Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/27/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Lassen Sie mich zunächst folgendes bekanntgeben: Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, daß in der Haushaltswoche im September keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden, da alle Themen im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen angesprochen werden können. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Ich gehe davon aus. Dann verfahren wir so. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine Delegation der Knesset des Staates Israel auf der Tribüne begrüßen. Ich begrüße Sie herzlich in unserem Parlament. Wir haben gerade intensiv darüber diskutiert, daß der Friedensprozeß zwischen Israel und seinen Nachbarn und in Ihrem Lande selbst weitergeführt werden muß und wie dies geschehen kann. Alles Gute auf diesem Weg! ({0}) - Sie sehen, ich habe recht gehabt, als ich eben sagte, daß unser Parlament mit dem Ihrem und Ihrem Land verbunden ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung zum Europäischen Rat in Amsterdam sowie zum Weltwirtschaftsgipfel in Denver und zur Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen Es liegen fünf Entschließungsanträge vor. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8050 wurde zurückgezogen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vergangenen Wochen standen im Zeichen einer Reihe von wichtigen internationalen Konferenzen. Dabei wurde deutlich, daß das Jahr 1997 ein Schlüsseljahr für die Fortentwicklung der internationalen Beziehungen und für eine neue Partnerschaft zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd ist. Es gilt, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Chancen zu nutzen und gemeinsam eine Welt zu gestalten, in der man versucht, die globalen Probleme im Miteinander zu lösen. Es geht darum, daß sich die Staatengemeinschaft - in Europa und weltweit - auf die enormen Veränderungen einstellt, die sich an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ergeben, daß neue Antworten - und zum Teil auch neue Strukturen - auf die Herausforderungen dieses Jahrhunderts gefunden werden. Fragen wie die Globalisierung der Wirtschaft - und damit die weltweite Arbeitsteilung - oder Probleme wie die weiter wachsende Umweltbelastung stellen sich nicht nur den einzelnen Ländern, sondern überall in der Welt. Sie erfordern notwendigerweise eine immer engere Zusammenarbeit über Grenzen und Kontinente hinweg. Es ist unübersehbar: Die Länder der Erde sind heute mehr denn je zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden. Für uns Deutsche sind vor allem zwei wichtige Gesichtspunkte auf den Konferenzen der vergangenen Wochen klargeworden: Erstens: An unser Land, an Deutschland, richten sich hohe Erwartungen. Deutschland genießt - weit über Europa hinaus - Wertschätzung und Vertrauen in einem Maße, wie es wohl noch nie zuvor der Fall gewesen ist. Dies nimmt uns in einer ganz besonderen Weise in die Pflicht. Das heißt, wir tragen nicht nur Verantwortung für unser eigenes Land, sondern eine besondere Verantwortung für die Entwicklung in der Welt. Zweitens: Im Zeitalter globaler Entwicklungen lassen sich Außen- und Innenpolitik noch weniger trennen als je zuvor. Das heißt, international mitgestalten kann nur der, der auch zu Hause zu Veränderungen bereit ist. ({0}) Deshalb muß die Politik der Reformen in unserem Lande fortgesetzt und auch durchgesetzt werden. Das Entstehen einer neuen Partnerschaft zwischen Ost und West hat sich insbesondere auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Denver deutlich widergespiegelt. Bei diesem Gipfel war Rußland von Anfang an dabei. Der russische Präsident Boris Jelzin hat auf Einladung von Präsident Clinton das diesjährige Treffen der Staats- und Regierungschefs eröffnet. Ich halte dies für einen Vorgang von großer politischer und psychologischer Bedeutung. Nachdem Rußland bereits seit dem Gipfel in München 1992 immer stärker in den Entscheidungsprozeß der G 7 eingebunden wurde, haben wir in diesem Jahr den Schritt zum Gipfel der Acht vollzogen. Dies ist ein klares Signal der Ermutigung für die demokratische und wirtschaftliche Reformpolitik Rußlands. Am Gelingen dieser Politik in Rußland - das gleiche gilt für die Entwicklung der Politik in den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten insgesamt - hat Europa, insonderheit Deutschland als Land in der Mitte, ein ganz zentrales Interesse. ({1}) In Denver wurden die Anstrengungen Deutschlands, gerade Rußland und den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas insgesamt beim Aufbau und Ausbau von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft zu helfen, von meinen Kollegen ausdrücklich gewürdigt. Eines der wichtigsten Themen bei den politischen Beratungen der Acht war der Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina. Wir waren uns darin einig, daß die politisch Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina wie auch in Kroatien und in der Bundesrepublik Jugoslawien ihren Verpflichtungen zur Umsetzung des Dayton-Abkommens bisher nicht ausreichend nachgekommen sind. Wir stimmten darin überein, daß wir alles versuchen sollten, den Druck auf alle Parteien weiter zu verstärken, damit das Abkommen vollständig verwirklicht wird. Unsere Unterstützung für den Wiederaufbau in dieser Region ist klar verbunden mit der Bereitschaft der dort Verantwortlichen zu einer wirklich konstruktiven Mitarbeit. Das Recht der Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr in ihre Heimat muß gewährleistet sein. Daran hat Deutschland ein ganz besonderes Interesse. Mit der Aufnahme von mehr als 300 000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien hat unser Land einen großen humanitären Beitrag geleistet. Es war richtig, daß wir das getan haben. Bund, Länder und Gemeinden zusammen haben seit 1991 für die Betreuung dieser Flüchtlinge mehr als 15 Milliarden DM aufgewendet. Jeder erkennt: Es wäre sehr viel sinnvoller, wir könnten diese Mittel dazu verwenden, die Dörfer und Städte, die Fabrikationsstätten und Arbeitsplätze vor Ort aufzubauen. ({2}) Im Vordergrund der Beratungen zu den Wirtschaftsfragen standen vor allem die Strukturreformen in den einzelnen Ländern der G 8, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und zur Alterssicherung. Es ist offenkundig, daß unter diesen Acht alle voneinander lernen können - auch wir in der Bundesrepublik Deutschland -, etwa von unseren amerikanischen Freunden und Partnern. Es ist auch offenkundig, daß es kein für alle gleichermaßen gültiges Patentrezept gibt; denn jedes Land hat seine eigene Geschichte und Tradition; in jedem Land gibt es mentale Unterschiede und unterschiedliche Strukturen. Daraus ergibt sich, daß die Hauptverantwortung in den einzelnen Ländern liegt - bei den Tarifpartnern wie auch bei der Politik. Vor Ort müssen die notwendigen Entscheidungen für mehr Investitionen getroffen werden, um vorhandene Arbeitsplätze zu sichern und neue aufzubauen. Wir haben jeweils über das berichtet, was im eigenen Land geschieht und geschehen muß. Die Gipfelteilnehmer haben die Erwartung - das kommt im Schlußkommuniqué deutlich zum Ausdruck -, daß wir in Deutschland die eingeleiteten Reformen vorantreiben. Das heißt - ich will das hier noch einmal betonen -: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir dürfen beispielsweise den zukunftsorientierten Umbau unseres Steuersystems nicht länger verzögern. ({3}) Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, zu einem vernünftigen Kompromiß zu finden, zu einem Kompromiß, der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärkt und vor allem auch Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bietet. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, besondere Beachtung haben wir in Denver der Entwicklung in Afrika gewidmet. Trotz bedrückender Krisen und trotz erschreckender Bilder im Fernsehen sollte nicht übersehen werden, daß eine ganze Reihe von afrikanischen Ländern erfreuliche wirtschaftliche und politische Fortschritte erzielt hat. Eine beachtliche Zahl dieser Länder kommt in den Genuß zusätzlicher Schuldenerleichterungen, die wir beim letzten Wirtschaftsgipfel in Lyon vereinbart haben. Allerdings - und das muß betont werden - kann Hilfe von außen nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Ich denke, der wichtigste Beitrag, den die Industrieländer leisten können, ist das Engagement für offene Märkte, für ein liberales Welthandelssystem. Wir müssen unsere Anstrengungen in dieser Richtung in den kommenden Jahren weiter verstärken. Ein weiteres wichtiges Thema in Denver war die Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität, der Drogenmafia und der Korruption. Hier bestand Einigkeit über die Notwendigkeit eines sehr viel energischeren gemeinsamen Handelns. Ich will dies an den Zahlen deutlich machen, die dort genannt wurden. Es wurde darauf hingewiesen, daß Jahr für Jahr ungefähr 100 Milliarden Dollar aus illegalen Geschäften allein nach Europa eingeschleust werden. Angesichts solcher Zahlen ist für jedermann klar, daß wir handeln müssen. Wir haben vereinbart, daß der britische Premierminister Tony Blair auf dem nächsten Wirtschaftsgipfel, der im Mai 1998 in Birmingham stattfinden wird, den Kampf gegen die Kriminalität zu einem Schwerpunktthema macht und daß wir uns auf diesem Gipfel vor allem mit der VerBundeskanzler Dr. Helmut Kohl besserung der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet beschäftigen. Meine Damen und Herren, bei unseren Erörterungen in Denver hat der globale Umweltschutz eine Schlüsselrolle gespielt. Sie wissen, dieser Frage widmete sich auch die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in dieser Woche. Die Schicksalsfrage lautet: Wie können wir für eine wachsende Weltbevölkerung langfristig die natürlichen Lebensgrundlagen sichern? Für die Antwort auf diese Frage war die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 von entscheidender Bedeutung. Manches wurde seither erreicht. Wahr ist aber auch, daß wir bis heute noch keine wirkliche Umkehr der globalen Umweltbelastungen erreichen konnten. Wir brauchen ein international abgestimmtes Vorgehen, wenn wir drohende Gefahren für das Weltklima abwenden und die lebenswichtigen Wälder für zukünftige Generationen erhalten wollen. Wir brauchen - das ist deutlich geworden - als Brücke zwischen Nord und Süd eine umfassende Partnerschaft für Umwelt und Entwicklung. In Denver wie auch in der UN-Vollversammlung in New York ging es darum, bestehende Blockaden in der internationalen Umweltpolitik aufzubrechen, die notwendigen Prioritäten zu setzen und so den globalen Umweltschutz ein Stück voranzubringen. In Amsterdam haben wir in der letzten Woche beim Europäischen Rat eine Reduktion der Treibhausgase in den Industrieländern bis zum Jahre 2010 um 15 Prozent gegenüber 1990 beschlossen. Gemeinsam mit meinen europäischen Kollegen bin ich deshalb in Denver dafür eingetreten, daß sich auch alle Staaten der G 8 hierzu verpflichten. Ich bedaure, daß es uns - jedenfalls in diesem Jahr - nicht gelungen ist, auch die Vereinigten Staaten und Japan hierfür zu gewinnen. Es besteht zwar Einigkeit über dieses Ziel und die Notwendigkeit von Maßnahmen. Aber in Denver war es nicht möglich, zu einer entsprechenden Beschlußfassung zu kommen. Wir dürfen jedoch in diesem Punkt nicht nachlassen. Die Bundesregierung wird gemeinsam mit ihren europäischen Partnern alles tun, um auf der Klimakonferenz in Kyoto Ende dieses Jahres die Vereinbarung zu treffen, bis zum Jahre 2010 eine deutliche Verminderung der Treibhausgase zu erreichen. ({4}) Mit der in Deutschland bereits erreichten Verminderung der CO2-Emissionen sind wir auf einem guten Weg. ({5}) Kein anderes großes Industrieland hat bisher vergleichbare Anstrengungen unternommen. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen. ({6}) Meine Damen und Herren, in Denver haben die Acht die Notwendigkeit betont, auf der Grundlage hoher Standards ein internationales Abkommen zum Schutz und zur schonenden Nutzung der Wälder zu verabschieden. - In dieser Frage sind wir zu einem Ergebnis gekommen, das zumindest für mich befriedigend ist. - Wir haben viel Zeit verloren. Wenn man sich vor Augen hält, daß Jahr für Jahr 11 Millionen Hektar Wald abgeholzt werden - das entspricht ungefähr der Waldfläche der Bundesrepublik Deutschland -, dann hat man eine Vorstellung davon, wie uns die Zeit davonläuft. Ein Großteil dieser Wälder ist nicht mehr regenerierbar; das wissen wir. Deswegen ist es von größter Bedeutung, daß wir so rasch wie möglich zu einer verbindlichen Vereinbarung kommen. Entscheidend für den Erfolg einer globalen Strategie zum Schutz der Umwelt ist die Einbeziehung der Entwicklungs- und Schwellenländer. Die fehlende Anwendung moderner Technik führt dort zu hohen Umweltbelastungen. Mit Recht wurde deshalb auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen in New York der Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung bekräftigt. Im Rahmen der Entwicklungshilfe hat Deutschland in den letzten sechs Jahren 5,3 Milliarden DM für Umweltschutzprojekte ausgegeben. Wir tragen zu 60 Prozent die Kosten für das Internationale Programm zum Schutz des brasilianischen Tropenwaldes. Kein anderes Land hat vergleichbare Leistungen erbracht. In der Vergangenheit hat häufig der Gegensatz zwischen Nord und Süd konkrete Fortschritte im globalen Umweltschutz behindert. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung habe ich die Initiative ergriffen und gemeinsam mit Brasiliens Staatspräsident Cardoso, dem südafrikanischen Vizepräsidenten Mbeki und dem Premierminister von Singapur konkrete Vorschläge zur Überwindung der Gegensätze unterbreitet. ({7}) Wir wollen damit deutlich machen, daß Länder aus Nord und Süd sehr wohl in der Lage sind, sich in den zentralen Fragen des globalen Umweltschutzes auf gemeinsames Handeln zu verständigen. Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang halte ich es für ganz wichtig, daß wir die Zusammenarbeit zwischen den Umweltorganisationen der Vereinten Nationen effektiver gestalten. Ich gehe davon aus, daß es zu diesem Zweck möglich ist - es gibt allein in diesem Bereich elf Sekretariate -, eine Art Dachorganisation für Umweltfragen zu schaffen. Mit dem erfolgreichen Abschluß des Europäischen Rates von Amsterdam sind wir beim Bau des Hauses Europa ein ganz wichtiges Stück vorangekommen. Der Vertrag von Amsterdam bildet eine gute Grundlage für eine handlungsfähige, bürgernahe und demokratisch verankerte Europäische Union. Er öffnet vor allem die Tür - dies ist für mich ein entscheidender Gesichtspunkt - für die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und Süden. Entsprechend unserer Absprache beim Europäischen Rat 1995 in Madrid werden sechs Monate nach dem Abschluß des Vertrags von Amsterdam die Erweiterungsgespräche mit unseren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa beginnen. Wir werden im Dezember beim Europäischen Rat in Luxemburg die notwendigen Entscheidungen auf den Weg bringen. Von Amsterdam geht ein weiteres wichtiges Signal aus. Es heißt: Der Euro wird kommen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ohne jede Abstriche verabschiedet worden. ({8}) Ich bin sicher, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, gemeinsam mit anderen den Euro planmäßig einführen werden. ({9}) Wir wollen dies pünktlich zum 1. Januar 1999 und unter voller Einhaltung der Kriterien von Maastricht tun. ({10}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie dabei in Unruhe geraten. Haben Sie in der SPD mit diesem Thema Probleme? ({11}) Ich habe damit keine Probleme. ({12}) In der CDU Deutschlands gibt es keine Probleme, und auch in der Koalition gibt es keine Probleme. ({13}) Ich würde mich an Ihrer Stelle darum kümmern, daß Sie am Ende mit einem Kandidaten an die Öffentlichkeit treten, der ein klares Ja dazu sagt. Das scheint mir wichtig zu sein. ({14}) Für uns ist klar: Der Euro ergänzt den Binnenmarkt und sichert so Arbeitsplätze. Wenn wir wollen, daß Europa - und vor allem auch Deutschland - im Wettbewerb der Märkte auch künftig seine gute Stellung behauptet, dann müssen wir gemäß unserer Verantwortung dafür sorgen, daß der Euro, wie verabredet, kommt. ({15}) Die einheitliche europäische Währung ist sowohl wirtschaftlich wie politisch von größter Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Europäische Union als Friedens- und Freiheitsordnung noch enger und unauflöslich zusammenzuschließen. Wer die Einführung des Euro verschieben will, muß wissen, daß dies möglicherweise eine Verschiebung für immer werden könnte. Dies können und wollen wir uns nicht leisten. ({16}) Eine Aufgabe der Wirtschafts- und Währungsunion würde bedeuten, daß Europa in einem entscheidenden Augenblick seiner Entwicklung vor der großen Aufgabe kapitulierte - mit allen negativen Konsequenzen für Exporte, für Arbeitsplätze und Investitionen in Deutschland ebenso wie für den Fortgang der europäischen Integration. Wir alle müßten ein Scheitern des Euro teuer bezahlen. Das wäre ein Verschleudern der Zukunftschancen der künftigen Generation. ({17}) Deshalb steht für die Bundesregierung fest: Auf der Basis der Vereinbarung von Amsterdam werden wir auf dem Wege zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion weiter vorangehen. An dem vereinbarten Zeitplan und an den festgelegten Kriterien wird nicht gerüttelt werden. Der Euro wird kommen - als stabile Währung, als sichere Grundlage für eine gute wirtschaftliche Zukunft Europas. ({18}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich möchte diese heutige Gelegenheit gerne nutzen, unseren Partnern und Freunden in der EU für ihren Einsatz zu danken, der den Erfolg von Amsterdam erst möglich gemacht hat. Mein erster und besonderer Dank geht an unsere Freunde und Partner in den Niederlanden. Es ist ein Glücksfall für Europa, daß in dieser Zeit wichtiger Weichenstellungen die Niederlande mit ihrem Ministerpräsidenten Wim Kok den Vorsitz führten. ({19}) Für die deutsche Seite will ich ganz besonders herzlich den Kollegen Kinkel und Waigel sowie dem Beauftragten für die Regierungskonferenz, Staatsminister Hoyer, danken, die alle mit enormem persönlichen Einsatz die Verhandlungen für die Bundesregierung geführt haben. In diesen Dank schließe ich auch alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesregierung ein, die in diesen Wochen ein gewaltiges Arbeitspensum leisten mußten. ({20}) Der Vertrag von Amsterdam ist ein erneuter Beweis dafür, daß die Europäische Union auch in schwierigen Phasen Kurs hält und die Herausforderungen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts mit Zuversicht und mit Augenmaß angeht. Ich hätte mir gewiß in einer Reihe von Punkten weitreichendere Ergebnisse gewünscht. Aber niemand von uns konnte glauben, daß in Amsterdam alle Probleme hätten gelöst werden können. Niemand kann in einer solchen historischen Situation seine Idealvorstellungen durchsetzen. Ohne Kompromisse kann es in einer Union mit 15 Mitgliedstaaten nicht gehen. Entscheidend bleibt aber, daß wir substantielle Fortschritte erzielt haben. Lassen Sie mich kurz auf einige wichtige Punkte des Vertrages eingehen.

Not found (Kanzler:in)

Union und Bürger: Wir alle waren uns einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unsere derzeit dringendste Aufgabe ist. Dies haben wir auch dadurch unterstrichen, daß wir in den EU-Vertrag ein neues Beschäftigungskapitel aufgenommen und zusätzlich eine eigenständige Entschließung zu Wachstum und Beschäftigung in Amsterdam verabschiedet haben. Alle waren sich jedoch auch darüber einig, daß zuallererst auf nationaler Ebene die Weichen richtig gestellt werden müssen. Im Zentrum gemeinsamer europäischer Anstrengungen werden deshalb die Koordinierung des nationalen Handelns, der gegenseitige Informationsaustausch und „Pilotprojekte" im Rahmen bestehender Fonds stehen. Neue Gemeinschaftskompetenzen und neue Mittelübertragungen an die EU und damit europäische Ausgabenprogramme auf Kosten des Steuerzahlers wird es nicht geben. ({0}) Der Europäischen Investitionsbank kommt die Aufgabe zu, vorhandene Mittel verstärkt für beschäftigungsintensive Projekte zu nutzen. Wichtig war für uns die konsequente Fortführung und Weiterentwicklung der Strategie des Europäischen Rates von Essen 1994: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen führt vorrangig über Strukturreformen, vor allem durch mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten. Die Konferenz in Amsterdam hat auch klargemacht: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Stabilität und Beschäftigung. Wir sind uns mit unseren Partnern in der britischen und in der neuen französischen Regierung - mit allen EU-Partnern - einig: Preis- und Haushaltsstabilität sind gemeinsam unabdingbare Grundlage für dauerhaftes Wachstum und damit für mehr Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, die Probleme sind dort anzugehen, wo sie mit größter Aussicht auf Erfolg gelöst werden können. Dies entspricht zutiefst dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzips. Es war ein Mares Ziel der deutschen Politik in Amsterdam, diesen fundamentalen Grundsatz in der Europäischen Union besser zu verankern und klarer zu definieren. So werden künftig Regelungen auf regionaler oder nationaler Ebene unbedingten Vorrang haben. Die Gemeinschaft darf und soll nur dann tätig werden, wenn ein Problembereich auf unterer Ebene nicht ausreichend geregelt werden kann und wenn er - das ist entscheidend - zugleich besser auf europäischer Ebene zu lösen wäre. Daneben konnten wir eine Reihe weiterer für uns wichtiger Anliegen durchsetzen. Ich nenne als Beispiel nur die Sicherung der Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie können sich vorstellen, wie sehr ich - der ich jeden Tag in den vollen Genuß der Arbeit dieser Rundfunkanstalten komme, - mich gefreut habe, auf diesem Gebiet einen besonderen Erfolg erreichen zu können. ({1}) Wir haben einen zweiten Punkt in einer langen Diskussion durchsetzen können. Das bewährte deutsche Sparkassensystem wird durch eine Erklärung zur Schlußakte geschützt. Ich füge hinzu, dazu waren extrem schwierige Verhandlungen notwendig. Dabei konnte ich erkennen - das finde ich gut und will es hier wiedergeben -, daß das deutsche Sparkassensystem bei den Kollegen in Europa hohes Ansehen und sehr viel Sympathie genießt. Ich muß allerdings hinzufügen: Dies gilt nicht in gleichem Maße für das Geschäftsgebaren der einen oder anderen Landesbank. ({2}) Unsere Verhandlungsposition in Amsterdam ist dadurch nicht gerade erleichtert worden. Da wir häufig hier im Deutschen Bundestag über das Verhältnis von Bund und Ländern diskutieren, gehört es dazu, hierzu einmal einen Satz zu sagen -mit dem Wunsch verbunden, daß sich auch die Landesregierungen die Vorbehalte, die in den Gesprächen in Amsterdam deutlich wurden, gelegentlich überlegen sollten. Ich glaube, das wird zur inneren Entwicklung in der Europäischen Union beitragen. ({3}) Zweitens ging es um die Schaffung eines „europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts." Auch im Bereich der Innen- und Justizpolitik, einem Schlüsselkapitel des neuen Vertrags, sind wir zu guten Ergebnissen gekommen. Sie gehen über das hinaus, was wir zu Beginn der Verhandlungen erwarten konnten. Damit haben wir aus unserer Sicht ein zentrales Ziel der Regierungskonferenz mindestens zum Teil erreicht. Es war allen klar: Der europaweit zunehmenden Bedrohung durch international organisierte Kriminalität, durch Drogenmafia und Terrorismus können wir nur gemeinsam begegnen. Die Kompetenzen von Europol sind gestärkt worden. Wir haben darüber hinaus die Überführung der Schengen-Zusammenarbeit in den institutionellen Rahmen der EU vereinbart. In den Bereichen Asyl- und Visapolitik, Einwanderung und bei der Zusammenarbeit von Justiz- und Zollbehörden hat die Konferenz von Amsterdam die Grundlagen für ein gemeinsames effektiveres Handeln gelegt. Dabei konnten und mußten wir zur Wahrung unserer Interessen sicherstellen, daß in Fragen der Einwanderung und des Asyls auch künftig das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. Ich weiß sehr wohl, daß diese Diskussion auch für meine Kollegen aus den anderen europäischen Ländern nicht einfach war. Es gibt in Brüssel Behauptungen wonach wir, die Deutschen, eine Renationalisierung der EU-Politik betreiben würden. - Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich will das Beispiel anführen, das ich auch in Amsterdam genannt habe. Wir hatten im Jahr 1996 in Deutschland 117 000 Asylbewerber. Das waren 52 Prozent der Asylbewerber in der gesamten EU. Das heißt, die Mehrheit der Asylbewerber, die nach Europa kommen, geht nach Deutschland. ({4}) Das sind übrigens - diese Zahl ist auch recht interessant - auch mehr Asylbewerber, als im gleichen Jahr in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen wurden, einem Land, das immerhin - bezogen auf die Bevölkerungszahl - dreimal so groß ist. Wir sind nicht europamüde, aber wir haben hier wohlverstandene eigene Interessen zu vertreten. ({5}) Ich glaube auch nicht, daß in den nächsten Jahren eine Veränderung unseres Standpunktes möglich ist. In der Frage der Aufenthaltsvoraussetzungen für legal in der EU lebende Angehörige von Drittstaaten haben wir klare Regelungen vereinbaren können, die auch einen unkontrollierten Zugang zum deutschen Sozialsystem oder zum deutschen Arbeitsmarkt verhindern. ({6}) Wir haben - das war eine erfreuliche Erfahrung - diese Position in einer sehr engen und sehr sachorientierten Zusammenarbeit mit den Bundesländern gestalten können. Drittens ging es um eine effiziente und kohärente Außenpolitik. Es ging damm, den in Maastricht eingeleiteten Prozeß fortzuführen und aus den bisherigen praktischen Erfahrungen die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Die neuen Vertragsbestimmungen werden, auch wenn sie in diesem Fall nicht allen unseren Zielen entsprechen, bei konsequenter Umsetzung in der Praxis bewirken können, daß Europa zunehmend mit einer Stimme spricht und daß diese Stimme auch entsprechendes Gewicht in der Welt hat. Wichtige Elemente auf diesem Weg sind die Betrauung des Generalsekretärs des Rates mit der Funktion eines Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Schaffung einer entsprechenden Arbeitseinheit im Ratssekretariat, der verstärkte Rückgriff auf Mehrheitsentscheidungen im Rahmen von gemeinsamen Strategien sowie die weitere Annäherung von Europäischer Union und Westeuropäischer Union. Dabei konnten wir erreichen, daß neben der Verankerung der Petersberg-Aufgaben der WEU und der Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auch die Perspektive der Integration der WEU in die EU erstmals in den Vertrag aufgenommen wurde. Viertens: Im Bereich der institutionellen Reformen hätten wir uns zweifellos mehr gewünscht. Trotzdem haben . wir auf diesem Gebiet Fortschritte erzielen können. Ich nenne hier die Stärkung der Stellung des Kommissionspräsidenten. Mit der nächsten Kommission wird ein Kommissionspräsident berufen, der sehr viel mehr Möglichkeiten hat, seine Führungskompetenz in die Kommission einzubringen. Eine deutliche Ausweitung der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments war möglich, ebenso die Vereinfachung der Entscheidungsverfahren, die bessere Einbeziehung der nationalen Parlamente sowie die Stärkung des Ausschusses der Regionen. In den wenigen Bereichen, in denen deutliche Verbesserungen noch nicht möglich waren, haben wir einen klaren Rahmen für spätere Überprüfungen festgelegt. Nach einer erneuten Erweiterung um drei bis fünf Staaten soll die Zahl von 20 Kommissaren nicht überschritten werden. Das heißt aber, meine Damen und Herren - das muß man hier klar aussprechen -, daß die größeren Mitgliedstaaten - das gilt auch für Deutschland - im Zuge dieser Entwicklung auf einen ihrer bisher zwei Kommissare verzichten werden. Im Gegenzug - das gehört zusammen - erwarten wir allerdings - dazu gibt es auch einen entsprechenden Auftrag -, daß im Sinne der Wahrung eines repräsentativen Gleichgewichts gleichzeitig die Stimmgewichtung im Rat angepaßt wird. Der Übergang zu verstärkter Anwendung von Mehrheitsentscheidungen hat sich schwierig gestaltet. Weitergehende Fortschritte waren auf Grund der konkreten Interessen fast aller Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn, darum herumzureden: Diese Interessen erwachsen aus dem täglichen Leben der europäischen Völker. Europa wird eben nicht an einem Reißbrett entworfen, sondern muß sich aus den Gegebenheiten der einzelnen Länder entwikkeln. Auch wir, die Bundesregierung, haben uns in einer Reihe von Fragen aus guten Gründen gegen die Einführung von Mehrheitsentscheidungen gewandt, weil wir unsere wohlverstandenen nationalen Interessen auch in einer europäischen Überzeugung wahren wollen. Ich nenne hier eine ganze Reihe von Beispielen aus der Industriepolitik, aus dem Bereich des Handwerks. Da geht es zum Beispiel um die Frage der Freizügigkeit für Wanderarbeitnehmer. Ich will dabei klarstellen, daß es kein Mißtrauen gegen ausländische Arbeitnehmer gibt, die bei uns tätig sind. Aber, es kann nicht angehen, daß solche Arbeitnehmer Deutschland nach relativ kurzer Zeit verlassen und dabei Ansprüche an unser weitergehendes soziales Versorgungssystem mitnehmen wie beispielsweise an die Kranken-, Arbeitslosen- oder Pflegeversicherung. Sie kennen dieses Problem. ({7}) Es ging uns darum, daß wir in dieser Frage nicht überstimmt werden können. Das ist kein Mißtrauen gegen andere. Ich habe den Kollegen immer wieder gesagt: So, wie sich die Dinge entwickeln, kommt die Mehrheit ausländischer Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union hierher in die BundesreBundeskanzler Dr. Helmut Kohl publik Deutschland. Wie in der Asylfrage sind wir auch hier die Hauptbetroffenen. Fünftens: Flexibilität und engere Zusammenarbeit. Wir haben uns in Amsterdam schließlich auf klare Regeln zu mehr Flexibilität in der Europäischen Union geeinigt. Dieses Handlungsprinzip sichert auch für eine erweiterte Union mit 20 oder mehr Mitgliedern die Möglichkeit, die Integration weiter voranzubringen. Dabei gilt: Die Einleitung einer engeren Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten muß von der qualifizierten Mehrheit im Rat gebilligt werden. Die Zusammenarbeit mehrerer Mitgliedstaaten kann von einem einzelnen Mitglied nur bei Gefährdung vitaler nationaler Interessen in Frage gestellt werden. Meine Damen und Herren, was sich so einfach sagt, ist natürlich ein Punkt von größter politischer Bedeutung. Das heißt nämlich, daß eine Fortentwicklung der Union auch von einzelnen Gruppen in der Union vorangebracht werden kann. Ein Verhalten, wie wir es in der Vergangenheit gelegentlich erlebt haben - ein Verhalten mit Bremswirkung, die das Ganze zum Stillstand bringt -, wird künftig nur in äußersten Ausnahmefällen möglich sein. Die Bundesregierung hat sich stets für die europäische Sache eingesetzt. Das haben alle meine Amtsvorgänger und alle Bundesregierungen in diesen Jahrzehnten getan. Ich darf hier auch sagen: Das galt und gilt über Parteigrenzen hinweg, für Regierung und Opposition, für Bund und Länder. Am europäischen Engagement Deutschlands gibt es keinen Zweifel. Lassen Sie uns deshalb jetzt bitte gemeinsam alles tun, um den Vertrag von Amsterdam möglichst rasch und mit überzeugenden Mehrheiten zu ratifizieren. Er wird ein tragfähiger Pfeiler unserer weiteren Arbeit am gemeinsamen europäischen Haus sein. So unterschiedlich die Themen auf den Tagungen von Amsterdam, Denver und New York auch gewesen sein mögen, sie stehen, wie ich denke, doch in einem engen Zusammenhang. Im Kern geht es bei all diesen Begegnungen und Konferenzen - das gilt auch für den NATO-Gipfel in Madrid in der übernächsten Woche - um eine große Aufgabe: ein neues Miteinander zwischen den Staaten und Völkern der Welt zu schaffen. Das liegt vor allem auch im deutschen Interesse; für Deutschland als ein Land der Mitte ist das existentiell. In diesen Monaten werden maßgebliche Weichen für die Ordnung Europas an der Schwelle zum 21. Jahrhundert gestellt. In der öffentlichen Diskussion unseres Landes - wir wissen das; aber das ist nicht nur bei uns so, sondern auch anderswo - wird oft zuwenig zur Kenntnis genommen, wie sehr gerade die außenpolitischen Entscheidungen unsere Zukunft bestimmen. Von diesen Entscheidungen hängt ganz wesentlich ab, ob künftige Generationen in Deutschland und in Europa dauerhaft in Frieden, in Freiheit, in Wohlstand und sozialer Stabilität leben können. Es geht jetzt - bei all unseren Sorgen im eigenen Haus - darum, daß wir als Deutsche an diesen Entscheidungen mitwirken und daß wir den Beitrag leisten, den andere von uns erwarten. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Ich darf Sie alle sehr herzlich einladen, in diesem Sinne, ungeachtet unserer vielen anderen Kontroversen, ein Stück jener Gemeinsamkeit zu entwickeln, die für die Zukunft unseres Landes und Europas entscheidend ist. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich eröffne die Aussprache. Als erster nimmt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping, das Wort.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle diese Gipfel belegen ganz nachdrücklich, wie dringend notwendig internationale Kooperation ist. Sie machen aber auch deutlich, wie schwierig internationale Zusammenarbeit ist und wie unbefriedigend manchmal ihre Ergebnisse bleiben. Nun wird die Rede vom Prinzip der internationalen Kooperation gar nicht reichen. Worum geht es? Es geht darum, mit weltweiter, mindestens aber europäischer Zusammenarbeit etwas für die Arbeitsplätze, die Ausbildung und die nachhaltige Entwicklung zu tun. ({0}) Internationale Politik, die - da stimme ich Ihnen zu, Herr Bundeskanzler - von der Innenpolitik nicht mehr getrennt werden kann, dient der Freiheit, der Sicherheit, der Erweiterung von Möglichkeiten, der Eindämmung von Risiken und der Gewährleistung einer nachhaltigen, einer zukunftsfähigen Entwicklung. Da vollzieht sich international etwas, was in Deutschland offenkundig schwierig ist; denn in Amerika, in Großbritannien, in Frankreich und anderen Ländern fragt man sich: Wie kann man internationale Kooperation und heimische Anstrengung so miteinander kombinieren, daß Arbeit, Bildung, nachhaltige Entwicklung und soziale Gerechtigkeit gefestigt werden? Wie kann man im Kampf gegen Fehlentwicklungen Wahlen gewinnen? Hier in Deutschland - das wird durch Ihre Regierungserklärung leider bestätigt - hat man manchmal den Eindruck, Sie fragen sich eher: Wie kann ich trotz Arbeitslosigkeit, trotz Umweltbelastung und trotz sozialer Ungerechtigkeit Wahlen gewinnen? ({1}) Ich muß Ihnen sagen, daß bei allem Verständnis für internationales Engagement und bei allem Respekt vor internationalem Engagement wolkige Reden auf internationalen Konferenzen Führung in Deutschland nicht ersetzen, ({2}) vor allen Dingen dann nicht, wenn diese wolkigen Reden in einem so offenkundigen Widerspruch zu dem stehen, was in Deutschland geschieht. Sie haben von der Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit, des Miteinanders gesprochen. Es ist wahr - die Sozialdemokratie in Deutschland sagt es seit vielen Jahren -: Sicherheit muß man umfassend verstehen, nicht allein außenpolitisch oder militärisch garantiert. Man muß sie vor allen Dingen mit Blick auf die weltweite Umweltzerstörung, die Überbevölkerung, den Hunger, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln und die organisierte Kriminalität sehen. So wahr es ist, daß Globalisierung Chancen der Verflechtung, des effizienteren Wirtschaftens, der Mehrung von Wohlstand und der Sicherung von Frieden bietet, so unbestreitbar ist auch, daß diese risikoreichen Entwicklungen von der Umweltzerstörung bis hin zur organisierten Kriminalität mittlerweile keine nationalen Grenzen mehr kennen, daß sie gewissermaßen staatsfrei geworden sind. Wir müssen darauf achten, daß sie deswegen nicht auch regelungsfrei werden; ({3}) denn sonst könnte - ich fürchte, dazu tragen Teile Ihrer Verhaltensweisen bei - die Erkenntnis, daß sich Marktkräfte, multinationale Unternehmen und globale Gefahren dem Nationalstaat und seinen Möglichkeiten zu entziehen beginnen, zu einem Umschlagen, zu einem Verdruß hinsichtlich der Möglichkeiten der nationalstaatlich verankerten Demokratie führen, weil die internationale Kooperation nicht so funktioniert, wie sie müßte. ({4}) Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung kann leider nicht so engagiert, vor allen Dingen nicht so glaubwürdig für das eintreten, was international notwendig ist. Nachhaltige Entwicklung: Man spricht von fairem Handel, von engerer Zusammenarbeit, von der Möglichkeit, keine Festungen aufzurichten, son-dem unterentwickelte Länder auf faire und partnerschaftliche Weise einzubeziehen. Das ist in Ordnung, aber wie verträgt sich das mit der Tatsache, daß allein in Europa einige Länder für diese internationale Zusammenarbeit wesentlich mehr tun als Deutschland? Wie verträgt sich Ihr Reklamieren eines Ziels mit dem, was Sie zu Hause tun? Wie kann ein deutscher Bundeskanzler in New York für die Wälder auf der Erde berechtigterweise eintreten und eine Initiative ergreifen und gleichzeitig zulassen, daß in Deutschland ein Bundesnaturschutzgesetz verabschiedet wird, das das genaue Gegenteil von dem bewirkt, was Sie international reklamieren? ({5}) Wie kann ein deutscher Bundeskanzler 1990 in Houston für den Schutz der Wälder eintreten - dieses Thema hat ja mehrere dieser Gipfel beschäftigt - und dann hier reklamieren - auch in Denver -, man wolle jetzt die CO2-, die Treibgasemissionen reduzieren, während in den westdeutschen Ländern der Ausstoß dieser gefährlichen Gase gestiegen ist - im Jahre 1996 sogar in ganz Deutschland - und ein weiterer Anstieg droht? Wie können Sie das international vertreten, wenn Sie Herrn Rexrodt für ein Energiewirtschaftsgesetz freien Lauf lassen, das zum genauen Gegenteil führt? ({6}) Vor wenigen Tagen schrieb das Bundeswirtschaftsministerium meinem Kollegen Michael Müller: Bedingt durch die Haushaltsenge müsse bereits in diesem Jahr gesagt werden, daß 1998 in den Förderbereichen Solarenergie, Kollektoren, Windkraft, Biogas usw. - gemeint sind also die regenerativen Energien; ich will sie gar nicht alle aufzählen - gespart werden müsse. Höflicherweise würde ich als einer Ihrer Partner in Amsterdam oder Denver milde lächeln und sagen: Es ist ja sehr freundlich, daß der deutsche Bundeskanzler jetzt den Schutz der Wälder von uns erwartet. Aber was tut er zu Hause, und warum läßt er ein Energierecht zu, das gerade die Nutzung erneuerbarer Energiequellen erschwert und auf der anderen Seite die Energieeffizienz und den Einsatz regenerativer Quellen nicht ermöglicht? Dies ist ein eklatanter Widerspruch. ({7}) Ein Zweites im Anschluß an das Wort von der nachhaltigen Entwicklung: die internationale Kooperation für Arbeit. Ich will einräumen, sie hat mittlerweile Eingang in die europäischen Verträge gefunden, obwohl doch jeder weiß, wie schwer sich die Bundesregierung getan hat, das zu akzeptieren, wie nachhaltig der Einsatz der skandinavischen und anderer Länder war, um die Aufnahme dieses Zieles in die Verträge zu erreichen. Was bedeutet internationale Kooperation für die Zukunft der Arbeit? Lassen Sie mich eines vorausschicken. Die Europäer stellen weniger als 10 Prozent der Weltbevölkerung. Sie repräsentieren aber mehr als 40 Prozent des Welthandels. Es geht nicht nur urn eine ökonomische Fragestellung, so wichtig sie auch ist. Es geht natürlich auch um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um die Garantie der Ausbildung und um die Sicherung des sozialen Zusammenhaltes. Im Kern aber geht es um mehr, nämlich um die Fragen: Wie sichern wir den Dreiklang aus wirtschaftlicher Kraft, sozialer Verantwortung und politischer Freiheit? Wie sichern wir die ganz besondere, in der Welt einmalige Grundlage europäisch bestimmter Zivilisation? ({8}) Dies vorausgeschickt will ich feststellen, daß Sie, Herr Kohl, uns hier im Deutschen Bundestag doch mehrfach gesagt haben: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause. Dann haben Sie den Eindruck erweckt, als ginge es uns und unseren Partnern in Europa darum, europäische Beschäftigungsprogramme aufzulegen. Nein, ich widerspreche ausdrücklich europäischen Beschäftigungsprogrammen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf europäischer Ebene. Was wir dringend brauchen, ist eine Kooperation, die Sie bisher in diesem Bereich immer verweigert, ja sogar lächerlich gemacht haben. ({9}) Herr Bundeskanzler, Sie und Mitglieder Ihrer Regierung haben, wenn Herr Lafontaine, die SPD-Bundestagsfraktion oder andere eine internationale Kooperation angemahnt haben, hier mehrfach gesagt, das sei wieder das typisch sozialdemokratische Wolkenkuckucksheim. Aber es ändert sich international in den Zielen und Paradigmen etwas. Sie registrieren dies zu spät und beginnen zu spät, dies mitzugestalten. Man merkte es in Denver und übrigens auch in Amsterdam. Eigentlich müßte sich der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland blamiert fühlen: Wenn in einer Erklärung des Gipfels von Denver festgestellt wird, der negative Steuerwettlauf sei auch eine negative Begleiterscheinung der Globalisierung, wenn der amerikanische Präsident, nachdem er 1994 in Neapel schon einmal den Versuch gemacht hat, soziale und ökologische Mindeststandards in den Welthandelsabkommen zu verankern, an Ihrem Widerstand gescheitert ist, ({10}) wenn jetzt der amerikanische Präsident erneut und darüber hinausgehend ein Netzwerk zur Kontrolle und zur Beobachtung internationaler Finanztransaktionen anregt und wenn dann verlangt wird, man müsse die Kooperation verstärken, Herr Bundeskanzler, dann wäre es souverän, übrigens auch ehrlicher und für Ihre internationale Position besser gewesen, wenn Sie gesagt hätten, die Bundesregierung werde ihren bisher geübten Widerstand gegen inter- nationale Kooperation zur Sicherung von Beschäftigung und Ausbildung aufgeben und mit den anderen enger zusammenarbeiten. ({11}) Das haben Sie nicht getan. Im Gegenteil, Sie haben geblockt, Sie haben verzögert. Ich muß Sie auf eine Studie aufmerksam machen, die der Deutsche Sparkassen- und Giroverband in der Frage der Besteuerung als eines wichtigen Datums für die volkswirtschaftliche Entwicklung vorgelegt hat: Großunternehmen zahlen relativ weniger Steuern als alle anderen, regional verwurzelte Unternehmen zahlen relativ mehr und die Arbeitnehmer am meisten. - Das ist eine Fehlentwicklung, und leider liegt Deutschland an der Spitze dieser Fehlentwicklung. Die regionale Verankerung, der Einsatz von Arbeitskraft, die Investitionen in neue Produkte und neue Verfahren sind in unserem Land viel zu sehr mit Steuern, mit Abgaben, mit zu langen Genehmigungsverfahren, mit vielfältiger Bürokratie usw. belastet. ({12}) - Ich war gestern hier und habe sehr aufmerksam zugehört. Wenn Sie damit auf Ihre Steuerpolitik anspielen wollen, dann sage ich Ihnen, daß das die Fortsetzung genau der Fehlentwicklung ist, die international mittlerweile beklagt wird. ({13}) Wer Arbeitsplätze sichern will, der wird akzeptieren, daß wir mit der Verankerung der Beschäftigungspolitik in der Ergänzenden Erklärung zum Stabilitätspakt und im Europäischen Vertrag einen großen Fortschritt erreicht haben. Wir haben ihn gegen hinhaltenden Widerstand der deutschen Bundesregierung durchsetzen müssen. Nun schaffen aber Verträge noch lange. keine Arbeitsplätze; jeder weiß das. Folgerichtig wird es im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und mit der Sicherung von Wachstum und Beschäftigung sehr stark auf den europäischen Gipfel im Oktober ankommen. Ich hoffe, daß dieser Gipfel zu Ergebnissen führt, die wirklich handfest sind und nicht nur schöne Formulierungen beinhalten: ({14}) handfest im Sinne der Harmonisierung der Steuerpolitik, handfest im Sinne der Gewährleistung der Rahmenbedingungen, handfest auch mit Blick auf das große Vorhaben der gemeinsamen europäischen Währung. Die Sozialdemokratie in Deutschland unterstützt die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung mit den Kriterien und dem Zeitplan, zu denen wir uns gemeinsam mit anderen verpflichtet haben. ({15}) Die Sozialdemokratie in Deutschland hält die gemeinsame Währung für ein ökonomisches, noch mehr aber auch für ein politisches Projekt, das über den Binnenmarkt hinausführt und die europäische Integration so vertiefen wird, daß man sich ihr im Interesse einer friedlichen und sicheren Zukunft des gesamten Kontinentes nicht mehr entziehen kann. Ich weiß wohl, daß man dazu in mehreren Richtungen etwas sagen kann. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß jedenfalls in den die Regierung tragenden Parteien - Sie haben einen feinsinnigen Unterschied gemacht; ich habe das genau gehört - der Streit zwischen den wertkonservativen, also auf europäische Zivilisation und damit Integration orientierten Kräften in der Union mit den nationalkonservativ orientierten Kräften noch nicht ausgefochten ist. Das ist das eigentliche Risiko, weil wer immer sich davon angesprochen fühlen mag - Außenpolitik in Deutschland immer mit Rücksicht und mit Vorsicht, bezogen auf unsere kleineren Partner um uns herum, formuliert werden muß. ({16}) Deutsche Interessen erlauben keinen nationalen Alleingang mehr. Schon gar nicht ist es erlaubt, mit einem nationalistisch eingefärbten Populismus in Deutschland auf Stimmenfang zu gehen und damit die langfristigen Interessen dieses Landes zu beschädigen. ({17}) Vor diesem Hintergrund wird in der Debatte noch einiges zu Umwelt. zu Sozialem, zur Vertiefung der Demokratie zu sagen sein. Insgesamt - so bewerte ich es - ist der Amsterdamer Gipfel ein Schritt in die richtige Richtung, aber in Teilen ein sehr kleiner, ein sehr halbherziger Schritt. ({18}) Es hat keinen Sinn, daraus irgendein Hehl zu machen. Jetzt müssen wir darauf achten, daß mit Blick auf die Beschäftigung, auf das wirtschaftliche Wachstum und die Ausbildung der Jüngeren etwas Besseres daraus gemacht wird und daß diesem ersten Schritt weitere Schritte folgen. Und wir müssen darauf achten, daß uns die Integration der Europäischen Union in die Lage versetzt, die gewonnene Stabilität, den gewonnenen Wohlstand, die gewonnene Sicherheit, die gewonnene friedliche Entwicklung unseres Kontinents auf die mittelosteuropäischen Staaten auszudehnen. Wir würden einer historischen Verpflichtung am Ende nicht gerecht werden, wenn die Europäer im Westen den Fall der Mauer, den Wegfall der Konfrontation zwischen Ost und West und auch den unverzichtbaren Beitrag Polens, der Tschechischen Republik, der Ungarn und der vielen anderen beklatschen würden, aber dann unfähig blieben, ihnen in das gemeinsame Haus Europa weiterzuhelfen. ({19}) Meine Damen und Herren, ich habe mit großem Interesse registriert, daß die Einbeziehung Rußlands in diese internationale Entwicklung voranschreitet. Ich habe mit großem Interesse, mit Sympathie und Unterstützung - wie wir alle - registriert, daß auf diese Weise ein Beitrag für eine dauerhafte friedliche Entwicklung geleistet wird. Aber es ist so, daß mit Blick auf den europäischen Gipfel, mit Blick auf die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und mit Blick auf den Gipfel in Denver die internationalen Erklärungen Deutschlands und seiner Regierung in einem Widerspruch - und zwar einem sehr offenkundigen Widerspruch - zu dem stehen, was in Deutschland selbst getan wird. Das gilt für die Harmonisierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, das gilt bei der Ausbildung der Jüngeren, das gilt beim Sichern sozialen Zusammenhalts. Fällt Ihnen eigentlich auf, daß Ihre Politik in Deutschland mittlerweile noch nicht einmal mehr von Konservativen anderer europäischer Länder geteilt wird? Fällt Ihnen eigentlich auf, daß in Großbritannien oder in Frankreich mit Blick auf die Grands Services Publics, mit Blick auf das Gesundheitswesen, mit Blick auf die Ausbildung der Jüngeren - ich könnte viele solcher Beispiele nennen - mittlerweile die Frage im Vordergrund steht, wie man den Ausschluß ganzer Bevölkerungsgruppen aus der wirtschaftlichen, aus der sozialen Entwicklung verhindern könnte? Fällt Ihnen auf, daß man dort mittlerweile verstanden hat, daß ein Markt, dem kein politisches Gewicht gegenübersteht, am Ende nicht mehr sozial genannt werden kann? ({20}) Fällt Ihnen eigentlich auf, daß Sie mit Ihrer Politik in Deutschland ein Risiko eingehen, nämlich daß diese Gipfel zu einer folgenlosen Erklärungsmaschine reduziert werden und damit eine Gefahr heraufbeschwören - ich sprach davon - und daß wir in Deutschland gleichzeitig den Anschluß an die internationale Entwicklung bei der Gestaltung der Arbeitsmärkte, bei der Bewahrung der sozialen Kohäsion, bei der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung verpassen könnten? Mir ist ganz unwohl bei dem Gedanken, daß in Amerika und in anderen Ländern hier in Europa alle diese Entwicklungen präziser gesehen und genauer, sorgfältiger und verantwortlicher beantwortet werden als hier in Deutschland. ({21}) Ich sage noch einmal: Es kommt hier nicht mehr auf wolkige Reden an. Es kommt auf klare Führung in diesem Land an. Sie verweigern diese Führung. Es kommt darauf an, diese Führung in eine kluge, zukunftsweisende internationale Zusammenarbeit einzubetten. Da ist Ihre Position geschwächt. Und es kommt darauf an, diesem Land in der Kooperation, in der Einbettung in internationale Organisationen und internationale Zusammenarbeit neue Zukunftschancen zu öffnen. Der Bundespräsident hat wohl recht: Es stellt sich heraus, daß zur Lösung der wirklich großen Fragen die Nationalstaaten zu klein geworden sind und daß zur Lösung der alltäglichen Fragen vor Ort die Nationalstaaten vielleicht zu groß, auf jeden Fall auch zu bürokratisch geworden sind. Daraus die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, das hat weder Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, deutlich gemacht noch gar das unverantwortliche Geklingel, das man in solchen Fragen aus München hört. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Karl Lamers das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Kollegen Scharping richtig verstanden habe, dann hat er gemeint, die Bundesregierung habe dem Beschäftigungskapitel zugestimmt, ({0}) - ja -, obwohl sie es nicht gewollt habe. ({1}) Aber wenn der Kollege Scharping so ehrlich gewesen wäre, wie er es von der Bundesregierung gefordert hat, dann hätte er sagen müssen, daß der Streit nicht um die Frage „Beschäftigungskapitel und Koordinierung der Wirtschaftspolitik" ging, sondern um den Inhalt der Politik. ({2}) Hier kann ich nur zitieren - vollkommen zustimmend -: Die Aufgabe, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, wird einem von keiner supranationalen Organisation abgenommen. Hier ist die nationale Politik selbst in der Pflicht. So Oskar Lafontaine. Es fällt mir nicht leicht, ihn mit Zustimmung zu zitieren, aber hier hat er ohne jeden Zweifel recht. In diesem Sinne sind in Amsterdam die Entschließungen zum Beschäftigungskapitel und zum Stabilitätspakt gefaßt worden. Deswegen stimmen wir beidem uneingeschränkt zu, weil das genau dem Inhalt unserer Politik entspricht. Herr Kollege Scharping, bei den Aufgaben im eigenen Haus sind Sie und Ihre Kollegen von der SPD es doch, die uns dauernd hindern: gestern bei der Steuerreform, heute bei der Rentenreform und vorgestern bei der Gesundheitsreform. ({3}) Herr Bundeskanzler, Sie haben recht: Denver war ein wichtiger Schritt zur weiteren Heranführung und Eingliederung Rußlands in die westlichen Strukturen. Schon deswegen ist dies erfreulich. Wir sollten die Unterzeichnung des europäischamerikanischen Abkommens über die gegenseitige Anerkennung der Produktionsstandards nicht unterschätzen; denn das ist von manchen als der wichtigste Fortschritt in den transatlantischen Handelsbeziehungen seit langer Zeit bezeichnet worden. Ich glaube, daß die Vorschläge des Gipfels, ein globales Netzwerk zur Überwachung global tätiger Finanzinstitute zu schaffen und hierfür verbindliche Richtlinien zu formulieren, auch von grundlegender Bedeutung sind; denn eine immer dichtere, eine supranationale, eine globale Wirklichkeit braucht immer dringlicher verbindliche supranationale Regelungen. Hierfür haben ohne jeden Zweifel die westlichen Länder und Japan eine besondere Verantwortung. Diese Verbindlichkeit erfordert die Bereitschaft, sich einem gemeinsamen Recht zu unterwerfen. Diese Fähigkeit haben die Europäer zweifelsfrei weiter entwickelt als irgendeine andere Gruppe von Staaten. Insofern sind die Europäer ein Modell. Bei den Amerikanern ist diese Bereitschaft aus verständlichen Gründen wesentlich weniger entwickelt. Aber die anderen, die großen aufstrebenden Nationen werden niemals zu einer solchen Eingliederung bereit sein, wenn nicht die USA, die mächtigste Nation, ebenfalls dazu bereit sind. Die Amerikaner davon zu überzeugen, dazu sind nur die Europäer in der Lage, aber auch nur, wenn sie mit einer Stimme sprechen. Ich erinnere daran, daß die Welthandelsorganisation insofern ein großartiger Erfolg gerade für Europa gewesen ist. Natürlich ist es zu bedauern, daß es den Europäern in Denver noch nicht gelungen ist, die Amerikaner zu einer verbindlichen Reduzierung der Klimagase zu bewegen. ({4}) Aber das wird kommen. Herr Bundeskanzler, Ihre Rede vor den Vereinten Nationen wie auch Ihre gemeinsame Initiative mit Brasilien, Südafrika und Singapur waren nach meiner Überzeugung von größter symbolischer Bedeutung. ({5}) Auch wenn ich gegen eine rein symbolische Politik bin, ({6}) so glaube ich doch, daß man auf diesem Felde klare Symbole setzen muß, wenn man zu gemeinsamem Handeln kommen will. Was wäre eigentlich besser geeignet, klarzumachen, daß es notwendig ist, eine gemeinsame Politik zwischen Industrie- und anderen Ländern zu führen, als die Luft, die wir alle gemeinsam atmen? ({7}) Es besteht also Anlaß, Ihnen für Ihr Engagement in Denver und für Ihre Rede in New York zu danken. ({8}) Dasselbe gilt für Amsterdam. Meine Damen und Herren, unversehens hat sich in Amsterdam der Abschluß des Stabilitätspaktes, der eigentlich nur noch eine formelle Angelegenheit sein sollte, als genauso wichtig erwiesen wie die institutionelle Reform der Union. Das gilt mindestens in dem Sinne, als ein Scheitern auch die Währungsunion und damit das Schlüsselprojekt für den weiteren Fortgang des europäischen Einigungsprozesses in Gefahr gebracht hätte. Es ist Ihr Verdienst, Herr BundesfinanzmiKarl Lamers nister, diesen Stabilitätspakt überhaupt zustande gebracht und ihn völlig unverändert über die letzte schwierige Hürde in Amsterdam gebracht zu haben. Das ist überhaupt nicht hoch genug zu veranschlagen. Meine Fraktion dankt Ihnen ausdrücklich dafür. ({9}) Die zentrale Bedeutung des Stabilitätspaktes konnte man in den letzten Wochen an den Finanzmärkten ablesen. Auf die französischen Wahlen haben die Finanzmärkte zunächst ganz gelassen reagiert. Aber als der Eindruck - mag er auch verkehrt gewesen sein - entstand, der Stabilitätspakt würde in Frage gestellt, da haben sie nervös und negativ reagiert. ({10}) Das macht ein weiteres Mal in aller Deutlichkeit klar: Für die Märkte, für die durch sie erzeugbare Stabilität und Instabilität von Wechselkursen, für Zinskonvergenz oder -divergenz ist weniger entscheidend, was im Moment ist, als vielmehr ihre Erwartung von dem, was sein wird. Ihre Frage ist: Können wir den Regierungen vertrauen, daß sie den Kurs der Stabilität nachhaltig fortsetzen, ja oder nein? ({11}) Das Festhalten am Stabilitätspakt ist für die Märkte das Signum für Nachhaltigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Dieses Vertrauen haben sie in den vergangenen Jahren und Monaten zunehmend gezeigt und mit geringeren oder gar - wie etwa im Falle Frankreichs - ganz verschwundenen Risikoaufschlägen für die Zinsen auf Staatsanleihen und mit Wechselkursstabilität belohnt. Dieses Vertrauen ist auch berechtigt. Denn alle Staaten haben in den vergangenen Jahren ganz unglaubliche, von niemandem für möglich gehaltene Fortschritte ({12}) bei der Reduzierung ihrer Budgetdefizite und bei der Bekämpfung der Inflation erzielt. Ohne den Maastrichter Vertrag wäre das niemals geschehen. ({13}) Meine Damen und Herren, man muß einmal daran erinnern: Es ist uns doch vor einigen Jahren völlig unvorstellbar erschienen, daß die Inflation im Schnitt der Europäischen Union auf ganze 1,7 Prozent sinkt und in Italien nur noch 1,6 Prozent - mit weiter sinkender Tendenz - beträgt. Ich frage mich in allem Ernst: Was soll angesichts dieser Tendenz das Gerede von einem schwachen Euro? ({14}) Der Binnenwert des Euro wird so stark sein wie der der D-Mark. Was den Außenwert angeht, hat Wim Duisenberg in seinem letzten Bericht als Chef der niederländischen Zentralbank auf etwas sehr Interessantes hingewiesen. Er hat gesagt: Der braucht uns in Zukunft nicht mehr zu bekümmern, als er auch die Vereinigten Staaten, was den Dollar angeht, bekümmern muß. Helmut Schmidt hat in der „International Herald Tribune" gemeint, daß die äußere Stabilität des Euro wegen seines größeren Geltungsbereichs größer als die der D-Mark sein wird. Wir sollten daher mehr die phantastisch niedrigen Inflationsraten mit weiter zurückgehender Tendenz im Auge haben und darüber mit unseren Bürgern sprechen. Denn das ist es, woran sie zu Recht die Stabilität festmachen. Deshalb sollten wir nicht, wie das einige tun, versuchen gegen besseres Wissen eine Zahl mit einer Kommastelle als Symbol für Stabilität hochzustilisieren. Diese Bedeutung hat diese Zahl nachweislich nicht. ({15}) Denn andernfalls wäre, da es im vergangenen Jahr ein Defizit von 3,8 Prozent in Deutschland und von 4 Prozent in Frankreich gab, das ganz unglaubliche Maß an Stabilität, von dem ich gesprochen habe, überhaupt nicht erklärlich. ({16}) Ich weiß - das will ich mit allem Nachdruck sagen -: Da es auf die Nachhaltigkeit ankommt, kommt es darauf an, daß wir die strukturellen Reformen wirklich fortsetzen oder in manchen Ländern erst richtig in Gang setzen. Aber es ist auch meine feste Überzeugung: Nur mit einer, durch eine und in einer Währungsunion können wir diese Reformen durchsetzen, nicht ohne eine solche Währungsunion. Nur durch sie können wir das umfassende Modernisierungs- und Gesundungsprogramm der europäischen Volkswirtschaften durchsetzen, nicht ohne sie. Dabei geht es um unsere Zukunftsfähigkeit. Deswegen sage ich: Wer die Währungsunion nicht will, wer sie hintertreibt, versündigt sich an der Zukunftsfähigkeit Europas und seiner Völker. ({17}) Ich habe bereits gesagt, daß wir das Beschäftigungskapitel und die Erklärung zur Beschäftigung von Amsterdam nachdrücklich begrüßen, weil all das, von dem ich gerade gesprochen habe, nämlich die strukturellen Reformen, in ihnen verankert sind. Es hat in Amsterdam und vorher eine Diskussion mit Frankreich gegeben. Ich will deswegen an dieser Stelle ein Wort an Frankreich richten: Die Verankerung des Beschäftigungskapitels und die Erklärung zum Stabilitätspakt machen deutlich, daß wir dasselbe Ziel, und zwar ein doppeltes, haben: nicht nur die Wiederherstellung oder die Festigung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern gleichermaßen eine solidarische, eine soziale Gesellschaft, auch deswegen, weil ohne eine solche solidarische Gesellschaft nicht nur die Stabilität dieser Gesellschaft, sondern auf Dauer natürlich auch die Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung gefährdet wäre. Wir müssen über den Weg reden, wie wir dieses Ziel erreichen. Deutschland befand sich in Amsterdam in Übereinstimmung mit allen Ländern; das muß ich einmal mit allem Nachdruck feststellen. Ich glaube, daß die neue französische Regierung bereits auf dem Wege ist, mißverstandene Signale, die sie ursprünglich gesetzt hatte, zu korrigieren. Wir sollten dem Dialog zwischen Frankreich und Deutschland über diese Fragen höchste Aufmerksamkeit widmen, nicht zuletzt im Vorfeld des sogenannten Beschäftigungsgipfels, der im Herbst dieses Jahres stattfinden soll. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist Teil der politischen Union, sogar ein zentraler Teil. Wir haben in Maastricht zu Recht beklagt, daß die anderen Teile bislang zu kurz gekommen sind. Nun haben wir durch den Vertrag von Amsterdam einen großen Fortschritt auch in den anderen Bereichen der politischen Union erzielt. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist gestärkt worden. Bei der Ausführung gemeinsamer Strategien sind jetzt Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit der Regelfall. Wer sich auf besondere nationale Interessen berufen will, muß eine Ausnahmebestimmung in Anspruch nehmen. Das ist, wie ich finde, ein deutlicher Fortschritt, ein Schritt hin zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Die Aufnahme der Petersberg-Aufgaben der WEU in den Vertrag und die Schaffung der Leitlinienkompetenz gegenüber der WEU bedeuten ebenfalls eine sichtbare Veränderung des Vertrages hin zu besserem Krisenmanagement. Die Zusammenarbeit im Bereich der Innen- und Rechtspolitik ist grundlegend weiter verbessert worden. Ja, durch die Vergemeinschaftung von Asylrecht, Visapolitik, Kontrolle der Außengrenzen, Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für Drittstaatler und justitieller Zusammenarbeit wie durch die Integration von Schengen in den EU-Rahmen haben wir in diesem Bereich Fortschritte erzielt, die über unsere vorsichtigen Erwartungen deutlich hinausgingen. Es gibt sogar - wer hätte das eigentlich für möglich gehalten? - zumindest Ansätze für operative Zuständigkeiten von Europol. Es gibt auch eine sehr wichtige Neuerung in der dritten Säule, nämlich die Einführung der Quasi-Richtlinien. Was die parlamentarische Kontrolle angeht, Frau Wieczorek-Zeul, so meine ich, haben sich die Verfahren für die Beteiligung des Deutschen Bundestages und die gesetzlichen Grundlagen für die Beteiligung der Länder bewährt. In diesem Rahmen werden wir Lösungen finden. Die Effizienz und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sind also gestärkt worden, wobei dies - das will ich hinzufügen; auch der Bundeskanzler hat es gesagt - nicht überall in dem Maße geschehen ist, wie wir es uns gewünscht haben. Aber solche Verträge sind immer Kompromisse. Jedenfalls gibt es einen Fortschritt. Es ist wahr, die Reform der Kommission ist unzulänglich. Die Stärkung der Position des Kommissionspräsidenten ist ein Fortschritt. Aber das andere ist problematisch. Vor allem das Fehlen einer Regelung bezüglich der Neugewichtung der Stimmen im Rat könnte bei der Erweiterung Probleme schaffen. Aber ich meine, wir sollten uns an die Erfahrungen erinnern, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Wenn ein ausreichend starker Druck vorhanden ist, dann gibt es auch eine Einigung. Ich bin sicher, daß der Druck der Beitrittsverhandlungen dazu führen wird, daß wir bei der notwendigen Reform auch hier Fortschritte erzielen. Der vielleicht größte Gewinner der Verhandlungen von Amsterdam - auch das hat kaum jemand für möglich gehalten - ist das Europäische Parlament, ({18}) das, wie der ehemalige Präsident Hänsch zu Recht festgestellt hat ({19}) - der neue leider nicht, Kollege Haussmann; aber ich glaube, der Kollege Hänsch versteht noch genug von diesen Dingen, um ein zutreffendes Urteil dazu abgeben zu können -, in einem Maße Rechte erhalten hat, wie man es sich vor zehn Jahren überhaupt nicht hätte vorstellen können. ({20}) Ich will das, was der Bundeskanzler zu der strategischen Bedeutung der Flexibilitätsklausel gesagt hat, mit allem Nachdruck unterstreichen. Das ist wirklich eine strategische Weichenstellung, die lange Zeit kaum möglich erschien. An dieser Stelle will ich auch einen Dank an die Briten richten. Sie haben unsere Vorschläge nicht in dem Maße akzeptiert, wie wir es uns gewünscht haben. Aber es hat sich gezeigt: Die neue britische Regierung versucht wirklich, konstruktiv in Europa mitzuarbeiten. Das sollten wir anerkennen. ({21}) Amsterdam war ein wesentlicher Fortschritt im europäischen Integrationsprozeß. So gefestigt, können wir uns der nächsten großen Herausforderung stellen, nämlich der Erweiterung. Herausforderung bedeutet Chance und Risiko. Wir würden unseren künftigen Mitgliedern wie uns selbst den größten Gefallen tun, wenn wir bei aller Nüchternheit stärker die Chancen sähen, unseren gesamten Kontinent als eine Zone der Freiheit, des Friedens und des Wohlstands, als ebenbürtigen Akteur an der Seite der USA - und nicht für immer unter deren Fittichen - sowie als ein Modell für die Welt zu gestalten, in dem freie, starke und selbstbewußte Völker eine neue, den Erfordernissen der Gegenwart angemessene Form des Zusammenlebens finden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers anläßlich seiner Teilnahme an drei Gipfeln, nämlich den Gipfeln in Amsterdam, Denver und New York. Eine halbe Weltreise liegt hinter Ihnen, Herr Bundeskanzler. Jetzt sind Sie wieder zurück im irdischen Jammertal der Bonner Koalition. Die Probleme hier sind dieselben geblieben. Das möchte ich gleich vorwegschicken. ({0}) - Es tut mir leid, Herr Kollege Glos. Auf Sie und Ihren Laden komme ich nachher noch zu sprechen - darauf können Sie sich verlassen -; denn wir werden, wenn wir über die Außenpolitik, die Europapolitik, über Amsterdam, über die Zukunft der europäischen Integration und über den Euro reden, garantiert auch über eine der wichtigsten Säulen des Kabinetts Kohl und seiner Koalition, nämlich über die CSU und Herrn Stoiber, reden müssen. Wer über den Euro spricht, kann über Stoiber und die CSU nicht schweigen. ({1}) Aber darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Mir geht es hier um eine Bewertung dessen, was diese Gipfel gebracht haben. Wenn man sich heute die Regierungserklärung angehört hat, aber wenn man sich auch gegenwärtig - ganz aktuell - die Rede des Kollegen Lamers angehört hat, - ({2}) - Herr Kollege Hintze, sie war in ihrem europapolitischen Teil, vor allen Dingen im Euro-Teil, in der Tat sehr gut. ({3}) Da habe ich mehr geklatscht als Herr Glos. Damit haben wir wieder dasselbe Problem. ({4}) Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt ist ein anderer. Wenn man sich die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die Rede des Kollegen Lamers angehört hat, wird man feststellen: In Amsterdam war das Ergebnis ein minimales Ergebnis. Es hat Fortschritte gebracht, allerdings auch ein hohes Maß an Stagnation, viele Fragezeichen, um die herumgeredet wurde. Zu Denver kann man nur sagen: Das einzige, was positiv zu verzeichnen ist, ist die Teilnahme Rußlands, eine verstärkte Einbindung Rußlands in die westlichen Strukturen. Denver hat aber nicht die notwendige Regulierung des Globalisierungsprozesses, die Abstimmung von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gebracht. Das alles, was heute zwischen den wichtigsten Industrienationen gemacht werden müßte, ist in Denver nicht gemacht worden. Und New York? Nun ja, zu New York möchte ich jetzt etwas ausführlicher kommen. Herr Bundeskanzler, seien Sie mir nicht böse. Auf der einen Seite freut es mich, wenn ich an 1983 zurückdenke, an die erste Legislaturperiode, als wir hier waren, welche beeindruckende Veränderung in den Reihen von CDU/CSU zumindest mental in der Umweltpolitik stattgefunden hat, auch bei Ihnen. Damit Sie mich richtig verstehen: Ich möchte Sie ausdrücklich darin bestätigen, in dem Kurs weiterzumachen, international umweltpolitisch Druck auszuüben. Nur, ich bezweifle, daß Sie ernst genommen werden, wenn Sie das, was Sie international fordern, national nicht umsetzen. ({5}) Dann muß ich Ihnen sagen: Ich kriege fast schon zynische Anwandlungen, wenn ich Ihre Regierungserklärung höre. Welches Wunder im Luftraum über dem Mittelwesten zwischen Denver und New York ist denn passiert? In New York mimen Sie den Ökofreak, während hier in Bonn gleichzeitig die Politik weitergetrieben wird, die letztendlich auf Umweltsudeleien, auf eine Betonpolitik hinausläuft. Wie sieht es denn aus? Was ist denn die Bilanz dieser Bundesregierung, die sie international vorweisen kann? Nehmen Sie doch einmal die CO2-Reduktionsziele, die Sie in Berlin verkündet haben. In Berlin hat man Ihnen den Ökofreak noch abgenommen - ich nicht, aber die Umweltverbände. In New York werden sie Ihnen diese Nummer nicht mehr abnehmen. Sie haben dort eine schöne Rede gehalten, eine gute Initiative - allerdings ist Ablehnung gesichert, insofern kann man eine solche Initiative vortragen - gestartet, während Sie gleichzeitig hier feststellen müssen - Ihre Umweltministerin hat es jetzt auch zugegeben -, daß Sie die Selbstverpflichtung zur CO2Reduktion um 25 Prozent bis 2005 nicht einhalten werden. ({6}) Es ist ein Faktum, Herr Bundeskanzler, daß wir es im Jahre 1996 zum ersten Mal wieder mit einem Anstieg um 2 Prozent bei der CO2-Emission zu tun haben - im Westen Deutschlands, und da wird die Sache endgültig zynisch. Wir haben eine 45-Prozent-Reduktion, bezogen auf das Basisjahr 1989, im Osten Deutschlands. Das bezahlen wir mit Massenarbeitslosigkeit, mit katastrophalen Zuständen über Joseph Fischer ({7}) die Deindustrialisierung durch eine falsche Einheitspolitik. ({8}) Da gibt es 45 Prozent Reduktion, während im Westen seit 1990 Null Reduktion zu verzeichnen ist, im Gegenteil, jetzt haben wir wieder einen Anstieg. Es macht natürlich unglaublich glaubwürdig, wenn ich dann gleichzeitig auf internationaler Ebene verbindliche Festlegungen fordere. ({9}) Aber gehen wir doch weiter. Wie sieht es denn aus bei einer Politik der Nachhaltigkeit? Jetzt stehen wir innenpolitisch vor entscheidenden Strukturreformen, das ist ja nicht umstritten. Wir müssen jetzt handeln. Nur, wo ist die Nachhaltigkeit in dem, was Sie vorschlagen? Steuerreform: Es erbittert mich, Herr Bundeskanzler. Ich habe Ihnen hier das „Konzept Nachhaltigkeit, Fundamente für die Gesellschaft von morgen, Zwischenbericht der Enquete-Kommission ,Schutz des Menschen und Umwelt' des 13. Deutschen Bundestages aus 1997" mitgebracht. Ich habe Ihnen eine vorzügliche Studie von einer obersten Bundesbehörde, vom Umweltbundesamt, mitgebracht - sie ist aktuell erschienen -: „Nachhaltiges Deutschland - Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung" . Ich empfehle dies zur Lektüre. Außerdem habe ich hier ein voluminöses, grün gebundenes Gutachten, „Umweltgutachten '96 - Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bei der Bundesumweltministerin", das sich nicht nur zum Lesen, sondern dann und wann auch zum Handeln eignet. In all diesen Publikationen können Sie Strategien für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung finden. Überall ist die Notwendigkeit einer ökologischen Steuerreform enthalten. Ohne eine ökologische Steuerreform, ohne daß wir in unserer Marktwirtschaft die externen ökologischen Kosten internalisieren, werden wir den Prozeß der Nachhaltigkeit in Deutschland nicht hinbekommen. ({10}) Insofern müssen Sie, Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihre Rede ernst meinen, die Chance der jetzt notwendigen Steuerreform nutzen. Ihr Bundesfinanzminister muß endlich begreifen, daß eine ökologische Steuerreform für die nachhaltige Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen. Wie sieht es denn mit der Lage des Waldes aus? Hinsichtlich der Schäden haben wir ständig einen Zuwachs. Wie ist die Situation der Böden, des Grundwassers in diesem Lande? Sie beklagen den Waldverlust völlig zu Recht. Mein Eindruck aber ist der, daß die Radikalität Ihrer Position exponentiell, das heißt im Quadrat zunimmt, je weiter Sie sich von Ihrem eigenen Verantwortungsbereich entfernen. ({11}) Die Helmut Kohls, das heißt die Konservativen in Indonesien, Borneo, Amazonien, wo auch immer, bringen Ihre Argumente vor. Dies führt dort zu einer ähnlich fatalen Politik, wie sie 'es hier bereits gibt. Wir haben nach wie vor einen täglichen Flächenverlust von 80 Hektar zu verzeichnen. Schauen Sie sich doch einmal die Roten Listen in Deutschland an! Ich will Ihnen einmal die Fakten vorlesen: Ausgestorben oder verschollen sind 8 Prozent der Säugetiere, 6 Prozent der Süßwasserfische und 4 Prozent aller Vogelarten. Bestandsgefährdet sind 40 Prozent aller Säugetiere, 64 Prozent der Süßwasserfische, 39 Prozent der Vögel und 65 Prozent der Kriechtiere. Wir haben also nicht nur ein Problem in den tropischen Regenwäldern. Wir haben ganz aktuell hier unsere ökologischen Hausaufgaben unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu machen. ({12}) Schauen Sie sich die Entwicklung des Individualverkehrs an! Allein unsere Kraftfahrzeugflotte verbraucht mehr Rohöl als Gesamtafrika. Die Tendenz ist wachsend. Die Botschaft, daß die Volksrepublik China unter anderem auch von deutschen Automobilunternehmen motorisiert werden soll, mag für diese Unternehmen eine schöne Botschaft sein. Wenn wir aber so weitermachen, ist es ökologisch die schlichte Katastrophe. Umgekehrt, Herr Bundeskanzler, können wir den armen Ländern nicht sagen: Bleibt arm, damit wir reich bleiben können! Das ist moralisch und politisch nicht zu vertreten. Wir müssen eine Politik der Nachhaltigkeit betreiben, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich entwickeln zu können. ({13}) Eine Verkehrswende, eine Energiereform, eine Entwicklung weg von der Angebotsorientierung, eine Öffnung des Marktes für neue, umweltschonende Technologien - all das liegt in unserer nationalen Entscheidungskompetenz und bringt nebenbei einen gewaltigen Modernisierungseffekt, neue Märkte und Arbeitsplätze, trägt also wesentlich zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit bei. Dem bedeutenden Ministerpräsidenten aus einem nördlichen Bundesland, der in diesem Zusammenhang meint, die Umweltbürokratie sozusagen als neues Feindbild aufbauen zu müssen - das muß ich hier ansprechen -, kann ich nur folgendes sagen: Ich kenne die Zustände in diesem Land nicht. Allerdings ist meine Erfahrung als Umweltminister: Erstens. Kein Ökologe kann ein Interesse an zuviel Bürokratie und langen Genehmigungsverfahren haben. Da wurde in der Vergangenheit vieles verbessert. Vermutlich kann es noch besser gemacht werden, aber in allen Bundesländern, egal von wem sie regiert Joseph Fischer ({14}) werden, sind beeindruckende Fortschritte erzielt worden. Zweitens. Umweltbürokratie und Umweltgesetze schaffen Rechtssicherheit, wenn sie entsprechend angewendet werden. Sie schaffen Investitionssicherheit und Sicherheit für Mensch und Umwelt. Wenn dies eine Metapher sein soll, mit der man den ganzen Umweltkram vom Tisch räumen will, dann kann ich diesen Herrn nur warnen; denn das bedeutet ein Zurück in die Steinzeit der 60er Jahre. Es wäre eine Gefährdung des Industriestandortes Deutschland. ({15}) Ich habe überhaupt nichts dagegen: Wir können uns zwischen Ordnungsrecht, Haftungsrecht oder ökologischer Steuerreform entscheiden. Ich plädiere für einen Mix dieser Dinge als eine moderne Umweltpolitik. Ich halte aber überhaupt nichts davon, dies vom Tisch zu räumen. ({16}) Nun lassen Sie mich noch - leider in aller Kürze - auf den Amsterdamer Gipfel eingehen. Das Ziel war, die institutionellen Reformen für die Ostöffnung zu ermöglichen, eine Öffnung, die wir nachdrücklich bejahen. Diese institutionellen Reformen sind auf minimaler Ebene stehengeblieben. Das Beschäftigungskapitel ist für uns - gegen den Widerstand der Bundesregierung durch die politischen Veränderungen in unseren Nachbarländern durchgesetzt - einer der wichtigsten Erfolge von Amsterdam. Erst einmal steht das nur auf dem Papier. Aber es schafft Möglichkeiten. Ich möchte Rudolf Scharping nachdrücklich für seine klaren Sätze hier danken. ({17}) - Nein, hören Sie zu! Das wird für die kommende Auseinandersetzung sehr wichtig sein. Er hat gesagt, daß es nicht um staatliche Beschäftigungsprogramme auf EU-Ebene geht, sondern daß es um eine abgestimmte Politik hin zu einem gemeinsamen Sozialraum geht. ({18}) Das ist für mich ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt. Damit können wir nämlich diese ganze Debatte, die in die 70er Jahre zurückführt, schlicht vergessen. ({19}) Ich sage Ihnen, Herr Kollege Haussmann: Die monetaristische Phase der europäischen Integration ist mit den Wahlentscheidungen in Großbritannien und in Frankreich zu Ende gegangen, und sie wird mit der Wahlentscheidung hier in der Bundesrepublik Deutschland nächstes Jahr endgültig zu Ende gehen. ({20}) Ich bin der festen Überzeugung - ich bin mir sicher, daß der Bundeskanzler, auch wenn er es nicht ausspricht, diesen Gedanken gar nicht von sich weisen wird -: Wir werden die Völker mit dem Hinweis „Der Weltmarkt erfordert es" nicht mitnehmen können. Das zeigt Frankreich. Man muß die französische Wahlentscheidung sehr ernst nehmen. Das ist nicht einfach nur eine falsche Taktik von Präsident Chirac gewesen. Der entscheidende Punkt ist: Man muß die Völker mitnehmen. Die Methode, die noch bis Maastricht geführt hat, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Weitere Souveränitätsübertragungen - die wir wollen und die Sie wollen; da gibt es einen großen Konsens -, ohne daß wir die Völker mitnehmen, das heißt, ohne daß es einen innenpolitischen europäischen Prozeß gibt, werden nicht mehr funktionieren. Dieser Prozeß muß dann auch institutionell und legislativ umgesetzt werden. Die Euro-Debatte ist jetzt die erste große innenpolitische europäische Debatte, die in allen Ländern gleich lang und mit gleichen Kontroversen geführt wird. Das finde ich unter Demokratiegesichtspunkten sehr wichtig. Aber das wird für die Zukunft heißen - auch das macht Amsterdam klar -: Wir werden eine weitergehende politische Integration unter Ausklammerung der Völker - das heißt ohne Volksentscheide bei weiterer Souveränitätsübertragung, ohne innenpolitische kontroverse Debatte, ohne das Risiko des Scheiterns, ohne offene Schlacht, auf dem Boden der Demokratie ausgetragen - nicht hinbekommen. Deswegen haben wir, Herr Bundeskanzler, bei Europol zwei gravierende Einwände: bei der Demokratie- und der Subsidiaritätsfrage. Das sind keine grundsätzlichen Einwände. Aber Entschuldigung, wenn wir eine europäische Polizei installieren, dann frage ich, wo der europäische Grundrechtsschutz bleibt. ({21}) Das muß meines Erachtens mindestens parallel laufen. Das gehört eigentlich vorneweg gestaltet. In dem Zusammenhang lassen Sie mich in aller Kürze auch einmal auf folgendes zu sprechen kommen: Ich habe nie auf Amsterdam gesetzt; nicht aus Berufspessimismus, sondern weil ich der Meinung war, daß man das europäische Maultier nicht überladen darf. Die Einführung des Euro hat jetzt unbedingte Priorität. Das zeigt auch das Gipfelergebnis von Amsterdam. Nur, Herr Bundeskanzler, da reicht es nicht, wenn Sie sich mit Ihrem ganzen Gewicht hier hinstellen und erklären: Der Euro kommt. Ich möchte von Ihnen wissen, und ich möchte von Herrn Waigel wissen - er hat doch die Mär von den 3,0 Prozent gebracht ({22}) Joseph Fischer ({23}) - da schütteln Sie mit dem Kopf; ich könnte Ihnen die Reden aus dem Haushaltsausschuß und die Reden aus diesem Hause über die 3,0 Prozent, erst jüngst vorgetragen, vorlesen -: Was sagen Sie dazu, Herr Waigel, wenn Ministerpräsident Stoiber darauf hinweist - ich zitiere -: Würde die CSU es plötzlich mit dem Bonner Fraktionsvorsitzenden Schäuble halten und nicht mehr auf unbedingte Stabilität pochen, beginge sie „den größten Vertrauensbruch in ihrer Geschichte." „Unbedingte Stabilität" sind für ihn die 3,00 Prozent. Nun wissen Sie: Die 3,00 Prozent sind nicht erreichbar. Herr Lamers hat das gerade wieder eindeutig gesagt. Auch der Bundeskanzler ist der Meinung. Wie soll das gehen? Wir sind es leid, daß hier Erklärungen abgelesen werden und die wirkliche politische Debatte zwischen CDU, CSU, F.D.P. und wem auch immer am Wochenende in den Medien stattfindet, wenn wir die Debatte hier geschlossen haben. ({24}) Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie noch einmal klipp und klar auf: Nehmen Sie vor dem Deutschen Bundestag Stellung dazu, daß Herr Stoiber die Koalition in der Euro-Frage gegen die Wand fahren lassen will. Wenn das absurd ist, dann sagen Sie es. Welche Bedeutung hat es denn sonst, daß Herr Stoiber sagt, das wäre der größte Vertrauensverlust? In dem Zusammenhang möchte ich von Ihnen endlich Klartext hören. Wenn Sie das nicht tun, dann fordere ich den CSU-Vorsitzenden auf, hier eindeutig Stellung zu nehmen. Vielen Dank. ({25})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Dr. Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das Problem, daß wichtige Ziele von Bürgern, nämlich Arbeit, Umwelt, Sicherheit, nicht mehr erreichbar sind mit den traditionellen nationalen Formen der Politik. Das heißt, daß alle Parteien die Aufgabe haben, den Menschen klarzumachen, daß ihre Ziele nur durch stärkeres internationales Denken, durch globales Verständnis erreichbar sind. Die größte Gefahr, die ich derzeit in der deutschen Diskussion sehe, ist folgende: Wirtschaft und Wissenschaft globalisieren sich, aber ein Teil der deutschen Diskussion wird immer provinzieller. ({0}) Wir haben ausreichende Beispiele. Ganz nah liegt der Gedanke an Hannover, leider auch der an München. Nur, beim Euro-Populismus gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Herrn Stoiber und Herrn Schröder: Herr Stoiber ist wenigstens in der Lage, in seinem Bundesland die Maastricht-Kriterien zu erfüllen; Herr Schröder ist dazu nicht in der Lage. ({1}) Das eigentlich Beruhigende für mich und die F.D.P. ist: Es gab noch nie Bundeskanzler, die sich in einer so wichtigen internationalen Frage populistisch verhalten haben. Insofern werden die Ambitionen von Herrn Schröder und von Herrn Stoiber an diesem Projekt scheitern. Denn bei einem so wichtigen internationalen Projekt braucht man Klarheit, braucht man Verläßlichkeit. ({2}) Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß bei den Kriterien die Zahlen vor dem Komma, nicht die nach dem Komma stimmen. Deshalb muß man den Bürgern erklären, daß eine Inflationsrate unter 2 Prozent ein Hinweis auf den stabilen Euro ist, und sollte keine Kommadiskussion führen. Herr Schröder hat sich in Sachen Populismus ja mittlerweile an die Spitze gesetzt. In seinem jüngsten Interview zieht er an allen anderen Populisten vorbei, indem er inzwischen eine Verschiebung der Währungsunion von bis zu fünf Jahren fordert. ({3}) Man muß sich das einmal vorstellen: Die Währungsunion beginnt dann im Jahre 2004. Herr Schröder wäre dann bereits im Pensionsalter. Dies ist eine gewisse Beruhigung für dieses wichtige Projekt. ({4}) Wenn ich Herrn Fischer so höre, wird mir erneut klar: Es ist wichtig, wer auf solchen internationalen Konferenzen ein so wichtiges Land persönlich repräsentiert. Da ist die deutsche Außenpolitik beim Außenminister Kinkel in guten Händen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie Herr Fischer auf internationalen Gipfeln Frau Albright klarmacht, was Sache ist - der Vorsitzende einer Partei, die eine lange Tradition des Antiamerikanismus gepflegt hat, ({5}) die in der Bosnien-Frage eine völlige Kehrtwendung vollzogen hat, die noch vor kurzer Zeit gegen die NATO insgesamt war und die zunächst auch den Maastricht-Vertrag abgelehnt hat. Herr Fischer, Sie haben hier eine große Kurve vollzogen, einen riesigen Umfaller hinter sich. ({6}) Bis heute ist völlig offen, ob Ihre Fraktion dem Amsterdamer Vertrag zustimmt. Ich kann da nur Herrn Scharping loben, der sofort erklärt hat: Die SozialdeDr. Helmut Haussmann mokraten werden den neuen Vertrag ratifizieren. Insofern haben wir eine Zweidrittelmehrheit. Daher kommt es auf die innerparteiliche Diskussion der Grünen nicht an. Nur, Ihr großer Anspruch, in der Weltpolitik mitzubestimmen, erfordert zunächst einmal eine Klärung im eigenen Laden, ({7}) eine moderne, aufgeklärte Politik und Verständnis für die wichtigste Weltmacht, nämlich für Amerika. So weit sind Sie in Ihrer eigenen Partei noch lange nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie auf dem Weltwirtschaftsgipfel Herr Schröder als Bundeskanzler Deutschland repräsentieren würde, ein Mann, der das wichtigste europäische Projekt als Monopolywährung bezeichnet hat und der nicht einmal in der Lage ist, in seinem eigenen Bundesland für Ordnung zu sorgen und die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Insofern bin ich beruhigt, daß auch in Zukunft auf Weltwirtschaftsgipfeln Bundeskanzler Kohl, Außenminister Kinkel, Finanzminister Waigel und Wirtschaftsminister Rexrodt unser Land repräsentieren werden. Meine Damen und Herren, entscheidend ist - und das ist zu kurz gekommen -, daß es auf Dauer eine neue Weltordnung gibt. Dafür bestehen nur zwei Möglichkeiten: Entweder bleiben die Vereinigten Staaten von Amerika die einzige Weltmacht, oder es entsteht eine andere Staatenverbindung in Asien oder in Europa, die in der Lage ist, eine globale Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika einzugehen. Wer sich ärgert, daß das Umweltthema zu kurz kommt, wer sich ärgert, daß sich die Amerikaner hegemonial verhalten, wer sich ärgert, daß die Amerikaner ihre Art der Wirtschaftspolitik zum Vorbild machen, der muß zunächst zu Hause, hier vor Ort, dafür sorgen, daß wir erneut so fit, so wettbewerbsfähig werden, um international eine wichtige Rolle spielen zu können. ({8}) Es ist der eigentliche Skandal, daß Sie hier große Reden halten, daß Sie von uns selbstbewußtes Auftreten fordern, Sie aber zugleich in einer Dauerblockade dafür sorgen, daß wir uns weder in der Steuer- noch in der Renten- oder Sozialpolitik für den Weltmarkt fit machen können. ({9}) Das ist das eigentliche Ärgernis, und aus dieser Diskussion werden wir Sie nicht entlassen. Es ist einfach lächerlich, wenn wir auf internationalen Konferenzen rechtfertigen müssen, warum wir immer noch eine Gewerbekapitalsteuer haben. Wer, wie gestern die Diskussion wieder gezeigt hat, für dieses Dauertheater, diesen Skandal, ({10}) die Gewerbekapitalsteuer nicht abzuschaffen, verantwortlich ist, der hat jedes Recht verwirkt, auf internationaler Ebene zu fordern, Deutschland solle härter auftreten. ({11}) Ihr innenpolitisches Verhalten und Ihr internationaler. Anspruch passen einfach nicht zusammen. Wenn wir den Amsterdamer Gipfel darauf testen, inwieweit die Europäer für eine internationale, globale Partnerschaft mit Amerika fit werden, so gibt es zwei wesentliche Fortschritte. Auch hier möchte ich noch einmal ausdrücklich für die vorbereitenden Verhandlungen Herrn Hoyers danken. Wir haben im Bereich des Europäischen Parlaments deutliche Fortschritte erreicht. Das ist ganz entscheidend. Das Europäische Parlament ist jetzt in 23 Bereichen in Mit-Entscheidungsverfahren einbezogen. Der Chef der Europäischen Kommission hat eine stärkere Stellung - das ist für seine Außenvertretung im globalen Bereich von allergrößter Bedeutung -, und wir haben im Innen- und Rechtsbereich den Weg zu mehr gemeinschaftlichen Lösungen gebahnt. Dies ist ein wesentlicher qualitativer Fortschritt. Nicht zufrieden sind wir im institutionellen Bereich. Auf diesem Feld müssen wir weiter arbeiten; denn dies ist die Voraussetzung für die Erweiterung der Europäischen Union nach Mittel- und Osteuropa. Wir müssen darauf achten, daß die Länder in Mittel-und Osteuropa nicht den Eindruck bekommen, wir würden durch mangelnden Reformwillen im institutionellen Bereich, im Bereich der Agrarpolitik, im Bereich der Finanzpolitik, die Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa auf die lange Bank schieben. ({12}) Wir sind vital daran interessiert, es liegt im ureigensten Interesse der westeuropäischen Länder, die mittel- und osteuropäischen Länder aus demokratischen Gründen, aus Sicherheits-, aber vor allem auch aus ökonomischen Gründen innerhalb eines kurzen Zeitraums zu integrieren. ({13}) Darauf müssen wir auch die deutsche Bevölkerung vorbereiten. Die Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa bedeutet einen weiteren Schub an Strukturwandel; er bedeutet mehr Wettbewerb für Arbeitnehmer, für Freiberufler, für Landwirte. Wenn wir die Menschen nicht sehr früh auf die Vorteile einer Erweiterung vorbereiten, werden wir erneut - wie bei der europäischen Währung - ein Problem damit bekommen, daß die Menschen nicht verstehen, warum die europäische Integration so wichtig ist. Ein weiterer wesentlicher Erfolg - das will ich auch noch einmal ausdrücklich an Herrn Waigel gerichtet sagen - ist die unveränderte Durchsetzung des Stabilitätspaktes. Es ist eigentlich tragisch, daß dieser wesentliche Fortschritt jetzt schon wieder in der deutschen Innenpolitik so zerredet wird. Die Durchsetzung des Stabilitätspaktes heißt für Menschen und Märkte: Die Voraussetzungen für einen stabilen Euro sind dauerhaft klar, der Euro kommt. Ich kann nur an das anschließen, was Herr Lamers zu Recht gesagt hat. Das Reden von einem weichen Euro ist unverantwortlich, meine Damen und Herren. Ganz im Gegenteil: Dank der niedrigen Inflationsrate, dank der niedrigen Zinsen, dank eines möglichen großen Währungsgebietes gegenüber dem Dollar, dank des neuen Präsidenten Duisenberg, der nächste Woche sein Amt antritt, sind alle institutionellen und personellen Voraussetzungen dafür gegeben, daß die europäische Währung von Anfang an im fairen Wettbewerb mit dem Dollar zu einer stabilen Währung für Europa wird und damit eine entscheidende Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze für Europäer und für Deutsche. ({14}) Das ist ein entscheidender Fortschritt. Den sollten wir nicht kleinreden. Stabilität beginnt zu Hause. Wer eine neue Weltordnung will, der muß wissen, ob Amerika im nächsten Jahrhundert alleine bleibt, ob Asien der zweite Partner wird oder Europa. Wir dürfen nicht unterschätzen, daß die Flexibilität der Asiaten, die Nähe im pazifischen Bereich, ihre wirtschaftliche Dynamik und ihre Offenheit aus amerikanischer Sicht sehr attraktiv sind. Wenn wir Europäer uns nicht anstrengen, geschlossener aufzutreten, den Binnenmarkt mit einer stabilen Währung zu vollenden, dann dürfen wir uns nicht beklagen, wenn sich die Amerikaner in ihrer weltweiten Politik stärker auf Asien konzentrieren. Die Chancen für die Europäer sind nach wie vor gegeben. Das erfordert aber, daß man die Menschen auf globale, auf internationale Zusammenhänge vorbereitet und daß man provinzielle politische Diskussionen unterläßt, die die Ängste nur schüren würden. Die Globalisierung ist insgesamt eine große Chance für ein Exportland wie die Bundesrepublik. Es gibt daran nichts Negatives. Der wirkliche Gewinner der Globalisierung ist aber die dritte Welt. Wir müssen unsere Systeme, unsere Sozial-, Steuer- und Bildungssysteme, so vorbereiten, daß die Deutschen im internationalen Wettbewerb bestehen können und damit am Schluß Gewinner und nicht Verlierer sind. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächsten Redner rufe ich den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi auf.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich eine sehr begrenzte Redezeit habe, kann ich mich leider nur kurz zu Denver äußern. Wahr ist, daß ein positives Element des Gipfels von Denver darin bestand, daß Rußland erstmalig teilnehmen konnte. Damit sind mit Ausnahme von China, glaube ich, die wichtigsten wirtschaftlich und politisch starken Staaten bei dieser Konferenz vertreten. Man muß allerdings hinzufügen, daß die Teilnahme Rußlands natürlich das Geschenk für die Zustimmung zur NATO-Osterweiterung ist, also mehr ein Deal als ein inneres Bedürfnis ist. Davon abgesehen muß man feststellen, daß gerade dieser Gipfel am wenigsten gebracht hat - zumindest am wenigsten an irgendwelchen nennenswerten Fortschritten. Es ist schon vom Kollegen Fischer, aber auch vom Kollegen Scharping darauf hingewiesen worden, daß hinsichtlich der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung, hinsichtlich des Umweltschutzes nichts erreicht worden ist, und zwar nicht, weil die mächtigsten Staaten dazu nicht in der Lage wären, sondern weil sie es nicht wollen. Das ist das Entscheidende. ({0}) Es gab dort keinen einzigen Vertreter, der hätte sagen können: Ich komme hier mit einem vorbildlichen Ergebnis und erwarte, daß sich die anderen Länder dem Schritt für Schritt anschließen - auch Sie nicht, Herr Bundeskanzler. Der Umweltschutz in der Bundesrepublik ist deutlich zurückgegangen, sowohl im Bewußtsein als auch tatsächlich. Die Emissionswerte werden schlechter. Viele andere Dinge, die hier schon genannt worden sind, wären hinzuzufügen. Deshalb konnte diesbezüglich gar kein Fortschritt erreicht werden. Aber auch in der Finanzpolitik ist letztlich nichts herausgekommen; denn die Spekulation geht weiter. Sie haben keine Instrumente zur Eindämmung der Spekulation eingeführt. Auch Sie werden zugeben müssen, Herr Waigel, daß es zum Beispiel noch immer die Idee eines amerikanischen Nobelpreisträgers gibt, endlich eine internationale Transfersteuer einzuführen, um die Spekulation einzudämmen. Nichts dergleichen ist in Denver besprochen worden, geschweige denn herausgekommen. ({1}) Was Beschäftigung und die soziale Frage betrifft - die standen in Denver nicht einmal zur Debatte. Wenn sich die wichtigsten Staatschefs dieser Welt treffen und dabei nicht über die soziale Frage auf unserem Erdball sprechen und auch nicht darüber, wie man das Beschäftigungsproblem lösen kann, dann ist dieser Gipfel einfach verfehlt. Man kann sagen: Außer Spesen nichts gewesen. Das ist die traurige Tatsache von Denver. ({2}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf einen Bericht der UNO eingehen, einen Bericht, der mich erschüttert hat. Er ist in der „Frankfurter Rundschau" vom 13. Juni 1997 wiedergegeben worden. Da heißt es, daß die Zahl der Obdachlosen, der ArDr. Gregor Gysi beitslosen und der Armen weltweit angestiegen ist, auch und gerade in den Industriestaaten. Dort heißt es auch: Andererseits ist die Zahl der Dollarmilliardäre - ich wiederhole: Dollarmilliardäre; ein Dollarmilliardär besitzt 1 000 Millionen Dollar zwischen 1989 und 1996 von 157 auf 447 gestiegen. - Jetzt hören Sie genau zu! Die zehn reichsten Personen der Welt besitzen 133 Milliarden Dollar, anderthalbmal soviel wie die Nationaleinkommen der 48 am wenigsten entwickelten Länder zusammen. Das heißt, daß zehn Menschen auf diesem Erdball anderthalbmal soviel besitzen wie 48 Staaten. Ich sage Ihnen: Solange das so ist und solange das zunimmt, bleiben demokratische Sozialistinnen und Sozialisten auf dieser Welt erforderlich. ({3}) Denn es kann einfach nicht gerecht sein und es kann nicht richtig sein, wenn eine Struktur einen solch riesigen Unterschied zwischen Arm und Reich hervorruft. Das kann auf dieser Erde durch nichts - auch durch kein Leistungsprinzip - erklärt werden. ({4}) Ein Gipfel, der daran nichts ändert und daran auch nichts ändern will, hat versagt. Ich möchte jetzt wieder zu Deutschland zurückkommen. Deutschland ist, was die Lebensqualität betrifft, laut der zitierten UNO-Statistik von Platz 18 auf Platz 19 zurückgefallen und liegt jetzt zum Beispiel deutlich hinter Spanien. Es heißt dort: Schuld daran sind die hohe Arbeitslosigkeit, die Zunahme der Einkommensarmut und die im Vergleich zu anderen Industrienationen schlechtere Ausbildung. Der Prozentsatz weiblicher Spitzenkräfte im Beruf ist in Deutschland um die Hälfte niedriger als beispielsweise in Kanada oder den USA. Das heißt, auf all diesen Gebieten ist die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten stark zurückgefallen. Ich sage Ihnen: Wenn dieses Defizit dieser Bundesregierung zuzuschreiben ist, wird es höchste Zeit, daß die Politik grundsätzlich geändert wird. ({5}) Sie werden es nicht verhindern können, daß Menschen wie ich und andere immer wieder die soziale Frage sowohl weltweit als auch national auf die Tagesordnung setzen. Eine Welt, in der es solche Unterschiede gibt, wie ich sie Ihnen dargestellt habe, kann nicht gerecht sein. Mit Ihrer gesamten Steuerpolitik und mit Ihrer gesamten Sozialpolitik treiben Sie diese Entwicklung immer weiter voran, nämlich daß sich der Reichtum bei immer weniger Menschen häuft und die Armut bei immer mehr Menschen zunimmt. Das muß gestoppt werden; hier brauchen wir endlich einen anderen Ansatz in der Politik. ({6}) Ich will jetzt etwas zu Amsterdam sagen. Es hat dort gewisse kleine Fortschritte gegeben, aber dabei handelt es sich meist um Fortschritte, die gegen den Willen der Bundesregierung durchgesetzt worden sind. Ich meine zum Beispiel die Verhinderung der Militarisierung der EU durch die WEU; allerdings ist das durch andere Staaten, nicht etwa durch Deutschland, verhindert worden. Ich denke dabei weiter an die Tatsache, daß wir jetzt wenigstens ein Beschäftigungskapitel haben, wenn es auch leider unverbindlich ist und wenn es auch leider dank der Einwände der Bundesregierung ohne Geld und ohne Instrumente auskommen muß. Ich finde, es ist schon ein starkes Stück, wenn sich ein Bundeskanzler hinstellt und in bezug auf das wichtigste Thema, das wir sowohl in Deutschland als auch in Europa haben, sagt: Na schön, ein Kapitel darf aufgenommen werden, es darf aber nichts kosten; es darf dafür keine zusätzlichen Instrumente geben. Ich frage: Wie wollen Sie denn ohne Geld Beschäftigungslosigkeit, das heißt Massenarbeitslosigkeit, bekämpfen? Das geht weder in Europa, noch geht es in Deutschland. ({7}) Ich kann auch nicht zustimmen, wenn Herr Fischer und Herr Scharping hier erklären, es sei ganz wichtig, daß es keine Beschäftigungsprogramme auf europäischer Ebene geben dürfe. Es kann im Bereich der Infrastruktur und in anderen Bereichen durchaus sehr sinnvoll sein, Beschäftigungsprogramme zu starten. Das hier generell abzulehnen und dem Kanzler diesbezüglich eine Koalition anzubieten, halte ich für verfehlt. Das will ich ganz deutlich sagen. ({8}) Das Beschäftigungskapitel verdanken wir der französischen Regierung. Es gibt leider noch nicht viel her; ich bin auch nicht sehr optimistisch, was die Folgekonferenz betrifft. ({9}) Ich füge noch etwas hinzu: Wissen Sie, was ein Signal an die europäischen Völker gewesen wäre? Anstatt diesem Stabilitätsfetischismus mit diesen 3,00 Prozent, die Sie immer gepredigt haben und an die Sie sich jetzt nicht mehr halten - deshalb haben Sie auch einen Konflikt mit Ihrem Herrn Stoiber -, zu huldigen, hätten Sie eigentlich sagen sollen: Als Kriterium nehmen wir, daß ein Land nicht mehr als 3,00 Prozent Arbeitslose haben darf. Das wäre ein erstrebenswertes Ziel gewesen. ({10}) Tun Sie doch nicht so, als ob die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit nicht auch etwas mit Stabilität in der Wirtschaft und der Finanzwelt zu tun hat! Nun stehen wir vor der Frage, wie es mit der Demokratieentwicklung in Europa weitergeht. Es war dieser Bundeskanzler, der immer dafür eingetreten ist, daß wir in der Europäischen Union Mehrheitsentscheidungen brauchen, daß man sich von kleineren Staaten nicht vorschreiben lassen dürfe, wie die Entwicklung weitergehen soll. Wir waren immer für das Einstimmigkeitsprinzip zur Sicherung der Souveränität dieser kleineren Staaten. Interessant ist es schon, daß der Bundeskanzler an dem Tag, an dem ein anderer Wind aus Europa wehte, wo er befürchten mußte, einmal überstimmt werden zu können, plötzlich zum Vorreiter des Einstimmigkeitsprinzips wurde und es in wichtigen Fragen wie der Industriepolitik, der Strukturpolitik und der Asylpolitik konsequent ablehnt, daß es Mehrheitsentscheidungen gibt. ({11}) Sie wissen, was das heißt: Das heißt bei aller Erweiterung der Rechte des Europaparlaments, daß das Europaparlament in entscheidenden Fragen nichts zu sagen hat. Dort, wo das Einstimmigkeitsprinzip gilt, ist das Europaparlament nicht gefragt. Hier kommen wir zu einem Problem, das bisher im Bundestag nur ganz wenig erörtert worden ist, nämlich zu der Tatsache, daß wir Montesquieus Prinzip der Gewaltenteilung aufgeben. Es gibt ein Doppelkonstrukt: Das Europaparlament ist keine wirkliche Legislative der Europäischen Union, den nationalen Parlamenten werden meist nur Verträge vorgelegt, und dann bekommt das Ganze einen völkerrechtlichen Charakter. Damit gibt es keine Gestaltungsmöglichkeit, sondern nur noch die Möglichkeit, ja oder nein zu sagen, wie das nun einmal bei völkerrechtlichen Verträgen der Fall ist. Insofern wird die Legislative national, aber auch europäisch zurückgedrängt, und die Exekutive aus den Nationalstaaten übernimmt legislative Funktionen im EU-Ministerrat und in den Kommissionen. Das kann keine gute demokratische Entwicklung sein. ({12}) Herr Fischer, ich muß Ihnen sagen: Meines Erachtens ist es ein wenig naiv, zu sagen: Absolute Priorität hat jetzt der Euro, und um Demokratie, um soziale und demokratische Grundrechte für die Europäerinnen und Europäer kümmern wir uns später. Solchen Illusionen sind die Linken schon oft verfallen. Wir wollen eine Verfassung, die die Grundrechte politisch und sozial für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union festschreibt. Das ist die Voraussetzung, bevor man zu einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion kommt. ({13}) Deshalb sage ich Ihnen eines: Man kann den Euro nationalistisch kritisieren wie Herr Stoiber. ({14}) Das ist jedoch ein falscher Ansatz, und er wird unsere Kritik finden. Man kann ihn zweifellos auch sozusagen stabilitätsfetischistisch kritisieren, auch das ist nicht unser Punkt. ({15}) Unser Punkt ist, daß wir mit dem Euro den Rest Europas, die anderen Staaten, die nicht daran teilnehmen, weiter abdrängen. Der Euro ist kein Integrationsmittel, er ist ein Desintegrationsmittel. Unsere Kritik betrifft die politischen und demokratischen Defizite, aber vor allem die Tatsache, daß die steuerlichen, die ökologischen, die sozialen und die juristischen Standards in Europa ganz unterschiedlich sind. Mit einer Binnenwährung erzwingen Sie die Angleichung, aber Sie erzwingen sie nach unten. Das wird zu sozialen Eruptionen führen. Herr Fischer, damit schaffen Sie die Voraussetzung für viele Gauweilers. ({16}) Das ist das Problem. Sie entziehen dem Gauweiler nicht die Basis, Sie schaffen die Basis für viele Gauweilers. ({17})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Gysi, sehen Sie bitte auf die Uhr.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich sage Ihnen noch eines: Umgekehrt muß der Weg sein: Erst muß die steuerliche, die soziale und die juristische Angleichung der Standards erfolgen, und dann kann am Schluß eine Währungsunion stehen. Man darf sie nicht nach unten erzwingen, wie das Ihr Plan ist, der unsere Zustimmung nicht finden kann. Zur Steuerharmonisierung würde gehören, daß Daimler-Benz endlich einmal Steuern bezahlt. Daimler-Benz bezahlt nämlich 0 Prozent, Siemens bezahlt 7 Prozent.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Gysi, bitte.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Jeder Kneipenwirt in Deutschland zahlt mehr Steuern als die beiden Konzerne. Das muß geändert werden. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von den Gipfeltreffen in Amsterdam und Denver gehen wichtige Signale für die Wirtschafts- und Finanzpolitik aus. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Europäischen Rates von Dublin im Dezember 1996 konnte Einvernehmen über alle notwendigen EntschließunBundesminister Dr. Theodor Waigel gen und Ratsverordnungen erzielt werden, die einen reibungslosen Übergang zur Währungsunion und deren erfolgreiches Funktionieren sichern. Im Vorfeld des Europäischen Rats hatte es Irritationen gegeben. Einige haben einen Widerspruch zwischen der Stabilität des Euro und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herstellen wollen. Aber Amsterdam hat gezeigt: Nach wie vor sind wir uns mit allen EU-Partnern - mit Großbritannien und auch mit der neuen französischen Regierung - in der Überzeugung einig: Preisstabilität und Haushaltsstabilität sind unabdingbare Voraussetzungen für dauerhaftes Wachstum und Beschäftigung. In Deutschland ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oberstes Ziel der wirtschafts- und finanzpolitischen Anstrengungen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Konsolidierung und Stabilität auf der einen Seite und mehr Arbeitsplätzen auf der anderen Seite. Konsolidierung und Stabilität sind die Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze und für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({0}) Dementsprechend ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt, wie er seit Dublin genannt wird, in Amsterdam ohne jeden Abstrich so verabschiedet worden, wie ihn die Finanzminister auf ihrem informellen Treffen in Noordwijk vorbereitet hatten. Eine Neuverhandlung des Stabilitätspaktes stand in Amsterdam nicht zur Diskussion. Ich nehme für uns, für die Finanzminister, in Anspruch, daß wir ähnlich wie in Maastricht auch jetzt durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt, durch EWS II und durch die Festlegung des rechtlichen Rahmens für den Euro die wichtige Voraussetzung dafür geschaffen haben, daß dieses säkulare politische Ereignis optimal vorbereitet worden ist und jetzt auch eintreten kann. ({1}) Auf EU-Ebene haben wir alles getan, damit Haushaltsdisziplin auf Dauer gesichert wird. Es wird keinen weichen Euro geben. Wenn ausgerechnet Herr Fischer uns ermahnt, das Notwendige für Europa zu tun, dann kann ich nur sagen: Herr Fischer, wir haben für Europa gekämpft und uns für den Euro eingesetzt, als Sie noch mit Turnschuhen über die Startbahn West in Frankfurt gehüpft sind und mit dem Euro und allen anderen diesbezüglichen Dingen nichts am Hut gehabt haben. ({2}) Damals hatten Sie allerdings noch keine Weste, damit Sie rechtzeitig über die Bahn hüpfen konnten. Aber ich will mich hier in diesem Zusammenhang nicht näher mit Ihrer Vergangenheit beschäftigen. Das werden Sie tun müssen. ({3}) - Sie müssen wissen, ob Sie Ihre Reden hier auch nur annähernd mit dem Unfug und dem schlimmen Zeug in Verbindung bringen, das Sie noch vor zehn oder 15 Jahren von sich gegeben haben. So ein Mann will in Deutschland Außenminister werden! Um mit Heine zu sprechen: Denke ich an Fischer in der Nacht, bin ich, wenn ich an Deutschland denke, um meinen Schlaf gebracht. Aber dies wird Gott sei Dank nie eintreten. ({4}) - Herr Fischer, ich will Ihnen eines sagen: Edmund Stoiber hat für Europa und für dessen Stabilität innerhalb der Partei - im Rahmen unseres Streites stand er auf meiner Seite - mehr getan als Sie mit Ihrer unwahrhaftigen Polemik und Ihrer verlogenen Diskussion. ({5}) Nun sind die Dinge ziemlich klar. Im Vertrag stehen die Kriterien, im Protokoll die Zahlen. Dies ist durch den Stabilitätspakt ausgefüllt worden. Dort ist sogar erreicht worden, daß die Drei-Prozent-Defizitgrenze eine Obergrenze auch im Rahmen der Schwankungen der Konjunktur darstellt. Darüber gibt es keine abstrakte Diskussion. Es gibt auch keinen automatischen Fahrplan. 1997 ist das Referenzjahr. Jedes Land hat die Chance, und jedes Land hat die Pflicht. ({6}) Für jedes Land gelten die gleichen Voraussetzungen. ({7}) Es zählen die Ist-Ergebnisse des Jahres 1997 und nicht Prognosen, Schätzungen und Quartalsabrechnungen. ({8}) Diese Ist-Zahlen liegen im März vor. Die Bewertung nehmen die Europäische Kommission und das Europäische Währungsinstitut vor. Dann diskutieren darüber das Europäische Parlament, der Deutsche Bundestag sowie der Bundesrat und geben entsprechende Meinungen und Bewertungen ab. ({9}) - Im Gegensatz zu Ihnen hat sich die CSU mit Europa seit 1946 beschäftigt. Schon damals hat sich diese Partei aus ihrer bayerischen Sicht für Europa ausgesprochen. ({10}) Da haben Sie sich noch in anderen Sphären bewegt. Als Sie erstmals politisch dachten, befanden Sie sich in einer Denkkategorie, die für Europa eine Katastrophe gewesen wäre. ({11}) Ausgerechnet Sie wollen sich zum Lehrmeister für Europa machen? Wenn sie wenigstens an der Stelle Ihren Mund hielten! ({12}) Anfang Mai erfolgt die Entscheidung des Europäischen Rates, vorbereitet vom Ecofin. ({13}) - Herr Präsident, da ist ein Papagei. Es gibt Leute, die sich, wenn man ihnen die Begriffe Angebot und Nachfrage und eine Zahl aus dem kleinen Einmaleins beibringt, für Nationalökonomen halten. In Wirklichkeit sind sie politische Papageien. Diesmal meine ich damit Herrn Fischer. ({14}) Wir werden jedenfalls die Märkte beachten und keine ,,Weich-Euro"-Erwartung zulassen. Die Bundesregierung hat mit dem Stabilitätspakt die Stabilität gefestigt. Ein Aufweichen unserer Position findet nicht statt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was die neue französische Regierung, der neue französische Finanzminister und auch der französische Premierminister gerade in den letzten Tagen gesagt haben. Heute kommt folgende Tickermeldung auf den Tisch: Frankreichs neue Links-Regierung will die Voraussetzungen für eine Beteiligung am Euro zum vorgesehenen Zeitpunkt schaffen. Das haben am Donnerstag noch einmal ... Lionel Jospin und sein Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn in Paris bekräftigt. Weiter heißt es: Der Wirtschafts- und Finanzminister nannte es „notwendig", das Defizit wie vorgeschrieben zu begrenzen. Meine Damen und Herren, das zeigt, daß auch eines unserer wichtigsten Partnerländer daran interessiert ist, die Kriterien einzuhalten. Es ist eigentlich ein wichtiges Zeichen, daß Regierungen, unabhängig davon, ob sie konservativ, liberal oder sozialistisch gestaltet waren oder sind, in den letzten Jahren und auch jetzt an dem Ziel und auch an den Kriterien festhalten, damit der Euro von Anfang an akzeptiert und anerkannt wird und wir unserem Versprechen gerecht werden, der Euro werde genauso stark wie die D-Mark sein. Daran halten wir fest. ({15}) Daneben haben wir in Amsterdam einer separaten Entschließung des Europäischen Rates zu Wachstum und Beschäftigung zugestimmt. Sie ist nicht Bestandteil des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Diese Entschließung sieht unter anderem eine Verstärkung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten vor. Die Europäische Investitionsbank wird zur Nutzung ihrer Programme für arbeitsplatzwirksame Projekte aufgefordert. Dies bleibt in unser wirtschaftspolitisches Grundverständnis eingebettet: überzeugende Stabilitätspolitik und Fortsetzung der Strukturreformen. Mit diesem Verständnis konnten wir auch der Aufnahme eines Beschäftigungskapitels in den Vertrag zustimmen; dasselbe gilt für die sofortige Anwendung des darin vorgesehenen Koordinierungsverfahrens. Meine Damen und Herren, die Entschließung des Europäischen Rates knüpft an die Strategie des Europäischen Rates von Essen 1994 an: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen führt nur über Strukturreformen in jedem Mitgliedstaat. Karl Schiller hat einmal gesagt: „Stability begins at home." Auch Beschäftigungspolitik beginnt zu Hause. Wer aber hier zu einer Steuerstrukturreform nein sagt, wer hier zu einer notwendigen Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme im Renten- und Gesundheitsbereich nein sagt, wer hier nicht bei der notwendigen Konsolidierung mitmacht, der hat doch kein Recht, über die Arbeitslosigkeit zu klagen. Sie sind leider die Mitschuldigen an dieser Negativentwicklung! ({16}) Der Gipfel hat gezeigt, daß der Einigungswille in der Europäischen Union stärker als alle Zweifel ist, die in seinem Vorfeld angemeldet wurden. EWS II ist ebenfalls ein wichtiger Fortschritt, der die Spaltung Europas verhindert, den Disziplinierungsdruck aller Beteiligten auf Stabilität und Konsolidierung beibehält und denen, die noch nicht teilnehmen können oder wollen, hilft, sich dem Anker Euro anzuschließen und sich auf einen späteren Beitritt vorzubereiten. Gerade als ein überzeugter Föderalist bin ich froh, daß das geltende Subsidiaritätsprinzip auf deutsches Drängen hin durch ein Subsidiaritätsprotokoll ergänzt und konkretisiert wurde. Praktizierte Subsidiardität ist für uns notwendige Grundlage einer leistungsfähigen, bürgernahen Union, also ein Gegenprogramm zu zentralistischer Bevormundung durch Bürokratie. Die Stärkung der Subsidiarität ist auch ein Teil der Vorbereitung der Gemeinschaft auf ihre wachsende Vielfalt und Komplexität im Gefolge der Erweiterung. In diesem Protokoll sind zwei weitere für mich wesentliche Aspekte aufgenommen worden, für die ich mich eingesetzt habe: Die EU-Kommission muß künftig erläutern, warum die Finanzierung einer gemeinschaftlichen MaßBundesminister Dr. Theodor Waigel nahme teilweise oder vollständig aus dem Gemeinschaftshaushalt bestritten werden soll. Sie muß ferner darauf achten, daß die finanzielle Belastung für die Bürger so gering wie möglich gehalten wird und außerdem in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Maßnahme angestrebten Ziel steht. Wir werden auf die genaue Einhaltung der Kriterien achten. Diese neuen Regelungen im Subsidiaritätsprotokoll bedeuten eine Verbesserung im verantwortlichen Umgang mit öffentlichen Mitteln, an der gerade die Bundesrepublik als größter Nettozahler der Union ein fundamentales Interesse hat. Wir werden jetzt alles daransetzen, daß auch die finanzielle Struktur der Gemeinschaft ab 1999 gerechter gestaltet wird, als das bisher der Fall gewesen ist. ({17}) Meine Damen und Herren, die Signale, die von Amsterdam und Denver ausgehen, sind für die Wirtschafts- und Finanzpolitik deckungsgleich. Es führt kein Weg vorbei an Strukturreformen. Mehr Beschäftigung ist nur über eine Modernisierung unserer Volkswirtschaft erreichbar. Beschäftigungspolitik ist Reformpolitik, bedeutet Steuerreform und Reform unserer sozialen Sicherungssysteme. Wer sich diesen Reformen verweigert oder sie blockiert, versagt vor dieser Herausforderung und handelt verantwortungslos. Die Regierung, diese Koalition, war sich in Amsterdam, in Denver und auch bei der Konferenz in New York ihrer nationalen und internationalen Verantwortung bewußt. Ich danke Ihnen. ({18})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Heidi Wieczorek-Zeul, SPD.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine List der Geschichte, daß das Stärkste, womit Helmut Kohl von Amsterdam zurückgekommen ist, das ist, was er eigentlich gar nicht erreichen wollte, nämlich die Verankerung der Verpflichtung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Das ist das zentrale Ergebnis, und es mußte gegen die Bundesregierung durchgesetzt werden. Durch die Äußerung des Finanzministers ist hier erneut deutlich geworden: Er hat immer noch nicht verstanden, daß es bei diesem Ringen um die Verankerung dieser Frage um ein grundsätzliches Ringen zwischen neuem Denken - sozialdemokratische Positionen, die in unseren europäischen Nachbarländern auch die Regierungen vertreten - und dem alten Denken geht, das von der Vorstellung ausgeht, der Neoliberalismus und die Orientierung auf die Märkte regelten alles. Das Ergebnis dieses grundsätzlichen Ringens ist die Formulierung eines solchen Beschäftigungskapitels und auch der Erklärung zum Stabilitätspakt. Das ist ein politischer Durchbruch, ein Signal auch an die Adresse der arbeitslosen Menschen in Europa: Es werden andere Prioritäten gesetzt. ({0}) Nach dem, was Theo Waigel hier gesagt hat, hat man den Eindruck, er hat immer noch nicht verstanden, worum es geht. Ich muß ehrlich sagen, mich erinnert diese Haltung „Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause" an die Haltung eines Bahnhofsvorstehers, der in Zeiten der schnellen Bahnverbindungen am liebsten immer noch den Sonderzugfahrplan für seinen eigenen Bahnhof herausgeben möchte. So wird der Eindruck erweckt, als könnte Politik immer noch in jedem einzelnen Staat allein und im Gegeneinander zu den anderen Mitgliedstaaten betrieben werden. Ich lege Wert auf die Feststellung: Die Bundesregierung hat in keinem einzigen Fall ihre Streichungsvorschläge für dieses Beschäftigungskapitel durchgesetzt. Das, was wir durchgesetzt haben, ist Ausdruck der Überzeugung: So wie wir den Frieden in Zeiten der globalen Entwicklung nur gemeinsam sichern können, so können wir auch die Massenarbeitslosigkeit nur gemeinsam bekämpfen. Ich vermisse die entsprechende Äußerung von Theo Waigel. In der Erklärung zum Stabilitätspakt gibt es eine Aussage zur Bekämpfung von Steuerdumping in der Europäischen Union. Dazu habe ich kein einziges Wort gehört. Es paßt eben nicht in sein neoliberales Weltbild. ({1}) Es wurde argumentiert - auch in der letzten Debatte, obwohl wir es mehrfach erklärt haben -, da wollten welche finanzintensive Beschäftigungsprogramme. Hier wurde bewußt ein Pappkamerad aufgebaut, hinter dem die Bundesregierung zu verbergen suchte, daß sie beim Beschäftigungskapitel klein beigeben mußte. Ich möchte an den Finanzminister gerichtet ganz klar und eindeutig sagen: Die Tatsache, daß Deutschland ein struktureller Nettozahler ist, hat mit der Agrarlastigkeit des EU-Haushalts zu tun. Von 170 Milliarden DM wird die Hälfte für Agrarsubventionen ausgegeben. Der Rückfluß in die Bundesrepublik Deutschland ist deshalb so gering, weil nur 1,5 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten. Lediglich 3,7 Prozent des EU-Haushaltes werden für Forschung und Technologie ausgegeben. Das ist doch ein Anachronismus. Das ist die teuerste Art der Subventionierung von Arbeitsplätzen. ({2}) Sie ist die ineffektivste, die unökologischste und im übrigen eine Subventionierung, wo bei den Landwirten mit kleinen Einkommen am wenigsten ankommt. ({3}) Es stellt sich natürlich die Frage: Wo könnten Finanzmittel sinnvoller eingesetzt werden? Schon eine Teilliberalisierung im Bereich der Agrarpolitik, mit Beihilfen, die dann auch ökologisch gestaltet werden könnten, würde dazu beitragen, im EU-Haushalt 9 Milliarden DM einzusparen. Die Bundesrepublik Deutschland könnte dann 2,3 Milliarden DM sinnvoller und vernünftiger einsetzen oder gar einsparen. Es ist doch absurd, daß im EU-Haushalt für die Subventionierung der Zuckerproduktion 3,3 Milliarden DM ausgegeben werden. Ein solches Programm, eine solche Initiative, das gleiche Geld für den Anschub von Zinserleichterungen bei Krediten für kleine und mittlere Unternehmen eingesetzt, könnte dazu führen, daß Hunderttausende zukunftsorientierte Arbeitsplätze geschaffen werden. Solche Programme, solche Initiativen legt die Europäische Kommission auch vor. Wir appellieren also an Sie, Herr Finanzminister: Tragen Sie dazu bei, daß in diesem Bereich umgestaltet wird, und setzen Sie nicht Ihre falschen Initiativen bei der fälschlicherweise auf Landwirte orientierten Politik fort; denn sie nutzt in letzter Konsequenz den Landwirten nichts. Sie ist aber schädlich für die europäische Weiterentwicklung. ({4}) Herr Bundeskanzler, in dem Bereich, in dem Sie selbst die größten Erwartungen geweckt haben, nämlich bei der Reform der EU-Institutionen, sind Sie mit dem kleinsten Ergebnis zurückgekommen. Die Zeitung „El Pais" schreibt: Der deutsche Bundeskanzler Kohl, sonst eigentlich der Motor der europäischen Einigung, wurde zum nationalen Zerberus, der dafür sorgte, daß in praktisch allen Bereichen der gemeinsamen Politik das Veto aufrechterhalten bleibt. Wegen taktischer Rücksichten auf Herrn Stoiber haben Sie damit die historische Aufgabe, neue EUMitgliedsländer aus Mittel- und Osteuropa in dem von Ihnen vorgebenen Zeitrahmen aufzunehmen, gefährdet. Denn dadurch, daß zukünftig die Reformen der Europäischen Union parallel oder während der Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern stattfinden, kann der geplante Beitritt von mittel- und osteuropäischen Staaten zeitlich verzögert werden. Dazu haben Sie beigetragen. Das steht im Widerspruch zu Ihren eigenen Ankündigungen. Das steht im Widerspruch zu den Versprechungen, die Sie mittel- und osteuropäischen Ländern gemacht haben. Das steht auch im Widerspruch zu der Position, die Herr Kinkel und Herr Hoyer in der Regierungskonferenz bezogen haben. Ich erinnere daran: Sie haben ausweislich des „Bulletins" der Bundesregierung vom 14. Juli 1995 bei Ihrem Besuch in Polen 1995 gesagt, sie wünschten, daß Polen noch in diesem Jahrzehnt seinen Weg in die Europäische Union finde. Ich sage an dieser Stelle: Wir befürchten, daß hier falsche Erwartungen von Ihnen geweckt worden sind und daß es, wenn diese Erwartungen jetzt nicht erfüllt werden, zu großen Enttäuschungen in den mittel- und osteuropäischen Ländern kommt, zumal wenn nur ein Teil dieser Länder in die NATO aufgenommen wird. Das ist eine hochgefährliche Situation und Entwicklung. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie hier deutlich sagen, wie Sie das Ziel, das Sie versprochen haben, erreichen wollen und wie Sie andererseits die nicht erfolgte Reform bei den Verhandlungen des Vertrags von Amsterdam begründen wollen. Sonst kann sich Ihre opportunistische Rücksichtnahme auf Edmund Stoiber als schwere Hypothek für die beginnenden neuen Beitrittsverhandlungen erweisen. Zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich denke, es muß auch bei diesem Vertrag und bei der Umsetzung in einem Bereich, nämlich bei der Innen- und Rechtspolitik, noch nachgearbeitet werden. Wir können als Deutscher Bundestag nicht zulassen, daß es Bereiche gibt, die der parlamentarischen Entscheidung und Kontrolle entzogen werden. ({5}) Wir müssen dazu beitragen, daß dies bei den Ratifizierungsverhandlungen ganz klar wird. Es gibt für diesen Bereich die Vergemeinschaftung. Es gibt die Einstimmigkeit im Ministerrat. Wir müssen als Deutscher Bundestag deshalb bei der Ratifizierung sicherstellen, daß die Bundesregierung in den sensiblen Fragen der inneren Sicherheit, des Rechts und der Justiz keine Entscheidung im Ministerrat unter Ausschluß der Öffentlichkeit treffen kann, zu der nicht der Deutsche Bundestag vorher in offener Debatte sein Ja gegeben und seine Aussage gemacht hat. ({6}) Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen und sage das auch an die Adresse der Regierung - die F.D.P. hat sich in dieser Frage ganz eindeutig und offen geäußert -: Wir erwarten, daß Sie davon ausgehen und klar wissen, es wird bei der Ratifizierung im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein. Gehen Sie davon aus, daß es bei der Bedeutung einer Übertragung von Rechten im Innen- und Justizbereich einer Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag bedarf. Schaffen Sie bei den entsprechenden Gesetzen dazu die Voraussetzungen! ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man diese Debatte auf sich wirken läßt, dann fragt man sich, Herr Kollege Scharping: Was war denn falsch in Amsterdam? Was war denn falsch in Denver? ({0}) Was war denn falsch in New York, Herr Kollege Schwanhold? ({1}) Ich habe nichts gehört. Der Heilige Geist hat sieben Gaben verteilt. Eine Gabe ist die der Unterscheidung. Diese könnte man hier anwenden. Man könnte die Frage stellen, ob in einer solchen Situation, wenn nichts von dem, was an diesen drei Standorten passiert ist, was der Bundeskanzler dort vorgetragen hat, falsch war, man nicht die Größe haben könnte, zu sagen: Wir loben das einfach einmal. ({2}) Wir sagen: Er hat die deutschen Interessen hervorragend vertreten. Wenn Herr Scharping, der das irgendwann einmal in seinem Leben liebend gern gemacht hätte, in die gleiche Situation gekommen wäre, hätte er wahrscheinlich das gleiche gewollt, aber es vermutlich nicht gekonnt. ({3}) Das ist die Situation: Er hätte das gleiche gewollt, aber er hätte es nicht gekonnt. Das wäre eine ehrliche Diskussion. Diese sollten wir hier führen. Es tut schon weh, daß Sie nicht einmal sagen können: Das hätten wir anders gemacht, dafür hätten wir an einem dieser drei Standorte eine respektable Mehrheit gehabt, und das wäre für Deutschland besser gewesen. Keine einzige konkrete Meldung heute in diesem Bereich! ({4}) Es tut schon weh: Absolut alternativlos! Und dann fehlt noch die Größe, zu sagen: Das, was an den drei Standorten in den letzten drei, vier Wochen gemacht worden ist, das war für Deutschland gut. Diese Debatte hätte hier hingehört, und sie wäre nötig gewesen. ({5}) - Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schauerte, gestatten Sie Zwischenfragen?

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. ({0}) - Ihnen fehlt die Größe, die intellektuelle Größe dazu, das zu unterscheiden und es dann hier auch zu erklären. Ich will mich mit dem Beschäftigungskapitel befassen. Kein vernünftiger Mensch - da bauen Sie einen regelrechten Popanz auf - hätte in der Vergangenheit mit oder ohne Beschäftigungskapitel irgend etwas dagegen gehabt, wenn die Europäische Kommission, das Europäische Parlament oder die europäischen Nachbarstaaten vernünftige und intelligente Vorschläge gemacht hätten, wie man die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen kann und wie man das miteinander koordinieren kann, kein vernünftiger Mensch! ({1}) Die Forderung war eine ganz andere; das müssen Sie dann hier schon sagen. Die ursprüngliche Forderung, die dann abgewehrt worden ist - das liegt im deutschen Interesse -, war letztlich, daß das mit Geld unterlegt werden sollte, daß einige in Europa für Programme zahlen sollten, die andere beschließen wollten. Wir sind wirklich der Auffassung: Es gilt das Subsidiaritätsprinzip; das kann in den Nationen mit dem zur Verfügung gestellten Geld und mit der richtigen Ordnungspolitik besser und effektiver gemacht werden, als wenn es erst umgeleitet werden muß. ({2}) Wenn Sie wollen, daß wir für europäische Beschäftigungsprogramme - das wäre doch dann die einzige Alternative, über die es sich noch lohnt zu streiten - Geld in die Hand nehmen, um es nach Brüssel zu tragen, dann sagen Sie es bitte hier ganz konkret. ({3}) Erklären Sie den deutschen Steuerzahlern und den deutschen Arbeitsämtern, daß wir es in Zukunft über diesen Umweg machen wollen. Nein, das liegt nicht im vernünftigen deutschen und europäischen Interesse. ({4}) Sie fordern die Harmonisierung ein und wollen sie beschleunigen. Dabei müssen Sie doch einmal ganz realistisch an diese Fragestellung herangehen. Wir sind ein anerkanntes Hochlohnland. Das Lohnniveau in allen anderen Ländern ist niedriger. Wenn es die Harmonisierung gibt, die Sie beschleunigen wollen, dann wird sie nicht die Anhebung des Niveaus bei allen Nachbarstaaten auf unser Niveau bedeuten. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß die Spanier bereit sind, ihr Lohnniveau auf unseres anzuheben und damit ihre Wettbewerbschancen und den Versuch, den Anschluß an den Wohlstand in Europa zu gewinnen, aufzugeben. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Machen Sie das einmal mit den Engländern; machen Sie das mit den Portugiesen. Denken Sie in diesem Zusammenhang an die Amerikaner beim G-8-Treffen. Wenn Sie meinen, das könnten Sie global organisieren, werden sie Ihnen was husten. Wir brauchen einen Wettbewerb der Volkswirtschaften. Wir werden eine Harmonisierung allenfalls zu Lasten der deutschen Löhne hinbekommen, aber nicht zu deren Nutzen. Deswegen habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sozialdemokraten permanent in diesem Feld herum-operieren. Sie wissen nicht, was Sie anrichten, wenn es konkret wird. ({5}) Ich erinnere an die Diskussion bei den transeuropäischen Netzen, einem vergleichsweise harmlosen Feld in diesem Zusammenhang. Das ist doch wirklich hochinteressant. Wir haben beschlossen, daß wir transeuropäische Netze haben wollen. Alle, die es beschlossen haben, haben aber gesagt: Hoffentlich muß ich es nicht bezahlen; hoffentlich wird es irgend jemand anderes bezahlen. Niemand in Europa ist gehindert, diese Netze zu bauen. Aber wenn es lediglich über den Versuch, Nettozahlungen von Dritten zu verlangen, geht, wird es nicht gelingen. Es ist hochinteressant: Als es im Wirtschauftsausschuß des Deutschen Bundestages konkret wurde, haben wir den Kollegen von der SPD die Frage gestellt: Wie ist es denn, wollt ihr Geld dazutun? Nein, nein, so haben wir das nicht gemeint. Was soll denn das Gerede? Wenn Sie einen höheren Nettobeitrag aus deutschen Finanzmitteln nach Europa transferieren wollen und wenn das Ihre neue und moderne Europapolitik sein soll, dann sagen Sie es bitte hier, damit wir alle wissen, woran wir sind. ({6}) Nun zur Frage: Was wollen Sie denn beim Einstimmigkeitsprinzip? Gibt es eine Alternative bei Ihnen? Sagen Sie bei irgendeinem Feld, bei dem der Bundeskanzler die Einstimmigkeit erhalten hat, dort müsse sie aufgegeben werden? Wollen Sie die Einstimmigkeit beim Asyl- und Zuzugsbereich nicht mehr? Sagen Sie es! ({7}) Aber ich bitte Sie: Fragen Sie vorher den Bundesrat und Ihre Innenminister, was sie Ihnen dazu sagen! Seien Sie so vernünftig und hören Sie in diesem Zusammenhang auf die Vernunft! ({8}) Ich frage noch einmal: Wo ist die Alternative? Worüber debattieren Sie hier eigentlich? Denver war ein Meilenstein auf dem Weg zu dem Ziel, daß diese Welt besser zusammenarbeiten muß. Auch in dieser Frage sind Sie alternativlos. Wollten Sie in Denver etwas anderes erreichen? Sie haben über New York und Denver gesagt, zu Hause sei noch nicht einmal das erreicht, was der Bundeskanzler dort eingefordert habe. Man kann darüber streiten, ob zu Hause schon genug passiert ist. ({9}) Aber der Bundeskanzler ist doch derjenige unter den Staatsmännern gewesen, der die richtige Forderung mit Abstand am weitesten nach vorne gebracht hat. ({10}) Sagen Sie doch einmal dazu etwas! Sie kritisieren den Bundeskanzler, der gesagt hat, daß sich da etwas ändern müsse, daß da etwas passieren müsse, und sagen kein Wort zu Amerika und Japan, die sich breit hingesetzt und gesagt haben: Mit uns nicht. Sie haben eine verengte Wahrnehmung. Sie sind so auf Kritik aus, daß Sie gar nicht mehr anders können. Man nennt das auch Scheuklappen. Sie können nicht mehr richtig hingucken. ({11}) Sie wissen nicht mehr, an welcher Stelle es richtig ist zu kritisieren, und an welcher Stelle es richtig ist zu loben. Eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes, nämlich die der Unterscheidung, ist Ihnen leider abhanden gekommen. ({12}) Abschließend möchte ich noch einige Bemerkungen zum Reformstau machen. Herr Scharping, Sie haben sich in der Öffentlichkeit wiederholt auf den Bundespräsidenten Herzog berufen. Nur sein Amt verbietet ihm, sich mit Grausen abzuwenden, wenn er merkt, was Sie mit seiner Rede begründen wollen. Wenn der Bundespräsident von Reformstau redet, Herr Scharping, dann hat er insbesondere Ihre Fraktion und den Bundesrat vor Augen. Er darf es nur nicht sagen; sein Amt verbietet es ihm. ({13}) Es wäre hochinteressant, wenn er nach seiner Amtszeit, wenn er wieder frei ist, seine Memoiren schreiben würde und Sie dann nachlesen könnten, an wen er insbesondere gedacht hat, als er seine Rede gehalten hat. Das waren Sie; das waren wirklich Sie. Sie handeln in unverantwortlicher Weise. ({14}) Analysieren Sie einmal ganz nüchtern, wo das Problem in Deutschland zur Zeit wirklich liegt. Kein großes Industrieland dieser Welt hat eine zweite Kammer mit so massiven Eigeninteressen, mit einem so umfassenden Verfassungsrang wie Deutschland mit dem Bundesrat. ({15}) In einer Zeit des konzentrischen Angriffs auf diesen Standort, eines härter werdenden Wettbewerbs in der Welt verweigern Sie eine Veränderung, die notwendig ist, um elegant und ohne Schaden für unsere Volkswirtschaft auf diese Dinge reagieren zu können. ({16}) Das ist ein unverantwortlicher Umgang mit einem Verfassungsorgan, auf den wir deutlich hinweisen müssen. Wir müssen um diese Veränderungen kämpfen. Wenn wir sie weiter aufschieben, wenn wir weiter warten, wird die Zeche nicht der Reiche in Deutschland bezahlen, sondern der Arme. Der Sozialstaat wird die Finanzen nicht mehr zusammenbringen, weil wir nicht in der Lage waren, uns rechtzeitig umzustellen und das Nötige zu tun. Die Wohlfahrtsstaaten befinden sich in bezug auf das Wachstum auf den hinteren Plätzen. Sie haben eine höhere Arbeitslosigkeit. Wir müssen die Reformen jetzt anpacken. Ändern Sie Ihre Position zur Steuerreform! Damit würden Sie einen guten Dienst tun. Überlegen Sie einmal, ob Sie die Kritik an den drei wichtigen Ereignissen in der Welt bzw. in Europa, nämlich in Amsterdam, in Denver und in New York, aufrechterhalten können. Überlegen Sie einmal, ob die Art und Weise, in der Sie die Debatte heute geführt haben, intelligent war. Herzlichen Dank. ({17})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold, SPD.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser Rede des Kollegen Schauerte ({0}) bin ich ein bißchen hin und her gerissen, ob ich auf den Blödsinn, den er erzählt hat, eingehen soll oder ob ich ihn ignorieren soll. Es erinnert mich an den Spruch: Am besten noch nicht einmal ignorieren. ({1}) Herr Kollege Schauerte, welche drei Sprüche haben Sie gemacht? Erstens. Der Kanzler hat recht. ({2}) Zweitens. Die Opposition ist schuld. Drittens. Der Bundesrat muß abgeschafft werden. Das ist Ihre Vorstellung von Politik und von politischer Gestaltung. Sie sind so weit in Hoffnungslosigkeit versunken, daß Sie zur Lösung der Probleme nichts mehr anzubieten haben. ({3}) Lassen Sie mich eine Bemerkung zu Ihrer Frage machen, die Sie im Wirtschaftsausschuß gestellt haben sollen: Wollt ihr denn Geld in die Hand nehmen? Herr Schauerte, natürlich gibt es die Notwendigkeit zur Harmonisierung in Europa. Dies bestreiten Sie ja auch nicht. Niemand will europäische Beschäftigungsprogramme, die möglichst weit weg von der Verantwortungsebene mit Finanzmitteln ausgestattet werden. Wir wollen aber einen abgestimmten Geleitzug für eine europäische Wachstumspolitik, für eine Harmonisierung von Finanz- und Wirtschaftspolitik, durch die zusätzliche Beschäftigung in Europa geschaffen wird, durch die junge Menschen Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze bekommen und eine Perspektive in diesem europäischen Gebilde sehen. Warum werden denn eigentlich Machbarkeitsstudien für transeuropäische Netze sonst zum gegenwärtigen Zeitpunkt finanziert? Warum kann denn die EIB jetzt plötzlich sagen: Wir machen Mittelstandsprogramme. Wir versuchen, Eigenkapitalhilfe für Neugründungen zu organisieren. Wir wollen Mittelstandsunternehmen finanzieren, die schnell Wachstum im Technologiebereich organisieren. Wir wollen uns daran beteiligen, daß internationale Projekte Auftragnehmer in Europa finden, und wir wollen uns daran beteiligen, daß die Osterweiterung durch den Ausbau der Infrastrukturen finanziert wird. Dies ist genau der richtige Weg, um die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung zu schaffen und durch eine abgestimmte Politik sofort für mehr Beschäftigung zu sorgen. Das ist der Weg, den die Sozialdemokraten wollen und den Delors vorgeschlagen hat. ({4}) Dieses, Herr Schauerte, fand bei Ihnen keinen Niederschlag. Ich glaube, Sie haben nicht einmal mehr die Zeit und die Kraft, kritisch zu reflektieren, wie die Ergebnisse Ihrer Politik hier in der Bundesrepublik Deutschland sind. Die Arbeitslosigkeit war noch nie so hoch. Wir haben noch nie so hohe Arbeitslosigkeit in einem Juni eines Jahres nach dem Kriege gehabt. Wir haben noch nie so viele junge Menschen gehabt, die einen Arbeits- und Ausbildungsplatz suchen. In diesem Jahr werden mehr Menschen keinen Ausbildungsplatz finden als im vergangenen Jahr, trotz aller Bemühungen. Wir haben eine größer werdende Lücke zwischen Arm und Reich. Und Sie wollen diesen Zug weiterfahren lassen, nämlich den der immer geringeren Zahl von Gewinnern und der immer größeren Zahl von Verlierern. Das gilt nicht nur innerhalb des Landes, sondern das kann auch zu einer internationalen Bedrohung werden. Deshalb ist Harmonisierung der wirtschaftlichen Ziele, deshalb ist Harmonisierung der Finanzpolitik und deshalb ist Harmonisierung der Geldmengenpolitik und der Währungspolitik notwendig. Dieses ist der eigentliche Ansatz, um zu sagen: Wir müssen in den Industrienationen jenen Weg auf Nachhaltigkeit, auf zukunftsgerichtete Beschäftigungspolitik organisieren, und wir dürfen uns nicht verlieren in freudigen und wohlklingenden Erklärungen, die in Denver gefaßt werden. Wenn man Lyon, Halifax und Denver ein Jahr später überprüft - für manche haben wir ja Zeit -, dann stellt man fest: Nichts von dem, was an vollmundigen Erklärungen abgegeben worden ist, ist innerhalb der Bundesrepublik auch nur ansatzweise umgesetzt worden. Sie reden auf den Weltgipfeln so, als seien Sie einer der Großen dieser Erde; dabei geht Ihnen hier zuhause die Basis verloren, und Ihre Politik hier ist genau anders, sie ist auf Zerstörung in manchen Bereichen angelegt, ({5}) oder Sie finden nicht die Kraft, den Weg zu gehen, der Arbeitsplätze und Wachstum schafft und damit dem Ziel der Vollbeschäftigung näherkommt. ({6}) Das ist die Realität in diesem Land. Sie nutzen, Herr Bundeskanzler, nur noch die Bühne Europa, Sie nutzen nur noch die Bühne Denver. Niemand glaubt es mehr. Der Gipfel in Denver war eine Blamage, was die Reputation der Bundesrepublik Deutschland angeht. ({7}) In allen Bereichen, in denen Sie sich an die Spitze der Bewegung gesetzt haben, sind Sie hoffnungslos ausgebremst worden. Nichts davon ist durchgesetzt worden. Da, wo die Zukunftsfragen der Beschäftigung gestellt werden, sind Sie selbst das schlechteste Beispiel für die Politik. Da haben Sie nichts zu sagen, da hört Ihnen niemand mehr zu. ({8}) Es ist der Initiative von Tony Blair zu verdanken, daß wir die Reform der Weltwirtschaftsgipfel im nächsten Jahr in Birmingham dahin gehend einleiten, daß man sich in den Themen konzentriert und zu viel verbindlicheren Absprachen kommt. Das ist genau der richtige Weg, den die Weltgipfel gehen müssen, und nicht die großen Medienereignisse, die Sie für sich noch zelebrieren und von denen Sie meinen, daß sie Honig für die Auseinandersetzung mit Blick auf die Wahlen im Jahr 1998 innerhalb des Landes sind. Wir brauchen Ziele, die konkret verabredet werden. Wir müssen uns dazu bekennen, daß wir selbst eine eigene Wachstumspolitik gemeinsam in den Industrienationen organisieren, und zwar mit Rußland und langfristig auch mit China, langfristig insbesondere auch mit Beteiligung von Ländern, die heute noch nicht industrialisiert sind, im Kontext einer sozialen Verträglichkeit, einer ökologischen zukünftigen nachhaltig verträglichen Wirtschaftsform und im Zusammenhang eines gerechten sozialen Ausgleichs. Von diesen Zielen sind wir weit entfernt. Es gibt Instrumente, die zu verabreden sind. Ich spreche die Bereiche der Finanz-, Geld- und Währungspolitik an. Wir brauchen Zielzonen und verbindliche Instrumente, um miteinander zu kommunizieren und diese Zielzonen einzuhalten. Herr Bundeskanzler, wenn wir diese Voraussetzungen nicht erreichen und wenn Sie sich nicht nachhaltig dafür einsetzen, sondern weiterhin davon reden, daß Beschäftigungspolitik zu Hause gemacht wird, und meinen, man könne alles in einer Spirale nach unten münden lassen, dann wird Ihr Weg diesem Land nicht helfen, sondern schaden. Wir brauchen aber Impulse, die dieses Land voranbringen. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist heute mehrfach das Wort „vollmundig" gefallen. Der Kollege Scharping hat es genannt; der Kollege Schwanhold hat es aufgegriffen. Es wurde gesagt, unsere internationale Politik zum Umweltschutz greife vollmundig etwas auf, was wir im nationalen Bereich nicht schafften. Wie sieht es aus? Die Probleme der Luftbelastung sind so gut wie gelöst. Dies gilt nicht nur für die stationären Anlagen, sondern auch bei Kraftfahrzeugen wird die Luftbelastung ... beim Stickoxyd wenigstens so weit zurückgegangen sein, daß Sommersmog ... keine Rolle mehr spielt. Das Dioxinproblem ist abgehakt. Bis auf kleine Randprobleme ... gibt es keinen größeren Handlungsbedarf. Das sagt nicht der Kollege Lippold, Herr Fraktionsvorsitzender; das sagen die Kollegen Clement und Vahrenholt. Ich sage: Die beiden haben recht. Das ist nachhaltige Entwicklung. ({0}) Der Kollege Schauerte hat von einer verengten Sicht der Dinge gesprochen. Nein, Sie haben keine verengte Sicht der Dinge; Sie sehen die Dinge überhaupt nicht. Das ist doch die Sachlage. ({1}) Jetzt zur Abwasserproblematik. Auch die Abwasserproblematik ist hierzulande gelöst, das gilt sowohl für kommunale Kläranlagen als auch für industrielle Direkteinleitungen. Auch hier geht es nur noch um kleine Randprobleme. Dr. Klaus W. Lippold ({2}) Auch das sagt nicht der Kollege Lippold; das sagen die Kollegen Clement und Vahrenholt. Ich sage: Das ist nachhaltige Entwicklung. Das sehen Sie nicht, weil Sie die Augen zumachen und nicht wissen, wovon Sie reden. ({3}) Weiter: Die Probleme der Abfallwirtschaft sind technisch gelöst, leider wird in dem Land, in dem die Supertechnik der thermischen Verwertung entwickelt worden ist, dieselbe nur zögerlich angewandt. Auch das sagen Herr Clement und Herr Vahrenholt. Ich sage: Das ist ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Sie sehen das nicht, weil Sie die Augen zumachen, Herr Kollege. Es ist nicht eine verengte Sichtweise. Ich ziehe noch einmal die Konsequenz, und zwar wiederum mit Clement und Vahrenholt. Sie sagen: Es ist nicht zu verkennen, daß um uns herum weltweit die Ökosysteme zusammenbrechen, aber wer den Fortschritt der Umweltentlastung hierzulande nicht zur Kenntnis nimmt, kommt zu falschen Prioritäten. Ich füge hinzu: Sie kommen dann nicht nur zu falschen Prioritäten, sondern auch zu falschen Schlußfolgerungen. Deshalb war Ihre Rede im Kern verfehlt. Das war aber nicht das erste Mal in diesem Hause. Das erleben wir häufiger. Sie gehören zu der Kategorie Sozialdemokraten, von denen Dohnanyi gesagt hat: Viele in der Sozialdemokratie stehen auf Bahnhöfen, auf denen die Züge dieser Zeit längst nicht mehr abfahren. Recht hat von Dohnanyi. ({4}) Sie gehören dazu. Sie stehen auf dem Abstellgleis. Und dann kommen Sie hierher und wollen unsere Umweltpolitik kleinreden. Ich sage Ihnen: So geht das nicht. Das gilt auch für andere Bereiche. ({5}) - Ich weiß, das ist Ihnen unangenehm. Es muß aber einmal gesagt werden. Ich weiß auch, daß der Kollege Clement im Moment einige Schwierigkeiten hat, weil er gesagt hat, Rau müsse abtreten. Er könnte auch zu einigen anderen sagen, sie sollten abtreten. Das aber wollen wir hier nicht vertiefen. Wir wollen nicht vom Problem ablenken. ({6}) Kommen wir zu den eigentlichen Punkten, zunächst zur mobilen Verkehrspolitik. Dazu steht in diesem hervorragenden Papier von Clement, daß der Transrapid eine umweltfreundliche Einrichtung sei. Das möge er doch einmal in Ihrer Fraktion sagen. Hier sitzen reihenweise diejenigen, die das bestreiten, diejenigen, die das nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage ganz deutlich: Wer in dieser Art und Weise unverantwortlich Politik betreibt, der gehört ins Abseits. Jetzt ein Wort zum Kollegen Fischer, der auf den Artenreichtum abgestellt hat. Ich will eines sagen: Man sollte nicht einseitig diskutieren. Herr Fischer weiß, daß wir durch die nachhaltige Politik, die wir in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben, im Rhein wieder einen Artenbesatz wie vor gut 100 Jahren haben. Das heißt: Wir haben es dank unserer schonenden, unserer vorsorgeorientierten Umweltpolitik geschafft, wieder Arten zu haben, die lange Zeit als verloren galten. Das ist nur ein Beispiel dafür, daß wir uns auch in diesem Bereich in die richtige Richtung bewegen. Ich sage ganz deutlich, daß die eine oder andere Position weiter ausgearbeitet werden muß. Aber wer in diesem Hohen Hause immer so tut, als gäbe es überhaupt keine Erfolge in der Umweltpolitik, der trägt dazu bei, daß die nachfolgenden Generationen den Glauben an die Zukunft verlieren. Das sollten Sie nicht tun. ({7}) Ich sage mit Hubert Markl ganz deutlich: Nicht derjenige, der die meiste Angst verbreitet, beweist die größte Klugheit. Das steht übrigens auch in dem Papier von Clement. ({8}) Das sollten Sie einmal nachlesen; ich kann es Ihnen rüberreichen. Es gibt in diesem Part einige Punkte, die Sie nacharbeiten müssen. Jetzt zu den Themen Denver und Rio. Es ist in den Staaten der Dritten Welt Common sense - das wird nur bei der SPD verschwiegen -, daß die Umweltführerschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht nur anerkannt, sondern auch begrüßt wird. Insbesondere die Inselstaaten im fernen Pazifik setzen darauf, daß ihre Überlebensstrategie, die wegen des Treibhauseffekts bedroht sein könnte, nur mit einer Politik, wie sie die Bundesrepublik Deutschland weltweit anführt, Erfolg haben kann. Wir werden von den AOSIS-Staaten gelobt, wir werden nicht getadelt. Getadelt werden wir von Ihnen. Aber ich habe ja gerade gesagt: Sie lesen nicht, was Ihre Kollegen schreiben. Die Staaten lesen, was wir schreiben. Sie hören auch, was wir sagen, und stellen fest, daß wir mit dem, was wir tun, recht haben. Es ist eine klare Linie, die sich von Rio über Berlin weiterentwickelt hat. Als wir in Berlin über die ersten Protokolle sprachen, waren wir gemeinsam der Überzeugung, daß wir konkrete Reduktionsverpflichtungen brauchen. Aber wer hat denn auch in Berlin weitergetrieben? Der Kanzler zusammen mit Frau Merkel. Das ist anerkannt worden. Nur der Tatsache, daß er in der internationalen Diskussion jetzt wieder gedrängt hat, ist es doch zu verdanken, daß Clinton Dr. Klaus W. Lippold ({9}) jetzt in zwei lauen Sätzen gesagt hat, sie wollten sich vielleicht doch noch bewegen. Ich sage ganz offen: Was wäre denn, wenn die Sozialdemokraten, die immer mit staunenden Augen an den Lippen von Al Gore gehangen haben, ihn einmal mit den Maßstäben messen würden, mit denen sie uns messen? Es langt doch nicht, daß man ein schlaues Buch zum Umweltschutz schreibt, das Sie vergöttern, sondern man muß etwas tun. ({10}) Aber da himmeln Sie ihn an, und hier, wo etwas gemacht wird, kritisieren Sie. Das ist doch schizophren. ({11}) Einer solchen schizophrenen Politik kann man nicht zustimmen. So ist das. Deshalb: Drängen Sie mit uns! Warum glauben Sie, bewegen sich denn die Japaner? Nur, weil wir in den vergangenen Jahren über intensive Konsultationen und über intensive Argumentation - nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch mit den Parlamentariern - dafür gesorgt haben, daß sich hier etwas tut. Warum fragen sie uns denn heute, ob wir sie nicht bei der Übernahme der nächsten Weltausstellung unterstützen können? Weil sie die Themen, die wir in Hannover vorgegeben haben - Weltausstellung mit Umweltschutz - übernehmen müssen. Aber Sie sind noch nicht einmal komplett für Hannover. Auch da gibt es bei Ihnen noch Reaktionäre, die meinen, solche Ereignisse dürften in diesem Land nicht stattfinden. ({12}) Ich sage Ihnen: Mit dem, der mit dieser rückwärtsorientierten Politik vorgeht und der so wie Herr Scharping trotz Brille mit geschlossenen Augen durch die Lande geht, ({13}) kann man nicht vorankommen und auch keine Jugendlichen überzeugen. Ich bin dafür, daß wir die verbleibende Zeit bis Kyoto nutzen und daß wir einfordern, was der amerikanische Präsident - für meine Begriffe viel zu vage - in der letzten Nacht gesagt hat, nämlich daß dies wirklich Realität wird. Wir brauchen in Kyoto keine schwammigen Absichtserklärungen, sondern ein konkretes Reduktionsprotokoll. Das schaffen wir nur mit dieser Bundesregierung. Bis dahin wird Herr Scharping vielleicht gelesen haben, was die Genossen Clement und Vahrenholt geschrieben haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach der etwas provinziellen und auch unangemessenen Aufgeregtheit lassen Sie uns wieder zu den Fakten kommen. Fakt ist, daß wir über den Zustand der Welt und die Rolle der Bundesrepublik reden. Da wäre es wichtiger, einmal ein paar Punkte zur Kenntnis zu nehmen. Es ist jetzt zehn Jahre her, da haben die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft vor der weltweiten Klimakatastrophe gewarnt. Das war im Herbst 1987. Damals hatten wir auf der Erde etwa 21 Milliarden Tonnen Kohlendioxid Emission, die Menschen verursacht haben. Ich weise darauf hin, daß wir übereinstimmend der Auffassung sind, daß die kritische Grenze bei etwa 14 bis 15 Milliarden Tonnen liegt. Alles, was darüber liegt, wird als ein kritischer Zusatz zu den Kreislaufsystemen der Erde gesehen. Zehn Jahre später liegt der Ausstoß weltweit bei 23,5 Milliarden Tonnen. Das heißt, die letzten zehn Jahre haben in keinster Weise eine Umkehr erbracht. Das ist der eigentliche Punkt, über den wir reden müssen: ob wir unsere Verantwortung, die wir in dieser Frage haben, wahrnehmen. Bei der Klimaproblematik geht es nicht nur um Veränderungen in der Natur. Sie ist vielmehr zentral für das zukünftige friedliche Zusammenleben der Menschheit und dafür, ob wir Wohlstand, Frieden und Demokratie auf der Erde bewahren können. Da ist nicht kleinliche Rechthaberei angebracht, sondern das Bemühen um wahre Problemlösung. Das ist der eigentliche Maßstab, an dem wir Sie messen müssen - nicht an Ihren Reden. ({0}) Wir stellen fest, daß sich die Klimaproblematik vor allem in folgenden Punkten konzentriert: Erstens. Die Zerstörung der Natur entwickelt sich nach wie vor exponentiell. Wir müssen wissen, daß heute ungefähr nur ein Viertel der Menschheit - nämlich der Teil der Menschheit, der unter industriellen Bedingungen lebt - für drei Viertel der Umweltzerstörung verantwortlich ist. Dazu muß man wissen: 2 Milliarden Menschen auf der Erde haben noch nicht einmal Zugang zu hygienisch sauberem Wasser. 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Elektrizität. Vor diesem Hintergrund liegt die eigentliche Dramatik darin, daß ein Viertel der Menschheit die Erde schon an den Rand des ökologischen Bankrotts gebracht hat. Für einen großen Teil, nämlich für drei Viertel der Menschheit, gibt es keinen Entwicklungsraum, wenn wir uns nicht verändern. ({1}) Zweitens. Ökologische Veränderungen haben einen Vorlauf von 40 bis 50 Jahren. Sind wir uns eigentlich darüber im klaren, daß die Emissionen, die wir in den letzten 40 Jahren freigesetzt haben, beispielsweise an Kohlendioxid oder an Methan, erst in der Zukunft die menschlichen Lebensbedingungen beeinflussen werden? Ist uns eigentlich klar, welche Verantwortung sich daraus für heute ergibt? Die DiMichael Müller ({2}) mension Zeit berücksichtigen wir bei unserer Handlungsweise überhaupt nicht. Drittens. Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen Tätern und Opfern. Wir, die Länder im Norden, richten die Schäden an, aber die Hauptbetroffenen sind die Menschen im Süden. Wenn wir die Hauptbetroffenen wären, wenn die Klimaänderungen uns jucken würden, wäre die Tatenlosigkeit schon lange vorbei. So bleibt es beim folgenlosen Gerede. ({3}) Viertens. Durch Armut wird die Umweltzerstörung weiter beschleunigt. Auf der Erde leben 3 Milliarden Menschen, die eine Kaufkraft von weniger als 2 Dollar pro Tag haben. Ist uns eigentlich klar, was das für die Prinzipien der Gerechtigkeit bedeutet? Ist uns eigentlich klar, daß wir mit unserem ökonomischen Egoismus überhaupt nicht in der Lage sind, Gerechtigkeit in der Zukunft zu üben? Das ist nicht nur ein Problem von sozialer Verantwortung; es ist auch eine ökonomische Frage. Denn wenn die Erde zunehmend ihr Gleichgewicht verliert, dann wird es vielleicht zwar einige Gewinner geben, aber auch immer mehr Verlierer und damit eine immer größere Destabilität. ({4}) Meine Damen und Herren, Rio war das große Zeichen der Hoffnung, weil es einen anderen Weg aufgezeigt hat als den der Anpassung an die globalen Märkte. Vorhin wurde gesagt, es sei Illusion, zu glauben, wir könnten die Welt neu regulieren und anderen Staaten sagen, wie sie sich sozial und ökologisch verhalten müssen. Wer so etwas behauptet, hat nicht begriffen, daß als zentrale Botschaft von Rio das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung für alle Länder ausgehen sollte. Nachhaltigkeit bedeutet, sich an sozialen, an ökologischen Kriterien auszurichten, und zwar nicht an einigen, sondern an allen. Es ist die Chance für eine neue Weltinnenpolitik, es ist ein Koordinatensystem gegen Sozial- und Umweltdumping. Wer dies nicht begreift, hat die historische Chance von Rio verkannt. ({5}) Das ist unzweifelhaft auch ein Vorwurf an die USA. Wir haben kein Verständnis für den eklatanten Widerspruch zwischen den Reden von Al Gore und den Taten der amerikanischen Regierung. ({6}) Es ist nicht hinzunehmen, daß die USA für ungefähr ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich sind. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Wir müssen aber auch folgendes zur Kenntnis nehmen: In den USA entfallen pro Jahr CO2-Emissionen in Höhe von etwa 19,8 Tonnen auf einen Menschen. Es ist richtig, daß dies in der Europäischen Union nur 6,6 Tonnen pro Person und Jahr sind. Aber jetzt lassen Sie uns das bitte ein wenig in bezug auf die Europäische Union auflisten, und wir stellen fest, daß die Bundesrepublik mit knapp 11 Tonnen pro Jahr hierbei einsamer Spitzenreiter ist. Wer wirklich Vorreiter sein will, der kann doch bei den Emissionen zu Lasten der Umwelt nicht so weit von dem Durchschnitt der Europäischen Union entfernt sein. Hier stimmt doch etwas nicht, und genau dies ist auch die Aussage aller Umweltminister. Sie sagen: Nach der Konferenz von Rio de Janeiro hat es in der Europäischen Union keine deutsche Umweltpolitik mehr gegeben. - Das ist die Aussage von Regierungsvertretern mit uns befreundeter Länder. ({7}) Meine Damen und Herren, Sie haben 1990 versprochen, die CO2-Emissionen in der alten Bundesrepublik bis zum Jahr 2005 um mindestens 25 Prozent zu senken. Wir stellen fest: Dieses Versprechen war Täuschung. Tatsächlich liegen wir heute in den alten Bundesländern um 3,4 Prozent über dem Wert von 1990; gesunken ist diese Emission nirgendwo. Sie haben im Grunde genommen nur die Einigungsdividende durch den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft als umweltpolitischen Erfolg ausgegeben. Das ist Täuschung, das ist keine Politik; dabei machen wir auch nicht mit. ({8}) Meine Damen und Herren, nutzen wir die Chance einer Politik der Nachhaltigkeit! Nachhaltigkeit ist eine Chance, die Politik weltweit auf eine neue Basis zu stellen, auf der wir Frieden, Demokratie und Freiheit sichern können. Aber das wird nur klappen, wenn wir bei uns anfangen und nicht das Gegenteil von dem machen, was wir hier predigen. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen hat die Umweltpolitik weltweit wieder mehr Aufmerksamkeit erlangt, aber offensichtlich überhaupt nicht bei den Grünen. Im Verlauf dieser Debatte spricht noch nicht einmal ein Umweltpolitiker der Grünen; sie sind noch nicht einmal anwesend, und Herr Fischer, der hier vorher einen auf Umweltpolitik machte, absentiert sich dann, wenn über Umweltpolitik verstärkt diskutiert wird. Das finde ich unerhört. ({0}) Im übrigen hat das Thema auch bei der SPD nicht mehr Aufmerksamkeit gefunden. Herr Kollege Müller, ich weiß gar nicht, wie Sie sich mit dieser Überzeugung hier hinstellen können, da doch Herr Schröder gerade in den letzten Tagen erklärt hat, daß er der Umweltpolitik den Kampf ansagt. Räumen Sie doch erst einmal Ihren eigenen Laden auf, bevor Sie sich hier hinstellen und die Regierung kritisieren! ({1}) Es ist vollkommen richtig, daß dieser Diskurs über Umweltpolitik international und auch national stattfindet, und dazu haben sowohl die Konferenz in Denver als auch die UN-Sondergeneralversammlung beigetragen. Das war auch eines der Ziele. Mit Sicherheit haben auch die Initiativen von Bundeskanzler Dr. Kohl und der deutschen Delegation wesentlich dazu beigetragen. Ich hoffe im Interesse der Umweltpolitik und einer nachhaltigen Entwicklung, daß dieses öffentliche Interesse für weitere Fortschritte bei den Folgeverhandlungen sorgen wird. Deshalb kann ich auch die düstere und fatalistische Bilanz, die die SPD und die Grünen hier gezogen haben, überhaupt nicht teilen. Es sind doch Entwicklungen angestoßen worden; es ist doch nicht so, daß seit der Konferenz in Rio de Janeiro nichts passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, daß die sich neu entwickelnde Dynamik der letzten Tage genutzt wird, um bis zur Konferenz in Kyoto zu ordentlichen Vereinbarungen zu kommen. ({2}) Wenn Herr Fischer hier kritisiert hat, die gemeinsame Erklärung des Kanzlers Kohl mit den Präsidenten Brasiliens und Südafrikas und dem Premier von Singapur stehe unter dem Motto, das könnte man ja so machen, weil die Ablehnung gesichert sei, dann kann ich nur sagen: Er muß bei dieser Bemerkung wohl an den Zustand bei den Grünen gedacht haben. ({3}) Wie steht es denn um die Forderung, die die Grünen im Bundestagswahlprogramm aufgestellt haben, wegen der CO2-Relevanz der Steinkohle einen Ausstieg aus dieser vorzunehmen? - Das kann man ja einmal fordern, weil man weiß, daß es nicht kommt. - Aber Sie sind davon zwischenzeitlich selbst wieder abgerückt, meine Damen und Herren von den Grünen. Sie haben nämlich vor kurzem bei den Demonstrationen in Bonn für den kurzfristigen Jubel der Massen Ihre Grundsätze über Bord geworfen. ({4}) Wenn ich an Ihre bürokratischen und überzogenen Vorstellungen zu Bodenschutz, Naturschutz oder zu Ihrem Ökosteuerkonzept denke, so scheinen mir diese auch unter dem Motto zu stehen: So etwas kann man ja einmal vorschlagen, denn es wird ohnehin so nicht kommen. - Aber, meine Damen und Herren von den Grünen, trotzdem mußte es dreimal nachgebessert werden. Ich finde, das ist blamabel. Der Unterschied zwischen dem Zustand bei Ihnen und dem bei uns ist, daß unsere Vorschläge mitnichten chancenlos sind, wenn wir dafür international kämpfen. Wir haben auf diesem Gebiet bereits einen erheblichen Fortschritt erzielt, indem wir auf der europäischen Ebene eine Einigung erreicht haben und jetzt gemeinsam mit allen europäischen Partnern auf diesen Konferenzen für gleiche Ziele streiten. ({5}) Aber nicht nur die Tagungen von Denver und New York sind von umweltpolitischer Bedeutung, sondern auch die Gipfelkonferenz von Amsterdam. Das hat man heute kaum mit einem Wort gewürdigt. Die dort durchgeführte Konferenz verdient in umweltpolitischer Hinsicht eine positive Betrachtung. Die dabei erzielte Einigung über den Vertrag über die Europäische Union hat auch umweltpolitische Verbesserungen gebracht. So sind zum Beispiel deutlich mehr und positivere Entscheidungen zum vertraglichen Naturschutz in Europa erreicht worden, als es zu Beginn der Konferenz überhaupt gedacht wurde. So ist zum Beispiel das Ziel der nachhaltigen Entwicklung ausdrücklich in die Präambel des EU-Vertrags aufgenommen worden, und die Förderung eines hohen Maßes an Umweltschutz und an Verbesserung der Qualität der Umwelt wird zur Aufgabe der gesamten Gemeinschaft gemacht, das heißt, auch zur Aufgabe von Europäischem Rat und Europäischem Parlament. Ich halte das für einen ganz wesentlichen Fortschritt. An dieser Stelle danke ich auch der deutschen Delegation und dabei ganz besonders auch für den Einsatz des Regierungsbeauftragten Staatsminister Dr. Hoyer, ebenso Herrn Dr. Kinkel. ({6}) Natürlich sind wir uns einig darin, daß der Prozeß wieder mehr in Schwung gebracht werden muß. Vorrangig müssen die Industrieländer, die für den Ausstoß von Treibhausgasen in besonderem Maße verantwortlich sind, ihre Bereitschaft zu verbindlichen Zusagen über die Verringerung der Treibhausgasemissionen erklären. Die Forderung der Europäischen Union nach einer Verringerung des CO2-Ausstoßes um 15 Prozent bis 2010 gegenüber 1990 ist dafür eine tragfähige Basis. Nur so, nämlich durch eigene Vorgaben, werden wir auch die Entwicklungsländer überzeugen, dabei mitzumachen. ({7}) Sie unterschätzen in dieser Diskussion vollkommen die gemeinsame Position, die wir in Europa erreicht haben und die ganz maßgeblich auf eine deutsche Intervention hin zustande gekommen ist. Das ist eine ganz wichtige Sache. Ohne eine gemeinsame europäische Position bei den CO2-Reduktionszielen - auch wenn wir uns mehr gewünscht hätten - würden wir schlicht überhaupt nichts erreichen. ({8}) Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident, an den Kollegen Müller. Herr Kollege Müller, wenn Sie sich hier hinstellen und zum Thema CO2-Emissionen pro Kopf erläutern, daß es erhebliche Unterschiede zwischen den anderen europäischen Ländern und der Bundesrepublik Deutschland gibt, dann müssen Sie ehrlicherweise auch sagen, wer die Nutzung des Steinkohlebergbaus weiterhin stärker subventionieren will. Das ist doch nicht die F.D.P.; das ist doch die SPD. ({9}) Wenn Sie von solchen Zahlen reden, dann sollten Sie auch ganz klar und deutlich sagen, ob Sie in diesem Fall eine stärkere Nutzung der Kernenergie wollen oder nicht. Denn auch die trägt zu einer verringerten CO2-Bilanz der anderen europäischen Länder bei. ({10}) Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner Redezeit. Ich kann nur sagen, die bisherigen Konferenzen haben dazu beigetragen, daß wir jetzt wieder

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Homburger, Sie sind aber wirklich am Ende der Redezeit.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- eine Dynamik erreichen. Ich hoffe, daß wir das für die Konferenz in Kyoto Ende des Jahres nutzen können. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/8086. Wer diesem gemeinsamen Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/8051. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion der SPD mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/8072. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist. Ich rufe die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/8073 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hause im übrigen abgelehnt worden ist. Ich rufe die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/8075 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 und die Zusatzpunkte 18 bis 20 auf: 4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({0}) - Drucksache 13/8011Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO ZP18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Ulrike Mascher, Ottmar Schreiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Strukturreform statt Leistungskürzungen in der Alterssicherung - Drucksache 13/8032 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß ZP19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Fischer ({3}), Marieluise Beck ({4}), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Generationenvertrag neu verhandeln - Drucksache 13/8036 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch ZP20 Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Rentenversicherung stabilisieren und Reform 2000 vorbereiten - Drucksache 13/8044 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Innenausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die der weiteren Debatte nicht folgen wollen, den Saal zu verlassen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Beginn meiner Rede eine Gemeinsamkeit feststellen: Wir sind uns einig, unser Rentensystem ist gut. ({0}) Wir sind uns einig, es ist anpassungsfähig, aber es ist auch anpassungsbedürftig. Unser Rentensystem muß auf Veränderungen Antworten geben. Unser Rentensystem ist gut; denn Rentenansprüche aus eigenen Beiträgen sind besser als Renten, die vom Staat zugeteilt werden. Grundrente ist staatliche Zuteilungsrente; Beitragsrente ist selbst erworbener Rentenanspruch. Darin liegt ihr Wert; er liegt im Selbstbewußtsein und der Selbständigkeit der Rentner. Grundrente folgt den Regeln des Versorgungsstaates, Beitragsrente der Idee der Vorsorge. Beitragsrente ist solidarische Vorsorge. Grundrente ist Gleichmacherrente; Beitragsrente ist Leistungsrente mit Solidarausgleich. ({1}) - Ich kann Ihnen noch ein paar Namen nennen: Simonis, Schröder. Ich wollte an den Anfang die Feststellung der Übereinstimmung der großen Mehrheit dieses Hauses setzen. Es ist auch für die Rentner und die Beitragszahler wichtig, daß es hinsichtlich dieses Punktes Übereinstimmung gibt. ({2}) Die Reform, die wir vorschlagen, bleibt auf der Spur unseres bewährten Rentensystems. Wir sichern die Renten, indem wir die Beitragszahler entlasten und Generationengerechtigkeit schaffen. Dies geschieht durch eine demographische Formel, durch das Zurückdrängen von beitragsfreien Zeiten, durch versicherungsgerechte Zuordnung der Risiken der Erwerbsunfähigkeit, durch die Weiterentwicklung der Kindererziehungszeiten und durch Umfinanzierung, die auf direktem Weg die Lohnzusatzkosten senkt. Wir stellen uns der Verantwortung für jung und alt - ich sage bewußt: jung und alt -, für Beitragszahler und Rentner. Wer die Antwort auf Veränderungen verweigert, der begibt sich der Chance, die Veränderungen zu gestalten; der wird gestaltet. Im Zentrum unserer Vorschläge steht Generationengerechtigkeit, gerechte Lastenverteilung zwischen jung und alt. Wir leben länger. Das ist erfreulich. Also werden auch die Renten länger gezahlt. Im Jahre 1960 betrug die durchschnittliche Rentenbezugszeit, also die Zeit, in der jemand eine Rente erhielt, 10,1 Jahre. Im Jahre 1996 waren es 15,9 Jahre, also fast sechs Jahre mehr. Das sei jedem gegönnt. Wir streben das ja auch für uns an. Ein Jahr längere Rentenbezugszeit kostet die Rentenversicherung 27 Milliarden DM, das sind 1,5 Beitragspunkte. Rechnen Sie selbst aus, was das für sechs Jahre mehr Rentenlaufzeit bedeutet. Hätten wir noch die Rentenlaufzeit von 1960, läge der Beitragssatz in der Rentenversicherung bei 12 Prozent, und niemand würde sich über die Rentenversicherung streiten. Darauf muß eine Antwort gegeben werden. Steigende Rentenbezugszeiten können nicht allein von den Jungen bezahlt werden; denn die Rentner partizipieren als erste von der längeren Rentenbezugszeit. ({3}) Die Rentner heute haben in ihren jungen Jahren als Beitragszahler weniger Rentenjahre für die damaligen Rentner bezahlen müssen als die jetzigen Beitragszahler für die heutigen Rentner. Die Rentner des Jahres 1995 beziehen zwei Jahre länger Rente, als sie auf der Berechnungsgrundlage von 1980 als Beitragszahler finanzieren mußten. Diese Balance ins Gleichgewicht zu bringen ist die Aufgabe des Generationenausgleichs. Die demographische Formel ist eine Ausgleichsformel im Übergang. Wenn die Lebenserwartung nicht weiter steigt, ist auch die demographische Formel außer Kraft gesetzt. Sie ist eine Gerechtigkeitsformel im Übergang. Die Anhebung der Altersgrenze, die Sie ohne genaue Angaben ins Auge fassen, ist eine unvollständige Antwort auf die gestiegenen Rentenbezugszeiten. Es ist eine Antwort, aber eine unvollständige. Denn von der Anhebung der Altersgrenzen werden die jetzigen Rentner gar nicht berührt. Es sind aber die jetzigen Rentner, die längere Rentenlaufzeiten - Gott sei Dank - genießen. Ein 70jähriger wird von der Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre aber bekanntlich nicht erreicht. Was will die demographische Formel? Sie will das mit Beiträgen erworbene Rentenvolumen, den Anspruch des Rentners, auf mehr Jahre verteilen. Da wird nicht gekürzt. Das macht jede Versicherung, also auch eine Sozialversicherung. Höhe mal Zeit: Das ist der Wert des Rentenanspruchs. Sie haben sehr viel Unheil angerichtet. Das sage ich unter dem Eindruck einer Telefonaktion des Bundesarbeitsministeriums, die an zehn Tagen zwölf Stunden pro Tag mit 30 Telefonen durchgeführt wurde. Sie haben den Rentnern eingeredet, die Niveausenkung sei Rentenkürzung. Das ist eine böswillige Irreführung. Da verstehe ich überhaupt keinen Spaß. ({4}) Die Rentenformel heißt, daß sich die Anpassung langsamer vollzieht, im Durchschnitt um 0,4 Prozentpunkte im Jahr. Um 0,4 Prozentpunkte im Durchschnitt weniger geht es, nicht um Rentenkürzung. ({5}) - Ja, ich erkläre es Ihnen ganz langsam. Wenn Sie es dann noch nicht verstanden haben und einfach weitererzählen, dann sollten Sie Ihren Führerschein abgeben. ({6}) Bei einer durchschnittlichen Lohnsteigerung von 3 Prozent und prognostizierter Erhöhung der Lebenserwartung - es ist eine prognostizierte Erhöhung, es kann langsamer, aber auch schneller gehen - wird aus einer monatlichen Rente von 2000 DM im Jahre 2000 eine Rente von 4310 DM im Jahre 2030. Ohne unsere Reform wären es 4544 DM. Das ist ein Unterschied von 234 DM in 30 Jahren. Darum geht es. Wegen dieses Unterschieds versetzen Sie die Rentner in Angst und Schrecken, stecken sie in Brand. Das ist unverantwortlich. Es gibt keine Rentenkürzungen. ({7}) Noch ein Beispiel zum Thema Armut: Ein Durchschnittsverdiener muß heute 27 Jahre lang Beiträge zahlen, um die Sozialhilfeschwelle von 1250 DM zu übersteigen. In Zukunft werden das 28,5 Jahre sein, also eineinhalb Jahre länger. Wird es jetzt wegen eineinhalb Jahren länger eine Massenbewegung in die Sozialhilfe geben? Erich Standfest, angesehener DGB-Rentenexperte - und nicht nur das: zur Zeit Vorsitzender des Vorstandes des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger - hat darauf aufmerksam gemacht - ich zitiere -: Bei der Einführung eines demographischen Faktors bleibt es dem Versicherten bei entsprechender Arbeitsmarktsituation unbenommen, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten und durch entsprechende Zuschläge für sich das individuelle Nettorentenniveau von 70 Prozent zu erreichen. Meine Damen und Herren, wir machen also keine Rentenrevolution. Die Rentenreform ist eine behutsame Weiterentwicklung unter der Maxime Generationengerechtigkeit. Für mich gehört zur Solidarität auch Gerechtigkeit. Noch etwas: Selbst wenn die Rentenversicherung im Geld schwimmen würde - das tut sie leider nicht -, selbst dann wäre aus Gerechtigkeitsgründen eine demographische Komponente notwendig, um die Lasten zwischen Alt und Jung gerecht zu verteilen. Wir machen diese Reform nicht nur aus Geldsorgen, sondern um der Gerechtigkeit willen. ({8}) Das Gebot der Generationengerechtigkeit ist: Die Alten müssen auf die Jungen Rücksicht nehmen, und die Jungen auf die Alten. So ist das in jeder guten Familie. So ist das in unserer Rentenversicherung. So schwer kann die Rücksicht zwischen den Generationen nicht sein. Denn die Alten waren einmal jung, und die Jungen werden alt. Deshalb muß verantwortliche Rentenpolitik in Lebenszyklen denken. Sie darf nicht eine Generation gegen die andere ausspielen. Die Zukunftsfähigkeit des Rentensystems hängt von der gerechten Lastenverteilung zwischen Jung und Alt ab. Sie sagen, demographische Korrekturen solle man ein bißchen später, nach 2015, einführen. Dann liegt das Kind schon im Brunnen. Denn die Verlängerung der Lebenserwartung findet jetzt statt. Herr Dreßler, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ich fasse die Vorschläge der SPD zusammen: Sie antworten nur auf eine Frage: Wie komme ich an das Geld anderer Leute? ({9}) Ich kann Ihnen dies vorrechnen - es ist peinlich -: Dreimal soll der Bundeszuschuß erhöht werden; dreimal werden die Kassen anderer Sozialversicherungen angezapft: ({10}) Zweimal die Bundesanstalt für Arbeit - einmal bei der Frühverrentung und einmal bei den arbeitsmarktpolitischen Folgen der Erwerbsunfähigkeit - und einmal die Unfallversicherung. Es wird also dreimal in die Kassen anderer Sozialversicherungen und dreimal in die Bundeskasse gegriffen. Das sind die Vorschläge der SPD. Ich frage Sie: Was ist daran gerecht? Wer bezahlt das? Wer bezahlt die Beiträge? Das sind die Jungen. Die SPD macht eine Rentenreform auf dem Rücken der Jungen. Das ist keine Rentenreform. ({11}) Sie setzen einen gigantischen Verschiebebahnhof in Betrieb und nennen das Rentensanierung. Mit der rechten Hand wird genommen, was Sie mit der linken Hand ausgeben. Mit Geld, das Sie aus dem einen Loch nehmen, stopfen Sie ein anderes. ({12}) - Sie wollen doch Entscheidungen zurücknehmen, ({13}) und zwar alle aus dem letzten Jahr. Sie wollen verschieben und zurücknehmen. Hurra, wir satteln drauf - das ist die Maxime der Rentenpolitik der SPD. ({14}) Was ist daran gerecht? Was ist mit einer Entlastung? Daß man der Erosion der Solidargemeinschaft entgegentreten muß - auch zu diesem Thema möchte ich etwas sagen -, da hat die SPD recht. Nur, ich mache darauf aufmerksam: Zur langfristigen Sanierung trägt das nicht bei. Dies ist auch ein Gerechtigkeitsthema. Wer Beiträge zahlt, hat auch irgendwann Ansprüche. So ist das in einem Beitragssystem. Ich fasse zusammen: Im Mittelpunkt der Vorschläge der SPD stehen mehr Ausgaben und mehr Einnahmen. Die SPD hat keine Antwort auf die demographische Veränderung. Frau Fischer, mein Kompliment: Die Grünen sind weiter als die SPD. Daß ich das noch erleben mußte! ({15}) Das hätte ich in meinen kühnsten IG-Metall-Träumen nie erwartet. Ich zitiere die Grünen mit ihrer freundlichen Erlaubnis: Aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen werden damit die kritischen Anfragen der jungen Generation nicht ernstgenommen. Ihr Bündnispartner! Die SPD stellt in ihrem Reformkonzept vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmesituation der gesetzlichen Rentenversicherung in den Mittelpunkt. Die Grünen, 14.5. 1997 Zu Recht erkennen die Grünen in den Sanierungsvorschlägen der SPD Einnahmeverbesserungen, aber nicht den Mut zu strukturellen Antworten unter den Stichworten Solidarität und Gerechtigkeit. An einer Stelle, nämlich bei der Reform der Hinterbliebenenrente, ist der Ansatz einer Strukturveränderung, wenn auch zwischen wenig und nichts, zu erkennen. ({16}) - Doch, die in der Ehe erworbenen Rentenansprüche sollen gesplittet werden. Ein Beitragszahler mit Trauschein verliert möglicherweise Rentenansprüche. Wer mit seiner Freundin ohne Trauschein zusammenlebt, wird von dem Splitting überhaupt nicht betroffen. Zwei Beitragszahler, Zwillingsbrüder, gleiches Geburtsdatum, gleicher Beruf, alles gleich, nur, der eine lebt mit seiner Frau mit standesamtlicher Bescheinigung und der andere ohne: Der ohne Trauschein wird vom Splitting überhaupt nicht betroffen. Sagen Sie mir einmal, was daran Beitragsgerechtigkeit ist! Beitrag ist Beitrag, ob der Beitragszahler verheiratet ist oder nicht. ({17}) Deshalb füge ich Ihrem Vorschlag, Herr Dreßler, noch einen weiteren zur Verwaltungsreform hinzu. Wenn Sie sich mit Ihrem Vorschlag durchsetzen, dann sollten Sie auch die Standesämter abschaffen. Wer dann noch zum Standesamt geht, kann nicht rechnen. ({18}) - Nicht unter allen Konstellationen, es gibt auch Gewinner. Aber es gibt auch Rentenverluste von bis über 1000 DM. Wenn Ihre Mitglieder aus der Höhe der Philosophie dieses Splittings einmal herunterkommen und den Rechenschieber anwenden, dann werden sie überrascht sein: bis zu 1000 DM und mehr an Renteneinbuße dank Ihres Splittings. Das Splitting gehört zur gescheiterten Ehe, aber nicht zur intakten Ehe. Der Rentenversicherung steht es nicht an, die Ehe zu diskriminieren. Beitragszahler ist Beitragszahler. ({19}) Ich gebe zu, es gibt Änderungsbedarf bei der Hinterbliebenenrente. Wenn die Ansprüche der Frauen aus eigenen Beitragszahlungen steigen, dann sinken natürlich auch die Ansprüche auf abgeleiteten Unterhaltsersatz. Auf der Schiene muß man weiterdenken. Aber wir werden die Vorschläge erst machen, wenn die Untersuchungen, die wir mit den Rentenversicherungsträgern erarbeiten, vorliegen. Wir machen Rentenpolitik nicht auf Verdacht, sondern auf Grund von Fakten. Ich komme nun zu den Kindererziehungszeiten. Wir wollen in Zusammenhang mit der Neuordnung der Hinterbliebenenrente auch die familienpolitischen Leistungen neu ordnen und jetzt schon die Bewertung der Kindererziehungszeiten erhöhen. Sie sollen erstens nicht anstelle der Beiträge aus Erwerbsarbeit, sondern zusätzlich gezahlt werden. Zweitens wollen wir die Kindererziehungszeiten schrittweise so wie einen Beitrag aus dem Durchschnittsverdienst bewerten. Ich sehe da nicht nur eine materielle Aufbesserung, sondern auch eine Anerkennung der Kindererziehungsarbeit, die nicht weniger wert als der Durchschnittsverdienst ist. Auf diese Anerkennung haben die Menschen einen geradezu moralischen Anspruch. ({20}) Erwerbsminderungsrenten - das gestehe ich zu - sind der schwierigste Teil unserer Reformvorschläge. Ich will festhalten, daß die jetzigen Erwerbsminderungs- und -unfähigkeitsrenten nicht berührt sind, weil ich festgestellt habe, daß auch davon Betroffene in Schrecken versetzt wurden. Das gilt für die Zukunft, und zwar ab dem Jahre 2000. ({21}) Es geht zunächst einmal um die sachgerechte Zuordnung der Risiken. Erwerbsunfähigkeit und Invalidität haben etwas mit dem Gesundheitszustand zu tun. Die Rentenversicherung kann nicht bezahlen, wenn kein Arbeitsplatz vorhanden ist; denn die Rentenversicherung ist doch keine Arbeitslosenversicherung. In einem gegliederten System muß jede Versicherung für das Risiko zuständig sein, für das Beitrag gezahlt wird. Sonst hat jeder jede Hand in jeder Tasche, und niemand weiß, wer was bezahlt. Deshalb brauchen wir eine klare Trennung, wie es der Sinn der Invalidenrente auch immer war. Erst die Rechtsprechung hat diese Verwischungen ermöglicht. Teilerwerbsminderungsrente: Wir nehmen vom Alles-oder-Nichts-Prinzip Abschied. Wer noch teilerwerbsfähig ist, erhält auch nur eine Teilerwerbsminderungsrente. Die kann er durch Teilzeitarbeit oder durch Teilzeitarbeitslosengeld, das wir ja eingeführt haben, ergänzen. Wir führen die Erwerbsminderungsrente auf Zeit als Regelfall ein - übrigens nach holländischem Vorbild -, weil ja nicht jede Erwerbsminderungsrente ein Dauerzustand ist. Wenn die Erwerbsminderung eine dauerhafte ist, bekommt der Empfänger auch dauerhaft die entsprechende Rente. Aber Erwerbsminderung bedeutet nicht von vornherein Erwerbsminderung für immer. Wir schaffen die Berufsunfähigkeitsrente - hier gibt es eine Übereinstimmung mit Ihren Vorschlägen - ab; denn davon waren die Arbeitnehmer mit hohen Berufsabschlüssen begünstigt. Wir versichern aber nicht Diplome, sondern wir versichern Einkommen. Daraus werden Beiträge gezahlt. Wenn die Altersgrenze angehoben wird, dann muß man verhindern, daß die Erwerbsminderungsrente ein neuer Seiteneingang wird. Da gibt es das schwierige Problem der Abgrenzung. Man muß verhindern, daß diejenigen - die gibt es nämlich auch -, die ständig auf Vorteilssuche sind, die dauernd rechnen, sozusagen über den Seiteneingang Erwerbsminderungsrente die Anhebung der Altersgrenze umgehen. Wenn Sie, Herr Dreßler, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu bessere Vorschläge haben - es ist schwierig, das gebe ich zu -, dann herzlich willkommen! Zur Kostenentlastung: Wir möchten durch Umfinanzierung Beitragszahler entlasten. Mehr Arbeitsplätze sind die beste Einnahmeverbesserung, und mehr Beschäftigung bringt mehr Geld in die Kassen. Im übrigen sind mehr Beschäftigte nicht in jedem Falle mehr Beschäftigung. Wenn Sie durch Arbeitszeitverkürzung mehr Beschäftigte schaffen, haben Sie nicht automatisch mehr Beschäftigung. Es geht um mehr Beschäftigung, und dazu muß auch die Sozialversicherung einen Beitrag leisten. Sie muß ihn deshalb leisten, weil es sinnlos wäre, wenn die Sozialversicherung mit immer höheren Beiträgen ihre eigene Einnahmequelle verstopft. So dumm ist doch kein Bauer, daß er die Kuh schlachtet, die er melken will. ({22}) Es geht also darum, einen Beitrag dazu zu leisten, daß die Beschäftigung wächst - und damit auch die Beitragseinnahmen. Im übrigen greift der Bund der Rentenversicherung - das scheint unbekannt zu sein - mit 92,7 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt unter die Arme. Das ist fast jede fünfte Mark aus dem Bundeshaushalt. Seien Sie also vorsichtig mit Ihrer Fremdleistungsdiskussion. Seien Sie also vorsichtig, es so darzustellen, als würde der Bund die Rentner im Stich lassen! Niemals ist ein höherer Bundeszuschuß gezahlt worden als jetzt! Wir wollen - ich sage es ausdrücklich -15 Milliarden DM zur Senkung der Beiträge einsetzen. Wir verfolgen also eine Doppelstrategie: strukturelle Veränderungen und Umfinanzierung. Wir befinden uns da in Übereinstimmung mit den Sozialpartnern, zum Beispiel mit DGB, DAG und BDA. In einer gemeinsamen Presseerklärung der Sozialpartner ist das Ziel festgelegt, die Entlastung des Rentenversicherungssystems sowohl durch strukturelle Veränderungen als auch durch Umfinanzierung zu erreichen. Wo sind Ihre großen strukturellen Ansätze? Wie antworten Sie auf demographische Veränderungen? Jetzt will ich noch etwas zur Lebenssituation der Rentnerinnen und Rentner sagen. Wer nur wenige Jahre Beitrag gezahlt hat, kann nicht erwarten, daß ihm die Rentenversicherung seinen Lebensstandard sichert. Unter denjenigen, die wenig Beitrag gezahlt haben, sind auch solche, die anschließend Beamte oder auch selbständig wurden. Sie sind aber deshalb noch keine armen Menschen. Es ist bekannt, daß viele ein zweites und drittes Einkommen haben, so daß nicht von der Rentenhöhe auf die Lebenssituation geschlossen werden kann. Männer mit einer eigenen Rente unter 500 DM leben von einem durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommen von 3 230 DM. Das sind die angeblichen kleinen Rentner. Bei den Frauen mit unter 500 DM Rente - da denkt man, das sind die Kleinen - beträgt das durchschnittliche Nettogesamteinkommen im Haushalt 2 510 DM in den alten Ländern und 1 780 DM in den neuen Ländern. Witwen mit einer Witwenrente unter 300 DM - jetzt denkt man, wir sind am Kern; ich sage das ohne Ironie, ohne jede Spur von Ironie, es gibt nämlich Arme - haben ein durchschnittliches Nettogesamteinkommen von 1 830 DM im Westen und 1 520 DM im Osten. Also, eine kleine Rente ist kein Ausweis für Altersarmut. Es gibt Arme, und denen müssen wir helfen, auch und gerade im Alter. Aber das hier so darzustellen, als hätten wir ein Massenelend unter den Alten, widerspricht der Wahrheit und allen Tatsachen. Gott sei Dank haben wir eine Rentenversicherung! ({23}) Der Anteil der Sozialhilfeempfänger über 60 Jahre an der Zahl der Rentner hat sich seit 1970 halbiert. 280 000 Menschen über 60 Jahre erhalten Hilfe zum laufenden Lebensunterhalt. Ich gehe nicht über das Schicksal dieser 280 000 hinweg; denn es sind immerhin 1,5 Prozent der über 60jährigen. Aber wenn Sie mich fragen, wo Armut eher zu finden ist, dann antBundesminister Dr. Norbert Blüm worte ich: bei den kinderreichen Familien und nicht so sehr bei den über 60jährigen. ({24}) Wenn Sie schon über Gerechtigkeit, über die durchschnittlichen Beitragsjahre reden: Auch das sagt nichts über die tatsächliche Lage aus. Es wird Sie überraschen: Die Zahl der durchschnittlichen Beitragsjahre hat zugenommen. Sechs Jahre bei den Männern, bei den Frauen weniger, was damit zusammenhängt - die Fachleute werden es verstehen -, daß wir die Wartezeit reduziert haben. Jetzt haben Frauen Altersrentenansprüche, die vorher keine hatten. Oder denken Sie an die Kindererziehungszeiten - eine wirkliche sozialpolitische Verbesserung. Sie bewirken eine Verringerung der durchschnittlichen Zahl der Beitragsjahre, weil ein Teil der Frauen zum ersten Mal einen Rentenanspruch hat. Trotz der bisher schon erreichten Fortschritte brauchen wir eine Rentenreform. Wir leben zwar nicht im Überfluß, aber wir haben mit unserer Rentenpolitik doch eine anständige Altersversorgung geschaffen. Ganz besonders stolz sollten wir zusammen darauf sein, daß wir die Renten in den neuen Ländern aus dem Keller herausgeholt haben - eine Erhöhung, um 192 Prozent. ({25}) Den Westlern sage ich: Hört auf, euch ständig als Buchhalter zu benehmen. Die Rentnergeneration in den neuen Bundesländern ist eine Generation, die in der Regel mehr mitgemacht hat, als uns im Westen zugemutet wurde. Sie hat zwei Diktaturen erlebt. Sie ist nicht schuld daran, daß ihre Rente so niedrig war. Die Menschen in Leipzig waren genauso fleißig wie die in Frankfurt am Main. Sie hatten nur das Pech, vom Sozialismus um die Früchte ihres Fleißes gebracht zu werden. Sie haben nicht mehr so viel Zeit, das Unrecht wettzumachen, das das Leben ihnen angetan hat. Da haben die jungen Leute mehr Zeit. Deshalb gönnt ihnen die Erhöhung ihrer Renten. ({26}) Deshalb werden die Renten im Osten nicht abgehängt. Nun noch zum Thema Rentenarmut: Ich glaube, daß wir dafür sorgen müssen, daß die über Steuern finanzierte Sozialhilfe mit der Sozialversicherung besser verzahnt wird - allerdings nicht finanziell; denn das eine wird aus Steuern bezahlt und das andere über Beiträge. Ich bin dagegen, daß die Beitragszahler die Armutsbekämpfung übernehmen. Das ist eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Deshalb ist Existenzsicherung nicht Sache der Rentenversicherung. Das ist Aufgabe der Sozialhilfe. Da kann Organisatorisches besser verzahnt werden. Im Zeitalter der Informatik und der Kommunikation muß man die Menschen nicht von Schalter zu Schalter schicken; da schickt man die Akten von Schalter zu Schalter. ({27}) Meine Damen und Herren, bei aller Polemik ({28}) will ich doch darauf hinweisen, daß ich die Hoffnung auf Konsens nicht aufgegeben habe. Man soll bis zur letzten Minute hoffen. Aber wenn einer glaubt, er könne den Zug aufhalten, dann hat er sich verrechnet. Wir haben jetzt genug diskutiert. Es ist auch genug Porzellan zerschlagen worden. Aber wir sind keine Akademie, wir sind der Deutsche Bundestag. Jede Diskussion muß in eine Entscheidung münden, und jetzt wird über die Rentenversicherung entschieden! ({29}) Ich bin hier deshalb nicht so skeptisch, weil es in der SPD Stimmen gibt, die sich gegen Blockade und gegen Beton wehren. Ich zitiere Gerhard Schröder, den neuen Hoffnungsträger: Ich bin allerdings, um die Wahrheit zu sagen, skeptischer als andere, ob sich das Rentenniveau unter allen Umständen so halten läßt, wie es derzeit ist. „Um die Wahrheit zu sagen" - sagen Sie einmal die Wahrheit! Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz: Ganz ohne Abstriche beim heutigen Rentenniveau wird es aber auf Dauer nicht gehen. Florian Gerster, auch Sozialdemokrat, auch kein schlechterer als Herr Dreßler: Wir müssen einen demographischen Faktor in die Rentenformel einarbeiten, der das Rentenniveau an die Dauer des Rentenbezugs anpaßt. Walter Hirrlinger, altgedienter Sozialdemokrat, wirklich einer von der alten, handfesten Mannschaft, verdienstvoller Sozialstaatsverteidiger, kein Schmusepeter, ein Mann, der demonstrieren und protestieren kann, VdK-Präsident - ich zitiere ihn: Mittelfristig muß sich die längere Lebenserwartung der Menschen in der Rentenformel niederschlagen. Jetzt ganz langsam zum Mitschreiben: Ich halte das Konzept der SPD nicht für tragfähig. Franz Ruland, hohe Rentenautorität, Geschäftsführer der Rentenversicherungsträger: Ich meine, daß die Absenkung des Rentenniveaus, die ganz sukzessive bis 2030 erfolgt, ein für einen Versicherten akzeptabler Weg ist. Man muß hier auch einmal die Relation deutlich machen. Lieber Herr Kollege Dreßler, die Bundestagsfraktion der SPD. steht einsam und verlassen auf einer Betoninsel der Unbeweglichkeit. ({30}) Kollege Rudolf Dreßler, Obermeister an der Betonmischmaschine, ({31}) kehren Sie zu den alten, besten Traditionen der Sozialpolitik zurück! Wir haben genug Gelegenheit zu streiten. Aber laßt uns in den Grundlagen unserer Rentenversicherung doch übereinstimmen! Daß wir eine Antwort auf Veränderungen geben müssen, ist klar. „Augen zu! " ist doch kein Ratgeber. Die Verweigerung, die Wirklichkeit wahrzunehmen, ist doch keine Einsicht. Es gilt, die Rentenversicherung zu verteidigen, und zwar gegen diejenigen, die alles verändern wollen, alles kurz und klein schlagen wollen, alles auf den Kopf stellen wollen, alles neu anfangen wollen. Es gilt auch, sie gegen diejenigen zu verteidigen, die alles unverändert lassen wollen. Das ist eine unheilvolle Koalition, weil das nur zum Zusammenbruch führen kann. Gestalten heißt die Veränderungen meistern. ({32}) Nur wenn Alt und Jung zusammenhalten, keine Generation auf Kosten der anderen lebt, bleibt die Rentenversicherung das Schutzdach von Generation zu Generation. ({33})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fühlte mich soeben auf den 2. Februar 1996 zurückversetzt. An diesem Tag debattierte das Haus auf Antrag der SPD-Fraktion - später in Form einer Regierungserklärung - über die Lage der Rentenversicherung. Damals haben wir versucht, Ihnen von der CDU/CSU- und von der F.D.P.-Fraktion die Daten näherzubringen, die Ihr Sozialminister Ihnen bis dato offensichtlich verschwiegen hatte. Sie haben einer büttenredenartigen Darstellung von Blüm lebhaft applaudiert und haben in den folgenden 14 Monaten bis heute die Katastrophe seiner schon am 2. Februar 1996 eingeleiteten Politik feststellen müssen. Heute haben Sie das gleiche getan. Ich darf Norbert Blüm zitieren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wie hat er sich hier hingestellt? Welche Zeugen hat der Sozialminister für seine Position aufgerufen? Dr. Erich Standfest, Deutscher Gewerkschaftsbund, plötzlich eine Adresse für Herrn Blüm. Ich zitiere Ihnen einmal aus einem Aufsatz von Dr. Erich Standfest zu Blüms Gesetzentwurf „Senkung des Rentenniveaus" vom Mai 1997: Die Formel zur Anpassung der Renten soll um einen Faktor korrigiert werden, der die steigende Lebenserwartung ({0}) berücksichtigt. ({1}) Dieser Vorschlag ist weder akzeptabel noch notwendig. ({2}) Dann zitiert Norbert Blüm Lutz Freitag, Deutsche Angestelltengewerkschaft. Ich zitiere Ihnen Lutz Freitag von Ende April 1997: Nach Auffassung von Freitag, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist, wird die Durchschnittsrente als Folge der von der Koalition geplanten Reform bis zum Jahre 2030 auf knapp 50 Prozent und nicht, wie von Blüm berechnet, auf 64 Prozent des Nettoeinkommens sinken. - Diesen Mann, der Sie mit seinen Berechnungen gnadenlos vorführt, führen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen als Kronzeugen an. Herr Blüm, Sie müssen Ihrer eigenen Fraktion, den Koalitionsfraktionen mal die Wahrheit sagen über das, was sich hier abspielt. ({3}) Dr. Franz Ruland, Vorsitzender des Verbandes der Rentenversicherungsträger, ist in einem Interview des „Tagesspiegel" - wann war es denn? irgendwann in den letzten Tagen und Wochen; es spielt auch gar keine Rolle - befragt worden: Nach Ihrer Darstellung überzeichnet die aktuelle Entwicklung die langfristige Problematik. Herr Ruland antwortet: Ja. Die jetzige Debatte ist durch drei Faktoren gekennzeichnet. Der Beitragssatz für 1996 ist mit 19,2 Prozent deutlich zu niedrig festgesetzt worden... Die Politik ist ihrem Optimismus über die wirtschaftliche Entwicklung erlegen. Allein deshalb hat der Beitragssatz 1997 die 20 Prozent überschritten. Obwohl der oberste Rentenhüter Ihnen also vorwirft, in den letzten beiden Jahren solche hausgemachten Fehler gemacht zu haben, die allein für diese Beitragshöhe verantwortlich sind, erdreisten Sie sich, diesen Mann hier als Ihren Entlastungszeugen zu benennen. Das ist Ihr Belastungszeuge, Herr Blüm, aber kein Entlastungszeuge. ({4}) Gerhard Schröder hat gesagt: Was Blüm verschwiegen hat: Das SPD-Konzept bis 2015 ist völlig außerhalb der Diskussion. ({5}) Für die Zeit nach 2015 habe er Bedenken. - Frau Babel, Sie dürfen sich nicht immer so früh freuen. Auch Sie müssen mal Tageszeitungen lesen und dürfen nicht immer auf das hören, was Herr Blüm Ihnen aufschreibt. Ja, was glauben Sie, wie viele Leute Bedenken haben? Ich selbst habe ebenfalls Bedenken, weil ich mir nicht anmaße, Frau Babel, mich, wie Sie es tun, kaltlächelnd hier hinzustellen und zu sagen: Ich weiß genau, was in 20 Jahren auf der Tagesordnung steht. ({6}) Das dritte Beispiel: Walter Hirrlinger. Herr Blüm, warum verschweigen Sie dem Hohen Hause, daß Walter Hirrlinger Ihnen gesagt hat, daß er, wenn Sie das Niveau, wie beabsichtigt, vor 2015 senken, mit seinem VdK nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht geht und Sie verklagt? Einen Mann, der Sie in Karlsruhe verklagen will, hier als Entlastungszeugen einzuführen, das ist doch in höchstem Maße unredlich gegenüber Walter Hirrlinger. Sie sollten sich schämen, Herr Blüm! ({7}) Was hat denn Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, gesagt? Er hat gesagt, er glaube, daß man für die Zeit nach 2015 über Niveaukürzungen reden müsse, aber bis 2015 auf gar keinen Fall. - Sie wollen bis 2015 kürzen, wir nicht. Beck steht auf unserer Seite. Auch diesen Kronzeugen haben Sie wider besseres Wissen in diese Debatte eingeführt. Haben Sie eigentlich keine eigenen Berechnungen und Fakten, die Sie hier einführen können? Müssen Sie sich auf solche Argumente stützen, die bei einer Prüfung in sich zusammenfallen? Herr Blüm, wie weit sind Sie in den letzten Monaten eigentlich gesunken? Ist Ihnen die Rentenversicherung über den Kopf gewachsen, oder wie darf ich das verstehen? Ich möchte von Ihnen hier Fakten hören und nicht Sozialdemokraten als Kronzeugen benannt bekommen, die überhaupt keine sind. Sie sollten sich wirklich schämen! Schade, daß Ihr Bundeskanzler gegangen ist. Er hat sich ja bei Ihrer Rede amüsiert. Wenn er das nachliest, wird er sich für Sie schämen. ({8}) Meine Damen und Herren, der Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz hat der Bundesregierung ein bestürzend niedriges Rentenniveau vorgeworfen. Ich zitiere: Die wahre Lage der Rentner wird bei einem Vergleich mit den Leistungen der Sozialhilfe klar ... Berücksichtigt man ... die sonstigen Leistungen der Sozialhilfe, steht sich ein Ehepaar, das nie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat und deshalb Sozialhilfe empfängt, heute schon besser als das Ehepaar, das 40 Jahre lang Durchschnittsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat. ({9}) Dieses Argument trifft den Kern der Sache bei der Beurteilung der Höhe des Rentenniveaus. Es stammt jedoch - ich bin versucht zu sagen: leider - nicht vom heutigen Sozialminister in Mainz; Autor des Zitats ist vielmehr der frühere Staatsminister Dr. Heiner Geißler, geschrieben am 2. November 1973. Das damalige Rentenniveau lag bei 63,4 Prozent. Es ist danach innerhalb von nur vier Jahren auf seinen Rekordwert von 73,8 Prozent gestiegen, also um über 10 Prozent. - Das zur ständig wiederholten Litanei, auch bei einer SPD-geführten Bundesregierung sei das Rentenniveau schon einmal niedrig gewesen. - Kollege Geißler hat seine damalige Kritik bei einem Niveau von etwa 64 Prozent geäußert, also bei dem Zielwert, der nach politischer Vorgabe der Kohl-Regierung jetzt zügig erreicht werden soll. Wenden wir sein damaliges Beispiel auf die heutige Situation an, so sind die im Prinzip richtigen Kriterien Geißlers sogar beim heutigen Rentenniveau von etwa 70 Prozent nicht mehr erfüllt. Hinzu kommt: Diese 70 Prozent beziehen sich auf einen Eckrentner mit 45 Beitragsjahren. Dieser aber, Herr Blüm, ist schiere Fiktion; den gibt es nicht. Der Durchschnitt der Beitragsjahre liegt in Wahrheit bei 39 Jahren. Warum sagen Sie den rentennahen Jahrgängen nicht, daß Ihre Rechnung mit 70 Prozent nach 45 Versicherungsjahren die Mehrheit nicht mehr betrifft, sondern nur noch eine Minderheit? Auch da, Herr Blüm, reden Sie wider besseres Wissen. ({10}) Jeder kann die Rechnung aufmachen. 40 Jahre Beiträge vom jeweiligen Durchschnittseinkommen - das sind heute immerhin 53 800 DM brutto im Jahr - ergeben eine verfügbare Rente von 1726 DM. Der Sozialhilfebedarf eines Rentnerehepaares in einer Großstadt liegt einschließlich einer Miete von 800 DM, die als Sachleistung eingerechnet wird, im Schnitt bei etwa 1900 DM. Ich wiederhole: 40 Jahre Beiträge ergeben 1726 DM Rente; die Sozialhilfe aber liegt bei 1900 DM. Die Vorgabe, daß die Rente nach 40 Durchschnittsbeitragsjahren bei einem Ehepaar höher sein muß als der Sozialhilfesatz, ist also bereits heute nicht mehr erfüllt. Dennoch will die Koalition mit ihrem sogenannten Reformgesetz die realen Leistungen der Rentenversicherung weiter absenken. Noch mehr Versicherte, vor allem Frauen, werden selbst bei langjähriger Beitragszahlung nicht mehr erhalten, als sie ohne Beitragszahlung von der Sozialhilfe erhalten würden. Das - dies ist unser zentraler Vorwurf an Sie - beschädigt das Vertrauen in eine Alterssicherung, die auf Pflichtbeiträgen beruht, im Kern. Wenn der Deutsche Bundestag heute vor die Notwendigkeit gestellt ist, binnen weniger Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes von 1992 abermals eine Reform in Angriff zu nehmen, so ist das kein Zeichen von politischer Verläßlichkeit. Im Gegenteil: Wer im Zuge der Rentenreform 1992, einvernehmlich zwischen Koalition und Opposition, Gesetze beschließt, die die Rentenversicherung für 20 oder gar 25 Jahre stabilisieren, und anschließend als Regierung im Alleingang eine Rentenpolitik betreibt, die die eigentlich erreichbare Stabilisierung wieder zerstört, der ist nicht nur ein politisch unzuverlässiger Patron, sondern ist der eigentliche Verursacher der erneuten Finanzkrise in der Rentenversicherung. ({11}) Damit es klar ist: Die Notwendigkeit einer abermaligen Stabilisierungsaktion bei der Rentenversicherung ist eine direkte Folge der falschen Politik von CDU/CSU und F.D.P. Unsere Rentenversicherung ist in sich stabil. Es gibt nur einen destabilisierenden Faktor, der immer wieder für Unordnung sorgt: Das ist die Bundesregierung, an ihrer Spitze Norbert Blüm. ({12}) Eines möchte ich ganz klar feststellen: Politische Vorgabe der Blümschen Rentenkommission war es, das Rentenniveau zu senken. Das ist dann auch geschehen. Da kann Herr Blüm reden wie ein Weltmeister: Kürzung bleibt Kürzung. Zur Rechtfertigung wurde eine scheinwissenschaftliche Begründung gesucht. In der angeblichen Berücksichtigung einer längeren Lebenserwartung wurde sie dann - oh Wunder - prompt gefunden. Schon die Bezeichnung „demographischer Faktor" ist zweifelhaft, weil zur Demographie nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Geburtenhäufigkeit und die Zuwanderung gehören. Die Bundesregierung berücksichtigt aber nur die längere Lebenserwartung, weil nur das zum politisch gewünschten Effekt führt. An diesem zusätzlichen Faktor wurde dann so lange herumgebastelt, bis das Ziel, Niveausenkung möglichst schnell - bis 2010 auf 65 Prozent -, erreicht wurde. Das erklärt auch die große Zufriedenheit der F.D.P.-Fraktion. Herr Blüm, Sie haben hier wiederholt versucht, uns klarzumachen, daß 70 weniger 6 zwar 64 sind, daß das aber trotzdem keine Kürzung ist. ({13}) Nun weiß ich, daß man jemandem nicht erklären kann, was er nicht wissen will. Dazu zählen zweifellos auch Sie. Aber für alle außer denen, die es nicht erklärt haben wollen, will ich sagen: Wenn auf der Grundlage bestehender Gesetze einem Rentner für das Jahr 2010 eine Rente von 1800 DM in Aussicht gestellt wird, er aber dann auf Grund der Niveauabsenkung von 70 auf 64 Prozent, die der heute vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, tatsächlich nur 1645 DM erhält, so ist das eine Kürzung um 155 DM; da beißt die Maus keinen Faden ab. Und nun, Herr Blüm, können Sie der Bevölkerung weiter erklären, daß Ihre Kürzung keine Kürzung ist. Sie haben hier Ihr eigenes Dilemma vor dem Deutschen Bundestag soeben ausgebreitet. Sie haben soeben erklärt, daß Sie auf Steuerzahlerkosten - interessant! - einen Gesetzentwurf, der noch nicht einmal das Parlament erreicht hatte, in einer Telefonschaltaktion rechtfertigen wollten. Sie haben hier soeben gesagt, daß Tausende von Rentnern über Sie hergefallen seien und gesagt hätten, die SPD hätte sie aufgehetzt. Nein, Herr Blüm, die Rentnerinnen und Rentner haben gemerkt, daß sie von Ihnen um die Fichte geführt werden. Das ist der entscheidende Punkt. ({14}) Halten Sie die Rentner und die rentennahen Jahrgänge nicht für so dumm, daß sie nicht erkennen, was Sie da mit ihnen treiben! Wenn Sie um 6 Niveaupunkte reduzieren wollen, kürzen Sie die von uns gemeinsam zugesagte Rente. Wenn Sie wenigstens den Mut hätten, Ihre Kürzungsabsicht auch vor dem Deutschen Bundestag zu bestätigen! Aber Sie haben noch nicht einmal den Mut, für Ihre eigenen schriftlichen Schandtaten geradezustehen. Das ist der eigentliche Skandal, den ich Ihnen vorwerfe. Die SPD lehnt eine Senkung des 1989 mit 70 Prozent langfristig zugesagten Rentenniveaus entschieden ab. Ihre Rentenpolitik ist eine Politik nach der Formel: 15 Jahre Rente reichen. - Wenn das Prinzip aber einmal eingeführt ist, meine Damen und Herren, warum soll dann die Absenkung bei 64 Prozent gestoppt werden, obwohl die Leute möglicherweise länger leben? Warum soll bei 64 Prozent Rentenniveau Schluß sein mit der Absenkung? Wer soll Ihnen, Herr Blüm, das nach so vielen gebrochenen Zusagen eigentlich noch glauben? Wir wissen doch, daß in Ihrer eigenen Partei, der christdemokratischen Partei, und in der F.D.P. die Debatte darum ging, das Niveau in Wahrheit auf 60 Punkte zu senken. Aber vor den Bundestagswahlen hatten Sie den Mut dazu nicht. Ich prophezeie Ihnen: Ließe die Bevölkerung Sie noch einmal, Sie würden es nach der Wahl eiskalt tun. Deshalb wird man die Bevölkerung vor Ihren Taten, die Sie danach - entgegen Ihren Versprechungen - wieder einfließen lassen wollen, warnen müssen, meine Damen und Herren. ({15}) Unser entschiedener Widerstand gegen die Niveausenkung entspricht nicht nur den Interessen der heutigen Rentner, die entgegen der Propaganda des Herrn Blüm bis 2010 den größten Teil der realen Rentenminderung selbst am eigenen Leib erleben werden. Wir vertreten damit genauso die Belange der jungen Generation; denn die sind die eigentlich Betrogenen bei den Rentenplänen der Koalition. Sie werden nämlich diejenigen sein, die für die relativ höchsten Beiträge in aktiver Zeit die relativ niedrigste Rente im Alter erhalten werden. ({16}) Wir sagen hingegen: Leistung und Gegenleistung. Auch nach unserem Konzept sind erhebliche Beiträge zu leisten, wenngleich deutlich niedrigere als nach heutigem Recht. Jedoch bietet unser Konzept dafür auch eine vernünftige Gegenleistung, ein langfristig bei etwa 70 Prozent liegendes Rentenniveau und einen Schutz bei Invalidität, der diesen Namen verdient. Zu einem vernünftigen Generationenvertrag, meine Damen und Herren, gehört auch, daß seit über 100 Jahren in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Systemen funktionierende Sozialversicherungssysteme nicht von einer Politikergeneration ruiniert werden. Der Bundessozialminister ist mit seiner Gesetzgebung innerhalb von nur zwei Jahren dabei, dies zu tun, indem zentrale Leistungsversprechen gebrochen werden. Seit der Amtsübernahme der Regierung Kohl gab es 14 Änderungen im Rentenrecht, die erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Rente haben, und zwar Kürzungswirkungen. Zu behaupten, die Rentner müßten jetzt endlich auch ihren Beitrag leisten, ist eine bösartige Verdrehung der politischen Sachverhalte. Damit sich der Bundestag an die vergangenen Entscheidungen erinnert, darf ich darauf hinweisen, daß von 1975 bis 1997 durch Rechtsänderungen eine Minderung der Rente in Höhe von 38,8 Prozent eingetreten ist. Allein die Rentenbescheide für Zigtausende Anfang dieses Jahres zeigen Kürzungen bis zu 40 Prozent - in Einzelfällen noch höhere - gegenüber den Zusagen im Jahre 1996. Wie sich ein Bundessozialminister bei dieser Ausgangslage vor Fernsehkameras stellen und behaupten kann: „Wir kürzen nicht", bleibt christdemokratisches Geheimnis. Wenn diese „Abteilung" noch nicht einmal Leuten vom Fach glaubt, dann müßte sie doch Herrn Blüm selbst, dem sie soeben Beifall geklatscht hat, glauben; denn er hat am 10. März dieses Jahres an die lieben Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen dicke Papiere verschickt. In einem dieser Papiere ist zu lesen, daß die Kürzungs- oder, wie er es nennt, Sparbeiträge in der Rentenversicherung seit 1982 knapp 60 Milliarden DM betragen: Im Haushaltsbegleitgesetz 1983/84 machten sie 3 Milliarden DM, im Rentenreformgesetz 1992 17,2 Milliarden DM aus. ({17}) - Wer hat das denn bestritten? Nur, was wir damals versprochen haben, Herr Louven, wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands halten. Sie wird gegenüber denen, denen sie es gegeben hat, nicht wie Sie nur wenige Jahre danach ihr Wort brechen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({18}) Dann lese ich noch, daß Herr Blüm seinen Kolleginnen und Kollegen ankündigt, daß auf der Grundlage des Gesetzes vom letzten Jahr von 1998 bis 2000 weitere 19 Milliarden DM in der Rentenversicherung eingespart würden. Ferner prognostiziert er, daß, wenn sein Gesetz, das hier zur Beratung ansteht, Wirklichkeit wird, die Rentenversicherung erneut 20,2 Milliarden DM weniger auszahlt als nach heutigem Recht. Herr Blüm, Sie müssen sich einmal entscheiden. 20 Milliarden DM weniger als heute sind eine Kürzung. Das muß doch in Ihren Kopf gehen. Seien Sie doch wenigstens so mutig, sich hier hinzustellen und zu sagen: Gut, ich will kürzen. Das wäre zumindest ein Einstieg in eine ehrliche Debatte gewesen. ({19}) Das, was Sie tun, Herr Blüm, ist nichts anderes, als den Leuten etwas vorzumachen. Nun hat uns Herr Blüm heute wieder aufgefordert, uns an der Verwüstung der Rentenversicherung zu beteiligen. Bis Anfang 1996 gab es zwischen den großen Parteien und in unserer Gesellschaft insgesamt einen Rentenkonsens. Wir haben gemeinsam gesagt: Die Renten sind auf mittlere Sicht, also für die nächsten 15 bis 20 Jahre, durch die Rentenreform 1992 gesichert. Langfristig, nach 2015, machen die bereits 1989 diskutierten demographischen Probleme eine weitere Anpassung erforderlich. Herr Blüm hat am 2. Februar 1996 von diesem Pult aus wörtlich zu Protokoll gegeben: Eingriffe in die Rentenformel wird es mit mir nicht geben. - Herr Blüm, ist die Mißgeburt des sogenannten Demographiefaktors kein Eingriff in die Rentenformel? Sie haben mich soeben als Fuhrmeister der Betonmischmaschine charakterisiert. Ich darf Sie als Vorsitzenden des Vereins „Tarnen und Täuschen in Deutschland e. V." herzlich begrüßen. Das kann keiner besser als Sie. ({20}) Meine Damen und Herren, wir haben in zwei Sondierungsrunden ausgelotet, ob sich Verhandlungen lohnen. In diesen Sondierungsgesprächen hat die Koalition erklärt, die Niveauabsenkung und die Defacto-Privatisierung bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten seien ein Paket und nicht verhandelbar. Danach war für uns klar, daß hier im Parlament zwei unterschiedliche Konzepte beraten werden müssen. Das Ergebnis dieser Beratung wird mit Mehrheit gefunden werden. Das von der Mehrheit durchgesetzte Ergebnis und das Konzept der Opposition sind anschließend vor den Bürgerinnen und Bürgern zu verantworten. Sie werden 1998 die Wahl haben. Wenn sich zwei, wie wir heute morgen gehört haben, nicht zusammenzubringende Konzepte in diesem Parlament gegenüberstehen, bei denen kein Kompromiß möglich ist, dann ist es das Logischste, was ein Parlamentarismus reklamieren kann, daß man diese beiden unterschiedlichen Konzepte den Wählerinnen und Wählern vorträgt und daß sie entscheiden, ob sie Ihren Weg, Herr Blüm, der Kürzung gehen wollen oder unseren Weg der Strukturveränderung in der Rentenversicherung. ({21})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Geißler?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dreßler, Sie haben doch im Jahre 1989 die Umstellung der Rentenanpassung von Brutto- auf Nettoeinkommen mitgetragen. ({0}) Das heißt: Seit 1989 verändern sich die Renten nicht mehr entsprechend der Erhöhung der Bruttoeinkommen, sondern der Nettoeinkommen. Handelte es sich dabei aus Ihrer Position im Jahre 1988/89, gemessen an dem, was 1989 für die Rentner für die kommenden Jahre ausgerechnet wurde, nach Ihrer jetzigen Definition um eine Kürzung oder lediglich um eine abgeflachtere Rentenanpassung?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Geißler, ich darf Sie in einem Punkt korrigieren: Die SPD hat das 1989 nicht mitgetragen. Sie hat vielmehr einen Parteitagsbeschluß, der die Einführung des Nettorentenniveaus verlangte, zusammen mit Ihnen aus der Koalition durchgesetzt. ({0}) - Nein, Herr Louven. Das Anhängsel von CDU/CSU zu sein oder eine eigenständige Position einzubringen, die beschlossen wird, ist ein himmelweiter Unterschied. Diese Einstellung ist Ihnen im Laufe Ihrer Regierungsjahre offensichtlich abhanden gekommen. ({1}) Zweitens. Herr Geißler, selbstverständlich haben wir die Anwartschaften der Rentnerinnen und Rentner gekürzt. Daran kann doch überhaupt kein Zweifel bestehen. Ich mache diesen mathematischen Firlefanz nicht mit. Wir haben von brutto auf netto angepaßt. Das hat die erwarteten Renten für die Betroffenen natürlich gekürzt. Da beißt die Maus überhaupt keinen Faden ab. Nur, Herr Geißler, ich stehe dazu und Sie mit Herrn .Blüm offensichtlich nicht. Das ist unser Unterschied, aber auch nur das, damit das klar ist. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Dr. Geißler hätte noch eine Zwischenfrage.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wollen Sie nicht zugeben, daß das im Grunde genommen derselbe Vorgang ist? Der Unterschied besteht lediglich darin, daß eine geminderte Anpassung als Kürzung bezeichnet wird bzw. umgekehrt. Das ist aber exakt derselbe Vorgang.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Geißler, ich weiß, was die Abteilung Semantik in Ihrer Partei - das meine ich jetzt sogar konstruktiv - gegenüber der meiner Partei zu leisten imstande ist. Ich weiß, daß Sie da besser sind. Aber an solchen semantischen Ausflügen beteilige ich mich nicht. Ich sage Ihnen: Wir haben von brutto auf netto umgepolt. Das bedeutete gemessen an den Anwartschaften Kürzung. Dazu habe ich immer gestanden und habe nie den semantischen Ausflug gemacht: Wir haben eure Steigerungen etwas reduziert; in Wahrheit ist das keine Kürzung, sondern noch immer eine Steigerung. Nein, Herr Geißler, wenn man so etwas macht und davon überzeugt ist, dann muß man das auch sagen und dazu stehen. Das habe ich seit 1989 getan, und das tue ich auch heute. Sie versuchen jetzt schon kollektiv, sich dieser damaligen Beschlußfassung zu entziehen. Das halte ich nicht für in Ordnung. Lassen Sie uns doch gemeinsam sagen, was wir gemacht haben, Herr Geißler, und schon treffen wir uns wieder. Kürzung bleibt Kürzung. Wir haben damals gekürzt. Jetzt will Blüm kürzen. Die SPD will nicht kürzen. Das ist der Sachverhalt. Da können Sie hier reden, was Sie wollen. ({0}) Ich will Ihnen zur Senkung des Rentenniveaus noch ein Zitat bringen, weil es mich sehr beeindruckt hat, zumal dieser Zeitzeuge als Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung und Mitglied der Rentenkommission diese öffentliche Äußerung nicht getan hätte, wenn es ihn nicht umtriebe. Herr Professor Schmähl hat zu dem hier skizzierten Sachverhalt in einem Interview im Deutschlandfunk folgendes gesagt: Wenn man ein Pflichtalterssicherungssystem - gesetzliche Rentenversicherung - schafft, und man verpflichtet die Menschen, zeitlebens dort Beiträge zu zahlen, dann ist die Frage: Sollen dann nicht die Rentenleistungen nach langer Beitragszahlung so hoch sein, daß man deutlich mehr als die Sozialhilfe bekommt? Das ist der entscheidende Punkt. Das heißt gar nicht mal, ob dann diese Personen auch tatsächlich Sozialhilfeempfänger werden, denn die können ja zum Beispiel eine Betriebsrente haben oder Vermögenseinkünfte oder anderes. Es geht um die Legitimität eines Pflichtversicherungssystems, das sich deutlich in seinen Leistungen von der Sozialhilfe unterscheiden muß. Und hier liegt dann möglicherweise eine Schwachstelle in den Vorstellungen, wenn man das generelle Rentenniveau deutlich senkt ... Herr Blüm, wir haben Ihnen, als Sie in den Sondierungen erklärten, Sie seien nicht bewegungsfähig, gesagt, dann müßten wir eben die Bundestags- und Ausschußverhandlungen abwarten. Wenn Sie diesen Thesen von Schmähl, der Mitglied Ihrer Rentenkommission war, folgen, der sich dazu bekannt hat, daß hier ein Fehler gemacht worden ist, und wir bereit sind, diesen Fehler mit Ihnen auszumerzen, dann müssen Sie Ihre Blockadeposition - „Darüber wird nicht verhandelt; das steht nicht zur Disposition" - aufgeben. Sie können hier nicht laufend von der ausgestreckten Hand reden, aber schweigen, wenn wir nach den Preisen fragen, zu denen wir diese Hand ergreifen sollen. Stellen Sie sich hier hin und sagen Sie: Wir stellen unser Konzept zur Disposition; wir sind bereit zu Verhandlungen. Dann werden die Ausschußberatungen zeigen, daß man etwas Konstruktives bringen kann. Wenn Sie aber nur täuschen wollen und Ihren Fahrplan im Parlament durchpeitschen wollen, dann hören Sie auf, so zu tun, als ob Sie verhandlungsfähig wären. In Wahrheit blockiert die F.D.P. Sie in Ihrer möglichen Verhandlungsbereitschaft. ({1}) Wenn Sie koalitionsinterne Probleme haben, dann sagen Sie das hier. Aber tun Sie nicht so, als seien Sie imstande, gegen die F.D.P. etwas durchzusetzen. Herr Blüm, Sie sind genau wie Seehofer gesellschaftspolitisch von der F.D.P. plattgemacht worden. Das ist Ihr persönliches Schicksal. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort jetzt der Abgeordneten Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Junge Leute stellen schon seit vielen Jahren kritische Anfragen an die Rentenpolitik. Immer haben sie darauf die Antwort erhalten, es gebe kein Problem, sie sollten hübsch fein stille sein; denn wir wissen es alle: Die Rente ist sicher. Dann kommt endlich Bewegung in die Diskussion, aber mit ehrlichen Antworten ist es wieder nichts. Statt dessen werden sie konfrontiert mit einer Debatte, die das Nettorentenniveau zum Dreh- und Angelpunkt der Rentenpolitik hochstilisiert und alle anderen Fragen vernachlässigt. ({0}) Was ist denn der Grund für die Skepsis der jungen Leute in Sachen Rentenversicherung? Sie zweifeln an einem fairen Beitrags-Leistungs-Verhältnis, und sie fragen sich, wie bei einem anderen demographischen Aufbau der Gesellschaft ihre Renten eines Tages finanziert werden können, ohne daß dann ihre Kinder und Enkelkinder überfordert werden. Zweifellos gibt es auch viele Scharlatane auf dem Markt der Rentenpolitik. Aber deren Chancen, die Menschen einzufangen, werden größer, wenn die besonnenen Rentenpolitiker keine guten Antworten auf die kritischen Anfragen finden. Altere Menschen nehmen die Tatsache, daß sich junge Menschen Gedanken um die Rente machen, oft mit Unverständnis auf: Haben diese jungen Leute denn keine anderen Sorgen? Haben sie eine spießige Versorgungsmentalität, daß sie sich schon in der Jugend Gedanken um die Rente machen? - Ich glaube nicht, daß wir es hier mit einer Frühvergreisung der heutigen Jugend zu tun haben. ({1}) Wir haben es mit kritischen Anfragen zu tun, die symbolisch auf eine Neuverständigung unserer Gesellschaft drängen. Alle reden vom demographischen Wandel, aber die Auseinandersetzung mit den Folgen für unsere Gesellschaft findet nicht statt. Wie wird es denn sein, in einer Gesellschaft zu leben, in der wesentlich mehr ältere Menschen das Bild prägen? Wie verändert sich dadurch unsere Lebensweise, wie verändern sich die Werte, die Umgangsformen? ({2}) Nehmen wir doch die Skepsis der Jugend, die sich am Rentensystem entzündet, als einen wertvollen Hinweis darauf, daß unsere Gesellschaft eine Auseinandersetzung verweigert. Denn so richtig es ist, daß die aktuellen Probleme der Rentenpolitik von der falschen Politik der Bundesregierung verursacht sind: Ich halte es für unklug, der Diskussion mit dem Verweis auszuweichen, daß die demographische Veränderung doch frühestens in 20 Jahren auftreten werde. Ich glaube, wir sollten diese Debatte noch viel intensiver führen, und zwar nicht nur in der Rentenpolitik. ({3}) Viele Sorgen der jungen Menschen beziehen sich aber nicht nur auf die ferne Zukunft, sondern sind hochaktuell. Die jungen Menschen haben ein Leben vor sich, in dem sie vielen beruflichen Risiken ausgesetzt sein werden, in dem sie immer offenbleiben müssen für Veränderungen, wollen sie nicht zu den Verlierern auf dem Arbeitsmarkt zählen. Der Zugang und die Qualität der Bildung sind zur Zeit ihr größtes Problem, und im Moment steht auch ihre Zukunft auf dem Spiel. Was wird den Jugendlichen geboten? Wie alles, was die Bundesregierung derzeit macht, ist die Rentenreform wieder eine hilflose Reaktion auf selbstgeschaffene Probleme. Wieder müssen der Standort und die Globalisierung herhalten, um erst einmal nichts anderes zu begründen als tiefgreifende Einschnitte in die soziale Sicherung. Die aktuellen Probleme der Rentenpolitik gehen auf das Konto der Bundesregierung: ({4}) Sie haben die Beitragszahlungen zwischen den Sozialversicherungsträgern hin- und hergeschoben. Sie haben die Rentenüberleitung aus Beitrags- und nicht aus Steuergeldern finanziert. Sie haben eine Arbeitsmarktlage zu verantworten, in der die Rentenversicherung zum Ausfallbürgen der Sozialpolitik wird. Nun greifen Sie vordergründig die kritischen Debatten um die Zukunft der Rentenversicherung auf und suchen doch nur einen Vorwand, ein weiteres Mal Sparpolitik zu betreiben. Sie versprechen, mit den vorgelegten Maßnahmen eine relative Beitragssatzstabilität zu erreichen. Aber es war Ihre Politik, die die Beitragssätze in den letzten Jahren in immer neue Höchststände getrieben hat, und es war ebenfalls Ihre Politik, die die steuerliche Belastung so angezogen hat, daß den Menschen die Puste ausgeht und deren Abgabefähigkeit an die Schmerzgrenze gestoßen ist. Sie können von Ihrer Verantwortung nicht ablenken, indem Sie sich jetzt als Problemlöser aufspielen, noch dazu wenn Ihre Lösungsvorschläge nicht gut sind. Was ist Ihr Angebot? Sie versprechen eine Stabilisierung der Beitragsentwicklung und verschweigen, daß Sie dafür die Rentenversicherung bis zur Unkenntlichkeit entstellen. ({5}) Andrea Fischer ({6}) Die Beitragsentlastung über die Erhöhung des Bundeszuschusses steht doch noch in den Sternen, denn Sie können noch gar nicht sagen, woher Sie das Geld nehmen wollen. ({7}) Angesichts der Gemengelage in der zerstrittenen Regierungskoalition besteht hier kaum Anlaß zum Optimismus, daß das Versprechen eines höheren Bundeszuschusses mehr als ein vordergründiges Einlenken angesichts der seit langem bekannten Kritik werden könnte. ({8}) Was sagt denn die F.D.P. dazu, daß für diese Erhöhung des Zuschusses eine Mineralölsteuererhöhung von 2 Prozent notwendig wäre? Die Erwerbsunfähigkeitsrente reduzieren Sie zu einem kümmerlichen Schatten ihrer selbst. Über die Berufsunfähigkeitsrente können Sie auch mit uns reden, aber die von Ihnen bezüglich der Erwerbsunfähigkeitsrente geplanten Veränderungen werden auf unseren erbitterten Widerstand stoßen. Sie geben die Sicherungsfunktion dieser Rentenart einfach auf; dann können Sie die Erwerbsunfähigkeitsrente auch gleich abschaffen, wenn die betroffenen Rentnerinnen und Rentner ohnehin alle zusätzlich zum Sozialamt gehen müssen. Die blanke Rentenniveausenkung ist mit uns nicht zu machen, ({9}) denn Sie versprechen den Menschen Beitragssatzstabilität, ohne ihnen offen zu sagen, daß Ihr Weg - dabei muß man die Leistungskürzung aus dem Wachstumsförderungsgesetz des letzten Jahres mit beachten - dazu führt, daß das Leistungsniveau der Rentenversicherung nach unten hin offengelassen wird. Herr Minister Blüm, ich hätte es mir auch nicht träumen lassen, daß eine wankende Bundesregierung sich noch einmal auf die Grünen stützen muß, aber das können wir nicht tragen; da muß ich Ihre Hoffnung enttäuschen. Als Kronzeugen stehen wir Ihnen für Ihr Gesetzeswerk nicht zur Verfügung. ({10}) Sie haben in so eklatanter Weise alle Qualitätsnormen der Rentenversicherung verletzt, daß wir das niemals mitmachen werden. Sie zerstören die Legitimation der kollektiven Alterssicherung. Über das Rentenniveau läßt sich mit uns nur auf der Grundlage eines gänzlich anderen Konzepts reden. Für das aber sind Sie nicht offen, denn Sie sind ganz verblendet von Ihren selbst geschaffenen Sparzwängen. Rentenpolitik heute muß mutig und vorausschauend sein. Sie muß Solidarität stiften und organisieren, sie muß soziale Sicherung auf veränderte Bedingungen paßgenau machen. Sie muß Teil einer Modernisierungsstrategie sein. Dafür muß man aber erst einmal begreifen, worin die Veränderungen bestehen, mit denen wir heute konfrontiert sind. Individualisierung und Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen sind die bestimmenden Muster der Gesellschaftsveränderung, und diese Tendenzen werden sich in Zukunft verstärken. Darauf müssen wir uns alle einrichten. Wer die soziale Sicherung an diese Veränderungen nicht anpaßt, der verspielt die Legitimationsgrundlage von kollektiver sozialer Sicherung. ({11}) Das emanzipatorische Potential, das in diesen Veränderungen liegt, verkehrt sich in sein Gegenteil, wenn man mit den Risiken dieser Entwicklung allein gelassen wird. Individualisierung darf eben nicht zum Drahtseilakt mit ständiger Absturzgefahr werden. Das ist die zentrale Aufgabe sozialer Politik für das nächste Jahrtausend. ({12}) Das ist auch mein zentraler Vorwurf an Sie: Sie haben die Bedeutung der Rentenversicherung für die Gestaltung unserer Gesellschaft, für den Arbeitsmarkt, das Geschlechterverhältnis und das Bildungssystem ausgeblendet. Sie machen technokratische Rentenpolitik ohne Zukunftsvision. ({13}) Wer von jungen Menschen Flexibilität, Mobilität und hohe Qualifikation verlangt, kann die Sicherung dieser Erwerbsmuster nicht vernachlässigen. Wer von jungen Menschen eine optimistische Entscheidung für Kinder verlangt, darf ihnen keine nachteiligen Folgen dieser Entscheidung für ihre Alterssichrung zumuten. Wer aus arbeitsmarkt- und geschlechterpolitischen Gründen eine verstärkte Umverteilung von Arbeitszeit will, darf die Menschen mit den Folgen des damit verbundenen Einkommensverzichts für das Alter nicht allein lassen. Deshalb steht im Mittelpunkt unseres Rentenkonzepts die Absicherung unstetiger Lebens- und Erwerbsverläufe. Die geltende Norm einer lebenslangen Erwerbstätigkeit mit durchschnittlichem Einkommen war für Frauen schon immer nicht zu erreichen; heute und mehr noch in Zukunft wird sie auch für immer mehr Männer nicht mehr zu erreichen sein. Hier liegt die entscheidende Zukunftsaufgabe der Rentenpolitik. ({14}) Wir wollen nicht länger Defizite von bestimmten Gruppen, wie zum Beispiel Frauen, mit unzulänglichen Mitteln und mäßigem Erfolg ausgleichen, sondern wir machen die frühere Abweichung zur Norm, so daß ein Defizit erst gar nicht entsteht. Dafür wollen wir neben der selbstverständlichen, einfach nur zu spät in den Blick genommenen Erhöhung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten neue Typen von Beitragszeiten, insbesondere in Form der Erhöhung von niedrigen Einkommen auf Grund von Teilzeitarbeit und in Form eines Bildungskontos, einführen. Andrea Fischer ({15}) In einem zweiten Schritt soll die Gesamtleistungsbewertung durch die Regel ersetzt werden, daß nur noch 40 von insgesamt 49 Jahren der Lebenszeit zwischen 16 und 65 Jahren in die Rentenberechnung eingehen. Damit würden sich eventuelle weitere Lücken im Beitragsverlauf auf die Rentenhöhe nicht nachteilig auswirken. Beide Maßnahmen zusammen sollen bewirken, daß niedrige Altersrenten vermieden werden. Die Rentenversicherung soll dadurch zu einem Garanten werden, daß sich die Menschen auf die kommenden Veränderungen des Erwerbslebens einlassen können, ohne um ihre Alterssicherung fürchten zu müssen. Alles in allem bedeutet das eine deutliche Leistungsausweitung. Da wir aber zugleich darauf achten müssen, daß die Rentenausgaben nicht in einem Maße steigen, das die heutigen und die künftigen Beitragszahler überfordert, haben wir in unserem Konzept verschiedene Finanzierungsvorschläge gemacht. Zum einen wollen wir die Beitragsbelastung durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses so rasch wie möglich senken. Dafür brauchen wir den Einstieg in eine Ökosteuer. Meine Damen und Herren von der Koalition, genau hier stoßen Sie mit Ihrem isolierten Rentenkonzept an Grenzen, weil Sie es nicht mehr mit anderen Reformvorhaben verbinden können. ({16}) Wir halten die langsame Absenkung des Nettorentenniveaus für notwendig. Wir halten das für besser, als sich auf lange Frist eine Erhöhung des Renteneintrittsalters als Option offenzuhalten. Materiell bedeuten beide Vorschläge dasselbe. Bei dem einen Vorschlag wird eine niedrigere Rente auf eine längere Laufzeit verteilt. Bei dem anderen Vorschlag bleibt die Rentenhöhe zwar gleich, die Rente wird aber auf eine kürzere Laufzeit verteilt. Wenn man aber bereits heute mit einer moderaten Absenkung des Rentenniveaus beginnt, hat man den Vorteil, daß der Generationenvertrag unter maßvoller Beteiligung aller in ein neues Gleichgewicht gebracht wird. ({17}) Das ist eine Frage der Fairneß. Die jungen Menschen, die im Alter ein insgesamt nicht mehr so hohes Rentenniveau erreichen können, wären in ihrem aktiven Leben wenigstens von zu hohen Beitragszahlungen verschont. Ich bin sicher, daß die heutigen Rentnerinnen und Rentner Verständnis dafür haben; denn es geht schließlich um ihre eigenen Kinder und Enkelkinder. Würde man das Renteneintrittsalter erst in 20 oder 30 Jahren erhöhen, wären davon dieselben betroffen, die zuvor ihr Leben lang hohe Beiträge gezahlt haben. Im Konzept der Bündnisgrünen werden niedrigere Renten systematisch erhöht, die Gesamtausgaben aber begrenzt, wovon hohe Renten betroffen sein werden. Das führt selbstverständlich zu einer geringeren Differenzierung der Rentenhöhen, aber nicht zu einer Einheitsrente. Wir sehen darin auch keine Verletzung der Beitrag-Leistung-Äquivalenz; denn wir stellen den herrschenden Leistungsbegriff in der gesetzlichen Rentenversicherung in Frage. Bislang galt als Leistung nur, was sich in Beiträgen vom Arbeitseinkommen niederschlug. Aber auch Kindererziehung und Bildung sind gesellschaftlich erwünschte Leistungen. Arbeitsumverteilung muß uns allen ein Anliegen sein. Deswegen kann man nicht eine vermeintlich geringere Leistung, die sich in einem geringen Einkommen ausdrückt, mit niedrigen Renten bestrafen. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen erreichen wir eine wirklich eigenständige Alterssicherung der Frauen. Deshalb werden Witwen- und Witwerrenten an Bedeutung verlieren. Wer selber eine ausreichende Rente hat, braucht keine Absicherung mehr durch eine abgeleitete Rente. Deshalb wollen wir die Hinterbliebenenrenten in viel stärkerem Maß anrechnen, als dies heute geschieht. ({18}) Auch von seiten der Bundesregierung wird - wenn auch meist nur still und leise - gesagt, es bestehe Reformbedarf bei den Hinterbliebenenrenten. Ich sage Ihnen aber schon heute: Sie können hier nur etwas machen, wenn Sie gleichzeitig den Ausbau der eigenständigen Anwartschaften vorantreiben. Dafür reichen bessere Kindererziehungszeiten allein nicht aus. Sie haben sich offensichtlich von dem Ziel der eigenständigen Alterssicherung der Frauen längst verabschiedet. ({19}) Kommen wir noch einmal auf die mutige Rentenpolitik zurück. Die Debatte um den Aufbau eines Teilkapitalstocks wurde nicht zuletzt aus den Reihen der CDU/CSU stark belebt. ({20}) - Genau, schlußendlich sind Sie doch wieder nicht gesprungen. Ich weiß um die vielen Schwierigkeiten, die mit der Umsetzung der Idee verbunden sind. Aber hier geht es um langfristige Vorsorge. Hier läge eine Chance für die Politik, Vertrauen und Unterstützung der Jugend wiederzugewinnen. Wir wissen doch, wie schlecht es um das Ansehen der Politik bei den jungen Menschen steht. Wir müssen zeigen, daß Politiker in der Lage sind, über die nächste Legislaturperiode hinaus zu denken und langfristig die Zukunft zu sichern. ({21}) Es geht also gerade nicht darum, die Probleme bei der Einführung eines Kapitalstocks zum Totschlagargument zu machen, sondern es geht im Gegenteil darum, daran zu arbeiten, dafür eine gute und tragfäAndrea Fischer ({22}) hige Form zu finden. Das wäre ein Signal gewesen. Sie haben das wieder verbockt. Wir müssen dringend Maßnahmen gegen die Flucht aus den Sozialversicherungssystemen ergreifen, die sich in Scheinselbständigkeit und ungesicherten, prekären Beschäftigungsverhältnissen ausdrückt. Die Rentenversicherung muß zu einer Bürgerversicherung werden, bei der alle mitmachen. Dazu bedarf es gesetzlicher Maßnahmen; das ist klar. Aber vor allem bedarf es dazu einer Politik, die die Rentenversicherung attraktiv macht; denn die Flucht ist ja auch ein Indiz für das Unbehagen am System. Auch deshalb ist es so dringend erforderlich, eine wirklich große Rentenreform zu machen. Aber eine abgewirtschaftete Bundesregierung ohne Reformfähigkeit hat dazu nicht mehr die Kraft. Sie richten großen Schaden in bezug auf das Zutrauen in die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme an. Nur wenn wir den Sozialstaat modernisieren, werden wir ihn bewahren. Sie verspielen die Solidaritätsbereitschaft; denn die Menschen werden nur dann Mitglied in der Sozialversicherung sein wollen, wenn sie sich darin aufgehoben und gut geschützt fühlen. ({23})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen CDU/ CSU und F.D.P. bringen heute den Gesetzentwurf zur Rentenreform ein. Ziel dieser Reform ist es, die gesetzliche Alterssicherung Rente für die Zukunft sicher, verläßlich und bezahlbar zu machen. Das läßt sich nicht allein mit Umfinanzierung, wie die Opposition meint, erreichen, sondern dazu bedarf es auch vernünftiger Sparmaßnahmen. ({0}) Ziel ist es weiterhin, die Beitragsschraube, die sich immer schneller dreht, anzuhalten und zu einem neuen Ausgleich zwischen Beitragszahlern - das sind die Erwerbstätigen - und den Rentnern zu kommen; Stichwort: ein fairer Generationenvertrag. Daß es gerade die Beschäftigungsprobleme sind - sie spielten übrigens in der Rede von Herrn Dreßler noch nicht einmal am Rande eine Rolle -, die Strukturmaßnahmen erfordern, spricht nämlich für die Strukturmaßnahmen und nicht gegen sie. Herr Dreßler, ich denke, daß Sie sich in Ihrem Debattenbeitrag völlig mit der Fortschreibung der Oppositionsrolle begnügt haben. Denn Sie haben es nicht für nötig gehalten - das ist ja in der Tat auch sehr schwierig -, uns das Rentenkonzept der SPD einmal in irgendeiner Weise plausibel darzustellen. Dazu hatten Sie keine Zeit. Ich finde, das ist charakteristisch. Entsprechend Ihrer hohen polemischen Begabung haben Sie sich nur mit Norbert Blüm auseinandergesetzt, aber nicht mit sich selbst und mit dem, was Ihre Partei vorschlägt. ({1}) Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben schon im letzten Jahr im Wachstums- und Beschäftigungspakt Sparmaßnahmen eingeleitet. Ich mache hier keinen Schmus. Es handelte sich dabei um Sparmaßnahmen, und zwar auch um solche, die gewisse Härten mit sich gebracht haben: Abschläge bei der Frühverrentung, Heraufsetzung des Rentenzugangsalters, Senkung der Anrechenbarkeit der Ausbildungszeiten. Wir gehen jetzt mit der Gesetzesnovelle an die langfristigen Strukturmaßnahmen. Dazu wird die Rentenformel geändert. Meine Damen und Herren, es ist eine schwerwiegende politische Entscheidung, die wir hier treffen. Das Motiv ist das gleiche wie bei den Reformen in allen anderen sozialen Sicherungssystemen: die Belastung des Faktors Arbeit zu senken, Beschäftigung zu sichern und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. ({2}) Für manche Kritiker ist das, was wir hier tun, noch zuwenig und halbherzig, für die Opposition ist es zuviel. Ich denke, verantwortliche Politik kommt nicht umhin, die Rentenreform mit in diese notwendige Sparpolitik einzubeziehen. Einer der Vorwürfe aus den Reihen der Opposition lautet, es handele sich hierbei gar nicht um eine Reform; eine Reform wäre sie nur, wenn man sie einvernehmlich - wie im Jahre 1989 - beschlossen hätte und wenn sie auf einem breiten politischen Konsens beruht hätte. Meine Damen und Herren, diesen breiten politischen Konsens wünschte ich mir heute auch. ({3}) Aber wenn er nicht erreichbar ist, darf sich die Regierung nicht daran hindern lassen, das Notwendige zu beschließen. Sicher ist, daß es damals wichtige Korrekturen gab, vor -allem die Abwendung von der bruttolohnbezogenen Rente hin zur nettolohnbezogenen Rente. Das ist übrigens noch eine Tat meines Vorgängers Julius Cronenberg, der nicht müde wurde, diesen Punkt einzufordern, bis er schließlich auch kam. ({4}) Aber wir erkennen heute, daß damals keineswegs alle Entwicklungen scharf genug gesehen wurden, etwa die ständig steigende Lebenszeit der Leistungsbezieher oder die enorme Abhängigkeit der Rentenfinanzen von der Beschäftigungssituation, die heute zu schweren Einbrüchen führt. Heute sehen wir das klarer. Heute sehen wir auch mit größerer Beklommenheit, daß die Probleme, die wegen der demographischen Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten auftreten, nach wie vor ungelöst sind. Die damalige Debatte ließ keine Kritik an einem Rentenversicherungsbeitrag von 26 Prozent oder 28 Prozent im Jahre 2030 erkennen. Das hat man damals schlankweg für akzeptabel gehalten. Wir halten es heute nicht mehr für akzeptabel. ({5}) Wir sagen: Eine junge Generation will Auskunft, und sie will, daß die heutige Politik verantwortlich handelt, indem sie die Weichen stellt, daß das nicht eintritt. Beitragsstabilität als Garant für einen fairen Generationenvertrag ist eine heutige Erkenntnis und Forderung. Die jetzige Generation soll etwa das gleiche für die Alterssicherung aufbringen wie die nachfolgende. Noch etwas fällt auf, wenn man die damalige Debatte nachliest: Die sozialen Probleme der Altersarmut - sie sind übrigens geringer als die Armutsprobleme der Jugend, insbesondere der jungen Familien -, die Probleme der Alterssicherung der Frauen und das Problem der unterbrochenen Lebensläufe sind Stichworte, die damals schon angesprochen worden sind. Was nicht erörtert wurde, ist, daß die Lösung dieser Probleme einen Abschied von diesem System bedeutet. Darauf komme ich noch zu sprechen. Zurück zur Gesetzesnovelle: Sparmaßnahmen müssen auch in der Rentenversicherung vorgenommen werden, deswegen werden die Renten in Zukunft langsamer steigen. Damit wird ihr Niveau im Vergleich zum Nettolohn sinken. Ich habe überhaupt keine Probleme zu sagen, daß die Renten damit in Zukunft ein niedrigeres Niveau haben. Von der Sprache her habe ich keine Probleme damit, Herr Dreßler. ({6}) Der Streitpunkt ist der Anspruch an die gesetzliche Rentenversicherung, eine Alterssicherung zu garantieren, also eine Alterssicherung zu sein. Die Frage bleibt, wie diese Aufgabe nach wie vor erfüllt werden kann. Vor allem die unterbrochenen Arbeitsbiographien stellen ein großes Problem dar. Frau Fischer, eine Rentenversicherung, die bei nur halbem Arbeitsvolumen eine volle Rente gewährt, gibt die Leistungsbezogenheit auf. Damit sinken Sie, Frau Fischer, in die Arme von Herrn Biedenkopf. Es ist ganz klar: Das kann die Rentenversicherung nicht leisten, damit ist die Weiche für eine Versicherung gestellt, die, über Steuern oder über Beiträge finanziert, nivelliert ist. ({7}) Das ist ein Systemwechsel zum Versorgungssystem.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Fischer?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich noch einen Satz zu Ende führen kann, dann kann sie den gleich mitkommentieren. - Wer zur leistungsbezogenen Rentenversicherung ja sagt, die auf einem geleisteten Arbeitsvolumen basiert - auf die Kindererziehung komme ich noch zurück -, kann nicht gleichzeitig eine Alterssicherung garantieren, die - wie die Mindestsicherung oder die von der SPD ausgearbeitete Frauenrente - diese Prinzipien völlig aufgibt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Frau Fischer.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Babel, Ihnen ist natürlich klar, daß ich diesen Affront nicht auf mir sitzenlassen kann. Ist Ihnen bei der Lektüre unseres Antrags aufgefallen, daß wir bei den Überlegungen zur Aufstockung von niedrigen Einkommen aus Teilzeiterwerbstätigkeit an eine Größenordnung von 0,6 Prozent des Durchschnittsentgelts denken? Sie können doch nicht ernsthaft sagen, das sei bei halbem Arbeitsvolumen die volle Rente. Würden Sie, nachdem ich Ihnen diese Information gegeben habe, Ihre Behauptung aufrechterhalten, das laufe auf eine Grundrente hinaus?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will noch einmal versuchen, den Grundgedanken, den Sie damit anstoßen, zu Ende zu denken. Ich gehe davon aus, daß es Ihr Bemühen und auch Ihr Verdienst war, innerhalb der Grünen für die Beibehaltung der leistungsbezogenen Rente einzutreten. Ich erkenne das sehr an. Ich sage Ihnen aber: Es wäre doch ein Problem, wenn jemand, der durch Teilzeitbeschäftigung - wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, ob es die Hälfte ist - ein nur sehr viel geringeres Arbeitsvolumen über Beiträge in die Rentenversicherung einbringt, dennoch die Garantie hätte, daß ihm die Rentenversicherung eine für das Alter ausreichende Rente gäbe. Wer so etwas behauptet, hat sich von der leistungsbezogenen Rente verabschiedet. Eine leistungsbezogene Rente ist natürlich nicht nur eine bei hoher Leistungserbringung hohe Rente, sondern auch eine bei geringer Leistungserbringung geringe Rente; sonst paßt das System nicht, sonst gehen Sie ganz automatisch in eine andere Versicherung hinein. Das war mein Gedanke. ({0}) Meine Damen und Herren, was die F.D.P. - vielleicht als einzige Partei - sehr offen sagt, ist, daß die gesetzliche Rentenversicherung den Lebensstandard in Zukunft nicht mehr voll abdeckt. Wir sagen das ganz offen. Das macht es in den Augen der F.D.P. so dringlich, über die zwei anderen Säulen, über die betriebliche Alterssicherung und die Eigenvorsorge, nachzudenken. Wir sprechen immer von drei Säulen; in Wirklichkeit aber waren es eine Säule und zwei Girlanden. Wir wollen dazu beitragen, daß aus dieDr. Gisela Babel sen Girlanden Säulen mit statischer Bedeutung, das heißt mit einer tragenden Funktion werden. Kurz zur betrieblichen Alterssicherung: Hier müssen wir feststellen, daß sie zum Sorgenkind der Politik, insbesondere der Finanzminister - Stichworte sind der Rechnungszinsfuß und der Pauschalsteuersatz - geworden ist. Diese gingen immer schön nach oben, und unsere Finanzminister hatten sich nicht vorstellen können, daß das vielleicht Signale an Arbeitgeber sind, diese freiwilligen Leistungen in Zukunft lieber einzusparen, als sie unter immer unattraktiveren Bedingungen zu gewähren. Der Rückgang dieser Leistungen war entsprechend. Ich bedaure an dieser Stelle sehr, daß es uns in den Verhandlungen - das betraf natürlich auch die über die Steuerreform - nicht gelungen ist, flankierende Besserstellungen zu erreichen. Wir haben allerdings Verbesserungen im Arbeitsrecht durchgesetzt, nämlich daß die nachholende Anpassung bei den Betriebsrenten wegfällt. Das betrifft die Anpassung, die durch die Rechtsprechung entwickelt worden ist und die ein Arbeitgeber vornehmen mußte, wenn es ihm wirtschaftlich wieder besser ging, indem er nicht nur für das betreffende Jahr, sondern auch für die ausgefallenen Jahre rückwirkend Anpassungen vornehmen mußte. Dies fällt weg. Ich halte das für gut. Gut ist auch der zweite Punkt, nämlich daß man sich jährlich zu einer einprozentigen Anpassung verpflichten kann und sich damit weiterer Verpflichtungen entledigt. Kurz zur Eigenvorsorge: Sie ist notwendiger denn je. Ich begrüße es, daß wir der Lebensversicherung im Steuerrecht jetzt wieder eine begünstigte Stellung eingeräumt haben. ({1}) Ich will darauf hinweisen, daß es nicht nur der Staat ist, der hier beiträgt. Viele Vermögensanlagen oder Lebensversicherungen werden schon heute für Kinder und Enkelkinder abgeschlossen. Hier gibt es eine Generationensolidarität der Alten mit den Jungen, weil sie durchaus die Probleme sehen, die im Rahmen der Alterssicherung ihrer Kinder und Enkelkinder eintreten können. Ich halte das für gut und will das an dieser Stelle auch einmal anerkennen. Zu den Strukturmaßnahmen im Reformgesetz, zur Rentenformel: Sie wird um einen demographischen Faktor ergänzt. Das ist zwingend notwendig, weil die Lebenserwartung der Rentner ständig steigt - im Durchschnitt 1,4 Jahre pro 10 Jahre. Wenn die Menschen erfreulicherweise länger leben, erhalten sie auch länger Rente. Weil das so ist, ist es richtig und notwendig, den einzelnen Betrag geringer ausfallen zu lassen. Die Renten steigen also in Zukunft langsamer. Dieses Abbremsen führt langfristig zu einem Sinken des Nettorentenniveaus von heute 70 auf 64 Prozent. Das ist ein Niveau, das wir zu Beginn der 70er Jahre hatten. Herr Dreßler, Sie haben gesagt, das sei schleunigst wieder beseitigt worden. Sie blenden aber aus: Die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungslage war damals nun wirklich nicht so dramatisch, wie sie es heute ist. Die Berücksichtigung der Lebenserwartung in der Rentenformel, die von der Opposition strikt abgelehnt wird, halte ich in der Tat für überfällig. Ohne Verlängerung der Lebenserwartung wäre der Beitragssatz heute bei 12 statt, wie tatsächlich, bei 20,3 Prozent. Man sieht, das ist ein Treibsatz. Es ist richtig, daß man diese finanzielle Belastung, die da eingetreten ist, nicht permanent nur den Beitragszahlern aufbürden kann, sondern daß wir sagen: Es muß einen fairen Ausgleich geben. Dieser liegt darin, daß die Rentner über die Formel, die wir entwickelt haben, zu einem Teil mit herangezogen werden. Das ist im Grunde der Kernpunkt, angesichts dessen wir der jungen Generation heute sagen können: Wir haben mit der Rentenreform dafür gesorgt, daß die Belastung in dieser Frage etwas leichter wird, als sie vorher war. ({2}) Alles spricht dafür, daß die steigende Lebenserwartung und ihre Berücksichtigung in der Rentenformel dazu führt, daß das Abschmelzen im Jahre 2015 beendet sein wird. Der Koalitionspartner hat eine andere Zeitrechnung. Das hängt von dem Grad der Verlängerung der Lebensarbeitszeit in der Zukunft ab. In der Tat überfordert eine solche Voraussicht die prophetischen Möglichkeiten sowohl des Bundesarbeitsministers als auch der Koalitionsparteien. Meine Damen und Herren, zur Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente: Hauptmotiv dieser Reform war, daß es nicht um einen neuen Weg geht, der sich schleusenartig eröffnet, während wir die Frühverrentung abgeschafft haben. Die Gefahr besteht doch darin, daß Arbeitnehmer dann nicht mehr mit 60 Jahren mit Rentenabschlägen in Rente gehen, sondern daß sie mehr oder weniger den Weg der Erwerbsunfähigkeitsverrentung einschlagen werden. Deswegen ist es richtig, daß man hier eine symmetrische Absenkung vorgenommen hat. Wie weit in jüngeren Jahren das Risiko derzeit abgesichert ist, ist in der Tat eine Frage, über die wir noch einmal nachdenken sollten; das werden wir in den Anhörungen sicherlich noch untersuchen. Der Weg über die Erwerbsunfähigkeitsrente aber, den wir den Menschen im vorgerückten Alter vor der Rente anbieten könnten, ist mit Sicherheit reformbedürftig. Ich komme nun noch zu dem Bundeszuschuß: Er ist nicht zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen gedacht ({3}) - das möchte ich hier noch einmal festhalten -; denn er deckt die versicherungsfremden Leistungen ab. ({4}) - Ich weiß, es gibt diese Horrorkataloge. Sie brauchen sie sich nur einmal kritisch anzusehen; dann stellen Sie fest, daß die Argumentation nicht stimmt. Wenn der Kriegsopferanteil sinkt - davon gehen wir alle einvernehmlich aus -, dann wird der Bundeszuschuß auch noch andere Leistungen abdecken können. Uns geht es bei diesem durch Steuern erhöhten Bundeszuschuß um eine schnelle Entlastung des Beitragssatzes. Deswegen sagen wir: Dieses Geld verwenden wir zum Senken des Beitragssatzes in der Rentenversicherung.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Dr. Babel, selbst der Staatssekretär Kraus hat uns eine Liste über versicherungsfremde Leistungen vorgelegt, die, glaube ich, 102 Milliarden DM umfaßt. Der Bundeszuschuß beträgt - das wissen Sie doch auch - nur 65 Milliarden DM. Da besteht also eine Diskrepanz, da der Bundeszuschuß noch lange nicht so hoch wie die versicherungsfremden Leistungen ist. Wie kommen Sie dann zu der Äußerung, die Sie gerade eben gemacht haben?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir ist nicht in Erinnerung, Herr Kollege Dreßen, daß Herr Staatssekretär Kraus sich dem Katalog des VdR angeschlossen hat. Im Grunde genommen wird dieser Katalog von der Bundesregierung - der Bundesarbeitsminister nickt - sehr kritisch gesehen. Vielleicht ist aber in dieser öffentlichen Debatte nicht der Ort, an dem wir das einmal genauer untersuchen. ({0}) - Ich weiche überhaupt nicht aus. Für mich ist nur eines ganz sicher - dazu komme ich gleich -, daß nämlich die Familienleistungen nicht versicherungsfremd sind und nicht in den Katalog hineingehören. ({1}) Das möchte ich einmal ganz deutlich sagen. Was die anderen Punkte angeht, so halte ich diesen Katalog nicht für richtig. Das, was wir an versicherungsfremden Leistungen aufgeführt haben, ist voll abgedeckt. In den Punkten, in denen Sie sagen, es sei nicht abgedeckt, wollen wir durch Reformen, die wir eingeleitet haben, alles in diesem finanziellen Rahmen halten. Wie gesagt, in Zukunft wird der Bundeszuschuß mehr abdecken als heute, weil die Kriegsfolgelasten absinken. Jetzt komme ich zum Stichwort Familienleistungen und Kindererziehung.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, Frau Abgeordnete, wenn Sie jetzt noch zu einem neuen Stichwort kommen. Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte nur an den Satz von Herrn Arbeitsminister Norbert Blüm anknüpfen, der sagte, Rente sei Lohn für Lebensleistung. Damit war immer gemeint, die Lebensleistungen bestünden aus den monetären Beiträgen; die Kindererziehung sei zwar etwas Hübsches, komme aber von außen und müsse aus Steuern finanziert werden. Diese Auffassung ist grundfalsch. In einem Umlageverfahren ist Kindererziehung ein echter Rentenbeitrag; dieser generative Beitrag gehört in das System hinein. In den Augen der F.D.P. gehört das also auch im System finanziert. ({0}) Wir haben in dieser Frage in der Koalition noch keine Entscheidung getroffen; sie steht noch aus. Aber aus unserer Sicht sollte man die Finanzierung innerhalb des Systems entweder zwischen den Beitragszahlern oder zwischen den Rentnern vornehmen. Es wäre nicht richtig, eine neue Solidargemeinschaft, nämlich die der Steuerzahler, dazu heranzuziehen. Jetzt nur ganz kurz zur Opposition: Die SPD hat ein Rentenmodell wie einen Geschenkkorb aus der Feinkostabteilung arrangiert: 15 Milliarden DM aus Steuermitteln heute, 15 Milliarden DM aus Steuermitteln für Familienleistungen morgen, 7 Milliarden DM von der Bundesanstalt für Arbeit, 1,8 Milliarden DM aus der Unfallversicherung, 3 Milliarden DM von den Arbeitgebern für die Frühverrentung, 6 Milliarden DM für die Rückkehr zur alten Anrechnung - mehr, mehr, mehr. Damit lassen sich natürlich alle Probleme leicht-locker-flockig lösen. Aber Sie treiben damit eine Illusionspolitik, die von einem verdummten Bürger ausgeht, meine Damen und Herren. ({1}) Der Generationenvertrag spielt für Sie keine Rolle, das Heer der Arbeitslosen auch nicht; denn mit diesen aufgeblähten Sozialmaßnahmen nehmen Sie ihnen alle Chancen auf Rückkehr in die Arbeitswelt. Ihr Rentenmodell ist ein Fata-Morgana-Modell. Ihre Ankündigung, alle Sparmaßnahmen wieder rückgängig zu machen, ist verantwortungslos. Niemanden dürfen Sie für so dumm halten, daß er das glaubt. Die Rentenversicherung erhält man nur mit einer Politik, die den Mut aufbringt, hier auch Reformen und Sparmaßnahmen durchzuführen. Die Vorlage der Koalition erfüllt diesen Anspruch. Ich bedanke mich. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat die Abgeordnete Petra Bläss, PDS.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Blüm, die große Übereinstimmung und die Einigkeit in der Rentenreformdebatte, die Sie hier wieder heraufbeschworen haben, existiert doch schon längst nicht mehr. ({0}) Sie waren es, die den Konsens verlassen haben und zum Generalangriff auf das System der solidarischen Rentenversicherung geblasen haben; denn was Sie uns heute als Gesetzespaket vorgelegt haben, ist eben keine, wie Sie sagen, behutsame Weiterentwicklung. Herr Minister Blüm, ausgerechnet der Opposition vorzuwerfen, sie führe die Menschen in die Irre, ist schon ein starkes Stück. Es waren schließlich Koalitionspolitikerinnen und Koalitionspolitiker, die das ganze Jahr über allwöchentlich - möglichst noch am Sonntag - mit neuen Kürzungsvorschlägen kamen und die Leute in diesem Lande verunsichert haben. ({1}) Die PDS fordert Koalition und Bundesregierung auf, den vorgelegten Gesetzentwurf für die sogenannte Rentenreform 1999 zurückzuziehen. Der Gesetzentwurf beruht auf falschen Prämissen und wird den eigentlichen Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. ({2}) Wir fordern Sie auf, statt weitere Einschnitte vorzunehmen, schnellstens die rechtlichen Regelungen des Rentenkonsenses 1992 wieder herzustellen, die finanziellen Engpässe durch einen erhöhten Bundeszuschuß zu beseitigen und ein gleiches Rentenniveau in Ost und West zu schaffen. ({3}) Auf dieser Basis sollte der Bundestag eine Kommission einsetzen, die aus den Vorschlägen aller Parteien, von Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen eine wirklich zukunftsorientierte Reform für die gesetzliche Rentenversicherung erarbeitet. ({4}) Eine Reform, die nicht nur die jetzige Rentnerinnen- und Rentnergeneration berührt, sondern die auch die Alterssicherung der heute 30jährigen und Jüngeren betrifft, sollte in einem breiten gesellschaftlichen Konsens erarbeitet werden. ({5}) Voriges Jahr, als Bundesminister Blüm noch stereotyp behauptete, die Renten seien sicher, forderte die PDS ein Rentenmoratorium, das kurzfristige Änderungen untersagen und eine Reform für die kurz-, mittel- und langfristigen Probleme einleiten sollte. Das wurde damals in diesem Hause abgelehnt. Seit Beginn dieses Jahres wurde nun eine unsägliche Reformhysterie erzeugt, die seriöser Arbeit abträglich ist. Sie mißbrauchen einen von der Politik verursachten finanziellen Engpaß, um einen akuten Handlungsbedarf für die Jahre 2020 bis 2040 zu suggerieren, den es aus rentenpolitischer Sicht so nicht gibt. ({6}) Es stimmt, daß die Rentenversicherung 1996 ein Manko hatte, weil der gewählte Beitragssatz nicht den anhaltenden Einbruch auf dem Arbeitsmarkt einkalkulierte. Mit der 97er Anhebung der Beitragssätze dürfte es aber gelingen, das Loch in der Schwankungsreserve zu stopfen. Aber insgesamt ist in den vergangenen Jahren eben kein exorbitanter Beitragsanstieg zu verzeichnen. Von einer Ausgabenexplosion kann also keine Rede sein. ({7}) Der Beitragssatz bewegt sich genau auf dem Pfad, der mit dem Rentenreformgesetz 1992 prognostiziert worden war, ({8}) obwohl bei dessen Verabschiedung die deutsche Einheit nicht einmal einkalkuliert war. Wenn der Bund seine staatliche Garantie erfüllen und die im Laufe der Jahrzehnte der Rentenversicherung übertragenen gesamtgesellschaftlichen Ausgaben sachgerecht ausgleichen würde, funktionierte die Rentenversicherung in ihrer heutigen Verfaßtheit bis zum Jahre 2015. Es bliebe also Zeit für einen seriösen Diskussionsprozeß. ({9}) Der geplante parlamentarische Galopp mit Anhörung in der Sommerpause, Sondersitzungen im. September und Abschluß sage und schreibe Anfang Oktober kann doch wirklich nur einem Ziel dienen: durch Änderungen der Änderungen im Sozialbuch VI noch mehr soziale Grausamkeiten unbemerkt durchzuschleusen, als jetzt schon ersichtlich ist. Da haben Sie ja mit dem Sparpaket im vergangenen Jahr schon Ihre Erfahrungen gemacht. Wie groß die Arroganz der Macht dieser Regierungskoalition ist, sieht man daran, daß die unüberhörbaren Proteste wie die eine Million gesammelten Unterschriften des VdK und die unzähligen Protestresolutionen anderer Verbände - erinnert sei an den BRH-Bundesvertretertag vergangene Woche, der unter dem Motto stand: „Eines ist sicher: Wir wehren uns!" - einfach ignoriert werden und daß Sie kraft Ihrer Mehrheit im Parlament ungehindert Ihre Vorstellungen durchzusetzen versuchen. ({10}) Auf das schärfste protestieren auch wir gegen das Vorhaben, mittels eines sogenannten Demographiefaktors das Rentenniveau abzusenken. Der Standardrentner mit 45 Arbeitsjahren zu immer durchschnittlichem Verdienst, der das Rentenniveau von 70 Prozent erreicht, ist mittlerweile - das wissen Sie selbst - ein statistischer Exot geworden. Wenn 55 Prozent der Männer und 95 Prozent der Frauen dieses Niveau bereits heute nicht mehr erreichen, droht vielen von ihnen schon jetzt Altersarmut. Eine weitere Absenkung wirkt folglich existentiell. Frau Kollegin Fischer von den Grünen, daß sich die Grünen mittlerweile auf diese Diskussion um Rentenkürzungen einlassen, zeugt doch davon, daß Sie von dem System der solidarischen Rentenversicherung Abschied genommen haben. ({11}) Wenn Sie der F.D.P. permanent Klientelpolitik vorwerfen, dann sage ich Ihnen: Das ist Klientelpolitik. Im übrigen entwickeln Sie sich hier schnurstracks dahin, Kronzeuge für die unsoziale Kürzungspolitik der Bundesregierung zu sein. ({12}) Wir meinen, daß die lebensstandardsichernde Funktion der gesetzlichen Rente erhalten und gestärkt werden muß und daß diese nicht zu einer Minimalversorgung degradiert werden darf. Höchste Zeit wird es, daß sich die Regierungskoalition endlich den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beugen und Kindererziehungszeiten additiv zu anderen zeitgleich vorhandenen Beitragszeiten anerkennen will. ({13}) Auch die stufenweise angehobene Bewertung mit dem Durchschnittseinkommen reicht noch nicht aus, sich damit zu brüsten, daß mit diesen Maßnahmen den Bleichlautenden Entschließungen von Bundestag und Bundesrat aus dem Jahre 1991 entsprochen wird. Es bleibt dabei, daß vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder nur mit einem Jahr bewertet werden. Das ist eindeutig zu wenig. Damit wird sich an der Situation vieler älterer Frauen eben nichts oder nicht sehr viel ändern. Für eine wirklich bessere Alterssicherung von Frauen bleibt in der Tat noch vieles zu tun. ({14}) Als besonders inhuman prangern wir die Veränderungen für Erwerbs- und Berufsunfähige sowie für Schwerbehinderte an. Den Berufsschutz völlig abzuschaffen, stundenweise Resterwerbsfähigkeit auf den ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt zu verweisen, das ist nicht Ausdruck von Risiskoverteilung, sondern einzig eine Sparorgie und ein Anreiz zur weiteren Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Zu Recht sprach gestern die BAG „Hilfe für Behinderte" davon, daß hiermit ein weiterer Schritt der Bundesregierung getan wird, fiskalische Probleme auf Kosten behinderter und chronisch kranker Menschen zu lösen. ({15}) Weiter geht es mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Nach dem späteren Rentenbeginn für Arbeitslose und Frauen folgt jetzt der für Schwerbehinderte und Langzeitversicherte. Dieser Weg ist bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage kontraproduktiv. ({16}) Die Abschläge für vorzeitige Inanspruchnahme sind unsozial. Meine Damen und Herren, mit den vielen Übergangsregelungen wird auch immer unübersichtlicher, wann jemand überhaupt in Rente gehen kann. Liebe Kolleginen und Kollegen, für die Perspektive der Rentenversicherung wird völlig einseitig ein demographisch determiniertes Bild gezeichnet: Sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung führen zur Verschiebung in der Alterszusammensetzung der Bevölkerung, was großen Einfluß auf die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung habe. Wesentlich sind doch vor allem aber die Einnahmen, also die Anzahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die Anzahl derer, die in versicherungspflichtiger Arbeit stecken. Völlig ausgeblendet werden die Veränderungen in der Arbeitswelt, wo künftig für alle erforderlichen Waren und Dienstleistungen immer weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Nachgedacht werden müßte unseres Erachtens, wie das dann produzierte Bruttoinlandsprodukt für die Sozialversicherungen erschlossen werden kann. ({17}) Es gibt neuartige Fragen, die nicht mit alten Methoden beantwortet werden können. Die Bundesregierung entwickelt aber nur bei Kürzungsvorschlägen einen unnachahmlichen Einfallsreichtum, nicht hinsichtlich neuartiger Finanzierungsquellen. Der daraus resultierende neoliberale Umbau des Sozialsystems muß gestoppt werden. ({18}) Deshalb legen wir in unserem Antrag Vorschläge vor, die die Rentenversicherung nicht nur erhalten, sondern auch armutsfest, gerechter und attraktiver machen sollen. Insofern machen uns auch die Anträge der anderen Oppositionsparteien bei aller Unterschiedlichkeit im Detail Mut, daß eine andere Politik in der Rente möglich wäre. Zieht man dann noch außerparlamentarisch entstandene Konzepte wie das der Volkssolidarität in Betracht, könnte man richtig Lust auf die Arbeit an einer Rentenreform bekommen. Kurz ein paar Splitter unserer Forderungen: Um das Rentenrecht für Frauen zu verbessern, setzen wir dort an, wo das Hauptproblem liegt. Ihre für die Gesellschaft verrichtete Leistung bleibt häufig unbezahlt und zu gering bewertet. Erwerbsarbeit wird zumeist zu gering bezahlt und bleibt unversichert. Deshalb fordern wir eine wesentlich höhere Anerkennung der Kindererziehungszeiten, die höhere Bewertung häuslicher Pflege, die modifizierte Beibehaltung der Rente nach Mindestentgeltpunkten, die Versicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde und die einschränkungslose Anerkennung von Zeiten von Arbeitslosigkeit und Weiterbildung. Ich möchte Sie daran erinnern, daß die PDS hier im Bundestag schon im vergangenen Jahr einen Antrag zur eigenständigen Alterssicherung von Frauen vorgelegt hat. ({19}) Erst dann stellen wir die Forderung nach einer bedarfsgerechten sozialen Grundsicherung für diejenigen, die keine existenzsichernde Rente erzielen. Für uns steht nicht Alimentierung, sondern Anerkennung von Lebensleistungen im Vordergrund. Unser Angebot für chronisch Kranke und eingeschränkt Leistungsfähige läuft auf aufeinander abgePetra Bläss stimmte, flexible Formen von gesundheitlicher Rehabilitation, Selbstverwirklichung im Beruf und ergänzende Rentenleistungen hinaus. ({20}) Menschen mit Behinderungen, die nie einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, sollen einen existenzsichernden Nachteilsausgleich erhalten. Um die lebensstandardsichernde Funktion der Rentenversicherung zu stärken, schlagen wir vor, das Eckrentenniveau künftig an die durchschnittlich erreichten Jahre von Erwerbstätigkeit zu binden. Die Selbstbestimmung befördern und den Arbeitsmarkt entlasten könnte ein flexibler Übergang in den Ruhestand auf Basis von Lebensarbeitszeitkonten. Wir bieten Ihnen an, darüber zu diskutieren. Eine wirkliche Reform wird aber ohne Umverteilung des produzierten Reichtums nicht möglich sein. Wichtig wäre für uns auch, die Versicherungspflicht auf alle auszuweiten, die Beitragsbemessungsgrenze deutlich anzuheben, um die Arbeitgeber und den finanziell leistungsstarken Teil der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft stärker in den Solidarausgleich einzubeziehen. ({21}) Die solidarische Rentenversicherung hat also Chancen. Wir müssen sie ihr nur geben. Danke. ({22})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Julius Louven, CDU/CSUFraktion.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. Januar des letzten Jahres wurde im Rahmen der Kanzlerrunde von Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern einmütig festgestellt: Der Standort Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Wenig später heißt es: Den Sozialstaat zu sichern und zu festigen ist gemeinsames Ziel und gemeinsame Aufgabe. Seine Finanzierungsgrundlagen müssen durch Reformen erhalten bleiben. Treffender kann das Hauptanliegen der Rentenreform 1999 nicht beschrieben werden. Vor diesem Hintergrund sollten wir nüchtern an die Bewältigung der Probleme herangehen. Polemik, Herr Kollege Dreßler, hilft hier nicht weiter. Zu welcher Polemik Sie fähig sind, haben Sie heute wieder bewiesen, aber auch vor drei Wochen in meinem Wahlkreis. Zu letzterem ist eigentlich noch eine Entschuldigung Ihrerseits fällig. Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist ein Stück Zukunftssicherung. Es geht darum, die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung in Übereinstimmung zu bringen mit den wirtschaftlichen und ({0}) - Rudolf, ich gebe dir das Papier schon einmal; dann kannst du es dir durchlesen ({1}) mit den demographischen Herausforderungen, weil nur auf diese Weise das soziale Ziel der Einkommenssicherung im Alter bei vertretbaren Beiträgen garantiert werden kann. Unser Reformkonzept erfüllt diese Anforderungen. Wir schützen nicht nur die Beitragszahler vor Überforderung, sondern sorgen zugleich dafür, daß die Renten auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Für mich ist wichtig, daß es nachvollziehbar zu einer Lastenverteilung zwischen Alt und Jung kommt. Ich denke, die älteren Menschen sehen ein, daß der Preis für das Älterwerden nicht allein von immer weniger Jungen durch immer höhere Beiträge gezahlt werden kann, während andererseits die Jungen erkennen sollten, daß sie unter geänderten demographischen Bedingungen zukünftig private Vorsorge für das Alter treffen müssen. Ihr Konzept, meine Damen und Herren von der Opposition und insbesondere von der SPD, genügt diesen Anforderungen nicht. ({2}) Sie, Herr Dreßler, haben inzwischen dazugelernt; denn als ich im Dezember 1994 hier im Bundestag auf Grund der Prognos-Zahlen davon gesprochen habe, daß wir die nächste Legislaturperiode, also diese, dazu nutzen sollten, eine weitere Rentenreform vorzubereiten und durchzuführen, haben Sie in Ihrer typischen Art von Besserwisserei erklärt, daß eine weitere Rentenreform objektiv nicht notwendig sei. Die Wirklichkeit hat Sie sehr schnell eingeholt. Zu Ihrer neuen Erkenntnis haben vielleicht auch die Jungen in Ihrer Partei beigetragen. Wenn man das Papier „SPD 2000 plus - Wir sind da" liest, erkennt man, daß die Jungen in Ihrer Partei Ihnen, Herr Dreßler, kräftig Dampf gemacht haben. Der Satz „Es reicht nicht aus, wenn sich alte Männer wechselseitig versichern, daß ihre Rente sicher ist, denn sie könnten nicht nur andere, sondern auch sich täuschen" muß Ihnen doch schon ganz schön weh getan haben. ({3}) Ebenfalls der Satz „Aber auch eine Korrektur von Rentenansprüchen im Falle steigender Beitragssätze und eine veränderte Besteuerung von Renten" zeigt mir, daß Sie nicht mehr allein der große Zampano in der Rentenversicherung sind. Herr Dreßler, heute morgen im Frühstücksfernsehen konnten Sie einen jungen Kollegen aus Ihrer Fraktion - ich sehe ihn jetzt leider nicht - hören, der sich massiv darüber beklagte, daß es nicht so weitergehen könne, daß die Jungen durch immer höhere Beiträge das Alterwerden bezahlen. ({4}) An dieser Stelle will ich gerne einmal darauf hinweisen, daß ich es sehr begrüße, daß sich junge Menschen - ob bei Ihnen oder bei uns in der Jungen Union, wie auch in politischen Versammlungen - zunehmend um das Thema Rente kümmern; ein Sachverhalt, den ich bis vor wenigen Jahren so nicht gekannt habe. Diese jungen Menschen bewegt die Frage, wie mit immer weniger Jungen eine immer längere Lebenserwartung der Alten finanziert werden kann. Es ist gut, daß auch die Jungen diese Debatte in politische Gremien hineintragen und sich daran beteiligen. Hauptanliegen Ihrer Rentenreform, meine Damen und Herren von der SPD - wenn man hier überhaupt von einer Rentenreform sprechen kann -, ist, die Rentenversicherung mit neuem Geld zu versorgen. Der Arbeitsminister hat dies hier schon sehr plastisch dargestellt. Dieses Geld wollen Sie von Arbeitnehmern, den Selbständigen, den Unternehmern, der Arbeitslosenversicherung und aus dem Bundeshaushalt. Ich will dafür einige Beispiele nennen. Sie wollen alle geringfügig Beschäftigten in der Rentenversicherung versicherungspflichtig machen, wogegen sich -aus guten Gründen - sogar die Rentenversicherungsträger wenden. Sie wollen die Versicherungspflicht letztlich auf alle Selbständigen ausweiten, was in der Tat zunächst Mehreinnahmen in einem erheblichen Umfange bringen würde. Sie verschweigen aber, daß hieraus natürlich auch Ansprüche entstehen, die später finanziert werden müssen. ({5}) Sie wollen - wie auch an vielen anderen Stellen - Einsparungen, die wir mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz durchgesetzt haben, im wesentlichen zurücknehmen ohne Rücksicht auf die Lohnzusatzkosten, deren Senkung Sie sonst so lautstark verlangen. ({6}) Die gestrige Debatte zum Thema Rehabilitation und Ihre Forderung, in diesem Bereich wieder kräftig draufzusatteln, um dann mit den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber Strukturpolitik zu betreiben, hat wieder einmal deutlich gemacht, wie wenig lernfähig Sie im Vergleich zu anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa sind. ({7}) Von Tony Blair und seinem Sieg bei den letzten Unterhauswahlen in Großbritannien sind Sie noch meilenweit entfernt. ({8}) Sie laufen tatsächlich Gefahr, die rückständigste sozialdemokratische Partei in Europa zu werden. ({9}) Schließlich gehen Sie notwendige Reformen nur halbherzig an. Zusammengefaßt lautet Ihre Botschaft: Einsparungen sind weitestgehend überflüssig. Es muß lediglich umfinanziert werden. Es muß frisches Geld aus anderen Quellen herbeigeschafft werden. Mit Zukunftssicherung hat dies nichts zu tun; um so mehr aber mit Wirklichkeitsverweigerung. Niemand, der noch ernstgenommen werden will, streitet mehr ab, daß zu hohe Lohnnebenkosten Arbeitsplätze gefährden. Deshalb war es richtig und mutig zugleich, daß Bundesregierung und die Sozialpartner in der von mir eingangs angesprochenen Kanzlerrunde vom 23. Januar das anzustrebende Ziel genau benannt haben. Es heißt in der gemeinsamen Erklärung: Die Sozialbeiträge müssen insgesamt bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zurückgeführt werden. Richtig ist diese Deckelung deshalb, weil wir ein konkretes Ziel brauchen, an dem sich unsere Reformen in der Sozialversicherung zugunsten der Arbeitsplätze messen lassen müssen. Mit Zahlenfetischismus hat das nichts zu tun. Trotz der im Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz umgesetzten Maßnahmen mußte der Beitragssatz zur Rentenversicherung in diesem Jahr von 19,2 Prozent auf 20,3 Prozent heraufgesetzt werden. Hätten wir die Einsparungen, die Sie, meine Damen und Herren von der SPD, im Falle eines Wahlsieges, den ich allerdings nicht sehe, wieder rückgängig machen wollen, nicht durchgesetzt, wäre der Anstieg des Rentenversicherungsbeitrags noch deutlicher ausgefallen. Trotz dieser Einsparungen, deren Durchsetzung natürlich auch uns nicht leichtgefallen ist, wird der Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr weiter ansteigen, womit deutlich wird, wie notwendig weiterer Handlungsbedarf in der Rentenversicherung ist. ({10}) Zweifellos hat die Entwicklung, die ich bereits 1994 angesprochen habe, viel mit der schlechten Konjunktur und der Arbeitsmarktlage und sicherlich auch mit den Belastungen infolge der Wiedervereinigung zu tun. Der weit verbreitete und nicht allein von der SPD genährte Glaube, daß sich die Situation für die Rentenversicherung nach Überwindung dieser Problemlagen wieder deutlich entspannen wird, führt jedoch in die Irre. Die Zukunft der Rentenversicherung kann langfristig nicht allein durch eine deutlich verbesserte Arbeitsmarktlage gesichert werden. ({11}) Die erheblich zu niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung, die ich natürlich jedem gönne, haben ein solches Gewicht, daß weder mit einer guten Beschäftigungslage noch durch eine deutlich steigende Erwerbsbeteiligung oder durch noch so hohe Zuwanderungszahlen langfristig ein starker Beitragsanstieg zu verhindern wäre. ({12}) Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, ehrlich und richtig, daß unser Konzept zur Rentenreform deutliche Einsparungen vorsieht; denn ohne diese Einsparungen erreichen wir die von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Bundesregierung einvernehmlich festgelegte Zielsetzung nicht. ({13}) In unserer Rentenreform sind es vor allem drei Schritte, die zur Beitragsstabilisierung beitragen: der zusätzliche Bundeszuschuß, die Reform der Erwerbsminderungsrenten und der Demographiefaktor. Dennoch ist die von uns angestrebte Rentenreform keine reine Sparreform; denn im Bereich der Familienleistungen kommen wir trotz angespannter Finanzlage zu Verbesserungen. Meine Kollegin Maria Eichhorn wird auf diesen Bereich noch eingehen. Lassen Sie mich daher jetzt zu den von mir angesprochenen drei Punkten kommen, die zur Beitragsstabilisierung führen. Auf Grund des erhöhten Bundeszuschusses müssen Sie nun endlich aufhören, davon zu reden, wir hätten nicht die Kraft und den Mut, sogenannte versicherungsfremde Leistungen auszugliedern. ({14}) Angesichts der Tatsache, Herr Dreßler und Herr Dreßen, daß Sie die letzte versicherungsfremde Leistung hier im Deutschen Bundestag noch mitbeschlossen haben, ist Ihre Argumentation an dieser Stelle ohnehin fadenscheinig. Dies ist es auch deshalb, weil eine Ausgliederung nicht bedeutet, daß sich diese Leistungen auflösen; vielmehr müssen sie aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, was wiederum zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies kann auf Grund der Absicht der Kanzlerrunde, die Gesamtstaatsquote zurückzuführen, nicht wünschenswert sein. Was die Erwerbsminderungsrenten angeht, so hatten Volker Kauder und ich vorgeschlagen, Neuzugänge nicht mehr im Rahmen des Umlageverfahrens, sondern im Rahmen der Kapitaldeckung zu finanzieren. Ich komme darauf zurück, weil der Vorschlag bezüglich der Kapitaldeckung, der auch bei der Kollegin Fischer eben eine Rolle spielte, nicht nur in unseren Reihen, sondern auch in Ihren Reihen, vor allem bei Ihnen, Herr Dreßler, erheblichen Zuspruch gefunden hat. ({15}) Volker Kauder und ich haben uns für eine Kapitaldeckung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ausgesprochen. ({16}) Sie, Herr Kollege Dreßler, und andere plädieren hingegen für eine kollektive Kapitaldeckung innerhalb der Rentenversicherung. Dieser Vorschlag ist aus guten Gründen abgelehnt worden. Herr Professor Krupp, Mitglied der Rentenreformkommission der SPD, hat im Maiheft der „WSI-Mitteilungen" noch einmal wichtige Einwände gegen ein solches Verfahren untermauert. ({17}) Er weist erstens darauf hin, daß es bei einer kollektiven Kapitaldeckung in größerem Umfang zu einer unverantwortlichen staatlichen Machtausübung käme, zu einer Kapitalkonzentration, die mit den Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft unvereinbar wäre. ({18}) Er legt aber zweitens dar, daß eine private Kapitaldeckung in begrenztem und sicherlich noch auszubauendem Umfang durchaus sinnvoll ist. Letzteres wollten wir, Volker Kauder und ich, erreichen. Wir gehen nun mit unserer Reform bei der Erwerbsminderungsrente einen anderen Weg, den wir - wiederum Volker Kauder und ich - natürlich akzeptieren und unterstützen. Dabei - dies will ich hier offen sagen - sehen wir in diesem Teilbereich noch Beratungsbedarf. Hier wollen wir insbesondere die Anhörung abwarten, um möglicherweise im Gesetzgebungsverfahren zu modifizierten Regelungen zu kommen. ({19}) Den wichtigsten Einspareffekt erbringt der Demographiefaktor. Er bewirkt, daß sich der künftige Anstieg der Renten verlangsamt, was zu einer Verminderung des Rentenniveaus führen wird. Ausgeschlossen wird ein Absinken unter den Wert von 64 Prozent, ausgeschlossen werden auch Rentenkürzungen. Sie sollten daher endlich aufhören, dies zu behaupten. ({20}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, lehnen einen Rückgang des Rentenniveaus rundweg ab und wollen, wie ich zuletzt von Frau Mascher im WDR, aber auch von Herrn Dreßler hier hörte, dies zum Wahlkampfthema machen. Ich sage Ihnen: Davor haben wir keine Angst. ({21}) - Weil es notwendig ist, Herr Kollege Dreßen. - Die in dieser Frage sensibilisierten Menschen wissen, daß die Formel „mit 25 in Arbeit, mit 58 in Rente" mit immer weniger Beitragszahlern bei einer immer längeren Lebenserwartung nicht zu finanzieren ist. Interessant ist, daß die Gewerkschaften in dieser Frage erneut weiter sind als Sie. Die Auffassung von Herrn Schulte ist weithin bekannt. Weniger bekannt, aber heute morgen auch noch einmal durch Norbert Blüm bekannt gemacht worden, ist die Position von Herrn Standfest, ebenfalls DGB. Er hat sich vor der Hauptversammlung des VdR vor sechs Wochen - Sie müssen hier nicht mit Äußerungen vom vorigen Jahr kommen, Herr Dreßler ({22}) wie folgt geäußert - das zeigt auch, daß er lernfähig ist -: Bei gleichbleibendem Recht wird der aktuelle Rentenwert im Jahr 2030 rund 109 DM betragen. Infolge des demographischen Faktors würde sein Anstieg auf 103 DM abgebremst. Diese 6 DM, die 5,8 Prozent entsprechen, sind die Gegenleistung dafür, daß die Rente dann mehr als zwei Jahre länger als heute gezahlt werden muß. Ein Durchschnittsverdiener muß heute 27 Jahre lang Beiträge entrichten, um eine Rente zu erhalten, die die Sozialhilfeschwelle für Rentner übersteigt. Wenn der aktuelle Rentenwert schon heute 5,8 Prozent niedriger wäre, müßte er 28,5 Jahre Durchschnittsbeitrag entrichten. Soweit Herr Standfest.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Louven, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn der Herr Dreßler sich für seine Entgleisungen bei mir entschuldigen will, ja; ansonsten lasse ich von ihm keine Zwischenfrage zu. ({0}) Ich nenne die Äußerungen des Herrn Standfest eine nüchterne Auseinandersetzung mit unserem Vorschlag. Sie unterscheiden sich wohltuend vom Katastrophenszenario, das Sie, Herr Dreßler, anstimmen. Was Sie tun, ist alles andere als sozialpolitisch verantwortbar. An dieser Stelle noch einmal: Der Preis fürs Älterwerden kann nicht alleine von den Jungen bezahlt werden. Dafür haben die Älteren Verständnis, und dies werden wir im Wahlkampf schon deutlich machen. Ich will ergänzend darauf hinweisen, daß die Grünen eine Absenkung des Rentenniveaus für vertretbar halten, und zwar ebenfalls herbeigeführt durch einen Faktor, der die steigende Lebenserwartung berücksichtigt. Gewerkschaften, Bündnis 90/Die Grünen, die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten - und das können Sie nicht bestreiten, Herr Dreßler - Simonis, Schröder und Beck und der rheinland-pfälzische Sozialminister, unser früherer Kollege Gerster, sind weiter als Sie, Herr Dreßler, mit Ihrer ideologisch fixierten Position. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten auch diese unbestreitbar notwendige Reform im Konsens machen können. Einen Konsens um jeden Preis wird es mit uns nicht geben, und einen Konsens, der die notwendigen Schritte weiter verwässert, ebenfalls nicht. Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist ein Stück Zukunftssicherung, und ich betone noch einmal: Die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung muß in Übereinstimmung gebracht werden mit den wirtschaftlichen und demographischen Herausforderungen, ohne Beitragszahler und Rentner zu überfordern. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich gehalten, nach einer weiteren Unwahrheit des Kollegen Louven eben vom Rednerpult aus hier etwas klarzustellen. Ich habe hier bereits Repräsentanten wie den Ministerpräsidenten Beck und den Ministerpräsidenten Schröder und ihre Auffassung zu dieser Thematik wörtlich zitiert. Ich habe auch ein Zitat von Herrn Dr. Standfest eingebracht. Herr Louven hat gerade behauptet, daß dieses Zitat aus dem Jahre 1996 stamme. Ich weise, wie ich auch in meiner Rede gesagt habe, darauf hin, daß es der Mai 1997 war. Herr Louven, wenn Sie die Dinge unbedingt verdrehen wollen, dann machen Sie das außerhalb des Parlaments. Hier müssen Sie sich die Korrekturen gefallen lassen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Louven, Sie können antworten, wenn Sie dies wünschen.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dennoch, Herr Dreßler, bleibt richtig, was ich hier gesagt habe, daß sich Herr Standfest vor vier oder fünf Wochen - ich habe das genaue Datum nicht präsent - vor der Hauptversammlung des VdR in dem Sinne geäußert hat, wie ich es hier eben vorgetragen habe.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile jetzt der Abgeordneten Ulrike Mascher, SPD-Fraktion, das Wort.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor zwei Tagen haben wir hier im Bundestag eine Debatte erlebt, der auch in der Öffentlichkeit die Bewertungen „würdig", „ernsthaft", „nachdenklich" und „behutsam" gegeben wurden. Ich frage mich: Warum gelingt uns das beim Thema Transplantation? Warum aber, Herr Arbeitsminister - Sie haben zur Freude des Kanzlers den Ton für diese Debatte vorgegeben -, ist das bei der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung so schwierig? Auch das geht die Menschen ganz existentiell an. Auch das betrifft ihre persönliche Würde. ({0}) 80 Prozent der Bürger und Bürgerinnen sind in der gesetzlichen Rentenversicherung, ein Drittel davon ist ausschließlich auf die Leistungen dieser Alterssicherung angewiesen. Auch für die meisten, die neben der Rente noch ein Alterseinkommen beziehen, ist die Rente die entscheidende, die tragende Säule. Die Zukunft der Rentenversicherung geht uns alle an. Die Rentnerinnen und Rentner sind unsere Mütter und Väter. Ich denke, wir sollten so diskutieren, daß wir sie in ihrer Würde nicht verletzen; ({1}) Heute sind zum Glück nicht Begriffe wie „Alterslast" und „Rentnerschwemme" gefallen. Wir sind uns sicher hier im Hause darüber einig, daß sie auch nicht angebracht sind. ({2}) Die Kinder, die künftigen Beitragszahler, fragen uns: Wie soll es weitergehen? Ist die Rentenversicherung wirklich am Ende? Was bedeutet die demographische Entwicklung tatsächlich? - Wir sollten sie nicht durch demographische Horrorszenarien noch schwärzer in die Zukunft blicken lassen, als sie das schon jetzt manchmal tun. Das Vertrauen in den Sozialstaat baut nämlich ganz entscheidend auf dem Vertrauen in die Rentenversicherung auf. Nicht ohne Grund hat die Bundesregierung bei der Realisierung der deutschen Einheit so entschieden auf die gesetzliche Rentenversicherung gesetzt. Bei aller Kritik am Verfahren der Rentenüberleitung: Die Überführung der DDR-Rentenansprüche ist unbestritten eine große Leistung der solidarisch, im Umlageverfahren finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung. Ich frage mich und diejenigen, die das Kapitaldeckungsverfahren so favorisieren: Wie hätte das bei einem Kapitaldeckungsprinzip, zum Beispiel wie bei einer privaten Lebensversicherung, ausgesehen? ({3}) Der Prozeß der Vereinigung zeigt auch: Die beitragsfinanzierte, solidarische Rentenversicherung bekommt Probleme, wenn ihr über den internen solidarischen Ausgleich hinaus Leistungen in Milliardenhöhe aufgebürdet werden, die von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen. Es war ein Fehler, die Rentenversicherung mit bis zu 30 Milliarden DM zu belasten, die auf der Beitragsseite 2 Prozentpunkte bedeuten - 2 Prozentpunkte, die die Arbeitskosten erhöhen, die Einkommen der Arbeitnehmer mindern und dazu beitragen, das Vertrauen in die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung zu schmälern. Oder glauben Sie, bei einem Beitragssatz von 18,3 Prozent hätten wir eine so massive Debatte über die Grenzen der Finanzierbarkeit der Rentenversicherung? Deshalb ist es notwendig, aber auch ordnungspolitisch richtig, die Rentenversicherung hier entscheidend zu entlasten. Die SPD hat dazu, anders als die Bundesregierung, konkrete Finanzierungsvorschläge vorgelegt. Sie hat nicht nur gesagt, Frau Dr. Babel: Mehr, mehr, mehr! ({4}) Wir alle wissen aber, daß es angesichts der langandauernden Arbeitslosigkeit, angesichts der tiefen Verunsicherung junger Menschen, die fürchten, keinen sicheren Arbeitsplatz zu finden, der ihren Fähigkeiten und ihrer Ausbildung entspricht, nicht ausreicht, nur - so wichtig das auch ist - die aktuellen finanziellen Belastungen der Rentenversicherung aufzufangen. Wir alle werden gefragt: Ist ein Alterssicherungssystem tragfähig, das in hohem Maße auf Erwerbstätigkeit bezogen ist? Wie reagieren wir auf die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses? Was bewirkt denn die immer geforderte Ausweitung von Teilzeitarbeit dann bei der Rentenversicherung? Etwa Armut im Alter? Was ist unsere Antwort auf die steigende Zahl von Patchwork-Erwerbsbiographien, die zwar wir Frauen seit langem kennen, die jetzt aber auch eine mögliche Zukunft von Männern zu werden drohen? Auf Zeiten von Vollzeitbeschäftigung folgen Zeiten der Teilzeitarbeit, Zeiten der Nichterwerbstätigkeit, der Arbeitslosigkeit, der versicherungsrechtlich ungeschützten Tätigkeit, Zeiten der Erziehung und der Pflege von Angehörigen. Das meine ich, wenn ich von Patchworkbiographien spreche. Das Ergebnis ist sicher nicht die Standardrente von 70 Prozent des letzten Einkommens, die nach 45 Beitragsjahren bei durchschnittlichem Einkommen erreicht wird. Diese Standardrente ist bereits heute eine Fiktion; denn die durchschnittlichen Beitragsjahre betragen bei Männern 39 Jahre und bei Frauen 25 Jahre. Absenkung des Rentenniveaus, versicherungsmathematische Abschläge bei vorzeitiger Verrentung - diese Antworten der Bundesregierung stärken nicht das Vertrauen in die Rentenversicherung. Die SPD sagt deshalb in ihrem Konzept: Alle Erwerbstätigen müssen in die Rentenversicherung einbezogen werden. Wir sind uns darüber im klaren, daß das natürlich auch Leistungen in der Rentenversicherung bedeutet. Wir brauchen außerdem ein Instrument zur Mindestsicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, um Altersarmut und Sozialhilfeabhängigkeit von Rentnerinnen und Rentnern zuverlässig zu vermeiden. Die SPD schlägt deshalb - schon seit langem, aber hier noch einmal ganz konkret - eine steuerfinanzierte, bedarfsabhängige soziale GrundsicheUlrike Mascher rung vor, um die gesetzliche Rentenversicherung auch für Menschen mit prekären und löcherigen Erwerbsbiographien als Alterssicherung zu erhalten. Aber auch diese notwendige Ergänzung der Rentenversicherung löst nicht alle Probleme des Arbeitsmarktes. Nur eine Kombination aus einer langfristig orientierten ökologischen Wachstumspolitik, einer koordinierten Geld- und Konjunkturpolitik in Europa, einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer beschäftigungsorientierten Arbeitszeitpolitik schafft die Chance für mehr Beschäftigung, für existenzsichernde Erwerbsarbeit von Frauen und Männern und für einen Einstieg in Ausbildung und Beruf. Wenn wir alle uns nicht mehr zutrauen, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu verringern, wenn wir als Politikerinnen und Politiker vor den Problemen der Strukturveränderungen der Wirtschaft resignieren, wenn wir vor der Notwendigkeit der politischen Rahmensetzung auch angesichts größerer offener internationaler Märkte kapitulieren und wenn wir auf die Veränderungen in der Altersstruktur nur mit Kürzungen - oder, freundlicher formuliert: mit Absenkung des Rentenniveaus - reagieren, dann wird es schwierig mit einer Altersicherung, die allen Bürgern und Bürgerinnen eine zuverlässige materielle Existenzbasis im Alter bieten soll. ({5}) Aber dann geraten auch alle anderen Formen von privater individueller Absicherung ins Schlingern. Zuverlässigkeit und Verläßlichkeit sind Schlüsselbegriffe für die Alterssicherung. Daraus erwachsen ihre Akzeptanz und die Legitimation, über viele Jahre hinweg Beiträge einzufordern. Aber viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich, ob die gesetzliche Rentenversicherung wirklich noch zuverlässig und verläßlich ist, wenn sie erleben oder erleiden müssen, wie im letzten Jahr mit einem Gesetz, dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, ihre Lebensplanung umgestürzt wird. Frauen, die sich 1989 auf den behutsamen Anstieg der Altersgrenzen - entsprechend dem Rentenreformgesetz 1992 - eingerichtet hatten, stellen fest, daß diese als Vertrauensschutzregelung gedachte zehnjährige Übergangsfrist plötzlich halbiert wurde, daß Anrechnungszeiten für ihre Ausbildung erneut gekürzt wurden und die Höherbewertung der ersten vier Berufsjahre entfallen ist. Vielen Frauen sind erst im Laufe der letzten Monate, nachdem sie eine entsprechende Rentenauskunft eingeholt haben, die Folgen dieser Regelungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes bewußt geworden. Ich weiß von Frau Nickels, der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, daß sich bereits eine große Zahl von Petitionen gegen diese Kürzungen von Rentenanwartschaften wenden, die teilweise bis zu 400 DM betragen. Wer die Durchschnittsrenten von Frauen kennt - 825 DM in den alten Bundesländern -, kann sich vielleicht vorstellen, wieviel Zorn, aber auch Vertrauensverlust für die Rentenversicherung daraus erwächst. Nur noch eine Information: Der Arbeitsminister hat darauf hingewiesen, daß die Renten nicht das alleinige Alterseinkommen sind. Aber für 10 Prozent der Frauen beträgt das Renteneinkommen - als alleiniges Alterseinkommen -- weniger als 1 000 DM. Das jedenfalls besagt die Untersuchung „Alterseinkommen in Deutschland" von Infratest. Man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn dann bis zu 400 DM wegfallen. Die SPD wird wegen der von mir kurz skizzierten Auswirkungen besonders auf Frauenrenten die Ausbildungsanrechnungszeit und die Höherbewertung der ersten Berufsjahre wiederherstellen, allerdings nur soweit die Standardrente mit 45 Entgeltpunkten nicht überschritten wird. Also auch hier geht es nicht einfach um „Mehr, mehr, mehr!", sondern ganz gezielt darum, Maßnahmen des sozialen Ausgleichs, die notwendig sind, wiederherzustellen. Wir wollen diesen Ausgleich und berücksichtigen dabei auch, daß längere Ausbildungszeiten nicht mehr zuverlässig in eine kontinuierliche, existenzsichernde Erwerbstätigkeit einmünden. Wir sehen also durchaus die Notwendigkeit, sich auf veränderte Erwerbsbiographien einzustellen. Wir sind nicht so betonköpfig, wie der Arbeitsminister behauptet. Was ist denn aus dem einstimmigen Beschluß des Bundestages von 1991 geworden - man mag es als Abgeordnete schon kaum mehr ansprechen -: endlich eine Rentenreform zugunsten von Frauen, eine bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die wirksame Bekämpfung von Altersarmut - ich füge für die SPD hinzu: eine Reform der Hinterbliebenenversorgung, orientiert an einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung in der Ehe, orientiert an den gesellschaftlichen Veränderungen im Zusammenleben von Menschen? - Leider Fehlanzeige beim Rentenreformgesetz 1999 der Bundesregierung! ({6}) Der Arbeitsminister muß feststellen: Eine Reform der Hinterbliebenenversorgung muß noch warten, weil erst 1998 die Ergebnisse einer Untersuchung vorliegen werden, die die notwendigen Datengrundlagen bringen soll. Es ist für mich als Abgeordnete nur schwer zu akzeptieren, daß sechs Jahre nach dem einstimmigen Beschluß offenbar wichtige Unterlagen für eine Gesamtreform der für Frauen besonders wichtigen Teile der Rentenversicherung nicht vorliegen. Aber möglicherweise können wir Frauen uns ja damit trösten, daß es nach den Erfahrungen mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vielleicht besser ist, wenn diese Reform nicht von der jetzigen Regierungsmehrheit gemacht wird, ({7}) weil es sonst vermutlich eher um die verschärfte Anrechnung von Hinterbliebenenrenten gehen würde und nicht um eine neue, eine gerechtere Verteilung von Rentenanwartschaften, die gemeinsam durch Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit erworben werden. Die SPD macht Vorschläge für eine von allen Frauen und allen Frauenverbänden lange geforderte bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Es hat Frauen zu Recht empört, daß KindererzieUlrike Mascher hungszeiten nur mit 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes bewertet wurden. Das wollen wir ändern. Auch Frauen, die trotz Kindererziehung erwerbstätig sind, sollen eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten erhalten. Das verlangt die Gerechtigkeit, aber auch das Bundesverfassungsgericht. Wir wollen darüber hinaus eine partnerschaftliche Teilung der in der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften, ergänzt durch eine Teilhabe von mindestens 10 Prozent und maximal 30 Prozent an der Anwartschaft des Ehepartners, um eine ausreichende soziale Sicherheit zu gewährleisten. Wir wollen damit mehr Gerechtigkeit zwischen den Ehepartnern erreichen und eine Anerkennung der veränderten Lebensplanung von jungen Frauen, die Familie und Erwerbsarbeit wollen und die eine partnerschaftliche Arbeitsteilung leben. Dieses Bild der partnerschaftlichen Teilung liegt unserem Konzept der gerechten Verteilung der Rentenanwartschaften zugrunde. Wir wollen hier einen langdauernden Übergang und Vertrauensschutz; denn gerade hier soll die bisherige Lebensplanung der über 40jährigen respektiert werden. Weil wir wissen, daß es immer mehr dauerhafte Partnerschaften ohne Eheschließung gibt, soll es die Möglichkeit geben, das Anwartschaftssplitting auch vertraglich zwischen Nichtverheirateten zu vereinbaren. Selbstverständlich soll es auch nach der Einführung des neuen Rechtes in ganz bestimmten, eng begrenzten Härtefällen weiterhin eine Hinterbliebenenrente geben, zum Beispiel wenn beim Tod des Ehepartners noch kleine Kinder betreut werden. Unser Konzept wird eine dauerhafte Verbesserung für diejenigen Frauen und Männer bringen, die lange Jahre beitragspflichtig, aber mit geringem Einkommen gearbeitet haben, zum Beispiel wegen der Erziehung von Kindern Teilzeitbeschäftigte; denn wir wollen die Rente nach Mindesteinkommen zum Dauerrecht ausgestalten und für Versicherte mit Kindern gezielt verbessern. Das Konzept der SPD zur Reform der Hinterbliebenenversorgung, verbunden mit der besseren Bewertung von Kindererziehungszeiten und der Ausgestaltung der Renten nach Mindesteinkommen gezielt auch für Mütter und Väter, wird sicher - und ich wünsche mir das - eine intensive Diskussion auslösen. Aber bitte nicht mit dem Argument, die SPD zerstöre die Ehe und schaffe die Standesämter ab. Ich möchte die CDU und ihren Arbeitsminister deshalb an eine Rede aus dem Jahr 1972 erinnern. Ich zitiere: Ein zukünftiges System muß so gestaltet werden, daß die Frau wie der Mann eigene Ansprüche durch eine lebenslange Versicherung erwerben kann. Dabei gilt es, Lücken zu vermeiden, die bisher in der Regel nach der Aufgabe einer Erwerbsarbeit und der Übernahme von Familienpflichten entstanden sind. Durch ein Splitting der während der Ehe beiden Ehegatten zugewachsenen Anteile kann verhindert werden, daß ein Partner benachteiligt wird. ({8}) Die Änderung unseres Rentensystems nach diesem Modell kann aber nur bei den jungen Jahrgängen wirksam werden, die sich von vornherein darauf einstellen und deren Lebenserwartungen schon viel stärker von dem Gedanken der Partnerschaft und der Eigenständigkeit geprägt sind. Besser, als es Maria Weber bereits vor 25 Jahren formuliert hat, kann Frau es nicht sagen. Maria Weber war Mitglied der CDU und im Bundesvorstand des DGB. Sie kam aus der katholischen Arbeiterbewegung und ist sicher nicht als eine Zerstörerin von Ehe und Familie zu diffamieren. ({9}) Ich möchte zum Schluß noch festhalten: Wir werden die Beratungen um eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Ziel führen, den Rentnerinnen und Rentnern die Sorge um ihre Altersrenten zu nehmen, und mit unserem Konzept der Strukturreform statt Leistungskürzung deutlich machen: Es gibt tragfähige Reformansätze. Wir schlagen deshalb auch fünf Optionen vor, wie wir nach heutiger Kenntnis die künftige Entwicklung der Rentenversicherung stabilisieren können. Eine dieser Optionen ist ein Vorsorgefonds, ein neues Instrument in der Rentenversicherung. Ich finde es ganz beachtlich, wie durchlässig der sozialdemokratische Beton sich hier zeigt. Ich bin sicher, daß wir mit unserem Konzept und mit unseren Optionen die Rentenversicherung und die Alterssicherung sicher ins nächste Jahrhundert bringen. Danke. ({10})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber, Bündnis 90/ Die Grünen.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, was die Rentenreform denn nun für die Frauen bietet. Als erstes haben wir als Ausgangspunkt die Anhebung des Rentenalters für Frauen festzustellen. Als zweites haben wir zu sehen: Es gibt Verbesserungen; bezüglich der Erziehungszeiten wollen Sie endlich statt 75 Prozent des Durchschnittseinkommens 100 Prozent anrechnen. Allerdings sehe ich da ein Problem für die Rentenversicherung selbst. Das wird schwierig zu realisieren sein, weil der Finanzminister will, daß dies aus dem System heraus und nicht durch weitere Zuschüsse finanziert wird. Wir haben auch positiv zu vermerken, daß es nun endlich die vom Bundesverfassungsgericht verlangte additive Anrechnung von Erziehungszeiten und gleichzeitiger Erwerbstätigkeit gibt. Das heißt, die Benachteiligung von erwerbstätigen Müttern wird aufgehoben. Dies ist alles wichtig und richtig, und ich verkenne die Bedeutung dieser Punkte nicht. Aber was ist denn die eigentliche Anforderung an die Reform? Frau Mascher hat bereits auf die Selbstverpflichtung des Parlaments hingewiesen: Es geht um die eigenständige Alterssicherung von Frauen. Die Verbesserung für Mütter kann da ein Mosaikstein sein, aber sie weist darauf hin, welchen blinden Fleck die Regierung hier hat; denn nicht alle Frauen sind Mütter. Und selbst wenn sie es ausschließlich wären, könnten sie über die Erziehungszeiten allein kaum zu einer ausreichenden Rente kommen, selbst dann nicht, wenn man das traumtänzerische Modell der PDS zugrunde legen würde. ({0}) Was eine Reform leisten muß, um Weichen für eine angemessene eigenständige Alterssicherung für Frauen zu stellen, ist, sich mit den Lebens- und Erwerbsverläufen von Frauen auseinanderzusetzen. Da hat sich unheimlich viel geändert. In den letzten 30 Jahren haben die Frauen viel in Bildung investiert. Aber was tun Sie? Jetzt, wo die Frauen aufgeholt haben, wird an der Stelle zurückgefahren. Frauen arbeiten oft Teilzeit. Sie stellen 90 Prozent der Teilzeitarbeitenden und zahlen dafür einen hohen Preis; denn trotz enormer Belastungen haben viele nur ein armutsnahes Einkommen. Das Rentensystem, Frau Babel, spiegelt diesen einseitigen Leistungsbegriff wider; denn Rente als Lohn für Lebensleistung spiegelt die Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt wider. Unbezahlte Arbeit wird nicht genügend berücksichtigt. Bei der bezahlten Arbeit sind die Frauen diskriminiert. Wir wissen es doch: Selbst wenn Frauen genauso lange erwerbstätig waren wie Männer, haben sie noch immer etliche 100 DM weniger im Geldbeutel bzw. auf ihrem Rentenbescheid als die Männer. Der Rentenbescheid - das hat Herr Blüm hier ausgeführt - sagt natürlich noch lange nichts über die wirkliche Sicherung im Alter aus. Er schweigt über private Vermögensverhältnisse und über mögliche Betriebsrenten. Auf diese Elemente verweist die Bundesregierung zunehmend. Wer mehr will, soll mehr vorsorgen. Dafür muß man dann aber auch die Rahmenbedingungen schaffen. Wir tun das mit unserem Steuerkonzept und stellen die Vorsorgeaufwendungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze steuerfrei. Frau Babel, das ist etwas anderes, als das bei der Lebensversicherung anzurechnen. ({1}) Aber selbst dieser Appell bleibt für die Frauen in den allermeisten Fällen zynisch; denn ihre Einkommen reichen kaum für zusätzliche Aufwendungen. Wie sieht eine Rentenreform aus, die diesen Namen für Frauen verdient? Sie darf die Diskriminierung vom Arbeitsmarkt nicht ungebrochen fortsetzen. Sie muß Teilzeit besser absichern, allerdings nicht nach der Devise: halbe Arbeit, volle Rente. So meinen wir das nicht. Die Brüche in den Erwerbsbiographien dürfen keine Einbrüche bei der Rente mehr bedeuten. Genau diese Elemente umfaßt das grüne Konzept. ({2}) Die SPD will das sogenannte Rentensplitting einführen. Das bedeutet, daß sich Mann und Frau die Rentenanwartschaften aus der Zeit der Ehe teilen. Ich habe da ein Problem; ({3}) denn ob durch das Rentensplitting wirklich ausreichende Rentenansprüche entstehen, ist ungewiß. Es ist ein Modell für Ehefrauen. Was der Arbeitsmarkt nicht hergibt, soll der Heiratsmarkt bieten. Zwar wollen Sie die nichteheliche Partnerschaft einbeziehen. Wie das aber in der Praxis funktionieren soll, ist noch unklar. Frauen ohne Partner schließt dieses Modell ganz aus. Für die Bewußtseinsbildung, daß beide etwas erworben haben, ist es sicher ein sehr positives Element. Aber - auch das muß man bedenken - in der Realität führt das Modell eher dazu, daß der Mangel aufgeteilt wird. Wenn ich die Reden der Kollegin von Renesse höre, die Erfahrungen im Scheidungsbereich hat, dann stelle ich fest: Bisher wird nur der Mangel verteilt. Wenn Sie da etwas entsprechend aufstocken wollen, stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll. Wenn Sie das nicht machen, bleibt es bei der Armut. Das allergrößte Rätsel, Frau Mascher, ist für mich dabei noch immer: Was ist daran eigenständig außer einem abgeleiteten Anspruch vom Ehemann? Eigenständige Alterssicherung soll doch wohl bedeuten, daß Frauen es aus eigener Kraft schaffen können, existenzsichernde Rentenanwartschaften aufzubauen. ({4}) Das grüne Konzept reagiert auf die gesellschaftlichen Umbrüche. Es greift die Lebenszusammenhänge der Frauen auf und bietet damit den besten Ansatz auf dem Weg zu einer eigenständigen Alterssicherung für die Frauen. Die Frauen sind bei uns nicht mehr diejenigen, die das Defizit haben. Sie sind nicht mehr diejenigen, die das Problem darstellen. Bei uns sind sie die Norm, an der sich die soziale Sicherung auszurichten hat. Vielen Dank. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Walter Hirche, F.D.P.-Fraktion. ({0})

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man über Rentenpolitik oder über Sozialpolitik diskutiert, dann muß man auch über deren Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik diskutieren. Es hat hier im Hause eine gemeinsame Auffassung gegeben, daß die Grundprobleme unserer Gesellschaft damit zusammenhängen, wie wir mehr Arbeitsplätze schaffen können, also wie wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen können. Ich denke, wir sind uns auch einig, daß die Lohnzusatzkosten und die Sozialversicherungsbeiträge dabei eine ganz wesentliche und zentrale Rolle spielen. Aus diesem Grunde beschäftigt sich die Koalition mit dem Thema der Begrenzung der Beiträge zur Rentenversicherung. Das ist angesichts der gestiegenen Lebenserwartung und der Probleme, die auf uns zukommen werden, notwendig. ({0}) Mir kommt in dieser Debatte der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ein wenig zu kurz, bei allem Verständnis dafür, daß Rentenpolitiker die Details der Rentenpolitik aushandeln. Aber das Wichtigste ist dieser Zusammenhang. Wenn wir jetzt nämlich die Sozialbeiträge senken können - Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, das langfristig in den Griff zu bekommen -, dann wollen wir damit insgesamt drei Ziele erreichen: Erstens. Wir senken die Arbeitskosten und verbessern damit die Voraussetzung für Beschäftigung. Das ist ein Beitrag zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Zweitens. Wir wollen die Zukunftsfähigkeit des Rentensystems sichern. Drittens. Wir wollen die derzeitigen Beitragszahler entlasten, und damit haben sie Mittel frei für eine langfristige private Zusatzvorsorge. Mit diesen drei Maßnahmen werden die Interessen aller Generationen berücksichtigt. Auf diese Weise können wir auch den Generationenvertrag auf eine neue Grundlage stellen. Wenn man die einschlägigen Papiere liest, dann muß man sagen, daß auch die SPD das Thema der Lohnzusatzkosten entdeckt hat. Aber wenn man sich die Lösung für dieses Problem anschaut, dann stellt man immer wieder fest, daß es dort zwar heißt, daß die Finanzierungsprobleme durch eine langfristig angelegte Strategie zur Erhöhung der Beschäftigung gelöst werden müßten. Das würde sich noch mit dem decken, was ich eben gesagt habe. Aber dann folgen immer Überlegungen, von denen man nur sagen kann, daß sie einem Horrorszenario für den Standort Deutschland entstammen. Ich denke etwa daran, daß wir Flexibilität in unserer Gesellschaft nicht nur erhalten, nein, vergrößern müssen. Das Vorhaben, Selbständigkeit und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse der Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen, würde den deutschen Arbeitsmarkt eines der wenigen Instrumente zur Erreichung von Beweglichkeit berauben, die er gegenwärtig überhaupt noch hat. ({1}) Daß Sie diese Forderung gar noch mit dem Hinweis auf die Beseitigung falscher Anreize begründen, zeigt, daß zumindest die Autoren des SPD-Rentenpapiers von den Problemen der Wirtschaft Schlichtweg keine Ahnung haben. Ich möchte nicht wissen, was die hier heute schon öfter zitierten Herren Clement und Schröder oder Herr Mosdorf aus Ihrer Fraktion - ihn greife ich auch einmal heraus - zu einer solchen Position sagen würden. ({2}) - Herr Geißler, es ist ja immer noch erlaubt, einmal deutlich zu machen, daß es Widersprüche in einer Fraktion gibt, die für sich in Anspruch nimmt, wegweisende Lösungen zu haben. ({3}) Ich denke, daß wir immer wieder aufzeigen müssen, daß das kein Rezept für die Zukunft ist. Wir brauchen Deregulierung und keine weitere Regulierung; das wäre ein Bärendienst an den Arbeitslosen. Wir Freie Demokraten sind auch dagegen, daß unter dem Deckmantel sogenannter Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen Verschiebebahnhöfe eröffnet werden. Dies führt doch nur zu neuen Begehrlichkeiten und früher oder später dann zu Steuererhöhungen. Höhere Steuern würden weitere Arbeitsplätze aus dem Land treiben und den Freiraum für private Vorsorge nicht erweitern, sondern einengen. ({4}) Was sind denn überhaupt die als versicherungsfremd bezeichneten Leistungen? Frau Babel ist darauf ja schon eingegangen. Die Frage lautet zum Beispiel: Wäre der Beitragssatz zur Rentenversicherung niedriger, wenn wir in Deutschland keine Aussiedler aufgenommen hätten? Denn diese Beiträge tauchen dann ja immer in der Liste sogenannter versicherungsfremder Leistungen auf. Dazu muß man sagen: Das Gegenteil ist der Fall; hätten wir keine Aussiedler in Deutschland, fiele der Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte höher aus. ({5}) - Einen Satz noch. Das heißt, die Ausgaben für die eingewanderten Rentner werden durch die Leistungen der ebenfalls eingewanderten Beschäftigten mehr als kompensiert. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Andres?

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Von dem Hannoverschen Kollegen Andres immer.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hirche, darf ich Sie fragen, ob Sie gerade zum Koalitionsentwurf gesprochen haben? Im Koalitionsentwurf ist ja die Aufstokkung des Bundeszuschusses um 15 Milliarden DM enthalten. ({0}) Wir stellen uns immer die Frage, wie das gegenfinanziert werden soll. Da Sie ein Koalitionsredner sind, sprechen Sie doch sicherlich über Ihren eigenen Entwurf. Oder worüber haben Sie gerade geredet? ({1})

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

So ist es, Herr Kollege Andres. Ich spreche zu diesem Entwurf und Ihrer These von den versicherungsfremden Leistungen. Ich wollte dabei deutlich machen, daß wir eine Gesamtrechnung aufmachen müssen, daß nämlich die Leistungen, die in diesem Fall an Aussiedler gezahlt werden, weit unterhalb dessen liegen, was die Kinder von Aussiedlern oder aktive Aussiedler in das System insgesamt einzahlen. Wir haben also an dieser Stelle, wenn Sie so wollen, einen versicherungsfremden Überschuß. Das war das Thema, das ich hier deutlich machen wollte. Ich freue mich, daß ich das auf Grund Ihrer Zwischenfrage unterstreichen konnte. ({0}) Lassen Sie mich zu den Bundeszuschüssen deutlich sagen: Es gibt nicht nur Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, sondern auch zur Knappschaft und zur landwirtschaftlichen Rentenversicherung. Viele Söhne und Töchter von Bergarbeitern und Landwirten arbeiten nicht im Bergbau oder in der Landwirtschaft, sondern sind Beitragszahler bei der Arbeiter- oder Angestelltenversicherung. Fairerweise müßten die Zuschüsse zu all diesen Systemen zusammengerechnet werden. Eine sachgerechte Diskussion mit sauberen Berechnungen der versicherungsfremden Leistungen und eine Berechnung aller Bundeszuschüsse zu den Rentenversicherungssystemen könnte damit enden, daß schon heute die Bundeszuschüsse die versicherungsfremden Leistungen übersteigen. Wenn wir, Herr Kollege Andres, darüber diskutieren, mit Steuermitteln eine weitere Verringerung der Lohnzusatzkosten zu erreichen, dann hat das in erster Linie mit dem Thema Arbeitsplätze und Entlastung bei den Lohnzusatzkosten ({1}) und nicht mit Ihrer Argumentation, das sei versicherungsfremd, zu tun. So laufen die Vorschläge der SPD darauf hinaus, die Einnahmen der Rentenkasse zu erhöhen, indem sie die Erwerbstätigen und die künftige Generation höher belasten. Frau Fischer hat vorhin dazu besonders deutlich Stellung genommen. Die Vorschläge der Sozialdemokraten oder die Dreßlerschen Vorschläge - ich sage es vielleicht lieber eingeschränkt - suggerieren mit simplem Populismus, daß man so weitermachen kann wie bisher. Aber wir brauchen eine Begrenzung der Ausgaben, um Beitragsstabilität und Rentensicherheit zu gewährleisten. Wenn die Pläne der SPD realisiert würden, bedeutete dies, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den nächsten Jahren gegenüber den Vorschlägen der Koalition mehr als 60 Milliarden DM aufbringen müßten. Das wäre eine Abkehr von jeder Politik der Arbeitsplatzsicherung. ({2}) Die F.D.P. hält an ihrem Ziel der Beitragsstabilität und der langfristigen Absenkung der Beiträge fest, weil nur so der arbeitsplatzvernichtende Anstieg der Lohnzusatzkosten gestoppt werden kann. Das Rentenniveau sinkt, und die Renten werden wegen einer Verteilung des Anspruchs auf mehr Lebensjahre langsamer steigen. Es ist höchste Zeit, Wirtschafts- und Sozialpolitik endlich wieder als Einheit zu sehen. ({3}) Eine nur halbherzige Rentenreform, die das Ziel der Beitragssenkung verfehlte, würde Chancen für mehr Beschäftigung zunichte machen; denn die Arbeitslosen sind durch jede Entscheidung zur Rentenreform unmittelbar betroffen. Insofern ist Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Rentenversicherung eine wesentliche Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze in Deutschland und die Zukunftsfähigkeit des gesamten Rentensystems. Dieser Zusammenhang ist in den Diskussionen über die Rentenreform von den Sozialdemokraten leider immer wieder verwischt worden. Das Konzept der SPD - Herr Andres, ich weiß, daß Sie das persönlich nicht wollen - ist ein Abschied aus der Verantwortung für eine Politik für mehr Arbeitsplätze. Klar ist auch, daß es nur einen Konsens über die tatsächliche Lösung der Probleme und keinen Formelkompromiß geben kann. Aus wirtschaftspolitischer Sicht bedeutet das: Alle Maßnahmen, die die Kosten für die Rentenversicherung in die Höhe treiben, haben katastrophale Folgen für den Standort Deutschland und die Arbeitsplätze. Trotz dieser Grundsatzkritik fordern wir Sie auf, in den nächsten Gesprächsrunden daran mitzuwirken, daß wir eine gemeinsame Lösung finden. Es muß aber eine Lösung sein, die den Fakten standhält und nicht Dinge für machbar erklärt, die eigentlich nur wünschbar sind. Ich hoffe, daß wir zu dieser gemeinsamen Lösung kommen. Vielen Dank. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Weiterentwicklung der Rentenversicherung ist eine sozial- und gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges. Die Rentenreform ist für mich nicht zuletzt deswegen von ganz besonderer Bedeutung, weil sie wie keine andere Aufgabe die Belange von Familien, Senioren, Frauen und Jugend miteinander verknüpft. Nach sehr intensiver Vorarbeit, aus einer schwierigen Gemengelage und aus den unterschiedlichsten Interessen und Anliegen heraus ist es uns gelungen, die Reform auf den parlamentarischen Weg zu bringen. Die SPD tut sich keinen Gefallen damit, wenn sie die Konfrontation und nicht den Konsens zur Sicherung des Rentensystems sucht. ({0}) Es geht schließlich um das Vertrauen der jungen Menschen in die Sicherung der Rente und darum, den Älteren zu zeigen, daß der Generationenvertrag hält. Gleichzeitig ist es aus dem Blickwinkel der Familien- und Frauenpolitik Reformziel, die zentrale Rolle der Familie für den Generationenvertrag deutlicher zu machen und die eigenständige Alterssicherung von Frauen zu verbessern. Der Rentenversicherungsbericht 1996 bestätigt die Unterschiede bei den Renten zwischen Männern und Frauen. Danach erhalten Frauen in den westlichen Bundesländern im Schnitt 800 DM Rente; die Männer liegen etwa 1000 DM darüber. Die Gründe dafür sind offensichtlich und heute schon ein paarmal genannt worden. Es liegt an den niedrigeren Einkommen von Frauen, an kürzeren Erwerbszeiten sowie an der geringeren Versicherungszeit wegen der Kindererziehung und der Pflege. Wenn Sie heute die jungen Frauen betrachten, dann stellen Sie fest: Sie sind sehr gut ausgebildet und wollen, auch wenn sie Kinder haben, erwerbstätig sein und tun dies auch. Das heißt also: Für die Zukunft ist zu erwarten, daß sich die Rentenbiographien von Frauen günstiger darstellen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wenn wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg immer wieder für eine Wahlfreiheit in der Gestaltung des Erwerbs- und Familienlebens einsetzen, müssen wir die familienbedingten Nachteile auch in der Rentenversicherung abbauen und die Lücken in der Erwerbsbiographie von Müttern schließen. Eltern, die wegen ihrer Kinder auf Erwerbstätigkeit verzichten, dürfen rentenrechtlich nicht benachteiligt werden. Frauen erbringen in der Familie und für die Familie eine unschätzbare Leistung, die der Gesellschaft zugute kommt. Diese Leistung muß sich bei der Rente auswirken. ({1}) Wenn wir auf der einen Seite immer den hohen Stellenwert der Familie betonen, müssen wir auf der anderen Seite natürlich bei den Rahmenbedingungen entsprechende Verbesserungen vornehmen. Deshalb bin ich sehr froh, daß wir heute feststellen können: Die von uns geforderte stärkere Anerkennung der Kindererziehungszeiten steht im Reformgesetz. Dies bedeutet konkret: Wir wollen die stufenweise Neubewertung der Erziehungszeiten von 75 auf 100 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten. Zum 1. Juli 1998 wollen wir die Kindererziehungszeiten mit 85 Prozent, ein Jahr später mit 95 Prozent und ab dem 1. Juli 2000 mit 100 Prozent des Durchschnittseinkommens bewerten. Die Änderungen gelten sowohl für den Rentenbestand als auch für Rentenneuzugänge. Dies ist ein großer Fortschritt, der sich nicht nur finanziell für die Frauen auswirkt. ({2}) Denn wir machen damit deutlich, daß für uns die Kindererziehung genauso wertvoll ist wie die Erwerbstätigkeit. Weiterhin werden wir, so wie es das Bundesverfassungsgericht im März 1996 vorgegeben hat, Kindererziehungszeiten und Beitragszeiten bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze additiv anrechnen. Damit dokumentieren wir: Familienarbeit ist für uns nicht zweitklassig. Im übrigen wird damit auch der Doppelbelastung von Frauen, die Kinder erziehen und gleichzeitig erwerbstätig sind, Rechnung getragen. Mit diesen Neuregelungen setzen wir fort, was wir 1986 mit der erstmaligen Anerkennung eines Versicherungsjahres für die Erziehung eines Kindes in der Rentenversicherung begonnen und 1992 mit der Anerkennung von drei Erziehungsjahren weiterentwikkelt hatten. Der Weg bis zu diesem Reformgesetz war nicht immer einfach. Das Ziel der Aufwertung der Kindererziehungsleistungen findet jedoch breite Zustimmung. Die von der Bundesregierung, der CDU und der CSU eingesetzten Rentenkommissionen hatten in ihren Konzepten alle einheitlich die stärkere Berücksichtigung der Familienkomponente vorgeschlagen. Vor allem den Frauen in den Kommissionen und in den verschiedenen Gesprächskreisen ist es zu verdanken, daß dieses Ziel hartnäckig verfolgt wurde. Wir haben in diesem grundsätzlichen Anliegen einen parteiübergreifenden Konsens erzielt. Das zeigen die heute von der Opposition eingebrachten Anträge. Renommierte Wissenschaftler, Frauenverbände, Familienverbände und andere Interessenvertreter und -vertreterinnen fordern seit Jahren die stärkere Anerkennung der Kindererziehungszeiten. Wir wollen und brauchen diese Verbesserungen. 1991 hat der Deutsche Bundestag interfraktionell beschlossen, daß die Alterssicherung von Frauen reformiert werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber 1992 aufgefordert, die kindererziehungsbedingten Nachteile bei der Alterssicherung in stärMaria Eichhorn kerem Umfang als bisher auszugleichen. Mit dieser Rentenreform setzen wir das um. Wir sind uns sehr bewußt, daß es bei dieser Reform der Rentenversicherung vorrangig um die Begrenzung des Ausgabenanstiegs gehen muß. Gleiches galt im übrigen bei dem Rentenreformgesetz 1992. Auch dabei war die Kostendämpfung das Ziel. Trotzdem wurden die Erziehungszeiten ausgedehnt. Denn wir sind uns bewußt: Wenn wir die Erziehungszeiten besser bewerten, investieren wir in die Zukunft - auch in die Zukunft der Rentenversicherung. Bei den kommenden Beratungen wird aus unserer Sicht sicher das eine oder andere noch geprüft werden müssen. Die Hinterbliebenenrente ist heute schon ein paarmal angesprochen worden. Wir haben sie bewußt nicht in das jetzige Reformpaket aufgenommen. Wir sind der Meinung, daß wir diese Frage erst in einem zweiten Schritt angehen sollten, nämlich dann, wenn das notwendige Datenmaterial vorliegt, um entsprechend fundierte Entscheidungen treffen zu können. Aus der Sicht der CSU ist mir ein Punkt besonders wichtig. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß 45 Pflichtbeitragsjahre in der Rentenversicherung anders als weniger Pflichtbeitragsjahre zu behandeln sind. Das heißt also: Wer 45 Pflichtbeitragsjahre aufzuweisen hat, soll nach unseren Vorstellungen die volle Rente erhalten, auch wenn er vorzeitig in den Ruhestand geht. Nach dem Gesetzentwurf gilt das in Zukunft für diejenigen, die 1941 oder früher geboren sind. Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet hat, soll auch vor dem 65. Lebensjahr ohne Abschläge in Rente gehen können. ({3}) Mit dem klaren politischen Ziel der zukunftsorientierten Weiterentwicklung der Rentenversicherung bringen wir erneut eine wichtige Reform auf den Weg und beweisen Handlungsfähigkeit. Ich bedaure sehr, daß es nicht wie 1992 gelungen ist, diese Rentenreform in Übereinstimmung mit der SPD einzubringen. Noch haben Sie die Gelegenheit mitzumachen. Ich fordere Sie daher auf: Lassen Sie es uns gemeinsam schaffen, daß die alten Menschen morgen und die jungen Menschen übermorgen ihrer Renten sicher sein können! ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile der Abgeordneten Margot von Renesse, SPD-Fraktion, das Wort.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Eichhorn, nach dieser Ihrer braven Rede ({0}) kann ich allen Frauen in der CDU/CSU nur von Herzen gratulieren, daß Sie so intensiv um die Rechte der Frauen und der kindererziehenden Menschen gekämpft haben, daß bei der Rentenreform Marke Koalition gerade das herausgekommen ist, wozu Sie durch das Verfassungsgericht vollstreckbar verurteilt worden sind. ({1}) Das gilt übrigens auch für das Konzept der Grünen. Die additive Anrechnung der Kindererziehung entspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom vorigen Jahr, und weil das Verfassungsgericht Ihnen mißtraute, sogar unter Fristsetzung - was ungewöhnlich ist für Karlsruhe. ({2}) Denn man hatte in Karlsruhe einschlägige Erfahrungen gesammelt. Schon 1992 hatte das Verfassungsgericht ein Fragezeichen hinter die Anrechnung von nur 75 Prozent des Entgelts gesetzt. Es ist zu erwarten, daß Karlsruhe bei der erneuten Vorbringung speziell dieses Problems entsprechend der Skepsis und der Nichtrationalität sofort entscheiden würde. Mit anderen Worten: Sie haben nichts anderes als das erreicht, was bereits in Urteilen steht. ({3}) So ist es auch bei den Grünen, Frau Grießhaber. Auch bei den Grünen gibt es nicht einen einzigen Pfennig mehr. Es ist genau dasselbe wie bei der Koalition; darum ist die Koalition mit Ihnen auch so zufrieden. ({4}) Es stellt sich die Frage: Was sonst? Wir wissen, daß Kindererziehung - das ist es, was ich Ihnen damals klarmachen wollte - das Erwerbsleben eines Menschen, sei es Frau, sei es Mann, weit über drei Jahre hinaus überwölbt. Das ist eine Erfahrung, die man täglich bei sich selbst wie auch bei anderen machen kann. Das Problem der Erwerbsarbeit von Frauen liegt nämlich nicht darin, daß sie Frauen sind und ein XChromosom mehr haben als ein Mann, sondern darin, daß sie entweder Kinder haben, Kinder haben können oder Kinder hatten. Diesen Unterschied kann nun einmal auch der Bundestag nicht aus der Welt schaffen, selbst mit Zweidrittelmehrheit nicht. ({5}) Dies hat eine Vielzahl sozialer Folgen, die sich zu 90 Prozent bei den Frauen kumulieren. Das bedeutet - wir alle kennen das -: Armut. Jetzt wollen wir mal schauen, was die Koalition dem Karlsruher Votum voraus hat. Es ist die CDU-Lyrik: „die große Bedeutung, die die Kindererziehung hat" usw. ({6}) Ein Verdienstkreuz mehr, ein bißchen Lyrik, ein bißchen Schmus, aber nichts für die Existenz im Alter! Nächster Punkt: Was bieten die Grünen? Für die Grünen ist das Kindererziehen nichts anderes als eine Variante unter vielen bunten Lebensläufen. ({7}) Was Sie speziell über die drei Jahre hinaus, Frau Fischer, zur Kindererziehung schreiben, ist Zurückweisung, ist Abweisung, ist Kälte. Dazu muß ich sagen: das nicht mit mir, das nicht mit uns! ({8}) Das Verfassungsgericht hat Ihnen in der berühmten Entscheidung vom 7. Juli 1992 deutlich den Hinweis gegeben - ({9}) Frau Präsidentin, können Sie vielleicht für etwas mehr Ruhe sorgen? Sonst muß ich so schreien, das will ich gar nicht. Ich bin eigentlich ganz heiter, weil wir so ein tolles Konzept haben. ({10})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte hören Sie aufmerksam zu.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte mich gerne mit einem Hinterbliebenenkonzept der Koalition auseinandergesetzt. Aber es heißt seit Jahren, das bekommen wir später. Bei den Grünen gibt es ein Konzept, das heißt: nichts über drei Jahre hinaus. Wie können Sie in der heutigen Zeit so gnadenlos zu Ihren Altersgenossinnen sein, die heute Mütter sind und nicht erst im Paradies, wenn Deutschland voller Ganztagsschulen und voller Kindertagesstätten ist. Wenn ein Kind drei Jahre alt ist und in den Kindergarten kommt, bedeutet das: volle Pulle malochen. Wer, der nicht bei Karstadt an der Knopfkasse arbeitet, kann das denn? Ich konnte das als Richterin. Ein Mann, der gut verdient, hat eine schlechtbezahlte Frau an seiner Seite. Interessant ist die Frage, was man im Normalfall als Frau machen kann. Unser Konzept heißt: teilen. Das Splitting, Frau Grießhaber, ist nichts, womit einer der beiden Ehepartner fett wird; das weiß ich aus dem Versorgungsausgleich. Das Splitting ist ein Sparmodell. Weg von der Ehe, hin zur Kindererziehung! Wir brauchen mehr Geld für die Kindererziehung. ({0}) Bisher haben wir eine Witwenversorgung, die an die Ehe anknüpft. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Witwenrente eingeführt wurde, korrekt. Denn damals waren praktisch alle Mütter verheiratet, und alle verheirateten Frauen waren Mütter. Also war der Anknüpfungspunkt Ehe der absolut richtige. Heute gibt es viele Mütter, die nicht verheiratet sind - beispielsweise sind sie geschieden -, und es gibt viele Ehefrauen, die nicht Mutter sind. Die Witwen- und Witwerversorgung von heute ist eine reine Standardgarantie für Verheiratete. Die geschiedene Mutter von drei Kindern - mein liebes Beispiel, weil ich diese Frauen als Familienrichterin ja „produziert" habe - hat von der Witwenversorgung null, sondern ist eine alleinerziehende Mutter mit einem Minisplitting nach dem Versorgungsausgleich, bleibt mit drei Kindern allein und hat den Salat. Für diese Frauen sorgen wir für Gerechtigkeit. Nicht, daß sie splitten können, ist der Vorteil, sondern daß wir Geld genug haben, die ersten zehn Lebensjahre eines Kindes mit 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes anzureichern. Die Realität bei Frauen ist nämlich, daß kleinste Versorgungsanwartschaften erworben werden, beispielsweise weil sie am Sonntag beim Bäcker Brötchen verkaufen müssen. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, ist es richtig, daß Ihr Splittingmodell nicht zum Zug kommt für Ehepaare, bei denen ein Partner älter als 40 Jahre ist? Wenn das richtig ist, kann Ihr Sparmodell erst in vierzig Jahren zur vollen Wirkung kommen. Aber jetzt wollen Sie Kindererziehungszeiten damit finanzieren? Ist das richtig?

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die drei Jahre, die wir heute schon haben, sind 1989 von Ihnen, Herr Blüm, mit der SPD zu Lasten des Bundeszuschusses vereinbart worden. Daran wollen wir nichts ändern, weil es sich dabei keineswegs nur um Pflichtversicherte handelt, während unsere 75 Prozent darüber hinaus für langfristig Versicherte gelten, für nach dem - gemessen an der gesetzlichen Rentenversicherung - klassischen sozialen Ausgleich Unterversicherte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, Frau von Renesse?

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen in Erinnerung, daß die Kindererziehungszeiten nicht 1989 und auch nicht mit der SPD eingeführt wurden, sondern 1985 gegen die SPD? ({0})

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, noch einmal, Herr Blüm. 1989 wurde diese von Ihnen ({0}) - Entschuldigung, Herr Blüm, nachdem ich Ihnen gestattet habe, Ihre Frage solange zu stellen, wie Sie wollten, antworte ich jetzt, solange ich möchte. ({1}) 1985, als Sie damals wie heute Arbeitsminister waren und Herr Geißler Familienminister, führten Sie das eine Babyjahr für alle Frauen ein. Gleichzeitig schafften Sie einiges ab, was mindestens ebenso wichtig, finanziell mindestens ebenso teuer war. Sie warfen nämlich damals die nicht erwerbstätigen Frauen aus der Invaliditätssicherung heraus, in einem Gesetz. ({2}) Die zusätzlichen Ausgaben der Rentenversicherung für ein Babyjahr betragen etwa 5 Milliarden DM. Die Ersparnisse durch den Rausschmiß der nichterwerbstätigen Frauen aus der Invaliditätssicherung, die Sie damals bei den fünf Jahren hatten, erbrachten der Rentenversicherung 10 Milliarden DM. Sie haben das zu Lasten der Frauen eingeführt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Es besteht weiterer Fragebedarf, Frau von Renesse.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben schon damals, wie Ihnen Herr Dreßler vorgehalten hat, die Tarn- und Täuschkanone aufgefahren und den Frauen erzählt, Sie verteilten Wohltaten, während Sie sie in Wirklichkeit um ihre Rechte brachten. ({0}) Unser Modell - um noch einmal darauf zurückzukommen - bedeutet Partnerschaft der Ehegatten, nämlich Partnerschaft der Verantwortung. Wer der Meinung ist, dieses mache das Standesamt unattraktiv, der hält es bereits für unattraktiv, der hält die Ehe für ein Modell, das als Ladenhüter nur noch mit einem zusätzlichen Geld verkauft werden kann. ({1}) Ich gehe davon aus, daß die Ehe einen anderen Sinn hat, nämlich daß Mann und Frau ihr Leben als Team führen. Aber die Ehe ist keine Leistung für den Generationenvertrag. Wer das behauptet, hat ja wohl nicht ganz begriffen, was Leistung ist und was nicht. Von mir aus kann man eine langjährige Ehe, die nicht geschieden ist, durchaus für eine Leistung halten - meine eigene bestimmt. ({2}) Aber es ist eine Leistung für meinen Partner bzw. eine Leistung des Partners für mich. Damit tue ich nichts für den Generationenvertrag und kann von der gesetzlichen Rentenversicherung keinen Pfennig verlangen. Haben Sie nicht einmal gesagt, Frau Fischer, die Witwen- und Witwerversorgung sei die klassische versicherungsfremde Leistung? Kindererziehung ist Leistung für den Generationenvertrag. ({3}) Darüber sind wir uns jedenfalls weitgehend einig. Ich sehe hier Frauen, die das genauso sagen würden wie ich. Die Kindererziehung muß honoriert werden, egal ob es sich um eine geschiedene, eine verheiratete, eine getrennt lebende oder eine unverheiratete Mutter handelt. ({4}) Es kann nicht sein, daß wir da sparen müssen, wo das Geld alle Frauen brauchen. Darum haben wir in unserem Entwurf zehn Jahre und nicht drei Jahre vorgesehen. Das ist ein Unterpunkt; ich bitte trotzdem, es zu beachten. Wenn sich eine gesunde Ehefrau nur dazu da fühlt, ihrem Ehemann die Pantoffeln zu wärmen, bezahlt dieser das im Alter bitter. Eine Frau, die arbeitet - sei es als Erwerbstätige, sei es als Kinder erziehende Mutter; am besten beides zugleich -, kostet ihren Mann nichts. Dadurch, Herr Blüm, ist das Interesse des Mannes an einer Erwerbstätigkeit und insbesondere an einer kontinuierlichen Erwerbstätigkeit seiner Frau so groß, daß er sich nicht mit Worten wie „Ich schicke meine Frau nicht mehr arbeiten" schmückt. Diese Haltung von Männern ist bis zum heutigen Tage noch üblich, weil nämlich die Nichterwerbstätigkeit von Frauen nur diese schlechter stellt, niemals die Männer. Damit machen wir Schluß. ({5}) Ich denke, wenn Männer und Frauen heiraten, weil sie ihr Leben miteinander teilen wollen, und nicht glauben, ihre Ehe sei etwas, was Dritte etwas kosten darf, dann haben wir ein Bild von der Ehe, wie es eigentlich gemeint ist. ({6}) Wir wollen nicht, daß Menschen nur deswegen heiraten, weil ihnen zusätzliches Geld geboten wird. Kindererziehung ist die soziale Schwäche, die der Unterstützung durch Förderung bedarf. Für die Ehe gibt es nach unserer Vorstellung von außen kein Geld, aber für die Kinder mehr als bisher. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Frau Fischer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin von Renesse, an Ihrem Ton konnte ich nicht entdecken, daß Sie wegen Ihres Konzeptes heiter sind. ({0}) - Jetzt werden wir alle einmal ganz ruhig und reden darüber, wie es mit der Kindererziehung und der Rente ist. Sie sagen, daß Kindererziehung in der Rentenversicherung ausreichend berücksichtigt werden muß. Das ist Konsens hier im Haus. Wenn Sie sagen, wir hätten nur drei Jahre und Sie hätten zehn Jahre, dann muß ich Ihnen erwidern: Bei einem genaueren Blick in Ihr Konzept zeigt sich, Sie haben drei Jahre Kindererziehungszeit zum Durchschnittsentgelt - wie alle hier im Hause. ({1}) Andrea Fischer ({2}) - Genau, nicht alle. Bei der PDS gibt es immer mehr. Das ist klar. ({3}) Die weiteren sieben Jahre - ich sage dies, weil Sie hier gerade den Eindruck erweckt haben, Sie hätten zehn Jahre Kindererziehungszeit in Ihrem Rentenkonzept berücksichtigt - sind das Ergebnis einer Aufstockung von niedrigen Beitragsleistungen, wenn sie mit Kindererziehungszeiten im Rahmen des Konzepts der Rente nach Mindesteinkommen zusammentreffen. ({4}) Darüber können wir ja reden. Aber der strittige Punkt ist ein anderer. Sie haben gerade gesagt, wir ließen die Leute mit Kindern im Regen stehen. Was wir anders machen als Sie, ist, daß wir sagen: Wir knüpfen das Ganze nicht an die Kindererziehung, sondern an die unterschiedlichen Formen von Erwerbsarbeitsverhältnissen. Es ist doch so, daß gerade Teilzeitarbeit sehr häufig mit der Phase der Kindererziehung zusammentrifft. Unsere Höherbewertung von Teilzeiteinkommen würde also ebenfalls diesen Effekt haben. Deswegen brauchen Sie hier überhaupt nicht den Eindruck zu erwecken, die SPD sei die einzige Freundin der Menschen, die Kinder erziehen. ({5}) Ich will jetzt noch etwas zu dem Rentensplitting sagen. Die Sache mit dem Rentensplitting sieht doch nur auf den ersten Blick gut aus. Was ich daran so irritierend finde, ist das Bild vom Mann als dem Ernährer der Familie, das sich darin ausdrückt. Das ist für mich ein Familienbild aus den 50er Jahren. ({6}) Dieses Rentensplitting wirkt sich für die Frauen nur dann gut aus, wenn sie mit einem Mann verheiratet waren, der richtig gute Rentenanwartschaften hat, bei denen etwas zu teilen ist. Ich will keine Rentenpolitik mehr machen, die die Ehe als einen wichtigen Sicherungsmechanismus vorsieht. Ich will eine Rentenpolitik machen, die den Menschen eigenständige Rentenanwartschaften gibt. ({7}) Der Grund, warum ich Ihrem Rentensplitting nicht traue, ist folgender: Die Tatsache, daß Frauen schlechtere Einkommen haben, ist Ausdruck von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Wenn Sie dieses Problem mit Rentensplitting lösen wollen, dann wollen Sie es innerhalb der Institution Ehe lösen, anstatt ein gesellschaftliches Problem durch eine grundlegende, rabiatere Reform im Rentensystem gesellschaftlich zu lösen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

An Lebendigkeit fehlt es am Freitagnachmittag nicht. Frau von Renesse zu einer Antwort.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe verehrte Frau Fischer, erster Punkt: Ich freue mich, daß wir über unsere Konzepte reden können; aber das können wir hier nicht alles austragen. Zweiter Punkt: Der Fehler Ihres Systems ist, daß Sie die Teilzeitarbeit infolge von Kindererziehung als eingebundenen Lebenslauf, als eine Teilzeitarbeit unter sehr vielen anderen Begründungen von Teilzeitarbeit sehen. In meinen Augen ist eine kindererziehungsbedingte Teilzeit erheblich höher zu bewerten als die Teilzeitarbeit eines Menschen ohne Kinder, der nicht gleichzeitig einer so wichtigen Aufgabe nachgeht. ({0}) - Nein, es geht hier nicht um Strafen, sondern um die Berücksichtigung des ökonomischen Vorteils für den Generationenvertrag. ({1}) Das ist ein großer Unterschied zwischen uns beiden. Sie sind mir dabei etwas zu postmodern, verehrte Frau Fischer: Das ist eine Sache unter anderen. Der dritte Punkt - das ist in der Tat ein fundamentaler Unterschied -: Frau Fischer, wir haben nicht die Absicht - es jährt sich gerade die Familienrechtsreform vom 1. Juli 1977, damals von der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht, wo dies drinsteht -, Eheleuten irgendein Modell für ihre Privatheit vorzuschreiben. Sie können es halten wie die Dachdecker. Die Hausfrauenehe ist von uns nicht verfemt. ({2}) Umgekehrt ist die Ehe, in der beide Partner erwerbstätig sind genauso wenig verfemt. Mit anderen Worten: Wir haben den Leuten nicht vorzuschreiben, in welcher Weise sie ihr Leben führen. ({3}) Mann und Frau - wie auch immer sie leben -, verehrte Frau Fischer, haben einen Vertrag miteinander. Dieser beinhaltet: Des einen ist des anderen Gutes, und des einen ist des anderen Leid; Gemeinsamkeit in guten wie in schlechten Tagen. So habe jedenfalls ich mein Ja vor dem Standesamt aufgefaßt. Des einen Mangel ist des anderen Verantwortung und des einen Vorteil auch des anderen Vorteil. - Ich könnte geradezu in der Kirche sprechen, wenn ich so höre, was ich hier sage. ({4}) Deswegen ist es nicht so, daß eine Frau nichts davon hat, wenn sie selber verdient, sondern wenn sie nicht verdienen konnte, kann sie von ihrem Mann die Teilung verlangen. Nichts anderes ist das. ({5}) Sie kommen mir wie die geschiedenen Frauen vor, die erklären: Ich darf nicht arbeiten, sonst verliere ich meinen Unterhalt. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nach meiner Liste ist jetzt die Abgeordnete Heidemarie Lüth an der Reihe.

Heidemarie Lüth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002727, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein besonders skandalöser Teil bei dieser Reform der Regierungskoalition ist für mich die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente. Hier geht es wirklich nicht um Wünsche und auch nicht darum, was von der PDS vorgeschlagen wird, sondern hier geht es für die Betroffenen um ihre Existenz und um ihre Würde. Schon der derzeitige Zustand ist unbefriedigend, weil gesundheitlich Benachteiligte angesichts der Arbeitsmarktsituation nur die Alternative haben, entweder auf Kosten ihrer Gesundheit vollbeschäftigt zu sein oder die Arbeit in der Hoffnung aufzugeben, daß sie volle Rentenleistungen erhalten. Wenn immer mehr Leistungsgeminderte volle Rentenleistungen bekommen, ist das für die Rentenkassen sicherlich eine einseitige Belastung. Wenn Sie aber nun in Ihrer Reform vorschlagen, daß künftig ausschließlich gestaffelt Erwerbsminderheitsrenten gezahlt werden, bei denen nur noch gezählt wird, wieviel Stunden jemand noch zu arbeiten vermag, egal was und wo, dann heben Sie nicht nur den Berufsschutz völlig auf, sondern verlagern das Risiko vollständig auf die Betroffenen. ({0}) Das ist eine Konstruktion, die voraussetzt, daß es entsprechend strukturierte Teilzeitarbeitsplätze gibt. Sie setzen dies illusorisch genauso wie bei der Altersteilzeit in einem Arbeitsmarkt einfach voraus, der so überhaupt nicht vorhanden ist. Sie wissen ganz genau, daß diejenigen, die mit dieser Erwerbsunfähigkeitsrente und der Notwendigkeit einer Teilzeitarbeit in Rente gehen, bei diesen Summen sehr schnell bei der Sozialhilfe landen. Eine sachgerechte Verteilung der Risiken liegt für uns nicht im Bereich der Zuständigkeiten, sondern vor allem in der Finanzierungssystematik. Reformbedarf sehen wir für aufeinander abgestimmte und flexible Formen von gesundheitlicher Rehabilitation, Selbstverwirklichung in der Arbeitswelt und ergänzende Rentenleistungen bei Verteilung des finanziellen Risikos zwischen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie Unternehmen und Zuständigkeit in einer Hand. Sicherlich wäre die Rentenversicherung dafür am besten geeignet. ({1}) Menschen mit Behinderung, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, lassen Sie in Ihrem Reformkonzept - dies ist auch jetzt schon der Fall - völlig im Regen stehen. ({2}) Sie erhalten überhaupt keinen existenzsichernden Nachteilsausgleich. Das, Kolleginnen und Kollegen, hat nichts mehr mit einer solidarischen Sicherung zu tun. Dabei ist der Schutz bei Invalidität doch eigentlich der Gründungsbaustein der Bismarckschen Rentenversicherung gewesen. ({3}) Daß nun auch noch die ohnehin nicht üppige Erwerbsminderungsrente über deren fiktiven Berechnungsmodus bis 60 Jahre als vorzeitig in Anspruch genommene Rente mit einem Abschlag belegt wird, schlägt dem Faß fast den Boden aus. Aber der Schlag wird ja wohl nicht so groß werden; denn die Kollegin Babel hat vorhin gesagt, daß über diesen Punkt noch geredet werden muß. Besonders riskant ist - die verheerenden Auswirkungen zeichnen sich jetzt schon ab - die völlige Umwandlung der konkreten in die abstrakte Betrachtungsweise, wie es bei den erwerbsgeminderten Vollzeiteinsatzfähigen bereits geschehen ist. Die Regelung kann nämlich zur Folge haben, daß ein Erwerbsunfähiger nach einer nochmaligen Untersuchung von heute auf morgen ohne eine Erwerbsunfähigkeitsrente dasteht, weil er eigentlich einige Stunden arbeiten könnte, ohne daß - wie früher geprüft wurde - wirklich ein konkreter Arbeitsplatz für die jeweilige Person vorhanden ist. Wer im Zuge dieser Rentenreform - es ist mehrfach gesagt worden, daß es hier zu wirklichen Einsparungen kommt; die F.D.P. hat betont, daß sie sparen will - zu Lasten Erwerbsgeminderter sparen will, handelt inhuman; anders kann man es wohl nicht nennen. Danke. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Passage in meiner Rede betreffend die Auseinandersetzung mit dem Rentenvorschlag von Bündnis 90/Die Grünen kann meiner Ansicht nach gestrichen werden, nachdem uns gerade eben ein Beziehungsdrama vorgeführt worden ist, im Rahmen dessen sich die SPD mit den Grünen auseinandergesetzt und deren Konzept niedergemacht hat. Dieses Beispiel hat mir deutlich gemacht: Es wird weit über das Jahr 1998 hinaus erforderlich sein, daß wir, die CDU/CSU und die F.D.P., zusammen regieren, wenn Sie schon bei Kleinigkeiten einen solchen Streit entfachen. ({0}) Wir haben heute ein Rentenkonzept vorgelegt, das in erster Linie eine Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Verhältnisse ist und vor allem auch für wirtschaftliche Veränderungen - das ist heute schon gesagt worden - in diesem Lande sorgen soll. Unserer Ansicht nach müssen soziale Leistungen in die wirtschaftliche Situation, in die Reform zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingebunden werden; sie dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Dies sieht nur die Regierungskoalition so. Norbert Blüm hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir eine Reform der Sozialversicherungssysteme nicht so durchführen können, daß die Quellen, aus denen Beiträge in die Systeme fließen, verstopft werden, und daß wir nicht glauben dürfen, wir könnten uns allein aus dem System heraus ernähren, wenn keine Zufuhr von außen mehr erfolgt. Deshalb darf es bei diesen Reformen nicht nur um eine Umverteilung gehen, sondern es müssen Strukturveränderungen vorgenommen werden, die einen Beitrag dazu leisten, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen in unserem Land wieder leichter möglich ist. ({1}) Daß dies bei der SPD überhaupt nicht ankommt, wundert mich angesichts der Nähe von Gewerkschaften und SPD. In diesem Jahr haben Gewerkschaftsführer zum erstenmal anerkannt, daß es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen Lohnkosten, Lohnzusatzkosten und Arbeitslosigkeit. ({2}) Warum ist dies bei der SPD überhaupt noch nicht angekommen? ({3}) - Der Herr Schreiner kommt ja noch, der kann lautstark vertreten, was noch zu sagen ist. Wenn ich mir das Konzept der SPD anschaue, dann sehe ich nur den Versuch, ständig neues Geld zu schöpfen, ({4}) aber keinen einzigen Versuch, wirklich zu zukunftsweisenden Strukturveränderungen zu kommen. ({5}) Das Rentenkonzept, das die Regierungskoalition vorlegt, reagiert auf Veränderungen in der Gesellschaft. Es ist ein Beitrag zu Reformen für mehr Arbeitsplätze, und es ist ein Beitrag für die Generationengerechtigkeit. Bei der SPD finde ich so gut wie kaum etwas von Generationengerechtigkeit. Jede Großmutter hat mehr Verständnis für die Sorgen der Enkel als die SPD für die junge Generation. ({6}) Die einzigen, die diesem Anliegen noch etwas nahe kommen, sind die Grünen, die ebenfalls auf diese Situation Wert legen. Bei der SPD wird auch an diesem Reformkonzept deutlich: Sie sind ausschließlich auf die Zukunft hin orientiert, Sie haben überhaupt kein Verständnis für die Fragen der jungen Generation und für deren Sorgen um die Zukunftssicherung. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Reform macht die Rente zukunftssicher. Wenn wir über die Rente diskutieren, müssen wir immer mit berücksichtigen, daß es ein sensibles Thema ist, das die Menschen bewegt. Deswegen finde ich es unverantwortlich, wenn Behauptungen aufgestellt werden, die die Menschen irritieren, weil sie unwahr sind. Wir können ja über Systeme streiten, und wir können darüber streiten, ob diese oder jene Frage richtig ist. Ich finde es aber in höchstem Maße unverantwortlich, älteren Menschen Angst zu machen, daß die Rente gekürzt wird, daß ihnen von der Rente etwas weggenommen wird. Dies ist nicht wahr; das wissen Sie auch ganz genau. Ich sage Ihnen aus meinen Erfahrungen aus Baden-Württemberg: Wer sich so verhält, wer so mit den Menschen umgeht und glaubt, er könne damit Gewinn machen, dem wird es so gehen wie der SPD in Baden-Württemberg, die vor dem absoluten Niedergang steht. Dies akzeptieren die Menschen nicht. Deswegen warne ich Sie davor, mit den Sorgen der Menschen Politik machen zu wollen. Die Menschen draußen werden sehr schnell erkennen, daß diese Reform die Rente für die Zukunft sicher macht, daß sie sich auf die Rente verlassen können, ({8}) daß die Rente weiter steigt und daß eine Rente, die heute 2000 DM ausmacht, im Jahre 2030 bei über 4000 DM angekommen sein wird. Die Rente wird weiter steigen, und sie wird nicht gekürzt. Mit dieser Lüge kommen Sie nicht durch, das werden wir auch nicht zulassen. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in unserem Konzept auch angesprochen - nicht in diesem Gesetzentwurf, aber ich will darauf hinweisen, weil uns dies wichtig ist -, daß vergleichbare Regelungen, wie wir sie jetzt bei der Rentenversicherung vorsehen, natürlich auch für das Alterssicherungssystem des öffentlichen Dienstes gelten müssen. Wir brauchen auch hier vergleichbare Regelungen. Und auch da sehe ich, wie die SPD sich sträubt, Veränderungen herbeizuführen. ({10}) In Ihrem Entwurf lese ich, daß das Zusatzversorgungssystem im öffentlichen Dienst für die Angestellten als Tarifwerk natürlich nicht vom Gesetzgeber verordnet werden kann. ({11}) Hier versucht die SPD, eine Sondersituation nicht zu verändern, und verweigert damit einen notwendigen Beitrag, um im öffentlichen Dienst zu vergleichbaren Regelungen zu kommen wie jetzt bei der Rentenreform. ({12}) Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Wir erwarten von Ihnen nicht, daß Sie in einen Gesetzentwurf hineinschreiben, es bleibe bei der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst, wie sie ist, sondern ich erwarte, daß Ihre Leute aus der SPD unseren Bundesinnenminister darin unterstützen, daß dieses System gekündigt und zukunftsgerecht ausgestaltet wird. ({13}) Aber Sie sind Besitzstandswahrer. Wie Sie es den Menschen erklären wollen, daß Sie diese Sondersysteme im öffentlichen Dienst behalten wollen, während andere sie nicht haben, darauf bin ich sehr gespannt. Es wundert mich auch sehr, wie Sie die Diskussion führen. Julius Louven und ich haben vor einiger Zeit mehrere Vorschläge gemacht. Wir haben auch gesagt, daß sie miteinander hi ein System gebracht werden sollen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir die Beiträge stabil halten können und trotzdem eine Leistung für die Rentner bekommen, die diese Bezeichnung auch verdient. Unter anderem haben wir darüber nachgedacht, ob wir dies durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ab dem Jahr 2015, unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes, erreichen können. Sie haben aufgeschrien, als ob Sie auf den Haken genommen würden: Wie kann man über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nachdenken? Jetzt schreiben Sie auf einmal in Ihrem Entwurf, so als ob es jemand anderes gemacht hätte, diese Frage dürfe nicht mehr tabuisiert werden. Als ob wir es tabuisiert hätten und Sie uns auf den Weg bringen müßten! Soll ich Ihnen einmal sagen, was Sie machen: Sie versuchen, den Leuten zunächst Sand in die Augen zu streuen. Dann merken Sie, daß das nicht geht, eiern ein bißchen herum und kommen trotzdem zu keinem Konzept. Nein, so kann man keine Reform für ein System machen, das die Zukunft sichern soll. ({14}) Meine Damen und Herren, auch die Menschen draußen im Lande: ({15}) Mit dieser Regierungskoalition, mit CDU/CSU und F.D.P., ist das System der Rente schon mit der Rentenreform 1992 fortentwickelt worden. ({16}) Sie können sich darauf verlassen: Die Rentner werden auch in Zukunft eine Rente erhalten, die den Lebensstandard sichert. Wir fangen jetzt mit Reformen an, damit wir auch in Zukunft sagen können: Die Rente ist sicher. Wir sehen einen gerechten Ausgleich zwischen der jungen und der älteren Generation vor, weil wir wollen, daß die Generationen über die Rente nicht in einen Streit geraten, sondern auch in Zukunft zusammenarbeiten. Dies ist mit unserem Vorschlag gewährleistet. Es wird keinen Krieg der Generationen geben; wir werden miteinander in eine gute Zukunft gehen. Dies werden wir mit dieser Rentenreform erreichen. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ottmar Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie scheinen wirklich am Ende zu sein. Ich habe selten eine Debatte erlebt, in der Sie zu so vielen Lügen, Halbwahrheiten und Halblügen Zuflucht nehmen mußten. ({0}) Man kommt ja gar nicht dazu, sein eigenes Konzept vorzutragen, weil man zunächst das klarstellen muß, was an Lügenmärchen in den parlamentarischen Raum gestellt worden ist. ({1}) Ich will einmal mit den Behauptungen des Kollegen Hirche, der sich hier verdünnisiert hat, und des Kollegen Kauder anfangen. Beide haben gesagt, die SPD habe kein vernünftiges Konzept in Sachen Lohnnebenkosten. ({2}) Ich behaupte das genaue Gegenteil: Es hat seit 1949 keine Bundesregierung und keine Koalition gegeben, die in diesem Hause die gesetzlichen Lohnnebenkosten in einem solchen Maße nach oben getrieben haben wie die jetzt regierende Koalition. Keine andere Regierung hat das getan. ({3}) Sie finanzieren bis zur Stunde die deutsche Einheit im wesentlichen über die Lohnnebenkosten. Wenn die F.D.P. ihr Gejammer über die hohen Lohnnebenkosten nur einigermaßen ernst nähme, dann dürfte sie nicht die Absenkung des Solidaritätsbeitrages - eines Steuerzuschlags - fordern, sondern sie müßte die Absenkung des Solidarzuschlags innerhalb der Sozialversicherung, also innerhalb der Lohnnebenkosten, fordern - der Steuerzuschlag wird zur Finanzierung der ökonomisch-sozialen Gestaltung der deutschen Einheit weiterhin gebraucht -; doch davon ist weit und breit keine Spur. ({4}) Wir waren die einzige Fraktion, die in diesem Parlament in den letzten Monaten und Jahren mehrfach Anträge mit dem Ziel der Absenkung der Lohnnebenkosten vorgetragen hat. Stichwort: ökologische Steuerreform. Das war eine eindeutige Umfinanzierung: weg von der Belastung des Faktors Arbeit, hin zu einer stärkeren Besteuerung des Faktors Energie. Bis weit in die Reihen der Koalition ist mit diesen Vorschlägen sympathisiert worden. Kurzum: Herr Schäuble fand in seinem eigenen Laden nie eine Mehrheit, mit der man die entsprechenden Vorschläge der SPD parlamentarisch hätte begleiten können. Bitte sehr: Es hat an solchen Vorschlägen überhaupt nicht gefehlt. Gefehlt hat es an dem Mehrheitswillen der hier regierenden Koalition. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schreiner, denken Sie an die Stenographen? Sie sprechen so schnell, daß sie kaum folgen können. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mir eine Minute mehr Redezeit geben, drossele ich das Tempo ein bißchen. Der Kollege Kauder hat der SPD vorgehalten, wir hätten in den letzten Jahren in Sachen Lebensarbeitszeit gewissermaßen einen Schlingerkurs gefahren, wir hätten im vorigen Jahr die Koalition kritisiert, als sie die Lebensarbeitszeiten angehoben hat, und hätten unsererseits im eigenen Rentenreformvorschlag die Option für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit eröffnet. ({0}) Letzteres, Herr Kollege Schäuble, ist richtig, und auch ersteres ist richtig. Wir haben seit 1989 immer wieder gesagt: Eine Lebensarbeitszeitverlängerung kommt für die sozialdemokratische Fraktion nur dann, aber auch dann nur möglicherweise: in Betracht, wenn es gelingt, den Arbeitsmarkt vorher in Ordnung zu bringen. Wir haben über Jahre die gleiche stringente Argumentation vorgetragen, daß es geradezu närrisch und widersinnig wäre, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die Lebensarbeitszeit zu verlängern, weil eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nichts anderes bedeutet, als das vorhandene Arbeitsvolumen auf noch weniger Schultern zu verteilen, das heißt, die Arbeitslosigkeit zusätzlich zu erhöhen. ({1}) Bei 4,3 Millionen registrierten Arbeitslosen, Stand 1997, besteht nicht der allergeringste Bedarf, die Arbeitslosigkeit über falsche Arbeitszeitentscheidungen weiter nach oben zu treiben, Herr Kollege Kauder. ({2}) Das war eine von uns über Jahre schlüssig vorgetragene Linie. Es macht überhaupt keinen Sinn, hier mit solchen Halbwahrheiten und Ammenmärchen zu versuchen, die eigene Position zu beschönigen. Nächster Punkt. Mich erstaunt immer wieder, mit welcher Leichtigkeit der Bundesarbeitsminister und die Koalition es schaffen, Probleme, die - auf Grund des demographischen Wandels - unstreitig nach dem Jahre 2015 entstehen werden, als jetzt zwingend zu lösende Probleme in den Vordergrund der Diskussion zu schieben und damit alle wirklichen Probleme erst einmal aus dem Tageslicht herauszunehmen. Der hier bereits mehrfach zitierte Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger, der Kollege Erich Standfest, hat dies, Herr Minister, vor wenigen Wochen in einem Interview als ein Meisterstück der politischen Demagogie bezeichnet. Das ist in der Tat das, was hier abläuft, ({3}) weil von den eigentlichen Kernproblemen, die auch die Finanzierbarkeit der Renten und der Altersversorgung insgesamt unmittelbar und zentral berühren, abgelenkt wird, nämlich von den Fragen: Gelingt es auf europäischer Ebene, das nationale Sozialstaatsmodell zu verankern? Gelingt es, die Massenarbeitslosigkeit drastisch zurückzuführen? Gelingt es, das sogenannte Normalarbeitsverhältnis in einer modernen Form als Finanzierungsgrundlage der Rentenversicherung zu erhalten? Das sind die drei zentralen Fragestellungen, von denen Sie ablenken, bei denen Sie Nebel werfen und eine Gespensterdiskussion zu einer Zeit führen, zu der diese Diskussion überhaupt nicht notwendig wäre. ({4}) Nun zwei Dinge zur Generationengerechtigkeit. Es ist schon ein erstaunliches Verständnis von Generationengerechtigkeit, wenn man sagt: „Wir senken das Nettorentenniveau auf 64 Prozent ab." Dies geschieht vor dem Hintergrund hoher Massenarbeitslosigkeit. Das bedeutet, daß der jetzigen jungen Generation, der jetzigen beitragszahlenden Generation zugemutet wird, daß sie später eine Rente erhält, die sie unmittelbar in die Nähe der steuerfinanzierten Sozialhilfe führt. Was hat das eigentlich noch mit Generationengerechtigkeit zu tun? Sie betreiben das genaue Gegenteil. ({5}) Eine weitere Anmerkung zum Stichwort Generationengerechtigkeit. Die Besorgnisse der jungen Menschen in Deutschland beziehen sich nicht primär auf die Höhe der Beiträge, sondern auf die Sicherheit ihrer späteren Rentenanwartschaften. Die Jungen ziehen damit die rationale Konsequenz aus der immer wieder erlebten Erfahrung, daß die herrschenden politischen Kräfte in Deutschland entschlossen sind, den Sozialstaat weiter abzubauen, um damit ihre eigene Umverteilungspolitik zugunsten des oberen Drittels der Gesellschaft zu finanzieren, Stichwort: Verzicht auf die Vermögensteuer. Die jetzige Regierung - das ist der eigentliche Vorhalt - vermittelt den jungen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen eine politische Sozialisation in dem Sinne, daß Solidarität immer dann über Bord geworfen wird, wenn sie dringendst gebraucht wird und notwendig ist. ({6}) Unter diesen Bedingungen kann es bei der jungen Generation kein Vertrauen in die Fortdauer des Sozialstaats geben. Die subjektiv verständliche Reaktion heißt dann: Rette sich, wer kann. Die Bundesregierung nimmt die von ihr selbst verursachte Vertrauenskrise als Rechtfertigung für weitere Einschnitte. Indem die Bundesregierung fortlaufend die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, macht sie den Vertrauensschaden bei der jungen Generation nur noch größer. Auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis der Panik. Ich habe Ihnen die drei zentralen Problemkreise zu benennen versucht, vor deren Diskussion, Erörterung und Lösung Sie sich drücken. Nochmals: Das Kernthema, um das wirklich gestritten werden müßte, lautet, ob die sogenannte Globalisierung, ob der europäische Binnenmarkt eine wirtschaftsliberale Revolution erfordert, wie dies von seiten der Koalition immer wieder vorgetragen wird, oder ob das Sozialstaatsmodell, das in Deutschland über Jahrzehnte getragen hat, auch unter veränderten ökonomischen Bedingungen eine Zukunft hat. Das ist die zentrale Frage, von deren Beantwortung auch die weitere Finanzierbarkeit der Rente abhängt. Dies sollte jedem klar sein, der über aktuelle rentenpolitische Fragen diskutiert. Wer diesen gesellschaftspolitischen Hintergrund vernachlässigt und so tut, als ginge es nur um Beitragssätze, handelt politisch naiv. Deshalb kann die bevorstehende - „Rentenreform 1999", wie sie Arbeitsminister Blüm jetzt nennt, aussehen, wie sie mag - sie wird keine Ruhe schaffen. Eine Reform wird die andere ablösen, solange sich die Politik von der meines Erachtens illusionären und grundfalschen Vorstellung leiten läßt, daß niedrigere Löhne und niedrigere Sozialleistungen auf dem Weg über Standortvorteile zu mehr Beschäftigung führen. Die soziale Sicherung in Deutschland - und auch die Rentenversicherung - wird erst dann wieder eine sichere Perspektive haben, wenn es gelingt, im Rahmen der Europäischen Union den ruinösen Standortwettkampf um Deregulierung, niedrige Löhne, Sozialabbau und Steuererleichterungen für die Wohlhabenden zu stoppen und das Projekt Sozialstaat neu zu beleben, das auf der nationalstaatlichen Ebene kaum noch funktionieren kann. Meine Damen und Herren, es ist immer wieder auf die Höhe der Sozialleistungen hingewiesen worden. Vor wenigen Wochen hat der Bundesarbeitsminister an die Damen und Herren der Koalitionsfraktionen einen Brief geschickt. Diesem Brief konnte man zwei Botschaften entnehmen. Die erste Botschaft: Kein Land in der Europäischen Union hat in den letzten sieben Jahren so massiven Sozialabbau betrieben wie die Bundesrepublik Deutschland. Zweite Botschaft: Im internationalen Vergleich der Europäischen Union liegt die Sozialleistungsquote Westdeutschlands - nur sie ist vergleichbar - inzwischen im unteren Drittel, neben Portugal, Griechenland und Irland.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schreiner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schauerte?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, aber ich wiederhole zunächst die beiden Botschaften, damit der Kollege auch weiß, was er fragen soll: Kein Land in Europa hat so massiven Sozialabbau betrieben wie Deutschland. ({0}) - Das ist die Quintessenz des Briefes von Herrn Blüm. - Bezogen auf die Höhe der Sozialleistungsquote, der sozialen Kosten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, liegt die Bundesrepublik Deutschland West - nur das ist vergleichbar - neben Portugal, Irland, Spanien und Griechenland im unteren Drittel der EU-Länder. Sie können hier nicht so tun, als sei die Bundesrepublik Deutschland Opfer einer europäischen Entwicklung, die nicht anders gestaltbar ist. Sie sind, was den sozialen Abbau anbelangt, nicht Opfer und Getriebene, Sie sind Treiber und Täter, und das seit vielen Jahren. ({1}) Bitte schön, Sie können jetzt Ihre Frage stellen.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich denke, Sie stimmen mit mir darin überein, daß die These, wir hätten quasi sozialen Kahlschlag organisiert, am besten an Hand der tatsächlichen Zahlen überprüft werden kann. Können Sie bestätigen, daß das Sozialbudget 1991 889 Milliarden DM betrug, 1993 1064 Milliarden DM und 1995 1 179 Milliarden DM? Können Sie bestätigen, daß die Sozialleistungsquote in Deutschland von 31,2 Prozent im Jahre 1991 auf 34,1 Prozent 1995 gestiegen ist? Ich könnte Ihnen auch die Zahlen der Pro-Kopf-EntHartmut Schauerte wicklung nennen sowie differenziert nach alten und neuen Ländern. Wir haben keinen Sozialabbau. Vielmehr ist die Sozialleistungsquote stärker gestiegen als das Bruttosozialprodukt. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

1982- das ist das politisch korrekte Vergleichsjahr - betrug die Sozialleistungsquote rund 32 Prozent. Heute, 1997, beläuft sich die Sozialleistungsquote in Westdeutschland auf etwas mehr als 28 Prozent, trotz enorm gestiegener sozialer Lasten, vor allen Dingen auf Grund der enorm hohen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen sozialen Folgeprobleme. Ein anderes Ergebnis als ein deutliches Absinken der Sozialleistungsquote wäre angesichts der Kürzungspolitik der letzten Jahre - man kann ja fast sagen: der letzten anderthalb Jahrzehnte - auch gar nicht erklärbar. Nochmals die vergleichbaren Zahlen, bezogen auf Westdeutschland: 32 Prozent im Jahre 1982 im Vergleich zu etwas mehr als 28 Prozent in 1997. Das viel größere Problem, sehr verehrter Herr Kollege, ist - das wird nicht durch einen Vergleich der Zahlen deutlich -, daß Ihre Politik dazu beigetragen hat, daß in Deutschland Millionen von Menschen von passiven Leistungen leben müssen, weil sie keine Chance haben, ihren eigenen Lebensstandard durch aktive Arbeit selbst zu verdienen. ({0}) Das ist das eigentliche Problem. Sie hinterlassen ein Land, das, wie niemals zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte, Millionen von Menschen in den Zwang des Genusses von passiven Leistungen treibt. Sie geben ihnen keine Chance, selbst aktiv mitzuwirken; ({1}) - Das ist kein absoluter Unsinn. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat in den Monatsbericht Mai geschrieben: Die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Mai 1996 unter anderem deshalb um 300 000 gestiegen, weil in diesem Umfang die Zahl der Menschen in den aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Qualifizierung usw. - reduziert wurde. Es ist ein Irrsinn sondersgleichen, daß bei dramatisch hoher Arbeitslosigkeit die wenigen vorhandenen Instrumente auch noch verstümmelt werden, wiederum zugunsten des Bezugs passiver Leistungen. Sie treiben die Menschen in die passiven Leistungen, und anschließend behaupten Sie, die Menschen mißbrauchten die passiven Leistungen. Schämen Sie sich! Gehen Sie in die Sommerpause, versuchen Sie sich zu läutern, und kehren Sie geläutert wieder! ({2}) Es wird immer wieder die gleiche Melodie vorgetragen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schreiner, Ihre Redezeit ist zu Ende. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Redezeit ist zu Ende, Frau Präsidentin. Ich gehöre nicht zu denen, die dafür bekannt sind, hier immer wieder Freundlichkeiten auszutauschen. Deshalb möchte ich Sie bitter enttäuschen: Ich wünsche Ihnen allen, Kolleginnen und Kollegen, einen erholsamen Sommerurlaub. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Um das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volker Kauder gebeten.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hen Kollege Schreiner, Sie haben einen Sachverhalt verwechselt, als es um die Lebensarbeitszeit ging. Kollege Julius Louven und ich haben erklärt, daß neben all den Maßnahmen, die wir vorschlagen, auch eine Option möglich ist. Wenn Beitragssatz und Leistungshöhe nicht mehr verändert werden können, muß unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes auch über eine leichte Erhöhung der Lebensarbeitszeit ab 2015 - das Regelrenteneintrittsalter liegt heute bei 65 Jahren - nachgedacht werden. Das darf nicht außerhalb jeder Diskussion stehen. Das war unsere Anregung. Sie und auch andere Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben dann eine große Kampagne geführt, man müsse - wenn man über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nachdenke - die Bauarbeiter am Gerüst festbinden, damit sie nicht herunterfallen. Sie haben mit zum Teil unfairsten Argumenten eine Riesendiskussion losgetreten; der Kollege Kirschner, der heute nicht da ist, hat das in meinem eigenen Wahlkreis gemacht. Dann bekomme ich ein Papier, in dem Sie ausführen, man dürfe das Thema nicht tabuisieren. Das haut wirklich dem Faß den Boden raus, und nur darauf habe ich hingewiesen. Wir haben ganz klar gesagt, welche Möglichkeiten es gibt; Sie haben sich gewehrt, und jetzt erkennen Sie, daß es nicht mehr anders geht, und schreiben diesen Weg als Option hinein. Ich rate Ihnen nur: Sagen Sie den Menschen, was wirklich auf sie zukommt, und hampeln Sie nicht herum. Sie haben jetzt ausdrücklich gesagt, die Option, daß die Lebensarbeitszeit verlängert werden kann, müsse unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes offenbleiben - so, wie wir es auch gesagt haben. Mehr haben wir nicht gemacht, und Sie haben sich in einer unrühmlichen Aktion auf den Kollegen Louven und mich eingeschossen. Wir sehen es mit Genugtuung, daß der Lernprozeß bei Ihnen doch ein wenig in Gang gekommen ist. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Kauder, ich habe versucht, richtigzustellen, daß die SPD-Bundestagsfraktion in der Frage der Lebensarbeitszeit in den letzten Jahren keinen Schlingerkurs gefahren hat, wie Sie uns eben in Ihrem Beitrag unterstellt haben, sondern daß sie in all den Jahren, seit die Diskussion aufgekommen ist - sie ist im Rahmen des Rentenreformkonzeptes 1992 aufgekommen, das 1989 verabschiedet worden ist -, in dieser Frage im Gegensatz zur Koalition eine stringente Linie gefahren hat. Wer keine stringente Linie gefahren hat, war und ist die Koalition. Ich will das belegen. 1989 wurde in das Rentenreformkonzept 1992 reingeschrieben, daß Lebensarbeitszeitverlängerungen ab dem Jahr 2001 möglich sein sollen, aber nur, wenn die Arbeitsmarktlage dies ermöglicht, das heißt im Klartext, wenn die Arbeitslosigkeit auf ein erträgliches Mindestmaß zurückgeführt wird. Nach den Vorgaben von 1989, die auch Sie unterschrieben haben, sollte im Jahre 1997 überprüft werden, ob 2001 eine Lebensarbeitszeitverlängerung verantwortbar ist. Sie haben all diese Vereinbarungen im letzten Jahr schamlos gebrochen, nicht nur nicht das Jahr 1997 abgewartet, wie es vereinbart war, sondern auch 1996 einseitig unter Bruch aller Vereinbarungen eine vorgezogene Lebensarbeitszeitverlängerung durchgesetzt - und dies vor dem Hintergrund, daß die Arbeitslosigkeit 1996 weitaus höher war, als sie es 1989 gewesen ist und als man vom Standpunkt 1989 aus annehmen konnte. Damals ging keiner davon aus, daß uns die damalige Regierung jetzt noch immer regiert. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Heiner Geißler.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, Herr Schreiner und auch Herr Dreßler machen einen Fehler, wenn sie mit den Begriffen, die sie gerade verwendet haben - ähnliches haben wir in früheren Debatten erlebt, als wir den Menschen „Ausplünderungen", „Betrug" usw. zugemutet hätten -, die Verantwortung zum Beispiel für das Problem der Arbeitslosigkeit, das niemand verkennt, fast ausschließlich - nach Ihren Worten muß ich sagen: ausschließlich - der Politik zuordnen. Dabei wissen Sie doch ganz genau, daß wir zum Beispiel in Westdeutschland heute 1,3 Millionen mehr Arbeitsplätze haben als vor zehn Jahren. Die Frage der Arbeitslosigkeit, die ein zentrales Problem der Rentenversicherung ist - das ist völlig unbestritten -, hängt doch mit ganz anderen Faktoren zusammen. Wir können das hier im Parlament ruhig miteinander bereden. Erstens. Sie hängt damit zusammen, daß wir durch die technologische Revolution ein immer größeres Bruttosozialprodukt mit einem immer geringeren Arbeitsaufwand erreichen können. Wir brauchen immer weniger Arbeit, um immer mehr produzieren, herstellen und leisten zu können. Das ist die Folge der Technologie. Zweitens sind wir durch die politische Revolution vor acht Jahren in eine parallele, das Problem verstärkende Entwicklung hineingekommen. Wir haben als Ergebnis dieser Revolution eine millionenfache Migration: 2 Millionen Aussiedler, 1 Million Flüchtlinge, die hier zu einem großen Teil einen Arbeitsplatz gefunden haben, wozu wir stehen, was auch richtig ist. Wir liegen mitten in Europa. Kein Land hat mehr Grenzen als wir. Die Leute kommen zu uns, wenn sie aus politischen Gründen emigrieren müssen. Drittens. Im Jahre 1960 haben in Deutschland 9,6 Millionen Frauen gearbeitet. Jetzt arbeiten 12,2 Millionen Frauen, was völlig richtig ist. Das ist in Ordnung und ist durch unsere Politik mitbewirkt worden. Das heißt, diese beiden Entwicklungen, daß wir durch die technologische Revolution einen immer geringeren Arbeitsaufwand brauchen und daß immer mehr Menschen Arbeit nachfragen, sind das uns gemeinsam bewegende Problem. Da kann man aber doch nicht so reden. Da muß man überlegen: Wie können wir in dieser Situation unsere Standortbedingungen verbessern - auch angesichts der Globalisierung der Märkte -, um dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen und bestehende Arbeitsplätze zu sichern? Wir wollen heute aber keine Arbeitsplatzdiskussion und auch keine Arbeitsmarktdiskussion führen. Diese Bereiche sind jedoch ein zentrales Thema der Rentenversicherung. Da haben Sie völlig recht. Die Probleme in der Rentenversicherung sind weniger eine Frage der Demographie, vor allem weniger eine Frage der nächsten Generationen. Wir könnten in Deutschland Kinder bekommen, soviel wir wollten - für die Rentenversicherung in 20 oder 30 Jahren würde uns das nicht viel nützen, wenn die Arbeitsplätze fehlen. ({0}) Wenn genug Arbeitsplätze für die nächsten Generationen vorhanden wären, würde sich das positiv auf die Rentenversicherung auswirken. Das Problem ist die Altersstruktur. Im Grunde genommen ist die Tatsache, daß die Menschen länger leben, etwas Schönes, was man nur begrüßen kann. Die Lebenserwartung ist gestiegen. Deswegen beziehen die Menschen länger Rente. Wir versuchen jetzt, für dieses Problem eine verständliche und auch nachvollziebare Lösung anzubieten. Sie muß man nur einmal richtig darstellen; das geht ja bei dem ganzen Hin und Her mit der Statistik völlig unter. Das versteht ja kein Mensch. Was machen wir? Wir machen es wie in einer großen Familie und sagen: Die Jungen müssen ihren Anteil dazu leisten, daß die Älteren eine sichere Rente haben. Wir sagen den Jungen: Ihr müßt auch in der Zukunft Beiträge zur Rentenversicherung leisten, die zwischen - sagen wir einmal - 18 und 20 Prozent liegen. Das muten wir denen zu. Die Älteren beteiligen wir in maßvoller Weise an der Finanzierung ihrer eigenen höheren Lebenserwartung. Das ist im Grunde genommen das Konzept, das wir hier vorlegen. Gleichzeitig machen wir etwas, was auch Sie für richtig halten; wir senken nämlich die Lohnnebenkosten, indem wir Leistungen, die zur Rentenversicherung gehören, die aber gesamtgesellschaftliche Aufgaben darstellen, aus der Beitragsfinanzierung herausnehmen und in eine Steuerfinanzierung überführen. Das sind die drei Grundelemente unserer Rentenreform. Ich finde, das kann man vom Prinzip her doch überhaupt nicht kritisieren. Ich kann auch nicht erkennen, daß Sie von der SPD im Vergleich dazu eine vernünftige Alternative hätten. Herr Dreßler, Sie haben am Anfang Ihrer Rede mich erwähnt. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie wir nicht miteinander diskutieren sollten. Ich weiß gar nicht, ob ich in der besagten Rede von einem Rentenniveau in Höhe von 64 Prozent geredet habe. Ich habe gerade die Rede nachgelesen, die ich damals, 1973, im Bundesrat gehalten habe. Da ging es um die Frage, ob das Rentenniveau 45 Prozent oder 54 Prozent betragen sollte. Das können Sie aber aus zwei Gründen hier überhaupt nicht anführen - ich sage das nur, weil ich möchte, daß die Diskussion fair geführt wird -: Wir hatten damals eine ganz andere Rentenberechnung. Damals gab es noch das „time-lag". Damals wurde die Rentenanpassung nach dem Durchschnitt der Einkommen in den zurückliegenden drei Jahren berechnet. Das heißt, damals hat man die Rente des Jahres 1974 nach dem Durchschnitt der Löhne der drei vorvergangenen Jahre berechnet. Das ist mit der heutigen Berechnungsmethode überhaupt nicht vergleichbar. Heute gibt es ja eine aktualisierte Anpassung. Zweitens, Herr Dreßler, hat sich die ganze Diskussion damals daran entzündet - das ist nun wirklich ein Unterschied zu heute -, daß die Inflationsrate für Rentnerhaushalte im Jahre 1973 bei sage und schreibe 9,2 Prozent lag - das hat damals diese Diskussion ausgelöst -, und das dauerte schon mehrere Jahre an; das war im Jahre 1972 und im Jahre 1971 schon so. Für Haushalte mit Kindern betrug die Inflationsrate 7,2 Prozent im Schnitt; bei den Rentnerhaushalten betrug sie, wie gesagt, über 9 Prozent. Man kann nur von Glück sagen, daß es solche Zustände heute nicht mehr gibt. Das hat auch etwas damit zu tun, daß wir es sind, die an der Regierung sind. Man kann sagen: Daß wir heute keine Inflation, sondern Preisstabilität haben, das ist nun wirklich das Ergebnis der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Christlich-Demokratischen Union und der Koalition. ({1}) Deswegen können Sie mit den von Ihnen angeführten Beispielen nicht kommen. Frau von Renesse, ich bitte Sie nun wirklich: Vermischen Sie nicht ein Problem mit einem zweiten. Wir müssen für die Frauenrenten noch etwas tun; das ist auch meine Meinung. Das ist noch unbefriedigend. Der jetzige Zustand hängt aber vor allem damit zusammen, daß das Lohnniveau bei Frauen immer noch geringer als das bei Männern ist. Das ist der eigentliche Grund. Aber die Anerkennung von Erziehungsjahren hätten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung - das waren 13 Jahre - längst machen können. Sie haben es immer abgelehnt. ({2}) Die Anerkennung von Erziehungsjahren ist von Norbert Blüm, Helmut Kohl und mir, von uns allen miteinander, angestoßen worden. Von uns kam die Idee. Wir haben nämlich gesagt, daß die Arbeit in der Familie und die Erziehung der Kinder im Prinzip genausoviel wert sind wie die Arbeit im Büro oder in der Fabrik. Herr Dreßler, damit hatten Sie ja jahrzehntelang ideologische Schwierigkeiten. ({3}) Denn nach dem marxistischen Arbeits-, Welt- und Menschenverständnis konnte man ja gesellschaftlich relevante, wertvolle Arbeit nur im Produktionsprozeß leisten. Insoweit hatten ja der Kapitalismus und der Sozialismus dasselbe Menschenbild. Wertvolle Arbeit gab es nur im Produktionsprozeß. Deswegen hat man auch nur diese Art von Arbeit akzeptiert, während wir gesagt haben: Die Arbeit in der Familie ist genausoviel wert wie die im Büro, und infolgedessen müssen wir etwas tun, damit das auch bei der Altersrente anerkannt wird. Das war eine Konzeption der Christlich-Demokratischen Union. Wir haben sie in den Jahren 1985 und 1986 zusammen mit den Liberalen -, die ein wenig über ihren neoliberalen Schatten springen mußten, bis sie soweit waren; sie haben das mit uns gemacht, nicht mit Ihnen - umgesetzt. Wir haben als erste die Anerkennung der Erziehungsjahre durchgesetzt. Frau von Renesse, das Entscheidende für die Frauen war damals, daß wir die Wartezeit von 15 Jahren auf fünf Jahre reduziert haben. Wenn eine Frau damals bei einjähriger Anerkennung zwei Kinder hatte, dann mußte sie noch drei Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung leisten, und dann stand ihr schon damals eine vom Mann unabhängige Rente zu. Heute anerkennen wir pro Kind drei Jahre. Wenn nun eine Frau zwei Kinder hat, dann braucht sie überhaupt keine Beiträge mehr in die Rentenversicherung einzubezahlen, die Wartezeit beträgt fünf Jahre. Sie hat eine eigenständige Rente. Daß das bei allen beklagenswerten Weiterentwicklungsnotwendigkeiten, die wir bei der Frauenrente haben, so ist, ist einfach auf die Initiative der CDU/CSU und der F.D.P. und nicht auf Ihre zurückzuführen. Von den anderen Dingen will ich erst gar nicht reden. ({4}) Ich will noch einen Punkt ansprechen. Lieber Herr Dreßler, ich versuche, es noch einmal in aller Ruhe zu sagen, weil es zu dem Szenario mit Scherbenhaufen und Intensivstation - so haben Sie das früher genannt - gehört. Wir können uns doch vielleicht auf eine Sprachlogik und die richtigen Begriffe verständigen. Wenn ich ein Einkommen in Höhe von 6 000 DM habe - egal, ob Rente oder Lohn -, und Sie sagen, Ihnen wird das Einkommen um 5 Prozent gekürzt, dann heißt das auf Deutsch gesagt, daß die 6 000 DM um 5 Prozent weniger werden - das sind 300 DM -, dann bleiben mir noch 5 700 DM. Das und nichts anderes versteht der normale Mensch unter Kürzung. Wenn Herr Wiesehügel mir sagt, „ich will eine Lohnerhöhung von 2,8 Prozent haben, weil ich das für richtig halte", und dann kommt in den Tarifverhandlungen eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent heraus, dann sagt er doch nicht, „der Bauarbeiter, der am Tag 200 DM verdient, hat, wenn ich in den Tarifverhandlungen eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent statt eine um 2,8 Prozent erreicht habe, eine Lohnkürzung von 1,3 Prozent", sondern dann sagt auch Herr Wiesehügel seinen Bauarbeitern: „Wir haben zwar nicht soviel bekommen, wie wir erwartet haben, aber ich habe eine Lohnerhöhung um 1,5 Prozent erreicht." Das ist doch richtig. ({5}) Wenn wir jetzt sagen, „die Renten werden auch in Zukunft jedes Jahr erhöht", dann bedeutet das nicht eine Rentenkürzung, sondern eine Rentenerhöhung. Auch wenn die Rentenanpassung etwas geringer ausfällt, gegenüber dem gemindert ist, was ursprünglich einmal vorgesehen war, dann bleibt es dennoch eine Rentenerhöhung. Wenn Sie etwas anderes sagen, dann betreiben Sie zumindest eine Vergewaltigung der deutschen Sprache, eine Mißachtung der Sprachlogik, ({6}) und, was noch viel schlimmer ist: Sie betreiben absichtlich eine Täuschung der Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande, und das sollten Sie bleiben lassen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8011, 13/8032, 13/ 8036 und 13/8044 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 13/8011 soll dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 21 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu möglichen atomaren Verseuchungen des Meerwassers bei La Hague durch die Wiederaufbereitung deutschen Atommülls Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Schönberger.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Wochen konnte die Umweltschutzorganisation Greenpeace erstmals das Ausmaß der radioaktiven Verstrahlung durch die Abwässer der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague messen - trotz massiver Behinderungen und dem Diebstahl von Ausrüstung durch Mitarbeiter der Cogema. Die Ergebnisse dieser Messungen sind erschreckend. Die Proben enthalten pro Kilogramm zehntausendmal mehr Radioaktivität als verseuchte Fische in Stauseen bei Kiew nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Jährlich werden von der Cogema 230 Millionen Liter radioaktiver Flüssigkeit einfach in den Ärmelkanal gepumpt - nach der Devise: Verteilen und verdünnen ist billiger als Sammeln und Lagern. Doch die Folgen sind bitter. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität in Besançon weist eine dreifach erhöhte Leukämierate bei Kindern und Jugendlichen in der Umgebung der Anlage auf. Diese Kinder und Jugendlichen sind Opfer auch der deutschen Atompolitik. Denn über 50 Prozent der Brennelemente, die in La Hague aufgearbeitet werden, stammen aus deutschen Atomkraftwerken. Seit Jahren wird deutscher Atommüll zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich und Großbritannien verUrsula Schönberger schoben und damit der Weiterbetrieb dieser Atomfabriken überhaupt erst abgesichert. ({0}) - Sowohl die UP 3 in Frankreich als auch die Inbetriebnahme der neuen THORP-Anlage in Großbritannien ist dadurch überhaupt erst möglich geworden. Das ist richtig, Kollege Fischer. Die Erkenntnis, daß Wiederaufarbeitung teuer und dreckig ist, daß sie den Atommüll vermehrt und nicht reduziert und daß es zu schweren Unfällen kommen kann, setzt sich allmählich weltweit durch. Die USA, Spanien, Schweden und Kanada haben sich definitiv gegen die Wiederaufarbeitung entschieden. Der schwere Unfall in der japanischen Anlage in Tokai läute deren Ende ein. Nur in Frankreich und Großbritannien werden die Anlagen noch gefahren. Warum? Weil ausländische Kunden - allen voran deutsche - hoffen, auf diese Weise das ungelöste und unlösbare Entsorgungsproblem noch um einige Jahre hinauszögern zu können - das mittels Atomanlagen, die nach deutschem Recht und Gesetz gar nicht genehmigungsfähig wären, weil sie zu dreckig sind. Dies ist ein Verstoß gegen den im Atomgesetz verankerten Grundsatz der schadlosen Verwertung. Denn eine Wiederaufarbeitung, die radioaktive Abwässer im Meer und auf dem Strand verteilt, die noch nicht einmal die von der EU zugelassenen Grenzwerte einhält, kann keine schadlose Verwertung sein. ({1}) Hier versuchen die deutschen Energieversorger - mit Billigung der Bundesregierung - am deutschen Gesetz vorbei, die Probleme mit dem radioaktiven Müll auf die Menschen in anderen Ländern zu verlagern. Dies ist ein gravierendes Beispiel, was die Europäisierung im Umweltbereich derzeit bedeutet: Mit dem Verweis auf gegenseitiges nationales Recht ist letztendlich keiner für die schädlichen Auswirkungen verantwortlich. Die einzig richtige Antwort darauf ist, die weitere Produktion von Atommüll zu stoppen und aus der Atomenergie auszusteigen. Doch selbst wenn man in der Logik der Bundesregierung bleibt - soweit man da von Logik reden mag, aber immerhin -, müßten die jetzt vorliegenden Zahlen und Beweise auch für Sie Anlaß genug sein, wenigstens endlich die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente im Ausland zu unterbinden. Wir fordern Sie jedenfalls auf, das endlich zu tun. Sollten Sie dazu nicht willens sein, dann haben Sie aber immerhin zur Kenntnis zu nehmen, daß nicht nur die Bevölkerung in Deutschland die Atomenergie nicht akzeptiert, sondern sich der Widerstand auch in der Atomnation Nummer eins, in Frankreich, formiert. Unser Grüner Kollege Didier Anger, Symbolfigur im Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, erhielt bei den Parlamentswahlen 40,8 Prozent der Stimmen. Die Grüne Umweltministerin Dominique Voynet hat bereits das Aus für den Schnellen Brüter im Cres-Malville verkündet. ({2}) Über kurz oder lang wird es ein Ende der deutschfranzösischen Nuklearkooperation geben. Wenn Sie nicht dafür sorgen, werden es die Menschen tun - die Menschen, die nicht mehr bereit sind, Opfer der Atompolitik zu sein, weder in Deutschland noch in Frankreich oder sonstwo auf der Welt. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Renate Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das einzig Aktuelle an der heutigen Diskussion ist die Tatsache, daß Greenpeace heute eine Aktion startet und daß wir hier im Bundestag im Auftrag der Grünen sozusagen als Wurmfortsatz von Greenpeaceaktionen mißbraucht werden sollen. ({0}) Genau das ist im Grunde der ganze Sinn dieser Aktuellen Stunde. Ich halte das für ausgesprochen lächerlich. ({1}) - Zu Ihnen komme ich gleich noch. Diese scheinheiligen Reden, die Sie heute zum Thema Ökosteuer geführt haben! Herr Fischer, ich kann mir genau vorstellen, wie bei Ihnen eine Ökosteuer aussehen wird. Die hat mit „Öko" überhaupt nichts zu tun, denn mit CO2 haben Sie nichts am Hut. Am liebsten möchten Sie doch die Kernenergie am allermeisten besteuern. Und dann sich hinzustellen und etwas von Arbeitsplätzen zu reden, die die Regierung nicht in ausreichendem Maße schaffen würde! Wenn Sie die Mitverantwortung in der Regierung tragen würden, dann hätten wir genau solche Zustände, wie wir sie im Moment in Frankreich erleben. Insofern amüsiert mich das, was Sie sagen. Ich finde, es sollte in der deutschen Öffentlichkeit durchaus etwas mehr bekannt werden, daß in Frankreich schon Bürger auf die Straße gehen - auch die Betriebe stellen es voller Entsetzen fest - und dagegen kämpfen, daß eine grün-grüne Stillegungsorgie stattfinden soll. ({2}) Wenn das in ausreichendem Maße in Deutschland bekannt würde, dann wäre das - das kann ich Ihnen versichern - die beste Wahlhilfe, die wir uns für die Bundestagswahl vorstellen können. Jetzt komme ich zu meinen Kollegen von der SPD. Vor ein paar Tagen ist gerade wieder ein CastorTransport von Neckarwestheim - das liegt in meinem Wahlkreis - aus gestartet. Ich halte große Stücke von „meinem" Kernkraftwerk in Neckarwestheim, ({3}) deswegen freut es mich auch ausgesprochen, daß ich immer wieder klare Bekenntnisse zu dieser sauberen, hervorragenden Kernenergie, die dort gewonnen wird, abgeben kann. ({4}) - Ja, ich liebe sie. ({5}) Ich will Ihnen noch etwas sagen: Sie selber leben von der Atomenergie. Das größte Atomkraftwerk, das es überhaupt gibt, ist die Sonne, von der wir alle abhängig sind. Auch im Inneren unserer Erde läuft ein kernenergetischer Prozeß ab. Ihre Tabus sind deswegen so lächerlich, weil Sie in einer ganz erschreckenden Unwissenheit leben. ({6}) Sie wissen überhaupt gar nicht, was die eigentliche Quelle des Lebens ist, und Sie werden damit auch nie richtig umgehen können. Was ich noch zum Kernkraftwerk sagen wollte: Es war natürlich bezeichnend für die SPD, daß sich kein Mensch um den Castor-Transport, der letzte Woche nach La Hague gegangen ist, gekümmert hat. Dabei gibt es keine Proteste, weil diese Transporte in die andere Richtung gehen. Aber wehe, ein CastorTransport findet in Richtung Gorleben statt! Dann ist der Ärger natürlich besonders groß. Dann heißt es: Am deutschen Wesen soll Schröder genesen! Deswegen dürfe dort keine Endlagerung stattfinden. Aber in La Hague darf sie stattfinden! Und jetzt machen Sie diese lächerliche Schau wegen La Hague! Komm, vergessen wir es! ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Rednerin die Kollegin Jutta Müller.

Jutta Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann nur eins sagen, Frau Kollegin Hellwig: Ich liebe keine Kernkraftwerke; ich liebe meinen Freund. ({0}) Eigentlich wollte ich ein paar Passagen Ihrer Rede mitschreiben, um darauf zu antworten. Aber ich glaube, das lohnt nicht. Wenn in La Hague erhöhte Radioaktivität im Meer festgestellt wird und wenn die Leukämiehäufigkeit laut „Le Monde" um das Fünffache erhöht ist, Frau Kollegin Schönfelder, dann ist das auch ein deutsches Problem. Jährlich werden 230 Millionen Liter radioaktiver flüssiger Atommüll in La Hague ins Meer abgelassen. Mindestens ein Drittel davon stammt aus Deutschland. Wenn man sich die tatsächlichen Zahlen anschaut, stellt man fest, daß es wahrscheinlich noch wesentlich mehr ist, da fast ein Viertel des gesamten von Frankreich exportierten Stroms direkt nach Deutschland geht. Das Risiko des Betriebes und die entsprechenden radioaktiven Abfälle bleiben natürlich der französischen Bevölkerung vorbehalten. Beängstigend war für mich die Tatsache, wie die Betreiberfirma Cogema in La Hague auf die Meßergebnisse von Greenpeace reagiert hat. Einer der Sprecher sagte tatsächlich, das sei alles nicht so schlimm, denn meistens sei das Abflußrohr, aus dem die Radioaktivität ausströme, unterhalb des Wasserspiegels. Außerdem würden die Schleusen nur geöffnet, wenn die Strömung an der Küste sehr stark sei - also immer zirka zwei Stunden nach jedem Hochwasser. Es ist wirklich beruhigend, in welch verantwortungsvolle Hände die Deutschen ihre Atommüllentsorgung legen. Die Bundesregierung schweigt dazu. Sie schweigt auch zu allen anderen Störfällen in französischen Atomkraftwerken, obwohl sie als Hauptkunde einen politischen Hebel in der Hand hätte. Die Realität wird verschwiegen, statt dessen wird hier immer wieder schöngeredet. Dabei ist es in der Atompolitik ja das gleiche wie in den anderen Bereichen des Umweltschutzes: Die Bundesregierung will sich international immer als ökologischer Musterknabe darstellen. Da macht der Bundeskanzler in New York nette Erklärungen über eine Waldkonvention, eine Konvention für Artenvielfalt, zu einem Klimaprotokoll - „hartes Klimaprotokoll" hat er sogar gesagt -, und in der Europäischen Union steht die Bundesrepublik Deutschland ständig auf der Bremse. Kein Land hat doch so viele Klagen wegen Nichteinhaltung von EU-Richtlinien am Hals wie die Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Von den Mißerfolgen ihrer Politik einmal ganz zu schweigen; denn mit der Glaubwürdigkeit ist es ja nicht mehr allzu weit her. Deshalb war der Gipfel in New York auch sehr schwierig. Es ist doch ein bißchen komisch, wenn man den Ländern der Dritten Welt Ratschläge geben will, wie man im Klimaschutz weiterkommen könnte und selbst bei dem hochgesteckten Ziel, den CO2Ausstoß zu reduzieren, kläglich gescheitert ist. Sie haben sich immer auf die Selbstverpflichtung der Industrie verlassen, und Sie sind immer betrogen worden. Jutta Müller ({2}) Frau Kollegin Hellwig, hören Sie doch endlich einmal mit dem Märchen auf, wir könnten unsere CO2Problematik durch die Atomenergie lösen. ({3}) Das können wir nämlich nicht. Wir brauchen eine Wende in der Energiepolitik. Das muß eine Wende hin zu rationaler Energieverwendung sein, eine Wende hin zu erneuerbaren Technologien. Genau dies blockiert die Atomindustrie, weil sie eine veraltete Großtechnologie ist, die intensiv genutzt werden muß. Deshalb will man auch die anderen Energien vom Markt verdrängen. Wir hatten doch erst vor kurzem eine Anhörung zur Energierechtsnovelle im Deutschen Bundestag. Was ist denn dabei herausgekommen? Was haben denn Firmen wie PreussenElektra gesagt? Der Vertreter von PreussenElektra sagte, es wäre wünschenswert, wenn die Windparks pleite gingen. Dazu muß man aber auch wissen, daß Preussen Elektra eine der Firmen ist, die mittlerweile schon Festverträge mit der Cogema abgeschlossen haben. Die Cogema hat im Moment in Frankreich ein Problem. Sie kämpft zur Zeit mit der EDF um einen neuen Wiederaufarbeitungsvertrag. Die Cogema braucht dringend Kunden, und das zu jedem Preis. Deshalb ist die Cogema auch bereit, Lager- und Wiederaufarbeitungsverträge wirklich zu Schleuderpreisen anzubieten. Bereits 1990 haben die deutschen EVUs Fakten geschaffen. Zunächst gab es sehr vorsichtige Verträge mit Rückzugsklauseln, also eher Lagerverträge. Aber Ende 1995 wurden diese Verträge ohne Unterrichtung der Öffentlichkeit, geschweige denn Beteiligung der Öffentlichkeit, von Bedarfsverträgen in Festmengenverträge umgewandelt. Federführend sind hier PreussenElektra, RWE und die Stadtwerke München. Wir können nicht einfach sagen, das sei ein französisches Problem. Denken Sie bloß nicht, daß in Frankreich die Atomenergie von der Bevölkerung befürwortet würde. Es gibt jede Menge Widerstand, aber dieser Widerstand wird auch durch Geld aus Deutschland kleingehalten. Da werden Milliarden an Devisen locker gemacht, um mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung die Bevölkerung kleinzuhalten. Es ist an der Zeit, daß die Deutschen ihre latent-arrogante Haltung gegenüber der französischen Bevölkerung überwinden und endlich für die in deutschem Namen und mit deutschem Geld betriebenen Anlagen Mitverantwortung übernehmen. Ich sage Ihnen: Geben Sie dieses Wahnsinnsprojekt der Wiederaufarbeitung auf. Reden Sie mit uns. Wir sind zu einem Konsens fähig, zu sagen: Wir suchen einen nationalen Endlagerstandort ohne die Wiederaufarbeitung. Blockieren Sie das aber nicht immer mit dem Weiterbetrieb von Anlagen; denn über Müll kann man sich nur dann unterhalten, wenn man auch die Mengen kennt. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächstes spricht Frau Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte ja versucht sein, diese Aktuelle Stunde zu den Greenpeace-Vorwürfen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage für radioaktive Brennstoffe in La Hague als verfrüht anzusehen. Die Untersuchungen sind überhaupt nicht abgeschlossen. Eine Stellungnahme der französischen Regierung steht noch aus. Wir bewegen uns schlicht gesagt auf spekulativem Untergrund. Deswegen denke ich, daß auch die Gefahr von falschen Vorverurteilungen relativ groß ist, und deswegen will ich diese Gelegenheit dazu nutzen, eine paar grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Thema zu machen. ({0}) Die erste Bemerkung: Auch wenn es sich um eine französische Anlage handelt, ist es sicherlich richtig, wenn wir uns um mögliche Belastungen der Meeresumwelt, die von dieser Anlage kommen, kümmern, und zwar nicht nur, weil dort auch deutsche Abfälle aufgearbeitet werden, sondern vor allem deswegen, weil die Meere grenzenlos sind und sich die Meeresanrainerstaaten insgesamt um ihren Schutz kümmern müssen. Dafür gibt es das OSPARCOM-Übereinkommmen zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Dieses Übereinkommen ist für diese Sache einschlägig. Ich halte es deswegen für notwendig, daß sich die Bundesregierung ohne falsche Aufgeregtheit im Rahmen dieses Übereinkommens um Aufklärung der Vorwürfe von Greenpeace kümmert und, wenn nötig, auf die Einhaltung der zulässigen Grenzwerte drängt. ({1}) Dabei wünsche ich mir auch eine entsprechend konstruktive Mitarbeit der Anlagenbetreiber. Zum zweiten. Ich bin der Meinung, daß die Grenzwerte des technisch Machbaren auch dann eingehalten werden müssen, wenn damit teure Nachrüstungsmaßnahmen verbunden wären. Auch der Kernenergie müssen ihre Folgekosten angelastet werden. Es kann nicht sein, daß Preisvorteil von Strom aus Kernenergie durch vermeidbare Umweltbelastungen erkauft wird. Die dritte Bemerkung. Die Vorwürfe an die Bundesregierung und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen wegen der Wiederaufarbeitung deutscher Brennstäbe in La Hague sind heuchlerisch. Und zwar hat die SPD-Regierung unter Helmut Schmidt die Zusammenarbeit mit La Hague 1979 völkerrechtlich abgesichert. Diese Koalition und diese Regierung haben das 1989 nur verlängert, nachdem die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf scheiterte. Heuchlerisch deshalb, weil SPD und Grüne die Elektrizitätsversorgungsunternehmen geradezu zwingen, diese radioaktiven Abfälle ins Ausland zu bringen. Die Wiederaufarbeitung in Hanau ist an der rot-grünen Landesregierung in Hessen gescheitert. Die direkte Endlagerung mit der dafür notwendigen Zwischenlagerung wird von SPD und Grünen blokkiert. Frau Kollegin Müller, Sie reden hier, wir könnten in diesem Punkt einen Konsens erzielen. Darauf muß ich gleich noch einmal kommen. Ich habe bisher nicht den Eindruck gehabt, daß das von Ihrer Seite passiert, und das, obwohl sich gerade die SPD für die Entsorgungsoption eingesetzt hatte. Wer also jede nationale Lösung in eigener Verantwortung bekämpft, hat meines Erachtens nicht das Recht, sich über die Entsorgung solcher Abfälle im Ausland moralisch zu entrüsten. ({2}) Der letzte Punkt, den ich anmerken möchte: Diese Diskussion zeigt wieder, wie notwendig ein Konsens über die Entsorgung der gebrauchten Kernbrennstoffe in Deutschland ist. Ich finde es schade, daß die durchaus zunächst erfolgversprechenden Gespräche des Frühjahres wegen der Uneinigkeit der SPD wieder zum Stillstand gekommen sind. Unabhängig von der Frage des zukünftigen Energiemixes müssen wir eine nationale Entsorgung von radioaktiven Abfällen erreichen. Die Blockade aller deutschen Entsorgungswege mit dem Ziel, einen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erzwingen, halte ich für unverantwortlich. ({3}) Ich bin der Meinung, daß für die im gesellschaftlichen Konsens errichteten Kernkraftwerke gerade auch im Interesse der künftigen Generation eine geordnete Entsorgung sichergestellt werden muß, Herr Kollege Müller. Auch in diesem Punkt haben SPD und Grüne bisher nur ihre Unfähigkeit zu verantwortlicher Politik unter Beweis gestellt. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächstes, Abgeordneter Rolf Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal noch ganz kurz zu den Fakten. Statistische Untersuchungen haben gezeigt: In der Nähe der Wiederaufbereitungsanlage La Hague gibt es gehäufte Fälle von Leukämie. Untersuchungen haben auch gezeigt, daß diese Personengruppe überdurchschnittlich viele Meeresfrüchte aus dem nahegelegenen Atlantik gegessen oder sich überdurchschnittlich oft am Strand aufgehalten hat. Zum anderen wissen wir auch, daß von La Hague jährlich 230 Millionen Liter radioaktive Flüssigkeit ins Meer abgegeben werden. Vergleichbare Leukämiecluster fanden sich auch in der Umgebung der britischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield und um die Anlagen in Dounrey. Die Ergebnisse der jüngsten epidemiologischen Untersuchungen lassen somit den Schluß zu, daß ein Zusammenhang zwischen den Emissionen der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague und dem vermehrten Auftreten von Leukämieerkrankungen in Form von verseuchtem Fisch und verseuchten Stränden existiert. Die Schlußfolgerung - auch nach den schweren Unfällen in Japan - ist: Durch die Wiederaufbereitung ist der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen nicht gewährleistet. Die nächste logische Schlußfolgerung ist, in das Atomgesetz ein Verbot der Wiederaufbereitung auch im Ausland aufzunehmen und eine Zwischenlagerung an den Atomkraftwerken vorzuschreiben. Das wäre übrigens eine bessere Lösung, als an dem Atomgesetz herumzubasteln und zu versuchen, eine standortunabhängige Genehmigung einzuführen, um die Atomkraftnutzung in diesem Land weiter zu betreiben. Liebe Frau Dr. Hellwig, ({0}) lieber der Wurmfortsatz von Greenpeace als der Wurmfortsatz von RWE, PreussenElektra und Bayernwerk sowie der übrigen Atomlobby, kann ich auf Ihre Rede nur antworten. ({1}) Allerdings, in einem Punkt möchte ich Ihnen etwas recht geben. ({2}) - Ja, nur ein bißchen. - Die Antiatombewegung darf sich nicht darauf beschränken, nur gegen Atomtransporte nach Gorleben zu sein. Sie muß sich ganz speziell um Ihr Lieblingskraftwerk, Neckarwestheim, und um die Transporte nach La Hague kümmern. ({3}) Auch da müssen Proteste angemeldet werden. Es müssen insgesamt die Proteste der Antiatombewegung gestärkt werden, damit wir endlich zum sofortigen Ausstieg kommen. Damit möchte ich schließen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Horst Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hellwig, ich muß sagen: Sie haben komische Lieben. Ich liebe meine Frau, ich liebe meine Kinder, ich liebe meine Schwiegertochter, ich liebe meine Enkeltochter. Deswegen bin ich für den AusHorst Kubatschka stieg aus der Kernenergie; denn ich möchte meinen Enkelkindern solch ein Erbe nicht hinterlassen. ({0}) Außerdem noch ein Hinweis, Frau Kollegin: Ich hoffe, daß Ihr Liebling nicht auseinanderbricht; denn dort gab es sehr wohl Materialschwierigkeiten. Dann wäre es mit der Liebe sehr schnell vorbei. Meinen Dank an Greenpeace. Sie haben mit ihrer Aktion wieder einmal deutlich gemacht, wie gefährlich die Kernenergie ist. Trotz Behinderung durch den Betreiber Cogema haben sie dafür gesorgt, daß die Wahrheit an den Tag gekommen ist. Unsere Zukunft wird gefährdet - und die unserer Kinder und Enkel. Dazu zwei Beweise: Erstens. Die radioaktiven Belastungen der Abwässer aus La Hague überschreiten die von der EU zugelassenen Werte. ({1}) Zweitens. Anfang dieses Jahres hat die Universität Besançon - und nicht Greenpeace; vor mir wurde schon darauf hingewiesen - Studien veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß eine dreifach erhöhte Leukämierate bei Kindern und Jugendlichen in der Region um die Wiederaufbereitungsanlage La Hague nachgewiesen wurde. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wiederaufbereitung ist ein Irrweg, ein strahlender Irrweg und ein teurer noch dazu. ({3}) In zweifacher Hinsicht rechnet sich die Wiederaufbereitung nicht: Erstens. Die Natur zahlt dafür. La Hague ist ein Beweis dafür, wie unsere Umwelt radioaktiv belastet wird. Zweitens. Sie rechnet sich nicht einmal finanziell. Gutachten haben bewiesen, daß die Wiederaufbereitung mindestens zweimal teurer ist als die direkte Endablagerung. Es ist also wirtschaftlicher Unsinn. Durch die Wiederaufbereitungsanlage wird die Endablagerung erschwert - ein erhöhtes Risiko. Durch die Wiederaufbereitung entsteht, bezogen auf das Volumen, mehr Abfall - ein erhöhtes Risiko. Durch die Wiederaufbereitungsanlage gewinnen wir waffenfähiges Material - ein erhöhtes Risiko. Wir brauchen die Wiederaufbereitung auch nicht, weil der Traum des Schnellen Brüters ausgeträumt ist. Er hat keine Zukunft. Er hat nicht gehalten, was uns die Theoretiker versprochen haben. Er brütet nicht ausreichend, er ist gefährlich, und seine Technik ist nicht zu beherrschen. ({4}) Im Chemieunterricht haben wir alle über die Reaktion von reinem Natrium mit Luft gestaunt. ({5}) Das war damals beeindruckend. Mich hat es zum Chemiestudium gebracht. Beim Schnellen Brüter wollen wir dieses Problem aber in den Griff bekommen. Japan hat gelernt, daß der Schnelle Brüter ausgebrütet hat. Frankreich zieht nach der Wahl die Konsequenzen. Es gibt keinen Phönix aus der Asche. Der Phönix ist verbrannt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hält am Ausstieg aus der Kernenergie fest. Wir wollen uns aus dieser gefährlichen Sackgasse herausbegeben - und dies aus vier Gründen: Erstens. Das Sicherheitsproblem ist nicht lösbar. Es wird immer ein Restrisiko bestehen. Dieses Restrisiko ist nicht beherrschbar. Der Traum des in sich sicheren Reaktors wird sich nicht erfüllen. Deshalb ist die SPD gegen den Europäischen Druckwasserreaktor. ({6}) Zweitens. Die Kernenergie ist nicht weltweit einsetzbar. Ich möchte Staaten wie dem Irak und dem Iran nicht waffenfähiges Material an die Hand geben. Drittens. Die Endablagerung ist weltweit nicht gelöst. Seit über 50 Jahren benützen wir im zivilen Bereich die Kernenergie. Trotzdem haben wir weltweit das Problem, den Abfall sicher zu verwahren, nicht gelöst. Bisher zeichnet sich keine Lösung ab. Viertens. Die Kernenergie verbaut die Zukunft. Sie bindet Finanzmittel, die für den Einsatz der erneuerbaren Energien dringend benötigt werden. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, die direkte Endablagerung als alleinigen Pfad der Entsorgung festzulegen und endlich den Weg freizumachen für den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg in die solare Zukunft, damit unsere Enkel und Urenkel eine Chance haben. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es folgt der Kollege Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben hier die Neuauflage einer Diskussion, wie wir sie früher unter anderen Aspekten schon mehrfach hatten: Antikernkrafthaltung der Grünen, Antikernkrafthaltung der Sozialdemokraten, Antikernkrafthaltung gerade auch bei der PDS. Das einzig Neue ist: Früher hatten Sie wirklich aktuelle Anlässe. Meine Kollegin hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es beschämend ist, wenn sich hier Repräsentanten des Parlaments zu Vertretern außerDr. Klaus W. Lippold ({0}) parlamentarischer Initiativen machen und hier Aktuelle Stunden beantragen, weil Greenpeace eine Aktion startet. Ich sage einmal ganz deutlich: Das ist unzumutbar. Daß sich die SPD hier mit anschließt, ist, ehrlich gesagt bedauerlich. ({1}) Diesen Vorgang kann man in einem Zusammenhang mit ähnlichen Vorfällen bringen, wie wir sie früher auch in der Bundesrepublik hatten: Keiner von Ihnen hat gesicherte Daten vorliegen. Aber Sie alle beteiligen sich an einer Vorverurteilung. Wir haben das gleiche auch bei deutschen Kernkraftwerken gehabt. Nie haben Sie nachweisen können, daß hier eine Signifikanz ist. Immer blieb es bei Ihren Behauptungen. Sie schüren Ängste, insbesondere bei Eltern von Kindern. Das ist viel schlimmer als der Vorgang selbst. Gerade dieses Ängsteschüren ist unverantwortlich. Was ist aus der Stoffdiskussion, die Sie früher hatten - gerade Ihre Partei, Herr Rochlitz -, geworden? Vergessen ist alles, was Sie vor Jahren in den Bundestag hineingetragen haben. Das haben Sie damals benutzt, um Ängste zu schüren. Das ist abscheulich; das sage ich Ihnen. ({2}) Aber Ihnen geht Ihr parteipolitischer Knigge über alles. Herr Fischer hat in Hessen doch nur von seiner Antikernenergiehaltung gelebt, weil diese Partei nichts anderes zustande gebracht hat. Was ist von Ihren früheren Initiativen zu den vielen Stoffen, die die ganze Welt vernichten, übriggeblieben? - Nichts als Ihre Behauptung! Jetzt machen Sie dieses jämmerliche Spiel auf Veranlassung von Greenpeace nochmal. Sie sollten sich schämen! Ich sage ganz deutlich: Es ist nicht gut, wenn diejenigen, die aus Kohlerevieren kommen, jetzt auf einmal entdecken, daß die Kernkraft nicht notwendig sei - nur um den Absatz deutscher Steinkohle über „effiziente Nutzung" fortzuführen, wie es dann immer so heißt. Es ist doch erstaunlich, daß von Ihnen kein Satz dazu kommt, daß die Abstrahlung im Umfeld von Kohlekraftwerken - genauso wie bei den Kohlegruben - größer ist als die Abstrahlung bei Kernkraftwerken. Warum machen Sie denn da nicht einmal Untersuchungen darüber, welche Schäden eintreten? ({3}) Aber das interessiert Sie nicht; denn da geht es um Kohle, und Kohle darf nicht in die Diskussion kommen. Es ist jämmerlich, wie hier gewertet wird. Wenn es um etwas geht, was man will, wird alles herangezogen, werden alle Register gezogen. Wenn es aber - wie in diesem Fall - um Kernkraft geht, dann sieht das alles ganz anders aus. Ich hoffe, daß die Arbeitnehmer bei Preussenelektra, bei Bayernwerke und bei RWE diese Diskussion verfolgen; ({4}) denn die Äußerungen, die gerade gefallen sind, waren wirklich mit dem Verantwortungsbewußtsein der Arbeitnehmer in diesen Betrieben unvereinbar. Sie können, so sehr Sie es auch versuchen, daraus kein deutsches Problem machen. Wer - wie Sie - mit allen ihm zur Verfügung stehenden häßlichen und schändlichen Mitteln versucht, Endlagerung zu verhindern, und gleichzeitig sagt, daß die Wiederaufarbeitung nicht kommen soll, der muß sich doch fragen lassen, wie ernst er überhaupt genommen werden kann. ({5}) Geben Sie Ihre Antihaltung auf! Kehren Sie zu einer vernünftigen Haltung zurück und erzählen Sie mir nichts von Konsensgesprächen! Wenn einer Ihrer drei Häuptlinge aufsteht, tunken die beiden anderen ihn sofort wieder unter Wasser, und man weiß nicht, an was man sich halten kann. Heute morgen wurde schon deutlich: Der Häuptling, den Sie da in die Schlacht geführt haben, kennt noch nicht einmal das, was der Kronprinz aus Nordrhein-Westfalen, Clement, sagt. Er kennt noch nicht einmal das, was der Fachmann Vahrenholt in Hamburg zu Umweltfragen sagt. Aber er setzt sich hier hin, schreibt auf, was ihm vorgegeben wurde, und muß sich dann in der Debatte anhören, daß das zum Thema nichts beiträgt. Nein, kehren Sie zu einer sachbezogenen Politik zurück. Dann können wir die Dinge angehen. ({6}) Im übrigen: Tun Sie doch nicht so, als sei das alles geheim. Die Daten liegen vor. Sie können sie nachprüfen. Auch die EU tut dies. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Jürgen Rochlitz.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrn Lippold ist dafür zu danken, daß er mit seiner Rede einmal deutlich gemacht hat, wie die Position seiner Fraktion zu Umweltverbänden à la Greenpeace ist. Die Rede hat gezeigt, daß es heuchlerisch ist, was seine Fraktion in puncto Beteiligung von Umweltverbänden zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Naturschutzgesetz bisher ausgeführt hat. Die gläubige Atomgemeinde hat mittlerweile eine ganze Reihe stattlicher Investitionsruinen und Flops zu beklagen. Dazu gehört auch Ihr geliebtes Atomkraftwerk, Frau Hellwig, mit dem schiefen Turm von Neckar-Westheim. Auf keinem anderen Sektor angeblicher High-Tech-Industrie sind so viele Milliarden buchstäblich ha den Sand gesetzt worden. Selbst die alten Ägypter haben bei ihrer High-Tech-Begräbnistechnik weniger Fehlchargen gehabt als die Atomgemeinde mit ihren Kernkraftkathedralen. Wir sind froh, daß die neue Regierung in Frankreich diese Ruinenreihe nun mit der Aufgabe des Schnellen Brüters Superphénix verlängert. Da die Brütertechnik auch in Japan an den ihr innewohnenden Mängeln gescheitert ist, gibt es weltweit kein funktionsfähiges Demonstrationsobjekt mehr. Es sollte auch in Zukunft keines mehr geben. Damit erübrigen sich eigentlich auch die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und in Großbritannien. Es bleibt sowieso ein Rätsel, Herr Lippold, warum nach dem Mauer- und Zaunfall von Wackersdorf im Jahre 1989 und der schlüssigen Erkenntnis Ihrer Freunde, der Strombosse, Wiederaufbereitung rechne sich nicht, weiterhin am Konzept der Wiederaufbereitung in Frankreich festgehalten wurde. ({0}) Es waren, Frau Homburger, vor allem die Technikbesessenen, die Regierungen weltweit in den Wiederaufbereitungswahnsinn getrieben haben. Ihr alchimistischer Traum vom atomaren Recycling, ihre unkritische Begeisterung angesichts der angeblich unerschöpflichen Energiequellen des Schnellen Brüters haben uns in eine Sackgasse mit Milliardenverlusten geführt. Steuerzahler und Stromkunden haben die Zeche beglichen - bisher leider ohne aufzumukken. Nun wird dank Greenpeace wieder einmal deutlich, daß das im Vergleich zu Wackersdorf „billige" La Hague wegen seiner einfachen, schmutzigen Entsorgung ins Meer die kostengünstigere Alternative beisteuern konnte. Es wird doch niemand der Verantwortlichen in den Umweltministerien, auch hier im Haus, Herr Hirche, im Ernst bestreiten wollen, gewußt zu haben, warum La Hague günstiger ist als Wackersdorf. Greenpeace hat deutlich gemacht, daß es im Kern mal wieder nicht nur um finanzielle Probleme geht. Die atombesessenen Befürworter haben wissend in Kauf genommen, daß bei der Wiederaufbereitung in Frankreich und Großbritannien die Meere radioaktiv verseucht werden. Dies wurde schon durch mancherlei Untersuchungen der Radioaktivität in der Nordsee und in der Irischen See belegt. Die jetzige Aufdeckung, wie dramatisch und brutal diese Selbstverständlichkeit der Nutzung des Meeres als nukleare Kloake ist, verdanken wir Greenpeace. ({1}) - Was regen Sie sich eigentlich so auf, daß hier darüber debattiert wird? Es ist doch ganz normal, hier über solche Probleme zu diskutieren. ({2}) Wozu kümmern sich eigentlich NordseeschutzKonferenzen um die Verhinderung gefährlicher Einleitungen, wenn deren gefährlichste Form von radioaktiven Stoffen mit langen Halbwertszeiten von Nutznießern wie der Bundesrepublik achselzuckend hingenommen wird? Wir sprechen hier von einem Ausmaß an radioaktiven Emissionen in La Hague, das größer ist als das sämtlicher deutscher Atommeiler zusammengenommen. Warum wurden eigentlich die schon beim Fall von Wackersdorf vorgebrachten Kostenbedenken gegen die Wiederaufbereitung nicht ernst genommen? Wozu läßt eigentlich die Bundesrepublik jährlich tonnenweise Plutonium - das risikoreichste Teufelszeug überhaupt - produzieren, wenn bekannt ist, daß seine Weiternutzung in Brennstäben für Leichtwasserreaktoren blanker Kostenunsinn ist, und wenn bekannt ist, daß es allenfalls für Kriegsphantasten und organisierte Kriminalität interessant ist? Wenn es finanziell und naturwissenschaftlich betrachtet Unsinn ist, aus einem Brennstab 29 Tonnen -29 Tonnen, Herr Lippold! - radioaktive Abfälle zu produzieren, und wenn aus ökologischen Gründen nicht zugelassen werden darf, daß von dieser radioaktiven Tonnage ein großer Teil ins Meer geleitet wird, dann muß diese zynische Politik der angeblich „schadlosen Verwertung" ohne Zögern aufgegeben werden, ({3}) und zwar schon vor einem wie auch immer gearteten Energiekonsens. Immerhin hat uns ja dankenswerterweise das Umweltbundesamt dazu kürzlich Schützenhilfe geleistet. Wenn wir einen Weg zu einem zukunftsfähigen und nachhaltigen Deutschland beschreiten wollen - wozu es ja parteiübergreifende und internationale Einigkeit gibt -, dann benötigen wir dazu nach Meinung des Umweltbundesamtes die Atomenergie auf Dauer nicht; Herr Lippold, lesen Sie sich das mal durch! Weiter sagt das Umweltbundesamt: Ein Ausbau der Kernenergie dürfte hingegen gerade die angebotsorientierten Strukturen unserer Energiewirtschaft stabilisieren, die ein Haupthemmnis für die zur Erreichung des Klimaschutzziels unabdingbare Effizienzverbesserung darstellen. Dem ist meines Erachtens überhaupt nichts hinzuzufügen. Für die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague gilt nach unserer Einschätzung vorrangig: Diese Technik muß schnellstens aufgegeben werden. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche.

Walter Hirche (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002678

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist gemeinsame Überzeugung, daß der Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung ein wichtiges Gut ist. Um das auch kontrollieren zu können, gibt es nationale und internationale Normen. Das Sicherheitsniveau der WiederaufarbeiParl. Staatssekretär Walter Hirche tungsanlage in Frankreich ist diesen internationalen Normen unterworfen. Die Strahlengrundsätze, die dort gelten, stimmen mit den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission, ICRP, und den EURATOM-Grundnormen überein. Die Gefährdungsprozesse werden dadurch so gering wie möglich gehalten. Meine Damen und Herren, die für den Strahlenschutz geltenden Werte - ich habe es gesagt - sind in den EURATOM-Grundnormen verankert. Wenn die Grundnormen eingehalten werden, ist von der Schadlosigkeit des Wiederaufarbeitungsvorgangs auszugehen. Das ist nach Überzeugung der Bundesregierung der Fall. Zu diesem Ergebnis ist auch die Kommission der Europäischen Union gelangt. Ich sage trotzdem an dieser Stelle: Immer, wenn es neue Erkenntnisse oder - besser gesagt - Behauptungen gibt, dann tut natürlich jede Regierung gut daran, solchen Behauptungen nachzugehen. ({0}) Wir haben aber Zweifel daran, daß die Behauptungen, die hier aufgestellt werden, die Grundsätze verletzen, auf die man sich geeinigt hat. In dem Bericht der Oslo- und Paris-Kommission über die flüssigen Ableitungen aus kerntechnischen Anlagen im Jahre 1995 wurde darauf verwiesen, daß in La Hague der Ableitungsgrenzwert von Tritium zu weniger als 30 Prozent, die Grenzwerte für andere Radionuklide zu weniger als 20 Prozent ausgeschöpft wurden. Die deutliche Unterschreitung der Ableitungswerte aus den Anlagen in La Hague wurde aktuell auch noch einmal von der französischen Aufsichtsbehörde gegenüber dem Bundesumweltministerium bestätigt. Wir haben keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Im übrigen hat auch Greenpeace keine Überschreitung von Genehmigungsgrenzwerten behauptet. Meine Damen und Herren, zu der These, daß es eine Studie der Universität Besançon über eine erhöhte Leukämierate in der Umgebung gibt, darf ich eine AFP-Meldung von gestern zitieren, in der der Präsident des Wissenschaftskomitees für eine neue epidemiologische Studie über Leukämie in Nord-Cotentin, also der Gegend, um die es sich hier handelt, Herr Charles Souleau, feststellt, daß es kein Element gibt, das zu einer Veränderung der Lebensgewohnheiten führt. In dieser Meldung heißt es wörtlich: Zur jetzigen Stunde gibt es „aucun élément d'alerte", also „kein Element des Alarms" in diesem Zusammenhang. Das ist die These, zu der die regionale wissenschaftliche Kommission vor Ort gekommen ist. Ich finde, in einer solchen Diskussion, in der man nichts, keinerlei Besorgnisse unter den Tisch kehren sollte, kann nicht einseitig zitiert werden. Man muß schon das, was in der Region an Erkenntnissen vorliegt, ernst nehmen. ({1}) Daß bei Proben von Greenpeace direkt an der von der Wiederaufarbeitungsanlage ins Meer führenden Abwasserleitung erheblich höhere Konzentrationen aufgetreten sein sollen als in dem unbelasteten Einleitungsmedium selbst, ist allerdings alles andere als überraschend. Auch wer Luftproben unmittelbar an der Schornsteinmündung einer Chemieanlage nimmt, wird sich nicht wundern, wenn die Schadstoffkonzentrationen deutlich über denen des unbelasteten Mediums liegen. Entscheidend für die Beurteilung der Ableitungswerte aus La Hague ist aus deutscher Sicht, ob die tatsächlichen Ableitungswerte den Genehmigungswerten entsprechen und mit der Stellungnahme der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1989 zu den Ableitungen auf der Grundlage des Art. 37 des EURATOM-Vertrages in Übereinstimmung stehen. Hieran hat die Bundesregierung keine begründeten Zweifel, zumal auch die der Oslo- und Paris-Kommission jährlich gemeldeten Ableitungswerte weit unterhalb der Genehmigungswerte liegen. Darauf habe ich bereits hingewiesen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß - jedenfalls beim derzeitigen Kenntnisstand -, wie es bei Greenpeace wörtlich heißt, „von einer Verseuchung des Meerwassers bei La Hague durch die Wiederaufarbeitung " deutscher Brennelemente keine Rede sein kann. Es besteht deshalb nach derzeitigen Erkenntnissen keinerlei Grund, die Verbringung bestrahlter Brennelemente aus Deutschland nach La Hague mit dem Ziel ihrer Wiederaufarbeitung zu unterbinden. Vielmehr sieht die Bundesregierung diesen atomgesetzlich zugelassenen Entsorgungsweg unverändert als sicherheitstechnisch verantwortbaren Teil der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland an. Unverantwortbar erscheint es mir, mit unzutreffenden Argumenten die Wiederaufarbeitung zu verteufeln, andererseits aber die direkte Endlagerung mit den notwendigen Transporten zu den Zwischenlagern in Gorleben und Ahaus dadurch in Mißkredit zu bringen, daß eine seit Jahrzehnten positive Bilanz ins genaue Gegenteil verkehrt wird. Der Kollege Kubatschka hat vorhin gesagt - er ist im Augenblick leider nicht mehr im Raum -, man solle ausschließlich die direkte Endlagerung zulassen. Ich hätte von ihm gerne ein Bekenntnis dazu verlangt, daß sich die SPD in diesem Zusammenhang für reibungslose Transporte und für Zwischenlager einsetzt. Das aber fehlt. ({2}) In diesem Zusammenhang ist also eine äußerst widersprüchliche Position festzustellen. Wir setzen uns mit allen kritischen Erkenntnissen, von welcher Seite auch immer sie geäußert werden, auseinander. Aber gerade nach dem, was wir von Greenpeace seinerzeit an Daten zum Beispiel im Zusammenhang mit Brent Spar geliefert bekommen haben, besteht Anlaß, bei jeder Organisation nachzuhaken, ob die Daten stimmen und in welchem Verhältnis sie zum Gesamtumfeld stehen. Das hat nichts damit zu tun, daß wir den Wert von Nichtregierungsorganisationen geringschätzen; das habe ich vorhin - ich glaube, zuletzt von Herrn Rochlitz - gehört. Aber nur weil es eine Nichtregierungsorganisation ist, weil es Greenpeace ist, sind doch die Argumente, die von dieser Seite geäußert werden, nicht sakrosankt und tabu. ({3}) Wir haben uns auf Verfahren verständigt; diese werden wir einhalten. Wir gehen Besorgnissen nach. Wir halten sie nach unserem derzeitigen Kenntnisstand zwar nicht für gerechtfertigt. Das aber darf niemanden daran hindern, Besorgnisse ernst zu nehmen. Wir möchten - lassen Sie mich mit diesem Satz schließen -, bei allem Verständnis für Besorgnisse der Öffentlichkeit, nur nicht zulassen, daß auf der Grundlage von Halbwahrheiten Unsicherheit geschürt wird. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es folgt der Kollege Arne Fuhrmann.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Lippold, Sie haben recht: Vorverurteilung ist etwas Schlimmes. Im Grunde genommen sollte man das im politischen Geschehen grundsätzlich ad acta legen. Aber was mich bei der gesamten Diskussion in dieser von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde so nachdenklich macht, ist die Tatsache, daß wir im politischen Geschäft - da will ich mich als Mitglied der SPD gar nicht ausschließen - sehr schnell und sehr leicht Wege gehen, die eigentlich einfach sind. Das heißt: Wenn wir keinen Beweis in der Hand haben, wenn wir nur von einer Vermutung ausgehen, die nicht von vornherein ganz abstrakt zu sein scheint, dann machen wir es uns leicht und sagen: Das ist nur eine Vermutung; Beweise haben wir nicht in der Hand. Greenpeace hat da etwas festgestellt, und dann gibt es noch ein ominöses Gutachten, nach dem die Leukämiefälle in der Gegend erhöht sind. Also müssen wir im Grunde genommen nichts tun. Wir verhalten uns hier im Parlament im Regelfalle genau so, wie ich gerade geschildert habe: Wir kneifen. Wir kneifen vor der Tatsache, daß die Situation in La Hague im Grunde genommen in einer Entwicklungskette steht, die uns seit vielen Jahren verfolgt ({0}) und bei der wir uns immer wieder geschickt und auch ein Stückchen politisch raffiniert rausgezogen haben, weil die einzelnen kleinen Punkte immer irgendwo zu entkräften waren. Ich erinnere Sie zum Beispiel an die Diskussion Elbmarsch, Kernkraftwerk Krümmel, wo es eine kaum zu verstehende Anhäufung von Leukämiefällen gab. Wir diskutieren darüber, es gibt Gutachten und Gegengutachten. Wissenschaftler äußern sich, andere äußern sich wieder anders. Das hilft aber weder den Kindern noch den Familien. Wir diskutieren jetzt über die Möglichkeit, es könnte in La Hague so sein, wie von Greenpeace festgestellt, und es könnte in La Hague so sein, wie von der Wissenschaft dort hinsichtlich der Anhäufung von Blutkrebserkrankungen festgestellt. Dann sagen wir trotzdem: Vorverurteilungen machen wir nicht; wir brauchen eine vernünftige Entsorgungskette. Ich frage mich, wie die Zusammenhänge den Menschen zu verdeutlichen sind, die, anders als wir, nicht immer aufgebracht miteinander diskutieren, sondern die Angst haben und fragen: Wo, bitte schön, steckt eigentlich das, was uns dieses Parlament an Sicherheit vermitteln könnte? Auch ich als vehementer Atomkraftgegner - Sie alle wissen, daß ich ein solcher bin - frage mich in der Zwischenzeit: Wo vermitteln wir Parlamentarier nach außen hin Sicherheit? Ein Riesenfortschritt wäre, wenn wir endlich dahin kämen, diese Debatte - wie sie heute geführt wird - nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Beschimpfungen, sondern ernsthaft zu führen und vielleicht nach dem Ergebnis, das uns Greenpeace geliefert hat, zu sagen: Es wird allerhöchste Zeit, daß wir uns sehr intensiv mit der tatsächlichen Situation in La Hague auseinandersetzen und auch respektieren, daß Wiederaufarbeitung - soweit das von uns und von der Wissenschaft heute beurteilt werden kann - offensichtlich nicht der richtige Weg zu sein scheint, um den Dreck loszuwerden, den wir damit potenzieren. Ganz offensichtlich muß es andere Wege geben. Ich möchte verhindern, daß die Diskussion um Kernkraft, um Atomstrom so weit ausartet, daß sie zur Geißel dieses Parlaments wird. Ich habe nach den letzten Diskussionen, auch im Zusammenhang mit den Castor-Transporten, ernsthafte Sorgen, daß wir derartig tiefe Furchen zwischen die Fraktionen und Gruppen ziehen, daß wir nicht in der Lage sind, wirkliche Konsensgespräche und damit auch tatsächliche Chancen für einen rechtzeitigen Ausstieg aus dieser unseligen Energie zu erreichen. ({1}) - Frau Hellwig, ich wäre froh, wenn Sie diese Bemerkung jetzt nicht gemacht hätten. Ich habe Ihnen ein Angebot gemacht, ein sehr ernsthaftes Angebot. Wenn Sie das nicht annehmen können, dann sollten Sie an einer solchen Aktuellen Stunde besser nicht teilnehmen. Den anderen danke ich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat Kollege Wolfgang Behrendt das Wort.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lippold, Sie haben den Vorwurf erhoben, daß in dieser Aktuellen Stunde zum wiederholten Male nur bekannte Positionen dargestellt worden seien, aber im Grunde das gleiche getan. Sie haben es verabsäumt, sich mit den sachlichen Fakten objektiv auseinanderzusetzen. ({0}) Ihr Vorwurf, daß die Opposition nur Ängste schüre und Bürger verunsichere, macht deutlich, daß Sie im Grunde jegliche Diskussion verweigern. Man kann es doch nicht einfach als Panikmache abtun, wenn die Untersuchung von Greenpeace ganz ernstzunehmende Fakten zu Tage gefördert hat: So sind die Proben aus La Hague siebzehnmillionenfach höher mit Radioaktivität belastet als das normale Meerwasser. Das Sediment im Meerwasser von La Hague ist zehntausendfach höher belastet als Fische in Stauseen bei Kiew nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Der Beitrag von Herrn Staatssekretär Hirche hat sich dagegen wohltuend von Ihrem Beitrag abgehoben; denn er hat wirklich versucht, sich mit den Argumenten, die von Greenpeace vorgetragen worden sind, sachlich auseinanderzusetzen. ({1}) Ich begrüße es, daß er gesagt hat, die Bundesregierung werde das ernst nehmen und weiter verfolgen. Und in der Tat: Die Bundesregierung kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Denn - das wurde hier schon deutlich gemacht - wir Deutsche liefern einen Großteil des Materials, das in La Hague verarbeitet wird. Von daher tragen wir Mitverantwortung und müssen alles tun, um zu einem Höchstmaß an Aufklärung beizutragen. ({2}) Mich haben an dieser Untersuchung nicht nur die alarmierenden Werte irritiert. Mich hat auch irritiert, daß man versucht hat, Greenpeace daran zu hindern, diese Untersuchung vorzunehmen. Das erinnert mich fast ein bißchen an die Behinderungen der norwegischen Umweltorganisation Belona bei ihren Untersuchungen im Nordmeer. ({3}) Gerade von einem Nachbarland wie Frankreich, mit dem wir gute, freundschaftliche Beziehungen haben, müssen wir fordern, daß ein Höchstmaß an Aufklärung geleistet wird. Aber es ist, so denke ich, ermutigend, daß die neue französische Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Jospin eine sehr viel weniger vorurteilsbehaftete Haltung einnimmt als frühere Regierungen. Noch im Mai, als die ersten Untersuchungen über die Häufung von Leukämiekrankheiten bekannt wurden, titelte der „Berliner Tagesspiegel": „Frankreich tut Atomgegner als skurrile Eigenbrötler ab". Da hat sich doch ein Gesinnungswandel vollzogen. Die Tatsache, daß der Superphénix jetzt stillgelegt werden soll, macht das auch in der praktischen Politik deutlich. Die Ankündigung der Stillegung des Superphénix hat auch Konsequenzen für die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague. Denn Wiederaufbereitung macht dann keinen Sinn mehr. Daß es anders geht, zeigt im übrigen auch ein Land wie Schweden, das von vornherein auf die Wiederaufbereitung verzichtet hat. Herr Staatssekretär, Sie sollten dem schwedischen Beispiel folgen. Sie sollten den Ausstieg aus der Wiederaufbereitung vorbereiten. Gemeinsam sollten wir dann versuchen, sichere Entsorgungspfade gemeinsam zu gehen. Angesichts der neuesten Informationen um die Vorfälle von Gorleben - die ja hier indirekt mit angesprochen sind -, die wir dank Greenpeace haben, muß ich sagen: Wenn wir den Ausstieg aus der Atomkraft nicht zumindest einleiten, wird es die erforderliche Akzeptanz in der Bevölkerung für eine Lösung der Entsorgungsprobleme nicht geben. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich danke all denjenigen, die bis zuletzt ausgeharrt haben - es war eine stramme Woche -, und wünsche Ihnen bei allem, was „draußen" zu tun ist, daß noch ein bißchen Zeit für Erholung bleibt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September 1997, 11 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.