Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur ersten Sitzung nach der Sommerpause und hoffe, daß Sie sich gut erholt haben. Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung einigen Kolleginnen und Kollegen, die in der Zwischenzeit einen herausgehobenen Geburtstag feiern konnten, herzlich gratulieren, zunächst der Kollegin Anke Fuchs ({0}), die am 5. Juli ihren 60. Geburtstag feierte. Nachträglich herzlichen Glückwunsch! ({1}) Der Kollege Dr. Uwe Jens-Heuer feierte am 11. Juli seinen 70. Geburtstag, ({2}) der Kollege Otto Schily am 20. Juli seinen 65. Geburtstag, ({3}) der Kollege Walter Link ({4}) am 21. Juli seinen 60. Geburtstag, ({5}) der Kollege Dr. Jürgen Rochlitz am 24. Juli seinen 60. Geburtstag, ({6}) der Kollege Heinrich Graf von Einsiedel am 26. Juli seinen 76. Geburtstag ({7}) und am gleichen Tag unser Kollege Detlef Kleinert ({8}) seinen 65. Geburtstag. ({9}) Ihnen allen spreche ich nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aus. Sodann teile ich mit, daß Herr Konrad Felber auf seine Mitgliedschaft im Beirat beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR verzichtet hat. Als Nachfolger wird einvernehmlich Herr Ludwig Martin Rade aus Meißen vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist Herr Ludwig Martin Rade gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in den Beirat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern: 1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Oswald Metzger, Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine umfassende Haushalts- und Finanzreform: Transparenz, Wirtschaftlichkeit und parlamentarische Kontrolle - Drucksache 13/8472 - ({10}) 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz ({11}) 1998 - Drucksachen 13/7242, 13/7775, 13/8020, 13/8177, 13/8178, 13/8326, 13/8465, 13/84663. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999 - Drucksachen 13/7480, 13/7917, 13/8022, 13/8023, 13/8177, 13/8179, 13/8465, 13/8467 4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes - Drucksache 13/8443 - ({12}) Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit erforderlich, abgewichen werden. Darüber hinaus ist vereinbart worden, die für Freitag vorgesehene Beratung der Berichte der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages auf den Drucksachen 13/7950 und 13/8270 in dieser Woche abzusetzen. Schließlich mache ich auf eine Änderung einer Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 184. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Juni 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll dem Haushaltsausschuß nur gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Entlastung der Versicherten und der Unternehmen von Lohnzusatzkosten - Drucksache 13/8042-überwiesen: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({13}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir haben es so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d sowie die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf: 1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 ({14}) - Drucksache 13/8200 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 - Drucksache 13/8201 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 ({15}) - Drucksache 13/8199 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern ({16}) - Drucksache 13/8293 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oswald Metzger, Antje Hermenau, Kristin Heyne, weitere Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine umfassende Haushalts- und Finanzreform: Transparenz, Wirtschaftlichkeit und parlamentarische Kontrolle - Drucksache 13/8472- ({17}) Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ZP2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz ({18}) 1998 - Drucksachen 13/7242, 13/7775, 13/8020, 13/ 8177, 13/8178, 13/8326, 13/8465, 13/8466 ZP3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999 - Drucksachen 13/7480, 13/7917, 13/8022, 13/ 8023, 13/8177, 13/8179, 13/8465, 13/8467 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zum Haushalt sechs Stunden, für morgen neun Stunden, für Donnerstag sieben Stunden und für Freitag zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidungen zum Bundeshaushalt 1997, 1998 und zum Finanzplan bis 2001 treffen auf einen klaren konjunkturellen Aufwärtstrend in Deutschland. ({0}) Wichtige Wirtschaftsindikatoren entwickeln sich günstig: Die Ausfuhr wächst dynamisch und greift auf die Inlandsnachfrage über, auch im Investitionsgüterbereich. Das „Handelsblatt" meldete gestern eine weitere deutliche Belebung der Nachfrage. Die Aufträge wachsen - bei der Automobilherstellung allein im Juni um über 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Industrieproduktion ist aufwärtsgerichtet; sie stieg allein von Juni auf Juli 1997 saisonbereinigt um 3,5 Prozent. Die Kapazitätsauslastung der Industrie und die realen Ausrüstungsinvestitionen zeigen nach oben. ({1}) Das Ifo-Geschäftsklima hat sich im Juli erneut verbessert; Zins und Preisniveau sind stabil; die Lohnstückkosten sinken; das Bruttoinlandsprodukt dürfte im zweiten Quartal urn 2,5 bis 3 Prozent über dem Vorjahresergebnis gelegen haben. Unsere Wachstumserwartung für das Gesamtjahr 1997 von 2,5 Prozent real wird dadurch eindrucksvoll bestätigt. Im nächsten Jahr wird sich nach Einschätzung aller Experten und Institute das Wachstum noch beschleunigen und bei 2,5 bis 3 Prozent liegen. Diese Tatsachen liegen objektiv vor. Sie zeugen von einer günstigen Entwicklung. Wir sollten froh sein und nicht höhnisch darüber lachen. ({2}) Der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt., die Staatsquote, liegt schon in diesem Jahr unter 50 Prozent. Diese erfreuliche Entwicklung wird in den nächsten Jahren weitergehen. Wir werden unser im Jahr 1995 formuliertes Ziel, die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf den Stand vor der Wiedervereinigung, also auf etwa 46 Prozent zu senken, erreichen. Das ist, wie ich meine, ein großer Erfolg der Finanzpolitik der Bundesregierung. Er knüpft nahtlos an unsere erfolgreiche Politik der 80er Jahre an, als es uns als einzigem G 7-Land gelang, die Staatsquote zu senken. Dieser Kurs ist zugleich die finanzpolitische Basis, auf der wir die Herausforderungen für den Standort Deutschland entschlossen und zielgerichtet angehen können. Meine Damen und Herren, trotz dieser unbestreitbaren Aufwärtsentwicklung der deutschen Wirtschaft kann niemand den dramatischen Einfluß der Globalisierung der Weltwirtschaft auf alle staatlichen, gesellschaftlichen und privaten Bereiche übersehen. Die Struktur der Weltwirtschaft ändert sich, das Ausmaß dieser Änderungen ist mit den Änderungen zu Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert durchaus vergleichbar. Ausgangspunkt sind Basisinnovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, der Verkehrs-, Energie- und der Biotechnologie. Wissen und Kapital sind immer breiter verfügbar, sie können mit einem Klick auf der Computertastatur in jedes Land der Welt gelangen. Der Strukturwandel beschleunigt sich; Innovationen erlauben keine langjährigen Monopolrenten mehr. Viele Länder der Welt sind in der Lage, technologisch hochwertige Produkte herzustellen. Um die Weltmärkte wird von immer mehr Ländern immer härter gekämpft; Gewinnmargen schrumpfen. Das betriebswirtschaftliche Optimierungskalkül der international tätigen Unternehmen wird immer wichtiger, um am Markt zu bestehen. Das Welthandelsvolumen wächst derzeit doppelt so schnell wie die weltweite Produktion. Die grenzüberschreitenden Investitionen wachsen noch schneller als die globalen Ein- und Ausfuhren. Noch Mitte der 80er Jahre lagen die weltweiten Direktinvestitionen bei 77 Milliarden US-Dollar, 1995 lagen sie bereits viermal so hoch. Das Handelsvolumen der internationalen Finanzmärkte explodiert: Anfang der 80er Jahre betrug der weltweite Devisenhandel täglich zirka 60 Milliarden US-Dollar; Anfang der 90er Jahre lag er bereits bei 1200 Milliarden US-Dollar. Was wir heute sehen, sind die Vorboten einer neuen Zeit. Die neue Zeit wird von uns ein völlig neues Denken und Handeln erfordern. Der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn hat in diesem Zusammenhang von einem „Paradigmenwechsel" gesprochen. Es wird in Zukunft nicht mehr damit getan sein, bestimmte Anpassungen zu vollziehen und sich dann in einem neuen Gleichgewicht beruhigt zurückzulehnen. Wenn wir den gewohnten Wohlstand, eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen und soziale Sicherheit bewahren wollen, ist vielmehr die beständige und vorausschauende Bereitschaft zur Veränderung unverzichtbar. Diese notwendige Bereitschaft zur Änderung, die auf dem Fundament unserer Wertordnung, der christlichen Weltanschauung, stehen muß, betrifft staatliche und gesellschaftliche Institutionen ebenso wie die Politik, den Staat, aber auch jeden einzelnen Bürger unseres Landes. Nur, die Globalisierung führt keineswegs zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit. Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland sind an sich noch kein Zeichen für ein nationales volkswirtschaftliches Problem. Viele Auslandsinvestitionen dienen dazu, ausländische Märkte zu erschließen. Diese Entwicklung hat positive Rückwirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft. Das sichert auch Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland. Deutschland hat von der Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung immer profitiert. Sie hat den Menschen Wohlstand und materielle Sicherheit gebracht. Der durch die Globalisierung ausgelöste Strukturwandel kann nicht grundsätzlich gestoppt oder gebremst werden. Wir müssen diese Herausforderung offensiv angehen. ({3}) Wir sollten diesen Prozeß weniger als Gefahr, sondern als eine historische Chance sehen. Deutschland kann zu den Gewinnern der neuen Zeit gehören, wenn wir unsere Tugenden ausspielen. Dazu gehören Innovationsfreude, Pioniergeist, Fleiß und Gründlichkeit, ({4}) und dazu gehört das eindeutige Bekenntnis zu einem marktwirtschaftlichen System. Dazu gehört auch eine klare Festlegung des ordnungspolitischen Rahmens, in dem die Märkte handeln. Dabei bleibt die Soziale Marktwirtschaft unser Modell. ({5}) Völlig falsch wäre es, in Protektionismus zu flüchten oder die Marktwirtschaft zu beschneiden. Der Niedergang des Sozialismus zeigt: Ökonomische Abschottung führt zu Wettbewerbsunfähigkeit, zur Verarmung und zur Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen. Meine Damen und Herren, um die Globalisierung zu einem echten volkswirtschaftlichen Gewinn werden zu lassen, müssen noch eine ganze Reihe von wirtschafts- und finanzpolitischen Hausaufgaben gemacht werden - Hausaufgaben, die weit über den alltäglichen politischen Streit hinausreichen und die in letzter Konsequenz einen breiten gesellschaftlichen Konsens verlangen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch fragen, ob unsere bisherigen Verfahren der Konfliktbewältigung dieser neuen Zeit noch angemessen sind. Es geht nicht nur um die Qualität und Quantität der notwendigen Veränderung, sondern auch um die Rechtzeitigkeit der Veränderung. Ich denke, daß unser im Grundsatz bewährtes System des Föderalismus auf mittlere Sicht renoviert werden muß. ({6}) Dabei geht es - lassen Sie mich als überzeugten Föderalisten das sagen - nicht um mehr Zentralismus, sondern um die Stärkung der Eigenverantwortung von Bund und Ländern, letztlich auch um das Prinzip der Subsidiarität und der eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung. Bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik sollte mehr eigenständiges Handeln von Bund und Ländern möglich sein. Das bedeutet eine Hinwendung zu einer stärkeren Orientierung am Prinzip des finanzwirtschaftlichen Trennsystems. Das bedeutet beispielsweise eine kritische Durchsicht des Finanzausgleichs, insbesondere des Problems der Übernivellierung, eine Stärkung der Kompetenzen von Bund und Ländern bei der Steuergesetzgebung und insgesamt eine Rückführung des Konsenszwangs. Bund und Länder müssen zukünftig in der Lage sein, in einem gewissen Rahmen finanzpolitisch zentrale Politikkonzepte autonom durchzusetzen. ({7}) Eine solche Neugestaltung würde nicht nur die Anpassungsgeschwindigkeit an die Herausforderungen der Globalisierung erhöhen. Mehr Wettbewerb in der Politik würde insgesamt zusätzliche wirtschaftliche Dynamik bringen. Das Mitglied des Sachverständigenrates, Professor Jürgen Donges, schreibt am 7. Mai: So gesehen birgt die Globalisierung eine enorme Chance, den Reformstau in Deutschland aufzulösen. Da die Globalisierung unumkehrbar ist, wird sich die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ebenso wie die Tariflohnpolitik im Qualitätswettbewerb bewähren müssen. An den Finanzmärkten wird gute Politik belohnt - durch Kapitalzuflüsse und niedrige Zinsen - und schlechte bestraft. Professor Donges äußert sich auch dazu, was er und mit ihm nahezu gleichlautend alle Experten und wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die OECD und der IWF, für eine gute Politik halten. Er schreibt: Das Pflegen guter Rahmenbedingungen für das Investieren wird zur Daueraufgabe; deshalb bleiben die Unternehmensteuerreform, die Deregulierung von Märkten, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und die Eindämmung der Staatsquote aktuell. Genau das ist der Kern unserer symmetrischen Finanzpolitik: Konsolidierung, Senkung der Staatsquote, Senkung der Defizite, der Steuer- und Abgabenlast, verbunden mit nachhaltigen Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialsystem und im Steuersystem. Dazu gibt es keine Alternative; dazu hat vor allen Dingen die Opposition bisher keinen Beitrag erbracht. ({8}) Wir haben dabei schon viel erreicht. Wichtige Schritte bei den Steuern sind getan, beispielsweise die Abschaffung der Substanzsteuern Vermögen-und Gewerbekapitalsteuer. Mit dem Paket für mehr Wachstum und Beschäftigung aus dem Sommer 1996 ist nicht nur die Konsolidierung vorangebracht worden, sondern ein ganzes Bündel an Strukturreformen und Deregulierungen wirksam geworden. Trotz des erfreulichen Wirtschaftswachstums ist die Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Steuereinnahmen schlechter verlaufen, als eigentlich bei diesem Wachstum zu erwarten gewesen wäre. Die Ursachen dafür sind in beiden Bereichen überwiegend struktureller Natur. Das bestätigen internationale Untersuchungen. Beispielsweise kommt der IWF zu einer strukturell bedingten Arbeitslosigkeit in Deutschland von immerhin 80 Prozent. Auch bei den Steuereinnahmen zeigt die Analyse strukturelle Nachteile des deutschen Steuersystems: hohe Spitzensteuersätze, die die Leistungs- und Investitionsbereitschaft hemmen, und andererseits viele Schlupflöcher, die zur legalen, halblegalen oder manchmal auch illegalen Steuerumgehung, auch über die Grenzen hinweg, förmlich einladen. Die Defizite im Budget legen den Finger genau in die Wunde. Die Ursachen sind klar. Jetzt hilft keine Steigerung der Massenkaufkraft. Die Steigerung der Nachfrage ist immer die Folge eines investitionsgestützten Aufschwungs. Die Daten zeigen seit vielen Jahren: Die Nachfrage ist ein Spätindikator. Eine Finanzpolitik, die nicht primär an den Investitionen, sondern allein an der Kaufkraft ansetzt, wäre genau die schlechte Politik, die von den Märkten sofort mit höheren Zinsen und Preisen und weiteren Arbeitsplatzverlusten bestraft würde. ({9}) Nachtragshaushalt 1997, Haushalt 1998 und Finanzplan stehen als Gesamtkonzept für eine Haushaltspolitik mit Augenmaß. Die hohen Mehrbelastungen für die Haushalte 1997 und 1998 im Bereich Steuern und Arbeitsmarkt von jeweils über 30 Milliarden DM sind weitgehend aufgefangen. Die Nettokreditaufnahme wird begrenzt und schrittweise zurückgeführt. Der Bundeshaushalt leistet einen weiteren substantiellen Beitrag zur Reduzierung der Staatsquote und setzt damit weitere Signale für die Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung. Die Konsolidierungslinie der letzten Jahre wird fortgesetzt. Seit 1990 konnten wir Ausgabenentlastungen in Höhe von über 120 Milliarden DM durchsetzen. Damit wurden insbesondere die hohen finanzpolitischen Mehrbelastungen der Wiedervereinigung teilweise abgedeckt. Die erfolgreiche Privatisierungspolitik wird entschlossen weitergeführt. Die Investitionsschwerpunkte bleiben erhalten. Die Eckwerte des Nachtragshaushalts 1997 werden durch Mehrbelastungen auf Grund von Steuermindereinnahmen und Arbeitsmarktmehraufwendungen von zusammen rund 30 Milliarden DM bestimmt. Die Gesamtausgaben erhöhen sich um 18,7 Milliarden DM auf 458,6 Milliarden DM. Die Einnahmen liegen mit 387,4 Milliarden DM rund 800 Millionen DM über dem bisherigen Soll. Die steuerlichen Einnahmeausfälle in der Größenordnung von 9 Milliarden DM werden durch zusätzliche Privatisierungseinnahmen ausgeglichen. Die Neuverschuldung steigt um 17,9 Milliarden DM auf 71,2 Milliarden DM und liegt damit um 7,1 Milliarden DM unter der Neuverschuldung von 1996. Nach intensiven Beratungen zwischen der Bundesregierung und der Telekom AG ist ein Konzept erarbeitet worden, das sich in die Privatisierungslinie der Bundesregierung einfügt und den Interessen des Unternehmens und seiner Aktionäre Rechnung trägt. Für 1997 ist ein Nettoerlös von 10 Milliarden DM eingeplant, für 1998 von 15 Milliarden DM. Als weitere zusätzliche Einnahmen sind im Nachtrag die Veräußerung einer ersten Tranche der Bundesrohölreserve von 400 Millionen DM ({10}) und zusätzliche Einnahmen aus Gewährleistungen in Höhe von 1,2 Milliarden DM vorgesehen. Darüber hinaus werden auf der Ausgabenseite zusätzliche Einsparungen als globale Minderausgabe in Höhe von 2 Milliarden DM festgeschrieben. Meine Damen und Herren, für eine Einschätzung, ob die Ergebnisse der Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres erreicht werden, ist es vier Monate später noch zu früh. So verläuft die Erhebung der Umsatzsteuer voll im Trend. Es gibt andererseits Hinweise dafür, daß die bei der Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer bekannten strukturellen Probleme - beispielsweise durch Erstattungen für frühere Veranlagungszeiträume - noch fortwirken. Wir müssen das Ergebnis der Steuerschätzung abwarten. Spekulationen sind unseriös. Nach dem Vorliegen von belastbaren Zahlen werden wir bis zur zweiten und dritten Lesung Ende November angemessen reagieren. Nur, wer das beklagt und eine Diskussion darüber anfacht, obwohl er vor wenigen Monaten an der Steuerschätzung beteiligt war und deren Ergebnisse mit verantwortet hat, der muß sich sehr schnell für eine Steuerreform entscheiden, damit wir die Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte auf eine verläßliche dauerhafte Basis stellen. ({11}) Nach Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die über die Investitionen hinausgehende erhöhte Kreditaufnahme verfassungsrechtlich verantwortbar. Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts liegt vor. Dies ergibt sich aus der weiterhin angespannten Lage am Arbeitsmarkt. Es ist dabei gesamtwirtschaftlich und finanzpolitisch vernünftig, kurzfristig weitgehend die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. Steuererhöhungen oder drastische Ad-hoc-Kürzungen im Bereich der Ausgaben hätten die schwierige Arbeitsmarktsituation noch verschärft. An unserem Kurs der mittelfristigen Konsolidierung ändert sich dadurch nichts. Die Überschreitung der Kreditobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes erfolgt nur 1997. Im Haushalt 1998 und im Finanzplan wird die verfassungsrechtliche Regelgrenze für die Neuverschuldung wieder eingehalten. ({12}) Die Gesamtausgaben 1998 betragen 461 Milliarden DM. Sie steigen damit gegenüber dem Soll des Nachtragshaushalts nur um 2,5 Milliarden DM oder 0,5 Prozent. Die Nettokreditaufnahme sinkt um 13,4 Milliarden DM auf 57,8 Milliarden DM und liegt damit wieder unter den Investitionsausgaben von 58,3 Milliarden DM. Die Mehrbelastungen in den Bereichen Steuern und Arbeitsmarkt in Höhe von deutlich über 30 Milharden DM gegenüber dem alten Finanzplan werden weitgehend ohne zusätzliche Schulden aufgefangen. Die Nettokreditaufnahme liegt nur um 1,6 Milliarden DM über der Nettokreditaufnahme des alten Finanzplans von 56,2 Milliarden DM. Alle Ausgaben wurden kritisch auf Einsparpotenhale überprüft. Alle Einzelpläne haben Konsolidierungsbeiträge erbringen müssen, wobei der Schwerpunkt auf den konsumptiven Ausgaben liegt. Als sichtbares Zeichen sinken die Ausgaben in zwölf von 24 Einzelplänen nominal gegenüber 1997. Mehrausgaben beschränken sich im wesentlichen auf die Bereiche Rentenversicherung und Zinsen. Am bestehenden Haushaltsmoratorium wird im gesamten Finanzplanungszeitraum strikt festgehalten. Die Einsparanstrengungen ziehen sich durch fast alle Bereiche des Bundeshaushalts. Als Folge des weiteren Personalabbaus und der maßvollen Tarifentwicklung liegen die Personalausgaben 1998 erneut unter dem Niveau des Vorjahres. Der Personalbestand der Bundesverwaltung wird im nächsten Jahr durch eine pauschale Stelleneinsparung von 1,5 Prozent weiter zurückgeführt. Die Bundesverwaltung umfaßt 1998 rund 314 000 Stellen. Seit 1992 hat sich der Stellenbestand dank des konsequent betriebenen Personalabbaus um rund 67 000 Stellen vermindert; das sind immerhin 17,6 Prozent. Das bedeutet einen großen Erfolg, den der Staat hier gesetzt hat, um damit seine öffentlichen Ausgaben unter Kontrolle zu halten und zu begrenzen. ({13}) Auch die Bundesfinanzverwaltung soll weiter gestrafft werden. Schon seit einigen Jahren führen wir in der Zoll- und Bundesvermögensverwaltung die örtlichen Behörden um rund 300 Standorte zurück. Wir haben ein neues Organisationsmodell für den Bundesbereich der Oberfinanzdirektionen vorgelegt. Die Bundesabteilungen werden voraussichtlich auf acht Direktionen konzentriert. Das entspricht etwa der Struktur bei den Landeszentralbanken. Das Modell ist nun in der Abstimmung. Ich bin sicher, wir werden am Ende Steuergelder sparen, die fachliche Qualifikation steigern und die Bundesfinanzverwaltung insgesamt stärken. Im Bereich der Haushaltswirtschaft schaffen wir durch neue Steuerungselemente mehr Effizienz und fördern sparsames Wirtschaften. Dazu beraten wir heute in erster Lesung das Haushaltsrechts-FortentBundesminister Dr. Theodor Waigel wicklungsgesetz. Die Eckpunkte sind: Erweiterung der Deckungsfähigkeit, Erweiterung der Übertragbarkeit, Lockerung des Grundsatzes der Gesamtdekkung, um Anreize zur Erzielung von Mehreinnahmen zu schaffen, Verankerung der Kosten- und Leistungsrechnung im Haushaltsgrundsätzegesetz und in der Bundeshaushaltsordnung. Mit dem Gesetzentwurf gehen wir den mittleren Weg zwischen notwendiger Flexibilisierung und parlamentarischer Verantwortung und Kontrolle. Der Entwurf des Haushalts 1998 orientiert sich bereits am neuen Recht. Damit ist eine Effizienz- und Flexibilitätsrendite in Höhe von immerhin 350 Millionen DM verbunden. Einsparungen gibt es auch bei der Bundesanstalt für Arbeit durch das zum 1. April 1997 in Kraft getretene Arbeitsförderungs-Reformgesetz und durch zusätzliche Konsolidierungsbemühungen. Die Ausgaben für Asylverfahren können wegen der rückläufigen Zahl der Asylanträge erneut vermindert werden. Die Ausgaben für die Steinkohle werden 1998 auf 8,7 Milliarden DM und damit um rund 400 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr zurückgehen. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wird der Bundesanteil auf 1,7 Milliarden DM begrenzt. Der Verkehrsbereich leistet einen Konsolidierungsbeitrag durch Kürzungen bei der Verwaltungsausgabenerstattung des Bundeseisenbahnvermögens. Die Bundesverkehrsinvestitionen sind nicht betroffen. Auch der Verteidigungshaushalt wird in begrenztem Umfang zur Konsolidierung herangezogen: Der Plafond 1998 liegt geringfügig unter dem Ansatz des alten Finanzplans. Im Rahmen dieses konsolidierten Plafonds wird die Beschaffung des Jagdflugzeugs Eurofighter ermöglicht. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung unserer Streitkräfte und zur Stützung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Luftfahrtindustrie. Auch die Beschäftigten in diesen Betrieben, der Technologiebereich in Deutschland und die Gesamtbevölkerung erwarten, daß ein solches Flugzeug, wenn wir bereits so viel an Entwicklungskosten aufgebracht haben, in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern hergestellt wird, um deutsche Arbeitsplätze zu sichern und weiterzuentwickeln. ({14}) Im Bereich von Wohnungswesen und Städtebau werden die Leistungen an die Länder im Bereich des sozialen Wohnungsbaus durch Rückführung des Verpflichtungsrahmens um 30 Prozent abgesenkt. Andererseits schaffen wir mit dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Wohnraumförderung die Grundlagen, um die Effizienz und Zielgenauigkeit der Förderung durch eine stärkere Subjektorientierung und eine bessere Nutzung des Wohnungsbestandes zu steigern. Neben dauerhaften Einsparungen werden auch zeitlich begrenzt wirkende Maßnahmen zur Konsolidierung herangezogen. Wir aktivieren ein Privatisierungspotential von insgesamt rund 19,5 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, der Bund hat mit der Privatisierung bereits Anfang der 80er Jahre mit großem Erfolg begonnen. Er hat sie konsequent fortgesetzt und ist immer wieder von der SPD angegriffen worden. Nun tun die SPD-Länder das gleiche, nachdem sie eingesehen, haben: Dies ist nicht nur für die Etats sinnvoll, sondern auch ordnungspolitisch richtig, weil die Betriebe und die Beschäftigten danach besser dran sind, als wenn sie in staatlicher Obhut blieben. ({15}) Die Nettotilgungsleistungen für die Schulden des Bundeseisenbahnvermögens in Höhe von 2,8 Milliarden DM in 1998 werden verschoben. Der Einsatz dieser Konsolidierungsinstrumente ist finanzpolitisch eine vernünftige Strategie. Wir können damit die aktuellen Zusatzlasten teilweise kompensieren und die Neuverschuldung in tragbaren Grenzen halten. ({16}) Wir schlagen so eine Brücke in die Zukunft, bis sich die positive konjunkturelle Entwicklung, die bereits auf den Weg gebracht ist, und die noch zu verabschiedenden Strukturreformen positiv auf die Haushalte auswirken. Trotz der Einsparungen und Ausgabenbegrenzungen setzt der Haushalt 1998 in den wichtigen standort- und zukunftsrelevanten Bereichen Akzente. Die Ausgabentransfers für die neuen Länder erreichen mit rund 94 Milliarden DM das hohe Niveau der Vorjahre. Unter Einbeziehung der Mindereinnahmen aus der Neuregelung des Finanzausgleichs liegen die Bruttoleistungen des Bundes bei rund 139 Milliarden DM. Nach Abzug der Steuerrückflüsse betragen die Nettotransfers des Bundes rund 91 Milliarden DM. Dies ist kein Rückgang gegenüber den letzten Jahren. Die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" wird auf hohem Niveau fortgeführt. Seit 1990 konnten mit Zuschüssen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und der wirtschaftsnahen Infrastruktur Investitionen von über 200 Milliarden DM angeschoben werden. Der Baransatz liegt noch leicht über der alten Finanzplanung. Am 31. August 1997 ist dazu mit den neuen Ländern eine Vereinbarung getroffen worden. Danach wird dem Gesetzgeber vorgeschlagen, die Ausgaben in diesem Bereich 1998 um 200 Millionen DM und die Verpflichtungsermächtigungen um 309 Millionen DM zu erhöhen. Hierüber wird das Parlament in den Beratungen zu entscheiden haben. Auch in der regionalen Wirtschaftsförderung Ost ist eine schrittweise Anpassung und Konzentration auf Bereiche mit hoher Investitionswirkung notwendig. Ein Beispiel für ein schlüssiges Konzept mit einer Konzentration auf vorhandene Schwachstellen bildet die vor der Sommerpause gesetzlich verabschiedete Fortsetzung der steuerlichen Investitionsförderung ab 1999. Das Fördervolumen liegt jährlich zwischen 5,4 und 6,1 Milliarden DM. Wir haben damit sehr rechtzeitig für alle Investoren und alle Beteiligten eine überschaubare Grundlage geschaffen, um damit die wichtige Investitionsförderung in den neuen Bundesländern auch weiter wirksam und zielgerichtet zu unterstützen. ({17}) Für Bildung und Forschung stehen 1998 fast 15 Milliarden DM bereit. Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung steigen immerhin um 130 Millionen DM. Auf dem Gebiet der Weltraumforschung und -technik wird durch die Zusammenführung der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten mit der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt eine wirtschaftlichere Verwendung der knappen Ressourcen angestrebt. Der im Bildungsbereich mit der Einführung des Meister-BAföG, der Teilumstellung beim Studenten-BAföG und der Novellierung des Hochschulbauförderungsgesetzes begonnene Kurs der strukturellen Reformen wird mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes konsequent beibehalten. Angesichts der weiterhin besonders schwierigen Lage des Lehrstellenmarktes in den neuen Ländern beteiligt sich der Bund zum fünftenmal hintereinander an einer Lehrstelleninitiative Ost. Zur Finanzierung der Bereitstellung von bis zu 15 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen werden im Zeitraum 1997 bis 2000 rund 200 Millionen DM bereitgestellt. Das sind 50 Prozent der Gesamtkosten. Ich möchte gemeinsam mit dem Kollegen Rüttgers und allen anderen Beteiligten nachdrücklich nochmals von hier aus an die Wirtschaft appellieren: Helfen Sie mit, damit auch dieses Jahr jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhält. ({18}) Der Bundeshaushalt wird auch 1998 für die Stützung des wirtschaftlichen Wachstums Investitionsimpulse setzen. Innerhalb der vorgesehenen 58,3 Milliarden DM nehmen die Verkehrsinvestitionen eine zentrale Stellung ein. Für die Schienenwege beträgt das Investitionsvolumen rund 9 Milliarden DM. Die Investitionsmittel aus dem Bundeshaushalt werden durch zusätzliche Eigenmittel der Bahn ergänzt. Die Investitionen für den Bundesfernstraßenbau steigen mit 8,25 Milliarden DM um 127 Millionen DM an. Die Sachinvestitionen - das sind im wesentlichen die Hochbau- und Tiefbaumaßnahmen des Bundes - liegen insgesamt bei 13,8 Milliarden DM und damit um rund 0,8 Milliarden DM über dem Vorjahressoll. Einen Anstoß für wachstumsstärkende Investitionen bringt auch das Programm zur Verstetigung beschäftigungsfördernder Investitionen mit einem Gesamtrahmen von 25 Milliarden DM. Die neuesten Zahlen der KfW belegen: Dieses Programm wird ein voller Erfolg. Wichtige Programmteile sind bereits ausgeschöpft. Der Haushalt des Bundesarbeitsministers ist mit 147 Milliarden DM der mit Abstand größte Einzelplan im Bundeshaushalt. Insgesamt gibt der Bund für den Sozialbereich rund 173 Milliarden DM aus. Das sind mittlerweile über 37 Prozent der Gesamtausgaben. 1991 lagen die um das Kindergeld bereinigten Sozialausgaben noch bei rund 117 Milliarden DM. 1998 leistet der Bund also rund 56 Milliarden DM oder fast 50 Prozent mehr für soziale Aufgaben. Das ist der beste Beweis dafür, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat ist und sich vor niemandem zu verstecken braucht. ({19}) Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit hinterläßt auch im nächsten Jahr deutliche Spuren bei den Etatansätzen für den Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitslosenhilfe. Allerdings werden die Aufwendungen hierfür mit 39,5 Milliarden DM angesichts der zu erwartenden Trendwende am Arbeitsmarkt unter den Ansätzen des Nachtrags 1997 in Höhe von 43 Milliarden DM veranschlagt. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist ein Mehrbedarf für den Bundeszuschuß gegenüber der bisherigen Finanzplanung von rund 3,6 Milliarden DM wegen der notwendigen Beitragssatzerhöhung veranschlagt. Der Bundeszuschuß beträgt dann rund 71,5 Milliarden DM. Insgesamt, insbesondere mit den Zuschüssen an die knappschaftliche Rentenversicherung, müssen 1998 insgesamt rund 87 Milliarden DM aufgebracht werden. Wir verfolgen eine klare Linie: Sicherung der lohn-und beitragsbezogenen Rente für die Zukunft sowie eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen Beitragszahlern und Rentnern in den kommenden Jahren. Mit der Rentenreform werden zugleich deutliche Signale für eine Stabilisierung und Begrenzung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten gesetzt. Hierzu soll auch ein höherer Bundeszuschuß beitragen. Zusätzliche Belastungen kann der Bundeshaushalt allerdings nicht tragen. Unverzichtbar ist daher die volle Refinanzierung der zusätzlichen Mittel, über die im Rahmen der beiden großen Reformvorhaben Steuer- und Rentenreform entschieden werden muß. Für einen Rentenkonsens bleiben strukturelle Konsolidierungsmaßnahmen unverzichtbar. Die Einnahmenseite ist auch im nächsten Jahr durch einen nur geringen Anstieg der Steuereinnahmen geprägt. Mit 347,5 Milliarden DM liegen die Steuereinnahmen 1998 auf dem Niveau des Jahres 1995, wenn man die Systemumstellung beim Familienleistungsausgleich berücksichtigt. Gegenüber dem Nachtragshaushalt 1997 erhöhen sich die Steuereinnahmen um 11 Milliarden DM oder 3,2 vom Hundert. Die Konsolidierungslinie des Haushalts 1998 wird im Finanzplan konsequent fortgesetzt. Der Bundeshaushalt leistet zur Rückführung der Staatsquote weiterhin einen maßgeblichen Beitrag. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt sinkt 1998 auf gut 12,5 Prozent und liegt damit unter dem Stand von 1989 mit damals 13 Prozent. Dies zeigt, daß kein Zweig der öffentlichen Hand, keine Stelle die Konsolidierung so intensiv betrieben und mit Erfolg vorangebracht hat wie der Bund. ({20}) Wir setzen diese Politik fort. ({21}) Die Steigerung der Ausgaben in den nächsten vier Jahren liegt mit jahresdurchschnittlich gut 1 Prozent wesentlich unter dem erwarteten Anstieg des nominalen Bruttoinlandsprodukts von rund 4 Prozent. Dies ist der einzige Weg, um die Staatsquote wirkungsvoll zu senken. Damit nähern wir uns auch den Vorgaben, die wir im Stabilitätspakt für Europa als mittelfristiges Defizit vereinbart haben. Meine Damen und Herren, der direkte Zusammenhang zwischen der Haushaltspolitik und der Steuerpolitik war selten so deutlich wie jetzt. Fehlende Steuereinnahmen tragen ganz erheblich zu der schwierigen Lage der öffentlichen Kassen von Bund und Ländern bei. Es wäre aber vollkommen verkehrt, den Zusammenhang dahin gehend zu deuten, jetzt müsse man aus finanziellen Gründen auf die Reform der Einkommensbesteuerung verzichten. Gerade das Umgekehrte ist zutreffend. ({22}) Nur mit einer durchgreifenden Strukturreform werden wir die Erosion der Steuerbasis stoppen und die Steuereinnahmen auf eine kalkulierbare Grundlage stellen. ({23}) Darauf hat auch die Bundesbank in ihrem letzten Bericht richtig und, wie ich meine, überzeugend hingewiesen. ({24}) Wir brauchen die Fortsetzung der Reformpolitik. Dabei müssen die Reformschritte 1996 bis 1999 und danach im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Es geht um ein geschlossenes Konzept zur Entlastung aller Steuerzahler, zur Förderung von Investitionen und Beschäftigung, zur Verwirklichung von mehr Steuergerechtigkeit und zur Schließung von Steuerschlupflöchern. Bereits beschlossen wurden die Steuerfreistellung des Existenzminimums 1996 mit einem Volumen von 15,5 Milliarden DM, die Verbesserung des Familienleistungsausgleichs 1996 mit einem Volumen von rund 7 Milliarden DM, der Wegfall der Vermögensteuer ab Januar 1997, die Straffung und Konzentration der steuerlichen Förderung in den neuen Bundesländern, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ab Januar 1998 und die Gemeindefinanzreform mit der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer. Jetzt gilt es, dieses Programm kontinuierlich fortzusetzen: mit einer ersten Reformstufe der Einkommensbesteuerung 1998 und mit der Umsetzung der weiteren Petersberger Beschlüsse ab 1999. Meine Damen und Herren, die Menschen, die Bürger, haben für die Art und den Inhalt der steuerpolitischen Konfrontation kein Verständnis mehr. ({25}) Die Betriebe warten zu Recht auf die Festlegung zuverlässiger steuerlicher Rahmenbedingungen, um endlich Investitionsentscheidungen treffen zu können. Wenn die ausländischen Direktinvestitionen an Deutschland weitgehend vorbeigehen, ist das ein schrilles Alarmsignal. Die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung duldet keinen Aufschub. Nachdrücklich unterstützt deshalb auch die OECD in ihrem jüngsten Deutschlandbericht das Steuerreformvorhaben von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen. Sie schreibt: Die Steuerreform ist von vorrangiger Bedeutung für ein höheres Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung. Niedrigere Steuersätze bei weniger Ausnahmen lassen Steuervermeidungsstrategien - auch in Richtung Ausland - unattraktiv werden. Meine Damen und Herren, ich erinnere an den Hinweis aus Hamburg, daß ein Großteil der Millionäre einer bestimmten norddeutschen Großstadt keine Steuern bezahle. Das paßt aber nicht zu der Polemik, daß eben diese Millionäre durch die von der Koalition beschlossene Steuerreform in unvertretbarer Weise entlastet werden. Bevor Sie mit dem untauglichen Vorschlag einer Mindeststeuer kommen, greifen Sie doch endlich den Vorschlag von uns und allen Sachverständigen auf, die Steuerschlupflöcher zu stopfen und damit dafür zu sorgen, daß die Millionäre in Deutschland wieder die Steuern bezahlen, die wir benötigen, um andere Aufgaben zu erfüllen. ({26}) Das Konzept der Bundesregierung ist auch auf der Verteilungsseite ausgewogen. Vertreter der Opposition haben dennoch das Wort „schamlos" benutzt. Die Fakten sind anders. Nur eines ist hier schamlos: die willkürliche Verdrehung von Tatsachen und das abermalige Schüren von Sozialneid durch eben diese Politiker. ({27}) Die Zahlen belegen nämlich ganz klar: Sowohl durch unseren neuen Tarifverlauf als auch durch die Schließung der Schlupflöcher wird die Steuerlast zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen umgeschichtet. Die großen Einkommen werden belastet. So beträgt der Anteil der oberen 10 Prozent der Steuerzahler an der Einkommensteuer 50,6 Prozent. Ihr Anteil an der Tarifentlastung beträgt 48,7 Prozent. Dazu die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht: Der Vorwurf, die Verteilungsgerechtigkeit bliebe dabei auf der Strecke, ist bei ökonomischer Betrachtung nicht gerechtfertigt. Zum einen begünstigt das bisherige, in seiner Inzidenz kaum überschaubare System gerade die zur Steuervermeidung besonders Befähigten. Zum anderen verbessert ein gesamtwirtschaftlich effizientes Steuersystem die Allokation der Produktionsfaktoren, schafft Anreize zur wirtschaftlichen Leistung und wirkt damit wachstumsfördernd. Am Ende stehen nicht zuletzt mehr Arbeitsplätze und geringere Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, fern aller parteipolitischen Auseinandersetzung: Die Argumente dafür sind doch so gravierend - und Sie haben sie in den letzten Jahren selber verwandt, hier und an anderer Stelle -, daß es bei gutem Willen doch möglich sein müßte, auf dieser Basis eine vernünftige Linie, einen Kompromiß und eine endgültige Entscheidung zu finden. ({28}) Bundesregierung und Koalitionsfraktionen jedenfalls sind gesprächs- und einigungsbereit. ({29}) Wir haben für die Stufen 1998 und 1999 ein in sich geschlossenes Konzept zur Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie des Solidaritätszuschlages vorgelegt. Diese Stufenlösung ist auf breite Zustimmung bei Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden gestoßen. Zunächst sollten wir über die Stufe 1998 reden. Unser Konzept mit der Senkung der Sätze der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte könnte dazu um einen ersten Schritt bei den Spitzensteuersätzen für nichtgewerbliche Einkünfte auf unter 50 Prozent ergänzt werden. Gleichzeitig sollte es schon 1998 einen Schritt beim Eingangssteuersatz geben, um die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu stärken. Die bisher vorgesehene Nettoentlastung in 1998 von knapp 1 Milliarde DM könnte auf diesem Niveau gehalten werden, wenn wir Elemente der bereits gemeinsam ermittelten Gegenfinanzierungsliste nutzen. Die Umsetzung des Restpaketes könnte selbst wieder in Stufen - ab 1999 - vorgenommen werden. Wenn es so ist, wie Oskar Lafontaine in seinem Brief vom 5. August 1997 schreibt, daß die SPD bereit ist, alles, was gut ist für unser Land, mitzutragen, dann sollte ein Zugehen auf diesen Vorschlag eigentlich eine Formsache sein. ({30}) In diesem Zusammenhang empfehle ich der Opposition noch einmal die Lektüre des Vorschlags des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung; diese steht Ihnen ja schließlich nicht allzu fern. Dieser Bericht ist ein Beispiel für ein offenes und vorurteilsfreies Herangehen an die Steuerfrage. Meine Damen und Herren, Steuerpolitik hört nicht vor unserer Haustür auf. Viele Länder haben ihre steuerlichen Wettbewerbsbedingungen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Das verstärkt die Erosion der Steuerbasis in Deutschland und zeigt unseren Nachholbedarf um so deutlicher. An einigen Stellen hat aber der an sich für Wettbewerb und Wachstum wichtige Steuerwettbewerb der Standorte Dumpingcharakter angenommen. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist wohl wahr!) Auch innerhalb der Europäischen Union haben immer mehr Mitgliedstaaten steuerliche Sonderregelungen eingeführt. Die Vergünstigungen bestehen meist in extrem niedrigen Steuersätzen oder der Besteuerung nur eines Bruchteils des Gewinns, etwa für sogenannte Koordinierungszentren, Holdinggesellschaften, Kapitalanlage- und Konzernfinanzierungsgesellschaften. Gegen diesen unfairen Steuerwettbewerb werden wir uns wehren. Wir benötigen deshalb möglichst rasch eine internationale Abstimmung, um diesen unfairen Praktiken ein Ende zu setzen. Wir gingen und gehen dieses Problem aktiv an. Über Lösungen wird sowohl auf EU-Ebene als auch auf OECD-Ebene beraten. Es wird auch ein wichtiges Thema des am nächsten Wochenende stattfindenden informellen Treffens der EU-Finanzminister in Luxemburg sein. Die maßgebenden Anstöße zu dieser Diskussion hat die Bundesregierung gegeben. Als ersten Schritt streben wir die Vereinbarung eines Verhaltenskodexes zwischen den EU-Ländern an. In einem solchen Kodex müssen sich die Mitgliedstaaten bindend verpflichten, bestimmte Grundregeln der Fairneß in der Steuerpolitik einzuhalten. Auch die Europäische Kommission selbst hat Handlungsbedarf. Sie darf das Steuerdumping durch ihre Wettbewerbspolitik nicht legitimieren. Es kann nicht richtig sein, Sondervergünstigungen von Mitgliedstaaten als „noch binnenmarktkonform" abzusegnen, die einen Anreiz für Steuerflucht bieten. ({0}) Auf europäischer Ebene verfolgen wir darüber hinaus weiter unser Ziel der Verbesserung der steuerlichen Erfassung von Zinseinkünften. Eine wachsende Zahl von Mitgliedstaaten hat sich zwischenzeitlich angeschlossen. Auch die Kommission hält die möglichst rasche Einführung einer Gemeinschaftsregelung für unerläßlich. Sie wird dazu so bald wie möglich neue Vorschläge vorlegen. Wir werden die' Kommission aktiv unterstützen. Dabei können wir auf die Vorarbeiten zurückgreifen, die unter unserer Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1994 bereits geleistet wurden. Meine Damen und Herren, der Nationalökonom Herbert Giersch schrieb am 3. Juli in der „Wirtschaftswoche": Für den Weltkapitalmarkt spielt es keine große Rolle mehr, wo sich die Triebkräfte des Wachstums entfalten. Es gibt genug aufstrebende Länder und Märkte, die die Gelegenheit wahrnehmen werden, uns mit kapitalfreundlichen Regelungen den Rang abzulaufen. Er schreibt weiter: Zwei Gruppen unserer Bevölkerung werden mittelfristig am meisten leiden, wenn der Kurzfrist-Populismus die Oberhand behält. Die einen sind die Arbeitslosen, für die die Kapitalknappheit sich als Arbeitsplatzmangel darstellt, ohne daß sich für sie am Horizont ein Silberstreifen zeigt. Die anderen Benachteiligten sind die Rentner von morgen, die an den Generationenvertrag gebunden bleiben. Das sind eindringliche Worte, die wir ernst nehmen sollten. Die Globalisierung schreitet unaufhaltsam fort. Wir müssen die finanzpolitischen Hausaufgaben machen, unsere Institutionen und unsere Politik auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausrichten. Die Unternehmen in Deutschland sind nicht das Problem. Sie haben ihre Politik schon in den letzten Jahren auf die neue Zeit eingestellt. Die Betriebe wurden verschlankt, modernisiert und internationalisiert. Deutsche Unternehmen können sich heute weltweit am Markt behaupten. Die Exportzahlen oder der boomende deutsche Aktienmarkt sprechen für sich. Die Frage ist, ob diese positive Ausgangslage deutscher Unternehmen auch der deutschen Volkswirtschaft zugute kommt. Die Frage ist, wo die deutsche, aber auch die ausländische Wirtschaft investiert, wohin Know-how und Kapital fließen, wo letztlich Arbeitsplätze geschaffen werden. An dieser Frage entscheidet sich die Zukunft unseres Arbeitsmarktes ebenso wie die unseres Sozialsystems. Die Lebensperspektive jedes einzelnen, aber auch das Vertrauen in Staat und Politik hängen davon ab. Letztlich geht es hier auch um die Zukunft von Demokratie und Freiheit. Das Ende dieses Jahrhunderts ist für uns Deutsche bewegend und faszinierend zugleich. Das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts - davon bin ich überzeugt - wird trotz aller Herausforderungen als das beste Jahrzehnt in die Geschichte dieses Jahrhunderts eingehen. Wir werden die Probleme des nächsten Jahrzehnts nur lösen, wenn wir daran nicht mit Angst und Defensive, sondern mit Aufbruchstimmung und mit einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Offensive herangehen. ({1}) Dieses Jahrzehnt hat Perspektiven eröffnet, von denen die Generationen von 1918 und 1945 nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Deutschland ist wiedervereinigt. Wir sind heute Motor der Neuordnung Europas und haben erstmals in diesem Jahrhundert zu all unseren Nachbarn freundschaftliche Beziehungen. Wir sind unserem Ziel, einer Welt in Frieden und Freiheit und der Bewahrung der Schöpfung, ein großes Stück nähergerückt. Nun gilt es, im Zeichen der neuen Zeit das in den letzten zehn Jahren Erarbeitete mit Mut und Augenmaß voranzutreiben. Dies ist die Aufgabe unserer Generation. Dazu leistet die Finanzpolitik dieser Regierung und dieser Koalition einen entscheidenden Beitrag. Ich danke Ihnen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Aussprache rufe ich die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier auf.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, jetzt die eine Stunde zugehört hat, dann war als Hauptbotschaft erkennbar: Eigentlich ist in diesem Land alles in Ordnung. Dann fragen wir uns nur: Warum haben Sie eigentlich keine Lust mehr, Herr Bundesfinanzminister? ({0}) Sie wissen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Allein Ihr Nachtragshaushalt für dieses Jahr 1997 zeigt Ihr Dilemma auf; denn wieder zeigen sich die berüchtigten Haushaltslöcher des Theo Waigel: über 18 Milliarden DM. Wie stopfen Sie diese Haushaltslöcher? - So, wie Sie das immer tun: durch neue Schulden in Höhe von 18 Milliarden DM, die zu den 53 Milliarden DM Schulden kommen, die Sie schon vorher hatten. Dann sagen Leute aus Ihren Reihen, zum Beispiel der Herr Rauen: Im November könnte es sein, daß sogar 20 Milliarden DM fehlen. Das wären dann beim Bund 10 Milliarden DM. - Nein, nein, meint ein anderer; es sind wohl insgesamt nur 10 Milliarden DM. Ich lese in der Zeitung, daß Sie erklärt haben sollen, das wäre gar nicht so schlimm; denn 3 Milliarden DM hätten Sie ja noch versteckt. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ein Hühnerhaufen ist im Vergleich zu dem Durcheinander, das Sie hier produzieren, ein Ort der Ruhe. ({1}) Dieser Tage sagte mir der Eigentümer eines mittleren Unternehmens: Statt eines Punktes mehr oder weniger beim Spitzensteuersatz ist für die Wirtschaft viel wichtiger, daß endlich Berechenbarkeit in die Finanzpolitik dieser Bundesregierung einkehrt. Daran fehlt es eben. ({2}) Es gab einmal einen Werbespruch, der hieß: Dieser Name steht für Qualität. Der Name Waigel steht für Schönfärberei, Haushaltslöcher, Staatsschulden, Steuerchaos und zuletzt Aktion Goldfinger bei der Bundesbank. ({3}) Deswegen titelt heute die „Leipziger Volkszeitung" so treffend: „Waigels Wursteln löst bei der Wirtschaft helles Entsetzen aus". Oder die „Zeit" schreibt: „Waigel hinterläßt eine derart verheerende Bilanz wie keiner seiner Vorgänger, gleich welcher Partei" . Eine solche Finanzpolitik hat Deutschland nicht verdient. Deswegen muß das ein Ende haben! ({4}) Das spürt auch Theo Waigel selber. Deswegen hat er gesagt, er habe keine Lust mehr und könne sich auch etwas anderes vorstellen, etwas Besseres: Außenminister oder Bundespräsident. Hören Sie, das ist eine merkwürdige Logik. Sie reden immer vom Leistungsprinzip. Seit wann begründet denn das Versagen in einem Ministeramt den Leistungsnachweis für ein anderes, besseres Amt? ({5}) Viele von uns kennen den Film „Dr. Kimble auf der Flucht". Das Sommertheater in diesem Jahr hieß aber: Theo auf der Flucht, genaugenommen: Theo auf der Flucht vor der Verantwortung. ({6}) Denn erst die Karre in den Dreck fahren und sich dann nach einem höheren Amt aus dem Staube machen, das gehört sich nicht. Das wissen auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition. ({7}) Nun ist Herr Waigel sicher nicht allein für das Durcheinander verantwortlich. Das ist zum Beispiel auch die F.D.P. mit ihren andauernden unfinanzierbaren Steuersenkungsversprechen. Das ist ebenfalls der Bundeskanzler; denn wenn nicht der Bundeskanzler im Jahre 1990 immer wieder erklärt hätte, es gebe für die deutsche Einheit keine Steuererhöhungen, hätte Theo Waigel diesen Unsinn gar nicht vertreten können. Das Versagen dieses Finanzministers ist zugleich das Versagen dieses Bundeskanzlers. ({8}) Das weiß er auch; denn er liest die Kommentare in den Zeitungen über seine Politik und sein Kabinett. Nur ein paar Auszüge: „Verschleiß überall", „Konkursverschlepper", „Lachkabinett", „Letztes Aufgebot", „Bonner Chaos-Combo" , „Abbruchfirma Kohl und Co.". Das ist nicht von der SPD, das sind alles Zitate aus Zeitungen. Da können Sie im Kloster Andechs dreimal beschließen, feste zusammenzustehen. Es ist offensichtlich: Die Union taumelt hin und her. Mit Kohl und Waigel gibt es nun einmal keinen Neuanfang in diesem Lande. ({9}) Deswegen wissen Sie, daß Neuwahlen eigentlich die richtige Lösung gewesen wären. ({10}) Aber wir wissen, daß Sie versuchen werden, sich durchzumogeln und alles auszusitzen, und daß Sie Waigel nicht entlassen können. Wie schrieb das „Handelsblatt" so klar: Dieser Finanzminister wäre von einem Bundeskanzler mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit allerdings längst in die Wüste geschickt worden. Der amtierende Kanzler - der amtierende! mit seiner hauchdünnen Mehrheit kann es sich aber nicht leisten, den Vorsitzenden der Unions-Schwesterpartei auszuwechseln. Dies mag ja aus Gründen des Machterhalts aus der Sicht des Bundeskanzlers so sein. Aber mit uns sagen viele: Es ist doch nicht länger hinnehmbar, daß ein Finanzminister Narrenfreiheit hat, nur weil er CSU-Vorsitzender ist. ({11}) Den Nachtragshaushalt 1997, Herr Waigel, haben Sie nicht freiwillig vorgelegt. Das ganze erste Halbjahr haben Sie sich gewehrt, dem Antrag meiner Freunde aus dem Haushaltsausschuß, ({12}) einen Nachtrag vorzulegen und endlich zu erklären, daß die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist, zu entsprechen, noch zuletzt am 26. Juni. Schließlich haben aber zwei Dinge Sie doch dazu gezwungen. Grund Nummer eins ist die Tatsache, daß Ihnen im laufenden Jahr das Geld ausgeht. Sie stehen unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit. ({13}) Grund Nummer zwei ist die Verfassungsklage der SPD gegen Ihren Haushalt 1996 und die Drohung, daß wir eine ebensolche Klage gegen Ihren Haushalt 1997 einreichen würden. Denn Ihr Haushalt 1996 verstößt gegen die Verfassung. Nach Art. 115 des Grundgesetzes darf die Höhe der Neuverschuldung die Höhe der Investitionen nicht überschreiten. Es gibt eine Ausnahmeregelung: Es ist zulässig „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Sie hatten also zwei Möglichkeiten: entweder die Verschuldung unter die Investitionssumme zu drükken, oder aber die Störung des Gleichgewichtes festzustellen. Das eine konnten Sie nicht. Die Nettokreditaufnahme war mit 78 Milliarden DM sehr viel höher als die Investitionssumme. Das andere wollten Sie nicht; denn die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes festzustellen, das fürchteten Sie nach Ihrem Aufschwunggerede wie der Teufel das Weihwasser. Deswegen war Ihr Haushalt 1996 eindeutig verfassungswidrig. Sie sagen, nein, nein, das hätten Sie bei der Aufstellung nicht gewußt; auf dem Papier sei es in Ordnung gewesen. Das ist richtig. Das ist leider Ihre Politik: Auf dem Papier ist bei Ihnen immer alles in Ordnung, nur nicht in der Wirklichkeit. ({14}) Denken Sie an den berühmten Waigel-Wisch. Sie haben auf einer DIN-A4-Seite über Nacht 20 Milliarden DM herbeigeschafft, die natürlich nie Wirklichkeit wurden. Mondzahlen jeden Tag! Da hat Otto Graf Lambsdorff recht, der gesagt hat: Das ist unsere Aufforderung an Herrn Waigel und an das Finanzministerium, Haushaltsentwürfe vorzulegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt: Das kann nicht stimmen. ({15}) Seltsam ist nur, daß Graf Lambsdorff zwar immer mit dabei, aber nie mit verantwortlich war. Aber dies haken wir unter F.D.P. ab. ({16}) Wir haben Ihnen die Zahlen immer vorhergesagt. Herr Waigel, eines möchte ich Ihnen auch ganz persönlich sagen: Wenn ich mir Sie so anschaue, eingeklemmt zwischen einer F.D.P., die dauernd unfinanzierbare Steuersenkungsversprechungen macht, um ihre Klientel zu bedienen, und einer CSU, die Sie beim Euro in die Mangel nimmt, tun Sie mir - das will ich nicht verhehlen - manchmal leid. ({17}) Sie wissen, daß ich es Ihnen hoch anrechne und es als Pluspunkt in Ihrer Politik ansehe, daß Sie trotz Gauweiler und Stoiber im Nacken so für die Europäische Währungsunion eintreten. Aber ich denke umgekehrt auch daran, wie Sie hier immer wieder gegen die Opposition herumgeholzt haben: „Kassandra" und „Horrorzahlen" waren das Minimum. Die Wirklichkeit Ihrer Zahlen war immer ein viel schlimmerer Horror als unsere vorhergesagten Zahlen. ({18}) Wenn ich daran denke, mit welcher Eiseskälte Sie im Spätsommer 1990 den damaligen SPD-Finanzminister Walter Romberg aus dem Kabinett de Maizière geekelt haben, nur weil er es gewagt hat, zu sagen, die deutsche Einheit wird doch etwas teurer, hält sich mein Mitgefühl mit Ihnen allerdings in Grenzen. Denn in Deutschland ist niemand gezwungen, Finanzminister zu sein. ({19}) 1997 haben Sie jetzt endlich, weil Sie die Schulden beim besten Willen nicht in den Griff bekommen, eingestehen müssen, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Herr Bundeskanzler, was für ein Canossagang für Sie, welch ein Debakel für Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik: dauerndes Gerede, alles sei in Ordnung, und dann Schuldenrekord, Abgabenrekord, Pleitenrekord, Arbeitslosenrekord! Dieses Land braucht endlich eine Aufbruchstimmung. Daß Sie dazu nicht mehr in der Lage sind, wissen wir alle genau. ({20}) Wer nun meint, Sie würden angesichts der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bei über 4,3 Millionen Arbeitslosen in Ihren Haushalten die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt stellen, der sieht sich getäuscht. Ihre Haushalte sind durch vier Merkmale gekennzeichnet: erstens die Explosion der Schulden trotz Bilanzkosmetik, zweitens die Ausplünderung des Bundesvermögens, drittens die dramatische Lastenverschiebung in die Zukunft und viertens die Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit. Merkmal Nummer eins sind die Schulden; das ist offensichtlich. In nur drei Jahren -1996, 1997 und 1998 - erhöhen Sie allein den Schuldenberg des Bundes um zusätzliche neue Schulden in Höhe von 200 Milliarden DM, und alle in der Regierung machen das mit. Dazu gehört auch die F.D.P., die in ihrem letzten Grundsatzprogramm sogar beschlossen hat, die Neuverschuldung solle per Grundgesetz verboten werden. Aber dies kennen wir von der F.D.P. In Bonn gilt der Spruch: Mit flotten Sprüchen schnell zur Stelle ist der Guido Westerwelle. Nur: Wenn es konkret wird, sind Sie nicht da, meine Damen und Herren von der F.D.P. ({21}) Diese eine Billion DM an Schulden, die Sie seit dem Sturz von Helmut Schmidt allein beim Bund oben draufgepackt haben, haben Sie gebraucht, obwohl Sie in der gleichen Zeit sage und schreibe 158 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen einkassiert haben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Sie hier gesagt haben, nie und nimmer würden Sie Bundesbankgewinne einkassieren. Ich erinnere nur daran: Die sozialliberale Koalition hatte in 13 Jahren 13 Milliarden DM kassiert, Sie dagegen haben in 15 Jahren 158 Milliarden DM nach dem Motto kassiert „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern" . ({22}) Das volle Ausmaß Ihrer dramatischen Verschuldenspolitik zeigt sich nicht an der sogenannten Nettoneuverschuldung oder Nettokreditaufnahme, sondern an der sogenannten Bruttokreditaufnahme. Die haben Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung aufgeschrieben. Das ist nun Haushaltschinesisch, aber man muß es verstehen, um zu sehen, welches Schuldenrad diese Regierung dreht. Da steht für 1997: Bruttokreditaufnahme 257 Milharden DM, Anschlußfinanzierung 186 Milliarden DM, Neuverschuldung 71 Milliarden DM. Was heißt das auf deutsch? Waigel nimmt allein 1997 257 Milliarden DM Schulden auf und benutzt davon 186 Milliarden DM, um frühere Schulden zu bezahlen. Dann braucht er noch 71 Milliarden DM, weil er mit seinen Haushaltslöchern nicht zurechtkommt. Meine Damen und Herren, das Risiko bei dieser enormen Schuldenaufnahme, wenn die Bundesbank einmal wieder die Zinsen erhöhen sollte, ist dramatisch. Wenn die Bundesbank die Zinsen nur um einen Prozentpunkt erhöhen sollte, bedeutete das schon im nächsten Jahr eine zusätzliche Zinsbelastung des Bundes - nur Zinsen! - von etwa 2,4 Milliarden DM. Zum Vergleich: Der Umwelthaushalt beträgt 1,2 Milliarden DM. Mit einem Rutsch wäre zweimal der Umwelthaushalt futsch, nur durch Zinsen auf Ihre Schulden. Ich sage Ihnen: Diese Zinsfalle ist verheerend. Wer das Land so in eine Schulden- und Zinsfalle treibt, der verspielt die Zukunft unserer Kinder. ({23}) Zweites Merkmal Ihrer Haushalte: Ausplünderung des Bundesvermögens. Der Griff in die Goldreserven der Bundesbank wurde Gott sei Dank gerade noch einmal abgewehrt. Privatisierung in einer sinnvollen Größenordnung ist durchaus etwas, worüber man reden kann. Aber nachdem Sie in den vorherigen 15 Jahren in Höhe von 27 Milliarden DM privatisiert haben, privatisieren Sie jetzt in zwei Jahren Bundesvermögen in Höhe von 40 Milliarden DM. Außerdem muß man sich einmal anschauen, was bei dieser Privatisierung denn passiert. Da ist zum Beispiel die Telekom: Die restliche Telekom, so hatten Sie bei deren Börsengang versprochen, würden Sie in den nächsten Jahren nicht verkaufen; das dürften Sie überhaupt nicht. ({24}) Jetzt brauchen Sie aber dringend das Geld. Sie wollen ja in zwei Jahren allein 25 Milliarden DM von der Telekom bekommen. Was machen Sie? Sie parken - das ist etwas ganz Neues - die Telekomanteile des Bundes bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die nun wiederum eine öffentliche Bank ist. Die Kreditanstalt überweist Ihnen dann die 25 Milliarden DM. Aber die Kreditanstalt hat die 25 Milliarden DM nicht, die muß sie als Schulden aufnehmen. Deswegen ist das, was Sie hier vornehmen, eine indirekte, eine getarnte Schuldenaufnahme des Bundes. Das werden wir Ihnen auch nachweisen. ({25}) Damit nicht genug der Notverkäufe. Sie erwähnten es selber: Nicht einmal die Bundesrohölreserve ist vor Ihnen sicher. Wie sehr müssen Sie haushaltspolitisch am Ende sein, wenn Sie sogar diese, von der sozialliberalen Koalition aufgebaute, Zukunftsvorsorge verscherbeln, nur um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen! ({26}) Drittes Merkmal Ihrer Haushalte: Sie verschieben Lasten in die Zukunft, nach dem Motto „Nach uns die Sintflut! ". Beispiel Nummer 1: Wegen der gigantischen Verschuldung sitzen wir in der Zinsfalle. Allein 25 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes gehen in Zinsen; man nennt das Zinssteuerquote. Das hat nicht nur zur Folge, daß die öffentlichen Haushalte immer weiter stranguliert werden, weil diese 25 Prozent natürlich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für mehr Bildungsausgaben und anderes fehlen. Vielmehr ist das auch eine dramatische Umverteilung von unten nach oben; denn es sind ja nicht in erster Linie die Verdiener der kleinen Einkommen, die dem Staat das Geld leihen, sondern die der großen und größten Einkommen sowie die gewerblichen Anleger. Deswegen sage ich Ihnen: Die Umverteilung, die Sie allein über Ihre Schulden betreiben, ist fast so schlimm wie die Abschaffung der privaten Vermögensteuer. ({27}) Beispiel Nummer 2 für die Lastenverschiebungen: der Telekom-Verkauf. Da die Erlöse aus dem Telekom-Verkauf für die Erfüllung der gesetzlichen Pensionsverpflichtungen des Bundes gegenüber den Postbediensteten vorgesehen waren, werden sich schon in wenigen Jahren weitere dicke Löcher im Bundeshaushalt auftun. Denn § 16 des Postpersonalrechtsgesetzes schreibt nun einmal vor, ({28}) daß der Bund die Zahlungsfähigkeit der Postpensionskassen gewährleistet. Wenn aber dann die Erlöse aus dem Telekom-Verkauf schon verfrühstückt sind, meine Damen und Herren, dann rollen diese Lasten in Zukunft auf den Bundeshaushalt zu. ({29}) Beispiel Nummer 3: Der Bund setzt gesetzlich zugesagte Tilgungszahlungen an das Bundeseisenbahnvermögen in Höhe von fast 8 Milliarden DM in den Jahren 1998, 1999 und 2000 aus. Auch das klingt schon wieder so haushaltstechnisch, meine Damen und Herren. Ich werde Ihnen einmal beschreiben, was das heißt. ({30}) Der Bund verhält sich so wie jemand, der zur Schuldnerberatung gehen muß. Er müßte eigentlich beim Bundeseisenbahnvermögen 1998, 1999 und 2000 fast 8 Milliarden DM Schulden tilgen. Jetzt kann er aber nicht. Wie ist das bei einer ordentlichen Schuldnerberatung? Sie ruft dann die Gläubiger an und sagt: Hören Sie mal, kann ich mit Ihnen vereinbaren, daß der Schuldner Aufschub bekommt? Genauso haben Sie es gemacht. Sie müssen sogar ein Gesetz ändern, um die Tilgung dieser Schulden auszusetzen. Daß Waigel zu einer Aktion greift, die man bisher nur von Ländern, die kurz vor dem Staatsbankrott standen, kennt, zeigt, wie sehr Ihnen das Wasser bis zum Halse steht. ({31}) Beispiel Nummer 4 für die Lastenverschiebungen in die Zukunft - Sie sprachen es selber an -: der Eurofighter. Ich sage lieber: Jäger 90. Warum? 1992 war es Verteidigungsminister Rühe, der gesagt hat, der Jäger 90 sei tot; er werde ein neues Flugzeug entwikkeln, das heiße dann Eurofighter; es werde pro Stück höchstens 90 Millionen DM kosten. Nun haben wir den Eurofighter wieder auf dem Tisch. Er soll pro Stück 125 Millionen DM kosten; ({32}) ein einziges Flugzeug soll 125 Millionen DM kosten. ({33}) In Ihrem Haushaltsentwurf stehen für die Beschaffung allein im nächsten Jahr 847 Millionen DM. ({34}) Das verschleiert aber die eigentliche Belastung; denn über die gesamte Laufzeit wird dieses Flugzeug mit Bewaffnung und unter Berücksichtigung von Kostensteigerungen 25 Milliarden DM kosten. ({35}) Da fragen wir Sie, Herr Finanzminister: Warum steht denn diese Folgebelastung nicht in Ihrem Haushalt? Es ist das einzige Beschaffungsvorhaben, bei dem Sie nicht für die Folgejahre die Zahlen ausweisen. Warum? - Weil es Ihnen wohl unangenehm ist, die unzähligen Milliarden für dieses neue Jagdflugzeug auszuweisen. Das ist übrigens ja wohl auch der Grund dafür, daß Sie bis heute weder im Kabinett noch im Deutschen Bundestag eine Beschaffungsvorlage vorgelegt haben. ({36}) Sie wissen, wir haben dieses Geld nicht. Übrigens hat nicht nur der Bundeshaushalt das Geld nicht, sondern auch die Bundeswehr nicht. Wie schreibt das „Handelsblatt" so schön: „Der Eurofighter läßt Heer und Marine zittern. " Das ist doch klar; denn wenn man dieses Beschaffungsvorhaben auf die Schiene schiebt, dann ist für die anderen Teilstreitkräfte praktisch kein Geld mehr da. Wir können es uns einfach nicht leisten, mit einem neuen, glänzenden Jagdflugzeug herumzufliegen, während das Heer auf abgefahrenen Reifen daherfährt. ({37}) Das fünfte Beispiel für Lastenverschiebungen: die private Vorfinanzierung öffentlicher Bauvorhaben. Ich gebe gerne zu, diese private Vorfinanzierung greift nicht nur beim Bund um sich; wir finden sie vielmehr auch bei Ländern und Gemeinden. Ich halte sie für sehr gefährlich; denn sie verschleiert, daß unsere eigene Zùkunft, aber gerade auch die unserer Kinder durch enorme Vorbelastungen zugeschoben wird. In Ihrer mittelfristigen Finanzplanung haben Sie dafür Beispiele. So soll zum Beispiel das Schienenprojekt Nürnberg-Ingolstadt-München an Baukosten etwa 3,5 Milliarden DM kosten. Aber wir zahlen dafür 9,1 Milliarden DM, weil wir es ja später mit Zins und Zinseszins zurückkaufen müssen. Die Zahlung beginnt erst ab dem Jahr 2002, so daß man das Gefühl hat, es sei alles paletti; in späteren Jahren kommen dann aber die enormen Belastungen auf uns zu. Nein, meine Damen und Herren, jede dieser Verschiebungen in die Zukunft ist schon für sich alleine genommen fragwürdig. In der Summe sind aber die zukünftigen Haushalte in geradezu erschreckendem Ausmaße vorbelastet, ({38}) denn später wird das Geld fehlen, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. ({39}) Viertes Merkmal: die Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit. Das Ziel, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren, hat die Regierung Kohl längst aufgegeben. Schaut man in ihre Finanzplanung, stellt man fest, daß sie noch für das Jahr 2001 von 3,7 Millionen Arbeitslosen ausgeht. Es ist doch wirklich unglaubwürdig, wenn Sie hier immer etwas anderes erzählen. Obwohl wir im Moment 4,37 Millionen Arbeitslose haben, stellte der famose Herr Rexrodt vorige Woche fest, das 50-Punkte-Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung sei weitgehend verwirklicht. Da fragen wir uns alle, wo denn die vielen Arbeitslosen herkommen, wenn Sie alles verwirklicht haben. ({40}) Im übrigen zeigt sich am Namen des Programms „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" etwas, was mir bei Ihnen dauernd auffällt: In der Semantik, im Schöpfen von angenehmen Wörtern sind Sie wirklich Weltmeister. Was verbirgt sich aber hinter diesem schön klingenden Programm? - Kürzung der Lohnfortzahlung, Verlängerung der Lebensarbeitszeit für ältere Frauen, Einschränkung des Kündigungsschutzes. Ein anderes Beispiel, mit dem wir im letzten Jahr ehrlich gesagt zu kämpfen hatten: Sie haben immer von einem Sparpaket gesprochen, aber in dem Sparpaket stand ein Steuerausfall von 9 Milliarden DM durch den Wegfall der Vermögensteuer. Da frage ich mich, was das denn mit Sparen zu tun hat. Das mußten wir erst aufbrechen. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich von Herrn Seehofer, das mir besonders auffiel: Hinter einer wunderbar klingenden Überschrift stand knochenharter Sozialabbau. Er sagte nämlich - und das ist geltendes Recht -: Jugendliche unter 18 Jahren erhalten ab 1. Januar 1997 keinen Zahnersatz mehr finanziert, denn sie können sich ja die Zähne putzen. Klingt eigentlich mit der Einschränkung „bis 18 Jahre" ganz gut. Dabei bleibt den meisten Menschen verborgen, daß ab dem 1. Januar 1997 gilt: Alle nach 1978 Geborenen bekommen nie mehr im Leben Zahnersatz, ob sie einmal 38 oder 64 Jahre alt sind. Da irgendwann alle Menschen nach 1978 geboren sind, bekommt irgendwann überhaupt niemand mehr in diesem Lande Zahnersatz. Das verstecken Sie hinter der harmlos klingenden Überschrift „kein Zahnersatz für junge Leute unter 18 Jahren". Wenn Sie schon so etwas machen, klären Sie die Bevölkerung über die Wirklichkeit und das, was Sie dahinter verstecken, auf! ({41}) Nachdem Sie also mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht zurechtkommen und keine Erfolge vorweisen können, sagen Sie: Jetzt wird es die Steuerreform richten. Sie tun so, als sei sie der Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, wir sind für eine große Steuer- und Abgabenreform. Aber wir warnen Sie davor, die Illusion zu erwecken, als würden damit die Probleme dieses Landes gelöst. Sie arbeiten immer mit solchen Illusionen, die sich nachher als Flop erweisen. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie uns gesagt haben, wenn wir das sogenannte Dienstmädchenprivileg, den Hausgehilfinnenfreibetrag, verbesserten, bringe das Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Letzte Woche hat die Bundesanstalt für Arbeit von einigen wenigen hundert gesprochen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir brauchen diese Steuer- und Abgabenreform, aber hüten Sie sich davor, nur weil Sie auf dem übrigen Feld der Beschäftigungspolitik nichts zustande bringen, die Hoffnungen der Menschen so hochzujubeln, daß sie meinen, die Steuer- und Abgabenreform würde alle Probleme lösen. ({42}) Sie haben heute, Herr Finanzminister, das Wort Blockade vermieden, wie ich in Ihrer Rede bemerkt habe. ({43}) - Was hilft das denn? Hier macht man auf vornehm, aber im Lande rennt man herum und sagt knochenhart: Die SPD blockiert! Ich möchte Ihnen einmal die neuesten Zahlen aus dem Vermittlungsausschuß nennen. In der 13. Legislaturperiode wurden bisher 282 Gesetzesbeschlüsse des Bundestages im Bundesrat beraten. 143 Gesetzesbeschlüssen wurde die Zustimmung erteilt, zu 89 Einspruchsgesetzen wurde der Vermittlungsausschuß nicht angerufen. Das heißt: Glatt durch den Bundesrat gingen rund 82 Prozent aller Gesetze. In 49 Fällen wurde der Vermittlungsausschuß angerufen, übrigens dabei in 35 Fällen mit den Stimmen der CDU/CSU-regierten Länder. - Daß die auch immer so blockieren, Herr Waigel, muß nun bald ein Ende haben. - Nach den Vermittlungsverfahren blieben nur noch rund 8 Prozent der Gesetzesinitiativen übrig, bei denen der Vermittlungsausschuß gesagt hat: Das wollen wir so nicht. Daß wir uns dauernd einigen können, sehen Sie zum Beispiel an der steuerlichen Ostförderung. Wir haben die Ostförderung Anfang Juni einvernehmlich hier im Deutschen Bundestag beschlossen. Allerdings will ich gerne hinzufügen: Daß die Bundesregierung diese Einigung benutzt hat, um das erfolgreiche Instrument der Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung-Ost umgehend zu kürzen, das hatten wir nicht erwartet und ist unvernünftig. ({44}) Wir haben die Gewerbekapitalsteuer in diesen Tagen gemeinsam abgeschafft. Wir haben gemeinsam eine Reform der Hochschulen im Hochschulrahmengesetz auf den Weg gebracht. Wir haben gemeinsam ein Gesetz gegen die organisierte Kriminalität auf die Schiene gesetzt. ({45}) Wir haben zum Beispiel parteiübergreifend eine Kampagne zur Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte gemacht, was ich ausdrücklich begrüße. Aber, Herr Bundeskanzler, daß Sie praktisch in der gleichen Woche den Titel „Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte" in Ihrem Haushalt von 30 Millionen DM auf 20 Millionen DM herunterfahren, finden wir nicht in Ordnung. Das ist widersprüchlich, das können wir nicht verstehen. ({46}) Und von wegen, wir würden alles nicht so machen, wie Sie es wollen: Für die Rentenreform, die Sie sich vorstellen, brauchen Sie uns überhaupt nicht. Machen Sie sie doch! Dazu brauchen Sie den Bundesrat nicht. Sie wissen doch ganz genau, warum Sie sie 1998 nicht machen wollen: weil dann der Renter merkt, daß er 1998 eine Nullrunde hat. Da ziehen Sie uns nicht mit ins Boot. ({47}) „Die Zeit" hat vor etwa zwei Wochen sehr schön geschrieben: „Unterm Strich ist der Vermittlungsausschuß eher 01 als Sand im Bonner Getriebe. " - Deswegen können Sie sicher sein: Wir wollen eine große Steuer- und Abgabenreform. Warum wollen wir aber nicht Ihre? - Weil sie zu 45 Milliarden DM Steuerausfall führt. ({48}) -45 Milliarden DM. ({49}) - Das steht im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ich muß mich im Vermittlungsausschuß wie meine Kollegen mit einem Papier beschäftigen, in dem steht: 45 Milliarden DM Steuerausfall. Das ist doch lächerlich, meine Damen und Herren! Das wären allein beim Bund über 20 Milliarden DM und bei den Gemeinden nach Schätzungen zwischen 4 und 8 Milliarden DM. Wir lesen in der Zeitung gerade vom Pleitenrekord. Einer der Gründe dafür ist, daß die öffentlichen Auftraggeber den Handwerkern nicht schnell genug ihre Rechnungen bezahlen. Und da wollen Sie die Gemeinden noch weiter ausbluten lassen. Nein! ({50}) Im übrigen ist Ihre Steuerreform überhaupt nicht in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Sonst würden Ihnen die Zahlen nur so um die Ohren fliegen. Aber von uns erwarten Sie, daß wir einer Reform zustimmen, die Bund, Länder und Gemeinden in den finanziellen Ruin führt. Nein, das werden wir nicht tun. Falls wir das mit Ihnen machen würden und Sie die Bundestagswahl gewinnen würden - wie Sie hoffen, weil es eine schöne Steuerreform gibt -, dann käme es zu dem, was wir schon kennen: Nach den Wahlen bitte zahlen! Dann würden Steuern erhöht, um diese Ausfälle auszugleichen, oder es würde Sozialabbau betrieben, weil Sie sagen: Wir haben das Geld nicht. Meine Damen und Herren, unsere Vorschläge für eine große Steuer- und Abgabenreform liegen auf dem Tisch. ({51}) - Daß manche von Ihnen des Lesens leider nicht mächtig sind, habe ich schon gemerkt. Aber hören Sie wenigstens zu! ({52}) Unsere Steuerreform hat fünf Elemente: ({53}) Erstens Senkung der Lohnnebenkosten, zweitens Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Lohn-und Einkommensteuer, drittens Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums für Erwachsene und Kinder, ({54}) viertens Senkung der gewerblichen Steuersätze, fünftens solide Gegenfinanzierung durch das Schließen von Schlupflöchern, eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und Kampf gegen die Steuerhinterziehung. ({55}) Dieses wünschen wir schon zum 1. Januar 1998 durchgesetzt. Dies würde eine Entlastung von 2000 bis 2500 DM im Jahr für Durchschnittsverdiener mit Kindern bedeuten. Element Nr. 1: Senkung der Lohnnebenkosten. Selbst die Bundesbank schreibt in ihrem Bericht vom August: Das Problem in Deutschland ist nicht die Höhe der Steuerbelastung. Die Steuerquote ist so gering wie nie. - Übrigens ist der Anteil der Unternehmenssteuer geringer als je zuvor. Der Kern des Problems ist die Belastung mit zu hohen Sozialversicherungsbeiträgen, wofür in erster Linie Sie verantwortlich sind, weil Sie die Kosten der deutschen Einheit statt über die Allgemeinheit über die Sozialversicherungsbeiträge finanziert haben. ({56}) Wir sagen seit Wochen sehr konkret immer das gleiche - auch in den Spitzengesprächen, Herr Bundeskanzler -: Nehmen Sie die versicherungsfremden Leistungen aus der Rentenversicherung heraus! So werden zum Beispiel die Aussiedlerrenten in Höhe von über 10 Milliarden DM nur von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern mit ihren Beiträgen bezahlt, nicht aber von den übrigen 20 Prozent der Erwerbstätigen. Jetzt frage ich Sie: Können Sie uns einmal erklären, warum zum Beispiel die Aussiedlerrenten heute nur von den Beitragszahlern bezahlt werden, nicht aber von dem Herrn Bundeskanzler, von dem Herrn Finanzminister, von der Frau Matthäus, von Beamten, von Landwirten und Selbständigen - nur weil sie nicht Mitglied der Rentenversicherung sind? ({57}) Da bietet sich doch an, diese Leistung aus der Rentenversicherung herauszunehmen und über eine ökologische Steuerreform zu finanzieren. ({58}) Weil Sie diesbezüglich immer so empört sind: Der stellvertretende Generalsekretär der CSU, Joachim Herrmann, sagte im Juli dieses Jahres in München: Ich halte es ... für richtig, die Lohnnebenkosten zu senken und den Verbrauch unserer Ressourcen höher zu besteuern. Das ist eine etwas vornehmere Ausdrucksweise für eine ökologische Steuerreform. Wenn wir außerdem noch einen Prozentpunkt beim Beitrag zur Arbeitslosenversicherung heruntergehen, wären wir - aber nur für diesen Zweck, nämlich die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen - bereit, die Mehrwertsteuer anzuheben. Das könnten wir nächste Woche zusammen vereinbaren. Warum ist das so schwer? ({59}) Element Nr. 2: Senkung des Eingangssteuersatzes auf 22 Prozent. - Da könnten wir wohl zusammenkommen. Element Nr. 3: Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums für Erwachsene und Kinder. Wir wissen doch alle, daß wir von der Verfassung gezwungen sind, das Existenzminimum der Menschen steuerfrei zu stellen. Ich halte das, was wir gemeinsam vereinbart haben, doch für mittlerweile recht zweifelhaft. 12 300 DM im Jahr - da fragen sich die Menschen zu Recht, wie sie damit auskommen sollen. Die Verbesserung des Existenzminimums erfolgt - technisch - in diesem Lande dadurch, daß ich den Grundfreibetrag für Erwachsene und das Kindergeld anhebe. Dann sagen Sie, das sei Umverteilung; für Transferleistungen sei kein Geld da. - Nein, die Anhebung des Kindergeldes ist nur der technische Weg für die Steuersenkung für Familien mit Kindern. Da Sie uns immer so freundlich auffordern, wir sollten einmal ins Ausland gucken, fordere ich auch Sie freundlich auf, einmal in die USA zu gucken. Die haben vor kurzem eine große Steuerreform gemacht. Was war einer der beiden Kerne der Steuerreform? ({60}) Die steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern. Genau das wollen wir! ({61}) Denn das würde auch die Massenkaufkraft stärken. Nun kenne ich ja Ihren Vorwurf, wir setzten nur auf Nachfragepolitik - während Sie auf Angebotspolitik setzen. Gute Politik ist in Deutschland immer nur gemacht worden, wenn man eine Mischung aus beidem verfolgt: ({62}) Angebotspolitik zum Beispiel durch die Senkung der Lohnnebenkosten, Nachfragepolitik dadurch, daß man beispielsweise den Grundfreibetrag und das Kindergeld verbessert. Denn wir haben doch eine gespaltene Nachfrage. Der Export boomt, aber die Binnenkaufkraft liegt am Boden. Auch in diesem Bereich gibt es übrigens einen gespaltenen Markt, etwa beim zweigeteilten Automarkt. - Recht anschaulich hat das ein Betriebsrat vom BMW beschrieben. Er hat gesagt: „Viel Geld ist genug da, nur wenig Geld ist knapp." - Der Verband der Automobilindustrie beschreibt dies so: Gutverdienende Privatleute und Unternehmen sehen keinen Grund, ihre geplanten Autokäufe aufzuschieben - das kommt den gehobenen Modellen zugute. Die verunsicherten Arbeitnehmer hingegen halten sich noch zurück. Das bremst den Absatz kleiner und mittlerer Fahrzeuge. Meine Damen und Herren, wenn in Ihrem Steuerkonzept steht, daß der Bundeskanzler im Jahr eine Entlastung von 30 000 DM und die Ministerpräsidenten - ich betone: jedes Jahr - eine Entlastung von 26 000 DM erhalten, dann ist das nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ökonomisch unvernünftig. Denn diese Leute schaffen doch keine Arbeitsplätze. Wenn ich aber der Masse der Menschen Geld in die Hand gebe, dann steigt die Kaufkraft. ({63}) Sie erklären, daß man, wenn Voscherau sagt, ein erheblicher Teil der Spitzensteuersatzzahler zahle gar keine Steuern, den Spitzensteuersatz doch ohne weiteres von 53 auf 39 Prozent senken könne. Denn dann würden sie ja Steuern zahlen. ({64}) Darauf antworte ich Ihnen folgendes: Der baden-württembergische Rechnungshof hat unlängst dargelegt, wie erodiert die Steuerbemessungsgrundlage ist - übrigens nach acht Jahren Waigel. Im „Handelsblatt" vom 19. August 1997 heißt es dazu, gestützt auf eine Studie des Rechnungshofes Baden-Württemberg: Ein Steuerzahler, der 1994 4,3 Mill. DM verdiente, investierte 13,6 Mill. DM in eine Mietwohnanlage in den neuen Bundesländern. Der daraus zugerechnete Verlust von 6,1 Mill. DM senkte seine Einkommensteuer für dieses Jahr auf Null. Zudem erhielt er infolge eines Verlustrücktrags die für 1992 und 1993 bereits gezahlten Steuern in vollem Umfang zurück. Da der Mann im Veranlagungsjahr 1994 auch noch negative Einkünfte aus einer Schiffahrtsbeteiligung und von einer Verlustzuweisungsgesellschaft von insgesamt 1,5 Mill. DM erzielte, kann er für die Folgejahre noch einen Verlustvortrag geltend machen, der seine Steuer „entscheidend mindern wird". ({65}) Jetzt meine Frage an Sie: Warum können wir nicht zusammen diese Schlupflöcher schließen? ({66}) - Ihr habt leider zu früh geklatscht. Warum soll ein Steuerzahler, der den Spitzensteuersatz zu zahlen hat, nach der Steuerreform nur 39 statt 53 Prozent bezahlen? Schließen wir doch die Löcher und lassen ihn das zahlen, was er in den Jahren davor gespart hat! ({67}) Meine Damen und Herren, Sie sagen immer, für eine Kindergelderhöhung hätten Sie kein Geld. Ich nenne Ihnen hierzu zwei Zahlen: Die Anhebung des Kindergeldes um 10 DM kostet 1,5 Milliarden DM. ({68}) Die Absenkung des Spitzensteuersatzes um einen Prozentpunkt kostet 2 Milliarden DM. Wir sind der Ansicht: Sowohl unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit als auch unter dem der notwendigen Stärkung der Binnenkaufkraft ist eine Entlastung der Familien mit Kindern eher angebracht als eine Entlastung der Spitzensteuersatzzahler, ({69}) zumal die Höhe der Spitzensteuersätze für nichtgewerbliches Einkommen - man nennt sie schon einmal kurz: private Einkommen - im international üblichen Bereich liegt. Da auch der Bundeskanzler in seinem Sommerinterview im Fernsehen, wie ich gesehen habe, gesagt hat, die Niederländer hätten einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent, habe ich mir gedacht: Herr Bundeskanzler, es ist vielleicht besser - ich habe es hier zwar schon oft gesagt, aber ich denke, durch Nachlesen kann man es sich besser merken als durch Zuhören -, daß ich Ihnen dieses Papier von Theo Waigel überreiche. Dort sind alle privaten Spitzen- steuersätze Europas angeführt, auch der in Höhe von 60 Prozent in den Niederlanden. (Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] überreicht dem Bundeskanzler ein Papier -

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Sie sind sehr charmant!) - Ja. Beim nächsten Interview wird es besser. ({0}) Unser viertes Element: Wir sind zur Senkung der gewerblichen Steuersätze bereit. Wir wissen: Im internationalen Bereich sind vielerorts die gewerblichen Spitzensteuersätze geringer als in Deutschland. Wir glauben jedoch nicht, daß die Belastung der Unternehmen in Deutschland zu hoch ist. Denn wenn man ihre Schlupflöcher und ihre Abschreibungsmöglichkeiten gegenrechnet, ist die Durchschnittsbelastung nicht höher als im internationalen Bereich. Aber aus psychologischen Gründen kann man den gewerblichen Spitzensteuersatz sehr wohl senken: im Rahmen der Körperschaftsteuer und in Verbindung mit einem Optionsrecht für Handwerker und Selbständige, die der Einkommensteuer unterliegen. Fünftes Element: Wir sind bereit, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und Schlupflöcher zu schließen. Aber eines muß ich hier doch noch sagen - weil mir das auffällt -: Wissen Sie, was in Ihrem langen Katalog zum Schließen von Schlupflöchern fehlt? Die Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Ausland. ({1}) Wir mußten Sie dazu drängen, im Jahressteuergesetz die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzuschaffen. Es ist die OECD, es sind die Amerikaner und Franzosen, die uns auffordern, endlich den Unsinn abzuschaffen, daß Korruption, daß Schmiergelder von deutschen Firmen im Ausland auch noch von der Steuer abgesetzt werden können. Deswegen sagen wir: Das ist das Minimum, das auch in diesen Katalog gehört. ({2}) Daß die Erosion der Steuerbemessungsgrundlage - auch jedes Jahr ein neues Steuergesetz führt zu Unsicherheit - dazu führt, daß in Deutschland die sogenannten deutschen Global Players, also die Firmen, die international tätig sind, einen enormen Vorteil haben, sehen Sie an den Kreditinstituten. Ich habe noch nie erlebt, daß sich die Kreditinstitute untereinander kritisiert haben. Aber wenn uns der Sparkassenverband und die Genossenschaftsbanken foldende Zahlen auf den Tisch legen, dann heißt das, daß das Dach überm Haus brennt: 1995 haben - bei etwa gleichem Bilanzvolumen - die Großbanken in Deutschland nur 0,8 Milliarden DM Steuern gezahlt - weil sie international tätig sind -, die Sparkassen dagegen 8,1 Milliarden DM - zehnmal soviel - und die Kreditgenossenschaften 4,4 Milliarden DM. Dies alles können wir ändern. Wir könnten das in den nächsten Wochen tun: beim Eingangssteuersatz, bei den Lohnzusatzkosten, bei den gewerblichen Spitzensteuersätzen und beim Schließen von Schlupflöchern. Dazu sind wir kompromiß- und gesprächsbereit. Aber eines werden Sie mit uns nicht bekommen: eine Reform, die zum Ruin der Staatsfinanzen führt, und zwar auch nicht in einer Stufenlösung. Was hilft es mir denn, wenn ich die öffentlichen Finanzen nicht in einem Jahr, sondern in drei Jahresstufen zerrütte? Nein, meine Damen und Herren! ({3}) Und es muß in der Koalition abgestimmt sein. Im Zurufverfahren - Herr Sohns sagt: 30 Milliarden Steuerentlastung; Herr Schäuble sagt im Fernsehen: Könnte auch weniger sein; Herr Waigel sagt: Wir sind ja kompromißbereit - funktioniert das nicht. Nein, wir wollen ein neues Konzept: solide finanziert, sozial gerecht und ökonomisch vernünftig. ({4}) Wir bieten Ihnen noch mehr an als die Steuer- und Abgabenreform; die können wir zusammen machen, wenn Sie einsichtig sind. - Wir sind der Ansicht, es gibt eine Menge mehr Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Reduzierung der SchulIngrid Matthäus-Maier den; denn die hohe Arbeitslosigkeit ist doch der Grund für die hohen Schulden. ({5}) Hunderttausend Arbeitslose kosten 4 Milliarden DM. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit. Wir fordern Sie auf, mit uns zusammen mehr gegen die hohe Überstundenzahl in Deutschland zu tun, notfalls durch ein modernes Arbeitszeitgesetz. Wir fordern Sie zweitens zu einer großen Teilzeitinitiative auf, wie sie die Niederländer eingeführt haben. Wir fordern Sie drittens auf - Sie haben gesagt, wir sollten uns das in den Niederlanden anschauen; das haben wir getan -, endlich die Geringfügigkeitsgrenze bis auf eine Bagatellgrenze runterzufahren. ({6}) Als wir in den Niederlanden sagten, Teilzeitarbeit bis zu 610 DM sei in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig, da fiel denen der Unterkiefer runter; das können die sich gar nicht vorstellen. Wer mehr Teilzeitarbeit will, muß dafür sorgen, daß sie sozialrechtlich abgesichert ist. ({7}) Wir wollen viertens, daß Sie mehr gegen Scheinselbständigkeit tun. Was ist denn das für ein Zustand: Der Fahrer eines Paketdienstes arbeitet nur für eine Firma, wird von ihr hingeschickt, wohin sie es will, und gilt als Selbständiger, nur damit die Firma für ihn keine Sozialbeiträge zahlen muß. Wir brauchen fünftens endlich wirksame Maßnahmen gegen die Lehrstellenlücke. 150000 junge Leute haben in diesem Moment noch immer keine Lehrstelle. Was haben Sie denn eigentlich gegen unseren Vorschlag einer solidarischen Umlage einzuwenden? Die Betriebe, die nicht ausbilden, zahlen, damit die, die ausbilden, eine Entlastung bekommen. ({8}) Wir danken dem deutschen Handwerk, das noch immer am meisten ausbildet. Deswegen sollen diese Betriebe belohnt werden, indem die, die nicht ausbilden, oft die großen Betriebe, etwas für sie tun. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau MatthäusMaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breuer?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bitte.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, fordern Sie eine Umlage für Ausbildungsplätze.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das haben Sie richtig verstanden.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie fragen uns, warum wir nicht der Meinung sind, daß das vernünftig ist. - Können Sie mir erklären, warum der niedersächsische Ministerpräsident, Herr Schröder, so vehement dagegen kämpft?

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind doch eine pluralistische Partei; da kann doch einer durchaus eine andere Meinung haben. Wenn ich hier anfinge, aufzuzählen, wer bei Ihnen wo wann gegen das gewesen ist, was der Bundeskanzler sagt, dann würde ich heute morgen gar nicht fertig, meine Damen und Herren. ({0}) Wir fordern sechstens ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Tony Blair hat das in Großbritannien mit 250 000 Arbeitsplätzen geschafft, Lionel Jospin in Frankreich mit 350 000 Arbeitsplätzen. Wer die jungen Leute nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entläßt, ihnen praktisch sagt: „Ihr seid in dieser Gesellschaft überflüssig", der versündigt sich an der Jugend. Deswegen brauchen auch wir in Deutschland ein solches Programm. ({1}) Wir brauchen siebtens eine Innovationsoffensive. Der Haushalt des sogenannten Zukunftsministers geht seit 1982 dramatisch zurück: von 4,7 Prozent auf 3,2 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes. Frau Bundestagspräsidentin, ich teile Ihre Meinung, die Sie in diesen Tagen in der Zeitung veröffentlicht haben: „... Bildung", so Frau Süssmuth, „ist für mich eine entscheidende Investition in die Zukunft." Aber dann frage ich Sie, gerade weil wir Sie schätzen: Warum legen Sie nicht ein Veto dagegen ein, daß dieser Haushalt in der mittelfristigen Finanzplanung weiter zurückgefahren wird? ({2}) Denn der Wirtschaftsstandort Deutschland lebt davon, daß hier ein starker Wissenschaftsstandort ist und weiterhin sein muß. Deswegen finde ich: Wichtiger als gute Worte ist, daß Sie hier handeln, meine Damen und Herren. ({3}) Achtens brauchen wir ein Hunderttausend-Dächer-Solarenergieprogramm. Sie, Herr Rüttgers, haben jetzt, zusammen mit Frau Merkel, ein Umweltforschungsprogramm vorgelegt; das begrüße ich ausdrücklich. Es erweckt aber den Eindruck, als würde 1 Milliarde DM mehr in die Umwelt gesteckt. Das Gegenteil ist der Fall: Im Haushalt von Frau Merkel zum Beispiel gehen die Investitionen für die Vermeidung von Umweltbelastungen von 243 Millionen DM in 1992 auf 66 Millionen DM in 1998 zurück. Sagen Sie nicht, Sie hätten kein Geld für das, was ich hier fordere! In dem Etat des Ministeriums von Herrn Rüttgers sind noch 1,5 Milliarden DM für die Erforschung der Kernenergie. ({4}) Wer nicht bereit ist, zu sagen, da nehmen wir etwas weg, um es in ein wirklich gutes Umweltforschungsprogramm zu stecken, der weiß nicht, was in diesem Bereich in Deutschland los ist, meine Damen und Herren. ({5}) Damit komme ich zu meiner letzten Forderung: Wir brauchen nicht nur eine Initiative zur Vermögensbildung an. Produktivkapital - das würde die aktuellen Lohnverhandlungen entlasten -, sondern wir werden als Sozialdemokraten auch dafür sorgen, daß die Menschen mit großem privaten Vermögen in Deutschland - ab 1 Million DM aufwärts - einen stärkeren Beitrag zur Finanzierung der von uns zu bewältigenden Aufgaben leisten. ({6}) Nach der letzten Einkommens- und Vermögensstatistik - Zahlen für das Jahr 1993 - verfügt das obere Drittel der Geldvermögensbesitzer über zirka 75 Prozent des gesamten Geldvermögens, während auf das untere Drittel nicht einmal 4 Prozent entfallen - und das vor der Abschaffung der privaten Vermögensteuer, die diese Verzerrung noch verstärkt hat. Ich sage Ihnen, Sie fördern eine Stimmung in diesem Lande, die sich so zusammenfassen läßt: Zur Elite wollen alle gehören, nur nicht zur zahlenden Elite. - Das müssen wir ändern. ({7}) Meine Damen und Herren, wo sind die Vorschläge des Bundeskanzlers zu Einsparungen bei Reichen und Vermögenden? Tony Blair hat in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes das Wort „fairness" gestellt. Sie können es übersetzen mit „Gerechtigkeit", „Anstand", „Solidarität" oder es einfach bei „fairness" belassen. Jedenfalls ist es das, was Ihnen in Ihrer Politik fehlt, meine Damen und Herren. Der „General-Anzeiger" schrieb: Dieser Bundesrepublik, die aus Klassenkämpfern Tarifpartner gemacht hatte, droht nach dem Wegfall der kommunistischen Gegenmacht der Abschied von ihrem erfolgreichen dritten Weg. Sie steht an der Wegscheide, ob sie auch weiterhin mühselig und mit erheblichen Kosten den Ausgleich suchen oder ob sie den wirtschaftlichen Standortvorteil des sozialen Friedens aufs Spiel setzen will. Wenn Kohl sich weiter auf Adenauer berufen will, muß er in dessen und im Geist Ludwig Erhards energischer als bisher Gemeinsinn verlangen, zumal viele in Deutschland bereit sind, ... Opfer zu bringen. Die aber müssen gerecht und von allen gefordert werden. Das war eine Kurzbeschreibung dessen, was wir Konsensgesellschaft nennen, Konsens statt Konflikt. Deswegen war es Unsinn, ein dummes Wort, daß der BDI-Chef gesagt hat, die Konsensgesellschaft in Deutschland habe zu 4 Millionen Arbeitslosen geführt. Nein, 40 Jahre Konsensgesellschaft, der Versuch, zusammenzuführen, Brücken zu schlagen, statt Konflikt hervorzurufen, gerade auch zwischen Arbeit und Kapital, hat dieses Land stark gemacht. Wir sind ein hervorragender Standort - nicht nur ein hervorragender Wirtschaftsstandort. Denn der soziale Friede ist nicht nur ein ökonomischer Standortvorteil, er ist auch gesellschaftlich wichtig. Sie verstoßen jeden Tag gegen dieses Prinzip. Sie spalten! ({8}) Meine Damen und Herren, wirtschaftspolitische Innovation, ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit setzen wir gegen Ihre einseitige Klientelpolitik. Dieses Land braucht eine neue Aufbruchsstimmung. Mut zur Vision und Kraft zum Handeln - das ist unsere Alternative zu dieser abgewirtschafteten Bundesregierung. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Kollege Hans-Peter Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Frau Kollegin Matthäus-Maier, trotz des Beifalls, den Sie aus Ihrer eigenen Fraktion bekommen haben, war dies eine ({1}) völlig unangemessene Antwort auf die eindrucksvolle Einbringungsrede unseres Finanzministers. ({2}) Ja, es ist wohl wahr - so will es das parlamentarische Spiel -: Es ist nicht Aufgabe der Opposition, die Regierung zu loben. ({3}) Aber mir sei es schon gestattet, darauf hinzuweisen, daß es seit Bestehen der Bundesrepublik DeutschHans-Peter Repnik land keine Zeitspanne gab, in der ein Bundesfinanzminister vor einer solchen Herausforderung gestanden und sie so bewältigt hat wie Theo Waigel. Auch das muß bei einer solchen Rede angesprochen werden. Wir wissen ganz genau: Die Veränderungen in der Welt und in Europa, die Herausforderungen im Hinblick auf das, was in Osteuropa geschehen ist, die Probleme, die wir mit der Wiedervereinigung durch die Aufarbeitung der Altlasten der ehemaligen DDR zu bewältigen haben, die Arbeitsmarktsituation, die Veränderungen im Kontext der europäischen Einigung - all dies stellt ganz besondere Anforderungen. Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben in Ihrer Rede unendlich viel Kleinkram angesprochen, ({4}) aber Sie haben keine Perspektive und keine Lösungen für die Probleme dieser Zeit geboten. ({5}) Sie haben bei der Regierung Fairneß für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland angemahnt. ({6}) Ich frage: Was ist fairer, als jedem in Deutschland, der es möchte und der nachfragt, einen Arbeitsplatz anzubieten? ({7}) Mit den Vorschlägen, die Sie uns offeriert haben, wird es nicht gelingen, auch nur einen einzigen Arbeitsplatz in Deutschland mehr anzubieten; es wird nicht gelingen, in Deutschland eine Aufbruchstimmung herbeizuführen, ({8}) und es wird ebenfalls nicht gelingen, Investitionsanreize, die zu Wachstum und mehr Arbeit führen, zu bewirken. ({9}) Sie haben einige Beispiele gebracht, auf die ich zu sprechen kommen möchte. Verlassen Sie sich darauf: Wir nehmen Sie heute und in den nächsten Tagen ganz konkret beim Wort. Wir lassen nicht zu, daß Sie hier am Pult des Deutschen Bundestages Sprüche machen, die anschließend in einem weiteren Verfahren umzusetzen Sie nicht bereit sind. ({10}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Bundesfinanzminister Theo Waigel hat in seiner Rede deutlich gemacht: Es führt kein Weg daran vorbei, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland weiter Konsolidierungspolitik betreiben, daß wir weiter sparen und daß wir die Staatsquote weiter zurückführen. Aber er hat genauso deutlich gemacht, daß wir notwendige Reformen zur Rückführung der Lohnzusatzkosten und im steuerlichen Bereich bewirken müssen. Deshalb werden wir jetzt im Rahmen der Beratung der Einbringung des Haushalts 1998 und des Nachtragshaushalts 1997 einen Antrag zur Diskussion und Abstimmung stellen, der vorsieht, ein zweites, ein weiteres Vermittlungsverfahren im Hinblick auf die große Steuerreform 1998/99 einzuleiten. ({11}) Wir sind dazu bereit und fordern Sie auf, in diesem Zusammenhang auch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, der Lohnzusatzkosten, mit uns gemeinsam zu diskutieren und dafür schnellstmöglich nach einer Lösung zu suchen. Sie, Frau Matthäus-Maier, haben einige Angebote gemacht. Wir gehen darauf ein. Das erste Angebot, das wir Ihnen machen, ist, daß wir irr diesen Tagen gemeinsam in einem zweiten Vermittlungsverfahren ausloten, wo Gemeinsamkeiten liegen. ({12}) Deshalb, verehrte Frau Kollegin Fuchs, ist der Lackmustest für die Ernsthaftigkeit sozialdemokratischer Reformbereitschaft in bezug auf den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, ob Sie dem Antrag auf Begehren eines zweiten Vermittlungsverfahrens zustimmen oder ob Sie diesen Antrag zurückweisen. ({13}) Wenn Sie es mit weiteren Verhandlungen ernst meinen, dann können Sie sich einem solchen Verfahren nicht entgegenstellen. Deshalb vermute ich, daß Sie diesem Antrag zustimmen. ({14}) Interessant ist, daß der Kollege Fischer bei der Rede des Herrn Bundesfinanzministers im Zusammenhang mit der Rückführung der Lohnzusatzkosten eingeworfen hat: „Das können wir sofort machen!" Ich fordere daher auch die Grünen und den Kollegen Fischer auf, dem Vermittlungsverfahren zuzustimmen. Dann können wir in dieser Woche nicht nur verhandeln, sondern gerade in dieser wichtigen Frage auch sehr schnell zu einem Ergebnis kommen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich mit der Grundstruktur des Haushalts 1998 im Hinblick auf eine große Steuerreform auseinandersetzen, dann stellen Sie fest, daß die Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts 1997 evident ist. Wir wissen, daß neben den hohen Kosten, die wir aus der DDR-Erblast übernommen haben, aus zwei Gründen ein Nachtragshaushalt notwendig ist. Der erste Grund ist der immense Anstieg der Sozialausgaben - nicht zuletzt im Hinblick auf die hohe Arbeitslosigkeit. Der zweite Grund ist die Entwicklung der Steuern. Da gerade von der sozialdemokratischen Seite immer wieder proklamiert wird, wir würden Sozialabbau betreiben, ist es, glaube ich, schon wichtig, daß wir noch mal darauf hinweisen: Seit dem Jahr 1991 ist der Bundeshaushalt um rund 80 Milliarden DM gestiegen. ({15}) Rund drei Viertel davon sind auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen. ({16}) Deshalb, Frau Kollegin Fuchs, sollten wir alle Maßnahmen, die wir hier diskutieren, darauf abklopfen, ob es neue Arbeitsplätze gibt, ob wir die Arbeitslosigkeit zurückführen können. ({17}) Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben in diesem Zusammenhang sehr viel auf den Bundesfinanzminister abgeladen und darauf hingewiesen, der Blockadevorwurf treffe Sie nicht. Zwei Dinge sind doch aber evident. Erstens: Sie haben in vielen Bereichen im Vermittlungsverfahren über Monate und Jahre Ergebnisse erzielt, die uns beim jetzigen Haushalt natürlich einholen. Das kann doch überhaupt nicht bestritten werden. Zweitens ist ein anderer Sachverhalt durchaus interessant. Ich will Ihnen das näher erläutern. In der Zeit von 1991 bis 1997, also in nur sechs Jahren, ist nicht zuletzt durch Ergebnisse im Vermittlungsausschuß, im Vermittlungsverfahren - dem Bund von den Ländern, von der SPD-Mehrheit in aller Regel abgetrotzt - erreicht worden, daß der Steueranteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen in der Bundesrepublik Deutschland von 48 Prozent im Jahr 1991 auf 41,4 Prozent im Jahr 1997 zurückgegangen ist und daß der Länderanteil in dieser Zeit von 34,4 Prozent auf 41,5 Prozent gewachsen ist. Heute ist der Länderanteil am Gesamtsteueraufkommen zum erstenmal höher als der Bundesanteil. Dies ist in Vermittlungsverfahren erreicht worden. Wir mußten in diesen Verfahren nachgeben. Heute beklagen Sie die mangelnde Steuerkraft des Bundes. Beides paßt nicht zusammen. ({18}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushalt 1998 und der Nachtragshaushalt 1997 sind nachhaltig von zwei Dingen geprägt: Anstieg der Soziallasten und Erosion im Bereich des Steueraufkommens. Deshalb wollen wir in einer zweiten Runde den Versuch wagen, mit Ihnen gemeinsam eine Steuerreform zu bewirken. Zwei Gründe sprechen dafür: erstens die Notwendigkeit, die steuerlichen Rahmenbedingungen am Standort Deutschland zu verbessern, und zweitens das Erfordernis, die Erosion der Steuerbasis zu verhindern. Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben wie in den Diskussionen der letzten Monate auch heute wieder das Problem des Spitzensteuersatzes herausgearbeitet. ({19}) Jeder, der sich mit dem Thema der Investitionsbereitschaft, der Investitionsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzt, weiß, daß gerade die Spitzensteuersätze eine psychologisch wichtige Wirkung haben. ({20}) Wir kommen doch nicht an der Tatsache vorbei, daß wir im Jahre 1996 in Deutschland erstmals ein Nettoinvestitionsdefizit von 46 Milliarden DM hatten. Deutsches Kapital in Höhe von 47 Milliarden DM floß ins Ausland - zum Teil, um dort Märkte zu erschließen; ein nicht unerheblicher Teil aber war bereits Fluchtkapital, weil es in anderen Ländern günstigere Investitionsbedingungen gibt. Demgegenüber ist im Jahre 1996 nur noch 1 Milliarde DM für Investitionen und damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen aus dem Ausland nach Deutschland geflossen. ({21}) Wenn wir diesbezüglich etwas erreichen wollen, geht dies nur über eine Rückführung des gewerblichen Spitzensteuersatzes. Daran angekoppelt muß aber natürlich die Rückführung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer sein. ({22}) - Jeder weiß, daß uns spätestens die Verfassung an ein entsprechendes Tun erinnern wird. Die Richtigkeit unserer steuerpolitischen Leitlinien und der Steuerreform, wie sie unter Führung von Theo Waigel erarbeitet wurden, zeigt sich auch an den Erfolgen anderer Länder. ({23}) Ich war erstaunt, zu sehen, wie der niedersächsische Ministerpräsident Schröder von einer USA-Reise zurückgekommen ist: Er hatte leuchtende Augen, weil er sah, was dort in den Vereinigten Staaten abgeht, in welchem Maße dort Reformbereitschaft herrscht. Wir wissen alle, daß das Job-Wunder in den Vereinigten Staaten nicht zuletzt auch auf die große Steuerreform zurückzuführen ist. ({24}) Ich hatte vermutet, daß er aus den Erfahrungen, die er in den Vereinigten Staaten von Amerika gemacht hat, Konsequenzen zieht für sein politisches Verhalten hier in Deutschland. ({25}) Was ist passiert? ({26}) Schröder hat sich sehr schnell in die Parteidisziplin nehmen lassen, weil er ganz genau weiß: Er ist auf das Wohlwollen des Parteivorsitzenden Lafontaine angewiesen, wenn er die Chance zur Kanzlerschaft wahren will. ({27}) Um sich dieses Wohlwollen zu erhalten, verzichtet er - wider jeglichen ökonomischen Verstand und wider seine staatspolitische Verantwortung als niedersächsischer Ministerpräsident - im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß darauf, einer Reform zuzustimmen, wie sie in Amerika Arbeitsplätze gebracht hat. ({28}) Hier verweigert er sich einer aktiven Mithilfe. Wer weiß, vielleicht wird sich dies in den nächsten Tagen ändern. Für mich ist auch interessant, was Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, über die Themen Amerika und Reformbereitschaft gesagt haben. Vor wenigen Tagen haben Sie in einer Fernsehsendung erklärt - ich darf Sie zitieren -: Ich würde von Amerika gerne folgendes übernehmen: Die haben ein anderes Denken, ein positiveres, ein energischeres, ein zukunftsorientierteres. ({29}) Da können wir ... ein bißchen von lernen ... ({30}) Dieses „Wir packen es an, wir krempeln die Ärmel hoch" - das würde ich mir bei den Deutschen etwas mehr wünschen. Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, diese Koalition unter Helmut Kohl hat die Ärmel hochgekrempelt. ({31}) Wir haben ein Programm für Wachstum und Beschäftigung aufgelegt und durchgesetzt. Wir haben eine Steuerreform aufgelegt und im Bundestag durchgesetzt. Wir laden Sie ein, nachdem Sie im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß blockiert haben: Machen Sie doch mit, krempeln Sie endlich die Ärmel hoch! Und täuschen Sie sich nicht, wenn Sie die Deutschen aufrufen: Die deutsche Bevölkerung ist bereit, die Ärmel hochzukrempeln. Die Tarifpartner haben es uns in den letzten eineinhalb Jahren vorgemacht; auch sie haben die Zeichen der Zeit erkannt. Die einzigen die sie bisher nicht erkannt haben, sind die sozialdemokratische Fraktion im Deutschen Bundestag und die SPD-Mehrheit im Bundesrat. ({32}) Ich habe gesagt, ich nehme Sie beim Wort. Deshalb nehme ich Sie auch beim Wort im Hinblick auf die Angebote, die Sie am heutigen Vormittag gemacht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die USA haben darüber hinaus vor wenigen Wochen beschlossen, ({33}) in den nächsten fünf Jahren ein weiteres Steuersenkungspaket im Volumen von 90 Milliarden Dollar umzusetzen. Wir wissen, was die Briten gemacht haben; wir wissen, was derzeit die Niederländer machen. ({34}) Ich sage Ihnen von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion: Wenn wir nicht bereit sind, sehr schnell zu reagieren, dann wird der Druck auf den Standort Deutschland in den nächsten Wochen und Monaten noch größer werden. Die Zahlen der Arbeitslosen werden steigen, und jeder neue Arbeitslose geht dann auf Ihr Konto. Auch das muß in aller Deutlichkeit gesagt werden. ({35}) Ich war schon darüber erstaunt, daß ausgerechnet Sie das Beispiel des Rechnungshofs von Baden-Württemberg anführen. Das war doch ein Eigentor, wie es klassischer nicht geschossen werden kann. ({36}) Ich wollte den baden-württembergischen Rechnungshof ebenfalls anführen, und zwar als Beleg für die Richtigkeit unserer Reform. Der Rechnungshof von Baden-Württemberg hat in seiner Untersuchung zur effektiven Steuerbelastung von Beziehern hoher Einkommen festgestellt, daß gerade im Bereich der Bezieher hoher Einkommen erhebliche Ausweichreaktionen und erhebliche Ausweichmöglichkeiten bestehen. Sie werden auch in Anspruch genommen. Er führt aus: „Insofern sprechen auch verteilungspolitische Gründe für die angestrebte Steuerreform, die steuerliche Sonderregelungen und Steuervergünstigungen abbaut. " ({37}) Dies und nichts anderes haben wir in unserer großen Steuerreform gemacht, der Sie im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß nicht zugestimmt haben. Wer verteilungspolitische Gerechtigkeit will, wer soziale Gerechtigkeit will, muß diesen Schritt gemeinsam mit uns gehen. ({38}) Deshalb werden wir unser Angebot an Sie erneuern. Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich muß einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn Sie Gerechtigkeit wollen, dann sollten Sie unserem Beispiel folgen. Wir haben einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent, der tatsächlich gezahlt werden muß, weil wir Ausweichreaktionen unmöglich machen. ({39}) Der Vorschlag des sozialdemokratischen Bundesvorsitzenden, der in diesen Tagen auf den Markt kam, sieht einen Mindeststeuersatz von 20 Prozent vor. Das bedeutet, er möchte denen, die offensichtlich auch in der Zukunft noch eine Vielzahl von Abschreibungsmöglichkeiten haben, zumindest 20 Prozent abknöpfen. ({40}) Bei uns zahlen sie 39 Prozent und bei Lafontaine 20 Prozent. Wo bleibt da die Verteilungsgerechtigkeit? Auch hier müssen Sie Ihre Aussage überdenken. ({41}) Ich möchte einen aktuellen und unverdächtigen Zeugen dieser Tage aufrufen, die Deutsche Bundesbank. Die Deutsche Bundesbank schreibt in ihrem August-Bericht: Aus der Sackgasse ({42}) kann nur eine umfassende, „große" Steuerreform herausführen. In deren Mittelpunkt müßte die grundlegende Reform der Einkommensbesteuerung stehen, die eine starke Verringerung der tariflichen Sätze mit einem möglichst umfassenden Abbau bisheriger steuerlicher Ausnahmetatbestände und Sondervergünstigungen verbindet. - also mit einer Nettoentlastung. ... Einen wichtigen Baustein einer solchen großen Reform stellt eine gewisse Verlagerung der Abgabenlast von den Einkommen zum Verbrauch dar ... Der Vorwurf, die Verteilungsgerechtigkeit bliebe dabei auf der Strecke, ist bei ökonomischer Betrachtung nicht gerechtfertigt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wem es tatsächlich um die zentralen Probleme dieser Gesellschaft - Rückführung der Arbeitslosigkeit und Schaffung neuer Arbeitsplätze - geht, der muß auch hier dem Votum der Bundesbank folgen. Es ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, daß Theo Waigel, diese Regierung und diese Koalition mit dieser großen Steuerreform auf dem richtigen Weg sind. ({43}) Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen - ich spreche auch Sie nachhaltig an -, wenn das so ist, dann lassen Sie uns doch bitte schnell ans Werk gehen. Stimmen Sie mit beim Begehren auf ein zweites Vermittlungsverfahren. Dann setzen wir uns am kommenden Donnerstag im Vermittlungsausschuß zusammen und machen einen schnellen, straffen Fahrplan. Wir sind in der Lage, schon heute mittag oder morgen vorbereitende Gespräche zu führen. An uns soll es nicht liegen. ({44}) Ich sage ein Weiteres: Wenn Sie Probleme im Hinblick auf die Nettoentlastung auf Grund der Situation im Bund, in den Ländern und in den Kommunen haben, ({45}) dann sind wir bereit, auch über eine Stufenregelung mit Ihnen zu diskutieren. Auch das ist ein förmliches Angebot. ({46}) Eines müssen Sie sich aber sagen lassen: Wenn Sie nicht bereit sind, in den nächsten Wochen mit uns zu einer Lösung zu kommen, dann wird der Bundesfinanzminister, dann werden die Länderfinanzminister und die kommunalen Kämmerer in diesem und im nächsten Jahr erneut größere Probleme mit dem Steueraufkommen haben, weil . das Steueraufkommen auf Grund des jetzigen Steuersystems und der Steuerstruktur weiter erodieren wird. Sie lassen damit zu, daß wir ein geringeres Steueraufkommen haben, das Verteilungsungerechtigkeiten mit sich bringt. Gestalten Sie mit uns positiv eine Reform, ({47}) die gerecht ist und die zu neuen Arbeitsplätzen führt. ({48}) Wir laden Sie hierzu herzlich ein. ({49}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dasselbe gilt für die Themen Sozialversicherungsbeiträge und Rentenreform. Wir stellen fest, daß es parteiübergreifend zwischen Koalition und Opposition, SPD und Grünen, ein gemeinsames Ziel gibt, nämlich die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, damit die Last der Arbeitnehmer verringert wird und den UnternehHans-Peter Repnik mern mehr Spielräume für Investitionen eingeräumt werden. Da haben wir ein gemeinsames großes Ziel. Wir unterscheiden uns in einem Punkt. Die SPD hat - ausweislich auch ihres Antrags - gemeinsam mit den Grünen vorgeschlagen, wir mögen dies durch Senkung der Versicherungsbeiträge erreichen, indem wir entsprechende Steuern erhöhen: Mehrwertsteuer auf der einen Seite, Mineralölsteuer auf der anderen Seite. Jeder muß wissen: Eines unserer Probleme, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, ist die hohe Staatsquote. Wenn wir eine Kasse, in diesem Fall die der Sozialversicherung, ob bei der Rente oder bei den Arbeitslosen, entlasten und den steuerlichen Bereich belasten, haben wir keine Entlastung der Gesellschaft, der Bürger, der Wirtschaft und der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland. Das führt nicht zu einer Entlastung der Staats- oder der Abgabenquote. Eine Chance, diese Abgabenquote herunterzuführen und damit eine echte Entlastung zu bewirken, haben wir nur, wenn es uns gelingt, auch Strukturen zu verändern. Es kann doch überhaupt nicht bestritten werden, gerade wenn wir an die Rentenversicherung denken, ({50}) daß wir auf die demographische Entwicklung reagieren müssen, und zwar nicht in erster Linie mit Umfinanzierung, sondern mit strukturellen Veränderungen. Wenn Sie, Frau Kollegin Fuchs, in dieser Frage anderer Auffassung sind, dann lassen Sie uns den Versuch unternehmen, daß wir die Strukturreform durchführen. Reichen Sie uns aber in der anderen wichtigen Aufgabe die Hand, nämlich bei der Querfinanzierung, indem wir den Rentenversicherungsbeitrag um einen Punkt senken und ihn über eine Steuererhöhung finanzieren. Diese Maßnahme könnten wir bereits in dieser Woche beschließen. Wir könnten am kommenden Freitag in dritter Lesung diesen Gesetzentwurf beschließen. Wir bieten Ihnen an, zum 1. Januar 1998 diese Operation durchzuführen. ({51}) Es wäre für den Standort ein wichtiges Signal. Es wäre für die Wirtschaft ein wichtiges Signal. Es wäre für die Arbeitnehmer ein wichtiges Signal, die eine Entlastung erfahren würden. Nehmen Sie diese ausgestreckte Hand an. ({52}) Führen Sie mit uns die Gespräche, und wir werden sehr schnell zum Ziel kommen. ({53}) Ich habe die Bundesbank als unabhängigen Zeugen angeführt. Ich habe mit großem Interesse gelesen, was der Initiativkreis Wirtschaft, Junge Führungskräfte für die SPD, im Mai dieses Jahres formuliert hat. Es ist ein Kreis, mit dem die SPD versucht, sich ein höheres Maß an wirtschaftlichem Sachverstand zuzueignen und sich auch ein höheres Maß an Nähe zur Wirtschaft zu geben. Jetzt möchte ich hier nur drei Positionen vorlesen. Übrigens wird der Kreis von einem SPD-Bundestagsabgeordneten gemanagt. ({54}) Unter anderem heißt es hier: Wer die Probleme des Standortes Deutschland lösen und Beschäftigung schaffen will, muß mit Mut Strukturen verändern. ({55}) Es geht darum, Strukturen zu verändern, so daß wir die Rentenreform herbeiführen und nicht nur um-finanzieren. Dies ist ein Beispiel von vielen. Zweitens - dies ist wohl ein Appell an Ihren Parteivorsitzenden -: Es ist aber mehr als unwahrscheinlich, daß es den westlichen Anspruchsgesellschaften gelingen wird, den asiatischen Verzichtgesellschaften den Weg vorzuschreiben oder sie zu bewegen, einer freiwilligen Begrenzung ihrer Expansion zuzustimmen. Die deutsche Sozialdemokratie sollte den Selbstbehauptungswillen dieser Länder nicht unterschätzen. Also seien Sie reformbereit! Drittens: Die deutsche Sozialdemokratie muß die Herausforderung annehmen und eine konsequente Erneuerung des Sozialstaates in die Wege leiten. Alle diese Forderungen könnten von uns kommen. Sie werden von uns mitgetragen. Wenn Sie diesem Kreis nicht eine reine Alibifunktion zuordnen, dann nehmen Sie seine ökonomisch sinnvollen Äußerungen ernst und verhalten sich danach. ({56}) Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sind der Überzeugung, daß wir, wenn es uns gelingt, in den nächsten Wochen in einem gemeinsamen Verfahren im Vermittlungsausschuß eine Steuerreform - und sei sie in Stufen realisiert -, an deren Ende eine deutliche Absenkung der Steuersätze und eine Nettoentlastung stehen muß, herbeizuführen, dann den Grundstein für den Rückbau von Arbeitslosigkeit und auch für solide Haushalte in der Zukunft gelegt haben. Dazu fordern wir Sie mit Nachdruck auf. ({57})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die Debatte darüber, wie solide die Politik dieser Regierung ist, nicht mehr hören. Ich kann es nicht mehr sehen, wie sich Bundesregierung und Koalition zu Zeiten der Haushaltsberatungen um den Finanzminister scharen, nachdem er sich selber vorher abgemeiert hat und von ihnen abgemeiert wurde. Ich rufe in Erinnerung, was Theo Waigel heute vor zwei Jahren an dieser Stelle gesagt hat. Er formulierte anläßlich der Einbringung des Haushalts: Wie jedes Jahr werden Sie schließlich erfahren müssen: Der Finanzminister hält seine Pläne nicht nur ein, in der Regel ist das Ergebnis noch um einiges günstiger ... ({0}) Lacht hier jemand im Saal, wenn ich in Erinnerung rufe, daß 1996 der Haushalt eine Abweichung in der Größenordnung von gut und gern 30 Milliarden DM hatte, daß die Kosten für die Arbeitslosigkeit um etwa 20 Milliarden DM zu niedrig geschätzt worden waren, daß die Steuereinnahmen ständig nach unten korrigiert werden mußten und daß die Neuverschuldung auf den Wert von 78 Milliarden DM explodierte? Lacht noch jemand, wenn ich sage, daß der Nachtragshaushalt 1997, der heute ebenfalls andiskutiert wird, eine Abweichung hat, die ähnlich gigantische Milliardenverschiebungen zu Lasten des Bundeshaushalts beinhaltet? Es lacht niemand mehr; denn die traurige Wirklichkeit ist, daß die Koalitionsfraktionen ihren Zahlen und ihrem Mutmachen selber nicht mehr trauen und deshalb die abschließende Beratung des Nachtragshaushalts auf die Zeit nach der Steuerschätzung am 11. November verschoben haben. ({1}) Soweit ist es in dieser Republik gekommen, daß Politik praktisch auf Steuerschätzungstermine schielen muß, weil sie ansonsten überhaupt nicht mehr handlungsfähig ist. ({2}) Wenn man die Philosophie, Herr Waigel, die hinter der Finanzplanung 2000 steckt, einmal von den Strukturen her betrachtet - Sie haben sich ja bemüht, eine ökonomische Rede quasi als Entlastungsangriff vorzutragen -, dann muß man doch feststellen: Sie reden von einer Senkung der Defizitquote, der Staatsverschuldung. Das Gegenteil ist in Ihrer Amtszeit eingetreten: Rekordverschuldung. Sie reden von einer Senkung der Abgabenquote. Das Gegenteil ist in der Regierungszeit dieser Koalition eingetreten: Wir haben die höchste Abgabenquote in der Geschichte dieser Republik. Sie reden davon, daß wir die Steuerquote senken müssen. An diesem Punkt wird es interessant, wenn man das Ganze zerpflückt: Steuerquote senken hieße in der Finanzplanung 2000 aus Ihrer Sicht noch immer, die Tarifreform à la Bareis auf den Weg zu bringen. 1995, vor zweieinhalb Jahren, haben die Koalitionsfraktionen im Finanzausschuß den Antrag der Opposition abgelehnt, eine Anhörung zu diesem Steuerreformkonzept durchzuführen, weil der Finanzminister selber den politischen Ansatz beerdigt hatte. Erst im letzten Frühjahr, im März 1996, hat sich die Regierung praktisch auf die Fährte gesetzt und gesagt: Wir müssen die Steuer reformieren, weil uns die Steuereinnahmen wegbrechen, und zwar auf Grund der Tatsache, daß große Betriebe - Global players, wie Ingrid Matthäus-Maier sagte - inzwischen ihre Steuern für die Wertschöpfung im Inland im Ausland zahlen. Sonderabschreibungen für Gutsituierte, die diese Regierung für den Osten auf den Weg gebracht hat, haben in Wirklichkeit nur dazu geführt, daß teurer Leerstand bei Wohnungen in den Innenstädten und in Gewerbeparks auf der grünen Wiese den Investoren aus dem Westen zwar riesige Steuernachlässe beschert hat; aber die Werthaltigkeit der Grundstücke reicht nicht einmal dazu aus, das eingesetzte Kapital wieder zu erlösen, weil die Objekte nicht vermietbar sind. Diese Abschreibungsgesellschaft à la Koalition im geltenden Steuerrecht ist ein volkswirtschaftlicher Unsinn sondergleichen. Aber dies kann man nur dann angehen, wenn man versucht, der Tatsache, daß die Steuerquote durch die Erosion der Steuerbasis auf das niedrigste Niveau seit langer Zeit gesunken ist, strukturell Rechnung zu tragen. Nach der letzten Steuerschätzung haben wir in Deutschland eine Steuerquote - Steuereingänge in Bezug gesetzt zum Bruttoinlandsprodukt von gerade einmal 22,1 Prozent. Selbst während Ihrer Amtszeit lag sie überwiegend bei 24 Prozent und darüber. Was sich dahinter verbirgt, ist nichts anderes - ich mache es einmal an einer Zahl deutlich -, als daß der Bundeshaushalt heute, im Jahre 2 nach der Steuerschätzung 1995, rund 44 Milliarden DM weniger einnimmt als ursprünglich gedacht. Deutlicher wird es für 1998. Noch 1995 hatten Sie für 1998 über 400 Milliarden DM an Steuereinnahmen angesetzt. Im Haushaltsentwurf für 1998 stehen gerade einmal 348 Milliarden DM. Dahinter verbirgt sich die Reduzierung der Steuerquote. Dies ist eine Reduzierung, die außerordentlich ungerecht ist. Die Mittelständler, die ihre Wertschöpfung in Deutschland personalintensiv erarbeiten, beklagen sich, daß sie von der Last des Steuerstaates erwischt werden, dagegen Großbetriebe, die international operieren, ihre Bilanzen entsprechend berichtigen können und ihre Steuern in ertragssteuerschwachen Konkurrenzländern zahlen. Das ist eine Ungerechtigkeit sondergleichen. ({3}) Das gleiche gilt für die Einkommensteuer. Natürlich ist es ein schlechter Witz, wenn der Durchschnittsverdiener auch bei noch so knappen Zuwachsraten seines Bruttolohnes in die Steuerprogression hineinwächst, sich praktisch nicht für den Fiskus armrechnen kann, aber Gutsituierte ihre Steuerlast mindern können. Von der Zustandsbeschreibung her sind wir hier auf einer ähnlichen Wahrnehmungsschiene. ({4}) - Herr Kollege Fischer, die Frage nach der Verantwortungsschiene ist leicht beantwortet. Eine Regierung kann nicht plötzlich am Ende ihrer Amtszeit eine Steuerreform zum Allheilmittel ihrer Politik machen, wenn sie 15 Jahre lang regiert hat, natürlich schwierige Zwischenphasen wie die deutsche Wiedervereinigung schultern mußte, aber seither keines ihrer selbstgesteckten Ziele erreicht hat. Die Arbeitslosigkeit ist explodiert. Ich nenne Ihnen dazu eine Aussage der heutigen Arbeitslosenstatistik: Herr Jagoda sagt: Wir haben auch saisonbereinigt einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland - und wenn er noch so knapp ist. Das rührt unter anderem daher, daß von der Arbeitsmarktpolitik 300 000 Menschen weniger erfaßt werden als im letzten Jahr. Es ist diese Regierung, die mit den politischen Entscheidungen des letzten Jahres die Einnahmebasis dadurch reduziert hat, daß sie die Kosten von einer Kasse in die andere verlagert hat, und die sich jetzt beklagt, daß die Arbeitslosigkeit nicht sinkt. ({5}) Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine Randbemerkung machen, damit man sich hier im Plenum auch die Komplexität der Arbeitsmarktpolitik vor Augen führt. Allein die Angst um den Arbeitsplatz, die viele Menschen umtreibt, führt dazu, daß der Krankenstand in dieser Republik zurückgeht, aber nicht deshalb, weil vorher alle Menschen praktisch immer den blauen Montag gefeiert haben, sondern deshalb, weil gerade ältere Menschen fürchten müssen, daß sie dann, wenn sie entlassen werden, anschließend keine Arbeit mehr finden. Dies führt dazu, daß mit weniger Beschäftigten eine höhere Produktivität erzielt wird, weil die Anwesenheit am Arbeitsplatz signifikant zunimmt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg - das ist im „Handelsblatt" nachzulesen - sagt, wenn die Einschränkung der Lohnfortzahlung à la Koalitionsbeschluß betrieblich umgesetzt würde, würde das faktisch bedeuten, daß, wenn ein Arbeitnehmer keine Kürzung seines Einkommens in Kauf nehmen will, sondern sich einen Urlaubstag pro Krankheitstag anrechnen läßt, dies nichts anderes wäre, als eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich; dies würde im Saldo zu einer zusätzlichen Arbeitslosigkeit von 160 000 Menschen führen, weil diese Arbeitskapazität in den Betrieben durch höhere Präsenz zur Verfügung steht. Volkswirtschaftlich macht dieser Zusammenhang auch einen Sinn. Man kann es sich angesichts der Herkulesprobleme, vor denen unsere Gesellschaft steht, nicht so einfach machen. Im Klartext gesprochen: Wenn diese Regierung im Hinblick auf ein Vermittlungsverfahren tatsächlich Ernst machen will mit ihrer Steuerreform, dann fordere ich als Vertreter einer Partei, die sich in der Steuerreformdebatte immerhin mit einem eigenen Konzept profiliert und sich eben nicht aus der Diskussion davongestohlen hat, die Koalition dazu auf, nachhaltig auf die Finanzergiebigkeit für die öffentlichen Haushalte zu achten. Das heißt, die Stoßrichtung muß sein: Aufkommensneutrale Steuerreform durch breite Bemessungsgrundlage, Schließen von Schlupflöchern und Steuersatzsenkungen über den gesamten Tarifbereich, das heißt unten wie oben. Darüber gibt es in der Zielsetzung, jedenfalls gegenüber den Grünen, keinen Unterschied. Der entscheidende Unterschied liegt darin, daß man es einer Koalition, die sich jetzt wegen des Schielens auf den Steuerschätzungstermin 11. November geniert, auch nur den Nachtragshaushalt für dieses Jahr zu verabschieden, doch nicht durchgehen lassen kann, daß sie ab dem Jahr 1998 riesige Löcher in die Haushalte reißt, die die strukturellen Probleme doch in keinster Weise lösen, sondern verschärfen. ({6}) In Theo Waigels mittelfristiger Finanzplanung wird deutlich, daß die eigene Finanzprojektion für das Jahr 2000 nicht gilt. In diesem Papier führt er nämlich immer nur ideologische Staatsquotendiskussionen, nach dem Motto: Der Staatsverbrauch muß zurückgeführt werden, damit die Kräfte des Marktes wieder mehr Spielräume haben. Aber gucken Sie sich einmal an, wie die Staatsquote zusammengesetzt ist; es kommt auch auf die Inhalte an. Der konsumtive Anteil - die Sozialausgaben und der Staatsverbrauch -nimmt zu, der investive Anteil sinkt tendenziell ab oder stagniert bei etwa 59 Milliarden DM in der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2001. Wenn man aber den konsumtiven Anteil des Staatsverbrauchs so stark übergewichtet, dann führt das zu den Steuererhöhungen oder den Staatsverschuldungen von morgen. Ich lasse Ihnen also auch diese Diskussion über die Senkung des Staatsverbrauchs nicht durchgehen, wenn man gleichzeitig sieht, daß der investive Anteil bei den Staatshaushalten ständig zurückgeht. Ein Wort zu einem Thema, das häufig Gelächter auslöst, wenn es hier im Raum diskutiert wird. Die Koalition hätte dieses Thema ja am liebsten überhaupt nicht groß im Blickfeld der Öffentlichkeit, wenn es um den Bundeshaushalt 1998 geht. Die Art und Weise, wie im Einzelplan des Verteidigungsministers ein riesiges Rüstungsvorhaben namens Eurofighter oder Jäger 90 in den Bundeshaushalt 1998 eingestellt wird - mit rund 850 Millionen DM -, ist nichts anderes als bajuwarische Selbstbedienung zu Lasten des Bundeshaushalts und - was noch viel schlimmer ist - zu Lasten der Haushalte der nächsten vier Legislaturperioden. Der Bund plant ja, mit der Industrie einen Rahmenvertrag über eine Summe von gut und gern etwa 23 Milliarden DM abzuschließen, die über die künftigen Haushaltsjahre anwächst und weit über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinaus dem Bundeshaushalt und allen Regierungen, auch Ihren Nachfolgern, als Erblast am Bein hängen wird. Im Einzelplan 14 werden selbst die Personalkosten so niedrig kalkuliert, daß die F.D.P. ihre Wehrpflichtkampagne überhaupt nicht mehr als Sprengsatz für die Regierung starten muß: Die Militärs selber machen schon untereinander in Verteilungskämpfen Stimmung. Das zeigt doch deutlich, wie ausgequetscht dieser Haushalt ist und wie alles auf die Papierform hin gerechnet wird. ({7}) Noch eine Aussage zum Thema Verfassungsgemäßheit des Haushalts 1998. Herr Bundesfinanzminister, auch wenn Sie noch so interessiert mit Ihrem Nebenmann reden, sage ich Ihnen: Der Haushaltsentwurf ist verfassungswidrig, weil die Nettoneuverschuldung höher ist als die Investitionsausgaben. Sie haben im Haushalt des Einzelplans 11 des Bundessozialministers Norbert Blüm eine Position versteckt, die meines Erachtens nichts anderes als eine konsumtive Ausgabe ist; das ist der Titel 893 01, in dem 1,5 Milliarden DM veranschlagt sind. Daraus werden Lohnkostenzuschüsse für Arbeitsförderungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose, die im Umwelt- und Kommunalbereich arbeiten, gezahlt. Das sind nach meiner Auffassung keine investiven Ausgaben. Diese Position hat einen Deckungsvermerk. Das heißt, eingesparte Ausgaben bei diesem Titel dürfen zugunsten der Arbeitslosenhilfe verwendet werden. Arbeitslosenhilfe ist ebenfalls ein konsumtiver Titel. In diesem Volumen in Höhe von 1,5 Milliarden DM steckt eine Überschreitung des Art. 115 GG; denn in Ihrem Plan gibt es gerade einmal um 400 Millionen DM höhere Investitionsausgaben als Nettoneuverschuldung. ({8}) Auf dieser Schiene und nach diesem Strickmuster wird in Deutschland von einer konservativ-liberalen Regierung, deren Hauptpfand gegenüber der Wählerschaft in der Vergangenheit immer ihre wirtschaftspolitische Kompetenz und ihre finanzpolitische Solidität war, inzwischen Haushaltspolitik gemacht. Das können wir besser. ({9}) Kollege Austermann, der zur Zeit den erkrankten Obmann der Koalitionsfraktionen vertritt, dem ich von dieser Stelle gute Besserung wünsche, hat gestern zusammen mit Wolfgang Weng für die Koalitionskollegen verkündet, die Koalitionshaushälter wollten weitere Einsparungen in den Haushaltsberatungen durchsetzen. Die Koalitionshaushälter - das kann ich noch einmal sagen -, die in den letzten Jahren über jedes Stöckchen, das ihnen der Finanzminister hingehalten hat, gesprungen sind, haben Waigels Zahlen geschluckt; sie haben den „WaigelWisch" im Herbst 1995 hier im Plenum mit beschlossen. ({10}) Sie haben nachher Krokodilstränen geweint. Sie haben sich im stillen Kämmerlein und manchmal sogar im Ausschuß über die Unseriosität der eigenen Vorlagen mokiert, lassen jetzt aber einen Haushaltsplan 1998 auf dem Papier stehen, von dem jeder Insider weiß, daß er den Grundsätzen von Haushaltsklarheit und -wahrheit erheblich widerspricht und daß die mittelfristige Finanzplanung eine Finanzplanung ist, die man sich nur leisten kann, wenn man glaubt, nicht wieder regieren zu müssen. ({11}) Die Finanzplanung müßten Sie, wenn Sie wieder an die Regierung kämen, in einem Ausmaß korrigieren, das das Ausmaß der letzten beiden Jahre fast noch überschreiten würde; das muß man sich einmal plastisch vor Augen führen. Herr Waigel hat ein weiteres Problem. Solidarität in der Not ist ja keine Erfindung der Koalitionsfraktionen, sondern sie kennt man auch im grünen Lager; sie kennt man auch in der SPD. Aber der Sündenbock ist kein Herdentier. Deshalb steht Theo Waigel in der Krise ziemlich allein. ({12}) Ich weiß, daß Edmund Stoiber im November den CSU-Vorsitz mit links übernehmen könnte, wenn er daran interessiert wäre, sich angesichts der bayerischen Landtagswahlen in die Fronde dieser Koalition einbinden zu lassen. Daher weiß ich auch, Herr Waigel, wie schwer nicht nur Ihr Amt ist, sondern wie schwer auch Ihre Physis unter einer Situation leiden muß, die darin besteht, daß man sich im Zangengriff zwischen objektiven Daten und intriganten Parteifreunden bewegen muß. ({13}) Im Klartext gesprochen, um Ihnen als grüner Haushälter eine Alternative darzustellen: Unsere Fraktion hat in der letzten Woche ein Papier beschlossen, das Wege aufzeigt, wie man über einen mittelfristigen Zeithorizont aus der öffentlichen Finanzkrise herauskommen kann. Dieses Papier hat zwei Kernaussagen. Die erste lautet: Wir müssen die Ausgaben konsolidieren. Öffentliche Haushalte konsolidiert man, ähnlich wie private, dadurch, daß man jede Mark, die man ausgeben will, auf den Prüfstand stellt. Das heißt, es gibt keine Tabu- oder Schutzräume. Wir müssen in den Haushalten sozial gerecht Einschnitte vornehmen. Ich glaube eines - hier richte ich einen Appell an das ganze Haus: - Wir unterschätzen die Stimmung in der Bevölkerung. Der Pseudokampf um die Steuerreform wird von den professionellen Zuschauern, aber auch von den „normalen" Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr ernst genommen. Da wächst ein gefährliches Potential für Wahlenthaltungen oder für radikale Parteien heran. Sie glauben offenbar, Sie könnten durch eine große Koalition im Bereich der inneren Sicherheit Ablenkungsmanöver starten, wobei von Schröder bis zu Stoiber praktisch alle die Kriminalitätsbekämpfung als zentrales Wahlkampfthema entdecken, um sozusagen die Kompromißfähigkeit aufzuzeigen. Mit dieser Nebenkriegsschiene machen Sie aber gerade rechte Parteien populär. Das kann sich, wenn es dumm läuft, schon am 21. September in Hamburg bestätigen. ({14}) Wenn man also die Ausgaben auf den Prüfstand stellt, dann gehören Subventionen genauso dazu wie Privilegien für Beamtinnen oder Beamte, die Explosion der Beihilfe und die dreizehnte Monatspension. Dazu gibt es Vorschläge unserer Fraktion, die von Ihnen letztes Jahr bei den Haushaltsberatungen abgelehnt wurden. Daneben stellen wir aber fest - da liegt der entscheidende Unterschied zu Ihrem Ansatz, die Steuerquote zu senken -, daß die Steuerquote bereits ungewollt auf 22 Prozent abgestürzt ist, so daß wir auch die Einnahmebasis des Staates wieder stabilisieren müssen. ({15}) Für diese Stabilisierung brauchen wir in der Tat - damit sind wir wieder am Ausgangspunkt - eine Steuerreform, die auf breiter Bemessungsgrundlage ruht und Steuerschlupflöcher schließt, dafür aber durch die Tarifabsenkung dem Staat wieder eine ergiebige und gerechte Einnahmequelle zur Verfügung stellt. ({16}) Wenn Sie es mit dem Vermittlungsverfahren, das Sie heute auf den Weg bringen wollen, ernst meinen, dann bewegen Sie sich wirklich ernsthaft und nicht nur der Optik wegen in Richtung Aufkommensneutralität. ({17}) Dann können Sie mit den Grünen auch ernsthafte Diskussionen in einem Vermittlungsverfahren führen. Darauf kommen wir zurück. Wir werden bei der heutigen Abstimmung - das sage ich Ihnen, Herr Kollege Repnik, als Schlußwort - nicht gegen ein zweites Vermittlungsverfahren stimmen. Auch das ist ein Signal unsererseits. Ich bedanke mich. ({18})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Weng, F.D.P.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland im Aufschwung befindet, haben sich eine Reihe von Daten, die den öffentlichen Haushalt betreffen und für ihn von besonderer Bedeutung sind, nicht ausreichend verbessert oder gar verschlechtert. Wir können von Glück reden, daß insbesondere die Exportwirtschaft wieder Fuß gefaßt hat und einen wichtigen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum leistet. Wir müssen aber mit Erschrecken feststellen, daß die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben ist. Die Grundfrage, wie das Problem Investitionsmangel in Deutschland zu lösen ist, ist wesentlicher Teil der parteipolitischen Auseinandersetzungen, die ja auch die heutige Haushaltsdebatte bestimmen. Die Sozialdemokraten, die mit uneingeschränkter Unterstützung ihrer grünen Koalitionspartner in den Bundesländern von dort aus hier mitregieren und Mitverantwortung tragen, werden sich auch heute wieder den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß bei ihnen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei notwendigen Gesetzesvorhaben fehlt. Damit tragen sie wesentliche Schuld am Bild des Investitionsstandortes Deutschland. ({0}) Dieser Vorwurf sitzt, weil er stimmt. ({1}) Wenn der Kollege Metzger hier gerade ein anderes Bild der Grünen zu zeichnen versucht hat, muß man dem entgegenhalten, daß die Grünen überall da, wo in der Praxis anzutreten war, konzentriert und gemeinsam mit der SPD rot-grün gehandelt und blokkiert und nicht hilfreich an der Zukunftsentwicklung Deutschlands mitgewirkt haben. ({2}) Es wird in einer Welt offener Grenzen jeder Unternehmer, der dazu in der Lage ist, dort investieren, wo er sich den höchsten Ertrag für sein Kapital verspricht. Deutschland bietet - auch das ist hier zum Teil richtig angeklungen - weiterhin eine ganze Reihe positiver Standortfaktoren, aber in puncto Besteuerung von Unternehmensgewinnen stellt die Bundesrepublik ein trauriges Schlußlicht dar. ({3}) Deswegen hilft es überhaupt nicht, wenn die Sozialdemokraten ausweislich einer Äußerung von Oskar Lafontaine von gestern - bei ihm kann man übrigens in doppelter Hinsicht von gestern sprechen - eine neue Steuer erfinden, die als Mindeststeuer offensichtlich in der Hoffnung, hieraus Wählerstimmen zu Dr. Wolfgang Weng ({4}) gewinnen, dazu da sein soll, erneut Neidkomplexe zu wecken. ({5}) - Auch Ihre Sprecherin, Frau Kollegin Fuchs, hat hier von dieser Steuer nichts gesagt. Es wäre ja interessant gewesen zu hören, ob die SPD-Fraktion die Meinung von Herrn Lafontaine teilt, die er gestern geäußert hat, denn durchdacht ist diese Sache ganz sicher nicht. Ich bin sicher, sie wird auch ganz schnell wieder beerdigt werden. ({6}) - Da gibt es, Frau Kollegin Matthäus-Maier, tatsächlich nichts zu prüfen. Unsinn braucht man nicht zu prüfen. ({7}) Aber wenn es um Steuer-, um Ausgabensteigerungen, um zusätzliche Belastungen für die Bürger geht, ist die Sozialdemokratie immer schon ganz besonders erfindungs- und einfallsreich gewesen. Gestern wieder: Zur Behebung einer wirklich schwierigen Situation auf dem Lehrstellenmarkt wird sofort die uralte Diskussion über eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft, über eine Ausbildungsabgabe geführt. Ich glaube, es wäre besser, wenn die SPD mit einer Investitionsvertreibungsabgabe belegt würde. ({8}) Meine Damen und Herren, in Kenntnis der schwierigen Lage des Bundeshaushalts war die Bundesregierung in diesem Jahr zu besonders enger Kooperation mit dem Parlament bereit. Ich will hier den Finanzminister, Theo Waigel, ausdrücklich für diese Kooperationsbereitschaft loben. In Sondersitzungen der Koalitionsfraktionen hat er im Juli dieses Jahres sein Konzept nach den Beratungen mit den einzelnen Ministerien vorgestellt, ehe er mit dem Haushaltsentwurf und dem Entwurf für den Nachtragshaushalt ins Kabinett gegangen ist, wo er dann in der vorberatenen Form beschlossen wurde. So wird heute das eingebracht, was die Koalitionsfraktionen in den Grundzügen kennen, was sie schon zu Beginn der Sommerpause zur Kenntnis erhalten haben. Wir stellen hier mit Befriedigung fest, daß die Bundesregierung den Willen hat, die Probleme mit dem Parlament, mit der Mehrheit, mit den Fraktionen der Koalition gemeinsam zu lösen. ({9}) Wir stehen - dies hat die Steuerschätzung im Mai in bedrückender Weise deutlich gemacht - vor dem Problem, daß die Steuereinnahmen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung nicht entsprechen, daß sie den Erwartungen nicht standhalten. Das hängt natürlich auch damit zusammen, daß gewollte Investitionsförderung, daß durchaus gewünschte Abschreibungsmöglichkeiten vor allem in den neuen Bundesländern, die dort zu einer. schnellen Behebung mancher Probleme objektiv beigetragen haben, jetzt zum Tragen kommen. Es ist viel erreicht worden; aber die Entwicklung war in dieser Dimension nicht vorhersehbar. Dies zeigt umgekehrt, daß das System jetzt nicht mehr im Lot ist. Das kann nach unserer festen Überzeugung nur mit einer großen Steuerreform geändert werden. ({10}) Es muß mit einer solchen großen Steuerreform geändert werden. ({11}) - Frau Kollegin Fuchs, die Vorstellungen sind bekannt. ({12}) Die Koalition hat ein Konzept einer solchen Steuerreform vorgelegt, und dieses Konzept beinhaltet alle Notwendigkeiten. ({13}) - Ablehnen ist immer einfach. Es ist kein Zufall, daß gerade Ihre Seite, die SPD, in bekannter Manier des Rosinenpickers kein eigenes Konzept vorgelegt hat, ({14}) sondern einzelne Positionen der Koalition, die man in einem solchen großen Konzept immer finden kann, kritisiert und insgesamt das Konzept blockiert. Da muß ich die Grünen im Vergleich zu Ihnen ausnahmsweise wirklich loben. Sie haben sich wenigstens die Mühe gemacht, ein Konzept zu erarbeiten. Ich glaube allerdings nicht, daß dieses Konzept realistisch gerechnet ist. Die Finanzierungsvorschläge, die sie machen, sind sowieso nirgendwo mehrheitsfähig. Insofern bleibt ihr Konzept Makulatur. Bei einer großen Steuerreform ohne deutliche Entlastung für die Bürger, wie sie die SPD jetzt andeutet, wie sie sie fordert, bräuchten wir nicht auf zukünftige Mehreinnahmen des Staates zu hoffen. Sie würde keine Zukunftsspielräume eröffnen. Eine solche Entlastung ist deshalb unverzichtbar, wenngleich sie in der Not der gegebenen Haushaltssituation auch nach unserer Überzeugung nur in Stufen stattfinden kann. ({15}) Nur mit Änderungen in der Steuerstruktur ist eine Entwicklung zu erwarten, die in der Folge Steuermehreinnahmen für den Staat bedeutet. Wir haben dies in einer ganzen Reihe von Ländern gesehen, die sich so verhalten haben. Man muß daran erinnern: Auch die Bundesrepublik ist nach 1983 einen solchen Weg gegangen, bis sie unter dem Eindruck der NotDr. Wolfgang Weng ({16}) wendigkeiten der Wiedervereinigung zeitweise davon abging. Denken Sie zum Beispiel daran: Die Koalition hat vor wenigen Jahren das steuerfreie Existenzminimum erweitert, ({17}) den Familienlastenausgleich verbessert und zusätzlich den Kohlepfennig an die Stromverbraucher zurückgegeben. Dieses bedeutete damals, Frau Kollegin Fuchs, eine Entlastung von rund 28 Milliarden DM ganz wesentlich zu Lasten des Bundeshaushaltes. ({18}) Diese Entlastung hat aber nicht zu strukturellem Aufschwung und daraus resultierend zu Mehreinnahmen geführt, sondern im Gegenteil die Steuerbasis erodiert. Dies heißt: Eine reine Umverteilung, wie die SPD sie fordert und sich vorstellt, führt zu weiterer Kapitalflucht und zur Lähmung von Investitionen. ({19}) Sie erklären von der Oppositionsseite immer, die Steuerreform, das Konzept der Koalition, sei sozial nicht gerecht. Sie wissen selbst, daß dies nicht richtig ist. Die Bürger in unserem Land sind ja in massiv unterschiedlicher Weise belastet. ({20}) Wer diese Belastungsstruktur kennt, weiß, es kann niemals erreicht werden, daß bei der Entlastung jeder auf Mark und Pfennig gleichgestellt wird. Schon jetzt zahlen 50 Prozent der Steuerpflichtigen weniger als 10 Prozent des Gesamtsteueraufkommens, während umgekehrt die 25 Prozent der Steuerpflichtigen mit den höheren Steuerlasten 70 Prozent des Gesamtsteueraufkommens finanzieren. Da ist es zwangsläufig, daß eine Reform unterschiedliche Entlastungen auslöst. Von uns ist auch gewollt - diesem Ziel werden sich die Sozialdemokraten nicht verschließen können -, daß die Leistungsträger in der Gesellschaft neu motiviert werden. Deshalb waren ja auch in der SPD bis zur Wahl von Oskar Lafontaine als Parteivorsitzendem durchaus Signale einer Bereitschaft vorhanden, diesen für richtig erkannten Weg mit der Koalition gemeinsam zu gehen. ({21}) Deshalb geben wir nach den letzten Signalen, die wir in der vergangenen Woche aus Bundesländern erhalten haben, auch weiterhin die Hoffnung nicht auf, daß in der SPD und im Bundesrat noch Vernunft einkehrt, daß die Blockade sowohl der schon lange im Bundesrat liegenden Spargesetze als auch die Blockade einer vertretbaren Steuerreform aufhört und daß es hier grünes Licht gibt. ({22}) Die Schraube - Steuerreform schafft Investitionen, schafft Arbeitsplätze, schafft dann Haushaltsentlastungen und schafft in der Konsequenz Spielräume für zusätzliche öffentliche Investitionen - muß in diese richtige Richtung gedreht werden. ({23}) Im Etatentwurf 1998, vor allem auch in dem gleichzeitig beratenen Nachtragshaushalt für 1997, sind die zusätzlichen Kosten, die aus der gestiegenen Arbeitslosigkeit resultieren, der ganz entscheidende Faktor der Mehrausgaben und ein Faktor der Einschnürung haushaltspolitischer Handlungsfähigkeit. Wir haben von seiten des Haushaltsausschusses wegen der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt seit langen Jahren darauf verzichten müssen, politisch wünschenswerte und manchmal auch objektiv notwendige Ausgaben auszuweiten, weil uns die zusätzlichen Lasten der Arbeitslosigkeit, die gesetzlich dem Bundeshaushalt anheimfallen, eingeholt haben. Die Verbesserung der Handlungsfähigkeit ist aber nur in einem Klima möglich, das wieder auf mehr Eigenverantwortung, auf mehr Selbständigkeit und auf mehr Initiative setzt. Dieses wird im Zweifelsfall durch das, was die Sozialdemokraten politisch in den Raum stellen, ins Gegenteil verkehrt. Ich appelliere zusätzlich aber auch an die Bundesanstalt für Arbeit und an das beaufsichtigende Ministerium, das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung: Die sorgfältige Kontrolle aller Leistungen muß fortgesetzt werden. ({24}) Aus den Gesprächen mit den Bürgern, die während der Ferienzeit häufiger als zur Zeit der Debatten in Bonn möglich sind, ist deutlich geworden: Es gibt immer noch eine Vielfalt von Mißbrauch. Dieser Mißbrauch muß abgestellt werden. Es muß - Frau Kollegin Fuchs, da sind ja nicht einmal Sie anderer Meinung - die Bekämpfung der Schwarzarbeit in noch größerem Maße als bisher angegangen werden, ({25}) weil die Ausweitung grauer und schwarzer Märkte für unsere Volkswirtschaft, vor allem für unseren Mittelstand, fatale Folgen hat. ({26}) - Wir machen doch etwas. Darf ich hier nicht auch Forderungen an die Handelnden im Sinne dessen stellen, was getan werden soll? Ich habe Ihnen ja schon gesagt, was Sie tun sollten. Wenn Sie von der linken Seite Ihren Teil dazu beitragen, dann sind wir sehr schnell weiter. Natürlich ist ein sorgfältiger Umgang mit den Mitteln, die nicht für gesetzliche, sondern für freiwillige Leistungen zur Verfügung stehen, eine Selbstverständlichkeit. Ich weiß, daß sich den letzten Jahren auch bei der Arbeitsverwaltung die Strukturen, zum Dr. Wolfgang Weng ({27}) Teil die Organisationsstrukturen, verbessert haben. Angesichts der immer wiederkehrenden Berichte über Nachlässigkeiten und Mißbrauch aber muß man sagen: Wenn die in den Medien genannten Zahlen über den Umfang der Schwarzarbeit richtig sind, dann müssen verbesserte Kontrollen und Verfolgungen dieses Mißbrauchs durch die Verwaltung erfolgen. ({28}) Mit dem Bemühen um einen Abbau der Nettoneuverschuldung haben wir nicht nur die europäische Vision vor Augen. Denn hier sind wir auf Grund internationaler Verträge in der Pflicht. Es geht seit vielen Jahren auch darum, von unserer Seite den Druck auf die Verminderung der Nettoneuverschuldung zu verstärken, damit die nachfolgende Generation nicht mit unangemessenen Lasten belegt wird. Durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt treten auch hier unsere Bemühungen der letzten Jahren auf der Stelle. Deshalb ist der Umschwung auf dem Arbeitsmarkt von ganz besonderer Bedeutung. Diesem dienen alle unsere Anstrengungen. ({29}) - Wer an dieser Stelle lacht, zeigt, wie töricht er ist und wie wenig er die Probleme des Landes erkannt hat. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion erkennt an, daß die Regierung einen Haushaltsentwurf vorlegt, der darauf verzichtet, mit Steuererhöhungen einen vermeintlich leichten Weg der Haushaltskonsolidierung zu gehen. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß dieser Weg der falsche wäre und die Steuer- und Abgabenlast schon jetzt viel zu hoch ist. ({30}) Wir wissen aber auch, welche Anstrengungen die Umsetzung dieses Vorhabens für den Bundesfinanzminister Theo Waigel in der Detailarbeit gekostet hat, und begrüßen deshalb den Erfolg, daß er uns diesen Haushalt heute so präsentieren kann, daß auf Steuererhöhungen verzichtet wurde. Der Druck auf die öffentlichen Kassen führt zu einer Entwicklung, die uns ordnungspolitisch freut. Ich nenne die Stichworte Privatisierung und Flexibilisierung. Wenn man sich vor Augen hält, wie schwierig es war, eine Reihe von Voraussetzungen für die Privatisierung der Deutschen Lufthansa zu schaffen, weil in der Vergangenheit sowohl in der Führung dieses Unternehmens als auch in den beteiligten Ministerien eher staatsmonopolistisches Denken herrschte, dann muß man jetzt den außerordentlichen Erfolg begrüßen, der mit der abschließenden Privatisierung der Deutschen Lufthansa durch die Bundesregierung und die Koalition zu verzeichnen ist. ({31}) Sie werden mir den Hinweis erlauben, daß die F.D.P. nach 1983 mit ihrem Drängen in Richtung Privatisierung beim Koalitionspartner nur teilweise Zustimmung fand. Ich bin froh, daß dies heute anders aussieht. ({32}) Dies gilt auch für den Teil der Privatisierung, der uns eine geordnete Einnahmeseite der Haushalte 1997 und 1998 überhaupt ermöglicht, nämlich die weitere Privatisierung der Deutschen Telekom. Trotz des massiven sozialdemokratischen Sperrfeuers und einer öffentlich leider nie richtig bewußt gewordenen Klientelpolitik der SPD auf Wunsch der Postgewerkschaft ({33}) hat die privatwirtschaftliche Umstrukturierung der Post stattgefunden, die zukünftig in Teilbereichen Wettbewerb ermöglicht. Schon jetzt bot und bietet sich weiter die Chance, Teile der früheren Bundespost in den Markt zu entlassen. Die Freien Demokraten halten dies ausdrücklich nicht nur für eine wünschenswerte Maßnahme mit Blick auf den Bundeshaushalt, sondern für einen dringenden ordnungspolitischen Schritt. Denken Sie einmal darüber nach - Sie brauchen nur wenige Jahre zurückzugehen -, welch ein Aufschwung im gesamten Bereich der Telekommunikation seit der privatwirtschaftlichen Umstrukturierung der Telekom stattgefunden hat und in welchem Maße Mitbewerber, andere freie Kräfte, am Markt Platz finden. Hier ist ein großer Erfolg der Koalition zu verzeichnen. ({34}) In diesem Markt steckt auch zukünftig noch Kraft. Da stecken viele Entwicklungschancen, die durch die Privatisierung freigesetzt worden sind. Hier hat also der finanzielle Engpaß des Bundeshaushalts politisch Sinnvolles ausgelöst. Es gibt eine ganze Zahl weiterer Beispiele. Ich hoffe sehr, daß die Koalition den Privatisierungseifer beibehält, an dessen Entstehen wir Anteil haben. ({35}) Wir wollen den Weg des Verzichts auf Staatsmonopole konsequent weitergehen. ({36}) Die Enge des Bundeshaushalts - das ist der zweite Punkt - hat auch Überlegungen bezüglich des Haushaltsverfahrens ausgelöst. Neue Entwicklungen sind notwendig. Sie sind eingeleitet. Es muß künftig nicht Dr. Wolfgang Weng ({37}) mehr der Fall sein, daß jedes Detail der Haushaltsabwicklung parlamentarisch und bürokratisch vorgegeben wird. Mit Entmündigung der vor Ort Verantwortlichen in der vergangenen Zeit hat dort natürlich auch wenig unternehmerisches Denken Platz gegriffen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Luft?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Weng, Sie haben gerade über Telekom, Postministerium usw. gesprochen. Darf ich Sie als Haushälter der F.D.P. fragen, ob Sie mit mir übereinstimmen, daß es, wenn die Auflösung des Postministeriums zum Ende des Jahres summa summarum zur Einsparung von ganzen neun Beamtenstellen, drei Angestelltenstellen und drei Arbeiterstellen führt, ein unverhältnismäßig geringes Ergebnis ist und die Auflösung eines ganzen Ministeriums dann eigentlich keiner weiteren Erwähnung mehr bedarf, wenn das nicht zu weitaus stärkeren Einsparungen an Personal führt? ({0})

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich unterstelle einmal, daß Sie das Konzept kennen, das hier Zug um Zug vorgeht und am Ende einer Entwicklung eine wesentlich deutlichere Entlastung nach sich zieht. Für einen Teil der Aufgaben, die künftig nicht mehr im Postministerium, sondern in anderen Ministerien, vor allem im Wirtschaftsministerium, angesiedelt sind, wird natürlich auch weiterhin Personal benötigt. Es gibt - zunächst für eine gewisse Zeit jedenfalls - eine fortbestehende Aufgabe des Flankierens der notwendigen Deregulierung. Auch hier ist Personal nötig. Aber - um einen Kern Ihrer Frage aufzugreifen - darüber, wie dies ausgestaltet werden muß, hat das Parlament bisher noch nicht befunden, sondern darüber werden wir unter anderem in den Vorberatungen im Haushaltsausschuß zu reden haben, ehe der Deutsche Bundestag abschließend entscheidet. ({0}) Ich hatte auf die Veränderungen im Haushaltsverfahren hingewiesen. Wir wollen Umkehr. Wir wollen mehr Eigenverantwortung auch bei der Verwaltung, auch an der Peripherie vor Ort. Parlamentarier werden sich künftig in gleicher Weise mit ihren politischen Möglichkeiten zu Wort melden können. Aber wer im Detail mitwirken will, wird sich künftig etwas intensiver um Dinge kümmern müssen. Die grundsätzlichen Rechte des Parlaments werden durch diese Neuregelungen, die wir planen, nicht beschnitten. Es werden Instrumente, wie verstärkte Übertragbarkeit von Haushaltsansätzen, verstärkte Dekkungsfähigkeit und ähnliches, eingeführt, um eine bessere Verwendung der Haushaltsmittel zu erreichen. Schon der Hinweis darauf, daß wir künftig das sogenannte November- oder Dezemberfieber nicht mehr in gleicher Weise haben werden, zeigt, daß hier Problemlösung auf dem Weg ist. Sie wissen: Viele Verwaltungen haben in der Vergangenheit gegen Ende des Jahres oft blindlings das Geld ausgegeben, ({1}) nach dem Motto: Was wir jetzt nicht ausgeben, bekommen wir im nächsten Jahr weniger. Sparsamkeit wurde also häufig bestraft, oder man hatte Sorge vor Bestrafung dieser Sparsamkeit. Wer künftig in den Bereichen, in denen diese neuen Haushaltsverfahren Eingang finden, wirtschaftlich arbeitet, kann dies zum Nutzen seiner eigenen Arbeit tun. Ich gehe davon aus, daß unsere Versuche hier das gewünschte und erwartete Ergebnis haben. Dann werden wir das Spektrum dieser neuen Haushaltsverfahren erweitern. ({2}) Die F.D.P.-Fraktion jedenfalls ist bereit, diesen Weg zu gehen. Einige Versuche haben positive Ergebnisse gezeigt. Ich will allerdings darauf hinweisen, daß auch die versprochenen Einsparungen, die mit solcher Neuregelung Hand in Hand gehen, von uns abgefragt werden. Wir wollen sorgfältig prüfen, ob dem im Regierungsentwurf in ausreichender Form Genüge getan ist. Wahrscheinlich ist zusätzlich doch noch einiges an Einsparmöglichkeiten gegeben. Meine Damen und Herren, die Finanzplanung des Bundes ist auf Basis der seinerzeit vorhandenen Daten erstellt worden. Hier hat Frau Matthäus-Maier - wahrscheinlich wider besseres Wissen - eine Unwahrheit gesagt. Natürlich hätten auch wir gerne gesehen, daß der Finanzminister nach erfolgreicher parlamentarischer Arbeit an der Steuerreform schon die neuen Zahlen eingesetzt hätte. Er kann aber den Haushalt ebenso wie die Finanzplanung nur auf Basis geltenden Rechts erstellen. Deswegen ist es, wie vorgelegt, in Ordnung. ({3}) Um eine weitere beliebte Unwahrheit der Sozialdemokraten, gerade von Ihnen, Frau Kollegin Fuchs, an dieser Stelle zu erwähnen: Der Hinweis auf die versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherungsträger endet bei Ihnen immer damit, daß Sie sagen: Wenn man diese Leistungen herausnähme, hätte man viel mehr Geld, um die Renten zu erhöhen. Und: Das müßte im Rahmen des Haushalts bezahlt werden. ({4}) Dr. Wolfgang Weng ({5}) Die Frage, welche Leistungen das sein sollen ({6}) - Sie haben die versicherungsfremden Leistungen mit beschlossen -, und die Frage, wer dies bezahlen soll, stellen Sie nicht; Sie schieben sie irgendwohin. ({7}) Dann soll Ihrer Auffassung nach die Mehrwertsteuer um fünf bis sechs Punkte erhöht werden, um diese Leistungen zu bezahlen. Jeder, der die Zahlen kennt, weiß, daß das, was Sie hier machen, ein Versuch ist, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen. ({8}) Meine Damen und Herren, gemessen am Nachtragshaushalt 1997 wird der Etat 1998 mit geplanten Ausgaben in Höhe von 461 Milliarden DM nur geringfügig wachsen. Er soll, einschließlich der Nettokreditaufnahme von geplanten 57,8 Milliarden DM, die Kriterien sowohl für die europäische Währung glatt erfüllen als auch in der Verschuldung unter den Grenzen, die die Verfassung aufgibt, liegen. Dies ist, wenn wir das tatsächlich durchhalten können, gesichert. Der Blick auf die Finanzplanung zeigt zusätzlich, daß die Bundesregierung den erklärten Willen hat, die Nettokreditaufnahme im Verlauf weiter zu senken - und dies bei zwangsläufig rückläufigen Einnahmen aus der Privatisierung. Die F.D.P. unterstützt diesen von Theo Waigel vorgezeichneten Weg.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weng, können Sie mir sagen, wo jemals ein Sozialdemokrat eine Mehrwertsteuererhöhung von fünf bis sechs Punkten zum Ausgleich von versicherungsfremden Leistungen gefordert hat, und damit verbunden auf die Andeutung eingehen, daß wir damit die Renten erhöhen wollen?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wieczorek, ich bin offensichtlich nicht ganz richtig verstanden worden. ({0}) Ich habe gesagt, daß, wenn die Leistungen, die von seiten Ihrer Fraktion immer als versicherungsfremde Leistungen - im wesentlichen im Bereich der Rentenversicherung - bezeichnet werden, herausgenommen würden - das ist eine Größenordnung, die mit 40 bis 50 Milliarden DM angegeben wird ({1}) - Frau Fuchs, ich beantworte gerade eine Frage Ihres Kollegen Wieczorek. Ich weiß, daß es Ihnen furchtbar schwerfällt, einen Moment Ihren Mund zu halten. ({2}) An dieser Stelle bitte ich Sie aber ganz herzlich darum, weil ich glaube, daß es der Kollege Wieczorek verdient hat, daß ich seine Frage ordnungsgemäß beantworte. ({3}) Einen Satz noch, dann habe ich das bereits getan. Wenn dieser finanzielle Umfang von 40 Milliarden DM durch eine Erhöhung der Steuern aufgefangen werden sollte, also im Rahmen des Haushalts finanziert werden sollte, dann kämen Sie in Größenordnungen, die ich hier genannt habe. Ich habe nicht gesagt, ein Sozialdemokrat habe dies in Zahlen gefordert; aber die Logik der sozialdemokratischen Forderungen macht diese Zahlen klar. ({4}) Meine Damen und Herren, in schwierigster Lage der öffentlichen Finanzen gehen wir jetzt an die Detailarbeit, an die Prüfung des Regierungsentwurfs für den Nachtragshaushalt 1997 und des Etats 1998. Natürlich kann ich das Ergebnis heute nicht voraussagen. Ich kann aber sagen, daß die Haushaltsgruppe der F.D.P. zusammen mit der Gruppe der Union im Haushaltsverfahren mögliche Einsparungen verwirklichen und zusätzliche Impulse geben wird. Meine Fraktion stimmt der Überweisung in den Haushaltsausschuß zu. Vielen Dank. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So schaut es also aus, wenn wir gezwungen werden, einen Haushalt zu diskutieren, von dem wir alle wissen, daß er Makulatur ist, vorgelegt von einem Minister, der keine Lust zum Arbeiten hat und sich eigentlich zu Höherem berufen fühlt. Über dem Haushaltsentwurf schwebt eine imaginäre Drei - eines der Maastricht-Kriterien, welches es im nächsten Jahr zu erfüllen gilt. Nun mögen die vier Kriterien, die sicher nur die wenigsten Abgeordneten tatsächlich aus dem Kopf können und von denen ebenso wenige wissen, was sie beinhalten, ja ein Hilfsmittel sein, Volkswirtschaften zu bewerten und zu vergleichen. Aber sie sind garantiert nicht das, was die Bürgerinnen und Bürger interessiert. Genau aus diesem Grunde, weil Sie die Fragen zum gemeinsamen Europa nicht beantworten, die gestellt werden, ist die PDS auch gegen diesen Weg, wie Sie ihn vorschlagen. Sie stellen nur den Euro vorneweg, und alles andere interessiert Sie nicht. ({0}) Sie wollen ein Europa des Kapitals. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Probleme der. Schaffung von Arbeitsplätzen, von Bildung und Ausbildung, von tatsächlichen Zukunftsinvestitionen, der Benachteiligung von Frauen und ökologische Probleme sollen irgendwann vielleicht einmal gelöst werden. Ich muß sagen, Herr Waigel, das kenne ich eigentlich noch sehr gut von früher. Wir haben ein Ziel, den Euro. Wir haben ein Versprechen, alles wird besser, und wir haben einen Weg. Das heißt nun einmal Einschnitte, die wir heute machen müssen. Aber darauf können wir verzichten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande haben es verdient, daß sie bei dieser wichtigen Frage mitentscheiden können. Deshalb haben wir einen Antrag über einen Volksentscheid zu diesem Thema eingebracht. Wir glauben, das wäre ein richtiger Weg, um die dringenden Fragen, die tatsächlich existieren, zu diskutieren und zu lösen. Sie haben die Fragen, für die Sie für Europa keine Lösungsvorschläge unterbreiten können, hier im Lande auch nicht gelöst. Herr Waigel konnte sich zu Recht vorhin darauf berufen, daß die Wirtschaftsdaten besser sind. Ja, das ist richtig, aber wie ist es denn mit den 4,35 Millionen Arbeitslosen? Das ist der Stand im August, der höchste der Nachkriegszeit. Hier hat doch Ihre Wirtschaftspolitik völlig versagt. In keiner Weise entspricht sie dem, was notwendig wäre. Der Haushaltsentwurf entspricht dem ebenfalls überhaupt nicht. ({1}) Ich muß sagen, das, was Sie vorhin als Begründung für das Ansteigen des Sozialetats vorgelegt haben, ist wirklich schon abenteuerlich. Das Ansteigen des Etats, das richtigerweise da ist, begründen Sie und sagen, die Fürsorgepflicht des Staates wurde immer erfüllt. Die Ursachen dafür blenden Sie völlig aus. Im Gegenteil bezeichnen Sie die Menschen noch als Haushaltsrisiken, Menschen, die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, dann aber arbeitslos werden, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und zum Teil auch Sozialhilfe beziehen. Diese Menschen haben gesetzlich verbriefte Ansprüche. Weil sie diese gesetzlich verbrieften Ansprüche jetzt auch tatsächlich brauchen, weil sie arbeitslos und vielleicht noch tiefer gerutscht sind, sagen Sie, die Menschen sind letztlich Haushaltsrisiken. Ich muß sagen, das ist ein Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern, der nicht mehr haltbar ist. ({2}) Herr Waigel, als letztes noch zu Ihrer heutigen Rede. Sie sagen, wir brauchen eine Steuerreform und wir brauchen als ersten Schritt eine Senkung des Eingangssteuersatzes. Die PDS hat dazu einen Vorschlag gemacht. Wir sind für die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 19 Prozent, aber bei einer wesentlich höheren Freistellung des Existenzminimums. 13 000 DM sind lächerlich. 17 000 DM müßten es sein. Sie begründen das Ganze aber damit, daß dadurch der Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöht wird. Per 31. Dezember 1995 bezogen 109 118 Personen, welche erwerbstätig waren, laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Davon waren 50 233 Personen voll beschäftigt und 58955 in Teilzeit. Das waren 7,2 Prozent der Menschen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Sie arbeiten, und trotzdem reichen die niedrigen Löhne nicht, um wenigstens das Existenzminimum zu sichern. Kümmern Sie sich um die Höhe der Mindestlöhne und darum, daß das allgemeine Lohnniveau erhöht wird, aber nicht darum, über die Steuer Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu geben. ({3}) Diese neoliberale Wirtschaftspolitik hat versagt und kann die drängendsten Probleme nicht lösen. Die Arbeitslosigkeit hat eine Rekordhöhe erreicht; die Nettolöhne sind gesunken. Wir haben eine katastrophale Situation in der Berufsausbildung. Soziale und ökologische Probleme werden verschleppt; die kommunale Selbstverwaltung verkommt zur Farce. Die Haushaltspolitik ist gekennzeichnet durch eine enorme Verschuldung, durch Haushaltsakrobatik, rigides Sparen, durch das Verscherbeln des Tafelsilbers und durch das Inkaufnehmen von Einnahmeverlusten. Regierung und Koalition verabschieden sich von jeglichem politischen Gestaltungswillen. Im aktuellen Finanzplan heißt es dazu - ich zitiere -: Der Spielraum im Bundeshaushalt 1998 für zusätzliche Einsparungen bei konsumtiven Ausgaben ist angesichts der Konsolidierungsmaßnahmen in diesen Ausgabenbereichen seit Beginn der 90er Jahre eng begrenzt ({4}). Ist das Sinn und Zweck einer soliden Haushaltspolitik? Soll nicht der Haushalt eigentlich die Bewirtschaftung des Gemeinwesens sicherstellen? Das sollte die Zielsetzung sein. Die ganze Situation hat sich natürlich nicht zufällig ergeben. Es ist mittlerweile schon die Regel, daß Sie ständig von zu optimistischen Basisdaten ausgehen. Da meine Zeit arg begrenzt ist, möchte ich nur eine Zahl nennen: Für 1998 legen Sie wiederum ein Sinken der Arbeitslosenzahlen zugrunde. Alle großen Wirtschaftsforschungsinstitute gehen von dem genauen Gegenteil aus. Wir haben eine Situation, in der von vornherein klar ist, daß wir im Jahre 1998 wieder über einen Nachtragshaushalt werden reden müssen. Bei diesen ganzen Problemen Ihrer fragwürdigen Finanz- und Steuerpolitik tun Sie mit einem unnachahmlichen, naiven Augenaufschlag so - das muß man einfach einmal sagen -, als ob das alles zufällig und von Ihnen unabhängig entsteht. Ich zitiere dazu nochmals aus dem Finanzplan: Die Entwicklung der Veranlagungssteuern ist durch strukturelle Probleme gekennzeichnet. Bei der Veranlagung führen Faktoren wie Verlustvortrag und intensive Nutzung der „Sonderabschreibung Ost" in den vergangenen Jahren erst jetzt zu Erstattungen mit den entsprechenden Konsequenzen beim Steueraufkommen. Ja nun, Gott, wer hat denn diese Gesetze beschlossen? Und wissen wir es denn erst seit heute, daß es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen den Arbeitnehmern, die jährlich ihre Steuern zahlen, und denjenigen, die eine Einkommensteuerveranlagung durchführen? Natürlich verhält es sich so, daß, wenn wir 1994, 1995 Gesetze beschließen, die das ermöglichen, dies irgendwann zum Tragen kommt. Es handelt sich dabei um einen Prozeß, der seit 1990/91 von Ihnen sehr radikal vorangebracht wird. Hier handelt es sich um eine Steuerentlastung für einen bestimmten Personenkreis. Wenn Sie heute die Erosion der Steuerbasis beklagen: Dieses Hohe Haus hat mit Ihren Mehrheiten genau die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, daß das geschieht. ({5}) - Ja, das ist schlampig gehandhabt worden. ({6}) - Nein, das ist genau richtig. Was dazu nicht mit gesagt wird, ist, daß Sie in den betreffenden Jahren zusätzlich noch die indirekten Steuern erhöht haben. Stichworte sind: Mehrwertsteuererhöhung, Versicherungssteuer, Mineralölsteuer. Das sind alles Steuern, die in den 90er Jahren erhöht wurden. Diese Steuerarten zahlt die Allgemeinheit, alle Bürgerinnen und Bürger, und sie zahlen nicht die Personen, für die der Spitzensteuersatz von 56 auf 53 Prozent gesenkt wurde, den Sie jetzt noch weiter herunterfahren wollen, bis unter 40 Prozent. Nur auf Druck der Öffentlichkeit haben Sie hier etwas nachgegeben. ({7}) Wir sind der Meinung, daß Ihre Steuerpolitik genau dem widerspricht, was Sie hier wieder vollmundig ankündigen, nämlich mehr Steuergerechtigkeit zu verwirklichen. In Ihren Vorschlägen entlasten Sie die Bezieher höchster Einkommen überproportional. Es ist schon fast nicht mehr auszudrücken, was Sie hier machen wollen. Die Bezieher von niedrigen Einkommen sollen vielleicht mit dem Eingangssteuersatz und dem Tarifverlauf ein wenig entlastet werden, aber sie sollen durch die Erhöhung der indirekten Steuern, die eine Fußnote zu den anderen Vorschlägen ist, massiv belastet werden. Wenn Sie hier vom Schließen der Steuerschlupflöcher reden, dann sage ich: Bitte sehr. Wir haben bei der Werftendiskussion im Finanzausschuß etwas völlig anderes erlebt. Auf einmal gibt es von seiten der Koalition große Ankündigungen: Die Entfernungspauschale muß geändert werden. Dann haben wir eine Diskussion um die Arbeitszimmer bekommen, die ja angeblich alle viel zu groß sind. In diesem Bereich finden Sie dann bei den Arbeitnehmern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen auf einmal Ihre Beispiele. Wir werden in diesen Diskussionen um den Haushalt entsprechend unseren bisherigen Vorschlägen als Partei des Demokratischen Sozialismus klarmachen, daß wir diese Politik nicht mittragen. Wir werden hier im Laufe dieser Woche konkrete Projekte vorlegen, die gegenfinanziert sind und womit eine kurzfristige Antwort auf die drängenden Probleme möglich ist. Ich möchte hier nur ein Beispiel nennen, einfach eine Relation aufzeigen. Die Ausgaben der Kommunen für Menschen, die Sozialhilfe beziehen, die in diese Situation gekommen sind, weil sie arbeitslos sind, betragen insgesamt etwa 8,5 Milliarden DM. Die Streichung der Vermögensteuer - eine Landessteuer - bedeutet einen Verzicht auf 9 Milliarden DM im Jahr. Das heißt, Sie verzichten genau auf die Summe, die die Kommunen für die Sozialhilfe aufwenden. Ich frage Sie: Wie viele Menschen haben etwas von der Streichung der Vermögensteuer? Wie viele Menschen lassen Sie in der Sozialhilfe? Sie setzen das Geld nicht bewußt ein, um tatsächlich etwas gegen Arbeitslosigkeit zu tun, sondern verzichten freiwillig darauf. Das ist das Hauptproblem, denke ich, zum Ausgang dieses Jahrhunderts. Ich danke. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Haushaltsentwurf mit seinen Einsparungen einerseits, seinen Ausgabeschwerpunkten andererseits trägt den wirtschaftspolitischen Erfordernissen in unserem Land Rechnung. Der Bund tut dort, wo er auf Wachstum, auf Beschäftigung Einfluß nehmen kann, das Seine. Er tat und tut das Seine, soweit die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat dies zuließen und zulassen. Vor wenigen Tagen ist es uns endlich gelungen, daß auch die letzte Substanzsteuer, die Gewerbekapitalsteuer, abgeschafft wird, daß auch die SPD-Mehrheit im Bundesrat der Abschaffung dieser subGerda Hasselfeldt stanzverzehrenden und arbeitsplatzvernichtenden Steuer zustimmt. ({0}) Dies war und ist ein ganz wichtiges Signal für mehr Investitionen, für mehr Beschäftigung, für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe. Frau Matthäus-Maier, es ist eben nicht so, wie Sie es in Ihren Ausführungen zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie keine Blockadepolitik betrieben hätten. Es hat immerhin fünf Jahre, meine Damen und Herren, volle fünf Jahre, gedauert, bis dies endlich gelungen ist. ({1}) Das Interessante dabei ist, daß es SPD-Politiker wie den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen gibt, Gerhard Schröder, der in einem Interview mit der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" vor wenigen Wochen - es war am 27. August - unter anderem sagte: Und zweitens haben wir schon eine Menge auf den Weg gebracht, -„wir" wie zum Beispiel die Vermögensteuer ... abgeschafft. ({2}) Meine Damen und Herren, das hat der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen gesagt. Was schließt man daraus? Es ist eine solche Verlogenheit eines Menschen, der zunächst immer wieder massiv gegen die Abschaffung der Vermögensteuer Stellung bezieht und sich dann brüstet - je nachdem, wer die Frage stellt -, er habe diese substanzverzehrende Steuer abgeschafft. ({3}) Das zeigt auch, daß in Ihrer Partei so reagiert und argumentiert wird, wie Sie es gerade brauchen. ({4}) Wenn ein Sachverständiger fragt, dann wird gesagt: Die Abschaffung der Vermögensteuer haben wir gemacht. Ansonsten wird populistisch argumentiert, wird auf der Neidschiene argumentiert. Meine Damen und Herren, diese Äußerung von Gerhard Schröder hat das deutlich gemacht. ({5}) Ich mache kein Hehl daraus, daß es uns lieber gewesen wäre, wenn wir mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer auch die von uns vorgesehene, im Gesetzentwurf enthaltene mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer hätten mitmachen können. Die SPD hat auch dabei blockiert. Das wollen Sie von der SPD nicht. Das war mit Ihnen nicht zu machen, obwohl der Mittelstand diese Entlastung dringend gebraucht hätte. Meine Damen und Herren, dieses Ziel steht bei uns nach wie vor auf der Tagesordnung. ({6}) Bei der Reform der Lohnsteuer, der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer hat die SPD der Reformmut bislang verlassen. Sie haben kein einziges Kompromißangebot von unserer Seite angenommen, da bei Ihnen von vornherein feststand: Eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient, darf nicht Realität werden. Daß Ihr Parteivorsitzender, Oskar Lafontaine, seiner Partei diese Blockadehaltung verordnet hat, zeigen beispielsweise Äußerungen von ihm Anfang August, in denen es wörtlich heißt: „Auch bei uns bleibt die Steuerreform auf der Tagesordnung. ({7}) Direkt nach der Bundestagswahl werden wir eine Steuerreform machen. " Meine Damen und Herren, bis dahin werden viele Arbeitsplätze verlorengegangen sein, werden weiter viele Menschen den Arbeitsplatz verlieren, werden viele Investitionen zurückgehalten werden. ({8}) Deshalb frage ich Sie: Ist denn dies zu verantworten? ({9}) - Nein, das ist nicht wahr. ({10}) - Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen. - Wir haben im Gegensatz zu Ihnen erstens ein Konzept vorgelegt ({11}) und zweitens vereinbart, daß bereits am 1. Januar 1998 ein Teil der Steuerreform in Kraft treten soll; der zweite Teil dann am 1. Januar 1999. Wir brauchen die Steuerreform jetzt. Wir brauchen wenigstens einen ersten Schritt. Dabei geht es nicht darum, irgend etwas zu machen, sondern darum, die Inhalte so zu gestalten, daß die Bedingungen für mehr Wachstum, für mehr Investitionen, für mehr Arbeitsplätze verbessert werden. Es geht nicht im Vordergrund darum, die Massenkaufkraft zu stärken. Vielmehr geht es um die Stärkung der Investitionskraft unserer Wirtschaft, um die Stärkung derjenigen, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten. ({12}) In diesem ersten Schritt muß eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes enthalten sein, genauso wie eine Senkung des Steuersatzes für die gewerblichen Einkünfte, die der Einkommensteuer unterliegen. Dies geht nicht, wie es die SPD vorsieht, im Wege einer Option für Handwerksbetriebe und ähnliche Unternehmen. Dies ist eine Lachnummer. DieGerda Hasselfeldt sen Vorschlag haben wir Anfang der 50er Jahre schon einmal gehabt. Das war nur ganz kurz in Kraft, dann ist das ganz schnell wieder abgeschafft worden, weil sich herausgestellt hat, daß dieses Mittel untauglich ist. Warum sollten wir etwas, was sich vor 40 Jahren als nicht praktikabel herausgestellt hat, wieder auflegen? Deshalb müssen in einem ersten Schritt auch der Eingangs- und Spitzensteuersatz nichtgewerblicher Einkünfte bei der Lohn- und Einkommensteuer gesenkt werden. ({13}) - Frau Matthäus-Maier, ich vermisse dabei immer, daß deutlich gemacht wird, daß diese nichtgewerblichen Einkünfte nicht nur Privateinkünfte umfassen, sondern auch die Einkünfte derjenigen, die Arbeitsplätze schaffen, beispielsweise der Selbständigen, beispielsweise der in der Land- und Forstwirtschaft Tätigen, beispielsweise derjenigen, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung haben. All dies gehört zu den nichtgewerblichen Einkünften, für die derzeit ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent erhoben wird. Weil diese Diskussion - auch heute ist dies wieder zum Ausdruck gekommen - häufig unter Neidgesichtspunkten geführt wird, will ich darauf hinweisen: Wir stehen in einem internationalen Wettbewerb um die Arbeitsplätze, ganz wesentlich auch um die Arbeitsplätze der Qualifizierten. ({14}) Warum, glauben Sie, sagen viele junge hochqualifizierte Leute ihrem international tätigen Unternehmen: Wir wollen lieber in den USA oder in Großbritannien als in Deutschland arbeiten? - Weil ihnen im Endeffekt vom Verdienst mehr bleibt als in Deutschland. ({15}) Wir müssen berücksichtigen, daß es für hochqualifizierte Kräfte mittlerweile einen internationalen Arbeitsmarkt gibt. Wollen Sie denn, daß diese hochqualifizierten Leute, die bei uns ausgebildet wurden, ihre Leistung woanders bringen? Oder wollen Sie, daß sie bei uns arbeiten? ({16}) Wenn die Sätze in der Körperschaftsteuer, wenn die Steuersätze für die gewerblichen Einkünfte in der Einkommensteuer gesenkt werden, dann - dies ist letztlich schon aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig; darauf ist in der Debatte heute mehrfach hingewiesen worden - muß auch der Spitzensteuersatz für die nichtgewerblichen Einkünfte gesenkt werden. Nun sagt der SPD-Parteivorsitzende, Vorbedingung für weitere Verhandlungen sei, daß wir ein neues Konzept vorlegen. Ist Ihnen denn entgangen, daß wir es im Gegensatz zu Ihnen, die nur einige Punkte vorgelegt haben, waren, die ein vollständiges, ein umfassendes, ein ausgewogenes Konzept vorgelegt haben, ein Konzept, das den Erfordernissen des Arbeitsmarktes entspricht? Ist es Ihnen denn entgangen, daß unser Konzept von allen, die etwas von der Sache verstehen, ob es die Wissenschaftler, die Verbände oder die Wirtschaftsvertreter sind, als positiv bewertet wurde? Ist Ihnen denn das alles entgangen? Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, daß wir ein neues Konzept vorlegen. Unser Konzept steht, unser Konzept ist gut, wir sind verhandlungsbereit. ({17}) Ich will in diesem Zusammenhang den Vorstandsvorsitzenden der Firma BMW, Herrn Pischetsrieder, zitieren, der in einem Interview in der gestrigen „Süddeutschen Zeitung" unter anderem gesagt hat: ... wobei ich schon, als die Petersberger Vorschläge vorgelegt wurden, gesagt habe, daß mein Unternehmen zwar mehr Steuern zahlen müßte, - man höre und staune ich aber trotzdem dafür bin, das Konzept insgesamt so zu verabschieden, weil es volkswirtschaftlich richtig ist. ({18}) Das sagt der Vorstandsvorsitzende eines der größten Unternehmen in Deutschland. Ähnliche Zitate könnten wir Ihnen haufenweise liefern. Aber das hilft natürlich nichts, wenn Sie diesen Fachleuten nicht glauben und entsprechende Entscheidungen nicht mittragen wollen. Nun ist es nicht so, daß alle SPD-Kollegen überhaupt nichts wollen. Es gibt durchaus ernstzunehmende Finanzpolitiker in dieser Partei, zum Beispiel Finanzminister Schleußer und andere, die schon seit langem sagen, wir brauchen nicht nur eine Steuerreform, sondern wir brauchen eine deutliche Senkung des Eingangssteuersatzes und des Spitzensteuersatzes. Sie sprachen dabei von 20 bis 40 Prozent. Herr Schleußer hat ebenso recht wie andere, die sich in dieser Richtung äußern. Der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung ist heute bereits zitiert worden. ({19}) Er empfiehlt einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzensteuersatz von 40 Prozent. Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis hätten Sie, wir und die Bevölkerung schon lange haben können, wenn Sie unseren Vorstellungen zugestimmt hätten. ({20}) - Dann sind Sie selber schuld. Wenn Sie ständig nein sagen, müssen Sie sich auch den Vorwurf gefallen lassen, ({21}) daß Sie wesentlich für die Arbeitsmarktsituation und für jeden zusätzlichen Arbeitslosen verantwortlich sind. ({22}) Nun gibt es den Einwand der SPD, wir könnten uns eine Steuerreform mit einer Nettoentlastung für die Steuerzahler angesichts der hohen Einnahmeverluste nicht leisten. Meine Damen und Herren, gerade wegen der Einnahmeverluste brauchen wir die Steuerreform. Wir brauchen sie, weil der Grund für diese Verluste insbesondere bei der veranlagten Einkommensteuer liegt. Der Grund liegt darin, daß die Steuerbasis eine Erosion durch die Nutzung von legalen, früher einmal sinnvollen, aber heute nicht mehr notwendigen steuerlichen Vergünstigungen und Gestaltungsmöglichkeiten erlebt hat. Es gibt eine Schätzung des Instituts der Deutschen Wirtschaft, die besagt, daß Bund, Länder und Kornraunen allein in den nächsten vier Jahren 135 Milliarden DM an Steuereinnahmen verlieren würden, wenn die Steuerreform nicht käme. Das macht doch deutlich, daß wir die Steuerreform gerade wegen der Einnahmeverluste brauchen. Wir brauchen eine grundlegende Reform mit niedrigen Steuersätzen, mit dem Abbau von Steuervergünstigungen; denn das ist letztlich die sozialste aller Steuerreformen, die es nur geben kann, weil dann alle, auch die Reichen, ihre Steuern nach ihrer Leistungsfähigkeit zahlen. Das ist das Ziel einer sozial ausgerichteten Steuerreform. ({23}) Daß es auch ohne Dauerblockade wie bei unserer Opposition geht, zeigt das jüngste Beispiel aus den USA. Fast zeitgleich zu unserem Vermittlungsverfahren zur Steuerreform haben sich dort der demokratische Präsident und der republikanisch dominierte Kongreß auf ein gemeinsames Programm über Steuererleichterungen und einen ausgeglichenen Haushalt verständigt. ({24}) - Frau Matthäus-Maier, es ist eben nicht so, daß bei dieser Reform, wie Sie uns heute glauben machen wollten, das Kindergeld im Mittelpunkt stand, sondern im Mittelpunkt dieser Reform stand und steht die Absenkung des Tarifs. Nach wie vor beträgt das Kindergeld dort nur einen Bruchteil von der Höhe unseres Kindergeldes, ganz zu schweigen von anderen familienpolitischen Leistungen in unserem Land. ({25}) In ähnlicher Weise haben die Skandinavier, die Niederländer und die Briten ihre Hausaufgaben gemacht. Ich frage mich: Wenn das in anderen Ländern mit den Sozialdemokraten, mit anderen Parteien möglich war, wenn dort die Einsicht bei einer gleichen Systematik wie bei uns und die Gemeinsamkeit vorhanden war, warum soll dies nicht auch bei uns möglich sein? Deshalb appelliere ich ganz herzlich an Sie, bei den Verhandlungen in der zweiten Runde nun alles daranzusetzen, eine Reform zustande zu bringen, die nicht nur den Namen Steuerreform verdient, sondern die tatsächlich auch zur Verbesserung der Bedingungen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung beiträgt. Das ist das Gebot der Stunde. Die Arbeitslosen, diejenigen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, und die ganze Bevölkerung werden es Ihnen danken. ({26})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hasselfeldt, Sie sollten nicht an uns appellieren, sondern Sie sollten der SPD endlich ein in der Koalition abgestimmtes, realistisches, finanzpolitisch seriöses, sozial ausgewogenes Konzept als Grundlage für Gespräche vorlegen. ({0}) Sie sollten nicht jeden Tag Interviews geben, in denen der eine dieses und der andere jenes sagt, der eine von Aufkommensneutralität in 1998 spricht und die F.D.P. wieder davon, daß man bei 30 Milliarden DM Nettoentlastung bleibt. Bringen Sie einmal Ordnung in Ihren Hühnerhaufen, machen Sie ein vernünftiges Angebot, und dann können Sie mit uns ein vernünftiges Gespräch führen. ({1}) Es wird langsam lächerlich, weil Sie sich selbst in der Koalition blockieren. Sie schieben sozusagen der SPD wie früher in dem Lied von Rudi Carrell alles in die Schuhe, einschließlich des Ausbleibens der Sonne. Lächerlich ist doch die Behauptung, daß für die derzeitigen Haushaltsprobleme des Bundes die SPD verantwortlich sein soll - das ist auch in Kommentaren zu finden -, weil sie den Steuerreformplänen der Bundesregierung nicht zugestimmt hat. Dabei geht es um eine Steuerreformvorlage, die die Koalition am 22. April dieses Jahres beschlossen hat. Wer hat denn die Erosion der Besteuerungsgrundlagen, das jetzt auch in Koalitionskreisen ein modisches Wort geworden ist, also die Aushöhlung, zu verantworten? Sie doch mit Ihrer Steuerpolitik, die Sie über Jahre betrieben haben. ({2}) Wesentlich in der Amtszeit dieses Bundesfinanzministers ist das deutsche Steuerrecht verwüstet worden. Jetzt beklagen Sie sich darüber. Das ist doch wirklich wie mit dem Westerwelle-Plakat „Steuerland ist abgebrannt", wo man feststellen muß, daß die Brandstifter nach der Feuerwehr rufen. Das ist Ihre Politik nach dem Motto: Haltet den Dieb! ({3}) Das können Sie mit uns nicht machen. Das ist auch intellektuell eine Zumutung, die Sie jeden Tag auf die Öffentlichkeit loslassen. Daß wir eine Erosion haben und damit den Einbruch bei den Steuereinnahmen, ist zum einen auf die Verwüstung des deutschen Steuerrechts durch Sie zurückzuführen, zum anderen auf die massiven Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen und Privaten im EU-Bereich und im internationalen Rahmen. Über die erwähnten Anstrengungen, die Sie unternommen haben, Herr Bundesfinanzminister, kann ich wirklich nur kichern. Die Anstrengungen waren vor zwei beziehungsweise anderthalb Jahren so weit gediehen, daß Sie im Frühjahr dieses Jahres endlich die persönlichen Beauftragten eingesetzt haben. Sie haben dieses Problem jahrelang negiert, nicht zur Kenntnis nehmen wollen und werden jetzt von diesem Untätigsein eingeholt. ({4}) Die heutigen Haushaltsprobleme des Bundes mit der noch nicht verabschiedeten und für 1999 vorgesehenen Steuerreform der Koalitionsregierung zu begründen zeigt ein unvorstellbares Maß an Ignoranz und widerspricht allen Fakten und Zahlen. Wenn der Bundesfinanzminister heute für eine gescheiterte Steuer- und Finanzpolitik steht, so darf wirklich nicht übersehen werden, daß es sich tatsächlich um die gescheiterte Steuer- und Finanzpolitik der Regierung Kohl insgesamt handelt und natürlich auch Herr Waigel versagt hat. Aber die Fehler von Herrn Waigel sind die Fehler der Regierungskoalition, ({5}) die Fehler von Herrn Kohl, der im Moment nicht anwesend ist, die Fehler von Herrn Schäuble, die Fehler von Herrn Solms, die Architekten dieser gescheiterten Politik, die nicht in gleichem Maße wie der Bundesfinanzminister verantwortlich gemacht werden. ({6}) Wenn dann Frau Hasselfeldt die SPD spalten will, ist ihr entgegenzuhalten: Herr Schleußer ist ein vernünftiger Mann. Er hat letzte Woche im Landtag gesagt, daß Ihre Pläne maßlos und unverantwortlich sind, weil sie die Länderhaushalte ruinieren würden. Es gibt keinen Unterschied in der finanzpolitischen Auffassung zwischen SPD-Bundestagsfraktion und den SPD-Länderfinanzministern. ({7}) Sie finden die SPD gänzlich geschlossen vor. Das ist das, was Sie so irritiert. Das verstehe ich auch. Sie hatten zunächst eine Finanzierungslücke von 57 Milliarden DM; jetzt sind Sie bei 45 Milliarden DM. Ich will Ihnen einmal sagen, worum es dabei eigentlich geht. Bei Ihrem Steuerpaket handelt es sich um eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung. ({8}) Sie machen aus der Finanzierung sozusagen ein Staatsgeheimnis, und die Herren Schäuble und Waigel wissen das auch ganz genau. Andere mögen die Zusammenhänge nicht immer erkennen. ({9}) Ihnen will ich nicht von vornherein immer böse Absicht unterstellen, wenn Sie von diesen Plänen noch immer nicht abrücken wollen. Damit meine ich nicht nur Menschen, die diesem Hause angehören, sondern auch manche aus der Wirtschaft oder in den Medien, die das Geschehen kommentieren. Es ist ganz klar, daß die Realisierung dieser Steuerpläne den Ruin der Länderhaushalte bedeuten würde und für die Kommunen nicht mehr zu verkraften wäre. Es ist schon so: Die Union hat sich in die strategische Falle begeben. Die Union hat sich von der F.D.P. durch deren ständiges Gesäusel einer Nettoentlastung von 30 Milliarden DM im Jahr tief in den dunklen Wald der unfinanzierbaren Steuergeschenke locken lassen ({10}) und beschwert sich jetzt lautstark, daß die SPD nicht bereit ist, der Koalition mit Finanzierungsvorschlägen für diese einseitigen Steuergeschenke den Weg zurück ins Licht zu weisen. ({11}) Wie absurd diese Vorstellungen sind, sehen Sie allein daran, daß Sie auf der einen Seite 30 Milliarden DM Nettoentlastung wollen, sich aber auf der anderen Seite bis heute nicht darüber einigen können, wie die Rückführung des Solidaritätszuschlages zu finanzieren ist. ({12}) Dieser Unterschied zwischen großen Worten und Taten, zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist das Kennzeichen Ihrer Politik. Sie betreiben eine unseriöse, großsprecherische Finanz- und Steuerpolitik. Das müßte langsam dem Dümmsten in unserem Lande aufgehen. ({13}) Eine Nettoentlastung ist möglich. Aber die Nettoentlastung ist nicht für alle möglich. Das ist der unterschiedliche Ansatz in unseren Konzepten. Auch unser Steuerkonzept führt zu einer Nettoentlastung. Bei uns werden diejenigen Bürgerinnen und Bürger entlastet, die in den letzten Jahren mit Steuern und Abgaben immer stärker belastet worden sind und die nicht die Möglichkeit hatten, steuerliche Subventionen und Steuersparmodelle zu nutzen. Das ist die große Mehrheit der Arbeitnehmerfamilien. Das sind die Leistungsträger dieses Volkes, die Frauen und Männer, die jeden Tag in die Fabriken und in die Büros gehen. ({14}) Diese wollen wir entlasten, weil sie mit Steuern und Abgaben in den letzten Jahren nachweislich am meisten belastet wurden - im Gegensatz zu der Klientel, die speziell die F.D.P. schonen will. Wenn wir Schlupflöcher schließen, wird diese Klientel tatsächlich mehr zahlen müssen. Weil das so ist, muß man den Spitzensteuersatz unbedingt auf 39 Prozent absenken, damit diese Leute unter dem Strich nicht mehr zu zahlen haben. Das, was hinter Ihrer Vorlage steckt, ist Klientelschutz, mehr nicht. ({15}) Worum es eigentlich geht, ist doch, daß der Steuerehrliche nicht mehr der Dumme sein darf, daß der Steuertarif wieder die Wahrheit über die tatsächliche Steuerbelastung sagen muß. Es geht also, Frau Kollegin Frick, um die gleichmäßigere Verteilung der Abgaben. ({16}) Dann können die Steuersätze sinken. Es geht darum, die Gruppen bei der Steuer heranzuziehen, die sich, wie das in der „Zeit" richtig beschrieben wurde, in den vergangenen Jahren selber entlastet haben. Diese stehen Ihnen politisch näher als uns. Wir wissen, welche Gruppen sich in den letzten Jahren auf Grund der gegebenen Rechtslage oder auch widerrechtlich - je nachdem - selber entlastet haben. Es ist das Hauptübel des heutigen Steuerrechts, es ist der gesellschaftspolitische Sprengstoff, daß wir ein Zweiklassensteuersystem haben. Das wollen wir verändern, und das werden wir auch verändern. Wenn das mit Ihnen zusammen nicht geht, dann müssen wir das auf einem anderen Wege tun. Darüber können wir im nächsten Jahr, wenn das mit Ihnen jetzt nicht möglich ist, streiten. Denn Fakt ist, daß Steuern hauptsächlich nur noch von Arbeitnehmern, Verbrauchern und Teilen der mittelständischen Wirtschaft gezahlt werden. Frau Matthäus-Maier hat dazu ein Beispiel genannt. Es geht um die elementare Frage der Steuergerechtigkeit. Sie wollen aus dem von mir beschriebenen Klientelschutz heraus unbedingt bei der Nettoentlastung von 30 Milliarden DM bleiben, die Sie zudem noch mit illusionären ökonomischen Erwartungen befrachten. ({17}) Dabei haben doch alle Sachverständigen gesagt - auch Professor Eekhoff, der von Ihnen benannt wurde, und Professor Walter -, daß zumindest kurzfristig keine nachhaltigen Beschäftigungseffekte zu erwarten sind. ({18}) - Ihr Westerwelle und andere sagen doch jeden Tag in Interviews: Die Steuerreform ist der Schlüssel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({19}) Hier wird der Eindruck erweckt, als würde damit die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 halbiert werden können. Das ist Volksverdummung, meine Damen und Herren, und mehr nicht. ({20}) Selbst der von Ihnen benannte Professor Eekhoff sagt, daß es nach einer beschlossenen Reform noch drei bis vier Jahre dauert, bevor sie sich auf dem Arbeitsmarkt auswirkt. Sie sind mit Ihrer Politik am Ende. Ihre Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Jetzt suchen Sie krankhaft nach etwas, was Sie noch verkaufen können. Die Steuerreform ist sozusagen der letzte Schuß, den Sie noch im Colt haben. Aber auch dies ist nur eine Platzpatrone. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({21})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Austermann, CDU/CSU.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir eine kleine Zwischenbilanz über den bisherigen Verlauf der Debatte ziehen - es geht hier um den Haushalt und den Nachtragshaushalt -, stellen wir zunächst fest, daß von der SPD bisher kein Haushaltspolitiker geredet hat. ({0}) - Es hat kein Haushaltspolitiker geredet. Ich rechne Sie nicht zu den Haushaltspolitikern und den Kollegen Poß auch nicht. Es gab nur eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek. Dies bedeutet, daß Sie offensichtlich beabsichtigen, den Schwerpunkt der Debatte auf das Thema Steuerreform zu legen. Wenn man sich den Diskussionsverlauf genau ansieht, stellt man für die Öffentlichkeit fest: Es gibt ein vorgelegtes, durchfinanziertes Steuerreformkonzept der Koalition. ({1}) - Ich sage gleich etwas zur Durchfinanziertheit. Es gibt aber bisher von der SPD kein vorgelegtes Steuerreformkonzept. ({2}) Es gibt bis heute keine Drucksache des Parlaments, in der steht: Die Fraktion der SPD, Scharping und Genossen, fordert dieses oder jenes. ({3}) Das gibt es bisher nicht. Es gibt ein Papier mit verschiedenen und möglicherweise auch vernünftigen Ansätzen. Dieses Papier ist in der Anhörung des Finanzausschusses vorgelegt worden, nachdem Sie die Vorlage nicht mehr verweigern konnten. Es ist dann von den Fachleuten zerrissen worden. ({4}) Wenn ich dies einmal zusammenfasse, sage ich: Auch nach zwei Stunden Redezeit für die SDP gibt es heute kein Anzeichen für ein fertiges Steuerreformkonzept, das den Namen verdient. Aber es gibt die Forderung, wir sollten nach Möglichkeit so lange warten, bis der Finanzminister genug Geld hat, die Steuerreform durchzuführen. Dazu sage ich: Dann gibt es diese nie. Die Steuerreform hat ja gerade den Sinn, dafür zu sorgen, daß die staatlichen Finanzen wieder in Ordnung kommen. Nein, Sie kommen hier ohne Hemd und Hose und beklagen die verlotterte öffentliche Moral. Dies ist die Situation. ({5}) Sie können aus der praktischen Politik auch jedes andere Beispiel nehmen: Immer wenn es konkret wird, stellt sich bei Ihnen Ladehemmung ein. Dies ist so in jedem anderen Bereich der Politik. ({6}) Wenn Frau Matthäus-Maier zum Beispiel die Bildungspolitik anspricht, muß ich sagen: Sie ist immer noch die Domäne der Bundesländer, die heute nicht einmal in der Lage sind, das Erreichen des Lehrstellenniveaus für Hauptschüler zu gewährleisten. ({7}) Ich könnte hier einen breiten Katalog nennen. Und Sie erzählen uns hier etwas darüber, wie der Fehlbedarf beim Bund zu decken ist. Wir diskutieren heute in der ersten Lesung über die Gesetzentwürfe für den Nachtragshaushalt 1997 und den Haushalt 1998. Beide stellen eine schwierige Gratwanderung zwischen dem Zwang zur öffentlichen Sparsamkeit und der Einlösung sozialstaatlicher Verpflichtung dar. Dieser Zwang ist in der Bundesrepublik besonders stark. Ich möchte - vielleicht zum ersten Mal - darauf aufmerksam machen, daß wir in Deutschland zumindest in drei Bereichen besondere Probleme haben, die uns von allen Ländern unterscheiden, die uns an der westlichen Grenze umgeben. Wir haben drei Bedingungen zu verkraften, die anderen nicht gestellt sind: Erstens. Der gewaltige Zustrom von Menschen. Wir haben heute in Gesamtdeutschland 4 Millionen Einwohner mehr als 1989. Ich sage nicht, woher diese kommen: Flüchtlinge, Asylbewerber usw. Es sind 4 Millionen Einwohner mehr. Zweitens. Wir müssen und dürfen den vom real existierenden Sozialismus beschädigten Teil unseres Landes mit verläßlichen Beiträgen im Rahmen der Gesamtentwicklung angemessen unterstützen. Auch diese Sonderaufgabe hat kein anderes Land in Westeuropa. ({8}) Drittens. Wir haben eine zweite Kammer, deren Mehrheit gemeinwohlschädlich agiert. ({9}) Diese drei Punkte sind es, die sich in Deutschland als besondere Belastung darstellen, die kein anderes Land in Westeuropa hat, weder Österreich noch Holland, Schweden, Dänemark oder Großbritannien. In keinem anderen Land gibt es diese drei Bedingungen. ({10}) Im Nachtragshaushalt werden wir nochmals 21 Milliarden DM für Arbeitsmarktaufwendungen zusätzlich bereitstellen. Im Entwurf für 1998 sind es gegenüber dem Finanzplan 23 Milliarden DM mehr. Die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe schnellen nach oben auf 27,8 Milliarden DM. Dies macht meines Erachtens einerseits die Grenzen des Sozialstaates, andererseits die besondere Belastung des Bundes und, wie ich meine, auch die Fragwürdigkeit der fehlenden Befristung einer sozialen Leistung deutlich. Sie haben sich in Ihren Beiträgen mehrfach auf die Vereinigten Staaten von Amerika berufen. Dort ist man dazu übergegangen, aus, so meine ich, wohlerwogenen Gründen soziale Leistungen zu befristen. Ich glaube, daß es auch für Christen nicht lange zu verantworten ist, den Menschen Motivation dadurch vorzuenthalten, daß man sagt: Egal, was auch kommt, ich sorge dafür, daß soziale Leistungen dir jedes Risiko abnehmen. ({11}) Dies führt dazu, daß wir bei den sozialen Leistungen im Bundeshaushalt inzwischen ein Rekordniveau von 173 Milliarden DM haben. Während sämtliche übrigen Ausgaben zurückgegangen sind, konsolidiert und gespart worden ist, sind die Sozialausgaben explodiert. ({12}) - Natürlich kommt das von der Arbeitslosigkeit. Deswegen sind Sie ja aufgefordert, etwas dagegen zu tun. ({13}) Wir wollen die Dinge überhaupt nicht verkehren. Sie wissen ganz genau: Der wesentliche Anteil der Arbeitsmarktbedingungen ist von den Tarifparteien zu verantworten. ({14}) Rahmenbedingungen kommen von der öffentlichen Hand, und zwar nicht nur vom Bund, sondern auch von den Bundesländern. Die operativen Bundesausgaben sind also in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen: um 10 Prozent, um 22 Milliarden DM. Wer angesichts der Sozialausgaben - alleine im Bundeshaushalt 173 Milliarden DM - von sozialer Kälte, Sozialabbau oder ähnlichem spricht, verspielt jeden Anspruch darauf, ernst genommen zu werden. ({15}) Ich meine, diese Zahlen machen deutlich, daß das Niveau bestimmter sozialer Leistungen immer öfter Motivation zur Arbeitsaufnahme zerstört, statt sie zu erzeugen. Ohne Umschichtung und Leistungskürzung werden wir es nicht schaffen. Dies muß auch die SPD begreifen; denn wer wie die SPD meint, man könne immer in die gleiche Richtung fahren, der entwickelt sich zum Geisterfahrer. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte sehr.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß gesetzlich vorgeschrieben ist, daß jemand, der als Sozialhilfeempfänger zumutbare Arbeit nicht annimmt, mit einer Kürzung der Sozialhilfe bis zum Wegfall der Sozialhilfe rechnen muß, und sind Sie mit mir einig, daß das genau Ihre Frage beantwortet, daß nämlich nicht unbefristet und nicht ohne zumutbare Arbeit Leistungen unbefristet gegeben werden? ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, sind Sie mit mir einig, daß Sie jahrelang verzögert haben, bis wir die Sozialhilfereform gemacht haben, ({0}) und daß, nachdem Sie im Bundestag beschlossen war, einzelne Minister in den Bundesländern von sozialer Kälte gesprochen haben, von Zwangsarbeit, die wir den Sozialhilfeempfängern verordnen, und daß heute Frau Simonis sagt, es sei endlich an der Zeit, ein bißchen mehr Druck auf manch einen auszuüben? Es ist doch genau so, daß Sie sich hier wie in allen anderen Bereichen verweigert haben, bis der Druck von der Straße so stark war, daß die Reform auch bei Ihren Kollegen in der Kommunalpolitik durchgesetzt werden konnte. ({1}) Wir verfolgen das Konzept Arbeit statt Sozialhilfe. Es zeigt Erfolg. Der Erfolg der Seehofer-Reform ist, daß in Lübeck, in Osnabrück und in vielen anderen Städten jetzt manch eine Kommune entlastet wird und manch einer sich wieder mehr auf die eigenen Kräfte besinnt. Das ist genau richtig. ({2}) Die SPD möchte nach außen hin - Sie offensichtlich auch, Frau Fuchs - immer die alten Parolen vertreten. „Wie in alten Zeiten wollen Lafontaine und seine Mitstreiter die Probleme mit Hilfe der Staatskasse lösen.", schreibt der „Spiegel" Mitte Mai 1997 unter der Überschrift „Populismus pur" . Nun komme ich zum Haushalt. Sie klagen über die zu hohe Kreditaufnahme des Bundes. Wenn man sich einmal in den Ländern umschaut, sieht man, daß die SPD schon weiter ist. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat dem dortigen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, einem der vielen gegenwärtigen SPD-Kanzlerkandidaten, bescheinigt, daß seine Landesregierung mit der Feststellung des Haushaltsplans des Landes Niedersachsen in den letzten beiden Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorsätzlich gegen die Verfassung verstoßen hat. Ein entsprechendes Urteil über Haushaltsgebaren beim Bund gibt es nicht. Also, Gerhard Schröder hat nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs in Niedersachsen beim Haushalt vorsätzlich gegen die Verfassung verstoßen. Und dieser Mann soll künftig die Probleme der Bundesfinanzen lösen? Er löst nicht einmal seine eigenen, geschweige denn die niedersächsischen. Gegen Bonn die Backen aufblasen und im eigenen Bundesland gegen die Verfassung verstoßen - das ist Haushaltspolitik à la Gerhard Schröder. Nehmen wir einmal die anderen, zum Beispiel den Herrn Lafontaine - zweiter Kanzlerkandidat -: Auch er hängt am Tropf des gesamtstaatlichen Finanzausgleiches; auch er hat mit seinem Land als Nettoempfänger darum gebeten, daß man dafür sorgt, seine Finanzprobleme zu lösen. ({3}) Verfassungswidrig ist der Haushalt Lafontaines, rechtswidrig die Verscherbelung von Landesvermögen in Kiel. Dort will Frau Simonis jetzt, nachdem sie vorher ohne Rücksicht auf die Mieter-Anteile des Landes an Wohnungen an die Preussag verkauft hat, alle Landesimmobilien verkaufen und anschließend für teures Geld zurückmieten. Sie nennt das intelligente Finanzpolitik; der Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein nennt das rechtswidrig. Voscherau, die vierte Lichtgestalt in der Finanz-und Wirtschaftspolitik der SPD, spielte sich vor kurzem noch auf, er hätte dazu beigetragen, daß die Gewerbekapitalsteuer abgebaut wird. Noch im Jahre 1996 hat er in Hamburg die Gewerbesteuer insgesamt um 20 Prozentpunkte erhöht. Das sind Fachleute in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik! Meine Damen und Herren, trotz der dramatischen Belastung des Bundeshaushalts durch den überproportionalen Anstieg der Sozialausgaben und durch die auf Grund der Übernahme der Erblasten hochschnellenden Zinsausgaben beträgt der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt nur noch 12,1 Prozent. Wir gehen davon aus, daß dieser Anteil mittelfristig weiter gesenkt wird, daß wir also die Senkung der Staatsquote auch weiterhin konsequent betreiben. Ich möchte Ihnen nun etwas zum Thema Steuereinnahmen sagen und werde dann vielleicht kurz auf das Thema Steuerreform und auf das, was von den Kollegen Poß und Frau Matthäus-Maier gesagt worden ist, eingehen. Von unseren Rednern ist mehrfach unterstrichen worden, wie sich die Steuereinnahmen bei Bund und Ländern entwickelt haben. 1998 werden die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand um rund 100 Milliarden DM niedriger als vor drei Jahren liegen. Damals wurde ein entsprechend höherer Betrag geschätzt. Wenn man allerdings die Steuereinnahmen bei Bund und Ländern vergleicht, dann stellt man fest: In jedem Jahr seit 1949 sind die Steuereinnahmen der Länder gestiegen. Möglicherweise sind sie nicht ganz so stark, wie erwartet, gestiegen, aber sie sind immer gestiegen, während die Steuereinnahmen des Bundes seit 1994 immer gesunken sind. Der Kollege Wieczorek hat einmal - genau wie sein Vorgänger im Amt als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, Rudi Walther - gesagt: „Die Länder bedienen sich auf Kosten des Bundes. " ({4}) Man muß einfach feststellen, daß bei den Steuern inzwischen eine ungerechte Verteilung der Finanzmittel erfolgt. Die Steuereinnahmen der Länder sind ständig gestiegen. Sie kommen aber hierher und beklagen, sie hätten nicht mehr die Mittel, um bestimmte Programme und Maßnahmen durchzusetzen. ({5}) Die letzte Steuerschätzung weist gegenüber der Schätzung aus dem vergangenen November bereits für dieses Jahr Ausfälle in Höhe von 18 Milliarden DM aus, obwohl das Bruttoinlandsprodukt selbst nur um ebenfalls 18 Milliarden DM niedriger eingeschätzt wird. Das zeigt, in welch dramatischer Weise eine Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Steuererträgen erfolgt ist, und es macht deutlich, weshalb die Bundesbank sagt, das Konzept, das wir haben, müsse durchgesetzt werden, und weshalb andere - auch die OECD - sagen, das Konzept sei richtig, es verstärke die Investitionsbedingungen. Die Investitionsbedingungen müssen nämlich verbessert werden. Bei Ihnen findet man statt dessen eine Denkblokkade; Und der Denkblockade folgt die Handlungsblockade. Sie handeln damit nicht verantwortungsvoll, sondern - ich sage es noch einmal - gemeinwohlschädlich. Sie stehen für Stillstand und rückwärts gerichtete Politik. Sie verweigern sich den dringend notwendigen Reformen für die Zukunft des Standortes Deutschland. Nehmen Sie Nachhilfe bei Ihren niederländischen, britischen, schwedischen oder amerikanischen Kollegen! Mehr Kindergeld anstatt mehr Arbeitsplätze - das ist die falsche Wohlfahrtsstaatsideologie der Sozialisten. Das ist genau die falsche Position. Ich darf Ihnen eine unverdächtige Zeitung - es ist die „Süddeutsche Zeitung" - vorhalten, in der Gerd Hennemann heute in seiner Kolumne „Haushalt in der Steuerklemme" schreibt: Denn wer seit Monaten aus rein wahltaktischen Überlegungen eine konstruktive Zusammenarbeit im Bereich der Steuerpolitik verweigert, der verwirkt zugleich sein Recht, in Etatdebatten massiv aufzutrumpfen. Völlig recht hat der Mann. ({6}) Er schreibt weiter: Die SPD will und kann sich offenbar nicht von ihrer Umverteilungsideologie lösen. Sie blockiert dadurch eine Steuerreform, die heute wirtschaftliche Dynamik freisetzen müßte, damit es morgen zu mehr Beschäftigung und höheren Einnahmen des Staates kommen kann. ({7}) - Recht hat der Mann, Frau Matthäus-Maier. Sie sind doch hier vorhin mit Ihrem Zettelkasten angekommen, weil Ihnen eigene Gedanken gefehlt haben, und haben das eine oder andere vorgetragen. Sie müssen doch zulassen, daß ich nun wenigstens in einem Punkt zitiere. Aber weil Sie mich gerade provoziert haben, möchte ich auch noch einen anderen mitgebrachten Zettel vorlesen, um vielleicht auch etwas zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Ihrer Spitzenkandidaten zu sagen. ({8}) Oskar Lafontaine hat nach seiner Wahl vor einem Jahr nicht so richtig gewußt, ob man nun eine Ausbildungsplatzabgabe einführen soll oder nicht - die Jusos haben das ja unter dem Motto „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt" gefordert. Nachdem er dann Wind von vorne bekommen hat und es wieder fallengelassen wurde, hat man vor kurzem wiederum neu die Forderung erhoben und gesagt, wir bräuchten unbedingt eine Ausbildungsplatzabgabe. ({9}) Jetzt lese ich einmal aus einer Zeitung, was ein bekannter Landesminister dazu schreibt: ({10}) Eine Ausbildungsplatzabgabe ist Gift für den Standort Deutschland. Wer immer noch glaubt, die Steuer- und Abgabenschraube weiterdrehen zu können, beschädigt seine wirtschaftliche Kornpetenz. ({11}) Der Mensch meint also, Herr Lafontaine habe eine beschädigte wirtschaftliche Kompetenz. Recht hat er. An anderer Stelle fährt er fort: Der bürokratische Aufwand für die Abgabe ist atemberaubend. Jedes weitere Plädoyer für eine Entbürokratisierung geriete zur Lachnummer. Also sind die Aussagen von Herrn Lafontaine Lachnummern. Und an anderer Stelle weiter: Ein Universalmittel ist zwar eine suggestivkräftige, aber auch naive Vorstellung. Also eine naive Lachnummer. Das hat der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein, Peer Steinbrück, unter der Überschrift „Wer umgelegt worden ist, kann nicht ausbilden" geschrieben. ({12}) Ich kann dazu nur sagen ({13}) - Frau Fuchs, er war immerhin persönlicher Referent von Johannes Rau und hat einigen anderen gedient, zum Beispiel Herrn Matthöfer, den Sie, nach Ihrem Alter gerechnet, noch kennen dürften. ({14}) Sie sollten nicht so ohne weiteres sagen, daß das, was aus den Bundesländern kommt, uninteressant wäre. Ich sage jetzt etwas zu der Frage, wie es sich tatsächlich mit der Steuerreform und den wirtschaftlichen Auswirkungen verhält. Genau die gleichen Argumente, die man heute in Sachen Steuerreform und Nettoentlastung hört, gab es 1986. Es gab die gleiche Diskussion: Landespolitiker fürchteten um ihre Haushalte und plädierten für die Verschiebung. Umstritten war 1986 die Senkung des Spitzensteuersatzes, umstritten war die Erhöhung indirekter Steuern und die Abflachung der Progression - alles genau wie heute. Sie haben überhaupt nichts gelernt. Das Ergebnis der großen Stoltenbergschen Steuerreform, die eine Nettoentlastung von 46 Milliarden DM in drei Stufen enthielt, ließ sich an einer kräftigen Zunahme der Beschäftigung und der Steuern ablesen. Genau das ist das Rezept, das wir heute wieder verfolgen wollen: eine zweite Beschäftigungswelle. Wir haben die Anzahl der Beschäftigten von 1986 bis 1992 durch Steuernettoenflastung, nicht durch eine Umverteilung zugunsten von irgend jemandem, und durch die Entscheidung, Investitionstätigkeit zu ermöglichen und zu beflügeln, um 3,5 Millionen gesteigeit. Dieses Beispiel von 1986, 1988 und 1990 wollen wir mit einer Nettoentlastung wiederholen. So einfach ist das. Da kann man doch nicht sagen, hinterher fehlt uns das Geld in den Taschen, und die Parolen wiederholen, die damals die Landespolitiker vertreten haben, wie zum Beispiel: Unsere Haushalte gehen dann drunter und drüber; der Spitzensteuersatz ist ungerecht; indirekte Steuern sollen nicht erhöht werden, die Progression dürfen wir nicht abflachen. Sie wiederholen es fugenlos und haben in zehn Jahren überhaupt nichts dazugelernt. ({15}) Die Beschäftigungswirkungen zeigen doch offensichtlich, wohin die Geschichte damals gelaufen ist und weshalb es wichtig und richtig ist, dies heute zu wiederholen. Schon bald nach dem Inkrafttreten wird diese Steuerreform die anfänglichen Steuerausfälle kompensieren. Die strukturelle Bereinigung durch die Beseitigung unzähliger Steuerschlupflöcher und die Senkung der Steuersätze auf ein im internationalen Vergleich konkurrenzfähiges Niveau würden schon bald zu mehr Investitionen, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und damit auch weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt bringen. Investoren können rechnen. Das unterscheidet sie von der SPD. ({16}) Wir haben 1996 in Deutschland 180 Milliarden DM für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen ausgegeben. Wenn die Steuerreform uns dabei hilft, nur ein Sechstel dieses Betrages einzusparen, dann hat sie sich vollständig refinanziert. Ich bin überzeugt davon, daß die positiven Effekte der Steuerreform noch weit darüber hinausgehen werden. ({17}) Wenn ein Vertreter der SPD behauptet - Sie kennen das Thema -, Einkommensmillionäre würden keine Steuern zahlen, dann soll er diese Rechnung doch einmal an Beispielen konkret aufmachen. Wahr ist, daß die Steuerreform viele Steuerschlupflöcher stopft, daß Abschreibungskunststückchen risikoreicher und wegen der abgesenkten Steuersätze weniger lohnend werden. Frau Fuchs, Sie haben von der Sozialhilfereform gesprochen. Sie wissen, daß, nachdem die Sozialhilfereform gemacht wurde, Ihre Fraktion eine Broschüre herausgegeben hat, ({18}) eine Broschüre, die dazu aufgefordert hat, in bestimmten Bereichen Sozialkassen - ich sage es harmlos - extensiv zu nutzen. ({19}) Ich nehme ein zweites Beispiel. Frau MatthäusMaier beschimpft uns, wir hätten bei den SteuerDietrich Austermann abschreibungen für Schiffe nicht schnell genug gehandelt. Sie haben es bei der ersten Beratung im Bundesrat verhindert! ({20}) Man kann es zusammenfassen: Sie schützen Sozialschnorrer und Abschreibungstrickser. Das muß aufhören. ({21}) Das muß im Interesse der Steuerzahler, der Menschen, die in Deutschland tagein, tagaus ihre Arbeit leisten, ihre Steuern zahlen, beendet werden. ({22}) Das ist ein Akt der sozialen Gerechtigkeit: daß man die zur Kasse bittet, die zahlen können, und nicht die Möglichkeit schafft, sich weiter von Zahlungen freizukaufen. Das Haushaltskonzept 1998 macht klar: Wir bleiben auf der Ausgabenbremse. Wir verbauen den Weg in höhere Steuern und noch mehr Schulden. Mit dieser Politik schaffen wir Verläßlichkeit und ein Klima der Ermutigung und des Aufbruchs. ({23}) Erste Ergebnisse sind sichtbar. ({24}) - Gucken Sie beispielsweise den Export an! ({25}) In den letzten Monaten haben sich Zuversicht und objektive Daten in der deutschen Wirtschaft erheblich verbessert. Die Mehrheit der Länder geriert sich in besonderer Weise. Wir brauchen keine 16 kleinen Bundesregierungen. In den letzten Wochen und Monaten ist mir als Bundespolitiker gelegentlich das Messer in der Tasche aufgegangen, wenn ich den einen oder anderen Landesminister gehört habe, der uns gesagt hat, was zu tun ist. ({26}) Sie wollen mitreden, sie wollen mitentscheiden, aber sie wollen nicht mitverantworten. ({27}) Wenn es so ist, daß sie uns daran gehindert haben, die richtigen Entscheidungen zu treffen, tragen sie die Verantwortung für das Ergebnis. Das ist doch wohl selbstverständlich. Das gilt auch für den Bereich des Arbeitsmarktes. ({28}) Mitreden, mitentscheiden, aber nicht mitverantworten, das geht nicht. Ich fordere Sie auf, Ihre Verantwortung wahrzunehmen. Dieses Land kann mehr, als die SPD zulassen möchte. Herzlichen Dank. ({29})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um den Bundeshaushalt 1998 muß darunter leiden, daß es immer schwieriger wird, kalkulierbares Zahlenmaterial zu erhalten. Das ist kein Vorwurf an den Bundesfinanzminister. Denn warum ist es so? ({0}) Weil wir es immer noch nicht geschafft haben - das ist hier in der Debatte schon erwähnt worden -, eine Steuerreform in unserem Lande zu verwirklichen, die den Namen verdient und die die Beschäftigten in unserem Lande endlich entlastet und Steuerschlupflöcher stopft. Damit würden wir wieder sicheres und zuverlässiges Zahlenmaterial bekommen. Diese Debatte zeigt, wo die Unterschiede zwischen Koalition und Opposition liegen. Auf der Oppositionsseite will man Erhöhung von Steuern und Umverteilung. Wir als Koalition wollen eine Senkung der Steuern und öffentliche Sparsamkeit. Der Kollege Poß, den ich jetzt hier nicht mehr sehe - er ist gleich verschwunden, nachdem er seine Rede gehalten hat ({1}) - Wo ist er denn? ({2}) - Wunderbar. Dann kommt er ja wieder. ({3}) - Ingrid Matthäus-Maier, dann kommt er wieder. Wir wollen uns nicht darüber aufregen. Herr Poß hat - deswegen wäre es gut, daß er wiederkommt, wenn ein F.D.P.-Redner hier am Pult ist - vor allem in Richtung F.D.P. einiges gesagt. Ich will das jetzt nicht im Detail beantworten. ({4}) Ich sage Ihnen nur folgendes: Ich habe in den letzten Tagen sehr intensiv verfolgt, was ein bekannter Sozialdemokrat gesagt hat, nämlich Klaus von Dohnanyi. Er hat zur Wahl in Hamburg aufgefordert, F.D.P. zu wählen, ({5}) weil wir das richtige Konzept haben und nicht Sie. ({6}) - So ist es. Ich liefere das gern nach. Wer in den letzten Tagen die Äußerungen von Heide Simonis, von Bürgermeister Voscherau und von Ministerpräsident Beck verfolgt hat, ({7}) der wird feststellen, daß es hier doch zaghafte Versuche gibt, mit der Koalition zu einer Einigung zu kommen. ({8}) Das sollten wir grundsätzlich begrüßen. Aber man muß sich fragen: Was hindert diese Regierungschefs eigentlich daran, dann im Bundesrat mit der Koalition zu einer Einigung zu kommen? Man muß sich fragen, wie lange sich Heide Simonis, Beck oder Voscherau noch weiter von Oskar Lafontaine bei der Steuerreform gängeln lassen wollen. Wie lange wollen sich SPD-regierte Länder noch von einem Ministerpräsidenten aus dem Saarland gängeln lassen, unter dessen Führung das Saarland finanziell total herabgewirtschaftet worden ist? ({9}) Der Kollege Austermann hat schon darauf aufmerksam gemacht. ({10}) Es muß in dieser Debatte noch einmal gesagt werden, daß der SPD-Vorsitzende als Ministerpräsident das Saarland, sein Bundesland, zur völligen Zahlungsunfähigkeit heruntergewirtschaftet hat. ({11}) Aber anscheinend verläßt er sich darauf, daß der Bund diese Haushaltslöcher ständig ausgleicht. Ich will in dieser Debatte zum Bundeshaushalt 1998 die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß sich einige Bundesländer, die von der SPD regiert werden, doch darauf besinnen, welche Aufgaben das Verfassungsorgan Bundesrat hat, und daß es darum gehen muß, im Bundesrat vor allem die eigenen Länderinteressen zu verwirklichen und wahrzunehmen. In dieser schwierigen finanzpolitischen Situation ist es das Gebot der Stunde, daß sich der Bund und die Länder, deren Finanzsituation teilweise noch viel schwieriger ist als die des Bundes, auf eine Zusammenarbeit besinnen. Wie schwierig die finanzpolitische Situation in den Ländern geworden ist, zeigt zum Beispiel die Situation in Schleswig-Holstein. Ich sage ausdrücklich: nicht ohne eigenes Verschulden. So wird jetzt das Land Schleswig-Holstein, um Kasse zu machen und um seinen Landeshaushalt einigermaßen auszugleichen, 500 Landesimmobilien an die Schleswig-Holsteinische Investitionsbank verkaufen. Diese Landesimmobilien sind nicht irgendwelche Gebäude, sondern es sind Landesministerien, genauso wie Amtsgerichte und Polizeistationen. Anschließend mietet der Landesfinanzminister diese Gebäude zu einem stolzen Jahresmietpreis an. Wenn ich mir vorstelle, der Bundesfinanzminister würde genauso verfahren wie sein schleswig-holsteinischer Amtskollege, möchte ich nicht wissen, was uns die Opposition hier heute sagen würde. Nach Ende dieser Beratungswoche geht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung an die Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Wir Abgeordneten sollten von unserem Recht Gebrauch machen, bei den Beratungen den Haushaltsplan noch einmal darauf durchzusehen, ob für Investitionen auch im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben die Mittel ausreichend sind. Denn natürlich sichern diese Investitionen Arbeitsplätze in unserem Lande. Aber es hat keinen Zweck - das sage ich auch in Richtung Opposition -, bei der Beratung Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben aufstocken zu wollen, um dann festzustellen, daß zum Beispiel die SPD-regierten Länder gar nicht in der Lage sind, ihren Landesanteil zum Bundesanteil zu erbringen. Verbesserungen finanzieller Art können nur gemacht werden, wenn es dafür die entsprechenden Deckungsvorschläge gibt. Die Methode der SPD aus dem letzten Jahr und den Jahren davor, Verbesserungen und Mehrausgaben zu fordern, ohne gleichzeitig Deckungsvorschläge zu machen, wird nicht der Arbeitsstil der Koalition bei den Ausschußberatungen sein. Ich will auf die Rede der Kollegin Matthäus-Maier - sie hat eben noch einen entsprechenden Zuruf gemacht - nur eines sagen - auch der Kollege Weng ist schon darauf eingegangen -: Liebe Kollegin Matthäus-Maier, man kann aus Ihrer Sicht natürlich fordern, der Bund könnte und müßte mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun. Wer wollte das nicht? Aber ich habe bei Ihnen vermißt, daß Sie uns deutlich sagen, daß zum Beispiel im Haushalt des Landes Niedersachsen Herr Gerhard Schröder das Programm zur Förderung jugendlicher Arbeitsloser für dieses Jahr total gestrichen hat. ({12}) Wenn Sie den Eurofighter wieder aufs Tapet bringen, dann hätten Sie auch sagen müssen, daß Herr Gerhard Schröder für den Eurofighter ist. ({13}) Nun wissen wir natürlich seit einiger Zeit, was der Wunschpartner der SPD, die Grünen, von Herrn Schröder hält. Ich erlaube mir mit Genehmigung des Präsidenten zu zitieren, was der Abgeordnete Joseph Fischer von den Grünen zu Herrn Schröder gesagt hat. Die Frage des „Spiegels" an Fischer lautete: Schröder stilisiert sich als Neuauflage von Helmut Schmidt. Wie können die Grünen dessen Epigonen zum Regierungschef wählen? So lautete die Frage. Ich habe im Lexikon nachgesehen. Damit jeder weiß, was Epigone heißt, sage ich: Epigonen sind Nachahmer ohne eigene Ideen oder unbedeutende Nachfolger bedeutender Vorgänger. ({14}) Nun lautet die Antwort von Herrn Fischer - das ist sehr interessant -: Wie Sie richtig sagen, stilisiert er sich. Wenn die Mehrheit es morgen erfordert, daß er sich zu Kaiser Wilhelm stilisiert, würde er sich einen wunderbaren Zwirbelbart zulegen. Wenn es notwendig wäre, als bayrischer König Ludwig II. ins Kanzleramt zu kommen, würde er im Starnberger See schwimmen und einen Schwan küssen. ({15}) Soweit Fischer zu Herrn Schröder. Ich glaube, damit ist alles gesagt. Ich will zwei Bereiche nennen, in denen wir uns als F.D.P. noch Verbesserungen vorstellen können - es gibt noch andere Bereiche, aber auf Grund der Zeit will ich nur zwei herausgreifen: Wir Freien Demokraten können uns durchaus im Hochschulbereich und auch im Agrarbereich für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes die Bereitstellung zusätzlicher Mittel vorstellen. Wir meinen, hier sind Verbesserungen noch möglich und können erreicht werden. Aber hierzu müssen wir aus der Koalition heraus - auch das wissen wir; Sie von der Opposition sind herzlich eingeladen, daran mitzuarbeiten - die entsprechenden Deckungsvorschläge machen. Wenn wir uns in der Sache einig sind, daß es in diesem Haushalt durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt - ich habe soeben zwei genannt -, dann sollte die Opposition, wenn wir Streichungsvorschläge machen, allerdings nicht in den Reiz verfallen, mit populistischen Argumenten daraus Kapital zu schlagen. Deswegen gilt auch für Sie, wenn Sie zu dem einen oder anderen Bereich Vorschläge haben: Wir sind in der Diskussion auch für Ihre Vorschläge offen. ({16}) Aber dann machen Sie bitte auch Einsparvorschläge. Ich sage ganz bewußt: Es hat einfach keinen Zweck mehr - ich gucke dabei die Grünen an -, jedes Jahr darauf hinzuweisen, daß die Mittel für den Transrapid gestrichen werden müssen. Das Thema ist inzwischen erledigt, parlamentarisch abgehakt. ({17}) Es hat also keinen Zweck, dieses Thema anzusprechen. Frau Matthäus-Maier, es hat auch keinen Zweck - so wie Sie das heute wieder gemacht haben -, jedes Jahr mit dem Thema Eurofighter zu kommen. Man hat nämlich den Eindruck: Das Geld für den Eurofighter haben Sie schon zigmal für Ihre Vorstellungen ausgegeben. Die jetzt anstehenden Beratungen zum Bundeshaushalt 1998 werden schwierig sein. Das wissen wir Freien Demokraten. Die F.D.P. wird sich engagiert an den Beratungen beteiligen. Sie wird ihrer Verantwortung gerecht werden. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel das Wort.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 1998 steht eindeutig im Banne von Euro und Maastricht. Diese Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wurde im übrigen in diesem Hohen Hause nur von der PDS thematisiert. Die Bundesregierung begibt sich mit ihrer Maastricht-Bezogenheit erneut in eine selbstgestellte Falle. Alles Wursteln des amtsmüden Finanzministers ist darauf ausgerichtet, das sogenannte 3,0-ProzentKriterium zu erfüllen. Dieser unverantwortliche Fetischismus und nicht die Lösung der dringendsten Probleme des Landes - des Abbaus der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit, der Sicherung von Ausbildungsplätzen für alle oder eines umfassenden Ausbaus von zukunftsfähigen Innovationen vor allem im Umweltbereich - bestimmt die Bonner Haushaltspolitik. Das ist eine unverantwortliche Politik, die sich von den Menschen entfernt hat und gebührend bestraft werden wird. Die Bundesregierung versucht mit ihrer sogenannten Haushaltskonsolidierung die Quadratur des Kreises. Darum haben sich auch schon andere bemüht. Sie versucht bei der Konzipierung dieses Haushaltes, geringeres Wirtschaftswachstum und Massenarbeitslosigkeit nicht zur Kenntnis zu nehmen. Denn diese Faktoren führen bekanntlich Einnahmeverluste des Staates nach sich. Die Reaktion von Waigel und Kompanie darauf besteht in beständigen Ausgabenkürzungen insbesondere im Sozial- und Umweltbereich, wodurch wiederum die gesamtwirtschaftliche Basis und insbesondere die niedrige Binnennachfrage - ein Grundübel in der Bundesrepublik - weiter ausgehöhlt werden. Das ist ein Teufelskreis. Neue Haushaltslöcher sind die Folge. Das im übrigen, Herr Austermann, nenne ich Geisterfahrerei und nicht den Tatbestand, den Sie der Opposition an den Kopf geworfen haben. ({0}) Recherchen des Deutschen Instituts. für Wirtschaftsforschung in Berlin belegen nämlich - das ist ein sehr seriöses, anerkanntes Institut -, daß 1 Milliarde DM mehr Staatsausgaben einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von durchschnittlich 1,8 Milliarden DM bewirken würden. Die Folge wiederum wäre: Bund, Ländern und Gemeinden stünden beträchtlich höhere Steuereinnahmen zur Verfügung. Sie hätten damit. mehr Gestaltungskraft vor allem auf wirtschaftlichem, aber nicht zuletzt auch auf ökologischem und sozialem Gebiet. Nur so kann der Weg sein. Die Bundesregierung macht genau das Gegenteil und wundert sich über die Folgen. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist an vielen Stellen nicht nur unsolide und in weiten Teilen sozial ungerecht; er ist auch kommunalfeindlich. Die Bundesregierung fährt damit fort, die Folgen der insbesondere anhaltend hohen Langzeitarbeitslosigkeit auf die Kommunen, und zwar konkret auf deren Sozialhilfeausgaben abzuwälzen. Besonders in den großen Städten kulminieren rapide gestiegene Sozialhilfekosten zu sozialem Sprengstoff. Sie treiben zudem die Kommunen an den Rand des finanziellen Ruins - mit verheerenden Wirkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Auch mit der im Frühjahr 1997 eingereichten Novelle des sogenannten Energiewirtschaftsgesetzes schränkt die Bundesregierung ohne Not kommunale Selbstverwaltung ein, beschneidet wirtschaftliche Aktivitäten der Stadtwerke und vergrößert die finanzielle Not der Städte durch Reduzierung der Kommunalfinanzen. So würden die Städte die Hälfte des Aufkommens aus der Konzessionsabgabe verlieren, wodurch sie nicht mehr wie bisher 6 Milliarden DM jährlich, sondern lediglich 3 Milliarden DM zur Verfügung hätten. Gerade diese Einnahmen der Städte sind wichtig, um den defizitären öffentlichen Personennahverkehr vielerorts überhaupt noch am Laufen zu halten. Ein Verzicht auf diese städtischen Einnahmen ist eine unverantwortliche, sozial gefährliche Politik. ({1}) Es wird daher Zeit, daß die Kommunalfinanzierung in der Bundesrepublik endlich vom Kopf, auf dem sie jetzt steht, auf die Füße gestellt wird. Die PDS-Bundestagsgruppe wird diese Fragen noch mehr als bisher mit in den Mittelpunkt ihres politischen Wirkens rücken. Ich möchte ausdrücklich den CDU-Fraktionsvorsitzenden Kollegen Schäuble erinnern, daß er vor wenigen Monaten im Bundestag angekündigt hat, daß nach der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer jetzt eine umfassende Gemeindefinanzierungsreform auf die Tagesordnung des Hohen Hauses gestellt wird. Wir bitten, dieses Wort nicht im luftleeren Raum verschallen zu lassen, sondern Taten folgen zu lassen. ({2}) Die spürbar desolate Finanzlage der meisten Kommunen und rückläufige Investitionen führen dazu, daß vielerorts die kommunale Infrastruktur zusehends verkommt, vor allem in Ostdeutschland, aber auch in differenzierter Weise in Westdeutschland. Wir fordern daher, daß die Bundesregierung ein gutes Rezept des Jahres 1991 und 1993 wieder aufgreift und in angemessener Weise eine kommunale Investitionspauschale auflegt, die vom Bund unmittelbar in die ostdeutschen Gemeinden sowie ebenfalls in westdeutsche Gemeinden mit besonders schwierigen regionalen Problemen fließt. Dafür gibt es von der PDS einen Finanzierungsvorschlag, der mit den Milliardengewinnen, die der Bund aus Eigenkapitalherabsetzung und Gewinnabführung ostdeutscher Geschäftsbanken in den Jahren 1994 bis 1996 gemacht hat und die in den Bundeshaushalt geflossen sind, verwirklicht werden kann.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Noch ein Satz. - Wir brauchen eine andere Haushalts- und Finanzpolitik. Wir benötigen einen Regierungswechsel. Und wir brauchen, da es sich um eine gesellschaftliche Krise handelt, auch einen Politikwechsel in Deutschland. Dafür tritt die PDS auch mit Alternativen ein. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Susanne Jaffke.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat aus dem Londoner „Economist" beginnen: Die vordringlichste Schwierigkeit unserer Generation ... ist es, daß unsere Leistungen auf der ökonomischen Ebene unseren Fortschritt auf der politischen Ebene in einem solchen Maße überholt haben, daß unsere Ökonomie und unsere Politik ständig und weit auseinanderfallen. Auf der ökonomischen Ebene ist die Welt inzwischen zu einer einzigen, alles umfassenden Einheit des Handelns geworden. Auf der politischen Ebene ist sie nicht nur noch immer in ... Nationalstaaten aufgeteilt, sondern die nationalen Einheiten sind stetig kleiner und zahlreicher geworden, und das Nationalbewußtsein ist noch angewachsen. Die Spannung zwischen diesen beiden antithetischen Tendenzen hat eine Serie von Erschütterungen und Verwerfungen und Zerstörungen im gesellschaftlichen Leben der Menschheit erzeugt. - Eine Analyse, die durchaus zutreffend ist. Sie beschreibt auch die Schwierigkeiten des politischen Handelns in unserer Zeit. Denn dieser Artikel ist am 11. Oktober 1930 erschienen. Bedenkt man, daß sich 60 Jahre danach die Anzahl der Nationalstaaten von damals 70 mehr als verdoppelt hat, die Finanz- und Kommunikationsrevolution wesentlich intensiver geworden ist und die Verdrängung traditioneller Arbeitsweisen durch neue Technologien wesentlich ausgeprägter ist, scheinen Gruppen und Institutionen, ja selbst ganze Länder auf diese Entwicklung immer weniger Einfluß nehmen zu können. Traditionelle Strukturen und Mechanismen scheinen entweder wenig zufriedenstellende oder überhaupt keine Antworten zu geben. Stehen wir dieser Entwicklung nun hilflos gegenüber? Ich denke, nein. Wir sollten doch wirklich ernsthaft an die Reform unseres Finanzwesens herangehen und nicht bei jedem Vorschlag buchstäblich das Haar in der Suppe suchen, ihn zerreden und schließlich ablehnen. Der Lebensstandard, den wir in Deutschland haben, zeichnet sich noch immer dadurch aus, daß wir Innovation und technologischen Fortschritt als wirtschaftlichen Motor hatten. Er ist gleichsam die Belohnung für eine erfolgreiche Gesellschaft. Wer aber nicht mehr in der Lage ist, mit diesen neuen Technologien Schritt zu halten, und wer sie ablehnt, wird den Lebensstandard langfristig nicht halten können. Natürlich kommt hier dem Staat eine besondere Bedeutung zu, insbesondere der Budgetpolitik; denn sie legt die Rangordnung der Ziele fest. Unerläßlich aber ist dabei die Forderung an den Staat, in der Haushaltspolitik ein Höchstmaß an Sparsamkeit zu zeigen. Dies muß vor allem durch eine Reduzierung der Staatsaufgaben erreicht werden. Unsere vorhandene Regelungsdichte ist teuer und schränkt zunehmend die individuelle Entscheidung der Bürger ein. Die Bürger empfinden den Staat als Last und wenden sich ab. Hanns-Martin Schleyer hat es einmal trefflich so formuliert: Die Beschaffung der Mittel für gesellschaftspolitische Reformen und Einzelmaßnahmen auf dem Wege der Besteuerung findet ihre Grenzen dort, wo der „ Wirtschafts-Kuh" außer Milch auch noch Blut abgezapft wird! Deshalb sollte nun endlich nicht nur die Steuerreform durchgeführt werden. Nein, wir brauchen auch eine Anpassung der Verwaltungsstrukturen bei der Bewältigung der Aufgaben, die uns durch die Glo- balisierung der Wirtschaft unweigerlich vorgegeben sind. Alle Bundesministerien sind deshalb aufgefordert, Organisationsüberprüfungen durchzuführen. Ziel muß eine Straffung des Verwaltungsapparates sein. Das gilt nicht nur für den Bund, das gilt auch für die Länder. Es werden mit Sicherheit nicht allein Entscheidungen im Bereich der Bundesvermögensverwaltung und der Zollverwaltung sein. Ähnliches gilt auch für den BGS und bei der Neustrukturierung zur Effizienzsteigerung der Bundesforschungslandschaft. Aber - das soll uns gemeinsam wichtig sein - Organisationsstraffung um ihrer selbst willen will niemand; denn es dürfen nicht Dienstleistungsangebote wegfallen, vor allem in Flächenländern, die dann wieder der Wirtschaft längere Wege und damit Mehraufwand und höhere Produktionskosten verursachen. Deshalb denke ich, daß bezüglich der neuen Organisationsstrukturen bei Bundesvermögensverwaltung, Zollverwaltung und Forstverwaltung noch Diskussionsbedarf besteht. Verschlankung im Overhead ja, aber auch schlagkräftige Dienstleistungen der Mittelinstanz! Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem Bereich hat es schon den leider sehr schmerzhaften, aber auch notwendigen Strukturwandel gegeben, nämlich in der Wirtschaft der neuen Bundesländer. Damit komme ich zu den Nachfolgeeinrichtungen der Treuhandanstalt. 1998 müssen die noch verbliebenen Aufgaben der BvS zügig abgearbeitet werden. Gleichwohl wird auch über das Jahr 1998 hinaus ein Restbestand an Aufgaben übrigbleiben. Es gilt zu überlegen, wie die BvS auch nach 1998 ihre Aufgaben abarbeiten kann. Hierzu sind bereits sowohl von der Bundesregierung als auch vom Unterausschuß des Wirtschaftsausschusses Beschlüsse befaßt und Empfehlungen formuliert worden. In der Frage der Fortführung wird deshalb genau zu beachten sein, daß eine möglichst effiziente Organisationsform die Aufgaben in einem absehbaren Zeitraum erfüllen kann. Es ist durchaus möglich, die schwierigen und notwendigen Strukturreformen anzugehen. Nur müssen wir es jetzt endlich machen. In diesem Sinne hoffe ich auf gute und konstruktive Haushaltsberatungen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor. Dann kommen wir zu den Anrufungen des Vermittlungsausschusses, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1998 auf Drucksache 13/8466. Wer dem Antrag zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, daß der Antrag angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999 auf Drucksache 13/8467. Wer dem Antrag zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8199, 13/8293 und 13/8472 an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, Einzelplan 12. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann.

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Verkehrshaushalts für das Jahr 1998 gibt ein deutliches Signal. Auch unter schwierigen finanzpolitischen Bedingungen werden wir im Jahre 1998 das Investitionsniveau nicht nur halten, sondern - wie es der Bundesfinanzminister heute morgen gesagt hat - die Investitionen gegenüber 1997 sogar noch verstärken. ({0}) Mit einem Gesamtplafond für den Verkehrshaushalt im Jahr 1998 in Höhe von 43,15 Milliarden DM stehen gegenüber den im laufenden Jahr effektiv verfügbaren Haushaltsmitteln nur rund 350 Millionen DM weniger zur Verfügung, die wir ausnahmslos im nicht-investiven Bereich einsparen. Ich glaube, damit geben wir ebenfalls ein klares Signal: Sparen im nicht-investiven und Zulegen im investiven Bereich. Das brauchen wir verkehrs- und wirtschaftspolitisch. ({1}) Mit einem Investitionsvolumen von rund 19,64 Milliarden DM und einer Investitionsquote von 45,5 Prozent bleibt der Verkehrshaushalt größter Investitionshaushalt des Bundes. Wie wichtig diese Verkehrsinvestitionen auch in der Einschätzung der Bürger des Landes sind, können viele Kolleginnen und Kollegen erfahren, wenn es um die Ortsumgehungen in ihrer Heimat geht oder um die Schienenstrecke im Fern- oder Nahverkehr. Meine Damen und Herren, ich will bei dieser Gelegenheit sagen - da wir ja inzwischen fast überall in Deutschland eine große Klagewut haben und immer wieder Einwände gegen jede große Investitionsmaßnahme -: Wir, die Bundesregierung und diese Koalition, stehen dafür, daß große Verkehrsprojekte, Schiene und Straße, Wasserstraße, öffentlicher Nah-und Fernverkehr, auch gegen Widerstände durchgesetzt werden. Denn wir brauchen diese Modernisierung. ({2}) Es ist eine der Standortstärken Deutschlands, daß wir eine gute Infrastruktur haben. Wir müssen sie weiter modernisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Perspektive können wir im wichtigsten Investitionsbereich des Bundes Kontinuität wahren und unsere Strategie fortsetzen, ein modernes Verkehrssystem weiterzuentwickeln, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. Erste Priorität behält daher nach wie vor der Auf-und Ausbau leistungsfähiger Verkehrswege in den neuen Bundesländern. Wer den Einsatz der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, wie es gelegentlich geschieht, als unzureichend kritisiert, sollte sich nur einige Zahlen vor Augen halten: Seit dem Sommer 1990 wurden für Verkehrsinvestitionen in ganz Deutschland 165 Milliarden DM aufgewandt, davon 72 Milliarden DM allein in den neuen Bundesländern, davon wiederum 23 Milliarden DM für die besonders wichtigen Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Berücksichtigt man noch den notwendigen Planungsvorlauf, so wird deutlich, mit welcher Energie hier in nur wenigen Jahren bereits eine gute Basis für die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern geschaffen worden ist. ({3}) Gelegentlich wird gemeckert und kritisiert, und manche Kritik ist sicher auch berechtigt. Aber ich finde, wir könnten gemeinsam stolz darauf sein, daß es in nur sieben Jahren gelungen ist, 5000 Kilometer Schiene und 11000 Kilometer Straße in den neuen Bundesländern auszubauen oder neu zu errichten. ({4}) Das ist eine beispielhafte Aufbauleistung, an der wir anknüpfen müssen und die wir weiterführen werden. Bei der Schiene zum Beispiel werden bis Ende dieses Jahres 51 Prozent des für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit vorgesehenen Investitionsvolumens realisiert sein, und es werden 34 Prozent der für die Realisierung des Knotens Berlin eingeplanten Mittel ebenfalls umgesetzt sein. Bei diesem Einsatz wird es bleiben. Die vorrangige Finanzierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit steht außer Frage. Alle Projekte sind inzwischen im Bau, fünf Projekte im Schienenbereich bereits in Betrieb. Weil wir diesen Kurs fortsetzen wollen, war es wichtig, daß wir das Investitionsvolumen für die Verkehrswege nicht nur halten, sondern sogar leicht erhöhen konnten. Denn auf diese Weise haben wir auch für die alten Bundesländer einen - wenn auch geringen - zusätzlichen Investitionsspielraum gewonnen. So wird der Straßenbauplafond um rund 65 Millionen DM auf 10,2 Milliarden DM aufgestockt und auf dieser Höhe in der Finanzplanung bis 2001 fortgeschrieben. Damit stehen für Investitionen im Straßenbau im kommenden Jahr über 8,2 Milliarden DM zur Verfügung und in den Folgejahren jährlich rund 8,3 Milliarden DM. Mit der vorgesehenen Verstärkung und durch gleichzeitige Umschichtungen stehen für Maßnahmen des Bedarfsplans 1998 damit über 100 Millionen DM mehr zur Verfügung als 1997. Mit diesem Haushaltsansatz und der Finanzplanung bis 2001 können wir die im Rahmen der Haushaltsberatung 1996 zugesagten 49 Baubeginne weiter finanzieren. Sichergestellt ist auch der Ausbau der A 2 Bielefeld-Hannover-Berlin und der A 7 südlich von Hannover rechtzeitig zum Beginn der Expo 2000 in Hannover. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle müssen uns vergegenwärtigen, daß die Investitionen, von denen ich hier spreche, die Schienen- und Straßenprojekte, die uns alle geläufig sind, in der schwieBundesminister Matthias Wissmann rigen Lage der deutschen Bauwirtschaft auch eine enorme wirtschaftspolitische Bedeutung haben. 1 Milliarde DM Investitionen im Verkehrsbereich bedeuten die Sicherung von zirka 12 500 Arbeitsplätzen, und in strukturschwachen Räumen gibt es noch einmal indirekte Arbeitsplatzeffekte von 3000 bis 5000 Arbeitsplätzen pro 1 Milliarde DM Investitionen. Die Wahrheit ist: Der einzige große, stabile Investor im Tiefbau in Deutschland war in den letzten Jahren der Bund, und er wird es auch in den kommenden Jahren sein. Alle anderen öffentlichen Gebietskörperschaften, die Länder, nicht zuletzt die SPD-regierten Länder, die Regionen, die Landkreise, die Städte, haben ihre Bauinvestitionen zurückgefahren. Vor kurzem ist vom BDI zu Recht gesagt worden: Die einzige stabile Stütze für die deutsche Bauwirtschaft liegt gegenwärtig in der Fortsetzung des Tiefbaus durch den Bund. ({5}) Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung für Arbeitsplätze und Wirtschaftsentwicklung. Wir gehen diesen Weg auch im Schienenbereich weiter. Das Investitionsvolumen von Bund und DB AG für die Schiene wird bei einem Haushaltsansatz von insgesamt rund 25 Milliarden DM auch 1998 rund 9 Milliarden DM betragen. Die geplanten Schieneninvestitionen in West- und Ostdeutschland sind unverzichtbarer Teil unserer Strategie zur Wiederbelebung des Schienenverkehrs, zur Innovationsstärkung der Bahn und zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Im Rahmen unserer Zukunftsstrategie für die Schiene messen wir auch dem kombinierten Verkehr steigende Bedeutung zu. Kombinierter Verkehr heißt praktisch: Im Nah- und Regionalverkehr ist der Lkw als Lastesel unverzichtbar. Im Fernverkehr müssen das Binnenschiff und die Bahn steigende Transportmengen übernehmen. Eine moderne Terminalinfrastruktur ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Mit der DB AG und dem Bundesfinanzministerium haben wir hierfür inzwischen erste große Investitionsentscheidungen mit einem Volumen von 570 Millionen DM getroffen. An sieben Standorten - Kornwestheim, Karlsruhe, Weil/Basel, Köln-Eifeltor, Großbeeren, Leipzig und Erfurt - werden in einer Größenordnung von rund 400 Millionen DM neue Umschlagbahnhöfe und Kombiterminals realisiert. ({6}) Weitere sechs Standorte - Rostock, Glauchau, Magdeburg, Bremerhaven, Frankfurt und Regensburg - können jetzt nach einer abgeschlossenen Finanzierungsvereinbarung ebenfalls angegangen werden. Meine Damen und Herren, ich bin froh, daß Anregungen aus dem Haus aufgenommen werden konnten, daß wir im Haushalt 1998 erstmals die Möglichkeit haben, auch für Terminals, Kombi- und Umschlagbahnhöfe, die durch Dritte finanziert werden, Investitionsmittel des Bundes zu geben. Wir modernisieren, wo wir können, weil wir glauben, daß die Gütertransportströme des 21. Jahrhunderts nicht ausschließlich auf die Straße gelenkt werden können, sondern stärker als bisher auf der Schiene abgewickelt werden müssen. ({7}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch um einen klugen und ökologisch sensiblen Ausbau der Bundeswasserstraßen. Wir sehen für 1998 eine Steigerung der Mittel um 100 Millionen DM auf 1,2 Milliarden DM vor, womit wir in einer sensiblen und klugen Weise insbesondere das Verkehrsprojekt Nummer 17, also die Wasserstraßenverbindung Hannover-Magdeburg-Berlin, realisieren wollen. Ich will auf ein Projekt hinweisen, das ebenfalls wichtig ist und für das ich gern die Zustimmung aus diesem Haus über die Koalitionsfraktionen hinaus hätte. Es geht darum, unsere großen Häfen, beispielsweise Bremen, Hamburg, aber auch Rostock, für den Weltmarkt des Containerschiffsverkehrs des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Diese großen Häfen müssen auch für die vierte Containergeneration, die gegenwärtig gebaut wird, erreichbar werden. ({8}) Deswegen richte ich an beide Oppositionsfraktionen die Bitte: Sorgen Sie endlich dafür, daß beispielsweise in Kiel jenes unselige Müslidenken eingestellt wird, das solche Ausbaumaßnahmen verhindern will. Das können wir weder beim Transrapid noch bei den Ausbaumaßnahmen für Hamburg brauchen. Wir würden Arbeitsplätze für das 21. Jahrhundert verhindern, statt sie zu ermöglichen. ({9}) Was wir in Kiel erleben, ist kleinliches, provinzielles, ängstliches Denken. Das ist nicht nur für Hainburg, nicht nur für die Modernisierung des Standorts Deutschland gefährlich, gefährlich wäre auch die Übertragung jenes Denkens auf Bonn. ({10}) Meine Damen und Herren, ein. Letztes: Wir haben erfreulicherweise, Anregungen aus allen Fraktionen dieses Hauses aufnehmend, im Haushalt eine Summe von 50 Millionen DM für Seeschiffahrtshilfen ausbringen können, in der Hoffnung, daß wir ein letztes Mal, bevor ein neues, besseres Steuerkonzept gilt, eine Überbrückungshilfe ermöglichen, um die deutsche Seeschiffahrt im internationalen, scharfen Wettbewerb lebensfähig zu erhalten, um zu verhindern, daß ausgeflaggt wird und die deutsche Flotte verschwindet. Ich bin froh, daß der Finanzausschuß ein Steuerkonzept beschlossen hat - Einführung einer Tonnagesteuer, Ermäßigungen der für die Seeleute abzuführenden Lohnsteuer -, das ab 1999 gelten soll. Jetzt können Sie beweisen - es geht auch um die Frage, wie Sie mit der Steuerreform umgehen -, ob Sie nur die große Steuerreform nicht wollen, von der heute der Bundesfinanzminister gesprochen hat, oder ob Sie wenigstens bereit sind, die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen in wichtigen Teilbereichen zu realisieren. Sie werden auch an der Küste Stellung nehmen müssen, ob Sie ein innovatives, in Steuerfragen verankertes Schiffahrtskonzept verhindern wollen oder ob Sie bereit sind, es mit uns gemeinsam durchzusetzen. ({11}) Es steht für die Schiffahrt und für die Arbeitsplätze dort viel auf dem Spiel. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube, der Verkehrshaushalt macht deutlich, daß wir für Investitionen und Arbeitsplätze und für die Modernisierung unserer Infrastruktur die richtigen Zeichen setzen. Denn wir wissen doch hoffentlich alle gemeinsam, daß wir nicht nur an unseren Standortschwächen zu arbeiten haben, sondern auch unsere Standortstärken - dazu gehört die Infrastruktur - pflegen müssen, um in der Zukunft, im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig zu sein. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zur zweiten Abstimmung, Anrufung des Vermittlungsausschusses, Drucksache 13/8467. Mir liegt eine Erklärung der Fraktion der SPD vor, aus der hervorgeht, daß sie bei dieser Abstimmung angenommen hatte, es gehe nur um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer - der sie zustimmen wollte -, nicht aber um die Anrufung des Vermittlungsausschusses, der sie nicht zustimmen wollte. Ich möchte das hier so wiedergeben, damit darüber Klarheit besteht, wie die politische Willensbildung gewesen ist. ({0}) Ich gebe nun dem Abgeordneten Hans Georg Wagner das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Wissmann, zum Stichwort Kombiverkehr. Sie hätten durchaus sagen können, daß Sie ohne das Engagement der Opposition und ihr Einwirken auf die Koalition nicht in der Lage gewesen wären, den Kombiverkehr im Jahre 1998 auf Dritte auszudehnen. Das also war ein Erfolg der linken Seite dieses Hauses. ({0}) Die Ungereimtheiten bestehen aber nach wie vor, Herr Minister: Die Gegenfinanzierung in einer Größenordnung von 30 Millionen DM soll nämlich aus dem Kapitel der Wasserstraßen und aus dem Kapitel der Schienenwege erfolgen, nicht aber aus dem Kapitel der Straßen. Sie haben eben selbst gesagt, der Verkehr müsse von der Straße runter. Dieser Meinung sind wir alle. Aber dann sollte man konsequenterweise Mittel für den Straßenbau in Mittel zugunsten des Kombiverkehrs umleiten. ({1}) Meine Damen und Herren, gemeinhin wird ja gesagt, der Haushalt sei so etwas wie ein Schicksalsbuch der Nation. Ich kann nur sagen: Dieser Entwurf der Koalition ist kein Schicksalsbuch, sondern ein Schicksalsschlag für das ganze deutsche Volk. ({2}) Denn das, was eigentlich passieren müßte - nämlich dem Abbau der Arbeitslosigkeit wesentlich wirksamer zu begegnen -, findet nicht statt. Das Buch ist kein Buch mit sieben Siegeln, sondern, so meine ich jedenfalls, ein Beleg der kollektiven Verlogenheit dieser Koalition in Haushaltsfragen. ({3}) Es ist jedes Jahr dasselbe: Der Finanzminister sagt, der aktuelle Haushalt sei solide finanziert, sei seriös, helfe, den Abbau der Arbeitslosigkeit zu bewerkstelligen, und sei durchaus vernünftig. Bei den Fachministern ist es dasselbe. Auch sie sagen hier, der Einzelplan sei seriös, solide finanziert, helfe, die Arbeitslosigkeit abzubauen. ({4}) Dann beginnen die Beratungen im Haushaltsausschuß, und die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen müssen weitere Einsparungen vornehmen. Das kommt wie das Amen in der Kirche, seit Theo Waigel Minister ist. Jedes Jahr muß noch ein bißchen mehr gespart werden. Nach den Sparkorrekturen wird dann in der zweiten und dritten Lesung behauptet, nun sei aber die gefundene Fassung endgültig solide und seriös. Der Finanzminister freut sich und feiert mit uns allen in der Bierkneipe und sonstwo, und dann kommen die neuesten Steuerschätzungen, und alles ist wieder futsch. Das ist der Ablauf, den ich im Deutschen Bundestag erlebe, seit ich Mitglied bin. Mit seriöser Haushaltspolitik, mit Klarheit und Wahrheit hat das alles nichts mehr zu tun. ({5}) Auch der Einzelplan 12, Herr Minister Wissmann, hat solche Floskeln parat. Sie sind alle zu widerlegen. Tatsache ist, daß der Investitionsanteil Ihres Einzelplans von Jahr zu Jahr mickriger wird, und das zu einem Zeitpunkt, wo der eigentliche Motor der Wirtschaft, die Bauwirtschaft, am Boden liegt. Sind Entsendegesetz und Lohnfortzahlung für die Bauwirtschaft und ihre Arbeitnehmer schon schlimm genug, so ist die permanente Senkung der Bauinvestitionen ein schwerer Schlag für dieselben. Immer sichtbarer wird das Mißverhältnis zwischen Ihren Aussagen und dem, was sich im Haushalt niederschlägt. Im klaren Verstoß gegen das Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes, wonach der Bund Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes finanziert, übertragen Sie der Deutschen Bahn AG permanent Finanzierungsausgaben für Investitionen in die Schiene. Sie schrammen hierbei haarscharf an verfassungsrechtlichen Bedenken vorbei. Allein die Übertragung der Schieneninvestitionen von fast 3 Milliarden DM auf die Bahn AG mindert deren Möglichkeiten, dringende Neuanschaffungen, etwa Wagenmaterial, vorzunehmen. Hinzu kommen die Sperrvermerke im Schienenteil des Einzelplans: Alle Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen sind gesperrt. Im Straßenbauteil dagegen ist nicht eine einzige Sperre ausgebracht. Wenn behauptet wird, diese Sperre sei wegen der Einzelzustimmung des Finanzministers angebracht worden, muß man fragen, warum Herr Waigel im Straßenbereich auf solche Abfragen verzichtet. Auch mit den Wasserstraßen wird wesentlich glimpflicher umgegangen. Ich werde den Verdacht nicht los, daß hier der Versuch unternommen wird, die Deutsche Bahn AG in den Zustand zu versetzen, aus dem wir sie zu erlösen hofften, als die Bahnreform gemacht worden ist. Wie schamlos die Bundesregierung mittlerweile geworden ist, zeigt das Thema Transrapid. Zunächst wird klammheimlich die Werbung für den Transrapid mit ähnlichem Gewicht versehen wie jene für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Die Bevölkerung muß diesem Projekt gegenüber sehr ablehnend sein, wenn der große Entwurf neuester Bahntechnik ständiger neuer Reklame bedarf. ({6}) Das könnte man ja noch akzeptieren, wenn die Bundesregierung nicht auf besonders seltsame, unsere europäische Reputation stark strapazierende Art und Weise nun auch noch die EU für weitere Untersuchungen über die Einsatzfähigkeit des Transrapids melken wollte, und das ausgerechnet bei der Finanzierung von Gutachten über transeuropäische Verkehrsnetze. Nun hat der Transrapid als nichtkompatibles Verkehrsinstrument mit den transeuropäischen Verkehrsnetzen soviel zu tun wie eine Kuh mit dem Klavierspielen. Hat nicht die Bundesregierung der EU-Kommission erst vor zwei Jahren die Finanzierung eben dieser transeuropäischen Netze aus nicht abgeflossenen EU-Mitteln verweigert? Da komme noch einer zurecht. Eine entscheidende Frage ist: Muß der Transrapid auf der Strecke Hamburg-Berlin Benutzungsgebühren bezahlen? Die EU-Kommissare Karel van Miert und Neil Kinnock sind der Auffassung, daß aus Wettbewerbsgründen auch der Transrapid Benutzergebühren bezahlen müsse. Der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen hat analog der Trassenbenutzungsgebühren für den ICE - er schätzt 20 DM pro Bahnkilometer - errechnet, daß dies in 20 Jahren eine Summe von 4 Milliarden DM erbringen müßte. Diese 4 Milliarden DM müßten in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen eingehen. Albert Schmidt schließt daraus, daß bei Gleichbehandlung der neuen Technologie mit der konventionellen das ganze Konzept unwirtschaftlich würde. Da ist was dran. ({7}) Ich erwarte, daß spätestens im Berichterstattergespräch am 22. September Klarheit geschaffen wird, Herr Minister. Dieser Tage waren die Hurra-Rufe bis in die letzten Stuben der Republik zu hören: Der Restverkauf der Lufthansa wird 5 Milliarden DM bringen, weit mehr als vermutet und veranschlagt. Darüber freut sich jeder. Wer jedoch meint, daß diese Mehreinnahmen in Höhe von etwa 1,5 Milliarden DM in dem Einzelplan landen, aus dem alle Ausgaben für die Lufthansa geleistet werden, sieht sich getäuscht: Die Mehreinnahmen kassiert der Finanzminister, die Mehrausgaben bezahlt der Verkehrsminister. Wir sagen: Wer Ausgaben leisten muß, dem müssen auch die Einnahmen zufließen; denn nur so können sie sofort in arbeitsplatzsichernde Investitionen umgesetzt werden. ({8}) Mit amüsierter Verärgerung müssen wir den Ablauf der übrigen Privatisierung im Verkehrsbereich zur Kenntnis nehmen. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Einnahmen aus dem Verkauf von Wohnungen und Grundstücken weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Dies stellt ein erhebliches Haushaltsrisiko dar. Mit dem Verzicht auf die Rückführung des Schuldenstandes des Bundeseisenbahnvermögens von 1998 bis zum Jahre 2000 schaffen Sie im Jahre 2001 ein Haushaltsrisiko von 7,8 Milliarden DM. Ungläubig muß man auch das Durcheinander um den geplanten Großflughafen Berlin-Schönefeld verfolgen. Nachdem die Holding es schon in wenigen Jahren auf 500 Millionen DM Schulden gebracht hat, soll nunmehr die Privatisierung der Gesellschaft wie auch der Bau des Flughafens weltweit ausgeschrieben werden. Dabei verzichtet man bewußt auf den Erfahrungsschatz der Flughafen Frankfurt/ Main AG. Vom Ausbau Schönefelds sind rund 70 000 Menschen unmittelbar betroffen. Zahllose Verfahren werden dabei mit fraglichem Ergebnis durchzuführen sein. Hinzu kommt der mit amerikanischem Geld finanzierte Großflughafen bei Stendal, den das Land Sachsen-Anhalt für 8,3 Milliarden DM plant. Ministerpräsident Höppner hat eine Zusammenarbeit vorgeschlagen, um die Effizienz des Ganzen zu steigern. Nun kommt noch der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle, der im Gange ist, in dieser Region hinzu. Die Koalition der höchsten Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik, der größten Pleitewellen und der höchsten Schulden hat offenbar jegliche Zurückhaltung verloren. Ich meine deshalb, daß dieser Einzelplan, Herr Minister, wenig zu den konjunkturellen Notwendigkeiten beiträgt, daß er immer mehr kontraproduktiv wirkt, weil er offenbar als Steinbruch dieser Koalition zum Abbau der Schulden dienen soll. Vielen Dank. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Bartholomäus Kalb das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wagner hat wieder eine scharfe Rede gehalten und zum Schluß vom Steinbruch gesprochen. Er hat dabei vergessen, darauf hinzuweisen, daß wohl der größte Steinbruch im Saarland zu liegen scheint. ({0}) - Er fügt jetzt hinzu: Da gibt es jetzt nichts mehr zu brechen, weil es keine Steine mehr gibt; Lohn und Brot schon lange nicht mehr. Ich will zum Haushalt kommen. Der Bundesverkehrsminister hat in seiner Rede bereits auf den hohen Investitionsanteil hingewiesen, den der Einzelplan 12 Gott sei Dank nach wie vor ausweist. Rund 20 Milliarden DM stehen zur Verfügung. Ich freue mich darüber. Wir freuen uns, daß es den beiden Ministern Waigel und Wissmann gelungen ist, trotz des Zwanges auch beim Einzelplan 12 Beiträge zur Gesamtkonsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten und dieses hohe Investitionsvolumen zu halten. Damit wird sichergestellt, daß es beim Erhalt und beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur keine Einbrüche geben wird. Die Bereitstellung einer guten Infrastruktur, insbesondere der Verkehrsinfrastruktur, ist wichtigste Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Bundesländer, besonders der neuen Bundesländer. Der Bundesverkehrsminister hat mit sehr beeindruckenden Zahlen darauf hingewiesen. Das gilt auch für die verschiedenen, insbesondere peripheren Regionen. Wenn sich in der Bundesrepublik Deutschland besonders in den zurückliegenden zehn bis zwanzig Jahren, anders als in vielen anderen Ländern, auch ländliche Räume und periphere Gebiete wirtschaftlich relativ gut entwickeln und dort eine Vielzahl von neuen und zusätzlichen Arbeitsplätzen entstehen konnten, hat das nach meiner festen Überzeugung ganz wesentlich mit der Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur und dem ungehinderten Zugang dazu zu tun. ({1}) Ich denke hier nur an den ungeheuren Strukturwandel, den wir in den ländlichen Räumen auf Grund der Veränderungen in der Landwirtschaft zu bewältigen hatten. Wenn es nicht gelungen wäre, dort alternative, außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze bereitzustellen, wäre das für die Entwicklung der ländlichen Räume sicher verheerend gewesen. Aus diesem Grunde war und bin ich kein Freund von Ideen zur Einführung streckenbezogener Maut, zumindest nicht für den Pkw-Bereich. Entfernungsabhängige Belastungen entstehen meines Erachtens in ausreichendem Maße durch die Kraftstoffkosten. Weitere streckenabhängige Belastungen böten keinen Anreiz zur Nutzung kraftstoffsparender Fahrzeuge, würden aber andererseits zu erheblichen unerwünschten Verlagerungen von Verkehrsströmen führen und die Nachteile revierferner Wirtschafts-und Arbeitsmarktregionen eher verstärken. Aus diesem Grunde gebe ich auch Überlegungen in Richtung privater Betreibermodelle mit Ausnahme ganz besonderer Einzelprojekte keine Chance. Wir können und dürfen unser Land nicht mit einem Flickenteppich unterschiedlicher Belastungen überziehen. Es darf schon gar nicht nach dem Motto gehen: Diejenigen, die zu spät zum Zuge kommen, bestraft das Leben. Besorgt bin ich derzeit auch über die vielfältigen Vorschläge, wofür eine Erhöhung der Mineralölsteuer als Deckung in Frage kommen könnte. Niemand wird generell jede Mineralölsteuererhöhung auf alle Zeiten ausschließen können, ({2}) insbesondere wenn sie im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Beseitigung des Ungleichgewichtes zwischen direkten und indirekten Steuern erforderlich sein sollte. Aber die Mineralölsteuer kann nicht für alles und jedes herhalten, und der Autofahrer kann nicht für alles und jedes zur Kasse gebeten werden, was irgendwo an Wünschen und Vorstellungen entwickelt wird. Der Autofahrer ist weder Melkkuh noch Prügelknabe. ({3}) Im übrigen liegt Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich bei der Steuerlast auf Kraftstoffen längst nicht mehr im unteren oder mittleren Bereich. Vielmehr nehmen wir mit Italien und Frankreich zwischenzeitlich eine Spitzenposition ein. Im übrigen stellt die Art, wie wir Verkehrsinfrastruktur bereitstellen, einen ausgesprochenen Standortvorteil dar. Auch Minister Wissmann hat vorhin darauf hingewiesen. Der Höhe der Investitionen kommt aber gerade in dieser Zeit auch im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung und die Beschäftigungslage eine nicht geringe Bedeutung zu. Auch Sie, Herr Kollege Wagner, haben das angesprochen. Ich habe aber noch sehr gut in Erinnerung, wie vor wenigen Jahren aus den Reihen der SPD und noch viel mehr aus den Reihen der Grünen beim Verkehrsetat, insbesondere beim Straßenbaukapitel, erhebliche Kürzungen verlangt worden sind. Auch dann, wenn Investitionen in die Tat umgesetzt werden sollen, stellen wir immer wieder fest, daß sie vor Ort gerade aus Kreisen der Opposition mit verhindert werden. Unabhängig von den Bestimmungen des Art. 115 unseres Grundgesetzes bin ich über die rückläufigen Investitionsquoten beim Bund, aber auch bei den Ländern und in besonderer Weise bei den Gemeinden besorgt. Mir jedenfalls wäre es sehr viel lieber, wir könnten durch höhere investive Ausgaben mehr für aktive Beschäftigungspolitik ausgeben und müßten weniger für die Korrektur des Arbeitsmarktes leisten. In jeder verkehrspolitischen Debatte - Kollege Wagner hat das dankenswerterweise auch heute wieder getan - wurde von der Opposition das Thema Transrapid eingeführt und der Verzicht darauf gefordert. Ich sage Ihnen: Der Transrapid wird kommen und er muß kommen. Wir können es uns nicht leisten, ({4}) eine Spitzentechnologie zu entwickeln und dann auf deren Nutzung zu verzichten. ({5}) Im übrigen bin ich ganz und gar nicht der Meinung, daß der Ausstieg einiger Unternehmen aus dem Konsortium für die Strecke Hamburg-Berlin für die Maßnahme als solche nachteilig sein muß. Es könnte durchaus auch das Gegenteil der Fall sein. ({6}) So mancher Mittelständler wird das durchaus mit Interesse sehen und verfolgen. ({7}) Bei der Diskussion über den Transrapid haben wir es heute wieder mit ähnlichen Ablaufmustern zu tun wie in der Anfangsphase des Airbus. Damals gab es ebenfalls viele Skeptiker und Gegner sowie viele Berechnungen und Expertisen, die dagegensprachen. Hätten sich damals Ängstlichkeit und Skepsis gegen Optimismus und Zuversicht durchgesetzt, gäbe es heute in Europa de facto keine Luft- und Raumfahrtindustrie mehr. ({8}) Auch auf den Gebieten schienen-. und trassengebundener Verkehre wird die technische Entwicklung rasant voranschreiten. Wir sollten dabei den noch gegebenen Vorsprung zu nutzen wissen. In unverbindlichen Reden fordern auch die Redner der Opposition landauf, landab mehr Innovation, modernste Technik und zukunftsfähige Technologien. Wenn es aber konkret darauf ankommt, verfällt man wieder der tiefsitzenden Abneigung gegenüber allem Neuen. ({9}) - So sieht es, liebe Frau Fuchs, jedenfalls Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der in einem Interview für „Bild am Sonntag" vom 14. April 1996 unter anderem wörtlich forderte, „die schlimme deutsche Technikfeindlichkeit zu überwinden", und weiter ausführte: Diese massive Feindschaft gegen alles Neue - sei es Gentechnik oder Transrapid - gibt es nur in Deutschland. Im Wettbewerb auf den Weltmärkten kann sie uns in noch viel höhere Arbeitslosigkeit stürzen. Ich weiß auch nicht, wieso die Sozialdemokraten immer wieder ihre Altvorderen in die Fraktion einladen, wenn sie dann doch nicht beherzigen, was die ihnen zu sagen haben. ({10}) Jedenfalls nannte Helmut Schmidt in einer Rede vor Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion in Bonn am 14. Januar 1997 nach seiner Ansicht sieben wichtige Komponenten eines Gesundheitskonzeptes für Deutschland und führte unter Punkt 7 folgendes aus. ({11}) - Auch die Komponenten 1 bis 6 waren für die SPD nicht besonders schmeichelhaft, Frau Kollegin Fuchs. In meinen Augen - so Helmut Schmidt langfristig die wichtigste Komponente für uns Deutsche ist eine große, langanhaltende Kraftanstrengung zugunsten der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, der anwendungsorientierten Forschung und zugunsten der Entwicklung von Spitzentechnologie, nicht etwa nur der Hochtechnologie. Wir sacken sonst ganz schnell in diesen Bereichen wettbewerbsmäßig ab. Es bedarf allerdings einer großen Aufklärungskampagne, um die psychotischen deutschen Ängste vor technischer Innovation abzubauen. Die deutsche Nation muß begreifen können, daß ohne Innovation wir uns selbst zum Verlust weiterer Arbeitsplätze und zum Verlust an Lebensstandard verurteilen. Ich glaube, er hat bei Ihnen zwar Richtiges gesagt, aber trotzdem gegen eine Wand gesprochen. Ähnlich zwiespältig ist die Situation bei der Forderung nach verstärkter Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsträger. In der Forderung ist man sich sehr schnell einig. Werden dann aber Schienen- oder Wasserwege den modernen Erfordernissen angepaßt, formiert sich sofort massiver Widerstand, meist unter tatkräftiger Mithilfe der Opposition in diesem Hause. ({12}) - Denken Sie an den Elbausbau, Herr Kollege Kuhlwein, wo der Interessenausgleich zwischen den Hamburgern, den Schleswig-Holsteinern und Ihnen persönlich gefunden werden muß. ({13}) Ich will jetzt keine Debatte über die Notwendigkeit des einen oder anderen Flußausbaus lostreten - wir haben darüber diskutiert, und meine Positionen dazu sind sehr klar -, aber dennoch am Beispiel Berlin vielleicht einiges deutlich machen: Wenn man im städtischen Verkehr von Berlin praktisch nicht bemerkt, daß sich im Zentrum dieser Stadt die größten Baustellen Europas befinden, ist dies ganz wesentlich darauf zurückzuführen, daß man dort für die Baustellenlogistik die Reserven, die der Verkehrsträger Wasserstraße bietet, konsequent nutzt. Im Hinblick auf die Verkehrsbewältigung in der Bundesrepublik Deutschland als Transitland können uns diese Erfahrungen in Berlin wertvolle Hinweise liefern. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Bahn sagen. Aus den vorgenannten Gründen wird der Bahn künftig verstärkte Bedeutung zukommen. Der Weg der Privatisierung war und ist richtig. Die Deutsche Bahn AG hat mit ihren vielen engagierten Mitarbeitern die Umstrukturierung weitestgehend bewältigt, und die Orientierung für die Zukunft wird bereits jetzt von deutlich erkennbaren Erfolgen gekennzeichnet. Ich bin sicher, daß die Deutsche Bahn unter ihrem neuen Vorstandsvorsitzenden den Weg der Entwicklung einer leistungsfähigen, kundenorientierten und kundenfreundlichen Bahn konsequent fortsetzen wird. Ein für unseren Haushalt erfreulicher Beleg dafür ist die Verstärkung der Eigeninvestitionen, die die Bahn vornehmen wird. Sie, Herr Kollege Wagner, haben das kritisiert. Es ist aber auch ein Ergebnis und ein willkommener Ausfluß der Folgen der Privatisierung, der Wirtschaftlichkeitsorientierung, die es zwischenzeitlich auch der Deutschen Bahn AG ermöglicht, Trassen günstiger herstellen lassen zu können und rollendes Material sowie vieles andere heute günstiger einkaufen zu können als früher. Dies kann nur ein ganz erwünschter Effekt sein. Wir von der Koalition werden den Einzelplan 12 mit größter gebotener Sorgfalt beraten und auch im Beratungsverfahren versuchen, wo immer noch Möglichkeiten zur Umschichtung bestehen, Umschichtungen zugunsten von Investitionen vorzunehmen. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Gila Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissmann, bei dem, was ich zur Verteidigung Ihres Haushalts gerade gehört habe, hatte ich den Eindruck, daß Sie eine dunkelrosarote Brille aufgehabt haben müssen; denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser Haushalt als ganz banaler Trick, als eine einzige Vernebelungsstrategie. Er ist durch und durch unsolide finanziert. Das Image vom erfolgreichen Verkehrsminister erkaufen Sie sich mit einer Politik der verbrannten Erde, um sich noch gerade bis zur Wahl durchzuhangeln. ({0}) Ihren gepriesenen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erkaufen Sie sich mit neuen Schuldenbergen. Da sind zunächst die Altschulden aus dem Bundeseisenbahnvermögen mit 77 Milliarden DM. Mit 2,8 Milliarden DM wollen Sie 1998 diese Altschulden tilgen. Entgegen Ihren vollmundigen Versprechungen setzen Sie diese Tilgung jetzt aber schlicht und einfach aus und verfrühstücken sie, um vor der Betonlobby als Strahlemann dazustehen. Allein diese Verschiebung um drei Jahre bedeutet 1 Milliarde DM zusätzlicher Zinsen. Zweiter Punkt ist die DB AG. Von einst 10 Milliarden DM werden die Investitionen auf nur noch 6,7 Milliarden DM gekürzt. Die letzte Kürzung um eine halbe Milliarde DM begründen Sie mit der Umstellung von der bisherigen Darlehenspraxis auf Baukostenzuschüsse und tun so, als ob die DB AG nun 500 Millionen DM Eigenmittel mehr einsetzen könnte. Das stimmt aber nicht. Nach Aussage Ihres eigenen Hauses bringt das nämlich nur 180 Millionen DM. Das bedeutet, daß die Bahn zusehen muß, wo sie die fehlenden 320 Millionen DM herbekommt - voraussichtlich durch Schuldenmachen. ({1}) Wirklich dick kommt es dann aber bei Ihrem Lieblingsspielzeug, dem Transrapid. Nachdem die Seifenblase von der Wirtschaftlichkeit geplatzt ist und die Industrie das gerade noch rechtzeitig gemerkt hat, haben Sie nun alle Risiken der Bahn aufs Auge gedrückt; denn sie hat ja keine Wahl, sie hängt ja am Tropf des Verkehrsministers. Wissen Sie, wie ich das nenne? - Unzucht mit Abhängigen. ({2}) Allein die fällig werdenden Ersatzinvestitionen summieren sich bis 2035 auf 16 Milliarden DM. Hinzu kommen voraussichtlich Betriebsverluste von zirka 5 Milliarden DM. Die Bahnreform fahren Sie damit vollends gegen die Wand. Für das „Unternehmen Zukunft" ist dieselbe beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat - bei jetzt schon über 20 Milliarden DM neuen Schulden. Durch Ihre Politik, Herr Wissmann, wird die Bahn im nächsten Jahrtausend schlicht pleite sein. Die Zeche bezahlen die Enkel. Trotz chronischen Geldmangels und sinkender Steuereinnahmen halten Sie mit Hinweis auf goldende Zeiten weiter an GroßprojekGila Altmann ({3}) ten fest. Die Highlights, derer Sie sich brüsten, verblassen aber bei näherem Hinsehen zur müden Funzel. Da sind zum Beispiel die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Nehmen wir einmal Nummer 1, die Schienenverbindung Lübeck-Stralsund: Diese wird der A 20 geopfert und auf den Sankt-NimmerleinsTag weit ins nächste Jahrtausend verschoben. Da muß die Bahnstrecke Uelzen-Salzwedel-Stendal dran glauben, weil Sie den Transrapid nicht gefährden wollen. Zu der Ankündigung, daß alle diese Projekte vor der Jahrtausendwende fertig sein sollten, sagen Sie aber nichts. Da hat dann der politische Alzheimer wieder zugeschlagen. ({4}) Da werden Milliarden für überteuerte Hochgeschwindigkeitsstrecken wie die ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt verpulvert, die selbst bei der DB AG umstritten ist. Obwohl zirka. 90 Prozent der Fahrgäste im Nahverkehr unterwegs sind, werden dort die Milliarden verbuddelt. An anderer Stelle fehlen sie dann dringend. Für die Modernisierung von Nebenstrekken ist kein Geld da; und für die Förderung dezentraler Umschlagsysteme wie Kombiverkehr - das haben Sie vorhin ja ausgeführt - gibt es höchstens einen Leertitel. ({5}) An Ihren Flußausbauplänen halten Sie trotz des Oder-Hochwassers unverdrossen fest - nach dem Motto: Augen zu und durch! Allein 4 Milliarden DM sollen im Projekt 17 unter anderem in Spree und Havel versenkt werden. Einen Zusammenhang zwischen Hochwasser und Flußausbauten gibt es nach Ansicht des Bundesverkehrsministeriums nicht. Wenn sich schon beim Bundeskanzler die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß Flüsse ihren Raum brauchen, dann sollte er seinen Kanalarbeiter Wissmann davon überzeugen, daß er endlich seine Finger aus dem öffentlichen Portemonnaie nimmt. ({6}) Ihre Straßenbauplanung ist noch abstruser: Gigantismus anstelle eines sinnvollen Einsatzes der knappen Mittel! Über die A 20 haben wir schon gesprochen. Dazu kommen dann die Thüringer Waldautobahn, die A 38, der privat vorfinanzierte Wahnwitz der A 60 - die Liste ließe sich beliebig verlängern. Alle diese Projekte sind bei einem gezielten Bundesstraßenausbau verzichtbar. Aber es werden Mittel verpulvert und so dringend notwendige Investitionen in den Sand gesetzt. Wissen Sie, Herr Wissmann, woran mich das erinnert? - An Suchtverhalten. Wenn den „Betonjunkies" nämlich das Geld ausgeht, gleiten sie in die Beschaffungskriminalität ab. ({7}) Das nennt sich dann private Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen. ({8}) Diese Form von haushaltspolitischer Wegelagerei hat der Bundesrechnungshof bereits als unwirtschaftlich disqualifiziert. Denn bislang verschweigen Sie, wem Sie eigentlich in die Taschen greifen: zum einen den Ländern, denn künftige Straßenbauzuweisungen werden beschnitten, und zum anderen den Bürgern über Mautgebühren. Mit dem Betreibermodell, das Sie kreiert haben, wird die Verkehrsplanung zu einem Wirtschaftsfaktor, der darauf ausgelegt ist, Gewinne zu erwirtschaften. Das heißt: noch mehr Verkehr auf die Straßen - Konzepte zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung ade! Die können wir ad acta legen. ({9}) Diese Politik geht an den wirklichen Notwendigkeiten vorbei. Investitionen alleine schützen vor Torheit nicht. Sie müssen auch richtig eingesetzt werden, zum Beispiel im öffentlichen Personennahverkehr oder im kombinierten Güterverkehr. Darin liegen die wirklichen Potentiale für mehr Arbeitsplätze. Man muß eben auch den Mut haben, umzusteuern und Innovationsanreize zum Beispiel durch die Einführung der Ökosteuer zu schaffen. Da Herr Waigel sich heute morgen über den Produktionszuwachs von 15 Prozent bei der Automobilindustrie ausgelassen hat, sollte er auch die Frage beantworten, warum gerade die Automobilindustrie bis zum Jahr 2000 noch einmal 100 000 Arbeitsplätze abbauen will. Die schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer würde nicht nur der Bahn nützen, sondern auch die Automobilindustrie endlich auf Trab bringen, neue Konzepte und echte Sparmodelle zu entwickeln.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. - Ihre Politik, Herr Wissmann, ist am Ende. Allein durch Ihr Wirtschaften auf Pump müssen ab 1999 mehr als zwei Drittel der Haushaltsmittel für langfristig eingegangene Verpflichtungsermächtigungen ausgegeben werden. Um es mit Captain Kirk zu sagen: In den unendlichen Weiten der schwarzen Löcher Ihres Haushaltes wird nicht nur der Finanzminister, sondern die ganze Regierung mitsamt Ihrer Wenigkeit verschwinden - spätestens nächstes Jahr um diese Zeit. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Horst Friedrich das Wort.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Höflichkeit nicht zu den Grundlagen meiner Erziehung gehören würde, so würde ich jetzt sagen: Das war Werfen von Nebelkerzen auf hohem Niveau. Man könnte es auch drastischer ausdrücken. Ihre Aussagen gehen wie so oft an der Realität - insbesondere in den neuen Ländern - um Längen vorbei. ({0}) Es ist zunächst mit Freude - es hätte ja noch schlimmer kommen können - festzustellen, daß der Verkehrshaushalt als größter Investitionshaushalt des Bundes wiederum dafür sorgt, daß die Arbeitsplatzkomponente im Verkehrsbereich nach wie vor entsprechend ausgeprägt ist. Allerdings - das habe ich schon mehrfach dargestellt - muß es langfristiges Ziel bleiben, in absehbarer Zeit wieder auf eine Investitionsquote von um die 50 Prozent zu kommen, denn sonst werden wir es nicht schaffen, die noch vor uns liegenden Sanierungsarbeiten beim bestehenden Verkehrsnetz zeit- und vor allen Dingen sachgerecht zu erledigen. Daß die Einsparmaßnahmen an den Investitionen vorbeigegangen sind, verdient hohes Lob. Allerdings ist auch dort das Bündel der Maßnahmen, die noch auszureizen sind, begrenzt. Es muß sichergestellt werden, daß in absehbarer Zeit der Verkehrshaushalt auf seiner investiven Seite nicht weiter abgebaut, sondern für alle Verkehrsträger aufgebaut wird. Dabei möchte ich mit einem Hinweis auf die neuen Länder beginnen. Die Arbeitsgruppe „Verkehr" meiner Fraktion war nun mehrfach in den neuen Bundesländern vor Ort, überwiegend in Mecklenburg-Vorpommern, zuletzt am 1. September, um sich die Leistungen der DEGES in den neuen Bundesländern anzusehen. ({1}) Auch diese Fahrt war letztendlich und nachträglich eine Bestätigung, daß es hohe Zeit war, in Deutschland das antiquierte, verstaubte und verhindernde Planungsrecht für Verkehrsinfrastruktur neu zu sortieren und neu auf den Weg zu bringen, denn sonst wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, einen Ausgangspunkt für die Leistungen der DEGES zu schaffen. ({2}) Diese Planungsgesellschaft, die 1992 gegründet worden ist und im Straßenbau für 1 172 Kilometer zuständig ist, hat es Mitte 1997 tatsächlich geschafft, für 1 160 Kilometer dieser Straßen bereits die Linienbestimmung unter Dach und Fach zu haben. Über 60 Prozent aller dieser Strecken sind bereits planfestgestellt, 90 Kilometer sind fertig und weitere 350 Kilometer im Bau. In diesem und im nächsten Jahr werden je 2 Milliarden DM investiert. Das bringt eine erhebliche Stabilisierung des Arbeitsmarktes in den neuen Ländern mit sich; es verbleiben nämlich mehr als 70 Prozent dieser Gelder tatsächlich in den neuen Ländern, weil die Auftragnehmer von dort kommen. ({3}) Ich glaube, auch das muß man einmal deutlich sagen: Mit dem Planungsrecht, wie wir es über viele Jahre im Westen gehabt haben, wäre das gar nicht möglich gewesen. Wir würden jetzt noch versuchen, die Formulare zu sammeln, um den Bauantrag zu schreiben. Daß es auch bei uns im Westen anders geht, zeigt ein Blick auf die Neubaustrecke Köln-Rhein/Main der DB AG. Dort hat man es nämlich im sogenannten Los C von Frankfurt bis Limburg geschafft, mittlerweile 100 Prozent der Planfeststellungsverfahren erfolgreich abzuschließen. Deshalb kann dort gebaut werden. Auch das trägt wesentlich zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes im Bausektor bei. Nicht zuletzt - das kommt uns ja ein bißchen entgegen - ist es durch die Situation auf dem Baumarkt möglich, durch entsprechende Ausschreibungsverfahren - ich verweise da auf die Neuordnung der VOB - mit geringeren Einheitspreisen bei gleichen oder geringeren Etatansätzen mehr zu bauen. Das gilt für alle Verkehrsträger. Letztendlich wird nichts daran vorbeiführen, daß wir uns ernsthaft, mit aller Sorgfalt und in Ruhe über Alternativen zur jetzigen Finanzierung der Verkehrswege unterhalten. Eine entsprechend angesetzte, seriöse Privatfinanzierung muß das Ziel für diese Wege bleiben. Ich freue mich deswegen, daß der Verkehrsminister am 22. August öffentlich erklärt hat, daß er sich die Option auf eine streckenbezogene Gebühr für Pkw und Lkw offenhält. Auch dieser Weg muß sorgfältig begangen werden. Die Konzepte, die in Rostock bei der Warnow-Querung und jetzt nach Abstimmung in Schleswig-Holstein auch mit der Herrenbrücke in Lübeck verwirklicht werden, stellen ja nur die ersten Schritte dar. Aber sie sind Zeichen dafür, daß man umdenken kann und es möglich ist, anders zu finanzieren. Nur so werden wir zeitgerecht finanzieren. ({4}) Die Bahn hat bewiesen, daß sie in der Lage ist, mit den Möglichkeiten, die wir ihr durch die Privatisierung eingeräumt haben, umzugehen. Ich würde das nicht zu geringschätzen. Es handelt sich schon um eine schwierige Entscheidung, wenn der Bund bei der Finanzierung von Schienenwegen auf die Möglichkeit, ein Darlehen auszureichen, das zurückgezahlt werden muß, verzichtet und statt dessen ausschließlich verlorene Zuschüsse gibt. Die Bahn hat erklärt, daß die Zinsersparnis aus diesem - nicht rückzahlbaren - Darlehen ausreicht, um den investiven Anteil zu erhöhen. Da sie als AG - als Vorstandsvorsitzender einer AG ist man zunächst einmal dem Ergebnis verpflichtet - das wahrscheinlich wohlüberlegt getan hat, ist manche Kritik, die auf der linken Seite des Hauses an der Bahn und auch am Verkehrsministerium geübt wird, wahrscheinlich - wie so oft - Schall und Rauch. Das gilt leider auch für den einen oder anderen Bundesrechnungshofbericht. Ein großes Problem sehe ich allerdings - das habe ich schon einmal angesprochen - in der Situation der Gleisbaubetriebe im Osten, der DGT, die jetzt wieder in die Obhut der Bahn zurückgeführt werden soll. Ich bin sicher: Wenn alle Maßnahmen richtig nach VOB ausgeschrieben würden, wäre auch dort eine Ersparnis möglich. ({5}) Zum Flughafenkonzept nur folgendes: Ich habe angeregt - ich freue mich, daß auch andere Flughäfen nachgezogen sind -, daß wir uns über dieses System im Hinblick auf die Kosten und die Finanzierung in Deutschland Gedanken machen mit dem Ziel, zum einen die Infrastruktur der Flughäfen günstiger zu betreiben - das ist möglich - und zum anderen dafür zu sorgen, daß das „Wegschaufeln" von Fluggästen um Deutschland herum unterbleibt; denn jeder Fluggast, der nicht in Deutschland abfliegt, kostet Geld und vor allen Dingen Arbeitsplätze. In diesem Sinne wird die F.D.P. sehr zielstrebig diesen Haushalt verfolgen und ihm - wahrscheinlich eine große Überraschung für die linke Seite - zustimmen. Danke sehr. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Abgeordnete Helmut Wieczorek während der Rede des Kollegen Koppelin einen Zuruf gemacht hat, in dem er die Bundesregierung mit einem Begriff aus der Fäkalsprache belegt hat. Ich bedaure, daß Herr Wieczorek nicht anwesend ist, und erteile ihm einen Ordnungsruf. ({0}) Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Verkehrsetat kommt im doppelten Sinn strategische Bedeutung zu. Da ist dessen Funktion für die Binnenkonjunktur - dieser Etat enthält mehr Investitionen als andere -, und da ist dessen umweltpolitische Bedeutung: Mit keinem anderen Etat läßt sich deutlicher belegen, ob diese Regierung fortgesetzt in Richtung Zerstörung marschiert oder ob eine Wende - hier die Verkehrswende - eingeschlagen wird. Das wird bereits dadurch deutlich, daß das Finanzvolumen des Etats 12 fünfunddreißigmal größer als dasjenige des Umweltressorts ist. Der Einzelplan 12 erweist sich hinsichtlich dieser beiden strategischen Aspekte als Nullnummer und Luftnummer. Die Investitionen im Verkehrsetat werden zurückgefahren; damit leistet er in Zeiten einer Stagnation auf dem Binnenmarkt einen aktiven Beitrag zur Steigerung der Erwerbslosenzahlen. Der Etat konkretisiert zum zweiten erschreckend deutlich, daß diese Regierung gewillt ist, ihre umweltzerstörerische Politik noch zu steigern. Der Straßenneubau wird ungebremst fortgesetzt. Umgekehrt gibt es die vom Kollegen Wagner genannten Sperrvermerke bei den Schieneninvestitionen; darüber hinaus werden die Bundesmittel für den Bau neuer Schienenwege reduziert: 1998 von 3,5 auf 3 Milliarden DM. Das Schienennetz wird in den Jahren 1996 und 1997 insgesamt um 2 000 Kilometer abgebaut. Sie, Herr Wissmann, sagen, im Verkehr gelte der „Vorrang Schiene". Oft sagt Atmosphärisches mehr als nackte Zahlen. Der Verkehrsetat 1998 kommt auf 249 Seiten. Davon befassen sich gerade einmal 15 mit dem Schienenverkehr. Dem Straßenverkehr werden gleich doppelt so viele Seiten vorbehalten, und dann bekommen wir frei Hohes Haus als Begleittext zum Haushalt den „Straßenbauplan für die Bundesfernstraßen 1998", in dem auf 202 Seiten all diese orgiastischen Betonergüsse festgehalten werden, mit denen Sie die Natur und die Bevölkerung im Jahr 1998 beglücken wollen. Da finden sich so faszinierende Details wie auf Seite 103, wonach 1998 auf der Autobahn A 13 eine „Erneuerung der Fahrbahndecke von km 69,0 bis 82,5/linke Rifa" - Richtungsfahrbahn - für 10 Millionen DM stattfinden werde. Wo bitte, frage ich Sie, Herr Wissmann, wird Vergleichbares für den Schienenverkehr festgehalten? Hier gibt es im Haushalt 1998 nur Pauschalzahlen. Der seit drei Jahren von der Opposition geforderte detaillierte Jahresplan für Schienenwege wird uns weiter vorenthalten. Gestatten Sie mir, ergänzend zu dem, was bisher von den anderen Oppositionsparteien gesagt wurde, drei spezielle Aspekte hervorzuheben. Erstens. Dieser Etat dokumentiert erneut, daß mit der Bahnprivatisierung der Schienenverkehr gegen den Prellbock zu fahren droht. Die Verschuldung der Deutschen Bahn AG wird sich allein durch neue Darlehen des Bundes im Jahr 1998 um 2,2 Milliarden DM erhöhen. Ende 1998 wird die DB AG bereits einen Schuldenberg von 27 Milliarden DM haben. Das sind in vier Jahren zwei Drittel von dem, was die Bundesbahn zuvor in 40 Jahren an Schulden akkumuliert hat. Gleichzeitig wird im Einzelplan 12 auf Seite 183 festgehalten, daß das Rückfahren der Bahnaltschulden, die im Bundeseisenbahnvermögen zusammengefaßt sind, just dann gestoppt wird, wenn es beginnen sollte: im Jahre 1998. Damit explodieren jedoch die Schulden in diesem Schattenhaushalt. Sie stiegen bereits seit der Bahnprivatisierung von 65 auf 78,4 Milliarden DM. Zweitens. Sie verstecken im Titel 861 31- Kapitel 12 02 - einen Skandal, auf den Gila Altmann schon aufmerksam machte: Der Transrapid muß von der Bahn komplett finanziert werden. In diesem Posten sind Verpflichtungsermächtigungen bis zum Jahr 2003 in Höhe von 5,7 Milliarden DM für Investitionen in den Fahrweg der Magnetschnellbahn Hamburg- ) Berlin enthalten, alle in Form von Darlehen an die Deutsche Bahn AG. Das heißt: Der Bund fördert zerstörerische Konkurrenz zur Bahn und läßt die Bahn dafür durch jährliche Defizite im konventionellen Schienenverkehr und durch „transrapide" Überschuldung doppelt zahlen. ({0}) Drittens. Abschließende Worte zu den Binnenschiffahrtswegen: Herr Wissmann, Sie hatten nun zwei Monate Zeit, sich Gedanken zu den Überschwemmungen im Odergebiet zu machen und dies im Einzelplan 12 zu dokumentieren. Doch was finden wir dort? Das Projekt 17, der Ausbau von Havel und Mittellandkanal, wird fortgesetzt. Erneut werden beträchtliche Summen in Flußbegradigungen gesteckt, weitere Schäden den noch verbliebenen Flußauen zugefügt, anstatt diese Gelder in den Hochwasserschutz und in eine umweltverträgliche Gestaltung von Flußläufen und Kanälen zu investieren. Der Kanzler sagte auf der Sondersitzung des Bundestages einen einzigen vernünftigen Satz: Man müsse den Flüssen ihren Raum lassen. - Einzelplan 12 dokumentiert nüchtern: Auch dies ist eine Null- und Luftnummer. Diese Regierung gewährt der Natur nicht Raum. Sie entwickelt ihre Wasserbaukunst aus Beton weiter. Geben wir das Schlußwort zum Einzelplan 12 dem klugen Bertolt Brecht: In den Jahrzehnten vor der Sintflut kamen kleinere Fluten. Die Wasserbaukunst entwickelte sich. In einem bestimmten Jahr Galt die Gefahr vor den Fluten als endgültig überwunden. Im nächsten Jahr kam die Sintflut. Sie ersäufte Alle Dämme und alle Dammbauer. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Elke Ferner.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Wissmann, was Sie eben zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, läßt erahnen, daß es jetzt auf die Landtagswahl in Hamburg zugeht; sonst hätten Sie sich wahrscheinlich nicht ausgerechnet die Schiffahrtspolitik herausgegriffen. Ich muß Sie fragen: Wer hat denn in den letzten 15 Jahren in Bonn regiert und es in der Hand gehabt, die deutschen Seehäfen zu stärken? ({0}) Das war nicht die SPD-Bundestagsfraktion; das war die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Das gleiche gilt für das, was im Zuge der Steuerreform mitgeregelt werden muß. Seit Jahren fordern wir, daß der sogenannte Montageerlaß im Steuerrecht eingeführt wird, um eben die Wettbewerbssituation der deutschen Seeschiffahrt zu stärken. Wiederum von der Koalition ist blockiert worden, daß hier in den letzten 15 Jahren etwas geschehen ist. ({1}) Wenn Herr Kalb anfängt, einige wenige Sozialdemokraten zu zitieren, dann muß ich sagen, daß Ihnen Ihre eigenen Argumente mittlerweile ausgegangen zu sein scheinen; sonst hätten Sie vielleicht etwas dazu gesagt, wie Sie sich eine umweltverträgliche Verkehrspolitik für die nächsten vier Jahre vorstellen. Dazu haben wir kein Wort gehört. Wenn man sieht, wie widersprüchlich - auch eben wieder - Sie sich verhalten - Herr Kalb sagt, er ist, wenigstens für den PKW, strikt gegen streckenbezogene Gebühren; Horst Friedrich hat das gerade begrüßt -, dann muß man sagen: Bringen Sie Ordnung in Ihren eigenen Laden, bevor Sie anfangen, an uns herumzukritisieren! ({2}) Daß diese Koalition am Ende ist, läßt sich nicht nur an dem diesjährigen Sommertheater ablesen. Ihre Handlungsunfähigkeit bei der Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit, bei der Steuer- und Rentenreform wird durch diesen Haushaltsentwurf noch gekrönt. Der Verkehrshaushalt ist völlig unakzeptabel. Er könnte, wenn die richtigen Akzente gesetzt würden, einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Sicherung von Beschäftigung leisten. Er könnte auch in die Zukunft gerichtet sein. Die Reden und Taten des Ministers aber stehen nicht ein einziges Mal in Einklang. Wenn dem anders wäre, dann könnte vielleicht sogar eine Trendwende in der Verkehrspolitik erreicht werden. Denn: ... liegt die zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre darin, Verkehr im Spannungsfeld „Mensch - Umwelt - Wirtschaft" so zu gestalten, daß unsere Mobilität auf Dauer ökonomisch und ökologisch tragfähig ist. ... Daher muß es in der Verkehrspolitik jetzt darum gehen, Wirtschafts- und Verkehrswachstum zu entkoppeln. ... bei steigendem Transportvolumen sollen die Fahrleistungen nur noch unterproportional steigen, wenn nicht gar langfristig konstant bleiben oder sinken. ... Wenn wir jedoch drastische Verkehrsverbote sowie andere Auflagen und Einschränkungen schon in naher Zukunft vermeiden wollen, müssen wir jetzt handeln und den Verkehr mit marktwirtschaftlichen Instrumenten besser organisieren. Das kommt Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, offensichtlich nicht bekannt vor. Das hat der Bundesverkehrsminister in der „FAZ" vom 4. August dieses Jahres zum besten gegeben. ({3}) Dazu kann ich nur sagen: Verbal scheint er ja hinzugelernt zu haben, der Verkehrsminister. Der Haushaltsentwurf aber, Herr Wissmann, spricht eine andere Sprache. Sie haben längst vor den realen Zukunftsaufgaben kapituliert. Sie haben weder Perspektiven noch Lösungen für die anstehenden Probleme. Sie wursteln weiter wie bisher. Von meiner Kollegin Altmann und meinem Kollegen Wagner ist soeben schon die Bahnpolitik angesprochen worden. Auch ich will hierzu noch etwas sagen. Herr Wissmann, wenn Sie mit Ihrer bahnfeindlichen Politik so weitermachen, dann, so sage ich Ihnen, setzen Sie die Bahnreform, die wir vor vier Jahren gemeinsam beschlossen haben, aufs Spiel. ({4}) Herr Wissmann, Sie haben es zu verantworten, daß der Ansatz für den Schienenneu- und -ausbau mehr als halbiert worden ist. 1994 standen noch 6,4 Milliarden DM zur Verfügung. Jetzt sind es gerade noch 3 Milliarden DM. Wie wollen Sie denn eigentlich mit 3 Milliarden DM eine Schienenvorrangpolitik betreiben, wenn für den Straßenbau nach wie vor über 8 Milliarden DM zur Verfügung stehen? Wie ist es denn, Herr Wissmann, mit den Bahnreformgesetzen in Einklang zu bringen, daß die Bahn jetzt mit eigenen Mitteln, für die sie Kredite aufnehmen muß, die gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes übernimmt? Was ist denn das für eine Politik? Ich sage Ihnen: Das ist glatter Gesetzesbruch, was hier passiert. ({5}) Herr Wissmann, Sie bauen damit einen Schattenhaushalt auf; denn nicht mehr der Finanzminister, sondern der Bahnvorstand muß das Geld aufnehmen. Wenn Sie so weitermachen, befürchte ich, daß Sie die Bahn genauso ruinieren, wie die Koalition den Bundeshaushalt ruiniert hat. ({6}) Mit dieser Politik entziehen Sie der Bahn das Geld für die Erneuerung der Fahrzeuge und Lokomotiven oder für die Erweiterung der Güterverkehrkapazitäten - sei es auf der Strecke, sei es durch den Bau von Güterverkehrszentren. ({7}) Die Modernisierung der Bahnhöfe bleibt bis auf wenige Prestigeobjekte ebenfalls auf der Strecke. ({8}) - Wer hier sagt, das sei nicht wahr, ist offensichtlich schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit der Bahn gefahren. Denn die Realität von Bahnreisenden sieht so aus: Verspätungen durch Lokschäden, überaltertes Wagenmaterial im Nahverkehr und defekte Rolltreppen in den Bahnhöfen sind an der Tagesordnung. ({9}) Das ist der Alltag der Fahrgäste der Deutschen Bahn AG, nur weil der Bund seiner Investitionsverpflichtung nicht nachkommt und der Bahn Geld entzogen wird, um in andere Bereiche zu investieren. ({10}) Lieber Kollege Friedrich, wir brauchen jetzt keine Streichungen und Kürzungen bei der Bahn. Wir benötigen Investitionen für die Zukunft und für mehr Arbeitsplätze. Das leistet dieser Haushalt eben nicht. Ich betone aber auch: Das ist zum Glück der letzte Haushalt, für den Sie verantwortlich sind. Sonst würden Sie es noch fertigbringen, den Schieneninvestitionstitel komplett auf Null zu bringen. ({11}) Sie stehen finanzpolitisch so an der Wand, daß Sie auch noch die Tilgung der Altschulden der Bahn einfach aussetzen. Meine Kollegin Ingrid Matthäus-Maier hat es heute früh schon angesprochen; ich wiederhole es: Das ist ein Verhalten, das sich sonst nur Entwicklungsländer an der Schwelle eines Staatsbankrotts leisten. Ob der Bundesrat - es ist ja ein zustimmungspflichtiges Gesetz - dieses Spiel dann mitmacht, bleibt abzuwarten. Sie gehen aber in Ihrem Haushalt noch einen Schritt weiter. Mit Deckungsvermerken beim Schienenbautitel öffnen Sie einen Verschiebebahnhof in Richtung Straßenbautitel von immerhin 150 Millionen DM. Die KV-Förderung für Dritte - auch das ist schon gesagt worden - soll nur aus dem Schienenbautitel und aus dem Wasserstraßenbautitel gespeist werden. Wollen Sie die Straße nicht mit den KV-Terminals vernetzen? Wir hatten hier bei den letzten Haushaltsberatungen im Ausschuß eigentlich schon Einigkeit. Außerdem - das halte ich haushaltspolitisch für äußerst bedenklich - erlauben Sie mit einem Deckungsvermerk den Abfluß von Investitionsmitteln, die für den Schienenbau vorgesehen sind, zur Deckung von Verwaltungsausgaben des BEV, die Sie wiederum künstlich nach unten gerechnet haben. Da man Ihre Politik mittlerweile kennt und weiß, wie es dann weitergeht, prognostiziere ich, daß bei dem Ist 1998 - soweit das noch von Ihnen verausgabt werden kann - für die Schieneninvestitionen am Ende keine 3 Milliarden DM mehr stehen werden, sondern daß möglicherweise sogar noch weniger als 2,5 Milliarden DM ausgegeben werden. ({12}) Der Sperrvermerk ist schon angesprochen worden. Was heißt das denn? Soll das heißen, daß in 1998 möglicherweise überhaupt kein Geld mehr ausgegeben werden soll? Wird die Bahn erst einmal so lange vorfinanzieren, bis sie quasi nicht mehr kreditwürdig ist, um dann vielleicht den Rest noch mit BundesmitElke Ferner teln zu decken? Nein, das ist keine seriöse Politik, was Sie hier machen, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Koalition, das ist Nebelkerzenwerferei, das ist Verschleierung. Sie sind mit Ihrer Politik am Ende. ({13}) Wenn dann jetzt noch einmal Ortsumgehungen angesprochen werden und betont wird, der Straßenbautitel sei um 100 Millionen DM aufgestockt worden, dann muß man wirklich sagen: Sie sind in den Wahlkreisen umhergezogen und haben gesagt: Unsere Ortsumgehung ist im vordringlichen Bedarf, und jenes ist im vordringlichen Bedarf. Dabei haben Sie aber verschwiegen, daß der Bedarfsplan kein Finanzierungsplan ist, sondern eben nur ein Bedarfsplan. Sie können jetzt Ihre Versprechungen nicht mehr einhalten. Deshalb wird bei der Schiene munter gekürzt, beim Straßenbau aber wird sogar noch was draufgelegt. ({14}) Ein unrühmlicher Punkt für diese Koalition ist der Lärmschutz an bestehenden Schienenwegen. Einer Ihrer Beamten, Herr Wissmann, schreibt in einer Stellungnahme an den Petitionsausschuß: Für das Bundesministerium für Verkehr bleibt die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung des umweltfreundlichen Verkehrsmittels Eisenbahn ein wichtiges verkehrs-, umwelt- und gesundheitspolitisches Ziel. Es wird sich deshalb weiterhin dafür einsetzen, eine haushaltsrechtliche Lösung für die Finanzierung einer Lärmsanierung an Schienenwegen zu schaffen. Was finden wir im Haushalt? ({15}) Zum wiederholten Male keine müde Mark. Deshalb kann man hier nur sagen, Herr Wissmann: Im Ankündigen sind Sie Weltmeister, beim Umsetzen sind Sie Schlußlicht. ({16}) Das ist keine Politik, die die Bevölkerung versteht, und das wird die Bevölkerung auch nicht akzeptieren. Was Sie hier betreiben, Herr Wissmann, ist auch keine Schienenvorrangpolitik und schon gar keine umweltverträgliche Verkehrspolitik. Ihre Verkehrspolitik kommt wirklich einer Bankrotterklärung gleich. Ein weiterer Sargnagel für die Bahn ist Ihr unseriöses Transrapidfinanzierungskonzept. Sie entlassen die Industrie nun völlig aus dem Risiko und bürden es alleine der Bahn und dem Bund auf. Dafür muß dann am Ende nicht nur die Bahn zahlen, die zusätzliche Kosten hat, sondern wahrscheinlich werden wir alle, die ganze Bevölkerung, dafür geradestehen müssen. Es werden Strecken stillgelegt werden, es werden höhere Fahrpreise verlangt werden, und es wird eine Verschlechterung des Angebotes geben, nur damit dieses unwirtschaftliche Projekt auf der Strecke von Hamburg nach Berlin gebaut wird, obwohl die Industrie kein Risiko einzugehen bereit ist. Zu der Führerscheinrichtlinie will ich jetzt nur soviel sagen, daß Sie, weil Sie wieder einmal Angst vor der eigenen Courage und Angst um Mehrheiten in Ihrer Koalition gehabt haben, kurz vor den Ferien noch nicht einmal mehr in der Lage waren, einen einfachen Änderungsantrag meiner Fraktion hier abzulehnen. Wir werden die Diskussion, wenn es um das Thema Drogen im Verkehr geht, auch in der nächsten Ausschußsitzung wieder führen. Sie werden wieder Gelegenheit haben, darüber abzustimmen. Ich bin gespannt, wann Sie sich endlich trauen, auch hier im Plenum über die Absenkung der Promillegrenze abzustimmen. Bei dem, was Sie hier machen, bleibt die Verkehrssicherheit auf der Strecke. Auch die internationale Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke, genauso wie die Glaubwürdigkeit der Koalition mit diesem Haushalt auf der Strecke bleibt. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, einen zukunftsfähigen Haushalt vorzulegen. Sie sind ein Zukunftsrisiko geworden, und das wird Gott sei Dank im Herbst nächsten Jahres beendet sein. ({17})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das ist der Einzelplan 16. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte zum Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist heute früh von der SPD-Sprecherin, Frau Matthäus-Maier, bereits relativ unqualifizierte Kritik geübt worden. Deshalb möchte ich dies sofort richtigstellen. Wenn Frau MatthäusMaier richtig hingeguckt hätte, dann hätte sie festgestellt, daß der Stammhaushalt des Bundesumweltministeriums lediglich um 1,2 Prozent sinkt. ({0}) Dies ist nicht erfreulich, aber angesichts der Gesamtlage und in bezug auf vergleichbare Ressorts verkraftbar, vertretbar und angemessen. ({1}) Diese große Absenkung erfolgt deshalb, weil im refinanzierten Bereich der Entsorgung und Endlagerung planmäßig - ich wiederhole es: planmäßig - weniger Mittel erforderlich sind. Dies genau ist immer der Herzenswunsch aller Berichterstatter der Opposition gewesen. Sie wollten, daß wir hier heruntergehen. Deswegen hätte ich eine Lobeshymne erwartet, nicht aber eine Anklage auf einer wirklich brüchigen Grundlage. Das erst einmal als Vorbemerkung zu unserem Haushalt. Ich möchte noch anschließen, daß die Ausgaben für den Umweltschutz mitnichten nur in unserem Haushalt angesiedelt sind, sondern sich entsprechend dem integrativen Charakter der Umweltpolitik in sehr vielen Einzeletats des Bundeshaushaltes wiederlinden. Wir geben 1998 ungefähr 8,9 Milliarden DM für Umweltanliegen aus. Ich möchte hier nur einmal die einvernehmliche Einigung im Bereich der Braunkohlesanierung für einen relativ langen Zeitraum erwähnen. Zudem möchte ich darauf hinweisen, daß ich in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem Bundesforschungsminister das neue Umweltforschungsprogramm vorgestellt habe - mit jährlichen Mitteln von ungefähr 1 Milliarde DM für Forschung, gut geordnet und strukturiert. Ich kann nur sagen: Ein solches Forschungsprogramm einer Regierung sucht man weltweit sehr lange, insbesondere eines, das so abgestimmt ist und mit Verbänden und anderen Ressorts diskutiert wurde. ({2}) Meine Damen und Herren, das Worldwatch Institute ordnet in seinem Bericht „Zur Lage der Welt 1997" Deutschland den acht umweltpolitischen Kräften von Bedeutung, den sogenannten U 8, zu. Dazu gehören vier Industrieländer, nämlich USA, Rußland, Japan und Deutschland, und vier Entwicklungsländer, China, Indonesien, Brasilien und Indien. In diesem Bericht wird lobend erwähnt, daß die Bundesrepublik Deutschland insbesondere im Bereich des Klimaschutzes, aber auch in anderen Bereichen des Umweltschutzes eine führende Rolle einnimmt. Wir werden natürlich aufgefordert, diese Rolle beizubehalten. Ich denke, das sollten wir zur Kenntnis nehmen. ({3}) Daß wir zu den U 8 gehören, hat eine völlig neue Betrachtung von umweltpolitischen Anliegen weltweit zur Folge; auch dies sollten wir zur Kenntnis nehmen. Worldwatch sagt nämlich nicht einfach: Hier gibt es die Industrieländer, dort die Entwicklungsländer. Worldwatch sagt vielmehr: Diese acht Länder stellen ungefähr 56 Prozent der Weltbevölkerung, 59 Prozent der Weltwirtschaftsproduktion, 58 Prozent der globalen CO2-Emissionen und 53 Prozent der Waldgebiete, sind also geradezu exemplarisch für die Entwicklung des Umweltschutzes weltweit, und deshalb gebührt diesen Ländern besondere Aufmerksamkeit. Bei meinem Besuch in Japan vor zwei Wochen und auch in China konnte ich noch einmal deutlich machen, daß natürlich bei den Industrieländern durch die Vorreiterrolle im Bereich des Umweltschutzes eine ganz besondere Verantwortung liegt. Auf der anderen Seite laufen wir mit unseren Klimaschutzbemühungen völlig auf - wenn wir einmal ein Land wie China betrachten -, falls wir es nicht schaffen, auch solche Länder schrittweise mit in die Verantwortung hineinzunehmen - bei gleichbleibender Vorreiterrolle der Industrieländer und ganz besonders der Bundesrepublik Deutschland. Ich war sehr froh, daß wir auf der Grundlage des deutschen Reduktionsziels von 25 Prozent bis zum Jahre 2005 und der europäischen Verhandlungsposition von minus 15 Prozent bis zum Jahre 2010 sehr wohl in der Lage waren, die Japaner inständigst zu bitten und zu drängen, nun endlich auch für die Konferenz in Kyoto eine Verhandlungsposition vorzulegen. Ich denke, in dieser Richtung sind wir Vorreiter und unserer Rolle gerecht geworden. Wir werden uns mit diesem Thema in den nächsten Wochen und Monaten noch ausführlich befassen müssen. Nun, meine Damen und Herren, ist es natürlich so, daß wir national verpflichtet sind, weitere Schritte zu unternehmen. Hier haben wir im Juni bei einer Zwischenbilanz einen sehr breiten Diskussionsprozeß über Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung abgeschlossen. In verschiedenen Themengruppen haben wir über 130 Gruppen aus allen Teilen der Gesellschaft in die Diskussion einbezogen und gefragt, welche Ziele wir im Bereich des Umweltschutzes verfolgen müssen, um dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung - ich glaube, wir sind uns einig, daß wir genau dieses wollen - gerecht zu werden. Mit diesem Diskussionsprozeß haben wir einen neuen Weg beschritten und versucht, aus den Beiträgen der gesellschaftlichen Gruppen Zielvorstellungen abzuleiten. Ich muß aber sagen, daß es weiterhin - nach diesem Diskussionsprozeß noch mehr als vorher staatliche Aufgabe bleiben wird, bestimmte Zielvorstellungen zu formulieren und über sie anschließend wieder zu diskutieren; denn die Verständigung auf quantifizierbare Zielvorstellungen im Bereich des Umweltschutzes ist in der Diskussion mit den gesellschaftlichen Gruppen sehr schwierig. Meine Damen und Herren, wir haben in der zurückliegenden Zeit auf dem Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung einiges erreicht. Ich möchte hier nur noch einmal an die Kfz-Steuerreform für Pkw erinnern, die zum 1. Juli 1997 in Kraft getreten ist. Dies ist die exemplarische Anwendung von umweltökonomischen Instrumenten, um bei der Reduzierung von Abgasen und Schadstoffen voranzukommen. Mit der Verabschiedung von Euro 3 und der Richtwerte für Euro 4 werden wir es schaffen, daß im Jahr 2000 im Vergleich zu den frühen 80er Jahren durch technische Weiterentwicklungen voraussichtlich nur noch ein Dreißigstel der Emissionen eines Pkws anfallen wird. Das wollen wir fördern und steuerlich begünstigen. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt. ({4}) - Nicht in die falsche Richtung. ({5}) Wir haben verschiedene internationale Schwerpunkte. Ich möchte hier darauf verweisen, daß wir in der nächsten Woche - jetzt schon begonnen als VorBundesministerin Dr. Angela Merkel konferenz - das zehnjährige Jubiläum des Montrealer Abkommens in Montreal mit einer internationalen Konferenz begehen. Deutschland war auf diesem Gebiet erfolgreich. Wir setzen von 1997 bis 1999 ungefähr 540 Millionen US-Dollar ein, um den Fonds zur Minderung von FCKW in Entwicklungsländern zu speisen. Wir sind mit rund 50 Millionen US-Dollar der drittgrößte Beitragszahler. Auch diese Leistung muß einmal gewürdigt werden. ({6}) Wir werden uns auf der Konferenz in Montreal - ich werde am Montag und Dienstag kommender Woche selber dorthin fahren - insbesondere dafür einsetzen, daß Methylbromid und H-FCKW möglichst schnell ausgesondert werden. Ich muß an dieser Stelle sagen, daß ich mir hier eine anspruchsvollere Verhandlungsposition der Europäischen Union gewünscht hätte, was Methylbromid anbelangt. Wir haben uns da mit einer gemeinsamen Verhandlungsposition sehr schwergetan. Deutschland wäre gerne weitergegangen. Meine Damen und Herren, wenn wir uns einmal den BMU-Haushalt anschauen, dann stellen wir fest: Der Naturschutz ist nach wie vor einer unserer Hauptschwerpunkte und eines der Gebiete, auf denen wir sogar eine Erhöhung der Mittel zu verzeichnen haben. So wird im Bereich der Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes eine Steigerung um 21,9 Prozent auf 13,3 Millionen DM zur Debatte stehen - ich hoffe, das wird auch vom Parlament unterstützt -, und die Fördermittel für Naturschutzgroßprojekte steigen von 41,5 auf 42 Millionen DM. Ich denke, auch dies ist ein sehr positives Zeichen in Zeiten wirklich knapper Finanzen. Ich weiß mich mit unserem Berichterstatter auch sehr einig darin, daß wir dies weiter machen wollen. Aber es geht nicht an, daß lediglich der Bund die Mittel für den Naturschutz steigert und daß an vielen anderen Stellen einfach Schutzgebiete ausgewiesen werden und von Ausgleich nicht mehr die Rede ist. ({7}) Wir werden genau über diesen Punkt in den nächsten Tagen auch im Vermittlungsausschuß zu sprechen haben. Denn die Akzeptanz des Naturschutzes hängt ganz wesentlich davon ab, daß wir Naturschutz mit den Bewohnern und den Nutzern schaffen und nicht gegen sie. Ich erlebe immer wieder, auch gerade jetzt im Zusammenhang mit der Ausweisung von FFH-Gebieten, auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung der trilateralen Wattenmeerkonferenz, ziemlich viel Doppelzüngigkeit. Auf der einen Seite wird vor Ort nicht klar gesagt, welches Ziel der Naturschutz hat, was gemacht werden soll, wie der Management-Plan aussieht, was unter Schutz gestellt werden soll und was die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie für die Bevölkerung im entsprechenden Gebiet bedeutet, und auf der anderen Seite wird großartig ausgewiesen, gemeldet, oder es wird die Bundesregierung kritisiert. Genau so geht es nicht, weil dann die Menschen immer mißtrauischer gegenüber dem werden, was wir im Bereich des Naturschutzes machen wollen. Genau deshalb sage ich: Wir halten unsere Mittel konstant, wir erhöhen sie sogar leicht, und wir setzen damit das Zeichen, daß Naturschutz stattfinden soll, aber eben unter fairen Bedingungen. Wir werden weiterhin in den nächsten Tagen das Bundesbodenschutzgesetz im Vermittlungsausschuß debattieren. Ich sehe - das will ich hier ganz deutlich sagen - recht gute Möglichkeiten, die Beratungen des Bodenschutzgesetzes zu einem vernünftigen, kompromißfähigen Abschluß zu bringen. Ich glaube, wir haben hier von vornherein mit sehr offenen Karten gespielt; wir haben mit dem Gesetz - ich muß fast sagen: erstmalig - auch die Eckpunkte eines untergesetzlichen Regelwerkes vorgelegt. Deshalb bitte ich um konstruktive und faire Beratungen, um auch dieses bislang nicht geschützte Medium nun endlich zu schützen. Ein weiteres Gesetzgebungsvorhaben, das von größter Bedeutung ist, ist die Novelle der Verpakkungsverordnung. Wir stehen zur Zeit in sehr intensiven Gesprächen mit den Umweltministern der Länder. Aber man muß, wenn man etwas ablehnt und wenn man etwas ändern will - wie viele das in bezug auf die Verpackungsverordnung wollen -, wirklich auch vernünftige und mehrheitsfähige Alternativen aufzeigen. Es reicht weiß Gott nicht aus, wenn Herr Vahrenholt der Meinung ist, die Verpackungsverordnung tauge nichts und man müsse alles verbrennen, während man in Hessen und anderswo der Meinung ist, die Verpackungsverordnung tauge nichts, man dürfe aber natürlich gar nichts verbrennen, sondern man müsse alles mit schwarzen Punkten versehen und mit unendlich hohen Gebühren belegen. Es scheint ja wohl nicht möglich zu sein, unter den A-Ländern eine gewisse Gemeinsamkeit herzustellen. Daß eine Gemeinsamkeit mit der SPD-Bundestagsfraktion meistens sowieso nicht herzustellen ist, zeigt sich schon an Ihren intensiven Gesprächen mit Ihren Nachbarn. Aber das scheint heute Ihre Taktik zu sein. Wir suchen auch das Gespräch mit den Ländern, wenn es mit Ihnen nicht möglich ist. Ich nehme es interessiert zur Kenntnis, daß Sie sich so gut unterhalten. Der Sommer war lang; da wird ein solches Gespräch sicherlich notwendig sein. Ich hoffe dann auch auf sehr konstruktive Beratungen im Vermittlungsausschuß; das ist dort mindestens so dringlich wie jetzt das Zuhören bei meiner Rede. Wir haben insgesamt noch eine ganze Reihe von Aktivitäten auf den Weg zu bringen. Umweltschutz spielt sich nicht nur im Bereich des Haushaltes ab. Aber das, was ich Ihnen aus dem Bereich meines Haushaltes genannt habe, kann sich auch sehen lassen. Umweltschutz spielt sich national ab. Hier geht es darum, daß wir in der Rechtsetzung vorankommen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Fuchs?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ich möchte erst noch meinen Satz zu Ende bringen, dann ja. Umweltschutz spielt sich auch international ab. Da werden wir in diesem Jahr sowohl auf der Montrealer Konferenz als auch vor allen Dingen auf der Klimakonferenz in Kyoto noch sehr viel Verhandlungsspielraum nutzen müssen, um für den globalen Umweltschutz etwas zu erreichen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, würden Sie bitte freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß ich mit Kollegen auf den rückwärtigen Bänken geplauscht habe, weil ich als Mitglied des Vermittlungsausschusses gern wissen wollte, wie die Chancen sind, daß wir zu einem Kompromiß kommen. Insofern bitte ich, das als ein der Sache dienendes Gespräch anzusehen, weil mir sehr daran gelegen ist, daß wir ein gutes Vermittlungsergebnis erzielen.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ich nehme dies dankend zur Kenntnis, liebe Frau Kollegin Fuchs, und hoffe, daß alle Gespräche in Ihrer Nachbarschaft ebenso nützlich für die Umweltpolitik der Bundesregierung sind. ({0}) Herzlichen Dank. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Liesel Hartenstein, SPD-Fraktion.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Ihr gutes Recht, Frau Minister Merkel, bei Einbringung des neuen Haushalts eine Art Erfolgsbilanz vorzulegen. ({0}) Aber abgesehen davon, daß die vielgerühmte Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland so glänzend nicht ist, wie der Bundeskanzler es auf internationalen Konferenzen ständig darstellt ({1}) und wie Sie es auch hier wieder angesprochen haben, abgesehen davon, daß die vermeintlichen, gesetzgeberischen Großtaten des letzten Jahres - Beispiel Bundesnaturschutzgesetz, Beispiel Bodenschutzgesetz - zumindest in unseren Augen leider keine sind, muß doch die Frage gestellt werden: Reicht das alles aus? Ist es erlaubt, Frau Minister Merkel, gleichzeitig mit leichtem Schritt über die eigentlichen Zukunftsfragen hinwegzuhuschen? Wir meinen: Nein. ({2}) Der große Imperativ von Rio lautet: Nachhaltigkeit. Dies muß das Ziel allen Wirtschaftens in der Zukunft sein, wenn die Menschheit überleben will. Sie haben, Frau Minister Merkel, vor diesem Imperativ pflichtgemäß Ihre Verbeugung gemacht und natürlich auch auf den entsprechenden Bericht Ihres Hauses hingewiesen. So weit, so gut. In Ihren Darlegungen sind Sie, meine ich, aber gar nicht zum Kernpunkt dessen vorgedrungen, was hier eigentlich diskutiert werden müßte. Das Zukunftskonzept einer umweltgerechten, nachhaltigen Entwicklung für unser Land ist - jedenfalls habe ich es so verstanden - noch nicht einmal in Umrissen in Erscheinung getreten. Aber das müßte doch unser gemeinsames großes Thema sein. ({3}) Die Beschlüsse von Rio sind - darüber sind wir uns, glaube ich, einig - eine Chance für einen globalen und nationalen Reformprozeß, eine Chance nicht nur für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch für die Bekämpfung der Armut weltweit, für technischen Fortschritt und für neue Arbeitsplätze. Die SPD-Fraktion - lassen Sie mich daran erinnern - hat ihre Konzepte und Programme dafür längst auf den Tisch gelegt. Lassen Sie uns doch über diese debattieren, wenn Sie schon kein eigenes Konzept auf die Beine stellen. ({4}) Schon in den vergangenen Jahren hat die Umweltindustrie zu den Branchen gehört, die trotz Krise erhebliche Arbeitsplatzzuwächse zu verzeichnen haben. Heute arbeiten in unserem Land fast 3 Prozent aller Beschäftigten in diesem Bereich. Schon das allein müßte uns doch aufrütteln und die Phantasie beflügeln. Kein Zweifel aus unserer Sicht: Wir müssen diese Chancen ergreifen. Wir müssen national beginnen, und wir müssen jetzt beginnen. Jedes Jahr der Untätigkeit ist ein verlorenes Jahr für den ökologischen und sozialen Strukturwandel. Es vergrößert nur die Hypotheken für die zukünftigen Generationen. Der erste Schritt muß sein: die Integration der ökologischen Erfordernisse in die anderen Politikbereiche, also in die Energiepolitik, die Wirtschafts- und die Verkehrspolitik, die Agrar- und die Forschungspolitik. Hier läßt die Bundesregierung unbegreiflicherweise ein großes Vakuum entstehen - und dies, obwohl die Integrationsförderung auch im Maastricht-Vertrag und im Fünften Umweltaktionsprogramm der Europäischen Union steht. Hier ließe sich, Frau Minister Merkel, wirklich eine neue VorreiterDr. Liesel Hartenstein rolle gewinnen. Die alte gehört eigentlich nur noch zu den gut gepflegten Illusionen. ({5}) Was ist zu tun? Nehmen wir das Beispiel Mobilität. Wie es da aussieht, haben wir in der Verkehrsdebatte soeben verfolgen können. Sie haben das neue KfzSteuer-Gesetz angesprochen. Sie haben gesagt: Das Auto-Recycling ist im Kommen; warten wir mal ab. Die Industrie hat versprochen, den Benzinverbrauch um 25 Prozent zu verringern. Gut und schön. Natürlich ist keine dieser Maßnahmen für sich genommen überflüssig oder falsch. Aber mit der Forderung nach einem nachhaltigen, umweltschonenden, zukunftsfähigen Verkehrssystem hat dies alles noch herzlich wenig zu tun. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch in die Moderne - nicht nur im Verkehrsbereich, aber auch im Verkehrsbereich. Modern im Sinne des 21. Jahrhunderts wäre es, wenn der Schwerlastverkehr endlich von der Straße auf die Schiene verlagert würde - immer wieder versprochen, nicht realisiert -, ({6}) wenn zügig eine Kette von Güterumschlagsterminals gebaut würde und dafür vorrangig die nötigen Gelder bereitgestellt würden - immer wieder versprochen, nicht realisiert -, ({7}) wenn man sich darauf konzentrieren würde, mit einem europäischen Schnellbahnnetz die Hauptstädte und die großen Wirtschaftszentren so schnell wie möglich miteinander zu verbinden, ({8}) wenn wir endlich aufhören würden, die Landschaft durch weitere Betontrassen zu zerschneiden, und wenn nicht zuletzt jeder Verkehrsträger endlich mit den Kosten belastet würde, die er tatsächlich verursacht. ({9}) Aber davon sind wir noch weit entfernt. Geschähe dies, dann wäre es nämlich höchst unwirtschaftlich, den berühmten Erdbeerjoghurt mit allen seinen Zutaten, samt Verpackung und Deckel, im Schnitt 8000 Kilometer weit zu transportieren, bevor er beim Verbraucher ankommt - wahrlich ein abstruses System, das wir uns da leisten. ({10}) Würden die klimaschädlichen Emissionen, die Landschaftszerstörung durch Straßenbau, der Artenverlust, die Lärmschäden auf den Preis aufgeschlagen, dann wären solche Transportorgien ökonomisch überhaupt nicht mehr interessant. ({11}) Unser Fazit lautet: Das ökologisch Schädliche muß teurer, das ökologisch Verträgliche muß dagegen billiger, also auch ökonomisch vorteilhafter werden. Im Klartext heißt das: Umweltverschmutzung darf sich nicht mehr rechnen. Dazu brauchen wir eine ökologische Steuerreform. ({12}) Erst wenn wir so weit sind, daß Verstöße gegen das Nachhaltigkeitsprinzip gleichzeitig auch wirtschaftliche Nachteile bringen, ist der Durchbruch geschafft, erst dann. Ich habe von einem Aufbruch in die Moderne gesprochen. Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Innovationsoffensive zur Ökologisierung von Produkten und Verfahren. ({13}) Modern und zukunftsweisend sind Produktionsformen, die die gleiche Leistung mit weniger Ressourcenverbrauch erbringen. Wenn zum Beispiel die gleiche Menge Papier mit nur einem Drittel des bisher benötigten Frischwassers hergestellt werden kann und damit auch das Abwasseraufkommen vermindert wird, dann ist dies ein echter Fortschritt. Modern ist ebenso, wenn sich Bauweisen durchsetzen, die nur noch 50 bis 60 Prozent der üblichen Heizenergie brauchen, ({14}) oder Haushaltsgeräte, die mit einem Viertel des bisherigen Stromverbrauchs auskommen. Die Beispiele ließen sich vervielfachen. Ressourcenproduktivität und Energieproduktivität lassen sich erheblich steigern; das ist heute unbestritten. Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" hat dafür eine Fülle vorzüglicher Angebote geliefert. Warum lassen Sie dieses Kapital brachliegen? ({15}) Meine Damen und Herren, fortschrittliche Umweltpolitik und Innovationsfreudigkeit gehen Hand in Hand. Das hat sich auch schon in der Vergangenheit gezeigt. Aber die Politik hat die Vorgaben zu liefern und hat die Ziele abzustecken. Deswegen meine Forderung nach einem zweiten notwendigen Schritt: Heute gilt es, die Rahmenbedingungen neu zu setzen. Die Bausteine für die ökologische Modernisierung liegen praktisch auf der Straße. Aber die Bundesregierung ist entweder nicht fähig oder nicht willens ({16}) - vermutlich beides -, sie aufzunehmen und daraus einen neuen Ordnungsrahmen zu zimmern. Ökologische Modernisierung ist dringend geboten. Aber wir wissen alle - lassen Sie mich das hinzufügen -, daß es nicht um eine schockartige Kehrtwende gehen kann. Vielmehr ist ein behutsamer, schrittweiser, dennoch zielgerichteter und konsequenter Umbau nötig, flankiert von Forschungsanstrengungen und einem Anreizsystem, das die technische und ökonomische Kreativität in eine neue Richtung lockt. ({17}) Meine Damen und Herren, alles hängt von der Beantwortung der Frage ab: Wohin wollen wir? Genau hier zeichnet sich die Bundesregierung durch eine erschreckende Sprachlosigkeit aus, oder zumindest herrscht völlige Uneinigkeit innerhalb der Ressorts. Die Minister Rexrodt, Wissmann und Borchert wollen mit Sicherheit etwas anderes als die Umweltministerin, stelle ich mir vor. Deshalb müssen zum Beispiel Fragen wie folgende gestellt werden: Wo bleibt der Einspruch der Umweltministerin gegen das Energiewirtschaftsgesetz der Bundesregierung, das dem Klimaschutz brutal in den Rücken fällt? ({18}) Was hat Frau Merkel unternommen - Sie sagen vielleicht: olle Kamellen -, als die Deutsche Post AG in einem Hauruckverfahren 33 Frachtpostzentren ohne jede Anbindung an die Schiene auf die grüne Wiese gesetzt hat? Da hätte es durchaus noch Einflußmöglichkeiten gegeben. Meine dritte und letzte Forderung: Es ist unerläßlich, Umweltziele festzulegen, das heißt, verbindlich und deutlich festzulegen, was wir wollen, zum Beispiel in einem nationalen Umweltplan, den andere Länder längst haben: etwa eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien in einem bestimmten Zeitraum, die Erhöhung der Stoffproduktivität, eine Rückführung des Flächenverbrauchs usw. Damit würde der technische Erfindergeist herausgefordert und zu neuen ökologisch sinnvollen Entwicklungen veranlaßt. Aber: Wer das Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht finden. Das ist eine alte Erfahrung. ({19}) Mein dringender Appell: Schlagen Sie endlich einen Pflock ein, der das Ziel markiert. Dann werden sich viele Akteure bereitfinden mitzumarschieren, nicht zuletzt die Städte und Gemeinden; denn Hunderte von Kommunen haben bereits aus eigenen Kräften begonnen, die Lokale Agenda 21 umzusetzen. Sie brauchen Hilfe, sie könnten Motor des ökologischen Umbaus werden. Warum verbinden Sie sich nicht mit den Kommunen? Ich möchte Sie dazu auffordern,

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- beispielsweise ein Programm für Altbausanierung aufzulegen. Damit könnten europaweit 3 Millionen Arbeitsplätze für 15 Jahre geschaffen werden. Packen Sie das an! Das wäre eine große Chance im Sinne des Nachhaltigkeitsgebots von Rio. Ergreifen Sie, ergreifen wir diese Chance. Danke schön. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner, CDU/CSU.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Ministerin hatte soeben mit ihrer Bemerkung recht, daß die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion offensichtlich nicht zuzuhören bereit sind; denn sonst hätte sich Ihre Forderung, Frau Kollegin Hartenstein, zu einem großen Teil erübrigt. ({0}) Dazu hatte die Ministerin nämlich schon deutliche Ausführungen gemacht. Es nützt auch nichts, wenn Sie Argumente in gebetsmühlenartiger Weise wiederholen ({1}) und ständig darauf hinweisen, ({2}) die Ministerin würde sich nicht durchsetzen, wenn sie klipp und klar ihre Politik des abgelaufenen Jahres darstellt und Sie zur Kenntnis nehmen müssen, daß an einer ganzen Reihe von Stellen Erfolge erzielt worden sind, die Sie nicht wegreden können. ({3}) Ich möchte mich noch mit einer Äußerung der Frau Kollegin Matthäus-Maier auseinandersetzen, die heute in Ihrer Rede neben vielen - ich sage: beabsichtigten - Falschinterpretationen zum vorliegenden Haushaltsentwurf auch Falsches zu diesem Ministerium gesagt hat. ({4}) Frau Kollegin Matthäus-Maier hat die Bundesregierung aufgefordert, Mittel aus dem Bereich der Reaktorsicherheit aus dem Kapitel 16 07, dem Bundesamt für Strahlenschutz, in großem Umfang zur Finanzierung von Umweltschutzaufgaben umzupolen. Ich kann nur sagen: Glücklicherweise besteht nicht die Gefahr, daß Frau Matthäus-Maier in einer Bundesregierung für den Bereich Haushalt Verantwortung zu tragen hat; denn wenn eine solche Gefahr bestünde, dann müßten wir sagen: Sie versteht das Ganze nicht, oder Sie versteht es - und das sage ich - absichtlich nicht. Bei diesem Bereich des Amtes für Strahlenschutz handelt es sich um einen refinanzierten Bereich. Dieser refinanzierte Bereich läßt sich nicht für andere Aufgaben des Bundeshaushalts einsetzen. Oder um es einmal deutlich zu sagen: Das erinnert mich in etwa daran, daß Frau Matthäus-Maier in ein Geschäft geht und sich ein Kleid kauft. Sie bekommt das Kleid von der Verkäuferin gezeigt, muß es auch bezahlen, aber die Verkäuferin händigt das Kleid anschließend einer anderen Kundin aus.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau diese Art Politik wird hier gemacht. Das ist Augenwischerei. Damit soll in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, die Bundesregierung handle an einer Stelle nicht, wo sie gar nicht handeln kann, weil die haushaltstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben sind. ({0}) Ich nenne eine solche Vorgehensweise, wie sie Frau Matthäus-Maier hier vorgeführt hat, schlicht und einfach unredlich, weil sie ganz genau weiß, daß das nicht geht.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gestatten Sie die Zwischenfrage der Abgeordneten Hendricks oder nicht?

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gut.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kriedner, auch ich bin heute morgen in der Debatte gewesen. Meine Erinnerung ist eine andere. Darf ich Sie also bitten, einfach mit mir gemeinsam das Protokoll von heute noch einmal zu überprüfen? Dann werden wir sicherlich gemeinsam feststellen, daß Frau Matthäus-Maier nicht vom Bundesamt für Reaktorsicherheit gesprochen hat, sondern von der Forschungsförderung im Bundeshaushalt des Bundesforschungsministeriums und überhaupt nicht vom Haushalt des Bundesumweltministeriums. Wenn wir dies gemeinsam im Protokoll feststellen, sind Sie dann bereit, Ihre Anwürfe, die ich - das sage ich einmal vorsichtig - als etwas überzogen betrachte - man kann es auch etwas anders ausdrücken -, zurückzunehmen? ({0})

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben eben das Stichwort gegeben. Was Sie hier versuchen, ist natürlich ein Ablenkungsmanöver; denn der Kontext heute morgen war sehr deutlich. Aus diesem Grund habe ich dem, was ich eben gesagt habe, nichts hinzuzufügen. ({0}) - Selbstverständlich war ich dabei, sonst würde ich mir nicht erlauben, diese Äußerungen hier zu machen. ({1}) - Ich habe sehr aufmerksam zugehört, gerade weil Frau Matthäus-Maier zu dem Bereich, zu dem ich jetzt rede, gesprochen hat. ({2}) - Frau Fuchs, es tut mir leid, wenn Ihnen die Tränen kommen, aber das passiert gelegentlich auch uns, wenn Sie reden. ({3}) - Wir müssen alle mit vielem leben. Ich bleibe beim Thema Strahlenschutz. Die Frau Ministerin hat schon etwas zum Thema Energiemix gesagt. Ich will noch einmal deutlich machen, daß beim gegenwärtigen Stand der Technik - da nützt auch der Versuch von Gesundbeterei nichts - der Verzicht auf Energiemix, das heißt auf Einsatz der Kernenergie, bedeuten würde, daß die CO2-Bilanz in unserem Land jährlich um 150 Millionen Tonnen Kohlendioxyd weiter und zusätzlich belastet würde. Damit würden alle Bemühungen, die CO2-Belastung bis zum Jahr 2005 um ein Viertel zurückzuführen - daran hält die Bundesregierung, das haben wir eben vernommen, fest -, zum Scheitern verurteilt. Aus diesem Grund gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Energiemix keine darstellbare Alternative. ({4}) Lassen Sie mich noch etwas im Zusammenhang mit dem gesamten Haushalt sagen. Auch hier ist von der Frau Ministerin bereits zurückgewiesen worden, daß der Gesamthaushalt unzumutbar sinken würde. Ich will noch einmal hervorheben: Wir haben bei den gemeinsamen Bemühungen, in den vergangenen Jahren Strukturverbesserungen im Haushalt zu erreichen - ich sage: gemeinsame Bemühungen, weil auch die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition dabei hilfreich waren; ich räume das durchaus ein -, einige Erfolge hinsichtlich der Aufstockung von Mitteln erzielt. Ich bin sehr dankbar, daß die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushaltes diese Schwerpunkte durch entsprechende Schwerpunktsetzung auch anerkannt hat. Ich weise noch einmal darauf hin - man kann es nicht oft genug sagen, weil sonst in Reden seitens der Opposition immer wieder etwas anderes behaupArnulf Kriedner tet wird -: Die Umweltforschungsmittel werden um 2 Millionen DM angehoben. Das ist eine Erhöhung auf 55,1 Millionen DM, eine Erhöhung um 3,8 Prozent. Die Förderung für Naturschutzprojekte wird - wenn auch nur um eine halbe Million DM - angehoben. Da haben wir aber bereits in der Vergangenheit für Anhebungen gesorgt. Ich finde die Steigerung bei den Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes besonders erfreulich. Hier ist nämlich eine Steigerungsrate von 21,9 Prozent auf jetzt 13,3 Millionen DM im Haushalt vorgesehen. Das sind Erfolge einer kontinuierlichen Arbeit. ({5}) Meine Damen und Herren, wir haben eine deutliche Kürzung der Umweltschutzprojekte Inland in diesem Ansatz zu konstatieren. Im Regierungsentwurf gibt es eine Senkung von jetzt 50 Millionen DM um 3,5 Millionen DM auf 46,5 Millionen DM. Das sind immerhin 7 Prozent. Das Bundesministerium für Umwelt hat die Kürzung schwerpunktmäßig auf Pilotprojekte Inland konzentriert.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Lennartz, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, oder warum stehen Sie? - Ich bitte Sie, sich hinzusetzen, weil es verwirrend ist, wenn Sie stehen. ({0}) - Ich bitte darum, daß wir jetzt wieder den Redner reden lassen.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Und daß mir eine Minute gutgeschrieben wird, Frau Präsidentin. Ich will noch einmal zu diesem Ansatz kommen, weil ich, Frau Ministerin, auch eine kritische Berner-kung machen muß. ({0}) Denn es ist unverständlich - darüber wird im Berichterstattergespräch zu reden sein -, wieso bei dem Ansatz Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen, obwohl wir dafür gesorgt haben, ihn bei der letzten Etataufstellung auf 50 Millionen DM zu erhöhen, bisher - plus minus - ganze 6 Millionen DM ausgegeben worden sind. Ich halte das für ein ausgesprochen unsachgemäßes Vorgehen an dieser Stelle. Wir würden im Berichterstattergespräch gerne etwas darüber erfahren, wieso in einem so wichtigen Ansatz eine so geringe Mittelverausgabung bisher stattgefunden hat. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß der Haushalt des BMU nur einen Teil der Umweltschutzaufgaben des Bundes ausmacht. Insgesamt sind im Bundeshaushalt 1998 für Umweltschutzaufgaben Ausgaben von zirka 8,9 Milliarden DM vorgesehen. Ich weiß, daß es darüber einen erheblichen Streit gibt. Lassen Sie uns den Streit ruhig fortsetzen. Nichtsdestotrotz muß darauf hingewiesen werden, daß in dem Bereich, über den wir jetzt beim Einzelplan 16 sprechen, nicht alles definiert ist, sondern daß es eine ganze Reihe von Zusatzleistungen gibt. Abschließend will ich noch bemerken, daß die Maßnahmen, die im Haushalt stehen, durch ein beabsichtigtes Kreditförderprogramm für den Umweltschutz auf Bundesebene im Jahr 1998 ergänzt werden, das immerhin ein Volumen von fast 13 Millionen DM umfaßt. Das ist natürlich ein beachtliches Volumen. Ich denke, daß das vorzeigbar ist. Alles in allem ist unter den schwierigen Bedingungen, unter denen der Haushalt in diesem wie auch im vorigen Jahr steht, die Quote, die der Haushalt aufweist, vertretbar. Die Schwerpunktsetzung, die das Parlament gewollt hat, ist von der Bundesregierung nachvollzogen worden. Wir werden in den Einzelberatungen versuchen, an der einen oder an der anderen Stelle noch Anmerkungen zu machen, und vielleicht eine weitere Verstetigung dieser Ansatzschwerpunkte erreichen. Ich danke jedenfalls dafür, daß Sie sich, Frau Ministerin, Wünschen nach größeren Kürzungen im Kernbereich Ihres Haushalts entgegengesetzt haben. Jetzt gehen wir an die Arbeit und sehen, daß wir mit dem Haushalt ein vernünftiges Verfahren finden. Vielen Dank. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Minister Waigel verschiebt die Lasten auf zukünftige Generationen und auch auf zukünftige Legislaturperioden, indem er das Tafelsilber verscherbelt und Schattenhaushalte aufbaut. Danach macht er sich natürlich aus dem Staub und will die Verantwortung für seine Politik nicht mehr übernehmen. In der Umweltpolitik passiert im Prinzip etwas Ähnliches. Was den Klimaschutz betrifft, ist in den letzten vier Jahren, also in dieser Legislaturperiode, bisher überhaupt nichts geschehen. Damit sind vier Jahre auf dem Weg verschenkt worden, das Ziel zu erreichen, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emmissionen um 25 Prozent zu reduzieren. Es gibt neueste Erkenntnisse über den El Nino, die die Wissenschaftler vor großen, schweren Dürren und Unwetterkatastrophen warnen. Vielleicht war der Oderbruch noch keine Konsequenz der Klimakatastrophe, aber so sähe es aus, wenn wir uns in einer ökologischen Katastrophe befänden. Dies kann für zukünftige Generationen ganz konkret sehr viel Leid bedeuten und sehr teuer werden. Minister Waigel ist amtsmüde. Wie sieht es bei Frau Merkel aus? Ich kann es gut verstehen, daß man dann, wenn man in diesem Kabinett nichts durchsetzt, eventuell keine Lust mehr zu diesem Job hat. Ich weiß, daß es zur Zeit nicht einfach ist, Umweltpolitik zu machen. Aber ich werfe Ihnen vor, daß Sie nicht das tun, was möglich wäre, und nicht dafür kämpfen, sondern einen Hauptteil Ihrer Kraft dafür einsetzen, Castortransporte mit Polizeieinsatz durchzusetzen. Der Rest der Kraft geht für Abwiegelungen drauf. Dann ist auch schon die Luft raus. ({0}) Frau Merkel, wir alle teilen die Einschätzung, daß das Klimaschutzziel nicht erreicht wird - das haben Sie mehrfach gesagt -, wenn es so weitergeht. Wir alle teilen die Einschätzung, daß es sehr schwer wird, in Kyoto zu einem verbindlichen Protokoll zu kommen, und daß Europa als Gemeinschaft der alten Industrienationen eine besondere herausragende Bedeutung hat, um hier eine Führungsrolle zu übernehmen. Präsident Clinton hat dies auch noch einmal auf der Konferenz in New York betont. Sie haben für das Frühjahr 1997 ein Klimaschutzprogramm angekündigt, mit dem Sie nachbessern wollten. Es ist nicht gekommen. Sie haben dann gesagt: im Herbst 1997. Davor stehen wir nun. Nun hätten Sie in Ihrer Rede heute konkret sagen müssen, was passiert. Aber nichts, kein einziges Wort ist gekommen. ({1}) Aufforderungen an Japan reichen in keiner Weise aus, um dieser Rolle gerecht zu werden. Für den Eurofighter sind in diesem Jahr 800 Molionen DM und insgesamt 25 Milliarden DM vorhanden. Für die Altbausanierung, wodurch man viele Arbeitsplätze, und zwar nicht nur in Bayern, sondern flächendeckend, schaffen könnte, stehen gerade einmal 20 Millionen DM im Haushalt. Das ist das Mißverhältnis dieses Haushaltes. ({2}) Wenn es nun in dieser Zeit schwer ist, Umweltpolitik zu machen, muß man sich darauf konzentrieren, wofür man breiteste Zustimmung aus der Gesellschaft erfährt. Es gibt einen Bereich, wo das Bündnis nicht breiter sein kann. Für diesen Bereich sind sowohl die Gewerkschaften, sowohl die Umweltverbände, sowohl der größte Unternehmensverband Deutschlands, der VDMA mit 3000 Unternehmen und 230 Milliarden DM Umsatz, als auch die Bauernverbände. Im Prinzip gibt es nur eine kleine radikale Minderheit, die dagegen ist, das sind die Stromkonzerne. Ich glaube, Sie wissen, wovon ich rede. Es ist die Förderung erneuerbarer Energien. ({3}) Die Situation ist hier zur Zeit sehr heiß. Der kleinen radikalen Minderheit der Stromkonzerne ist es tatsächlich gelungen, einzelne Abgeordnete aus den Reihen der Union zu gewinnen, die sich jetzt aufmachen, um die Einspeisevergütung abzusenken und damit die Ausweitung von Windkraft im Binnenland abzubrechen. Ich frage Sie nun ganz konkret, und zwar einzeln. Frau Merkel, es gibt verschiedene Abgeordnete der Union, die gesagt haben, daß sie dagegen vorgehen wollen. Das sind Dietrich Austermann, Peter Carstensen, Werner Dörflinger, Armin Laschet und Peter Ramsauer. Sie haben öffentlich gesagt, das werden sie so nicht mitmachen. ({4}) Das begrüße ich. Herr Hirche hat gestern eine Pressekonferenz mit dem VDMA gemacht - das fand ich sehr gut -, auf der er gesagt hat, dieses macht er nicht mit. Ich möchte von Ihnen, Frau Merkel, wissen: Werden Sie dann, wenn es hart auf hart kommt, dagegen stimmen? Ich möchte von Herrn Lippold - er redet gleich noch - wissen: Werden Sie dagegen stimmen, daß die Einspeisevergütung gesenkt wird, und werden Sie sich für eine wettbewerbsneutrale Anpassung des Stromeinspeisungsgesetzes, wie die Grünen es vorschlagen, einsetzen? Ich möchte von Frau Homburger wissen, wie sie sich in diesem Streit verhalten wird. Sie waren bei der Anhörung dabei und haben gesehen, daß tatsächlich ein Fahnenriß droht. Wie werden Sie sich in diesem Konflikt verhalten? Auch Frau Glücklich könnte dazu eine Position entwickeln. ({5}) Ich erwarte erstens die Unterstützung der Umweltpolitiker, um die Senkung der Einspeisevergütung zu verhindern, und zweitens, daß wir Seite an Seite gemeinsam einstimmig durchsetzen, daß das Stromeinspeisungsgesetz so, wie es die Grünen vorgeschlagen haben, in den Wettbewerb herübergerettet wird, indem man die Netzbetreiber in Zukunft verantwortlich macht, damit gleichzeitig den regionalen Ausgleich herstellt und den Importstrom über die Netzgebühren belasten kann, damit das Gesetz wettbewerbsneutral ist. Ich erhoffe mir jetzt von den Umweltpolitikern, daß wir Seite an Seite gegen die kleine radikale Minderheit in Ihrer Partei und gegen die Stromlobbyisten kämpfen. ({6}) Noch ein kurzes Wort zum nationalen Umweltplan: Frau Merkel, ich finde es im Prinzip gut, daß Sie langsam an das Thema heranrobben mit Ihren Schritten zur nachhaltigen Entwicklung. Aber eins ist doch klar: Sie machen dabei zwei Fehler. Der erste Fehler ist, daß dies ein unverbindlicher Prozeß ist - Sie wollen jetzt ja auch die Arbeitsgruppen auflösen, so hörte ich -, bei dem keine konkrete Zeitangabe da ist, so daß man also nicht sagen könnte: Jetzt werden wir auch zu konkreten Zielen kommen, die wir dann tatsächlich umsetzen werden. Der zweite Fehler ist, daß Sie so tun, als ob Sie sagen wollten: Hoffentlich merkt es keiner im Kabinett. Sie wollen es am Kabinett vorbei machen, und die restlichen Minister wursteln weiter vor sich hin. Einen nationalen Umweltplan muß man, wenn er denn ein richtiges Instrument sein soll, sozusagen ins Zentrum der Politik stellen. Bundeskanzler Kohl muß dafür die Federführung haben, und die Minister, die in diesen Bereichen tätig sind, wie Rexrodt, Wissmann, Borchert und Waigel, müssen für diesen Plan mit in die Pflicht genommen werden, damit dann tatsächlich im Sinne einer ökologischen Wirtschafts-und Finanzpolitik das umgesetzt wird, was man in diesem Plan entwickelt. ({7}) Ich glaube, daß der nationale Umweltplan ein ausgezeichnetes und modernes Instrument der Umweltpolitik ist, weil man damit gemeinsam die Verantwortung an die Verursacher zurückgeben kann, weil der Staat erst dann handelt, wenn es absolut notwendig ist, und weil man gleichzeitig große Anstöße für Innovationspolitik in diesem Land geben kann. Das ist hinsichtlich der Arbeitslosigkeit auch absolut notwendig. Danke schön. ({8})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Umweltministeriums, den wir heute diskutieren, und der vorgelegte Haushaltsentwurf sind, wie ich finde, eine gute Grundlage für die erfolgreiche Arbeit des Bundesumweltministeriums. Ich denke, daß man durchaus hervorheben kann, daß die Mittel für die Umweltforschung, aber auch die Mittel für Naturschutzprojekte, insbesondere auch für internationale Zusammenarbeit und für die Aufklärung in der Öffentlichkeit erhöht werden, wie der Kollege Kriedner dankenswerterweise schon im einzelnen dargelegt hat. Insofern - dazu hat sich die Ministerin ja auch bereits geäußert - kann man sagen, daß das, was den Umwelthaushalt betrifft, eine gute Grundlage für die weitere Arbeit ist. Damit werden auch die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Ich sage es noch einmal - diese Diskussion haben wir hier ja jedesmal -, auch in Reaktion auf die Opposition: Es ist falsch, den Stellenwert und die Qualität der Umweltpolitik allein an den Haushaltszahlen zu messen. Es kommt schließlich auf die politischen Entscheidungen an, mit denen wir die Rahmenbedingungen für den Umweltschutz bestimmen. Hier, denke ich, kann die Koalition durchaus eine gute Bilanz ziehen. Frau Kollegin Hustedt, wenn Sie sich wieder hier hinstellen und sagen, es hätten sich in den letzten zehn Jahren überhaupt nichts getan, in der Umweltpolitik sei überhaupt nichts erreicht worden, dann frage ich Sie einfach einmal, wo Sie eigentlich die letzten zehn Jahre gelebt haben. ({0}) Offensichtlich bekommen Sie von der Realität überhaupt nichts mit. Wir haben in diesen letzten zehn Jahren erreicht, daß der Rhein saniert wurde, daß in ihm wieder 150 statt vorher 27 Fischarten schwimmen. Wir haben die Abfallmengen in allen Bereichen reduziert. Bei der Luftreinhaltung ist erreicht worden, daß die Staubemissionen um zwei Drittel gesenkt worden sind, darüber hinaus, daß die SO2-Emissionen um drei Viertel. reduziert worden sind. Bei der Nordsee beispielsweise ist der Phosphoreintrag um die Hälfte, der Stickstoffeintrag um 25 Prozent reduziert worden. ({1}) Wir könnten das fortsetzen, fortsetzen und fortsetzen. Doch Sie stellen sich hier jedesmal hin und sagen: Es hat sich nichts getan. Ich kann Ihnen nur sagen: Gehen Sie einmal heraus aus Bonn, gucken Sie sich einmal an, was in diesem Land passiert ist! Dann reden wir noch einmal über das Thema. ({2}) Auch wenn man sich die aktuelle Situation in dieser Legislaturperiode und gerade in der letzten Zeit anschaut, sieht man, was sich getan hat. Wir haben die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz durchgesetzt, mit der wir den Stand der Technik auf alle Abwässer ausgedehnt haben. Ich nenne die Ausdehnung der Produktverantwortung durch die Altautoverordnung und die Batterieverordnung, die erst vor kurzem beschlossen worden ist. Ich nenne das Bodenschutzgesetz, mit dem wir endlich eine Lücke im Umweltschutz schließen, und die Novellierung des Naturschutzrechts und der Verpackungsverordnung, die Sie uns nie zugetraut haben. Jetzt nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis! Diese Koalition hat aktive Umweltpolitik betrieben und wird es auch weiterhin tun. ({3}) Die Bilanz könnte noch besser aussehen, wenn der Bundesrat seine Blockadepolitik im Umweltschutz beenden würde. Die Länder stellen doch letztendlich den Umweltschutz unter den Primat des Geldes: Zustimmung zum Bodenschutzgesetz nur gegen Altlastenfonds, Zustimmung zum Naturschutzgesetz nur gegen Finanzbeteiligung des Bundes. So verkommt Umweltpolitik schließlich zu einem finanzpolitischen Schacher, und SPD und Grüne klatschen dazu auch noch Beifall. Gerade die Stellungnahme des Bundesrates zum Bundesnaturschutzgesetz ist ein trauriges Beispiel dafür: Erst soll der Bund die Länder zu mehr Naturschutz zwingen, indem 10 oder 15 Prozent der Landesfläche zum Reservat erklärt werden sollen, und danach werden die mit unseren Regelungen verbundenen Kosten des Naturschutzes empört zurückgewiesen. Das, was wir fordern, sei schon zuviel, aber darüber hinaus müßten dann noch 10 bis 15 Prozent der Fläche als Naturschutzgebiet festgelegt werden. Dabei verkennt man vollkommen, daß das natürlich Geld kostet. Naturschutz kann man nämlich nur betreiben, wenn auch gepflegt wird. Sie sollten sich genau einmal überlegen, was Sie da fordern. Ich hoffe jedenfalls sehr, daß wir in den anstehenden Vermittlungsverfahren über vernünftige Wege im Umweltschutz und nicht über neue Wege in der Länderfinanzierung reden werden. In der heutigen Debatte ist aufgefallen, daß der Kollege Müller nicht geredet hat. Ganz anders ist es bei Ihnen, wenn es um die Darstellung in der Presse geht. Dann machen Sie eine Reihe von rhetorischen Muskelspielen. Ich finde, die wirken immer komischer. Sie sprechen nicht mehr für die SPD - das hat sich auch heute wieder offenbart. Die umweltpolitische Diskussion der SPD betreiben derzeit der Volkswagenpolitiker Schröder, der Wirtschaftspolitiker Clement und der Verbrennungspolitiker Vahrenholt. Ihnen reichen unsere Gesetze zur Verfahrensbeschleunigung nicht aus; sie erklären die Probleme im Gewässerschutz und in der Luftreinhaltung schlicht für erledigt; sie wollen Müllverbrennung statt -vermeidung und -verwertung. Natürlich wissen wir aus unseren Debatten alle, daß die Umweltpolitiker der SPD, die hier sitzen - ich mache ihnen überhaupt keinen Vorwurf -, das nicht wollen. Deshalb stelle ich noch einmal die Frage: Was will die SPD eigentlich? Diese Frage gilt für viele Bereiche: Sie gilt für die innere Sicherheit, für die Steuerpolitik, für die Energiepolitik und eben auch und ganz erheblich für die Umweltpolitik. Erst wenn Sie, Herr Kollege Müller, in den eigenen Reihen für Klarheit gesorgt haben, können Sie wieder glaubwürdig für Rezepte im Umweltschutz streiten. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch Ihre stumme Ergebenheit, mit der Sie diese Demontage der SPD-Umweltpolitik betrachten, spricht Bände. Wer mit dem Automann und Industriepolitiker regieren will, muß umweltpolitisch eben kleine Brötchen backen. Allein die Tatsache, daß sich der Herr Fischer inzwischen vegetarisch ernährt, macht eben noch kein ökologisches Programm. ({5}) Auf den Klimaschutzgipfel in Kyoto blicken wir alle mit Sorge. Wenn es uns dort nicht gelingt, bindende Verpflichtungen zur Senkung der Treibhausgasemmissionen zu erreichen, wird eine große Chance vertan. Der enorme Einsatz von Bundesumweltministerin Frau Dr. Merkel, die widerstrebenden Industriestaaten in ein Boot zu bekommen, verdient, finde ich, Anerkennung. Auf ihrer Reise, die sie vor kurzem nach China und Japan gemacht hat, hat sich wieder gezeigt, daß auch dort die Leistungen, die die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Dialog zur Erreichung einer Lösung dieses Problems vollbringt, Anerkennung finden. Ich finde, die Anerkennung ist verdient. Wir brauchen glaubwürdige Klimaschutzstrategien der Industriestaaten. Sonst können wir nämlich den sich entwickelnden Staaten, von denen wir gewaltige Steigerungen des Treibhausgasausstoßes erwarten müssen, keine Begrenzungen abverlangen. Deshalb fordert die F.D.P. die Bundesregierung auf, noch vor Kyoto mit einem Maßnahmenpaket aufzuzeigen, wie das Klimaschutzversprechen erfüllt werden soll. Eine Reihe von Zielen haben wir schon erreicht, aber es gibt - das habe ich mehrfach' gesagt - weiteren Handlungsbedarf. Diesen Handlungsbedarf werden wir aufgreifen; wir werden auch dafür aktiv eintreten und entsprechende Vorschläge machen. Sie werden erleben, daß all das, was Sie uns jetzt wieder nicht zutrauen, in Zukunft erreicht wird. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe. Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht ganz einfach, über den Haushalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu sprechen; denn mit 1,22 Milliarden DM, also nicht einmal 0,3 Prozent des Bundesetats, ist er aus ökologischen Gründen schon vom Volumen her nicht der Rede wert. Unter dem Aspekt einer nachhaltigen umweltverträglichen Entwicklung liegt es deshalb nahe, auch auf andere Teile des Bundeshaushalts Bezug zu nehmen. Die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsparteien haben ja hierauf schon Bezug genommen; auch ich werde es nachher tun. Doch auch an der Entwicklung des Einzelplans 16 selbst ist zu erkennen, welchen Stellenwert Umweltpolitik in Deutschland einnimmt. Wird der vorliegende Entwurf Realität, dann sinkt der Umweltetat - wenn ich ihn überhaupt so nennen darf; wir alle wissen, daß es zur Hälfte ein Atomhaushalt ist - im Vergleich zu 1995 um fast 11 Prozent. Allein im Vergleich zum laufenden Jahr reduziert er sich wiederum um 5,2 Prozent. Zieht man in Betracht, daß nur der Stammhaushalt des Einzelplans 16 und nicht der durch die Atomwirtschaft refinanzierte Bereich direkt oder indirekt etwas mit dem Schutz der Umwelt zu tun hat, wird das Bild noch krasser; denn der Stammhaushalt sinkt mit dem Etatentwurf 1998 im Vergleich zu 1995 sogar um 13,3 Prozent. In dieser Lesung werde ich nicht auf Einzelheiten eingehen. Es ist wiederum offensichtlich, welches Kapitel hauptsächlicher Verlierer dieses Sparprogramms ist: der Block „Allgemeine Bewilligungen, Umweltschutz, Naturschutz ", welcher seit 1994 um ein Viertel gekürzt wurde. Am meisten hatten darunter die Investitionen zur Reduzierung von Umweltbelastungen zu leiden. Im Haushalt 1998 betragen sie nur noch 20 Prozent des Volumens von 1993. Dies ist eine Entwicklung, die angesichts der sich global verschärfenden Umweltprobleme unerklärlich ist. Sie wird natürlich mit der Haushaltslage und mit zahlreichen vermeintlichen Erfolgen und hoffnungsvollen Programmen im Umweltschutz begründet. Von der Koalition wird dabei allerdings geflissentlich übersehen: Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrem gigantischen Ressourcenverbrauch und ihrer Wirtschaftskraft, die anderen Ländern ein ähnlich energie- und rohstoffverschlingendes Wirtschaftsmodell aufzwingt, nach wie vor eines der zentralen globalen Probleme. Der Rohstoffverbrauch stieg in den alten Bundesländern von 1970 bis 1990 um 35 Prozent, das heißt durchschnittlich jährlich um 1 Prozent, der Primärenergieverbrauch ebenfalls jährlich um 1 Prozent, der Gütertransport gar um 1,5 Prozent. In den letzten Jahren hat sich die Situation deutlich geändert, allerdings nicht in Richtung der seit Anfang der 90er Jahre selbst von der Bundesregierung verbal aufgegriffenen Nachhaltigkeit. Der Ressourcenverbrauch ist zwischen 1990 und 1994 förmlich explodiert. Die Rohstoffentnahme pro Kopf der Bevölkerung ist in diesen vier Jahren laut Statistischem Bundesamt um durchschnittlich jährlich 6,6 Prozent auf 129 Prozent angestiegen. Der Gütertransport stieg stärker als früher, jährlich durchschnittlich um 1,9 Prozent. Genauso stieg der Kohlendioxidausstoß, welcher sich seit 1990 nicht - wie von der Bundesregierung behauptet - reduziert, sondern pro Kopf um 1,3 Prozent erhöht hat. Unter diesen Vorzeichen sind nicht nur die Reduzierung des Umwelthaushalts, sondern auch die umweltrelevanten Entwicklungen in den anderen Einzelplänen kaum zu glauben. Während beispielsweise 100 Milliarden DM mehr für den Straßenbau zur Verfügung stehen, werden die Bundesmittel für die Bahn von Jahr zu Jahr gekürzt; das haben wir ja in der vorigen Debatte gehört. Daß sich die Deutsche Bahn für den Bundesanteil der Fehlinvestition Transrapid verschulden muß, ist einmal mehr ein Beweis dafür, wie sich ruinöse Finanzpolitik mit verfehlter Umweltpolitik verbinden kann. Auch der Etat des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie zeigt, daß die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden. Die Ausgaben für erneuerbare Energien, rationelle Energieverwendung, Umwandlungs- und Verbrennungstechnik, die sich im Haushalt 1997 drastisch um 18 Prozent reduzierten, werden im kommenden Jahr nicht wieder angehoben. Das paßt natürlich in die Strategie. Energiewirtschaftsgesetz und Stromeinspeisungsgesetz wurden vorher schon diskutiert. Die Förderung der Meeres- und Polarforschung wird sogar weiter zusammengestrichen. Wir haben schon vor einem halben Jahr über diese Thematiken diskutiert. Die Erwärmung und die Probleme der Meere spielen keine Rolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Etatentwurf 1998 ist auch aus umweltpolitischer Sicht kein Haushalt für die Zukunft. Wenn von Ihrer Seite Umweltschützerinnen und Umweltschützern provinzielles Müslidenken vorgeworfen wird, kann ich nur sagen: Lieber provinziell sein als umweltpolitische Standards dem Weltmarkt und Maastricht zu opfern. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart Kuhlwein, SPD-Fraktion.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist auch in diesem Jahr schwer, das Zahlenwerk des Einzelplans 16 im Plenum des Deutschen Bundestages ausreichend zu würdigen. Das werden wir in der zweiten Lesung machen müssen. Dann werde ich auch klarstellen, mit welchen Zahlentricks Frau Merkel und Herr Kriedner hier heute operiert haben. Aber dazu bedürfte es gründlicherer Auseinandersetzung. Ich sage nur: Frau Merkel hat neue Aufgaben im Umfang von 10 Millionen DM vom Innenministerium herübergeschoben bekommen, ohne daß Theo Waigel ihr dafür auch nur einen Pfennig mehr gegeben hätte. Wenn man den Stammhaushalt nimmt, dann kommt man zu einer Reduktion von 2,6 Prozent und nicht von 1,2 Prozent, wie sie behauptet hat. Aber das ist alles etwas schwierig in dieser großen Runde im Detail zu vermitteln. Herr Kollege Kriedner, zu dem, was Sie über die Kernenergieforschungsausgaben gesagt haben: Wir haben es noch einmal nachgesehen. Es trifft nicht ganz zu; mindestens 1,3 Milliarden DM sind für Kernenergieforschung außerhalb des refinanzierten Bereichs des Haushalts des BMU im Bundeshaushalt enthalten. Frau Kollegin Matthäus-Maier mag sich um 100 Millionen DM geirrt haben, aber die Tendenz der Aussage, daß dafür viel mehr ausgegeben wird als für die Bereiche der Erforschung regenerativer Energien, bleibt bestehen, wenn man den Haushalt genau ansieht. ({0}) Ich will feststellen, daß in diesem Haushaltseinzelplan wirklich wenig drinsteht und daß sich hinter den immer schlanker werdenden Zahlen - das gilt leider auch für die wenigen innovativen Ansätze wie etwa die Pilotprojekte zur Förderung zukunftsfähiger Umweltschutzinvestitionen; Herr Kriedner, da ist der Schwerpunkt erheblich leichter gemacht worden - eine Ministerin versteckt, die als PR-Agentin das Surfen im Internet der bedeutsamen Konferenzen als Politik ausgibt. Frau Merkel, virtuell sind Sie wirklich prima. In der realen Politik versagen Sie regelmäßig. ({1}) Der Umweltschutz gehört seit Jahren zu den großen Verlierern der Politik der Bundesrepublik. Nun war Frau Merkel noch nicht dabei, als der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung eine „geistig-moralische Erneuerung" versprochen hat. ({2}) Sie kann dafür nicht in Anspruch genommen werden. Aber jetzt gehört sie seit mehr als sechs Jahren einer Regierung an, die geistig verarmt, deren Moral brüchig ist und die politisch ins Rückwärts marschiert. ({3}) Die Konzentration der Kräfte zur Machterhaltung übersteigt bei weitem die offene konzeptionelle Pionierarbeit, von geistiger Führung zu schweigen. Das hat Richard von Weizsäcker der Regierung dieser Tage ins Stammbuch geschrieben. Frau Merkel ist mitverantwortlich für Stagnation, Finanzchaos und die tiefe Krise unserer Gesellschaft. Sie hätte auch ohne großen Etat ein Schlüsselressort im Kabinett, wenn sie sich als Motor für das Umsteuern der Politik in Richtung nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung verstehen würde. So ist vieles, was sie sagt, ein Feigenblatt für das „Weiter so" von Helmut Kohl und das meiste, was sie wirklich tut, eine Bestätigung der betonierten Strukturen im Jahr 15 Kohlscher Zeitrechnung. Insofern ist sie eine würdige Nachfolgerin von Herrn Töpfer, der eben auch auf der Regierungsbank Platz genommen hat. Nur das Marketing ist immer noch ganz gut, auch wenn die Verpackungsministerin dabei schon gelegentlich zu Mogelpackungen greifen muß. ({4}) Da gibt es ein Poster aus dem Bundesumweltministerium. - Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, Regierungspropagandamaterial hier im Hohen Haus zu zeigen. - Mit diesem Poster soll der Klimaschutz in den Kommunen angeschoben werden. Das ist ein Bestandteil des auf dem Erdgipfel von Rio verabredeten Agenda-21-Prozesses. Obwohl Bonn für diesen Prozeß noch immer keine Anlaufstelle hat, ermuntert das Ministerium sozusagen postermäßig schon einmal die Gemeinden, in diesem Bereich aktiv zu werden, was sie eigentlich bis 1996 schon hätten tun sollen. Nun gut: Beim Klimaschutz, den viele Gemeinden auch ohne Frau Merkel längst entdeckt haben, muß auf jeden Fall etwas getan werden, selbst wenn es spät, vielleicht schon zu spät sein sollte. Frau Merkel, es ist schon ein Ausdruck von Chuzpe, angesichts der katastrophalen Finanzlage der meisten Gemeinden „bundesweise" Ratschläge für Klimaschutzinvestitionen zu geben. Ich habe an vielen Veranstaltungen zum Thema „Lokale Agenda 21" teilgenommen. Die Bereitschaft, sich für eine nachhaltige Entwicklung zu engagieren, wächst. Aber nicht alle möglichen Maßnahmen sind ohne Geld zu haben. Die Rahmenbedingungen, mit denen der Bund - genauer: die von Frau Merkel mitverantwortete Politik der Bundesregierung - in die Selbstverwaltung der Gemeinden hineinfunkt, sind für den lokalen Klimaschutz nicht gerade förderlich: steigende Sozialhilfeausgaben wegen einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik, Widerstand gegen eine ökologische Steuerreform, Reduzierung der Förderprogramme und nicht zuletzt ein drohendes Energiewirtschaftsrecht, das die Konzessionsabgabe in Frage stellt und manchen Stadtwerken den Garaus machen könnte. ({5}) Die von Ihnen, Frau Merkel, mitverantwortete öffentliche Armut blockiert gerade auch in den Kommunen Umdenken und Umbau. Sie empfehlen auf diesem Poster Fernwärme und Kraft-Wärme-Koppelung. Seit 1995 gibt es dafür aus dem Bundeshaushalt keinen Pfennig mehr.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Homburger?

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, da das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das wird nicht angerechnet.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie schon so viele Veranstaltungen in den Kommunen besucht haben, die den lokalen Agenda-21-Prozeß mitmachen - dafür gibt es sehr viele ermutigende Beispiele -, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen dabei nicht schon aufgefallen, daß es eine Reihe von ganz hervorragenden Initiativen gibt, die in Eigeninitiative und in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft nichtöffentliche Gelder für Maßnahmen gerade im lokalen Bereich lockermachen? Stimmen Sie mir zu, daß solche Initiativen ganz hervorragende Einrichtungen sind, daß wir sie weiter unterstützen sollten, daß man nicht immer nur nach dem Staat und nach öffentlichen Geldern rufen muß, sondern daß es sinnvoll sein kann, wenn die Gesellschaft selber einen Prozeß in die Hand nimmt?

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt: Nicht alles ist ohne öffentliches Geld zu haben. Ich stimme Ihnen selbstverständlich zu, daß auch sehr viel privates Engagement notwendig ist, das übrigens vorhanden ist. Man hungert dieses Engagement aber aus, wenn man wie Sie auf dem Poster für Sonnenenergiegewinnung auf den Dächern von Schulen und Hallenbädern wirbt, das Geld im Rahmen des dürftigen Programms des Bundeswirtschaftsministers für die Förderung regenerativer Energien aber in diesem Jahr bereits nach drei Monaten verbraten gewesen ist. ({0}) Sie malen drei Windmühlen an den Horizont und basteln gleichzeitig am Stromeinspeisungsgesetz, um den Windmilllem die Rentabilität zu versauen. ({1}) Sie lassen auf dem Poster Dächer und Fassaden isolieren, obwohl es bis heute keine ausreichenden finanziellen Anreize für die Wärmeisolierung von Altbauten gibt. Sie appellieren auf dem Poster für das Umsteigen auf Bus und Bahn und wollen in Ihrer sogenannten Steuerreform Arbeitgeberzuschüsse für Job-Tickets versteuern und ÖPNV-Fahrscheine erst ab 15 Kilometer Entfernung von der Steuer absetzen lassen. Hinter dem Rathaus finden wir auf dem Poster - Sie können sich das einmal angucken, Frau Homburger; ich gebe es Ihnen gerne - sogar einen Bioladen, obwohl die Agrarpolitik der Bundesregierung bis ins nächste Jahrtausend vor allem auf die konventionelle Landwirtschaft schwört. Wie gesagt, es ist ein schönes Poster. Aber Sie haben vergessen, noch einen ganz wichtigen Satz darauf drucken zu lassen. Frau Merkel, Sie hätten noch darauf drucken müssen: Und der Theo hat keinen Pfennig dazubezahlt. ({2}) Das gilt übrigens auch für das zweite Beispiel, das ich nennen möchte; auch dies ist eine Mogelpackung. Sie haben in der vergangenen Woche mit Ihrem Kollegen Rüttgers ein Umweltforschungsprogramm mit einem Volumen von einer Milliarde DM verkündet. Das klingt gewaltig und weckt unsere schiere Begeisterung, zumal Sie auch noch im Rahmen dieses Programms 150 000 Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000 versprochen haben. Das wären immerhin schon schätzungsweise 7,5 Prozent der vom Bundeskanzler versprochenen Halbierung der Arbeitslosenzahl, also ein gewaltiger Fortschritt. Beim genauen Nachlesen stellt man aber fest, daß es diese eine Milliarde DM nicht etwa zusätzlich in dem von Ihnen genannten beschäftigungswirksamen Bereich gibt. Nein, es ist eine reine Umfinanzierung. Das sind mehr oder weniger nützliche alte Hüte, die gelegentlich mit neuen Schleifchen garniert worden sind. Nach wie vor gilt, daß es in der Umweltforschung keinen Anstoß für den notwendigen ökologischen Strukturwandel gibt. Es gibt dafür auch keine Mark mehr als früher, für die Projektförderung beim Bundesforschungsminister im Umweltbereich sogar weniger. Frau Merkel, wir unterstützen Ihre nationalen und internationalen Bekenntnisse zur nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwicklung. Wir wissen auch zu würdigen, daß Sie in dieser Frage gelegentlich sogar den Bundeskanzler in verbale Bewegung versetzen, der dann weltöffentlich die leichtfertigsten Versprechungen abgibt. Wir begrüßen es, daß Sie das Handlungsprogramm für das 21. Jahrhundert manchmal sogar in die Generalklauseln internationaler Dokumente hineinschmuggeln. Wir lassen uns damit trotzdem nicht ablenken. Das kann doch nicht alles gewesen sein. Sie müssen doch wenigstens zu Hause das tun, was Sie international fordern und meistens nicht durchsetzen können. ({3}) Zu Hause gibt es eben nicht nur Ihre Macke mit der Kernenergie, also eine völlig überflüssige Novelle zum Atomgesetz, die eine riskante Technologie fördert, kein bißchen mehr Sicherheit bringt und die Lage bei der Entsorgung weiter verschärfen wird. Zu Hause gibt es auch eine völlig unzulängliche Politik im Naturschutz, im Boden- und Gewässerschutz, bei der Luftreinhaltung - Stichwort „Ozon"; dazu haben Sie heute eine Greenpeace-Demonstration vor Ihrem Hause erlebt -, beim Schutz der Wälder und beim Lärmschutz. Der Betrag im Gesamthaushalt für Umweltschutz, dessen sich Frau Merkel vorhin auch gerühmt hat - das hat sie vergessen zu erwähnen -, sinkt im Jahre 1998 erneut um 450 Millionen DM auf nur noch 8,89 Milliarden DM. Die Wissmanns, die Rexrodts, die Waigels und die Rühes denken also überhaupt nicht daran, mit ihrem Haushalt eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, wie sie als Lippenbekenntnis von Frau Merkel immer zu hören ist. Sie werden sich auch in diesem Jahr nicht darüber wundern, daß wir Ihren Haushalt, den Einzelplan 16, kritisch bewerten werden. Im übrigen meine ich wie meine Vorredner aus der SPD-Fraktion: Diese Regierung muß fort. Ihre Zeit ist abgelaufen. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kuhlwein, ich fange mit Ihnen an. Es muß hier noch einmal klassische sozialdemokratische Tradition deutlich gemacht werden, nämlich das, was Ihr Ministerpräsidentenkandidat in spe, Clement, der in NRW noch immer verhindert wird, gesagt hat: Wir seien im Umweltschutz de facto so erfolgreich, daß wir weder in der Luftreinhaltung noch in der Verkehrspolitik, noch in anderen Dingen Zusätzliches leisten müßten, weil schon alles Notwendige getan worden sei. Da hilft es auch nicht, wenn der Kollege Müller sagt, den solle man mal wieder dämpfen. Das ist die Aussage eines stellvertretenden Ministerpräsidenten in NRW. Ich nenne auch noch den Umweltsenator, damit Sie nicht sagen, dies sei nur ein Wirtschaftspolitiker. Der Umweltsenator aus Hamburg, den Sie wohl nicht wegen seiner Dummheit berufen haben, sagt das gleiche, nämlich daß wir in diesem Bereich erfolgDr. Klaus W. Lippold ({0}) reich waren. Bei der Luftreinhaltung, dem Wasser, dem Abwasser und dem Abfall ist ein Erfolg dieser Regierung zu verzeichnen. ({1}) Er hat es zwar nicht so gesagt, aber seine Worte lassen sich gar nicht anders interpretieren. Herr Kuhlwein, deshalb brauchen wir hier gar nicht zu streiten. Sie machen die Augen zu. Sie ziehen die typische Oppositionsmasche ab, und draußen glaubt Ihnen keiner, weil die Bevölkerung nach letzten Umfragen zu 45 Prozent meint, in dieser Republik seien die Verhältnisse im Umweltschutz deutlich besser geworden. Das stimmt. ({2}) Lernen Sie, was die Bevölkerung sagt. Verschließen Sie sich nicht in Ihrer sozialdemokratischen Fraktion, damit Sie Ihre Scheinbilder, Ihre virtuellen Bilder, durch die Bilder der Realität ersetzen. Virtualität hatten doch Sie eingebracht. Dann komme ich zum internationalen Umweltschutz. Wir haben auf der internationalen Szene hinreichende Kontakte von Sozialdemokraten und Grünen mit Umweltschützern, zum Beispiel mit japanischen. Nicht nur die japanische Regierung, sondern auch die japanischen Umweltschützer loben uns wegen einer vorbildlichen Umweltpolitik in dieser Republik. Sie fordern, wir sollten möglichst viel unserer Umweltschutzpolitik der japanischen Regierung beibringen, damit in Japan endlich ein so vorbildliches Konzept des Umweltschutzes realisiert werde. Ihre Leute saßen dabei und kritisierten das nicht. Ich nehme für mich in Anspruch, daß dies stimmt. Sie sollten das einmal zur Kenntnis nehmen und hier nicht herumjammern. 35 asiatische Pazifikstaaten sagen, daß wir vorbildlich sind. Dies sagen ebenso die Chinesen. Sie setzen auf uns, daß wir die internationalen Konferenzen maßgeblich weiter beeinflussen, wie wir dies in der Vergangenheit gemacht haben. Die japanische Wirtschaft und jetzt erstaunlicherweise sogar japanische Parlamentarier und NGOs diskutieren über Selbstverpflichtungen. Was wollen Sie eigentlich mit der reaktionär rückwärtsgewandten Sicht, daß das alles nur durch staatliche Aktivität zu bewältigen sei? Dort erkennt man, daß das, was hier gemacht wird, Anreiz ist, daß es Kräfte freisetzt in der Gesellschaft und nicht nur Kräfte innerhalb parlamentarischer Fraktionen. Gehen Sie dorthin. Wenn Sie einmal die Integration von Umweltschutz in die Verkehrspolitik sehen wollen, die Sie angesprochen haben, schauen Sie sich doch die Wissmannsche Elbe-Politik an, die sich wunderbar mit der Merkelschen Elbe-Politik ergänzt. Was wollen Sie denn da noch kritisieren? Umweltschutz an der Elbe wird dort zur Vorgabe gemacht und internalisiert. Im Telematikbereich sieht es genauso aus. Dann kommen Sie und sagen ganz deutlich: Wir wollen ökologieintensive Produkte. Öko-Audit-Verordnung, die Integration des Umweltschutzgedankens in den Betrieb - das ist die Umsetzung dessen; da fängt es an. Dann denken die Betriebe über ökologieintensive, über ökologische Produkte nach. Aber wir sind diejenigen, die den Öko-Audit-Gedanken in dieser Republik vorangebracht haben. Es gibt kein Land in der EU, das so viele öko-audit-zertifizierte Betriebe hat wie die Bundesrepublik. ({3}) Auch da haben Sie Nachholbedarf. Ich sage es einmal so: Selbst die Grünen setzen sich mittlerweile mit der Wirtschaft ins Benehmen und stellen fest: Da gibt es so etwas wie Responsible-care-Programme und ähnliches mehr. Nur Sie in Ihrem Kämmerlein sehen das alles nicht. Gehen Sie weg von Ihren virtuellen Rhythmen in der Fraktion, kommen Sie über zur Realität, dann können wir weiterreden. ({4}) Dann dieses ständige Gejammer, wir gäben Ihnen keine Gelder für die Arbeit vor Ort. Also, Entschuldigung, wenn ich einen vernünftigen OB habe, dann schafft er es selbst, wenn ihm die Umweltpolitik am Herzen liegt, auch Mittel für diese Umweltpolitik zur Verfügung zu stellen. Das haben wir mit Ihrer Oberbürgermeisterin von Heidelberg schon lange diskutiert. Sie hat immer nur gejammert: Warum gibt der Bund kein Geld? Ich habe ihr gesagt: Stellen Sie Ihre Prioritäten in Heidelberg um, finanzieren Sie selbst, ({5}) lassen Sie Ihren früheren Umweltminister nicht mit 180 durch Heidelberg oder Vororte rasen; dann kommen wir ein Stück weiter. Aber verlangen Sie nicht die Kompetenzen und gehen bei den Finanzen zum Bund, ({6}) genauso wie Sie es im Naturschutz machen. Weisen Sie doch endlich einmal die Naturschutzgebiete aus,

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- statt vom Bund Geld zu verlangen, auf uns zu schimpfen usw.! So geht es nicht. Kommen Sie zur Realität zurück! Wir sind erfolgreich im Umweltschutz, und diese Politik werden wir fortsetzen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Jetzt sollte noch eine Zwischenfrage gestellt werden. Aber die Redezeit ist zu Ende. Daher kann ich sie nicht mehr zulassen. Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht vor. Vizepräsidentin Michaela Geiger Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, dem Einzelplan 25. Ich erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Bundeshaushalts 1998, den wir hier diskutieren, steht ganz eindeutig unter klaren Schwerpunktsetzungen. Ich kann sie nur ganz kurz nennen: Wir haben die finanzielle Stabilität des wiedervereinigten Deutschland zu sichern, wirtschaftliches Wachstum zu fördern, und zwar durch die Ermöglichung von Investitionen, die ihrerseits wieder Arbeitsplätze schaffen. Dieser Weg ist der einzig vertretbare, um auch im wiedervereinigten Deutschland weiterhin soziale Solidarität in der Gesellschaft zu gewährleisten, und dies im Rahmen der deutschen Einheit, die weiterzuentwickeln wir uns vorgenommen haben. Vor diesem Hintergrund ist der Haushaltsentwurf des Bauministeriums zu werten. Ich möchte das gerne tun. Wir sehen zunächst, daß das Volumen gegenüber 1997 - wenn wir den Nachtragshaushalt mit hinzurechnen - um insgesamt 6,2 Prozent, um 661 Millionen DM, auf 11,35 Milliarden DM ansteigt. Ich möchte hinzufügen: Gleichzeitig steigt die Investitionsquote dieses Haushalts von 66,3 Prozent in 1997 nunmehr auf 68,1 Prozent. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt dieses Gesamthaushalts. Um deutlich zu machen - weil ich den Hinweis sicherlich bekommen werde -, daß diese Steigerung nicht nur im Zusammenhang mit den jetzt in Berlin in die Bauphase hineinwachsenden Aufgaben steht: Auch die Ansätze dieses Haushalts für Städtebauförderung, sozialen Wohnungsbau steigen gegenüber 1997 um 2 Prozent, ebenso steigt das Wohngeld. Deswegen, meine Damen und Herren, muß man sich fragen: Wie können wir diese Schwerpunkte weiterentwickeln und das, was wir im Verpflichtungsrahmen nicht mehr in gleicher Weise fortführen, begründen? Und ist das verantwortbar? Wir müssen zunächst zusehen, daß wir wachstumsund beschäftigungsstärkende Investitionen auf hohem Niveau weiterführen. Dies ist richtig für die Städtebauförderung, insbesondere mit Blick auf die Sicherung der Innenstädte in den neuen Ländern. Ich hatte nicht die Gelegenheit, die gesamte Diskussion zu verfolgen. Aber nebenbei gesagt: Es ist auch angewandte Umweltpolitik, wenn es uns gelingt, die Innenstädte vielfältig funktional zu sichern. Es ist auch Gesellschaftspolitik erster Qualität; denn die Bausubstanz dort zu erhalten ist wirklich ein Stück Verpflichtung. ({0}) Ich kann nur immer und immer wieder anraten, sich einmal nach Quedlinburg, nach Wismar, nach Görlitz, nach Stralsund und wie immer die Städte alle heißen, zu begeben. Ich würde Ihnen Wismar, wo ich vor wenigen Tagen war, in besonderer Weise empfehlen, weil dort eine Bürgermeisterin der SPD nicht müde wird, zu sagen, wie großartig es ist, daß diese Programme des Bundes durchgeführt werden und Wismar erhalten werden kann. ({1}) Das ist auch deswegen zu erwähnen, weil wir einmal den Versuch wagen sollten, in einer Einbringungsrede das herauszukristallisieren, was im wiedervereinigten Deutschland über Parteigrenzen hinweg richtig läuft und was wir gemeinsam voranbringen müssen. Das könnte man ja einmal versuchen. ({2}) Wenn ich allerdings die Presseerklärung lese, die mir vor dieser Diskussion schon vom Kollegen Großmann und den Rednern vorgelegt worden ist, dann muß ich sagen: Wahrscheinlich befinden wir uns wieder in der tabuisierten Diskussion, die wir immer führen, und das Differenzieren auf das, was möglicherweise gemeinsam auf den Weg gebracht werden kann, fällt wieder flach. Ich bedaure das sehr, freue mich aber natürlich, daß Sie uns die Presseerklärung schon vorher zur Verfügung gestellt haben. Also, wir verfolgen diesen Schwerpunkt weiterhin: Städtebauförderung ist eine so wichtige und notwendige Sache; sie ist auch für die Bauwirtschaft so bedeutsam. Wir alle kennen die von den Experten ausgerechneten Multiplikatoren, also den Vervielfältigungsfaktor der dort eingesetzten Mittel. Ich meine, das ist eine sehr sinnvolle Schwerpunktsetzung. Die Städtebauförderung feierte vor einem Jahr ihr 25jähriges Bestehen. Wenn Sie es einmal zusammenrechnen, dann stellen Sie fest, daß in den alten Ländern insgesamt fast 8,4 Milliarden DM an Bundesmitteln ausgegeben worden sind. ({3}) - Lassen Sie mich doch wenigstens diesen Satz zu Ende bringen. - Es besteht doch bestimmt im gesamten Hohen Haus die einhellige Meinung, daß nach der Wiedervereinigung, wenn wir uns für die Städte verantwortlich sehen, die über Jahrzehnte verfallen sind, der Schwerpunkt gerade auf diese verfallenen Städte gelegt werden muß. ({4}) Deswegen sind dort in den wenigen Jahren fast 6 Milliarden DM an Städtebauförderungsmitteln investiert worden. Im nächsten Jahr werden es wiederum 520 Millionen DM sein. Das ist eine, wie ich meine, völlig richtige Schwerpunktsetzung. Herr Kollege Großmann, Sie haben dazwischengerufen, das sei während Ihrer Regierung gewesen. In Ihrer Regierungszeit konnten diese Schwerpunkte gar nicht gelegt werden. Damals gab es die Wiedervereinigung noch nicht. Jetzt aber ist sie erfolgt, und jetzt müssen wir diese Prioritäten setzen. ({5}) - Das habe ich doch lobend erwähnt, Frau Kollegin. Mehr kann ich doch nicht tun. Ich habe das zusammen mit Herrn Ravens beim 25jährigen Bestehen vorgestellt. Ich bin doch nicht so verblendet, zu sagen: Erst uns ist das alles eingefallen. Aber wenn wir Sie so weit bekommen, daß auch Sie sagen, es sei richtig, die Priorität auf die neuen Bundesländer zu legen, wissend, daß wir auch in den alten Bundesländern bald wieder etwas tun müssen, dann sind wir doch ein gutes Stück vorangekommen und tun auch etwas für die Investitionen. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, daß wir das nicht nur mit Geld machen können. Es macht allen, die sich damit beschäftigen, zunehmend große Sorge, daß wir in den Städten eine etwas zu geringe Nutzungsmischung haben. Deswegen war es richtig, daß wir - am Ende wiederum gemeinsam - das Raumordnungsgesetz und das Bundesbaugesetz in Angriff genommen haben. Damit haben wir den Bereich der Innenstadtflucht etwas abgegrenzt und die Stadtrandwanderung geschwächt. Die gesetzlichen Maßnahmen, die durchgeführt worden sind, ergänzen den finanziellen Schwerpunkt nachdrücklich. Meine Damen und Herren, die neuen Bundesländer müssen natürlich auch weiterhin den Schwerpunkt bilden. Ich finde es hervorragend: Wir haben noch einmal 10 Milliarden DM Kreditrahmen der KfW, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, für Modernisierungen in den neuen Bundesländern fixiert. Kollege Kuhlwein hat vorhin gefragt: Wo sind denn eigentlich die Mittel für die Isolierung von Häusern? Dem Manne kann geholfen werden. Insgesamt sind 3,5 Millionen Wohnungen in den neuen Bundesländern durch diese Mittel modernisiert worden. Zum allergrößten Teil waren es Modernisierungen mit Energieeinsparungsmaßnahmen; denn dort war es am dringlichsten. ({6}) Im Vergleich zu dem, was die Platte uns an Energieverlusten bringt, ist das alles, was wir in den alten Bundesländern haben, nicht gerade Bagatelle, aber in den neuen Ländern bringt die Mark eben gegenwärtig mehr Verminderung von CO2-Emissionen. Deswegen ist es richtig, das meiste dort einzusetzen. ({7}) - Wie lange, Frau Präsidentin, kenne ich schon den Kollegen Diller. Es war ja fast zu erwarten, daß er an dieser Stelle, wo es ein bißchen kritisch wird, dazwischenruft. Vielleicht wäre es doch einmal ganz gut, darüber sachlich zu reden. Das konnte er nicht gut haben, deswegen mußte er etwas dazwischenrufen. Das hat er auch getan. Ich kann ihm gratulieren. Gut geglückt. Das gilt leider nicht als Zwischenruf - routiniert sagt man ja auch: „Wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird. " ({8}) Deswegen komme ich noch einmal darauf zurück, Herr Kollege Diller: Diese 10 Milliarden DM sind eine gute Schwerpunktsetzung. Das kostet etwa 1,5 Milliarden DM. Nicht daß jemand kommt und sagt, das bekommen wir so nebenbei. Wir subventionieren die Zinsen, und irgend jemand muß das ja wieder bringen. ({9}) Im Haushalt des Bundesbauministeriums stehen gegenwärtig für dieses große Programm pro Jahr etwa 1,2 Milliarden DM investive Mittel zur Verfügung. Die Aufstockung des Kreditvolumens steht so direkt nicht im Haushalt, aber es handelt sich um investive Bereiche. Deswegen wollte ich mit allem Nachdruck noch einmal gesagt haben, daß das so ist. Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zum sozialen Wohnungsbau und zu dem Gesetz, das wir im Kabinett vorgelegt haben und das beschlossen wurde. Da wird mir gesagt, es wäre unsinnig, die Verpflichtungsrahmen um 30 Prozent zu senken. Nun gehe ich einmal wieder in die neuen Bundesländer, und ich lade Sie herzlich gerne ein. Ich sehe gegenwärtig ein Problem massiv auf uns zukommen - vielmehr ist es schon da -: Wir bekommen nämlich nicht unerhebliche Leerstandsprobleme. Das ist nicht meine Erfindung, und ich wäre herzlich dankbar, wenn wir diese Probleme so nicht hätten. ({10}) - Nein, Frau Eichstädt-Bohlig, die Leerstände sind andere. Ich bin in Schwedt gewesen, ich war in Eisenhüttenstadt, in Guben und in Forst. Ich rate Ihnen dort auch einmal hinzugehen. Sie können es weiterführen. Wir müssen doch einmal sehen, wo unsere Schwerpunkte sind. Mit allen Kollegen in den neuen Bundesländern und zunehmend auch in den alten sind wir uns einig: Nicht der Neubau ist das, was wir brauchen, sondern die Bestandssicherung. Die Modernisierung ist es, die wir dringend brauchen. ({11}) Nun machen wir das als Analyse. Wir haben in Berlin eine große Koalition. Sie sitzen dort genauso drin wie wir. Was machen die? Sie kritisieren nicht die Tatsache, daß ich ein neues Wohnungsgesetzbuch vorlege, sondern sie verwirklichen eigentlich im Vorgriff auf das, was wir vorlegen, genau diese Politik. Sie erlassen bei über einem Drittel ihrer sozialen Wohnungsbestände die Fehlbelegungsabgabe, ganz oder zu großen Teilen. Warum? Weil sie sagen, bei uns ist nicht die Quantität das Problem, sondern bei uns ist das Problem, daß wir sozial entmischte Wohnungsbestände bekommen. Das können wir uns nicht leisten, weil die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten größer sind, als wenn wir jetzt einiges an Fehlbelegungsabgaben übernehmen. ({12}) - Herr Großmann, das wollen wir doch gar nicht. Noch einmal in Ruhe und Sachlichkeit: Ich bin gar nicht pessimistisch. Ich bin der Meinung, am Ende haben wir auch das Wohnungsgesetzbuch gemeinsam - mit oder ohne Vermittlungsausschuß - verabschiedet. Ich bin ziemlich sicher. Denn alle sagen: Ihr müßt Bestände und Kombiförderung machen. Geht in die Altbaubestände, gebt den Kommunen mehr Flexibilität! Ich habe mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammengesessen. Ich will nicht sagen, daß sie mir überall Beifall spenden. Sie sagen nur: Leute, das können wir nicht einfach so zur Seite legen. Das geht nicht. Da müssen wir drangehen. Dann gehen Sie ans Wohngeld genauso heran. Es ist doch nicht so, daß das Wohngeld sinkt. Wir alle wissen es doch. Das Wohngeld steigt weiter an. In der ersten Hälfte dieses Jahres ist die Wohngeldausgabe um knapp 8,5 Prozent angestiegen. ({13}) - Ich sage das doch nur, weil Sie überall sagen, das Wohngeld sinkt. Es sinkt also erst einmal nicht, sondern es steigt faktisch an, in Mark und Pfennig. ({14}) - In Mark und Pfennig steigt es an. ({15}) - Frau Präsidentin, wir sind in einen schönen Dialog gekommen, das ist ganz großartig. Aber ich frage einmal zurück: Sind denn eigentlich 3,3 Milliarden DM weniger oder sind sie mehr als 3,5 Milliarden DM? ({16}) - Na gut. Zunächst einmal können wir doch wohl sagen, daß die Wohngeldausgaben steigen, wenn sie von 3,3 auf 3,5 Milliarden DM ansteigen. Nur das habe ich gesagt. Jetzt fragen wir: Woher kommt das? Wir alle sind uns darüber im klaren, daß das an der Struktur dieses Gesetzes liegt. Wenn jemand hingeht und sagt, daß wir einmal über die Struktur des Gesetzes reden sollten, dann hat das als Ergebnis, daß er sofort an den Pranger gestellt und daß gesagt wird: Der will das alles bei den Kommunen abladen. Das will ich überhaupt nicht. Glauben Sie denn wirklich, ich sei so lebensfremd, anzunehmen, ich könnte die Länder und den Bund dafür gewinnen, die Gelder, die sie nicht mehr haben, hinterher bei den Kommunen einzufordern, und würde das auch noch im Bundesrat durchbekommen? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Also muß ich doch mit den Vertretern der Kommunen und den Kollegen in den Bundesländern darüber reden und ihnen sagen: Paßt einmal auf. Können wir nicht das wirklich nicht wenige Geld, das wir zur Verfügung haben, anders einsetzen? Denn allein die Bund und Länder, zahlen ja rund 7 Milliarden DM Wohngeld im Jahr. Dadurch werden große Teile der Wohnkosten gedeckt - beim pauschalierten Wohngeld rund 50 Prozent. Sie wissen, daß bei Sozialhilfeempfängern diese Beträge noch durch Sozialhilfe aufgestockt werden. Wenn ich so viel Geld habe - das bedauere ich nicht, ich will die Höhe der entsprechenden Mittel ja nicht zurückführen -, dann muß ich mich doch fragen: Kann ich nicht einen besseren Weg finden, so daß ich das Geld so einsetzen kann, daß damit auch andere Anreize und Möglichkeiten der Flexibilität für Gemeinden geschaffen werden? Genau das tun wir. Deswegen sollten wir nicht in Schützengräben kämpfen. Sonst müßten wir am Ende erleben, daß diejenigen, die an den Stammtischen kritisieren, ganz andere Ziele verfolgen. Wenn wir die Stammtische und' auch die schlechte Luft über diesen Stammtischen verändern wollen, dann müssen wir uns schon darüber im klaren sein, daß solche Dinge nicht tabuisiert werden dürfen, sondern offen beraten werden müssen. Das biete ich Ihnen an. Es gibt auch in den westlichen Bundesländern Veränderungen. Frau Präsidentin des Deutschen Mieterbundes sagte, ich zitiere jetzt aus der „Frankfurter Rundschau" - ich wollte eigentlich eine andere Zeitung nehmen, aber ich möchte Ihnen eine Freude machen -: Der Stadt Frankfurt ist es im vergangenen Jahr zum erstenmal gelungen, die Zahl der registrierten Wohnungssuchenden erheblich zu reduzieren. So niedrig war sie zuletzt 1983. ({17}) - Das sage ich doch. ({18}) - Nein, Sie haben doch gar nichts dagegen. Aber wenn Sie hinzufügen würden, daß das so ganz ohne eine vernünftige Wohnungspolitik auch des Bundes nicht möglich gewesen wäre, dann wären wir uns ein Stück mehr einig. Ich muß doch auf eine solche Frage reagieren können. Es hat eine Veränderung gegeben. Über Jahre und Jahrzehnte haben wir einen Vermietermarkt gehabt mit all den Problemen, die sich gerade aus der deutschen Einheit ergaben. Es haben uns Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands und Zuzüge aus dem Ausland in besonderer Weise gefordert. Daß wir dort anders ansetzen mußten, daß dort ein Ballungsraumprogramm für den sozialen Wohnungsbau gemacht werden mußte, das ist doch völlig richtig. Meine Vorgängerin im Amt, Frau Schwaetzer, hat es so gemacht; das war vernünftig und gut. Aber wenn wir es jetzt mit diesen Wanderungsbewegungen nicht mehr in dieser Weise zu tun haben, dann muß ich mich doch fragen, ob ich nicht andere Schlußfolgerung ziehen muß. Das kann nicht die alleinige Aussage einer Politik sein. Lassen Sie uns die Mittel sinnvoller einsetzen; dann kommen wir ein gutes Stück weiter. Letzter Punkt in diesem gesamten Zusammenhang: Wohneigentumsförderung. Hierzu kann ich nur nochmals betonen, wie man nach langer Diskussion zu einem gemeinsamen und vernünftigen Ergebnis kommen kann. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß in den alten und auch in den neuen Bundesländern eine deutliche Steigerung der Zahl der Bauanträge für selbstgenutztes Wohneigentum festzustellen ist. Die gegenwärtigen Kosten der steuerlichen Wohneigentumsförderung - sie stehen wiederum nicht im Haushalt des Bauministeriums -, die sich durch die Eigenheimzulage und durch die alte Förderung nach § 10 e ergeben, belaufen sich gegenwärtig auf etwa 5,7 Milliarden DM, und das nur vom Bund. Ich muß schon sagen: Hierbei handelt es sich um einen Haushalt, der Investitionen stabilisiert; es handelt sich um einen Haushalt, der auf notwendige Veränderungen der Lage eingeht. Ich wäre herzlich dankbar, wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle dieser Herausforderung auch gemeinsam stellen könnten. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({19})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Mertens, SPD-Fraktion.

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Töpfer, ich habe irgendwie das Gefühl, daß ich Ihre Rede schon einmal gehört habe, weil Sie letztlich in jeder Rede immer das gleiche ansprechen. Der Haushaltsplan wird gern als Regierungsprogramm in Zahlen bezeichnet. Unter „Programm" stellt man sich gemeinhin vor, daß es einen Plan, Konzeptionen und Grundsätze gibt, die zur Erreichung eines bestimmten Zieles führen sollen. Wenn man sich den Entwurf des Einzelplanes 25 anschaut, fragt man sich natürlich: Was ist denn das Ziel? Was ist die Botschaft des Haushaltes? Es sind wohl mehrere Botschaften. Sie haben alle mit Abbruch, keine einzige hat mit Aufbruch zu tun. Eine Botschaft wird in besonderer Weise bemüht, nämlich die, daß gespart werden muß, um einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes zu leisten. Damit versuchen Sie natürlich, andere Botschaften, die dieser Haushaltsentwurf auch noch hat, zu überlagern und zu verschleiern. Sie lassen sich aber nicht verschleiern. Nebelkerzen können auch Sie in der Form nicht aufstellen. Im letzten Jahr hat mein Kollege Großmann den Haushaltsentwurf mit den Worten kommentiert: Es ist ein Etat des Wortbruchs, des Vertrauensbruchs und des fehlenden Reformwillens. Ich habe gedacht: Das kann man eigentlich überhaupt nicht mehr top-pen. Aber Sie haben es wirklich geschafft, in diesem Jahr noch eines draufzusetzen. Dieser Etat ist gleichzeitig nämlich auch ein politischer Konkursantrag. ({0}) Ich will Ihnen das an drei Beispielen belegen: an der Städtebauförderung, am sozialen Wohnungsbau und an der Frage, wie ich am unsinnigsten spare. Städtebauförderung ist eine Investition, die sich für Bund, Länder und Gemeinden in barer Münze auszahlt. Ziehen Sie daraus die Konsequenzen? Nein. Was wir schon immer vermutet haben und was sich jetzt durch die Studie des RWI endgültig bestätigt hat, daß nämlich Städtebaufördermittel keine verschenkten Subventionen sind, sondern sich durch Steuereinnahmen und Einsparungen bei der Sozialversicherung vollständig refinanzieren, ignorieren Sie in bekannter Weise. Um es noch konkreter zu machen: 5 Milliarden DM öffentliche Mittel stehen 6 Milliarden DM Steuereinnahmen und Einsparungen bei der Sozialversicherung gegenüber. Bei diesen Zahlen können Sie nicht im Ernst den Status quo rechtfertigen. Sie wollen uns weismachen, Sie hätten für diesen Haushalt gekämpft und Schlimmeres verhindert. Die Wahrheit sieht aber anders aus: Sie haben gegenüber dem Finanzminister oder gegenüber dem, der bei Ihnen sonst gerade das Sagen hat, auf der ganzen Linie verloren. Vielleicht ist es ganz bezeichnend, daß der Bundeskanzler in seinem „Ich bin der Chef"-Interview alle in der Presse genannten möglicherweise auswechselbaren Minister hoch gelobt und für unverzichtbar erklärt hat. Nur Ihr Name fiel ihm nicht ein. Ich sage mal: Das schreit geradezu nach einem Töpferkurs in der Toskana. ({1}) - Da kann er vielleicht noch was lernen, das stimmt. Eine Erhöhung der Städtebaufördermittel ist wirklich eine kreative und kontrollierbare Art, gute und beschäftigungswirksame Politik zu machen. Kaum ein anderer Bereich der Politik ist geeignet, nicht nur stadtentwicklungspolitische, sondern auch wirtschafts-, finanz-, arbeitsmarkt- und damit auch sozialpolitische Effekte zu erzielen. Ziehen Sie daraus die Konsequenzen? Nein. Sie bleiben zum Beispiel auch in diesem Jahr bei lächerlichen 80 Millionen DM für die alten Bundesländer. Zweites Beispiel: sozialer Wohnungsbau. Ich will das hier nur ganz kurz anreißen, weil mein Kollege Dieter Maaß Ihnen dazu nachher noch einiges zu sagen hat. Es ist mehr als offensichtlich: Diese Bundesregierung und dieser Bundesbauminister mögen den sozialen Wohnungsbau nicht. Warum sonst kürzen sie den Ansatz um 30 Prozent? Warum sonst wollen sie mit dem sogenannten Wohngesetzbuch mit dem Kopf durch die Wand? Nicht einmal ihre eigenen Landesbauminister sind dem gefolgt. Ich bin sicher, daß so mancher Kollege oder so manche Kollegin von der CDU und der CSU hier im Bundestag, in den Länderparlamenten und in den Gemeinderäten das jeweilige Nachtgebet mit dem Satz beendet: Lieber Gott, beschütze doch bitte den Bundesrat. Der soziale Wohnungsbau ist keine sozialdemokratische Erfindung. Alle wollten diese Form des Wohnungsbaus. Unterschiede gab es nur über inhaltliche und zeitliche Ausgestaltung. Die CDU/CSU hat 1949 sogar darauf bestanden, daß dieser Sektor als sozial geschützter Bereich deklariert wird.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lange her. Ja, bitte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, damit wir nicht jedes Jahr dieses unwürdige Spiel wiederholen: ({0}) - Ich meine das unwürdige Spiel, daß Sie in Ihrer Oppositionsrolle in Bonn dem Bund beim Wohnungsbau die volle Verantwortung zuschieben und vergessen, daß Sie in dem Großteil der Bundesländer, die für den Wohnungsbau eigentlich zuständig sind, die Regierungsverantwortung haben - so schmerzlich das ist. Was halten Sie davon, Frau Kollegin, daß wir um 30 Prozent kürzen? Wissen Sie eigentlich, daß die westdeutschen Länder ihre Wohnungsbaumittel im gleichen Zeitraum in der Größenordnung von 40 Prozent gekürzt haben, an der Spitze das Land Hessen mit mehr als 60 Prozent? ({1})

Angelika Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002734, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal: Wir brauchen keine Belehrung über Bundesrats- und Bundestagsmehrheiten. ({0}) Wir haben seit 1975 mit einer CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat regiert, und zwar bis zum Ende der sozialliberalen Koalition. Ich glaube nicht, daß wir durch eine besonders schlechte Wohnungspolitik aufgefallen sind. Bei Ihnen sieht es schon ganz anders aus. Sie wissen, daß es regionale Unterschiede gibt. Ich antworte Ihnen jetzt einfach einmal mit einer Gegenfrage: Wissen Sie eigentlich, wieviel der Bund im ersten Förderweg zu den Mitteln dazutut, mit denen die Wohnungen in Hamburg gebaut werden? ({1}) - Genau, 2 Prozent. ({2}) Sie wissen, daß Sie durch eine letztendlich verfehlte Politik in den neuen Bundesländern Leerstände produziert haben. Wir waren ja neulich gemeinsam in Görlitz und haben uns die Situation dort angesehen. Es ist zwar eine wunderschöne Stadt. Aber wenn ich mir überlege, daß die Einwohner trotz der 75 Millionen DM, die dort in den Wohnungsbau geflossen sind, nicht gehalten werden können, dann sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, was Sie in der Wirtschaftspolitik falsch machen. ({3}) Die CDU/CSU war also sehr für den sozialen Wohnungsbau, aber die F.D.P. hat durchgehalten, was sie auch jetzt noch sagt, nämlich daß er nur zeitweise benötigt wird. Da Sie noch immer diese Auffassung haben, müssen wir wohl davon ausgehen, daß die F.D.P. in dieser Beziehung nicht besonders lernfähig ist. Die Regierung kündigt diesen Konsens jetzt endgültig auf, im übrigen nicht aus finanziellen, sondern aus ideologischen Gründen. Wenn es nämlich nur um das Geld gehen würde, müßte insbesondere der soziale Wohnungsbau auf der sicheren Seite sein. Ihre Verkaufswut bei den Bundeswohnungen hat ja zur Folge, daß eine Menge Geld in die Staatskasse fließt. Dieses Geld ist aber, soweit es sich um den Erlös aus Wohnungen handelt, die dem Zweiten Wohnungsbaugesetz unterliegen, zweckgebunden und für den sozialen Wohnungsbau wieder einzusetzen. Alles andere wäre ein Gesetzesbruch. Mit diesem Polster den Karren „sozialer Wohnungsbau" weiter an die Wand zu fahren wird Ihnen sicherlich noch einigen Ärger bringen, auch bei Ihren eigenen Leuten. ({4}) Ziehen Sie daraus die Konsequenzen? - Sie tun es nicht. Ich gehe aber davon aus, daß andere die Konsequenzen ziehen werden, spätestens dann, wenn die Wählerinnen und Wähler im nächsten Jahr werden entscheiden können. ({5}) Das dritte Beispiel: Wie spare ich am unsinnigsten? Wer mehr ausgibt, als er hereinbekommt, hat sicherlich ein Problem. Er wird sich deshalb intensiv damit auseinandersetzen, was er einsparen kann. Aber viel intensiver wird er sich damit auseinandersetzen, wie er künftig seine Lage verbessern kann. Die Bundesregierung verhält sich anders: Sie spart heute für die Löcher von gestern. Sie spart sozusagen von der Hand in den Mund. Sie verhalten sich wie jemand mit einer ständig wachsenden Familie, der sein Feld nur zum Teil beackert, weil ihm das Geld für das Saatgut fehlt, aber gleichzeitig sein Orchideenhaus nicht aufgeben will. Ich will Ihnen das übersetzen: Obwohl Ihr politisches System immer mehr Menschen „produziert", die sich aus eigener Kraft mit Wohnraum zu angemessenen Preisen nicht versorgen können, kürzen Sie zwar in brutaler Weise den sozialen Wohnungsbau, wagen sich aber an die steuerliche Absetzbarkeit von Luxusbauten und Luxusmodernisierungen nicht heran. ({6}) Wir haben einen Antrag eingebracht, der sich mit diesen Luxusmodernisierungen befaßt, dem Sie getrost zustimmen können, genauso wie unserem Antrag zur Städtebauförderung und den Eckwerten für den sozialen Wohnungsbau. Bisher sind Sie immer ganz gut damit gefahren, wenn Sie sich auf uns eingelassen haben, zum Beispiel beim Anheben der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau, beim Eigenheimzulagengesetz oder beim Mietenüberleitungsgesetz. Sie könnten getrost einmal für die Zukunft planen. Aber wenn Sie das sollen, werden Sie immer ganz, ganz bescheiden. Dann gibt es nur Gänsewein zu trinken. Das Zielwasser für eine langfristige Haushaltskonsolidierung ist aber nicht schlecht eingeschenkter Gänsewein. Vielmehr sind es die hochprozentigen Investitionen, die Bewegungen bringen. Zum Gänsewein zähle ich übrigens auch das von Ihnen erwähnte MW-Programm, von dem bereits der Kollege Graf Lambsdorff sagte, es sei unsinnig und riskant, weil Kredite irgendwann zurückgezahlt werden müßten. Hinzugefügt hat er - in der „FAZ" vom 14. März 1997 - , mit solchen Kreditprogrammen sei die sozialliberale Koalition erst in die Ecke gefahren, und dann habe sie sich damit um die Ecke gebracht. Dem kann man eigentlich nichts hinzufügen, außer daß es vielleicht nicht das MW-Programm sein wird, das Sie - wenn ich das Wort aufgreifen darf - um die Ecke bringt. Was Sie machen, ist eine Politik, auch eine Wohnungspolitik, die die Ängste und Sorgen der Menschen nicht ernst nimmt und - das ist fast noch schlimmer - die die Menschen nicht mehr motiviert. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Willner, CDU/CSU.

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Haushaltsvolumen des Bundesbauministers wird um 6,2 Prozent ansteigen. Schwerpunkte des Einzelplans sind die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau, die erheblichen Bauinvestitionen in Berlin, das Wohngeld, die Städtebauförderung und einige andere Punkte. Natürlich kritisiert die Opposition - wir haben es gerade gehört - , daß die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gekürzt wurden. Lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Es gibt keinen Anlaß, die Kürzung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau zu dramatisieren. ({0}) Mir fällt ein Ausspruch von Heinz Schenk ein, der einmal sagte: „Das einzige, was man ohne Geld machen kann, sind Schulden. " Höhere Schulden können und dürfen natürlich nicht das Ziel sein. Deshalb muß auch für den Einzelplan 25, den Haushalt des Bauministers, das gelten, was Leitgedanke für den gesamten Bundeshaushalt ist: Kosten- und Ausgabenbegrenzung. Denn wir wollen und müssen die Staatsquote senken. Ich muß immer wieder an die Fakten erinnern, die Herr Kansy bereits nannte: Wahr ist, daß die deutlich verbesserte Situation der Wohnraumversorgung auf allen Ebenen dazu beigetragen hat, daß Einsparungen vorgenommen werden können. Es kann nicht sein, daß die Länder ihre Wohnungsbaumittel in den letzten drei Jahren zum Teil drastisch verringert haben, zum Beispiel Berlin um 64 Prozent, ({1}) Brandenburg um 46 Prozent, Hessen um 68 Prozent, Niedersachsen um 37 Prozent und gegenüber 1993 sogar um 71 Prozent, und hier in Bonn der Rückgang der Bundesmittel nicht nur beklagt, sondern sogar eine Aufstockung gefordert wird. ({2}) Frau Kollegin Mertens, Sie haben Hamburg genannt. Können Sie mir erklären, warum in Hamburg eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau über 200000 DM kostet und jenseits der Landesgrenze in Schleswig-Holstein 100 000 DM? Die Bundesmittel würden sich entsprechend erhöhen, wenn in Hamburg genauso konstengünstig wie in Schleswig-Holstein gebaut würde. ({3}) Der soziale Wohnungsbau ist nach wie vor eine vorrangige Aufgabe der Länder. Der Bund gewährt dafür Finanzhilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes: nach Maßgabe der Finanzkraft, was häufig vergessen wird. Die Finanzsenatorin in Berlin vertritt sogar die Auffassung, daß angesichts der Entspannung auf dem Wohnungsmarkt keine Notwendigkeit besteht, den Wohnungsbau in den nächsten Jahren öffentlich zu fördern. ({4}) - Frau Kollegin Fuchs, lesen Sie den „Tagesspiegel" vom 23. Juni 1997! - Die CDU/CSU-Fraktion plädiert allerdings nicht für einen solchen Crashkurs, sondern für eine offensive Strategie, die beschäftigungswirksame Impulse und strukturelle Anpassungsprozesse einbezieht. Wir kümmern uns um neue, vernünftige und zielorientierte Rechtsgrundlagen mit einem Gesamtkonzept für die künftige soziale Wohnraumförderung, mit der gezielten Unterstützung bedürftiger Haushalte. Dazu zählen nach wie vor in besonderer Weise Familien mit Kindern, Alleinerziehende, ältere Menschen, Behinderte und Wohnungslose. Ich meine, soziale Wohnraumförderung ist der neue und richtige Begriff und ein vernünftiger Weg. Das ist die eine Botschaft dieses Haushalts.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Willner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben eben mit einer drastischen Zahl die Wohnungspreise in der Hansestadt Hamburg mit den Wohnungspreisen in einem Flächenland verglichen. Ich habe Ihre Fraktion immer so verstanden, daß sie der Marktwirtschaft, also den realen Preisen von Dingen, den Vorzug vor einer Lenkungswirtschaft geben. Muß ich Sie mit Ihrer Bemerkung so verstehen, daß Sie verlangen, daß im Rahmen einer sozialen Wohnungsbaupolitik eine gelenkte Grundstückswirtschaft eingeführt wird, in der dann in der Tat der zentral lenkende Staat dafür sorgt, daß auch in Großstädten die Preise einer Wohnung genauso sind wie in einem Flächenland? ({0})

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duve, die erste Frage, die ich gestellt habe - ob mir jemand erklären kann, warum diesseits und jenseits der Grenzen dieser Preisunterschied besteht -, ist durch Ihre Zwischenfrage nicht beantwortet worden. Ich will Ihnen zweitens sagen, Herr Kollege, daß die Zuteilung von Bauland in Hamburg wesentlich restriktiver und anders als in Schleswig-Holstein erfolgt. In Schleswig-Holstein haben wir nicht diese Art der Bodenzuteilung wie in Hamburg. ({0}) Hamburg hat es über Jahrzehnte hinweg nicht geschafft, den notwendigen Grund und Boden in angemessenem Umfang zur Verfügung zu stellen, was dazu geführt hat, daß Hamburg mit Schleswig-Holstein eine Vereinbarung über die Bereitstellung von Wohnraum für sozialen Wohnungsbau in Schleswig-Holstein getroffen hat - zu Lasten von Mitteln in Schleswig-Holstein. Ich meine, daß die Hamburger inzwischen in einer Reihe von Stadtteilen sehr viel weiter gekommen sind und es nicht mehr nötig haben, auf Mittel aus Schleswig-Holstein zurückzugreifen. ({1}) - Frau Kollegin, Ihr Zwischenruf hat doch nun wirklich nichts mit der Frage zu tun. Außerdem habe ich Preise verglichen, die im Hamburger Nachbarraum gezahlt werden, und Preise, die in Hamburg gezahlt werden. Ich habe keine Preise von der Insel Föhr oder von einer anderen Insel genannt, um auch dies zu sagen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Richtigkeit der sozialen Wohnraumförderung wird vielfach anerkannt. Ich hoffe doch, daß es morgen, wenn im zuständigen Unterausschuß des Bundesrates darüber gesprochen wird, keine erneute Blockade gibt; denn sonst müßten Sie erklären, warum Vorgaben, die selbst Fachleute in den SPD-regierten Ländern für vernünftig halten, blockiert werden. Was wir alle ernst nehmen müssen, ist die Schwäche der Baukonjunktur. Wohnungsbau war und ist die Konjunkturlokomotive. Dabei muß daran erinnert werden, daß der Wohnungsbedarf nicht annähernd durch den öffentlich geförderten Wohnungsbau abgedeckt werden kann. Auf diesen entfallen nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der gesamten Wohnungsbauleistung. Ohne frei finanzierten Wohnungsbau und ohne Eigentumsmaßnahmen würde der Wohnungsbau zusammenbrechen. Deswegen muß alles getan werden, um die Eigentumsquote weiter zu steigern und neben dem öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau auch für den frei finanzierten Wohnungsbau eine Perspektive zu bieten. ({3}) Deshalb wäre es gut und richtig gewesen, im Rahmen der Steuerreform ein verläßliches Signal für die Bauwirtschaft auszusenden. Die SPD-geführten Länder haben die Steuerreform verhindert. Deswegen gibt es kein klares Signal für die Wohnungswirtschaft. Wohnungswirtschaft kann man nicht wie eine Beleuchtung an- und ausknipsen. Ich fordere Sie auf, wenn es zur Diskussion um eine Teilsteuerreform kommt, Ihre Verantwortung für Arbeitsplätze in Deutschland wahrzunehmen und mit dazu beizutragen, daß es wenigstens für den Wohnungsbau zu einer Lösung mit Perspektive kommt. Allerdings ist das, was jetzt in der SPD in den Steuervorschlägen enthalten ist, nämlich die Beibehaltung der Abschreibungssätze bei gleichzeitiger Begrenzung des Verlustausgleichs zwischen einzelnen Einkommensarten, keine Lösung. Es ist in der Tat nur eine Scheinlösung. Dieser Weg ist nämlich genauso falsch, wie es von den SPD-geführten Ländern falsch war, die Absenkung der degressiven AfA von 7 auf 5 Prozent im Bundesrat durchzusetzen. Das hat dem Wohnungsbau schwer geschadet. Es muß unser gemeinsames Ziel sein, daß sich die Konjunktur stabilisiert; ich meine, auf einem Niveau von etwa 450 bis 470 000 Wohnungen pro Jahr. Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern verhindert zur Zeit ein dramatisches Absacken der Baukonjunktur. Die neue Regelung der Eigenheimzulage hat die Eigentumsbildung deutlich beschleunigt. Die Reform der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohnungseigentums war dringend notGert Willner wendig, und auch die soziale Wirkung ist eindeutig positiv. Eigentumserwerber mit niedrigem Einkommen haben jetzt mehr Chancen zum Eigentumserwerb. Das setzt aber voraus, daß Grundstücke verfügbar sind. An die Verantwortung der Gemeinden und aller Körperschaften des öffentlichen Rechts, die über Grundstücke verfügen, sei hier erinnert, auch im Hinblick auf die Kosten mehr Grundstücke im Rahmen des Erbbaurechts dem Grundstücksmarkt zur Verfügung zu stellen. ({4}) Es ist wichtig, daß die Gemeinden preisgünstiges Bauland vor allem für Familien mit Kindern bereitstellen. Wir haben im Rahmen des Bau- und Raumordnungsgesetzes dafür bessere Voraussetzungen geschaffen. Jetzt müssen diese Neuregelungen auch genutzt werden und dürfen nicht in der Schublade verschwinden. Die Förderung des Wohnungsbaus hat auch das Ziel, für weite Kreise der Bevölkerung Eigentum zu schaffen. Die Verbesserung der Bausparförderung 1996 hat dazu geführt, daß die Bürger in höherem Maße Vorsorge für einen späteren Eigentumserwerb treffen. Die Eigentumsförderung kann und sollte mit der Eigentumsförderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus verzahnt werden. ({5}) Ich fordere die Länder auf, auch hier die Chance zur Schaffung von Eigentum zu ergreifen. Unser Ziel, die Vermögensbildung für breite Schichten weiterzuentwickeln, ist auch deshalb wichtig, weil dies eine der besten Möglichkeiten ist, Vorsorge für das Alter zu treffen. Wir unterstützen die Bildung von Eigentum. Ein Wort zum KfW-Modernisierungsprogramm. Ich kann die Kritik an diesem Programm überhaupt nicht verstehen. Dieses Programm, das insbesondere für Plattenbauten gilt, hat den vom Minister genannten Kreditrahmen von 60 Milliarden DM. Rund 700 000 Plattenbauten sind mit diesen Mitteln saniert worden. Das entspricht etwa einem Drittel aller Plattenbauwohnungen in den neuen Ländern. Ich denke, das ist ein Erfolg dieses Programms. Dieses Programm kann sich sehen lassen. ({6}) Wenn jetzt vorgesehen ist, für das Jahr 1998 noch einmal um 10 Milliarden DM aufzustocken, dann werden dadurch auch die mittelständische Bauwirtschaft und das Handwerk vor Ort gestärkt und stabilisiert.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Abgeordneten Großmann?

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich, daß der Abgeordnete Großmann diesmal eine Zwischenfrage stellt und nicht nur dazwischenruft. ({0}) - In den vergangenen Diskussionen hat er das immer getan.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Willner, Sie kennen doch sicherlich die Kritik am MW-Programm. Sie wissen, daß die Tilgung nach den tilgungsfreien Jahren mit 4 oder 5 Prozent anfängt und daß sehr viele Wohnungsunternehmen die Mittel umschulden, weil die Mittel am freien Kreditmarkt inklusive der dann reduzierten Tilgung günstiger sind und dies den Wohnungsunternehmen weitere Investitionen ermöglicht, anstatt mit sehr hohen Tilgungsraten zurückzuzahlen. Das heißt, im Grunde genommen ist das MW-Programm richtig angelegt, aber die Modalitäten sind derart, daß den Wohnungsunternehmen nach vier, fünf Jahren liquide Mittel fehlen, die sie sonst in Investitionen stecken könnten. Das ist die Kritik nicht nur von der SPD, sondern auch aus der Wohnungswirtschaft. Sie kennen sie.

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will den kritischen Punkt, den Sie genannt haben, überhaupt nicht leugnen. Ich denke, wir tun gut daran, bei der Fortführung dieses Programms gemeinsam zu überlegen, welchen Weg wir gehen können. Die kritische Phase der Finanzierung, die Sie angesprochen haben, ist sehr wohl wert, mit der MW besprochen zu werden, um zu besseren Modalitäten zu kommen. Wie in den vergangenen Jahren, sehr geehrte Damen und Herren, ist auch dieses Jahr wieder das Lamento zu hören, daß die Städtebauförderung gestrichen werden soll. Das war falsch, und das ist falsch. Es gibt keine Einschnitte bei der Städtebauförderung. Die Wohnungspolitiker der Union - Herr Dr. Kansy, ich denke, wir können dies einmal so sagen - konnten sich mit der Auffassung durchsetzen, daß für 1998 die Städtebauförderung mit 600 Millionen DM ungekürzt erhalten bleibt. ({0}) Das ist gut so. Die Erkenntnisse über die positiven Effekte der Städtebauförderung mit der Anstoßwirkung auf andere öffentliche Mittel, auch auf private Investitionen, sind unbestritten. Minister Töpfer hat sie vorhin genannt. Unbestritten sind auch die beschäftigungspolitischen Wirkungen. Deswegen war es richtig, nicht nur die bisherigen Mittel für die Städtebauförderung zu erhalten. Wir haben es seit 1996 durch Haushaltsvermerke ermöglicht, daß von den Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau 700 Millionen DM jährlich in städtebaulichen Sanierungsund Entwicklungsgebieten in den alten Ländern eingesetzt werden können. Dieses Anliegen ist von den Ländern aufgenommen und umgesetzt worden. Hierfür sage ich allen beteiligten Ländern ausdrücklich danke schön. Denn damit wird deutlich: Bund, Länder und Gemeinden begreifen und praktizieren stadtentwicklungspolitiGert Willner sche Maßnahmen als gemeinsame Aufgabe. Die Städtebauförderung ist d a s zentrale Instrument für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Wir erwägen, im Haushaltsvermerk einen höheren Betrag zu benennen, und wir bitten Sie, dies mitzutragen. Denn Städtebau ist der Motor für Investitionen und Beschäftigung. ({1}) - Herr Kollege, um ihren Zwischenruf als Zwischenfrage zu bewerten und zu beantworten: Die Wohnungsbaupolitiker beabsichtigen, das bei den Haushaltspolitikern durchzusetzen. Die Haushaltspolitiker sind uns 1996 gefolgt. Ich gehe davon aus, daß sie uns auch 1998 folgen werden. ({2}) Unser Ziel ist es, das umzusetzen, was eine richtige Entscheidung der Unionsfraktionen war, nämlich die Städtebauförderung in einem einheitlichen Städtebaurecht ab dem 1. Januar 1998 zu verankern und die Schwerpunkte unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik zu konzentrieren. Unser Ziel ist eine lebendige Innenstadt. Deshalb sage ich auch ein klares Nein zu den Factory Outlets, also den Fabrikverkaufszentren, wie sie jetzt von Rheinland-Pfalz zugelassen werden sollen. Ich sage klar und deutlich: Dies kostet Arbeitsplätze im Handel. Es gilt vielmehr, Stadt und Stadtqualität zu fördern. Dies geht nur als eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. ({3}) Zum Stichwort Wohngeld: Für Wohngeld sind - der Minister hat es gesagt -3,5 Milliarden DM vorgesehen. Fast zwei Drittel aller Wohngeldausgaben fließen als sogenanntes pauschaliertes Wohngeld an Sozialhilfeempfänger. Das Wohngeld - so hat der Minister an anderer Stelle festgestellt - bildet zunehmend einen Ansatzpunkt für eine große Unzufriedenheit, wenn es sich herumspricht, daß der Empfänger von Sozialhilfe und pauschaliertem Wohngeld seine Wohnung gänzlich bezahlt bekommt, während derjenige, der arbeitet, immer weniger Tabellenwohngeld erhält. Diese Trennung zwischen pauschaliertem Wohngeld und Tabellenwohngeld führt in der Tat zu Verwerfungen. Hier sind strukturelle Veränderungen notwendig. Ich denke, hierin sind wir uns einig. Das Kabinett hat deshalb den Bauminister gebeten, unverzüglich mit den Ländern zu prüfen, ob einvernehmlich eine aufkommensneutrale Wohngeldstrukturnovelle so bald wie möglich verwirklicht werden kann. Es reicht nicht, wenn die Bauminister unisono ja rufen und sich die Finanzminister in Schweigen hüllen. Das tun sie offenbar oder wiegeln mehr oder weniger deutlich ab. Im November vergangenen Jahres hat der Mieterbund gefordert, daß die Länder dem Bund auf die Sprünge helfen, und hat an alle Länder appelliert, bei der nächsten Konferenz der Landesfinanzminister einen Beschluß zur nachhaltigen Verbesserung des Wohngeldes zu fassen. Offenbar hat es keine oder nur eine ausweichende Reaktion gegeben; sonst hätte Frau Kollegin Fuchs das sicher schon mit der Posaune verkündet. Nicht unerwähnt bleiben darf, daß Ausgleichszahlungen für die Region Bonn in Höhe von 331 Millionen DM vorgesehen sind. Insgesamt wird die Region Bonn aus dem Bundeshaushalt mit 2,8 Milliarden DM gefördert. Der Haushaltsausschuß hat bereits über 2 Milliarden DM freigegeben. Ich nenne nur ein besonders wichtiges Vorhaben, nämlich den Anschluß der ICE-Neubaustrecke an den KonradAdenauer-Flughafen in Köln/Bonn. Der Haushalt enthält auch Ansätze für Berlin. Die Ansätze für Berlin und die Bauvorhaben Bundesrat, Bundesarbeitsministerium und viele andere bestätigen, daß die Beschlüsse zur Verlagerung des Sitzes von Parlament und Regierung zügig unter Beachtung des festgesetzten Kostenrahmens umgesetzt werden. Ich danke Herrn Minister Töpfer und seinen Mitarbeitern, insbesondere auch im Stab Berlin, für die dort geleistete Arbeit. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Debatte viel gehört, und wir werden noch viel hören. Der von mir sehr geschätzte Oberbürgermeister a.D. Dr. Rommel hat gesagt: „Wir müssen jetzt versuchen, in eine Phase der Politik zu kommen, in der der Schwerpunkt des Nachdenkens weniger darauf liegt, was wir wünschen sollen, sondern darauf, was wir leisten können. " Dazu sind Sie alle, auch zur Mitarbeit in den Ausschüssen, herzlich eingeladen. Ich bin sicher, daß wir in einem Punkt einvernehmliche Zustimmung haben werden, nämlich bei der Bereitstellung von 15 Millionen DM für Maßnahmen im Odergebiet in Brandenburg. Dies ist eine konkrete Hilfe für Burger, die hoffentlich vor Ort zügig umgesetzt wird. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bin sicher, daß es in den Ausschußberatungen spannende Diskussionen geben wird. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Töpfer, ich bewundere wirklich Ihre Fähigkeit, wie Sie die größten Pleiten schönreden können. ({0}) Meine Wahrnehmung von diesem Sommer - ich sage das ohne wahltaktische Aspekte - ist völlig anders. Wir haben es nämlich mit der Tatsache zu tun, daß die drei wesentlichen Säulen der Wohnungspolitik in diesem Sommer unbemerkt neben dem ganzen Sommertheater schlicht weggebrochen sind. Es ist wirklich genial, wie Sie das schönreden können. Die erste Säule, die weggebrochen ist, ist das Wohngeld. Es ist doch absurd, wenn Sie sagen, daß das Wohngeld steigt. ({1}) Tatsache ist, daß das Wohngeld ein Faß ohne Boden ist, weil Sie seit 14 Jahren eine bescheuerte Wohnungspolitik machen und weil das jetzt mit der Arbeitslosigkeit zusammentrifft. ({2}) - Man kann es nicht anders sagen. Deswegen ist immer mehr Wohngeld für immer weniger Leistung und immer weniger Lösung der Probleme zu bezahlen. Insofern ist es richtig, daß die Wohngeldkosten inzwischen enorm gestiegen sind, allein zwischen 1995 und 1996 um 13 Prozent; das ist besorgniserregend. Aber das Problem ist, daß die Wohngeldreform gerade deswegen überhaupt nicht mehr in Sicht ist. Sie haben auch erklärt, daß sie nicht mehr kommen wird. Im Gegenteil, Sie beabsichtigen, uns ein Gesetz vorzulegen, um die Wohngeldkosten in dem Sinn zu deckeln, daß die Kommunen letztlich die Differenz bezahlen - auch wenn Sie vorhin wieder versucht haben, das kosmetisch zu bereinigen. ({3}) Die zweite Säule, die weggebrochen ist, ist der soziale Wohnungsbau. Auch da finde ich es nett, wenn Sie sagen: Ach, das ist ja gar nicht dramatisch. Tatsache ist, daß Sie zwar die Kosten für den Haushalt 1998 so gerade noch halten, die Verpflichtungsermächtigungen aber gegenüber 1996 halbiert und gegenüber 1997 um 30 Prozent gesenkt werden. Das heißt faktisch, daß von jetzt an überhaupt keine neuen Wohnungsbauprojekte mehr aufgelegt werden können; denn alles, was wir im nächsten Jahr noch an Geld zur Verfügung haben, sind aus diesem Jahr und aus dem Vorjahr gebundene Mittel. Insofern haben wir im Bereich sozialer Wohnungsbau überhaupt keine gestaltende Wohnungspolitik, sondern wirklich nur das, was Frau Mertens gesagt hat, nämlich Konkursverwaltung. Das sollten Sie wirklich sehr ernst nehmen und jetzt nicht sagen, wer das behaupte, der rede von Wahlkampf oder sonst etwas. Tatsache ist: Das Wohnungsbaureformgesetz, Herr Töpfer, ist die Begleitmusik zu diesem Konkurs. Da können Sie sagen, was Sie wollen. Natürlich stehen ein paar Sachen darin, die uns sympatisch sind. Es steht drin der Ausstieg aus der Kostenmiete. Das unterstützen wir. ({4}) Es steht drin die stärkere Konzentration auf den Bestand. Das unterstützen und fordern wir schon lange; wir freuen uns, daß Sie von uns lernen. Aber die Kernbotschaft dieses Gesetzes ist doch schlicht: Liebe Länder, macht euren Dreck alleine, seht zu, wie ihr klarkommt, und macht euch dazu die nötigen Richtlinien. Es wird also ein heilloses Tohuwabohu auf Grund dieses Gesetzes geben. Es ist schlicht eine Deregulierung, ein Ausstieg des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau. ({5}) Herr Kansy, auf Ihre Frage von vorhin: Reden wir doch in Zahlen. Wenn die Länder in diesem Jahr 12 Milliarden DM in den sozialen Wohnungsbau stecken, während der Bund 2,2 oder 2,3 Milliarden DM reinsteckt, dann ist das ein ganz anderes Niveau, auf dem abgebaut wird, als das, wovon wir in diesem Hause reden und wofür wir die Verantwortung haben. ({6}) Die dritte Säule sind die Steuersubventionen im Mietwohnungsbau. Ich habe mich eben erschrocken, daß sich Herr Willner immer noch nach den 7 Prozent degressiver AfA sehnt. ({7}) Unserer Meinung nach ist das nie eine Säule gewesen, sondern es ist letztlich eine kosten- und spekulationstreibende Fehlsubvention gewesen. Es ist höchste Zeit, daß zwischen Steuerrecht und Subventionen klare Regeln geschaffen werden und das auseinandergenommen wird. Wir haben Ihnen dazu das Modell der Bauzulagen vorgeschlagen. Im Prinzip ist es bei der Eigenheimförderung und bei der Ostförderung jetzt endlich als Lernprozeß auch bei Ihnen angekommen. Wir fordern Sie auf - und da fordern wir auch gerade die SPD auf -, in Sachen Steuerreform in diesem Schritt endlich zu klaren Entscheidungen zu kommen und unserem Konzept zu folgen. Wir sind dagegen, daß da völlig abgebaut wird. Mit klaren Bauzulagen kann man mehr Subventionen effektiver, spekulations- und kostenneutraler einsetzen, als das bis heute der Fall ist. ({8}) Wir haben noch ein paar andere Säulen im Wohnungsbau, die momentan glücklicherweise nicht demontiert sind. Ich will sie wenigstens kurz nennen. Ich danke an dieser Stelle der CDU/CSU, daß sie es verhindert hat, daß die F.D.P. nun auch noch das Mietrecht demontiert und den Kündigungsschutz aushöhlt; das muß man ganz klar sagen. Ein Glück, denn sonst müßte ich Herrn Kohl dazu beglückwünFranziska Eichstädt-Bohlig schen, daß er das auch noch aushalten will, wenn das Mietrecht jetzt praktisch gelockert wird. Der nächste Punkt ist die Eigenheimförderung. Gerade weil Sie sie so hoch gelobt haben, Herr Willner: Wir sind nicht gegen Eigenheimförderung. Aber ich möchte noch einmal betonen, was ich hier schon einmal gesagt habe: Wir haben eine enorme Schieflage zwischen den Pflichtaufgaben Wohngeld, sozialer Wohnungsbau, Stadterneuerung - dazu kann ich aus Zeitgründen leider nichts mehr sagen - und der Eigenheimförderung. Tatsache ist, daß die Eigenheimförderung allein auf Bundesebene genausoviel Geld verschlingt wie alle anderen Fördervolumina zusammen. Das ist eine wohnungspolitische und sozialpolitische Schieflage, die wir uns nicht leisten können. Von daher ist eine unserer zentralen Forderungen, die viel zu hohen Einkommensspitzen bei der Eigenheimförderung - 240 000 DM für Doppelverdiener - zu kappen. Dieses Geld muß in Wohngeld und andere Wohnungsbauförderungen umgewidmet werden. Ich bitte Sie, das endlich einmal ernst zu nehmen. ({9}) Ich mache es kurz: Unsere Forderungen sind ein wirklich grundsätzlicher Umstieg in der Wohnungsbauförderung. Wir wollen nicht mehr dieses Hoffen auf Wirtschaftswachstum und darauf, daß dann Steuergelder kommen, mit denen wir allen Problemen hinterhersubventionieren. Diese Zeiten sind vorbei. ({10}) - Sie lachen. Das ist die Politik, die Sie seit Jahren propagieren und fordern. Noch in der Diskussion um die Steuerreform haben Sie gefragt, wo denn mehr Wohngeld sei. Ich finde es zynisch von der F.D.P., auf der einen Seite Steuersenkungen zu fordern, auf der anderen Seite aber Mieterhöhungen zu verlangen und nach dem Wohngeld zu fragen. ({11}) - Das hat Herr Thiele - ich habe es extra für die heutige Diskussion nachgelesen - als Frage in der Anhörung zur Steuerreform eingebracht. ({12}) Unsere Forderungen heißen: Sicherung der preiswerten Bestände statt Billigstausverkauf - ich nenne die Stichworte Deutschbau, Frankfurter Siedlungsgesellschaft -; eine Wohnungsbaureform, die eine wirkliche Reform und kein Alibi für den Ausstieg ist; die Einführung der Wohnungsgemeinwirtschaft - ich habe es schon mehrfach gesagt - mit klarer Vermögensbindung für die öffentlichen Bestände und für das öffentliche Wohnungsvermögen, damit wir wenigstens auf diese Wohnungen einen dauerhaften Zugriff haben und preiswert Bestände halten können, anstatt immer weiter zu verteuern; die Konzentration der Förderung auf die wirklich Bedürftigen - da bin ich d'accord mit der Regelung, die im Wohnungsreformgesetz steht, aber nicht mit dem dritten Förderweg, wie es nach Ihrem Haushalt für 1998 wieder geschieht -; die klare Umstellung der Steuersubventionen auf Bauzulagen; die Kürzung der Eigenheimzulage zugunsten des Wohngeldes. Last, but not least fordern wir, daß endlich die Diskussion um die Ökosteuer geführt wird, weil wir nur darüber Wärmedämmungsprogramme und eine umfassende CO2-Minderung bekommen können. ({13}) - Das ist nichts Neues, aber das schafft Arbeitsplätze. Darauf hat Frau Hartenstein eben in der Debatte um den Umweltetat hingewiesen. Es ist ein Skandal, daß Sie sich dieser Diskussion ständig verweigern. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, was ist wohl der Vorteil, wenn man auf einer der Regierungsbänke sitzt? ({0}) Man kann dem Kollegen Peter Conradi ins Gesicht gucken und sehen, mit welchem Mißvergnügen er dieser Debatte folgt. Es wundert mich überhaupt nicht, daß er dieser Debatte mit Mißvergnügen folgt. Denn diese alten Rituale sind doch wirklich schlimm: Die Regierung preist ihre Konzepte an - bitte sehr -, und die Opposition erzählt zum x-ten Mal, das sei der Konkursantrag der Regierung. So kann es doch wohl nicht sein, meine Damen und Herren! Diese erstarrten Rituale bringen uns überhaupt nicht weiter. Deswegen wäre es wirklich gut, wir würden einfach einmal die Dinge, die schlecht laufen, auch so nennen und die Dinge, die gut laufen, dann ebenso. Deswegen hatte ich heute eigentlich die Hoffnung, daß die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes einmal aufsteht und sagt: Es ist verdammt gut gelaufen! Drei Jahre hintereinander sinken die Mieten bei Neuverträgen und bei Wiedervermietungen. Das ist eine Politik zugunsten der Mieter in unserem Land. - Das hätte ich heute einmal von der SPD hören wollen; das wäre nämlich richtig gewesen. ({1}) Das sind Erfolge von wirklich guter Wohnungspolitik der letzten sieben Jahre. Wenn jemand heute Herrn Töpfer gelobt hat - leider kam das Lob nur von den Koalitionsbänken -, dann hat er. recht: Herr Töpfer hat diese Politik fortgesetzt und dafür gesorgt, daß viele Wohnungen neu gebaut wurden, daß das Angebot groß ist und daß deswegen die Mieten sinken. Das ist marktwirtschaftliche Wohnungspolitik, Hildebrecht Braun ({2}) die dem Gemeinwohl verpflichtet ist und die zugunsten der Mieter wirkt. ({3}) Natürlich können wir nicht über Kürzungen, die wir in diesem Haushalt gegenüber dem letzten Jahr vornehmen müssen, erfreut sein. Aber kann es denn angehen, daß die Rednerinnen und Redner von der SPD und von den Grünen Kürzungen beim Bundeshaushalt just in diesen Bereichen beklagen und anprangern, wo ihre eigenen Länderminister doch im selben Maße - meist sogar noch sehr viel mehr - kürzen? So kann es doch nicht sein. ({4}) Ein bißchen Konsequenz muß doch im Interesse der Glaubwürdigkeit unser aller Politik sein. Wollen wir festhalten: Der Übergang von der staatlichen Wohnraummißwirtschaft in der ehemaligen DDR zu einem funktionierenden sozialen Wohnungsmarkt ist noch nicht vollständig, aber doch weitgehend gelungen. Das ist trotz aller Horrorvisionen, die von interessierter Seite an dieser Stelle vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Debatte über das Mietenüberleitungsgesetz vorgetragen wurden, in sozialem Frieden geschehen. Die städtebauliche Substanz in den neuen Bundesländern wurde vor dem Verfall bewahrt und wird nun langsam, aber stetig wieder aufpoliert. Die Bemühungen um Senkung der Kosten im Bauwesen tragen Früchte. Die Überprüfung der Instrumente des Baurechts hat mit der Verabschiedung des Bau- und Raumordnungsgesetzes den vorläufigen Abschluß gefunden. Abbau der Bürokratie, Beschleunigung der Investitionsvorhaben, Integration des Naturschutzes und Erleichterung der Modernisierung waren die Themen des Gesetzes, das zu meiner großen Freude von allen hier im Raum, zumindest von den Koalitionsparteien und der SPD, unterstützt wurde. So muß und kann man sagen: Die Zwischenbilanz der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist eindeutig positiv. Ich will das in dieser Form hervorheben, obwohl wir natürlich die Kürzungen im Bauetat überhaupt nicht glücklich finden. Sie werden aber nicht den Untergang des Abendlandes zur Folge haben. Auch der Einzelplan des Bundesministeriums für Bauwesen trägt seinen Anteil an der Kürzungslast des Bundeshaushaltes. Die erforderliche Haushaltskonsolidierung kommt vor den wohnungspolitischen Wohltaten. Dieser Grundsatz gilt auch für die Wohnungspolitiker der F.D.P., auch wenn er teilweise schmerzt. Der Bund macht nichts anderes als die Länder, die dieses schon seit Jahren vormachen, vielleicht auch auf Grund der dort besonders schlechten finanziellen Situation vormachen müssen. Ich möchte auf einen Pluspunkt, der hier schon mehrfach angesprochen worden ist, nämlich die Wohneigentumsförderung, verweisen, die in dieser Legislaturperiode komplett neu geregelt wurde und zu einer nachhaltigen Veränderung in Form einer großen Nachfrage nach Wohneigentum und zu einer Verstetigung des Anwachsens der Wohneigentumsquote geführt hat. Das ist ein Ergebnis, das wir hier mit aller Freude zur Kenntnis nehmen. Womit wir allerdings nicht zufrieden sind - ich sage das hier in aller Deutlichkeit -, ist die Situation im Bereich des Wohngeldes. Wir alle wollen eine Novelle des Wohngeldes, aber wir können sie nicht alleine durchführen. Die Länder müssen mitmachen. Wenn die Länder nicht bereit sind, mehr dafür auszugeben, sind natürlich auch dem Bund die Hände gebunden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich, Herr Großmann.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie darüber informiert - es stand ja in der Presse, und wir haben es im Ausschuß erwähnt, vielleicht in Ihrer Abwesenheit, deshalb trage ich es noch einmal vor -, daß die Finanzminister der Länder schon im Dezember vorigen Jahres gesagt haben, daß sie zur Kofinanzierung bereit sind und darauf warten, daß diese Bundesregierung endlich das Reformkonzept vorlegt?

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Großmann, ich beantworte Ihre Frage ganz schlicht mit Nein. Mir ist das nicht bekannt. Ganz im Gegenteil: Aus der Tagespresse, die ich genauso wie Sie verfolge, glaube ich, über die genau gegenteilige Haltung informiert zu sein, daß sie nämlich dazu nicht bereit sind. Der Bund wäre in diesem Bereich zur Kooperation bereit, wenn die Länder mitziehen würden. Allein kann er es nicht machen. ({0}) Natürlich muß das pauschalierte Wohngeld zurückgeführt werden, denn es führte dazu, daß die Anteile des pauschalierten Wohngeldes in den letzten Jahren nachhaltig gestiegen sind, obwohl das pauschalierte Wohngeld 1991 eingeführt wurde, um Kosten zu sparen. ({1}) Es war aber nicht dafür gedacht, die Sozialhilfehaushalte der Kommunen dadurch nachhaltig zu entlasten. Hier muß eine Änderung eintreten, sonst wird das Wohngeld in der bisherigen Form nicht fortgeführt werden können. Gerade wir Liberalen legen allergrößten Wert auf das Wohngeld, weil es die beste Form der individuellen Förderung, der sogenannten Subjektförderung, ist. Wir halten sie in der Tat für effizient und für richtig. ({2}) Wir halten es aber nicht für dauerhaft hinnehmbar, daß die Wohngeldberechtigten mit gleichem EinHildebrecht Braun ({3}) kommen deutlich schlechter gestellt werden als diejenigen, die eine Sozialwohnung erhalten, oder gar als diejenigen, die als Fehlbeleger in Sozialwohnungen wohnen. Das kann nicht richtig sein. Wir wollen, daß alle Menschen in diesem Land bei gleichem Einkommen und gleicher Belastung durch die Miete auch gleiche staatliche Förderung erhalten. Aber dazu muß sich die Opposition, die über den Bundesrat mitzureden hat, von überkommenen Fördervorstellungen lösen, die diesem selbstverständlichen politischen Anliegen im Wege stehen. Wir wollen das neue Wohnungsgesetzbuch. Dieser Entwurf, der von Töpfer vorgelegt wurde, enthält in wesentlichen Teilen Vorschläge von uns. Wir hoffen wirklich, daß der Bundesrat und die SPD bereit sind, in den kommenden Ausschußberatungen und im Bundesrat die großen Vorteile der Reform des sozialen Wohnungsbaus mitzutragen, damit wir in Zukunft mehr in diesem Bereich und sehr viel gerechter, richtiger fördern können. Ich hoffe, daß wir im Bauausschuß, wie es in den letzten Jahren üblich war, sachlich miteinander die Dinge diskutieren und für die bestmögliche Lösung streiten. ({4}) Denn komischerweise ist die Atmosphäre im Bauausschuß immer sehr viel besser als hier im Plenum. Es wird doch hoffentlich nicht daran liegen, daß wir hier öffentlich diskutieren, während wir im Bauausschuß unter Ausschluß der Öffentlichkeit um die richtige Lösung ringen. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den letzten Satz von Herrn Braun will ich gern aufnehmen: Für öffentliche Sitzungen bin ich sehr zu haben. Nun zur Rede. Als unser aller Bauminister am vorigen Donnerstag in Berlin die Ergebnisse seines dreijährigen Wirkens vorstellte, präsentierte er voller Stolz eine aus seiner Sicht hervorragende Bilanz. ({0}) Aus meiner Sicht hat er wieder einmal vergessen, die rosarote Brille abzusetzen. ({1}) Dabei meine ich, vorhin die Forderung nach fairer Differenzierung in der Bewertung gehört zu haben. Nun kann man ihm nicht absprechen, daß einiges von dem, was er als Erfolg der Bundesregierung verkauft, tatsächlich zur Verbesserung des Wohnungsangebotes beigetragen hat. Doch das ist wie immer nur die halbe Wahrheit. Die vielen Millionen Menschen, die sich mit den Schattenseiten seiner Politik herumschlagen müssen, würden den Klang seiner Siegesfanfaren wohl auch empfindlich stören. Die Verlierer bundesdeutscher Gesetzgebung haben im Bauminister jedenfalls keinen Anwalt ihrer Interessen, und der Verlierer gibt es viele - seien es die Hunderttausende von Mieterinnen und Mietern, deren Wohnungen der Deutschbau, der Frankfurter Siedlungsgesellschaft, der Bahn, der Post, der Bundeswehr oder - im Osten - der TLG gehörten und zum Verkauf anstehen bzw. oft unter Preis an kaufkräftige Investoren verhökert wurden; ({2}) seien es die Menschen, deren Hunderttausende Wohnungen immer noch der Zwangsprivatisierung nach Altschuldenhilfegesetz unterliegen ({3}) und die schon seit vielen Jahren die bange Frage stellen, welcher Zwischenerwerber sich an ihren Wohnblöcken auf ihre Kosten gesundstoßen werde; seien es die vielen Wohngeldempfänger im Westen unseres Landes, denen trotz vollmundiger Töpferischer Versprechungen das Wohngeld indirekt immer weiter gekürzt wurde; seien es die immer noch über 1 Million Bürger Ostdeutschlands, die als verbliebene Opfer des verheerenden Prinzips Rückgabe vor Entschädigung auch nach sieben Jahren Einheitsversuch in unsicheren Wohn- und Nutzungsverhältnissen leben müssen, die Mieterinnen und Mieter, die vor allem im Altbaubestand großer Städte in Wohnungen leben, in die auf Grund eines Restitutionsantrages seit 1990 keine müde Mark für dringend notwendige Instandhaltung geflossen ist. Alles versehentlich vergessen, Herr Töpfer? Aber Sie bevorzugen wohl, sich auf die Seite der Gewinner zu schlagen - Gewinner wie die kapitalkräftigen Banken und Immobiliengesellschaften, wie die westdeutschen Rechtsanwälte, Ärzte und Vermögensberater, die mit mehr als großzügigen Steuergeschenken à la Sonder-MA Ost am Markt vorbei superteure Villenviertel in den sächsischen oder brandenburgischen Boden geknallt haben: mit zweistelligem Milliardenaufwand steuerfinanzierter Leerstand. Kein Wort in des Bauministers Erfolgsstory zu den 452 000 Wohnungen, die in Ostdeutschland leerstehen und die in starkem Kontrast zu den Neubauzahlen von insgesamt nur 375 000 Wohnungen im Zeitraum von 1991 bis 1995 stehen. ({4}) Dies alles nicht zu sehen und nicht zu sagen, trotz unbestreitbarer Verbesserungen der Wohnqualität bei einem Teil - ich betone: bei einem Teil - der Bevölkerung, ist entweder fehlender Realitätssinn oder bewußte wahltaktische Schönfärberei. Auch der Haushaltsansatz für 1998 läßt wohnungspolitisch nichts Gutes erahnen. Weiter verschlechterte Bedingungen für den sozialen Wohnungsbau, mangelhafte Finanzausstattung der Städte und GeKlaus-Jürgen Warnick meinden sowie massenhafter Verlust von Mietpreis-und Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen sprechen eine deutliche Sprache. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, eine töpfersche Tradition seit seinem Amtsantritt, sollen erneut radikal reduziert werden. Aus unserer Sicht wäre statt dessen eine Erhöhung notwendig gewesen. Das Thema Wohngeld hat sich mittlerweile zum Trauerstück dieser Regierung entwickelt - wir sind heute schon mehrfach darauf eingegangen - und steht stellvertretend für die vielen anderen gebrochenen Versprechungen. Obwohl sich jeder Haushaltslaie an Hand der bisher vorliegenden Daten mühelos ausrechnen kann, daß die Ansätze für das Wohngeld auch 1998 nicht ausreichend sind, lügt sich die Koalition wieder in die eigenen Finanzen. Daß ich bei 2,515 Milliarden DM, die per 31. August 1997 für das Wohngeld aufgebracht werden mußten, zum Ende des Jahres bei knapp 3,8 Milliarden DM lande, kann selbst ein mathematisch nicht besonders begabter Grundschüler schnell ermitteln. Da reichen die avisierten 3,5 Milliarden DM für 1998 nie aus. Oder wollen Sie uns allen Ernstes erklären, daß für das nächste Jahr weniger Wohngeld benötigt wird, weil die Zahl der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger spürbar zurückgeht? Wir würden es den Betroffenen von Herzen wünschen. Die traurige Wahrheit ist, daß die Zahl der wohngeldberechtigten Menschen durch Ihre verfehlte Politik eher weiter steigen wird; es sei denn, Sie verringern die Zahl der Anspruchsberechtigten durch eine Verschlechterung der Wohngeldregelungen, was genau das Gegenteil von dem wäre, was Sie seit Jahren versprechen. Wir lehnen Ihr Modell der Haushaltssanierung durch den krampfhaften und hektischen Verkauf von möglichst auch der letzten bundeseigenen Wohnung strikt ab. Mit solchen völlig untauglichen Instrumenten die Lücken im Haushalt 1997 und 1998 wenigstens oberflächlich zu stopfen, ist wohnungspolitisch mehr als unsinnig und hinterläßt eine schwere Hypothek für die Zukunft. Zum Bonn-Berlin-Umzug möchte ich auf Grund der knappen Zeit nur zwei Sätze sagen. Wir fordern weiter einen möglichst schnellen und sparsamen Umzug. Trotzdem und deshalb sehen wir verschiedene Einsparmöglichkeiten, über die wir in den Ausschußberatungen reden müssen. Natürlich stellt sich wie immer die Frage der Finanzierbarkeit unserer Forderungen. Die Lösung kann nicht im Einzelplan 25 gesucht und gefunden werden; sie kann nur in einem völlig anderen Grundansatz der Verteilung des produzierten Reichtums durch eine radikal veränderte Steuerpolitik bestehen. Sollten unsere Änderungsvorschläge keine Mehrheit finden, was uns natürlich maßlos verwundern würde, lehnen die demokratischen Sozialisten den Einzelplan 25 aus den vorgenannten Gründen ab. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter Maaß.

Dieter Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ihrer Begründung zum Nachtragshaushaltsgesetz 1997 weist die Bundesregierung auf die anhaltende Investitionsschwäche hin. Doch anstatt Anreize für Investitionen zu geben, erreicht sie mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf 1998 genau das Gegenteil. Damit kommen wir zu einer anderen Bewertung als Sie, Herr Minister Töpfer. Der vorliegende Entwurf des Einzelplanes 25 ist ein Beweis dafür. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden um weitere 30 Prozent im Jahr 1998 gekürzt. Insgesamt geht die Förderung von 2,01 Milliarden DM auf weniger als 1,4 Milliarden DM zurück. Es ist die konsequente Fortsetzung einer Politik, die auf die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus zusteuert. Dies wird mit uns nicht zu machen sein. ({0}) 1993 stellte der Bund noch 4 Milliarden DM zur Verfügung; für dieses Jahr war es nur noch die Hälfte, wobei Sie gegen unseren Protest das Treuhandvermögen des Bergarbeiterwohnungsbaus dem Bund übertrugen. Die Rücknahme der Fördermittel hat zur Folge, daß viele Menschen in unserem Land benachteiligt werden, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sich auf dem Wohnungsmarkt zu versorgen. Mit sozialer Gerechtigkeit hat diese Politik wirklich nichts mehr zu tun. ({1}) Wenn Sie dem sozialen Bereich schon so wenig Beachtung schenken, müssen Sie doch zumindest den Investitionen den Vorrang geben. Doch nach Angabe des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes gingen die Bauaufträge im ersten Quartal um sieben Prozent zurück, insgesamt ein Minus an Bauinvestitionen von 2,5 Prozent. Die Auswirkungen sind: 60 000 bis 80 000 Bauarbeiter verlieren in diesem und im nächsten Jahr ihren Arbeitsplatz. Ihre Gegenstrategie, durch Sozialabbau eine bessere Angebotssituation zu schaffen, muß scheitern, weil Sie die Nachfrageseite zu sehr vernachlässigen. Falsch ist auch Ihre Politik, in dieser Situation die Städtebaufördermittel nicht zu erhöhen. Eine Forderung des Finanzministers war es sogar, die Städtebaufördermittel um 10 Prozent von 600 Millionen DM auf 540 Millionen DM zu senken. Das Bauministerium konnte dies gerade noch verhindern, allerdings zu dem Preis, daß die Förderung des sozialen Wohnungsbaus um diese 60 Millionen DM zusätzlich gekürzt wird. In jeder Rede der letzten Jahre zum Haushaltsentwurf versuchen wir, Ihnen deutlich zu machen, wie Dieter Maaß ({2}) wichtig diese Mittel für die Städtebauförderung, die Beschäftigung, den Erhalt unserer Innenstädte, die Renaturierung von Gewässern und die Wiedernutzbarmachung von Industriebrachen sind - um nur einige Beispiele zu nennen. Wir werden anläßlich der Beratungen im Ausschuß dazu einen Antrag stellen. Wir hoffen auf Unterstützung der Fachleute in den Koalitionsfraktionen, die in der Sache mit uns darin einig sind. Meine Damen und Herren, Anlaß zu massiver Kritik haben wir Sozialdemokraten auch hinsichtlich der Beschlüsse zum Wohngeld, der sich Städtetag und Deutscher Mieterbund anschließen. Seit 1990 ist das Wohngeld nicht angepaßt worden, obwohl die Mieten in diesem Zeitraum um zirka 30 Prozent gestiegen sind. In dieser Situation muß der Bauminister rund 400 Millionen DM in 1998 beim Wohngeld einsparen. Der Finanzminister hat ihn dazu verdonnert, eine sogenannte Strukturnovelle zum pauschalierten Wohngeld für Sozialhilfeempfänger zu basteln, mit der dieses Ziel erreicht werden soll. In der entsprechenden Kabinettsvorlage heißt es lapidar: Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wird beauftragt, eine Wohngeldstrukturnovelle so rechtzeitig vorzulegen, daß das Gesetz zum 1. Januar 1998 in Kraft treten kann. Die Novelle soll durch Einführung von HöchstBetragsregelungen beim pauschalierten Wohngeld zu einer Begrenzung der Wohngeldausgaben auf 3,5 Milliarden DM beim Bund führen. Eine Erhöhung des Tabellenwohngeldes ist nicht vorgesehen. Doch genau dies wäre erforderlich. Es sind eben nicht nur immer die roten Schwarzmaler, die Ihre Politik, Herr Minister, und die der Bundesregierung kritisieren. Es sind insbesondere die Bürger und Politiker vor Ort, die mit den unsozialen Folgen Ihrer Kürzungen im Sozialbereich zu kämpfen haben. ({3}) Die Begründung Ihrer Politik gipfelt in der Feststellung, die Sozialämter seien zu großzügig im Umgang mit diesen Mitteln. Eine Rückfrage beim Sozialamt Ihres Wohnortes wird Sie eines anderen belehren. Deshalb fordern wir Sie auf: Sorgen Sie für bessere wirtschaftliche Verhältnisse in unserem Land, damit die Zahl der Sozialhilfeempfänger deutlich sinkt, und bekämpfen Sie nicht die Menschen, die dieser Hilfe bedürfen! ({4}) Wenn die angekündigte Reform des Wohngeldes als wesentlichen Inhalt die Kürzung der Mittel zur Folge hat, sind alle unsere Befürchtungen wieder bestätigt. Die Reformen dieser Regierung und der sie tragenden Parteien führen immer zu Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Mit Ihrer Absicht machen Sie deutlich, in welche Richtung Ihr Entwurf zum Wohngesetzbuch, der sogenannten Reform des sozialen Wohnungsbaus, geht: Es kommt zu höheren finanziellen Belastungen der Mieter und zum Rückzug des Bundes bei der Abfederung der unsozialen Härten. Um diese Folgen müssen sich dann die Länder, vornehmlich aber die Gemeinden kümmern, wobei die finanzschwächsten die höchsten Lasten zu tragen hätten. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Frau Petra Roth - übrigens keine Sozialdemokratin -, befürchtet zu Recht, daß sich die Städte gegen den schleichenden Einstieg in ein kommunales Wohngeld zur Wehr setzen werden. Wir Sozialdemokraten werden dabei an ihrer Seite sein. ({5}) Meine Damen und Herren, zu den Ausgaben für Investitionen gehört die Sanierung und Fertigstellung des Gebäudes an der Kurt-Schumacher-Straße, des Schürmannbaus. Was aber kommt nach der Sanierung? Wird der Bau fertiggestellt? Zieht die Deutsche Welle ein? Wann entscheidet das Kabinett endlich über die Prüfung der Alternativstandorte, die der Kanzler in Auftrag gegeben hat? Denn Bonn und auch die Deutsche Welle brauchen Planungssicherheit. Der Minister setzt zuversichtlich auf den Erfolg seiner Klage gegen die Schädiger. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes in jüngster Vergangenheit ist aber erst einmal gegen ihn ausgegangen. Der Bund werde die gleichgelagerten Vergütungsforderungen als Vorleistung erbringen, so der Minister. Diese Kosten sollen dann ebenfalls von den verantwortlichen Firmen übernommen werden. Jetzt wird also ein Gerichtsurteil abgewartet. Wann rechnet das Ministerium mit einer Entscheidung? Wenn das Urteil vorliegt, ist es dann maßgebend für den Weiterbau des Gebäudes? Mit konzeptioneller Politik hat dies alles nichts mehr zu tun. Wenn es richtig ist, daß Politik an Symbolik gebunden ist, dann ist diese Bauruine mitten im Regierungsviertel bezeichnend für diese Bundesregierung und leider auch für die sie tragenden Parteien. ({6}) Die Bauruine macht symbolhaft deutlich: Diese Bundesregierung ist verbraucht; sie hat nicht mehr die Kraft, Probleme zu lösen. Der Haushaltsentwurf, vorgelegt von einem Finanzminister auf Abruf, , ist ein weiterer Beweis dafür. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 10. September 1993, 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.