Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/25/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie bitten, sich vor Eintritt in die Tagesordnung zu erheben, um der Unfallopfer im Südatlantik und in Bosnien sowie der Opfer des Terroranschlags in Kairo zu gedenken. Mit Erschütterung und Bestürzung haben wir alle die Nachrichten von den tragischen Ereignissen aufgenommen, die die vergangene Woche überschatteten. Am Samstag, dem 13. September, erreichte uns die Nachricht, daß im Luftraum vor der namibischen Küste ein Flugzeug der Bundeswehr mit einer amerikanischen Militärmaschine kollidierte. Alle Beteiligten, die Angehörigen unserer Bundeswehr, die beiden Ehefrauen der Crewmitglieder sowie alle Amerikaner, kamen dabei ums Leben. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, vor allem den Kindern, die ein jähes und grausames Schicksal zu Vollwaisen gemacht hat. Nur vier Tage später, am 17. September, prallte nordwestlich von Sarajevo ein Hubschrauber der Bosnien-Friedenstruppe SFOR im Nebel gegen einen Berg. Die vier Besatzungsmitglieder überlebten schwerverletzt. Zwölf Passagiere, fünf Deutsche, fünf Amerikaner, ein Brite und ein Pole, starben bei diesem Unglück grausam. Sie alle starben für Frieden und Stabilität in Europa, erfüllten ihren Dienst unter sehr schwierigen Bedingungen in einer kriegsgeschüttelten Region mitten in Europa. Unter ihnen befand sich der deutsche Bosnien-Beauftragte, Botschafter Gerd Wagner, der erst Ende Juni zum Stellvertreter des Hohen Repräsentanten für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina ernannt worden war und sich binnen kurzer Zeit bereits den Ruf eines erfolgreichen Vermittlers erwerben konnte. Er und seine Kollegen, darunter auch ein junger Mitarbeiter unseres Parlaments, Polizisten und Schutzpersonen - sie alle starben einen bitteren Tod. Dieser Einsatz hat einen hohen Preis gefordert. Wir schulden es den Opfern, daß wir die Ziele, für die sie starben, mit aller Beharrlichkeit weiterverfolgen. An dem Leid und der Trauer der von dem Unglück betroffenen Familien und Freunde nehmen wir bewegt Anteil. Nur einen Tag später, am 18. September, wurden mitten im Herzen von Kairo neun deutsche Touristen und der ägyptische Fahrer ihres Reisebusses bei einem brutalen Anschlag ermordet. Die Reisenden kamen in Frieden, um voller Respekt die jahrtausendealte Kultur ihres Gastlandes kennenzulernen. Die Opfer, einer unerwartet fanatischen, willkürlich-terroristischen Wut wehrlos ausgesetzt, erwecken nicht nur Trauer in uns. Sie leben in unserer Erinnerung weiter und mahnen uns zur Entschlossenheit und Beharrlichkeit im Einsatz für Friedfertigkeit und Verständigungsbereitschaft, zur Versöhnung zwischen den vermeintlich Unversöhnlichen. Sie stärken uns im Kampf gegen Terrorismus als dem größten Feind der Menschheit an jedem Ort der Welt. Im Namen des Deutschen Bundestages spreche ich den Angehörigen der Opfer unsere tiefempfundene Anteilnahme aus. Sie alle brauchen Kraft und Unterstützung. Aber wir denken auch an die Verletzten und wünschen ihnen Genesung. Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Bevor ich zu den amtlichen Mitteilungen komme, sage ich, daß wir nach dem ersten Tagesordnungspunkt die Sitzung während der Trauerfeierlichkeiten in Köln unterbrechen. Nun komme ich zu einem sehr erfreulichen Anlaß. Am 15. September feierte unser Kollege Adolf Roth ({0}) seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hauses aus. ({1}) Sodann teile ich mit, daß aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes der frühere Kollege Norbert Gansel als ordentliches Mitglied ausgeschieden ist. Als seinen Nachfolger schlägt die Fraktion der SPD den Kollegen Markus Meckel vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. Als neues stellvertretendes Mitglied wird der Kollege Dr. Eberhard Brecht vorgeschlagen. Sind Sie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Kollege Meckel als ordentliches Mitglied und der Kollege Dr. Brecht als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes bestimmt. Um Ihnen einen besseren Überblick über die vorgesehene Reihenfolge der Beratungen des heutigen Tages zu geben, liegt Ihnen eine neue Tagesordnung zusammen mit der Zusatzpunktliste vor. Sind Sie mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte und den vereinbarten Änderungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Illegale Beschäftigung durch konsequentes gemeinsames Handeln von Bund und Ländern unterbinden - Drucksache 13/7802 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zur besseren Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in Deutschland dazu benutzen, um einige grundlegende Aspekte der Situation auf dem Arbeitsmarkt zu beleuchten. Wir sind uns in diesem Hause einig, daß die Entwicklung der Arbeitslosigkeit mit einem Stand von jetzt 4,4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland außerordentlich besorgniserregend ist. ({0}) - Vielleicht könnten sich die Mitglieder der Koalitionsfraktionen etwas beruhigen, damit ich hier in Ruhe vortragen kann. Ebenso beunruhigend wie die Situation der Arbeitslosigkeit ist das wachsende Chaos auf dem Arbeitsmarkt selbst. Beide Entwicklungen, die dramatisch steigende Arbeitslosigkeit und das wachsende Chaos auf dem Arbeitsmarkt, hängen weitestgehend miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Ich möchte Ihnen dies an Hand von zwei Beispielen illustrieren. Fachleute schätzen, daß den über 200 000 arbeitslosen einheimischen Bauarbeitern eine mindestens ebenso große Zahl illegal Beschäftigter auf deutschen Baustellen gegenübersteht. Illegale Beschäftigung ist als illegale Erwerbsarbeit zu verstehen, für die weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden, der keine tarifliche Entlohnung zugrunde liegt, für die Dumpinglöhne von 3, 4 oder 6 DM pro Stunde gezahlt werden und bei der arbeitsrechtliche Normen in Hülle und Fülle verletzt werden. Ein zweites Beispiel: Fachleute schätzen, daß in Deutschland nahezu 5 Millionen Menschen ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, sogenannten 610-DM-Arbeitsverhältnissen, nachgehen. Gleichzeitig suchen auf dem deutschen Arbeitsmarkt einige hunderttausend Arbeitslose sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit. Es ist ganz offenkundig, daß immer mehr Menschen in sozialversicherungsfreie Miniteilzeitarbeitsverhältnisse abgedrängt werden, während gleichzeitig das Angebot an sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen völlig unzureichend ist. Ein Blick auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre zeigt, wohin die Reise geht, wenn nicht endlich korrigierend eingegriffen wird. In den 70er Jahren betrug der Anteil der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse - damit ist ein sozialversicherungspflichtiges Vollzeitarbeitsverhältnis mit einem auskömmlichen Lohn, mit dem Menschen auch ihre Familien ernähren können, gemeint - an der Gesamtbeschäftigung noch gut über 80 Prozent. Nach den jüngeren Statistiken ist der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse an der Gesamtbeschäftigung inzwischen auf deutlich unter 70 Prozent abgesunken. Wir haben besorgniserregende Entwicklungen insbesondere im Bereich der illegalen Beschäftigung und der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse. Der Anteil der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse an der Gesamtbeschäftigung betrug in den späten 70er Jahren weniger als 5 Prozent. Er ist heute auf nahezu 15 Prozent angestiegen. In den späten 70er Jahren spielten Scheinselbständigkeit, illegale Beschäftigungsverhältnisse und dergleichen mehr so gut wie keine Rolle. Heute schätzen Fachleute die Anzahl illegaler Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland auf bis zu 1 Million. Fachleute wiederum sagen, daß Scheinselbständige - das sind eigentlich lohnabhängig Beschäftigte, die aus reinen Kostengründen in Scheinselbständigkeiten abgedrängt werden - bis zu 500 000, ja 700 000 in Deutschland ausmachen. Wir haben es also mit einer ganz besorgniserregenden Erosion des Normalarbeitsverhältnisses zu tun. Die Unordnung auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat ein ebenso dramatisches Ausmaß angenommen wie die steigende Arbeitslosigkeit. Als Fazit kann man formulieren: Immer mehr Menschen werden in Arbeitsverhältnisse abgedrängt, von deren Lohn sie sich selbst - wenn überhaupt - nur mühsam, erst recht aber keine Familie mehr ernähren können und die keine Ansprüche an die sozialen Sicherungssysteme mehr begründen. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie haben allerdings nicht den geringsten Grund, diese Situation zu beklagen. Sie haben diese besorgniserregende Lage im wesentlichen mit herbeigeführt. ({1}) Ich will Ihnen das an Hand von zwei Beispielen erläutern. Zum einen haben Sie diese Situation durch Nichtstun, durch schlichte Tatenlosigkeit herbeigeführt. Es hat vieler Proteste, vieler Initiativen innerhalb wie außerhalb des Parlaments bedurft, bis Sie sich überhaupt dazu aufraffen konnten, mit einer gesetzlichen Regelung der Bekämpfung des Lohndumpings auf den deutschen Baustellen entgegenzuwirken. Jahre hat es gedauert. Schlimmer noch: Zum anderen haben führende Koalitionspolitiker den gesetzlosen Zustand in öffentlichen Interviews ausdrücklich begrüßt, mit der Begründung, über Billigstlöhne für ausländische Arbeitnehmer in Deutschland könne man die Axt an die gewachsene Tarifautonomie legen - so ausdrücklich Graf Lambsdorff vor einiger Zeit in einem Interview mit dem „Handelsblatt". Meine Damen und Herren, Sie haben durch Tatenlosigkeit das gegenwärtige Chaos auf den Arbeitsmärkten mitbegründet. Es gibt trotz vielfältiger Bemühungen der Opposition hier im Deutschen Bundestag bis zur Stunde keine Mehrheit für eine gesetzliche Regelung der 610-DM-Arbeitsverhältnisse. Wir wollen diese Arbeitsverhältnisse endlich sozialversicherungspflichtig machen, um für fairen Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten zu sorgen. ({2}) Wir wollen endlich die Scheinselbständigkeit bekämpfen, um zu mehr sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen zu kommen. Zum einen haben Sie der Entwicklung durch schlichte Tatenlosigkeit Vorschub geleistet; zum anderen haben Sie ein gesellschaftliches Klima erzeugt, das die Flucht aus dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis geradezu nahelegt, ganz nach dem abgewandelten Motto: Der Anständige - in diesem Fall der anständige Arbeitgeber - ist der Dumme. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wer jahrelang wider besseres Wissen die Arbeitskosten in Deutschland zum zentralen Standortproblem hochgeredet hat und gleichzeitig - was ja widersprüchlich genug ist - die gesetzlichen Lohnnebenkosten auf einsame Höhen getrieben hat, der darf sich nicht wundern, wenn er damit sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse doppelt diskreditiert und Entwicklungen hin zu Billigstarbeitsverhältnissen begünstigt: illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit, 610-DM-Arbeitsverhältnisse, sozialversicherungsfreie Miniteilzeitarbeit, Scheinselbständigkeit usw. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wir haben einen enormen Reformstau auch auf dem Feld des Arbeitsmarktes. Wir müßten den Arbeitsmarkt im Interesse der Beschäftigten, im Interesse der Arbeitslosen dringendst in Ordnung bringen. Ihnen liegen im Parlament Gesetzentwürfe der SPD zur Sozialversicherungspflichtigkeit von Miniteilzeitarbeitsverhältnissen vor. Ihnen liegt ein Gesetzentwurf zur Regelung der Scheinselbständigkeit vor. Ihnen liegen Initiativanträge der SPD zur Absenkung der Lohnnebenkosten vor. Wir haben Ihnen gestern im Rahmen der Aktuellen Stunde nochmals nachdrücklich angeboten, entlang der Vorschläge Ihres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Schäuble, unverzüglich zu Regelungen zu kommen, die die Lohnnebenkosten immerhin um zwei Beitragspunkte bei den Sozialversicherungssystemen absenken könnten. Wenn Ihre Annahme, der wir ja weitestgehend zustimmen, daß die hohen Lohnnebenkosten auch eine Beschäftigungsbremse sind, und wenn die Anregungen vieler Fachleute und vieler Institute, daß die Umfinanzierung eines Beitragspunktes zu Lasten einer Erhöhung der Verbrauchsteuer einen Beschäftigungseffekt in einer Größenordnung von etwa 100 000 Arbeitsplätzen bedeuten würde, richtig sind, dann würde die vorgesehene und von uns in den letzten Jahren immer wieder angeregte Umfinanzierung in einer Größenordnung von zwei Beitragspunkten - dem hat sich Ihr Fraktionsvorsitzender vorgestern ausdrücklich angeschlossen - zu einem Beschäftigungseffekt von immerhin 200 000 Arbeitsplätzen führen. Das ist nicht die Lösung des Problems. Aber es wäre der Anfang vom Ende der Selbstblockade dieser Koalition. Dazu würden wir Ihnen liebend gerne die Hand reichen, weil wir ein großes Interesse daran haben, daß der Reformstau in Deutschland aufgelöst wird. ({3}) Sie müssen uns dann aber erklären, daß Sie bereit sind, den Anregungen Ihres Fraktionsvorsitzenden zu folgen, und daß Sie Herrn Schäuble nicht - wie sich das andeutet - im Regen stehenlassen. Das müssen Sie uns vorher erklären. Dann würde es Wege geben, den unerträglichen Reformstau in Deutschland aufzulösen. Wenn Sie aber nicht bereit sind, den Anregungen Ihres Fraktionsvorsitzenden zu folgen, dann sollten Sie endlich aufhören, der SPD eine Blockadepolitik vorzuhalten. Sie sollten sich vielmehr endlich der Wahrheit stellen und den Anregungen Ihres früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Barzel folgen, der Ihnen in den letzten Wochen ins Stammbuch geschrieben hat: Die Blockadepolitik liegt ausschließlich in der Selbstblockade dieser Koalition. ({4}) Das ist dann endgültig und unwiderruflich bestätigt, wenn Sie den Vorschlägen Ihres Fraktionsvorsitzenden nicht zu folgen bereit sind. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schreiner, ich habe mich eigentlich auf einen Beitrag zu Ihrem Antrag vorbereitet. Aber wenn Sie heute die allgemeine Diskussion wieder eröffnen, dann erlauben Sie mir, darauf einige Sätze in aller Deutlichkeit zu sagen. Weil Sie davon reden, daß wir hier unseren Fraktionsvorsitzenden im Regen stehenlassen, sage ich Ihnen: Schauen Sie einfach einmal heraus! Draußen scheint die Sonne; es regnet nicht. Leisten Sie heute abend im Vermittlungsausschuß den Beitrag, auf den ganz Deutschland wartet, damit wir mit den wichtigen Reformen weiterkommen! Da sind Sie am Zuge und nicht die Koalition. ({0}) Verehrter Herr Kollege Schreiner, wir werden den Weg der Reformen für mehr Beschäftigung weitergehen. Der Vorwurf an Sie, daß Sie Blockadepolitik machen, ist in der Tat richtig. Wir haben das doch in den letzten anderthalb Jahren erlebt. Nach den Entscheidungen im Rahmen des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung haben wir viele Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir haben das 50Punkte-Programm bis auf die zwei Punkte, bei denen der Vermittlungsausschuß noch tätig ist, mehr oder weniger abgearbeitet. Wir haben Ihre Blockadepolitik bei der Gesundheitsreform erlebt. Wir haben ein Gesetz gemacht, von dem der eine oder andere sagt, dort seien Regelungen enthalten, die besser handhabbar sind, und das im Bundesrat gescheitert ist. Was ist das anderes als Blockadepolitik? ({1}) Wir haben eine Reform des Arbeitsförderungsgesetzes auf den Weg gebracht. ({2}) Die erste Version ist im Bundesrat gescheitert. Interessanterweise präsentieren Sie heute in dem Antrag, der eigentlich ein Streitpunkt in dieser Debatte sein könnte, Maßnahmen, die damals vorgesehen waren. Sie haben diese Reform des Arbeitsförderungsgesetzes abgelehnt und im Bundesrat Blockade betrieben. Das heißt, wir haben einen zweiten Entwurf nachliefern müssen, der zum 1. April in Kraft getreten ist. ({3}) - Herr Schreiner, Schreien reicht nicht; Handeln ist wichtig. Heute abend können Sie den Beweis antreten. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Meckelburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Kollege, nachdem Sie der SPD soeben ausgerechnet bei der Arbeitsmarktpolitik Blockade vorgeworfen haben, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nach Auffassung von Präsident Jagoda, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, die Maßnahmen der Bundesregierung im Arbeitsförderungsrecht dazu geführt haben, daß wir im Vergleich des Monats September 1997 zum Monat September 1996, also innerhalb eines Jahres, allein deswegen 300 000 Arbeitslose mehr haben, weil in diesem Umfang weniger Menschen in den Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung eingeschlossen sind? Sind Sie zudem bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD-Fraktion im vorigen Jahr einen eigenen Gesetzentwurf für ein neues Arbeits- und Strukturförderungsgesetz mit dem Ziel präsentiert hat, 500 000 Menschen aus der offenen Arbeitslosigkeit herauszuführen, und daß die Koalition diesen Gesetzentwurf blockiert hat? Das Ergebnis dieser Blokkade besteht heute darin, daß wir jetzt nicht 500 000 Arbeitslose weniger - so wäre es gewesen, wenn man der SPD gefolgt wäre -, sondern 300 000 Arbeitslose mehr haben, weil die Koalition alle vernünftigen Politikansätze blockiert. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß natürlich auch Sie Gesetzentwürfe eingebracht haben. Ich bin aber nicht bereit, hinzunehmen, daß die Zahlen, die Sie vorrechnen, hier als bare Münze hingestellt werden und alle Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt auf Gesetzgebungsmaßnahmen zurückgeführt werden, die wir getroffen haben. Es wäre an vielen Stellen hilfreich gewesen, Herr Schreiner, wenn wir an den Fragen - wenn man miteinander redet, stellt man häufig fest, daß man an vielen Stellen wesentlich näher beieinander ist, als wir draußen zu erkennen geben - wirklich gemeinsam gearbeitet hätten. Ich finde interessant - wenn wir schon beim Vergleichen sind -, daß wir einmal einen Vergleich zwischen dem ziehen, was wir uns im „Bündnis für Arbeit" Anfang des Jahres 1996 vorgenommen haben, und dem, was wir im April und Juni letzten Jahres auf den Weg gebracht haben. Wir stellen heute fest, daß von den 50 Punkten, die dort vorgesehen sind, fast alle erledigt wurden, mit Wirkungen, die nicht kurzfristig, aber mittelfristig auf dem Arbeitsmarkt eintreten sollen. Das ist eine Maßnahme, die sich gelohnt hat. Da haben Sie in der Tat an vielen Stellen Blockadepolitik betrieben. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist ein Ziel, die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Das ist ein gemeinsames Ziel. Deswegen ist hier die Stelle, wo man gemeinsames Handeln einfordern muß. Es bleibt ein Ziel, die Steuerreform mit niedrigen Tarifen durchzusetzen. ({1}) Sie müssen einmal draußen mit den Bürgern sprechen. Ich habe das wirklich erlebt, weil ich das Bundestagsmobil bei mir im Wahlkreis hatte. ({2}) - Das ist der beste Kontakt. Wenn Sie wenig Bürgerkontakt haben, empfehle ich Ihnen, das zu tun. Sie kommen wirklich mit allen Bürgern aller Schichten und aller Bereiche zusammen. Da treffen Sie auf Vertreter des Einzelhandels, des Handwerks und der Industrie, die wir zu Gesprächen eingeladen hatten. Ihre Forderungen waren: durchweg niedrige Tarife, weg mit den Steuerschlupflöchern. Wenn Sie mit den Bürgern sprechen, bekommen Sie dieselbe Antwort. Sie sagen: Wir wollen niedrige Tarife haben. Wir wollen, daß die Steuerschlupflöcher gestopft werden. Wir wollen, daß damit mehr Durchsichtigkeit, mehr Gerechtigkeit und niedrigere Tarife bei den Steuern erreicht werden, weil das für mehr Arbeitsplätze und mehr Beschäftigung in den kommenden Monaten notwendig ist. ({3}) Es sind natürlich auch von Herrn Schreiner ein paar Punkte angesprochen worden, die mit dem Themenbereich zu tun haben. Es geht um die 610-DMJobs und die Scheinselbständigkeit. Wir sind da in einer ständigen Diskussion. Ich sage das hier sehr offen: Ich kenne zwei Stellen bei den 610-DM-Jobs, bei denen wir aufpassen müssen. Da müssen wir miteinander weiterkommen. Ich sage das in aller Offenheit, Frau Babel, weil ich nicht nachvollziehen kann: Wenn jemand 4000 DM verdient, dann zahlt er normal seine Steuern und Abgaben. Auch jemand, der 4610 DM verdient, tut dies. ({4}) Aber einer, der 4000 DM im ersten Job verdient und zusätzlich 610 DM, wird anders behandelt; er steht besser da. Das dürfen wir nicht zulassen. Darüber müssen wir ernsthaft reden, weil das ein Thema ist. ({5}) Ich sage das deswegen so deutlich, um gleichzeitig hinzuzufügen ({6}) - hören Sie auf mit „Sehr gut" -, daß dies nicht bedeutet, daß ich mich generell dafür ausspreche, alle 610-DM-Jobs, alle Geringverdiener, wirklich voll zu belasten und so zu besteuern, daß am Ende keine mehr da sind. Wir brauchen sie dringend. Aber wir müssen an den Stellen Korrekturen vornehmen, wo sie notwendig sind. Es ist ein zweites Thema angesprochen worden: Scheinselbständigkeit. Da sind wir in der Diskussion. Der Antrag, den die SPD gestellt hat - darüber haben wir vor einigen Monaten diskutiert -, führt nach einer Studie des Arbeitsmarktinstitutes bei der Bundesanstalt für Arbeit nachgewiesenermaßen solche Kriterien ein, die eigentlich nicht funktionieren. Ich warne davor, hier eine Auseinandersetzung über Stellen zu führen, die sicherlich zu einem Bündel von Maßnahmen dazugehören. Wir dürfen aber, Herr Schreiner, draußen nicht den Eindruck erwecken, daß, wenn wir die 610-DM-Jobs an manchen Stellen korrigieren und wir in dem Bereich der sogenannten Scheinselbständigkeit - dabei kann man lange streiten, wie groß dieser ist - zu Regelungen kommen, wenn wir illegale Beschäftigungen noch massiver bekämpfen, als wir das bisher tun, die Probleme des Arbeitsmarktes gelöst sind. Die entscheidenden Fragen, um dort voranzukommen, sind diejenigen, Herr Schreiner, die Sie im Bundesrat blockiert haben. ({7}) Lassen Sie mich noch zwei, drei Sätze zu dem vorliegenden Antrag sagen, der der eigentliche Grund der heutigen Beratung ist. Da wird - davor möchte ich warnen - der Eindruck erweckt - das kann man im Titel dieses Antrags erkennen -, als ob es dann, wenn wir dem Antrag folgen und illegale Beschäftigung durch konsequentes gemeinsames Handeln von Bund und Ländern unterbinden würden, dort ein riesiges Potential gäbe, wo noch etwas gemacht werden muß. ({8}) Ich will nicht verleugnen, daß es da Probleme gibt. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß wir in den letzten Jahren und Monaten durch konkretes gesetzliches Handeln und durch Tätigwerden vor Ort eine Menge illegaler Beschäftigung aufgedeckt haben und zu Ergebnissen gekommen sind. Es darf nicht nach den Stammtischparolen gehen - auch diese hört man draußen häufig -: Bekämpft nur illegale Beschäftigung! Bekämpft Schwarzarbeit! Bekämpft die Überlassung illegaler ausländischer Arbeitnehmer! Dann ist das Problem gelöst! - Solche Scheingefechte sollten wir wirklich nicht führen; denn sonst wird ein falscher Eindruck erweckt. Dann noch ein Wort zu der angestrebten Kontrolle. Man muß einmal durchdenken, was hier vorgeschlagen wird und wie schwierig die Lösung des Problems wirklich ist. Wer eine hundertprozentige Bekämpfung illegaler Beschäftigung will, der muß auch hundertprozentige Kontrolle haben. Konkret gesagt heißt das: Jeder illegal Beschäftigte müßte jemanden neben sich stehen haben, der kontrolliert, ob er wirklich illegal beschäftigt ist. Herr Schreiner, da man von vornherein gar nicht weiß, ob jemand illegal beschäftigt ist, müßten auch alle diejenigen, die legal beschäftigt sind, einen solchen Kontrolleur neben sich haben. ({9}) Ich überziehe das einmal so, um deutlich zu machen: Kontrolle allein reicht an dieser Stelle nicht aus. Wir sind darauf angewiesen, daß Menschen vor Ort bei Wind und Wetter hinausgehen, Kontrollen durchführen und ihren Job wirklich machen. Wir haben Regelungen vorgelegt, die dabei helfen. Wir sollten an dieser Stelle auch einmal denen Dank sagen, die geholfen haben, in vielen Bereichen illegale Beschäftigung aufzudecken und der Strafverfolgung zuzuleiten. ({10}) Meine Damen und Herren, ich finde, der heutige Tag ist ein Tag, an dem sich entscheiden könnte, ob wir in den kommenden Monaten weiterkommen und ob wir die entscheidenden Bereiche, was die Steuerreform und die Rentenreform angeht, wirklich nach vorne bewegt bekommen. Das ist eine Entscheidung, die heute nicht in diesem Hause fällt, sondern eine Entscheidung, die heute abend, nach 20 Uhr, im Vermittlungsausschuß fällt. Ich möchte Sie herzlich bitten, alles daranzusetzen, daß wir in Richtung Senkung der Lohnnebenkosten vorankommen. Bewegen Sie sich in diesem Bereich, ({11}) damit wir hinsichtlich der Festlegung niedrigerer Tarife vorankommen und damit wir die Blockadeklötze wegschlagen, die ständig im Weg sind, um zu mehr Arbeit und Beschäftigung zu kommen. Ansonsten wird man Sie, wenn heute abend eine Einigung nicht zustande kommt, nicht von dem Vorwurf freisprechen können, daß Sie wichtige Maßnahmen, die dringend notwendig sind, blockiert haben. ({12}) Sie werden dafür bei den Wahlen im nächsten Jahr sicherlich die Quittung bekommen. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Abgeordnete Annelie Buntenbach.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die seit Jahren anhaltende Massenarbeitslosigkeit zerreißt die Gesellschaft in diejenigen olympiareifen Mannschaften, die noch einen Job haben und rund um die Uhr arbeiten müssen, und in diejenigen, die draußen stehen. Die Wege zurück aus der erzwungenen Ausgrenzung von der Erwerbslosigkeit sind verbaut. Wir haben drinnen die Stammbelegschaften und draußen eine immer größer werdende Gruppe von Menschen. Inzwischen haben wir eine dritte Gruppe - darauf hat Kollege Schreiner vorhin schon hingewiesen -, die am Rand dieser Belegschaften steht, die flexibel und möglichst billig die Spitzen der Produktion in den Unternehmen abfangen soll, und zwar ohne soziale Sicherung, meist befristet und meist auf Abruf. ({0}) Das heißt, daß wir uns, wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, von der alten Vorstellung von Normarbeit verabschieden müssen und Vollbeschäftigung als gesellschaftliches Ziel ganz neu fassen müssen, nämlich als Anspruch auf eine existenzsichernde Teilhabe für alle, Männer wie Frauen, an der Erwerbsarbeit. ({1}) Das bedeutet eine Neuverteilung von Arbeit, und zwar von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Das bedeutet gleichzeitig - darauf hat der Kollege Schreiner schon hingewiesen - eine Absicherung jeder dauerhaften Beschäftigung. Die Sozialversicherung darf nicht weiter durch unverantwortliche Deregulierungspolitik ausbluten. ({2}) Über Sonntagsreden kommen auch Sie, Herr Mekkelburg, nicht hinaus, wenn es um die Sozialversicherungspflicht für die 610-DM-Jobs geht. ({3}) Damit können wir natürlich den Anspruch der Frauen auf eine eigenständige soziale Sicherung noch nicht realisieren. Mit dem, was Sie jetzt vorgeschlagen haben, können wir auch das Problem der Scheinselbständigkeit noch nicht lösen. Die Probleme liegen klar auf dem Tisch. Die Vorschläge der Opposition liegen ebenfalls auf dem Tisch. Wir warten auf die Vorschläge der Regierung oder darauf, daß sich die Regierung unseren Vorschlägen anschließt. Die illegale Beschäftigung, ebenfalls ein Teil dieser Randbelegschaften, hat in den letzten Jahren unglaublich zugenommen. Gerade in der Bauwirtschaft hat die illegale Beschäftigung inzwischen unglaubliche Ausmaße angenommen; die Bauwirtschaft ist schon seit Jahren ein Experimentierfeld für Lohn- und Sozialdumping. Als Folge eines verspäteten und halbherzigen Entsendegesetzes gibt es jetzt zwar Kontrollen auf den Baustellen. Sie fördern die Mißstände - bei weitem nicht alle - aber nur zu tage; sie ändern sie nicht. Die Razzien richten sich in der Praxis gegen die Leute, die sich unmittelbar auf der Baustelle aufhalten. Die sind aber die Opfer, nicht die Täter. Sie zahlen oft einen hohen Preis, bis hin zur Ausweisung oder Abschiebung. Mit den Razzien erwischen Sie doch nicht diejenigen, die sich an diesen armen Leuten eine goldene Nase verdienen und die sich, wenn die einen weg sind, mit denselben falschen Versprechungen eben die nächsten holen. Genau diese üblen Praktiken aber sind es, die es zu unterbinden gilt. Annette Buntenbach Daran sind nicht nur ausländische Unternehmen oder kleine unbekannte Firmen beteiligt, sondern auch die großen Konzerne der Baubranche. Der Stuttgarter Baukonzern Züblin zum Beispiel hat extra eine 100prozentige portugiesische Tochterfirma mit Namen Zucotec gegründet, die auf verschiedenen Baustellen in Berlin tätig ist. ({4}) Die Arbeitnehmer unterschreiben in Portugal mit der Firma Zucotec einen Arbeitsvertrag, bevor sie nach Deutschland einreisen. Darin ist vertraglich festgelegt: eine wöchentliche Arbeitszeit von 43 Stunden und ein Monatslohn zwischen 690 DM und 760 DM. Damit liegt der vereinbarte Stundenlohn, den die Firma zahlt, zwischen 4,08 DM und 4,61 DM und um mindestens 1500 DM monatlich unter dem geltenden Mindestlohn, der den Arbeitern zustünde. Die Arbeiter könnten natürlich versuchen, ihn einzuklagen; aber diese Klage können sie nur beim Arbeitsgericht in Lissabon einreichen. Diesen Weg werden sie nicht gehen, solange der halbjährige Arbeitsvertrag besteht, weil sie Angst vor Repressalien oder der Kündigung haben müssen. Andere Firmen - und damit komme ich zu den Sub- und Subsubunternehmern - beschäftigen ihre Mitarbeiter illegal, ohne Anmeldung, ohne Sozialversicherungsausweise, ohne Krankenversicherung, zwingen sie zu viel zu langen Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden am Tag und schmeißen sie willkürlich raus, ohne die Löhne zu zahlen. Selbst in Fällen, in denen die Arbeiter eindeutig betrogen worden sind, vom Arbeitgeber mit falschen Papieren und leeren Versprechungen getäuscht worden sind, haben die Betroffenen keine Chance, ihren Rechtsanspruch auf ihren Lohn hier in Deutschland durchzusetzen. Sie werden ausgewiesen, was das Verfahren ausgesprochen kompliziert bis unmöglich macht, während der Betrüger weiter frei herumläuft. Hier müssen wir endlich die Rechtsstellung der Opfer solcher Praktiken stärken. Dazu gehört, daß diejenigen, die Anzeige erstatten und versuchen, ihren Anspruch einzuklagen, eine reelle Chance dazu haben müssen. Diese haben sie nur von hier aus. Was die Leute brauchen, ist Beratung, sind Anlaufstellen und Rechtsschutz. Das letzte, was hilft, ist eine Dauerdebatte darüber, wie man sie noch schneller rausschmeißen kann. Was ich hier geschildert habe, sind nicht etwa Vorfälle aus grauer Vorzeit. Sie haben sich vielmehr trotz des jetzt gültigen Entsendegesetzes so ereignet. Wenn wir diesen neuen Menschenhändlern das Handwerk legen wollen, dann müssen wir mehr und anderes unternehmen als bisher. Wir müssen auch bei den Unternehmern ansetzen und zum Beispiel den Generalunternehmer in Gesamthaftung für das Projekt nehmen, für das er die Verantwortung übernommen hat. Wir haben die Durchgriffshaftung im Entsendegesetz schon verankern wollen; sie ist längst überfällig. Zur Zeit kann sich nämlich der Unternehmer gefahrlos mit den entsprechenden Unterlagen und Versicherungen des Subunternehmers zufriedengeben - wohl wissend, daß die angebotenen Preise mit vernünftigen Arbeitsbedingungen und mit der Sozialversicherungspflicht gar nicht zu halten sind. Papier ist bekanntlich geduldig. Je mehr Untervergaben stattfinden, desto unübersichtbarer wird die Situation. Daß das so schwer zu überprüfen ist, ist ja auch die Crux bei den Tariftreue-Erklärungen, die glücklicherweise eine Reihe von Ländern und Kommunen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen inzwischen einzufordern beschlossen haben. Solange es keine Durchgriffshaftung gibt und der Generalunternehmer nicht wirklich für jegliche Illegalität verantwortlich gemacht werden kann, heißt die Alternative für die öffentliche Hand, wieder einzelne überschaubare Gewerke zu vergeben. So jedenfalls kann es nicht weitergehen. ({5}) Hier setzt auch der SPD-Antrag an, der die Situation überschaubarer machen und damit illegale Beschäftigung unterbinden will, der sie allerdings - das glaube ich - bestenfalls erschweren wird. Aber das wäre ja auch schon ein Schritt. Immerhin würde die Umsetzung des Antrags dem unglaublich peinlichen Zustand ein Ende bereiten, daß die Bundesregierung nicht weiß, wer was auf ihren Baustellen in Berlin eigentlich tut - jedenfalls wenn man ihrer Antwort auf die Anfrage des Kollegen Büttner glauben darf. Was die Menschen an der Situation in Berlin so zornig macht, ist, daß nicht etwa die „freie Wirtschaft" in ihrer bekannten und immer wieder beschworenen Unübersichtlichkeit für die unglaublichen Situationen auf den Baustellen verantwortlich ist - einschließlich übrigens, wie wir inzwischen alle wissen, illegaler Beschäftigung -, sondern daß es die öffentliche Hand ist. Herr Bauminister Töpfer hat jetzt, im Juli 1997, den Beschluß gefaßt, daß das Bauministerium künftig nur noch Aufträge vergeben will, wenn tarifvertragliche und öffentlich-rechtliche Bestimmungen eingehalten werden - ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings viel zu spät, ({6}) nicht nur, weil die Forderung schon seit Jahren auf dem Tisch liegt, sondern weil inzwischen leider - das wissen Sie genauso wie wir - die meisten Verträge für die Bauten zum Hauptstadtumzug längst geschlossen sind, und zwar ohne diese Vorgabe. Das Entsendegesetz hat in seiner gesamten Anlage und seiner Umsetzung eine ausgesprochene Schlagseite: Es trifft diejenigen, die auf den Baustellen angetroffen werden, und nicht diejenigen, die sie dahingebracht haben und die davon profitieren. Zu tatsächlichen Verurteilungen auf der Unternehmerseite ist es bislang nicht gekommen, lediglich zu im Vergleich zu den lockenden Profiten viel zu geringen Bußgeldern. Dazu kommt, daß Bußgelder natürlich bei weitem nicht die gleiche Signalwirkung haben, wie sie gegeben wäre, wenn der erste Unternehmer ins Gefängnis gehen müßte. Die Abteilung Wirtschaftskriminalität ist bei den Staatsanwaltschaften chronisch unterbesetzt. Hier hakt es. Wenn die Überprüfung einer Baustelle ausreichende Verdachtsmomente gegen einen Unternehmer ergibt, werden die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, die dem dann aber nicht ausreichend nachgehen kann, sondern das Verfahren an die Bundesanstalt für Arbeit zurückgibt, die dann nur einen Bußgeldbescheid verhängen kann, weil sie keine anderen Handlungsmöglichkeiten hat. Bei den Staatsanwaltschaften müßten Schwerpunkte für diese neue Art der Kriminalität gebildet werden. Ich weiß, daß das Landessache ist. Auch hier auf der Bundesebene gibt es eine ganze Menge zu tun: Das Entsendegesetz selbst muß nachgebessert werden - und das ganz dringend. ({7}) Ich will einige Stichworte nennen: Neben der Verbesserung des Datenflusses, wie der SPD-Antrag sie einfordert, sind die Durchgriffshaftung für den Generalunternehmer und die Verbesserung der Rechtsstellung der Betroffenen, insbesondere der ausländischen Kollegen, zu nennen. Jeder Unternehmer muß doch zumindest seine Legalität nachweisen und eine Bescheinigung über seinen Firmensitz vorlegen, und bis zum letzten Subunternehmer ist eine Kaution für die Lohnschulden zu hinterlegen. Alles das passiert im Moment nicht. Aber wenn wir Europa als gemeinsamen Gestaltungsraum ernst nehmen, müssen wir europäische Regeln entwickeln. Zur Zeit ist noch nicht einmal geklärt, wo welches Arbeitsrecht gilt und wo die Betroffenen klagen können, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, müssen endlich handeln und Schluß machen mit Ihren unverantwortlichen Halbherzigkeiten rund um das Entsendegesetz, die sich nun schon seit Jahren hinschleppen. Die Situation am Bau ist nach wie vor katastrophal. So wie im Moment die Menschen gerade am Bau gegeneinander ausgespielt werden, mit Unterbietungskonkurrenz und regelrechtem Menschenhandel, entstehen nationale Ressentiments, und es entsteht mit Sicherheit kein weltoffenes Europa. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Abgeordnete Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! In der Diskussion um die Steuerreform spielte die sogenannte Steuermoral eine große Rolle. Sind Steuersätze zu hoch, ist das Steuerrecht zu kompliziert, werden Steuern als ungerecht empfunden, und der Bürger flieht in die Illegalität und entzieht sich seinen Verpflichtungen gegenüber dem Staat. Wir sehen aus diesem Tatbestand die Notwendigkeit zur Reform. ({0}) Etwas Ähnliches vollzieht sich in der Arbeitswelt. Da sind die Auswirkungen allerdings noch gravierender. Leidtragende sind nämlich nicht nur die Steuerkasse und die sozialen Sicherungssysteme, betroffen sind auch die Arbeitnehmer selbst, die durch die Folgen der Schwarzarbeit arbeitslos werden und zuweilen in die illegale Beschäftigung ausweichen. Lohnkosten und gesetzliche Lohnnebenkosten die gesetzlichen Lohnnebenkosten belasten einen Arbeitsplatz um 41 Prozent - werden auch als zu hoch empfunden. Wer kann, entzieht sich dieser Belastung. Auch die Überreglementierung der Arbeitswelt trägt zur Schwarzarbeit bei. In diesem Land kommt es vor - ich will jetzt plastische Beispiele aus der anderen Richtung nennen -, daß Unternehmer in Kündigungsschutzprozessen zu Abfindungen verurteilt werden, die den ganzen Betrieb gefährden. Auch das ist ein Motiv, sich der Sache zu entziehen. Verschärft wird die Situation durch zum Teil hochkomplizierte und unflexible Tarifverträge, mit denen auch kleine und mittlere Unternehmen ohne Personalabteilung nur schwer zurechtkommen. Gerade in der Bauwirtschaft haben längst viele Tarifverträge den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Die Folgen dieser Entwicklung sind dieselben wie im Steuerrecht: Die Betroffenen entziehen sich ihrer Verpflichtung oder versuchen es zumindest. Bindende Tarifverträge werden nicht mehr eingehalten. Die Schwarzarbeit blüht. Die illegale Beschäftigung von Ausländern wird zu einem breiten Massenphänomen. In diesem Klima gedeiht die Rechtlosigkeit mit allen Spielarten illegaler Beschäftigung und deren zum Teil schlimmen Auswüchsen. Wie in keiner anderen Branche flüchten die Betroffenen in der Bauwirtschaft aus der, man könnte sagen: virtuellen Welt gesetzlicher und tariflicher Vorschriften in die Illegalität. Es ist sicher nicht nur ein Gerücht, daß in den neuen Bundesländern der tariflich vereinbarte Lohn von 15,15 DM pro Stunde überhaupt nicht mehr gezahlt wird. Sicher ist es schwierig, das zu beweisen, aber Tatsache ist, daß dieser allgemeinverbindlich erklärte Mindestlohn in der Baubranche im Osten, wenn er nicht gezahlt wird, Illegalität provoziert und produziert. Die Folgen der illegalen Beschäftigung sind vielfältig: Dem Staat entgehen Steuern, den Sozialkassen Beiträge, und die illegale Beschäftigung steigert die Arbeitslosigkeit. Der rechtsfreie Zustand für illegal Beschäftigte ist oft unerträglich. Berlin ist in besonderer Weise betroffen. Obwohl die Bauwirtschaft boomt, kämpft die Stadt mit Tausenden von arbeitslosen Bauarbeitern. Ich habe imDr. Gisela Babel mer noch nicht verstanden, warum man diese Situation nicht besser kontrollieren kann. Schlimm und unwürdig ist die Situation vieler illegal aus dem Ausland eingewanderter Arbeitnehmer. Ich will aber noch eines sagen: Illegale Beschäftigung enthält auch die Kampfansage an den Rechtsstaat. Es kann nicht hingenommen werden, daß beschlossene Gesetze und getroffene Vereinbarungen - ich betrachte auch einen Tarifvertrag als eine getroffene vertragliche Vereinbarung mit Bindung - einfach ignoriert werden oder nur von einigen beachtet werden. ({1}) Durchzusetzen, daß die Regeln eingehalten werden, ist gewiß schwer; denn eines muß man sagen: Opfer und Täter sind meist mit der Schwarzarbeit sehr zufrieden. Sie tun alles, um den Staat herauszuhalten. Nun gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Möglichkeiten, den Sumpf, über dessen Bestehen wir uns einig sind, auszutrocknen. Eine Möglichkeit ist: Illegale Arbeit verschwindet dann von selbst, wenn sich legale Arbeit lohnt, das heißt, daß zuerst und vor allem die Bedingungen für die legale Arbeit verbessert werden müssen. Das geht sicher nicht von heute auf morgen. Die zweite Möglichkeit ist, die Kontrolle und Sanktionen zu verbessern. Einigen Ihrer Vorschläge, Frau Buntenbach, zum Beispiel zur Frage des Gerichtsstands, zum Bemühen, den Rechtsschutz wirksam zu machen, damit er auch in Deutschland durchgesetzt werden kann, könnte man sich durchaus nähern. Ich komme zum ersten Punkt zurück, zu den besseren Rahmenbedingungen für die legale Arbeit. Was heißt das in der Praxis? Zuerst müssen sich die Tarifverträge der Realität stellen: Entweder finden die Tarifvertragspartner zu neuen Vereinbarungen, oder der Flächentarifvertrag kann praktisch als aufgegeben betrachtet werden, wenn er von keinem mehr beachtet wird. Wenn schon Mindestlohn, dann bitte einen, der nicht dem Wunschdenken von Funktionären entspricht, sondern wenigstens annähernd die betriebliche Wirklichkeit widerspiegelt. ({2}) Das gesamte Tarifgefüge muß sich an der wirtschaftlichen Realität ausrichten. Ob Arbeitgeber und Gewerkschaften hierzu fähig sind, wird sich herausstellen. Der Lackmustest war die neue Regelung zum Schlechtwettergeld. Da haben wir als Gesetzgeber um den Tarifvertrag herum nun fast einen Maßanzug geschneidert. ({3}) Das letzte Mal, als wir das versucht haben, haben wir festgestellt, daß es trotzdem Hunderttausende von arbeitslosen Bauarbeitern im Winter gab. Die ganze Regelung hat nicht viel getaugt. Ich hoffe also, daß unser zweiter Anlauf etwas erfolgreicher ist. ({4}) - Nun sind Sie ja hinter der Wirklichkeit weit zurück; denn selbst mit den Gewerkschaften ist man hier zu einer Lösung gekommen. Sie sollten jetzt nicht die Schlachten von vorgestern führen. ({5}) Tarifverträge der Zukunft müssen sich an der Produktivität orientieren und Betrieben Freiraum lassen. Das sind unerläßliche Bedingungen für mehr legale Beschäftigung und weniger Illegalität. Hier kann der Gesetzgeber mit seinen Gesetzen und Verordnungen auch gar nichts bewirken. Das ist Aufgabe der Tarifpartner. Aber ich will auch nicht leugnen, daß die Politik mehr tun muß - vielleicht sind das andere Stichworte, als Ihnen einfielen -: Steuer- und Abgabensenkungen, Entbürokratisierung des Arbeitsrechtes. Die Koalition will Steuersenkungen und versucht, diese durchzusetzen. Lafontaine und Genossen haben es bisher verhindert. Heute abend haben Sie noch einmal eine Chance, die Blockade aufzuheben. Ich fordere Sie eindringlich dazu auf. ({6}) Wenn Sie bei der großen Steuerreform mitmachen, ist das ein viel besserer Beitrag zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung, als einen Antrag einzubringen, wie er hier zur Debabtte steht. Abgabensenkungen sind nur sinnvoll, wenn die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden. Nur wer dort spart, kann Beiträge senken. ({7}) Die Koalition hat alle Sozialzweige reformiert. Das senkt die Beiträge nicht schnell; aber mittelfristig werden sie sinken. Auch die Deregulierung des Arbeitsrechtes haben wir gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt. ({8}) Die Koalition hat also bewiesen, daß sie die Aufgabe ernst nimmt. Herr Kollege Schreiner, ich muß schon bewundern, daß Sie eine Rede zu dem Antrag der SPD halten, ohne auch nur ein Wort über den Inhalt dieses Antrages zu verlieren. ({9}) Dieser Antrag ist - ich hoffe, Frau Präsidentin, daß dieser Ausdruck noch parlamentarisch ist - wahnsinnig. Alle Überwachungsstellen sollen konkrete Angaben darüber erhalten, welche deutschen, welche EU-Firmen und welche NichtEU-Firmen bei öffentlichen Bauvorhaben als Unternehmer, Subunternehmer oder Werkvertragsunternehmer Aufträge ausführen. Entsprechende Listen sollen den Arbeits-, den Gewerbeaufsichtsämtern, den Berufsgenossenschaften und den Hauptzollämtern vorgelegt werden. ({10}) Ein Stern wird schneller verglühen, als daß ein Bauauftrag von einer Liste verschwindet. Stellen Sie sich einmal vor, welch riesiger Aufwand an Bürokratie das ist. ({11}) Mehr Listen, mehr Behörden, mehr Kontrollwege sind Ihnen vermutlich nicht eingefallen. Das Ganze erinnert in seiner Perfektion schon an die Befestigungsanlagen der ehemaligen innerdeutschen Grenze. ({12}) Sicherlich brauchen wir auch Kontrollen und Sanktionen, um illegale Beschäftigung zu bekämpfen. Denn die Zahlen sind ja ganz eindrucksvoll: Die Bundesanstalt hat allein im Januar dieses Jahres 2 650 Mitarbeiter ausgeschickt, die 14 500 Arbeitnehmer überprüfen. Im März dieses Jahres haben mehr als 3 000 Kontrolleure 18 000 Arbeitnehmer überprüft. Dennoch kann man nur von Stichproben reden. Genutzt hat das allerdings nur wenig. Selbst wenn wir den Wünschen der SPD entgegenkommen würden, die Listen erstellen und die Bürokratie institutionalisieren - das Problem der illegalen Beschäftigung wird sich damit nicht lösen. Das ist wie im Steuerrecht: Jeder Unternehmer, jeder illegale Arbeitnehmer ist schneller und findiger, als der Staat es sich auszumalen vermag. Bestes Beispiel ist das Entsendegesetz. Wir als F.D.P. haben immer darauf hingewiesen, daß sich das nicht kontrollieren läßt. Der Bundesarbeitsminister hat in seinem Bericht vom 11. April dieses Jahres eindrucksvoll ausgeführt, welche Phantasie für die Umgehung all dieser Tatbestände aufgewandt wird. Nein, meine Damen und Herren, davor sollte man die Augen wirklich nicht verschließen. Die Koalition plant weitere Maßnahmen. Sie liegen auch auf dem Gebiet der Kontrolle, des Bußgeldrahmens, vielleicht des Gerichtsstandes. Sicher wird die Bundesanstalt auch weitere Kontrollen durchführen. Ich verkenne nicht, daß ich den Erfolg aller dieser, auch der noch anstehenden Regelungen skeptisch beurteile. Zumindest zeigen sie den Willen, etwas zu tun. Illegale Beschäftigung ist der Fluch eines überbordenden Sozialstaatswesens, ({13}) sein dunkles Spiegelbild. Nicht Kontrolle ist die richtige Antwort, sondern Reform. Ich bedanke mich. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es folgt der nächste Debattenbeitrag durch die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Babel, was bringt eigentlich die ganze große Steuerreform an Arbeitsplätzen? Wir haben eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Sie hat uns geantwortet: ganze 50 000 Arbeitsplätze. Angesichts der Dimension der Massenarbeitslosigkeit, die wir gegenwärtig haben, wundere ich mich, daß Sie sich noch trauen, das hier als das Konzept für die Zukunft zu präsentieren. ({0}) Ein Gesetz, zumal wenn es verspätet und halbherzig daherkommt, nützt nichts, wenn es nicht eingehalten wird. Für das Entsendegesetz gilt das ganz nachdrücklich. Wir erfahren jeden Tag, was sich auf den Baustellen hierzulande abspielt. Trotz Entsendegesetz werden Mindestlöhne so gut wie nirgendwo gezahlt. Stundenlöhne zwischen 4 und 8 DM sind immer noch an der Tagesordnung. Den schlimmsten Auswuchs hat die Baugewerkschaft kürzlich in Leipzig festgestellt, wo Arbeiter aus Kroatien für 62 Pfennig in der Stunde ausgebeutet werden. Das ist doch wirklich ein Skandal. Das ist illegale Beschäftigung schlimmster Sorte. 400 000 Menschen aus anderen Ländern arbeiten auf deutschen Baustellen, davon nur ganz wenige legal. Menschenunwürdige Unterkünfte, katastrophale hygienische Bedingungen, mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, Doppelschichten, Hungerlöhne - das ist die Realität auf deutschen Baustellen, trotz Entsendegesetz. Frau Babel, Sie haben vorhin sozusagen Beispiele von der anderen Seite berichtet. In diesem Lande kommt es eben auch vor, daß Unternehmer in Berlin ihre illegal Beschäftigten auffliegen lassen, wobei sich diese Unternehmer dann nicht nur an ihren Dumpinglöhnen bereichern, sondern sie sparen ihre Löhne gleich ein, weil die Illegalen sofort abgeschoben werden, wenn sie ohne Papiere erwischt werden. Das ist Realität auf deutschen Baustellen. Wir sind uns aber vielleicht einig, daß es sich hierbei um kriminelle Aktivitäten handelt. Vielleicht stimmen Sie mir auch darin zu, daß man Verbrechen nicht nur bekämpft, wenn man Strafen verhängt, die Gesetzesbrecher ausfindig macht und deren kriminelles Umfeld kontrolliert; es kommt darauf an, nicht nur die Tat, sondern auch die Absicht öffentlich zu brandmarken. Ohne öffentliches Unrechtsbewußtsein versagen alle Kontrollen. Dann wird die Tat zum Kavaliersdelikt. Wir kennen das zur Genüge bei der Steuerhinterziehung, beim Subventionsschwindel und auch beim Alkohol im Straßenverkehr. Bei Kavaliersdelikten ist es eben so, daß die Täter zwar mit Sanktionen, aber nicht mit ernsthafter öffentlicher Mißbilligung oder gar Verurteilung rechnen müssen, im Gegenteil. Damit bin ich bei einigen Ursachen - auf die kommt es hier an - der gegenwärtigen Misere auf dem Bau. Wer heute illegale Bauarbeiter beschäftigt, macht doch nichts anderes, als die Steilvorlagen umzusetzen, die von Regierung und Koalition permanent produziert werden. Das heißt: Löhne senken - Frau Dr. Babel, Sie haben das gerade noch einmal sehr deutlich gesagt -, soziale Rechte einschränken, Sozialabgaben reduzieren, angeblich um Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die gegenwärtige Tagesparole der Bundesregierung. Das Unternehmerlager macht da kräftig mit. Erst gestern forderte Dieter Hundt in bewährter Klassenkampfmanier die Wiedereinführung der Niedriglohngruppen. Da paßt eben alles zusammen. Was wollen Sie eigentlich Unternehmern ernsthaft vorwerfen, die illegale Beschäftigte auf ihren Bau schicken? Sie können ihnen doch bestenfalls ankreiden, daß sie beim Lohndumping und bei der Einsparung von Lohnnebenkosten übers Ziel hinausschießen, oder Sie können ihnen vorhalten, daß sie zur Selbsthilfe greifen, weil sie bei der Senkung der Lohnnebenkosten und der Löhne nicht so schnell hinterherkommen. Sie haben doch gar nichts gegen Billigstlöhne, Sie wollen sie sogar subventionieren. Sie haben auch nichts dagegen, daß Sozialbeiträge vorenthalten werden. Sie möchten sie nur anders deklarieren; Sie nennen das heute neue Selbständigkeit. Wir nennen es Scheinselbständigkeit; auch das ist ein weiterer Bereich illegaler Beschäftigung, ebenso wie die vielen sozialversicherungsfreien prekären Beschäftigungsverhältnisse, auf die sich vor allen Dingen Frauen in diesem Land einlassen müssen. Alles, was Sie auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bereits auf den Weg gebracht haben, entspricht dem gleichen Motiv und folgt der gleichen Logik, von der sich die Nutznießer illegaler Beschäftigung leiten lassen. Deshalb sind wir zwar für schärfere Kontrollen auf den Baustellen, für die Haftung der unmittelbaren Auftragnehmer, die sich nicht mehr hinter Subunternehmen verschanzen sollen, wir sind aber auch für schärfere Strafen. Wir sagen aber auch ganz offen: Was Sie hier praktizieren, ist doppelte Moral. ({1}) Der illegalen Beschäftigung ist so lange nicht beizukommen, wie Unternehmer daraus Profit ziehen und Sanktionen kaum zu fürchten haben und es Menschen gibt, für die es zum Überlebenskampf gehört, unter solchen Bedingungen arbeiten zu müssen. Daran wird sich wenig ändern, so lange in der Europa-Diskussion zwar über Konvergenzkriterien und Geldwertstabilität gestritten wird, aber nicht über die Angleichung von Sozialstandards. So lange werden portugiesische Bauarbeiter und Zimmermädchen aus Großbritannien gezwungen sein, zu Dumpinglöhnen in der Bundesrepublik zu arbeiten. Die wirksamste Bekämpfung der illegalen Beschäftigung besteht darin, bis zur Einführung des Euro eine EU-Sozialunion zu schaffen. Dazu gehört nach den Vorstellungen der PDS, zum Beispiel auf dem europäischen Beschäftigungsgipfel in Luxemburg im November konkrete Vorschläge vorzulegen. Es wäre schon viel gewonnen, liebe Kollegen von der Koalition, wenn Sie sich dazu durchringen könnten, wenigstens die europäische Entsenderichtlinie umzusetzen. Sie wissen sehr wohl, daß sie wesentlich weitgehender ist als unser halbherziges Entsendegesetz. Die PDS unterstützt den Antrag der SPD, weil mit der verbesserten Kontrolle auch der ausländischen Unternehmen endlich die eigentlich Verantwortlichen für die teilweise kriminellen Vorgänge auf den Baustellen ins Visier genommen werden. Ich denke, wichtiger wäre noch, zur Durchsetzung des Entsendegesetzes den Generalunternehmer für alle Gesetzesverstöße auf dem Bau in die Haftung zu nehmen, wie es zum Beispiel die IG-Bau vorschlägt. Es darf sich eben nicht mehr rechnen, daß illegale Beschäftigung mehr einbringt als je durch Sanktionen und Strafen abgeführt werden muß. Wichtig ist es - so die Auffassung der PDS -, daß die Unternehmen kontrolliert und bestraft werden, damit es endlich aufhört, daß allein die illegal Beschäftigten wie die Hasen über die Baustellen gejagt und - werden sie erwischt -, sofort ausgewiesen werden. Aber noch wichtiger scheint mir, die Ursachen illegaler Beschäftigung zu bekämpfen, das heißt, sozialversicherungspflichtige, existenzsichernde Arbeitsplätze für alle zu schaffen, die arbeiten wollen und können. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es folgt der Kollege Johannes Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner hat in seinem Beitrag zu fast allem gesprochen, aber kaum über den eigenen Antrag. Ich nehme ihn sehr viel ernster und werde mich einmal konkret darauf beziehen. Die Seuche von illegaler Beschäftigung und Lohndumping - um das ganz klar zu sagen - vor allem auf dem Bau muß mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Ich stelle hier klipp und klar fest: Wir wollen denjenigen das Handwerk legen, die sich auf dem Rücken ausländischer Arbeitnehmer eine goldene Nase verdienen, die einheimische Bauarbeiter - sowohl deutsche als auch legal hier befindliche ausländische - ums Brot bringen und die vor allem auch mittelständische Firmen in die Pleite treiben. Ich denke daran, wie sich viele Bauarbeiter, die jetzt arbeitslos sind und dieser Debatte folgen, fühlen, wenn wir darüber sprechen. Ich denke auch daran, wie sich viele fühlen müssen, wenn sie am Rande eines Bauzaunes stehen, selbst keinen Arbeitsplatz mehr haben und sehen, daß ihre Arbeitsplätze oft durch illegal Beschäftigte besetzt sind. Die menschlichen Schicksale sind das eine; das andere sind die volkswirtschaftlichen Verluste durch rechtswidriges Tun, die uns alle belasten. Diese Verluste belaufen sich für 100 000 arbeitslose Bauarbeiter, die keine Arbeit mehr haben, weil illegal Beschäftigte ihren Arbeitsplatz einnehmen, auf etwa 3,5 Milliarden DM. Diese Koalition hat gehandelt und wird weiterhin handeln. Das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit dem schon angesprochenen Erlaß vom 7. Juli 1997 die Vereinbarung einer Tariftreuepflicht einschließlich Nachunternehmerklausel und Vertragsstrafeversprechen angeordnet. Diese Anordnung wird ihre Wirkung zeigen. Danach werden öffentliche Aufträge nur noch erteilt, wenn diese detaillierte Erklärung unterzeichnet wird. Darin ist beispielsweise die Verpflichtung enthalten, dem öffentlichen Auftraggeber zur Durchführung von Stichprobenkontrollen Einblicke in die Lohnabrechnung zu geben. Darin ist die Verpflichtung enthalten, Löhne und Gehälter auch ausländischer Beschäftigter mindestens monatlich auf Gehaltskonten zu überweisen. Darin ist die Verpflichtung enthalten, vollständige, prüfungsfähige und deutschsprachige Unterlagen, also schlicht: einen deutschen Arbeitsvertrag auf der Baustelle jederzeit bereitzuhalten. ({0}) - Dazu komme ich gleich. Ich selbst habe vor kurzem mit Kollegen des Arbeitsamtes München an einer Razzia auf der größten Baustelle in Süddeutschland teilgenommen; das ist das Messegelände in München-Riem. Dort sind rund 1500 Arbeitnehmer tätig, davon etwa 1100 ohne deutschen Paß. ({1}) - Hören Sie zu! Wenn Sie selbst noch nicht an einer solchen Razzia teilgenommen haben, können Sie etwas lernen. Die Arbeitsverträge waren formal alle einwandfrei. Die darin erwähnten Gehaltssummen - zum Teil 4000 DM - waren formal in Ordnung. Die Frage war aber immer, ob die ausländischen Arbeitnehmer tatsächlich den vereinbarten Lohn erhalten, denn die Zahlungen werden - wie im Baugewerbe üblich - in bar, in cash abgewickelt. ({2}) Deshalb ist entscheidend, daß die Zahlungen durch eine Überweisung auf ein Bankkonto erfolgen, wie es in dem Erlaß des Bundesbauministeriums steht. Es geht auch nicht an - das ist der zweite wichtige Punkt -, daß bei einer Razzia durch das Arbeitsamt mehrere Dolmetscher dabeisein müssen oder die Kollegen des Arbeitsamtes ausgebildete Fremdsprachenkorrespondenten sein müssen. Es steht nirgendwo geschrieben, daß Arbeitsverträge in der Landessprache des jeweiligen Arbeitnehmers abzufassen sind. Deshalb ist es wichtig, zu regeln, daß ausschließlich in deutscher Sprache abgefaßte Arbeitsverträge zugelassen sind. ({3}) - In Bayern - dazu komme ich noch - machen wir das schon seit längerem. Ich verstehe in diesem Zusammenhang auch nicht die übertriebene Ängstlichkeit, daß generelle Regelungen gegen EU-Recht verstoßen könnten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in Frankreich, Großbritannien oder Spanien Arbeitsverträge in anderen Sprachen als in der jeweiligen Nationalsprache zugelassen werden. Das Bußgeld wird gleichzeitig auf bis zu 500 000 DM heraufgesetzt. Diese Neuregelung wird ihre Wirkung zeigen. Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Schreiner. Der Freistaat Bayern hat mit einer ähnlichen Regelung, die etwas eher getroffen worden ist, seit einigen Monaten gute Erfahrungen gemacht. Bei der Vergabe von neuen Bauaufträgen wird in Bayern seit einer Reihe von Monaten von den Bietern eine Treueerklärung eingeholt. Die Mehrzahl der Unternehmen im bayerischen Baugewerbe sowie die Handwerkskammern haben diese Regelung positiv aufgenommen. Auch die Kommunen in Bayern, denen die Anwendung dieser Regelung empfohlen wird, machen davon zunehmend Gebrauch. Ich empfehle jedem SPD-regierten Bundesland - soweit das noch nicht geschehen ist -: Übernehmen Sie die Regelung der Bundesregierung, übernehmen Sie die Regelung der Bayerischen Staatsregierung. ({4}) Unsere Fraktion hat in Berlin am 10. Juni 1997 einen 13-Punkte-Katalog vorgelegt, in dem darüber hinaus Maßnahmen beschrieben werden, um die Krake Lohndumping in den Griff zu bekommen. Diesen 13-Punkte-Katalog setzen wir im ersten SGB III-Änderungsgesetz, das in den nächsten Wochen und Monaten beraten wird, Punkt für Punkt um. Darin werden eine Reihe von wichtigen Verbesserungen enthalten sein: die Erweiterung der Meldepflicht des ausländischen Arbeitnehmers und die Verschärfung der Verantwortlichkeit des Generalunternehmers. In diesem Zusammenhang müssen wir auch daran denken, eine Garantieleistung, eine Art Kaution des Arbeitgebers zu verlangen. So kann sichergestellt werJohannes Singhammer den, daß alle Sozialversicherungsabgaben korrekt abgeführt werden. ({5}) Wer dennoch erwischt wird - auch das ist klar -, muß konsequent von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Der vorläufige Stopp der Genehmigung weiterer Werkverträge, der jetzt ausgesprochen worden ist, wird die Situation weiter entschärfen. Auch davon kann man ausgehen. In diesem Fall dürfen wir in der Zukunft - das möchte ich abschließend sagen - gelegentlich auch auf das Schatzkästlein des allgemeinen Verwaltungsrechts setzen. ({6}) - Herr Schreiner, das können wir gerne später einmal ausmachen. Jetzt lassen Sie mich aber zum Ende kommen. Wir brauchen vor allen Dingen allgemein rechtsgültige Formulare, die amtlich zugelassen sind. Normalerweise sind auch wir für weniger Bürokratie. Aber in diesem Fall können wir, glaube ich, mit etwas mehr Bürokratie die Sache in den Griff bekommen. Ich nenne als Beispiel ein Formular für Stundenabrechnungen, das als einziges geführt wird und verhindert, daß - je nach Kontrollzeitpunkt - unterschiedliche Stundenaufzeichnungen hervorgezogen werden. Wir jedenfalls - das darf ich abschließend sagen - werden bei diesem Thema nicht lockerlassen. Es ist gut, wenn die Opposition ihre Bereitschaft zur Mitarbeit ankündigt; ich kann sie nur ermutigen. Sich zu engagieren, statt zu blockieren, ist allemal der bessere Weg. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe jetzt die Kollegin Renate Jäger auf.

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Führen wir uns doch den Prozeß noch einmal vor Augen: Im März 1996 trat das deutsche Arbeitnehmer-Entsendegesetz in Kraft. Da es aber noch keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gab, auf den man das Gesetz anwenden konnte, lief es ins Leere. Der Tarifvertrag im Baugewerbe kam nach monatelangem Tauziehen dann im November 1996 zustande und sollte bereits im August 1997 auslaufen. ({0}) Nach weiterem Ringen wurde er unter Verringerung des Mindestlohnes ({1}) bis 1999 verlängert. ({2}) Wenn ich mir allein schon diesen Prozeß ansehe, frage ich mich: Wollte diese Bundesregierung überhaupt eine ernsthafte Lösung für dieses Problem? Oder hat sie sich dem Druck gebeugt und ein Gesetz gemacht, das nicht so richtig greift, um einer bestimmten Klientel gerecht zu werden? Das gilt insbesondere, wenn ich sehe, welche Anstrengungen und Versuche unternommen worden sind, um Unternehmen zu entlasten. Das ist zwar zum Teil auch positiv; ich denke an die Steuerreform und halte es durchaus für in Ordnung, wenn investiertes Vermögen von der Steuer freigestellt wird. Ich sehe dabei aber vor allem auch die Deregulierungsprozesse: Aufweichung des Kündigungsschutzes, Einschränkung der Mitbestimmung, Zulassung einer hohen Zahl von Überstunden oder Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle. Gab es da nicht auch einmal von der F.D.P. den Vorschlag, die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung einzufrieren? Da liegt doch tatsächlich der Verdacht nahe, daß man eine Regelung schaffen wollte, die weitere Gewinnmöglichkeiten für Unternehmer schafft, also eine Regelung, die sich zwar dem öffentlichen Druck beugt, aber wenig oder gar nicht zum Tragen kommt. Bestärkt werde ich in meinem Verdacht noch durch die Äußerung des sächsischen Staatsministers für Wirtschaft, Schommer, die er nach Inkrafttreten des Entsendegesetzes im März 1996 tat - ich zitiere -: Ich kann nur hoffen, daß die Arbeitgeberverbände nein sagen und hart bleiben und den auszuhandelnden Mindestlohn nicht für allgemeinverbindlich erklären werden. Der Freistaat Sachsen wird diesen Weg, wo immer es möglich ist, zu verhindern suchen. So, meine Damen und Herren, darf die Exekutive mit Beschlüssen der Legislative nicht umgehen! ({3}) Wie sieht nun die Realität aus, nachdem das Gesetz über ein Jahr in Kraft ist? - Nach dem neuesten Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Umsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom September dieses Jahres hat sowohl die Zahl der angemeldeten Bauleistungen als auch die der angemeldeten Bauarbeitnehmer um mehr als das Doppelte zugenommen. Die Tendenz ist gut, doch sie ist bei weitem nicht ausreichend. Selbst die Bundesregierung schildert in ihrem Bericht, daß Schwerpunkte von Mindestlohnunterschreitungen sowohl bei Arbeitgebern mit Sitz in Portugal als auch bei Arbeitgebern mit Sitz in Polen liegen. In einem Einzelfall lag eine Mindestlohnunterschreitung um 12 DM vor. Bei Arbeitgebern mit Geschäftssitz im Inland wird der Mindestlohn um bis zu 4,50 DM unterschritten und in einem Einzelfall in Sachsen sogar um 8 DM. Das Landesarbeitsamt Chemnitz berichtet von einem Fall, bei dem ein Arbeitgeber 53 Arbeitnehmer für einen Monatslohn Renate Jager von 740 DM beschäftigte. Gearbeitet wurden täglich 11 bis 18 Stunden. ({4}) Nach Schätzungen in einem Zeitungsbericht erwirtschaftet die illegale Konkurrenz in diesem Jahr die Riesensumme von fast 550 Milliarden DM. Das wird sich auch weiterhin kaum ändern; denn mit 2 462 Mitarbeitern bei der Bundesanstalt für Arbeit und 1 074 Mitarbeitern bei den Hauptzollämtern sind die Kontrollorgane angesichts der ihnen gestellten Aufgabe personell absolut überfordert. Wenn dennoch einem Arbeitgeber der Verstoß gegen einen der einschlägigen Tatbestände nachgewiesen werden kann, dann droht ihm eine Verwarnung oder ein moderates Bußgeld. Man muß sich nur vorstellen, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit noch im März dieses Jahres per Erlaß einen neuen Richtwert von 1500 DM für Bußgelder festgelegt hat. Zuvor waren es nur 500 DM, obwohl der gesetzliche Rahmen 100 000 DM beträgt. ({5}) Auch wenn die Bundesregierung vorhat, diesen gesetzlichen Rahmen auf 500 000 DM zu erhöhen, muß dennoch gefordert werden, daß der bestehende Rahmen zunächst einmal voll ausgeschöpft wird. ({6}) Von Januar bis Juni dieses Jahres wurden wegen Verletzung der Meldepflicht bei insgesamt 1543 Verfahren Bußgeldbescheide in Höhe von 1,1 Million DM erlassen. Bei 283 Verfahren wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohnes kamen Bußgelder in Höhe von 2 Millionen DM zusammen. Im Verhältnis zu den erzielten Erträgen sind diese Bußgelder Kleingeld. Die Bundesregierung listet in ihrem Bericht auch eine Fülle von Schwierigkeiten auf, die mit der Umsetzung dieses Gesetzes verbunden sind. Frau Dr. Babel hat noch einmal die aus ihrer Sicht bestehenden Schwierigkeiten genannt. Ich nehme der Bundesregierung auch ab, daß dies keine einfache Sache ist, aber Sie können sich nicht davon befreien, für die Lösung dieser Schwierigkeiten verantwortlich zu sein - noch verantwortlich zu sein. ({7}) Es ist eine Tatsache, daß auch bei Kontrollen von Regierungsbauten in Berlin - heute wurde darüber schon gesprochen - regelmäßig illegale Machenschaften aufgedeckt werden. Die Bundesregierung hat aber nicht einmal einen Überblick darüber, welche Firmen aus Deutschland, der EU und außerhalb der EU mit der Erstellung von Regierungsbauten beauftragt worden sind. Es ist nicht bekannt, welche Zahl von Arbeitnehmern aus den genannten Staatengruppen auf diesen Baustellen arbeitet. Dabei wäre eine Kontrolle problemlos möglich; denn Projektsteuerer und Bauleiter verfügen über konkrete Ablaufpläne, aus denen eindeutig hervorgeht, welche Firmen zu welchem Zeitpunkt wo tätig sind. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir uns in der Sache einig sind. Die derzeitige Umsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ist absolut unzureichend. ({8}) Wir dürfen den massenhaften Rechtsbruch auf deutschen Baustellen nicht länger dulden. Frau Dr. Babel hat die Situation und das Klima auf den Baustellen ausführlich beschrieben. Aber waren nicht Sie all die Jahre an der Regierung? Haben nicht Sie die Entwicklung zu diesem Klima zugelassen? ({9}) Das Problem der illegalen Beschäftigung ist ja nur ein Aspekt der Illegalität und Schattenwirtschaft, die von dieser Bundesregierung insgesamt nicht intensiv genug bekämpft wird. Da gibt es den massenhaften Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungen. Das kam heute schon zur Sprache. Die SPD hat vorgeschlagen, diese zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu machen. Da gibt es die massenhafte Ausweitung von Scheinselbständigkeit. Die SPD hat Vorschläge zu ihrer Bekämpfung vorgelegt. Herr Meckelburg, Sie haben die Probleme ebenfalls angesprochen. Aber warum machen Sie jahrelang nichts? Wir fordern von dieser Regierung, das Entsendegesetz endlich so wirksam auszugestalten, daß illegale Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet wird. ({10}) Sie sind in der Regierungsverantwortung. Schaffen Sie endlich auch Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt! ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD will mit dem vorliegenden Antrag Kontrollmechanismen einrichten. Dies zielt auf die unzulänglichen Verhältnisse auf den Baustellen ab. - Diese streitet niemand ab. - Das hört sich zwar gut an, aber der Verdacht liegt nahe, daß nach dem Motto verfahren werden soll: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. ({0}) - Ich unterstelle Ihnen keinen Rückfall in andere Zeiten. Das muß ich ausdrücklich sagen. Dafür haben wir hier im Bundestag eine andere Gruppe. Aber eines steht fest: Die Meldepflichten und die Sanktionsmechanismen versetzen uns, was das Entsendegesetz angeht, in die Lage, hier entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das steht außer Frage. Das hat auch niemand bestritten, der hier Stellung bezogen hat. Allerdings: Wir kommen nicht weiter, indem wir jetzt die Kontrolle noch einmal einer Kontrolle unterstellen. Das zur Frage von Vertrauen und Kontrolle. Die Bundesanstalt für Arbeit hat hier einen klaren Auftrag. Sie wird unterstützt durch die Hauptzollämter. Es geht - damit möchte ich zu Ihrem Antrag kommen - um die Arbeitsbedingungen, um den Lohn, um die Menschen auf den Baustellen, um die soziale Absicherung, um den Arbeitsschutz. Ich muß das noch einmal ausdrücklich sagen, damit jeder weiß, worauf es ankommt. ({1}) Es geht darum, daß derjenige, der dagegen verstößt, unnachsichtig als Rechtsbrecher verfolgt wird. Das wollen wir! ({2}) Ich fordere Sie auf, in den SPD-regierten Ländern entsprechend zu handeln. Die Bundesregierung hat mit ihrem Bericht deutlich gemacht, daß wir handeln und das tun, was möglich ist. Die Frage, inwieweit ich die öffentlichen Aufträge an diesem Maßstab messe, ist ganz entscheidend. Daran können die Länder, die Kommunen mitwirken. Der Bund kann hier nur in beschränktem Umfange mitwirken. Die Probleme beginnen ja nicht erst auf der Baustelle, sondern schon mit der Auftragsvergabe und den Ungleichgewichten, daß deutsche Unternehmen nicht imstande sind, zu bestimmten Konditionen anzubieten, so daß ausländische Firmen auf die Baustellen kommen, die eben nur über Kontrollen in den Griff zu bekommen sind. Das ist unser Thema. Im letzten Bericht - Stand Juli - ist von 140 000 Arbeitsplätzen die Rede, die ausländische Unternehmen auf deutschen Baustellen besetzen. Daher muß man sich einmal fragen, warum die Aufträge an diese ausländischen Unternehmen gehen. Da kann und will ich Ihnen die Bitte nicht ersparen, daß wir einmal intensiv darüber nachdenken müssen, wie wir den Standort Deutschland, was die Bauwirtschaft angeht, stärken können. Denn die Bauwirtschaft ist eigentlich die am meisten betroffene Branche, weil sie dem unmittelbaren Zugriff des Marktes unterliegt, da die Baustelle ein beweglicher Arbeitsplatz ist. Hier kommen wir mit Strafen allein nicht weiter. - Im übrigen betragen die Strafen jetzt 100 000 DM; sie werden auf 500 000 DM erhöht. Ich will hier die Sanktionen nicht noch einmal begründen; Frau Jäger hat es deutlich gemacht. - Es geht vielmehr darum: Wie setzen wir unseren Mittelstand und unsere Handwerker in den Stand, daß sie die Arbeitsplätze, die zu teuer geworden sind, auch in Zukunft erhalten können und im internationalen Wettbewerb bestehen können? Das ist die entscheidende Frage. ({3}) Das reicht bis zu den Ausbildungsplätzen. Auch ich bin etwas betrübt darüber - das sage ich Ihnen ganz offen -, daß wir trotz der arbeitsrechtlichen Veränderungen im Zuge der Reformen nicht genug Ausbildungsplätze geschaffen haben. Sie haben dabei nicht mitgemacht. ({4}) Deshalb haben wir die Last allein zu buckeln. Aber wir haben reagiert. Wir haben den Veränderungen zugestimmt und glauben nach wie vor daran, daß das eingelöst wird, was uns zugesagt wurde, nämlich daß dadurch Ausbildungsplätze entstehen, und daß wir - so hoffe ich - in den nächsten Wochen unsere jungen Menschen in Ausbildung bekommen. Das ist hier noch nicht angesprochen worden; aber das ist das Thema Nummer eins, das uns augenblicklich beschäftigt. ({5}) Ich muß Ihnen ausdrücklich sagen: Es sind die Handwerker, die uns dabei in besonderer Weise helfen. ({6}) Dies können Sie landauf, landab feststellen. Machen Sie doch mit! Wir verabschieden gleich das Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe. Der Kollege Peter Rauen hat gestern dazu eine interessante Feststellung getroffen, und er weiß, worüber er redet, weil er ein Baugeschäft unterhält. ({7}) - Nein, er macht das sehr legal. Ich trage Ihnen jetzt die Zahlen vor, die darüber Aufschluß geben. Peter Rauen hat gesagt, daß die gesetzlichen Abgaben - das betrifft auch die Vereinbarungen über die ganzjährige Beschäftigung auf dem Bau - in der Bauwirtschaft bei 31,8 Prozent liegen und die Lohnzusatzkosten bei 57,1 Prozent. Jetzt kommt es: „Durch die Regelung, die wir hier gleich" - gemeinsam, so hoffe ich - „beschließen werden" - da haben wir die Möglichkeit, gemeinsam zu wirken -, „können die Lohnzusatzkosten auf 38 Prozent gesenkt werden." Das ist der richtige Weg. Wir können ein gemeinsames Vorgehen heute abend im Vermittlungsausschuß fortsetzen; Sie sind eingeladen. ({8}) - Ja, „Schäuble". Im übrigen halte ich etwas von dem Schäuble-Vorschlag, damit Sie es wissen, und zwar nicht nur, weil Herr Schäuble mein Fraktionsvorsitzender ist. Ich kann das hier so sagen. ({9}) Ich lasse den nicht im Regen stehen, damit Sie das wissen; das tun wir nicht. Ich halte etwas von diesem Vorschlag; das ist nun einmal so. ({10}) Ich bin der Meinung, daß er weitere gute Vorschläge machen wird; er ist nämlich ein vorzüglicher Fraktionsvorsitzender. ({11}) Er reiht sich ein in die Reihe der erfolgreichen CDU-Fraktionsvorsitzenden früherer Jahre. ({12}) Manchem würde ich allerdings wünschen, daß er sich, wenn er das Amt abgibt, aus der Politik heraushält, es sei denn, er macht weiter mit. Das läßt sich nämlich „von draußen" gut beurteilen. Es gibt ja den bekannten Ausspruch: Wer arbeitet, verliert die Übersicht. ({13}) - Lieber Ottmar Schreiner, man muß, wenn man hier gesprochen hat, am Ende selbst verstanden haben, was man gesagt hat. Ich habe es in Ihrem Fall nicht immer verstanden. ({14}) Das ist ganz wesentlich; ich sage das ausdrücklich. Um zum Bau zurückzukommen: Ich bin der Meinung, daß wir entscheidend mitwirken können, um dem Mittelstand eine Basis zu geben, damit er im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Damit stärken wir die wirtschaftliche Entwicklung, sichern Arbeitsplätze, schaffen neue Arbeitsplätze und neue Ausbildungsplätze für die Zukunft. Wir haben noch viele Jahre vor uns, in denen wir vor allem das schwierige Problem der Ausbildungsplätze gemeinsam lösen müssen. Aus dieser Aufgabe kann sich niemand davonstehlen, auch nicht die Opposition, damit das klar ist. Hinsichtlich der Belastung der Ausbildungsplätze, die der mittelständische Unternehmer aus Kostengründen nicht mehr tragen kann, kann man auch in den Ländern viel tun. Ich bitte darum, daß es in dieser Frage nun wirklich eine Koalition der Vernunft gibt. Wir haben sehr viele vernünftige Leute; aber ich bin fest davon überzeugt, daß Sie der Vernunft heute abend wieder ein Beinchen stellen. ({15}) - Beide Beine? Man muß doch ein Standbein haben. Ich hoffe, daß wenigstens das im Vermittlungsausschuß noch bedacht wird. Die Maßnahmen, die wir für den Arbeitsmarkt ergriffen haben, sollten wir alle miteinander stützen. Ich hoffe, daß die Argumente zur Stützung des ersten Arbeitsmarktes dazu führen, daß wir die Herausforderung auch im Ausschuß annehmen, wenn dieser Antrag zur Diskussion steht, und uns nicht auf Kontrolle verengen. Ich muß Ihnen bestätigen, daß Sie bei der Kontrolle besser sind. Wir vertrauen auf die Zukunft. Schönen Dank. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt ist der Kollege Hans Büttner an der Reihe.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bißchen hat mich Ihre Rede, Frau Babel, die ich absolut nicht verstanden habe, schon gewundert. ({0}) Mich hat folgendes überrascht: In diesem Parlament vertreten alle Abgeordneten - vor allem diejenigen aus der CDU/CSU, aber auch Sie - die Auffassung, daß Gesetze eingehalten und Gesetzesverstöße tatnah und konsequent verfolgt werden müßten. Wenn Sie dann aber Verstöße gegen bestehende Gesetze entschuldigen und sich nicht hinter diese Gesetze stellen, sondern sie angreifen, dann tragen Sie dazu bei, daß Kriminalität vermehrt wird und daß diese Gesetze nicht durchgesetzt werden. Das ist Ihre Haltung gegenüber illegaler Beschäftigung und nicht nur Ihre, sondern auch die von Teilen der CDU/CSU. ({1}) Ich sage das deswegen, weil Sie immer dann, wenn wir in diesem Haus über Illegalität gesprochen haben - sei es beim Bundeshaushalt oder bei Werkverträgen, sei es beim Entsendegesetz -, nicht oder erst viel zu spät reagiert haben. Beim Entsendegesetz, in dem wir gefordert haben, Tariflöhne generell als Mindestlöhne einzuführen, haben Sie einseitig den Verfahrensweg gewählt, zu Lasten der Arbeitnehmer in die Tarifautonomie einzugreifen. Das Ergebnis ist, daß wir nun einen Mindestlohn in der Bauwirtschaft haben, der nahe beim Lohnwuchertatbestand liegt. Sie mögen sich darüber wundern; ich zitiere nur aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1997. ({2}) - Hören Sie einmal zu, Herr Louven! Der Bundesgerichtshof hat damit ein Urteil eines bayerischen Landgerichtes bestätigt, das einen Bauunternehmer wegen Lohnwuchers verurteilte, weil dieser 1991 und 1992 tschechische Arbeiter zu einem Stundenlohn von 12,70 DM beschäftigt hatte, während der aktuelle Tariflohn zur damaligen Zeit bereits 19,93 DM betragen hatte. Heute beträgt der Tariflohn 21 oder 22 DM, ist seitdem also noch einmal gestiegen. 12,70 DM hat der Bundesgerichtshof als Lohnwucher bezeichnet, und zwar mit einer bemerkenswerten Begründung, die sich alle anhören sollten, die hier darüber reden, daß man Löhne senken und die Einkommen der Arbeitnehmer zurückführen müßte. Die Begründung lautet: Hans Büttner ({3}) Die Strafkammer hat allein den Wert der Arbeit der Maurer für den Angeklagten mit dem hierfür tarifvertraglich vorgesehenen Lohn gleichgesetzt und ihn mit dem vom Angeklagten tatsächlich gezahlten Lohn verglichen. Damit hat sie einen rechtlich zutreffenden Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt. Dies, so fährt der BGH fort, entspreche dem Grundgedanken des Wucherparagraphen 302 Strafgesetzbuch: Dieser geht dahin, Verhaltensweisen zu unterbinden, die darauf gerichtet sind, Schwächesituationen bei anderen Personen wirtschaftlich auszubeuten und für Leistungen unverhältnismäßig große Vermögensvorteile zu erreichen. Wenn wir die Probleme der illegalen Beschäftigung in der Bauwirtschaft stärker unter diesem Gesichtspunkt statt unter dem angeblicher Kostenbelastungen betrachteten, dann kämen wir einen Schritt weiter und würden auch konsequentere Kontrollmaßnahmen und Durchgriffe seitens der Bundesregierung fordern und verlangen. ({4}) Ich sage, wir sollten uns wirklich dieses Urteil vorurteilsfrei zu Herzen nehmen, denn ich habe den Eindruck, daß wir bei der Formulierung der Gesetze diesen Gleichklang zwischen Gesetz und Rechtsempfinden des Volkes meistens verfehlen. So treffend, wie dieses Urteil des BGH ist, sollten wir uns auch hier in diesem Hause häufiger verhalten. Der Vorgang verstärkt aber auch meine Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Einsatzwillens zur Strafverfolgung bei der Exekutive des Bundes. Ich sage das mit aller Deutlichkeit, weil es in den letzten Jahren - ausweislich der Untersuchungen der Bundesregierung - viele Verstöße gegen Mindestlöhne gegeben hat, die weit unter 12,70 DM gelegen haben. Aber nur ein einziger Fall ist vor den Gerichten gelandet. Wieso eigentlich? Es hätte nach diesen Verstößen, die nachweisbar sind, Hunderte von Verfahren wegen Lohnwucher gegenüber Bauarbeitern geben müssen. Nichts dergleichen! Nun wird von seiten der Bundesregierung gesagt: Wir sind ja da nicht zuständig, das machen die Staatsanwaltschaften der Länder. - Formaljuristisch ist das völlig korrekt. Doch die Staatsanwaltschaften können nur ermitteln, wenn sie die entsprechenden Tatbestände von den Vollzugsorganen des Bundes, das heißt von der Arbeitsverwaltung, auch mitgeteilt bekommen. Daß das nicht oder in nicht ausreichender Weise geschieht, läßt sich nachweisen, ist beweisbar. ({5}) Wir haben das in diesem Hause auch schon einmal kurz diskutiert: Wenn eine Arbeitsverwaltung, angestiftet noch durch die Bundesregierung selbst, es zuläßt, daß 45 indische Arbeiter für einen Stundenlohn von 1,50 DM illegal hier beschäftigt werden - und die Bundesregierung hat das nachweislich sogar noch gerechtfertigt - ({6}) - Das war in Ingolstadt, in meinem Wahlkreis. Es läßt sich nachweisen! Das Amtsgericht Ingolstadt hat dies auch noch amtlich dokumentiert, weil das Verhalten der Bundesregierung es dem Amtsgericht letztlich unmöglich gemacht hat, den betroffenen Arbeitgeber zu verurteilen, weil die Auskünfte, die man dort gegeben hat, nicht den Tatsachen entsprechen. ({7}) - Das kann ich Ihnen nachweisen. Ich habe hier mehrere Antworten. Die kriegen Sie alle, und die können Sie sich auch von der Bundesregierung geben lassen. Sie hätten es selbst auch lesen können, wenn Sie die Antworten der Bundesregierung auf Fragen zu diesem Punkt gelesen hätten. ({8}) - Das ist kein typischer Büttner, Herr Louven. Sie wollen nur nicht wahrnehmen, daß Sie mit Ihrer Politik, die angeblich zu hohen Löhne zu denunzieren, illegale Beschäftigung fördern. Indem Sie sagen, die Belastungen sind zu hoch, statt endlich mal heranzugehen, Gesetze konsequent anwenden zu lassen und auch durchsetzen zu wollen. Diesen Wucherparagraphen gibt es seit Jahrzehnten in unserer Gesetzgebung. Er wird nur von den Kontrollstellen und der Arbeitsverwaltung mit großer Zurückhaltung betrachtet, weil sich die Regierung selbst - getragen durch eine Einstellung, wie Sie, Frau Babel, die Rechte dieses Hauses, sie vertreten - weigert, Gesetze dort durchzusetzen, wo es um die Interessen der Schwächeren geht, und auf Gesetzestreue nur achtet, wenn es um die Interessen der Großkopferten geht. ({9}) Das ist Ihre Politik, nichts anderes! ({10}) - Den Mindestlohn haben Sie bewirkt durch Ihre Gesetzesmanier. ({11}) - Wenn Sie Erpressung gegen die Gewerkschaften anwenden, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn so etwas dabei herauskommt. ({12}) Die Gewerkschaften wollten ursprünglich - wie auch wir - den normalen Tariflohn. Was haben Sie getan? Sie haben die Gewerkschaften erpreßt, durch ein nicht zustande gekommenes Entsendegesetz auf dieHans Büttner ({13}) ser Basis auf die untere Ebene zu kommen. Das sind die Tatsachen. ({14}) Hinzu kommt noch eines, und ich komme noch kurz auf den Antrag. Weil Sie die Gesetze, die wir haben, nicht konsequent durchsetzen, haben wir die Tatsache zu verzeichnen, daß Sie auch bei den Bundesbaustellen in Berlin nicht in der Lage sind, den kontrollierenden Stellen wenigstens die größeren Verdachtsfälle auf den Tisch zu legen. ({15}) Der Antrag, den wir gestellt haben, wird wieder als Bürokratie diffamiert. Was ist denn das für eine Bürokratie, wenn ein Bauauftraggeber, der einen Projektsteuerer eingesetzt hat, schlicht und einfach seine Ablaufpläne den Behörden zur Verfügung stellen muß? Da geht es um eine Photokopie, im besten Fall um ein Faxgerät, und dann können die Kontrolleure zielgenau prüfen. ({16}) Wenn so etwas als Bürokratie diffamiert wird, dann zeigt man, daß man eine wirklich zielgenaue Verfolgung nicht will. ({17}) Lassen Sie mich dazu ein Letztes sagen. Wir haben auch beantragt, daß die Bundesregierung endlich den zuständigen Kontrolleuren die Unterlagen so zur Verfügung stellt, daß die Verbindung mit den ausländischen Sozialbehörden hergestellt werden kann. Das läßt nun schon Jahre auf sich warten. Es wird bei entsprechenden Anfragen immer wieder gesagt, die Verhandlungen mit den Portugiesen, den Spaniern und Polen seien so schwierig. Ich sage Ihnen: Mir kann niemand weismachen, daß dies schwieriger ist als die Umsetzung der Politik zur inneren Sicherheit im Rahmen von Europol. ({18}) Wenn man will, kann man das tun. Ich habe bei Gesprächen in Polen und Portugal festgestellt, daß diese Länder inzwischen die gleichen Probleme haben. Wenn man sich um die Arbeitnehmer kümmern und mit Nachdruck handeln würde, wäre es längst möglich gewesen, hier voranzukommen. ({19}) - In diesem Zusammenhang haben Sie ja noch nicht einmal einen Vorschlag zustande gebracht. Reden Sie deswegen nicht so, Herr Hörster! ({20}) Ich sage zum Schluß: Mit unserem Antrag wollen wir den Finger in die Wunde dieser Bundesregierung und der sie tragenden Parteien legen. Frau Babel und andere Herrschaften reden davon, die Löhne seien zu hoch und man müsse Gesetze ändern; es sei sonst allzu verständlich, daß die armen Bauunternehmer die Bauarbeiter illegal beschäftigen und sich entsprechend verhalten. Wissen Sie, was Sie damit anrichten? Sie leisten damit Beihilfe zur Kriminalität und nichts anderes. ({21}) Das sage ich mit aller Deutlichkeit. Sie sollten sich einmal überlegen, welche Position Sie einnehmen. ({22}) Hören Sie auf, darüber zu reden, Sie wollten anderen helfen! Was Sie hier machen, ist wirklich massive Beihilfe zur Kriminalität. ({23}) - Es ist Beihilfe zur Kriminalität, wenn Sie nicht in der Lage sind, diese Position zu korrigieren. Vielen Dank. ({24})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Büttner, Beihilfe zu Straftaten sollten wir uns nicht gegenseitig unterstellen. ({0}) Der Vorwurf von Ihnen war wohl nicht so gemeint. Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Rudolf Kraus. ({1})

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schreiner, ich bedanke mich für diesen freundlichen Willkommensgruß. Es spricht sich leichter, wenn man weiß, daß man wohlgelitten ist. ({0}) Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Büttner. Erstens halte ich es natürlich für einen sehr schweren Vorwurf, daß Sie uns Beihilfe zur Kriminalität nachsagen. Zweitens haben Sie irgend etwas davon gefaselt, ({1}) daß die Bundesregierung ein Gericht daran hindern würde, seinen Pflichten nachzukommen. ({2}) Entweder war das Ganze etwas wirr ausgedrückt, oder aber es ist etwas daran. ({3}) Dann würde ich aber erwarten, daß Sie im Interesse eines fairen Umgangs untereinander das Ganze in den nächsten Tagen dokumentieren - wie Sie es versprochen haben -, damit wir dieser Sache ganz konkret nachgehen können. ({4}) - Das hat er zugesagt, Herr Schreiner. Wir warten darauf. Wir werden der Sache nachgehen und im einzelnen darauf antworten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner? Rudolf Kraus, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Aber selbstverständlich.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Kraus, ist Ihnen entgangen, daß genau dieser Vorgang in Ihrem Hause ausführlich dokumentiert ist? Es gab im letzten Jahr einen ausführlichen Schriftwechsel zwischen Ihrem Haus, vertreten durch Staatssekretär Günther, und mir, der Arbeitsverwaltung Ingolstadt, dem Landesarbeitsamt München und der entsprechenden Staatsanwaltschaft in Ingolstadt. Das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt sagt wortwörtlich: Eine Verurteilung dieses Arbeitgebers ist nicht möglich, weil er durch die Behörden unterschiedliche und unzutreffende Aussagen erhalten hat. Herr Günther hat anschließend im Bundestag laut Protokoll zu diesem Vorgang gesagt, er müsse feststellen, hier habe die Bundesregierung anfänglich falsche Informationen weitergegeben. Ist Ihnen das bekannt?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Das ist ein gewaltiger Unterschied. Erstens dachte ich, es handele sich um einen akuten Fall. Zweitens war ich mit der Sache, wie Sie richtigerweise hier bemerkt haben, nicht beschäftigt. Drittens klingt das jetzt ganz anders als Ihre Darstellung vorhin. Offenbar hat irgend jemand irrtümlich etwas falsch weitergesagt, aber die Bundesregierung ist nicht, wie Sie es vorhin formuliert haben, jemandem in den Rücken gefallen. ({0}) Das ist natürlich eine traurige Angelegenheit, wenn selbst bei einer ein bißchen genaueren Nachfrage die Argumentation gleich zusammenbricht. ({1}) Das läßt sich innerhalb kürzester Zeit aufklären. Die Qualität derartiger Beschuldigungen wird damit in besonderer Weise gekennzeichnet. Alle Fraktionen im Bundestag sind sich einig, daß die illegale Beschäftigung eben kein Kavaliersdelikt ist. Illegale Beschäftigung verursacht immense Schäden an unserer Volkswirtschaft. Die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung muß deshalb für uns oberste Priorität auf allen Ebenen haben: bei Bund und bei Ländern, aber auch - das sage ich ausdrücklich dazu - bei den Betroffenen selbst. Wir werden in dieser Frage nicht erfolgreich sein, wenn uns nicht die Arbeitgeberseite und natürlich auch die Gewerkschaften unterstützen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Nur den Satz noch. Die Praxis zeigt immer, daß dort, wo illegale Beschäftigung stattfindet, die Betroffenen am dichtesten dabei sind. Wenn von dort aus nicht die Mithilfe kommt, werden wir mit all unseren Kontrollen, die gewaltig sind, eben nicht das erwünschte Ziel erreichen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges? ({0})

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Gern.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kraus, können Sie einmal begründen, weshalb die Bundesregierung der Bundesanstalt für Arbeit die Mittel nicht zur Verfügung stellt, die notwendig wären, um die illegale Beschäftigung, insbesondere am Bau, zu bekämpfen? Es wird in den Verwaltungsausschüssen, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern, es müßten Kontrollen stattfinden, immer wieder damit begründet, daß die Arbeitsämter nicht ausreichend Personal hätten und deswegen die Durchsetzung der Gesetze, die schon vorhanden sind, sehr schwierig sei. Das heißt, mit Ihrer Finanzpolitik, bezogen auf die Bundesanstalt und auf diese Maßnahmen, wird auch ein Teil der Aufdeckung illegaler Beschäftigung verhindert.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Herr Gilges, vor langer Zeit gab es einmal eine Bundesregierung, die SPD-geführt war. ({0}) Im Jahre 1982 waren in der Bundesanstalt für Arbeit 50 Mitarbeiter zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung eingesetzt. ({1}) Heute sind insgesamt 2462 Leute eingesetzt. ({2}) Dazu kommen bei den Hauptzollämtern bundesweit 1074 Personen. Das heißt, daß das Verhältnis 50 zu einigen tausend ist. Da wollen Sie ernsthaft behaupten, daß wir nicht die Möglichkeit schaffen würden, genügend Leute zu haben! ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt da noch einen zweiten Aspekt. Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine Selbstverwaltungskörperschaft. Da haben die Gewerkschaften und die Arbeitgeber nicht nur Rechte, sondern natürlich auch Pflichten. Ich frage mich manchmal, warum von dort aus, von der Selbstverwaltung - das sage ich hier in aller Offenheit -, nicht mehr an Initiativen ausgeht, um in dem von Ihnen beschriebenen Sinn, den ich teile - auch ich bin der Meinung, daß noch mehr getan werden muß -, zu versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten noch einiges zuzulegen. Wenn wir im ganzen Land sparen müssen, wird es nicht ausbleiben, daß wir auch dort sparen, wo die Bundesanstalt für Arbeit ihre Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Aber es kommt dann eben darauf an, dort einzusparen, wo es weniger schmerzlich und nachteilig ist. Herr Schreiner hat davon gesprochen, die Lohnnebenkosten zu senken. Natürlich ist das vollkommen richtig. Das müssen wir tun. Herr Schreiner, ich habe da bloß das Problem, Ihre Argumentation so zu sehen, daß Sie nicht nur reden, sondern auch etwas tun wollen. Wir werden heute vermutlich wieder erleben, daß blockiert wird. Es gibt keine einzige Gesetzesinitiative, bei der Lohnnebenkosten hätten gesenkt werden können, der Sie zugestimmt haben, mit Ausnahme des Vorschlages, über den Ersatz von versicherungsfremden Leistungen aller Art mittels Erhöhungen von Verbrauchsteuern die Lohnnebenkosten zu entlasten. Nun, Herr Schreiner, auch wir sind in gewissem .Umfang dafür. Das wissen Sie. Aber man darf sich davon kein Allheilmittel versprechen. Die Hebung von Verbrauchsteuern zur Senkung der Beiträge wirkt sich so aus, daß auf der einen Seite auf dem Lohnzettel weniger an Beiträgen abgezogen wird. Also bekommt man mehr überwiesen. Dieses Geld muß aber auf der anderen Seite beim Einkauf im Normalfall zum größten Teil sofort wieder in bar ausgegeben werden. Also kommt es darauf an, die Systeme in sich selber zu sanieren.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, ich möchte Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner zulassen.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Aber selbstverständlich.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich möchte die Kollegen insgesamt jedoch bitten, mit den Zwischenfragen etwas zurückhaltend zu sein, da wir ja die Sitzung wegen der Trauerfeier unterbrechen wollen und müssen.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich habe mich nur gemeldet, weil der sehr verehrte Herr Staatssekretär im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten erneut den Vorwurf der Blockade formuliert hat. ({0}) Deshalb möchte ich ihn fragen, ob ihm bekannt ist, daß es eine ganze Reihe von Untersuchungen, unter anderem auch der Bundesanstalt für Arbeit, gibt, die besagen: Bei einer Umfinanzierung, also einer Absenkung des Sozialversicherungsbeitrages um einen Beitragspunkt und einer Gegenfinanzierung über eine entsprechende maßvolle Erhöhung der Verbrauchsteuern, hätte dies einen Beschäftigungseffekt von zirka 100 000 Arbeitsplätzen. Ist Ihnen außerdem bekannt, daß sich die SPD seit Jahren darum bemüht, im Bundestag Mehrheiten für eine zweiprozentige Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und eine entsprechende Umfinanzierung zu finden? Ist Ihnen schließlich bekannt, daß der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Schäuble, vorgestern den Vorschlag der SPD im Kern aufgenommen hat und daß Ihre Partei, die CSU, und die F.D.P. in engem Schulterschluß den Vorschlag von Herrn Schäuble und der SPD augenscheinlich zu blockieren versuchen?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Es ist ein abendfüllendes Programm, zu dem mich der verehrte Herr Kollege aufgefordert hat. Herr Schreiner, der Punkt ist: Auch wir sind der Meinung, daß ein Teil der Lohnnebenkosten, sprich die Rentenversicherungsbeiträge, durch eine Erhöhung von Verbrauchsteuern abgesenkt werden sollte. Das hat aber seine Grenzen. Mir kommt es nicht darauf an, dies generell abzulehnen, sondern darauf zu zeigen, welchen Zusammenhang dieses Vorhaben mit der Ausgabensituation der Bevölkerung hat. ({0}) Im übrigen: 100 000 Beschäftigte mehr zu schaffen, das ist eine ganze Menge. Es wäre ein außerordentlicher Erfolg, wenn wir das zustande bringen würden. Bloß, auch das zeigt wieder die Grenzen. Stellen Sie sich vor, wohin wir kommen würden, wenn wir auf diese Art und Weise 4 Millionen Arbeitslose in Arbeit bringen müßten. ({1}) Deswegen müssen wir nicht nur diesen, sondern auch andere Wege gehen. ({2}) Im übrigen sind mir natürlich die Vorschläge unserer Kollegen hier bekannt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wurde hier noch der Vorwurf erhoben, als ob diese Bundesregierung zuschauen würde, wenn irgendwo auf den Baustellen kriminelle Handlungen vorgenommen würden. Es war bei Frau Buntenbach die Rede von einer Baufirma. ({3}) Sie haben beschrieben, wie diese Baufirma das macht. Frau Buntenbach, das ist kein Problem der Gesetzgebung und der Regierung, sondern ein Fall für die Gerichte und die Staatsanwaltschaften bzw. Verfolgungsbehörden. Das, was Sie hier beschrieben haben, ist mehrfach mit Strafen, mit Bußgeldern und sonstigen Sanktionen bedroht. Da gibt es zum Beispiel den Wucherparagraphen. Sie wissen, daß hier die Möglichkeit besteht, einzugreifen. Wir haben im Entsendegesetz Bußgelder vorgesehen. Wir haben die Möglichkeit, Gewinne abzuschöpfen, und wir sind im Augenblick dabei, dieses Entsendegesetz noch weiter zu verbessern. Das haben wir gestern im Ausschuß besprochen. ({4}) Ich bin gestern eigentlich sehr zufrieden gewesen. Die Kollegen, die es noch nicht wissen, sollten viel-' leicht zur Kenntnis nehmen, daß dieses Gesetz gestern im Ausschuß von der Opposition nur mit Stimmenthaltung bedacht wurde - mit der Inaussichtstellung, daß man in der dritten Lesung zustimmt. Stellen Sie sich vor - besser kann es eigentlich nicht sein -, die würden nicht nur zustimmen, sondern auch noch sagen, das Gesetz sei optimal! ({5}) Dann würde bei uns eine Welle von Selbstzweifeln ausbrechen. ({6}) Auf das Entsendegesetz selber möchte ich jetzt nicht weiter eingehen, aber einen Punkt möchte ich noch anführen. Es geht um das Problem der Scheinselbständigkeit. Ich halte dies für ein ganz großes Problem. Scheinselbständigkeit unterscheidet sich für mich von Selbständigkeit so, wie sich vor Jahrzehnten ein Tagelöhner von einem Handwerksmeister unterschieden hat. Wir wollen mehr Selbständigkeit. Weil wir dies wollen, müssen wir aufpassen, daß wir keine Gesetze verabschieden, die diese Selbständigkeit, die bei uns gewünscht wird, verhindern bzw. erschweren. Wir haben in der Bundesrepublik leider die Situation - das macht uns im sozialen Bereich das Ganze so schwer -, daß gutgemeinte und auch tatsächlich gute Gesetze häufig so zurechtgebogen werden, daß sie zwar formal nicht gebrochen werden, aber ihren Nutzen verlieren. Dafür gibt es viele Beispiele. Eines der großen Beispiele war die 59er-Regelung, nämlich daß jemand, der 60 Jahre alt geworden ist und schon ein Jahr arbeitslos war, in Rente gehen kann. Das Gesetz ist gut; das ist ein vernünftiger Gedanke. Bloß, in dem Augenblick, wo die Fälle hunderttausendfach so gestaltet wurden, daß sie auf das Gesetz passen, und es nicht umgekehrt so war, daß das Gesetz auf die Fälle angewendet wurde, ist das Ganze absurd geworden und nicht mehr aufrechtzuerhalten. ({7}) So ähnlich ist es auch bei der Selbständigkeit. Wir wollen die Selbständigkeit, aber die echte, in der jemand alle Chancen bekommt und auch abgesichert ist. Es ist ja nicht so, als wären die Selbständigen bei uns nicht pflichtsozialversichert. Das wird häufig übersehen. Bauern, Handwerker, Künstler, Ärztegruppen, Rechtsanwälte, alle sind eigentlich in einer Zwangsversicherung, in einem sozialen Sicherungssystem. Deswegen ist es natürlich um so schlimmer, daß es immer mehr Gruppen gibt, die außerhalb dieses Systems stehen. Wir sind bereit, da etwas zu tun. Wir müssen nur sicher sein, daß wir Lösungen finden, die nicht kontraproduktiv sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Abschluß möchte ich noch eines sagen: Natürlich gibt es überall schwarze Schafe. Wir sind aber bei der Bekämpfung der Illegalität. ({8}) - Das haben die Pharisäer auch schon gesagt, Herr Schreiner. Sie kennen die Antwort. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf noch einmal dazu auffordern, gemeinsam zu versuchen, diesen großen Problemen entgegenzutreten. Wir brauchen hier die Hilfe von allen Seiten. Zur Schwarzbeschäftigung gehören schließlich auch immer zwei: der, der schwarzarbeitet, und der, der schwarzarbeiten läßt. So ist es auch auf den großen Baustellen. Wir brauchen die Hilfe der Betroffenen, insbesondere derer vor Ort. Ich bedanke mich. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/7802 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da um 11 Uhr die Trauerfeier in Köln-Wahn beginnt, unterbreche ich die Sitzung bis 12 Uhr. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft ({0}) - Drucksache 13/892 - ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 13/8509 Berichterstattung: Abgeordnete Ronald Pofalla Margot von Renesse Hildebrecht Braun ({3}) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder ({4}) - Drucksache 13/4183 ({5}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 13/8510 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Ronald Pofalla Rita Grießhaber Hildebrecht Braun ({7}) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts ({8}) - Drucksache 13/4899 - ({9}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({10}) - Drucksache 13/8511Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Ronald Pofalla Rita Grießhaber Hildebrecht Braun ({11}) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({12}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Christel Hanewinckel, Dr. Edith Niehuis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Reform des Kindschaftsrechts - zu dem Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber, Marieluise Beck ({13}), Volker Beck ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetzliche Neuregelung des Kindschaftsrechts - zu dem Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Zur Reform des Kindschaftsrechts - Drucksachen 13/1752, 13/3341, 13/7899, 13/ 8511Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Ronald Pofalla Rita Grießhaber Hildebrecht Braun ({15}) Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Widerspruch höre ich dazu nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Pofalla.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vorliegende Ergebnis zum Kindschaftsrechtsreformgesetz, zum Beistandschaftsgesetz und zum Erbrechtsgleichstellungsgesetz stellt einen Meilenstein auf dem Weg zur substantiellen Fortentwicklung des Kindeswohls und die wohl größte kindschaftsrechtliche Reform der vergangenen 20 Jahre dar. Damit wird ein modernes Kindschaftsrecht Wirklichkeit werden. Ich mache aus meiner Einschätzung kein Hehl: Auf dieses Werk, das in der Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses nachher zur Entscheidung ansteht, kann die Bundesregierung, können aber auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages stolz sein. Ich will das Ergebnis nicht vorwegnehmen, aber sagen: Am Ende werden wir mit einer breiten Zustimmung im Plenum des Deutschen Bundestages rechnen können. Das ist das Ergebnis von intensiven Verhandlungen der Fraktionen mit der Bundesregierung. Dieses Ergebnis bedeutet eine große Reform und macht deutlich, daß dieser Bundestag in schwierigen Zeiten in der Sache sehr wohl auch zu großen Reformen in der Lage ist. ({0}) Ich mache einige Vorbemerkungen. Erstens. Durch die gefundenen Regelungen werden wir nicht alle Konflikte, die in der Realität vorkommen, lösen. Das ist nach meiner Überzeugung auch gar nicht möglich. Zweitens. Auch die Reaktionen der letzten Tage von Väter-und-Mütter-Verbänden, von Frauenorganisationen und Gleichstellungsstellen zeigen, daß der wesentliche Inhalt der drei Gesetzentwürfe - auch nach meiner Überzeugung in manchen Bereichen nach wie vor falsch verstanden wird. Aufklärungsarbeit auch in den nächsten Wochen, nach Verabschiedung der Gesetzentwürfe, ist deshalb weiterhin notwendig. Drittens. Der Gesprächsaufwand bei den Beratungen zu den drei Gesetzentwürfen war erheblich und ungewöhnlich umfangreich. Es hat Diskussionen mit Vereinen, Verbänden, Hilfsorganisationen, Selbsthilfegruppen und vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen gegeben. Es haben Podiumsdiskussionen und Fachgespräche stattgefunden ebenso wie Debatten auf dem Deutschen Familiengerichtstag. An dieser Stelle darf man sicher dem Vorsitzenden des Deutschen Familiengerichtstags, Herrn Professor Siegfried Willutzki, Dank für die fachliche Begleitung, die wir erfahren haben, sagen. Ich möchte mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die hinter ihm stehen, bedanken. Ihre Arbeit war hilfreich und in der Sache erfolgreich. Wir haben zwei Anhörungen im Deutschen Bundestag durchgeführt, eine Anhörung zum Recht des nichtehelichen Kindes und die zweite Anhörung zu dem Problemkreis Trennung und Scheidung. Viertens. Die Berichterstattergespräche, die sich über Wochen hingezogen und zum Teil tageweise stattgefunden haben, standen immer uneingeschränkt bei allen Fraktionen unter dem obersten Ziel, das Kindeswohl zu gewährleisten und es rechtlich abzusichern. An dieser Stelle möchte ich deshalb den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, die federführend tätig gewesen sind, Dank sagen. Ich möchte mich bei Frau von Renesse von der SPD-Fraktion für ihre außerordentlich fachkundige und sehr kollegiale Zusammenarbeit bedanken. ({1}) Das gleiche gilt für die Kollegin Grießhaber, ({2}) die durch ihren Sachverstand deutlich gemacht hat, daß auch die Grünen um die Sache gerungen haben. Auch bei ihr will ich mich ausdrücklich bedanken. Ich möchte mich bei dem Kollegen Braun von der F.D.P.-Fraktion ausdrücklich bedanken, der in den Beratungen - ich werde das gleich im Detail vortragen - sehr große, sinnvolle Änderungen im verfahrensrechtlichen Teil bewirkt hat, weil er von der Idee der gemeinsamen elterlichen Sorge überzeugt war. ({3}) Schließlich möchte ich mich beim Kollegen Götzer von der CSU bedanken; denn er hat die Beratungen der Unionsfraktion federführend mitbestritten und dafür gesorgt, daß wir hier zu einer einvernehmlichen Empfehlung gekommen sind. Herzlichen Dank in seine Richtung. Jetzt möchte ich zwei Kolleginnen aus dem Familienausschuß nennen, die in wirklich entscheidender Weise unsere Beratungen begleitet haben. Das sind die Kolleginnen Falk aus der Unionsfraktion und Leutheusser-Schnarrenberger von der F.D.P., die bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs federführend war. Beide haben bei den Beratungen im Familienausschuß dazu beigetragen, daß Vorbehalte abgebaut werden konnten. Ich darf mich bei beiden ausdrücklich bedanken. ({4}) Innerhalb der Reform des Kindschaftsrechts ist das sogenannte Kindschaftsrechtsreformgesetz der gewichtigste Teilabschnitt. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, in dessen Mittelpunkt das Wohl des Kindes steht und auf dessen Grundlage sich zunächst am 6. Juni 1997 die Berichterstatter des Deutschen Bundestages nach wochenlangen Verhandlungen - ich füge hinzu: leider mit Ausnahme der Bündnisgrünen - geeinigt hatten, bevor der Rechtsausschuß in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die Beratungen im Kern abgeschlossen hat. Daneben sind auch das Beistandschaftsgesetz und das Erbrechtsgleichstellungsgesetz beraten worden. Darauf möchte ich an dieser Stelle aber nicht eingehen, das werden nachfolgende Redner tun. Ich will nur soviel sagen: In diesen beiden Gesetzen war das Ziel, den Staat zurückzunehmen und mehr Entscheidungen auf die Eltern zu verlagern, um nicht nur die eigentliche Verantwortlichkeit zu stärken, sondern auch das sinnlose Hereinreden des Staates in bestimmte familiäre Angelegenheiten zurückzunehmen, weil sich in diesem Bereich in unserer Gesellschaft - Gott sei Dank - sehr viel Positives entwickelt hat. Das zweite ist die Gleichstellung nichtehelicher Kinder unter erbrechtlichen Gesichtspunkten, die mit diesem Gesetz im Kern vollzogen wird. Ich möchte versuchen, auf die wesentlichen Punkte des Kindschaftsrechtsreformgesetz einzugehen, und beginne mit der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung. Dazu hat es leidenschaftliche Diskussionen - in den Fraktionen zum Teil sogar noch in dieser Woche - gegeben. Der vorliegende Gesetzentwurf will das Kind von vornherein - das sollten sich auch all diejenigen, die unterschiedlicher Auffassung sind, immer wieder deutlich machen - nicht zum Streitgegenstand des Scheidungsverfahrens werden lassen. Aus diesem Grunde soll der Familienrichter nicht mehr entscheiden. Der Gesetzentwurf sieht hierzu grundsätzlich vor, daß eine richterliche Entscheidung über die Sorge nur dann ergehen soll, wenn mindestens ein Elternteil dies bei Scheidung oder auch später ausdrücklich beantragt. Für alle übrigen Fälle, da, wo Eltern sich einig sind, soll die gemeinsame Sorge der Ausgangsfall - darauf werde ich gleich noch zurückkommen - und eine gerichtliche Entscheidung nicht mehr nötig sein. Ihnen liegen zu diesem Teil Änderungsanträge der Grünen-Bundestagsfraktion und der SPD-Bundestagsfraktion vor. Ich will versuchen, Ihnen deutlich zu machen, warum der gefundene Kompromiß - dem dann ja auch die SPD-Fraktion im Rechtsausschuß am Schluß zugestimmt hat - besser ist als die Änderungsanträge. Der gefundene Kompromiß sieht nämlich die Zurücknahme des Staates in Form der Gerichte immer dann vor, wenn kein Antrag hinsichtlich der elterlichen Sorge vorliegt, weil dann der Wunsch auf gemeinsame elterliche Sorge unterstellt wird. Die Sozialdemokraten wollen jetzt durch die Änderungsanträge das Verfahren dahin gehend ändern, daß die gemeinsame elterliche Sorge bei Scheidung auf Antrag möglich sein kann und darüber das Gericht entscheiden soll. Da unterscheiden sich unsere Auffassungen, und zwar deshalb, weil wir glauben, Gerichte sollten dann nicht beteiligt werden, wenn sich Eltern einig sind. Warum soll der Staat hereinreden, wenn sich beide Elternteile einig sind, daß sie nach der Scheidung die gemeinsame elterliche Sorge aufrechterhalten wollen? Im übrigen müssen Sie sich einmal mit der bestehenden Rechtslage bei getrennt lebenden Eltern auseinandersetzen. Kein deutsches Gericht kommt nach bestehendem Recht bei getrennt lebenden Eltern auf die Idee, darüber zu entscheiden, ob die gemeinsame elterliche Sorge aufrechterhalten werden soll. Das ist der Regelfall, auch in der jetzigen gesetzlichen Konstruktion. Insofern ist die Weiterentwicklung unseres Rechtes durch den gefundenen Kompromiß sehr sinnvoll. Ich darf Sie bitten, diesem Kompromiß zuzustimmen. Ich will noch eine Anmerkung zu den Vorbehalten machen, daß die gemeinsame elterliche Sorge nun der Regelfall werde. Damit unterstellt man ja, daß die Mehrheit der Eltern in der Praxis zu diesem Ergebnis kommt. Ich persönlich wünsche mir eine solche Verhaltensweise. Aber die kann vom Gesetzgeber nicht verordnet werden. Deshalb ist die Formulierung, es sei der gesetzliche Regelfall, falsch. Es ist der gesetzliche Ausgangsfall. Ob er zum Regelfall wird, wird sich in der Praxis erst darin zeigen, ob der überwiegende Teil der scheidungswilligen Eltern überhaupt Anträge stellt. Und selbst wenn sie in der Mehrheit Anträge stellen, wird es nicht der gesetzliche Regelfall sein, weil der Regelfall nach wie vor die Einzelfallentscheidung im Sinne der Einzelzuordnung hinsichtlich der elterlichen Sorge sein wird. Von daher halte ich diesen Vorwurf, der dort erhoben wird, für falsch. Es ist der gesetzliche Ausgangsfall, der nach unserer Überzeugung zum Regelfall werden sollte. Aber ob er es wird, wird die Praxis zeigen müssen. Die jetzige Spruchpraxis der Gerichte ist eine andere. 20 Prozent der Scheidungsverfahren in der gesamten Bundesrepublik werden beendet mit der gemeinsamen elterlichen Sorge. Wir hoffen, daß dieser Anteil steigt, weil - unabhängig davon, wer die elterliche Sorge hat - die elterliche Verantwortung nach der Scheidung weiter gilt. Deshalb halten wir das Institut der gemeinsamen elterlichen Sorge für sinnvoll. Nun zum zweiten Bereich: gemeinsame Sorge für nichteheliche Kinder. Nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes wird für nichteheliche Kinder erstmals zugelassen, daß die Eltern die gemeinsame Sorge für ihr Kind erlangen können. Hierfür genügt künftig eine übereinstimmende und öffentlich beurkundete Erklärung beider Elternteile gegenüber dem Jugendamt. Sollte dieses jedoch dem Willen der nichtverheirateten Mutter widersprechen, wird es eine gemeinsame Sorge nicht geben. Durch diese Regelung wird deutlich, daß wir wieder ein Stück Staat - sprich: Familiengerichte - zurücknehmen wollen. Wenn beide nichtehelichen Eltern einig sind, brauchen sie nur zum Jugendamt zu gehen und eine Erklärung abzugeben. Dann gilt die gemeinsame elterliche Sorge. Hiergegen wurde von den nichtehelichen Müttern eingewandt, daß sie sich jetzt ausdrücklich dem gemeinsamen elterlichen Antrag widersetzen müssen, wenn sie die gemeinsame elterliche Sorge nicht wollen. Das kann man so formulieren. Nur halte ich das für falsch, weil auch nichteheliche Eltern die Verantwortung gegenüber ihren Kindern haben. Anders ausgedrückt: Die Kinder haben ein Anrecht auf ihre Eltern. ({5}) Deshalb finde ich es zulässig, daß sich auch die nichteheliche Mutter, wenn sie das nicht möchte, mit ihrem nichtehelichen Lebenspartner darüber auseinandersetzen muß. Die nichtehelichen Väter wiederum haben eingewandt, sie könnten nur dann die eheliche Sorge bekommen, wenn die nichteheliche Mutter zustimmt. Das halten wir für richtig, weil die Lebenswirklichkeit nach Erhebungen, die dem Bundesjustizministerium vorlagen, zeigt, daß etwa 70 Prozent oder etwas mehr der nichtehelichen Väter nie eine soziale Beziehung zu ihren Kindern aufbauen. Von daher halten wir es für richtig, an dieser gesetzlichen Grundkonstruktion der elterlichen Sorge durch die nichteheliche Mutter festzuhalten, die aber durch eine gemeinsame Erklärung auf gemeinsame elterliche Sorge abgeändert werden kann. ({6}) Ich will an dieser Stelle, weil meine Redezeit weitere Ausführungen nicht zuläßt, meine Rede beenden. Ich danke noch einmal den Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen dafür, daß wir hier zu einem wirklich großen Reformvorhaben gekommen sind, auf das der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung stolz sein können. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Margot von Renesse.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Der Reformentwurf, den wir hoffentlich mit großer Mehrheit verabschieden werden - ich werde ihm zustimmen -, ist notwendig, handwerklich gelungen, klug und wirklichkeitsnah und vor allem menschlich. Er war notwendig. Gestern hat der Vorsitzende des Familiengerichtstages darauf hingewiesen, daß Familienrechtsreformen offensichtlich immer in 20-Jahres-Schritten notwendig sind: 1957 das Gleichstellungsgesetz, 1977 das 1. Eherechtsreformgesetz, 1997 die Kindschaftsrechtsreform. Was wird 2017 sein? Einiges, denke ich, kennen wir bereits, was hoffentlich schon vorher korrigiert werden wird. Aber es ist eine große Reform. Die Weichenstellungen haben die Vorteile, die ich gerade nannte. Die Reform ist notwendig, überreif. Die Fachdiskussion schrie seit langer Zeit nach einer großen Reform; der Rechtsvereinheitlichungsbedarf lag auf der Hand. Im übrigen riefen auch internationale Verpflichtungen - sprich: UNO-Kinderrechtskonvention -, aber vor allem eine völlig geänderte Wirklichkeit gegenüber dem 19. Jahrhundert, das das BGB hervorgebracht hat, danach, daß der Gesetzgeber sich neu orientiert. Der Gesetzentwurf ist handwerklich gelungen; denn er ist weitgehend widerspruchsfrei - ich sage „weitgehend"; es gibt nach wie vor ein paar Probleme -, weil endlich der alte Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 eingelöst wird. Das Wort „nichtehelich", Herr Pofalla, wird es in Zukunft nicht mehr geben. ({0}) Das ist ein Vorteil. Denn was ich schon einmal gesagt habe, gilt insbesondere für Kinder. Ehelichkeit und Nichtehelichkeit sind keine Eigenschaften von Kindern, sondern Eigenschaften der Rechtsbeziehung ihrer Eltern. ({1}) Das haben wir Gott sei Dank weitgehend durchgesetzt. Weitgehend! Sie machen Vorbehalte beim Erbrecht. Sie kennen den Stichtag. Sie begründen ihn mit dem Vertrauensschutz. Wir werden dazu einen Änderungsantrag stellen, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß Menschen vor 1949 nichteheliche Kinder in die Welt gesetzt haben im Vertrauen darauf, daß sie nicht erben. Diese Vorstellung ist eher eine Karikatur. Die Reform ist überreif. Sie ist im Ergebnis Gott sei Dank gescheit und wirklichkeitsnah. Gestern hat Jutta Limbach in einem sehr bemerkenswerten Vortrag über richtiges Recht im Familienrecht dargelegt, daß das Recht in der Familie jedenfalls nicht die Herzen der Menschen bewegt. Vielmehr ist allenfalls Minderung von Schaden gemeint, wenn wir vom Wohl des Kindes sprechen. Daß sich das Recht zurücknimmt, zumindest in den Fällen, in denen keine Konflikte vorhanden sind - wir wissen, das sind die meisten, jedenfalls auch im Scheidungs- und Trennungsfall im Verhältnis zu Kindern -, ist eine gute Sache. Das. Recht ist wirklichkeitsnah, weil es auf diesen Punkt endlich Rücksicht nimmt: daß wir Menschen nicht in eine Problemlage bringen müssen, die sie gar nicht empfinden. Antragsteller - Antragsgegnerin, Antragsgegner - Antragstellerin: Wir machen Eltern zu Parteien, die sie ohne das Recht und seine Rechtskonstruktionen gegenwärtig gar nicht wären. Wir haben in diesem Bereich ein Recht, über das Jürgen Schmude, als wir das erste Mal über die Kindschaftsrechtsreform der SPD sprachen, sagte - sehr nachdenkenswert -: Es ist eine weiche Materie mit einem harten Kern. Denn dieses Recht ist emotions-besetzt, auf allen Seiten von Verlustängsten umgeben. Das Recht kann, wie ich sagte, die Herzen der Menschen nicht ändern. Wo Konflikte sind, wird das Recht allenfalls Konflikte managen und Schärfen mindern helfen. Es wird aber nicht Konflikte beseitigen. Darauf muß es Rücksicht nehmen. Es muß so angelegt sein, daß es nicht von falschen Grundannahmen ausgeht, die in der Wirklichkeit längst widerlegt sind. Ich will ein paar nennen. Daß zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern unterschieden wird, hat zum Hintergrund eine Vorstellung, die das 19. Jahrhundert noch kannte, die aber durch die Wirklichkeit widerlegt wird, nämlich: In der Ehe geht es Kindern gut, außerhalb der Ehe herrscht Chaos und Verderbnis. Die nichteheliche Mutter ist inkompetent und verantwortungslos. Dasselbe gilt a priori auch für Eltern, die die Unverschämtheit besitzen, sich scheiden lassen zu wollen, obgleich ihre Kinder noch minderjährig sind. - Das ist noch heute eine weit verbreitete Vorstellung. Aber die Wirklichkeit widerlegt sie. Es gibt kompetente nichteheliche Mütter zuhauf. Es gibt auch Eltern, die nach, in oder sogar durch die Scheidung das Wohl ihrer Kinder bewirken wollen. Es ist nicht so, daß Kinder von Alleinerziehenden grundsätzlich kriminell und drogensüchtig werden. Es ist einfach nicht so, und das Recht hat sich von dieser Annahme zu trennen. Das Recht hat bisher auch die Vorstellung, in der Ehe herrsche Harmonie und dort, wo Streit sei, sei alles zu Ende. Dies trifft nicht zu. In Ehen wird gestritten, daß es nur so rauscht. Und nach Beendigung eiMargot von Renesse ner Ehe oder ohne Ehe herrscht immer auch wieder Einverständnis. Das Aus- und Einatmen von menschlicher Nähe, von Konflikt, Einverständnis, Spannung und ihrer Lösung ist die Wirklichkeit des Lebens, von der die Familie ein Teil ist. Sich von der Einstellung zu trennen, daß, wo Streit sei, alles zu Ende sei, war hochangebracht. Ich kenne auch heute noch die Vorstellungen, die Leute haben, die glauben, sie wüßten, was das ist: Scheidung. Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß jeder Fall ein Einzelfall ist - nach dem Motto: Scheidung ist doch, wenn ... - Dummes Zeug! 13 Jahre Tätigkeit als Familienrichterin haben mich gelehrt - als ich jung war, sah auch ich alles ganz anders -, jeden Fall als Einzelfall zu sehen ({2}) und vor allem jedes Kind, das mir begegnet, als das Wichtigste auf der Welt zu sehen, als ein Kind, das mein eigenes sein könnte. ({3}) Dem muß das Gesetz entsprechen. Das tut es nun weitgehend; ich mache sofort diesen Vorbehalt. Das Gesetz ist auch menschlich; denn es stellt vor allem die Perspektive des Kindes in den Mittelpunkt. Das kann man schon daran erkennen, daß das Kind mehr Ansprüche hat als je zuvor - wenn auch nicht so viele, wie wir gerne gehabt hätten. Das Kind hat ein Besuchsrecht, was vor allem ein Signal für Gerichte ist, die es gewöhnt sind, wie der Engel mit dem Flammenschwert vor den Rechten und Entwicklungsinteressen der Kinder zu stehen, aber das Besuchsrecht des getrennt lebenden Elternteils als ein mehr oder minder störendes Restrecht ansehen. Hier ist das Gesetz wieder menschlich, indem es nicht darauf setzt, daß eine Vollstreckung mit Gerichtsvollzieher, eine Vollstreckung sogar unter strafrechtlichem Druck eventuell die Beziehungspflege ermöglicht, die so nie gelingen und vor allem im Interesse des Kindes so nicht gelingen könnte. Ich habe erlebt, wie ein Vater seine halbwüchsigen drei Kinder, weil er meinte, es stehe ihm zu, mit dem Gerichtsvollzieher zum Weihnachtenfeiern holen wollte. Anschließend sagte er, er werde sich übet mich beim Landgerichtspräsidenten beschweren, weil ich dazu nicht bereit war. Solche Vorstellungen gehören zum digitalen Denken, das viele Juristen, aber auch viele Männer haben, das heißt: Ein Gesetz ist nichts wert, wenn es nicht vollstreckbar ist. ({4}) Das stimmt nicht. Wir haben in diesem Gesetz ein umfangreiches Verfahren vorgesehen, in dem Sozialinterventionen, Hilfe und Beratung an der vordersten Stelle stehen. Hier hat das Kind erstmalig im Kinder- und Jugendhilferecht einen eigenen Anspruch auf Beziehungskontinuität und auf Beratung durch das Jugendamt, den das KJHG vorher nicht kannte. Ich halte es für einen Rubikon, der hier überschritten worden ist. Sie waren damit einverstanden, daß der Verhandlungsverbund, wie wir ihn in unserem Reformentwurf entwickelt hatten, fast so wie wir ihn gemeint haben, in das Gesetz kommt. Herr Pofalla, hier darf ich unseren Änderungsantrag erklären. Es ist nicht so, daß er vorsieht, die gemeinsame Sorge zu konditionieren. Keineswegs! Wir hätten vielmehr im Gesetz gern einen deutlichen Appell daran gehabt, damit die Eltern in den Bereichen, die konfliktträchtig sein könnten, nicht in eine Situation hineinschlittern, die sie nicht übersehen. ({5}) Das ist uns nach wie vor so wichtig, daß wir sicherstellen wollen, daß der Richter diese Punkte anspricht. Wir haben nun die richterliche Anhörungs- und Belehrungspflicht, wie wir sie vorgeschlagen haben, aber ohne die Drei-Felder-Wirtschaft, die wir gern gehabt hätten. Sie haben dies als Sorgeplan bezeichnet, den auch ich nicht möchte, den ich für unmöglich halte. Denn ich kenne Eltern, Herr Pofalla, die das wollen - ich sage Ihnen: man könnte sie mit einem nassen Lappen erschlagen -, ({6}) die schon von einem dreijährigen Kind wissen, welchen Berufswunsch es später einmal haben wird. Als Richter müssen wir wissen, daß die Eltern dann, wenn sie aus der Tür gehen, nicht als erstes streiten. Ich möchte noch etwas zur Gewalt sagen. Herr Pofalla, ich weiß nicht, ob die Situation durch unseren Kompromiß nicht schlimmer wird als vorher. Wir haben die Strafbarkeitsschwelle gesenkt. Jetzt ist in der Familie alles strafbar, was auch außerhalb der Familie strafbar ist. Ob dies den Kindern dient und ob die Rechtshygiene nicht durch eine Vielzahl von Verfahrenseinstellungen wieder schwer beschädigt wird, ist die Frage. Wir hätten gern eine Grundsatznorm über Erziehungsstil gehabt. Dort hätte es hingehört und gehört es nach wie vor hin, am besten ins Grundgesetz. ({7}) Wir werden uns deshalb mit Ihnen weiter politisch über diese Frage auseinandersetzen. Das müssen wir im Interesse einer Rechtshygiene gegenüber Kindern weit über die Familien hinaus tun. Kinder sind keine Gegenstände, Kinder sind Menschen mit eigenen Grundrechten. Der Respekt vor Kindern gehört zur allgemeinen gesellschaftlichen Verantwortung für Kinder wie auch zur elterlichen Verantwortung. ({8}) Zum Schluß möchte ich Ihnen, Herr Pofalla, und den von Ihnen genannten Kolleginnen und Kollegen für ein tolles Stück streitiger Zusammenarbeit danken, wie man es schöner gar nicht haben kann - bei aller Härte der Auseinandersetzungen -, und für ein insgesamt gleichwohl gelungenes Stück Recht, das auch der Familiengerichtstag sehr gelobt hat. Ich möchte aber auch den Müttern und Vätern danken, die es - wie wir immer wieder erleben können - aus einem ganz einfachen Grund fertigbringen, Großherzigkeit und Verzeihungsbereitschaft an den Tag zu legen, nämlich weil sie in aller Regel ihre Kinder lieben. Bei der Härte der Auseinandersetzungen zwischen den Verbänden habe ich manchmal gedacht: Verbände haben leider keine Kinder. Der Machtkampf wird abstrakt, er wird zum Machtkampf zwischen Mann und Frau, und das Kind verliert sein Gewicht. - Schade. Im Ergebnis haben wir auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem BMJ zu danken. Herr Minister, es muß eine Freude sein, ein Ministerium mit solchen Mitarbeitern zu führen. Ich hoffe, daß wir diese Freude bald mit Ihnen teilen können bzw. daß wir sie übernehmen. ({9}) Ein Wort noch zur Verfahrenspflegschaft. Die Justizminister der Länder haben große Sorgen, daß die Kosten, die durch die Wahrnehmung dieses Rechts entstehen können, alles bisherige sprengen werden. Ich denke, Herr Pofalla, wir sind uns darüber einig, daß wir gerade durch die Herausnahme der richterlichen Anhörung des Kindes dort, wo es nicht hingehört, deutlich machen wollten, daß es nicht dem Wohl des Kindes dient, in dem Prozeß seiner Eltern eine Parteirolle übernehmen zu müssen. Es gibt aber Einzelfälle, in denen niemand die Interessen der Kinder verfolgt. Das Kind ist aber kein Gegenstand, sondern ein Mensch mit eigenen Rechten. Das muß im Gesetz zum Ausdruck kommen. Ich denke, wir haben mit diesem Gesetz keine Menschen verändert. Aber wenn es uns gelingt, in einigen Fällen Tränen zu trocknen, ist es gut. Mein Dank geht an die Koalition, daß Sie in vielen Fällen so weit über Ihren Schatten gesprungen sind! Danke. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gut Ding will Weile haben. Ich glaube, das gilt nach all diesen Jahren ganz besonders für die Gesetze, die heute hier beraten und verabschiedet werden. Wir sind mit dem, was erreicht wurde, nicht zufrieden. Für uns geht es in der Diskussion im wesentlichen um drei Dinge: das ist erstens die gewaltfreie Erziehung, zweitens die Reform des Umgangsrechts und drittens die Neuregelung der elterlichen Sorge. Auch meine Fraktion freut sich, daß das geplante Gesetz in vielen Bereichen endlich in der heutigen Wirklichkeit von Familien angekommen ist und nicht länger antiquierte Lebensformen zum Vorbild nimmt. Denn wenn man sich nur einmal bewußt macht, daß in den nicht mehr ganz so neuen Ländern 40 Prozent aller Kinder in Familien hineingeboren werden, die ohne Trauschein auskommen, macht das klar, wie groß der Reformbedarf ist. Uns liegen heute drei Gesetzentwürfe vor, die ein Gesamtpaket bilden; nur zu zweien will ich ganz kurz etwas sagen. Wir begrüßen die Abschaffung der Amtspflegschaft. Es war allerhöchste Zeit, daß diese Mischung aus Fürsorge und Kontrolle durch eine Regelung abgelöst wird, die der Mutter die Entscheidung überläßt, ob sie Hilfe in Anspruch nehmen will oder nicht. Auch die erbrechtliche Gleichstellung von Kindern, die innerhalb oder außerhalb einer Ehe geboren wurden, ist ein begrüßenswerter Schritt. Jetzt fehlt nur noch, daß auch endlich der Stichtag fällt. Wir stimmen beiden Gesetzentwürfen zu. Anders sieht es bei der engeren Reform des Kindschaftsrechts aus. In der öffentlichen Diskussion spielen die geplanten Änderungen beim Sorgerecht - das sahen wir diese Woche an den Anrufen, Faxen und Briefen, die wir alle bekommen haben - die größte Rolle. Es ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, daß auch nach einer Scheidung Eltern mehr und mehr bereit und in der Lage sind, weiterhin gemeinsam für ihre Kinder zu sorgen. Dies entspricht - nebenbei bemerkt - nicht nur dem Willen der meisten Kinder, die sich ja nicht von einem ihrer Elternteile scheiden lassen wollen, nur weil ihre Eltern sich trennen. Es war überfällig, daß die Gesetzgebung diese Entwicklung, die in der Rechtsprechung ja schon selbstverständlich berücksichtigt wird, aufgreift. Ich sehe aber bei dem vorliegenden Entwurf die Gefahr, daß wir von einem Extrem ins andere fallen. Nachdem so viele Jahre lang einem Elternteil die Sorge übertragen werden mußte, schlägt das Pendel jetzt in die andere Richtung aus. ({0}) So richtig und wichtig es ist, daß die gemeinsame Sorge für alle ermöglicht wird - es darf aber nicht dazu kommen, daß sie quasi unter der Hand zu einem Maßstab für die Verkörperung des Kindeswohls wird. Das Gesetz atmet aber, ob gewollt oder ungewollt, genau diesen Geist, daß die gemeinsame Sorge die bessere Sorge sei. ({1}) Das berücksichtigt nicht die gesellschaftliche Situation der Familien, insbesondere der Mütter. Wir alle wissen doch, sie haben nicht die Rahmenbedingungen, die sie brauchen. Sie sind - meist unfreiwillig - allein mit ihrer Verantwortung für die Kinder. Bei einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung sind wir noch immer Schlußlicht in Europa. Der Unterhalt existiert doch oft mehr auf dem Papier als im Geldbeutel. Es gibt viel zu wenig Teilzeitarbeitsplätze für Mütter und Väter. Ich gestehe gerne zu, daß der jetzt vorliegende Text im Vergleich zur ursprünglichen Fassung weRita Grießhaber sentliche Verbesserungen bietet. Der Referentenentwurf sah ja Entscheidungsverfahren vor, bei denen nicht über vorhandene minderjährige Kinder gesprochen werden sollte. Die Beratungen und wohl vor allem auch das Kopfschütteln aller Experten haben dazu beigetragen, daß nun der Verhandlungsverbund bestehen bleibt. An dieser Stelle an alle Personen auch meinen Dank für die sehr konstruktive Zusammenarbeit im Berichterstattergespräch. Ein ganz herzliches Dankeschön in diesem Zusammenhang der Kollegin Frau von Renesse, der wir den Fortschritt in bezug auf den Verhandlungsverbund am allermeisten zu verdanken haben. ({2}) Allerdings befürchten wir, daß auch bei der jetzigen Lösung noch zu viele Konflikte auf später verschoben werden, die mit einer klaren Entscheidung des Gerichts sofort gelöst werden könnten. Auch beim Umgangsrecht gibt es Verbesserungen. Am meisten freut mich, daß es nun nicht mehr nur darum geht, ob Vater oder Mutter ein Recht auf Umgang mit dem Kind haben. Jetzt hat endlich auch das Kind ein Recht auf Umgang mit seinen Eltern. Bei allem Fortschritt ist die im Gesetz gefundene Formulierung auch problematisch. Den Wunsch, daß sich Väter um ihre Kinder kümmern sollten, teile ich; richtig ist auch, daß sie verpflichtet sein sollen, ihren sozialen Bindungen weiter nachzukommen. Aber die generelle Pflicht des Vaters zum Umgang mit dem Kind jenseits vorhandener sozialer Bindungen hat eine höchst fragwürdige Kehrseite: Die Frau, die gegen den Willen des Erzeugers, ohne Unterstützung von ihm, vielleicht sogar nur mit aller Kraft gegen ihn das Kind bekommen hat, sieht sich jetzt damit konfrontiert, daß dieser Vater eine Pflicht zum Umgang mit dem Kind bekommt und sie vor Gericht eventuell nachweisen muß, daß das dem Wohl des Kindes nicht förderlich ist. Meine Damen und Herren, ein Gesetz kann doch nicht die soziale Bindung, die wir uns wünschen, rechtlich als gegeben voraussetzen. In den meisten Fällen wird es doch wohl so aussehen, daß die Mutter will, daß der Vater sich verläßlich um das Kind kümmert. Die Mutter wird es allerdings sein, die die enttäuschte kleine Paula trösten muß, wenn sie, gespornt und gestiefelt, vergeblich auf Papi wartet. Der wird der Mutter dreinreden, wo immer es ihm paßt, und seinen Pflichten nur nach Gusto nachkommen. Wir wissen doch, wie das mit den Rechten ist: Man kann sie einklagen, und Väter tun das gerne. Dagegen stehen die Pflichten auf dem Papier und sind nicht einklagbar. Auch für uns ist nicht nachvollziehbar, daß Sie das Umgangsrecht des Kindes so sehr von der biologischen Abstammung abhängig machen. Es gibt doch so viele andere Personen, zu denen ein Kind enge Bindungen aufbauen kann, die vielleicht tragfähiger und wichtiger für die Entwicklung sind als Blutsverwandschaft. ({3}) Was spricht denn dagegen, dem Kind den Umgang mit der ehemaligen Freundin seines Vaters zuzugestehen, die ihm vielleicht das Fahrradfahren beigebracht hat, statt mit einem Großvater, den es vielleicht noch nie in seinem Leben gesehen hat? ({4}) - So haben Sie das nicht drin, Herr Kollege Braun. Wir wollen, daß bei der Neugestaltung des Umgangsrechts noch viel stärker die Interessen des Kindes in den Mittelpunkt gestellt werden. ({5}) Deshalb wollen wir auch einen Verfahrenspfleger, der dem Kind, zum Beispiel bei der Entscheidung, wer für es sorgen soll, verbindlich zur Seite steht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend zu einem Punkt kommen, der mir auch als Vorsitzender der Kinderkommission ganz besonders am Herzen liegt: die gewaltfreie Erziehung. Zwar wird jetzt das Mißhandlungsverbot verschärft; aber die Rechtsprechung macht ja leider einen Unterschied zwischen einer Mißhandlung und einer körperlichen Züchtigung als Erziehungsmaßnahme. ({6}) Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich eine gelegentlich wohlverdiente Tracht Prügel für zulässig erachtet. Sie ist danach noch immer keine Mißhandlung. Das sagt sehr viel über das Erziehungsverständnis in diesem Lande aus und verdeutlicht, wie nötig eine eindeutige Klarstellung im Gesetz ist. ({7}) Frau Nolte, was den Unsinn angeht, wenn eine gewaltfreie Erziehung im Gesetz stünde, dürften Eltern ihre Kinder nicht mehr daran hindern, auf die Straße zu laufen: Das ist ja wohl das Allerletzte. ({8}) Sie wissen ganz genau, daß im Gegenteil die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzen dürfen; dazu gehört auch, das Kind von Gefahren auf der Straße fernzuhalten. Billiger geht die Polemik wohl nicht mehr. ({9}) Was zwischen Erwachsenen selbstverständlich verboten ist, soll Eltern gegenüber ihren Kindern erlaubt sein. Ohrfeigen sind aber keine Erziehungsmaßnahmen. Sie sind vielmehr Ausdruck von Hilflosigkeit und Überforderung. Selbstverständlich brauchen Kinder Grenzen und Familien mehr Unterstützung. Aber Grenzen setzen hat nichts mit Prügeln zu tun. Die Ohrfeige ist schnell verpaßt; die Demütigung für das Kind sitzt oft tief und hat mitunter lang anhaltende Wirkung. Wenn Kinder schon zu Hause erfahRita Grießhaber ren, daß sich die Großen gegenüber den Kleinen mit Gewalt durchsetzen dürfen, lehrt man sie, daß das Ausspielen von körperlicher Gewalt ein anerkanntes Mittel ist. Ich möchte hier noch einen Punkt aufgreifen: Sehen Sie sich doch einmal die öffentliche Aufregung über die steigende Kinder- und Jugendkriminalität an. Wie viele rufen da vorschnell nach mehr Strafe, statt nach Ursachen zu forschen? Wer fragt schon danach, ob diese Kinder nicht schon per Erziehung gelernt haben, daß Gewaltanwendung toleriert wird? Wo erfahren sie denn, wie man konfliktgeladene Situationen aufbrechen, wie man eigene Wut kanalisieren kann? Das Beispiel der Eltern ist ja vielfach zentral. Das Schlagen eines Kindes bedeutet auch, seine Würde zu mißachten. ({10}) All die Diskussionen um den sexuellen Mißbrauch von Kindern im sozialen Nahbereich, die wir hier hatten, sind immer an einem entscheidenden Punkt angelangt: nämlich daß Kinder erfahren müssen, daß sie als Personen geachtet werden. ({11}) Alarmiert ist die Öffentlichkeit immer dann, wenn ein Kind von seinen Eltern krankenhausreif geschlagen wird. Damit es gar nicht erst soweit kommt, muß Gewalt schon frühzeitig aus dem Kinderzimmer verbannt werden. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch gewährleistet ja nicht, daß jedes Kind vor Prügeln bewahrt wird. Es würde die ohrfeigende Mutter auch nicht ins Gefängnis bringen. Aber es könnte eine Norm setzen, es würde klarstellen, daß diese Gesellschaft in den Beziehungen der Menschen untereinander Gewalt nicht akzeptiert. Damit mischt sich der Staat nicht in die Familien ein. Er stellt nur unmißverständlich klar, daß Kleine genauso zu achten sind wie die Großen. Ich hoffe sehr, daß bei diesem Thema mit dem heutigen Gesetz noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. ({12}) Meine Damen und Herren, der Justizminister hat mehrfach betont, daß ein wichtiger Pfeiler der Reform des Kindschaftsrechts die Neufassung des Unterhaltsrechtes ist, um auch dort zu einer Gleichbehandlung von Kindern innerhalb und außerhalb der Ehe zu kommen. Dieser Teil der Reform steht noch aus. Wer die Zahlen über die Entwicklung der Sozialhilfe kennt und wer weiß, wie rasant die Zahl der Kinder unter sieben Jahren zunimmt, die von Sozialhilfe leben, der weiß auch, daß nicht nur das Unterhaltsrecht zur Reform ansteht. Wir werden uns in diesem Hause noch viel umfassender mit der sehr dringenden Frage der Existenzsicherung von Kindern auseinandersetzen müssen, wenn wir nicht wollen, daß Kinder haben das Armutsrisiko Nummer eins in dieser Gesellschaft bleibt. Vielen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mit dem Dank an all jene beginnen, die an dieser Reform, die den Namen wirklich verdient, mitgewirkt haben. Wie Frau von Renesse habe ich die Beratungen im Kreise der Berichterstatterinnen und Berichterstatter als sehr angenehm empfunden, weil leidenschaftlich, kontrovers, aber immer an der Sache orientiert um den besten Weg gerungen wurde. Ich denke, daß wir auf diesem allerbesten Weg ein gutes Stück vorangekommen sind. Wir waren uns in diesen schwierigen Beratungen darüber im klaren, daß all das, was hier in Gesetze gegossen wird, nicht die Lösung der Konflikte in persönlichen Beziehungen sein wird. Wir waren uns vielmehr im klaren darüber, daß wir mit diesen dringend notwendigen rechtlichen Veränderungen nur dazu beitragen, daß diese Konflikte, die ja vorhanden sind - wenn es Sie nicht gäbe, brauchten wir überhaupt kein Gesetz -, leichter gelöst werden können, damit die unterschiedlichen Interessenlagen und ganz besonders die Anliegen der Kinder besser zur Geltung kommen. Das hat - das sage ich hier ganz offen - noch zu einigen Änderungen während der Beratungen geführt, die im Ergebnis eine Verbesserung dieses Reformgesetzes bedeuten. Diese Verbesserung hätte man aber nicht erreicht, wenn nicht schon ein hervorragender Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgelegen hätte. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß das Herzstück dieser Reform das Umgangsrecht und das Sorgerecht und in Ergänzung hierzu die Ausgestaltung der Rechte der Kinder sind, so daß diese nunmehr ein Recht auf Umgang haben. Dies bedeutet eine ganz erhebliche Fortentwicklung. Da habe auch ich mich von den Argumenten der Sachverständigen überzeugen lassen. Ich glaube, daß wir eine gute Formulierung gefunden haben, um in diesem schwierigen Spannungsverhältnis der Rechte, aber auch der Pflichten von Eltern und Kindern den Kindern den Stellenwert zukommen zu lassen, der ihnen tatsächlich gebührt. Das gemeinsame Sorgerecht hat uns als Abgeordnete am meisten bewegt und beschäftigt uns immer noch. Vieles, was da tituliert wurde - Zwang zur gemeinsamen Sorge, Automatismus, Regelfall gemeinsame Sorge nach Scheidung - trifft so nicht den Kern der Regelungen der Kindschaftsrechtsreform. Vielmehr haben wir uns von dem Gedanken leiten lassen, daß die gemeinsame Sorge, wenn sie funktioniert, das beste für das Kind oder die Kinder ist. Wenn sie verordnet, wenn sie zwangsweise vorgeschrieben wird, kann sie genau das Gegenteil sein. Ausgehend von dieser gemeinsamen Erkenntnis haben wir nach Wegen gesucht, wie das ausgestaltet werden kann. Dazu liegt jetzt der Änderungsantrag der SPD vor, der sich auf einige Punkte bezieht, die wesentliche Inhalte der gemeinsam ausgeübten Sorge sind. Zu fragen ist: Soll es hier eine Elternvereinbarung geben? Soll etwas ins Gesetz aufgenommen werden, was nicht Gegenstand einer Vereinbarung ist, aber einen niedrigeren Stellenwert hat? Ich glaube, daß es gute Gründe dafür gibt, so etwas nicht in das Gesetz hineinzuschreiben. Wir wissen, daß man sich auch bei gemeinsamer Sorge über den Aufenthalt des Kindes verständigen muß. Wir wissen, daß man sich über Besuchsmöglichkeiten und die Entscheidungsfindung in schwierigen Fragen verständigen muß. Wir haben mit der Neufassung des § 1687 BGB - um einen einzigen Paragraphen zu nennen -, nach dem in wesentlichen Fragen gemeinsam entschieden werden muß, eine erhebliche Entschärfung von möglichen Konflikten im täglichen Leben gefunden. Immer dann, wenn es wiederkehrende Angelegenheiten sind, wenn sie alltäglich und nicht unumkehrbar sind, muß derjenige, der mit dem Kind zusammenlebt, sehr schnell und kurzfristig die notwendigen Entscheidungen treffen. Ich glaube, diese Kombination wird dazu beitragen, daß viele gerichtliche Streitverfahren vermieden werden können. Auch das hat mich bei dieser Reform immer bewegt. Lassen Sie mich zum Schluß - leider ist die Redezeit, obwohl es hier um eine große Reform geht, sehr kurz - noch ein Wort zu den Erziehungsregelungen, insbesondere zur Frage des Züchtigungsrechts, sagen. Ich freue mich - das sage ich hier ganz offen -, daß die jetzt vorgesehene Regelung noch in den Berichterstattergesprächen vereinbart werden konnte. Sie war auch schon in einem Gesetzentwurf aus dem Jahre 1994 vorgesehen. Sie ist getragen von dem Gedanken, daß Prügel und Schläge - das sind körperliche Mißhandlungen - nicht Mittel von Erziehung sein sollen. ({0}) Damit verbinden wir alle den Wunsch, daß in Deutschland ein Diskussions- und Bewußtseinsbildungsprozeß in Gang gesetzt wird, daß Gewalt nicht Gegenstand von Erziehung und kein Mittel von Erziehung sein soll. ({1}) Wir wollen natürlich nicht, daß ein Staatsanwalt sagt, wie Erziehung auszusehen hat. Das hat uns alle bei den Überlegungen, welche Formulierungen wir hier wählen sollen, nie getragen. Daß wir hier - in diesem Zusammenhang sage ich Dank an den Koalitionspartner - soweit gekommen sind, lag auch an Ihrer Zustimmung, die für Sie einen Sprung bedeutete und sicher nicht allen leichtgefallen ist. Ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorausschicken, daß sich auch die Bundestagsgruppe der PDS in die laufende Diskussion um die gewaltfreie Erziehung einmischen wird, indem sie in Kürze einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes vorlegen wird, in dem das Recht von Kindern und Jugendlichen auf ein gewaltfreies Leben fixiert ist. Ansonsten werde ich mich in meinem Beitrag auf die Frage des Sorgerechts nach der Scheidung konzentrieren. Gegen das im Gesetzentwurf vorgesehene gemeinsame Sorgerecht als gesetzlichen und damit natürlich auch als normativen Regelfall gibt es massive Kritik und massiven Widerstand, und zwar nicht nur von Frauen oder Frauenverbänden, den Frauenhäusern und Frauenministerinnen; sie kommt vielmehr insbesondere von denen, die seit Jahrzehnten in der Familienarbeit tätig sind, wie dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, den Jugendämtern, dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Bundesarbeitsgemeinschaft der katholischen sowie der evangelischen Familienbildungsstätten. Obwohl mit zunehmender Dauer der öffentlichen Diskussion die Sachargumente und damit auch der Aspekt des Kindeswohls die Oberhand gewonnen haben, hält die Bundesregierung an ihrem Modell fest. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung basiert in der Frage des Sorgerechts - das will ich hier so klar sagen - auf Mythen, nicht jedoch auf der Lebenswirklichkeit. ({0}) Eine der Grundannahmen des Gesetzes ist, daß das gemeinsame Sorgerecht die kindeswohlfördernste Sorgerechtsform ist. Es gibt aber keine beste Sorgerechtsform an sich. Die beste Sorgerechtsform ist immer noch die, die das Kind am besten vor den Elternkonflikten schützt und die vor allem von allen Beteiligten auf dem niedrigstmöglichen Konfliktniveau auch tatsächlich gelebt werden kann. Wir machen ja hier die Gesetze nicht für den Fall, daß sich alle einig sind, sondern für den Konfliktfall, und für diesen gilt das, was ich soeben gesagt habe, uneingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1982 die Voraussetzungen für ein gemeinsames Sorgerecht formuliert. Die Eltern müssen sich freiwillig dafür entscheiden, und sie müssen zur Kommunikation und Kooperation in der Lage sein; sonst werden die Paarkonflikte der Eltern zwangsläufig auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Wer das nicht verstanden hat, weiß nichts vom Wohl des Kindes. Gänzlich absurd wird das gemeinsame Sorgerecht, wenn es gegen den Willen eines Elternteils durchgesetzt wird. In Fachkreisen ist das Konsens. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ignoriert das. Das gemeinsame Sorgerecht ist die Sorgerechtsform - ich will das hier sehr deutlich sagen -, die am schwierigsten zu realisieren ist. Sie wird nur für wenige Paare, vor allem für solche, denen schon in der Ehe eine faire und partnerschaftliche Betreuung des Kindes gelungen ist, tatsächlich mit Leben zu erfüllen sein. Das muß uns klar sein. Es ist zu erwarten, daß das gemeinsame Sorgerecht, wie es das Umgangsrecht schon heute ist, zum Kriegsschauplatz der nachehelichen Auseinandersetzung wird. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: Das neue Kindschaftsrecht wird, indem es die Eltern zur Abwehr einer in den meisten Fällen nicht lebbaren Sorgerechtsform zwingt, nicht streitvermindernde, sondern im Gegenteil streitverschärfende Wirkung haben und damit dem Kindeswohl schaden. Je restriktiver die Bedingungen für das alleinige Sorgerecht gestaltet werden, desto mehr werden die Eltern künftig vor den Gerichten schmutzige Wäsche waschen. Durch die Abwertung der alleinigen Sorge im Gesetzentwurf der Bundesregierung werden zugleich alle Frauen und auch die wenigen Männer diskreditiert, die in der Ehe oder als Alleinerziehende die Verantwortung für ihre Kinder allein wahrnehmen. Das ist ein unglaublicher Vorgang. Schon heute wächst der Druck der Ämter und Gerichte auf Eltern, sich für das gemeinsame Sorgerecht zu entscheiden. Immer mehr Eltern kommen aus dem Gerichtssaal mit der Aufforderung heraus, es doch einfach einmal mit dem gemeinsamen Sorgerecht zu versuchen. Mit dem Wohl des Kindes hat dies nichts mehr zu tun; denn die sogenannte zweite Scheidung, bei der es um die Änderung des gemeinsamen Sorgerechts und die Umwandlung in ein alleiniges Sorgerecht, verbunden mit Umgangsrecht, geht, ist in der Regel für Kinder viel schmerzlicher und traumatisierender, als es die Scheidung der Eltern bereits war. Wir, die PDS-Bundestagsgruppe, wollen, daß sich Eltern im Falle einer Scheidung bewußt mit ihrer neuen Situation auseinandersetzen und bewußt für die ihnen gemäße Sorgerechtsform - das gemeinsame Sorgerecht oder aber für das alleinige Sorgerecht mit geregeltem Umgangsrecht oder auch eine Zwischenform - entscheiden. Ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen eines Elternteils darf es mit Blick auf das Kindeswohl nicht geben. ({1}) Der zweite zentrale Mythos lautet, Väter würden bei gemeinsamem Sorgerecht besser motiviert, den Kontakt zum Kind aufrechtzuerhalten und die Unterhaltszahlungen zuverlässiger zu leisten. Repräsentative Untersuchungen zur Wirkung der rein juristischen gemeinsamen Sorge belegen, daß allein eine veränderte Rechtsposition weder zu mehr Unterhaltszahlungen noch zu einem Mehr an Kontakten führt. Meine Damen und Herren, für die Mythen, die ich Ihnen hier geschildert habe, wird in Kauf genommen, daß sich die Rechtsposition desjenigen Elternteils, der mit dem Kind in einer häuslichen Gemeinschaft lebt und die tagtägliche Sorge auch wirklich wahrnimmt - das ist in diesem Land in der Regel die Mutter -, drastisch verschlechtert; denn in der Praxis bedeutet das gemeinsame Sorgerecht ein Vetorecht des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils in allen Fragen von erheblicher Bedeutung, wie es heißt. Die allerdings betreffen nie das Kind alleine, sondern immer zugleich auch das Leben des mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils. Zum Beispiel wird der betreuende Elternteil den Wohnort künftig nicht mehr wechseln können, zum Beispiel weil anderswo ein Arbeitsplatz in Aussicht steht, wenn der andere Elternteil sich in der Ausübung der Umgangskontakte beeinträchtigt sieht. Das ist unhaltbar. Das gemeinsame Sorgerecht in der hier vorgeschlagenen Form reproduziert die Ungleichheit in der Verteilung von Sorgerechten und Sorgepflichten, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland noch bis 1959 mit dem sogenannten Stichentscheid des Vaters herrschte. Eine derartige Aufspaltung von Rechts- und Personenbeziehung ist nicht nur gleichheitsverstoßend und verfassungswidrig, sondern steht auch den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates entgegen. Wer die gemeinsame Sorge als gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an der Kinderbetreuung wirklich will, der muß sich um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kümmern. Dazu gehört unter anderem, endlich eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit durchzusetzen. Dazu gehört, den bereits zaghaft stattfindenden Wandel im Rollenverständnis sowohl von Frauen als auch von Männern stärker zu unterstützen. Dazu gehört, die übliche Sozialisation von Jungen in Frage zu stellen. Dazu gehört insbesondere, den Wunsch der Mehrheit der Frauen nach einer existenzsichernden Berufstätigkeit zu einem Grundsatz in der Politik zu machen. ({2}) Abschließend will ich sagen: Das Kindschaftsrechtsreformgesetz in der hier vorliegenden Form ist in der Frage der Sorgerechtsregelung realitätsfremd. Ich bin sicher, daß es in dieser Form keinen Bestand haben wird. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Justiz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 20. Juni vergangenen Jahres konnte nach langen Vorabklärungen hier im Haus endlich der Entwurf zum Kindschaftsreformgesetz eingebracht werden. In den Ausschußberatungen haben wir es mit dem Beistandschafts- und dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz verbunden und zu einem umfassenden Reformpaket zusammengeführt. Heute können wir eine erste Zwischenbilanz ziehen. Vieles wurde zu verschiedenen Einzelfragen hier schon gesagt. Ich möchte nur weniges in den Grundsätzen noch einmal betonen. Zunächst einmal: Das große Ziel der Reform ist es, ein Kindschaftsrecht zu schaffen, das den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Frau von Renesse hat schon darauf hingewiesen, daß wir imBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig mer erst mit 20-Jahr-Schritten in der Lage zu sein scheinen, umfassende Familienrechtsreformen zustande zu bekommen. Das Kindschaftsrecht ist zuletzt vor hundert Jahren umfassend geschrieben worden, nämlich bei der Schöpfung des BGB. An dieser Stelle auch von seiten der Bundesregierung, von seiten des Bundesministeriums und von mir persönlich herzlichen Dank an alle Fraktionen und Berichterstatter. Liebe Frau von Renesse, einen kleinen Seitenhieb, den Sie angebracht haben, gebe ich gerne zurück. Es war eine Freude, in diesem Bereich eine so konstruktive Opposition vorzufinden. ({0}) Meine Damen und Herren, das neue Kindschaftsrecht ist kindgerecht. Es stellt die Hoffnungen, die Chancen, die Rechte der Kinder in den Mittelpunkt. Kinder können sich nicht aussuchen, in welche Familienverhältnisses sie hineingeboren werden. Deshalb haben sie auf jeden Fall Anspruch auf dieselben Rechte, egal, ob ihre Eltern bei der Geburt verheiratet sind oder nicht. Deshalb setzen wir jetzt ein Signal dafür, daß beide Eltern nach einer Trennung und möglichst auch ganz unabhängig davon für ihre Kinder gemeinsam verantwortlich bleiben. Denn eines ist klar: Für die Entwicklung von Kindern ist es ganz wesentlich, Kontakt, Umgang und auch rechtliche Beziehungen zu beiden Eltern zu haben. Entscheidend für die rechtlichen Gestaltungen in diesem Bereich ist eben zu allererst das Wohl des Kindes. Aus der Vielzahl der Regelungen möchte ich drei Aspekte besonders hervorheben: erstens einen Aspekt, der bisher eher noch zu kurz kam: Die Reform führt die unterschiedlichen Rechte in den alten und neuen Bundesländern zusammen. Das gilt sowohl etwa für die Amtspflegschaft gegenüber der jetzt so gestalteten Beistandschaft wie für die Erbrechtsgleichstellung. Der zweite Aspekt, auf den ich eingehen möchte - und der zugleich der schwierigste Punkt ist -, betrifft die elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung. Hierzu haben alle Vorrednerinnen und Vorredner gesprochen. Daß es hier einen Automatismus zugunsten gemeinsamer Sorge nach Trennung und Scheidung gebe, trifft nicht zu. Schon heute besteht die gemeinsame elterliche Sorge zwischen Trennung und Scheidung fort, solange kein Elternteil einen Antrag auf Zuweisung der alleinigen Sorge stellt. Der einzige Unterschied besteht darin, daß sich in Zukunft auch mit der Scheidung hieran nichts automatisch ändert. Wichtig ist, daß die gemeinsame Sorge über die Scheidung hinaus auf einer bewußten Entscheidung beider Eltern in Kenntnis der rechtlichen Gestaltungsoptionen fußt. Deshalb wird das Gerichtsverfahren so ausgestaltet - das hat die Beratung in den Ausschüssen mit Ihrer Hilfe so auch noch zu bewegen verstanden -, daß die elterliche Sorge zur Sprache kommt, ohne daß über sie im Zwangsverbund entschieden werden muß. Auch werden die Eltern in der Trennungsphase auf die Beratungsangebote, zum Beispiel der Jugendämter, hingewiesen. Der dritte Aspekt, den ich erwähnen möchte, sind die Grenzen des elterlichen Erziehungsrechts. Auch hierzu haben sich schon viele Vorrednerinnen und Vorredner geäußert, und das zeigt auch, wie wichtig, sensibel und schwierig die Regelung war und ist. Ich freue mich, daß es in diesem Punkt im Rechtsausschuß zu einem Konsens gekommen ist. Die gefundene Lösung verdeutlicht den Eltern, daß Mißhandlungen ihrer Kinder kein geeignetes Mittel zur Erziehung sein können. Zwar können Gesetzesvorschriften, wie wir alle wissen - auch leidvoll wissen; umgekehrt muß ich als Liberaler auch sagen: gottlob wissen -, nur begrenzt soziale, zwischenmenschliche Verhältnisse gestalten und/oder verändern. Aber es soll jedenfalls ein unmißverständliches Signal gesetzt werden. Prügel kann nie ein Mittel werthaften, verantwortlichen Umgangs mit einem Kind sein. Wer hier Gewalt sät, erntet auch Gewalt. Die Kinder- und Jugendkriminalität hat ihre Ursache zu einem nicht geringen Teil gerade in der Erziehung im Elternhaus. Sie, Frau Grießhaber, haben darauf hingewiesen. Ich stimme Ihnen hier ausdrücklich zu. Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß wir mit dieser Reform spät, aber nicht zu spät - wenn auch diese Dezennienschritte ein bißchen sehr groß sind - ein modernes Kindschaftsrecht schaffen, das im internationalen Vergleich bestehen kann. ({1}) Ich freue mich sehr, daß der Rechtsausschuß die Reform in weiten Teilen einstimmig, im übrigen mit sehr breiter Mehrheit angenommen hat. Lassen Sie uns auch heute ein Zeichen für eine breite Akzeptanz des neuen Kindschaftsrechts geben! Denn ohne Kinder gibt es keine Zukunft. Wie diese Kinder in der Zukunft dastehen, wie diese Zukunft aussieht, hängt davon ab, wie wir mit unseren Kindern umgehen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich muß leider Ihre Erinnerung an die Rechtsausschußsitzung etwas korrigieren. Gerade in dem Punkt der gewaltfreien Erziehung haben wir keinen Konsens erzielt. Das, was jetzt im Gesetzentwurf steht, ist unserer Ansicht nach als Signal nicht eindeutig genug. Ich will noch zu zwei anderen Punkten sprechen, an denen sich zeigt, daß diese Reform eine höchst unvollendete Reform ist und daß sie weitere Diskussionen geradezu aufdrängt. Wir wissen ja, diese Initiative ist nicht aus eigenem Reformwillen der Koalition entstanden, sondern sie Volker Beck ({0}) wurde in wesentlichen Punkten von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angestoßen. Es ist jetzt gerade einmal gelungen, daß Sie der Erkenntnis, daß die Ehe kein biologisches Reproduktionsmonopol besitzt, Rechnung tragen wollen. Für die Koalition ist das ein großer Fortschritt, aus der Sicht der Bevölkerung hinsichtlich der Lösung der Probleme allenfalls ein Anfang. Ärgerlich finde ich bloß, daß wir an dieser Stelle stehengeblieben sind und es uns nicht gelungen ist, beim Sorgerecht und beim Umgangsrecht der sozialen Elternschaft, die zum Teil unabhängig von biologischen Verhältnissen besteht, mehr Rechnung zu tragen. Hier muß der Gesetzgeber noch einiges nacharbeiten. Noch absurder wird es aber, daß wir jetzt, gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht, die nichteheliche Familie anerkennen, also Vater und Mutter, die sich entschließen, gemeinsam für ihre Kinder zu sorgen, sie aufzuziehen und Verantwortung für diese Gesellschaft zu übernehmen. Trotzdem tut der Gesetzgeber weiterhin so, als ob die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die diese Verantwortung übernimmt, ein rechtliches Nullum wäre und faktisch nicht existieren würde. Hier scheitern wir mit den notwendigen Reformen, die der Deutsche Juristentag schon Ende der 80er Jahre angemahnt hat, an ideologischen Denkverboten in der Koalition. Wir sollten uns nach dieser Kindschaftsrechtsreform an die Arbeit machen und endlich der Tatsache Rechnung tragen, daß es Eltern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften gibt, die gemeinsam eine Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Dies rechtfertigt es nicht mehr, daß der Gesetzgeber sie rechtlich - im Zivil- oder im Familienrecht - weiterhin ignoriert.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, Sie können darauf antworten.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Kollege Beck, abgesehen davon, daß Sie mit Ihren Ausführungen nur ganz entfernt auf meine Rede Bezug genommen haben, will ich jedenfalls auf Ihre an mich gerichteten Darlegungen in einem Punkt eingehen. Ich möchte mit Entschiedenheit zurückweisen, daß diese Reform in jeder ihrer Facetten kein eigenes und ganz eigenständiges Reformvorhaben dieser Regierung gewesen ist. Das sage ich ausdrücklich für die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode und ganz speziell für meine Amtsvorgängerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Wir, die ganze Bundesregierung, haben uns zu dieser Reform durchgerungen. Daß man dorthin getragen worden sei, wie Sie das gesagt haben, und womöglich durch Sie und die Grünen, ({0}) kann man eigentlich gar nicht zurückweisen, weil es für sich selbst spricht. Es ist daneben. Danke sehr.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Frau Dr. Edith Niehuis das Wort.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute wird über die Reform des Kindschaftsrechts entschieden. Ich stimme mit allen überein, daß dies eine längst überfällige Reform ist. Gesetze - das wissen wir - greifen mit ihren Paragraphen immer in die Lebenswirklichkeit von Menschen ein. Selten müssen wir über Gesetze entscheiden, die so sehr in einen intimen und privaten Lebensbereich von Menschen eingreifen wie die Gesetze zum Kindschaftsrecht. Diese Situation stellt besonders hohe Anforderungen an die von uns zu treffenden Entscheidungen. Wir sind uns mittlerweile alle einig - was ich sehr begrüße -, daß beim Kindschaftsrecht das Kind, seine Bedürfnisse und seine Rechtsposition im Vordergrund stehen müssen. Das ist eine hohe Meßlatte und verlangt von uns viel Sensibilität für die Lebenswirklichkeit, in der Kinder groß werden. Die vorliegenden Gesetzentwürfe werden in vielen Bereichen diesem Anspruch gerecht. In sie sind viele Forderungen eingegangen, die die SPD seit langem stellt. Ich möchte ausdrücklich Margot von Renesse für ihren Einsatz danken. ({0}) Dennoch bin ich mit dem vorliegenden Kompromiß nicht einverstanden und auch viele Betroffene nicht. Worum geht es? Es geht um die vorgesehene Regelung der elterlichen Sorge nach der Scheidung. Der vorliegende Kompromiß geht davon aus, daß nach einer Scheidung die gemeinsame elterliche Sorge fortbesteht. Das ist, Herr Pofalla, der gesetzliche Regelfall. Die alleinige Sorge soll nur auf Antrag gewährt werden. Sie und mich erreichen - Sie haben es erwähnt - viele Briefe, die sich genau gegen diese gesetzliche Vorschrift wehren. In vielen Briefen heißt es kurz und knapp: gemeinsames Sorgerecht ja, aber auf Wunsch beider Eltern, nicht als Regelfall. Ich glaube, genau diese Forderung ist richtig. ({1}) Die gesetzlich verankerte Vorfahrt für die gemeinsame Sorge nach einer Scheidung suggeriert fälschlicherweise, daß es mit Blick auf das Kindeswohl per se ein besseres und ein schlechteres Sorgerechtsmodell gebe. Solch eine Festlegung wird in keinem Fall der Unterschiedlichkeit in vielen Lebenswirklichkeiten gerecht und ist damit falsch. Die Wahrheit ist: Die gemeinsame Sorge wird nur dann die scheidungsbedingten Beeinträchtigungen von Kindern verringern können, wenn beide Eltern nach der Scheidung willens und imstande sind, ein wirklich kooperatives Verhältnis zueinander aufzuDr. Edith Niehuis bauen. Aber diese Gemeinsamkeit läßt sich nicht per Gesetz verordnen. Wir sollten uns dieser Illusion nicht hingeben. ({2}) Weil sie sich nicht verordnen läßt, kann die alleinige Sorge ein ebenso gutes, manchmal auch ein besseres Sorgerechtsmodell sein. Wir wissen, daß es in Deutschland zu 87 Prozent die Frauen sind, die das alleinige Sorgerecht haben und bei denen die Kinder nach der Scheidung leben. ({3}) - An dieser Situation, lieber Kollege, wird auch das neue Gesetz nichts Wesentliches ändern. ({4}) - Es wird sich nichts Wesentliches ändern, solange in den Familien die alte geschlechtsspezifische Rollenverteilung vorherrscht, wie sie vorherrscht. ({5}) Wer möchte, daß beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind - und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern im Familienleben, in der Wirklichkeit, was sehr erstrebenswert ist -, muß damit auch in der Familienwirklichkeit anfangen und nicht erst nach der Scheidung, wenn es um die Frage der gemeinsamen Sorge geht. ({6}) Ich wünschte mir, wir würden die gemeinsame Verantwortung für Kinder und Haushalt mit gleicher Leidenschaft diskutieren, wie wir dies seit Jahren bei Scheidungsfolgen im Hinblick auf das Familienleben tun. Wer erst im Falle der Scheidung anfängt, auf die gemeinsamen Pflichten und Rechte der Eltern zu pochen, kommt zu spät, zäumt das Pferd von hinten auf und wird allzuhäufig scheitern. Weil sich der Gesetzentwurf auf die gemeinsame Sorge der Eltern als Regelfall festlegt, wird der Elternteil, der von dieser Norm abweicht, einen Antrag auf alleinige Sorge stellen müssen, psychologisch also zunächst als Störenfried eingestuft - mögen die Beweggründe noch so lauter sein. Auf Grund der Rollenverteilung in den Familien werden es überwiegend die Frauen sein, die diesen Antrag stellen. 1976 waren wir stolz darauf, daß wir eine Eherechtsreform eingeführt haben, die das Zerrüttungsprinzip anerkannte und somit verhinderte, daß vor dem Familiengericht weiterhin schmutzige Wäsche gewaschen werden mußte, um eine Scheidung durchzubekommen. Ich prophezeie Ihnen: Wegen der wirklichkeitsfremden Kindschaftsreform, die Sie heute im Rahmen der Scheidung durchführen wollen, werden die Scheidungsverhandlungen von morgen denen vor 1976 immer ähnlicher werden. ({7}) Es geht nicht um die Scheidung als solche, sondern schlicht darum, daß immer wieder die Frauen versuchen müssen, zu begründen, daß sie ein Recht auf alleinige Sorge haben. Das wird in vielen Fällen das alte Schmutzige-Wäsche-Waschen sein, das wir alle eigentlich nicht wollen. ({8}) Weil wir diese Befürchtung haben, können viele von uns diesem Kompromiß nicht zustimmen. Darum hat die SPD Änderungsanträge gestellt. Ich behaupte zudem: Sie provozieren geradezu Anträge auf alleinige Sorge, weil der Gesetzentwurf es versäumt, sorgfältig mit der Regelung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung umzugehen. Auch beim Fortbestand der elterlichen Sorge müssen die Verantwortlichkeiten, der Alltag usw. neu geregelt werden, weil Vater, Mutter und Kind nicht mehr zusammenleben. Wir wissen, hier gibt es viele Konflikte. Es gibt viele Erfahrungen über klassische Konfliktfelder, in denen immer wieder Streit entsteht. Darum müssen Eltern, wenn sie getrennt leben, nicht nur über eine neue Verantwortlichkeit sprechen. Sie sollten sich vielmehr einigen, wie der neue Alltag mit dem Kind aussehen soll. Das ist die Elternvereinbarung, die wir als Teil des Scheidungsverfahrens bei gemeinsamer Sorge für wichtig halten und deren Einführung wir mit unseren Änderungsanträgen fordern. Ohne die Berücksichtigung dieser Änderungsanträge läuft der Gesetzentwurf Gefahr, daß Konflikte verschleppt werden und genau das Gegenteil entsteht, was Sie als Koalition hier hoffen. Die Familiengerichtsprozesse werden nämlich nicht weniger werden; es werden vielmehr weitere hinzukommen, weil viele Einzelfragen dann gerichtlich zwischen den Eltern geregelt werden müssen. Mir kann niemand weismachen, daß das für das Kindeswohl besonders zuträglich sei. Das Gegenteil wird der Fall sein. Die eigenständige Persönlichkeit des Kindes soll durch das neue Kindschaftsrecht gestärkt werden. Es gibt eine klassische Stelle im BGB, wo wir gerade diesen Willen zum Ausdruck bringen können, nämlich in § 1631. Hier geht es darum, das Kind vor jeder Form von körperlicher und geistiger Gewaltanwendung zu schützen, was auch die UN-Kinderrechtskonvention von uns fordert. Der im Gesetzentwurf enthaltene Vorschlag „Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig" ist vollkommen unzureichend. ({9}) Menschen, die diesen Satz lesen, werden ihn nicht im Sinne einer Rechtssprache lesen. Sie werden ihn vielmehr umgangssprachlich interpretieren. Das heißt, der Satz fordert mich auf, das Kind nicht zu mißhandeln - ein Riesenfortschritt? -, und er duldet zugleich jede andere körperliche und seelische Strafe. 60 Prozent der Eltern, so sagen Umfragen, halten eine Ohrfeige für sinnvoll. 11 Prozent sprechen sich sogar für eine Tracht Prügel als sinnvolles Erziehungsmittel aus. Unter solchen Umständen dürfen wir Gewalt in der Erziehung nicht verharmlosen. ({10}) Darum halte ich den von uns geforderten Satz „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen." für unverzichtbar im BGB. ({11}) Das wäre ein wirklich wichtiges Signal, das von diesem Hause ausgehen könnte. Wir wissen doch: Familiäre Gewalt kann sich von Generation zu Generation fortpflanzen; wir nennen das Gewaltkreislauf. Diesen Gewaltkreislauf müssen wir durchbrechen, um der heutigen und der morgigen Kinder willen. Wer Kinder schützen will, muß Kinderrechte schaffen. So einfach ist das. Wir haben Änderungsanträge vorgelegt. Ich würde mich freuen, wenn Sie mit uns diesen Änderungsanträgen zustimmen könnten. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Pofalla das Wort zu einer Kurzintervention.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will noch zu zwei Punkten, die die Kollegin Frau Dr. Niehuis angesprochen hat, Anmerkungen machen. Die erste Anmerkung bezieht sich darauf, daß Sie die Auffassung vertreten, die gemeinsame elterliche Sorge werde der Regelfall sein. Auf der anderen Seite zitieren Sie selber Zahlen aus der Realität, mit denen Sie deutlich machen, wieviel einzelelterliche Sorge es noch gibt. Insofern machen Sie, so glaube ich, einen Fehler. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ob die gemeinsame elterliche Sorge Regelfall wird, wird in Zukunft die Praxis entscheiden. Das ist der gesetzliche Ausgangsfall. Legen wir die jetzigen Zahlen, die wir kennen, zugrunde, kommt es nur in etwa 20 Prozent zur Entscheidung für die gemeinsame elterliche Sorge. ({0}) Deswegen wehre ich mich gegen die Formulierung, es sei der Regelfall. Es ist der gesetzliche Ausgangsfall, aber nicht der Regelfall. Sie widersprechen sich selbst, weil Sie Zahlen zitieren, die objektiv deutlich machen, daß es nicht der Regelfall ist. ({1}) Nun die zweite Anmerkung. Sie haben zum Erziehungsrecht der Eltern bezüglich § 1631 Abs. 2 den Änderungsantrag Ihrer Fraktion so gepriesen. Ich will Ihnen einmal aus Ihrem eigenen Antrag vorlesen. Da beantragen Sie: „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen." Dann aber schreiben Sie in der Begründung - ich zitiere wieder aus Ihrem Antrag -, „daß Schläge und andere Formen massiver körperlicher oder seelischer Verletzungen keine geeigneten Erziehungsmittel sind". Bei letzterem stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Nur, Sie kommen aus dem Spagat, den Sie durch Ihren Antrag juristisch machen, nicht mehr heraus. Was ist mit dem Klaps? Wenn Sie in Ihrem Antrag davon sprechen, massive körperliche und seelische Verletzungen seien zu mißbilligen, dann entsteht genau dadurch ein juristisches Problem. Denn auf der einen Seite postulieren Sie die gewaltfreie Erziehung, auf der anderen Seite aber weisen Sie in der Begründung selber darauf hin, daß dieses Problem besteht. Stimmen Sie dem gefundenen Kompromiß des Rechtsausschusses zu! Dieser Kompromiß löst dieses juristische Problem exakt und präzise. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie können darauf antworten. - Bitte.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Pofalla, wenn ich sage, daß die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall vorgesehen ist, dann ist das meine Interpretation der Norm, die im Gesetz verankert ist. Und so ist es. Wenn Sie unter der „elterlichen Sorge" auch nach der Scheidung die gemeinsame elterliche Sorge verstehen, dann ist das der gesetzliche Regelfall. Was die Eltern daraus in der Lebenswirklichkeit machen, ist der Regelfall in der Praxis. Zunächst einmal aber geht es darum, welchen Regelfall Sie als Gesetzgeber vorgeben wollen, und davon habe ich geredet. ({0}) - Sehen Sie, da kommen wir schon zu diesem Punkt. Ich bin der Meinung, daß wir das differenzierter sehen müssen. Insofern ist das geklärt, Herr Braun. Zum zweiten, zur gewaltfreien Erziehung. Ich weiß nicht, warum Sie immer wieder auf diese Klaps-Diskussion zurückkommen; das ist sehr beliebt. Ich sage Ihnen: Wenn Sie mir eine Ohrfeige geben, dann finde ich das entwürdigend und beleidigend. Ich möchte das nicht. ({1}) Wer sagt Ihnen eigentlich, daß ein Kind sagt: Gott sei Dank, daß ich eine Ohrfeige bekomme; ich als Kind empfinde es nicht als beleidigend und entwürdigend? Auch Kinder sind, wenn wir sie ernst nehmen, Rechtspersönlichkeiten. Sie dürfen dies empfinden und empfinden dies auch. ({2}) Worum es uns geht, ist, daß wir das richtige Signal setzen. Das richtige Signal ist - Sie wissen, daß das, was wir vereinbaren, nicht strafbewehrt - ist: Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Das ungenügende Signal ist: Man muß Mißhandlungen verhindern. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Götzer.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht alltäglich, daß ein so umfangreiches Reformwerk so zügig verabschiedet werden kann. Nur gut 12 Monate sind vergangen seit der ersten Lesung bis zur abschließenden Behandlung im Rechtsausschuß. Dabei handelt es sich unbestritten um die größte kindschaftsrechtliche Reform seit den 70er Jahren. Was herausgekommen ist, kann ohne Übertreibung als Meilenstein auf dem Weg zu einem kindgerechten und zeitgemäßen Kindschaftsrecht bezeichnet werden. Auch ich möchte an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen, die in den Berichterstatterrunden mitgearbeitet haben, allen voran natürlich meinem Freund und Kollegen Ronald Pofalla und natürlich auch den Vertretern des BMJ, ganz herzlich danken. Hervorheben möchte ich auch, daß es gelungen ist, die meisten Punkte einvernehmlich neu zu regeln, wobei wir auch bei den Fragen, bei denen eine Einigung nicht möglich war, in dem gemeinsamen Ziel stets übereinstimmten, nämlich daß im Mittelpunkt des Reformvorhabens das Wohl des Kindes zu stehen habe. Die längsten Diskussionen gab es erwartungsgemäß beim Thema elterliche Sorge, wobei die Neuregelung der elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder relativ unproblematisch war. Ronald Pofalla hat dies für die Union und die Koalition bereits dargelegt. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß das Umgangsrecht des nichtehelichen Vaters in Zukunft verbessert wird. Die in der ganzen Reformdiskussion zweifellos am heftigsten umstrittene Frage - wie wir auch jetzt gerade wieder gesehen haben - betraf die Neuregelung der elterlichen Sorge nach Trennung und Scheidung. Wir haben den Gesetzentwurf, der die gemeinsame Sorge als Ausgangsfall vorsieht, in zwei wichtigen Punkten, nicht zuletzt auf Anregung der Bayerischen Staatsregierung, konkretisiert bzw. ergänzt. ({0}) - Da weiß man, daß etwas Gutes dabei herauskommt; sehr richtig, Frau Kollegin. Zum einen wurde eine klare Abgrenzung vorgenommen zwischen den Angelegenheiten, die von der gemeinsamen Sorge umfaßt werden, und den Angelegenheiten des täglichen Lebens, die der Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils unterliegen. Außerdem wird das Gericht die Frage der elterlichen Sorge im Rahmen des Scheidungsverfahrens zumindest ansprechen und auf Beratungsangebote hinweisen. Ich begrüße die jetzt zu beschließenden Neuregelungen nachdrücklich, da ich auch und gerade nach den Anhörungen und Beratungen fest davon überzeugt bin, daß die gemeinsame Sorge beider Elternteile für ihr Kind, das ja auch nach der Scheidung das gemeinsame Kind bleibt, grundsätzlich dem Kindeswohl am besten dient. ({1}) Eine weitere wichtige Neuerung findet sich in dem Reformwerk. Auch das Kind selbst hat jetzt ein eigenes Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Ausübung dieses Rechts. Wir wollen damit deutlich machen, daß das Kind nicht nur Objekt des elterlichen Umgangs ist, sondern daß der Umgang der Eltern mit ihrem Kind ganz wesentlich dessen Bedürfnis dient, Beziehungen zu beiden Elternteilen aufbauen und erhalten zu können. Das bedeutet natürlich auch, daß jeder Elternteil nicht nur zum Umgang mit dem Kind berechtigt, sondern dazu auch verpflichtet ist. Lassen Sie mich schließlich noch auf ein weiteres sehr wichtiges Gesetz, das wir heute ebenfalls verabschieden, zu sprechen kommen, das Erbrechtsgleichstellungsgesetz. Damit schaffen wir, wie der Name schon sagt, die völlige erbrechtliche Gleichstellung von nichtehelichen Kindern. Der bislang geltende Erbersatzanspruch nichtehelicher Kinder, der als bloßes Vermächtnis gegenüber der eigentlichen Erbengemeinschaft ausgestaltet war, fällt ebenso weg wie das Institut des vorzeitigen Erbausgleichs. Damit sind alle erbrechtlichen Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern aufgehoben. Nur für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder beläßt es der Entwurf bei der bisherigen Rechtslage. Diese unterschiedliche gesetzgeberische Wertung ist vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. Dezember 1976 als verfassungsgemäß bestätigt worden. Auf diese Weise soll vermieden werden, daß vor dem 1. Juli 1949 nichtehelich Geborene gegenüber ihren Vätern sowie deren Ehegatten und ehelichen Abkömmlingen dieser Väter nach über 40 Jahren unvorhergesehene Pflichtteilsansprüche erheben, die deren VermögensDr. Wolfgang Götzer dispositionen und erbrechtlichen Dispositionen entgegenstehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Diese Reform stärkt die Rechte des Kindes, überträgt den Eltern mehr Verantwortung und reduziert den Einfluß des Staates auf die Familie. Diesen Gesetzen können Sie Ihre Zustimmung geben. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Hildebrecht Braun das Wort.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese große Reform hätte wahrhaftig mehr Aufmerksamkeit im Parlament verdient, als wir sie im Moment wahrnehmen können. ({0}) Viele haben wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, um was es geht. Millionen Halbwaisen erhalten ihre Väter zurück; denn aus Erzeugern werden Väter. Ich möchte mich zunächst ganz herzlich beim Kollegen Pofalla für seine ausgezeichnete Leistung als Leiter unserer Arbeitsgruppe bedanken. Ich möchte mich aber auch bei der SPD dafür bedanken, daß sie von Anfang an über Frau von Renesse sehr konstruktiv mitgearbeitet hat, daß sie nie der Versuchung erlegen ist, diese Reform auf die parteipolitische Schiene zu legen und darüber nachzudenken, ob sie eventuell im Bundesrat blockiert werden könnte. Hier ging es um die Interessen des Kindes und nicht um Parteipolitik. Das hat die Diskussion bei allen Beteiligten geprägt. ({1}) Das Kind hat einen natürlichen Anspruch auf beide Elternteile. Dieser Satz steht zwar nicht im Gesetz, aber er ist die geistige Grundlage der gesamten Reform, der die einzelnen Regelungen zu dienen haben. Wir Berichterstatter waren uns darüber einig, daß zwei Menschen, die die Bedingungen für das Entstehen neuen Lebens geschaffen haben, durch diesen Vorgang eine unkündbare Verpflichtung zur Übernahme der Elternschaft für das Kind, und zwar mit allen Folgen, übernommen haben. „Mit allen Folgen" heißt, nicht nur die finanziellen Folgen zu übernehmen. Wir waren uns einig und haben deswegen ins Gesetz geschrieben, daß zum Umgangsrecht der Eltern gegenüber dem Kind auch eine Umgangspflicht gehört. Es soll also nicht mehr vorkommen, daß zum Beispiel das Kind am Freitagabend gestiefelt und gespornt und mit Wechselwäsche für das Wochenende ausgerüstet an der Wohnungstür steht, weil der Vater das Umgangsrecht für das Wochenende hat, aber der Herr Vater nicht auftaucht, weil er sich für das Wochenende etwas anderes vorgenommen hat. Das Kind erlebt gerade diesen Fall als große Enttäuschung, als emotionale Zurückweisung, und die sorgeverpflichtete Mutter muß plötzlich ihre eigenen Wochenendpläne umstellen, da das Kind versorgt sein muß. Die geschilderte Situation ist sicherlich nicht die Regel, sie kommt aber leider allzuhäufig vor. Wir haben nun die Problematik, die mit dem Umgangsrecht verbunden ist, auf eine ganze neue Basis gestellt. Nicht mehr die Rechte der Eltern stehen im Vordergrund, sondern das neuformulierte grundlegende Recht des Kindes auf den Umgang mit beiden Elternteilen. Wir wollen, daß auch der nichtverheiratete Vater seiner Vaterrolle und geschiedene Elternteile ihrer Elternrolle gegenüber den Kindern gerecht werden. Deshalb kann das Kind die Eltern, nötigenfalls sogar mit staatlicher Hilfe, in die Pflicht nehmen. Wir wollen, daß Kinder von beiden Elternteilen die gebotene elterliche Zuwendung erfahren. Geldzahlungen, so erwünscht und notwendig sie sein mögen, ersetzen nicht die Zeit und das, was Kinder am meisten benötigen, nämlich die elterliche Zuneigung. Natürlich können wir nicht per Gesetz verordnen, daß die Eltern ihr Kind lieben oder daß das Kind seine Eltern liebhat; dennoch sind wir davon überzeugt, daß die Festlegung der Verpflichtung beider Elternteile, den Umgang mit ihrem Kind zu pflegen, allen beteiligten Personen die Chance gibt, leichter eine intensive emotionale Lebensbeziehung aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, daß ein Kind nicht nur die Mutter oder den Vater, sondern beide Elternteile braucht. Ich befinde mich in Übereinstimmung mit der pädagogischen und psychologischen Wissenschaft, wenn ich feststelle, daß beide Elternteile in ihrer unterschiedlichen Rolle für den Entwicklungsprozeß des Kindes, seine Identitätsfindung, aber auch für seine emotionale Stabilität von großer Bedeutung sind. Bisher gibt es in Millionen von Kleinfamilien, in denen die Frau ein Kind zur Welt gebracht hat, ohne verheiratet zu sein, die abenteuerliche Situation, daß der Vater in seiner natürlichen Vaterrolle vom Gesetzgeber gar nicht wahrgenommen wird. Er wird nur als Erzeuger finanziell haftbar gehalten für Unterhaltskosten, die durch die Geburt des Kindes entstehen. Der Vater hat aber keinen Anspruch auf eine elterliche Beziehung, auf Umgang mit dem Kind. Und noch schlimmer: Das Kind hat bisher keinen Anspruch auf den Umgang mit dem Vater, auch wenn das Kind dies ausdrücklich wünscht. Wenn man die Dinge überspitzt ausdrücken will, muß man sagen: Nichtehelich geborene Kinder wachsen bei uns als Halbwaisen auf. ({2}) Vielen dieser Kinder wird schmerzvoll bewußt, daß ihnen im Gegensatz zu den Kindern, die in einer Familie mit Mutter und Vater aufwachsen können, etwas fehlt. In den neuen Bundesländern werden 41 Prozent der Kinder nichtehelich geboren. Im Westen unseres Landes liegt die Ziffer schon bei 14 Prozent - Tendenz steigend. Gerade das Schicksal dieser Hildebrecht Braun ({3}) Kinder zwingt uns, endlich diesen Schritt zu gehen und dem Kind - unabhängig vom Bestehen einer Rechtsbeziehung zwischen den Eltern - eine Chance auf die von ihnen so oft gewünschte Nähe zu beiden Elternteilen, die sie eigentlich immer brauchen, zu geben. Ich bin glücklich darüber, daß dieser Bundestag die Epoche beenden wird, die nach dem Scheitern der Ehe vom Kampf der Frau gegen den Mann bzw. des Mannes gegen die Frau um das Kind geprägt war. Die Instrumentalisierung des Kindes in dieser Auseinandersetzung, wo Kinder oft Opfer der emotionalen und sprachlichen Kommunikationsunfähigkeit der Eltern bei der Scheidung waren, wird es in Zukunft seltener geben. ({4}) Das ist gut so. Ich glaube, wir haben einen großen Fortschritt für die Kinder in unserem Land erreicht. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun spricht für die Bundesregierung die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Minister:in)

Politiker ID: 11001621

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Sonntag wurde in vielen Städten und Gemeinden unseres Landes der Weltkindertag begangen. Eine der Hauptforderungen von vielen der Veranstalter, der Redner und uns, die wir dabei waren, war doch: Dieser Tag darf kein Alibi, keine einmalige Aktion sein. Vielmehr muß es uns als Erwachsene gelingen, die Belange, die Rechte, die Bedürfnisse der Kinder im Alltag im Blick zu haben. Genau dem trägt diese Reform Rechnung. Deshalb freue ich mich sehr, daß wir nach einem Jahr sehr intensiver Beratungen - das ist zu Recht hervorgehoben worden - -heute diese Kindschaftsrechtsreform verabschieden können. Kinder, die außerhalb der Ehe geboren sind, Kinder, deren Eltern sich getrennt haben, dürfen wegen dieser Entscheidung ihrer Eltern keine Nachteile erfahren. Scheidung, Trennung sind für Kinder schon hart genug; sind immer schlimm und nicht selten direkt mit seelischen und körperlichen Belastungen verbunden. Leider ist es oft so, daß Eltern auf Grund ihrer eigenen Beziehungsprobleme den Blick für das Kind verlieren und nicht merken, wie sehr das Kind mit den Trennungsfolgen konfrontiert wird. Hinzu kommt, daß noch immer ein großer Teil der Eltern glaubt, mit der Trennung auch die Elternverantwortung abzugeben. Aber Elternschaft ist kein Job, erst recht nicht ein Job auf Zeit, den man beliebig kündigen kann. Elternschaft ist auch kein Vertrag mit gesetzlichen Kündigungsfristen. Eltern bleiben immer Eltern. Dieser gemeinsamen Verantwortung kann sich niemand entziehen. Für mich ist dabei vor allem der Blickwinkel des Kindes entscheidend. Auch wenn sich Eltern trennen, haben die Kinder ein Recht auf Mutter und Vater und damit einen Anspruch auf Umgang mit beiden Elternteilen. Bei den letzten Reformen des Sorgerechts wurde das noch anders gesehen. Sowohl das Scheidungskind als auch das nichteheliche Kind sollten ausschließlich einen Elternteil als Ansprechpartner haben - in der Hoffnung, daß das Kind zur Ruhe kommt -; das war zu 90 Prozent der Fälle die Mutter. Der Vater wurde da schnell zum Störenfried. Nicht selten hat man in dem anderen eine Gefahr gesehen. Nur - darauf hat Herr Braun zu Recht hingewiesen -, es ist heute unumstritten: Kinder können Trennungsfälle wesentlich besser verarbeiten, wenn sie auch später kontinuierlichen Kontakt zu beiden Elternteilen pflegen können. ({0}) Sie brauchen beide Ansprechpartner und müssen die gesicherte Erkenntnis haben, daß die Trennung der Eltern nichts mit ihrer Person zu tun hat, sondern daß sie weiterhin geliebt sind. Ich halte es für eine gute Entwicklung, daß es immer mehr Eltern gelingt, dies zu tun, daß sie ihre Probleme nicht auf das Kind projizieren, daß sie gemeinsame Sorge beantragen und daß auch immer mehr Familiengerichte dies bestätigen und unterstützen. Das ist eine positive Entwicklung, die wir mit unserem Gesetzentwurf aufgreifen. Damit wollen wir Eltern wie Gerichte ermutigen, gemeinsame elterliche Verantwortung stärker zu verwirklichen. Dabei geht es nicht darum - das ist hier ausführlich dargestellt worden, nicht zuletzt von Herrn Pofalla -, eine bestimmte Sorgerechtsform als Regelfall festzuschreiben. Das bleibt letztendlich die Entscheidung der Eltern. Vielmehr geht es darum, die im geltenden Recht vorhandene Diskriminierung der gemeinsamen Sorge ein für allemal zu beseitigen. ({1}) Gleiches gilt auch für nicht miteinander verheiratete Eltern, die nun gemeinsame Sorge beantragen können. Natürlich wird ein Gesetz mit so weitreichender Bedeutung von der Bevölkerung um so eher angenommen, je alltagsnäher es ist, je mehr dafür Sorge getragen wird, daß nicht neue Alltagsprobleme produziert werden. Es geht nicht darum, Machtpositionen für Eltern zu schaffen. Deshalb wird dem betreuenden Elternteil bei gemeinsamer Sorge ein weitgehendes Alleinentscheidungs- und -vertretungsrecht in Angelegenheiten des täglichen Lebens eingeräumt. So entspricht es der täglichen Praxis in Familien. Nur bei den wirklich wichtigen Weichenstellungen im Leben des Kindes ist das gegenseitige Einvernehmen beider Eltern erforderlich. Damit ist das Gesetz praxisgerecht und alltagstauglich. Das neue Umgangsrecht setzt ein deutliches Signal gegen die Instrumentalisierung der Kinder in Partnerschaftskonflikten. Auch da wird jetzt der Blickwinkel des Kindes eingenommen. Aus dem bis heute lediglich als Elternrecht ausgestalteten Umgangsrecht wird jetzt primär ein Recht des Kindes. Ich finde, das ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Elternteil, der die notwendige Kooperation verweigert, in erster Linie gegen die Interessen des Kindes handelt. Es geht im Interesse des Kindes darum, daß beide regelmäßigen Umgang pflegen können. Zum Wohlergehen des Kindes gehören auch seine körperliche und seelische Unversehrtheit. Jegliche Form von Körperverletzung und Mißhandlung ist ein unverzeihlicher Eingriff in die Personalität und Würde eines Kindes. Ich zähle ganz klar auch Ohrfeigen dazu. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel von meiner Seite. Körperverletzungen an Kindern mit dem elterlichen Züchtigungsrecht zu rechtfertigen wird nach Verabschiedung dieser Reform künftig nicht mehr möglich sein. Gute Erziehung kommt ohne sie aus. Aber ich bleibe dabei - Frau Grießhaber, das hat nichts mit Polemik zu tun -: Der Begriff „gewaltfreie Erziehung" ist dagegen mißverständlich, schafft Unklarheit und hilft damit den Eltern in der Tat nicht. ({2}) - Ich möchte das zu Ende ausführen, Frau Kollegin. Wir haben einen feststehenden Rechtsbegriff für Gewalt. Dazu gehören auch praktische Alltagsbeispiele. Der in unserem Recht allgemein anerkannte Gewaltbegriff würde Eltern kriminalisieren, weil sie ihrer elterlichen Verantwortung gegenüber ihrem Kind nachkommen. Damit schlüge der Gesetzentwurf in sein Gegenteil um. Diese Gesetzesänderung wäre nicht mehr gut, sondern nur noch gutgemeint. Uns geht es doch wirklich um das klare Signal, daß Körperverletzung und Mißhandlung keine Mittel der Erziehung sind. ({3}) Ich finde, wir haben hier einen sehr guten Kompromiß gefunden. Ich möchte Sie bitten, diesen nicht zu zerreden, weil sonst das Signal verlorengeht. Stimmen Sie dem deshalb so zu! ({4}) Es ist hier schon angedeutet worden: Wir sprechen in diesen Tagen oft von Reformen, die unser Land dringend braucht. Heute haben wir mit der Verabschiedung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes die Möglichkeit, ein Reformwerk in die Tat umzusetzen, das einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Kinder, zur Stärkung ihrer Rechte leisten wird. Zudem stellt es deutlich die elterliche Verantwortung heraus. Die Eltern brauchen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Auch Kinder dürfen durch die Lebensentscheidung ihrer Eltern nicht benachteiligt werden. Es ist vor allen Dingen ein gutes, weitreichendes Signal, wenn das Gesetz eine große und breite Mehrheit in diesem Haus findet. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun spricht als Mitglied des Bundesrates die Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Frau Karin Schubert. Ministerin Karin Schubert ({0}): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich als Mitglied des Bundesrates gerade zur Kindschaftsrechtsreform zu Ihnen sprechen kann. Wie ich heute von allen Seiten sehr emotional besetzt vernommen habe, sind wir uns, glaube ich, alle darüber einig, daß die vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Reform der Rechte von Kindern eines der wichtigen Reformvorhaben dieser Legislaturperiode darstellen. Es ist schön, daß Bedeutung und Stellenwert dieser Gesetzesvorhaben nicht nur im Gesetzentwurf der Bundesregierung selbst, sondern auch in den Stellungnahmen und Beschlußfassungen der damit befaßten Gesetzgebungsorgane deutlich und dem Gegenstand angemessen zum Ausdruck gekommen sind. ({1}) Daran ist einerseits abzulesen, wie intensiv um befriedigende Lösungen gerungen worden ist, andererseits aber auch, daß in vielen Bereichen Lösungen gefunden worden sind, die nun endlich von einer großen Mehrheit mitgetragen werden können. ({2}) Ich stelle zufrieden fest, daß mit der vorliegenden Beschlußempfehlung vielen - wenn auch nicht allen - Vorschlägen des Bundesrates Rechnung getragen wurde. Ich habe bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs zur Kindschaftsrechtsreform im Bundesrat besonders auf zwei Punkte hingewiesen, die mir am Herzen lagen. Ich habe damals dafür plädiert, daß das Familiengericht im Scheidungsverfahren auch dann erfahren muß, ob minderjährige Kinder vorhanden sind, wenn die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge beibehalten wollen und deshalb keine Anträge zur Regelung der elterlichen Sorge stellen. Auf diese Weise wird meines Erachtens sichergestellt, daß sich das Familiengericht im Rahmen der Anhörung der Eltern Gewißheit darüber verschaffen kann, ob ein Anlaß zum Einschreiten des Gerichtes wegen Gefährdung des Kindeswohls besteht. Der Vorschlag des Bundesrates ist, wie ich befriedigt feststelle, in der Beschlußempfehlung Ihres Rechtsausschusses enthalten. Dies gilt ebenfalls für die Erweiterung der Zuständigkeiten des Familiengerichts. Auch in diesem Punkte werden wir, wenn Sie der Beschlußempfehlung Ihres Rechtsausschusses folgen, dem großen Familiengericht einen Schritt näherkommen. Es gibt noch weitere Punkte in Ihrem Gesetzentwurf, in denen sich der Bundesrat und auch ich persönlich mit unseren Vorstellungen durchaus wiederfinden. Ich denke dabei zum Beispiel daran, daß das Umgangsrecht jetzt ausdrücklich als ein Recht des Kindes formuliert worden ist, wobei ich mir gewünscht hätte, daß dieses Recht des Kindes nicht nur gegenüber den Eltern, sondern auch gegenüber Ministerin Karin Schubert ({3}) Großeltern, anderen Verwandten und Personen, zu denen das Kind eine enge Beziehung aufgebaut hat, besteht. ({4}) Ich begrüße auch die differenzierten Regelungen zum sogenannten kleinen Sorgerecht und die von den Ländern vorgeschlagene Regelung zur Verhinderung von Adoptionen, die auf einer gesetzes- oder sittenwidrigen Vermittlung oder auf einer Verbringung des Kindes aus dem Ausland nach Deutschland beruhen. Obwohl eine Übereinstimmung in weiten Bereichen festzustellen ist, möchte ich auch die Punkte ansprechen, die nicht in die Beschlußempfehlung Ihres Rechtsausschusses aufgenommen worden sind. Der erste Punkt betrifft die Abstammung von Kindern, genauer gesagt, ihre rechtliche Zuordnung zu Vätern, wenn sie nach Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens geboren werden. Der Bundesrat hatte hierzu vorgeschlagen, übereinstimmende Erklärungen der Mutter und des als Vater vermuteten Noch-Ehemanns genügen zu lassen, um die Vaterschaftsvermutung zu entkräften, um eine rechtlich falsche Zuordnung von Anfang an zu vermeiden. Leider ist Ihr Rechtsausschuß diesem Vorschlag nicht gefolgt. Begründet haben Sie das damit, daß die rechtliche Zuordnung auf Grund der Vermutungsregelung aus Gründen des Kindeswohls erforderlich sei. Bei genauem Hinsehen und Zu-Ende-Denken wird aber klar, daß sich die bisher vorgesehene Regelung auf Dauer nicht zugunsten des Kindes auswirkt, wenn der vermutete Vater nicht Vater bleiben will. Die jetzt notwendige gerichtliche Klärung führt nur zu erheblichen Kosten, die die Eltern und damit indirekt das Kind, aber auch die Allgemeinheit belasten. Von diesen mehr praktischen Gesichtspunkten abgesehen, sollten Sie bedenken, daß in diesem Punkt weiterhin ein Unterschied zwischen verheirateten und nichtverheirateten Müttern beibehalten wird. Ziel Ihrer Reform war aber doch gerade, die bisher bestehenden Unterschiede - auch statusrechtlicher Art - zwischen Kindern von verheirateten und Kindern von nichtverheirateten Eltern soweit wie möglich zu beseitigen. ({5}) Mit der vorliegenden Regelung soll aber auf eine verheiratete Mutter im Gegensatz zu einer nichtverheirateten Mutter weiterhin der Druck ausgeübt werden, den Erzeuger des Kindes zu benennen. Da aber der Noch-Ehemann und vermutete Vater nach erfolgreicher Anfechtungsklage als Vater wegfällt, ohne daß - falls die Mutter weiterhin schweigt - der wirkliche Vater des Kindes festgestellt werden kann, sollte diese im Ergebnis ohnehin nicht zum Ziel führende Diskriminierung der verheirateten Frauen gegenüber den nichtverheirateten Frauen entfallen. ({6}) Eine weitere Ungleichheit zwischen Kindern verheirateter und nichtverheirateter Eltern bleibt nach der Beschlußempfehlung Ihres Rechtsausschusses auch beim Erbrechtsgleichstellungsgesetz erhalten, soweit davon vor dem 1. Juli 1949 geborene Kinder betroffen sind. Auch in diesem Punkt ist dem Vorschlag des Bundesrates, diese Ungleichbehandlung vollständig aufzuheben, bisher nicht gefolgt worden. Ihnen liegt ein dahin gehender Antrag der SPD-Fraktion vor, der, wenn ich hier mitstimmen dürfte, selbstverständlich meine volle Unterstützung finden würde. Ich möchte dazu aus der Sicht der neuen Länder auf folgendes hinweisen: Im Beitrittsgebiet waren nichteheliche und eheliche Kinder auch hinsichtlich ihres Erbrechtes nach ihrem Vater völlig gleichberechtigt. ({7}) Diese Gleichberechtigung endete aber, sobald der nichteheliche Vater die ehemalige DDR verließ und vor dem 3. Oktober 1990 in das Gebiet der alten Länder übersiedelte. Dann galt nämlich im Falle des Todes des nichtehelichen Vaters das Erbstatut des Bürgerlichen Gesetzbuches. Es kann also durchaus auch in den neuen Ländern zur Ungleichbehandlung von vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindern kommen, je nachdem, ob der nichteheliche Vater an dem genannten Stichtag einen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatte oder nicht. Sie sollten auch diesen Gesichtspunkt im Hinblick auf das Ziel der Rechtsvereinheitlichung in ganz Deutschland bei der Entscheidung über den Antrag der SPD-Fraktion bedenken. ({8}) Schließlich noch eine Schlußbemerkung: Es geht dabei um die bereits eingangs angesprochene Erweiterung der Zuständigkeiten des Familiengerichts. Hier ist der Rechtsausschuß des Bundestages den Vorstellungen des Bundesrates weitgehend gefolgt. Die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts hinsichtlich einer Aufsicht über das Jugendamt bzw. hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Jugendamtes ist entsprechend den Vorschlägen des Bundesrates weggefallen. Es sind also insoweit keine Überschneidungen mit der Zuständigkeit des Familiengerichts mehr zu befürchten. Eine Doppelgleisigkeit in diesem Zusammenhang wäre auch sachwidrig. Erlauben Sie mir aber bitte den Hinweis, daß ich trotzdem weiteren Handlungsbedarf zur Erreichung des großen Familiengerichtes sehe: ein Familiengericht, das für alle Fragen zuständig sein sollte, die das Verhältnis von Eltern und Kindern berühren. Ich denke dabei unter anderem an Klagen auf Verwandtenunterhalt, aber auch an die Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen bei der Unterbringung von Kindern. Ich möchte noch einen weiteren Punkt anschneiden, obwohl ich weiß, daß er auch in Ihrem Hause Ministerin Karin Schubert ({9}) und quer durch die Fraktionen schon sehr kontrovers diskutiert worden ist. Dieser Punkt betrifft Stiefkinder und Stiefeltern. ({10}) Diese Begriffe sind im Gesetz noch immer nicht definiert; aber jeder von Ihnen kann sich etwas darunter vorstellen. ({11}) Es geht um die Kinder von Ehegatten, deren Ehe durch Scheidung oder durch Tod des anderen Ehegatten aufgelöst worden ist und die dann wieder heiraten. Im geltenden Recht gibt es im Verhältnis zwischen Stiefelternteil und dem Kind des Ehegatten keine Regelungen zum Beispiel zur elterlichen Sorge, zum Umgangsrecht, zum Unterhalt, kurz: zu allem, was für das Zusammenleben und Zusammenwachsen der neuen Familie von Bedeutung sein könnte. Bisher können rechtliche Einflußmöglichkeiten der Stiefväter und Stiefmütter auf das Kind des angeheirateten Partners nur durch Adoption gewonnen werden. Was aber, wenn auch diese neue Ehe auseinandergeht? Dann hat das Kind durch die Adoption zwar einen neuen Vater oder eine neue Mutter gewonnen, aber die leiblichen Eltern verloren. Damit ein so schwerwiegender Schritt wie eine Adoption nicht nötig ist, sollte überlegt werden, ob dem Stiefelternteil, der mit dem Stiefkind in häuslicher Gemeinschaft lebt, nicht etwas ähnliches wie das sogenannte kleine Sorgerecht eingeräumt wird. ({12}) Er wäre dann wenigstens in vielen Angelegenheiten des täglichen Lebens in der Lage, für das Kind tätig zu werden: Er kann dann die Rechte des Stiefkindes in Elternversammlungen in der Schule wahrnehmen, aber auch im Krankheitsfalle eine Auskunft erhalten. ({13}) Sicher muß eine dahin gehende Erweiterung der Befugnisse des Stiefelternteils von der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils abhängig gemacht werden. Keinesfalls sollte hier die alte DDR-Regelung übernommen werden, nach der Stiefeltern mit der Heirat das Sorgerecht über die Kinder ihres Ehegatten kraft Gesetzes erhalten. Das wäre eine Teilentmündigung des leiblichen Elternteils. Ich möchte gerne, nachdem unsere Familien- und Jugendministerin gesprochen hat, noch eines aufgreifen: Sehr geehrte Frau Kollegin, das Bild, das Sie eben von der Familie gezeichnet haben, in der sich die beiden Elternteile verantwortungsbewußt um die Belange ihres Kindes bemühen, ist ein Idealfall. Frau Nolte, ich bin viele Jahre Familienrichterin gewesen und habe diesen Idealfall leider nicht einmal pro Jahr auf dem Richtertisch gehabt. Wenn die Situation so ideal wäre, wenn alle Elternteile nach Trennung und Scheidung bemüht wären, ihrem Kind die Verantwortung zukommen zu lassen, die ihm gebührt, dann könnten wir die Familiengerichte auflösen, säßen nicht hier und bräuchten keine Kindschaftsrechtsreform. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Ilse Falk.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, Sie hatten gehofft, die Debatte sei jetzt zu Ende, weil sicherlich fast alles schon gesagt wurde. Ich selber freue mich aber, daß ich als Familienpolitikerin noch die Gelegenheit habe, einige Aspekte deutlich zu machen, über deren Durchsetzung wir uns freuen. Bei der Reform haben wir uns an folgenden Leitlinien orientiert: Förderung des Kindeswohls, Verbesserung der Rechte von Kindern und Stärkung der Eigenverantwortung von Eltern. Im vorliegenden Gesetzentwurf kommt - das muß einmal ganz deutlich gesagt werden -, ohne die Chancen anderer Lösungen zu verbauen, ein Perspektivwechsel zum Ausdruck: Zum einen natürlich zugunsten von Kindern und zum anderen in bezug auf den Vater, dem nicht von vornherein die Fähigkeit und der Wille abgesprochen worden, Verantwortung für sein Kind zu übernehmen. Stärker als vorher wird die Verantwortlichkeit beider Elternteile betont, sich darüber Gedanken zu machen und sich damit auseinanderzusetzen, wie ernst sie es mit ihren Kindern und deren Bedürfnissen wirklich meinen. Es darf - ausgenommen die Gefährdung des Kindeswohls - keinen Besitzanspruch auf Kinder geben, der so weit geht, dem jeweils anderen Elternteil jeglichen Zugang zu unterbinden. Es kann einem dann schon einmal der Kragen platzen, wenn ein gemeinnütziger und mildtätiger Verein, nämlich die Lobby für Menschenrechte e. V., das Kindschaftsrechtsreformgesetz folgendermaßen betitelt: „ein biologistisch begründeter Rückfall in die Zeit der hausväterlichen Gewalt nach altrömischem Recht". ({0}) Wir sind alle mit einer Fülle von Stellungnahmen aus allen möglichen Richtungen, mit Zustimmung, konstruktiver und zum Teil aggressiver Kritik eingedeckt worden. Nur ein Wort dazu: Der kollektive Egoismus, den manche Väter- und Frauenverbände mit Vehemenz an den Tag legen, scheint mir keinesfalls geeignet zu sein, Kinder zu selbstbewußten, freien und kritischen Persönlichkeiten zu erziehen. Hier wäre eine gesunde Portion Selbstkritik höchst angebracht. Ich kann Frau von Renesse nur zustimmen, wenn sie sagt, das sei bedauerlich und komme daher, daß Verbände keine Kinder haben. Es gab aber auch Kritik, die offensichtlich auf nicht ausreichender Information gründet. Deshalb will ich hier noch einmal die Punkte betonen, die, in den Diskussionen, wie ich finde, zufriedenstellend geklärt werden konnten. Ein Stichwort ist die Beratungsmöglichkeit für die Eltern zur Sorgerechtsentscheidung. Nach § 17 KJHG Abs. 3 neu ist jetzt sichergestellt, daß die Gerichte das Jugendamt frühzeitig von einer anstehenden Entscheidung unterrichten, wenn minderjährige Kinder betroffen sind. Das Jugendamt unterrichtet die Eltern und gegebenenfalls die Kinder über die Beratungsangebote. Es unterstützt die Eltern, wenn sie es wollen, darin, ein einvernehmliches Konzept der elterlichen Sorge zu entwickeln. Dieses Konzept kann auch als Grundlage für die richterliche Entscheidung über elterliche Sorge nach Trennung oder Scheidung dienen. Das heißt: Die Eltern bekommen das Beratungsangebot zu einem frühen Zeitpunkt, können sich informieren und sich gegebenenfalls mit fachlicher Unterstützung mit den Konsequenzen ihrer Sorgerechtsentscheidung auseinandersetzen. Ist eine Einigung möglich, wird die Elternmeinung auch im folgenden nicht mehr in Frage gestellt. Stellt sich hingegen bereits an dieser Stelle heraus, daß sie zu gemeinsamer Sorge nicht fähig oder willens sind, bleibt jedem Elternteil unbenommen, einen Antrag auf Alleinsorge zu stellen. Dieser wird dann, wie auch heute, im Scheidungsverfahren entschieden. Es kann also - das ist hier oft genug betont worden - vom zwangsweisen Regelfall der gemeinsamen Sorge keinesfalls die Rede sein. ({1}) Verschiedene Möglichkeiten stehen offen. Daß sich die Eltern darüber auseinandersetzen, wie sie nach der Trennung mit ihren Kindern umzugehen gedenken, sollte allerdings schon frühzeitig und auch mit fachlicher Unterstützung vorgegeben werden. Die gemeinsame Sorge ist nur dann das Beste für Kinder, wenn beide Eltern sie auch wirklich wollen. Das wurde oft genug gesagt und sollte beherzigt werden. Ebenso wie bei der Entscheidung über eine Alleinsorge sollte die Entscheidung über die gemeinsame Sorge aus der Sicht des Kindes reflektiert getroffen und nicht zum Spielfeld partnerschaftlicher Auseinandersetzungen werden. Die außergerichtlichen Instanzen - das deutlich zu machen war unsere Intention - sind eher als das Gericht in der Lage, diese bewußte Entscheidung zu fördern und zu begleiten. Das Waschen schmutziger Wäsche vor Gericht wird damit in der Form nicht mehr stattfinden. Ich verstehe die Kolleginnen von der SPD nicht, wenn sie genau dieses prophezeien und gleichzeitig fordern, es möge doch, bitte schön, alles beim Alten bleiben. Das beißt sich doch und paßt nicht zusammen. ({2}) Zum Stichwort einvernehmliches Konzept zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge, Thema Sorge-rechtsplan, ist hier einiges gesagt worden. Auch Frau Renesse sagt, einen verbindlichen Sorgerechtsplan könne es nicht geben, weil er nicht justitiabel sei. Aber natürlich ist es wichtig, daß Eltern sich darüber unterhalten: Wie soll es mit unseren Kindern weitergehen? Es sollte die Chance genutzt werden, daß mit den mitberatenden Fachkundigen über diese Fragen gesprochen wird. Noch ein Allerletztes zur Alltagssorge: Hier haben wir sehr um eine Präzisierung und Festschreibung klarer Entscheidungsbereiche gerungen. Aber je mehr wir uns darauf einließen, desto deutlicher wurde die Vielzahl der möglicherweise nicht einbezogenen Bereiche. Wir haben uns dann auf die vorgelegte allgemeinere Formulierung verständigt, allerdings mit deutlicher Gewichtung zugunsten des betreuenden Elternteils. Bei den Eltern muß allerdings - das ist ganz wichtig - eine grundsätzliche Konsensbereitschaft vorhanden sein; denn anders kann es nicht gehen. Anders wären bei noch so präzisen Formulierungen im Gesetz Streitigkeiten nicht auszuschließen. Diese wären vor Gericht zu klären und würden unter Umständen zur Beantragung der Alleinsorge führen. Meine Damen und Herren, ich habe nur einige wenige Aspekte anreißen können, bin aber sicher, daß der Gesetzentwurf, der im Laufe der intensiven und konstruktiven Beratungen zu einem vorzüglichen Gesetz geworden ist, auch in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz stoßen wird. Es ist hier viel Dank gesagt worden. Ich kann einfach nicht anders, als das an dieser Stelle fortzusetzen. Es wäre schon fast merkwürdig, wenn ich als Familienpolitikerin das nicht täte. Als Mitberatende so intensiv mit einbezogen zu sein war gut. Ich glaube, es hat dem Gesetz genützt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wir kommen nun zu einer ganzen Reihe von Abstimmungen. Ich beginne mit der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistand-schaft. Das sind die Drucksachen 13/892 und 13/ 8509. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Dann treten wir ein in die dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder. Das sind die Drucksachen 13/4183 und 13/8510. Dazu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8557 vor. Über diesen gemeinsamen Änderungsantrag lasse ich zuerst abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Nun treten wir in die zweite Lesung des Gesetzentwurfes in der Ausschußfassung ein. Wer dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS und bei einigen Stimmenthaltungen aus den Reihen der SPD angenommen worden ist. Sodann treten wir in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Nun treten wir in die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Kindschaftsrechtes ein. Das sind die Drucksachen 13/4899 und 13/8511 Buchstabe a. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den ich zuerst abstimmen lasse. Wer für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/8558 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen bei Stimmenthaltungen aus der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Wir treten in die zweite Lesung des Gesetzentwurfes in der Ausschußfassung ein. Wer diesem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition und mit Stimmen aus der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe dér PDS bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der SPD angenommen worden ist. Bevor wir in die dritte Lesung eintreten, gebe ich zunächst bekannt, daß Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 GO mit Zustimmung des Hauses von den Kollegen Thomas Krüger, Wilhelm Schmidt ({0}) und Gert Weisskirchen ({1}) zu Protokoll gegeben worden sind. *) *) Anlage 2 Zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung erteile ich nunmehr der Abgeordneten Hanna Wolf das Wort, die im Namen von 91 Abgeordneten der Fraktion der SPD spricht.*) Bitte schön.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die SPD ihre Änderungsanträge in der zweiten Lesung nicht durchsetzen konnte, ist für einen Teil meiner Fraktion die Reform des Kindschaftsrechtes so nicht zustimmungsfähig. Für diese Gruppe von 91 Kolleginnen und Kollegen, auch im Namen von Dr. Edith Niehuis und Ulla Schmidt, verlese ich folgende Erklärung: Die SPD hat sich jahrelang für eine Gesamtreform des Kindschaftsrechts eingesetzt. Wir begrüßen, daß bereits der von der Bundesregierung am 13. Juni 1996 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts einige unserer Vorstellungen von einer noch umfassenderen Gesamtreform aufgegriffen hat und in den Ausschußberatungen zusätzliche Teile unserer Forderungen durchgesetzt werden konnten. Ohne Zweifel sind zum Beispiel erbrechtliche Gleichstellungen von nichtehelichen und ehelichen Kindern, die Stärkung der Rechtsstellung der Kinder, die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern für ihre Kinder nach übereinstimmender Erklärung und die Abschaffung der zwingenden gesetzlichen Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder wichtige Reformen. Dennoch können wir dem zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er zentrale Probleme nicht zufriedenstellend löst. Unsere Bedenken beziehen sich auf § 1671 BGB, der nach einer Scheidung die gemeinsame Sorge der Eltern als Regelfall, die alleinige Sorge eines Elternteils aber nur auf Antrag vorsieht. Welches Sorgerechtsmodell für das Kindeswohl das beste ist, wird durch die Rahmenbedingungen des konkreten Einzelfalls entschieden und darf vom Gesetzgeber nicht präjudiziert werden. Wir gehen davon aus, daß eine gemeinsame Sorge nach einer Scheidung dann erfolgreich sein wird, wenn beide Elternteile es wollen und sich über die Auswirkungen im Alltag im klaren sind. Im Falle einer gemeinsamen Sorge nach einer Scheidung reicht uns die vorgesehene Ergänzung des § 613 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung in Verbindung mit § 1687 BGB nicht aus, weil durch sie die Rechte und Pflichten des Elternteils, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, und des anderen Elternteils nicht eindeutig geregelt werden. Die unklare Regelung provoziert in konfliktbeladenen Beziehungen geradezu weitere Konflikte und eine weitere Anrufung der Familiengerichte in Einzelentscheidungen, was dem Kindeswohl abträglich *) Die Liste der Namen ist als Anlage 3 abgedruckt. Hanna Wolf ({0}) ist. Zudem belastet eine solche unvollkommene Regelung besonders den Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält. Nach allen nationalen und internationalen Erfahrungen sind dies unabhängig von dem jeweils gewählten Sorgerechtsmodell überwiegend die Frauen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? Ich möchte die Kollegen, die sich im Saal unterhalten wollen, bitten, der Rednerin wenigstens nicht immer den Rücken zuzuwenden, wenn das irgendwie einzurichten ist. Bitte, fahren Sie fort.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. Unsere Zustimmung zur vorgelegten Fassung der Kindschaftsreform wäre nur gegeben, wenn die im Antrag der SPD formulierte Elternvereinbarung bei gemeinsamer Sorge nach Scheidung in den zur Abstimmung anstehenden Gesetzentwurf eingearbeitet worden wäre. Durch die Ablehnung der von der SPD-Bundestagsfraktion in der zweiten Lesung eingebrachten Änderungsanträge ist diese Möglichkeit nicht mehr gegeben. Gleiches gilt für den § 1631 BGB. Angesichts der UNO-Kinderrechtskonvention, die im Art. 19 von den Vertragsstaaten alle möglichen Gesetzgebungsmaßnahmen fordert, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung zu schützen, ist die vorgesehene Fassung Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig vollkommen unzureichend. Diese Formulierung wird unserem Anspruch, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten anzuerkennen, nicht gerecht. Gerade angesichts der öffentlichen Besorgnis über Gewalttaten, auch sexualisierter Gewalttaten, an Kindern wäre der Gesetzgeber aufgefordert, ein Signal zur Stärkung der Persönlichkeit des Kindes zu setzen. Darum halten wir die Aufnahme des Satzes „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen" für eine zentrale Forderung im Rahmen einer Reform des Kindschaftsrechtes. Weil wir wissen, daß wichtige Forderungen der SPD im Gesetzentwurf zum Kindschaftsrecht aufgenommen wurden, aber zentrale Anliegen nicht aufgenommen wurden, werden wir uns in der Abstimmung der Stimme enthalten. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun treten wir in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein, wobei ich darauf aufmerksam mache, daß dieser Abstimmung noch eine Reihe weiterer folgen werden. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition und Stimmen aus der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der SPD angenommen worden ist. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8570. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist. Dann kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zur Reform des Kindschaftsrechtes, Drucksache 13/ 8511 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1752 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Jetzt kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer gesetzlichen Neuregelung des Kindschaftsrechtes, Drucksache 13/8511 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3341 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Dann kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Gruppe der PDS zur Reform des Kindschaftsrechtes, Drucksache 13/ 8511 Buchstabe d. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7899 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 r sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller ({0}) und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines GeVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch setzes zur Änderung des Lohnfortzahlungsgesetzes - Drucksache 13/7546 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda ({2}) - Drucksache 13/7953 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Jürgen Rochlitz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes ({4}) - Drucksache 13/8190 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({5}) Innenausschuß Rechtsausschuß d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung - Drucksache 13/8195 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({6}) Innenausschuß e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vierten Protokoll vom 15. April 1997 zum Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen - Drucksache 13/8215 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({7}) Rechtsausschuß f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indonesien über die Seeschiffahrt - Drucksache 13/8219 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({8}) Finanzausschuß g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Sambia über den Luftverkehr - Drucksache 13/8221 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({9}) Finanzausschuß h) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland ({10}) - Drucksache 13/8295 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({11}) Verteidigungsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierzuchtgesetzes - Drucksache 13/8349 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12}) Ausschuß für Gesundheit j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung sowie zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 13/8447 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({13}) Innenausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 23. Januar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits - Drucksache 13/8457 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({14}) Finanzausschuß 1) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Fischwirtschaftsgesetzes und der Fischwirtschaftsverordnung - Drucksache 13/8471 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Fischer ({15}), Monika Knoche, Marieluise Beck ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Solidarische Finanzierung der Sozialversicherung erhalten - Drucksache 13/7086 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({17}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegfried Vergin, Helga Kühn-Mengel, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europäisches Jahr gegen Rassismus 1997 - Drucksache 13/7711-Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({18}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({19}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Beihilfengewährung für die Kartoffelexporte nach Rumänien im Herbst 1990 - Drucksache 13/8088 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20}) Haushaltsausschuß p) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Notwendige Konsequenzen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum neuen Asylrecht - Drucksache 13/8151 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({21}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr. Klaus W. Lippold ({22}), Wilhelm Dietzel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brigit Homburger, Dr. Karlheinz Guttmacher, Horst Friedrich, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P. Vorbeugender Hochwasserschutz - Drucksache 13/7179 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau r) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Vorbeugende, grenzüberschreitende Aktionsprogramme zur Verbesserung des Hochwasserschutzes - Drucksache 13/8521 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({24}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ZP2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({25}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Friedensinitiative für Algerien - Drucksache 13/8572 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({26}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Verteidiungsausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung beim Bundeskleingartengesetz, Drucksache 13/8190 - das ist der Tagesordnungspunkt 16 c -, soll beim Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau liegen. Der Gesetzentwurf zum Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, Drucksache 13/8215 - das ist der Tagesordnungspunkt 16 e -, soll zusätzlich dem Ausschuß für Post und Telekommunikation überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Dann rufe ich Zusatzpunkt 3 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({27}) zu dem Gesetz über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen - Drucksache 13/8532 Berichterstattung: Abgeordneter Rudolf Dreßler Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch sam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/ 8532 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden ist. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis n. Es handelt sich ebenfalls um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 17 a auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe - Drucksache 13/8038 -({28}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Konrad Gilges, Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in Baubetrieben - Drucksache 13/7122 -({29}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in Baubetrieben - Drucksache 13/7507 - ({30}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({31}) - Drucksache 13/8575 Berichterstattung: Abgeordneter Heinz Schemken Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe, Drucksachen 13/8038 und 13/8575 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aussschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Wir treten in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Zustimmung des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in Baubetrieben auf Drucksache 13/7122. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/8575 Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/7122 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt die weitere Beratung. Wir kommen zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in Baubetrieben auf Drucksache 13/7507. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/8575, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 b auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- zialordnung ({32}) zu dem Antrag der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Marie-luise Beck ({33}), Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ganzjährige Beschäftigung auf dem Bau fördern - Drucksachen 13/7194, 13/8575 Berichterstattung: Abgeordneter Heinz Schemken Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7194 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 c auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und TeleVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch kommunikation ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Wolfgang Bierstedt, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Nachbesserung der Tarifstrukturreform der Deutschen Telekom AG - Drucksachen 13/3221, 13/4430 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({35}) Hans Martin Bury Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3221 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 d auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({36}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Grünbuch Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union: Überlegungen für die Zukunft - Drucksachen 13/7456 Nr. 2.2, 13/8366 Berichterstattung: Abgeordnete Margareta Wolf ({37}) Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 e auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({38}) Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 13/8094 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 f auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({39}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 13/8506 Berichterstattung: Abgeordneter Johannes Singer Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit allen Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Bei den nun folgenden Tagesordnungspunkten 17 g bis 17 n handelt es sich um Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses. Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 17 g auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 227 zu Petitionen - Drucksache 13/8494 Wer für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zu dieser Sammelübersicht stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht 227 bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 h auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({41}) Sammelübersicht 228 zu Petitionen - Drucksache 13/8495 Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 i auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 229 zu Petitionen - Drucksache 13/8496 Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 j auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({43}) Sammelübersicht 233 zu Petitionen - Drucksache 13/8500Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wer in diesem Fall zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 k auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 234 zu Petitionen - Drucksache 13/8501 Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 171 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({45}) Sammelübersicht 235 zu Petitionen - Drucksache 13/8502 Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 m auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 236 zu Petitionen - Drucksache 13/8503 Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Sammelübersicht mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 n auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 237 zu Petitionen - Drucksache 13/8504 Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Sammelübersicht mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar Freitag, Karl Hermann Haack ({48}), Klaus Kirschner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Prävention und Gesundheitsförderung in der gesetzlichen Krankenversicherung - Drucksache 13/8090 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({49}) Sportausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Dagmar Freitag.

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem § 20 des Sozialgesetzbuches V hat einmal mehr ein Paragraph der deutschen Gesetzgebung bundesweite Bekanntheit erlangt. Diesem Paragraphen, der präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung regelte, war von der Koalition der bedingungslose Kampf angesagt worden. Nach einer nur wenige Jahre dauernden Existenz im SGB V war dem § 20 in seiner bis dahin gültigen Fassung am 13. September 1996 ein trauriges Ende beschieden. Auch fundierte Argumente, gepaart mit energischen und massiven Protesten von seiten der Krankenkassen, von kooperierenden Organisationen, der Projektleiter, der Mediziner und der Sachverständigen auch in der öffentlichen Anhörung am 12. Juni 1996, konnten diese Koalition von ihrem kurzsichtigen Tun nicht abbringen. Noch vor zehn Jahren haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, Gesundheitsförderung und Prävention - im übrigen völlig zu Recht - als einen ganz wesentlichen Bestandteil einer zukunftsorientierten Gesundheitspolitik anerkannt. ({0}) - Ich freue mich über Ihre Zustimmung. Sowohl das Gesundheitsreformgesetz von 1988 als auch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 schufen eine verläßliche gesetzliche Basis, auf der eine sinnvolle und den Menschen verständliche Gesundheits- und Präventionspolitik vermittelt werden konnte. ({1}) - Herr Kollege Lohmann, gedulden Sie sich einen Moment. Ich ahnte, welche Einwände von Ihnen kommen; wir kommen nachher noch zu dem Thema. Jetzt aber, Herr Kollege Lohmann, haben Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen mit dieser Mehrheit genau einer solchen zukunftsorientierten GesundDagmar Freitag heitspolitik mit einem einzigen Federstrich die Grundlage entzogen. ({2}) Noch im Februar 1994 antwortete die Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur Prävention in der Gesundheitspolitik, daß es ihr Ziel sei, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu fördern und zu erhalten. Mehr noch: Leitgedanke dieser Politik sei Prävention. Dies sei ein ganz wesentlicher Leitgedanke. Man muß sich doch heute fragen: Wo sind all diese hehren Ziele geblieben? Heute jedenfalls sind Gesundheitsförderung und Prävention eben nicht länger Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen, sondern zu möglichen Angebotsleistungen der Kassen auf Kosten der Versicherten degradiert worden. ({3}) Das alles hat doch mit verantwortlicher Gesundheitspolitik nichts mehr zu tun. ({4}) Der Verzicht auf Gesundheitsförderung wird letztlich nichts einsparen. Er bedeutet im . Gegenteil mittel- und langfristig Milliarden zusätzlich anfallender Kosten. Die von Ihnen erzwungene Streichung der Gesundheitsförderung ist daher nicht nur gesundheitspolitisch kontraproduktiv, sondern auch ökonomisch völlig unsinnig. ({5}) Die SPD-Bundestagsfraktion will diese widersinnige Politik zu Lasten der Versicherten nicht länger hinnehmen. ({6}) Es gibt unzählige gute Gründe für eine sinnvolle Präventionspolitik. In dieser Auffassung sind wir im übrigen in den vergangenen Monaten in Anhörungen, Gesprächen und Veranstaltungen von namhaften Experten und Organisationen bestärkt worden. Exemplarisch möchte ich an dieser Stelle nur die Gewerkschaften, den Deutschen Sportbund und den Deutschen Turnerbund nennen. Konsequente Gesundheitsförderung dient dem Erhalt der Gesundheit und senkt somit langfristig Behandlungskosten, sichert die Produktivkraft der Beschäftigten und trägt dazu bei, die Kosten der Entgeltfortzahlung zu senken. Weiterhin verhindert sie frühzeitige Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und entlastet somit auch die Rentenkassen. Mit anderen Worten: Prävention als Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen ist eine der ganz entscheidenden gesundheitspolitischen Aufgaben der Zukunft. ({7}) Aus diesem Grund bringen wir heute unseren Antrag „Prävention und Gesundheitsförderung in der gesetzlichen Krankenversicherung" ein. Lassen Sie mich mit Blick auf die eben erwähnte Zukunft auf einen Bereich eingehen, der in der gesundheitspolitischen Diskussion viel zu sehr vernachlässigt wird: Prävention im Kindes- und Jugendalter. ({8}) Aktuelle Untersuchungen des Leipziger Institutes für angewandte Trainingswissenschaften an 770 000 Schülern in Sachsen ergaben ein erschreckendes Bild: 31 Prozent der untersuchten Schüler wiesen bereits Schäden an der Wirbelsäule auf. Auslöser dafür sind - man weiß es - Bewegungsmangel und falsche Ernährungsgewohnheiten. ({9}) - Auch das ist ein sinnvoller Hinweis, Herr Kollege Thomae. Außerdem sind bereits 40 Prozent der Grundschulkinder übergewichtig. Gelenk- und Haltungsschäden drohen zum Merkmal einer ganzen jungen Generation zu werden. Argumentativ, so denke ich, schließt sich hier ein Kreis. Eltern tragen für diese Fehlentwicklungen Mitverantwortung. Es gilt daher, in erster Linie sie, diese Eltern, mit Maßnahmen der Prävention und der Gesundheitsförderung zu erreichen. ({10}) Dadurch erworbenes Wissen kann in Verhaltensänderungen auch ihrer Kinder münden. Ich halte das wirklich für einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt. Denn die kranken Kinder von heute sind die kranken Erwachsenen von morgen. Schon heute betragen die Kosten für ernährungsund haltungsbedingte Krankheiten bei Erwachsenen mehr als 160 Milliarden DM. Wir beobachten weiterhin eine deutliche Zunahme von chronisch-degenerativen Krankheiten. Gerade hier sind gezielte Maßnahmen im präventiven Bereich angezeigt, um die Entstehung von Defiziten zu verhindern und somit zu wirklich nachhaltigen Einsparungen zu kommen. Etwa 1,2 Milliarden DM wollen Sie einsparen. Das sind nicht einmal 0,5 Prozent der Gesamtleistungsausgaben der GKV - unter Berücksichtigung der soeben genannten Summe doch eine eher zu vernachlässigende Größenordnung. Dies sind stichhaltige Gründe für die Verankerung von Gesundheitsförderung und Präventionsmaßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rechtsanspruchsleistung. ({11}) Die von der Koalition im 2. NOG beschlossene Neuregelung wird dem Stellenwert von Prävention und Gesundheitsförderung keinesfalls gerecht. Im Gegenteil: Die grundsätzliche gesundheitspolitische BeDagmar Freitag deutung dieser Maßnahmen wird von der Koalition geradezu ad absurdum geführt, wenn präventionsund gesundheitsfördernde Maßnahmen in das Belieben von Krankenkassen gestellt und zudem mit einseitigen Sonderbeiträgen allein zu Lasten der Versicherten belegt werden. Nun mag man einwenden, Herr Lohmann, daß die Krankenkassen in der Vergangenheit die Möglichkeiten, die der Gesetzgeber ihnen im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung eingeräumt hatte, nicht optimal genutzt haben. ({12}) Es ist richtig: Werbemaßnahmen und sinnvolle Angebote traten - ich betone: in Einzelfällen - in Konkurrenz zueinander. Der von der Koalition zum Totschlagargument gegen den § 20 SGB V herangezogene Bauchtanzkurs kann und darf daher nicht das klar dominierende Ausmaß von sinnvollen Angeboten diskreditieren. ({13}) Dieses Argument hätte zudem niemals für eine grundsätzliche Diskussion über Sinn und Zweck von Prävention und Gesundheitsförderung mißbraucht werden dürfen. Gerade das aber haben Sie getan. Unser Antrag definiert deshalb klar, welche Anforderungen an Maßnahmen zu stellen sind, die aus Mitteln der GKV finanziert werden können. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Rechtsanspruch der Versicherten auf Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung unverzüglich wieder im SGB V zu verwirklichen und ein Gesamtkonzept „Prävention und Gesundheitsförderung in der gesetzlichen. Krankenversicherung" vorzulegen. ({14}) Hier fordern wir insbesondere, für Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung das Kriterium der Wirksamkeit vorzuschreiben, Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung eindeutig von Werbemaßnahmen abzugrenzen, konkrete Ziele und Zielgruppen zu definieren, Kooperationen zu fördern und Vorgaben für eine fortlaufende Evaluation des Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramms zu erstellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, folgen Sie den guten Argumenten sowie dem gesunden Menschenverstand und stimmen Sie in den weiteren Beratungen unserem Antrag zu. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl das Wort für die Bundesregierung.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD versucht wieder einmal - ich versichere Ihnen: erfolglos -, das Rad der Zeit zurückzudrehen. ({0}) Er zeichnet ein verklärtes Bild sozialistischer Wohlfahrtspolitik, ({1}) in dem die Krankenkassen die Glücksbringer sind. Er steht übrigens auch, Herr Kirschner, in krassem Widerspruch zu Ihrem Thesenpapier zur sozialen Marktwirtschaft. Das würde ich an Ihrer Stelle einmal lesen. Völlig klar ist: Prävention und Gesundheitsförderung sind wichtig und sinnvoll. ({2}) In vielem kann ich Ihnen, Frau Freitag, zustimmen. Nur, die Schlußfolgerungen, die Sie gezogen haben, waren eben nicht ganz richtig. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Dr. Bergmann-Pohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Fuchs?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Ja. - Aber ich dachte, ich könnte erst einmal einiges ausführen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, ich werde dem, was Sie noch ausführen werden, mit Interesse zuhören. Mich hat aber Ihre Bemerkung „verklärtes Bild sozialistischer Gesundheitspolitik" Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Wohlfahrtspolitik!

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- doch ein wenig aufschrekken lassen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie auch Herrn von Richthofen, dem Präsidenten des DSB der Bundesrepublik Deutschland, so eingruppieren würden. Er hat nämlich meiner Kenntnis nach einen Brief an Kanzler Kohl geschrieben und dazu aufgefordert, § 20 SGB V doch noch einmal zu überdenken, weil - das hat Frau Freitag gerade schon gesagt - Abkommen zwischen den Krankenkassen auf Länderebene und dem DSB zum gegenseitigen Nutzen und zum Nutzen von Kindern und Jugendlichen getroffen worden sind. Ich glaube nicht, daß man Herrn von Richthofen in die Ecke einer sozialistischen Gesundheitspolitik stellen kann.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Frau Fuchs, generell habe ich nichts gegen sinnvolle Vereinbarungen. Ich habe aber etwas dagegen, wenn die gesetzliche Krankenversicherung Sportvereine sponsert. Genau das wollen wir abschaffen; denn hier hat ein Mißbrauch stattgefunden. ({0}) Uns ist völlig klar, daß in der Gesundheitspolitik Institutionen des Sports, der Länder und Kommunen miteinander arbeiten müssen. Ich bin zum Beispiel dafür, Frau Freitag, daß Gesundheitsprävention verstärkt in den Schulen angeboten wird. Leider aber findet genau das nicht statt. Die Krankenkassen wurden vielmehr für bestimmte Marketingangebote mißbraucht. ({1}) Darauf komme ich aber gleich zurück. Wir haben überhaupt nichts gegen Gesundheitskonzepte. ({2}) Wir haben aber etwas gegen mangelnde Eigenverantwortung des einzelnen und auch dagegen, daß sich die Länder zunehmend ihrer Verantwortung entziehen und alles auf die gesetzliche Krankenversicherung schieben, ({3}) die sich wirklich in einer finanziell sehr problematischen Situation befindet. Wie sah es denn in der Vergangenheit aus? Die Ausgaben für die Gesundheitsförderung haben sich in dem Zeitraum von 1992 bis 1995 mehr als verdoppelt, insbesondere deshalb, weil unter der Bezeichnung „Gesundheitsförderung" häufig - das waren keine Einzelfälle, Frau Freitag; das wissen Sie genauso gut wie ich - eine Vielzahl von Marketingaktivitäten aus solidarischen Pflichtbeiträgen finanziert wurde. Ich denke, die Krankenkassen sind nicht dazu da, ein Rundum-sorglos-Paket, angefangen beim Babyschwimmen über Snowboard- und Taucherkurse bis hin zur Testamentsberatung, anzubieten. ({4}) - Moment, Herr Kirschner. Sie haben gesagt, es seien einzelne Maßnahmen. Wir haben mit den Krankenkassen mehrfach gesprochen und gesagt, daß sie diesen Mißbrauch endlich abstellen sollten. Trotzdem hat im ersten Halbjahr 1996, als diese Diskussion sehr aktuell war, die AOK Niedersachsen ein sehr umfangreiches Programm herausgegeben. Ich lese nur einmal einige Dinge vor: „Hohner-Musikgarten", „Fantasia-Puppenbühne" usw. Als nächstes wird hier angeboten: „Wendo - Selbstverteidigung/Selbstbehauptung für Frauen" oder - hören Sie sich das bitte einmal an -: Reise zum Regenbogen - Die heilende Kraft von Farben Wann sehen Sie rot? Oder gehören Sie eher zu den Schwarzseherinnen? Ich sehe bei solchen Angeboten rot. - Ich zitiere wieder: Wie Sie die unterschiedlichen Energien von Farben für Ihr geistiges und körperliches Wohlbefinden einsetzen können, erfahren Sie an diesem Wochenende. Und das kostenlos.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie weitere Zwischenfragen, zunächst vom Abgeordneten Kirschner?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Wenn Sie meine Zeit anhalten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Zeit halte ich selbstverständlich an. Gestatten Sie Zwischenfragen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön, Herr Kollege.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie hier von zwei Dingen reden? Zum einen geht es um einen Antrag der SPD- Bundestagsfraktion, der sich auf § 20 SGB V bezieht, der Prävention zur Verhinderung von möglichen Krankheiten vorsieht. Sie dagegen reden von Marketingausgaben, die den Krankenkassen von den Aufsichtsbehörden der Länder und dem Bundesversicherungsamt, das dem Bundesgesundheitsminister untersteht, genehmigt worden sind. Hier sind also zwei unterschiedliche Dinge auseinanderzuhalten. Die Marketingausgaben der Krankenkassen, die ungefähr einen Aufwand von 4,20 DM pro Jahr und Mitglied bedeuten, sind dann ja indirekt auch vom Bundesgesundheitsminister genehmigt worden. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Sekunde! - Wollen Sie die zweite Frage gleich im Anschluß zulassen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann bitte, Frau Fischer, Sie können Ihre Frage gleich anschließen.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unabhängig davon, wie man das, was Sie, Frau Staatssekretärin, vorgelesen haben, jetzt im einzelnen findet, wollte ich Sie fragen: Sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen diesen Aktionen, die die Krankenkassen starten und die Sie so beklagen, und der Tatsache, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren sehr stark darauf gesetzt hat, den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zu fördern und einen leichteren Wechsel zwischen Kassen zu ermöglichen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Zunächst zu Herrn Kirschner: Ich kann Ihnen nur vorlesen, was das Bundesversicherungsamt in seinem Prüfbericht unter anderem ausgeführt hat, nämlich daß man unter Bezug auf § 20 SGB V ganz eindeutig Therapiemarketing durchgeführt und daß man - entgegen den Beschlüssen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen - die diesbezüglichen Kosten erstattet hat. Das stand in dem Bericht des Bundesversicherungsamtes. Ich glaube, das macht deutlich, daß es wichtig war, daß der Gesetzgeber hier endlich eingeschritten ist. ({0}) Frau Fischer, auf Ihre Frage möchte ich so antworten: Es ist völlig richtig, zu sagen, daß wir einen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen wollen, aber einen sinnvollen Wettbewerb. Wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn ein Wettbewerb mit medizinisch sinnvollen Präventionsangeboten stattgefunden hätte. Aber wir sind gegen einen Wettbewerb mit Tauchkursen, mit Snowboard-Kursen und mit Testamentsberatung. Genau darum geht es uns. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Jetzt möchte auch noch Herr Wodarg eine Zwischenfrage stellen. - Ich habe die Uhr angehalten.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Nein. Ich möchte jetzt einige grundsätzliche Ausführungen machen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Es ist doch so - Herr Kirschner, das wissen Sie genauso gut wie wir -, daß wir § 20 SGB V nicht vollständig gestrichen haben. Vielmehr halten wir auch weiterhin medizinisch sinnvolle Angebote in der gesetzlichen Krankenversicherung aufrecht. Das sind zum Beispiel die Schwangerenvorsorge, die Früherkennungsmaßnahmen gegen Krebs, Gesundheitsuntersuchungen für Kinder und Erwachsene, zahnmedizinische Individual- und Gruppenprophylaxe oder Schutzimpfungen. ({0}) Das ist alles in vollem Umfang erhalten geblieben. Hinzu kommt, daß die Krankenkassen in Zukunft über einen Versichertenbeitrag auch sinnvolle Angebote unterbreiten können. Wenn man es über einen Versichertenbeitrag macht, hat das den Vorteil, daß die Versicherten in den Verwaltungsräten dem auch zustimmen müssen. Ich denke, daß da ein wenig mehr Kontrolle stattfindet, so daß hinterher auch etwas mehr Qualität herauskommt. ({1}) Wir haben uns Ihren Antrag, Herr Kirschner, sehr genau angesehen. Er würde insgesamt 20 Paragraphen, drei Rechtsverordnungen und 16 Verwaltungsvorschriften nach sich ziehen, und trotzdem könnten Sie nicht garantieren, daß Mißbrauch nicht stattfindet. Darum, meine Damen und Herren, sage ich: Lassen Sie uns doch lieber gemeinsam überlegen, wie wir die Länder - da sind auch Sie in der Pflicht - mehr in die Verantwortung nehmen können, damit sie mit den Schulen, mit den Sportverbänden usw. sinnvolle Angebote - neben den sinnvollen Angeboten, die es schon in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt - machen. Ich glaube, dann wären wir ein Stück weiter und hätten genau das erreicht, was wir gemeinsam wollen. Darum bitte ich Sie. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich dem Abgeordneten Wodarg das Wort zu einer Kurzintervention. - Sie haben bis zu drei Minuten Zeit.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, wir sind nicht nur Kollegen im Bundestag, sondern beide als Arzt tätig gewesen - vielleicht sogar immer noch tätig. Wir haben gelernt, daß es sich auszahlt, vorzubeugen, weil die Vorbeugung kostengünstiger und für die Gesundheit der Menschen schonender ist. Ich habe lange nach Vorschlägen aus Ihrem Haus gesucht. Jetzt möchte ich Sie fragen: Wo ist Ihre systematische Planung? Wie nutzt die Regierung das Potential, das es gibt? In anderen Ländern wird uns demonstriert, wie mit einer systematischen Vorbeugung Krankheitskosten minimiert werden, bei uns dagegen steigen die Kosten. Doch auch wir könnten - genauso wie Holland und die skandinavischen Länder - intensiv und systematisch eine Bestandserhebung darüber machen, wo Prävention sinnvoll ist und effizient angewandt werden kann. Wo sind Ihre Konzepte? Ich habe keine gesehen. Sie bauen ab und lassen nur die Dinge zu, bei denen sich die Lobby der Zahnärzte durchgesetzt hat. Alles andere bauen Sie ab, Sie machen einen Kahlschlag. Sie verändern das Gesundheitswesen und machen daraus - gemeinsam mit Herrn Möllemann - einen Markt, auf dem man viel Geld verdienen kann. Konsequenterweise bauen Sie auch die Prävention ab, damit man auf dem Markt noch mehr Geld verdienen kann. Das ist der Eindruck, den Ihre Politik in der Öffentlichkeit erweckt. Es geht nicht darum, mit Krankheit möglichst viel Geld zu verdienen. Das ist gegen unser Gewissen. Ich meine, daß Sie es uns schuldig sind, ein Konzept vorzulegen, wie wir es gemacht haben. Wir haben Ihnen zumindest gesagt, was wir als erste Schritte in Richtung Prävention sofort wieder einführen wollen. Von Ihrer Seite ist nichts gekommen. Sie haben abgebaut, Sie setzen auf kurative Medizin, die sehr teuer ist, die wir uns kaum leisten können, und vernachlässigen die Chancen der Prävention. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie können darauf antworten.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Wodarg, ich bedaure ein wenig Ihren polemischen Tonfall; denn unsere Vorstellungen gehen gar nicht so weit auseinander. Ich habe am Ende meiner Rede gesagt, daß Gesundheitsförderung und Prävention unbedingt notwendig und wichtig sind. Deswegen haben wir auch § 20 SGB V eingeführt. Er ist allerdings für Dinge mißbraucht worden, die nicht notwendigerweise von der gesetzlichen Krankenversicherung, von der Solidargemeinschaft finanziert werden müssen. Es gibt durchaus sehr gute Beispiele, die von unserem Haus finanziell und ideell unterstützt werden, zum Beispiel die Gesundheitsförderung in Kindergärten und anderen Bereichen. ({0}) - Doch, das stimmt. Fragen Sie bitte Frau Augustin. So ein Projekt läuft. Ich kann Ihnen das auch gern schriftlich geben. Über solche Dinge sollten wir uns unterhalten, aber Ihr Antrag ist der falsche Ansatz. Sie wollen wieder alles auf die gesetzliche Krankenversicherung abwälzen, die dafür da ist, die großen Gesundheitsrisiken im Leben eines Menschen abzudecken. Prävention, Gesundheitsvorsorge hat etwas mit Eigenverantwortung zu tun. Diese fördern Sie mit Ihrem Antrag überhaupt nicht. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Monika Knoche.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie müssen schon entschuldigen, Frau Bergmann-Pohl, aber ich hatte bei Ihren Ausführungen manchmal den Eindruck, daß Sie selbst nach sieben Jahren noch immer nicht in der Bundesrepublik Deutschland angekommen sind; denn Sie wissen offensichtlich nicht, was Sie an Erfolgen der Gesundheitsbewegung kaputtgemacht haben, als Sie § 20 SGB V gestrichen haben. ({0}) In einer so heftig geführten Debatte - und erregten Entgegnung von Ihnen - werden sehr wichtige Aussagen gemacht. Sie haben gerade gesagt, Aufgabe der gesetzlichen Krankenkasse sei es, die großen Gesundheitsrisiken solidarisch abzusichern. Sie gehen damit in die Zeit zurück, in der das Bismarcksche System konzipiert werden mußte. Sie verkennen vollkommen, daß sich das Gesundheitsverständnis und damit auch die Aufgaben der Gesundheitspolitik weiterentwickelt haben. Sie verkennen, daß gerade die Selbsthilfe der prägnanteste Ausdruck von Eigenverantwortung ist. Woher ist sie gekommen? Sie entsprang einem erweiterten Verständnis von Gesundheitspolitik, Selbsttätigkeit ({1}) und Eigenkompetenz. Natürlich haben die Versicherten das Recht, von ihren Krankenkassen zu erwarten, daß diese Form auch finanziell getragen wird. Das ist doch eine Erscheinung der Zeit. Sie können die Entwicklung zu einer zivilen und emanzipatorischen Gesundheitspolitik nicht mit falschen monistischen Argumenten rückgängig machen. Es ist auch nicht richtig, davon zu sprechen, Prävention sei von den Krankenkassen in großem Umfang stark mißbräuchlich betrieben worden. Lediglich marginale Beträge sind nicht ganz effizient eingesetzt worden: ({2}) eine Mark pro Mitglied im Monat. Die Mißbrauchsszenarien, die die Bundesregierung hier vorstellt, sind doch lächerlich. ({3}) Auch heute haben Sie der AOK diesen Vorwurf gemacht. Ich kann nicht verstehen, welches Profilierungsinteresse dem zugrunde liegt. Denn in der Bevölkerung ist es gar keine Frage, daß Prävention notwendig ist. Spätestens als die Selbsthilfegruppen von chronisch Erkrankten in Bonn eine Großdemonstration abgehalten haben, weil sie darauf aufmerksam machen wollten, daß Sie notwendige Leistungen der Gesundheitsvorsorge wegnehmen, ({4}) hätte Ihnen bewußt werden müssen, daß man wenigstens diese Form der Selbsthilfe - mit der bereits manifest Erkrankte versuchen, ihren Gesundheitsstatus mit Sekundärprävention zu erhalten - bewahren muß. ({5}) Aber den gesamten Bereich der Primärprävention haben Sie gestrichen. Darin kommt zum Ausdruck, daß Sie das Verständnis für Krankheitsentstehung und Genesungsförderung auf den rein kurativen Bereich reduzieren wollen und überhaupt nicht mehr im Blick haben, wie stark die Chancen, gesund zu sein, von sozialen Faktoren abhängen, ({6}) wie stark Gesundheit von Umweltfragen abhängt, wie sehr die Chance auf Gesundheit von Diskriminierung beeinflußt wird. Das ist die Erkenntnis der heutigen Zeit. Deshalb haben die Versicherten natürlich das Recht, daß nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch ihre eigene Krankenkasse dem gewachsenen Gesundheitsbewußtsein Rechnung trägt. ({7}) Prävention muß wieder zurück in die Form des § 20 SGB V, weil eine zukunftsfähige Präventionspolitik sich sonst nicht entwickeln kann. Danke. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae das Wort.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Mit gezielter Prävention und Gesundheitsförderung wird verhaltensbedingten Krankheiten langfristig vorgebeugt." Diesem Satz Ihres Antrags kann ich mich völlig anschließen. ({0}) Aber wir müssen den zugrunde liegenden Paragraphen - das hat die Koalition gemacht - auf Effektivität und Kosten abklopfen. Wir haben festgehalten: Auf der einen Seite müssen die wesentlichen medizinischen Risiken in der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt werden. Auf der anderen Seite müssen wir Eigenverantwortung bei den Versicherten einfordern, um die Beitragssätze stabil zu halten. Denn die Sozialabgaben belasten den Arbeitsplatz Deutschland. Was hier eben von der Opposition gesagt worden ist, ist nicht korrekt. Sie sollten den Paragraphen genau lesen. Dann werden Sie feststellen: Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen werden weiter gefördert - das sind wichtige präventive Maßnahmen -, ({1}) die zahnmedizinische Prophylaxe wird ausgebaut, Gesundheits-Check-up und Schutzimpfungen bleiben im Leistungskatalog der präventiven Maßnahmen. Dies alles haben wir fortgeführt. Ein letzter wesentlicher Punkt: Nach vielen Diskussionen in der Koalition sind wir die Thematik Selbsthilfegruppen angegangen. Da wir nicht Fachleute genug sind, um zu entscheiden, welche Selbsthilfegruppen unterstützt werden müssen, haben wir diese Aufgabe den Krankenkassen und der Ärzteschaft übertragen. ({2}) Sie haben einen Katalog erstellt, so daß die Selbsthilfegruppen nicht mehr per Gießkannenprinzip bedient werden. Vielmehr werden sie für die Förderung ausgewählt, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen. ({3}) Das ist für mich verantwortungsbewußte Prävention. Von daher, meine Damen und Herren, kann ich Ihrem Antrag wirklich nicht folgen. Wir werden die Entwicklung in der Prävention weiter sehr sorgfältig beobachten. Wir werden sie, wenn notwendig, auch korrigieren und die Prävention ausbauen. Aber ich sage Ihnen auch: Der einzelne muß für seine Prävention Eigenverantwortung übernehmen. Dies haben wir im Gesetz ermöglicht. Die Krankenkassen bekommen die Möglichkeit, durch einen Sonderbeitrag präventive Maßnahmen für die Versicherten durchzuführen. Von daher sehe ich für die F.D.P. in dieser Frage keinen Korrekturbedarf. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die grundsätzliche Bedeutung der Einführung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen in den gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenkassen lag bekanntlich darin, daß es erstmals möglich wurde, die kurative Medizin durch Leistungen der primären Prävention zu ergänzen. - Frau Staatssekretärin, das war schon, bevor die Einheit kam, in der Bundesrepublik zu einem Prinzip erhoben worden. - Es entsprach zugleich internationalen Entwicklungen, zusätzlich zur medizinischen Vorsorge durch Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen auch solche Leistungsangebote zu schaffen, die von vornherein positiv auf die Festigung der Gesundheit zielen. Dabei gilt, daß Maßnahmen, die sich auf die direkte Förderung der Gesundheit richten, nicht nur gesundheitlich wirksam sind, sondern auch Kosten einsparen können. Mit dem Beitragsentlastungsgesetz haben Bundesregierung und diese Koalition es fertiggebracht, die Gesundheitsförderung aus dem Leistungskatalog der GKV wieder zu streichen. ({0}) - Das stimmt. Ich habe leider nur ganz wenig Zeit; sonst könnten wir uns noch lange darüber unterhalten. Sie können auch eine Frage stellen; dann kann ich ein bißchen länger reden. Dies kann man nur als schweren Systembruch bezeichnen, da damit der gerade erst Ende der 80er Jahre erreichte prinzipielle Fortschritt hin zu einer Neuorientierung des Gesundheitswesens wieder zunichte gemacht wurde. Ein Weiteres kommt hinzu: Krankheit und Tod sind bekanntlich in der Bevölkerung ungleich verteilt. - Meine Kollegin Monika Knoche hat schon darauf hingewiesen. - Sozial benachteiligte Schichten haben ein deutlich höheres Erkrankungs- und Sterberisiko als bessergestellte. Die Verminderung dieser Unterschiede in den Lebens- und Gesundheitschancen der Menschen durch zielgerichtetes politisches Handeln gehört deshalb zu den vornehmsten Zielen einer nationalen Gesundheitspolitik. Dies muß natürlich noch mehr in Zeiten wachsender sozialer Polarisierung gelten, in denen im Gefolge von Armut, Obdachlosigkeit und sozialer Entwurzelung auch die Unterschiede im Gesundheitszustand der Menschen eher wieder größer werden, als daß sie abnehmen. Es ist beschämend für die Regierung, daß sie angesichts dieser Situation nicht einen einzigen Ansatz einer gesundheitspolitischen Gegensteuerung aufzuweisen hat. ({1}) Im Gegenteil: Die Streichung der Gesundheitsförderung aus dem Leistungskatalog ist deshalb so unglaublich verantwortungslos, weil sie die ohnehin bestehenden sozialen und gesundheitlichen Schieflagen noch weiter verschärft. Zu fordern ist deshalb: Der Gesundheitsförderungsauftrag der Krankenkassen als gesetzliche und paritätisch finanzierte Aufgabe muß uneingeschränkt wiederhergestellt werden. Die Qualität der gesundheitsfördernden Angebote ist zu sichern und zu verbessern. An dem Punkt sind wir uns einig: Bei Mißbrauch und bei Dingen, die nicht helfen, ({2}) haben Sie unsere Zustimmung zu Ihren Maßnahmen. Aber Sie können nicht sagen, daß Sportvereine Krankenkassen mißbrauchen. ({3}) Es gibt Tausende und aber Tausende von Kindern mit Haltungsschäden, die eine Rückenschule benötigen würden. Orthopäden sagen uns heute schon, daß die Kosten, die diesbezüglich in Zukunft auf die Krankenkassen zukommen, enorm hoch sein werden. Darüber hinaus braucht das Land eine klar formulierte Gesundheitspolitik, in der Förderung und Wiederherstellung von Gesundheit, das heißt Prävention, Kuration und Rehabilitation, endlich ihren jeweils richtigen Platz erhalten. Dem Gesagten können Sie entnehmen, daß wir dem Antrag der SPD auch in der zukünftigen Diskussion zustimmen werden und auch versuchen werden, Sport- und andere Einrichtungen dafür zu gewinnen, Druck zu machen, damit er durchkommt. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Prävention und Gesundheitsförderung - das ist, glaube ich, in der Sache schon deutlich geworden, und da stimmen wir dem Tenor des SPD- Antrages ausdrücklich zu - müssen einen ganz wichtigen Platz in der Gesundheitspolitik einnehmen. Es ist immer besser, dafür zu sorgen, daß jemand gar nicht erst krank wird, als eine Krankheit nachträglich zu heilen. Wir alle, die wir uns in der Gesundheitspolitik engagieren, wissen - es gab mehrere Gutachten auch des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen -, daß Prävention nach wie vor eine Schwachstelle im deutschen Gesundheitswesen ist. Hier muß in der Tendenz eher mehr, nicht weniger getan werden. Man könnte sich also durchaus vorstellen, einen Konsens in dieser Frage anzustreben. Voraussetzung dafür aber wäre, daß man den Eindruck gewinnen könnte, es ginge der antragstellenden Fraktion nicht um Wahlkampf, sondern tatsächlich um Prävention und Gesundheitsförderung. ({0}) Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es der SPD bei diesem Antrag nicht so sehr um Prävention und Gesundheitsförderung, sondern doch wohl eher um Wahlkampf geht. ({1}) Ich will dies begründen. Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht nur eine Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gibt eine Vielzahl von Trägern von Präventionsaufgaben. Der Gesundheitssachverständigenrat hat sich in seinem Sondergutachten 1995 ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Er hat festgestellt, daß im Jahre 1992 nach der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes 11,2 Milliarden DM für Gesundheitsdienste usw. aufUli Fink gewendet wurden. Der heute zur Diskussion stehende § 20 SGB V trägt dazu mit knapp 1 Milliarde DM bei. Wir reden also nicht einmal über den zehnten Teil der Prävention in der Bundesrepublik Deutschland. Die primäre Verantwortung für die Gesundheit obliegt dem einzelnen und der öffentlichen Hand. Es gibt eine Verhaltens- und eine Verhältnisprävention. Wir wissen alle, daß, wenn der einzelne nicht mittut, alle noch so gutgemeinten Maßnahmen ins Leere gehen; aber es gibt auch die Verhältnisprävention. Das heißt, hier muß der Staat Bedingungen setzen - zum Beispiel in der Umweltpolitik, der Verkehrspolitik, der Schulpolitik usw. -, die dem Gedanken des Gesundheitsschutzes Rechnung tragen. Der Gesundheitssachverständigenrat hat in seinem Sachstandsbericht 1994 die Anstrengungen des Staates wie folgt beschrieben - ich zitiere: Die unzureichende rechtliche Positionierung, finanzielle Ausstattung und im Gefolge davon Professionalität des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ... ist als eine wesentliche Ursache anzusehen, warum Zug um Zug mehr Verantwortung und Finanzierung z. B. der GKV zugeschoben wurde. Hier liegt ein zentrales Problem der Prävention. Das sprechen Sie in Ihrem Antrag gar nicht an. Die vor allem verantwortlichen Länder und Gemeinden neigen dazu, Gesundheitsförderungsausgaben, deren Wirkung oft erst sehr, sehr viel später sichtbar wird, aus Gründen der allgemeinen Finanzknappheit nicht zu tätigen. ({2}) Dann ist es natürlich der bequemste Weg, diese Ausgaben der Krankenversicherung aufzubürden. ({3}) Aber das kann nicht richtig sein. Zum einen umfaßt die Krankenversicherung nicht die gesamte Bevölkerung, zum zweiten sollten auch die Lohnnebenkosten nicht so hoch sein. Sie selber weisen doch immer auf diesen Gesichtspunkt hin. Zum dritten ist es falsch, Frau Kollegin, Prävention nur unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis zu sehen; denn man müßte eine Prävention auch dann durchführen, wenn sie zwar keine Kosten erspart, aber die Krankheit von Menschen vermeiden hilft, ({4}) selbst dann, wenn die Behandlungskosten der Menschen niedriger sind als die Präventionskosten. Wie uferlos es wäre, wollte man der Krankenversicherung alles auflasten, was unter gesundheitlichen Gesichtspunkten Sinn macht, kann man allein daraus erkennen, daß es zweifellos so ist, daß es für die Gesundheit eines Menschen von ausschlaggebender Bedeutung ist, daß er genug zu essen hat. ({5}) Nur: Es käme doch wohl niemand auf den Gedanken, in den Leistungskatalog der Krankenversicherung auch noch die Ernährung mit aufzunehmen. ({6}) Sollte die SPD - ich wende mich konkret an Sie - wirklich an dem Thema Prävention und Gesundheitsförderung interessiert sein, dann sollten all diese Themen auf den Tisch, und zwar da, wo wir, die Union, die Verantwortung haben, nämlich auf der Bundesebene, aber auch da, wo Sie Verantwortung tragen, nämlich bei Ländern und Gemeinden. Dann könnte man sich auf manches verständigen. Solange es aber nur darum geht, den Schwarzen Peter weiterzureichen, kann es eine solche Gemeinsamkeit nicht geben. In dieser Legislaturperiode werden wir wohl kaum noch Entscheidendes beschließen. Ich hoffe aber sehr, daß wir in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf zugunsten eines umfassenden und abgestimmten Präventionskonzeptes unternehmen können. Bis dahin sollten alle Beteiligten, auch die Krankenkassen, wissen, daß im Deutschen Bundestag die breite Überzeugung herrscht, daß eine gute Prävention wichtig ist und vom Deutschen Bundestag unterstützt wird. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8090 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: . a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({0}) - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Iris Follak, Dr. Eberhard Brecht, Susanne Kastner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht, Susanne Kastner, Iris Follak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern - Drucksachen 13/4048, 13/5087, 13/6718, 13/ 6739, 13/8520 - Berichterstattung: Abgeordnete Halo Saibold Iris Follak Dr. Olaf Feldmann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann ({2}), Gila Altmann ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regierungsprogramm für einen zukunftsfähigen Tourismus - zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Institutionelle Stärkung einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung - Drucksachen 13/5213, 13/5785, 13/8388 - Berichterstattung: Abgeordnete Halo Saibold Klaus Brähmig Dr. Olaf Feldmann c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold, Gila Altmann ({4}), Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderung des Tourismus neu gestalten - Drucksache 13/8107 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({5}) Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumforschung, Bauwesen und Städtebau Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Iris Follak.

Iris Follak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002654, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dinge, die die Menschen in unserem Land beschäftigen, scheinen hier im Parlament nur einen geringen Stellenwert zu haben. Millionen von Bundesbürgern sind Touristen und Urlauber. Daß man mit gutem Tourismus in Deutschland Arbeitsplätze schaffen kann, wird von der Bundesregierung immer noch als besondere Verschlußsache behandelt. Ein Volk, das so viel Geld für Reisen ins Ausland trägt, muß stärker auf die eigenen Angebote hinweisen. Vor allem unser Wirtschaftsminister Rexrodt spricht im Ausland über alles, aber nicht über die vielen Möglichkeiten und Anreize, Urlaub in Deutschland zu verbringen. Das würde vor allem uns in den neuen Bundesländern Mut machen. ({0}) Da für die Debatte über dieses Problem hier im Hause nur 30 Minuten vorgesehen sind, muß ich mich auf Stichpunkte beschränken. Dabei erlebt der Deutsche Bundestag jetzt wenigstens eine halbe Sternstunde, denn Koalition und SPD-Fraktion haben sich auf einen gemeinsamen Forderungskatalog an die Bundesregierung verständigt. Die Erfüllung der gemeinsamen Forderungen wird nach unserer Überzeugung die Entwicklung in den neuen Bundesländern nachhaltig beschleunigen und somit 100 000 neue Arbeitsplätze in der Tourismuswirtschaft schaffen. 100 000 Arbeitsplätze bedeuten Einsparungen von 4 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit. Dies ist eine Riesenchance, um konkrete Investitionshilfe zu leisten. Das Motto heißt, wirtschaftliche Entwicklung zu gestalten statt Arbeitslosigkeit zu verwalten. ({1}) Früher oder später werden die neuen Bundesländer in der Tourismuslandschaft den Abstand zu den alten Bundesländern aufholen. Sie brauchen das Geld aber jetzt und nicht erst in zig Jahren. Wer sich auskennt, weiß: Es liegt nicht etwa am Einsatz und am Gestaltungswillen der Gastronomen und Hoteliers oder an den ursprünglichen Voraussetzungen, daß der Tourismus in den neuen Bundesländern die Angleichung an den westlichen Standard bisher nicht geschafft hat. Es sind die berühmten Rahmenbedingungen, die noch nicht stimmen. ({2}) Aus diesem Grunde haben wir endlich klare Forderungen fixiert. ({3}) Dazu ist es erforderlich, daß Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, diese Beschlußempfehlung rasant umsetzen und nicht nur die Bedingungen schaffen, die Ihnen politisch angenehm sind. Das mußte die SPD nämlich bei der Antwort auf die Große Anfrage erleben. Diese Rüge in unserem Entschließungsantrag wollen wir Ihnen nicht ersparen. Ich möchte einige Punkte von besonderer Aktualität nennen: Ein gravierendes Problem in den neuen Bundesländern ist das Verhalten der Banken. Der hohe Modernisierungs- und Sanierungsrückstau zwingt die Eigentümer von Betrieben zu überdurchschnittlichen Investitionsanstrengungen. Fehlverhalten von Banken verhindert das Wachstum in der Branche. Umwegrenditen in benachbarten Bereichen sind unmöglich. Der geforderte Bericht wird zutage bringen, wie in Gesamtdeutschland bei den Kreditvergaben der Hausbanken mit zweierlei Maß gearbeitet wird. Um es salopp auszudrücken: Wir glauben, daß die ostdeutschen Investoren von den Banken über den Tisch gezogen werden. Diese Auflistung kann Klarheit bringen. Der nächste Punkt betrifft die Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Das sind nun einmal I entscheidende Eckpfeiler einer erfolgreichen Branche. Das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die Reisebranche in den neuen Bundesländern sind ohne Wenn und Aber auf die Weiterförderung angewiesen. Es ist ein Lichtblick, wenn die Koalition diese Notwendigkeit endlich einsieht. Leider gab es diese Einsicht nicht auch bei der von uns geforderten Umwandlung der ABM-Stellen in dauerhafte Arbeitsplätze. Das AFRG ist und bleibt Unsinn, weil es seinen Zweck nicht erfüllt. ({4}) Wenigstens ist in diesem gemeinsamen Antrag verankert, daß dieses angebliche Reformgesetz jetzt mit Leben ausgefüllt werden soll. Das heißt, es sollen endlich die Mittel bereitgestellt werden, die zur Förderung von Beschäftigung notwendig sind. Wir danken der Koalition, daß diese Formulierung mitgetragen wurde. Hier wird letzten Endes auch deutlich, daß Sie begriffen haben, daß es bei der Arbeitsförderung klemmt. Ich appelliere nun an die Bundesregierung: Geben Sie endlich Ihr Schneckentempo auf und legen Sie bei der Entwicklung der Tourismuswirtschaft einen Gang zu! ({5}) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allen politischen Meinungsverschiedenheiten zeigt die heutige Debatte zur Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern, daß noch eine Übereinstimmung zwischen der Koalition und Teilen der Opposition in der Sache möglich ist, wie der Bericht und die Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/8520 beweisen. Gerade die neuen Bundesländer eignen sich nicht als ideologisches Experimentierfeld. Daher freue ich mich über das Zustandekommen dieses gemeinsamen Antrages von CDU/CSU, F.D.P. und SPD. Leider konnten die Grünen nicht über ihren Schatten springen und diesen gemeinsamen Antrag unterstützen. Ich denke, Anspruch und Wirklichkeit liegen, Frau Saibold, bei der selbsternannten ökologischen Partei weit auseinander. Auch im siebten Jahr der deutschen Einheit ist es der Tourismusbranche in den fünf neuen Bundesländern gelungen, ein Wachstum zu erzielen. Nicht zu vergessen bleibt, daß dieses von einem ursprünglich niedrigen Anfangsniveau aus erfolgen mußte; dafür waren aber die Wachstumszahlen beeindruckend. Im ersten Halbjahr 1997 hat Sachsen 9,8 Prozent Wachstum verzeichnet, Thüringen hingegen als einziges neues Bundesland ein Minus von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum 1996. ({0}) Dennoch bin ich der Überzeugung, daß dies eine gute Leistung vieler einzelner Verbände und der öffentlichen sowie der privaten Leistungsträger ist. Diesen Prozeß wollen wir als Tourismusausschuß des Bundestages auch in den nächsten Jahren politisch begleiten. Wir haben die entscheidenden Weichenstellungen nach 1991 im Ausschuß mitbestimmt. Ich nenne nur die Stichworte Privatisierung in der Branche, Mittelstandsexpreß 2000, Infrastruktur- und Marketingförderung über den Bundeshaushalt. ({1}) Gleiches gilt für die Neuorganisation der Verbände, Strukturfragen und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Petersberger Tourismusgipfel am 15. September hat zum wiederholten Male offengelegt, daß es schnell und unkompliziert zu handeln gilt. Kaum ein Markt und eine Branche haben ein solches volkswirtschaftliches Potential; gleichzeitig sind sie aber auch auf eine Vielzahl von Indikatoren von außen angewiesen. Unstrittig ist dabei auch die Notwendigkeit einer uneingeschränkten finanziellen Unterstützung der touristischen Entwicklung in den neuen Bundesländern. Ich sage an dieser Stelle auch eindeutig: Erstens: Hände weg von einer Reduzierung der Gemeinschaftsaufgabe in den neuen Bundesländern. ({2}) Es macht keinen Sinn, den Aufbau zu propagieren und gleichzeitig eines der effizientesten Finanzprogramme des Bundes in Frage zu stellen. ({3}) Gleiches gilt für die etwaige Umschichtung von Haushaltstiteln für den Aufbau Ost untereinander. Zweitens spreche ich die Umschichtung von Mitteln für Marketing an, vor allen Dingen für die DZT, da hier nach wie vor ein erheblicher Nachholbedarf für die touristisch interessanten Städte und Regionen der neuen Bundesländer besteht, den es schnellstmöglich abzubauen gilt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die auf der letzten ITB in Berlin zum erstenmal anwesenden Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer haben erklärt, 100 000 neue Arbeitsplätze in der Tourismusbranche bis zum Jahr 2000 schaffen zu wollen. Wie soll das geschehen? Die Antwort kann nur lauten, daß auf Bundesebene und in den Ländern die entsprechende touristische Nachfrage geschaffen werden muß. Dazu gehört insbesondere eine stärkere Werbung für unser Produkt „Tourismusstandort Deutschland" im In- und Ausland. Der Markt ist geKlaus Brähmig rade auch in den neuen Bundesländern unstreitig da, er muß nur aktiviert werden. ({4}) Tourismus und die damit verbundene Werbung helfen auch bei der Bewußtseinsbildung und der Identitätsförderung unserer gemeinsamen deutschen Nation. Traumhafte Landschaften und Kulturstätten ziehen Besucher jedesmal neu in ihren Bann; so auch unsere Kollegen, die mit Arbeitsgruppen, Ausschüssen und Fraktionen in Ostdeutschland ständig unterwegs sind. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt nicht noch einmal auf jeden der in unserem Antrag genannten wichtigen 22 Punkte eingehen, die wir im Ausschuß diskutiert haben und auch weiterhin diskutieren werden. Nur soviel sei gesagt: Tourismus hat leider in Deutschland bei weitem noch nicht die politische Bedeutung, die diese Branche als Wirtschaftsfaktor, Arbeitsplatz- und Lehrstellenbeschaffer im internationalen Wettbewerb verdient. ({6}) Wir müssen gerade in unserem Ausschuß und in den jeweiligen Fraktionen weiter daran arbeiten und dafür werben. Manche Entwicklung braucht ihre Zeit. Gerade am Beispiel von Punkt 17 unseres Antrages, „die Unterstützung der Entwicklung touristischer Leitbilder" , wird dies meines Erachtens deutlich. Vor zirka vier Jahren habe ich gerade diesen Leitbildprozeß immer wieder angemahnt und bin dafür zum Teil belächelt worden. Zwischenzeitlich gehört in Deutschland das touristische Leitbild für Städte und Regionen zum Standard. ({7}) Allein in Sachsen gibt es jetzt vier Leitbildprojekte mit entsprechenden Moderationsprozessen. An diesem Beispiel kann man sehr deutlich sehen: Uns fehlt auch eine Innovation im Denken, um die schier unüberwindlichen Barrieren abstreifen zu können. ({8}) Es macht daher gerade für die neuen Bundesländer Sinn, touristische Innovationsforen aufzubauen, in denen über Entwicklungen für das Jahr 2000 und darüber hinaus sowie über Zukunftsideen der Tourismusbranche, über die Einführung des Euro und natürlich über neue Finanzierungswege diskutiert werden muß. Der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 1997 unterstreicht sehr eindrucksvoll, daß auch die Entwicklung des Tourismus auf einem erfolgversprechenden Weg ist. Lassen Sie uns auf diesem Weg gemeinsam mit der Bundesregierung weiter vorankommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Halo Saibold.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nur vier Minuten, deswegen fasse ich mich ganz kurz: Es wird keine gute Reise in die Zukunft geben. Zum Thema Aufbau Ost im Tourismusbereich kann man ebenfalls kurz und bündig feststellen: Der Aufbau der Überkapazitäten ist gelungen. ({0}) Er frißt die Gewinne der Hotels. 30 Prozent durchschnittliche Auslastung bei steigenden Besucherzahlen sind eine Bankrotterklärung. Dieses eine Beispiel zeigt, wohin planlose Förderung führt. Ein weiteres Beispiel ist der Kur- und Bäderbereich. Immer noch werden im Osten mit öffentlichen Mitteln Kuranlagen gefördert, obwohl jedem die Situation klar ist. Um solchen Problemen abzuhelfen, stellte meine Fraktion den Antrag, endlich ein Regierungsprogramm für den Tourismus zu erstellen. Sie - rechts und links - lehnen diesen Antrag heute wider besseres Wissen ab. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß waren am 15. September auf dem Tourismusgipfel und hörten dort immer wieder die Forderungen der Wirtschaft nach einem schlüssigen Gesamtkonzept für die Tourismuspolitik. Wenn dies selbst die Wirtschaft fordert, dann wird daraus deutlich, daß es nicht so weitergehen kann und wie groß die Unzufriedenheit mit dem Gewurstel der Regierung auf diesem Gebiet ist. Sie dokumentieren durch Ihre Ablehnung, daß Sie an diesem Grundübel nichts ändern wollen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einen Satz noch: Soll daraus eigentlich zu ersehen sein, daß eine eventuelle große Koalition genauso handeln und das Grundübel nicht angehen würde? ({0}) - Ich bin immer für gute Diskussionen. Bitte.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Saibold, mich hat Ihre Aussage über das Gewurstel der Bundesregierung ein bißchen verstimmt. Das kann man ja so nicht im Raum stehenlassen. Meine herzliche Bitte ist, daß Sie zur Kenntnis .nehmen, daß das Problem der Schaffung von Überkapazitäten keine Angelegenheit der Bundesregierung ist. Ganz im Gegenteil: Ich habe in meiner Rede von dem Leitbildprozeß gesprochen, den Sie im übrigen auch bei jeder guten Gelegenheit positiv darstellen. Das freut mich, vor allen Dingen auch als Unionsabgeordneten. Sie wissen auch ganz genau, daß das einfach eine regionale Entscheidung ist. Dort, wo sich die Partner der Genehmigungsbehörden und der touristischen Leistungsträger zusammensetzen und diesen Prozeß gemeinsam entscheiden, kann es gelingen - wie auch bei mir im Wahlkreis -, daß letztendlich innerhalb von sieben Jahren Hotelinvestitionen nur im Um- und Ausbau realisiert worden sind, nicht im Neubau auf der grünen Wiese. Damit wird das von Ihnen vorgetragene Problem der Überkapazitäten eben nicht geschaffen. Ich sage also: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Stimmen Sie dem zu?

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wo ein Wille ist, ist. ein Weg. Da stimme ich Ihnen natürlich zu. Ich denke, daß beispielsweise Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern viel von Hessen hätten lernen können. Aber es kommt auch auf die Rahmenbedingungen und auf die Förderkriterien an. Und hierbei hat der Bund mitzureden, und Sie sind auch gefragt. Sie lehnen heute außerdem die Errichtung eines Tourismus-Service-Centers ab, obwohl von Tourismusexperten und -expertinnen eine zentrale Anlauf- und Informationsstelle ebenfalls immer wieder gefordert wird. ({0}) - Herr Dr. Olderog, daß alle Anträge abgelehnt werden, bin ich ja mittlerweile gewohnt. Aber was mich wirklich ärgert, ist die Tatsache, daß bei der Beratung der beiden Anträge kein Gedanke, keine Anregung, kein Vorschlag zur konstruktiven Lösung der aufgezeigten Problemsituation unterbreitet worden ist. Vielmehr waren zum Teil hanebüchene Argumente zu hören. ({1}) Das entspricht eigentlich nicht den Gepflogenheiten des Ausschusses. ({2}) Ich kann mich aber immer damit trösten, daß alle meine abgelehnten Anträge über kurz oder lang in anderer Form umgesetzt werden. Immer lauter werden die Forderungen, die DZT und die DIRG mit der DTM zusammenzulegen und auch den DFV hinzuzunehmen. Ich bin sicher, wir bekommen ein Tourismus-Service-Center, allerdings in einer Light-Version, und zwar unter dem Namen „Deutsche Tourismus Marketing". ({3}) In bezug auf ein schlüssiges Tourismuskonzept gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß das BMU endlich einen nationalen Umweltplan vorlegt, der eine Tourismuskonzeption enthält. Österreich und die Niederlande haben es vorgemacht. Wenn das BMU die „Berliner Erklärung" über zukunftsfähigen Tourismus ernst nimmt und sich nicht blamieren will, muß es endlich handeln. Wir reichen heute einen weiteren Antrag zur Tourismusförderung ein. Dieser wird genau das Problem aufgreifen, das auch Herr Brähmig mit angesprochen hat. Die geschilderten Fehlentwicklungen sollen vermieden und es soll mit der Förderung dort angesetzt werden, wo es notwendig ist, nämlich bei der Kooperation, beim Umsetzen von Leitbildern. Es hilft nichts, wenn diesbezügliche Konzepte in den Schubladen vergilben. Das Notwendigste für diese zersplitterte Branche ist Hilfe zur Selbsthilfe. Dies schlagen wir mit unserem neuen Antrag vor. Ich hoffe sehr, daß wir bei der Beratung dieses Antrages mehr Kreativität und eine bessere Zusammenarbeit von Ihrer Seite feststellen können. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Kollegen Olderog?

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben innerhalb kurzer Zeit immer wieder neue Vorschläge gemacht und damit die alten Vorschläge aufgehoben. Was gilt denn nun? Sie haben einmal vorgeschlagen, ein wissenschaftlich orientiertes Tourismusinstitut zu schaffen, das sozusagen als Dachorganisation anstelle der Regierung dies alles leiten sollte. Dann haben Sie ein Service-Center vorgeschlagen, und eben haben Sie gesagt - so habe ich das jedenfalls verstanden -, daß Sie die Institutionen DZT, DTM und DFV fusionieren wollen, und dies soll dann sozusagen die Dachinstitution sein. Können Sie mir erklären, was Sie nun eigentlich wollen und worin die Unterschiede zwischen Ihren Vorschlägen bestehen, die Sie von Monat zu Monat verändern?

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Olderog, diese Frage war ein Schuß nach hinten. Sie beweist, daß Sie meine Anträge nicht lesen. Der Antrag lautete auf Einrichtung eines Tourismus-Service-Centers, das die Aufgaben der DZT und der DIRG umfaßt und in das der DFV sehr wohl eingegliedert werden könnte. Dies unterliegt aber der Diskussion. Dann hätten wir eine zentrale Anlaufstelle, die die notwendigen Aufgaben erledigen und darüber hinaus noch Informationen geben könnte, Anlaufstelle für die Presse wäre usw. Wir hätten ein tolles Instrument, das gerade dieser kleingliedrigen Branche und den mittelständischen und kleinen Betrieben und auch den Regionen vor Ort, den einzelnen Tourismusverwaltungen helfen würde. Diesen Antrag haben Sie abgelehnt. Ich meine - weil ich nun einmal die Hoffnung nicht aufgebe -, daß die Deutschland Tourismus Marketing GmbH als Bund-Länder-Organisation so, wie auch unser Tourismus-Service-Center geplant war, Zug um Zug ausgebaut werden könnte. Dann hätten wir doch noch eine Art Tourismus-Service-Center. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Entwicklung des Fremdenverkehrs ist zum Dauerthema geworden, was die Vorlagen aus dem Fremdenverkehrsausschuß zeigen. Obwohl der Wirtschaftszweig Tourismus nicht alle Probleme löst - vor dieser Illusion möchte ich warnen -, so ist er doch - entgegen anderslautenden Meldungen - zum Großteil zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung geworden. Das muß sinnvoll genutzt und weiterentwikkelt werden - und wird es auch. Vor zehn Tagen hat der Bundesminister für Wirtschaft anläßlich des Tourismusgipfels des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft eine umfassende Analyse vorgelegt. ({0}) Dieser Gipfel vom 15. September dieses Jahres reiht sich in die kontinuierliche Arbeit der Bundesregierung ein, die sich zur Aufgabe gestellt hat, die Fremdenverkehrskräfte zu bündeln. Ich glaube, das ist mit der Gründung des Bundesverbandes für Tourismuswirtschaft auch gelungen. ({1}) Für seinen ständigen Einsatz zur Stärkung des Tourismus möchte ich mich im Namen der F.D.P. bei Minister Rexrodt und vor allen Dingen bei Staatssekretär Kolb bedanken. ({2}) Für Ostdeutschland ist der Tourismus von besonderer Bedeutung. Deshalb will ich mich speziell damit befassen. Dort, wo Produktionskapazitäten abgebaut wurden, um sich dem notwendigen Strukturwandel anzupassen, hat man nach Alternativen gesucht und sie vielerorts auch im touristischen Bereich gefunden. Der Bund hat die Modernisierung der mittelständischen Hotel- und Gaststättenbetriebe sowie den Aufbau der Infrastruktur in vorbildlicher Weise gefördert. Das Ergebnis braucht den Vergleich mit Westdeutschland und mittlerweile auch den mit Europa nicht zu scheuen. ({3}) Die Zuwachsraten könnten aber noch größer werden; sie müssen sogar größer werden. Vielerorts fehlen noch touristische Attraktionen, die Besucher anlocken und veranlassen wiederzukommen. Das ist das Problem. Wenn der Bundeswirtschaftsminister feststellt, daß wir uns in Deutschland mit einem erweiterten Dienstleistungsangebot noch schwertun, dann hat er zweifellos recht. Der Feriengast muß „König Kunde" sein bzw. werden. Dazu fehlen noch Ideen. Daher an dieser Stelle eine Anregung beziehungsweise ein praktischer Vorschlag von mir: Wie wäre es, wenn an Stelle der unseriösen Kaffeefahrten, bei denen die Leute abgezockt werden, Werbefahrten per Bus und Bahn zu ehrlichen Preisen und mit guten Produkten angeboten würden? Das wären dann Reisen, bei denen Fremdenverkehr sinnvoll mit Produktwerbung - die wir ebenfalls nötig haben - verbunden wird, also Fahrten, bei denen Kultur, Attraktionen und Produkte gekostet, gekauft, bewertet und - hoffentlich - weiterempfohlen werden. ({4}) Warum nur Butterfahrten und nicht zukünftig auch Futterfahrten zum Schnuppern und Anfüttern? Die Verpflegung auf einer solchen Fahrt - zum Beispiel in den Spreewald - könnte die Neuheit „SpreewaldBurger" sein, die eine echte Alternative zum Hamburger ist: Sie besteht aus Roggenbrötchen, Grützwurst, Meerrettich und Gewürzgurken - richtig schön saftig! ({5}) Danach gibt es zur Abrundung einen Spreewald-Bitter. ({6}) Ich bin überzeugt, daß sich jede Region etwas Besonderes einfallen lassen muß. Es kommt also auf die Verknüpfung von landschaftlicher Schönheit mit kulturellen Highlights, von Attraktionen mit origineller Versorgung aus der Region an. Dabei sind der Phantasie natürlich keine Grenzen gesetzt. Die F.D.P. ist - wie ich gerade vorgemacht habe - bereit, an neuen Ideen mitzuwirken. ({7}) Wichtig ist es, den Feriengästen und Kunden die Wünsche von den Augen abzulesen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute unter anderem über einen Entschließungsantrag zur Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern in der Ausschußfassung. Ich meine, es lohnt sich durchaus, sich noch einmal den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dieser Frage anzusehen, weil er, wie ich glaube, die Art und Weise des Herangehens an die Situation in den neuen Bundesländern sehr gut verdeutlicht. Ich will das nun tun. Die Koalitionsfraktionen haben in ihrem Antrag ihre vornehmste Aufgabe darin gesehen, FehlentChristina Schenk wicklungen, für die sie selbst die Verantwortung tragen, schönzureden. Da wurde mächtig angegeben mit Wachstumsraten, ERP-Mitteln, GA-Investitionszuschüssen in Milliardenhöhe und der Schaffung von knapp 30 000 Dauerarbeitsplätzen. Ganz am Ende plaziert, hübsch versteckt, fand sich dann aber das Eingeständnis, daß die Lage so brillant offensichtlich doch nicht ist: Die Auslastung der Beherbergungsbetriebe, so war da zu lesen, lag 1995 gerade mal bei knapp 34 Prozent, und, wichtiger noch, sie ist gesunken. Es fehle, so der Entschließungsantrag von CDU/CSU und F.D.P., „noch immer an genügend Angeboten und Anreizen" für einen Urlaub in den neuen Ländern. Nach den Gesetzen der Logik hätte sich an diesem Punkt die Frage nach dem Grund für diesen so unbefriedigenden Zustand anschließen müssen, weil, so denke ich, nur so sinnvolle Konzepte entwickelt und Maßnahmen ergriffen werden können, um die Situation nachhaltig zu verbessern. Die Regierungskoalition - die Ausschußfassung ist da leider nicht besser - hat sich statt dessen bemüht, in unverbindlichem Ton die Bundesregierung zu einer Reihe von Maßnahmen aufzufordern: Die Bundesregierung solle „anstreben", „hinwirken", „sich einsetzen", sie solle „Sorge tragen", und natürlich solle sie auch „fortsetzen". Irgendeine konkret nachprüfbare Verpflichtung sucht man aber vergebens. Ich finde, es hat schon makabre Züge, wenn in einem der letztgenannten Punkte, der sich allerdings auch in der Ausschußfassung findet, die Regierung aufzufordern, „die Unterstützung von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen intensiv fortzusetzen", wo doch jeder weiß, daß die gleiche Regierung dafür die Verantwortung trägt, daß die Bundesanstalt für Arbeit gerade in diesem Bereich massiv kürzen muß. So sind die Probleme des Tourismus in den neuen Ländern nicht zu lösen. Wenn ich mir die Oberflächlichkeit des ursprünglichen Antrages betrachte, darf ich meine Zweifel haben, ob es so gewollt ist. Wer dem Tourismus in den neuen Ländern auf die Beine helfen will, muß seriöser an die Probleme herangehen. Das fängt schon bei der Diagnose an. Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit kann ich darauf allerdings nicht genauer eingehen. Der Antrag ist durch die Synthese mit dem der SPD zwar besser geworden, ist aber noch immer so unverbindlich, allgemein und in einigen Punkten realitätswidrig, daß er unsere Zustimmung nicht verdient. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Koslowski.

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann natürlich verstehen, daß meine Vorrednerin Zweifel daran hat, daß die Synthese das Optimale darstellt, was aus den beiden Entschließungsanträgen herauszuholen gewesen wäre. Ich sage dennoch: Ich freue mich darüber, daß sich Koalition und SPD mehrheitlich auf diesen Zielkatalog von 22 Punkten einigen konnten, der die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern verbessern wird. ({0}) Diese gemeinsame Beschlußempfehlung ist ein Verständigungserfolg, ist ein Kompromiß, in dem sich beide Entschließungsanträge wiederfinden. Die Arbeitsgruppe Tourismus der CDU/CSU-Fraktion hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit der Lage vor Ort vertraut gemacht und die Erkenntnisse in ihren Entschließungsantrag mit einfließen lassen. Unsere letzte Bereisung führte uns erst vor wenigen Wochen an die mecklenburgischen Seen, ins Oderbruch und in meinen heimatlichen Wahlkreis, die Uckermark. Wenn man die touristische Entwicklung dieser Regionen in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt, darf man sie durchaus als erfolgreich und zukunftsträchtig beurteilen. ({1}) Diese Entwicklung war natürlich nur möglich, weil es ein sehr umfangreiches und differenziertes Förderinstrumentarium gegeben hat, ein Instrumentarium, das zweifellos auch nach 1998 noch vorhanden sein oder in geeigneter Weise fortgeführt werden muß. Allein im Land Brandenburg, aus dem ich komme, haben wir 1996 über 2 Millionen Gäste begrüßen können. 7,3 Millionen Übernachtungen waren zu verzeichnen. Das ist, wie ich meine, ein hervorragendes Ergebnis. Der Fremdenverkehr hat sich somit auch in Brandenburg zu einer Wachstumsbranche entwickelt, in der 50 000 Menschen dauerhaft Beschäftigung gefunden haben. Nachdem es in den ersten Jahren naturgemäß erst einmal um die Schaffung von Hotel- und Beherbergungskapazitäten ging, stehen wir heute vor der Aufgabe, die 70 000 Betten wirklich wirtschaftlich zu nutzen. Auslastungen - das ist hier schon gesagt worden - von 34 Prozent sind wirtschaftlich völlig indiskutabel. Das darf uns zwar nicht den Blick dafür verstellen, daß hier und dort vielleicht noch Bedarf für ein einzelnes Hotel oder eine Pension ist, ich meine aber, wenn es überhaupt noch ein freies Segment gibt, dann ist es das Segment familienorientierte Ferienwohnung. Wir wissen, touristisches Angebot ist nicht das gleiche wie touristische Nachfrage, schon gar nicht touristische Nachfrage nach Urlaub in den neuen Bundesländern. Brandenburg wird deshalb auf Dauer auch nur wettbewerbsfähig bleiben können, wenn offensives Marketing, der Ausbau einer touristischen Infrastruktur und besonders ein hohes Niveau an Serviceleistungen im Vordergrund stehen. An dieser Stelle möchte ich auch an den Tourismusgipfel erinnern, der vor wenigen Tagen in Bonn stattfand. Dort wurde festgestellt, daß zu einer Dienstleistungsgesellschaft auch eine neue Kultur des Dienens gehört. Ich glaube, gerade diese Kultur des Dienens muß in der Tourismuswirtschaft schnellstens beherzigt werden. ({2}) Offensives Marketing bedeutet für Brandenburg speziell, daß mit Gründung der Tourismus-Marketinggesellschaft nationale und internationale Werbekampagnen erfolgreich organisiert werden können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Saibold?

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Koslowski, Sie sprachen ja gerade vom Inlandsmarketing, das hier viel mehr gemacht werden muß. Natürlich hilft das ganze Tourismusangebot von Hotels nichts, wenn die Gäste nicht kommen. Können Sie aber hier noch einmal bestätigen, daß Sie und Ihre Fraktion gestern bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß eine Erhöhung für die DTMKampagne „Entdecken Sie Neuland" auf 5 Millionen DM - das ist ein ganz kleiner Betrag - abgelehnt haben? ({0})

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verstehe Ihre Frage eigentlich nur so, daß die DTM natürlich einen Beitrag dazu leisten wird, mehr Gäste ins Land zu bringen. Ich sehe da gar keinen Widerspruch zu dem, was ich bisher gesagt habe.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Koslowski, ich glaube, Sie haben mich vielleicht nicht richtig verstanden. Sie wollten ja gerade, daß mehr Marketing gemacht wird, und Sie wissen,. daß die DTM-Kampagne läuft, aber mit ganz wenigen Mitteln - 800 000 DM, glaube ich - vom Bund ausgestattet ist. Das ist eigentlich viel zuwenig. Deswegen habe ich gestern beantragt, die Mittel von Bundesseite zu erhöhen, damit hier mehr Werbung gemacht werden kann, auch im Inland, was natürlich ebenfalls für die neuen Bundesländer wichtig ist. Sie und Ihre Fraktion haben es abgelehnt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie sich dann hier herstellen und sagen können, es müßte eigentlich etwas gemacht werden, aber andererseits gute Vorschläge ablehnen.

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sagte ja gerade, das kann nicht nur eine Frage des Geldes sein. Wenn ich davon rede, daß eine neue Kultur auch in der Tourismuswirtschaft einziehen muß, dann ist das nicht eine Frage des Geldes, sondern es ist eine Frage des Engagements. Das wird sicherlich sehr hilfreich sein können, damit sich auch mehr Gäste bei uns einfinden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Koslowski, auch die Kollegin Kastner möchte gern eine Frage stellen. Lassen Sie das zu?

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koslowski, können Sie mir bestätigen, daß der Antrag auf Erhöhung der Mittel der DTM-Kampagne, der gestern mit den Stimmen der CDU/CSU abgelehnt worden ist, ein Vorschlag des Leiters der brandenburgischen Staatskanzlei und stellvertretenden Fremdenverkehrsvereinsvorsitzenden Jürgen Linde war?

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde es Ihnen gern bestätigen, aber ich kann es Ihnen leider nicht bestätigen, weil ich nicht dabei war. Es tut mir leid. Wenn ich nun vielleicht fortfahren darf. Ein zweites: Der Ausbau der touristischen Infrastruktur. Sie ist absolut unverzichtbar, wenn wir die Verweildauer bzw. den Erlebnisradius unserer Gäste erweitern wollen. 3,5 Tage sind einfach zuwenig, sie dürfen nicht die obere Grenze sein. Es darf aber auch nicht dazu führen, daß sich in einem Radius von 30 Kilometern im Land Brandenburg Erlebnisbäder in der Planung befinden, die sich dann nach Fertigstellung gegenseitig die Gäste entziehen. ({0}) Wachsende Aufmerksamkeit für unsere Region hat der Nationalpark Unteres Odertal gefunden. Die 20 000 Urlauber, die wir momentan dort begrüßen können, werden bald auf markierten Wegen mit einer Länge von 350 Kilometern Erholung und Entspannung finden. Das ist eine gute Sache. Wenn wir heute von der Oder sprechen, dann werden uns noch einmal die Tage der Hochwasserkatastrophe lebendig. Wir haben hier aber auch einmal die Kehrseite von touristischem Interesse erlebt. Ich meine den Katastrophentourismus, der nicht nur jegliche Hilfe behindert, sondern der auch auf ganz makabre Weise aus der Notlage der Menschen seine Erlebnissucht stillt. Ich finde, so ein Verhalten verdient öffentliche Kritik. ({1}) Das Positive will ich auch noch sagen. Die große Spendenbereitschaft macht mich zuversichtlich, daß einige von den Spendern vielleicht schon 1998 in die Uckermark und an die Oder kommen werden, um sich von der Sinnhaftigkeit ihrer Spenden überzeugen zu können. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eberhard Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Koslowski hat die Situation, wie wir sie in der Fremdenverkehrswirtschaft in den neuen Bundesländern haben, meines Erachtens zutreffend geschildert. Sie ist janusköpfig. Wir haben auf der einen Seite die Erfolgsstory: die enormen Zuwachsraten bei den Übernachtungen und die Aufbruchstimmung in den ostdeutschen Ländern. Wenn wir aber auf der anderen Seite diese Situation an dem Potential und an den Notwendigkeiten, angesichts der wegbrechenden Arbeitsplätze in der gewerblichen Industrie neue Arbeitsplätze zu schaffen, messen, dann müssen wir feststellen, daß wir unser Klassenziel noch nicht erreicht haben. Hier liegt ein riesiges Potential. So haben es auch die Ostministerpräsidenten auf der ITB gesagt. ({0}) Diese Beurteilung hat uns zu diesem Entschließungsantrag geführt. Sie hat uns ferner dazu geführt, einem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der Koalition zuzustimmen. Mit diesem Antrag haben wir eine Kehrtwende in der Tourismusförderung Ost vollzogen. Wir haben nämlich angesichts der dramatisch sinkenden Bettenauslastung und damit der Gefährdung der Arbeitsplätze in der Fremdenverkehrsindustrie gesagt: Wir können nicht Beherbergungsstätten bei ihrer Konsolidierung gefährden, indem wir durch Fördermittel noch neue Beherbergungsstätten schaffen. ({1}) Das heißt, wir müssen der Konsolidierung bestehender Betriebe den Vorrang vor der Schaffung neuer Kapazitäten einräumen. Diese Generallinie sollten wir bis auf einige Ausnahmen in Regionen durchhalten, wo diese niedrige Bettenauslastung noch nicht erreicht ist. ({2}) Mit dieser Einschränkung wird die Bundesregierung durch den interfraktionellen Antrag aufgefordert, mit den Ländern einen Aufwuchs der bekannten Förderinstrumentarien mit dem Ziel zu prüfen, die schon beschriebenen 100000 Arbeitsplätze in der Tourismusbranche zu schaffen. Da stellt sich natürlich schon die Frage, warum wir solch einen Beschluß fällen, wenn gleichzeitig das GA-Instrument in dieser Form beschnitten wird. 17 Prozent der GA-Mittel im Osten fließen in die Tourismusbranche. Meine eindringliche Bitte an die Damen und Herren von der Koalition, nicht nur an die Ostabgeordneten ist: Sorgen Sie dafür, daß wir auch in den nächsten Jahren eine vernünftige Finanzierung des GA-Bereiches und keine Unterfinanzierung haben, so daß wir weiterhin Tourismusinfrastruktur in den neuen Bundesländern aufbauen können! ({3}) Es gibt noch einen zweiten Punkt, auf den ich in diesem Zusammenhang hinweisen möchte. Die Barmittel, die im laufenden Haushaltsjahr im GA-Bereich durch Projektstornierung frei werden, können neuerdings nicht mehr für andere Projekte in Anspruch genommen werden. Die Praxis, die wir vorher hatten, sollten wir wieder aufnehmen. Wir sollten auf diese Praxis zurückkommen, die bisher erfolgreich war. Aus meiner Sicht haben die neuen Bundesländer keinen Anlaß dafür gegeben, daß man kritisch auf sie schaut, weil sie den Rechtsrahmen der GA- Vergabe durchbrochen hätten. Schließlich möchte ich eine Forderung des gemeinsamen Entschließungsantrags ganz besonders hervorheben. Das Finanzministerium wird nämlich hiermit aufgefordert, die Privatisierung der ehemaligen FDGB-Heime dadurch zu beschleunigen, daß der TLG, der BvS, der Oberfinanzdirektion oder wem auch immer ein noch größerer Handlungsspielraum bei der Preisgestaltung eingeräumt wird. ({4}) Dabei ist mir bewußt, daß nur in wenigen Fällen eine touristische Nachnutzung möglich ist. Es geht aber vielmehr darum, daß Touristen nicht dadurch abgeschreckt werden, daß in den zentralen Orten einer Kur- oder Erholungsregion Schandflecken stehen, die immer weiter verfallen, weil sie sich schlecht privatisieren lassen. Hier ist einfach eine flexible Handhabung gefordert. Ich fordere hiermit den Bundesfinanzminister auf, an dieser Stelle etwas mehr Großzügigkeit walten zu lassen. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße zunächst einmal, daß es bei dem Anliegen der Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern hier zu einem fraktionsübergreifenden gemeinsamen Handlungswillen der Parteien gekommen ist. Ich denke, daß die gemeinsame Beschlußempfehlung der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion den Handlungsrahmen deutlich macht, der für die Festigung der jungen Tourismuswirtschaft in Ostdeutschland notwendig ist. ({0}) Eines ist klar: Auch in der Zukunftsbranche Tourismus entsteht Wachstum nicht im Selbstlauf. Indem ich dies sage, will ich doch sehr deutlich den Anmerkungen der Kollegin Follak widersprechen, die gesagt hat, der Bundesminister für Wirtschaft habe die Bedeutung des Tourismus nicht hinreichend erkannt. Das Gegenteil, Kollegin Follak, ist der Fall. Der Bundesminister für Wirtschaft führt regelmäßige Branchengespräche mit der Tourismuswirtschaft. Er hat den Tourismusgipfel auf dem Petersberg initiiert. Ich denke, die so wichtige Gründung der gemeinsamen Deutschland-Tourismus-Marketing GmbH ist nicht zuletzt auf Initiativen unseres Hauses zurückzuführen. ({1}) Ich will auch noch darauf hinweisen, weil das, was bisher erreicht worden ist, weniger von Ihnen, Kollegin Follak, sondern mehr vielleicht noch von der Kollegin Schenk, so abgetan worden ist. Man soll solche Debatten wie heute auch immer nutzen, auf das Positive und auf das Erreichte hinzuweisen. ({2}) - Darauf komme ich noch zurück. Ich hoffe, daß die Redezeit reicht. Jeder, der will, kann sehen, was seit 1990 durch die hohen Investitionen in den neuen Bundesländern geschehen ist. Das gilt in den Innenstädten, wo kulturhistorische wertvolle Substanz ein Pfund ist, mit dem man wuchern kann, und wo Hotels und Pensionen solche Bauperlen oft nicht nur entdeckt, sondern modernisiert und damit gerettet haben. Das gilt auch hinsichtlich der Investitionszuschüsse. 5400 touristische Betriebe sind aus der Regionalförderung unterstützt worden. Damit wurden für insgesamt 11,3 Milliarden DM Investitionen getätigt. Die Eigenkapitalhilfe wurde von überwiegend ostdeutschen Existenzgründern in einer Größenordnung von 2,3 Milliarden DM in Anspruch genommen. Das ist ein weiterer Beweis dafür, daß wir mit den Mitteln in der Vergangenheit einiges Positive bewirken konnten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Ja, bitte.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben über den Aufschwung in den neuen Ländern gesprochen. Wäre es Ihnen vielleicht möglich, in Ihren vier Minuten auch noch einmal zu den anderen Anträgen, zum Beispiel zu dem von Bündnis 90/Die Grünen betreffend ein Regierungsprogramm für einen zukunftsfähigen Tourismus, der auch die alten Bundesländer betrifft, Stellung zu nehmen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Kollegin Altmann, ich würde das gerne tun, aber von meinen vier Minuten ist noch eine Minute übrig. Ich würde vorschlagen, Sie beantragen eine separate Debatte zu diesem Punkt. Dann würde ich es gerne tun. ({0}) Ich will wie die Kollegen Brähmig und Brecht noch einmal auf die doch beachtlichen Gäste- und Übernachtungszuwächse hinweisen: 67 Prozent Übernachtungszuwachs im gewerblichen Bereich seit 1992. Das ist meines Erachtens ein sehr beachtliches Ergebnis. Auch in den ersten sechs Monaten hat es noch einmal einen deutlichen Zuwachs gegeben. Wichtig ist, daß auch die Zahl ausländischer Gäste in den neuen Bundesländern deutlich angestiegen ist. Auch das ist sicherlich ein Ergebnis der Bemühungen der Deutschen Zentrale für Tourismus mit ihrem stärker themenorientierten Marketing. Hier war das Thema Lutherjahr ein Erfolg. Ich denke, das wird auch in die nächsten Jahre hinein nachwirken. Wenn ich diese Dinge hier nenne und auch auf die Erfolge hinweise, weiß ich natürlich auch, daß in den neuen Ländern nicht alles eitel Sonnenschein ist. Die Nachfrage wächst zur Zeit langsamer als das Angebot. Mit sinkender Auslastung und schärferem Wettbewerb haben viele Unternehmen Probleme. Aber eines zeigt sich immer wieder deutlich: Gutes Management und gutes Marketing führen auch heute noch immer zum Erfolg. Pfiffige Unternehmenskonzepte setzen sich durch. Deswegen sind hier die Verbände gefragt, Know-how zu liefern und integrierend zu wirken. Information, Schulung und Beratung, zum Beispiel über das Deutsche Seminar für Fremdenverkehr, spielen eine wichtige Rolle. Aber, wir müssen auch die Rahmenbedingungen insgesamt verbessern. Damit meine ich zum einen die Fortsetzung des Aufbau Ost insgesamt und zum anderen den weiteren Ausbau der Infrastruktur ganz besonders im Verkehrsbereich. Hier sind in den nächsten Jahren, solange die Baumaßnahmen andauern, noch erhebliche Durststrecken zu überwinden. Im Bereich der Bahn sind viele Fahrzeiten immerhin schon deutlich kürzer geworden. Wir müssen natürlich auch ein Projekt wie den Ausbau der A 20 deutlich in einem touristischen Kontext sehen. Auch das sollte in dieser Debatte einmal festgestellt werden. ({1}) - Meine Redezeit - das betrifft Ihre Zwischenfrage, aber auch meine Rede - ist leider zu Ende, Frau Kollegin Altmann. Ich will nur noch eines sagen: Wir werden auch nicht die Förderung des Einzelbetriebes einstellen, sondern diese in jedem Fall überprüfen. Es wird eine Projektprüfung vorgenommen werden. Substantielle Projekte werden auch in Zukunft im Bereich des Tourismus eine Förderung genießen können. Ich hätte gerne noch mehr gesagt. Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich danke dennoch für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Altmann das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die letzte Minute Ihrer Redezeit war so lang und dann doch so schnell zu Ende. Darum würde ich Ihnen folgendes gerne noch mitgeben: Wenn Sie die A 20 ansprechen, dann finde ich es sehr bedauerlich, daß die Finanzierung des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit" Nr. 1, nämlich ausgerechnet die Finanzierung der Schienenstrecke zwischen Lübeck und Stralsund, die den großen touristischen Nutzen haben und die Insel Rügen vom Autoverkehr entlasten könnte, jetzt weit über das Jahr 2000 hinaus gestreckt wird. Ursprünglich war versprochen, daß dieses Projekt bis zum Jahre 2000 vollendet sein sollte. Wenn wir von einem nachhaltigen zukunftsfähigen Tourismus sprechen, dann muß es die Möglichkeit geben, die Landschaft und die Region einigermaßen unversehrt zu lassen. Dazu gehört ein vernünftiges Schienennetz, für das aber auch eine vernünftige Finanzierung vorhanden sein muß. Man kann nicht nur auf den Bau von Autobahnen schielen, durch den der Tagestourismus, der der Region im Vergleich zum Verweiltourismus sehr viel weniger Wirtschaftskraft einbringt, gefördert werden soll. Man kann nicht nur auf diese Projekte fixiert sein. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ebenfalls eine Kurzintervention des Kollegen Olderog. Dann kommt noch eine Kurzintervention des Kollegen Brecht. Danach gebe ich Ihnen, Herr Staatssekretär, die Gelegenheit, darauf zusammen zu antworten. Bitte.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, es gibt für das Gastgewerbe gegenwärtig ein großes Problem. Das ist die extrem niedrige Auslastung in den Hotels. Das Problem ist im Osten noch schlimmer als im Westen. Es scheint mir richtig zu sein - das hat Kollege Brecht vorhin schon gesagt -, daß wir diesen massiven Verdrängungswettbewerb der großen Hotelgesellschaften zu Lasten der kleineren und mittleren Betriebe stoppen ({0}) und daß wir keine weiteren Fördermittel für die großen Betriebe, für die Hotelgesellschaften und Kettenbetriebe, zur Verfügung stellen. Meine Bitte ist, daß Sie dazu Stellung nehmen und uns sagen, wie Sie sich die Lösung dieses Problems vorstellen. Ich glaube, das nur kurz anzutippen und alles andere im dunkeln zu lassen reicht nicht aus. Wir alle sind aufgefordert zu handeln.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Statssekretär, wenn Sie mich kennen würden, dann wüßten Sie, daß ich kein Mensch bin, der zur Larmoyanz neigt. Die Euphorie aber, die Sie dargestellt haben, ist kaum noch zu übertreffen. Ich möchte das an verschiedenen Punkten klarmachen. Erstens an dem Bereich, den Herr Olderog genannt hat: an den Auslastungszahlen. Die Auslastungszahlen erreichen flächendeckend einen Bereich, wo es aus betriebswirtschaftlicher Sicht gar keine Möglichkeit mehr gibt, dem Konkurs zu entgehen. Wir müssen wahrnehmen, daß es sich hier - insbesondere in Thüringen - um eine dramatische Situation handelt. Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, ist: Ihnen ist sicherlich bekannt, daß die Konkursrate, die in Deutschland insgesamt sehr hoch ist, in den neuen Bundesländern ganz besonders hoch ist. Die Zahlen vom Juni dieses Jahres sagen aus: Im Vergleich von 1996 zu 1997 gibt es einen Zuwachs von 40 Prozent bei den Konkursen. Das betrifft natürlich nicht nur touristische Unternehmen. Aber auch diese sind davon betroffen. Angesichts dieser Situation wirbt Ihr Minister dafür, mehr Gesundheitsurlaub zu machen, und macht damit den herkömmlichen gastgewerblichen Stätten Konkurrenz. Ich bitte Sie einfach, die Dramatik, die sich jetzt abzeichnet, wahrzunehmen. Das hat nichts mit Larmoyanz zu tun, sondern mit einem kritischen Blick, der auch die Erfolge, die wir ohne weiteres anerkennen, berücksichtigt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es wurde noch eine Kurzintervention von der Kollegin Saibold nachgemeldet. Ich lasse auch sie noch zu, weitere aber nicht mehr. Dann können Sie, Herr Staatssekretär, zusammen darauf antworten. Bitte.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben uns gerade empfohlen, eine eigene Debatte im Bundestag zu beantragen, damit man einmal über die politischen Fragen reden könnte. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir versuchen das immer wieder, es gelingt uns aber nicht. Vielleicht können Sie uns einmal sagen, warum das nicht geht. Ich habe den Eindruck, daß man hier über politische Fragen gar nicht reden will. ({0}) Sie sind fast gar nicht mehr im Ausschuß anwesend; das ist ein zusätzliches Problem. Wenn es wirklich um die Ausrichtung für die Zukunft geht, ist immer Sendepause. Herr Rexrodt hat auf dem Tourismusgipfel lautstark verkündet, der Tourismus werde seiner Meinung nach die dritte Wachstumsbranche nach der Informations- und Kommunikationstechnologie und nach der Biotechnologie, also der dritte Bereich, in dem Arbeitsplätze geschaffen werden können. Wenn es aber darum geht, sich über die politische Ausrichtung, über Konzepte und Maßnahmen zu unterhalten, dann ist immer Sendepause. Dann will man darüber nicht reden. Ich sage Ihnen noch eines: Ihr Redebeitrag heute war wieder einmal ein Beispiel dafür, daß es Sie überhaupt nicht interessiert. Sie beziehen sich einfach auf einen Antrag, an Hand dessen Sie darstellen können, was alles geschehen ist. Bei allem anderen, bei Fragen, die in die Zukunft gerichtet sind, wo wirklich Politik gefragt wäre, ist jedoch Sendepause. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie wir das ändern können und wann Bereitschaft besteht, sich hiermit wirklich auseinanderzusetzen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Jetzt weiß ich nicht, Frau Präsidentin, ob ich vier mal drei Minuten, sprich: 12 Minuten, Zeit für die Beantwortung habe. Ich fürchte, nicht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es wäre gut, wenn Sie das reduzierten; aber ich bemesse Ihre drei Minuten großzügig.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Ich will versuchen, die Fragen relativ kurz zu beantworten. Zunächst zur Frage der Kollegin Altmann zum Ausbau der Bahnstrecke Lübeck-Stralsund. Ich kann dazu nur sagen, daß nach meiner Kenntnis alle Strekken, für die die Bahn eine Finanzierung beantragt hat, tatsächlich gebaut werden. ({0}) In diesem konkreten Fall scheint ein Problem zu sein, daß die Bahn hier noch nicht so weit ist. ({1}) - Ich habe mich gerade noch mit dem verkehrspolitischen Sprecher meiner Fraktion kurzgeschlossen, der mir dies signalisiert hat. Deswegen gehe ich bis zum Beweis des Gegenteils davon aus. Ich wäre aber wirklich froh und dankbar, Frau Kollegin Altmann, wenn wir feststellen könnten, daß beide Infrastrukturmaßnahmen - Ausbau von Straße und Autobahn wie auch Schienenverkehr - zur Erschließung von touristischen Gebieten richtig sind. Es wird nicht möglich sein, Mecklenburg-Vorpommern allein über die Schiene touristisch zu erschließen. Das sollte man hier einmal ganz deutlich sagen. ({2}) Zu den Anmerkungen der Kollegen Dr. Olderog und Dr. Brecht will ich nur sagen: Natürlich sehen auch wir die niedrigen Auslastungsraten. Vielleicht ist in meinem Vortrag - da kann ich auch schon Ihre Anregung aufnehmen, Frau Kollegin Saibold - das Positive zu breit ausgeführt worden und das Negative zu knapp. ({3}) Ich bitte allerdings um Verständnis: In vier Minuten kann man nicht allzuviel sagen. Ich hatte mir vorgenommen, auch noch einiges zu den Problemen zu sagen. Es kann aber nicht so sein, daß vom Staat für jedes private Engagement im Tourismusbereich eine Auslastungsgarantie gegeben wird. ({4}) Deswegen stehe ich zu dem, was ich gesagt habe, nämlich daß es darauf ankommt, über die Schulung der Tourismusunternehmer und über die Beratung gerade auch im Bereich Marketing die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die vorhandenen Angebote besser als bisher vermarktet werden können. Kollegin Saibold, auf die Tagesordnung dieses Plenums habe ich und hat auch die Bundesregierung insgesamt keinen Einfluß. Wenn Sie bemängeln, daß ich nicht so oft im Ausschuß bin, wie Sie es gern hätten und wie auch ich es gern hätte, muß ich darauf hinweisen, daß wir seit kurzem nur noch einen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft haben, gleichwohl die Zahl der abzudeckenden Ausschüsse und Verpflichtungen sehr groß ist. Also: Ich würde gerne eine Diskussion führen. Was Ihre in die Zukunft gerichtete Politik anbelangt, will ich doch sehr deutlich sagen, daß es hier einige Initiativen gibt. Ich glaube, daß wir uns sehr wohl auf einem positiven Entwicklungsstrang befinden. Ich will einmal nennen: die DIRG, also die Deutschland Informations- und Reservierungs Gesellschaft, die Schaffung einer einheitlichen touristischen Norm, ({5}) die Schaffung einer Deutschland Tourismus Marketing GmbH, die die Anstrengungen der Inlands- und der Auslandswerbung koordiniert. Ich glaube, dies alles ist doch ein Zeichen dafür, daß wir uns bewegen. Auch die jüngsten statistischen Zahlen zeigen, daß wir in wichtigen Feldern Erfolg haben. Es kann also wirklich nicht die Rede davon sein, daß wir untätig wären. ({6}) Vielmehr sind wir in geeigneter Weise und in Zusammenarbeit mit den Ländern, die ja im Bereich des Tourismus letztendlich eine Federführung haben, gemeinsam tätig. Der Kollege Brecht hat auf den Beschluß der Ministerpräsidenten auf der Internationalen Tourismusbörse hingewiesen. Ich glaube, das ist die Richtung, in die wir gemeinsam gehen müssen. Bund, Länder und Verbände haben hier eine gemeinsame Verantwortung. Ich bin auch nach der Entwicklung der letzten Monate sicher, daß wir sie zunehmend besser wahrnehmen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir kommen zu der Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Fraktion der SPD zu der Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern; das ist die Drucksache 13/8520. Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge auf Drucksache 13/6718 und 13/6739 zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden. Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Regierungsprogramm für einen zukunftsfähigen Tourismus; das ist die Drucksache 13/8388. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5213 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer institutionellen Stärkung einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung; das ist Drucksache 13/8388. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5785 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8107 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Faire und effiziente Preise im Verkehr - Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union - Grünbuch - Drucksachen 13/4466 Nr. 2.51, 13/5405 - Berichterstattung: Abgeordnete Claus-Peter Grotz Karin Rehbock-Zureich b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge - Drucksachen 13/6766 Nr. 2.15, 13/7733 - Berichterstattung: Abgeordneter Wilhelm Josef Sebastian c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Einführung einer Schwerverkehrsabgabe - Drucksachen 13/2360, 13/7735 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich Es liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch dazu höre ich nicht; dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wilhelm Josef Sebastian.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir beschäftigen uns in dieser Debatte mit Fragen der Belegung des Schwerlastverkehrs mit Gebühren und Steuern. Wenn wir darüber reden, sprechen wir insbesondere auch über einen europäischen Kontext, in dem wir uns bewegen. Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen den Hinweis, daß alle Regelungen, seien sie Fragen der Tagespolitik oder der langfristigen Ausgestaltung der Verkehrspolitik, für uns nur dann Sinn machen, wenn alle EU-Partner gemeinsam handeln. ({0}) In kaum einem anderen Bereich ist die Sensibilität in bezug auf europäische Rahmenbedingungen so gegeben wie beim Güterfernverkehr. Der hohe Stellenwert des Güterfernverkehrs auf der Straße für einen funktionierenden Binnenmarkt, ein zusammenwachsendes und wirtschaftlich gedeihendes Europa ist uns allen bewußt. Ich will ihn daher an dieser Stelle besonders betonen. Die verschiedensten Konsequenzen, die durch Entscheidungen in diesen Fragen zu bedenken sind, müssen wohlüberlegt sein. Im Rahmen einer Güterabwägung sind Fragen der Umweltbelastung ebenso zu bedenken wie solche der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Spediteure, des Standortes Deutschland, der Sicherung von Arbeitsplätzen oder Fragen der Art und des Umfangs von Markteingriffen. Wenn wir über Abgaben und Internalisierung externer Kosten reden, so müssen wir bedenken, daß wir in gleichem Maße über die Belastung einer bestimmten Branche reden. Was wir schließlich tun, sollten wir an den ökonomischen Auswirkungen messen, die wir erreichen können. Ich möchte die Güterabwägung nicht einseitig zugunsten ökonomischer Sachverhalte treffen; es geht mir darum, allgemein die Problematik der Güterabwägung in diesen Fragen einmal darzustellen. Zu Recht ist der Vorschlag der PDS, eine Schwerverkehrsabgabe in Deutschland einzuführen, in den Ausschüssen abgelehnt worden. Die Einführung einer solchen Abgabe wäre eine Verengung der Problematik auf eine rein nationale Lösung. Sie würde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Spediteure nachhaltig verschlechtern, weil wir eben nicht davon ausgehen können, daß sich alle EU-Partner einem solchen Schritt anschließen werden. Die mittlerweile eingeführte zeitabhängige Vignettenlösung hat den Vorteil, daß sie die deutschen „Brummis" zumindest unter Gerechtigkeitsaspekten den europäischen gleichstellt. Alle zukünftigen Gebührenregelungen müssen sich daran messen lassen, inwieweit sie gesamteuropäischen Harmonisierungsbestrebungen gerecht werden. Der vorgelegte Richtlinienvorschlag der Kommission für die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge wird diesem Anspruch leider nicht gerecht. Daher hat die Koalition diesen Ansatz im Verkehrsausschuß abgelehnt. Allein die sprachliche Formulierung, „zeitbezogene Straßenbenutzungsgebühren sollen zukünftig unter Berücksichtigung der sogenannten Straßenschadensklasse eines LKWs und dessen Emissionsverhalten in einer Bandbreite zwischen 750 und 2000 ECU erhoben werden dürfen", macht bereits klar, was wir zu kritisieren haben: Es ist zu kompliziert und mit zu hohem Verwaltungsaufwand verbunden. Wenn wir dann noch von Mautzuschlägen bei empfindlichen Strecken, von Höchst- und Mindestsätzen bei der Kfz-Steuer und zum guten Schluß von Unterschreitungen dieser Mindestsätze hören, so ist der Eurokratismus hier wohl auf die Spitze getrieben worden. Was die Finanzwissenschaftler in Brüssel sicher akribisch ausgetüftelt haben, um die gewünschten Lenkungseffekte zu erreichen, kann von uns politisch nicht gewollt sein. In Zeiten, in denen Verwaltungsvereinfachungen und Deregulierung anerkannte Handlungsmaximen sind, können wir einen solchen Aufwand weder Behörden noch dem Verkehrsgewerbe aufbürden. Inhaltlich kritisieren wir vor allem den niederländischen Vorschlag der Unterschreitung der Mindestsätze bei der Kfz-Steuer. Diese würde das Ziel der Harmonisierung der Steuersätze gefährden, ja sogar konterkarieren. Wenn wir hier nicht der SPD mit ihren sehr detailreichen Vorstellungen folgen, so liegt dies vor allem daran, daß wir die Gefahr sehen, wieder in einer nationalstaatlichen Sackgasse zu landen. In inhaltlichen Einzelfragen, etwa was die Ablehnung der Senkung der Kfz-Steuer sowie die Forderung nach Harmonisierung der Steuersätze betrifft, sind wir gar nicht soweit voneinander entfernt. Weil wir die Notwendigkeit gesamteuropäischen Handelns erkannt haben, setzen wir uns in. dieser Sachfrage realistische Ziele. Wir halten eine substantielle Erhöhung der Höchstgrenze der bisherigen zeitabhängigen Gebühren für einen gangbaren Weg. Zumindest auf der Aufkommensseite kann ein besserer Ausgleich für die durch den Schwerverkehr entstehenden negativen Auswirkungen erreicht werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in diesem Sinne auf europäischer Ebene einzusetzen, um eine Lösung zu erreichen, die sachgerecht, einfach und effektiv ist. Wenn ich eben von negativen Auswirkungen des Schwerlastverkehrs sprach, so wird der eine oder andere gleichsam das Stichwort „externe Effekte" im Ohr gehabt haben. Das vorliegende Grünbuch der Kommission „Faire und effiziente Preise im Verkehr" zur Internalisierung der externen Kosten führt uns weg von der aktuellen Tagespolitik und versucht, Perspektiven für eine zukünftige Verkehrspolitik aufzuzeigen. Man muß dabei sicher feststellen: Es handelt sich eigentlich um eine Verteilungsfrage; denn bestehende Kosten sollten nicht mehr der Allgemeinheit, sondern dem Verursacher aufgebürdet werden. ({1}) Der gewünschte Effekt, daß der Verursacher angesichts seines nunmehr stärker belasteten Geldbeutels sein Verhalten anpaßt, ist aber nur dann sinnvoll, wenn der Aufwand für dieses Verfahren nicht höher ist als die eingesparten Kosten. Mit anderen Worten: Eine verursachergerechte Auferlegung der Kosten endet da, wo ein zu hoher technischer und verwaltungsmäßiger Aufwand betrieben werden muß. ({2}) Dem Grünbuch gebührt sicher das Verdienst, die Problematik der externen Effekte des Straßenverkehrs ins Bewußtsein gerückt zu haben. Es ist eine Diskussionsgrundlage für die Frage, inwieweit externe Kostenbelastungen durch den Verkehr verursacht werden und welche Internalisierungsmöglichkeiten bestehen. ({3}) Wir begrüßen grundsätzlich den Ansatz der Kommission, politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union zu entwickeln. ({4}) Diese Lösung bedeutender Verkehrsprobleme in der Union muß mit marktwirtschaftlichen statt mit wettbewerbswidrigen Instrumenten erfolgen, wenn sie die volkswirtschaftliche Entwicklung begünstigen soll. Der Einsatz eines preispolitischen Instrumentariums im Sinne einer marktkonformen Ausrichtung der Verkehrsmarktordnung ist somit positiv zu werten. ({5}) Das Bemühen wird aber leider durch erhebliche theoretische, methodische und empirische Schwächen der Untersuchung getrübt. Das Grünbuch lastet die ungedeckten externen Kosten des Verkehrs zu 90 Prozent dem Straßenverkehr an. Dies ist sachlich unbegründet; denn alle Verkehrsträger verursachen externe Effekte, also Nutzen und Kosten. ({6}) Auf Grund der lapidaren Feststellung in der Einleitung zum Grünbuch, daß der Straßenverkehr der Hauptverursacher der externen Kosten ist, wurde erst gar keine Analyse der übrigen Verkehrsträger durchgeführt. Dies ist vom Grundsatz her eine sachlich völlig haltlose Vorverurteilung des Straßenverkehrs. ({7}) Es ist bekannt, daß der Schienenverkehr, der Luftverkehr, die Binnenschiffahrt und letztlich auch die Seeschiffahrt Lärm- und Abgasemissionen verursachen, daß sehr wohl Unfälle passieren und Staueffekte speziell im Bereich Schiene und Luftverkehr auftreten. Die Annahme, daß alle diese Auswirkungen zusammen nur 10 Prozent der externen Kosten des Verkehrs ausmachen sollen, ist völlig unglaubwürdig und sollte gerade deshalb im Rahmen eines seriösen Gesamtvergleichs aller Verkehrsträger überprüft werden. ({8}) Das Grünbuch verneint prinzipiell die externen Nutzen des Straßenverkehrs. Diese Annahme ist sachlich falsch. Der externe Nutzen des Verkehrs ist nachweislich vorhanden: Nur durch die Existenz eines Verkehrssystems ist überhaupt wirtschaftliche Aktivität möglich; nur über eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist die Mobilität der Bevölkerung gesichert; ({9}) nur über ein umfassendes Verkehrsinfrastrukturnetz ist das Erschließen von entlegenen Räumen für wirtschaftliche Aktivitäten, Wirtschaftsstandorte und Arbeitsplätze möglich. ({10}) Laut Aussage des vor wenigen Jahren in Brüssel vorgestellten Cecchini-Berichts sind Wohlstandsgewinne von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes durch den gemeinsamen Binnenmarkt durch externe Nutzen begründet. Dabei wird dem Verkehr mindestens die Hälfte zugerechnet. Der bereits vorher schon vorhandene externe Nutzen des Verkehrs ist dabei noch nicht enthalten. Deshalb hat die Kommission die Existenz eines externen Nutzens des Verkehrs bereits vor Jahren bejaht. Insofern muß ich die Haltung der Fraktion der Grünen hier zurückweisen, die die Existenz dieses externen Nutzens leugnet. Dieses Leugnen ist aber durchaus nachvollziehbar; denn den externen Nutzen anzuerkennen hieße ja, ihre auf falschen Annahmen beruhende Steuerkonzeption aufzugeben. ({11}) Insgesamt muß man den Eindruck gewinnen, daß das Ergebnis der Untersuchung schon im vorhinein feststand und die angewandte Methode nur entsprechend angepaßt wurde. ({12}) Dies ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch schädlich für diese sicherlich wichtige Diskussion. Unser Konzept in dieser Frage ist ein anderes: ({13}) Nicht die Verteilung vorhandener externer Kosten und ein Hoffen auf Reduzierung sollen im Vordergrund stehen, sondern die aktive Verminderung der Effekte. ({14}) Nur dies kann langfristig Sinn machen. Daher fordern wir eine effiziente Telematiksteuerung der Verkehrsströme, eine effiziente Fahrzeugtechnik, unter anderem hinsichtlich eines sparsamen Treibstoffverbrauchs und emissionsarmer Treibstoffarten, und die Förderung eines volkswirtschaftlich rentablen Ausbaus aller Verkehrssysteme. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit den Verkehrsprognosen für die nächsten Jahrzehnte beginnen. Der Straßengüterverkehr wird sich verdoppeln. Die deutsche Einheit, die Öffnung Osteuropas haben die Rahmenbedingungen der Verkehrspolitik dramatisch verändert. Während umweltfreundliche Verkehrsträger wie die Schiene und die Binnenschiffahrt Transportanteile verlieren, steigt der Straßengüterverkehr immens. Der Anteil des Straßengüterverkehrs am Transportaufkommen beträgt 60 Prozent, ansteigende Tendenz. Wir haben in der Vergangenheit mitbekommen, was Just-in-time-Produktion heißt: Lagerhaltung auf der Straße, kleine Sendungsgrößen, verstärkte Dezentralisierung von Produktionsabläufen. Das Wuppertaler Institut hat das mit seiner bekannten Studie über Joghurtherstellung - 8000 Kilometer auf der Straße für die Herstellung eines Joghurts - überall bekanntgemacht. Dennoch stehen Sie heute hier und sehen keine Notwendigkeit, zu einer Wende im Bereich Verkehr beizutragen, obwohl sichtbar ist, daß sich das System Straße selbst zum Stehen bringen wird. ({0}) Die EU-Kommission hat erkannt, daß hier ein dringender Handlungsbedarf besteht und daß es notwendig sein wird, auf Dauer eine tragbare Mobilität für eine lebenswerte Umwelt und für die Nachwelt, für unsere Kinder, zu gewährleisten. Dies erfordert neue, intelligente Konzepte. Es reicht nicht aus, daß wir auf der organisatorischen, auf der technischen Seite, wie Sie es genannt haben, Herr Kollege, die von Ihnen so genannte Wende herbeiführen. Endlich ist begonnen worden, auf die ungedeckten Kosten dieses Verkehres hinzuweisen. Die Kommission beziffert sie auf 250 Milliarden ECU pro Jahr. Sie begrüßen das grundsätzlich. Dann jedoch kommt von Ihrer Seite das große Aber: Sie haben hier sämtliche Argumente vorgetragen, die die Transportindustrie nach der Veröffentlichung des Grünbuchs von seiten der Kommission vorgebracht hat. ({1}) Kein Wunder, wenn der Straßenverkehr weiterhin konkurrenzlos billig ist und keine Verlagerung auf die Schiene möglich ist. ({2}) Die Entwicklung im Straßengüterverkehr muß verändert werden. Sie sprachen hier vorhin von einer Güterabwägung zwischen Ökonomie und Ökologie. Ich frage mich: Wo haben Sie Ihre Gewichte auch in Richtung Ökologie gelegt, wenn Sie verneinen, daß es überhaupt keine Kostenwahrheit unter den einzelnen Verkehrsträgern gibt? Sie stellen den Markt in den Mittelpunkt Ihrer Argumentation. Erst einmal muß man aber gleiche Marktchancen für Straße, Binnenschiffahrt und Eisenbahn herstellen. Sie haben es bisher versäumt, zum Motor einer Diskussion zu werden, die genau dies in den Mittelpunkt der Überlegungen für zukünftige Mobilität in Europa und im Transitland Deutschland stellt. Ich will einmal eine Aussage der Bundesregierung zitieren, die zeigt, daß sie nicht in der Lage ist, ihre Vorstellungen in Handlungskonzepte umzusetzen. Im sechsten Immissionsschutzbericht wird herausgestellt, daß eine Überprüfung der Wettbewerbsbedingungen der verschiedenen Verkehrsträger mit dem Ziel einer gerechten Anlastung der verkehrsbedingten Umweltkosten dringend notwendig ist, um zu einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene zu kommen. Dies ist Originalton der Bundesregierung im Immissionsschutzbericht. ({3}) Aber wo bleiben die Taten? Wo erweisen Sie sich als Motor in der Diskussion der gerechten Kostenanlastung in Europa? Sie halten eine Wende für nicht erforderlich und beschränken sich auf organisatorische Veränderungen. Wie stellen Sie sich eigentlich vor, daß es endlich zu einer Anlastung verkehrsbedingter Umweltkosten bezogen auf den Verursacher kommt? Wie stellen Sie es sich vor, daß die Kosten, die der Verkehr verursacht, endlich dem angelastet werden, der zu ihrer Entstehung beiträgt? Sie haben verschiedene Stellungnahmen genannt. Schauen Sie sich doch bitte auch die Stellungnahme des Umweltbundesamtes zu diesen externen Kosten an. Dann werden Sie sehen: Sie ist sicherlich frei vom Einfluß der Transportwirtschaft. Sie werden sehen, daß das Umweltbundesamt zu gleichen, ähnlichen Ergebnissen kommt wie die Kommission. ({4}) - Zu gleichen Ergebnissen, in denen die Kosten mit 160 Milliarden beziffert werden im Vergleich zu 250 Milliarden. Bei der unendlichen Geschichte der Verhandlungen um die Vignette bleibt fast alles beim alten. Wir lehnen ab, daß es zu einer weiteren Wettbewerbsverzerrung im Transportbereich kommt, weil Mineralölsteuer und Kfz-Steuer immer noch unterschritten werden können. Der Steuersenkungswettlauf ist vorprogrammiert, und so wird eine gerechte Kostenanlastung ad absurdum geführt. Der Verkehrsminister sollte sich deshalb auf europäischer Ebene mit allem Nachdruck dafür einsetzen, daß wir endlich zu einer Gebührenanlastung kommen, die fahrleistungsbezogen ist und die nach dem Territorialitätsprinzip erhoben wird, und dafür, daß dies im nationalen Rahmen ermöglicht werden kann. Steigen Sie endlich in die Vorbereitung dieser für die kommenden Jahre ganz wichtigen Angelegenheit der Verkehrspolitik ein! ({5}) Es ist nur die streckenbezogene Gebühr, die gewährleistet, daß es zu einer besseren Deckung der mit der Straßenbenutzung verbundenen Kosten kommt. Wir bedauern, daß Sie sich nicht für eine fahrleistungsbezogene Berechnung der Straßenbenutzung durch ein Gebührenerhebungssystem eingesetzt haben. Nationale Alleingänge wie eine Schwerverkehrsabgabe lehnen wir ab. Es geht hier nicht darum, in Zukunft den Güterverkehr auf der Straße einseitig zu belasten. Es geht schlichtweg darum, zu beginnen, über die Kostenwahrheit zu diskutieren. Wir müssen endlich eine zukunftsfähige und auf Dauer tragbare Mobilität herstellen. Der Verkehr kann nur durch ein integriertes Verkehrssystem zukunftsfähig gestaltet werden. Wir müssen in den gleichzeitigen Ausbau der Schieneninfrastruktur einsteigen. Hören Sie auf, im Vergleich zur Straße die Schieneninfrastruktur bei den Investitionen aus den Bundeshaushalten zu benachteiligen. Wir brauchen endlich gleiche Chancen bei einem Ausbau der Schnittstellen. Wir brauchen gleiche Chancen zwischen Schiene, Straße und Wasserstraße, um zu einer Veränderung der Verkehrsmittelwahl zu gelangen. ({6}) Die Verkehrsmittelwahl wird sich dann ändern, wenn alle Verkehrsträger die gleichen Chancen haben. Hören Sie auf, eine Reform aller verkehrsbezogenen Steuern zu blockieren. Hören Sie auf, den Ausbau der Schieneninfrastruktur zu blockieren. Hören Sie auf, den Einstieg in eine ökologische Steuerreform zu blockieren. ({7}) Folgen Sie Ihrem Herrn Schäuble, der hier vorgeschlagen hat, daß Arbeitskosten verringert werden, daß wir endlich den Einstieg schaffen, den Energieverbrauch zu belasten und die Arbeitskosten zu verringern. Es wird zu einem Umsteigen auf andere Verkehrsträger kommen. Wer hier keine gleichen Chancen schafft, wird die Zukunft der Mobilität nicht gewährleisten können. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gila Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Herr Sebastian, daß Sie von kompliziert reden! Sehen Sie sich einmal Ihre Kfz-Steuer und das Chaos an, das Sie damit in den Finanzämtern angerichtet haben! ({0}) - Doch, da haben Sie kräftig mitgemischt. Worüber reden wir heute eigentlich? Was sind eigentlich externe Kosten? Darunter fallen die Kosten für eine halbe Million Unfallopfer pro Jahr. Das sind 180 Millionen Tonnen CO2 -Emissionen pro Jahr. Das sind Lärm und Ozon, die krank machen. Die Kosten sind gewaltig, nämlich 560 Milliarden DM pro Jahr in der EU. Das sind pro Bundesbürger 1750 DM pro Jahr. 90 Prozent davon werden vom Straßenverkehr und 2 Prozent von der Bahn und von Schiffen verursacht. Ich habe den Eindruck, daß Sie, meine Herren von der CDU, nicht verstanden haben, worum es geht. Es geht nicht darum, Bürgern und Unternehmen zusätzliche Lasten aufzubürden, sondern es geht darum, daß die Belastungen, die bisher von der Allgemeinheit zu tragen waren, nun auf die Verursacher umgelegt werden. ({1}) Ein Beispiel: In der Bundesrepublik müssen die Krankenversicherungen, also die Allgemeinheit, pro Jahr 80 Milliarden DM für die Behandlung von Unfall- und Gesundheitsschäden, die durch den Verkehr verursacht worden sind, aufbringen. Die EU versucht nun, mit ihrem Grünbuch „Faire und effiziente Preise im Verkehr" genau dieses Problem anzupacken. Kritik üben auch wir daran. Aber die pauschale Ablehnung seitens der CDU ist uns total unverständlich, wo Sie doch selbst in Ihrem Grundsatzprogramm eine höhere Besteuerung des Energieverbrauchs zur Senkung der Umweltbelastungen fordern. Genauso groß ist mein Unverständnis gegenüber Ihrer Haltung zur Erhöhung der Mineralölsteuer, wo doch selbst auf Herrn Schäuble der Geist der Erkenntnis" niedergegangen ist. Sparsam zwar, aber immerhin; man wird ja genügsam. Wir wären diesen Weg mitgegangen. Blockieren tun Sie sich selbst. ({2}) Das Ziel dieser Richtlinie ist: Jeder Verkehrsträger soll für das zahlen, was er verursacht. Dazu ist die Gila Altmann ({3}) schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer das beste Mittel. Da hilft auch das Gerede von dem angeblich externen Nutzen des Verkehrs nicht. Den gibt es nämlich nicht, es gibt nur den wirtschaftlichen Nutzen des Verkehrs und darüber hinaus gar nichts. Die EU-Richtlinie über Gebühren für schwere Nutzfahrzeuge ist der Schritt in die richtige Richtung. Sie ist nicht der Stein des Weisen. Aber die EU-Kommission hat konsequent eine Ökologisierung des Abgabensystems nach dem Verursacherprinzip vorgeschlagen. Darum geht es. Die Abgabensätze sind zwar viel zu mickrig, aber das Prinzip stimmt. Sie dagegen, Herr Sebastian, mit Ihrer zeitabhängigen Vignette: Der Preis dafür kann noch so hoch sein, trotzdem wirkt sie nicht. Sie wirkt noch immer wie ein kaltes Buffet: einmal bezahlen und dann fressen, was reingeht, in diesem Fall die Kilometer. Sie hat keine Lenkungsfunktion, und sie ist nicht verursacherbezogen. Das einzig Richtige ist eine kilometerabhängige Schwerverkehrsabgabe für den Lkw-Verkehr. ({4}) Eine Schwerverkehrsabgabe, die die Wegekosten anlastet und die Emissionen differenziert besteuert, führt zu geringeren Straßenschäden und weniger Umweltbelastungen. Sie stellt wirklich die einzige Möglichkeit dar, um der bedauerlichen Entwicklung, daß im Verkehrswegeplan des Bundes immer noch Zuwächse - richtigerweise - prognostiziert werden müssen, die dann wahrscheinlich auch noch übertroffen werden, Einhalt zu gebieten und eine Wende einzuleiten. Darum unterstützen wir die Richtlinie des Rates. Danke. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Sehr verehrte Frau Kollegin Altmann, es ist schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, daß Sie die Vollzugsdefizite bei der Kfz-Steuerreform beim Bund abladen wollen. Nach meiner Kenntnis der Sachlage ist für die Erhebung der Kfz-Steuer und für die Durchführungsverordnungen nach wie vor das jeweilige Land zuständig. ({0}) Nicht zuletzt auf Grund des Einspruches der Länder ist die Kfz-Steuerreform verschlimmbessert worden. ({1}) Es ist geradezu bezeichnend, daß Nordrhein-Westfalen zwar die Bescheide, die eine Erhöhung der Kfz- Steuer vorsehen, zeitgerecht verschickt, aber öffentlich erklärt, daß es für die Versendung der Bescheide, die die Fahrzeuge nach der Euro-3-Norm begünstigen würden, angeblich keine Zeit habe. ({2}) Das sollte doch eigentlich zu denken geben. Ganz zu schweigen davon, daß Herr Clement für die Umschlüsselung eine Gebühr verlangt, die weitab von Gut und Böse liegt und erkennbar nicht in Bonn beschlossen wurde, auch wenn er versucht hat, uns das anzulasten. Meine Damen und Herren, wir reden in dieser Debatte über drei Vorlagen. Davon befassen sich zwei, die auf europäischer Ebene initiiert wurden, mit dem Haupttransitland Bundesrepublik Deutschland. Man sollte sich auch einmal die Mühe machen, die Anträge unter diesem Gesichtspunkt zu lesen. Die erste Vorlage - das ist schon gesagt worden - ist der offiziell so genannte Versuch einer verursachergerechten Anlastung externer Kosten. Liest man das vorliegende Grünbuch genauer, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß versucht wird, nur einen einzigen Verkehrsträger durch das moderne Instrument einer Verteuerung des Straßenverkehrs einseitig zu belasten. Allein aus diesem Gesichtspunkt heraus ist dieses Grünbuch abzulehnen. Es geht nicht an, daß ausschließlich ein einziger Verkehrsträger vor allen anderen bestraft werden soll, ohne daß gleichzeitig die Frage nach der Leistungsfähigkeit der anderen gestellt wird. ({3}) Das gleiche Europa, das sich hier anschickt, den Straßenverkehr zu verteuern, ist insbesondere in bezug auf den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr und den Wettbewerb auf der Schiene in der Steinzeit verblieben. Während die Bundesrepublik Deutschland mit der Bahnreform Meilensteine gesetzt hat, ({4}) hat gerade das Nachbarland Frankreich alle möglichen Hürden aufgebaut. ({5}) Wenn ich schon die eine Seite belaste, wird man doch auch einmal fragen dürfen, ob die anderen Verkehrsträger überhaupt in der Lage sind, den Verkehr aufzunehmen. Dazu sage ich: Das wird nicht funktionieren. ({6}) Das gleiche gilt für den Vorschlag des Rates zur Erhebung von Gebühren für schwere Nutzfahrzeuge. Die Aufhebung ihrer bisherigen Ordnung scheint diese Herren etwas in Schock versetzt zu haben, sonst kann man sich diese Vorschläge im Hinblick auf die Harmonisierung, für die gerade Europa auch ein gerüttelt Maß an Verantwortung hat, nicht erklären. Welchen Sinn macht es denn, neue Mindeststeuersätze vorzusehen, wenn die, die bisher gegolten haben, von der Hälfte der Mitgliedsländer noch nicht einmal erreicht worden sind, ({7}) wenn es nach wie vor Länder gibt, in denen hinsichtlich dieser Steuersätze bis zu 50 Prozent Ausnahmeregelungen gewährt werden? Es ist überhaupt nicht abzusehen, daß Europa im Hinblick auf den 1. Juli 1998, wo in Deutschland bezüglich der Kabotage die letzte Beschränkung fällt, auch nur den Hauch eines Ansatzes gemacht hat, hier die Ausgangsbedingungen zu harmonisieren. So bleibt dem deutschen Gesetzgeber gar nichts anderes übrig, als zu versuchen, mit Steuersenkungen dieser Konkurrenz entgegenzutreten, ({8}) wenn man nicht wissentlich dazu beitragen will, daß das deutsche Verkehrsgewerbe ab 1. Juli 1998 flächendeckend ausflaggt, wie es die Schiffahrt schon gemacht hat. Jeder Lkw, der nicht mehr mit deutschem Kennzeichen fährt, bringt immerhin nicht mehr die stolze Summe von 100 000 DM Steuern ein. Das alles sollte man überlegen, wenn man diesen Antrag liest. Deswegen werden wir ihn ablehnen, so wie wir das im Verkehrsausschuß auch getan haben. Ein letztes Wort zum Antrag der PDS, der aus dem Jahre 1995 stammt: Er ist inhaltlich weitgehend überholt und kann, soweit er sich auf einen nationalen Alleingang bezieht, sowieso nicht mitgetragen werden. ({9}) - Liebe Kollegin Ferner, ich kann mich nicht erinnern, daß es hier im Hause und auch in der Bundesregierung große Probleme gegeben hätte, eine streckenabhängige Lkw-Gebühr einzuführen. Auch das ist ja nicht an der Bundesregierung, auch nicht am Bundestag, gescheitert, sondern an den von Ihnen gerade so hochgehaltenen modernen Lenkungsinstrumenten in Europa. ({10}) Ich habe überhaupt nichts dagegen, für Lkw europaweit eine entfernungsabhängige Streckennutzungsgebühr einzuführen; dann aber bitte für alle Beteiligten, auch die außerhalb Deutschlands angesiedelten. ({11}) So wird ein Schuh daraus. Diese Probe aufs Exempel hätte ich in Europa gerne gemacht. Da würden Sie Wunder erleben. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Kollege Winfried Wolf hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? Dann verfahren wir so. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, zuerst zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zum Grünbuch der Europäischen Union zu fairen und effizienten Preisen im Verkehr auf Drucksache 13/5405. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8561 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Vorschlag für eine Richtline des Rates über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, Drucksache 13/7733. Der Ausschuß empfiehlt, den Richtlinienvorschlag abzulehnen und eine Entschließung anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8559 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses zu einem Richtlinienvorschlag ab. ({0}) - Bitte.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir bitten um getrennte Abstimmung über die Ziffern 1 und 2 der Beschlußempfehlung des Ausschusses. Das ist von uns so beantragt worden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gut, dann stimmen wir über die beiden Ziffern getrennt ab. Wer stimmt für die Ziffer 1 der Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Ziffer 1 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden. Wer stimmt der Ziffer 2 der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ziffer 2 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD angenommen worden. ') Anlage 4 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8560. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Einführung einer Schwerverkehrsabgabe auf Drucksache 13/7735. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2360 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden. Damit sind die Abstimmungen zu diesem Komplex abgeschlossen. Die heutige Tagesordnung soll erweitert werden um folgenden Zusatzpunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu dem Antrag auf Genehmigung zum Vollzug eines Zwangsvollstreckungsbeschlusses - Drucksache 13/8579 Über die Beschlußempfehlung soll gleich abgestimmt werden. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 13/8579. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Ich rufe jetzt Punkt 11 sowie Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf: 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 174 c StGB ({1}) - Drucksache 13/8267 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit ZP4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({3}), Annelie Buntenbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 174c und 174d StGB ({4}) - Drucksache 13/8548 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({5}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Funke.

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund 200 000 Patienten begeben sich jährlich in eine psychotherapeutische Behandlung. Etwa 600 von ihnen werden dabei Opfer sexueller Übergriffe ihres Therapeuten. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weitaus höher. Alle diese Übergriffe sind gekennzeichnet von besonderer Perfidie. Denn sie alle werden begünstigt durch den Umstand, daß sich die Opfer wegen eines seelischen Leidens an den Täter wenden und sich ihm dabei in weitreichender Weise anvertrauen und anvertrauen müssen. Nicht selten entstehen dadurch starke psychische Abhängigkeiten. Therapeuten, die solche Abhängigkeiten zu sexuellen Übergriffen ausnutzen, machen sich damit eines besonders intensiven Vertrauensbruchs schuldig. Sie suchen sich Opfer, die ohnehin schon aus ihrer seelischen Balance geraten und die damit besonders verletzlich sind. Vor allem die psychischen Folgen für die Betroffenen - ganz überwiegend sind es Frauen - sind entsprechend schwerwiegend. Deshalb ist es ein wichtiges Anliegen, den strafrechtlichen Schutz der Opfer mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu verbessern. So ist es unbefriedigend, daß sich die Täter in der Vergangenheit nach unserem geltenden Strafrecht immer wieder mit Erfolg darauf zurückziehen konnten, es habe zu dem Opfer eine echte Liebesbeziehung bestanden. Mit dem neuen Straftatbestand des § 174 c StGB soll derartigen Schutzbehauptungen der Boden entzogen werden. Strafbarer Mißbrauch kann danach selbst dann vorliegen, wenn das Opfer den sexuellen Handlungen zwar zugestimmt hat, sich aber über die Tragweite seines eigenen Verhaltens nicht im klaren war. Damit wird zugleich auch solchen Scharlatanen das Handwerk gelegt, die unverfroren behaupten, der sexuelle Verkehr mit einer Patientin gehöre zu ihrem Therapiekonzept. Der vorgelegte Gesetzentwurf macht allerdings nicht bei der Psychotherapie halt, sondern schützt psychisch beeinträchtigte Menschen auch innerhalb anderer Abhängigkeitsverhältnisse. Menschen mit geistiger Behinderung etwa sind in vielen Lebensbereichen auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Auch dabei können Abhängigkeiten entstehen, die es den Opfern erschweren, sich gegen sexuelle Zudringlichkeiten ihrer vermeintlichen Vertrauenspersonen zu wehren. Deshalb wird die mißbräuchliche Ausnutzung eines jeden Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses zu Sexualkontakten künftig unter Strafe gestellt. Damit werden nicht nur psychisch kranke, sondern auch geistig oder seelisch behinderte Menschen sowie Suchtkranke geschützt. Der vorliegende Gesetzentwurf schließt bestehende Lücken unseres Strafrechts ebenso konsequent wie angemessen. Er wird den strafrechtlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung geistig oder seelisch kranker oder behinderter Menschen entscheidend verbessern. Ich bitte Sie deshalb nachdrücklich, dem Entwurf zuzustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der neue § 174 c des Strafgesetzbuches soll - wie Herr Staatssekretär Funke eben ausgeführt hat - eine Lücke schließen. Wir haben bereits den § 174 a StGB, der Gefangene und auf behördliche Anordnung Verwahrte und Kranke in Anstalten gegen sexuellen Mißbrauch schützt. Das betrifft aber eben nur Kranke, die sich in stationärer Behandlung befinden, oder Gefangene. Nicht erfaßt werden sexuelle Handlungen an Personen, die sich in ambulanter Behandlung befinden, die also jemandem wegen einer geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung - einschließlich einer Suchtkrankheit - zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut sind oder die sich in psychotherapeutischer ambulanter Behandlung befinden. Wir alle wissen, daß dieser Personenkreis in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Wir meinen, daß diese Lücke geschlossen werden muß. Wenn es in diesen Behandlungsverhältnissen zu sexuellen Obergriffen kommt, greifen allerdings - das sollten wir nicht vergessen - meistens andere Strafvorschriften ein. Wird eine Lage ausgenutzt, „in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist", kommt der von uns erst vor kurzem neuformulierte § 177 StGB, der Vergewaltigungsparagraph, zur Anwendung. Das Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist, war ja gerade das Neue, das wir eingeführt haben. Außerdem haben wir immer noch den Auffangtatbestand des § 179 StGB, der sich mit dem sexuellen Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen befaßt, der aber meiner Meinung nach kaum zur Anwendung kommt, weil dann, wenn eine Widerstandsunfähigkeit gegeben ist, gleichzeitig immer eine Situation gegeben ist, in der das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen keine Nötigungsmittel angewendet werden und deshalb die von mir genannten Strafvorschriften nicht zur Anwendung kommen, in denen auch keine Widerstandsunfähigkeit vorliegt. In diesen Fällen ist eine Bestrafung nicht möglich. Wir meinen allerdings, daß ein Mißbrauch von solchen Beratungsverhältnissen, ein Mißbrauch eines psychotherapeutischen Behandlungsverhältnisses durchaus strafwürdig ist, weil hier in aller Regel zwischen dem Berater oder Therapeuten und der Patientin oder dem Patienten eine starke psychische Abhängigkeit vorliegt, die leicht mißbraucht werden kann. Deshalb müssen diese Beratungs- und Behandlungsverhältnisse von sexuellen Beziehungen, sexuellen Eingriffen, sexuellen Übergriffen frei gehalten werden, und zwar auch dann, wenn das Opfer damit einverstanden ist. Das Einverständnis wiegt hier nicht schwer, weil bei einer seelischen oder psychischen Beeinträchtigung, wegen der man sich in eine Behandlung begibt, dieses starke Abhängigkeitsverhältnis vorhanden ist. Der Tatbestand erstreckt sich nicht auf Behandlungsverhältnisse, die jemand wegen seiner körperlichen Leiden eingeht. Hier gibt es eben diese tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestimmung nicht. Wenn also zum Beispiel ein Zahnarzt mit seiner Patientin sexuelle Handlungen austauscht, ohne dabei Nötigungsmittel anzuwenden oder eine hilflose Lage auszunutzen, die vielleicht durch eine Narkose eingetreten sein könnte, dann bleibt er straflos. Ich meine, das ist auch richtig so. ({0}) - Natürlich ist das kein Freibrief für Zahnärzte. Ich wollte damit nur deutlich machen, daß mit dem neu aufzunehmenden § 174 c die Behandlungsverhältnisse wegen körperlicher Leiden nicht erfaßt sind. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß einige Bemerkungen machen, die nicht nur diesen Gesetzentwurf betreffen, sondern sich allgemein mit der Behandlung von Sexualstraftaten in der Öffentlichkeit und in der Politik befassen. Wir wissen alle, daß dieses Thema sehr emotionsbefrachtet ist. Wenn eine Frau, gar eine behinderte Frau oder ein Kind aus sexuellen Motiven mißbraucht wird, wenn es gar zu einer Tötung kommt, gehen die Wogen der Empörung hoch. Das ist verständlich, denn es gibt natürlich kaum ein schlimmeres Verbrechen als zum Beispiel den sexuellen Mißbrauch eines Kindes, der auch dann, wenn er nicht zur physischen Tötung führt, fast immer auch ein seelischer Mord ist. Nun sind aber Erbitterung, Wut und Zorn ein schlechter Ratgeber, wenn es um Strafverfolgung und um Strafrechtspolitik geht. Wir wissen durch einige spektakuläre Strafprozesse, daß es in einer solchen Atmosphäre auch sehr schnell möglich ist, Unschuldige in einen schlimmen Verdacht zu bringen, Unschuldige, die sich häufig ihr Leben lang von diesem Verdacht nicht mehr befreien können. In der Strafrechtspolitik, in der es ja darum geht, wie, mit welchen Mitteln und auf welche Weise solche Taten am besten zu verhindern und die potentiellen Opfer zu schützen sind, sind Zorn, Wut und Erbitterung ein schlechter Ratgeber. Die Politik darf in dieser Frage nicht den Stammtischparolen nachgeben, sondern muß ihrem aufklärerischen Ansatz treu bleiben. ({1}) Gerade hier muß Politik mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch gemacht werden, mag das auch vor Wahlen noch so schwer fallen. Zur Aufklärung gehört, daß man Fakten, die einem vielleicht gar nicht recht ins Weltbild passen, nicht verschweigt. Ich will einmal vier solche Fakten nennen. Erstens. Es gibt entgegen der landläufigen Meinung keinerlei Beweis für eine dramatische Zunahme der Sexualstraftaten. Die Kriminalstatistik weist für das Jahr 1970 27 Straftaten pro 100 000 Einwohner aus; seit 1980 pendelt diese Zahl zwischen 19 und 21, ist also niedriger. Ich betone das, weil zuweilen bei uns in der Öffentlichkeit eine Stimmung erzeugt wird, als sei der sexuelle Mißbrauch eine in allen Gesellschaftsschichten grassierende kriminelle Erscheinung. Zweitens. Wir wissen heute, daß wir die Möglichkeiten der Behandlung von Sexualstraftätern in den letzten Jahrzehnten überschätzt haben. Ein Teil der Straftäter spricht auf Behandlung nicht an. Das erhöht die Notwendigkeit, die Prognosesicherheit zu verbessern, also diejenigen, die während der Strafverbüßung mit Aussicht auf Erfolg behandelt werden können, von denen zu trennen, vor denen die Gesellschaft auf Dauer geschützt werden muß. Drittens. Die Möglichkeit der psychotherapeutischen Behandlung derjenigen Straftäter, die behandlungsfähig und behandlungswillig sind, sind in der Bundesrepublik seit langer Zeit absolut unzureichend. Es gibt viel zu wenige Therapieplätze. Das ist auf Dauer ein unhaltbarer Zustand. Wer für sich in Anspruch nimmt, die Kinder und die Frauen in unserem Lande in stärkerem Maße vor Sexualstraftätern schützen zu wollen, wird dies ändern müssen. Eine vierte Bemerkung. Die generalpräventive Wirkung der angedrohten Strafen wird gerade bei Sexualstraftätern weit überschätzt. Auch das Argument, der Täter, der eine um zwei oder drei Jahre erhöhte Strafe verbüßen müsse, könne wenigstens während dieser Zeit keine neue Straftat begehen, ist kurzschlüssig; denn für das potentielle Opfer ist es im Grunde einigermaßen gleichgültig, ob es zwei Jahre früher oder später Opfer eines solchen Verbrechens wird. Entscheidend ist immer, wie der verurteilte Sexualstraftäter aus der Verbüßung und aus der Behandlung herauskommt. Die Liste dieser unbequemen Fakten ließe sich noch verlängern. Ich will das an dieser Stelle nicht tun. Ich bitte nur darum, auch diesen Gesetzentwurf mit kühlem Kopf weiter zu beraten. Wir werden das im Rechtsausschuß tun. Ich denke, die Chancen stehen gut, daß wir dort zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne haben liebe Freunde Platz genommen. Ich möchte eine Delegation des Parlaments von Namibia unter Leitung ihres Vorsitzenden begrüßen. Sie haben eine Reise durch mehrere Länder unternommen. Wir haben heute morgen ein Gespräch geführt. Zwischen unseren beiden Ländern besteht eine gute Freundschaft, und wir hoffen alle, daß es in Zukunft so bleibt. Wir wünschen Ihnen noch ein paar schöne Tage, Exzellenz. ({0}) Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Simm.

Erika Simm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir hier einen Gesetzentwurf des Bundesrates zum sexuellen Mißbrauch in Therapieverhältnissen in erster Lesung behandelt, der uns überarbeitungsbedürftig erschien. Bereits damals bestand über alle Fraktionen hinweg Einigkeit, daß der strafrechtliche Schutz von Patienten vor sexuellen Übergriffen in der Therapie unzureichend ist und dringend einer gesetzlichen Regelung bedarf. Einige von uns meinten damals, wir könnten die notwendige Neuregelung schon im Zusammenhang mit der anstehenden Reform des Vergewaltigungstatbestandes schaffen. Wir haben damals gut daran getan, uns nicht darauf festzulegen; denn mittlerweile haben wir die Strafrechtsänderung zur Vergewaltigung trotz hoher Hürden, die sich da aufgetan haben, verabschiedet. Es sind fast zwei Jahre ins Land gegangen, bis das Bundesjustizministerium seinen angekündigten eigenen Entwurf vorgelegt hat. In der Zwischenzeit haben uns viele Briefe von Betroffenen, von Therapeuten, von Behindertenorganisationen, von den Berufsverbänden der Psychologen und Psychotherapeuten erreicht, in denen nachdrücklich angemahnt wurde, wir sollten die bestehende Strafbarkeitslücke beim sexuellen Mißbrauch in der Therapie endlich schließen. Ich bin deswegen froh, daß wir nun mit dem im Justizministerium erarbeiteten Entwurf eine - wie ich meine - geeignete Grundlage haben, auf der wir unsere Beratungen fortsetzen können. Ich finde es auch gut, daß sich dieser Entwurf nicht nur auf die Therapieverhältnisse beschränkt, sondern auch den Schutz von Personen, die stationär in Einrichtungen untergebracht sind oder ambulant betreut werden, einbezieht. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir eine Klarstellung in bezug auf die stationären und die teilstationären Einrichtungen. ({0}) Darüber hinaus begrüße ich, daß in dem vorgelegten Gesetzentwurf auch eine Neufassung des § 179 StGB „Sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger" vorgeschlagen wird. Diese Strafvorschrift hat uns in der Vergangenheit intensiv beschäftigt - teils berechtigt, teils veranlaßt durch bestehende Mißverständnisse. Ich halte, wie gesagt, den vorliegenden Entwurf der Bundesregierung für eine geeignete Beratungsgrundlage. Ich muß aber feststellen, daß es eine Reihe von Punkten gibt, die Fragen aufwerfen oder bei denen ich meine, daß sie nicht angemessen gelöst sind. Ich erlaube mir, am Rande zu bemerken, daß ich mich etwas gewundert habe, daß zwei Jahre offensichtlich nicht ausgereicht haben, die notwendige handwerkliche Sorgfalt für den Gesetzentwurf walten zu lassen. Man hat vergessen, die Überschrift des § 174 a entsprechend zu formulieren. Abs. 1 hat man so gelassen, wie er ist. § 174 b steht jetzt zwischen lauter sprachlich reformierten Paragraphen etwas altertümlich da. Ich denke, man muß diesen Entwurf noch einmal überarbeiten. Wir werden dies tun, auch wenn es nicht die eigentliche Aufgabe des Rechtsausschusses ist. Nun komme ich aber zu den ernsthaften Einwendungen. Ich bemängele, daß man sich mit zwei wichtigen Punkten, die uns im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt haben, offenbar nicht ernsthaft auseinandergesetzt hat. Das ist zum einen die Frage angemessener Strafrahmen bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter. Das ist zum zweiten das Problem der Verjährung von Sexualstraftaten. Der Begründung des Gesetzentwurfes habe ich hierzu jedenfalls nichts entnehmen können, was mir erschlossen hätte, warum die Regelungen so gemacht wurden, wie sie sind. Ich jedenfalls halte es für nicht akzeptabel, daß der sexuelle Mißbrauch von Kranken und Behinderten in stationärer Unterbringung, von Patienten in der Psychotherapie und Widerstandsunfähigen durchgängig mit Geldstrafe geahndet werden kann. Handelt es sich doch um Taten, bei denen Täter typischerweise gegen besondere Fürsorgepflichten verstoßen und ein besonderes Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen, um Taten, die gegen Opfer gerichtet sind, die im besonderen Maße schutzbedürftig sind. Ich bin der Meinung, daß hier als Regelstrafe eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorzusehen wäre. Dadurch würde die Verhängung von Geldstrafe ausgeschlossen oder doch zumindest nur ausnahmsweise zugelassen. ({1}) Ich halte nichts davon, diesen Punkt - er ist in der Stellungnahme der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates aufgenommen worden - auf das Reformvorhaben Strafrahmenharmonisierung zu verschieben, weil ich einfach keinen Sinn darin sehe, neue Gesetze zu machen und sie gleichzeitig auf die Liste anstehender Änderungsvorhaben zu setzen. ({2}) Auch über die Frage der Verjährung kann man meines Erachtens angesichts des einhelligen Votums gerade der Berufsverbände der Psychotherapeuten und Psychologen für längere Verjährungsfristen nicht einfach so hinweggehen. Eine angemessene Lösung könnte sein, das Ruhen der Verjährung bis zum Ende der Behandlung anzuordnen. Ich weiß, die F.D.P. hat rechtsdogmatische Probleme. Aber wir haben auch beim sexuellen Mißbrauch bei Kindern so verfahren. Mein Vorschlag ist, das Ruhen der Verjährung bis zum Ende einer Behandlung oder bis zur Beendigung einer Unterbringung vorzusehen. Die Grünen haben in ihrem ganz aktuellen Gesetzentwurf einige Vorschläge dazu gemacht. Das, denke ich, müssen wir auf jeden Fall diskutieren. Ein weiterer Diskussionspunkt wird sein, daß für die ambulanten Behandlungs- und Betreuungsverhältnisse der Kreis der Opfer auf die geistig und seelisch Kranken und Behinderten eingeschränkt wurde. Ich glaube, daß wir das gründlich werden beraten müssen und uns dazu sicher auch noch Sachverständigenrat einholen sollten. Zur Zeit neige ich eher dazu, es bei dieser Einschränkung der Strafbarkeit zu belassen, weil Behandlungsverhältnisse, die körperliche Leiden zum Gegenstand haben, hinsichtlich der Qualität und Intensität des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt oder behandelnder Person doch sehr unterschiedlich sind. ({3}) Ich habe bisher - ich habe mich wirklich lange darum bemüht - keine geeigneten Kriterien gefunden, wie man das, was strafrechtlich schützenswert ist, gesetzestechnisch vernünftig eingrenzen könnte. Aber wir sollten da, wie gesagt, nicht gleich aufgeben; denn ich meine, daß manche Behandlungsverhältnisse sicher eines höheren Schutzes bedürfen als etwa die beim Röntgenarzt, der nichts anderes tut, als seinen Patienten in die Röhre zu schieben. ({4}) - Ich weiß, wovon ich spreche. Unklar ist nach dem uns vorliegenden Gesetzentwurf, wie es zu beurteilen ist, wenn ein Psychotherapeut alsbald nach Beendigung der Behandlung zu seiner früheren Patientin sexuellen Kontakt aufnimmt. Mir ist in einem Gespräch mit Psychotherapeuten, das ich geführt habe, um mich selber schlau zu machen, ein Fall geschildert worden, bei dem ein Psychotherapeut, weil er sexuelle Beziehungen zu seiner Patientin aufnehmen wollte, die Therapie beendet bzw. abgebrochen, die Patientin an einen anderen Therapeuten überwiesen hat und es dann tatsächlich zu sexuellen Beziehungen gekommen ist. Die Therapeuten, mit denen ich gesprochen habe, haben mir gesagt, ein solches Verhalten sei gleichermaßen strafwürdig wie der sexuelle Mißbrauch während der Behandlung. Es gibt zu diesem Problem einen Hinweis in einem Nebensatz der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, den ich allerdings nicht durch den Wortlaut der Strafbestimmung gedeckt sehe. Das sollten wir noch einmal abklopfen; denn dort ist die Rede von Patienten, die in Behandlung sind, und nicht von denen, die in Behandlung waren. Das ist gar nicht so sehr ein Problem des Mißbrauchs des Behandlungsverhältnisses. Ich sehe in einem anderen Teil des Tatbestandes Probleme. Ich glaube, daß hier eine Klarstellung notwendig ist und daß derartige Verhaltensweisen in den Bereich der Strafbarkeit einbezogen werden sollten. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit meiner Kritik an dem vorliegenden Entwurf wollte ich deutlich machen, wo ich Nachbesserungs- und Diskussionsbedarf sehe. Ich bin zuversichtlich, daß wir angesichts des grundsätzlichen Konsenses, der zwischen uns besteht, was die Notwendigkeit einer Regelung betrifft, zu sachgerechten Lösungen kommen werden. Ich wünsche uns allen dazu gute Beratungen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach jahrelangem Zögern hat die Bundesregierung nun endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sexueller Mißbrauch in der Psychotherapie und an Menschen, die in Einrichtungen für Behinderte leben, stärker verfolgt werden sollen. Das heftet sich nun Justizminister Schmidt-Jortzig ans Revers. Schon seine Vorgängerin hat in diesem Bereich intensive Vorarbeiten geleistet. Doch die Initiative - Frau Simm hat es gerade gesagt - bleibt hinter den eigentlichen Erfordernissen zurück. Sexueller Mißbrauch ist die schwerwiegendste Grenzverletzung, die es in einer Therapie geben kann. 600 Fälle pro Jahr sind ein Alarmzeichen. Es handelt sich dabei in mehr als 85 Prozent der Fälle um Mißbrauch durch einen männlichen Therapeuten. Die psychischen Folgen für die betroffenen Frauen sind oft katastrophal. Medikamentenmißbrauch, erhöhte Suizidgefahr und Symptome mit lebensbedrohlichem Charakter gehören dazu. Da Therapeuten in der Regel gerade nicht mit Gewalt mißbrauchen, also viele Strafnormen wie die für die Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung nicht zur Anwendung kommen, müssen wir hier eine Strafrechtslücke schließen. Lassen Sie mich deshalb noch einmal kurz auf die besondere Problematik des Mißbrauchs in der Psychotherapie eingehen. In der Therapie ist es das Recht der Klientin, ihre Gefühle zu äußern, ohne sie zu kontrollieren. Zur professionellen Rolle des Therapeuten gehört es, mit Gedanken und Gefühlen zu arbeiten, die die Identität eines Menschen betreffen. Nimmt der Therapeut eine sexuelle Beziehung zur Klientin auf, zerstört er die Arbeitsgrundlage der Behandlung. Er ist nicht mehr professioneller Helfer, sondern Täter. Seine Taten sind: Machtmißbrauch und sexuelle Ausbeutung. Deshalb ist es für uns nicht akzeptabel, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine zusätzliche Hürde für die Opfer aufbaut. Sexuell mißbrauchte Frauen müssen nach diesem Vorschlag nachweisen, daß der Therapeut die Behandlungssituation ausgenutzt hat. Das ist ein Widerspruch und stützt sich auf das beliebte männliche Verteidigungsmodell, daß der Therapeut das eigentliche Opfer ist, das den Verführungskünsten der Klientin erlegen war. Der sexuelle Machtmißbrauch des Therapeuten wird dadurch gänzlich negiert. Ich komme zu einem weiteren Problem der Gesetzentwürfe von Bundesregierung und Bundesrat, zur Verjährung. Viele Frauen leiden über Jahre hinweg unter den negativen Folgen des sexuellen Mißbrauchs in der Therapie. Gleichwohl - das verwundert auf den ersten Blick - schweigen die meisten lange. Ein Bewußtsein von Mißbrauch kommt erst allmählich auf; denn die Verdrängung ist hier sehr massiv. Das Schweigen zu brechen bedeutet, eine endgültige Grenze zu ziehen; die Mißbrauchserfahrung zuzulassen. Besonders Frauen, die in der Therapie mißbraucht wurden und sexuelle Gewalt schon als Kind erlebt haben, brauchen für die Aufarbeitung sehr lange. Darum muß die Verjährungsfrist verlängert werden, wie dies auch die Studie des Frauenministeriums fordert. Unser Gesetzentwurf sieht vor, daß die Verjährung erst nach dem Abschluß der Behandlung beginnt. Ich bin froh, daß auch Sie, Frau Simm, sagen, daß das ein guter Vorschlag ist. Darüber hinaus schließt unser Vorschlag die psychologische und seelsorgerische Beratung mit ein - das ist in keinem anderen der Gesetzentwürfe vorgesehen -, da es bekanntermaßen auch hier zu Mißbrauch kommt. Die Bundesregierung gibt als weiteres Ziel ihres Gesetzentwurfes an, Menschen mit Behinderungen stärker vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Doch sie tut dies nur halbherzig. So haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, es versäumt, im Gesetzentwurf eindeutig festzuschreiben, daß auch sexuelle Übergriffe an behinderten Menschen, die ein teilstationäres Angebot wahrnehmen - zum Beispiel in Werkstätten für Behinderte; dieses Angebot wird ja zunehmend in Anspruch genommen -, geahndet werden. Auch Übergriffe auf kranke und behinderte Menschen in der ambulanten Pflege stellen Sie in diesem Gesetzentwurf nicht ausdrücklich unter Strafe. Diese Übergriffe dürfen im Strafrecht aber nicht länger ignoriert werden. Es muß klargestellt werden, daß wir auch hier den Strafrechtsschutz wollen. Dazu gehört auch, daß bei widerstandsunfähigen Opfern von Vergewaltigungen das Strafmaß endlich angepaßt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich schaue zu allen Seiten -, ich gehe davon aus, daß wir uns darüber einig sind, daß Menschen besser vor sexuellen Übergriffen geschützt werden müssen. Der bündnisgrüne Gesetzentwurf bietet dafür die beste Gewähr. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Jörg van Essen das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele der Dinge, die ich vortragen wollte, sind bereits von den Kolleginnen und Kollegen vorgetragen worden. Ich will sie nicht wiederholen. Es ist erfreulich, daß sich das Haus darin einig ist, daß in diesem Bereich etwas getan werden muß. Auch ich will das unterstreichen. Vielleicht werde ich noch auf einige der Anregungen, die heute in der ersten Lesung vorgetragen worden sind, eingehen. Zunächst einmal: Frau Schewe-Gerigk, nach meiner Auffassung ist teilstationär auch stationär und wird deshalb vom Gesetzentwurf der Bundesregierung erfaßt. ({0}) - Ich weiß, daß es da unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir werden deshalb in den Beratungen prüfen müssen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Wenn es nicht der Fall sein sollte, dann - da teile ich Ihre Auffassung - werden wir dies selbstverständlich noch aufnehmen müssen. Es darf keine neue Strafbarkeitslücke entstehen. ({1}) Ich glaube, da sind wir uns alle einig; ({2}) denn das Ziel dieses Vorhabens ist ja, daß wir Lükken, die zutage getreten sind, schließen. Eines war für mich ganz wichtig - es hat mich auch sehr nachdenklich gemacht -, als ich mich auf die heutige Debatte vorbereitet habe. Es hat im letzten Jahr eine Expertenanhörung gegeben, in der insbesondere die Eltern behinderter Kinder auf einen Umstand hingewiesen haben, den viele von uns, wenn sie solche Einrichtungen besucht haben, möglicherweise selbst gespürt haben, nämlich daß diese Kinder ein besonders intensives Verhältnis zu Zärtlichkeit, zu persönlicher Berührung haben. Wer das Vertrauen, das sich darin zeigt, für eigene Zwecke nutzt und diese Kinder mißbraucht, der begeht ein besonders schweres Verbrechen. Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß die Wirkungen besonders stark sind. Von daher liegen unsere Meinungen nicht auseinander. Was mich nachdenklich gemacht hat - ein Gespräch, das ich geführt habe, war ursächlich dafür -, ist die Frage: Wie gehen wir mit den Verhältnissen von Therapeutinnen oder Therapeuten zu ihren Patienten um, wenn sich daraus eine Beziehung entwickelt? Das kann Mißbrauch sein. Frau Schewe-Gerigk, Sie haben dies angesprochen. ({3}) - Ich weiß, daß es diese Auffassung gibt. Sie haben auch die Gründe vorgetragen, die darauf hindeuten, daß das Mißbrauch sein kann. Ich habe schon gesagt, daß ich ein Gespräch geführt habe. Es geht um einen Fall, wo aus einer solchen Beziehung eine inzwischen lang andauernde Ehe entstanden ist. Die Ehefrau' hat mir gesagt: Ich möchte nicht, daß mein Mann, weil er plötzlich festgestellt hat, daß er mich liebt, mit dem Strafrecht in Berührung kommt. ({4}) Das allerdings ist eine Grenze, die wir auch berücksichtigen müssen. Wir können nicht auf einmal Liebesverhältnisse unter die Kuratel des Strafrechts stellen. Ich bin dafür, daß wir hier eine andere Grenze festlegen und dies nicht einseitig unter dem Begriff des Mißbrauchs betrachten. Das heißt: Wir werden sorgfältig beraten müssen. Es sind heute viele gute Anregungen gemacht worden. Ich habe das Gefühl, daß wir alle in die gleiche Richtung denken, daß wir alle etwas Vernünftiges zustande bringen wollen. Wir werden dazu beitragen. Wir sollten uns nur nicht zuviel Zeit nehmen. Wir haben der Bundesregierung vor zwei Jahren den Auftrag erteilt, etwaige Lücken aufzuzeigen. Zwei Jahre sind ins Land gegangen. Wir sollten im Parlament für eine schnelle Beratung sorgen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Christina Schenk das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sexuelle Übergriffe in Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnissen sind leider keine Einzelfälle. Meist sind Frauen die Opfer, und meist sind die Folgen überaus schwerwiegend. Psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen sind häufig. Das jetzige Strafrecht erfaßt diese Fälle nicht bzw. höchst ungenügend. Ich darf daher im Namen der PDS-Bundestagsgruppe sagen, daß wir begrüßen, daß dieses Problem jetzt angegangen wird. Die Formulierung eines neuen Straftatbestandes zur Erfassung der sexualisierten Gewalt gegen Menschen, die sich in einem ambulanten Betreuungsoder Beratungsverhältnis befinden, ist auch aus unserer Sicht notwendig. Allerdings meinen wir, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung diesen Erfordernissen nicht, zumindest nicht ausreichend entspricht: Zum einen wurden die teilstationären Betreuungsverhältnisse nicht einbezogen. Zum anderen gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, nur Taten gegen Menschen, die sich wegen einer psychischen Erkrankung oder einer intellektuellen Behinderung in einem Behandlungs- und Untersuchungsverhältnis befinden, zu erfassen und nicht auch solche gegen Menschen mit körperlichen Erkrankungen oder Behinderungen. Auch bei der Behandlung körperlicher Leiden wird eine spezifische Beziehung zwischen Therapeuten und Patientinnen aufgebaut, entsteht zwangsläufig ein Vertrauensverhältnis, wird Kompetenz an einen anderen abgegeben. Sexuelle Übergriffe sind daher auch in der Behandlung von körperlichen Leiden nicht gerade selten. Zu diesem Problem gibt es ausreichendes statistisches Material; auf künftige Erkenntnisse muß nicht gewartet werden. Meine Damen und Herren, ich will noch einen weiteren schwerwiegenden Punkt ansprechen, der auch in der Diskussion in diesem Hause zu dem Thema des Sexualstrafrechts immer wieder eine große Rolle gespielt hat. Ich meine, daß eine Reform des Sexualstrafrechts endlich die Schwere der Tat und nicht das Ausmaß an krimineller Energie, das der Täter für die Ausführung der Tat aufwenden mußte, zum entscheidenden Kriterium für die Strafzumessung machen muß. Ich finde es unerträglich, daß das Strafmaß noch immer an einer Klassifizierung der Opfer nach ihrem Grad an körperlicher und geistiger Fitneß ausgerichtet wird. Auch hier versagt der Gesetzentwurf der Bundesregierung, indem er in § 179 StGB - sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen - lediglich eine Anpassung in der Terminologie vornimmt, es jedoch unterläßt, das Strafmaß dem für Nötigung in § 177 - sexuelle Nötigung; Vergewaltigung - anzugleichen. Ich meine, das kann so nicht bleiben. Wir sollten darüber weiter intensiv diskutieren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist daher, wie ich abschließend feststellen möchte, aus unserer Sicht unzureichend. Diskutierenswert scheint mir hingegen der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zu sein. Ich meine, dieser Entwurf sollte zur Grundlage unserer weiteren Beratungen in den Ausschüssen werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf Drucksachen 13/8267 und 13/8548 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keine anderen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes - Drucksache 13/7554 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rezzo Schlauch, Dr. Antje Vollmer, Volker Beck ({1}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Versorgungsbezüge politischer Beamter - Drucksache 13/7320 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({2}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Rezzo Schlauch, Volker Beck ({3}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre - Drucksache 13/7329 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({4}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens für die Bundesregierung.

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung schlägt dem Deutschen Bundestag vor, das Bundesministergesetz zu ändern. ({0}) Es geht um die Regelung des Übergangsgeldes. Nach dem geltenden Ministergesetz ist bislang schon geregelt, daß die Einkünfte aus Tätigkeiten im öffentlichen Dienst sowie aus einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen angerechnet werden. Es soll jetzt so geregelt werden, daß auch Einkünfte aus einer privaten Berufstätigkeit vom zweiParl. Staatssekretär Manfred Carstens ten Monat anzurechnen sind. Das soll für die Regierungsmitglieder und Parlamentarischen Staatssekretäre gelten, die schon jetzt im Amt sind, und für alle jene, die zukünftig in solche Ämter kommen werden. Das ist vom Bundesrat diskutiert worden, ohne daß er Änderungsvorschläge gemacht hat. Ich bin davon überzeugt, daß diese Regelungen sehr schnell auch hier im Deutschen Bundestag zur Beschlußfassung und abschließenden Beratung gebracht werden können. Danke schön. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun das Wort dem Abgeordneten Peter Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht wieder einmal um Politik und Geld. Das ist eigentlich ein heißes Thema; deswegen legen es unsere Parlamentarischen Geschäftsführer immer in die kühlen Abendstunden. Neben mancher unberechtigten und zum Teil bösartigen Kritik an der Bezahlung der Politiker gibt es berechtigte Kritik an Sonderregelungen, an Privilegien und Vorteilen für Politiker. Wir tun gut daran, diese Kritik ernst zu nehmen. Heute stehen hier drei Sonderregelungen in erster Lesung zur Debatte, einmal die Anbindung der Gehälter der Bundesregierung an die Beamtenbesoldung, zum anderen die Übergangsgelder für ausscheidende Mitglieder der Bundesregierung und drittens die Bezahlung von politischen Beamten im einstweiligen Ruhestand. Die Ankoppelung der Gehälter der Bundesregierung an die Beamtenbesoldung ist für die Mitglieder der Bundesregierung eine schöne Sache, weil mit der Anhebung der Beamtengehälter Jahr für Jahr still und heimlich auch die Gehälter von Ministern und Staatssekretären angehoben werden. Eigentlich ist das ein Unding. ({0}) - Auf die Länder komme ich noch zu sprechen, keine Sorge; mit denen haben wir noch ein Hühnchen zu rupfen. An sich ist klar, daß der Bundeskanzler und die Bundesminister keine Beamten sind. Die Tatsache, daß die Bundesregierung mehrfach die Erhöhung nach dem Beamtengesetz für sich und ihre Mitglieder für jeweils ein Jahr ausgesetzt hat, loben wir. Diese Tatsache rechtfertigt unseren Vorschlag, die Ministergehälter zukünftig in einem Gesetz zu regeln und von der Beamtenbesoldung abzukoppeln. Die Grünen haben inzwischen ebenfalls einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ich bin guter Hoffnung, daß wir im Haus eine breite Mehrheit finden werden, da die Bundesregierung schon heute so verfährt. Wir würden - ich komme zu den Ländern, verehrter Herr Kollege - damit auch den Ministerpräsidenten und den Ministern der Länder ein gutes Beispiel geben. Sie haben bei der Regelung der Gehälter der Abgeordneten mit großem Nachdruck die verfassungspolitisch gebotene Transparenz und Öffentlichkeit gefordert. Bis jetzt warte ich leider vergeblich darauf, daß die Landesregierungen von SchleswigHolstein, von Hessen oder der Senat von Berlin bei sich für Transparenz und Öffentlichkeit sorgen, indem sie ihre Gehälter von der Beamtenbesoldung abkoppeln. Ich vermute, die Landesregierungen haben das wegen dringender anderer Geschäfte einfach vergessen. Wenn wir das für den Bund beschließen, werden sie uns mit Sicherheit folgen. ({1}) Der zweite Punkt, der Anlaß zu berechtigter Kritik gibt, sind die Übergangsgelder. Politische Ämter sind Ämter auf Zeit. Das Übergangsgeld soll nicht das bittere Ausscheiden aus dem geliebten Amt versüßen; das Übergangsgeld soll der oder dem Betroffenen den Übergang in eine neue berufliche Tätigkeit erleichtern. Deshalb hat der Bundestag für sich geregelt, daß ab 1998 bei allen Abgeordneten, die dann neu oder wiedergewählt werden, später alle Erwerbseinkünfte auf das Übergangsgeld angerechnet werden. Wir meinen, das ist eine vernünftige Lösung, zu der jetzt auch die Bundesregierung kommen will. Wir wollten einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegen. Im letzten Jahr hat sich die Bundesregierung noch geziert; aber nach dem Aufschrei der Öffentlichkeit über das Übergangsgeld für die aus dem Amt der Parlamentarischen Staatssekretärin in eine höherbezahlte Tätigkeit wechselnde Frau Yzer hat die Bundesregierung reagiert und einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem zukünftig die Erwerbseinkünfte auf das Übergangsgeld angerechnet werden. Wir freuen uns darüber, wir loben Sie dafür, und wir werden uns über die Details sicher einigen. Der dritte und letzte Punkt betrifft die politischen Beamten. Diese können ohne Angabe von Gründen jederzeit entlassen werden und erhalten fünf Jahre lang 75 Prozent ihres Gehalts. Es ärgert die Öffentlichkeit natürlich, daß kochbezahlte Beamte, zum Teil nach kurzer Amtsdauer, mit 75 Prozent ihres Ge- halts auf Staatskosten spazierengehen. Wir sind uns darüber einig, daß eine Bundesregierung politische Beamte jederzeit entlassen können muß. Ob es so viele sein müssen wie bei der derzeitigen Bundesregierung, kann man dahingestellt sein lassen. Ich will einräumen, daß auch ich eine ganze Reihe von politischen Beamten kenne, von denen nicht nur ich hoffe, daß sie im kommenden Herbst entlassen werden. ({2}) Für dieses Risiko muß der politische Beamte abgesichert werden. Die Frage, die die Bündnisgrünen zu Recht stellen, lautet, ob diese Absicherung so hoch und von so langer Dauer sein muß. Sie, Herr Häfner, haben das Problem dankenswerterweise angepackt und einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem dieser Mißstand abgebaut werden soll. Ich denke, wir könnten dabei auch prüfen, ob Erwerbseinkünfte, die politische Beamte im Ruhestand haben, auf ihr Übergangsgeld, auf ihre vorzeitige Pension angerechnet werden. Das wäre dann allerdings keine Schmerzgrenze - ich habe gelernt, daß Schmerzgrenzen in Deutschland neuerdings unterschritten werden -, sondern das wäre eine Grenze, die bei Überschreitung durch höhere Erwerbseinkünfte eher eine Freudengrenze darstellte. Heute ist es jedenfalls möglich, daß ein politischer Beamter im einstweiligen Ruhestand 75 Prozent seiner Bezüge erhält und nebenher hohe Erwerbseinkünfte hat. Es soll sogar vorkommen, daß ein derartiger Frühpensionär sein im Dienst der Bundesregierung erworbenes Wissen lukrativ vermarktet, möglicherweise sogar gegen seinen früheren Arbeitgeber. Das sollten wir ändern. Ich habe drei ungerechtfertigte Privilegien genannt, die wir beseitigen sollten. Es gibt noch andere ebenfalls ärgerliche, ja skandalöse Regelungen dieser Art, deren Abschaffung dringend geboten wäre; aber wir wollen das Hohe Haus nicht überfordern. Es wäre schon viel, wenn wir wenigstens diese drei Punkte gemeinsam regeln könnten. Wir bitten den Innenausschuß um zügige und sachgerechte Beratung. Man täte dem Innenausschuß unrecht, würde man ihn in seiner Mehrheit bezichtigen, daß er beim Abbau von Privilegien der Staatsdiener besonders eifrig wäre. Möglicherweise ist das nur ein Vorurteil, das der Innenausschuß gerade mit diesem Gesetz rasch ausräumen könnte. ({3}) - So ist es. Die drei Regelungen, um die es hier geht, werden in der Öffentlichkeit zu Recht beanstandet. Wenn wir diese Kritik ernst nehmen und derartige Sonderregelungenabschaffen, gewinnen wir an Glaubwürdigkeit und können dann andere, ungerechtfertigte Kritik mit größerer Überzeugungskraft zurückweisen. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Conradi, die ganz überwiegende Zahl der Beamten tut mehr als ihre Pflicht und verdient nur normales Geld. Das gilt von A 1 bis zur B-Besoldung. Sie sollten da differenzieren. Viele sogenannte Staatsdiener tun ihre Pflicht und Schuldigkeit. Dies muß zunächst einmal festgehalten werden. ({0}) Wir als Koalition haben durch den Bundesinnenminister den Versorgungsbericht für das öffentliche Dienstrecht bereits vorgelegt. Sie müssen das lesen oder Ihre Fachkollegen dazu befragen. Es ist doch fast beschlossene Sache, daß wir in puncto politische Beamte die Regelungen ändern werden. Das sind Ausnahmen, da gibt es Privilegien. Das haben wir bereits festgelegt, der Bundesinnenminister hat es diskutiert, und wir haben es veröffentlicht. Die Fünfjahresfrist werden wir natürlich kappen; das ist gar keine Frage. Es ist auch nicht richtig, daß dieses fünfjährige Spazierengehen auf die Pensionszeit angerechnet wird. Auch das werden wir ändern. Das ist genauso vorgesehen wie der Umstand, daß in Zukunft nebenbei durch Berufstätigkeit erworbene Gehälter angerechnet werden. Dies ist bereits so vom Kabinett beschlossen worden. Ein Großteil dessen, was Sie in Ihrer Rede angesprochen haben, ist also nahezu umgesetzt worden. ({1}) - Das ist überhaupt keine Frage. Das steht bereits fest. Ein Weiteres: Die Versorgung der Bundesminister und der Parlamentarischen Staatssekretäre ist natürlich stets ein Kritikpunkt. Aber ich warne davor, daß der Deutsche Bundestag - Herr Kollege Conradi, damit meine ich Sie gar nicht - zur Bühne einer Neiddebatte gemacht wird, wie - ich nenne sie ausdrücklich - es Herr von Arnim und Herr Däke vom Steuerzahlerbund andauernd tun. Es geht darum, die Unabhängigkeit der Regierungsmitglieder zu wahren. Es ist gut, daß private Einkünfte in Zukunft angerechnet werden. Eine Überversorgung ist in der Tat nicht in Ordnung. Aber Minister und Parlamentarische Staatssekretäre müssen unabhängig sein. Sie dürfen in dieser Zeit ihren Beruf nicht ausüben. Politik ist - das liegt in der Natur der Sache - ein Amt auf Zeit. Da ist natürlich eine Absicherung vonnöten. Kurz zum Vorschlag der Grünen: Manches von dem, was Sie vorgeschlagen haben, halte ich für problematisch, so zum Beispiel die Herabsetzung der Mindest- und Höchstbezugsdauer des Übergangsgeldes, die Senkung des Ruhegehaltshöchstsatzes auf 69 Prozent oder die Vollanrechnung der Abgeordnetendiäten. Sie wissen doch, meine Damen und Herren: Ein Minister oder ein Parlamentarischer Staatssekretär ist Bundestagsabgeordneter. Der leistet auch Entsprechendes als Abgeordneter in seinem Wahlkreis. Eine Vollanrechnung widerspräche eigentlich dem Alimentationsgrundsatz. Ich hielte dies nicht für in Ordnung. Lassen Sie uns doch ehrlich über folgendes reden: Ministerämter sind Spitzenpositionen in der BundesErwin Marschewski republik Deutschland. Das ist klar: Die Besten sollen Minister werden. ({2}) Das wird am Gehalt nicht deutlich. Ein Sparkassendirektor in einer mittleren Großstadt verdient mehr als ein Bundesinnenminister oder als ein Bundesaußenminister. Auch darüber muß einmal geredet werden. In einem Punkt kann ich mich Ihrer Haltung annähern: Es ist sicherlich diskutabel, zu fragen, ob bei einer Erhöhung der Beamtenbezüge automatisch die Ministergehälter angehoben werden. Sie haben recht: Dies gilt insbesondere für die Landesregierungen. Denn die Länderparlamente werden mit überhaupt keiner Gesetzesänderung befaßt. Wir wissen wenigstens davon, weil wir über die Beamtenbesoldung befinden und abstimmen. Die Länderparlamente werden damit überhaupt nicht befaßt. Sie haben manchmal überhaupt keine Kenntnis von den Gehaltserhöhungen ihrer Minister. Dies - ich sage dies sine ira et studio, ({3}) Herr Kollege, nicht so engagiert wie Sie - müßte sich ändern. Ich will nicht aufrechnen. Ich will auch nicht Dinge aus der Vergangenheit so mit zu Rate ziehen, daß es doch den Eindruck einer Neiddebatte erweckt. Meine Damen und Herren, ich will mangels Zeit - aber man hat auch genug darüber geredet, denke ich - zum Schluß kommen, in diesem Zusammenhang ausnahmsweise mit Machiavelli, weil er hier recht hat. Er hat etwas Interessantes gesagt: Ein guter Minister sollte an seinem Lebensende reicher an Ruhm und an guten Taten geworden sein als an Vermögen. Ich finde, das ist ein guter Appell. Aber dies gilt in Deutschland doch für nahezu alle Politiker, insbesondere für die erfolgreichen Minister dieser Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerald Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es kann der Politik nicht egal sein, wenn immer mehr Menschen sich von ihr abwenden. Demokratie braucht die Akzeptanz und das Engagement der Menschen wie wir alle die Luft zum Atmen. Deshalb sollten wir dort, wo Politiker oder auch vorhandene Strukturen den Menschen zu Recht Anlaß geben, sich verständnislos oder empört abzuwenden, äußerst hellhörig sein und das uns Mögliche tun, um solche Fehler oder Mißstände zu beseitigen. Ich meine, daß diese Gesellschaft insgesamt ein massives Gerechtigkeitsproblem hat und daß sich das in den letzten Jahren durch die Politik dieser Bundesregierung erheblich verschärft hat. Während manche Menschen überhaupt nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, gibt es viele andere - ihre Zahl wächst ständig -, die in echter Armut leben. Diese Menschen haben natürlich kein Verständnis, wenn sie in der Zeitung lesen, daß einzelne unserer Kollegen gleichzeitig aus verschiedenen öffentlichen Kassen in der Höhe nicht mehr nachvollziehbare Alimentationen erhalten und vieles andere mehr. Ich meine, daß wir im Deutschen Bundestag hier bereits eine Menge getan haben, um die schlimmsten Mißstände zu beseitigen, und teilweise zu Regelungen gekommen sind, die ich für sehr gut vertretbar halte. Ich meine aber, daß die Bundesregierung ihre Hausaufgaben in überhaupt keiner Weise gemacht hat und daß es dringend nötig ist, daß dies nun endlich auch auf Regierungsseite angemessen geregelt wird. Der Fall Yzer hat die ganze Sache in die Öffentlichkeit gebracht. Der Mißstand bestand aber schon viel länger. Ich verstehe, daß die Menschen kein Verständnis hatten für das, was damals passiert ist. ({0}) Frau Yzer wiederum hat nicht verstanden, daß das überhaupt ein Skandal war. Sie sprach von einer „Kampagne, die mich einfach überrollt hat". Sie hatte insofern recht, als ihr nur das zugewachsen war, was ihr von Gesetzes wegen zustand. Es war kein Skandal, bei dem sich Frau Yzer in irgendeiner Weise widerrechtlich bereichert hätte. Niemand hat ein Gesetz gebrochen. Niemand hat unrechtmäßig in eine Kasse gegriffen. Der Skandal war nicht so sehr das Verhalten von Frau Yzer; sie hat am Ende auf das Geld sogar verzichtet. Der Skandal war vielmehr das Gesetz selbst. Deshalb ist es gut und dringend nötig, daß wir jetzt an die Änderung dieses Gesetzes gehen. Ich will aber deutlich sagen: Die Bundesregierung springt hier bei weitem nicht weit genug. Es ist gut, daß Sie jetzt den Vorschlag machen, auch alle privaten Einkünfte auf das Übergangsgeld anzurechnen. Das ist eine Forderung, die wir schon lange vertreten und die wir für die Abgeordneten bereits seit langem verwirklicht haben. Ich habe aber den Eindruck, daß hier mit einem eilig zusammengeschusterten Gesetzentwurf nur die schlimmsten öffentlich bewußt gewordenen Probleme in einer Art Flickschusterei aufgegriffen worden sind und daß alle anderen Probleme unberücksichtigt, unbedacht und ungelöst geblieben sind. Deswegen gehen wir in unserem Entwurf einen ganzen Schritt weiter. Der entscheidende Maßstab ist für mich zunächst einmal dasjenige, was wir hier im Haus für uns selbst, nämlich für die Abgeordneten, beschlossen haben. Ich glaube, daß einiges draußen wirklich nicht nachzuvollziehen ist. Ich nehme ein ganz konkretes Beispiel: Übergangsgeld. Übergangsgeld hat den Sinn - da ist es auch berechtigt -, einen Übergang zum Beispiel zwischen Parlamentstätigkeit oder Amt als Minister, als Staatssekretär und einer anschließenden späteren Berufstätigkeit zu überbrücken. Um diesen Übergang, die Rückkehr in den Beruf, zu erleichtern, dafür wurde das Übergangsgeld geschaffen, mitnichten aber, um parallel zu anderen Einkommen bezogen zu werden. Das wird nun geändert. Aber was nicht geändert wird, ist die Höhe der Übergangsgelder. Abgeordnete erwerben, wenn sie ein Jahr im Parlament tätig sind, Übergangsgelder für einen Monat. Da lautet die Formel: zwölf zu eins. Regierungsmitglieder bekommen für jeden Monat ihrer Regierungszeit einen Monat Übergangsgeld. ({1}) - Ich rede von dem, was wir hier gesetzlich regeln können. Ich bin froh, wenn Sie das in Ihrem Bundesland auch anpacken. Lassen Sie uns jetzt aber das in Angriff nehmen, was wir hier verwirklichen können. ({2}) Ich möchte eine Gleichstellung in der Weise, daß bei den Regierungsmitgliedern die gleiche Formel gilt wie bei den Abgeordneten. Ich möchte auch, daß der Steigerungssatz beim Erwerb des Ruhegehaltes von rund 7 Prozent pro Jahr in den ersten vier Amtsjahren, wie es jetzt geregelt ist, abgesenkt wird auf eine konstante Steigerungsrate von 3 Prozent. Ich möchte, daß die Obergrenze genau wie bei den Abgeordneten bei 69 Prozent liegt. Ich kann nicht nachvollziehen, daß die Obergrenze der Altersbezüge von Abgeordneten bei 69, aber die der Regierungsmitglieder bei 75 Prozent liegt. Das ist mir weder demokratiepolitisch noch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit verständlich. Unsere Formel lautet also: Sechs Monate Mitgliedschaft in der Regierung entsprechen einem Monat Übergangsgeld. Das Übergangsgeld soll im Höchstfall nur noch 18 Monate gezahlt werden und nicht mehr wie bisher drei Jahre. Auch hier möchte ich eine Angleichung an die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten. Das zweite, was ich für bitter notwendig halte: Wir sollten endlich alle zusammen die immer noch bestehende Möglichkeit der Doppelalimentation verhindern: Bundesminister sind in der Regel, parlamentarische Staatssekretäre sind immer zugleich auch Abgeordnete dieses Hauses. Bis heute ist die Doppelalimentation möglich, weil die Diäten beim Zusammentreffen dieser beiden Ämter nur um die Hälfte gekürzt werden. Ich meine, daß dies nicht aufrechterhalten werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1975 in unser Stammbuch geschrieben, der Gesetzgeber solle durch entsprechende Anrechnungsvorschriften sicherstellen, daß nicht in einer Person zwei Bezüge aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter zusammentreffen können: die Abgeordnetenentschädigung und beispielsweise das Gehalt eines Hochschullehrers, eines Parlamentarischen Staatssekretärs, eines Ministers. Sie würden also, wenn Sie heute, 1997, unserem Gesetzentwurf zustimmen, endlich das tun, was 1975 das Bundesverfassungsgericht bereits verlangt hat. Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Herr Conradi hat es ebenfalls schon erwähnt. 69 von 71 hochrangigen politischen Beamten, die in der Regierungszeit von Helmut Kohl ihren Hut nehmen mußten, sind im öffentlichen Dienst nicht wieder untergekommen. Sie spazieren als Bonns teuerste Spaziergänger mit 75 Prozent ihrer Bezüge durch die Rheinauen. Die Versorgung von dieser Art in den Ruhestand versetzten politischen Beamten hat die Bundesregierung in den letzten 15 Jahren etwa 65 Millionen DM gekostet. Wir wollen auch hier eine Kürzung der Bezüge. Wir wollen die Menschen nicht ins Bodenlose fallenlassen. Keineswegs. Wir wollen auch keine Neiddebatte führen. Aber wir wollen, daß Gerechtigkeit auch hier greift. Wir schlagen deshalb eine Kürzung dieser Bezüge von 75 auf 66 Prozent im zweiten und auf 50 Prozent in einem dritten und letzten Jahr nach dem Ausscheiden vor. Es gibt einen Fall eines Beamten - ich will den Namen nicht nennen -, der im Alter von 39 Jahren aus dem Bundesfinanzministerium ausgeschieden ist und mit gigantischen Bezügen seinen Ruhestand pflegen kann. Ich glaube, daß dafür zu Recht niemand Verständnis hat. Auch hier wollen wir also eine entsprechende Kürzung. Ich möchte nicht nur, daß wir auf diese Weise die unnötige Verschwendung, die sich im Hofstaat dieser Bundesregierung breitgemacht hat, beenden. Vielmehr hoffe ich, daß wir einen Beitrag zu transparenten, nachvollziehbaren, gerechten Strukturen und zu Verhältnissen bei den Altersbezügen und bei den Übergangsgeldern in der Weise leisten können, daß die Bevölkerung dem zustimmen kann, und daß wir die Enttäuschung, die bisher ausgelöst wurde, damit in Zukunft vermeiden können. ({3}) Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Darlegungen an den drei Problemen orientieren, die Herr Conradi vorhin aufgezeigt hat. In der Tat hat der Innenausschuß, den Sie freundlicherweise zitiert haben, zu Beginn dieses Jahres heftige Kritik daran geübt, daß die Bezüge der Ministerpräsidenten und Minister der Bundesländer automatisch ansteigen, wenn der Bundestag die Besoldung der Bundesbeamten entsprechend verändert. Es gibt allerdings einen Unterschied zu dem von Ihnen aufgegriffenen Punkt, daß diese Ankoppelung auch für die Mitglieder der Bundesregierung gilt. Wenn wir die Besoldung der Bundesbeamten beschließen und dies Auswirkungen auf die Besoldung der Landesminister hat, entscheiden wir über eine andere Verfassungsebene mit. Der eigentliche Skandal, den es hier zu benennen gilt, ist, daß die Länder, die im Zeichen des föderalistischen Systems so sehr auf ihre Eigenstaatlichkeit Wert legen, nicht in der Lage und nicht willens sind, über die Besoldung ihrer eigenen Repräsentanten in einem . offenen und transparenten Verfahren in den Landtagen selbst zu entscheiden. Das war der Hauptgrund unserer Rüge. Ich habe mich deshalb an den Freistaat Bayern gewandt, damit er dieses ändere. Denn insbesondere der Freistaat Bayern pocht - selbstverständlich zu Recht - bei jeder Gelegenheit auf seine Eigenstaatlichkeit. Aber unser früherer Kollege Professor Faltlhauser, jetziger Leiter der Staatskanzlei, hat mich leider abschlägig beschieden. Auch Bayern denkt wie andere Länder nicht daran, diesen beklagenswerten Zustand zu ändern. Dagegen wird es mit Sicherheit bei dem zweiten Problemkreis, den Sie angesprochen haben, eine Änderung geben, nämlich bei der Versorgung politischer Beamter. Herr Marschewski hat es schon gesagt, und ich bestätige Ihnen dies noch einmal: In der Koalition sind wir uns einig, daß die Versorgung politischer Beamter im Zuge der Umsetzung des Versorgungsberichts neu zu regeln ist. Das heißt im Klartext: Die Versorgung politischer Beamter wird reduziert werden. Zudem soll die Zahl der politischen Beamten auf der Bundesebene ohnehin erheblich verringert werden, und zwar um fast 40 Prozent. Wir von der F.D.P. haben uns fest vorgenommen, bei dem bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren eine deutliche Verringerung der Versorgungsbezüge politischer Beamter und eine Änderung der Randbedingungen durchzusetzen, damit die auch von Herrn Häfner heute wieder zitierte Redensart von den „bestbezahlten Spaziergängern der Nation" bald der Vergangenheit angehört. In dem dritten Punkt sind wir uns weitgehend einig. Mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Bundesministergesetzes vollzieht die Bundesregierung - man muß es in aller Deutlichkeit sagen - einen längst überfälligen Schritt: Erwerbseinkünfte ausgeschiedener Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarischer Staatssekretäre aus privater Berufstätigkeit werden künftig auf das Übergangsgeld angerechnet. Dies ist die richtige Lösung. Es gibt keinen Zweifel, daß das Übergangsgeld als solches eine Rechtfertigung hat. Ich rufe noch einmal das, was bisher nur nebenbei gesagt wurde, ins Gedächtnis: Den Mitgliedern der Bundesregierung und den Parlamentarischen Staatssekretären ist es kraft Gesetzes verwehrt, neben ihrem Amt eine andere Berufstätigkeit auszuüben. Deswegen ist die Zahlung eines Übergangsgeldes vorgesehen, um nach dem Ausscheiden aus dem Amt eine neue berufliche Existenz aufbauen zu können. Richtig ist, daß die Anrechnung privater beruflicher Einkünfte ebenfalls zwingend ist. Es ist in der Gesetzgebung nun einmal so: Es ist keine Seltenheit, daß es manchmal erst konkreter Fälle bedarf, bevor eine Gesetzesänderung versucht wird, was auch früher schon richtig gewesen wäre. Die F.D.P. begrüßt darüber hinaus ausdrücklich, daß diese Neuregelung nicht etwa erst ab der nächsten Legislaturperiode gelten soll, sondern gegebenenfalls schon die derzeitigen Mitglieder der Bundesregierung und die derzeitigen Parlamentarischen Staatssekretäre betrifft. Zu Recht wird in dem Entwurf allerdings von einer Rückwirkung der Neuregelung abgesehen. Dem stehen nämlich durchschlagende verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Insgesamt verdient daher der von der Bundesregierung vorgelegte und heute zu diskutierende Gesetzentwurf Zustimmung. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, würde ich die Bundesregierung gerne auffordern, daß sie ihren Gesetzentwurf wegen Befangenheit zurückzieht. In eigener Sache kann man gar nicht anders, als ein solch halbherziges Alibigesetz vorzulegen. ({0}) Der Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht wesentlich weiter, weil er komplexer ist und nicht nur die Anrechenbarkeit von Vorruhestandsgeldern, Rlhestandsgeldern, Übergangsgeldern und was weiß ich alles erfaßt. ({1}) Ich denke aber, man müßte auch hier weitergehen. Ich komme darauf noch zu sprechen. ({2}) Herr Kollege Marschewski, es geht nicht um eine Neiddebatte. Es ist einfach den Bürgerinnen und Bürgern nicht länger vermittelbar, daß sie selber immer wieder aufgefordert werden, den Gürtel enger zu schnallen, reale Einkommensverluste hinzunehmen und den Abbau von sozialen Leistungen zu akzeptieren, ({3}) während andererseits ausscheidende Minister oder Staatssekretäre bereits nach relativ kurzer Zeit überhöhte Versorgungsbezüge empfangen. Es werden Übergangsgelder gezahlt, bei denen man eigentlich schon von einer Dauerversorgung sprechen kann. ({4}) Wenn Sie von einem Amt auf Zeit sprechen, entgegne ich Ihnen, Herr Marschewski: Es muß ja keiner Minister oder Staatssekretär werden. Eine andere Frage lautet: Welcher Job in der freien Wirtschaft ist denn heute überhaupt noch sicher oder ein Amt auf Dauer? ({5}) Für ebenso problematisch halten wir die nach wie vor nicht eingeschränkte Doppelalimentation. Darüber ist schon gesprochen worden. Dem kann man unter anderem durch eine Bestimmung über die Nichtvereinbarkeit von Ministeramt und Abgeordnetenmandat abhelfen. Das ist schon in den Ländern diskutiert worden und das müßte jetzt auch auf Bundesebene diskutiert werden. Da Sie Hans Herbert von Arnim und sein Buch „Der Staat als Beute" nicht besonders mögen, zitiere ich ihn mit besonderem Vergnügen: Der mit 31 Jahren berufene Staatssekretär, der mit 32 Jahren in den einstweiligen Ruhestand tritt, die prominente Sportlerin, die zur Staatssekretärin berufen und nach kürzester Zeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird, weil sie dem Amt nicht gewachsen ist, sind keine Erfindungen. So weit Hans Herbert von Arnim. Auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Schlauch sind eine ganze Reihe von Beispielen genannt worden. Das ist Realität. Sie alle hatten bisher die Möglichkeit, sich schamlos am Staatshaushalt zu bereichern. Daß da endlich so ein kleines Riegelchen vorgeschoben wird, ist letztlich zwei Frauen zu verdanken, denen hier schon genügend Respekt gezollt worden ist. ({6}) Meines Erachtens geht aber das Problem weit über das Thema Besoldung hinaus. Hier sollte am Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen weitergearbeitet werden, es sei denn, man spekuliert darauf, nach der nächsten Wahl ebenfalls Staatssekretärsposten zu bekommen. ({7}) Wir meinen, daß der Sinn des politischen Beamtentums im Rahmen parlamentarischer Demokratie schon zu hinterfragen ist. Oder konkreter: Entspricht diese Institution „Parlamentarischer Staatssekretär" überhaupt der strikten Trennung von Exekutive und Legislative? Ist diese Hierarchie, daß es Abgeordnete erster Klasse, nämlich die Parlamentarischen Staatssekretäre, und Abgeordneter zweiter Klasse, die normalen Abgeordneten, gibt, mit der parlamentarischen Demokratie überhaupt vereinbar? Schneider/Zeh schreiben in ihrem Buch „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland" dazu sehr unmißverständlich, daß Parlamentarische Staatssekretäre - bitte nicht persönlich nehmen -, deren Zahl ja in den letzten Jahren inflationsartig zugenommen hat, zu einer „reinen Verfügungsmasse bei Koalitionsverhandlungen" geworden seien. ({8}) Herr Kollege Schreiner hat gestern übrigens sehr respektlos von Hilfssheriffs gesprochen. Wir meinen, daß hier dringend eine Reform geboten ist. Allerdings ist dazu von der gegenwärtigen Regierung nicht mehr allzuviel zu erwarten. Noch ein Grund, sie in den nach wie vor gutbezahlten Ruhestand zu schicken. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/7554, 13/7320 und 13/7329 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis d auf: a) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungen der DDR in einem spezifischen Versorgungssystem - Drucksache 13/7118 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR - Drucksache 13/7119 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Post und Telekommunikation Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch c) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf Renten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR - Drucksache 13/7536 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß d) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf berufsbezogene Zuwendungen von Ballettmitgliedern aus der DDR - Drucksache 13/8463 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS 5 Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl seit Verabschiedung des Anwartschaftsüberführungs-Ergänzungsgesetzes im September 1996 der Anschein erweckt wird, in Sachen Rentenüberleitung Ost sei nun alles geregelt, können und wollen wir Ihnen diese Debatte nicht ersparen. Denn mit der alleinigen Überführung aller Ansprüche und Anwartschaften auf Altersruhegelder der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik sind mit dem Renten-Überleitungsgesetz bewußt Verträge der deutschen Einheit gebrochen worden. Dieser Systementscheid hat nicht, wie oft von Ihnen behauptet, Privilegien abgeschafft, sondern rechtmäßig erworbene Ansprüche liquidiert. ({0}) - Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. - In den neuen Bundesländern werden nicht nur Professorinnen und Professoren oder höhere Staatsbedienstete auf ein Drittel bis maximal die Hälfte der Bezüge ihrer Altersgefährtinnen und -gefährten vergleichbarer Berufsgruppen in den alten Bundesländern verwiesen, sondern auch Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Zugschaffner, Briefträgerinnen, medizinisch-technische Assistentinnen, um nur einige zu nennen. Aber gleich welche soziale Stellung oder welcher Beruf: Es widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, überwiegend mit Beiträgen erworbene Versorgungszusagen im Zuge der deutschen Einheit einfach fallenzulassen. ({1}) Zu Recht empfinden die Betroffenen dies als Diskriminierung . Natürlich ist auch uns klar, daß Ruheständlerinnen und Ruheständler sowie Anspruchsberechtigte rentennaher Jahrgänge nicht einfach den einzelnen Trägern des vielgegliederten Alterssicherungssystems der Bundesrepublik zugeordnet werden konnten. Das verbieten schon deren Finanzierungswege, wie das Kapitaldeckungsverfahren bei den berufsständischen Versorgungssystemen oder die tarifvertragliche Absicherung der Versorgungen von Bund und Ländern. Deshalb schlagen wir ein zeitlich befristetes Versorgungssystem besonderer Art, ein Versorgungssystem sui generis, vor. Die Finanzverantwortung für die in der DDR im Umlageverfahren beglichenen Ansprüche muß in erster Linie beim Bund liegen, unter Beteiligung der neuen Bundesländer. Um deren Belastung in Grenzen zu halten, schlagen wir vor, die Erstattungsregelung der neuen Bundesländer für gesetzliche Renten ehemals Zusatz- und Sonderversorgter aufzuheben und die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung sachgerecht vom Bund tragen zu lassen. Damit bekämen die neuen Länder ausreichenden Spielraum für eine Beteiligung an dem Versorgungssystem sui generis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Installierung dieses Versorgungssystems sollte unseres Erachtens auch der untragbare Zustand beseitigt werden, der für Tänzerinnen und Tänzer mit dem Wegfall ihrer berufsbezogenen Zuwendung eingetreten ist. Weil nur kurzzeitig auszuüben, findet der Tanzberuf in fast allen Ländern Europas eine mehr oder minder gelungene Absicherung für das Leben danach. Die DDR-Regelung für zuletzt knapp 1000 um das 40. Lebensjahr aus dem Beruf ausgeschiedene Tänzerinnen und Tänzer ersatzlos zu streichen, verweist nicht nur viele auf den entwürdigenden Gang zum Sozialamt, sondern mißachtet auch den Minimalanspruch an Vertrauensschutz. Wir appellieren an alle in diesem Hause, unsere Anträge ohne parteipolitische Verblendung zu betrachten. Wir haben Varianten für die Berechnung noch ausstehender Versorgungsansprüche vorgeschlagen. Die konkrete Ausgestaltung obliegt natürlich einem von der Bundesregierung auszuarbeitenden Gesetzentwurf. Eines müßte Ihnen klar sein: Sie werden sich um dieses Thema nicht herummogeln können. In den neuen Bundesländern neugegründete Vereine und Initiativen wehren sich genauso wie etablierte Verbände und Gewerkschaften schon heute unüberhörbar. ({2}) - Stellen Sie doch bitte eine Zwischenfrage, und machen Sie nicht immer solche unqualifizierten Zwischenrufe. ({3}) Westkolleginnen und -kollegen erklären sich solidarisch mit ihren Ostkolleginnen und -kollegen. Etliche Vertreterinnen und Vertreter haben mit ihrer Fachkompetenz an der Erarbeitung unserer Anträge mitgewirkt. ({4}) Ich kann Ihnen verraten: Es handelt sich hierbei durchaus nicht nur um sogenannte „PDS-Klientel"; - wobei selbst dieser Begriff ein fragwürdiger ist. Meine Damen und Herren, es ist unwürdig, hochbetagte Menschen auf die lange Bank der Sozialgerichtsbarkeit zu schieben. Die dort zur Zeit gefällten Urteile stärken außerdem beim besten Willen nicht das Vertrauen in den Rechtsstaat. Wenn Richter ver künden, daß keine Beschwer vorliege, wenn die Klägerin mit der SGB-VI-Rente heute, 1997, mehr bekommt als mit dem aus DDR-Zeiten stammenden Zahlbetrag von Sozialversicherungsrente und Zusatzversorgung, dann ist die eigentliche Problemlage verkannt. Ich nenne nur das Stichwort der Erhöhung der Lebenshaltungskosten. Hier werden wieder einmal Äpfel mit Birnen verglichen. ({5}) Meine Damen und Herren, es geht um Lebensstandardsicherung und Lebensstandardwahrung - um nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Gesetzgeber ist hier also eindeutig in der Pflicht. Nehmen wir die Verantwortung wahr! ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Manfred Grund das Wort.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In diesem Hause werden schwierige Themen behandelt. Insbesondere die Überleitung der Rentenversicherung Ost, die Überleitung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung ist wohl einer der schwierigsten Bereiche, die man behandeln kann. Das Ganze ist nicht nur deshalb so schwierig, weil das oft zitierte Rentenchinesisch wenig zur Klarheit und Offenheit beiträgt, sondern weil jeder in dem Rentenbescheid, den er zugeschickt bekommt, auf Mark und Pfennig nachlesen kann, was der Gesetzgeber getan und was er nicht getan hat. Ich vertrete hier die neuen Bundesländer und sage: Solange bei den Rentenanwartschaften, bei den Rentenansprüchen noch Unterschiede vorhanden sind - und die wird es wohl noch lange Zeit geben -, wird uns dieses Thema nicht in Ruhe lassen. Als wir das Renten-Überleitungsgesetz 1996 geändert haben, haben wir nicht geglaubt, daß es zu einer großen Befriedung führen wird, wir uns um irgend etwas herum mogeln könnten. Nein, wir wollten ein Stück mehr Einzelfallgerechtigkeit haben. Ich glaube, 100 000 Rentenbezieher, die damals aus der Kappung herausgenommen worden sind, haben dies sehr dankbar registriert. Aber: Solange Unterschiede da sind - und es muß sie einfach geben, weil man heute einen Hochschulprofessor in der ehemaligen DDR in seinen Bezügen nicht gleichstellen kann mit einem Hochschulprofessor in den alten Bundesländern -, werden wir uns damit zu beschäftigen haben. Das Interessante dabei ist, daß sich ausgerechnet die PDS, der Staatsbankrotteur der DDR, hinstellt und „Haltet den Dieb! " ruft. Dabei sind Sie der Dieb gewesen. 40 Jahre zerstörte Lebenserwartungen, zerstörte Lebensperspektiven kann die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik nicht ausgleichen. Das, was Sie an Verwerfungen verursacht ha- ben, können wir in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausgleichen. Das muß man all denjenigen sagen, denen Sie ungerechtfertigterweise Hoffnungen machen, die niemand von uns erfüllen kann. Denn aus diesen enttäuschten Hoffnungen können mitunter richtige Probleme entstehen. ({0}) - Wenn Sie sich aufregen - Herr Präsident, ich bin jetzt vorsichtig in dem, was ich sage -: Ihr Handeln ähnelt dem eines Brandstifters, der ein Wohnhaus in Brand setzt, die Feuerwehr beim Eintreffen und beim Löschen nach Kräften hindert und sich anschließend über Wasserschäden beschwert. Sie haben diese Lebensperspektiven zerstört. Alles, was wir mit dem Renten-Überleitungsgesetz machen, das hier 1990/1991 beschlossen worden ist, ist eigentlich immer nur Reparaturbetrieb. Aber es ist mehr, als die Menschen aus der Sozialhilfe herauszunehmen. Die Menschen in den neuen Bundesländern, 4 Millionen Rentner, haben das erste Mal für ihre Lebensleistung eine entsprechende Anerkennung und zum Teil das erste Mal überhaupt richtig Geld in der Hand. ({1}) Ich weiß, wovon ich rede; ich habe heute eine Besuchergruppe hiergehabt, die mir das bestätigt hat. An dieser Stelle verweist der Redner der Koalition - in dem Fall bin ich das - darauf, wie hoch die Renten 1989 gewesen sind, wie hoch sie heute sind. Er verweist darauf, daß die durchschnittliche Rente in den neuen Bundesländern schon um 100 DM höher liegt als die durchschnittliche Rente in den alten Bundesländern. Das hat gute Gründe: Das hat mit der Versicherungsbiographie zu tun, mit der höheren Erwerbstätigkeit und der Neigung der Frauen, selber zu arbeiten. Aber: Das alles kann ich mir ersparen, weil ich weiß, wohin das führt. Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel: Jedesmal, wenn wir sagen, das haben wir erreicht, in dem Bereich haben wir Verbesserungen herbeigeführt, die viel Geld kosten und eine große solidarische Leistung darstellen, weil sie von denjenigen getragen werden, die im Westen wohnen, arbeiten und leben - die Mittel werden ja in den Osten transferiert -, liegt der Igel in der Furche. Jedesmal sagt der Igel: Geschenkt, Haken dran, das haben wir alles schon gehabt, wir wollen noch mehr. Meine Damen und Herren, wir dürfen angesichts dieses Bemühens überhaupt keinen Zweifel daran lassen, daß das, was die PDS propagiert, mehr zur Spaltung beiträgt als alles das, was wir richtigerweise an kleinen substantiellen Verbesserungen herbeigeführt haben. ({2}) - Ich komme noch zur Reichsbahn. Vielleicht sollte man sich noch einmal die Geschichte vergegenwärtigen und sich überlegen, warum es denn dazu gekommen ist, daß die staatliche Sozialversicherung, daß die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung West überführt worden sind. Der Grundstein dazu wurde mit dem ersten Staatsvertrag und später dann mit dem Einigungsvertrag gelegt. Darin wurde die Überführung dieser Versorgungssysteme und der in diesen Versorgungssystemen erworbenen Ansprüche in die einheitliche gesetzliche Rentenversicherung vollzogen. Für den Gesetzgeber bestand zu diesem Zeitpunkt keine Verpflichtung dazu, insbesondere bestand nicht die Verpflichtung, die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme - um die geht es ja in Ihren Anträgen - in die gesetzliche Rentenversicherung zu übernehmen. Denn all diese Ansprüche und Anwartschaften sind außerhalb der Sozialversicherung erworben worden. Für diese Regelung gab es aber gute Gründe, und zwar solche der Gleichbehandlung. Zwei dieser Gründe möchte ich aufführen. Erster Grund: Alle Personen, die bis zum Juni 1990 die damalige DDR verlassen haben, sind in der Bundesrepublik nach dem Fremdrentengesetz berentet worden. Sie sind also nicht jemandem gleichgestellt worden, der 25, 30 oder 40 Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung West eingezahlt hat. Zweiter Grund: Wir konnten nicht abwarten, bis das letzte berufsständische Versorgungswerk bereit gewesen wäre, einen Anteil der Pensions- und Rentenbezieher in den neuen Bundesländern zu übernehmen. Darauf müßten wir wahrscheinlich heute noch warten. Es gab also für den Gesetzgeber gute Gründe, schnell zu handeln. Er hat gehandelt: Er hat die Anwartschaften und die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung überführt. Diese Systementscheidung - letztendlich wollen Sie mit Ihrem Antrag, ein eigenständiges Versorgungswerk zu errichten, diese Systementscheidung rückgängig machen - bedingt natürlich die Einordnung der überführten Ansprüche und Anwartschaften in die Rentensystematik. Das bedeutet aber auch eine Unterwerfung unter die Beitragsbemessungsgrenze. Alle Einkommen, die über dieser Beitragsbemessungsgrenze liegen, sind im Westen nicht gesetzlich rentenversichert und können es im Osten konsequenterweise auch nicht sein.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bläss.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Grund, ich möchte mich mit einer ganz simplen Frage an Sie wenden. Haben Sie unsere Anträge wirklich gelesen? Wenn Sie sie gelesen hätten, dann würden Sie wissen, daß wir zwar die Systementscheidung kritisieren, aber eindeutig feststellen, daß die Systementscheidung unumkehrbar ist. Deshalb fordern wir ja auch dieses befristete Versorgungssystem der besonderen Art. Ich möchte Sie auch fragen, ob Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, daß im Staatsvertrag und im Einigungsvertrag - das sind die Dokumente, die Sie eben zitiert haben - gerade festgeschrieben worden ist, daß es um eine Überführung der Anwartschaften der Zusatzversorgungssysteme geht.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Bläss, Sie haben in Ihren Ausführungen gesagt, daß mit dem Einigungsvertrag und mit dem ersten Staatsvertrag Anwartschaften eigentlich liquidiert worden sind. Das ist fachlich und sachlich falsch. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz sind diese Anwartschaften gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung nämlich überhaupt erst begründet worden. Ich habe ausgeführt, daß die Systementscheidung aus den von mir genannten Gründen zwingend notwendig gewesen ist. Jeder, der die Systementscheidung aufheben will, muß sich fragen, wie er die Verträge, die dazu geführt haben, bei der Kompetenzverteilung, die wir zwischen Bund und Ländern haben, verändern will. Sie sind in Ihrem Antrag auf diesen Punkt eingegangen und haben gesagt, der Bund solle das finanzieren, weil die Rentner es nicht könnten. Ein Teil dessen, was zu finanzieren wäre, ist aber Ländersache. Damit ist der Bundesgesetzgeber der falsche Ansprechpartner, die gesetzliche Rentenversicherung der falsche Ansatzpunkt. Ich bin hier in einem Zwischenruf nach der Versorgung der Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn gefragt worden. Damit einem einmal klar wird, welche Konsequenzen das alles hat, muß ich folgendes ausführen: Zum 1, Januar 1956 ist in der damaligen DDR wieder eine eigenständige Versorgung der Reichsbahner eingeführt worden, die nach 1945 zeitweise liquidiert gewesen ist. Die Zusagen dieser eigenständigen Versorgung lagen - wie bei allen diesen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen - natürlich über dem Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung; denn sonst hätten sie ja keinen Sinn gemacht. Ab dem 1. März 1971 wurde in der damaligen DDR die Freiwillige Zusatzrentenversicherung mit der Maßgabe eingeführt, daß derjenige, der ein Einkommen von über 600 Mark hatte, sich zwar versichern konnte, aber dafür Beiträge zahlen mußte. Viele Reichsbahner haben damals darauf vertraut, daß die Versorgungszusage nach der Reichsbahnerversorgung höher als das ist, was sie in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung erreichen können, zumal sie dazu auch noch Beiträge zahlen mußten. Sie haben dann entweder darauf verzichtet, diese Beiträge zu zahlen, weil sie gewußt haben, daß ein aktueller Konsumentzug nicht zu mehr Rente führen würde, oder - in dieser Hinsicht bin ich nicht ganz im Konsens mit dem BMA - sie konnten nicht einzahlen, weil sich die Deutsche Reichsbahn geweigert hat, ihren Eigenanteil zu bezahlen. Denn die war der Meinung, sie zahle bereits in die Reichsbahnerversorgungskasse ein. Zum 1. Januar 1974 ist dann die Reichsbahnerversorgung auf die Sozialversicherung zuzüglich der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung umgestellt worden; dann mußten sich alle Reichsbahner versichern. Ich habe mit vielen Reichsbahnern diskutiert, und sie sagen jetzt: Für die Jahre 1971 bis 1973, in denen wir nicht einzahlen konnten - manche vielleicht auch nicht einzahlen wollten; darüber wird noch zu reden sein wollen wir einen Ausgleich, wollen wir so gestellt werden, als hätten wir eingezahlt. Was aber sagen wir denen, die in diesem Zeitraum eingezahlt haben, die auf 60 Mark ihres Einkommens verzichtet und es dort angelegt haben? - Hier gibt es ein paar Probleme. Man sieht an der Knappschaft, daß höhere Einzahlungen zu höheren Renten führen. In der Knappschaft, in der Knappschaftsversicherung wurden tatsächlich höhere Beiträge geleistet, und aus diesen höheren Beiträgen resultieren die zur Zeit höheren Entgeltpunkte der Knappschaftsversicherung in den neuen Bundesländern. Das sollte man dabei bedenken. Ich möchte abschließend sagen: Wir werden als CDU/CSU den hier vorliegenden Vorschlägen nicht zustimmen. Das haben Sie auch gar nicht anders erwartet. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß das Land Berlin im Bundesrat einen ähnlichen Antrag auf Schaffung eines vergleichbaren Versorgungssystems zusätzlicher Altersversorgung gestellt hat. Dieser Antrag hat im Bundesrat keine Mehrheit gefunden. An die Rentner in den neuen Bundesländern gewandt, sage ich: Wir haben in kleinen Schritten 1996 das Renten-Überleitungsgesetz verbessert. Wir werden mit dem Rentenreformgesetz 1999 eine Gerechtigkeitslücke schließen. Bisher ist es so, daß Renten, die in Zeiten des Fern- und Abendstudiums in den neuen Bundesländern erworben worden sind, geringfügig gekappt worden sind, weil man unterstellt hat: Wer ein Abendstudium oder ein Fernstudium absolvierte, konnte in dieser Zeit nicht seine volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Im Zusammenhang mit unserem Entwurf zum Rentenreformgesetz 1999 sind wir darauf aufmerksam gemacht worden. Wir haben diesen Hinweis aufgenommen und werden dies beseitigen. Wenn das Rentenreformgesetz 1999 zum Tragen kommt, wird auch an dieser Stelle eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. Die Rentner in den neuen Bundesländern sind bei der Koalition wesentlich besser aufgehoben als bei denjenigen, die ihnen 40 bzw. 45 Jahre ihres Lebens gestohlen haben. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Als ich zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die Anträge der PDS gelesen habe, habe ich mich erst einmal vergewissert, ob es wirklich Anträge aus dem Jahr 1997 sind. ({0}) Glauben Sie wirklich, daß es angesichts der Auseinandersetzung um die Entlastung der Rentenversicherung, um die tiefgreifenden Strukturveränderungen an der Zeit ist, ein spezifisches Versorgungssystem zu fordern, ein befristetes Versorgungssystem sui generis, das noch einmal das eigenartige, berufsständisch gegliederte System ganz unterschiedlich ausgestatteter Zusatz- und Versorgungssysteme in der alten DDR wiederauferstehen läßt? ({1}) Diese Form einer rückwärtsgewandten Rentenpolitik mag zwar den Wünschen und Interessen vieler kleiner und größerer Gruppen in den neuen Bundesländern entsprechen, die sich immer noch nicht damit abfinden können, daß die Überführung der DDR- Renten in die dynamische soziale Rentenversicherung der Bundesrepublik eine wichtige Grundsatzentscheidung war, die den allermeisten Rentnern und Rentnerinnen eine große materielle Verbesserung gebracht hat, ({2}) aber bestimmte Vorteile der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme werden nun einmal nicht mehr fortgeschrieben: Es gibt in der gesetzlichen Rentenversicherung keine Rentenanwartschaften oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze, es gibt keine besonderen Steigerungssätze für Angehörige bestimmter Berufsgruppen. Das betrifft die Gesundheitsberufe, aber auch die Beschäftigten bei Post und Bahn. Es ist nachvollziehbar, daß Professoren in Ostdeutschland, wenn sie sich mit Kollegen in Westdeutschland vergleichen, persönlich unzufrieden sind und sich auf Grund der historischen Veränderung und des daraus folgenden Einigungsprozesses unfair behandelt sehen, aber die gesetzliche Rentenversicherung ist nun wirklich nicht der Ort, diese Forderungen zu befriedigen. ({3}) Dies müßte für diejenigen Berufsgruppen, die in Westdeutschland von Beamten besetzt werden, von den neuen Ländern geleistet werden, indem sie zum Beispiel für die Professoren, für diejenigen, die in diesen Berufsgruppen tätig waren, eine über die gesetzliche Rentenversicherung hinausgehende Zusatzversorgung bieten. Aber über die finanziellen Möglichkeiten der neuen Bundesländer macht sich auch die PDS keine Illusionen. Deswegen sind Sie bei der Finanzierung Ihrer eigenen Vorschläge so merkwürdig vage. Da heißt es: „unter Mitwirkung der Haushalte der neuen Länder". Frau Bläss hat jetzt erklärt, es solle eine Art Umfinanzierung stattfinden. Bisher werden die Kosten für die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu einem Drittel vom Bund und zu zwei Dritteln von den Ländern getragen. Das soll jetzt ganz auf den Bund verlagert werden, und dafür sollen dann die Länder dieses neue Versorgungssystem sui generis finanzieren. Ich glaube, daß da irgendwo noch eine Lücke bleibt. Wer soll das denn dann finanzieren, der Steuerzahler oder der Beitragszahler? Da müssen Sie sich entscheiden. Ein Nullsummenspiel ist das nicht. Sie wollen die neuen Bundesländer entlasten, ihnen aber gleichzeitig die Kosten für dieses neue Versorgungssystem aufbürden. Irgendwoher muß das Geld kommen. Ich fürchte, daß nicht ganz überlegt ist, wie das mit der Lastenverteilung dann aussieht. ({4}) Ich bin mir auch bewußt, daß es Klagen beim Bundesverfassungsgericht gibt, die die Grundsatzentscheidungen des Einigungsvertrages betreffen, alle Sonder- und Zusatzversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Aber ich denke - Herr Grund hat das schon ausgeführt -, daß es schon den Rentnerinnen und Rentnern zugute gekommen ist, daß die Finanzverteilung - jedenfalls bis zur Beitragsbemessungsgrenze - nämlich ein Drittel Bund und zwei Drittel die neuen Bundesländer, auch die Haushalte der neuen Bundesländer entlastet. Ich vermag im Moment überhaupt nicht einzuschätzen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet und ob auf Grund einer solchen Entscheidung der Bundestag seine Gesetze dann noch einmal korrigieren muß. Aber das steht heute nicht auf der Tagesordnung. Die SPD hat ihre grundsätzlichen Einwände gegen die politisch motivierten Eingriffe in das Rentenrecht hinreichend dargelegt. Jetzt geht es für uns um Zukunftskonzepte. Es geht darum, was denn eigentlich mit denen geschieht, die wegen der hohen Arbeitslosigkeit ihre Erwerbsarbeit verloren haben - ohne Chance auf einen Arbeitsplatz. Es geht um die Jungen, die im Moment gar keinen Einstieg in die Erwerbsarbeit finden und die dann im Alter - wie bereits heute die Frauen in Westdeutschland - mit einer löcherigen Erwerbs- und Rentenbiographie auf Sozialhilfe angewiesen sind. Lassen Sie uns doch darüber diskutieren, was wir da tun können! ({5}) Lassen Sie uns darüber diskutieren, was vor allen Dingen in Ostdeutschland, aber auch in Westdeutschland viele Menschen beunruhigt: Wie sieht denn meine Zukunft aus? Bin ich im Alter auf Sozialhilfe angewiesen? Das ist ein Punkt, über den wir diskutieren müssen. Die SPD hat deswegen ein Konzept einer sozialen Grundsicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung entwickelt - ähnliche Überlegungen gibt es bei den Grünen -, weil es, wie ich denke, ganz wichtig ist, allen die Zusage machen zu können: Im Alter muß niemand zum Sozialamt gehen, weil er auf Grund einer veränderten Situation im Erwerbssystem unzureichende Rentenanwartschaften erworben hat. Ich bin ganz sicher: Für die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland geht es 1997 nicht darum, ein Versorgungssystem sui generis für die Vergangenheit zu schaffen, sondern für die Zukunft Sicherheit im Alter herzustellen, Altersarmut zu vermeiden und die Rentenversicherung finanziell zu stabilisieren. ({6}) Es muß für uns alle darum gehen - hier appelliere ich auch an die PDS; da haben auch Sie eine große Verantwortung -, den giftigen Aufrechnungen zwischen ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern und westdeutschen Rentnerinnen und Rentnern entgegenzutreten. ({7}) Wenn ich mir Ihre Anträge ansehe, dann leisten, so fürchte ich, diese Anträge nicht das, was gerade ostdeutsche Abgeordnete auch leisten müßten, nämlich Solidarität zwischen beiden Teilen Deutschlands zu befestigen, deutlich zu machen, daß das RentenÜberleitungsgesetz eine Einheit in der Rentenversicherung geschaffen hat. Wir dürfen hier nicht Aufrechnungen zwischen Ost und West und umgekehrt vornehmen; denn das schadet uns allen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Mascher, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bläss?

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Mascher, ich frage Sie, ob es dem Hause wirklich angemessen ist, seriös gemachte Berechnungen als giftige Aufrechnungen zu bezeichnen. Wir haben uns in der zweieinhalbjährigen Vorbereitungszeit auf diese Anträge sehr bemüht, mit sachlichen Argumenten in diese Debatte zu gehen. Dann möchte ich Sie auch noch fragen, ob denn tatsächlich das eine das andere ausschließt. Sie wissen, daß auch wir Vorschläge für die Reformierung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht haben. Aber meinen Sie wirklich, daß das ein Grund ist, alle Maßnahmen gegen Überführungsungerechtigkeiten oder gegen das Versorgungsunrecht, zum Beispiel die völlige Abschaffung des Rentenstrafrechts im Osten, „nur" mit der Begründung unter den Tisch fallen zu lassen, es gehe jetzt um die große Rentenreform?

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Bläss, ich habe nicht gesagt, daß die Vergleichsberechnungen in Ihrem Konzept eine giftige Aufrechnung sind. Ich habe nur vor folgendem gewarnt: Wenn man Vergleiche zwischen Ost und West anstellt, dann werden umgekehrt auch Vergleiche zwischen West und Ost angestellt. Insgesamt bin ich davon überzeugt, daß diese Aufrechnungen die Atmosphäre vergiften ({0}) nicht, weil Ihre Aufrechnungen giftig wären. Aber insgesamt zerstört diese Haltung - was kriegen die im Westen; was kriegen die im Osten? - das Vertrauen und gefährdet die Solidarität der einen mit den anderen, die wir dringend brauchen. Ich will gar nicht behaupten, daß. alle Fragen der Rentenüberleitung zur Zufriedenheit gelöst sind. Wenn Sie sich aber die aktuelle Debatte angucken und wenn Sie sehen, daß wir uns zum Beispiel für eine soziale Grundsicherung sehr genau überlegen müssen - ich akzeptiere, daß auch Sie das wollen -, wie wir diese aus Steuermitteln finanzieren können, dann können Sie feststellen, daß ich hier Prioritäten setze. Meine Priorität ist eine soziale Grundsicherung. Diese steht heute auf der Tagesordnung. Meine Sorge ist, daß auf die gegenwärtige Generation der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern, die heute ganz gut versorgt ist, eine Generation von Rentnerinnen und Rentnern folgt, die ganz schlecht versorgt sein wird, weil sie große Lücken in ihrer Erwerbsbiographie haben wird. Darauf möchte ich mich bei meiner Rentenpolitik konzentrieren. Danke. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Uwe Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich ist den Reden von Herrn Grund und auch von Fran Mascher gar nicht mehr sehr viel hinzuzufügen. Ich will trotzdem versuchen, die Situation aus unserer Sicht noch einmal darzustellen. Seit dem Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 1997 gibt es das unbekannte Wesen des Eckrentners nicht mehr nur in der alten Bundesrepublik, sondern mittlerweile auch in den neuen Bundesländern. Dem ostdeutschen Eckrentner geht es relativ gut. Die durchschnittlich verfügbare, laufende Versichertenrente für Männer und Frauen in den neuen Ländern liegt mit 1344 DM bei 106,8 Prozent der vergleichbaren Rente in den alten Ländern. Getrennt nach Männern und Frauen liegt das Verhältnis bei etwa 98 bzw. bei etwa 134 Prozent. Zur Erklärung wird angeführt, daß die höheren Rentenleistungen an die Versicherten in den neuen Bundesländern insbesondere durch geschlossenere Versicherungsbiographien bedingt seien. Das ist in der Tat so. Die Berechnungsgrundlage der Versichertenrente liegt bei den Männern im Durchschnitt bei 46 Jahren in den neuen Ländern gegenüber 39 Jahren in den alten Ländern; bei den Frauen liegt sie bei 33 Jahren in den neuen Ländern gegenüber 25 Jahren in den alten Ländern. Mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, an dem auch meine Fraktion nach Kräften mitgewirkt hat, sind ab 1. Januar dieses Jahres weitere rund 75 000 Rentner in die normalen Regelungen des Rentenrechts einbezogen worden. Nur rund 25 000 Rentner verbleiben unter den Einschränkungen des Kappungskataloges, den wir in der Tat aus Gründen der Neutralität des Rentenrechts gerne vollständig aufgehoben hätten. Aber wir wissen, daß ein Konsens in diesem Bereich nicht möglich war. Ich meine, Frau Bläss, wir sollten endlich aufhören, in diesem Zusammenhang vom Rentenstrafrecht zu reden. Wir sind der festen Überzeugung, daß alles, was in diesem Bereich bisher gesetzlich geregelt wurde, verfassungskonform ist, solange nicht andere Entscheidungen des Verfassungsgerichtes vorliegen. ({0}) Immerhin ist mit dieser Neuregelung erreicht, dem jeweiligen Einzelfall besser als bisher gerecht zu werden sowie gleichzeitig die Akzeptanz der Gesamtregelung bei denen zu erhalten, die von der DDR benachteiligt waren. Ob nun noch weitere Regelungen zu treffen sind, wird - wie gesagt - von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abhängen. Das gilt im übrigen auch für die offenen Fragen, die Sie mit Ihren Anträgen aufgeworfen haben. Trotz aller unserer Bemühungen - Herr Grund hat zu Recht gesagt: Das kann immer nur Stückwerk sein, es kann keine vollständige, alle zufriedenstellende Regelung sein - stehen einige Gruppen immer noch abseits dieser insgesamt positiv zu bewertenden Entwicklung, nämlich diejenigen, die auf besondere Versorgungszusagen der DDR vertraut haben - die immer auch mit besonderem Einkommensverzicht verbunden waren; das sollte man dabei nicht vergessen -, so zum Beispiel Reichsbahner, Bedienstete der Post, Mitarbeiter im Gesundheitswesen - und auch Ballettmitglieder; aber das ist ein extra Thema. Viele der ehemaligen Reichsbahner haben sicherlich nicht nur mir, sondern vielen unserer Kollegen in langen Briefen über ihren ganz persönlichen Werdegang bei der Deutschen Reichsbahn berichtet und über dessen Bewertung für ihre heutige Rente. Ich muß schon sagen: Es entspricht auch nicht meiner Vorstellung von einer Überleitung berechtigter Ansprüche an die Alterssicherungssysteme der ehemaligen DDR in das Rentensystem der Bundesrepublik, wenn das Ergebnis eines ganzen Arbeitslebens zuwenig zum Lebensunterhalt erbringt. Trotzdem haben wir versucht, uns gerade des Problems der Reichsbahner intensiv anzunehmen. Mein Kollege Engelmann von der CDU und ich haben mehrere Gespräche mit den Vertretern der Gewerkschaft der Eisenbahner und mit dem Bundesarbeitsministerium geführt. Das letzte Gespräch war am 12. Juli dieses Jahres. In diesem Gespräch haben sich die Beteiligten darüber verständigt, daß es eben keine Möglichkeit gibt, das Problem der Rentenlücke der ehemaligen Reichsbahner, betreffend die Jahre 1971 bis 1973, im Rahmen der Rentenversicherung zu lösen. Die Vertreter der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands wollen deshalb - und sie werden das sicherlich auch tun - nicht mehr nach einer rentenrechtlichen Lösung suchen, sondern statt dessen die - aus meiner Sicht durchaus berechtigten - Ansprüche auf zusätzliche Leistungen aus dem Bundeseisenbahnvermögen geltend machen. ({1}) Ob das erfolgreich ist, sei dahingestellt. Aber ich denke, dieser Weg ist zumindest ein Weg, den man gehen kann. Für die Reichsbahner mag dieser Weg ein Ausweg sein, möglicherweise auch für die ehemaligen Bediensteten der Post. Für die anderen genannten Gruppen existiert diese Perspektive Sondervermögen nicht. Das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung erklärt - ich zitiere -: Die Regelungen des ehemaligen DDR-Rentenrechts über besondere Steigerungssätze für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn sind anläßlich der Rentenüberleitung nicht in das Rentenrecht des VI. Buches Sozialgesetzbuch übernommen worden, weil sie mit den Grundsätzen des lohn- und beitragsbezogenen bundesdeutschen Rentenrechts unvereinbar sind. An anderer Stelle sagt es: Eine Bewertung von Zeiten der Tätigkeiten in Bereichen, für die höhere Beiträge nicht entrichtet worden sind, z. B. bei der Deutschen Reichsbahn, mit einem höheren Steigerungssatz als 1,0 ist ausgeschlossen. Das mag für unser Rentensystem zutreffen. Trotzdem widerspricht es meiner Vorstellung von der Realisierung der deutschen Einheit auch in der Alterssicherung. Ich denke, gleiche Lebensleistung in Ost und West muß sich irgendwann in wenigstens annähernd gleicher Altersversorgung niederschlagen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Lühr, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Dr. Wolf?

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte zu Ende ausführen. Natürlich wird die Realisierung in einer Zeit dramatisch steigender Sozialausgaben bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen nicht unproblematisch sein. Ich sehe - das sage ich ganz deutlich - gegenwärtig politisch keine Handlungsmöglichkeit: weder beim Bund noch bei den Ländern - in diesem Fall bei den ostdeutschen Ländern, die dann in hohem Maße beteiligt werden müßten. Auch wenn öffentliche Kassen dem Zwang zur Sparsamkeit unterliegen, dürfen solche berechtigten Ansprüche - sie müssen, wie gesagt, in einigen Fällen noch geklärt werden - aus Liquiditätsgründen nicht endgültig negiert werden. Schönen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Wolf das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ein Großteil der Diskussion hat sich von seiten der Koalition darauf konzentriert, daß gesagt wurde: Im Rentensystem können diese Ansprüche nicht realisiert werden. Angesichts knapper Kassen kann auch keine Lösung sui generis, keine gesonderte Lösung für diese Fälle gefunden werden. Jetzt hat der Kollege Lühr gerade gesagt, er stimme zu, daß hier in einigen Bereichen Ungerechtigkeiten vorliegen würden. Seiner Ansicht nach treffe das - wahrscheinlich wurde er hier mit Briefen bombardiert - im Falle der ehemaligen Reichsbahnerinnen und Reichsbahner zu. Hier schlägt er nun vor, daß dies möglicherweise im Rahmen einer Lösung sui generis geregelt werden könnte, nämlich im Rahmen des Bundeseisenbahnvermögens. Denn der gleiche Vorgang hat im Westen stattgefunden, indem ein früherer Staatsbetrieb privatisiert und eine Sonderlösung gefunden wurde, und zwar das Bundeseisenbahnvermögen. Dies ist übrigens ein großer Schuldentopf mit 70 Milliarden DM. Letzten Endes wird diese der Bund wieder bezahlen, vermittelt über das BEV. Hier ist für eine Gruppe eine Lösung sui generis gefunden worden. Da sagen Sie völlig zu Recht, daß dies so auch für die Osteisenbahnerinnen und Osteisenbahner geregelt werden könne. In einem Nachsatz sagen Sie, das könne vielleicht auch im Bereich der Post stattfinden, wenn die Post dann privatisiert werde und dort ähnliche Fälle vorkämen. Im Grunde ist das eine Herangehensweise an einen Bereich, in dem Sie konkret zu Betroffenen Kontakt hatten, in dem sich scheinbar Leute an Sie als Abgeordneten gewandt und Sie mit Briefen bombardiert haben, genau in die Richtung, die wir vorschlagen, nämlich daß solche Sonderungerechtigkeiten auch Sonderlösungen benötigen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Lühr, Sie können darauf antworten.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wolf, ich habe nicht gesagt, daß das wirklich letztgültige Möglichkeiten sind. Die Mitglieder der Gewerkschaft der Eisenbahner, die eindeutig anerkannt haben, daß ihre Ansprüche keine Leistungen aus dem Rentensystem sind, wollen den beschriebenen Weg über das Bundeseisenbahnsondervermögen gehen und werden ihn ausloten. Gespräche in dieser Richtung finden statt. Sie verlaufen nach meiner Kenntnis im Moment negativ. Ich glaube auch nicht, daß sie am Ende zum Erfolg führen. Man kann es den Kollegen aber nicht verwehren, diese Richtung zu erkunden. Wenn es da Möglichkeiten gibt, sollte man sie wahrnehmen. Ich selber war Reichsbahner. Ich meine schon, daß in der Zeit von 1971 bis 1973 Dinge passiert sind, für die die Betroffenen nichts können; und dafür kann ich sie heute, so meine ich, nicht bestrafen. Aber das kann nicht über das Rentenrecht geregelt werden. ({0}) Deshalb sollte die Gewerkschaft der Eisenbahner versuchen, diesen Weg zu gehen. Wenn es denn zum Erfolg führen würde, würde ich mich sehr freuen. Ob das ein Präjudiz für andere Bereiche ist, bezweifle ich. Eine gesamte Lösung, wie Sie sie vorschlagen, wird es nicht geben. Schon aus Kostengründen ist das nicht möglich. Das muß eigentlich auch Ihnen völlig klar sein.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit gebe ich der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß die Rentenüberleitung für die Mehrheit der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner zu einem günstigen Ergebnis geführt hat. Ebenso läßt sich nicht bestreiten, daß es im einzelnen zu problematischen Härtefällen kommt. Ich bezweifle allerdings, ob die vorliegenden Anträge der PDS geeignet sind, ein politisches Klima zu schaffen, in dem eventuell notwendige Korrekturen an der Rentenüberleitung - Stichwort: Eisenbahner - noch möglich wären. ({0}) Es geht nicht um die Frage - das bezieht sich auf die Kurzintervention des Kollegen Wolf -: Geht das technisch, was ihr vorgeschlagen habt? Es geht vielmehr um die Frage: Wollen wir eine solche Regelung, wollen wir diesen Ausgleich? Ich halte die Vorschläge, für die Zusatzversorgung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes ein neues Versorgungswerk zu schaffen, für völlig unakzeptabel. Ich kann zwar nachvollziehen, daß Personen, die ihren Ostrentenanspruch mit dem eines Berufskollegen aus dem Westen vergleichen, über diese Diskrepanz enttäuscht und verärgert sind. Der Vorschlag der PDS aber würde neue Ungerechtigkeiten schaffen - im Versuch, eine vermeintlich andere Ungerechtigkeit zu beseitigen. ({1}) Sie wollen nämlich Renten durch eine Zusatzversorgung aufstocken, die schon jetzt überdurchschnittlich hoch sind. Weil ich nicht polemisch sein will, nenne ich nicht die extremsten Beispiele Ihres Antrages. Aber da ist immerhin die Rede von einem Hochschuldozenten für Musik, der jetzt einen Rentenanspruch von gut 3000 DM hat, von einer Lehrerin, die jetzt einen Anspruch auf 2400 DM Rente hat, ({2}) und von dem NVA-Major mit einer SGB-IV-Rente von 2400 DM. Diese Rente des NVA-Majors wollen Sie durch eine Zusatzversorgung noch um weitere 1000 DM aufstocken. Für die Aufstockung der Intelligenzrenten und der der Staatsbediensteten wollen Sie 1,3 Milliarden DM, ({3}) für die Aufstockung der Renten bei NVA, Volkspolizei und Zoll noch einmal 1 Milliarde DM ausgeben. Wie, bitte, wollen Sie diese Ausgaben den Rentnerinnen und Rentnern erklären, die eine Durchschnittsrente von 1035 DM - bei Frauen - und 1687 DM - bei Männern - erhalten? ({4}) Wie wollen Sie den Zugriff auf die Steuergelder - egal, aus welchem Haushalt sie dann noch kommen mögen, Frau Mascher - all denjenigen jungen Ostdeutschen erklären, die im öffentlichen Dienst arbeiten? Der öffentliche Dienst in Ostdeutschland hat doch keine Zusatzversorgungswerke eingerichtet. Das heißt: Sie wollen mit den Steuergeldern der heute Aktiven Ansprüche der jetzigen Rentner bedienen, ohne daß diese heutigen Aktiven selber einmal Ansprüche auf eine solche Zusatzversorgung erwerben können. Wie rechtfertigen Sie diese deutliche Besserstellung der Bestandsrentner gegenüber den jungen Leuten von heute? Zudem ist es eine Maßnahme ohne jede sozialpolitische Zielgenauigkeit; ({5}) denn die Höherbewertungen begünstigen in der Regel Menschen mit ohnehin schon hohen Rentenanwartschaften. Wie erklären Sie das eigentlich den Rentnerinnen und Rentnern, deren Auffüllbeträge derzeit abgeschmolzen werden? Sie kritisieren, daß alle verschiedenen Altersversorgungssysteme der DDR mit der Rentenüberleitung in die gesetzliche Rentenversicherung überführt wurden. Das war im Einigungsvertrag so vorgesehen. Außerdem war diese Regelung sinnvoll, weil dadurch auch Rentensysteme überführt werden konnten, die sonst, zum Beispiel weil für sie nie Beiträge entrichtet wurden, zu einem Wegfall von Ansprüchen geführt hätten. Ich bestreite nicht, daß bei einer im Prinzip richtigen Entscheidung im einzelnen Härtefälle entstehen können. Dann aber soll man einen Maßstab dafür finden, was ein Härtefall ist, und nicht ausgerechnet die Rentenansprüche derjenigen erhöhen, die bereits gut versorgt sind. Um diesem Verdacht zu entgehen, haben Sie in Ihren Beispielen selbstverständlich auch die KinderAndrea Fischer ({6}) gärtnerin aufgeführt, die jetzt einen Rentenanspruch von 1700 DM hat, den Sie auf etwa 2400 DM erhöhen wollen. Sie behaupten, dies entspräche 70 Prozent der Bezüge einer Kindergärtnerin im Westen. Mir ist wirklich unverständlich, wie Sie sich sieben Jahre nach der deutschen Vereinigung noch derartigen Illusionen über die Höhe westdeutscher Renten hingeben können. ({7}) Selbst unter der völlig unrealistischen Annahme, eine Erzieherin habe 40 Jahre ununterbrochen vollzeitgearbeitet, dies auch noch im öffentlichen Dienst mit entsprechenden Ansprüchen an die Zusatzversorgung, so hätte sie, wenn es sehr gut kommt, einen Rentenanspruch von gut 2000 DM. Das ist es - ich glaube, das haben auch Sie gemeint, Frau Mascher -, womit Sie den Ost-West-Neid schüren. Als Abschluß noch zu Ihrem Argument, Art. 3 des Grundgesetzes gebiete eine Gleichbehandlung von DDR-Staatsdienern und denen des Westens. Diese Menschen haben doch aber einem Staat gedient, den es nicht mehr gibt. Wenn man Ihrer Logik folgte, müßten wir auch noch für die Volkskammerabgeordneten und die Politbüromitglieder ein eigenes Versorgungswerk mit Ansprüchen analog zu denen der heutigen Minister schaffen. ({8}) Und wer sagt denn, daß ein NVA-Oberst im Westen dem Staat gedient hätte? Vielleicht hätte er die Aufrüstung der Bundesrepublik in den 50er Jahren abgelehnt und hätte deswegen auch nicht Diener dieser Armee werden wollen. Vielleicht wäre er statt dessen lieber kaufmännischer Angestellter geworden. Gerade wir Abgeordneten, die selber aus dem Westen kommen, nehmen unsere Verantwortung außerordentlich ernst - das ist auch im Beitrag der Kollegin Mascher deutlich geworden -, im Westen für die Unterstützung der Rentenüberleitung zu werben. Das wird nicht leichter, je geringer die Rentensteigerungen im Westen ausfallen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte nur noch einen Satz. Ich werde dennoch weiter dafür werben, daß es ein wichtiges Gebot der Herstellung der deutschen Einheit ist, auch mit westdeutschen Geldern die Finanzierung der Ostrenten zu unterstützen. Wenn Sie von der PDS aber solche maßlosen Vorschläge machen, verspielen Sie die Solidaritätsbereitschaft der Westler. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7118, 13/7119, 13/7536 und 13/8463 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag zur Regelung von Ansprüchen von Ballettmitgliedern auf Drucksache 13/8463 soll zusätzlich an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. September 1997, 10 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.