in vielen Bereichen deswegen die Probleme wie Scheinselbständigkeit, Schwarzarbeit und Teilzeitarbeit nicht lösen können, weil die Zahl der 610-DM-Beschäftigungen immer mehr zunimmt. Dabei sehen längst nicht mehr alle, die früher für diese Art der Beschäftigung geworben haben, dieses Instrument positiv. Die Branche der Gebäudereiniger sagt heute etwas ganz anderes. Sie sagt: Schafft diese Arbeitsverhältnisse bloß ab, weil sie den Wettbewerb verzerren! ({0}) - Sie klatschen schon wieder viel zu früh. Ich warte eigentlich darauf, nachdem ich heute im „Handelsblatt" einige Aussagen von Gerhard Schröder zur sozialen Sicherung gelesen habe, daß er eines Tages auch noch zu diesem Bereich ganz freundlich sagt: 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse müssen bleiben. Wer weiß? Mich überrascht da nichts mehr. ({1}) Daß Sie heute wieder die Skala herunterbeten und in die alten Mühlen wie Ladenschluß treten, ist wirklich überflüssig wie ein Kropf. Wir müssen uns heute fragen: Warum gibt es diesen Trend? Die Lohnnebenkosten sind das Thema. Es ist ein wenig unglaubwürdig und verlogen, wenn Sie sich hier dermaßen erregen; denn da, wo Sie hätten handeln können, haben Sie es nicht getan. ({2}) Wir hätten diese Aktuelle Stunde genausogut „Haltung der SPD zur Steuerreform angesichts ständig steigender Arbeitslosenzahlen" nennen können. ({3}) Das ist das Thema, das es hier zu behandeln gilt. Wenn Sie da gehandelt hätten, hätten wir an dieser Stelle das eine oder andere Problem nicht gehabt. ({4}) Was ist die Realität? Diejenigen von uns, die in ihrem Wahlkreis unterwegs sind und dort noch im Alltag leben, wissen, daß die Frauen 610-DM-Jobs zum großen Teil - das ist vorhin auch gesagt worden - sehr gerne machen. ({5}) Wenn Sie einmal Studenten fragen, ob sie lieber für 650 DM versicherungspflichtig oder für 610 DM in die Tasche arbeiten, erhalten Sie eine ähnliche Antwort. ({6}) Ich finde, daß wir auch die andere Seite sehen müssen. Wir müssen uns immer fragen: Woher kommt das denn? Schrauben Sie die Belastungen in anderen Bereichen, den Lohnnebenkosten und den Steuern, herunter, dann kommen wir auch zu einem Ergebnis. ({7}) Wenn wir bei diesem Thema ständig nach der Devise „Alles oder nichts" handeln, werden wir nicht sehr viel weiterkommen. ({8}) Ich finde, daß wir uns in dieser Frage um einen Kompromiß bemühen sollten, der allen weiterhilft. Sie haben hier ja unsere Position mehrfach gehört. ({9}) Deswegen möchte ich auch noch einmal eine Bitte an Sie, Frau Dr. Babel, äußern. Sie haben gesagt, Sie wollen in dieser Frage auf Ihrem Standpunkt beharren. Ich bitte Sie, dies nicht zu tun, sondern zu sagen: Laßt uns verhandeln! Beharren heißt nämlich Erstarren, sich wandeln heißt verhandeln. ({10}) Diese intensive Bitte richte ich an Sie, weil ich glaube, daß wir nur auf diesem Wege weiterkommen. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun bekommt die Kollegin Christel Hanewinckel das Wort.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen, die ich jetzt nenne, und die Bemerkung, die ich zu Anfang mache, stammen - damit Sie von der Koalition nicht sofort den Verdacht haben, daß sich das irgend jemand ausgedacht hätte - von Arbeitsmarktexperten, und zwar vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. In einer Tickermeldung von heute nachmittag steht: Für Arbeitsmarktexperten stehen die Verlierer der deutschen Einheit fest. Es sind die ostdeutschen Frauen. Hunderttausende verloren ihren Job. Besserung ist kaum in Sicht. So bilanziert das Institut in einer neuen Studie. Ob in Industrie, Verwaltung oder im Handel, zurück zu Küche und Kindern hieß es für zahllose Frauen zwischen Dresden und Rostock. Die Studie fährt fort: Direkt nach der Wende war es zu deutlichen Beschäftigungseinbrüchen für Frauen gekommen. „Frauen und Männer in der Beschäftigungskrise der 90er Jahre" heißt die Untersuchung. Ich sage Ihnen das, falls Sie sie bestellen wollen. Weiterhin stehen dort folgende Zahlen: „Eine Million Frauen und 800 000 Männer wurden im Jahre nach der Wende arbeitslos. " Das war 1990. Dieser Beschäftigungsabbau setzte sich fort. Zwischen 1991 und 1995 verloren weitere 600 000 Frauen im Osten ihre Arbeit. Die Arbeitslosenquote war mit knapp 20 Prozent doppelt so hoch wie die der Männer. Noch eine Zahl will ich Ihnen nennen: Im Dienstleistungssektor, in dem zu DDR-Zeiten vorrangig Frauen gearbeitet haben, kam es zu einem krassen Verdrängungswettbewerb. Männer gewannen zwischen 1991 und 1995 114 000 Arbeitsplätze; Frauen verloren 50 000 Arbeitsplätze. Die neuesten Zahlen im Vergleich zum August 1996 zeigen, daß die Arbeitslosigkeit der Frauen im Osten um 19,3 Prozent zugenommen hat. In Prozenten heißt das: 57,8 Prozent der Arbeitslosen sind Frauen. Ganz konkret bedeutet dies: 798 307 Frauen suchen einen neuen Arbeitsplatz. Sie suchen einen Arbeitsplatz, weil sie das Geld zum Leben brauchen. Die Verdienstmöglichkeiten liegen dabei im Osten im Schnitt immer noch bei 80 Prozent der Westlöhne; die Lebenshaltungskosten liegen inzwischen zum Teil schon darüber. Sie suchen aber auch einen Arbeitsplatz, weil Arbeit Sinn und Spaß macht und weil sie dem ersten Arbeitsmarkt angehören wollen. Die Arbeitgeber grenzen die Frauen immer mehr von der sozialen Absicherung aus. Aber das passiert inzwischen dank der Veränderungen im Arbeitsförderungs-Reformgesetz genauso auf dem öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Die Bundesregierung und die Koalition grenzen hier also die Frauen aus. ({0}) Sie verstoßen damit nicht nur gegen ihr eigenes Gleichberechtigungsgesetz, sondern auch gegen Art. 3 des Grundgesetzes. ({1}) Die Frauen im Osten verlieren mehr und mehr Arbeitsplätze. Die Frauen im Osten - ich denke, zum Teil aber auch die im Westen - arbeiten teilweise doppelt und dreifach, weil nämlich das Gehalt, das sie für eine Beschäftigung bekommen, nicht ausreicht. Vielfach müssen sie nicht noch zum Gehalt des sogenannten Ernährers, sondern zu ihrem eigenen Gehalt dazuverdienen. Erschreckt von diesem alarmierenden Trend hat die Landesregierung Sachsen-Anhalt eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Nach dieser Studie sind 84 Prozent der Nichterwerbstätigen ohne andere Einkommensquellen Frauen. Das muß man sich einmal klar und deutlich vor Augen führen. Die Frauen sagen, sie müssen solche Arbeitsverhältnisse annehmen, weil sie auf dem Arbeitsmarkt sonst nichts anderes bekommen und daher auf die 520-DM-Arbeitsverhältnisse angewiesen sind. Das alles ist im Osten nichts Neues, sondern anscheinend eine bewährte und beliebte Praxis von Unternehmen. Denn die großen Arbeitgeber im Handel - sie sind hier schon mehrfach angesprochen worden -, die die grünen Wiesen im Osten mit Kaufhallen noch und noch bestückt haben, haben zu großen Teilen von Anfang an Frauen nur geringfügig zu 520 DM beschäftigt, und zwar mehrere Frauen auf einem Arbeitsplatz. Auf Fragen, wieso sie nicht ordentlich sozialversichert werden, bekommen die Frauen den deutlichen Hinweis: Wenn Sie diesen Job nicht wollen, bitte schön, hinter Ihnen stehen noch zig andere. Alarmierend ist auch die letzte Meldung aus Sachsen. Die Frauen im Schichtdienst, die nachts zwischen 2 Uhr und 4.30 Uhr in den Briefzentren die Briefe sortieren, werden von ihrem Arbeitgeber, der Deutschen Post AG, massiv unter Druck gesetzt, der Umwandlung ihrer Arbeitsverhältnisse in einen ungesicherten Job zuzustimmen. Wenn das kein Jobkiller ist, dann frage ich mich, worüber wir heute eigentlich reden. ({2}) Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Geringfügig beschäftigt darf kein Markenzeichen für die Arbeit von Frauen im Osten wie im Westen werden. Es geht nicht nur um die soziale Sicherung der einzelnen; es geht um die Sicherung unserer sozialen Systeme und um die soziale Gerechtigkeit im geeinten Deutschland. Deshalb bitte ich Sie von der Koalition dringend: Unterlassen Sie weitere Schritte zur Demontage der sozialen Gerechtigkeit! Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Keller. ({0})

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß wir uns trotz aller unterschiedlichen Positionen wenigstens in einem Punkt einig sein können, nämlich daß die gesetzlich erlaubten Möglichkeiten für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse wirtschaftlich mißbraucht werden. Ich meine damit, daß eine massenweise Umschichtung von versicherungspflichtigen Beschäftigungen hin zu den berühmten 610-DMJobs stattfindet. ({0}) Aus der Geschichte wissen wir, daß dies politisch so nicht gewollt war. Heute wird im wirtschaftlichen Bereich vielfach aus der Ausnahme die Regel. Das ist das Hauptproblem, soweit ich das sehe. Aber ich sehe noch eine andere Gefahr. Im heutigen Wettbewerb gibt es eine gewisse Sogwirkung. Wer in einer bestimmten Branche nicht mitmacht, ist nicht mehr wettbewerbsfähig und scheidet aus. Deshalb ist das ein Teufelskreis, eine Spirale, die nach unten geht. Vorhin ist ein Argument gefallen, das ich jetzt aufgreifen möchte: Die Betroffenen selbst wollten keine anderen Arbeitsverhältnisse. Ich frage mich einfach einmal selbst: Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, entweder keinen Arbeitsplatz zu haben oder nur einen 610-DM-Job zu bekommen, dann würde auch ich mich für diesen Job entscheiden. Das liegt klar auf der Hand. ({1}) Deshalb muß man dieses Kriterium zumindest sehr relativieren und hinterfragen, wie es in der Wirklichkeit aussieht. Es gibt noch einen Punkt - das will ich einmal deutlich machen -, der mir wirklich Sorgen macht. Das ist nämlich die arbeitsrechtliche Seite. Wir wissen alle, daß die geringfügig Beschäftigten auf dem Papier, gefestigt durch Rechtsprechung, die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeitnehmer haben. Aber wie sieht denn die Wirklichkeit aus? Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Betriebsräten und Personalräten, daß sie oft unwissentlich oder wissentlich über die Rechtssituation hinweggehen. Da können wir fragen: Welcher Arbeitnehmer in so einem 610-DM-Job darf schon bei Betriebsratswahlen oder bei Personalratswahlen mitwirken, um bloß ein Beispiel herauszugreifen? Sie haben nur theoretisch die gleichen Rechte; praktisch wird ihnen vieles vorenthalten. ({2}) Diese arbeitsrechtliche Mentalität gleicht aus der Erfahrung heraus dem System vom „hire and fire". Wir sind auch deshalb so gute Europäer, weil wir oft schauen: Wie sieht es in anderen Ländern aus? Wir müssen im EG-Vergleich leider feststellen, daß wir nur mit Österreich und Großbritannien diese großzügigen Regelungen gemeinsam haben. Alle anderen Länder haben entweder keine oder eine viel schlechtere Regelung. Für den europaweiten Wettbewerb müssen wir diesen Aspekt hinzunehmen. ({3}) Denn letztlich zahlen diejenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die brav ihre Beiträge zahlen - auch solche Firmen gibt es ja noch -, die Zeche, wodurch die anderen profitieren. Das ist unsolidarisches Verhalten. ({4}) Die letzte Bemerkung - weil man nicht bloß analysieren soll -: Wie könnte eine Lösung aussehen? Die Lösung muß einfach sein, sollte keinen Verwaltungsaufwand erfordern und muß einfach zu kontrollieren sein. Ich bin aber skeptisch gegen Lösungen wie Quotierungen oder Lohnquote, weil vieles dagegen spricht, neue Apparate aufzubauen. ({5}) Ich meine, es gibt eine ganz einfache Lösung. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich persönlich bin der Meinung, wir brauchen weiterhin das Instrument der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, aber wir brauchen es auf einem viel niedrigeren Niveau, damit wirtschaftlicher Mißbrauch so nicht mehr möglich ist. Deshalb plädiere ich für eine wirksame Lösung, nämlich die Höchstverdienstgrenze, zur Zeit 610 DM im Westen, zu senken und entsprechend einzufrieren. Wir sollten über diesen Vorschlag - auch andere haben ihn schon gemacht - heute gemeinsam diskutieren. Ich möchte wirklich alle politischen Parteien dazu einladen, auch die F.D.P. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerd Andres. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Diskussion unter uns verfolgt, der wird - wenigstens geht es mir so - einerseits traurig und andererseits stinkwütend. Denn wenn man zugehört hat, dann scheint es so zu sein, als gäbe es hier eine große Einsicht und eine große Mehrheit dafür, die Sachlage zu verändern. Die Worte hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich fordere Sie einfach auf, endlich etwas zu tun. ({0}) Das Motto „Mittendrin und trotzdem draußen" beschreibt, wie ich finde, sehr genau das Problem. Ich möchte zu fünf Aspekten etwas sagen. Zum ersten Aspekt, zur Dimension: Während nach einem schönen, vom BMA herausgegebenen Büchlein zwischen 1992 und 1996 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um rund 5,5 Prozent zurückgegangen ist, stellen wir für die letzten fünf Jahre einen Zuwachs bei geringfügig Beschäftigten von mehr als 30 Prozent fest. Frau Schnieber-Jastram, wenn Sie die Frage stellen, woran das liegt, dann gebe ich Ihnen eine ganz einfache Antwort: Die Beibehaltung des § 8 SGB IV und 07 SGB V, also die Geringfügigkeitsregelung, ist die Aufforderung zum Ausstieg aus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Dieser Aufforderung wird auch nachgekommen. ({1}) Beim zweiten Aspekt handelt es sich um das Argument des Konkurrenz- und Kostendrucks. Diese Geringfügigkeitsregelung hat eine Dumpingfunktion. Frau Dr. Babel, diese ist nicht illegal. Etwas anderes behauptet gar keiner von uns. Sie steht völlig legal im Gesetz. Aber sie hat eine Dumpingfunktion. So wie die Werkvertragsregelung dafür gesorgt hat - wir haben Sie jahrelang darauf hingewiesen -, daß die illegale Beschäftigung am Bau explosionsartig ausgeweitet wurde, so führt diese Regelung dazu, daß die geringfügige Beschäftigung, wenn man sich die einzelnen Branchen betrachtet,' eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses bewirkt. Unter Wettbewerbsbedingungen gibt es eine ganz einfache Situation: Wenn ein Unternehmen eine Regelung nutzen kann und damit wettbewerbsfähiger als die anderen ist, sind alle anderen gezwungen, sich ebenfalls daran zu beteiligen, weil sie sonst im Wettbewerb Nachteile erleiden. ({2}) Deswegen brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt - ich formuliere das jetzt einmal so - eine Wettbewerbsneutralität durch gleiche Bedingungen für alle Arbeitgeber. ({3}) Zum dritten Aspekt - damit bin ich, Kolleginnen und Kollegen, bei einem sehr ernsten Problem -: Diese Regelung führt dazu, daß wir mehr und mehr mit dem Problem der Entkopplung von Beschäftigung und sozialer Sicherung zu tun haben. Damit stellt sich für uns die Frage nach dem Erhalt des Sozialstaates und der sozialen Marktwirtschaft. Ich habe hier eine Anlage aus dem Kommissionsbericht für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, also von Herrn Biedenkopf. Ich empfehle jedem, dies einmal nachzulesen. Dort ist zu lesen, daß der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse seit den 70er Jahren von 84 auf 68 Prozent abgesunken ist - mit entsprechenden Folgen für unsere sozialen Sicherungssysteme. Zumindest die beiden großen Volksparteien waren sich doch immer dann einig, daß man gegen solche Einfallstore, die unsere sozialen Sicherungssysteme nachdrücklich gefährden, gesetzgeberisch vorgehen sollte, weil wir diese sozialen Sicherungssysteme so erhalten wollen, wie sie gewachsen sind. ({4}) Wenn allein die geringfügige Beschäftigung zu Beitragsausfällen in Höhe von 10,6 Milliarden DM in der Rentenversicherung führt, dann kommt es hier zu einer Spirale auf einer ganz anderen Seite. Herr Biedenkopf zieht daraus den Schluß: Laßt uns doch aus den sozialen Sicherungssystemen aussteigen und eine entsprechende Grundfinanzierung über Steuern machen! Wir ziehen daraus, systematisch betrachtet, beispielsweise hinsichtlich der Rente einen anderen Schluß. Wir sagen: Jedes dieser Beschäftigungsverhältnisse muß sozialversicherungspflichtig sein. Das ist richtige Logik in diesem System. ({5}) Dann komme ich zu meinem vierten Aspekt, zu der rechtlichen und sozialen Situation der Betroffenen: keine soziale Sicherung im Alter - dies zeigt das Beispiel Rente - und eine prekäre arbeits- und vertragsrechtliche Situation. Die Dumpingsituation führt bei dem einzelnen zu diesem Ergebnis. Ich könnte das gar nicht schöner beschreiben, als der Kollege Keller und der Herr Staatssekretär dies getan haben. Das muß ich nicht auch noch tun. Die entscheidende Frage aber lautet: Warum stopfen Sie dieses Loch nicht? Warum tun Sie nichts? Zum fünften Aspekt, zur Verantwortung und den Konsequenzen. Ich will nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß 1981 die damalige sozialliberale Koalition die bestehende Geringfügigkeitsgrenze von 390 DM beseitigen wollte. Das ist damals an der Bundesratsmehrheit gescheitert. Ich empfehle jedem, dies nachzulesen. Da können Sie unter dem Stichwort Blockade viel lernen. Sie haben es zu verantworten, daß im November 1982 diese Grenze dynamisiert und ab 1985 von 390 DM an systematisch gestiegen ist. Deswegen sage ich Ihnen: Sie sollten hier keine Krokodilstränen vergießen und keine großen Detailprobleme usw. beschreiben. Sie haben eine ganz einfache Möglichkeit: 94 Prozent der Parlamentarier hier wollen eine Änderung. Aber von der F.D.P. wird dies blockiert; das wissen Sie alle. Deswegen fordere ich Sie auf: Raffen Sie sich auf -, und tun Sie etwas! Wir helfen mit, die Sozialversicherungspflicht bei geringfügiger Beschäftigung durchzusetzen. Schönen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich dem Abgeordneten Karl-Josef Laumann das Wort. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Gerd Andres, ich wußte, wie eure Argumentation heute sein würde. Manchmal aber habe ich gedacht: Was ist das eigentlich für eine Partei, die alles tut, damit Sonntags- und Nachtarbeitszuschläge sozialversicherungsfrei bleiben, aber hinsichtlich der 610-DM-Verträge - wie ich zugebe: zu Recht - eine Diskussion anfängt? ({0}) Ich finde, es ist nicht in Ordnung, wenn ein Chemiearbeiter im Monat weit über 1000 DM sozialversicherungsfreie, steuerfreie Zuschläge bekommt und das eurer Meinung nach nicht schützenswert ist, das also später keine Auswirkungen auf die Alterssicherung haben muß, das Thema der 610-DM-Verträge aber so hochgespielt wird. Ich bitte deswegen die SPD, in dieser Frage ihren Standpunkt zu überdenken. Der zweite Punkt. Ich glaube, daß wir auf Grund der Lebenswirklichkeit für einzelne Bereiche in der Wirtschaft ein unkompliziertes Instrument brauchen, damit Aushilfen beschäftigt werden können. Ansonsten habe ich die Sorge, daß wir diesen Bereich voll in die Schwarzarbeit drücken. Es dürfte kein Problem sein, wenn in der Gaststätte, die in der Woche von Mann und Frau betrieben wird und am Wochenende eine Hochzeitsgesellschaft hat, wenn. im Ausflugslokal am 1. Mai, in der Bäckerei am Samstagmorgen, weil dann vielleicht ein bißchen mehr Kuchen gekauft wird als in der Woche, oder auf einem Volksfest zum Bierausschenken Aushilfen beschäftigt werden. Ich hätte auch beim Einzelhandel im Sommerschlußverkauf kein Problem damit, wenn dies für drei oder vier Wochen gemacht würde. All das sind Beispiele dafür, daß es unkompliziert möglich sein muß, Aushilfen zu beschäftigen. Ansonsten besteht die Gefahr, diesen Bereich in die Illegalität, in die Schwarzarbeit zu drücken und am Ende nicht einmal mehr die 20 Prozent Steuern zu haben. ({1}) Es geht aber darum, daß sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in einigen Branchen - und die Zahl derer nimmt immer mehr zu - in 610-DM-Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. ({2}) Das ist eine schlimme Entwicklung. Wer das flexible Instrument der 610-DM-Verträge in den Fällen, die ich anfangs genannt habe, für unsere Wirtschaft auf Dauer behalten will, muß diese Umwandlung stoppen. Daran geht kein Weg vorbei. ({3}) Dies ist im übrigen insbesondere für Frauen, die in den Beruf zurückkehren möchten, ein Problem. Sie sagen: Wir könnten wohl Arbeit bekommen, aber es wird uns ein 610-DM-Vertrag angeboten; wir möchten jedoch sozialversicherungspflichtig arbeiten, weil wir auch an unsere Rente denken. ({4}) Ich glaube, daß wir von dem Märchen Abschied nehmen sollten - wir sollten uns auf diese Argumentation erst gar nicht einlassen -, daß man mit geringfügiger Beschäftigung eine vernünftige Altersabsicherung erreichen kann. Wenn jemand rein theoretisch 45 Jahre lang für 610 DM arbeiten würde, würde das zu einem Rentenanspruch von 315 DM führen. ({5}) Das Problem ist doch, daß diese Umwandlungen stattfinden und damit Arbeitsplätze wegfallen, die zu einer vernünftigen sozialen Absicherung führen. ({6}) Deswegen sollten wir nicht nur sagen: Die 610-DM-Arbeitsverhältnisse müssen sozialversicherungspflichtig werden. Wir sollten auch einmal überlegen, ob man dies nicht mit einer Quote - das Unternehmen könnte einen bestimmten Teil der Lohnsumme festlegen; danach ist Schluß - in den Griff bekommen kann. Auf jeden Fall denke ich, daß die Umwandlung normaler Arbeitsverhältnisse in 610-DM-Arbeitsverhältnisse gestoppt werden muß. Ich hoffe, daß es auch noch vor der Bundestagswahl möglich ist, das in Gesprächen zu erreichen. Wir sollten das, was wir dagegen tun können, auch tun. Schönen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Hans-Werner Bertl, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorsorgende Verbraucherpolitik - Drucksache 13/5337 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Lilo Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verbraucherfragen betreffen jede und jeden von uns, tagein, tagaus. Der Saal hier sollte deshalb brechend voll sein und nicht so leer, wie er jetzt ist. Aber das predige ich ja jetzt denjenigen, die in der Kirche sind, und ich meine eigentlich diejenigen, die draußen sind. Verbraucherfragen berühren wirklich eine Vielzahl von Politikfeldern, angefangen bei der Frage der Preise, den allgemeinen Geschäften, Banken und Versicherungen über Produktanforderungen und gesunde Nahrungsmittel bis hin zu Chemie und Umwelt. „Kundenorientierung" ist ein sehr häufig gebrauchtes Schlagwort geworden; die Kundenbindung entwickelt sich zu einem zentralen Schlüssel für den Verkaufserfolg. Aber weder im Wirtschaftsministerium noch im Gesundheits- oder im Umweltministerium, geschweige denn im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird der Verbraucherpolitik das nötige Gewicht beigemessen, ideell nicht und schon gar nicht finanziell. Schon allein die Abstimmungsprozeduren verursachen Reibungsverluste. Ganz aktuell erleben wir das bei der Diskussion und den Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit dem aus Großbritannien importierten Fleisch. Die EU-Kommission prangert die Bundesregierung an; die Bundesregierung schiebt den Schwarzen Peter an die Länder; die Länder schieben ihn wieder der Bundesregierung zu. Richtig ist: Dieses Kompetenzgerangel ist für den Verbraucher völlig uninteressant. Er will gesunde Nahrungsmittel haben. Aber wer bleibt denn letztendlich auf der Strecke? Wieder einmal die Verbraucherinnen und Verbraucher, ganz nach dem Motto: Die letzten beißen die Hunde. Nun zu den Finanzen. Was schreibt - ganz aktuell - die doch wirklich seriöse „Wirtschaftswoche"? Auf Gnade angewiesen! Den Verbraucherzentralen werden staatliche Gelder in noch nie dagewesenem Umfang gestrichen. Genau ab heute, nämlich ab 1. Oktober, muß die unabhängige Energieeinsparberatung eingestellt werden, weil es eben keine Bundesmittel dafür gibt. Die Finanzen für die Verbraucherarbeit sind wirklich zur Portokasse des Bundesministeriums für Wirtschaft verkommen. Auch im Haushaltsentwurf 1998 ist eine weitere Mittelkürzung vorgesehen. Herr Rexrodt, wir werden das nicht mitmachen; wir werden uns nicht damit einverstanden erklären, daß nicht einmal 40 Pfennig pro Verbraucher und Verbraucherin für die Verbraucherarbeit ausgegeben werden. ({0}) Wir fordern in unserem Antrag eine Bündelung der unterschiedlichen verbraucherpolitischen Teilbereiche zu einem folgerichtigen Gesamtkonzept. Die soziale Marktwirtschaft ist - heute mehr denn je - undenkbar ohne eine starke vorsorgende Verbraucherpolitik. Der vorsorgende Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher muß integraler Bestandteil jeglicher wirtschaftlichen Aktivität sein. Das Wirtschaften ist heute schwieriger geworden, für den Produzenten genauso wie für den Konsumenten: Märkte wachsen weltweit zusammen, Produkte werden immer verfügbarer und zugleich leider immer ähnlicher, ökologische Faktoren spielen eine immer größere Rolle. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist ein vorsorgender Ansatz deswegen geradezu geboten. Denn nur wenn beide Seite wissen, womit eigentlich gehandelt wird, können die Märkte brauchbare Ergebnisse bieten. Die Förderung des Informationsflusses dient deshalb dem Wettbewerb in unvollkommenen Märkten und kommt wirklich allen Marktteilnehmern zugute, selbst - das ist wirklich wichtig zu wissen - den Anbietern. Das ist eine Subvention, die nicht gegen, sondern auf die Funktionsfähigkeit des Marktes gerichtet ist. Eine vorausschauende Verbraucherpolitik dient der Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, ist gleichzeitig ein kontinuierlicher Anreiz zur Produktverbesserung und sichert damit Absatzchancen und auch Arbeitsplätze. Wir müssen endlich den Wirtschaftsfaktor Nachfrage - die Konsumenten - ernst nehmen. Wir müssen ihm den gleichen Rang einräumen wie der Anbieterseite. Mit Besorgnis beobachte ich seit einiger Zeit, daß in der Verbraucherarbeit die Aufgaben zunehmen, während die öffentlichen Finanzierungsspielräume enger werden. Das ist ein richtiger Satz. Er stammt von dem Wirtschaftsminister, der sich in diesem Sinne in einem Schreiben vom 25. August 1997 an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses äußert. Man kann ihm nur zurufen: Jetzt müssen den Worten auch endlich Taten folgen. Der Wirtschaftsminister wirft in diesem Schreiben übrigens eine Reihe von Fragen auf. Ich finde, daß unser Antrag eine Reihe von Antworten gibt, so zum Beispiel in bezug auf die klare rechtlich-finanzielle Absicherung der Verbraucherarbeit, die unbedingt notwendig ist. ({1}) Ohne einen verläßlichen Grundstock, zum Beispiel die Bundesfinanzierung, ist weder die Verbraucherunterrichtung noch die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen von den Organisationen zu erfüllen. Aber gerade in Zeiten zunehmender Verunsicherung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und des daraus resultierenden Aufklärungsbedarfs kann es nicht angehen, daß die Verbraucherorganisationen auf immer erneut zu beantragende Projektfördermittel angewiesen sind. So nämlich ist eine effektive und kontinuierliche Arbeit überhaupt nicht gewährleistet. Das ist so wie bei einem Hamster im Rad: Er läuft und läuft und kommt überhaupt nicht vorwärts. Meine Kolleginnen und Kollegen, uns geht es in unserem Antrag wirklich nicht um die Errichtung eines Schutzzaunes um Verbraucher und Verbraucherinnen. Wir fordern die gleichberechtigte Partnerschaft von Verbrauchern mit Industrie und Handel. Eine schwache Stellung der Verbraucher stellt in Wirklichkeit eine latente Bedrohung für unsere Wirtschaftsordnung dar. Bereits bei der Produktentwicklung, aber auch in den Produktionsprozessen muß dem Vorsorgegedanken Rechnung getragen werden. Eine starke Nachfrageseite ist die entscheidende Voraussetzung zur Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information. ({2}) Sie haben ein Recht auf Schutz vor Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit, auf die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen sowie auf Unterstützung bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen. ({3}) Das sind nicht irgendwie Teilbereiche der Verbraucherarbeit, sondern verbriefte Rechte, die bereits 1975 bei der EG verankert worden sind. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum dem nicht wenigstens hier in der Bundesrepublik endlich Rechnung getragen wird. ({4}) Durch Kauf- und Konsumentenentscheidungen können Verbraucherinnen und Verbraucher entscheidend dazu beitragen, ökologische und soziale Ziele zu erreichen und Standards zu sichern. Das ist doch das, was wir - eigentlich übereinstimmend - immer wieder fordern. Bereits in den Schulen werden die Weichen gestellt: Nur gutinformierte Schülerinnen und Schüler können potentielle kritische Konsumentinnen und Konsumenten werden. Folgerichtig fordern wir, daß die Verbraucherbildung in die Lehrpläne der Schulen integriert wird. Auch in der Aus- und Weiterbildung darf Verbraucherbildung nicht fehlen. Verbraucherberatung muß Pflichtaufgabe werden. Die politischen Zuständigkeiten sind eindeutig festzulegen. Der bisherige Wirrwarr ist endlich zu beenden. Es geht um ein Bündnis, in dem die politischen Gremien der EU, der Bundesregierung, der Bundesländer und der Kommunen zusammenwirken. Wir brauchen endlich ein Bundesverbrauchergesetz. Ich denke, das ist auch für die Wirtschaft wichtig, damit sie weiß, worauf sie sich verlassen kann. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Editha Limbach.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich anders anfangen. Aber einiges von dem, was Sie gesagt haben, Frau Blunck, reizt mich, darauf zu reagieren. Unter Punkt 4 der Begründung zu Ihrem Antrag haben Sie einen sehr schönen Satz stehen, nämlich daß die Eigenverantwortung der Konsumenten und Konsumentinnen zu stärken sei. Das könnte, nehme ich an, von jedem hier im Raum unterschrieben werden. Die Konsequenzen aber, die Sie daraus ziehen, haben mich teilweise etwas überrascht. Wenn die Eigenverantwortung zu stärken ist, kann man die Betonung doch nicht ausschließlich auf das legen, was andere machen müssen. Danach muß der Bund dies tun, Europa muß jenes tun. Ich habe das Gefühl, daß Sie zwar die Eigenverantwortung postulieren, anschließend aber sofort wieder die Patronagehaltung einnehmen und sagen: Ihr armen Verbraucherlein weiblichen und männlichen Geschlechts, euch muß ich doch am Händchen nehmen und an die richtige Stelle bringen; ich regele das schon alles für euch. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Blunck?

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Limbach, eine Zwischenfrage verlängert immer auch ein bißchen die Redezeit. Frau Limbach, ich würde Sie in diesem Zusammenhang gerne fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß die Märkte zur Zeit sehr unvollkommen sind, daß nämlich Verbraucher und Verbraucherinnen nicht überall Spezialisten sein können: bei den Nahrungsmitteln, der Chemie in den Waschpulvern bis hin zu Energiefragen im Zusammenhang mit Haushaltsgeräten, sondern nur bei einem ganz kleinen Teil, zum Beispiel, wo es die beste Bankverbindung gibt. Voraussetzung, daß Verbraucher tatsächlich eigenverantwortlich handeln können, ist die Information über die Märkte. Diese Information habe ich gef ordert. Dafür muß es rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen geben. Können Sie mir da folgen und zustimmen?

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin Blunck, selbstverständlich stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sagen, daß es Rahmenbedingungen geben muß, um die Interessen wahrnehmen zu können. Ich wehre mich allerdings dagegen, daß Sie all diese Forderungen - zumindest habe ich Ihre Ausführungen so verstanden - an den Staat richten, egal auf welcher Ebene. Ich denke, Informationen darf sich der Verbraucher überall da holen, wo er sie bekommen kann. ({0}) Es muß nicht alles vom Staat kommen; es kann auch von anderen Organisationen und Gruppierungen kommen. Ich will dazu ein Beispiel nennen. Sie haben eben das Stichwort Energieberatung angesprochen. Es gibt zur Zeit die große Diskussion: Es kann ab sofort keine Energieberatung mehr stattfinden, weil das Geld nicht reicht. Die Verbraucherzentralen wußten Anfang des Jahres aber, wieviel Geld für dieses Jahr zur Verfügung stand: in der Tat erheblich weniger als vorher. Dann muß man sich eben überlegen, wie man das Problem löst. Die Verbraucherzentralen haben beschlossen - ich akzeptiere das -: Wir machen es ein Dreivierteljahr, ein Vierteljahr nicht. ({1}) Man hätte natürlich auch anders beschließen können. Sie haben es nicht gesagt, aber es wird von anderen immer gesagt, daß nur die Verbraucherzentralen Energieberatung machen können. Ich muß sagen: In meiner Stadt, in Bonn, machen die Stadtwerke eine hervorragende Energieberatung. Sie ist, obwohl es sich um einen Anbieter handelt, gezielt auf Energiesparen, auf möglichst günstiges Hantieren mit Energie ausgerichtet. Ich weiß, daß das in vielen anderen Städten und Gegenden unseres Landes ebenso der Fall ist. Ich möchte nicht, daß einem sozusagen eingeredet wird, die Information abzurufen sei höchstens die zweitbeste, möglicherweise sogar eine sehr verdächtige Handlung. Sie haben den Ministerien vorgeworfen, sie gäben diesem Thema nicht das nötige Gewicht. Ich bin wie Sie der Auffassung, daß man in der Tat gelegentlich ein wenig dafür streiten muß, daß dem Thema „Verbraucher" das nötige Gewicht und die nötige Zeit eingeräumt wird. Ich vermute aber, jeder, der Sprecher für ein anderes Gebiet ist, wird sehr häufig das Gefühl haben, daß auch sein Gebiet nicht ausreichend gewichtet wird. Das ist bei der Vielzahl der Themen, die zu bearbeiten sind, unvermeidbar.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Blunck möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Verbraucherzentralen, die Verbraucherorganisationen erst im März erfahren haben, daß es eine nochmalige Kürzung der Mittel für die Energieberatung gibt. Ich möchte Sie weiter fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Verbraucherzentralen und auch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände keine staatlichen Organisationen sind.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich ist mir das bekannt. Ich hätte ja in Schimpf und Schande von diesem Rednerpult zu gehen, wenn ich das nicht wüßte. Dennoch behaupte ich: Auch im März kann man überlegen, wie man mit dem zur Verfügung gestellten Geld umgeht. ({0}) Ich kritisiere nicht, wie Sie sich entschieden haben, ich sage nur, man kann auch anders entscheiden. ({1}) - Doch, lieber Herr Kollege, auch vor diesem Hintergrund kann man das. Ich würde jedem empfehlen, sich die Phantasie und Kreativität der Verbraucherzentralen in den neuen Bundesländern anzusehen. Dabei wird man merken, was man alles kann. Mein Plädoyer lautet nicht: Gebt ihnen gar nichts, dann haben sie noch mehr Phantasie. - Es zeigt sich aber, daß man sehr variabel und kreativ mit solchen Problemen umgehen kann. Verbraucherinteressen sind selbstverständlich berechtigt, und es ist berechtigt, sie zu vertreten. Daß die Verbraucher eine wichtige Rolle am Markt wahrnehmen können und müssen, ist auch richtig. Ich darf vielleicht Ludwig Erhard erwähnen, der gesagt hat, die ganze soziale Marktwirtschaft sei eine Veranstaltung für die Verbraucher. Wenn das so ist, braucht man in der Tat staatliche Rahmenregelungen. Es darf, meine ich, nicht untergehen, daß wir bereits einen beachtlichen Teil solcher Regelungen haben. Den Schutz vor Übervorteilung und Wettbewerbsmißbrauch gibt es zumindest in einem guten Umfang im AGB-Gesetz, im GWB, im Haustürwiderrufsgesetz und anderen. Wir haben auch staatlich finanzierte Information und Aufklärung im Verbraucherinstitut, wo Multiplikatoren auf ihre Aufgaben vorbereitet werden, in der Stiftung Warentest und anderswo. Wir haben also durchaus erkannt, und zwar kontinuierlich in Ausfüllung der sozialen Marktwirtschaft, daß Verbraucherinformation erforderlich ist. Ich selber bedaure, daß sie nicht in einem stärkeren Maße möglich ist. Aber in Zeiten, in denen man sich daran gewöhnt, alles vom Staat zu erwarten, und in denen das Steueraufkommen nicht so hoch ist, daß man alle Wünsche befriedigen kann - vielleicht sollte man auch nicht alle Wünsche befriedigen -, ist es, meine ich, durchaus richtig, erneut zu diskutieren. Deshalb begrüße ich den Anstoß. Es ist aber auch richtig, zu sagen, wo die Grenzen sind, die man nicht überschreiten kann. ({2}) Ich behaupte, daß eigentlich nur in der sozialen Marktwirtschaft selbstverantwortliche Entscheidungen der Verbraucher, die sie selber fordern, bei gleichzeitigem rechtlichen Schutz vor Mißbrauch besonders gut organisierbar sind. Das gute Organisieren kann auch in Bereichen stattfinden, in denen ich nicht zusätzliche Mittel brauche, wenn ich die Mittel, die ich zur Verfügung habe, besonders klug einsetze - damit meine ich auch: im Bundeshaushalt klug einsetze. Wir haben einen neuen Anstoß zur Diskussion durch das Ifo-Gutachten bekommen. Dazu kann man allerdings so manche Bemerkung machen. Ich bin sicher, wenn dieser Antrag im Wirtschaftsausschuß diskutiert wird, wird dazu auch manches gesagt werden. Bei der Eigenbeteiligung, die es heute bereits gibt, greift das Ifo-Gutachten zu kurz; denn das, was die Verbände, die in der Verbraucherpolitik aktiv sind, an zusätzlichen Eigenleistungen erbringen, wurde dort nicht erfaßt, konnte vielleicht auch nicht erfaßt werden. Sie müssen aber mit bedacht werden. Aber gerade bei knappen Kassen müssen wir besonders darüber nachdenken, welche Rahmenbedingungen wir schaffen, damit sich das, was sich entfalten können muß, auch entfalten kann. Ich bin der Meinung, man muß den freien und privaten Organisationen den Vorrang geben, nicht nur deshalb, weil es meistens günstiger ist, privaten Organisationen mit Geld unter die Arme zu greifen sowie Spitzenfinanzierungen oder Ergänzungsfinanzierungen vorzunehmen, sondern auch deshalb, weil nur dann die Vielfalt gewahrt bleibt, auf die die Menschen, die Beratung und Information suchen, Anspruch haben. Ich möchte nicht vorschreiben, wer wann wo wen nach was fragen muß, sondern ich möchte die Möglichkeit schaffen, daß man es kann. ({3}) - Frau Blunck, das ist richtig. Zu dem Punkt komme ich jetzt. Ich finde, man darf die Anbieterunabhängigkeit nicht zu einer heiligen Kuh machen, die zum Schluß manches unmöglich macht. Dabei komme ich noch einmal auf die Energieberatung zurück. Die Energieberatung von Stadtwerken ist sicher nicht anbieterunabhängig, denn die Stadtwerke bieten nun einmal Energie an. Die Energieberatung kann aber trotzdem sehr sinnvoll und richtig sein. Auch die Beratungen, die beispielsweise durch den Sparkassenverband stattfinden, haben eine gewisse Bindung an die Sparkassen, die das tragen. Sie sind aber trotzdem sinnvoll, wenn sie dabei helfen, daß man mit dem Geld richtig umgeht. Auch was den gesundheitlichen Verbraucherschutz angeht, haben wir gerade im europäischen Verbund eine Menge erreicht. Es hat mich sehr gewundert, daß Sie vorhin im Zusammenhang mit den Fleischimporten so abschätzig davon gesprochen haben. Man kann natürlich sagen, die Europäische Union oder die Engländer selber hätten das Exportverbot in Großbritannien schärfer kontrollieren müssen. ({4}) Man kann natürlich zu Recht sagen, die Landesregierungen müßten ihre Kontrollfunktionen wahrnehmen. Ich akzeptiere aber auch, wenn mir Vertreter eines Landes sagen: Wir haben uns bemüht, aber es ist danebengegangen. - Dann rede ich nicht von Wirrwarr. Dann lasse ich mir allerdings auch nicht sagen: Wenn das Land es nicht kann, muß es eben der Bund machen. - Wir haben nun einmal eine Ordnung, die auf Bund, Ländern und Kommunen basiert. ({5}) Es geht nicht an - das steht indirekt auch in Ihrem Antrag -, daß dann, wenn die Länder etwas nicht können, dies der Bund machen muß. Der Bund kann das auch nicht. ({6}) Hier müssen wir unsere Ordnung beibehalten und sagen: Jeder tue das, was seine Aufgabe ist. Wenn sich jeder bemüht, werden wir auch weiter zu einer guten Entwicklung der Verbraucherpolitik kommen, ({7}) so, wie wir sie bisher hatten und wie wir sie in Zukunft haben werden und brauchen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Limbach, die Eigenverantwortung kann natürlich nur wahrgenommen werden, wenn ein Marktgleichgewicht zwischen Verbrauchern und Anbietern herrscht. Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt und entfernen uns immer weiter. Vorsorgende Verbraucherpolitik ist das Thema. Diese beginnt beim Produkt - was auch der Antrag beinhaltet - und kann keine End-of-the-pipe-Strategie sein. Produkthaftung und Zertifizierung von Produktlinien sind sinnvolle Vorhaben, die wir unterstützen und die verfolgt werden müssen. Ich beziehe mich hier auf einen sehr wichtigen Teilbereich: Die tatsächliche praktische Verbraucherarbeit vor Ort ist das wesentliche Element der Umsetzung einer vor- und inzwischen auch nachsorgenden Verbraucherpolitik. Doch bereits die jetzige Mittelkürzung - das ist schon gesagt worden - und die Umstellung der Verbraucherzentralen auf die Projektförderung machen sich in der praktischen Arbeit der Verbraucherorganisationen bemerkbar. Es ist eben nicht so, daß sich die Organisationen in einem normalen Betrieb mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen und Tarifverträgen von heute auf morgen, nämlich von März auf den Rest des Jahres, umstellen können. Sie können allenfalls mit Entlassungen reagieren. In diesen Bereichen machen sich die Ausfälle in bezug auf Energie- und Einzelfallberatung besonders bemerkbar, und das zu einem Zeitpunkt - leider Gottes ist das so -, zu dem der Beratungsbedarf im Energiebereich besonders groß ist. Unstrittig unter uns ist, daß die Anforderungen an die Verbraucherberatung ständig wachsen. Das sieht man unter anderem an den hohen Nutzungsfrequenzen von Rechts- und Schuldnerberatungen, die mit ihrer Arbeit auch zur praktischen Kriminalitäts- und Armutsbekämpfung beitragen. Die Möglichkeit der Eigenfinanzierung und Eigenerwirtschaftung von Mitteln der Organisationen ist zu fordern; aber sie ist realistischerweise nur begrenzt umsetzbar. 50 Prozent der Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - das ist eine Erf ah-rung der Nicht-Regierungsorganisationen - müssen aufgewendet werden, um Finanzen zu akquirieren, um Mitglieder zu werben und den Kontakt zu ihnen zu pflegen. Diese Zeit geht natürlich der Öffentlichkeit, den Verbrauchern verloren. Die Art und Weise der Vergabe der Bundesmittel - das ist hier angesprochen worden - hat zu einer Planungsunsicherheit geführt, die wir nicht hinnehmen möchten. Es ist eine neue Entwicklung festzustellen, die wir sehr bedauern und der, wie ich hoffe, von seiten der Bundesregierung Einhalt geboten wird, nämlich eine politische Einflußnahme über die Projektvergabe auf die inhaltliche Arbeit der Organisationen. Das gilt zum Beispiel für die Gentechnik oder auch im Falle von BSE. Es wird immer wieder gesagt: Die renitenten deutschen Verbraucher neigen zu Hysterie. Da muß man einmal ein bißchen anders herangehen. Ich denke, politische Einflußnahme darf kein Ziel bei dieser Arbeit sein. ({0}) Wir fordern, die Höhe der bisherigen Bundesförderung für die Verbraucherzentralen und -organisationen beizubehalten und die Planungssicherheit zu gewährleisten. Die Verbraucherzentralen der neuen Länder sollten - dafür haben sich die Kolleginnen der Regierungskoalition und auch der SPD entsprechend eingesetzt - eine Übergangsfrist gewährt bekommen, und zwar nicht nur für das Jahr 1998, sondern auch darüber hinaus. ({1}) Bei der Umstellung von der institutionellen auf die Projektförderung sollte sich die Ausgestaltung der Projektförderung am konkreten Nachfragebedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher im Osten und im Westen orientieren. Die Mittelverteilung für die Verbraucherorganisationen sollte meines Erachtens umgestellt werden. Wir haben durch die Anbindung an verschiedene Ministerien sowieso einen hohen Effektivitäts- und Koordinierungsverlust, was wir in der Anhörung ansprechen werden. ({2}) Aber wir brauchen auch die Unabhängigkeit der Beratung. Es besteht vielleicht die Möglichkeit, einen Beirat zu schaffen, der die Mittelverteilung in Zukunft vornimmt. Die Verbraucherberatung muß eine hoheitliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen sein. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Redezeit ist abgelaufen, Frau Kollegin.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Haushaltsrecht muß geändert werden, um den Organisationen die Eigenbewirtschaftung zu ermöglichen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Jürgen Türk das Wort.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherschutz ist Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Darüber sind wir uns alle einig - Gott sei Dank. Unbestritten ist auch das Primat der Vorbeugung beim Verbraucherschutz, um das weit teurere Heilen zu vermeiden. Wenn das so ist, muß der Verbraucherschutz organisiert und natürlich auch finanziert werden. Bisher erfolgt das in fünf privaten Organisationen, wobei alle Zuwendungsempfänger des Staates sind. Mit 10 Prozent unterstützt die öffentliche Hand die Stiftung Warentest - immerhin 90 Prozent Eigenerwirtschaftung - und zu fast 90 Prozent die anderen Organisationen. Besonders prekär ist die Lage der Verbraucherzentralen in den Ländern; das muß man so feststellen. Zum Beispiel wird immer mehr die Finanzberatung in Anspruch genommen. Auch hier ist Aufklärung notwendig, um Waffengleichheit gegenüber den Anbietern herzustellen. Ganz kritisch ist die Lage der Verbraucherzentralen in den neuen Bundesländern. Auch hier wachsen die Beratungsaufgaben, und es stehen immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Das ist in dieser Umbruchzeit klar und erklärbar. Ich möchte hier nur den Bereich der Versicherungen anführen, in dem leider schon geheilt werden muß. Die erste Welle ist durch; vor der zweiten muß jetzt aufgeklärt werden. Das kostet natürlich Geld. Deshalb hat das Bundeswirtschaftsministerium 1991/ 92 entschieden, die Verbraucherzentralen in den neuen Ländern zusätzlich durch Bundesmittel bis 1997 zu fördern. Ebenso wie der wirtschaftliche Aufbauprozeß kann auch der der Verbraucherzentralen noch nicht abgeschlossen sein; .das muß man einfach feststellen. Zudem weigern sich, anders als in den alten Ländern, die neuen Länder, die auslaufende Förderung des Bundes auszugleichen, obwohl laut verfassungsgerichtlicher Feststellung die Einzelberatung eindeutig Sache der Länder ist. Ich empfinde die Haltung der Länder in dieser Angelegenheit bei allem Verständnis für deren Geldmangel als untragbar. ({0}) Um sowohl Entlassungen in den Verbraucherzentralen als auch die damit verbundene drastische Einschränkung des steigenden Beratungsbedarfes zu verhindern, hat die F.D.P. einen Koalitionsantrag initiiert und in letzter Minute im Wirtschaftsausschuß durchgesetzt. ({1}) - Natürlich mit freundlicher Mithilfe der anderen Fraktionen und mit Zustimmung der PDS; das muß ich hier ausdrücklich sagen. Ich gehe davon aus, daß auch im Haushaltsausschuß diesem Antrag heute zugestimmt worden ist oder morgen zugestimmt wird. Der Antrag sieht die Umschichtung von Projektförderung auf direkte Förderung bis 1999 als Übergangslösung vor. Ab 2000 müssen Lösungen gefunden sein, die einerseits Länder und Kommunen in die Pflicht nehmen und andererseits laut Ifo-Gutachten „alternative bzw. nichtstaatliche Finanzierungsquellen besser als bisher in die Finanzierung von Verbraucherorganisationen einbeziehen". Das sollte die schrittweise Änderung des bisherigen Systems mit einschließen. Das heißt, hier sollte eine neue Gesamtkonzeption entwickelt werden, werte Frau Kollegin Blunck. Hierzu sollte ebenfalls die eigenständige Verwendung von erwirtschafteten Gewinnen gehören. Eine Grundlage ist schon vorhanden, nämlich die Novelle zum Haushaltsgrundsätzegesetz. Dieses Gesetz sieht unter anderem die Übertragung von Restmitteln in das Folgejahr vor. Das hatten Sie, Frau Höfken, angesprochen; wie gesagt, wir brauchen es nur noch - vielleicht zuerst bei den Verbraucherzentralen und -organisationen - umzusetzen. Wir hoffen, mit dieser Lösung die Existenz der Verbraucherorganisationen in den neuen Bundesländern gesichert zu haben. Über die Probleme aller Verbraucherorganisationen werden wir noch in einer Anhörung etwas hören. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es reizt mich, zu mancher Bemerkung, die hier gemacht worden ist, etwas zu sagen; aber meine Redezeit beträgt nur drei Minuten. Deshalb verkneife ich mir das. Eines muß ich jedoch sagen, Herr Kollege .Türk: Man sollte sich auch an diesem Pult nicht mit fremden Federn schmücken. Alle Parteien haben an dem Gespräch mit den Verbraucherverbänden teilgenommen, und alle haben gleichermaßen darauf hingewirkt, eine Lösung zu finden. Das nur der Wahrheit zu Ehren. ({0}) Es gibt natürlich keinen Zweifel, daß Verbraucherorganisationen eine wichtige ordnungspolitische Aufgabe in der Marktwirtschaft erfüllen. Sie informieren und beraten die Bürger über Produkte und Dienstleistungen und sorgen dafür, daß der Markt transparenter wird, und zwar auch und gerade für Konsumenten, die ansonsten allein den werbestärksten, nicht unbedingt den besten Anbietern ausgeliefert wären. Statt Verbraucherschutz weiter den Haushaltslöchern der Finanzminister - ich verwende bewußt die Mehrzahl - auf Gedeih und Verderb auszuliefern, wäre es meines Erachtens sinnvoller, ihn als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern zu gestalten. ({1}) Obwohl die Zuwendungen für die Verbraucherschützer von Bund, Ländern und Kommunen schon bisher nicht eben reichlich flossen, ist ihre Arbeit ständig Überlegungen hinsichtlich weiterer Kürzungen ausgesetzt. Eine besondere Form der Kürzung ist die vorgesehene Umstellung der Bundesmittel auf Projektförderung auch im Osten. ({2}) Ich will es deutlich sagen: Ich erachte eine ausreichende Finanzierung des Verbraucherschutzes in West und Ost als gleichermaßen notwendig. Wenn ich mich jetzt nur auf die Ostprobleme konzentriere, dann hat es nichts mit einer Vernachlässigung des Verbraucherschutzes im Westen zu tun. Im Osten ist es aber besonders schwierig. Ich halte es schlicht für wirklichkeitsfern, wenn mit Blick auf die Verbraucherberatung im Osten in dem Gutachten, das Frau Kollegin Limbach hier angesprochen hat, festgestellt wird: „Die ärmsten Länder leisten sich die teuerste Beratung. " Gemeint ist damit die Einzelberatung. Es gilt jedoch gerade für die ärmsten Bundesländer, wenn die „Wirtschaftswoche" jüngst feststellte: Deutschland ist ein Dorado für dubiose Geschäftemacher.... Wer die Verbraucherzentrale ... schließt, gibt eine der letzten Bastionen im Kampf gegen unseriöse Angebote auf. Und die Betrüger hätten allen Grund zu feiern. Die Verbraucherorganisationen betreiben ihre Arbeit doch nicht zum Selbstzweck. Auch der Verweis darauf, daß es um die Gleichbehandlung der Verbraucherzentralen gehe und in den alten Bundesländern ja ebenfalls eine Umstellung auf Projektförderung durch den Bund erfolgt sei, geht am Leben vorbei. Beim Wegfall der institutionellen Förderung durch den Bund würde es - selbst bei gleichbleibenden Landesmitteln - zu einem Abbau des eben erst mühsam errichteten Beratungsnetzes kommen. Mit Phantasie allein ist da nichts gemacht. Bei weiterer Bundesförderung geht es für die Verbraucherzentralen weder um einen unbegrenzten Zeitraum noch darum, nur von Zuwendungen leben zu wollen. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bund, Land, Kommune und Eigeneinnahmen durch die Verbraucherzentralen. Beim letztgenannten Thema hat aber die Brandenburger Zentrale die Erfahrung gemacht, daß die Verbraucher bei Zahlung eines Entgeltes zeitintensiver und komplexer beraten werden wollen. Das heißt: Hier beißt sich die Katze wieder in den Schwanz, wenn die Infrastruktur vorschnell ausgehöhlt würde. Wir unterstützen den Antrag der SPD. Wir schlagen vor, daß die Projektförderung im Osten in Schritten eingeführt wird und daß die Weiterführung der jetzigen Förderung bis zum Jahr 2000- bei jährlich sinkenden Beträgen - gewährleistet bleibt. Wenn wir - die sogenannten Verbrauchersprecher - uns jetzt einig sind, dann müssen wir doch auch die Haushälter davon überzeugen können. Danke schön. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Für die Bundesregierung gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Kolb das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Blunck, ich möchte mich entschuldigen, daß ich nicht schon zu Anfang Ihrer Rede an dieser Debatte teilnehmen konnte. Ich bin im Haushaltsausschuß festgehalten worden; ich hoffe auf Ihr Verständnis. Verbraucherpolitik braucht in unserer Wirtschaftsordnung nicht erst durch Gesetz zu einer Pflichtaufgabe deklariert zu werden. Verbraucherpolitik ist vielmehr Bestandteil jeder an marktwirtschaftlichen Grundsätzen orientierten Wirtschaftspolitik, weil die soziale Marktwirtschaft den Verbraucher und seine Belange in den Mittelpunkt stellt. Deswegen brauchen wir das im SPD-Antrag geforderte Rahmengesetz weder zur politischen Bestärkung noch zur finanziellen Sicherung. Ich will Ihnen einmal erläutern, wie ich das meine. Eine gute Verbraucherpolitik verlangt eine ordnungspolitische Rahmensetzung, die marktwirtschaftliche Prozesse funktionsfähig hält. Dazu gehört wirksamer Wettbewerb. Wettbewerb, Kollegin Höfken, kommt immer dem Verbraucher zugute. Das ist ein etwas anderer Ansatz als der, den Sie gebracht haben. Es muß ein Marktgleichgewicht zwischen Anbieter - also Unternehmen - und Verbraucher geben. ({0}) - Der Wettbewerb im Handel funktioniert, Frau Kollegin Blunck. Wenn es mehrere Anbieter gibt, dann kommt das automatisch dem Verbraucher zugute. Wir stärken mit unserer Politik der Deregulierung und Privatisierung den Wettbewerb. Wir setzen uns auch international für eine weltoffene Handelspolitik ein. Im übrigen steht schon bisher ein im Markt erprobtes Instrumentarium für den Verbraucherschutz zur Verfügung. Dazu gehören die anbieterunabhängigen Verbraucherinformationsstellen; dazu gehört die verbraucherpolitische Vertretung; dazu gehört nicht zuletzt auch ein adäquater Rechtsrahmen für die Transaktionen der Verbraucher und für den Verbraucherschutz im engeren Sinne. Der letzte Punkt - also Verbraucherschutz durch Rechtsetzung - sowie der Schutz der Gesundheit der Verbraucher sind von der Natur der Sache her eine Aufgabe für den Staat. Bei den beiden erstgenannten Punkten ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Vertretung der Verbraucherinteressen ebenso wie die Verbraucheraufklärung nicht bei einer staatlichen Behörde, sondern bei Einrichtungen in privater Trägerschaft am besten aufgehoben ist. Solche Einrichtungen haben wir in der Bundesrepublik schon seit längerem. Ich nenne die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände als Dachverband, den Verbraucherschutzverein Berlin und die erfolgreiche und bekannte Stiftung Warentest. Dazu kommen die Verbraucherzentralen in den Ländern mit ihren Beratungsstellen vor Ort. Alle diese Einrichtungen werden schon jetzt - also ohne ein besonderes Rahmengesetz, Frau Kollegin Blunck - ganz überwiegend aus öffentlichen Haushalten gefördert. Allerdings - davor will ich die Augen gar nicht verschließen - sehe ich auch, daß die Aufgaben in der Verbraucherarbeit zunehmen, während die Möglichkeiten der öffentlichen Finanzierung enger werden. Davon ist im laufenden Jahr leider auch die stationäre Energieeinsparberatung betroffen. Die Bundesregierung hält - das möchte ich angesichts der von einzelnen geäußerten Zweifel in den letzten Tagen besonders betonen - diese Beratungsform nach wie vor für einen wichtigen Bestandteil der von ihr geförderten Maßnahmen zur Energieeinsparung und damit zur CO2-Minderung. Die Beratung soll auch künftig fortgeführt werden, sofern der Deutsche Bundestag die hierfür erforderlichen Mittel weiter bewilligt. Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle sehr deutlich aussprechen. Parl. Staatssekretär Heinrich L. Kolb Aber ebenso deutlich will ich sagen: Wir wollen im Dialog mit den Verbraucherorganisationen die organisatorischen Strukturen und die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Verbraucherarbeit überprüfen. Dabei werden wir an der privaten Trägerschaft und dem Grundsatz inhaltlicher Unabhängigkeit festhalten, müssen aber auf eine wirtschaftlichere Aufgabenerledigung hinwirken. Wir wollen, daß die Eigenfinanzierung gesteigert wird. Wenn ich dies sage, ist die Bundesregierung sich gleichwohl bewußt, daß Verbraucherarbeit privater Träger nicht ohne einen erheblichen Anteil an öffentlicher Mitfinanzierung zu erreichen ist. Dafür wird sich die Bundesregierung auch in Zukunft einsetzen. Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch darauf hinweisen, daß die im SPD-Antrag angesprochene Vorsorge und die Verantwortung des Anbieters für sein Produkt bereits Bestandteil der Verbraucherpolitik der Bundesregierung sind. Wir haben für den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher bereits seit langem sorgfältig ausdifferenzierte Vorschriften, vor allem über die Sicherheitsanforderungen an spezielle Produktgruppen. Wir haben mit dem Produktsicherheitsgesetz 1997 eine allgemeine Auffangregelung für alle nicht speziell geregelten Verbraucherprodukte geschaffen. Auch dieses Gesetz verankert den Vorsorgegedanken und die Herstellerverantwortung: Hersteller dürfen Verbraucherprodukte nur in den Verkehr bringen, wenn diese sicher sind. Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir sind aktiv. Ich glaube, die Bundesregierung tut gut daran, ihren verbraucherpolitischen Weg beizubehalten. Ein neues Gesetz, wie von der SPD vorgeschlagen, just for show, brauchen wir jedenfalls nicht. Vielen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 13/5337 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis d auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels-und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 13/8444 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Straßburger Übereinkommen vom 4. November 1988 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschiffahrt ({2}) - Drucksache 13/8220 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Sportausschuß Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit x) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschiffahrt - Drucksache 13/8446 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({4}) Sportausschuß Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit y) Erste Beratung des von der Bundsregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts ({5}) - Drucksache 13/8445 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({6}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Dazu sind die Fraktionen übereingekommen, die Vorlagen ohne Debatte zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/8444, 13/8220, 13/ 8446 und 13/8445 an die in den Tagesordnungspunkten aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keine anderen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags des Abgeordneten Volker Beck ({7}) und der Fraktion BOND- . NIS 90/DIE GRÜNEN Unrechtserklärung des nationalsozialistischen § 175 StGB, Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die schwulen Opfer des NS-Regimes - Drucksache 13/1496-Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({8}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben MiVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch nuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem oft verdrängten Kapitel der deutschen Geschichte. 1937, vor 60 Jahren, dozierte Heinrich Himmler vor SS-Gruppenführern über Homosexualität. Er sagte: Wir müssen uns darüber klar sein, wenn wir dieses Laster weiter in Deutschland haben, ohne es bekämpfen zu können, dann ist das das Ende Deutschlands, das Ende der germanischen Welt. Himmler schwadronierte weiter darüber, wie die alten Germanen angeblich mit Homosexuellen umgegangen seien: Der Homosexuelle ... wurde im Sumpf versenkt. ... Das war nicht eine Strafe, sondern das war einfach das Auslöschen eines anomalen Lebens. Das mußte entfernt werden, wie wir Brennesseln ausziehen, auf einen Haufen werfen und verbrennen. Schwule waren für die NS-Machthaber nichts als Unkraut. 1935 wurde § 175 in Tatbestandsfassung wie Strafmaß massiv verschärft. Waren zuvor „nur" bestimmte Sexualpraktiken strafbar, wurde nun die totale Kriminalisierung von männlicher Homosexualität verordnet. 1936 hat man eine „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" eingerichtet. Tausende schwule Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo sie den „Rosa Winkel" tragen mußten. Nur die wenigsten überlebten den Terror der Lager. Mit der heutigen Debatte beschäftigt sich der Deutsche Bundestag zum erstenmal in seiner Geschichte speziell mit dem Schicksal der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Diese lange Abstinenz ist kein Zufall. In wenigen Bereichen staatlichen Handelns hielt die Bundesrepublik so offen an nationalsozialistischen Traditionen fest wie in der staatlichen Unterdrückungspolitik gegenüber Schwulen. § 175 blieb bis 1969 unverändert in der NS-Fassung von 1935 in Kraft und wurde auch in den 50er und 60er Jahren gnadenlos angewandt. 50 000 Männer wurden von der NS-Justiz wegen - wie es damals hieß - „widernatürlicher Unzucht" verurteilt. Von bundesdeutschen Gerichten wurden von 1949 bis 1969 noch einmal 50 000 Verurteilungen nach § 175 ausgesprochen. Dieser Paragraph hat auch in der Bundesrepublik Existenzen vernichtet. Die drohende Strafverfolgung hat das Leben ganzer Generationen von schwulen Männern überschattet. Erst seit 1994 ist dieser Schandparagraph endgültig aus dem Strafgesetzbuch getilgt. Die Rehabilitierung der Opfer dieses Paragraphen steht aber bis heute aus. Nach § 175 Verurteilte gelten weiter als vorbestraft. Auch in ihren jüngsten Stellungnahmen rechtfertigt die Bundesregierung diesen Skandal. Sie vertritt unbelehrbar die Auffassung, die strafrechtliche Verfolgung von Schwulen nach § 175 in der Fassung von 1935 sei „weder NS-Unrecht noch rechtsstaatswidrig". Diese Ungeheuerlichkeit muß ein Ende haben. ({0}) Herr Schmidt-Jortzig, ich fordere Sie ausdrücklich auf, in dem von Ihnen angestrebten NS-Schlußgesetz die Nichtigkeitserklärung aller Verurteilungen nach § 175 und § 175 a Reichsstrafgesetzbuch mit aufzunehmen. Um den Opfern späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, fordern wir eine Entschließung des Deutschen Bundestages. Der Bundestag soll die Verschärfung des § 175 in der Fassung von 1935 als in Ursprung, Zweck und Auswirkung typisch nationalsozialistisches Unrecht brandmarken. Eine Entschädigung für schwule NS-Verfolgte hat bis heute praktisch nicht stattgefunden. Sie wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt. Mittlerweile hat die „biologische Lösung" der Entschädigungsfrage bei den Homosexuellen faktisch gegriffen: Es gibt kaum noch Überlebende. Nicht nur der einzelne Schwule stand im Visier des NS-Staates. Unverzüglich nach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozialisten die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung der Weimarer Republik. Vereine wurden aufgelöst, Zeitschriften verboten. Die Selbstorganisation homosexueller Männer und Frauen wurde damit so nachhaltig getroffen, daß in vielen Bereichen der vorherige Stand jahrzehntelang nicht wieder erreicht werden konnte. Auch hierfür ist eine Wiedergutmachung erforderlich. Bündnis 90/Die Grünen fordern hierzu eine Stiftung, die den Namen von Dr. Magnus Hirschfeld tragen soll. Sie soll die historische Aufarbeitung der Verfolgung sowie Initiativen zum Abbau von Diskriminierung und Vorurteilen zum Ziel haben. Vielleicht das Wichtigste aber ist, daß sich die Bundesrepublik ausdrücklich von ihrer unseligen Rechtstradition distanziert. Schwule haben heute viel an gesellschaftlicher Anerkennung erreicht. Die Akzeptanz in unserer Gesellschaft wächst. Die fehlende Rehabilitierung der Opfer des § 175, das Festhalten der Bundesregierung an der Rechtsauffassung, auch ein demokratischer Staat dürfe Homosexualität unter Strafe stellen, bilden aber eine massive Schranke für wirkliche Integration. Wir als Gesetzgeber müssen die Kraft haben, uns bei den homosexuellen Bürgern dieses Landes für die Fortgeltung von Nazirecht bis 1969 ausdrücklich zu entschuldigen. ({1}) Volker Beck ({2}) Der Bundestag muß sich dafür entschuldigen, daß auch in der Bundesrepublik Zehntausende Schwule verurteilt, eingesperrt und damit um ihr Lebensglück betrogen wurden. Eine solche Entschuldigung ist das mindeste, was die Opfer des § 175 erwarten können. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wahrlich kein Ruhmesblatt der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, daß, wie der Kollege Volker Beck vorhin schon ausgeführt hat, der § 175 bis 1969 in der Bundesrepublik unverändert bestand und erst 1994 abgeschafft wurde. Es ist von besonderer Bitterkeit für die Opfer, die wegen ihrer Homosexualität zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden, daß sie auch in der demokratischen Bundesrepublik weiter mit einer Pönalisierung haben leben müssen. In diesen Punkten will ich mich ausdrücklich den Wertungen des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anschließen. Es heißt dann aber weiter: Die Verschärfung des § 175 RStGB im Jahre 1935 ist in Ursprung, Zweck und Auswirkung als typisch nationalsozialistisches Unrecht anzusehen. Dieser Einschätzung will ich mich unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1957 nicht anschließen. Es heißt dort - das ist allerdings der einzige Teil dieser Verfassungsgerichtsentscheidung, den ich hier positiv bewerten will -: von 1945 bis zum Zusammentritt des Bundestages herrschte in den westlichen Besatzungszonen so gut wie einhellig die Meinung, die §§ 175 und 175 a StGB seien nicht in dem Maße ,,nationalsozialistisch geprägtes Recht", daß ihnen in einem freiheitlich demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse. Das ist, wie ich meine, aber nicht der einzige Maßstab, an dem eine Norm zu messen ist. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts selber macht deutlich, wie sehr der § 175 mit unserem Verständnis von Grund- und Menschenrechten unvereinbar ist. Er wird dort zunächst am Maßstab von Artikel 3 gemessen. Dort heißt es: Mann und Frau können als verschiedene Geschlechtswesen auch die gleichgeschlechtliche Unzucht nur in den ihrem Geschlecht möglichen und eigenen Formen ausüben. Diese besondere Geschlechtsprägung der gleichgeschlechtlichen Unzucht tritt wie in der Verschiedenartigkeit der körperlichen Begehungsformen so auch in dem verschiedenartigen psychischen Verhalten bei diesen Vorgängen zutage und bestimmt von diesen biologischen Verschiedenheiten her deutlich das gesamte Sozialbild dieser Form sexueller Betätigung. In diesem Zusammenhang heißt es weiter: Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. Dieser Unterschied der physiologischen Funktion läßt sich aus dem Zusammenhang des geschlechtlichen Seins nicht ausgliedern, er ist mit konstituierend für Mann und Frau als Geschlechtswesen ({0}). Diese biologistisch-verquaste Festschreibung eines überholten Frauenbildes findet dann seinen sinnfälligen Ausdruck in den Festlegungen und Beschreibungen homosexueller Liebe von Männern und Frauen. So heißt es: So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen. Ein weiteres Zitat: So kann der bei beiden Geschlechtern vorhandene Trieb zu einem „Überbau", einem „Zuhause" ({1}) zwar auch bei homosexuellen Männern zu Dauerbeziehungen führen, jedoch gelingen sie selten. Männliche Homosexuelle streben häufig zu einer homosexuellen Gruppe, lehnen aber familienhafte Bindungen meist ab und neigen zu ständigem Partnerwechsel. Ich glaube, daß diese Zitate aus der Entscheidung zur Prüfung von Artikel 3 nur deutlich machen, wie überholt diese Entscheidung heute ist. ({2}) Ich will in diesem Zusammenhang auch noch aus der Prüfung zu Artikel 2 zitieren. Dort heißt es: Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens fordert die Gesellschaft von ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln; Verstöße hiergegen werden als unsittlich empfunden und mißbilligt. Zur Unterstreichung der Bedeutung des Sittengesetzes wird weiterhin aus einem Entwurf des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1869 zitiert. Dieses Zitat beginnt mit den Worten: Der § 173 hält die auf Sodomie und Päderastie im Preußischen Strafgesetzbuche angedrohte Strafe aufrecht. Diese Kriminalisierung, diese Gleichsetzung mit dem Mißbrauch von Kindern und der Sodomie bringt das verfehlte gesellschaftliche Bild aus dem Jahre 1957 ausreichend zum Ausdruck. Deswegen meine ich: Wir sollten hier ein deutliches Zeichen setzen, ({3}) daß wir dem Bundesverfassungsgericht in dieser Frage nicht folgen können. Wir sollten vielmehr sagen, daß § 175 und die Pönalisierung gleichgeEckart von Klaeden schlechtlicher Liebe unter Männern oder unter Frauen mit unserem Grundgesetz und unserem Verständnis von Menschenrechten nicht vereinbar ist. Ich will noch kurz auf die Frage der Rehabilitierung eingehen, die in dem Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen auch gefordert worden ist. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß für in der NS-Zeit Verurteilte, die in KZs verbracht worden waren, eine Entschädigung in Betracht kam. Für jeden Monat im KZ wurde eine Härteleistung von 150 DM und eine einmalige Zahlung von maximal 5 000 DM gewährt. Wenn Fristen schuldlos versäumt worden waren, ein gesundheitlicher Schaden eingetreten war und noch eine Notlage bestand, wurde eine Entschädigung für Alleinstehende von 1 625 DM je Monat und für Verheiratete von ca. 2 000 DM je Monat gezahlt. Grundlage war die AKG-Härterichtlinie. ({4}) Seit 1987 - darauf will ich noch hinweisen - gingen 16 Anträge auf einmalige Härteleistung ein, von denen 8 bewilligt wurden; auf Dauerentschädigungsleistung gingen vier Anträge ein, von denen lediglich 2 bewilligt wurden. Ich will jetzt nicht abschließend für meine Fraktion zu der Frage der Entschädigung und zu der Frage einer Rehabilitierungserklärung sprechen. Diese Fragen werden wir sicherlich im Rahmen der Beratungen behandeln. Aber ich glaube, daß dieses Parlament den verfolgten Homosexuellen etwas schuldig ist. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Jürgen Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Grundtendenz ausdrücklich zu. Wir meinen aber, daß der Antrag im Rahmen der bevorstehenden Ausschußberatungen erweitert und vertieft werden sollte. Unsere Zustimmung zur Grundtendenz des Antrages versteht sich eigentlich von selbst. Bei der ersten Beratung des vor über drei Jahren endlich gestrichenen unseligen § 175 habe ich für meine Fraktion ausgeführt: Bei der von uns seit langem geforderten Streichung des § 175 geht es nicht zuletzt um die Beseitigung der Diskriminierung homosexueller Männer. Dieser Paragraph ist vor allem durch die Verbrechen der Nazis mit der Massenverschleppung Homosexueller und ihrer Ermordung in Konzentrationslagern und mit 24 447 grausamen Strafurteilen allein in den drei Jahren von 1937 bis 1939 zu einem Symbol der Unmenschlichkeit geworden. Er sollte endlich verschwinden. Es versteht sich eigentlich von selbst, daß der Streichung des § 175 nun endlich auch die Rehabilitierung und Entschädigung für die schwulen Opfer des NS-Regimes folgen müßten. Der vorliegende Antrag ist nach unserer Auffassung aber dringend zu erweitern. Wir haben in der vergangenen Woche einen entsprechend erweiterten Antrag der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen genannten Opfer zu rehabilitieren und zu entschädigen sind. Aber es muß auch um die anderen Opfer der NS-Gewaltherrschaft gehen, die bis heute auf Rehabilitierung. und Entschädigung warten, obwohl dazu in den vergangenen Jahrzehnten schon manches geleistet worden ist. Weil die Ungleichbehandlung der einzelnen Opfergruppen nicht nur mit unserem Verfassungsverständnis kaum vereinbar, sondern sogar menschenunwürdig ist, darf es nicht sein, daß wir Wiedergutmachung nur für eine große Gruppe und nicht für alle Opfer von NS-Willkürmaßnahmen fordern. ({0}) - Ich komme gleich dazu. Ich weiß, welche Vorgänge diesem Antrag vorangegangen sind. Aber wenn Sie eine Frage zulassen wollen, Herr Präsident,

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wenn Sie eine Frage zulassen wollen, bin ich einverstanden.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- bin ich sofort einverstanden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön, Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bevor wir hier in eine falsche Diskussionslage kommen: Ist Ihnen bekannt, Herr Meyer, oder würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß unsere Fraktion schon zu einem früheren Zeitpunkt in dieser Wahlperiode, nämlich 1995, einen Antrag für eine Entschädigungsstiftung für alle vergessenen und nicht entschädigten Opfer des Nationalsozialismus eingebracht hat? Dieser hatte allerdings hier im Haus keine Mehrheit gefunden, übrigens leider auch nicht die Stimmen Ihrer Fraktion.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist das bekannt. Ich weise darauf hin, daß es einen gemeinsam von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag gibt, der Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus etwa in den osteuropäischen Staaten fordert. Mir ist das bekannt, und ich hätte gleich darauf hingewiesen. Aber es schadet nichts, daß Sie mir dies vorweggenommen haben. Aber, Herr Kollege Beck, selbstverständlich - darüber kann es doch keinen Streit geben - sollten nicht Dr. Jürgen Meyer ({0}) nur männliche Homosexuelle rehabilitiert und entschädigt werden, sondern auch Frauen, die als Lesben zu Opfern des NS-Unrechtsregimes geworden sind. Es kann doch keinen Unterschied machen, daß die Männer wegen ihrer sexuellen Veranlagung, die Frauen aber beispielsweise als angeblich Asoziale verfolgt worden sind. Und weiter: In vielen östlichen Staaten Europas gibt es noch Überlebende des NS-Terrors - wir haben gerade gemeinsam darauf hingewiesen -, die verfolgt und gequält wurden und trotz schwerer Schäden von der Bundesrepublik Deutschland bisher keine Entschädigung erhalten haben. Bisher hat es allenfalls zu humanitären Gesten gereicht. Die Wiedergutmachung bleibt weit hinter dem zurück, was in früheren Globalabkommen mit westlichen Staaten festgelegt worden ist. Deshalb erinnern wir in unserem in der vergangenen Woche beschlossenen und demnächst eingehend zu diskutierenden Antrag an unsere bereits früher an die Bundesregierung gerichtete Aufforderung, einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht" vorzulegen. Dabei denken wir neben den homosexuellen Opfern des NS-Regimes auch an die vorhin bereits genannten Opfer des Nationalsozialismus in den osteuropäischen Staaten. Wir denken aber auch an die spanischen Staatsangehörigen, die in Frankreich Opfer von NS-Gewalttaten geworden sind und in Konzentrationslagern wie etwa Mauthausen überlebt haben. Schließlich verlangen wir in unserem Antrag, daß die Beurteilungskriterien zu dem Verfolgtenschicksal der Sinti und Roma, wie sie von der Verwaltungsrechtsprechung entwickelt worden sind, auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Ich nehme an, daß wir in diesen Forderungen übereinstimmen. Die Wiedergutmachung für die Opfer von NS-Willkürmaßnahmen ist eine große und nunmehr rasch abschließend zu lösende Aufgabe. Deshalb wollen wir, daß der Unterausschuß „Wiedergutmachungsfragen" des Innenausschusses wieder eingesetzt wird. Die notwendige Erweiterung des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen darf aber - ich wiederhole das - in keiner Weise zweifelhaft erscheinen lassen - wir fordern dies in unserem Antrag ausdrücklich -, daß Euthanasiegeschädigte und Zwangssterilisierte ebenso wie die homosexuellen Opfer des NS-Regimes als rassisch Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt werden müssen. Es ist Eile geboten. Wir werden es nicht zulassen, daß wieder einmal aus finanziellen Gründen ein Wiedergutmachungsproblem auf die lange Bank geschoben und dadurch einer biologischen Lösung zugeführt wird, wie wir es jetzt im Fall der Gruppe der Wehrmachtsdeserteure erleben, den wir in diesem Hause mit großem Ernst diskutiert haben. Es ist ein Skandal, daß das Finanzministerium trotz der Entscheidung des Bundestages ausweislich der heutigen Pressemeldungen durch neue Winkelzüge versucht, die von diesem Parlament beschlossene Entschädigung der Wehrmachtsdeserteure zu unterlaufen. ({1}) Wir halten aber auch eine Vertiefung des vorliegenden Antrages für geboten. In der Begründung des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen wird zutreffend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg hingewiesen, wonach eine strafrechtliche Verfolgung homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen menschenrechtswidrig ist. Wir haben es nicht bei der bloßen Aufforderung belassen, die Bundesregierung möge dieser europäischen Rechtsentwicklung endlich Rechnung tragen. Wir haben vielmehr in der vergangenen und erneut in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts vorgelegt, der unter anderem vorsieht, durch einen neuen Wiederaufnahmegrund die Wiederaufnahme des Verfahrens für solche Fälle vorzusehen, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Konventionswidrigkeit eines Urteils festgestellt hat. In einer Stellungnahme vom 19. August dieses Jahres hat das Bundesministerium der Justiz dem Rechtsausschuß mitgeteilt, daß dem Vorschlag unseres Reformentwurfes nähergetreten werden könnte. Das entspricht übrigens auch der Zustimmung, die unser Reformvorschlag bei der ersten Lesung von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages erhalten hat. Natürlich steht unser Gesetzentwurf nicht der im vorliegenden Antrag geforderten Unrechtserklärung des nationalsozialistischen § 175 StGB entgegen. Er soll aber darüber hinaus auch die individuelle Rehabilitierung für diejenigen Opfer ermöglichen, die durch Strafurteile schuldig gesprochen worden sind, die nach heutigem Verständnis eine schwerwiegende Verletzung von Menschenrechten sind. Für die Opfer macht es schon einen Unterschied, ob sie lediglich durch eine pauschale Erklärung rehabilitiert werden oder darüber hinaus durch eine von ihnen oder ihren Angehörigen herbeizuführende Gerichtsentscheidung bestätigt bekommen, daß sie Opfer von Unrechtsjustiz geworden sind. Lassen wir also den vielfachen Bekundungen guten Willens möglichst rasch auch Taten folgen. Der unselige § 175 StGB hat jahrzehntelanges Leid über homosexuell veranlagte Menschen gebracht und wenn nicht ihr Leben, dann häufig ihre soziale Existenz vernichtet. Diese Opfer haben Anspruch auf Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung. Dasselbe gilt für die anderen Opfer von NS-Willkürmaßnahmen, denen vergleichbares Leid widerfahren ist. Es darf nicht so bleiben, daß die Bundesrepublik Deutschland bis heute nach dem Bundesversorgungsgesetz laufende Versorgungsleistungen ohne alle Probleme monatlich und einkommensunabhängig an Personen zahlt, die selber Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben oder daran beteiligt waren. ({2}) Dr. Jürgen Meyer ({3}) Wir sind gegen ein Rentenstrafrecht. Aber es kann auch nicht sein, daß die Opfer der Nazizeit weniger großzügig behandelt werden, als dies beispielsweise mit manchen Richtern geschehen ist, die einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung bis zum heutigen Tage entgangen sind. Danke. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Jörg van Essen das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich hatte zwar eine Rede vorbereitet; aber viele der Dinge, die ich hier anführen wollte, sind bereits angesprochen worden. Ich will deshalb mehr auf das eingehen, was in der aktuellen Debatte gesagt worden ist. Sowohl Volker Beck als auch Eckart von Klaeden haben auf die gesellschaftliche Situation hingewiesen, die dazu geführt hat, daß wir über viele Jahrzehnte in diesem Bereich eine strafrechtliche Verfolgungspraxis hatten, die ihren Ursprung in der Verschärfung des § 175 StGB während der Zeit des Nationalsozialismus hatte. Die Zahl der Verurteilten ist schon genannt worden. Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, ist die Zahl derer, die im Konzentrationslager gewesen sind, hier in der Debatte nicht gefallen. Es waren über 10 000 Männer, die das Konzentrationslager ertragen mußten. ({0}) - Das sind die Zahlen, die mir zugänglich sind. ({1}) Ich muß sagen, jeder einzelne ist zuviel. Deshalb sollten wir uns jetzt nicht über Zahlen streiten, sondern über Schicksale sprechen, die damit verbunden sind. Es gibt bei uns in der Bundestagsbibliothek ein kleines Büchlein von Lutz van Dijk - ich kann nur empfehlen, es einmal auszuleihen -, der sich mit Schicksalen solcher Männer befaßt. Eines ist mir besonders ins Auge gestochen, nämlich die Geschichte eines 17 jährigen, der einen Liebesbrief an einen Soldaten geschrieben hatte und dafür mehrere Tage lang schwerstens gefoltert worden ist, durch Zuchthäuser gegangen ist und Verfolgung erdulden mußte. Weil er einen Liebesbrief geschrieben hatte, ist er nach § 175 des Strafgesetzbuches verurteilt worden. Nichts macht meiner Auffassung nach deutlicher, daß es sich hier um Unrecht handelt und daß es Unrechtsurteile in diesem Bereich gegeben hat. Diese Debatte zeigt, daß wir heute, und zwar quer durch alle Fraktionen, über diese Problematik rationaler diskutieren können. Das ist meiner Meinung nach ein erfreuliches Zeichen. Auch das, was heute morgen im Rechtsausschuß geschehen ist, habe ich als ein ermutigendes Zeichen angesehen. Es ist nämlich nicht zu einer Ablehnung des Antrags gekommen, wozu es hätte kommen können; man hätte immer Gründe dafür finden können. Wir haben uns vielmehr auf Vorschlag des Vorsitzenden des Rechtsausschusses auf etwas Konkretes, Positives verständigt. Ich hoffe, daß uns dies ein Stück nach vorne bringt und daß bezüglich der Fragen, die wir heute morgen diskutiert haben, vielleicht die eine oder andere Lösung gefunden werden kann. Es muß in diesem Bereich noch erhebliche Fortschritte geben. Diese wird es aber nur dann geben, wenn wir die Schatten der Vergangenheit beseitigen. Dazu gehört eben auch die Verfolgung homosexueller Männer während der Zeit des Nationalsozialismus. Darüber, wie man damit umgeht, wird man unterschiedlicher Meinung sein können. Ich persönlich neige eher zu der Auffassung, daß wir uns mit den homosexuellen Männern allein beschäftigen sollten; sie sind zu häufig in den anderen Gruppen untergegangen, Herr Professor Meyer. Ich bin ganz froh, daß der Bundespräsident dies in seiner berühmten Rede zum ersten Mal ausdrücklich getan hat. Wir sollten deshalb vielleicht doch überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, uns mit deren Schicksal allein zu befassen. Das bedeutet natürlich nicht, daß die anderen Gruppen, die Sie angesprochen haben, außer acht gelassen werden sollten. Einen Hinweis in Ihrer Rede fand ich allerdings interessant. Ich selbst habe mich damit nicht befaßt; das muß ich gestehen. Es geht um die Frage: Wie ist eigentlich mit lesbischen Frauen umgegangen worden? Da gab es keine Strafvorschrift. Ich habe aber die Ahnung, daß das, was Sie hier vorgetragen haben, richtig ist, nämlich daß versucht wurde, mit diesen Frauen das gleiche zu tun, was bei den homosexuellen Männern getan worden ist. Ich ahne dabei auch, daß die Nationalsozialisten die Frauen nicht so ernst genommen haben wie die Männer, weil das zu ihrem verquasten Weltbild gehörte - übrigens noch zu dem verquasten Weltbild der 50er Jahre, wie die Zitate des Kollegen von Klaeden aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezeigt haben. Leider muß man feststellen - auch das gehört vielleicht in die heutige Debatte -, daß das Bundesverwaltungsgericht mit ähnlich dümmlichen Begründungen seine Rechtsprechung zur Frage von homosexuellen Soldaten in der Bundeswehr aufrechterhält. Ich würde mir wünschen, daß dort gelegentlich neu darüber nachgedacht wird, ob die alten Begründungen, die man immer wieder heranzieht, tatsächlich einer rechtlichen und einer rationalen Prüfung standhalten. Ich bin dafür, daß wir uns im Rechtsausschuß diesen Fragen zuwenden und nach Möglichkeit, ähnlich wie bei den Wehrmachtsdeserteuren, einen Weg finden, quer über alle Fraktionen zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Wenn dies möglich wäre, würde ich mich darüber sehr freuen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann gebe ich dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wort.

Gerhard Zwerenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002833, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gehorsamst mit einer DreiMinuten-Rede angetreten, habe aber während des Zuhörens den Eindruck, nein, die Überzeugung gewonnen, daß es eine stilistische und inhaltliche Zumutung ist, in drei Minuten über eine Hürde zu springen, wenn es sich um ein solch mörderisches Thema wie die Verfolgung der Homosexuellen handelt. ({0}) Ich sehe mich außerstande, dazu in drei Minuten zu sprechen. Ich darf dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN versichern, daß die Gruppe der PDS ihrem Antrag zustimmen wird. Danke. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention auf die Rede des Kollegen van Essen gebe ich dem Kollegen Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte zu einer Frage, die sowohl Herr Meyer als auch Herr van Essen angesprochen haben, kurz etwas sagen. Lesbische Frauen wurden im Nationalsozialismus wie alle Frauen infolge des damals herrschenden Geschlechterbildes und der Bevölkerungspolitik, die zu dieser Zeit durchgeführt wurde, massiv unterdrückt und in ihren Freiheitsrechten beschnitten und eingeschränkt. Eine strafrechtliche Verfolgung, wie es sie bei den Männern gab, wurde erwogen. Auch Rudolf Klare, der in dieser Zeit eine Doktorarbeit über nationalsozialistische Homosexualitätspolitik geschrieben hat, hat sie befürwortet. Die Ansätze, die es in dieser Richtung gab, wurden aber verworfen. In den Konzentrationslagern gab es auch den rosa Winkel für lesbische Frauen. Dabei handelte es sich aber um eine Selektion innerhalb der Konzentrationslager. Es ging hauptsächlich um Personen, die aus anderen Gründen, weil sie bestimmten Normen nicht gehorchten - das konnten dann in der Tat „Asoziale" sein oder aber auch jüdische Frauen, lesbische Frauen aus anderen Bevölkerungsgruppen, national Verfolgte -, noch einmal speziell in dieser Lagerhierarchie kategorisiert und damit auch innerhalb der Konzentrationslager noch einmal besonders ausgegrenzt wurden. Auch daran müssen wir uns erinnern. Bei der Entschädigung müssen wir natürlich alle Gruppen berücksichtigen. Das haben wir auch immer wieder vorgeschlagen; das ist völlig klar. Das fordern wir schon seit den 80er Jahren. Bei der Frage der Rehabilitierung geht es aber im Kern erst einmal um diese strafrechtliche Komponente. Es ist keine Mißachtung, wenn man hier die unterschiedliche historische und gesellschaftliche Situation und die unterschiedlichen Mechanismen bei homosexuellen Männern und homosexuellen Frauen in der Rückschau dann auch entsprechend aufarbeitet und auf die Differenz der Mechanismen, wie wir das hier im Antrag getan haben, hinweist.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege van Essen, wollen Sie dazu noch Stellung nehmen? Offenbar nicht. Dann gebe ich das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Gleichgeschlechtlich orientierten Menschen - ich will hier bewußt bei der geschlechtsneutralen Formulierung bleiben - ist in den Jahren 1933 bis 1945 schweres Unrecht und unendliches Leid zugefügt worden. Tausende haben wegen ihrer sexuellen Orientierung ihr Leben verloren. Wenn die Bundesregierung dennoch dem Antrag der Grünen zunächst reserviert gegenübersteht, dann deshalb, weil eine doch sehr viel differenziertere Betrachtungsweise nötig ist, als Sie, Herr Beck, sie - jedenfalls in meinen Augen - hier vorgeführt haben. Die Bestrafung Homosexueller - das festzustellen ist einfach ein Gebot der geschichtlichen Ehrlichkeit - begann in Deutschland nicht mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, und sie endete auch nicht mit der Kapitulation. Darauf, daß das Bundesverfassungsgericht 1957 die Verfassungsmäßigkeit der §§ 175 und 175a StGB, bejaht hat, ist noch einmal hinzuweisen, selbst wenn dieses Urteil so, wie es damals ergangen ist, heute gottlob mit Sicherheit nicht mehr ergehen würde. Aber das zeigt doch, daß wir nicht unsere heutigen Moralvorstellungen an Rechtsnormen von damals anlegen können. Denn auch in den Jahren von 1969 bis 1994 hat, wenn auch nicht in der verschärften Fassung von 1935, der § 175 StGB noch gegolten. Gerade in diesem Bereich hat wie in wenigen anderen eben ein Wertewandel stattgefunden, den wir nun in jeder Form deutlich machen müssen und wollen. Deswegen ist Ihrem Grundansatz, finde ich, durchaus Sympathie und Zustimmung zu zollen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Meyer?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Gern.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, stimmen Sie mir in der Feststellung zu, daß jedenfalls die Grausamkeit der Strafen NS-spezifisches Unrecht darstellt, so daß man sehr wohl von NS-Unrecht gegenüber homosexuellen Menschen zu sprechen hat?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Es geht mir wie Ihnen vorhin; darauf will ich nämlich noch eingehen. Das umfaßt das, was ich an Differenzierung verlange. Das Entscheidende ist eben - das werde ich gleich noch unterstreichen -, was mit diesem § 175 gemacht wurde. Das hat sich in meinen Augen ja auch in der sehr interessanten Auskunft bestätigt, die Sie bezüglich der lesbischen Frauen gegeben haben. Das war das spezifisch nationalsozialistische Unrecht. Da müssen wir natürlich herangehen. Ich will noch einmal rekapitulieren: Erst am 25. Juni 1969 wurden § 175 StGB neu gefaßt und § 135a StGB aufgehoben. Erst 1994 ist auch der § 175 StGB gänzlich aufgehoben und durch einen neuen § 182 StGB ersetzt worden. Dieser schützt nun Jugendliche unter 16 Jahren gegen sexuellen Mißbrauch, ohne daß es auf das Geschlecht des Täters oder des Opfers ankommt. Das heißt, daß auch heute homosexuelle Handlungen von Erwachsenen an Jugendlichen unter 16 Jahren strafbar sind. Eine pauschale Aufhebung aller Verurteilungen aus den Jahren 1933 bis 1945 - mit dem Hinweis, sie seien nun spezifisch nationalsozialistisches Unrecht - kann also deshalb nicht stimmen, weil sie auch Fälle erfassen würde, die sogar nach heutigem Recht noch strafbar sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Höll?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Gerne.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, wenn Sie eine differenzierte Bewertung einklagen, sind wir doch in einer ähnlichen Situation wie in der Diskussion um die Wehrmachtsdeserteure. Wäre nicht, wenigstens vom Ansatz her, ein anderer Zugang möglich? Denn der § 175a war in dieser Zeit bewußt als Rechtskonstruktion gewählt, um Männer auch durch bloße Denunziation in Situationen bringen zu können, die für sie oftmals mit dem Tode endeten. Das war doch eine völlig andere Situation als heute. Selbst wenn jemand verurteilt worden ist, vielleicht wegen Kindesmißbrauchs, können wir heute gar nicht mehr nachvollziehen, ob dies auf einer Denunziation beruhte. In diesem Sinne empfinde ich die von Ihnen angemahnte Differenzierung auch im nachhinein als relativierend. Dies kann meines Erachtens der geschichtlichen Situation und dem Anliegen dieses Antrages - einer Entschuldigung und einer Rehabilitierung der Betroffenen - einfach nicht gerecht werden.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Die Parallelen bestätige ich ausdrücklich. Im übrigen ist das ein interessanter Ansatz, den ich voll nachvollziehen kann. Er ist bloß im Antrag nicht enthalten. In der Überschrift wird schlicht auf § 175 StGB verwiesen. Erst im Text wird § 175 RStGB genannt. Diese Pauschalierungen machen den Antrag - es wird ja im Rechtsausschuß dazu Gelegenheit geben - diskussionswürdig und -bedürftig. Die Lösung liegt ganz unzweifelhaft in einer differenzierenden Bewertung der Verurteilungen von Homosexuellen im Dritten Reich. Verabscheuungswürdig war demnach weniger - da müssen wir wirklich historisch treu bleiben - die zugrunde liegende Norm, auch wenn sie heute natürlich völlig überholt und unverständlich ist, als vielmehr die diffamierende Gedankenwelt der Nationalsozialisten. Denn sie erst machte das Ausmaß der Verurteilungen in Qualität und Quantität möglich. Es ist unbestritten, daß Homosexuelle nach Beendigung des Strafvollzugs und auch ohne jedes gerichtliche Verfahren in Konzentrationslager eingewiesen und dort besonders brutal behandelt wurden. Dies ist jedoch nicht auf eine typische NS-Norm zurückzuführen, sondern auf die von der Rassenlehre geprägte NS-Ideologie, die jede Form von Anderssein als „asozial" oder „minderwertig" abqualifizierte. Deshalb kann die Lösung aus meiner Sicht nur in einer Aufhebung derjenigen Urteile liegen, die unter Verstoß gegen elementare Menschenrechtsgedanken, die natürlich auch damals schon präsent waren - wie Schutz personaler Individualität, Diskriminierungsverbot oder schlicht die Forderung nach Gerechtigkeit -, ergangen sind, also auf spezifisch nationalsozialistischen Unrechtsnormen beruhten. Das freilich setzt so lange eine Einzelfallprüfung voraus, wie wir nicht eine generelle Aufhebungsnorm finden, die ihrerseits angemessen relativiert und abgrenzt. Nur so können die Opfer rehabilitiert werden, ohne daß wir - das ist wirklich ein ernstzunehmender Gedanke - rückwirkendes Strafrecht schaffen. ({0}) - Ich spreche spezifisch über die Zeit von 1949 bis 1957, über die Zeit von 1957 bis 1969 und über die Zeit von 1969 bis 1994. An diesen drei Entwicklungsetappen des bundesdeutschen Rechtssystems - unter dem Grundgesetz - sieht man, daß das nicht per se ein nationalsozialistisches Unrecht war. Die Verschärfung, die die Nationalsozialisten 1935 vorgenommen haben, und das, was in der Anwendung dieser Unrechtsnormen folgte, müssen wir mit allen Konsequenzen aufheben, und die davon Betroffenen müssen wir rehabilitieren. Danke sehr. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1496 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Konsequente Ausrichtung der staatlichen Instrumente zur Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf Beschäftigungswirksamkeit - Drucksache 13/8091 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten sollte. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Kollegen Doss, Türk, Schulz und der Staatssekretär Dr. Kolb für die Bundesregierung haben sich dankenswerterweise bereit gefunden, ihre Reden zu Protokoll zu geben. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident, es ist keineswegs ein Zeichen von beginnendem Altersstarrsinn, wenn ich mich nicht an dem Zu-Protokoll-Geben beteilige. Ich trage auch keine Schuld daran, daß Tagesordnungspunkte der PDS immer als letzte aufgerufen werden. Bei allem Verständnis für die Müdigkeit der Kolleginnen und Kollegen nach einem langen, harten Tag halte ich es aber für bezeichnend, daß diese Debatte nicht nur faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Abgeordneter, ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich habe Ihnen ausdrücklich gesagt, daß es Ihr gutes Recht ist, zu reden. Daran wird nicht gezweifelt. Ich bitte Sie aber, zur Sache zu kommen. Bitte schön. ({0})

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich kann keine Verfehlung darin sehen, daß ich - ({0}) - Okay, gut. Trotz laufend neuer Arbeitslosenzahlrekorde ist eine konsequente Ausrichtung der staatlichen Förderinstrumente auf Beschäftigungswirksamkeit momentan offensichtlich nicht gefragt. Bei der Koalition kann ich das noch verstehen. Sie ist sich ganz sicher, alles richtig zu machen, und im übrigen damit beschäftigt, die Folgen ihrer Fehler zu beseitigen. Gespannt wäre ich allerdings schon auf den Versuch von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ihre Ansätze auf den unterschiedlichsten Politikfeldern zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu bündeln, um so das eigene Konzept und ihre Regierungsfähigkeit in der Schlüsselfrage der Gesellschaft zu demonstrieren. Die Gruppe der PDS unterbreitet mit dem vorgelegten Antrag einen solchen Vorschlag. Seine Eckpunkte: Erstens. Zusammenfassung, Vereinfachung und Demokratisierung der Wirtschaftsförderung. Zweitens. Verzahnung bisheriger Gemeinschaftsaufgaben mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor bei Regionalisierung der Entscheidungen über Vergabe solcher öffentlichen Aufträge und Mittel. Drittens. Aktive Strukturpolitik des Bundes durch Bündelung der Aktivitäten von einzelnen Ressorts. Zu nennen sind hier insbesondere Wirtschaft, Landwirtschaft, Arbeit und Sozialordnung, Verkehr, Forschung und Technologie. Viertens. Eine Veränderung in der Steuergesetzgebung sowie eine neue Finanzverteilung zwischen den öffentlichen Haushalten und Investitionspolitik. All dies dient dem Ziel eines ökologisch verträglichen Umbaus der bundesdeutschen Volkswirtschaft bei Überwindung des Dauerproblems Massenarbeitslosigkeit. Am fehlenden Geld wird ein solcher Umbau jedenfalls nicht scheitern. Dazu nur fünf Zahlen, die sich aus den vor Monatsfrist vorgelegten Etatentwürfen für 1998 und dem Subventionsbericht 1995 bis 1998 ergeben. Mindestens die Hälfte der das Wirtschaftsgeschehen unmittelbar und mittelbar beeinflussenden Steuervergünstigungen, rund 20 Milliarden DM pro Jahr, könnte bei Umsetzung unserer Vorschläge ohne negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit wegfallen. Darüber hinaus wurde beispielsweise in der heutigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses festgestellt, daß allein die Auflösung der ungerechtfertigten, ja rechtswidrigen stillen Reserven der Energieversorger für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente Steuermehreinnahmen von rund 10 Milliarden DM brächte. Die deutsche Steinkohleproduktion könnte aufrechterhalten werden, ohne sie weiter mit knapp 10 Milliarden DM im Jahr vom Bund und von Förderländern direkt zu subventionieren. Jährlich 13 Milliarden DM Subventionswert der ERP-Finanzhilfen und 2 Milliarden DM betrieblicher Investitionszuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" könnten wesentlich zielgenauer als bisher verwendet werden. Diese Dimensionen sind der gesellschaftlichen Herausforderung „Massenarbeitslosigkeit" völlig angemessen. Das ist nicht revolutionär und auch nicht sozialistisch; es entspricht der Forderung in Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. " ({1}) Dieser Grundsatz muß endlich wieder für alle Bürger und ihren Staat gelten. Ich kann an dieser Stelle nicht auf alle wichtigen Aspekte unseres Antrags eingehen. Man muß ihn schon lesen. Jetzt nur Zweierlei: Seit fast zwei Jahren ziehen der Bundeskanzler und seine Minister durch die Lande und predigen für Wachstum und Beschäftigung eine - ich zitiere - „neue Kultur der Selbständigkeit" und einen „schlanken Staat". Von dieser Kulturrevolution können wir aber weit und breit nichts entdecken, sieht man einmal von Ausreißern wie dem Bitterfelder Sauna-Kartell ab. Würde eine Regierung unseren Vorschlag aufgreifen, die Wirtschaftsförderung weitestgehend auf sogenannte stille Beteiligung der öffentlichen Hand umzustellen, so ließe sich vielerlei Kreativität befördern: die der bisherigen Unternehmerinnen und Unternehmer, die künftiger Existenzgründer, die bisher kein anderes Kapital als ihre innovativen Ideen haben, die jener Belegschaften, für deren Erhalt und Vergrößerung Steuergelder mobilisiert werden. Zugleich würde an staatlichem Verwaltungsaufwand, an privater Mitnahmementalität, an Allmacht der Banken und letztlich an Staatsausgaben gespart. ({2}) Nicht zuletzt möchte ich noch eines sagen: Ich muß mit diesem Antrag erneut Wasser in den Wein Ihrer Euro-Euphorie gießen. Ich tue das nicht, weil wir gegen ein vereintes Europa wären, im Gegenteil, wir wollen neuen, gefährlichen Nationalismus verhindern. Der bisherige Maastricht-Prozeß bedeutet aber einen Verzicht auf Politik zugunsten des Geldmarktes vor den sozial-, umwelt- und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen unseres Kontinents. ({3}) - Lieber Kollege Hiksch, Sie können sich gleich dazu äußern. Sprechen Sie einmal mit Ihrem Kollegen Sperling. Geld kann man nicht essen, Geld kann man nicht atmen. Geld muß endlich wieder zu dem werden, wozu es vor Jahrtausenden erfunden wurde: Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck. ({4}) Gerade die europäische Einigung braucht endlich wieder eine Politik, die gesellschaftlichen Zwecken und nicht dem monetären Selbstzweck dient. Meine Damen und Herren, Wahlkampf sollte sich immer an Sachthemen orientieren. Ich bin sicher, daß wir in den zwölf Fachausschüssen, die sich mit dem Antrag beschäftigen, Gelegenheit haben werden, auch im Wahlkampf sachliche Arbeit zu leisten. Danke schön. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Uwe Hiksch.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade die letzte Ausführung, lieber Kollege Kutzmutz, hat deutlich gemacht, daß für die SPD wichtig ist, sich sehr kritisch mit der Position der PDS auseinanderzusetzen, sich mit der Massenarbeitslosigkeit und der Frage, welche staatlichen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Beschäftigungswirksamkeit zu erzielen, auseinanderzusetzen. Wenn die PDS aber in die vermeintliche Mottenkiste von Theorie greift, die nichts mit links zu tun hat, und dann, wenn staatliche Regulierung organisiert wird, um beispielsweise die gemeinsame Wirtschafts-und Währungsunion durchzusetzen, anfängt, nationalistisch und nicht mehr internationalistisch zu argumentieren, ist das zurückzuweisen. ({0}) Es ist positiv, wenn sich dieser Antrag damit auseinandersetzt, wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit theoretisch aussehen könnte. Es ist durchaus festzustellen, daß sich in dem Antrag eine ganze Reihe von Punkten findet, die durchaus richtig sind. Der Antrag beinhaltet aber insgesamt eine Ausrichtung und eine Reihe von Punkten, die als falsch zu bezeichnen sind und nicht unterstützt werden können. Wir, die SPD, wissen, daß die Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, in Europa, nein, in der Welt eines der schlimmsten Übel der Gesellschaft ist und am intensivsten bekämpft werden muß. Massenarbeitslosigkeit jedoch dadurch bekämpfen zu wollen, daß eine alte Form von staatlicher Regulierung ausgegraben wird, die eigentlich seit 20 Jahren tot ist, wird sicher nicht funktionieren. ({1}) Wir wissen, daß sich die jetzige Regierung mit fehlender Reformfähigkeit selbst blockiert, weil sie sich auch in der Mottenkiste der neoklassischen Wirtschaftstheorie, die seit 50 Jahren vergessen sein könnte, bewegt, und daß sie sicher keine Antwort auf die Frage geben wird, wie wir Massenarbeitslosigkeit in diesem Land bekämpfen können. Wir wissen auch, daß mit Sozialabbau, so wie er von der jetzigen Regierung betrieben wird, ganz sicher nichts erreicht werden wird, sondern im Gegenteil die Massenarbeitslosigkeit noch zunehmen wird. Wir wissen von seiten der Sozialdemokratie, daß die einseitige skrupellose Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicher keinen Beitrag zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik leisten wird, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Verarmung treibt, aber nicht weiterhilft, Wirtschaftspolitik zu organisieren. ({2}) Wir Sozialdemokraten haben klargemacht, wie ein integrativer Ansatz aussehen könnte, der eine Alternative zur Wirtschaftspolitik der Konservativen, erst recht zur Wirtschaftspolitik der PDS darstellen könnte. Wir haben aufgezeigt, wie ein solcher integrativer Ansatz aus einer Politik aussehen könnte, die Vollbeschäftigung in den Mittelpunkt stellt, eine Sicherung der Massenkaufkraft betreibt, eine Sicherung des Sozialstaates vornimmt und gleichzeitig unternehmerische Innovationen, Unternehmensstrukturen und neue Märkte erschließt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kutzmutz?

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. ({0})

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Hiksch, ich möchte die Debatte nicht verlängern. Aber wenn Sie jetzt so richtig Schwung holen und Ihr integratives Programm vorstellen und über Vollbeschäftigung reden, muß ich Sie fragen: Wie erklären Sie sich, daß - wie ich heute gelesen habe -, einer Ihrer Kanzlerkandidaten festgestellt hat, daß der Begriff Vollbeschäftigung aus dem Wortschatz gestrichen werden sollte? ({0}) - Einer. Sie können sich einen aussuchen. Können Sie mir das erklären? Wie stehen Sie zu einer solchen Aussage, wenn Sie hier schon sagen, daß nur die Sozialdemokraten wissen, wie Arbeitslosigkeit beseitigt wird?

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Kutzmutz, ich kann Ihnen sicher sagen, daß die Sozialdemokratie das Recht auf Arbeit und die Vollbeschäftigung niemals aus ihrem Wortschatz streichen wird und daß wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten in diesem Hause immer sehr deutlich gemacht haben, wie Vollbeschäftigung hergestellt und wie das Recht auf Arbeit durchgesetzt werden könnte. Es ist billige Polemik, wie Sie versuchen, von der falschen Theorie Ihres Antrages abzulenken. Das bringt uns hier nicht weiter. Schauen wir uns den Antrag der PDS einmal etwas näher an: So schreibt die PDS beispielsweise auf Seite 6, daß sich die Probleme „beim Vollzug der westeuropäischen Wirtschafts- und Währungsunion in der geplanten Form noch zuspitzen" würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer so etwas schreibt, hat sich mit der makroökonomischen Grundlage der Währungspolitik schlichtweg nicht auseinandergesetzt. Die einseitig monetaristisch orientierte Wirtschafts- und Währungsunion, wenn sie auch von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, auch in Spanien, nicht unbedingt in Punkt und Komma so gewollt war, wie sie gekommen ist, wird dazu beitragen, daß im Bereich der Währungspolitik endlich eine Antwort auf die Internationalisierung von Spekulationskapital auf der einen Seite und von Realkapital auf der anderen Seite gegeben wird. Wir sind der festen Überzeugung, daß selbst diese Währungsunion, wie Sie sie bezeichnen, mit den monetaristischen Grundlagen - das sehe ich durchaus auch - wesentlich mehr dazu beitragen wird, die wirtschaftlichen Rahmendaten zu verbessern, als jeglicher Versuch, an nationalen Währungen festzuhalten, wie Sie das betreiben. ({0}) Schauen wir uns einmal an, was die Aufgabe von Währungspolitik ist. Aufgabe der Währungspolitik sollte für Linke - aber Sie haben scheinbar den Weg der Linken verlassen - sein, daß Spekulationen eingedämmt werden können, damit nicht mehr gegen Währungen spekuliert werden kann. Aufgabe sollte sein, daß zu einer Stabilisierung des Welthandels beigetragen wird. Dies kann durch Ausschaltung von Währungsschwankungen erreicht werden. Aufgabe sollte ebenso sein, daß ein Gegengewicht auch gegen den Dollarraum und die Politik der US-amerikanischen Administration gesetzt werden kann. Aufgabe einer fortschrittlichen Währungspolitik sollte auch darin bestehen, dafür zu sorgen, daß das Derivateunwesen, das damit zu tun hat, daß es eine ganze Reihe von Währungen gibt, gegen die spekuliert werden kann, endlich ausgeschaltet werden kann. Gehen wir weiter. Auf Seite 7 schreibt die PDS: „Die gegenwärtige Forschungs- und Technologiepolitik ist einseitig auf Technologien zur maximalen Kapitalverwertung ausgerichtet. " Im selben Absatz steht im letzten Satz: „Das Potential insbesondere industrienaher Forschung in den neuen Bundesländern wurde ... fast völlig zerschlagen. " Das ist richtig. Aber industrienahe Forschung setzt gerade voraus, daß wir uns damit auseinandersetzen, daß Kapitalverwertung möglich ist und auch umgesetzt werden soll. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bekennen, daß die Grundtheorie, die Sie scheinbar haben, daß man sich nicht damit auseinandersetzt, daß Forschung maximal verwertet werden soll, eine falsche Theorie ist. Wir wollen dies. Gehen wir in Ihrem Antrag weiter, der auch etwas für die Beschäftigung tun will. Auf Seite 10 schreiben Sie, die „Flucht in die Globalisierung" sei ein „Irrweg". Wir lernen von der PDS: Wir treten die Flucht in die Globalisierung an. ({1}) Ich kann Ihnen nur sagen: Hätten Sie, Herr Kutzmutz, Marx gelesen, wüßten Sie, daß die Globalisierung ganz sicher keine Flucht ist, sondern eine ökonomische Notwendigkeit auf Grund von steigenden Produktivkräften. ({2}) Nur, das scheint ja verlorengegangen zu sein. Wer sich mit der Internationalisierung der Ökonomien - sei es im Realkapital, sei es im Spekulationskapital - auseinandersetzt, wird ganz schnell feststellen, daß der Kampfbegriff der Globalisierung gar nicht stimmt. Wir haben eine Internationalisierung. Diese Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme ist gewollt gewesen, ({3}) weil wir nämlich der festen Überzeugung sind, daß die komparativen Kostenvorteile und die komparativen Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und umgesetzt werden müssen. Aber in der jetzigen Phase liegt keine Globalisierung im traditionellen Sinne vor, sondern vor allen Dingen eine massive Zunahme im innereuropäischen Handel und im Handel der Industrienationen untereinander. Was wir erleben, ist keine Globalisierung, sondern geradezu eine Regionalisierung in einigen wenigen industriellen Kernen der Triade. Das, was Sie in diesem Punkt in Ihren Anträgen vorgelegt haben, ist nicht Wirtschaftspolitik, sondern Gartenzwergökonomie. Lassen Sie mich weiter voranschreiten und ganz zum Schluß auf das eingehen, was Sie zur Regionalpolitik geschrieben haben. So schreiben Sie beispielsweise auf Seite 18, daß die regionalen Entwicklungskonzepte in Zukunft einen verbindlichen Rahmen bilden sollten. Ich betone: einen verbindlichen Rahmen. Solch eine Form von verbindlichem Rahmen wird die Wirtschaft sicher nicht voranbringen. Richtig wäre die Formulierung gewesen, daß es natürlich eine Form von Landesentwicklungsplanung, die schon lange betrieben wird, geben muß. Aber verbindliche Rahmen, die nicht mehr zulassen, sich mit Flexibilität und mit den notwendigen Dingen, die sich tagtäglich verändern können, sowohl in der Frage der Infrastruktur als erst recht in der Frage der Ansiedlung von Unternehmen, auseinanderzusetzen, solch eine Form von Planung wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sicher nicht haben. ({4}) Ich sage Ihnen auch: Es ist heute nicht mehr möglich, über verbindliche Rahmen oder verbindliche Rahmendaten vorauszusagen, daß Infrastruktur so und nicht anders aussehen muß. Auch die Frage, wie die Infrastruktur aussehen muß, muß weiterentwikkelt und flexibel gehandhabt werden können. Gehen wir doch weiter zur Seite 19. Dort schreiben Sie, daß die unmittelbare Bezuschussung der Wirtschaftstätigkeit einzelner Unternehmen durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" nicht mehr stattfinden soll. Kolleginnen und Kollegen von der PDS, ich glaube, Sie haben sich mit der Gemeinschaftsaufgabe und den Aufgaben der Gemeinschaftsaufgabe nicht richtig auseinandergesetzt. Wenn wir aufgeben würden, daß die unmittelbare Wirtschaftstätigkeit der Unternehmerinnen und Unternehmer gefördert wird, dann hätte die Gemeinschaftsaufgabe genau das verfehlt, was sie erreichen soll. Die Gemeinschaftsaufgabe hat nämlich gerade die Aufgabe, unternehmerische Allokationsentscheidungen zu beeinflussen, und zwar in dem Sinne: Wenn ein Unternehmen investiert, wird es zuallererst an die Standorte gehen, die für es den größtmöglichen Gewinn versprechen. Wenn wir aber wollen, daß Unternehmen nicht nur an die Standorte gehen, die den größtmöglichen Gewinn versprechen - das sind die Ia-Standorte -, müssen wir eine Möglichkeit haben, den Unternehmen zu sagen: Dafür, daß ihr freiwillig auf einen Teil eures Gewinnes verzichtet, weil ihr nicht an die Ia-Standorte geht, sind wir bereit, über die Gemeinschaftsaufgabe eure Investitionen zu bezuschussen und euch damit einen Teil Gewinnsubventionen zu geben. Das ist richtig so, und das ist wichtig so. ({5}) Es kann nämlich nicht unsere Aufgabe sein, nur über Strukturen zu sprechen, aber die konkrete Investitionsentscheidung von Unternehmen, wenn sie auf Grund von betriebswirtschaftlichen Daten gegen eine gesamtwirtschaftliche Entwicklung entscheiden, nicht beeinflussen zu können. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem PDS-Antrag steht auch, daß die Realisierung der GA-Projekte auch durch gemeinnützige Vereine und Beschäftigungsförderungsgesellschaften geschehen soll. Die dahinterstehende Überlegung ist durchaus ehrenwert; aber wenn wir die Gemeinschaftsaufgabe, also Strukturpolitik, dafür benutzten, subventionierte Arbeitsplätze beispielsweise von gemeinnützigen Vereinen oder von Beschäftigungsförderungsgesellschaften in direkte Konkurrenz zu tarifvertraglich abgesicherten Arbeitsplätzen treten zu lassen, die wir alle - jedenfalls auf der linken Seite - in diesem Haus wollen, dann nähmen wir in Kauf, daß durch staatliche Allokationsentscheidungen tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsplätze zerstört werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz und knapp zusammengefaßt: Dieser Antrag ist gut gemeint, aber er hat leider danebengeschossen. Danke schön. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich nun dem Abgeordneten Kutzmutz das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Kollege Hiksch, würde ich so reden, wie Sie es eben getan haben, müßte ich mit dem Satz beginnen: Für eine Schnecke kann selbst ein Gartenzwerg ein Riese sein. ({0}) Sie haben mindestens dreimal von der Mottenkiste gesprochen, aber leider vergessen, zu sagen, an welcher Stelle ich sie suchen soll, damit ich sie finde. ({1}) Sie haben die Globalisierung angesprochen und dabei bewußt den Rest des Satzes in unserem Antrag weggelassen. Ich lese ihn jetzt nicht vor. Ich habe meinen Antrag bei Ihnen gesehen; in ihm ist vieles rot unterstrichen. Früher hat man gesagt, nur das, was unterstrichen ist, sei studiert worden. Offensichtlich reicht das Unterstreichen bei Ihnen nicht aus. ({2}) Da Sie auch Beifall von der Koalition bekommen haben, möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen: Im Rahmenplan Sachsen - Sachsen wird von der CDU regiert; aber Sie können ja Herrn Biedenkopf Konkurrenz machen - wird ausdrücklich festgelegt, daß Strukturmittel nur noch zur Verfügung stehen, wenn regionale Entwicklungspläne vorliegen. Sie sagen, daß das nicht sein sollte. Dazu stelle ich fest, daß Sie ein bißchen weit hinter dem Berg sind. Sie haben stille Beteiligungen überhaupt nicht angesprochen. Sie nehmen sie nicht zur Kenntnis, weil man sich erst damit auseinandersetzen muß, um sie zu begreifen. Ich schlage Ihnen vor, das noch einmal gründlich zu lesen. Ein Letztes zu den Beschäftigungsgesellschaften: Sie und ich wissen, daß eine Vielzahl von Arbeit, die es in der Gesellschaft gibt, nur deshalb nicht geleistet wird, weil sie nicht finanziert wird. Wenn man die Beschäftigungsgesellschaften unter diesem Aspekt sieht, gibt es vielerlei Möglichkeiten, ohne daß sie in Konkurrenz zum produzierenden Gewerbe oder zu den Handwerksbereichen treten. Danke. ({3}) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Herr Kollege Hiksch, Sie können darauf antworten.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Kutzmutz, wenn ich entscheiden kann, eine Schnecke in dem Sinne, wie Sie es beschrieben haben, oder ein Gartenzwerg zu sein, wie Sie es gerade dargestellt haben, bin ich gerne eine Schnecke. Dies gebe ich zu. Nun lassen Sie uns doch den Satz einmal zu Ende lesen, den Sie angesprochen haben: Die Flucht in die Globalisierung durch hemmungslose Ausweitung des Austausches von Waren und Dienstleistungen ist ebenso ein Irrweg, wie es eine Politik der rigiden Abschottung gegenüber außenwirtschaftlichen Einflüssen wäre. Nationale Wirtschaftspolitik kann WeltmarktProzesse nur schwerlich beeinflussen. Kolleginnen und Kollegen, das ist nichts anderes als eine Rückbesinnung auf eine Art der Nationalökonomie, wie sie eigentlich in fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit wenigstens zehn oder 20 Jahren überwunden wurde und wozu Keynes bereits vor dem Zweiten Weltkrieg weiterentwickelte Theorien gehabt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß die Internationalisierung des Kapitals nicht aufhaltbar ist, sondern daß es darum geht, diese Internationalisierung zu gestalten. Deshalb haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer wieder darauf hingewiesen, daß es gelingen muß, internationale Abkommen im Bereich des Umweltschutzes, internationale Sozialabkommen, internationale Abkommen, die sich damit beschäftigen, Währungsspekulationen einzuschränken - ich nenne als Beispiel die Diskussion über die Tobin Tax -, abzuschließen. Auch ein weltweites Verbot von Kinderarbeit wäre fortschrittliche Wirtschaftspolitik. Aber Sie wollen darüber diskutieren, eine rigide Abschottung zu verhindern. Was das heißt, Kolleginnen und Kollegen, ist klar: Die PDS kann sich eine Abschottung vorstellen und glaubt, mit den Diskussionen von vor 20 Jahren, die nie Diskussionen der Linken waren, könne man irgend etwas erreichen. Kollege Kutzmutz, mit Herrn Biedenkopf hat das, was ich gesagt habe, nichts zu tun. Herr Biedenkopf und auch ich würden uns ziemlich beleidigt fühlen, wenn wir miteinander verglichen würden. Es hat vielmehr damit zu tun, daß die Sozialdemokratie durchaus sieht, daß es jede Menge Möglichkeiten gibt, um ökonomische Fehlallokationen in den Griff zu bekommen - aber sicher nicht durch einen Antrag, wie Sie ihn vorgelegt haben. Das ist ein Denken an gestern und nicht an morgen. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8091 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Oktober 1997, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.