Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich mitteilen, daß der Abgeordnete Norbert Gansel am 16. Juni 1997 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. Michael Bürsch am 17. Juni 1997 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen ({1})
- Drucksache 13/4355 - ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Monika Knoche, Gerald Häfner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen ({3})
- Drucksache 13/2926 -({4})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({5})
- Drucksache 13/8017 -
Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp
Klaus Kirschner Monika Knoche Dr. Dieter Thomae Dr. Ruth Fuchs
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer ({7}) und weiterer Abgeordneter
Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirschner, Wolfgang Lohmann ({8}), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P.
Spende, Entnahme und Übertragung von Organen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eckart von Klaeden, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Eckpunkte für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen
- Drucksachen 13/4114, 13/4368, 13/6591, 13/8017 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp
Klaus Kirschner Monika Knoche Dr. Dieter Thomae Dr. Ruth Fuchs
Bevor wir mit der Beratung beginnen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ablauf der Debatte und zu den Abstimmungen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache insgesamt vier Stunden vorgesehen.
Zunächst wird der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit berichten. Danach wird ein Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur BegrünPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
dung ihres Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/2926 sprechen. Eine nichtnamentliche Abstimmung über diesen Gesetzentwurf schließt sich daran an.
Dann erhält das Wort zur Begründung eines Änderungsantrages zu § 2 des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. der Abgeordnete Schmidt-Jortzig.
Sodann erfolgt die Aussprache zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. und den eingebrachten Änderungsanträgen zu den zentralen Fragen zur Feststellung des Todes und der Zustimmung durch andere Personen.
Nach Schluß der Aussprache folgen die Einzelabstimmungen in der zweiten Beratung in folgender Reihenfolge: zunächst § 3, Frage der Feststellung des Todes. Über die hierzu vorliegenden beiden Vorschläge auf den Drucksachen 13/8025 und 13/8027 der Initiativgruppen der Abgeordneten von Klaeden, Wodarg, Knoche, Schmidt-Jortzig und anderer sowie der Abgeordneten Seehofer, Lohmann, Dreßler, Thomae und anderer wird entsprechend dem Verfahren nach § 50 der Geschäftsordnung alternativ abgestimmt. Die Abstimmung erfolgt namentlich. Dazu werden rechtzeitig besondere Stimmzettel ausgegeben.
Danach erfolgen die Abstimmungen zu § 4, Zustimmung Dritter zur Organentnahme. Möglicherweise wird die Sitzung vorher kurz unterbrochen werden, sofern es neue Änderungsanträge zu § 4 gibt. Die dann zur Abstimmung stehenden Varianten des § 4 werden von den Antragstellern kurz dem Plenum erläutert werden, damit jeder weiß, worüber er abstimmt.
Für die folgenden Abstimmungen über die Änderungsanträge zu § 4 ist wiederum das Verfahren entsprechend § 50 der Geschäftsordnung vereinbart. Das bedeutet: Falls nicht einer der Vorschläge schon im ersten Abstimmungsgang die erforderliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, kommt es zu einem Stichentscheid zwischen den beiden bestplazierten Vorschlägen. Die Abstimmungen erfolgen wiederum namentlich. Dazu werden Ihnen besondere Stimmzettel rechtzeitig ausgegeben.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß nach den Abstimmungen zu den §§ 3 und 4 im Hinblick auf sich daraus ergebende Folgeänderungen an anderer Stelle des Gesetzes die Sitzung nochmals unterbrochen werden könnte, bevor die Abstimmungen in der zweiten Beratung abgeschlossen sind und wir in die Schlußabstimmung eintreten können.
Das vereinbarte Verfahren weicht in einigen Punkten von der üblichen Gesetzesberatung nach unserer Geschäftsordnung ab, um der besonderen Situation bei diesem Gesetz gerecht zu werden. Sind Sie mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Nähere Hinweise zu den Einzelheiten des Abstimmungsverfahrens werden unmittelbar vor der Abstimmung noch einmal erfolgen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile dem Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit, Dr. Dieter Thomae, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz haben wir es uns nicht leicht gemacht. Die Organspende ist ein ganz sensibles Thema, das tief in unser Leben eingreift. Wir haben uns deshalb bewußt in zahlreichen Anhörungen Zeit genommen, alle Facetten zu erörtern.
Als erstes stellt sich die Frage: Warum brauchen wir ein solches Gesetz? - Weil wir Rechtssicherheit haben wollen. Es geht um Sicherheit und Vertrauen für die Patienten, für die Angehörigen und für die Ärzte, die direkt und indirekt an der Transplantation beteiligt sind.
Der Bund hat seit dem 15. November 1994 die Kompetenz, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung ein Transplantationsgesetz auf den Weg zu bringen. Im April 1995 ist der Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebracht worden. In bezug auf das Verfahren haben wir uns darauf verständigt, ein sogenanntes Containergesetz einzubringen, das zwei Themenkomplexe ausklammert, und zwar zum einen die Feststellung des Todes und zum anderen die Frage: erweiterte oder enge Zustimmungslösung. Diese Fragen werden auch stark ethisch, religiös und moralisch geprägt. Diese Punkte werden in Form von gesonderten Anträgen eingebracht. Hiermit werden wir uns im Anschluß an die Debatte zum Containergesetz zu beschäftigen haben.
Der Gesetzentwurf - Containergesetz - befaßt sich mit folgenden Schwerpunkten:
Erstens. Es werden klare Rechtsgrundlagen für die Spende und Entnahme von Organen, Organteilen und Geweben zum Zwecke der Übertragung auf andere Menschen geschaffen.
Zweitens. Es wird gewährleistet, daß jeder Mensch die Möglichkeit hat, eine Organspende abzulehnen.
Drittens. Durch Aufklärung soll dafür gesorgt werden, daß möglichst viele Menschen zu Lebzeiten erklären, ob sie mit einer Organentnahme einverstanden sind oder nicht. Durch Informationen der Krankenkassen, Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Unterrichtung der im jeweiligen Land zuständigen Stellen soll die Informationsbasis geschaffen werden, die die Menschen brauchen, um sich in dieser schwierigen Frage zu entscheiden. Während der Beratungen im Gesundheitsausschuß ist dieser Gedanke noch einmal verstärkt worden. Die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen sollen den Auftrag erhalten, ihre Versicherten in regelmäßigen Abständen mit den notwendigen Unterlagen zu versorgen und dies mit der Bitte zu versehen - ich sage sehr deutlich: mit der Bitte zu versehen -, eine Erklärung zur Organspende abzugeben.
Viertens. Um sicherzustellen, daß der Wille des Verstorbenen auch tatsächlich bekannt ist und beDr. Dieter Thomae
rücksichtigt wird, sieht der Gesetzentwurf die Möglichkeit vor, ein Organspendenregister einzurichten. Die genaueren Einzelheiten sollen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates geklärt werden, weil es in diesem Zusammenhang viele Fragen gibt, die noch genau abgewogen werden müssen. Ich nenne nur die Stichworte Datenschutz, Festlegung der Anlaufstelle und Abgabe der Erklärung, aber auch die Frage der Finanzierung zwischen Bund und Ländern.
Fünftens. Hier kommen wir zu einem der Kernbereiche: Der Gesetzentwurf regelt die organisatorischen Voraussetzungen der Entnahme, der Vermittlung und der Übertragung lebenswichtiger Organe. Das bedeutet im einzelnen: Der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen oder der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf muß durch zwei dafür qualifizierte Ärzte nachgewiesen werden. Diese Ärzte müssen den Organspender unabhängig voneinander untersucht haben. Diese Ärzte dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe beteiligt sein, und sie dürfen keiner Weisung eines Arztes unterstehen, der in irgendeiner Weise an den Maßnahmen beteiligt ist.
Damit schaffen wir größtmögliche Sicherheit für die Verstorbenen und ihre Angehörigen, daß keine Manipulationen gegen die Interessen des Organspenders vorgenommen werden können.
Die Übertragung von Organen, meine Damen und Herren, darf nur in dafür zugelassenen Transplantationszentren erfolgen, die verpflichtet sind, Wartelisten zu führen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens haben wir uns entschlossen, festzuhalten, daß darüber, wer in die Warteliste aufgenommen wird, nach Regeln entschieden werden muß, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Nicht ausschlaggebend sollen finanzielle oder soziale Aspekte sein. Diese Regeln sollen durch ein Gremium noch weiter erarbeitet werden, dem neben der Bundesärztekammer auch Juristen, Patienten und Angehörige von Spendern angehören, um ein größtmögliches Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz zu schaffen.
Um zu gewährleisten, daß die im Vergleich zu den auf ein neues Organ wartenden Menschen viel zu knapp bemessenen Organe gerecht verteilt werden, sieht der Gesetzentwurf die Vermittlung über eine Vermittlungsstelle vor, die finanziell und organisatorisch eigenständig ist. Dabei kann auch eine internationale Stelle beauftragt werden, also zum Beispiel Eurotransplant, über die bereits heute der Großteil der Organvermittlungen abgewickelt wird.
Wer ein Organ erhält, wird nach Regeln entschieden, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Insbesondere geht es um das Ausloten von Erfolgsaussichten und Dringlichkeit. Um in diesen Bereich Transparenz zu bringen und, damit die Akzeptanz für Entscheidungen zu erhöhen, müssen Vermittlungsentscheidungen begründet werden.
Eine von Krankenkassen, Bundesärztekammer und Deutscher Krankenhausgesellschaft eingesetzte finanziell und organisatorisch eigenständige Koordinierungsstelle soll dafür sorgen, daß die Zusammenarbeit bei der Organentnahme und der Durchführung der bis zur Transplantation erforderlichen Maßnahmen mit Ausnahme der Organvermittlung bestmöglich organisiert wird.
Damit wird klargestellt, daß die Organentnahme keine Aufgabe des einzelnen Transplantationszentrums ist, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe aller Transplantationszentren und der Krankenhäuser, um das Transplantationsgeschehen insgesamt möglichst gerecht und reibungslos abzuwickeln.
Um die Tätigkeit der Koordinierungsstelle auch für die Öffentlichkeit transparenter zu gestalten, wird sie verpflichtet, jährlich einen Bericht über die Tätigkeit jedes Transplantationszentrums zu erstellen. Die Darstellung der Entwicklung der Warteliste sowie die Gründe für die Aufnahme oder Nichtaufnahme in eine Warteliste dürften dabei von ganz besonderem Interesse sein. Eine eingehende Darstellung und Begründung kann die Akzeptanz der Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste sicherlich fördern.
Sechstens: Die Lebendspende ist wegen ihrer möglichen Nähe zum kommerziellen Organhandel ein ganz besonders sensibler Bereich. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, die Lebendspende nur bei Verwandten, Ehepartnern oder Menschen, die sich offenkundig sehr nahestehen, zuzulassen - wohl wissend, daß es auch Verfechter der anonymen Lebendspende gibt. Da die Lebendspende jedoch eine besondere Belastung für den Spender darstellt, der selber in eine prekäre Situation gerät, wenn zum Beispiel auch seine eine noch verbleibende Niere versagt, haben wir uns zu einer restriktiven Haltung durchgerungen und festgelegt, daß eine Lebendspende nur dann in Frage kommt, wenn zum Zeitpunkt der Organtransplantation kein geeignetes anderes Organ vorhanden ist.
Die gründliche Aufklärung des Spenders über die Folgen dieses seines Tuns ist selbstverständlich. Um sicherzugehen, daß hier vollständig und umfassend informiert wird, sehen wir vor, daß die Unterrichtung schriftlich festgehalten werden muß. Dabei ist auch über versicherungsrechtliche Konsequenzen aufzuklären. Es muß sichergestellt werden, daß die Lebendspende auf freiwilliger Basis erfolgt und nicht unter finanziellem und moralischem Druck ausgelöst wird.
Siebtens. Gemeinsam wollen wir nicht, daß mit Organen gehandelt werden kann. Kein Mensch hat ein Anrecht auf das Organ eines anderen. Es handelt sich, wie der Name schon sagt, um eine Spende, die auf freiwilliger Basis gewährt wird. Kommerzielle Interessen haben in diesem äußerst sensiblen Bereich nichts zu suchen.
Der Gesetzentwurf zum Organhandel, der vormals vom Bundesjustizministerium erarbeitet worden ist, hat deshalb Eingang in das Transplantationsgesetz gefunden. Wir haben uns nicht schwer damit getan, Strafen für denjenigen vorzusehen, der mit einem Organ Handel treibt oder zu kommerziellen Zwecken
ein Organ entnimmt. Schwerer zu entscheiden war die Frage, was mit demjenigen geschehen soll, der todkrank ist und als einzige Rettung die Möglichkeit sieht, ein Organ käuflich zu erwerben. Auch dieser - das haben wir nach intensiver Diskussion beschlossen - macht sich nach unserem Gesetzentwurf strafbar.
Achtens. Weitreichende datenschutzrechtliche Bestimmungen sorgen für eine größtmögliche Sicherheit, daß mit diesen sensiblen Daten verantwortungsbewußt umgegangen wird.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen jetzt die Kernpunkte genannt. Mit diesem Gesetzentwurf - da bin sicher - schaffen wir Rechtssicherheit für alle Beteiligten, aber auch Transparenz und Voraussetzungen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Mitgliedern des Gesundheitsausschusses für das faire Miteinander bei dieser Frage und diesem Themenkomplex.
Herzlichen Dank.
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Das Wort zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Frau Knoche.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Gerade weil die Praxis der Verpflanzung menschlicher Organe zentrale Fragen zur Gültigkeit des Menschenbildes und zu den Menschenrechten in der Medizin aufwirft, gerade weil die Übertragung durchbluteter Organe existentielle Fragen zwischen Leben und Tod berührt, haben wir Grüne uns bereits 1995 im Bundestag vehement gegen die Festlegung eines pragmatischen Todeskonzeptes gewandt.
Im Herbst 1995 legten wir einen Gesetzentwurf vor. Er basiert auf der klaren Absage der Gleichsetzung des sogenannten Hirntodes mit dem Tod des Menschen. Er sieht zwingend die Wahrung der Selbstbestimmungsrechte der Spendenden vor.
Wir zeigten damit zu Beginn der Debatte, daß es nicht dazu kommen muß und darf, daß wegen neuer Möglichkeiten der Medizin das traditionelle Todesverständnis verändert wird. Wir sagen, wie die Schutzinteressen der Spendenden und die gesundheitlichen Belange Schwerorgankranker gleichermaßen gewürdigt werden können. Es gibt für uns keine Konkurrenz und keine prinzipielle Differenz in der Wahrung der Rechte beider Seiten.
Hirntote sind Sterbende. Sie haben bis zuletzt Anspruch auf Schutz und Solidarität. Organkranke haben den Anspruch auf umfassende Hilfe. Aber ein Recht auf Organe kann es nicht geben.
Was ist also für ein Transplantationsgesetz wichtig? Die Transplantationsmedizin kann Akzeptanz nur finden, wenn sie sich auf alte Werte gründet, wenn wir sie in den gültigen allgemeinen Wertekontext zurückführen. Das ist von weitreichender Bedeutung für die Zivilität und Humanität der Gesellschaft. Es wäre fatal, die Bewertung von Leben und Tod Nützlichkeitserwägungen zu unterwerfen. Denn das ist es, was im Kern Mißtrauen schafft. Diese Therapie aber braucht Vertrauen und Rechtssicherheit bei allen Beteiligten. Dies kann es nur geben, wenn sicher ist, daß mit potentiell Spendenden nichts geschieht, was sie nicht gewollt haben.
Unterschätzen wir bitte nicht die Mündigkeit und die altruistische Spendebereitschaft der Bürger und Bürgerinnen. Seien wir nicht mißtrauisch gegenüber dem freien Willen, sondern bauen wir das Transplantationsgesetz auf den unveräußerlichen Selbstbestimmungsrechten auf. Es gibt keinen vermeintlich guten Zweck, der die willkürliche Vorverlegung des Todes rechtfertigt. Die Menschen werden den neuen Tod nicht annehmen; sie erleben das Leben anders.
Das Thema ist zu sensibel und berührt zu sehr zutiefst prinzipielle Werte, als daß wir noch so starken Partikularinteressen dienen dürften. Wir müssen das Ganze und das ganzheitliche Menschenbild wahren. Nach nunmehr 30 Jahren Praxis haben wir die Chance, ein Gesetz zu machen, das dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und den Erfahrungen mit dieser Therapieform entspricht.
Für uns Grüne war es zwingend, die ethische und grundrechtliche Dimension in den Mittelpunkt zu stellen. Die Frage: „Ist der Mensch schon tot, wenn keine Hirnfunktionen mehr meßbar sind?" ist von eminent grundrechtlicher Relevanz. Darüber entscheidet sich, ob - um den wachsenden Bedarf an menschlichen Organen maximal bedienen zu wollen - das traditionelle Todesverständnis verändert wird. Die Gefahr besteht, daß die Grenzen des Ethischen zugunsten zweckrationaler Erwägungen aufgeweicht werden. Sind wir in der Lage, die Menschenwürde in allen Zuständen zu wahren und bei dieser Therapie das alte Verständnis vom Menschen als Zweck und Sinn durch sich zu unterstreichen?
An Ostern 1995, als sich seitens der Abgeordneten Seehofer, Dreßler und Thomae die Einbringung eines Gesetzentwurfes abzeichnete, legten wir Grünen ein politisches und prinzipielles Veto ein und sagten: Der Hirntod ist nicht der Tod. Eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Kontroverse um das Hirntodkonzept begann. Erstmals richtete sich der Blick auf die Seite der Spendenden und deren grundrechtlich verbürgten Schutzinteressen. Denn ihnen wurde bislang per Definition die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft lebendiger Menschen abgesprochen. Das ins Gesetz zu schreiben ist bis heute das Interesse der Transplantationsmedizin geblieben. Alle Hirntodkritiker und -kritikerinnen sagten: Selbst wenn Mediziner die Selbstaneignung der Definitionsmacht als ihnen gegeben ansehen mögen - die Politik darf sich deren Setzungen nicht unhinterfragt zu eigen machen.
Wir empfanden es als unsere politische Pflicht, eine allgemein gültige Klärung der grundrechtlichen Fragen zu befördern und der Gesellschaft zurückzugeben, worauf sie ein Recht hat: die Wahrung der
Grundrechte. Trotz der profunden Argumente, trotz des unverkennbar nicht bestehenden Konsenses innerhalb und zwischen allen Human- und Naturwissenschaften und trotz der kulturell und religiös begründeten Einwände gegen den neuen praktischen Tod wurde diese Bedeutung erst im Verlauf der zweijährigen Hirntoddebatte erkannt.
Bei unserer Beteiligung an den Konsensgesprächen im Herbst 1996 war rasch klar, daß wir niemals das Ziel eines Gesetzes teilen können, das auf die Organgewinnung gerichtet ist, und sich keine konsistente Kompatibilität zu unserer Position zum Entnahmekriterium sowie zur Zustimmungsregelung mit dem Omnibus wird finden lassen. Wir entschlossen uns, einen eigenen Gesetzentwurf zu machen. Es ging um den Nachweis, daß die Transplantationsmedizin diesen neuen Tod nicht braucht, um fortgeführt werden zu können.
Über die Diskrepanz zwischen der wissenschaftlichen Behauptung, der Hirntod sei eine innere Enthauptung, und der lebensweltlichen Erfahrung der Erfahrbarkeit von Lebendigkeit mag sich die Bundesärztekammer hinwegsetzen. Die Politik aber muß das tunlichst vermeiden.
Ein Gesetz darf auch nicht die Illusion von der Befriedigung des Organmangels mehren. Der wachsende Bedarf wird mit keiner Regelung zu befriedigen sein. Dieses Dilemma wird immer bleiben. Deshalb muß es zu einer grundrechtlichen Bewertung kommen. Tut man es nicht auf diese Weise, werden die Probleme nicht geringer.
Bei der Ablehnung dieser neuen Todesart gibt es einen Zuwachs an neuen Fragen; doch sie sind nicht alle offen. Es entspricht nicht den Tatsachen, daß das Hirntodkonzept weltweit anerkannt oder unstrittig sei. Wer heute noch behauptet, ohne einen neuen Tod wäre die Transplantation am Ende, ignoriert den Stand verfassungsrechtlicher Erkenntnisse. Selbst in Amerika, an der Harvard-Universität, wird davon gesprochen, daß es an der Zeit ist, das Hirntodkonzept zu revidieren.
Auch in den Kirchen in Deutschland hat sich eine fundamentale Veränderung vollzogen. Sie wissen, daß Herr Kardinal Meisner ausdrücklich darauf hinweist,
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daß es nicht Aufgabe der Politik ist, einen neuen Tod festzuschreiben. Es wird Sie vielleicht wundem, daß ich mich darauf berufe. Genau diese Aussage aber ist die Grundlage, auf der wir unser Gesetz fundieren. Wir sagen: Es entspricht der Ethik des Grundgesetzes, die keine Ethik der Interessen ist. Schon aus diesem Grund steht es dem Gesetzgeber nicht zu, einen neuen Tod zu definieren.
Noch einige Bemerkungen zu dem, was im Omnibus-Gesetz nicht geregelt wurde und von uns für unverzichtbar gehalten wird. Sie wissen, daß es in Deutschland eine neue Praxis der Transplantation fötalen Hirngewebes gibt und die Begehrlichkeiten danach wachsen. Wir haben darauf aufmerksam gemacht und in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, dies über eine klare Verbotsregelung für die Zukunft auszuschließen, weil wir es für eine Übertretung ethischer Grenzen halten. Deshalb legen wir hierfür mit unserem Gesetzentwurf eine strikte und klare Lösung vor.
Wir halten es ebenfalls für unverzichtbar, daß nicht die Bundesärztekammer festlegt, welche Kriterien nach dem Stand der Wissenschaft für die Feststellung des Hirntodes gelten sollen, sondern daß dies der Gesetzgeber selbst vorzunehmen hat.
Ich glaube, daß sehr viele Fragen, die die Organisation der Transplantationsmedizin betreffen - die Frage der Verteilung der Organe und deren Vermittlung, der Koordination, der Zusammenarbeit der Transplantationszentren - , viel über das Maß an Gerechtigkeit bei dieser Therapieform aussagen. Wir müssen uns aber gewiß sein, daß eines immer bleiben wird: Der Bedarf an Organen wird wachsen, der Mangel ist nicht zu beseitigen. Die Begrenztheit dieser Therapieform liegt darin, daß die Transplantationsmedizin die Grenzen der Fremdleibigkeit überschreitet.
Nach zwei Jahren sehr ernsthafter und intensiver Diskussion in der Öffentlichkeit und im Parlament ist es jetzt an der Zeit, den richtigen Weg zu gehen. Mit dem Grünen-Gesetzentwurf liegt ein in sich logischer, konsequenter Lösungsvorschlag vor: Er ist streng an grundrechtlichen und medizinethischen Anforderungen orientiert. Er gibt Rechtssicherheit für alle. Er befürwortet die Transplantationsmedizin und ist die Entscheidungsalternative zum Omnibus geblieben.
Danke.
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Bevor wir in der Aussprache fortfahren, wollen wir entsprechend dem vereinbarten Verfahren über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Spende, die Entnahme und die Übertragung von Organen auf Drucksache 13/2926 abstimmen. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 13/8017 unter Nr. 1 Buchstabe c, über den Gesetzentwurf einen Beschluß im Plenum herbeizuführen. Eine darüber hinausgehende Beschlußempfehlung hat der Ausschuß nicht abgegeben.
Ich lasse deshalb jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 2926 abstimmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Grundlage der weiteren Beratung ist damit nur noch der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. in der Ausschußfassung.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir setzen jetzt die Aussprache fort. Ich erteile dem Abgeordneten Schmidt-Jortzig das Wort zur Begründung des Änderungsantrags zu § 2 des Transplantationsgesetzes; das ist Drucksache 13/8029.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir beraten diese existentielle und grundsätzliche Frage heute vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Spendebereitschaft und somit die Verfügbarkeit von Spenderorganen - das sage ich ausdrücklich - in Deutschland dramatisch zurückgegangen sind, und das, obwohl Hunderte und Tausende von Menschen für ihr Weiterleben - und sei es auch nur ein Weiterleben in dem jetzigen begrenzten Gesundheitszustand - auf Spenderorgane angewiesen sind. Deshalb müssen wir - das ist der Gegenstand des Änderungsantrages des Kollegen Eckart von Klaeden und mir - das verlorengegangene oder nur schlummernde Vertrauen und die verlorengegangene oder nur schlummernde Spendebereitschaft neu oder wieder wecken. Das können wir nur tun, wenn wir engagiert an die Menschen herangehen. Ich möchte auch im Namen von Eckart von Klaeden dafür werben, daß das anders und direkter als in der Fassung des vorliegenden Entwurfs zum Ausdruck kommt.
In dem neuen § 2 Abs. 1 Satz 3 hat sich der Ausschuß ja in bezug auf diesen Punkt bewegt und hat immerhin gefordert - das finde ich sehr beachtlich -, daß die Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungsunternehmen die Unterlagen für eine Organspendeerklärung in regelmäßigen Abständen ihren Versicherten zur Verfügung stellen sollen.
Unser Entwurf geht in drei Punkten darüber hinaus, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, daß wir an dieser Stelle die Bereitschaft zur Spende viel energischer und viel gezielter stärken müssen.
Erstens wollen wir die Tatsache, daß es sich um regelmäßige Abstände handeln soll, verdeutlichen, indem wir in das Gesetz hineinschreiben: „insbesondere bei der Ausgabe und der Verlängerung der Krankenversichertenkarte ... oder entsprechenden Versicherungsnachweisen ...". Das gilt für die privaten Krankenversicherungsunternehmen und die Krankenkassen.
Das tun wir zweitens, indem wir auch die örtlich zuständigen Behörden einbinden. In unserem Änderungsantrag steht:
Bei der Ausgabe oder Änderung des Personalausweises, des Führerscheins und anderer Personalformulare geben die zuständigen örtlichen Behörden diese Unterlagen ebenfalls aus.
Ich weiß, daß das in vielen Kommunen schon passiert; bekannt ist das Beispiel der Stadt Mainz. Ich kenne auch mindestens zwei Kommunen in Schleswig-Holstein, die das machen. Aber dies ausdrücklich in das Gesetz hineinzuschreiben und es damit zur Pflicht zu machen, halte ich angesichts der grundsätzlichen Frage für wichtig, daß wir die Bereitschaft zum mitmenschlichen Handeln und zur Organspende erhöhen wollen.
Das ist im übrigen auch verfassungsrechtlich möglich. Es ist argumentiert worden, ein Bundesgesetz könne keine örtlichen Zuständigkeiten regeln. Ich verweise indessen nur auf Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes, dessen Voraussetzungen hier vorliegen.
Drittens möchten Eckart von Klaeden und ich - das ist ganz wichtig, obwohl es da nur um Worte geht -, daß dort nicht nur das Wörtchen „Bitte", sondern das Wort „Aufforderung" stehen soll. Die Menschen sollen also ausdrücklich gefordert werden, ihre Bereitschaft zur Organspende zu erklären. Das ist mehr als nur eine relativ unverbindliche Ansprache. Das ist ein gezielter Appell. Das ist ein Fassen an das ethische Portepee. Das ist ein Aktivierenwollen - wenn Sie es moralisch,. wenn Sie es auch christlich haben wollen - der Mitmenschlichkeit. Das ist das Modell Bürgerpflicht, die natürlich keine rechtliche Pflicht sein kann und darf, die man irgendwie mit Zwängen durchsetzt. Aber es ist eine moralische Pflicht, die wir als solche positionieren wollen.
Ich bitte Sie deshalb, diese Verschärfung der Ansprache der Menschen bezüglich einer Steigerung der Spendenbereitschaft, einer Steigerung des Problembewußtseins in diesem Punkt - vor allen Einzelfragen, ob wir uns nachher für die engere oder die weitere Zustimmungslösung aussprechen, also vor der Klammer - grundsätzlich zu akzeptieren, hier mitzumachen. Bitte stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu.
Vielen Dank.
({0})
Über den Änderungsantrag zu § 2 stimmen wir später ab, nicht jetzt. Insofern setzen wir die Aussprache fort. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Philipp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rechtssicherheit und Transparenz - das waren die Ziele, die wir mit dem Organtransplantationsgesetz erreichen wollten und noch immer wollen.
({0}) Herr Dr. Thomae hat darauf hingewiesen.
Der soeben beschlossene Gesetzentwurf, aber auch der nun zur Abstimmung stehende Antrag haben zum Inhalt - ohne ein Detail zu verändern -, was weltweiter Standard und in den deutschen Transplantationszentren seit mehr als 25 Jahren Praxis ist.
Wir übernehmen mit dem Antrag praktisch den Transplantationskodex, den sich die Transplantationszentren selbst gegeben und zu dessen Einhaltung sie sich verpflichtet haben.
Wir übernehmen die Auffassung der Kirchen, auch wenn die persönlichen Meinungen einzelner prominenter Vertreter einen anderen Eindruck erwecken, Frau Knoche.
Meine Damen und Herren, für uns Antragsteller gibt es eine unabdingbare Voraussetzung, die sowohl für die Organspender und die Organempfänger als auch für die Transplantationschirurgen unverzichtbar ist, nämlich: Der Mensch, dem Organe entnommen werden, muß tot sein. Diese Meinung teilen in diesem Haus leider nicht alle. Aus Zeitgründen muß ich auf die Begründung dafür verzichten. Aber ich bin sicher, daß die Mehrheit der Menschen in unserem Lande unsere Auffassung aus ganz natürlichen und naheliegenden Gründen teilt.
Die zentrale Frage aber ist: Wann ist der Mensch tot? Diese Frage wird weltweit so beantwortet, wie dies in unserem Antrag vorgesehen ist. Die Formulierung, die wir darüber hinaus gewählt haben, daß nämlich der Tod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt wird, folgt konsequent der Tatsache, daß es in den vergangenen Jahrhunderten unterschiedliche Todesfeststellungen gegeben hat. Ich denke an den Atem- oder Herzstillstand. Beide sind heute reversibel, also nicht mehr gültig.
Damit ist der Gesamthirntod aber keine Erfindung der Transplantationsmedizin. Es ist schlichtweg falsch, zu behaupten, es handele sich um eine „wertende Beschreibung". Es ist völlig unbestritten und nicht neu, daß der Hirntod den Tod des Menschen markiert. Neu sind die naturwissenschaftlichen, das heißt die pathophysiologischen Erkenntnisse bzw. die Nachweisbarkeit des irreversiblen Zustandes vor dem endgültigen Herzstillstand.
Meine Damen und Herren, das Thema Tod ist noch immer tabuisiert. Die Neigung, Gefühlen und Empfindungen gerade in diesem Bereich Raum zu geben, persönliche Empfindungen in den Vordergrund zu stellen oder die Gefühle und Empfindungen anderer zu seinen eigenen zu machen, ist sicherlich sehr groß, sie ist auch nachvollziehbar und verständlich.
Ich stehe sicherlich nicht im Verdacht, besonders wissenschaftsgläubig zu sein, meine aber: Gefühle und Empfindungen verstellen in diesem Zusammenhang. den Blick auf Tatsachen und Fakten.
Meine Damen und Herren, für mich persönlich hat der quantitative Aspekt, nämlich die Anzahl der Spender zu erhöhen, nie eine große, sondern immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, und es muß uns beunruhigen, daß bei Eurotransplant in Leiden schon jetzt der Schlüssel für die Verteilung der Organe zuungunsten der Bundesrepublik verändert wurde. Das ist verständlich: Warum sollen wir in Deutschland von der sehr viel größeren Spendenbereitschaft in sehr viel kleineren Ländern profitieren?
({1})
Frau Philipp, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe so wenig Zeit als Berichterstatterin. Ich bitte um Nachsicht, sonst immer gern.
Es entspricht aber der Lebenserfahrung zu wissen, daß es Menschen gibt, die sich mit dem Tod, erst recht mit dem eigenen, nicht befassen können oder wollen, zum Beispiel junge Menschen, die den Tod zu Recht noch weit entfernt vermuten. Ich denke auch an Unfallopfer oder an minderjährige Kinder, für die das nicht zutrifft.
Angehörige haben uns immer wieder versichert, daß sie - wenn überhaupt - dann einen Sinn im Verlust eines nahestehenden Menschen erkennen, wenn sie sehen, daß sie durch die Zustimmung zu einer Organspende anderen Menschen das Weiterleben ermöglichen.
Meine Damen und Herren, wir entscheiden heute über die zukünftige Teilhabe der Bundesrepublik an der Transplantationsmedizin und damit auch über das Schicksal vieler Menschen. Wir entscheiden auch über das Vertrauen in die ärztliche Behandlung, wie sie seit mehr als 25 Jahren in den Transplantationszentren gehandhabt wird.
Im Interesse der Rechtssicherheit und Transparenz, besonders aber im Interesse der Menschen, sollten wir heute nicht hinter dem zurückbleiben, was weltweit, auch bei uns, seit mehr als 25 Jahren praktiziert wird.
Kurz: Wer in § 3 sagt, der Mensch ist nicht tot bzw. muß nicht tot sein, wer sich um die Todesfeststellung herummogelt, muß wissen, daß es in Deutschland zukünftig keine Transplantation mehr geben kann und geben wird.
Wer sich in § 4 für die enge Zustimmungslösung entscheidet, muß wissen, daß es zukünftig kaum noch Transplantationen geben wird und daß er damit dem Transplantationstourismus Tür und Tor öffnet.
Ich bitte Sie daher inständig um die Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wodarg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern von den Eltern eines in der Schweiz nach einem Skiunfall verstorbenen jungen Mannes einen erschütternden Brief erhalten. Sie klagen eine Schweizer Transplantationsklinik an, ihre Zustimmung zur Organentnahme bei ihrem Sohn eigenmächtig erweitert und mißbraucht zu haben. Sie machen der Klinik Vorwürfe, weil ihrem Sohn dort mehr als die zugestandenen Nieren entnommen worden. seien.
Es sei ihnen nicht ermöglicht worden, von dem Toten nach der Explantation endgültig Abschied zu nehmen. Sie hätten nur von ihm Abschied nehmen
können, als er mit zerstörtem Gehirn auf der Intensivstation - wie sie sagten - noch lebte.
Etwa 5000 mal pro Jahr stehen in Deutschland Ärzte und Pflegekräfte am Bett ihrer Patienten und müssen zugestehen, daß sie mit ihrer Kunst am Ende sind, daß sie ihren Patienten nicht mehr helfen können, weil bei diesen die Zeichen des vollständigen unwiederbringlichen Hirnversagens, des sogenannten Hirntods, erkennbar sind.
Diese Patienten liegen genau wie vor der Diagnosestellung bewußtlos im Bett, sie werden beatmet, gepflegt und mit Nährstoffen, Flüssigkeit und Medikamenten versorgt. Die Angehörigen kommen zu Besuch, streicheln ihren Angehörigen, reden mit ihm und merken keinen Unterschied.
Ein Patient, dessen Gehirn unwiederbringlich zerstört ist, kann nicht gerettet werden. Wir können heute die Organfunktionen von Herz, Nieren und anderen Organen vorübergehend durch Maschinen ersetzen, zum Beispiel so lange, bis ein Spenderherz, eine Spenderniere gefunden wurde.
Wir können auch einige Funktionen des Gehirns für Wochen, ja, manchmal sogar für Monate ersetzen, so daß der Tod des ganzen Menschen nicht eintritt. Aber es gibt kein Spenderhirn, obwohl erste Versuche in Schweden und in den USA laufen, vermehrungsfähiges Hirngewebe von Embryonen bei Alzheimer- und Parkinsonpatienten zu transplantieren.
Wenn das ganze Gehirn für immer seine Funktion eingestellt hat, dann muß eine Entscheidung getroffen werden, eine Entscheidung, bei der es nur zwei Alternativen gibt. Diese Alternativen sind:
Erstens. Der Sterbeprozeß wird beendet, indem die künstliche Beatmung abgeschaltet wird. Der Patient erstickt.
Zweitens. Der Patient wird im OP vorbereitet, mit Medikamenten ruhiggestellt, und der Sterbeprozeß wird durch die operative Entnahme lebenswichtiger Organe beendet.
Wer soll das jetzt entscheiden? Wir wissen alle, daß das eigentlich nur jeder Mensch zu Lebzeiten selbst kann. Ärzte und Pflegepersonal fürchten diese Situation: der Anruf bei der Familie, beim Lebenspartner, der Aufschrei, die Stille und dann das Schluchzen: Das kann nicht sein! Das glaube ich nicht! Können Sie es nicht noch einmal versuchen?
Bevor die Angehörigen informiert wurden, ist auf der Intensivstation der sogenannte Hirntod diagnostiziert worden. Seit 1968, dem Jahr der HarvardKonvention, ist das die Diagnose, die Ärzte und Pflegepersonal straffrei läßt, wenn sie jetzt alle therapeutischen Versuche abbrechen und die Beatmung abschalten. Ja, diese Diagnose verpflichtet sie sogar, nichts mehr zu unternehmen, was das unausweichliche Sterben ihres Patienten ohne dessen ausdrücklichen Willen hinauszögert. Jetzt muß sie also getroffen werden, die Entscheidung zwischen Abschalten oder Explantation. Wer kann sie treffen? Wer darf sie treffen? Wer soll sie treffen?
Eines ist klar: Die Entscheidung kann nur getroffen werden, wenn den behandelnden Ärzten die Möglichkeit der Organspende überhaupt bewußt ist und wenn aus ihrer Sicht nichts dagegen spricht. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, daß nur etwa 2000 der 5000 in Frage kommenden Patienten von ihrer Klinik, von ihren behandelnden Ärzten an die Transplantationszentren als mögliche Organspender überhaupt gemeldet werden. Was hält die anderen Ärzte, die anderen Kliniken davon ab, dieses auch zu tun? Wir könnten gut doppelt so viele Organspender haben, wenn nur die Kliniken und ihre Intensivmediziner die möglichen Spender alle melden würden.
Es stellt sich noch eine Frage, der wir auf den Grund gehen müssen, wenn wir wollen, daß mehr Menschen einen Organspendeausweis unterschreiben: Warum haben nur etwa 7 Prozent der Bevölkerung einen solchen Ausweis, obwohl doch laut neuesten Umfragen etwa 80 Prozent bereit wären, ihre Organe zu spenden?
Im Gespräch mit einer Selbsthilfegruppe von Transplantierten und von Patienten, die auf eine Transplantation warten, wurde mir eine einleuchtende Erklärung dafür gegeben. Meine Gesprächspartner meinten: Viele auf der Straße von ihnen angesprochene Passanten - sie werben auf der Straße für Organspenden - wollten einen solchen Ausweis nicht bei sich tragen, weil sie Angst hätten, damit in das falsche Krankenhaus eingeliefert zu werden.
Wir haben hier einen Hinweis auf die wirkliche Wurzel für das uns alle bewegende Defizit, für die fehlenden Organspendeausweise: Es ist eben nicht mangelnde Hilfsbereitschaft, es sind Mißtrauen und Unsicherheit, die die Menschen zögern lassen, einen solchen Organspendeausweis bei sich zu tragen - das gleiche Mißtrauen, welches vor einigen Jahren zum Rückgang von Blutspenden geführt hat, als ruchbar wurde, welche Geschäfte mit dem gespendeten Blut gemacht wurden.
Wie hilfsbereit und wie spendefreudig unsere Bevölkerung sein kann, können wir zum Beispiel daran ablesen, daß es nur eines einzigen Zeitungsartikels bedarf, um Tausende von Menschen dazu zu bewegen, sich in die lange Schlange derer zu reihen, die zu einer Knochenmarkspende bereit sind, um leukämiekranken Kindern das Leben zu retten.
Die Menschen sind vorsichtig; das ist in Ordnung. Aber was uns zu denken geben sollte: Sie fürchten, daß im Krankenhaus nicht ihre Gesundheit im Vordergrund stehen könnte, sondern die immer länger werdende Warteliste der Transplantationszentren. Mißtrauen gegenüber der weißen Zunft hat sich breitgemacht: Herzklappenskandal, das Erlanger Baby, das dritte Herz des Herrn von Thurn und Taxis. Das sind Gründe für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit; das sind die Gründe, weshalb nur eine geringe Zahl der Menschen einen Organspendeausweis mit sich führen möchte.
Wir - das sind die über 100 Antragsteller aus allen Fraktionen - wollen dieses Mißtrauen mit unserem Antrag grundlos machen. Wir bieten eine Lösung an, die das Vertrauen in die Organspende wiederherDr. Wolfgang Wodarg
stellt. Wir wollen eine klare, transparente, aufrichtige Lösung.
Diese Aufrichtigkeit fängt bereits beim Wort „Hirntod" an. Es ist auffällig, daß der Begriff vom üblichen medizinischen Sprachgebrauch abweicht. Bei vergleichbaren Schädigungen anderer lebenswichtiger Organe spricht man von Nierenversagen, Herzversagen oder Lungenversagen. Das irreversible Hirnversagen aber wird kurzweg Hirntod genannt.
Wie irreführend dieser Begriff ist, wird deutlich, wenn der sonst übliche medizinische Sprachgebrauch näher durchleuchtet wird: Von „Herzversagen" spricht man, wenn das Herz nicht mehr arbeitet, kein Blut mehr pumpt. Von „Herztod" - Sekundenherztod zum Beispiel - spricht man aber erst, wenn der ganze Mensch infolge eines Herzversagens gestorben ist.
Von „Hirntoten" dürften Ärzte eigentlich nur dann sprechen, wenn infolge des Hirnversagens ein Stadium eingetreten ist, in dem alle Organe aufgehört haben zu arbeiten und der ganze Mensch so tot ist, daß er auch begraben werden könnte.
Selbst das Versagen des ganzen Gehirns führt heute nicht mehr unverzüglich zum Tode. Das ist das Neue. Das führt auch dazu, daß in Amerika über das Hirntodkonzept völlig neu nachgedacht wird. Es ist nicht so, daß dieses Konzept in der ganzen Welt unumstritten ist. Im Gegenteil, es mehren sich die kritischen Stimmen.
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Ohne funktionierendes Gehirn können heutzutage Menschen über Wochen und Monate am Leben erhalten werden, wie der Fall der Marion Ploch in Erlangen 1993 aller Welt gezeigt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre doch absurd, wenn wir einen Menschen, dessen Herz versagt hat und der an eine künstliche Blutpumpe angeschlossen wurde, um auf ein Spenderherz zu warten, als Herztoten bezeichnen würden.
Für uns ist deshalb das endgültige, vollständige Hirnversagen nur ein Wendepunkt, der das Sterben unumkehrbar gemacht hat. Er wird von uns als Entnahmevoraussetzung für noch lebende Organe akzeptiert, aber eben nicht mit dem Tod gleichgesetzt.
Dieser so doppeldeutig als Hirntod bezeichnete Zustand stellt sich meist nicht schlagartig ein, sondern entwickelt sich im Laufe von Stunden oder Tagen. Ein Unfall zum Beispiel, eine Blutung oder ein Tumor kann das ganze Gehirn unwiederbringlich zerstören.
Der Patient im Hirnversagen ist ein bewußtloser, tief komatöser Mensch, der beatmet werden muß. Reflexe, die an eine intakte Gehirnfunktion gebunden sind, zeigt er nicht mehr. Er schließt nicht die Augen, wenn Lid oder Hornhaut berührt werden. Die Pupillen sind weit und reagieren nicht mehr auf Lichtreize. Auch der Hustenreflex ist erloschen.
Reflexe, die auf ein intaktes Rückenmark schließen lassen, zeigen sich noch: der Kniesehnenreflex zum
Beispiel, eine Erektion ist noch möglich und andere im Rückenmark koordinierte Reaktionen.
Aber Reflexe sind Reaktionsweisen von Lebewesen, von Lebenden. Das heißt, sie zählen eindeutig zu Lebenserscheinungen.
Sogenannte Hirntote zeigen weitere Lebensäußerungen, wie Herztätigkeit, Stoffwechsel, sie schütten Hormone aus, Blutbildung und Blutgerinnung funktionieren noch. Falsch ernährt, können diese Patienten Durchfall oder Verstopfung bekommen. Zudem sind an ihnen vegetative Reaktionen, zum Beispiel Hautrötung, Schwitzen und unkoordinierte Bewegungen, zu beobachten. Selbst Wunden können sie noch ausheilen.
Daß und wie stark lebenswichtige Körperfunktionen gestört sind, läßt Rückschlüsse auf den Schweregrad einer Erkrankung zu. Es besagt jedoch nicht, daß der Mensch tot ist.
Wird ein Patient im Hirnversagen operiert, um ihm Organe zur Transplantation zu entnehmen, so reagiert er in vieler Hinsicht, wie jeder Mensch, der operiert wird, der unbewußt Schmerz erlebt. Er zeigt Reaktionen: Die Pulsfrequenz schnellt hoch, der Blutdruck bewegt sich, Hormone werden ausgeschüttet. Zu solchen Reaktionen ist ein Leichnam nicht mehr in der Lage.
Patientinnen im Hirnversagen, die schwanger sind, beweisen geradezu, daß sie zwar sehr schwer krank, aber doch noch am Leben sind. Die Entwicklung eines Kindes im Mutterleib ist eine der wundervollsten, höchst integrativen Lebenserscheinungen, die wir kennen.
In Erlangen wurde im Oktober 1992 die schwangere Marion Ploch für tot erklärt. Mit ihr wurde einer breiten Öffentlichkeit brutal vor Augen geführt, daß sich heutzutage Schwangerschaft und Tod nicht mehr ausschließen und daß die Mediziner der angeblich Toten sogar zutrauten, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.
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Das hat zwar im Fall des Erlanger Babys nicht geklappt, ist aber in anderen Fällen bereits gelungen. Es schafft einfach Verwirrung und Mißtrauen, wenn in einigen Bundesländern die Ärzte einem Menschen mit noch schlagendem Herzen genau den gleichen Totenschein ausstellen wie einer Leiche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute gibt es - das ist neu in der Medizin - Ärzte, die nicht im Interesse der todkranken möglichen Spender, sondern im Interesse der Beschaffung von Organen für ihre Patienten auftreten. Sie sind es, die vom Gesundheitsminister, vom Deutschen Bundestag gemeinsam mit den von ihnen transplantierten Organempfängern fordern, Patienten im Stadium des irreversiblen Hirnversagens mit Toten gleichzusetzen. Sie bedrängen uns ultimativ und bringen die auf sie angewiesenen Patienten dabei mit, wenn wir ihrer Strategie nicht folgen: „Keine Transplantation mehr, wenn ihr Politiker diese Patienten nicht per Gesetz zu Toten umdefiniert und wenn ihr die mangelnde SpendebereitDr. Wolfgang Wodarg
schaft nicht ersatzweise von den Angehörigen ausgleichen laßt!", so lautet die drohende Botschaft.
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Ich achte und anerkenne das Bemühen und den Einsatz dieser Spezialisten. Doch ich bin betrübt und ärgerlich über ihre Kurzsichtigkeit
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und ihre die möglichen Spender abschreckenden Versuche, der Öffentlichkeit mit ihrem Fachchinesisch etwas einzureden, von dem meine sehr klar und nüchtern denkende Nachbarin sagt: So ein Quatsch, die sind doch gar nicht richtig tot! Die wollen doch nur ihre Organe!
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- Es gibt viele Menschen in Deutschland, die so denken. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Dabei gibt es gar keine mangelnde Hilfsbereitschaft in Deutschland. Mehr als 80 Prozent der Menschen wollen Organe spenden. Tausende melden sich zum Beispiel zur Knochenmarkspende. Die Transplantationsmediziner selbst haben durch ihre von Laien nicht nachvollziehbare Todesdefinition, durch fehlende Sicherheit bei denen, die gerne spenden würden, Angst und Mißtrauen erzeugt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns heute Klarheit schaffen und dafür sorgen, daß den spendebereiten Menschen in unserem Lande ehrlich gesagt wird, um was es in dieser schweren Stunde zwischen Leben und Tod geht. Sie, die Spender selbst - und nur sie -, sollen rechtzeitig und eindeutig erklären, ob sie wollen, daß im Falle eines endgültigen und vollständigen Hirnversagens die Maschinen abgestellt werden und das Sterben beendet wird, oder ob sie ihre Ärzte bitten, dafür zu sorgen, daß einige ihrer noch lebenden Organe explantiert werden, um in anderen Menschen weiterzuleben und diesen anderen Menschen das Leben zu retten oder zumindest erheblich zu erleichtern.
Herr Wodarg, kommen Sie zum Schluß!
Ja. - Liebe Kolleginnen ' und Kollegen, eines ist klar: Es können in Deutschland nur dann mehr Organe transplantiert werden, wenn die Menschen in Deutschland mehr Organe spenden. Bitte ermöglichen Sie durch Ihre Stimme, daß wir den Menschen in Zukunft sagen können: Denkt an eure Angehörigen, bringt sie nicht in Not, sprecht mit ihnen über den Tod, und hinterlegt eure Willenserklärung zur Organspende bei einer Person eures Vertrauens!
Und eines noch: Wenn die Entscheidung kommt zwischen Abschalten und Organspende, dann soll es möglich sein zu sagen: Ich möchte, daß einige meiner
Organe am Leben bleiben, damit sie anderen Menschen helfen können, weiterzuleben. - Das ist eine Hoffnung. und eine Möglichkeit der Nächstenliebe, die wir den Menschen nur durch unser Gesetz eröffnen können. Eine Neudefinition des Todes per Gesetz wäre der Versuch einer Organbeschaffung von oben. Helfen Sie mit, daß Menschen wissen, was sie tun, und deshalb gern und freiwillig spenden!
Ich danke Ihnen.
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Als nächster hat der Abgeordnete Rudolf Dreßler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl nur wenige Gegenstände der Gesetzgebung, die die Menschen emotional ähnlich tief berühren wie Regelungen zur Organtransplantation. Das ist verständlich; denn wir rühren damit an menschliche Urängste, aber auch Hoffnungen zur Rettung aus sonst aussichtsloser Lage.
Wir brauchen ein Transplantationsgesetz. Wir brauchen eine Regelung, die der Transplantationsmedizin gesicherten rechtlichen Boden bietet und die Grauzonen beseitigt. Wir haben mit dem Transplantationsgesetz eine ethisch moralische Gratwanderung zu vollziehen; denn wir haben den Anspruch der Menschen auf Heilung bei schwerer Krankheit in Einklang zu bringen mit dem Recht jedes einzelnen auf ein Lebensende in Würde. Wir dürfen eine gesetzliche Regelung der Organtransplantation nicht dazu mißbrauchen, beide Rechte gegeneinander auszuspielen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als sei die Sicherung des einen Rechtes nur um der Verletzung des anderen willen möglich. Dies wäre für mich verantwortungslos.
Wer manchen öffentlichen Diskussionsbeitrag registriert, muß festhalten: Es ist nicht wahr, daß auf der einen Seite mit gezücktem Skalpell gierig auf neue, transplantationsfähige Organe wartende Ärzte stehen, die es mit dem Todeszeitpunkt dann und wann nicht so genau nehmen.
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Es ist auch nicht wahr, daß auf der anderen Seite verstockte und herzlose Wesen stehen, die Hilfsbedürftigen Hilfe verweigern, die sie benötigen, um zu überleben. Wir brauchen verantwortungsbewußt handelnde Transplanteure. Das heißt aber, wir müssen ihnen auch Verantwortung geben. Wir wollen Ärzte, die sich - das ist unverzichtbar - in der letzten Konsequenz ihres Handelns ausschließlich ihrem Gewissen unterwerfen. Das heißt aber, meine Damen und Herren, wir müssen ihnen den Raum für Gewissensentscheidungen auch schaffen. Gesetzesparagraphen müssen Gewissensentscheidungen ermöglichen. Aber kein Gesetzesparagraph kann das Gewissen ersetzen: nicht das des Verwandten eines Verstorbenen und nicht das eines Arztes.
Rudolf Dreßer
Wenn ich dies so nachdrücklich betone, will ich auf die Motive hinweisen, die mich dazu bewegen, für die erweiterte Zustimmungslösung zu werben.
Wir haben im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung zwei Grundfragen zu beantworten. Erstens: Wann dürfen einem Organspender zum Zwecke der Transplantation Organe entnommen werden? Zweitens: Wer entscheidet darüber, ob ein potentieller Organspender für die Organspende zur Verfügung steht?
Für mich steht fest:. Es darf keine Organentnahme geben, es sei denn, der Organspender ist tot. Abgesehen von der getrennt zu bewertenden Lebensspende unter Verwandten: Der Tod des Spenders ist unabdingbare Voraussetzung für jede Organentnahme. Das berührt die Grundvoraussetzung jedes menschlichen Zusammenlebens. Eine Organentnahme bei noch Lebenden - und geschähe sie selbst in der letzten Phase ihres Sterbens - ist für mich in jeder Hinsicht inakzeptabel. Insofern unterscheide ich mich grundsätzlich von den Vertretern der sogenannten engeren Zustimmungslösung, die den irreversiblen Ausfall der gesamten Hirnfunktion nicht als Tod, sondern als unumkehrbare letzte Phase des Sterbens verstanden wissen wollen. Ich wiederhole: Wäre dies so, wäre also ein Mensch nach dem Ausfall der gesamten Hirnfunktion ein noch Lebender, wenn auch ein unumkehrbar Sterbender, dürfen seine Organe nicht entnommen werden. Denn, meine Damen und Herren, für mich gilt: Der Schutz des Lebens endet mit dem Leben. Es gilt nicht: Das Leben endet mit dem Schutz des Lebens.
Der dem Hause vorliegende Vorschlag zur erweiterten Zustimmungslösung trägt dem bedingungslosen Schutz des Lebens bis zum Tode in seinem § 3 Rechnung. Ich kann mir weiterhin schlechterdings nicht vorstellen, daß ein Gesetzgeber per Gesetz darüber entscheidet, wann ein Mensch tot ist und wann nicht. Diese Entscheidung kommt ihm nicht zu. Der Tod ist ein von der Natur bestimmtes biologisches Ereignis. Die Entscheidung darüber, ob es eingetreten ist, können nur die treffen, die dazu in der Lage sind: die medizinische Wissenschaft im allgemeinen, was die grundlegenden Entscheidungsregeln angeht, und die einzelnen Ärzte, was den Einzelfall betrifft. Der Gesetzgeber kann nur daran anknüpfen. Das bedeutet: Die Entscheidung der Medizin muß Grundlage für die entsprechende Gesetzesbestimmung sein. Genau diese Regelung wird mit dem Vorschlag zur erweiterten Zustimmungslösung getroffen.
Weltweit, meine Damen und Herren, ist der Ausfall der gesamten Hirnfunktion als ein sicheres Zeichen des menschlichen Todes von der Wissenschaft festgelegt. Ich stelle klar: Ausfall der gesamten Hirnfunktion heißt Ausfall der Großhirnrinde, Ausfall des Kleinhirns und Ausfall des Stammhirns. Keine Hirnregion ist noch aktiv. Das heißt, komatöse Patienten oder Patienten mit apallischem Syndrom werden von dieser Todesfestlegung nicht erfaßt.
Die einheitliche und weltweit getroffene Feststellung der medizinischen Wissenschaft, daß der Ausfall der Gesamthirnfunktion den Tod des Menschen bedeutet, übernimmt der Gesetzesvorschlag der Vertreter der erweiterten Zustimmungslösung implizit, ohne sie ausdrücklich zu erwähnen. Würden im Zuge der Fortentwicklung medizinischer Erkenntnisse ergänzende oder zusätzliche Kriterien für die Feststellung des menschlichen Todes entstehen und von der medizinischen Wissenschaft verbindlich festgestellt, so würden diese konsequenterweise ebenfalls gelten. Unser Gesetzentwurf ist also in diesem Punkt offen. In einem. Punkt allerdings ist er nicht offen. Der Gesamthirntod als Todeszeitpunkt für den Menschen ist eine Mindestnorm.
Die Botschaft unseres Lösungsvorschlags ist also denkbar unkompliziert: Erstens. Ein Organspender muß tot sein, wenn er für eine Organspende in Frage kommt. Zweitens. Wann er tot ist, entscheidet die medizinische Wissenschaft; der Gesetzgeber schließt sich dem an. Drittens. Die Medizin darf dabei als unterste Schwelle den Gesamthirntod als Todeskriterium nicht unterschreiten.
Die zweite wesentliche Entscheidung, die wir heute treffen müssen, hat das Problem zu klären, wer darüber entscheidet, ob ein potentieller Organspender für eine Organspende zur Verfügung steht. Damit auch hier kein Zweifel bleibt, lautet unsere klare Antwort: der Betroffene selbst. Seine Entscheidung gilt und bindet jeden und jede. Allerdings ist das Problem damit nicht gelöst; denn in den wenigsten Fällen hat er tatsächlich auch entschieden.
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Die Zahlen mögen verdeutlichen, um was es geht: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 3228 Organe - das waren Nieren, Herzen, Leber, Lungen und Bauchspeicheldrüsen - transplantiert worden. Nur in 34 Fällen lag eine höchstpersönliche Zustimmung der Betroffenen vor, also in gerade 1 Prozent der Transplantationsfälle. Selbst eine Verdoppelung, eine Steigerung um 100 Prozent, würde uns zwingen, Tausende von Organen aus anderen Ländern, die wesentlich größere Öffnungen unter der Bezeichnung „Widerspruchslösung" kennen, nach Deutschland zu importieren. Wer will das ernsthaft verantworten?
Mir stellt sich die Frage, ob wir diesen Zustand vor unserem Gewissen einfach so akzeptieren dürfen oder ob wir nach einer Lösung auch in solchen Fällen suchen müssen, in denen sich der potentielle Spender zu Lebzeiten nicht entschieden hat. Die Vertreter der engen Zustimmungslösung schlagen vor, das nicht zu tun, sondern festzulegen, daß nur die Betroffenen die Entscheidung fällen. Ich kann das nicht akzeptieren. Ich will eine Lösung auch in solchen Fällen, in denen der Betroffene nicht entschieden hat, so wie dies in allen europäischen Staaten - von A wie Albanien über N wie Norwegen bis Z wie Zypern - der Fall ist. Nirgendwo in Europa gibt es ein Transplantationsgesetz, das eine enge Zustimmungslösung zum Inhalt hat, bei der also nur die Betroffenen entscheiden.
Wir sollten das auch in Deutschland nicht einführen, sondern beim bewährten, durch Richterrecht bestätigten Verfahren einer Angehörigenzustimmung bleiben. Wir brauchen eine Regelung auch in den
Fällen, in denen der potentielle Spender zu Lebzeiten nicht entschieden hat. Die Kranken, die auf Spenderorgane angewiesen sind, brauchen nicht nur ärztliche Hilfe; sie brauchen auch unsere Hilfe. Deshalb ist für mich eine Lösung auch in möglichst vielen der Fälle erforderlich, in denen sich potentielle Organspender nicht erklärt haben. Das aber geht nur, indem man die Angehörigen in diesen Fällen in die Entscheidung einbezieht.
Abschließend bitte ich die Abgeordneten des Bundestages, dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 8027 zuzustimmen. Er ist in Übereinstimmung mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Er knüpft an das Totensorgerecht der Angehörigen an, die im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden haben. Er baut einen Damm gegen das Aufweichen der Hirntodkriterien. Er schafft Rechtssicherheit, Klarheit und Vertrauen. Er sichert die Transplantationsmedizin in der Bundesrepublik. Nicht zuletzt wird er den vielen, die mit einer Organspende weiterleben können, die Lebensperspektive sichern helfen.
Ich danke Ihnen.
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Zu einer Kurzintervention zu der Rede der Abgeordneten Philipp gebe ich der Abgeordneten Christa Nickels das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Philipp, wir schätzen uns zwar, aber ich kann Ihre Feststellung nicht akzeptieren, daß es hier darum geht, sich nicht um die Feststellung des Todes herumzudrükken. Herr Kollege Dreßler hat gerade erklärt, daß der Tod ein von der Natur bestimmtes biologisches Ereignis ist. Er hat weiter gesagt - das hat auch Frau Philipp in ihrer Rede geäußert -, daß die Wissenschaft festlegen muß, wann der Tod eingetreten ist.
Ich meine, es ist richtig, daß. der Tod ein von der Natur bestimmtes biologisches Ereignis ist. Nur, wir leiden heute nicht so sehr darunter, was wir technisch nicht können. Das Problem, das wir heute haben, besteht vielmehr darin, daß wir wegen der neuen technisch-medizinischen Möglichkeiten gezwungen sind, uns mit dem Anfang und dem Ende des menschlichen Lebens neu auseinanderzusetzen. Das, was Geboren-Werden bedeutet, ja, schon das, was Gezeugt-Werden bedeutet,
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ist in dem Kontext, so wie er bis vor einigen Jahren gegolten hat, heute überhaupt nicht mehr denkbar. Sterben und Tod sind etwas, worüber man früher nicht in der Art und Weise nachdenken mußte. Wozu uns heute die neuen Möglichkeiten des medizinischen Fortschritte zwingen und wodurch wir in riesengroße Nöte kommen.
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Richtig ist, daß Menschen, die darüber nachdenken, ein Schauder überfällt; denn es kommt den Menschen nicht zu, eigenmächtig zu entscheiden, wo die Grenzen von Tod und Leben sind, weil man dann immer in der Gefahr steht, die Entscheidung aus Nützlichkeitserwägungen zu fällen. Aber durch medizinisch-technische Fortschritte sind wir gezwungen, uns genau darüber zu unterhalten.
Darum möchte ich erstens sagen, daß Gefühle und Emotionen, die wir haben, wenn wir darüber nachdenken, keine Gefühlsduselei sind. Ich rate niemandem, hier seine Gefühle zu verdrängen und diese Entscheidung allein der Wissenschaft zu überlassen. Gefühle sind ganz wichtige Wegweiser in diesem Entscheidungsprozeß, die mit dem Verstand ausgeleuchtet werden müssen.
Zweitens kann man sich meiner Meinung nach aus diesem Dilemma nicht mit einem großen „Basta" befreien, indem man sagt, man halte sich an die Kriterien, die entwickelt worden sind, folge den neuen technischen Möglichkeiten, ohne daß darüber gesellschaftlich breit diskutiert worden ist, und dann seien die Befürchtungen ausgeräumt, so daß die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen, entfalle.
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So wird es nicht gehen. Denn wenn wir es den Menschen mit einem großen „Basta" abnehmen, sich höchstpersönlich damit auseinanderzusetzen und auch selber eine Entscheidung zu treffen - das ist ja immer dann der Fall, wenn sie am Bett eines Angehörigen stehen oder in der Situation sind, selber ein Organ zu benötigen -, dann leisten wir einer unmenschlichen Gedankenlosigkeit in der Gesellschaft Vorschub, die bei weiter voranschreitender Technik unheilvolle Auswirkungen haben kann.
Darum plädiere ich in der heutigen Debatte dafür, daß wir diese fundamentale Entscheidung nicht allein der Wissenschaft überlassen, die sich wandelt und glücklicherweise weiter voranschreitet.
Frau Kollegin Nickels, es tut mir leid, ich muß Sie unterbrechen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Vielmehr müssen wir Kriterien schaffen, die es dem einzelnen potentiellen Spender oder Empfänger von Organen ermöglichen, selbst zu entscheiden.
Danke.
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Meine Damen und Herren, keine Aufregung, wir befinden uns durchaus im Rahmen der Geschäftsordnung. Es war eine zulässige Kurzintervention.
Nun gebe ich das Wort zur Erwiderung, falls sie es wünscht, der Kollegin Philipp. - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten haben mich wie viele andere Kolleginnen und Kollegen zur bevorstehenden Verabschiedung des Transplantationsgesetzes zahlreiche Briefe erreicht. Ich habe viele Gespräche geführt, habe mit Menschen gesprochen, die dringend auf ein Organ angewiesen sind, habe Transplantationszentren besucht, habe mit Eltern gesprochen, die in die Explantation der Organe ihrer hirntoten Kinder eingewilligt haben und für die diese Entscheidung eine große Hilfe war. Es haben sich aber auch solche an mich gewandt, die sich auf Grund mangelnder Informationen wegen dieser Zustimmung heute schwere Vorwürfe machen, weil sie sich über den Zustand ihrer Kinder nicht hinreichend aufgeklärt fühlten.
Nach alledem ist für mich klar: Die Transplantationsmedizin ist ein Segen für die Menschen, die dringend ein Spenderorgan brauchen. Ein solches Gesetz muß insbesondere die Menschenwürde und den Schutz des menschlichen Lebens beachten. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, daß ich zu den Transplantationsmedizinern in Deutschland Vertrauen habe, daß sie ihre Tätigkeit verantwortungsvoll ausüben. Ich wüßte mich, wenn es einmal dazu käme, als Spender oder Empfänger bei ihnen in guten Händen.
Ich gestehe zu, daß auch mir zunächst das Ansehen des Hirntodes als ein sicheres Todeszeichen plausibel erschien. Insbesondere das Bild von der „inneren Enthauptung" hat mir spontan eingeleuchtet. Der Fall der Erlanger Schwangeren, der gezeigt hat, daß bei Hirntod mit apparativer Unterstützung selbst das Austragen einer Schwangerschaft möglich ist, hat bei mir aber Zweifel geweckt.
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- Doch, die Erlanger Schwangere war hirntot, Herr Kollege Thomae. Das hat Professor Wuermeling, der diese Behandlung begleitet hat, selbst bestätigt.
1993 definierte der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer den Tod als „Ende des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit". Gegen diese Definition ist nichts zu sagen. Sie trifft bloß nicht zu, wenn man den Fall von Marion Ploch unvoreingenommen betrachtet. 97 Prozent ihrer Organe funktionierten. Die Patientin atmete. Nur die Bewegungen des Zwerchfelimuskels wurden durch eine Beatmungsmaschine ersetzt. Die Herz- und Kreislauffunktionen waren intakt. Nur ein Organ war definitiv ausgefallen: das gesamte Gehirn.
Man braucht kein Mediziner zu sein, um zu wissen, daß eine Schwangerschaft ein höchst irritierbarer Vorgang ist, der voraussetzt, daß alle Organe subtil aufeinander abgestimmt funktionieren. Von dem „Ende des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit" kann daher keine Rede sein. Bei einer Enthauptung tritt aber der Tod unter anderem durch den mit dem hohen Blutverlust verbundenen Zusammenbruch von Herz und Kreislauf ein. Damit ist klar: Eine „innere Enthauptung" gibt es nicht.
Nun wird eingewandt, daß eine Schwangerschaft prinzipiell auch in der Retorte möglich wäre und daß die erwähnte Schwangerschaft nur mit intensivapparativer Unterstützung aufrechterhalten werden konnte. Aber auch die Tatsache der apparativen Unterstützung oder Imitierbarkeit von Vitalfunktionen kann doch unmöglich zur Todesfeststellung ausreichen; sonst müßten alle Patienten einer Intensivstation für tot erklärt werden, denn sie werden geradezu typischerweise in ihren Vitalfunktionen unterstützt.
Es ist vor diesem Hintergrund folgerichtig, daß die Definition der Bundesärztekammer aus dem Jahre 1993 immer weiter in den Hintergrund tritt. In der Anlage zum Schreiben des Präsidenten der Bundesärztekammer vom 17. Juni 1997, das Ihnen allen zugegangen ist und in dem Argumente vorgetragen werden, die dafür sprechen sollen, daß Sie sich unserem Antrag nicht anschließen, ist von dieser Definition gar nicht mehr die Rede. Statt dessen heißt es dort:
Die naturwissenschaftliche Medizin kann sicher sagen, daß die den lebenden Menschen konstituierende physisch-metaphysische Einheit mit dem völligen und unabänderlichen Ausfall der Gesamtfunktionen des Gehirns ihre unersetzliche körperliche Grundlage verloren hat und damit beendet ist.
Die metaphysische Dimension des Menschen läßt sich aber nicht in einem Organ lokalisieren. Sie ist etwas grundsätzlich anderes als seine Bewußtseinsfähigkeit oder Geistigkeit. Die Behauptung, diese Lokalisierung medizinisch-naturwissenschaftlich nachweisen zu können, hat die Qualität eines Gottesbeweises.
Wohin ein Menschenbild führt, das den Tod und den Hirntod gleichsetzt, zeigt die Rede des australischen Philosophen Peter Singer, die er in Heidelberg halten sollte - aber nicht gehalten hat - und die später veröffentlicht wurde. Er tritt darin dafür ein, die „Ethik der Unantastbarkeit des Lebens" aufzugeben und statt dessen „Überlegungen zur Lebensqualität bei Entscheidungen über Leben und Tod zuzulassen". Er schreibt weiter: Ein erster Schritt dahin ist es, „den Hirntod ... als ein Kriterium für den Tod des Menschen zu akzeptieren".
Diesem Menschenbild darf nicht durch eine entsprechende direkte oder indirekte Festlegung im Transplantationsgesetz Vorschub geleistet werden.
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Sie ist auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Aus dem 88. Band - Seite 252 - der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen ergibt sich zweifelsfrei, daß es für den grundrechtlichen Status eines Menschen allein auf seine Existenz ankommt, nicht nur auf Wahrnehmen, Erleben, Wünschen, Hoffen,
Wollen und Handeln, nicht auf das Bewußtsein und nicht auf Gehirnfunktionen.
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Auch im Ausland ist die Unhaltbarkeit des Hirntodkonzepts gerade auf Grund des intensivmedizinischen Fortschritts offenkundig geworden. In Amerika, dem Mutterland der Hirntodkonzeption, wird diese zunehmend als überholt angesehen. Erst jüngst ist in einer renommierten Fachzeitschrift ein Aufsatz mit dem Titel „The brain death of brain death", „Der Hirntod des Hirntodes", erschienen.
Japan ist den Kritikern des Hirntodkonzepts immer wieder als Beispiel ihrer Rückständigkeit vorgehalten worden. Die vorgesehene Anerkennung des Hirntodes als Tod des Menschen ist jedoch im japanischen Gesetzgebungsverfahren gescheitert.
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Man hat einen logisch nicht nachvollziehbaren Kompromiß gefunden: Die Hirntoddiagnose gilt als Todesfeststellung nur für die Transplantationsmedizin, aber sonst nicht. Damit korrespondiert eine besonders enge Zustimmungslösung. Erforderlich ist nicht nur die vorherige schriftliche Zustimmung des Spenders, sondern darüber hinaus auch noch die Zustimmung seiner Angehörigen.
Der bereits beschriebene intensivmedizinische Fortschritt ist auch für die Diskussion in den Kirchen nicht ohne Folgen geblieben. Nach ursprünglich zustimmenden Erklärungen zu diesem Konzept der Kirchen aus dem Jahre 1990 hat sich das Blatt gewendet. Nicht umsonst beschäftigt sich die Päpstliche Akademie für das Leben erneut mit dieser Frage. So heißt es in der Stellungnahme der EKD in der Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Transplantationsgesetz vom 25. September 1996 - diese Unterlage ist allen Mitgliedern des Gesundheitsausschusses zugegangen -:
Die Diskussion der letzten Jahre hat deutlich gemacht: Die Gleichsetzung des Todeskriteriums „Hirntod" mit dem „Tod des Menschen" sollte deshalb aufgegeben werden, denn sie stößt aus anthropologischer, biologischer und medizinischer Sicht auf gewichtige Bedenken. Die Frage des Zeitpunkts für die Explantation von Organen setzt keine Einigung über die unterschiedlichen Sichtweisen und Definitionen des Todes des Menschen voraus. Erforderlich ist lediglich eine verantwortungsvoll und gewissenhaft vorgenommene Verständigung, also Konvention, über den Zeitpunkt, von dem an die Entnahme eines lebenswichtigen Organs rechtlich und ethisch nicht mehr als Körperverletzung und Tötung angesehen wird. Der sogenannte Hirntod kann als ein solcher Zeitpunkt angesehen werden.
In einer Stellungnahme vom 11. Juni 1997 heißt es ergänzend dazu:
Deshalb tut der Gesetzgeber gut daran, in § 3
„Organentnahme mit Einwilligung des Organspenders" Abs. 2 nicht vom „Tod des Organspenders nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft" zu sprechen, sondern besser und genauer vom Hirntod des Spenders, „irreversiblen Ausfall aller Funktionen des Gehirns".
Dann fährt diese Stellungnahme fort mit den Worten:
Wer Hirntod und Tod des Menschen in eins setzt, trägt bei zur Verwirrung der Begriffe, verzichtet auf anthropologisch notwendige Unterscheidungen, verletzt ohne Not religiöses Empfinden.
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In dieselbe Richtung weisen Briefe von Joachim Kardinal Meisner an den Bundesgesundheitsminister und an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Freitag letzter Woche. Nichts anderes, als dort definiert ist, nichts anderes als eine Konvention, als ein ausdrückliches Offenlassen dieser strittigen Frage schlagen wir Ihnen vor. Deswegen ist es auch nicht richtig, wenn uns unterstellt wird, wir würden in unserem § 3 ausdrücklich von lebenden Spendern ausgehen. Ich meine, daß man eine solche Festlegung der Transplantationsmedizin auch nicht zumuten kann.
Diese Stellungnahmen der Kirchen verdeutlichen das unauflösliche Dilemma, in das die Transplantationsmedizin bei Annahme des anderen Antrags eintritt: Einerseits soll vom Verstorbensein des Spenders ausgegangen werden, andererseits sind gerade um der Qualität der Organe willen nicht unerhebliche Vitalfunktionen des Körpers erforderlich.
Die Annahme des Hirntodes als sicheres Todeszeichen ist zwar unausgesprochene, aber nicht hinwegzudenkende Voraussetzung des genannten Antrags. Herr Kollege Dreßler, Sie haben das gerade noch einmal bestätigt. Wer das nicht zugibt, denkt meiner Meinung nach nicht logisch oder täuscht über seine Absichten.
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- Ich habe Ihnen nicht unterstellt, daß Sie täuschen.
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- Nein, nein, Sie müssen schon genau zuhören. Ich habe gesagt: Wer sagt, daß in Ihrem Entwurf Hirntod und Tod des Menschen nicht miteinander identifiziert werden, der denkt nicht logisch. In den Reden, die von Ihrer Seite bisher gehalten worden sind, ist gerade diese Identifikation verteidigt worden. Insofern mache ich Ihnen gar keinen Vorwurf, Frau Philipp.
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Diese mangelnde Deutlichkeit im Gesetz hat jedoch einen Preis, nämlich weniger Rechtssicherheit für die Transplantationsmediziner. Weil der Gesetzgeber die ausdrückliche Gleichsetzung vermeidet, delegiert er diese Entscheidung nicht an die medizinische Wissenschaft, sondern in Wirklichkeit an die
Gerichte. Entsprechende Prozesse sind die absehbare Folge.
Der von uns vorgeschlagene § 3 läßt diese Frage ausdrücklich offen und formuliert, wie es Joachim Kardinal Meisner in seinem Brief als Aufgabe der Politik bezeichnet hat, den breiten gesellschaftlichen Konsens, daß nach der Feststellung des sogenannten Hirntods Organentnahme unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.
Vor diesem Hintergrund ist es abwegig, die Behauptung aufzustellen, daß dann den Ärzten eine Tötung abverlangt werde.
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Zunächst beinhaltet diese These die Unterstellung, verschiedene evangelische Bischöfe, Joachim Kardinal Meisner und eine ganze Reihe deutscher Rechtslehrer, unter ihnen der angesehene Strafrechtsprofessor Herbert Tröndle, würden sich für eine solche Tötung einsetzen. Alle Genannten haben sich bisher in Lebensschutzfragen besonders engagiert. Ihnen diesen Vorwurf zu machen ist besonders absurd. Weiterhin müßte der Gesetzgeber auch in den letzten 30 Jahren den Ärzten eine solche Tötungshandlung zugemutet haben. Denn bis heute fehlt es an der von der Gegenseite geforderten gesetzlichen Voraussetzung.
Schließlich fehlt es objektiv und subjektiv an einer Tötungshandlung. Weder wollen die Ärzte töten, noch will der Spender getötet werden. Auch fehlt es an der für die Tötung selbstverständlichen Lebensverkürzung. Denn nach Eintritt des Hirntodes ist die Pflicht zum Abstellen der Herz und Kreislauf aufrechterhaltenden Maschinen unbestritten. In diesem Fall tritt unmittelbar ein Multiorganversagen, also der Tod, ein. Zum Zweck der Organentnahme wird dieses sittlich gebotene Sterbenlassen verlängert. Das hat mit einer Tötung nichts zu tun.
Für die Zustimmungsregelung, über die in einer weiteren Runde noch gesprochen wird, ergibt sich aus meiner Sicht folgendes: Der Stellungnahme der EKD entsprechend muß die Organentnahme dem Willen des Spenders entsprechen. Die Forderung nach einer schriftlichen Zustimmung würde aus meiner Sicht zu hohe Hürden aufrichten, weil sie die intensive Beschäftigung mit dem eigenen Tod voraussetzt. Auf diese Schwierigkeiten hat die Kollegin Philipp schon hingewiesen.
Die Vermittlung des Willens des Spenders kann daher auch durch die nächsten Angehörigen oder ihnen gleichzusetzende Personen geschehen. Sie kann jedoch nicht so weit gehen, daß die Angehörigen ein eigenständiges Entscheidungsrecht erhalten, das ihnen unter Umständen eine größere Verantwortung zumutet, als sie angesichts einer derart schwierigen Situation übernehmen wollen oder können. Sie sollen lediglich eine Entscheidung im Sinne des Spenders, also seines bekannten oder mutmaßlichen Willens, treffen.
Dafür sind, wie in meinem Vorschlag vorgesehen, wesentliche Anhaltspunkte nötig. Hier ist auch der wesentliche Unterschied meines Vorschlags zum Antrag von Lohmann, Seehofer, Dreßler und anderen, der auch dann eine eigenständige Entscheidung der Angehörigen zulassen will, wenn für den Willen des Spenders keine Anhaltspunkte vorliegen. Auch das hat die EKD in der vorliegenden Stellungnahme ausdrücklich abgelehnt.
Die Forderung, die der intensivmedizinische Fortschritt an unsere Gesellschaft stellt, ist, das Sterben als Teil des Lebens anzunehmen. Das gilt insbesondere für das heute zur Abstimmung stehende Transplantationsgesetz. Ich bitte Sie daher herzlich insbesondere um Zustimmung zu § 3 unseres Gesetzentwurfs.
Vielen Dank.
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Ich gebe dem Abgeordneten Horst Seehofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Organübertragungen gehören heute in Ländern mit hochwertiger medizinischer Versorgung zum Standard. Allein in Deutschland werden jährlich über 3000 lebenswichtige Organe transplantiert. Das sind beeindruckende Zahlen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in jedem Fall das Leben eines Menschen gerettet oder eine Krankheit weitgehend geheilt werden kann.
Zur Realität gehört allerdings auch, daß etwa doppelt so viele Patienten auf ein Spenderorgan warten. Nicht wenige von ihnen müssen wegen des Mangels an Organen vorzeitig sterben. Nur wer jemals einem Menschen gegenüberstand, der auf diese letzte Möglichkeit der Medizin für sich persönlich gehofft hat, wird verstehen können, daß unsere Sprache viel zu arm ist, um den Gegensatz zwischen der Todesangst beim Warten auf ein Spenderorgan und der tiefen Dankbarkeit nach einer erfolgreichen Transplantation zu beschreiben.
Lebensrettende Hilfe wäre ohne die Bereitschaft vieler Menschen zur Organspende nicht möglich. Deshalb, so finde ich, sollten wir diese Stunde einmal dazu benutzen, um allen Menschen zu danken, die zur Organspende ja sagen.
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Die beiden großen Kirchen haben - zu Recht und unzweideutig - immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß Organspende ein Zeichen der Solidarität und Nächstenliebe ist. Ich bin erleichtert, daß in jüngster Zeit die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende wieder angestiegen ist, nachdem sie in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen war. Dieser Anstieg der Spendebereitschaft macht nicht nur vielen schwerkranken Menschen Mut, die auf Organtransplantationen warten. Er ist auch ein Auftrag an die Politik, durch eine klare gesetzliche Regelung die Rechtssicherheit in diesem sensiblen
Bereich endlich zu erhöhen und die gesellschaftliche Anerkennung der Transplantationsmedizin zu festigen.
Das Bundesministerium der Justiz erarbeitete bereits 1978, damals unter Verantwortung von HansJochen Vogel, den ersten Entwurf für eine bundeseinheitliche Regelung der Organentnahme. Diesem Entwurf lag die Widerspruchslösung zugrunde. Danach wäre eine Organentnahme zulässig gewesen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Der Gesetzentwurf hatte wegen der Bedenken des Bundesrates keinen Erfolg.
Deutschland ist heute einer der letzten Staaten in Europa ohne eine gesetzliche Regelung zur Organtransplantation. Nach rund 20 Jahren liegen jetzt entscheidungsreife Konzepte vor. Mir war wichtig, daß wir die verschiedenen Aspekte in den letzten Monaten ohne Zeitdruck mit der Öffentlichkeit, den Bundesländern, den Sachverständigen und Verbänden diskutiert haben. Ich danke für diese sachliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen und in den Medien. Das war ein Beispiel für eine anspruchsvolle Diskussionskultur in der Bundesrepublik Deutschland.
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Zum zentralen Punkt hat sich die Diskussion über die Zulässigkeit der Entnahme lebenswichtiger Organe entwickelt. Der Unterschied - wir haben das hier schon gehört - liegt vor allem in der Bewertung des Hirntodes und in der Frage, ob die nächsten Angehörigen eine Entscheidungsmöglichkeit im Sinne des Verstorbenen haben. Diese Unterschiede sind von elementarer Bedeutung für die Transplantationsmedizin und auch für die ethischen Fundamente unserer Rechtsordnung.
Ich trete für die erweitere Zustimmungslösung ein. Sie beruht auf der Grundentscheidung, daß Organe immer nur dann entnommen werden dürfen, wenn der Tod des Organspenders nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft festgestellt ist. Kein Leben darf zugunsten eines Organempfängers vorzeitig für tot erklärt werden.
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Weitere Voraussetzung ist, daß die Zustimmung des Organspenders vorliegt. Hat der Organspender keine Erklärung abgegeben, können die Angehörigen einer Organentnahme im Sinne des Verstorbenen zustimmen. Sie haben dabei den mutmaßlichen Willen des Organspenders zu beachten.
Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß diese erweiterte Zustimmungslösung der Praxis in der Bundesrepublik Deutschland seit über 25 Jahren entspricht, einer Praxis, die im hohen Konsens mit der gesamten Bevölkerung sowie mit der Ärzteschaft erfolgt und die so gut wie nie zu irgendeiner Rechtsauseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland geführt hat. Ich kann nicht verstehen, warum es so schwer ist, eine im hohen Konsens mit der Gesellschaft durchgeführte Praxis jetzt unverändert in ein Gesetz zu übernehmen.
Die Kriterien für die Feststellung des Todes sind von der medizinischen Wissenschaft nach medizinisch-naturwissenschaftlichen Regeln zu definieren. Die Definition des Todes ist keine Aufgabe der Politik oder des Gesetzgebers. Ich weise hier noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß es bei den hier genannten Beispielen nicht um Patienten ging, bei denen der Hirntod diagnostiziert war, sondern um sogenannte komatöse Patienten. Das darf man nicht verwechseln.
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Allein die naturwissenschaftliche Forschung kann für alle Menschen in gleicher Weise feststellen, welche körperlichen Befunde Leben und Tod voneinander abgrenzen, unabhängig von einem Menschenbild oder einem subjektiven Verständnis von Leben und Tod. Das entspricht unserem Rechts- und Verfassungsverständnis. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, wann menschliches Leben beginnt, nicht nach lebensweltlichen, theologischen, philosophischen oder emotionalen Erfahrungen beantwortet, sondern entsprechend dem naturwissenschaftlich-medizinischen Kenntnisstand. Für die Frage nach dem Lebensende kann es keine andere Entscheidungsgrundlage geben. Der Gesetzgeber kann in dieser wichtigen Frage keine unterschiedlichen Maßstäbe für Lebensbeginn und Lebensende zugrunde legen.
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Wir können - da weiß mich mit dem Bundesminister des Innern einig - diese elementare Frage, ob der Mensch zum Zeitpunkt der Organentnahme tot ist oder noch lebt, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht offenlassen. Denn von Verfassungs wegen darf die Organentnahme - abgesehen von der Lebendspende, die nur in sehr engen Grenzen möglich ist - nur bei toten Menschen gesetzlich zugelassen werden. Übrigens vertritt diese Auffassung auch das Bundesministerium der Justiz in seiner Stellungnahme an das Bundesministerium für Gesundheit vom Dezember 1995.
Die persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist von jedermann, auch von den Angehörigen, zu beachten. Das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat erste Priorität. So sehr wir uns auch alle wünschen, daß sich möglichst viele Bürger für ein Ja entscheiden, so sehr müssen wir respektieren, wenn ein Bürger zur Organspende nein sagt.
Das Gesetz muß aber auch die überwiegende Anzahl der Fälle sachgerecht und ausgewogen regeln, in denen der Verstorbene zu Lebzeiten, aus welchen Gründen auch immer, eine Erklärung nicht abgegeben hat. Bei der Beteiligung der Angehörigen muß sich der Arzt zunächst vergewissern, ob dem nächsten Angehörigen eine Erklärung des möglichen Organspenders bekannt ist. Ist dies der Fall, bleibt kein Raum für eigene Überlegungen des Angehörigen. Der Wille des Verstorbenen gilt uneingeschränkt. Ist
keine Erklärung des Verstorbenen bekannt, muß sich der Angehörige an dem mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders orientieren. Das heißt: Er muß auf Grund seiner Kenntnis der Gesamtpersönlichkeit eine Entscheidung treffen, die nach seiner Überzeugung dem Willen des Verstorbenen gerecht wird. Damit liegt die Entscheidung bei denen, die besser als der Gesetzgeber einschätzen können, was im Sinne des Verstorbenen ist.
Ich weiß, daß es leider keinen Weg gibt, beim Verlust eines Angehörigen die Betroffenen von Schmerz und Trauer zu befreien. Es ist für die Angehörigen eine schwere zusätzliche Entscheidung, sich mit einer möglichen Organspende des Verstorbenen zu beschäftigen. Sie befinden sich wie die Ärzte in einer Grenzsituation. Ich habe Verständnis dafür, daß sich manche bedrängt und überfordert fühlen und sich in dieser Situation überhaupt nicht äußern wollen. Jede Entscheidung ist zu respektieren, auch die Entscheidung, in der Phase der Trauer nicht mit der Frage der Organspende befaßt zu werden.
Wir dürfen aber auch nicht verkennen, daß viele Angehörige eine Entscheidungsmöglichkeit bejahen. Die Tatsache, daß in Deutschland heute etwa 95 Prozent der Organentnahmen auf einer Zustimmung der Angehörigen beruhen, sollte uns Mut machen.
Ich weiß aus vielen Gesprächen um die Angst der Menschen, daß bei der Todesfeststellung Fehler gemacht werden könnten oder daß sich Ärzte mit der Organentnahme über den Willen des Verstorbenen oder die von ihnen selbst getroffene Entscheidung hinwegsetzen könnten. Deshalb schlagen wir zusätzliche verfahrensrechtliche Sicherungen vor: Der Tod wird von zwei qualifizierten Ärzten, die den Verstorbenen unabhängig voneinander untersuchen und die mit der nachfolgenden Organtransplantation nichts zu tun haben, festgestellt. Die Organentnahme und die Beteiligung der Angehörigen muß vom Arzt dokumentiert werden. Die Angehörigen haben ein Recht auf Einsichtnahme in diese Unterlagen und können dabei sachverständige Personen ihres Vertrauens hinzuziehen. - All diese Regelungen sind geeignet, Transparenz zu schaffen und Vertrauen zu bilden.
Ich achte jede andere Position. Nur, die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf zu wissen, warum ich der Alternative, der sogenannten engen Zustimmungslösung, nicht zustimmen kann. Ich respektiere diese Position, akzeptiere sie aber nicht.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Alternativantrag mit der engen Zustimmungslösung läßt im Kern offen, ob die Diagnose des Hirntodes auch den Tod des Menschen bedeutet. So finden sich in diesem Antrag viele mit unterschiedlichen Interpretationen wieder. Da gibt es jene, die sagen, es sei eine Lebensverlängerung, jene, die sagen, es sei ein irreversibler Sterbeprozeß, jene, die sagen: Der Mensch ist tot. Es gibt aber auch jene, die meinen: Man kann gar nichts Genaues sagen.
Wenn man konsequent ist und die Diagnose des Hirntodes nicht als Tod des Lebewesens Mensch begreift, dann müßte man sagen, daß eine Explantation nicht möglich ist.
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Zu sagen: „Der Mensch ist nicht tot; wenn er aber zu Lebzeiten zugestimmt hat, kann gleichwohl ein lebenswichtiges Organ entnommen werden", bringt die Transplantationsmedizin in Deutschland rechtlich in ein Zwielicht, mutet den Ärzten Ungeheures zu und würde letztlich die Transplantationsmedizin in der Bundesrepublik Deutschland auf den Nullpunkt zurückführen. Im übrigen müßte man dann die gleichen ethischen und juristischen Regeln für alle Organe, die aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland importiert werden, anwenden.
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Herr Kollege Seehofer, ich darf Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich bin gleich fertig.
Meine Damen und Herren, die Begegnungen mit potentiellen Organspendern, mit den Angehörigen von Organspendern und mit Transplantationspatienten gehören zu den unvergeßlichen Erlebnissen. Ich habe vor kurzem in einer Herzklinik mit Patienten gesprochen, die ein Kunstherz in der Brust trugen und deren Lebenszeit auf wenige Monate beschränkt war. So sehr ich die Interessen, die Sorgen und die Nöte jener sehe, die sich mit der Entscheidung für oder gegen eine Organspende schwertun, die vielleicht als Angehörige heute noch um eine Entscheidung ringen, sich rechtfertigen und sich damit auseinandersetzen, so sehr müssen wir auch an jene. denken, die schwerkrank, ja todkrank sind
Herr Kollege Seehofer, Sie müssen jetzt zum Schluß kommen.
- und denen wir die Hoffnung auf ein passendes Spendeorgan nicht nehmen dürfen.
Meine Damen und Herren, die Art und Weise, wie wir in der Bundesrepublik Deutschland mit diesen schwerkranken, ja todkranken Menschen umgehen, ist ein Spiegelbild für die Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft. Schaffen wir Rahmenbedingungen dafür, daß es zu mehr Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft kommen kann!
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. SchmidtJortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die heuDr. Edzard Schmidt-Jortzig
tige Debatte und die vielen Gespräche im Vorfeld dieser Debatte zeigen, daß sich immer mehr Menschen über die Bedeutung und Tragweite der heutigen Beschlußfassung im klaren sind. Der Hinweis darauf, daß sich nach einer jüngsten Umfrage 80 Prozent der Befragten mit dieser Problematik beschäftigen wollen und 40 Prozent der Befragten sagen, daß sie es von ihrem eigenen Willen abhängig machen wollen, ob sie dermaleinst als Spender von lebenswichtigen Organen für Dritte zur Verfügung stehen wollen, ist deutlich. Ich finde es gut, richtig und hoffnungsvoll, daß Sie, lieber Herr Seehofer, zu Recht darauf hingewiesen haben, daß auf Grund unserer Diskussion - ich jedenfalls kann mir nur vorstellen, daß das dadurch gekommen ist - in jüngster Zeit die Spendebereitschaft wieder im Steigen begriffen ist. Ich möchte das ja, wie Sie wissen, noch weiter stimulieren.
Bei kaum einer anderen Frage liegen Leben und Tod so eng beieinander wie bei der Frage der Organspende; denn mit einer Organspende kann ein Mensch noch im Sterben oder - ich formuliere das bewußt vorsichtig - am Rande des Todes einem anderen Menschen das Leben retten.
Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Hauptanträgen, der erweiterten und der engen Zustimmungslösung, liegt in der Identifizierung der medizinischen Voraussetzung einer Transplantation. Auch in dem Entwurf, der für eine erweiterte Zustimmungslösung plädiert, verzichtet man jetzt ja interessanterweise darauf - weil man da eben doch auch Zweifel bekommen hat; ganz im Gegensatz zu dem, was wir heute zum Teil hören -, den Hirntod per definitionem als Gesamttod des Menschen festzulegen. Das ist schon bemerkenswert. Es ist in meinen Augen auch ein beachtlicher Erfolg unserer Problematisierung.
Herr Seehofer, in dem von Ihnen mitgetragenen Entwurf wird aber nach wie vor verlangt, daß der Gesamttod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Wenn ich mir das genau anschaue, dann komme ich zu dem Schluß, daß man damit eigentlich entweder eine Organtransplantation praktisch unmöglich macht oder sich eben doch auf den Hirntod kaprizieren muß. Eine Organtransplantation würde man nämlich dann praktisch unmöglich machen, wenn die medizinische Wissenschaft zu der Erkenntnis käme - das ist sicherlich noch nicht durchgehend der Fall, aber diese Entwicklung zeichnet sich ab -, daß mit dem Hirntod eben nicht schon das Ende aller menschlichen Lebensäußerungen gegeben ist. Eine Explantation ist aber eben nur möglich, wenn man damit schon unmittelbar beim Hirntod einsetzt. Wir sehen den Wandel der wissenschaftlichen Einsicht ja auch in den medizinisch-wissenschaftlichen Stellungnahmen, die wir in dieser Diskussion zur Kenntnis nehmen konnten; wir sehen das auch in der Entwicklung, die die Gesetzgebung beispielsweise in Japan genommen hat. Zumindest denke ich, daß bei dem Tempo der medizinisch-wissenschaftlichen Entwicklung überhaupt nicht auszuschließen ist, daß morgen schon Ströme, etwa Hirnströme oder Ströme, die nur im
Rückenmark gespeichert sind, gemessen werden können, die wir heute noch nicht zu messen vermögen. Wer will denn sagen, daß das, was gestern Stand der Wissenschaft war und es heute noch ist, morgen noch genauso sein wird? Unsere gesamte Diskussion ist, doch eigentlich ein Beleg dafür, daß dem nicht so ist. Vielmehr entwickeln sich die Medizin, die Apparatemedizin, die Intensivmedizin immer schneller fort - nicht nur in den Techniken der Organtransplantation, sondern auch in ihren Erkenntnissen.
In der Sache doch auf den Hirntod abzustellen ist in meinen Augen fragwürdig, weil grundlegendes Schutzgut nach Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes das menschliche Leben ist. Es ist ja im übrigen auch bedeutsam, daß in der gesamten Verfassung nicht von Tod die Rede ist - in welchem Zuschnitt auch immer -, sondern immer nur von Leben als Schutzgut.
Wo immer Leben möglich ist - niemand kann heute ausschließen, daß auch noch nach dem Hirntod Reste an Leben möglich sind -, darf es deshalb nicht gesetzlich einseitig ausgegrenzt werden, und sei es auch nur mittelbar. Es gibt - in meinen Augen jedenfalls - den eindeutigen Satz: In dubio pro vita.
Deshalb kann der Hirntod, besser: der irreversible Ausfall der gesamten Hirnfunktion, nicht das alleinentscheidende Kriterium für den Gesamttod des Menschen sein. Es ist einfach nicht so, daß Hirntod gleich Gesamttod ist. Wer so etwas behauptet, leugnet, daß es Unterschiede gibt, daß auch der verkürzt so bezeichnete Hirntod etwas ganz anderes ist als der verkürzt so bezeichnete Herztod.
Nur weil wir die natürliche Aufeinanderfolge dieser Ereignisse, Hirntod, Herztod und damit Gesamttod des Menschen, durch die Intensivmedizin auseinanderziehen, strecken, kommen wir in die Situation, uns über dieses Zwischenstadium Gedanken machen zu müssen und zu wollen.
Alles, was zu einem - wie auch immer im einzelnen zu bewertenden - Fortdauern von Lebensäußerungen nach dem Hirntod zu sagen ist, hat der Kollege Wodarg gesagt. Ich will es nicht wiederholen. Für mich ist der Hirntod der „point of no return"; da setzt irreversibel der Sterbeprozeß ein.
Deswegen muß man deutlich sagen: Die Anhänger der erweiterten Zustimmungslösung setzen wie die Anhänger der engen Zustimmungslösung als Voraussetzung beim Hirntod an. Und es ist falsch und nicht sachgerecht, zu sagen: Ihr wollt ja Lebende explantieren. Vielmehr wollen wir Hirntote explantieren. Das ist ein deutlicher Unterschied.
Ein Letztes zu diesem Punkt: Wer will eigentlich feststellen - vor allen Dingen definitiv mittelbar oder unmittelbar durch das Gesetz -, wann das, was am Menschen metaphysisch ist, etwa seine Beseeltheit, zu Ende ist? Das kann man doch nicht definitiv sagen.
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Als Letzter kann das der Gesetzgeber.
Bei dieser Wertung darf auch die Medizin keine Monopolkompetenz haben, wie sie immer wieder eingefordert wird. Gerade Ihr Gesetzentwurf, lieber Herr Seehofer, stellt auf den Stand der medizinischen Wissenschaft ab. Das ist nicht das Entscheidende für die Feststellung, wann ein Leben zu Ende ist. Da kommen ganz wesentliche metaphysische, da kommen ethische,
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da kommen religiöse, auch juristische Argumente zum Tragen.
Deswegen kann der Gesetzgeber schon aus diesem Grund nicht einseitig darauf abstellen und sagen: Alles andere zählt nicht, was für den einzelnen nach seiner ureigenen ethischen Einstellung vielleicht doch noch als menschliches Leben nachwirkt.
Eckart von Klaeden hat darauf hingewiesen - ich tue das noch einmal, aber pauschaler -, daß die erweiterte Zustimmungslösung deshalb nicht mehr - auch da ist deutlich die Entwicklung des Standpunktes zu sehen - mit der Zustimmung der beiden großen christlichen Kirchen rechnen kann. Was der Bischof Löwe und der Kardinal Meisner dazu geäußert haben, ist hier schon vorgetragen worden. Dem ist weiter nichts hinzuzufügen.
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- Nein, bei der EKD kann ich Ihnen garantieren, daß das keine einzelne Meinung ist, sondern der derzeitige Stand eines umfassenden Diskussionsprozesses.
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Der Gesetzgeber und erst recht der einfache Gesetzgeber sollte sich nicht, ja darf sich nicht in Vorstaatliches, in Unwägbares einmischen. Dies gilt um so mehr, als eine Festlegung auf einen Gesamttod für die Organtransplantation auch gar nicht erforderlich ist. Wichtig ist nur, daß wir für die Entnahmekriterien eine definitive Festlegung haben. Dafür ist der Hirntod plus die Einwilligung des potentiellen Spenders nach unserer Auffassung das Maßgebliche.
Ein letztes Wort: Herr Seehofer, Sie haben einen Vorwurf vorsichtig umschrieben, indem Sie sagten, mit dem Verzicht auf eine jetzt zwar indirekte, aber dennoch eindeutige Festlegung auf den Hirntod als Gesamttod des Menschen werde jede Transplantation zwischen Hirntod und Herztod bzw. Kreislaufzusammenbruch zu einer unerlaubten Tötungshandlung oder könne jedenfalls diese Zweifel erwecken.
Diese Sorgen verdienen Beachtung, sind aber eindeutig auszuräumen, wie man in jeder neueren strafrechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Äußerung nachlesen kann.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Professor Schuchardt?
Gerne.
Herr SchmidtJortzig, ich bitte Sie noch einmal, genau zu differenzieren. Ich möchte deutlich machen, daß die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland gerade die erweiterte Zustimmung favorisiert
({0})
und daß der einzige Unterschied - weil nicht nur Sterben, sondern auch Leben ein Prozeß ist - allein darin besteht, daß ein neues Nachdenken darüber begonnen wird, ob der Tod und der Hirntod als Zeichen des Todes gleichgesetzt werden können. Sie stimmen mir zu?
Nur zu diesem Punkt habe ich gesprochen.
Die Folgerung daraus -
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, Sie müssen eine Frage formulieren.
Ich frage Sie also, ob Sie dem zustimmen, daß hier ein Weiterdenken eingesetzt hat, daß aber die Evangelische Kirche grundsätzlich die erweiterte Zustimmung favorisiert, weil Gott ein Freund des Lebens ist und sich der Mensch, frei geschaffen, dafür oder dagegen entscheiden kann.
Verehrte Frau Kollegin, Ihre Differenzierung ist völlig richtig. Ich spreche nur darüber, ob wir definitiv den menschlichen Gesamttod mit dem Hirntod gleichsetzen dürfen und können. Dazu hat sich eine ganz entscheidend veränderte Erkenntnis bei der Evangelischen Kirche - zumindest für diese will ich es sagen, bei der Schwesterkirche weiß ich es nicht - abgezeichnet.
Was sich daraus später an Konsequenzen für die erweiterte oder die enge Zustimmungslösung ergeben wird, ist noch gar nicht mein Thema. Ich will nur darauf hinweisen, daß über das, was wir gestern noch für ganz sicher gehalten haben, heute - wie Sie in der Tat selbst sagen - ein neues Nachdenken gefordert wird. Dazu haben wir viel Unterstützung aus dem kirchlichen Bereich, auch aus dem offiziellen. Auch das ist eine Frucht unserer Diskussion.
Ich möchte gern den Vorwurf der unerlaubten Tötungshandlung wieder aufgreifen. Mit dem irreversiblen Hirnversagen endet - das ist unbestritten - die Pflicht des Arztes zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. Sie wechselt in die Pflicht, den natürlichen Sterbeprozeß nicht weiter aufzuhalten. Wer den Hirntoten unautorisiert an die Maschine anschließt, macht sich auch nach geltendem Recht strafbar. Dazu gibt es bereits Entscheidungen des Bundesgerichtshofs.
Es ist also nur dann gerechtfertigt, den natürlichen Sterbeprozeß zu verlängern, wenn eine Einwilligung vorliegt. Wenn diese nur darauf abzielt, nach dem irreversiblen Ausfall der Hirnfunktionen eine Organentnahme zuzulassen, ist die Situation schlicht und ergreifend nicht vergleichbar mit jener in § 216 StGB, der eine Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt. Dort wird nämlich ein ohne medizinisches Eingreifen andauerndes Leben beendet, zerstört; hier hingegen wird ein nur zum Zweck der Organtransplantation, per Apparatemedizin verlängertes, sonst längst beendetes Leben in diesem seinen vom Inhaber selbst bestimmten Zweck erfüllt. Das kann juristisch überhaupt nie in den Verdacht geraten, eine Tötungshandlung zu sein.
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Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, zum Schluß bitten, der engen Zustimmungslösung zuzustimmen, weil sie die Konsequenz aus der Erkenntnis ist, daß nicht das Ende des gesamten Lebens, der Gesamttod, mit dem Hirntod definitiv zusammenfällt. Die medizinische Erkenntnis und ihre Entwicklung sprechen dagegen. Dann kann es nur richtig sein - im Sinne meines Menschenbildes jedenfalls -, daß im Grundsatz dieser Mensch selbst über sich und die Verfügbarkeit seiner Organe bestimmt.
Ich bedanke mich.
({1})
Ich gebe dem Abgeordneten Professor Dr. Rupert Scholz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Hier wird angezeigt, daß ich nur vier Minuten Redezeit habe.
Nein, nein. Für Sie sind fünf Minuten vorgesehen.
Mir war mehr avisiert worden.
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Aber wir sind nicht so kleinlich, daß Sie fürchten müßten, daß ich Sie in einem lebhaften Gedanken unterbrechen würde, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Die Organtransplantation muß gesetzlich geregelt werden. Darüber besteht Konsens. Dies ist ein auch verfassungsrechtliches Gebot. Das Stichwort Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts macht dies eindeutig und klar. Daß um die Fragen des Todes und der Zustimmung gestritten wird, ist nachvollziehbar. Aber auch diese Fragen fordern eine klare und rechtssichere Antwort durch den Gesetzgeber.
In diesem Sinne stelle ich als erstes fest: Der Gesetzgeber muß entscheiden: Jeder, der die eine oder andere Frage bzw. gar die Frage des Todes offenlassen will, schafft nicht nur Rechtsunsicherheit in einem mehr oder weniger formalen Sinne, sondern schafft auch nicht Recht. Er schafft nicht Recht im Sinne dessen, worauf der einzelne - der Organspender wie letztlich auch derjenige, der auf ein gespendetes Organ hofft - ein verfassungsrechtliches Recht - Recht auf Leben und Gesundheit, Schutz der Menschenwürde - hat.
Der Tod ist entscheidend. Die Frage des Todes kann nicht offengelassen werden. Die Frage des Todes kann aber, Herr Schmidt-Jortzig, nicht nach metaphysischen, religiösen, ethischen oder sonstwie moralischen Vorstellungen in diesem Bereich entschieden werden, der einen Auftrag der Rechtsordnung formuliert. Da fehlt es an Kriterien. Daß für den einzelnen sein Leben, auch das Ende seines Lebens, ein entscheidendes religiöses, metaphysisches Element ist und davon mitgetragen ist, ist klar. Gerade deshalb ist sein Recht auf Selbstbestimmung in der Frage „Zustimmung - ja oder nein?" wesentlich getragen und zu orientieren an diesen Grundprinzipien, nicht aber die Frage danach, was der Gesetzgeber für die Allgemeinheit zu entscheiden hat. Hier kann es nicht anders sein, als daß nach naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisständen zu entscheiden ist. Hier muß in diesem Sinne entschieden werden.
Der Entwurf der Kollegen Seehofer, Lohmann, Dreßler und anderer geht den richtigen Weg.
Herr Kollege Professor Scholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt-Jortzig?
Mit Vergnügen.
Lieber Herr Scholz, wir sind uns in dem Ausgangspunkt, daß es wichtig ist - gerade für unseren Regelungsbereich -, zum Tod Stellung zu nehmen, überhaupt nicht uneins. Ist nicht aber zwingende Voraussetzung für unsere ganze Diskussion und die Auseinandersetzung um die verschiedenen Konzepte, daß wir in Vollzug der medizinischen Erkenntnisse zwischen den verschiedenen Formen des Todes differenzieren: zwischen dem Hirntod, dem Herztod und, wie man meines Erachtens nur der Verfassung entnehmen kann, dem Gesamttod des Menschen?
Ist nicht gerade das Dilemma unserer Befassung mit diesem Problem, daß der Tod des Menschen wohl nicht mehr ein einheitliches, natürlich eintretendes Ereignis ist - wie wir es vor 50 Jahren vielleicht noch meinten -, sondern unter dem Einfluß des medizinischen Fortschritts differenziert zu sehen ist?
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Richtig ist, Herr Schmidt-Jortzig, daß sich der Tod, heute zunehmend erkannt, prozeßhaft vollzieht. Der Hirntod stellt nach heutiger medizinischer Erkenntnis jedenfalls das Stadium dar, in dem es kein Zurück mehr gibt.
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({1})
Die Entität dessen, was das Leben des Menschen ausmacht - auf der einen Seite physische Existenz und auf der anderen Seite die geistig-individuelle Sinnhaftigkeit, die Persönlichkeit -, alles das, was das Menschenbild unseres Grundgesetzes ausmacht, ist mit dem Hirntod unwiederbringlich dahin. Das ist keine Wertungsfrage, sondern das ist das Menschenbild unseres Grundgesetzes. Das wissen Sie genau.
Herr Abgeordneter Dr. Scholz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ich bin mit der Antwort auf die Frage von Herrn Schmidt-Jortzig noch gar nicht fertig.
Er sitzt aber schon, Herr Abgeordneter.
Mit meinem Freund Schmidt-Jortzig bin ich noch lange nicht fertig.
({0})
Ihr Satz von vorhin, Herr Schmidt-Jortzig, „in dubio pro vita", ist für sich genommen unwiderleglich. Sie haben aber die Frage nicht beantwortet: Wie weit geht Vita? Sie gehen im Grunde genommen - das zeigt Ihr Entwurf - bis zur letzten Zelle. Aber die Zelle stirbt, und der Tatbestand ist irreversibel. Der einzelne kann sein Selbstbestimmungsrecht nicht mehr ausüben, das sein Leben doch erst inhaltlich bestimmt, in Fragen, die wir hier zu regeln haben.
Deshalb müssen wir auch aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Definition des Todes geben und können uns nicht in die Rechtsunsicherheit zurückziehen, die zwar mit dem schönen Satz beginnt, den Sie gesagt haben, „in dubio pro vita", der aber letztlich alles offenläßt.
Richtig ist, daß man den medizinischen Erkenntnisstand beachten muß - darauf haben Sie hingewiesen, und darin bin ich mit Ihnen einig -: Die Entwicklung kann uns eines Tages zeigen, daß - wie Sie es formuliert haben - Gehirnströme plötzlich noch möglich sind, daß die nach heutigem Erkenntnisstand maßgebende Irreversibilität eines Tages im Lichte neuer medizinischer Entwicklungen möglicherweise anders zu beurteilen sein wird.
Deshalb geht der Entwurf Seehofer den richtigen Weg, indem er sagt: Es ist nach medizinischen Erkenntnisständen zu entscheiden. Ich füge aber hinzu:
Nach heutigem Erkenntnisstand darf jedenfalls der absolute, der Gesamthirntod nicht unterschritten werden. Das ist heutiger Erkenntnisstand. Ich glaube, daß sich Ihre Position davon fundamental unterscheidet. - Ich genieße es, daß Sie mir immer noch zuhören müssen, Herr Schmidt-Jortzig. - Hier sind wir auseinander.
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Damit habe ich die Frage von Herrn Schmidt-Jortzig beantwortet, Frau Präsidentin.
Gut. Gestatten Sie jetzt eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Bitte, gerne.
Herr Kollege Scholz, Sie haben soeben gesagt, eine Norm in diesem Zusammenhang könne sich nur nach naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen richten, und was sozusagen außerhalb solcher medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse vorhanden sei, das sei außerhalb der Norm.
Wir haben eine Grundnorm in Art. 1 des Grundgesetzes, nämlich die Würde des Menschen. Meinen Sie, Herr Professor Scholz, die Norm in Art. 1 könnten Sie nur aus naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen her definieren?
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Lieber Herr Schily, ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört.
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Ich habe sehr deutlich gemacht, daß die verfassungsrechtlichen Wertmaßstäbe, die entscheidend getragen sind vom Satz der Menschenwürde, hier auch vom Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, strikt zu beachten, maßgebend sind. Bei der Frage von Leben und Gesundheit sind die Naturwissenschaften zwar nicht die Norm - ich habe auch nicht von „Norm" gesprochen -, aber, wenn Sie so wollen, der zugrunde liegende Sachverhalt. Das können Sie als Jurist und erfahrener Anwalt ja besonders deutlich unterscheiden: „Norm" und „Tatbestand" hier, „Sachverhalt" dort. Es ist eine Sachverhaltsfeststellung, um die es geht, nichts anderes.
Daß diese Sachverhaltsfeststellung die normative Wertentscheidung natürlich nicht ausschalten darf, ist völlig richtig, und darin sind wir, wenn Sie das meinen, auch völlig einig. Die Menschenwürde, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gebieten uns, verfassungsmäßig wertgerecht zu entscheiden. Aber sie erlauben uns nicht - das habe ich ausgeführt -, in einer solchen nur naturwissenschaftDr. Rupert Scholz
lieh verbindlich beantwortbaren Frage aus Gründen heraus zu entscheiden, die auf Überlegungen und Abwägungen außerhalb des naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes basieren, oder, was das andere und aus meiner Sicht noch Problematischere ist, die Frage überhaupt offenzulassen. Wer diese Frage offenläßt, vergeht sich an der Menschenwürde, am Recht auf Leben, am Menschen.
Herr Abgeordneter Professor Dr. Scholz, mir liegt der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage - des Abgeordneten Häfner - vor.
Ich glaube, Sie sehen es mir nach, Herr Häfner, daß ich Ihre Frage jetzt nicht mehr zulasse; denn wir wollen, wenn ich das richtig sehe, die Debatte ja fortführen.
Gestatten Sie mir zum Abschluß nur noch wenige Bemerkungen zum zweiten Streitpunkt, zur Zustimmungslösung: Ich bin der Meinung, daß die erweiterte Zustimmungslösung in der Sache richtig ist und daß sie auch verfassungsmäßig ist. Entscheidend ist natürlich das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Es ist Ausfluß seines Persönlichkeitsrechtes. Das steht zu niemandes Disposition. Dieses Persönlichkeitsrecht wirkt natürlich über den Tod hinaus.
Andererseits: Das Menschenbild unseres Grundgesetzes ist auch das des gemeinschaftsgebundenen Individuums, das auch zur Mitmenschlichkeit angehalten ist. Wenn es im mutmaßlichen Willen des Verstorbenen liegt - das können nur seine nächsten Angehörigen beantworten -, für fremdes Leben, für die Erhaltung, Bewahrung fremden Lebens, für die Heilung der Krankheit eines anderen ein eigenes Organ zu spenden, dann darf es nicht verwehrt sein, diesen mutmaßlichen Willen vor denen, die für die Totensorge verantwortlich sind - den nächsten Angehörigen -, auszuschließen.
Ich glaube, daß das nicht human wäre. Ich glaube auch, daß das nicht der Wertentscheidung unserer Verfassung entspräche. Deshalb werbe ich für die erweiterte Zustimmungslösung.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Frau Dr. Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte etwas zu dem eben angeschnittenen Komplex sagen, nämlich zu der Frage, wie weit das Leben - Vita - reicht, und zu Ihrer Auffassung, Herr Kollege Scholz, Stellung nehmen, das müsse naturwissenschaftliche Erkenntnis bestimmen.
Ich weiß, daß das heute die moderne Form der Antwort ist. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß wir damit große Antworten der Menschheit, ihrer Zivilisation und Religionen ausschließen. Gerade in diesem Fall finde ich das sehr schwierig.
Wie soll ich das erklären? - Früher gab es oft das Gebet von Menschen um ihren eigenen Tod. Das hieß auch: das Recht auf einen Abschied. Ich persönlich glaube, daß wir zuwenig konkret darüber diskutieren. Ich bin bei solchen Abschieden als Seelsorgerin oft dabeigewesen und weiß, was es für Angehörige bedeutet, wenn sie diese Begleitung - das Sterben ist ein Prozeß - künstlich abkürzen müssen.
Ich glaube, daß auch der einzelne, der für sich die Entscheidung fällt, Organspender zu sein, wissen muß, daß er damit eine Erfahrung des Todes beendet. Das kann er tun, und das ist zu respektieren. Aber: Früher wurden die Toten im Familienkreise drei Tage aufgebahrt. Das war doch nicht deshalb so, weil man ganz sicher wissen wollte, daß der Tote auch wirklich tot und nicht scheintot ist, sondern es entsprang dem Gefühl, daß das ein Übergang ist, daß noch etwas da ist, daß es so etwas wie Seele gibt. Die Entscheidung, über die wir heute sprechen, greift natürlich in einer ganz anderen Weise in diesem Prozeß ein. Ich glaube, daß die Unsicherheiten mancher Menschen, sich so zu entscheiden, genau damit zu tun haben, daß sie denken, diese Situation des Abschieds, des Übergangs ist etwas, das sie unmittelbar betrifft - sie und ihre Angehörigen. Ich persönlich bin auch deswegen für die enge Zustimmungslösung, weil ich sage: Nur wenn der potentiell Sterbende für sich entschieden hat, daß er diesen Abschied nicht mehr braucht, hat er ihn eigentlich vorweggenommen. Dann kann man es akzeptieren.
Aber ich habe oft gesehen, daß für die Trauernden und Angehörigen - wir müssen die Situation bedenken; sie kommt fast immer sehr überraschend, da es sich meistens um Unfalltote handelt - der plötzliche Verzicht auf diese letzte Begleitungsmöglichkeit, in der ja die Zeit stillsteht, ganz besonders hart ist.
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Herr Abgeordneter Professor Dr. Scholz, möchten Sie antworten? - Nein.
Dann erteile ich das Wort jetzt der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werbe dafür, daß wir bei der heutigen Entscheidung über das Transplantationsgesetz den Weg der engen Zustimmungsregelung gehen. Ich glaube, das ist die klarste Lösung, das ist die konsequenteste Lösung, und es ist der humanste Weg. Ich bin der Meinung, lieber Herr Kollege Scholz, daß dies auch der Weg ist, der unserer Verfassung am deutlichsten entspricht.
Was bedeutet enge Zustimmungsregelung? Enge Zustimmungsregelung bedeutet zweierlei. Zum einen entscheiden wir in der Frage, wann der Mensch tot ist, nicht neu, sondern belassen es bei dem, was
die Menschen seit Jahrtausenden meinen und wissen. Der Tod ist das letzte Absolutum. Der Tod wird sichtbar - und zwar für alle - durch den Ausfall aller Lebensfunktionen.
Enge Zustimmungsregelung bedeutet zum zweiten: Wenn das Gehirn ausfällt, wenn also durch Maschinen meßbare Hirnströme nicht mehr nachzuweisen sind, bezeichnet dies den Beginn des endgültigen Sterbens, aber nicht den Tod des Menschen, also nicht das Ende seines Sterbens. Dieses Sterben gehört - ich wiederhole das - noch zum Leben; es ist nicht schon Tod, sondern es gehört noch zum Leben; in dieser Zeit dürfen Ärzte Organe entnehmen. Sie dürfen es freilich nur, wenn die Zustimmung der organspendenden Bürgerinnen und Bürger selbst vorliegt.
Meine Damen und Herren, jeder von uns bekam in den letzten Monaten sehr viele Briefe, die viel Unsicherheit verraten. Diese Unsicherheit wollen wir heute durch eine klare Regelung beenden. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Diese Briefe zeigen aber auch, welch überaus unterschiedliche Auffassungen und Meinungen zur Organspende vertreten werden.
Da sind zum einen die Ärzte, die sagen: Wir wollen eine sichere Rechtsgrundlage. - Die sollen sie bekommen. Meine Damen und Herren, ich finde es allerdings nicht gut, daß uns einige Ärztefunktionäre ganz ungeniert bevormunden wollen. Ich glaube, das müssen wir alle zurückweisen.
Erschütternd sind die vielen Briefe von Menschen, die auf eine Organspende warten, oder die von ihren Angehörigen. Sie sind erschütternd deswegen, weil sich wohl jeder von uns sehr gut vorstellen kann, wie es ist, wenn man sich in der Situation befindet, auf ein Organ zu warten. Man setzt seine ganze Hoffnung auf dieses neue Organ. Man hofft, daß man weiterleben kann, obwohl man sehr gut weiß, daß es Wartelisten bei jeder Regelung geben wird. Auch unser Nachbarland Österreich, Herr Kollege Seehofer, das eine Widerspruchsregelung gewählt hat, hat lange Wartelisten. Diese Frage hängt also nicht von dem Weg der Regelung ab.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß längst nicht jede Organtransplantation zu dem Ergebnis führt, das die Kranken sich erhoffen. Ich glaube, es ist wichtig, auch das hier festzuhalten; auch das müssen wir bedenken.
Aber da ist noch eine dritte Gruppe von Briefen, die uns erreicht. Das sind die Briefe von Menschen, die uns sagen: Wenn ihr jetzt ein neues Gesetz beschließt, dann achtet bitte darauf, daß ihr darin auch das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung, auf Würde, auf Leben und auf Respekt am Ende seines Lebens festschreibt.
Auch diese Menschen haben recht. Sie bringen Sorgen zum Ausdruck; sie stehen unter dem Eindruck der Debatte in vielen Ländern, wenn sie uns beschwören, den Todesbegriff eben nicht den medizinischen „Notwendigkeiten" oder Wünschen anzupassen. Herr Dreßler, Sie haben gesagt - Herr Seehofer, Sie haben es nicht ganz so deutlich gesagt; aber wahrscheinlich meinen Sie dies ebenfalls -, daß die Explantation erst beim Ausfall aller Hirnströme beginnen darf. In anderen Ländern setzt man schon bei dem sogenannten Teilhirntod an. Die Diskussion in wieder anderen Ländern grenzt Leben vom Tod durch die Kommunikationsfähigkeit ab, setzt Leben mit Personalität gleich. Die Menschen, die uns schreiben, beschwören uns deshalb: Fangt gar nicht erst an, am Todesbegriff herumzuändern, weil ihr sonst bei den zunehmenden medizinischen Möglichkeiten auch die jetzt anvisierte Grenze nicht mehr halten könnt.
({0})
Diese Menschen stehen natürlich auch unter dem Eindruck der Biomedizinkonvention und der Diskussionen, die es in diesem Zusammenhang gibt.
({1})
- Herr Seehofer, bitte schön.
({2})
Es ist schön, daß Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Seehofer zulassen.
Natürlich, gern.
Frau Kollegin, darf ich Sie noch einmal auf das hinweisen, was der Kollege Dreßler schon deutlicher gemacht hat, als ich persönlich es getan habe, nämlich auf die klare Festlegung in unser erweiterten Zustimmungslösung, daß es sich in jedem Fall um einen verstorbenen Menschen handeln muß, wenn explantiert werden soll, daß zweitens nach den Regeln der Medizin und Naturwissenschaft festzulegen ist, wann der Tod eingetreten ist, und daß wir drittens - das ist das Entscheidende, was ich im Hinblick auf das, was Sie gerade gesagt haben, noch ansprechen möchte -, wenn die Medizin Regeln festlegt, ihr durch das Gesetz aber nicht erlauben, unter die Schwelle des Ausfalls des gesamten Hirns zu gehen? Denn auch wir kennen die Diskussion, die es in Amerika und in den skandinavischen Ländern gibt und in der es darum geht, ob nicht auch ein Teilhirntod gewissermaßen den Tod des Lebewesens bedeutet. Das verneinen wir, und deshalb sagen wir: Unter die Schwelle des Hirntodes darf nicht gegangen werden.
({0})
- Das steht im Gesetz, Frau Knoche.
({1})
Herr Seehofer, daran besteht gar kein Zweifel. Herr Dreßler hat es vorhin - wie Sie sagen - in der Tat noch deutlicher
zum Ausdruck gebracht. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie es jetzt auch von Ihrer Seite ganz klar bestätigen. Das aber nimmt den Menschen, die die Diskussion in den USA und in anderen Ländern verfolgen, doch nicht die Angst, daß Sie Ihren Todesbegriff in einigen Jahren doch wieder anpassen, und sei es auf dem Wege über eine internationale Konvention. Im Bereich der Biomedizinkonvention haben wir erleben müssen, wie wenig wir unsere eigenen Standards international halten können. Es geht jetzt nicht um einen Vorwurf an Sie oder an Herrn Dreßler, sondern es geht um die Sorge, daß dann, wenn man von dem Tod als Absolutum, als dem jederzeit sichtbaren und erkennbaren Ende des Lebens durch den Ausfall aller Lebensfunktionen abgeht, kein Halten mehr ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich glaube schon, daß wir sehr sorgfältig darauf achten müssen, was wir gesetzlich festlegen. Deshalb komme ich jetzt noch zu dem weiteren Einwand, den Sie, Herr Seehofer, zur Organentnahme nach Beginn der Sterbephase, die durch den Ausfall aller Hirnfunktionen signalisiert wird, gemacht haben. Ich halte Ihre Ausführungen für falsch. Die Sterbephase gehört zum Leben; man darf sie nicht als den Tod umdefinieren. Sie ist nicht der Tod. Wer die Begriffe verändert, würde vielleicht bei einigen Ärzten Ängste überwinden. Aber das wäre eine Umdefinition, die ich bei einer solchen Frage nicht für erlaubt halte, die auch kein Problem löst.
Ich will noch einen anderen Punkt anführen. Der naturwissenschaftlich definierte Tod soll - wie Sie, Herr Professor Scholz, sagen - als Sachverhaltsgrundlage für uns Juristen dienen. Daß das Ende des Lebens mit dem Ausfall der Hirnströme eintritt, ist jedoch auch unter naturwissenschaftlich argumentierenden Medizinern nicht unumstritten. Sie alle wissen, daß der Streit darüber nicht alleine zwischen Menschen besteht, die schwerpunktmäßig ethische oder juristische Standpunkte vertreten, sondern er ist auch unter den Medizinern aller Fachbereiche heute stärker als vor fünf oder zehn Jahren im Gange.
Ich persönlich halte die Zweifel, die heute vorgetragen werden, für plausibel, weil es schon eine Menge an begrifflichen Definitionskunststücken verlangt, ein schlagendes Herz, ein lebendes Organ einem Körper zu entnehmen, der „tot" sein soll. Daß eine Schwangere, deren Kind
({1})
- doch, Herr Thomae, ich komme gleich darauf zurück - durch Kaiserschnitt zum Leben gebracht werden kann, nach der Feststellung des Ausfalls der Hirnfunktionen „tot" sein soll, meine Damen und Herren, werden Sie ernsthaft nicht behaupten können.
Da hier der Einwand gekommen ist, dies sei nicht der Fall, möchte ich Sie daran erinnern, daß bei dem Erlanger Baby der behandelnde Arzt, Herr Professor
Scheele, deutlich darauf hingewiesen hat, daß die Hirntoddiagnose vorlag. Das gleiche war bei der Frau der Fall, deren Kind im Krankenhaus Filderstadt durch Kaiserschnitt geboren wurde.
({2})
- Ich habe das Protokoll hier und lese es Ihnen jetzt vor. Ich bitte aber, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen.
Frau Abgeordnete, das geht leider nicht. Sie müssen es in Ihrer Redezeit unterbringen.
Dann müssen Sie mir das so glauben. Wenn es wegen der Redezeit nicht möglich ist, werde ich es nicht vortragen. Aber Sie sollten es dann einfach akzeptieren und nicht bestreiten. Vielleicht fragt mich ja auch jemand.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Bitte schön, Herr Conradi.
Frau Abgeordnete DäublerGmelin, würden Sie bitte das, was Sie dem Haus gerade vortragen wollten, wegen Ihrer Redezeit aber nicht konnten, ohne Zeitverlust mir vortragen?
({0})
Vielen Dank, Herr Conradi; das ist eine sehr liebenswürdige Frage.
Während der Anhörung hat der behandelnde Arzt in Erlangen, Herr Professor Scheele, vorgetragen:
Wir haben keine Angiographien durchgeführt,
({0})
- hören Sie doch einfach einmal zu; entschuldigen Sie, Sie brauchen ein bißchen mehr Geduld, Herr Kollege ({1})
sondern wir haben Doppler-Sonographien und EEG-Untersuchungen vorgenommen. Diese wurden auf Wunsch des Vaters auch nach der Hirntoddiagnose in wöchentlichen Abständen wiederholt.
Herr Conradi, um Ihre Frage vollständig zu beantworten, möchte ich hinzufügen, daß in dem Filderstädter Fall, bei dem das Baby durch einen Kaiserschnitt zum Leben gebracht werden konnte, der sogenannte Hirntod, also der Ausfall aller Hirnfunktionen, in einem anderen Krankenhaus ebenfalls festgestellt worden ist. Es gibt also keinen Zweifel.
Einen letzten Gedanken möchte ich Ihnen vortragen: Auch wenn ich persönlich diese Zweifel am naturwissenschaftlichen Ende des Lebens nicht teilte, Herr Kollege Scholz, so gäbe es diese Zweifel doch. Und wir als Juristen können deshalb nicht annehmen, daß der Tod unzweifelhaft sachverhaltsmäßig naturwissenschaftlich definiert ist. Vielmehr müßten wir genau das, was Herr Schmidt-Jortzig vorhin vorgetragen hat, gelten lassen: daß unsere Verfassung mit ihrer Stellungnahme im Zweifel für das Leben auf jeden Fall die Sterbephase in den Bereich des Noch-Lebens einordnet. Damit sind wir bei dem Erfordernis der höchstpersönlichen Zustimmung. Damit sind wir bei der engen Zustimmungsregelung, auf die ich übrigens auch meine ganze Zuversicht setze, weil ich es für eine moralische und ethische Verpflichtung halte, zu helfen, wenn ich es kann, und zwar auch durch eine Organspende, was absolut mit dem korrespondiert, was als Zustimmungserfordernis vom Bürger erwartet werden kann und erwartet werden muß.
Setzen wir also auf die Bürger! Fordern wir die Hausärzte auf, mit ihren Patienten über Organspenden zu reden! Bitten wir die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eine der Aidskampagne ähnliche Kampagne zu starten!
({2})
Herr Abgeordneter, ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen. Die Redezeit ist ohnehin längst abgelaufen.
Darf ich meinen Gedanken vielleicht noch beenden?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Bitten wir auch darum, daß sämtliche Möglichkeiten zur Erinnerung an diese moralische Verpflichtung genutzt werden! Setzen wir vor allen Dingen dann auf die klare gesetzliche Regelung, die die Zustimmung von den mündigen Bürgern verlangt, von denen wir so viel sprechen! Diese klare Regelung bringt mehr. Für eine klare Regelung können wir besser werben. Mit dieser klaren Regelung werden wir dann, glaube ich, auch den Hoffnungen gerecht, die gerade die Kranken, die Organspender und die Ärzte auf uns setzen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar für diese Debatte. Ich glaube, sie gereicht dem Deutschen Bundestag zur Ehre.
Viele von uns haben - das hat der bisherige Verlauf dieser Debatte gezeigt - einen ganz persönlichen Zugang zum Thema Organtransplantationen. Ich denke, es ist wichtig zu sagen, daß hinter den beiden verschiedenen Anträgen, über die wir jetzt diskutieren, sehr unterschiedliche Zugänge stehen, übrigens Zugänge, die sich - das stellt man fest, wenn man sich in einem Diskussionsprozeß austauscht - stellenweise sogar ausschließen. Trotz der verschiedenen Meinungen und der verschiedenen Zugänge gibt es aber den Versuch, eine Lösung zu erzielen.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, es kommt mir sehr darauf an, festzustellen, daß der Antrag, den ich unterstütze, keinen neuen Todesbegriff einführt,
({0})
daß er am vorhandenen Todesbegriff nichts ändert und daß er keine neue Definition einführt.
Lieber Herr Schmidt-Jortzig, bezogen auf das, was Sie gesagt haben, und auch im Zusammenhang mit dem, was der Kollege Scholz gesagt hat, möchte ich betonen: Es gibt keine verschiedenen Formen von Tod.
({1})
Entweder lebt der Mensch, oder er ist tot.
({2})
Für mich lebt der Sterbende. Deshalb hat er auch ein Recht auf einen würdigen Tod.
Wenn ich die Debatte und die verschiedenen Alternativen auch auf Grund all der Gespräche, an denen ich teilnehmen durfte, richtig verstanden habe, dann, werte Kolleginnen und Kollegen, stellen sich die Alternativen - ich wiederhole das ausdrücklich - vor dem Hintergrund sehr persönlicher Zugänge zu diesem Thema wie folgt dar: Der Antrag von von Klaeden, Schmidt-Jortzig und anderen erlaubt die Entnahme von Organen bei einem Nichttoten; er erlaubt also die Entnahme von Organen bei einem Lebenden. Weil dies so ist, enthält er zwangsläufig und konsequenterweise eine möglichst restriktive Zustimmungsregelung. So habe ich es verstanden.
({3})
Der Antrag, den ich unterstütze, setzt bei allen Regelungen in bezug auf das Verfahren voraus, daß der Mensch tot sein muß. Weil der Antrag dies zur Voraussetzung macht, kann er konsequenterweise eine erweiterte Zustimmungsregelung vorsehen.
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- Herr Vizepräsident Hirsch, der Mensch muß tatsächlich tot sein. Die Antwort auf die Frage, wann dies vorliegt, ist natürlich ganz, ganz schwierig. Es stellt sich auch die Frage: Wer legt dies fest? Das ist einer der Punkte, über den wir alle parteiübergreiDr. Jürgen Rüttgers
fend, immer wieder diskutieren und mit dem wir unsere Probleme haben. Die Antwort ist um so schwieriger, als es bei der Frage, was der Tod ist, keinen unstrittigen Konsens in unserer Gesellschaft mehr gibt. Unsere Gesellschaft hat den Tod verdrängt. Er ist aus der Familie in die Sterbezimmer der Krankenhäuser und in die Altersheime verbannt worden. Bei diesem Thema kommt er plötzlich zurück.
Herr Abgeordneter Dr. Rüttgers, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege, ich verstehe das Dilemma. In dem befinden wir uns alle. Aber woher nehmen Sie die Hoffnung, daß das Dilemma durch Definition weg ist, wenn man sich die Angehörigen vorstellt, denen man erklärt, ihr Angehöriger sei tot, aber sie können seine warme Hand anfassen? Der Angehörige, der tot sein soll, schwitzt. Wie erklären Sie das einer Krankenschwester? Ich bin Fachkrankenschwester für Innere Intensivpflege und habe solche Patienten gepflegt. Wie erklären Sie der Krankenschwester, daß sie bei diesem Menschen noch die Fusionen anhängt und Medikamente gibt, die bei dem „Toten" noch wirken? Wie gehen Sie mit der Tatsache des praktischen Lebens um, daß lebende Haut warme Haut oder schwitzige oder kühle Haut ist? Woher nehmen Sie die Hoffnung, daß Sie durch die Definition dieses Dilemma heilen?
Verehrte Frau Kollegin, ich habe da weder Hoffnung noch Sicherheit, noch irgend etwas anderes, weil dies genau so offen ist, wie Sie es schildern, weil ich genau die persönlichen Schwierigkeiten sehe, die Menschen angesichts dieses Problems haben. Wie soll man einem Vater klarmachen, daß sein Sohn tot ist, wenn er dessen Puls noch fühlt? Dieser Punkt ist nicht zu lösen.
Weil dies aber so ist, Frau Kollegin - da liegt Ihr Mißverständnis -, definiere ich nicht.
({0})
Gerade deshalb sage ich: Ich bin mit der Wahl in den Deutschen Bundestag nicht beauftragt worden, festzulegen, wann ein Mensch stirbt und wann ein Mensch lebt,
({1})
sondern ich stelle nur fest, daß es so, wie der Herr diese Welt geschaffen hat, diese zwei Zustände gibt.
Es gibt bisher nur eine einzige Möglichkeit, dies festzustellen, nämlich daß das diejenigen tun, die das berufsmäßig auf Grund ihrer Ausbildung, auf Grund ihres Ethos, auf Grund ihrer Zielsetzung machen, so wie dies immer gewesen ist, seitdem die Menschheit besteht. Es ist Aufgabe der Ärzte, zu sagen, dieser Mensch ist tot, dieser Mensch lebt.
({2})
Da erfolgt eben nicht die Festlegung durch den Gesetzgeber: Das ist der Hirntod, und das ist der Herztod.
Gerade als jemand, der sich auch mit Forschung beschäftigt, Frau Kollegin Nickels, sage ich Ihnen: Wir alle haben in den letzten Jahren erlebt, daß sich das Verständnis von dem, was Tod ausmacht, bei denjenigen, die damit zu tun haben, durchaus ändern kann.
({3})
Es ist noch nicht lange her, da gab es einen breiten Konsens in der Medizin und in der Gesellschaft, daß der Herztod mit dem Tod gleichzusetzen ist. Heute sagt eine Mehrheit, es ist der Hirntod.
({4})
Ichweiß nicht, ob wir nicht in fünf oder zehn Jahren eine Situation haben, in der etwas anderes als Mehrheitsmeinung vorgetragen wird. Weil dies so ist, ziehe ich den Schluß daraus - das ist mir wichtig -, daß wir als Gesetzgeber, als Deutscher Bundestag nicht sagen, unter diesen und jenen Voraussetzungen ist ein Mensch tot oder er lebt. Dies ist vielmehr eine Aufgabe- das ist nun einmal so -, die ich Ärzten nicht abnehmen kann. Sie müssen das nach dem Stand der medizinischen Erkenntnis feststellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zur zweiten Frage, die genauso wichtig ist, auch im Hinblick auf unser Verständnis von Gesellschaft, im Hinblick auf unser Verständnis vom Menschsein. Wenn ich eine juristische Festsetzung von Hirntod und Tod ablehne, legt dies dann eine enge Zustimmungsregelung nahe? Ich meine, nein. Kein Mensch ist Herr über Leben und Tod eines anderen. Die Feststellung des Todes ist Aufgabe der Ärzte.
Der Philosoph Hans Jonas hat gesagt: „Das Urbild aller Verantwortung ist die von Menschen für Menschen." Da stimme ich ihm zu. Ein Mensch kann für andere Menschen Verantwortung übernehmen. Oder andersherum gesagt: Zeichnet er sich nicht gerade dadurch vor allen anderen Lebewesen aus? Das Tragen von Verantwortung ist unbestreitbar ein Bestandteil unseres Menschseins. Der Mensch erhält seine eigentliche Würde und Bestimmung durch die Verantwortung, die er für andere Menschen übernimmt. Diese Verantwortung wird zur Herausforderung, wenn der Mensch in Grenzsituationen des Lebens Entscheidungen fällen muß. Das gilt übrigens sowohl für die Ärzte als auch für die Verwandten, die einer Organentnahme bei einem Toten zustimmen.
Jeder Mensch stirbt seinen ureigenen Tod. Der Tod ist immer das Ende der Lebensgeschichte. Jede Lebensgeschichte ist einzigartig und gleichzeitig ein
Teil des gemeinsamen Lebens aller. Unser Leben ist immer ein Leben in Beziehungen. Jeder von uns weiß das und hat das auch persönlich erfahren. Die Beziehungen, die ein Mensch zu Lebzeiten geknüpft hat, haben über seinen Tod hinaus Bestand.
Aus diesem Grunde bin ich für die erweiterte Zustimmungsregelung. Ich halte es für vertretbar, daß die engsten Verwandten - gleichsam als Treuhänder - auch diese letzte Verantwortung übernehmen. Ich glaube, daß der letzte Wille eines Verstorbenen im Herzen seiner Angehörigen aufgehoben ist. Die Angehörigen allein können den mutmaßlichen Willen beurteilen, falls der Betreffende sich vorher selbst nicht geäußert hat.
Kann die Grenzsituation einer Organspende - auch diese Frage stellt sich - eigentlich schon zu Lebzeiten genau beurteilt werden? Ich glaube, nein. Deswegen meine ich, daß die treuhänderische Interpretation naher Menschen den Willen eines Verstorbenen ebenso authentisch zeigt wie eine vor dem Tod schriftlich erklärte Bereitschaft zur Organspende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle tun uns schwer damit, schon zu Lebzeiten an den Tod zu denken. Wir stehen in einem Dilemma. Auf dem Weg zu dieser Debatte heute traf ich den Kollegen Alfons Müller, der diesem Haus viele Jahre angehört hat. Er verfolgt diese Debatte heute sehr aufmerksam. Er selber hat schon mehrfach eine Organtransplantation erhalten. Das beschreibt genau das Dilemma, vor dem wir stehen, nämlich auf der einen Seite das richtige Verständnis vom Leben und vom Tod zu haben und auf der anderen Seite den Versuch zu machen, so gut wie irgend möglich zu helfen.
Ich persönlich glaube, daß der Antrag, der im Bewußtsein der beschränkten Möglichkeiten, die ein Gesetzgeber hat und haben muß, auf der einen Seite darauf verzichtet, zu definieren, wann der Mensch tot ist und wann er lebt, der auf der anderen Seite den Menschen nicht nur als Individualwesen versteht, sondern auch als ein Wesen, das in eine Gemeinschaft eingebunden ist, dieser Spannung, die es sicherlich gibt und die auszuhalten wir alle aufgerufen sind, am besten gerecht wird.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die der Deutsche Bundestag heute zu treffen hat, ist sicherlich eine der schwerwiegendsten und. schwierigsten dieser Legislaturperiode. Das Parlament hat es sich in seinen Beratungen wahrlich nicht leichtgemacht. Umfangreiche Anhörungen und zahlreiche Gesprächsrunden haben in den letzten Jahren stattgefunden. Viele Briefe und Stellungnahmen von Bürgern und Verbänden haben uns erreicht und sind in die Beratungen mit eingeflossen.
Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer, der sich intensiv um eine konsensfähige Regelung bemüht hat. Daß es dennoch heute eine ganze Reihe unterschiedlicher Anträge gibt, ist angesichts der ungeheuer komplizierten juristischen, medizinischen und ethischen Fragen, die das Thema Organtransplantation aufwirft, begreiflich.
Ich selbst plädiere für die enge Zustimmungslösung und möchte Ihnen die Gründe kurz darlegen, die mich dazu geführt haben. Ich vertrete entschieden die Auffassung, daß sich der Gesetzgeber einer Legaldefinition des Todes enthalten soll, ja aus verfassungsrechtlichen Gründen enthalten muß. Es gibt Dinge, die der Kompetenz des Politischen entzogen sind. Die Festlegung des Todeszeitpunktes gehört dazu.
({0})
Mit gutem Grund ist dies auch bisher nicht gesetzlich geregelt.
Es werden statt dessen lediglich Rechtsfolgen durch Gesetz bestimmt, die an den Tod anknüpfen. Insbesondere halte ich es für nicht vertretbar, durch ein Gesetz den sogenannten Hirntod als Tod des Menschen zu bestimmen.
Die Zweifel an der Richtigkeit der Hirntodkonzeption haben sich im Laufe der Beratungen verstärkt und können nicht als abwegige Mindermeinung abgetan werden. Vielmehr ist heute sowohl in der Medizin als auch in der Rechtswissenschaft und in der Philosophie umstritten, ob der Hirntod den Tod des Menschen sicher anzeigt. Beide Kirchen haben sogar inzwischen klar Position gegen die Festlegung des Hirntodes als Tod des Menschen bezogen und darauf hingewiesen, daß eine solche Auffassung im Widerspruch zum christlichen Menschenbild steht.
({1})
- Ich beziehe mich auf die Hirntodfeststellung, nicht auf die Zustimmungslösung. Dazu gibt es jüngste klare Aussagen beider Kirchen.
Der Hirntod ist demnach der entscheidende Einschnitt im Prozeß des Sterbens, nicht aber der endgültige Tod selbst. Angesichts der großen Zweifel ist es dem Gesetzgeber dann aber verwehrt, den Hirntod als den Tod des Menschen zu definieren. Vielmehr muß er diese Frage offenlassen.
({2})
Dem steht aber nicht entgegen, den Hirntod als Entnahmekriterium für eine Organtransplantation anzunehmen.
Herr Abgeordneter Dr. Götzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Bitte schön.
Herr Kollege, was halten Sie denn von den Schwierigkeiten, die die Transplantationsmediziner haben, wenn wir jetzt nicht eindeutig festlegen, was der Tod ist? Wenn wir uns nicht eindeutig festlegen, kann man den Transplantationsmedizinern nicht zumuten, zu entscheiden, wer tot ist. Sie wissen dann nicht, ob sie einem lebenden oder einem toten Menschen Organe entnehmen. Glauben Sie nicht, daß wir in diesem Fall auch die Schwierigkeiten, in denen die Transplantationsmediziner stekken, berücksichtigen. müssen?
Ich verstehe Ihre Frage sehr gut. Trotzdem bleibe ich dabei, daß es nicht Sache des Gesetzgebers ist, die Definition des Todes festzulegen. Man darf aber auch nicht - da haben Sie völlig recht - das alleinige Risiko den Medizinern auferlegen. Deswegen bin ich - ich komme im nächsten Punkt dazu - für eine enge Zustimmungslösung, die ich als die einzig konsequente bei dieser Auffassung ansehe.
Der Einwand, der dagegen vorgebracht wird, daß man den Hirntod trotzdem als Entnahmekriterium zulassen kann, ist vor allem der, daß dies ein Verstoß gegen das Recht auf Leben und damit gegen § 216 StGB wäre. Dieser Einwand ist beachtlich, aber er greift letztlich nicht. Wie der angesehene Strafrechtler Professor Herbert Tröndle bei der Anhörung des Rechtsausschusses im Januar dieses Jahres überzeugend ausgeführt hat, ist es Sinn und Zweck des § 216 StGB, eine gezielt die Lebensbeendigung herbeiführende Handlung zu untersagen.
Die Organentnahme bei einem Hirntoten ist aber etwas ganz anderes. Sie setzt bei einem irreversibel Sterbenden eine von ihm gewollte Lebensverlängerung allein zu dem Zweck voraus, durch die Organentnahme das Leben eines anderen zu retten. Es kommt somit nicht zu einer Lebensverkürzung durch die Organentnahme, sondern zu einer Lebens- oder - anders ausgedrückt - zu einer Sterbensverlängerung mit Einwilligung des Betroffenen, um ein sittlich hochstehendes Ziel zu erreichen, nämlich die Rettung eines anderen Menschen.
Daraus ergibt sich für mich allerdings zwingend - jetzt komme ich zu dem Punkt, Herr Kollege - das Erfordernis einer ausdrücklich und höchstpersönlich erklärten Einwilligung des Organspenders. Denn wenn der Hirntote als sterbende, aber noch lebende Person anzusehen ist, gleichwohl aber als Organspender in Frage kommen soll, hat der Gesetzgeber im Rahmen des Transplantationsgesetzes die Pflicht, die Persönlichkeitsrechte des Spenders ohne Einschränkung zu wahren. Es ist ein Ausdruck der jedem Menschen innewohnenden und unveräußerlichen Würde, daß ein Dritter nicht ohne oder gegen den Willen des Betroffenen über dessen Körper verfügen kann.
Herr Abgeordneter Dr. Götzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Aber selbstverständlich.
Bitte, Herr Seehofer.
Herr Kollege Götzer, würden Sie dann die gleichen juristischen und ethischen Regeln in bezug auf jene Organe anwenden, die die Bundesrepublik Deutschland aus dem Ausland importiert, und sind Sie sich bewußt, daß wir schon heute ein Importland sind und, wenn Sie die gleichen Regeln anwenden würden, die Transplantationsmedizin der Bundesrepublik Deutschland am Ende wäre?
Herr Kollege Seehofer, ich sehe das Problem so wie Sie und bin -mit Ihnen der Meinung, daß wir versuchen müssen, dieses Problem zu lösen. Allerdings können wir heute nur über ein Gesetz entscheiden, das die Organtransplantation hier in Deutschland regelt.
Ich darf fortfahren. Das, was ich gesagt habe, gilt für den in der letzten Sterbephase befindlichen Menschen genauso wie nach dem endgültigen Tode im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsrechts. Nicht die Definition des Todes, sondern die Frage der Einwilligung ist somit aus meiner Sicht das entscheidende Problem bei diesem Thema.
Nur der Organspender kann demnach in eine Organentnahme wirksam einwilligen. Eine mutmaßliche Einwilligung kann meines Erachtens nicht ausreichen. Erst recht scheidet die Ersetzung seiner Einwilligung durch die Zustimmung der Angehörigen aus. Außerdem stellt es eine meiner Meinung nach unzumutbare Belastung für die Angehörigen dar, wenn ihnen eine so schwerwiegende Entscheidung aufgebürdet wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Uns allen liegt am Herzen, daß die Spendebereitschaft in der Bevölkerung steigt. Wir brauchen mehr Organe, weil immer mehr Menschen lebensnotwendig auf eine Organtransplantation angewiesen sind. Für Organspenden muß ohne Zweifel noch stärker geworben werden.
Ich habe großes Verständnis für all diejenigen, die auf eine Organspende warten und deshalb eine möglichst weite Regelung wünschen. Trotzdem muß klar gesagt werden - auch und gerade im Interesse dieser Menschen -, daß der erste Zweck eines Transplantationsgesetzes nicht die Schaffung erleichterter Voraussetzungen für eine Organspende sein kann, sondern ihre verfassungsgemäße und ethisch unangreifbare Regelung.
({0})
Die Voraussetzung für mehr Organspenden ist Vertrauen - Vertrauen der Bürger in die Transplantationsmedizin und Vertrauen, das aus klaren gesetzlichen Regelungen erwächst. Dafür ist eine intensive
Aufklärung erforderlich und die Gewißheit, daß der eigene Wille respektiert wird.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ebenso wie andere Abgeordnete unserer Bundestagsgruppe trete ich dafür ein, daß es in diesem Lande auch künftig Organtransplantationen in einem ausreichenden Umfang gibt. Dabei stelle ich mir für diese wichtige medizinische Hilfsmöglichkeit keinesfalls einen uferlos wachsenden Bedarf vor. Ich meine, daß es für diese Methode ethische Grenzen und Grenzen der Sinnhaftigkeit geben muß. Ihr Einsatz rechtfertigt sich vor allem durch die Rettung menschlichen Lebens, welche auf andere Weise nicht mehr möglich ist, oder, wie bei der Nierentransplantation, dadurch, daß gegenüber einem Leben am Dialysegerät Jahrzehnte an Gesundheit und Leistungsfähigkeit gewonnen werden können.
Nach allem, was wir der Medizingeschichte entnehmen können, wird sicher auch die Organtransplantation in einer heute noch nicht absehbaren Zukunft durch neue medizinische Entwicklungen und Möglichkeiten schrittweise ersetzt bzw. abgelöst werden. Fest steht aber: Gegenwärtig und auf absehbare Zeit ist sie eine ethisch gerechtfertigte und medizinisch gebotene Möglichkeit, Leben zu retten oder Leben in seiner Qualität völlig neu zu schenken.
Das Bemühen um Organtransplantationen und um Erhöhung der Spenderbereitschaft gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn zugleich sichtbar wird, daß sich Gesellschaft und Staat mit gleichem Nachdruck für die Vermeidung von vorzeitigen und lebensbedrohenden Organkrankheiten einsetzen, wie sie dies für den medizinisch-technischen Ersatz unheilbar zerstörter Organe tun. Die Analyse der Ursachen und damit der Vermeidbarkeit lebensbedrohlicher Organschädigungen ist eine wichtige Voraussetzung, damit durch die Organtransplantationen keine einseitigen Entwicklungen in der Medizin verfestigt bzw. fortgesetzt werden.
Auf die Bedeutung präventiver Aspekte wird in der Diskussion zu diesem Gesetz bisher nur selten hingewiesen. Sie sollten meines Erachtens aber mehr in den Vordergrund gerückt werden. Sie müssen auch eine größere Rolle spielen, um den ohnehin bestehenden Trend zu einer Apparate- und Reparaturmedizin nicht noch einseitig zu befördern. Er sollte vielmehr veranwortungsbewußt in Bahnen gelenkt werden, in denen nur die sinnvollen, notwendigen Maßnahmen zur Anwendung kommen. Als ein Beispiel sei hier genannt, daß 20 Prozent aller Fälle mit definitivem Ausfall der Nierenfunktion infolge chronischer Niereninsuffizienz auf Schmerzmittelabusus zurückgehen.
Unabweisbare Voraussetzung für die Organtransplantation ist, daß der Gesetzgeber alle damit verbundenen und zum Teil äußerst komplizierten Probleme und Handlungsfelder sorgfältig und verantwortungsbewußt, aber auch eindeutig und auf Dauer tragfähig regelt.
Bei der erweiterten Zustimmungslösung wird der isolierte Hirntod als sicher diagnostizierbarer, vollständiger und irreversibler Ausfall der gesamten Hirnfunktion verstanden und davon ausgehend als eindeutiges Kriterium für den Tod des Menschen definiert; dies nicht nur, weil die geistigen Leistungen des Gehirns wegfallen und die individuelle Personalität unwiederbringbar verloren ist, sondern zugleich auch, weil die biologische Lebensfähigkeit des Menschen mit dem Ausfall des Gehirns nicht mehr besteht. Nach Abschalten der Beatmungsgeräte stehen bekanntlich auch Atmung und Kreislauf still.
Der Hirntote ist in diesem Verständnis ein Verstorbener, bei dem das Totensorgerecht der Angehörigen greift. Daraus ergibt sich, daß sie um Zustimmung gefragt werden dürfen. Wahr ist allerdings, daß Angehörige dabei mit einer menschlich kaum zu bewältigenden Entscheidungssituation konfrontiert werden. Diese Lage kann allenfalls dadurch gemildert werden, daß Menschen, die einander nahestehen, über diese Problematik zu Lebzeiten sprechen und dadurch Sicherheit über ihre gegenseitigen persönlichen Auffassungen gewinnen.
Ich habe Respekt vor dem Anliegen der Vertreter einer engen Zustimmungslösung, eine Organspende einzig und allein an die persönliche Zustimmung des aufgeklärten einzelnen binden zu wollen. Zugleich aber ist für mich nicht zu übersehen, daß die enge Zustimmungslösung auf grundlegenden Fehlannahmen basiert und eine Reihe unauflöslicher Widersprüche enthält. Wer den Hirntod als Tod des Menschen ablehnt, darf eigentlich als Konsequenz daraus nur das strikte Verbot jeglicher Organentnahme ableiten.
({0})
Solange ein Mensch lebt oder als noch Lebender betrachtet wird, ist eine Organentnahme unakzeptabel. Das ist in der ganzen Welt so, und das muß meiner Meinung nach auch in unserem Lande so bleiben. Eine Organentnahme bei nicht Verstorbenen ist auch dann nicht zu vertreten, wenn der einzelne dem selbst zugestimmt hat. Denn dies läuft unausweichlich auf eine Tötung auf Verlangen hinaus. Dazu dürfen sich Ärzte bekanntlich nicht bereit finden. Die scharfe Ablehnung eines solchen Vorgehens seitens der Ärzte ist konsequent; steht es doch in absolutem Gegensatz zu ihrem Berufsverständnis.
Wer Organtransplantationen für richtig und notwendig hält, muß vom gesicherten internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausgehen und sie damit so regeln, daß Ärzte ihr Handeln auch mit ihren fundamentalen berufsethischen Grundsätzen vereinbaren können. Im anderen Fall ist das Ergebnis Rechtsunsicherheit, ein Handeln im Zwielicht und irreparabler Schaden für das Anliegen selbst.
({1})
Die eindeutige Feststellung des eingetretenen Todes ist deshalb als Voraussetzung für eine Organentnahme unverzichtbar.
Die bei der engen Zustimmungslösung vorgenommene Bewertung des Hirntodes stützt sich international nach meiner Kenntnis auf eine ausgesprochene Minderheit von Wissenschaftlern. Außerdem muß man in diesem Zusammenhang sagen, daß die Ablehnung des Hirntodkonzeptes in vielen Fällen mit einem teilweise vorwissenschaftlichen Verständnis des menschlichen Todes verknüpft ist.
Diejenigen, die es ablehnen, den Hirntod als Tod des Menschen zu verstehen, berufen sich häufig darauf, daß der sinnlich erfahrbare Anschein dagegen spricht. Bekanntlich bieten Hirntote nicht das Bild von Verstorbenen. Diesen Zustand nach ärztlicher Diagnose dennoch als Tod zu verstehen und zu akzeptieren bedarf tatsächlich wissenschaftlicher Erkenntnis und entsprechender Abstraktion. Aber, meine Damen und Herren: Ist es nicht völlig einsichtig, daß wir oft erst solcher Erkenntnis und des abstrakten Denkens bedürfen, um zu einer die Wirklichkeit richtig abbildenden Auffassung zu kommen?
Frau Abgeordnete Fuchs, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels zu?
Ich denke, die Positionen sind derart klar, daß jegliche weitere Zwischenfrage nur eine Verzögerung wäre. Ich glaube, wir kommen nicht zu einer Klärung des Problems; viele Abgeordnete haben mit Recht eine gefestigte persönliche Meinung, und ich bringe jetzt meine gefestigte persönliche Meinung zum Ausdruck.
({0}) Ich möchte also keine Zwischenfragen zulassen.
So geht es im vorliegenden Fall letztlich auch um die Frage, ob sich dieses Land Gesetze gibt, die ihre geistigen Wurzeln weiterhin im Hauptstrom der auf wissenschaftlicher Vernunft basierenden europäischen Aufklärung haben.
Bei fehlender individueller Erklärung erlaubt die enge Zustimmungslösung keine Organentnahme. Das geht meiner Meinung nach am Leben vorbei. Die meisten Menschen möchten sich nicht zu Lebzeiten festlegen; sie denken und reden nicht über ihren Tod. Dies scheint ein überall bestehendes Faktum zu sein, das man bis zu einem gewissen Grade in Rechnung stellen sollte, anstatt auf Wunschvorstellungen zu setzen.
So glaube ich, daß unter den Bedingungen einer engen Zustimmungslösung die Zahl der Organspenden noch einmal drastisch zurückgehen wird. Schon jetzt treffen bekanntlich nur 5 bis 10 Prozent aller potentiellen Organspender zu Lebzeiten eine entsprechende Entscheidung. Wir wissen auch, daß überhaupt nur 0,6 Prozent aller Versterbenden für eine Organspende in Frage kommen.
Gegen die vielfach zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, dieser Anteil ließe sich auch bei einer engen Zustimmungslösung durch Aufklärung deutlich erhöhen, steht leider die berechtigte Befürchtung, daß Organspenden dann kaum noch vorkommen werden. Die Konsequenz wäre eine weitere Zunahme der Zahl der Wartenden und auch eine Zunahme der Zahl der Wartenden, die sterben, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten.
Gerade die Menschen in den neuen Bundesländern, die lange eine Widerspruchslösung hatten und für die die Organtransplantation zum akzeptierten Spektrum zu erwartender medizinischer Hilfemöglichkeiten gehörte und gehört, würden in großer Mehrzahl einen durch die Gesetzgebung verursachten Rückschlag auf diesem Gebiet nicht verstehen. Übrigens - auch das ist meine persönliche Meinung - halte ich die Widerspruchslösung nach wie vor für die vernünftigste Variante.
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Meine Damen und Herren, das Gesetz soll durch die mit ihm zu stärkende Rechtssicherheit eine Grundlage dafür geben, mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen und von daher wieder eine breitere Zustimmung der Menschen für eine Organspende zu erhalten. Entscheidend dafür kann aber nicht allein das Gesetz sein. Es ist und bleibt eine unverzichtbare Voraussetzung. Mindestens genauso wichtig oder noch wichtiger dürfte aber das Vertrauen der Bevölkerung in die Medizin und in die Motive ärztlichen Handelns sein.
Nach allem, was wir wissen, haben die meisten Menschen eine positive Einstellung zur Organspende. Aber viele sind verunsichert, weil sie erleben, daß die Medizin immer mehr zum Geschäft gemacht wird. Die dritte Stufe der Gesundheitsreform und die mit ihr verbundene Forcierung dieser Tendenz sind hier ein zweifellos negatives Moment.
Es kann festgestellt werden, daß das vorliegende Gesetzesvorhaben aber gerade für den Bereich der Organtransplantation viele wichtige Mechanismen der Regulierung, Kontrolle und Transparenz eingebaut hat, die das humanistische Anliegen der Medizin durch rechtliche Fundierung deutlich stärken. . Die letztlich entscheidende Frage besteht darin: Wird das Gesetz den hohen Anforderungen gerecht, die gerade auf diesem Gebiet an Sorgfalt, Verantwortungsbewußtsein und an ethischer Sensibilität gestellt werden müssen?
Ich denke, man darf zusammenfassend sagen: Der Gesetzentwurf, der die erweiterte Zustimmungslösung enthält, steht in deutlichem Gegensatz zu vielem, was im letzten Jahr aus dem Hause Seehofer vorgelegt wurde. Er ist eine verantwortungsbewußte, sachlich korrekte und auch gesetzestechnisch solide Arbeit. Das Gesetz ist geeignet, die von ihm zu erwartende Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile dem Abgeordneten Seehofer das Wort zu einer Kurzintervention. Er bezieht sich auf den Beitrag der Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin.
Verehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, heute hat mehrfach die Frage Hirntod, Schwangerschaft und Austragen eines Kindes eine Rolle gespielt. Sie haben teilweise aus Protokollen zitiert. Ich möchte gerade bei diesem schwierigen Thema Wert darauf legen, daß das Parlament korrekt informiert wird.
Ich habe mir deshalb das offizielle Protokoll der Sitzung des Gesundheitsausschusses vom 25. September 1996 kommen lassen. Ich darf daraus den Sachverständigen Professor Dr. Link im Zusammenhang mit der Filderklinik, die auch Sie genannt haben, zitieren. Der Sachverständige Professor Dr. Link sagt zu dieser Frage wörtlich:
Wenn ich das richtig verstanden habe, dann geht es um die Patientin aus der Filderklinik. Ich denke, da hat die Musiktherapeutin recht gehabt, wenn sie gesagt hat, daß sie einer schwerkranken Frau und nicht einer Toten begegnet ist, denn bei dieser Frau ist nie die Hirntoddiagnostik gemacht worden.
({0})
Der Sachverständige Professor Dr. Link sagt weiter:
Die Frau war nicht tot. Es ist weder die Hirntoddiagnostik gemacht worden, und wie die Beschreibung des behandelnden Arztes selbst zeigt, war die Frau nicht tot.
Ich möchte, daß das Parlament über dieses offizielle Protokoll Kenntnis erhält.
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Frau Dr. DäublerGmelin, Sie haben das Recht zu antworten.
Vielen Dank, Herr Seehofer, daß Sie den Sachverständigen zitiert haben. Ich habe bereits den behandelnden Arzt zitiert und mache das jetzt noch einmal mit Namens- und Funktionsangabe: Professor Dr. med. Johannes Scheele, Chirurgische Universitätsklinik der Universität Erlangen/Nürnberg.
Ich stelle das einfach dagegen.
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- Nein, bei mir nicht.
Auf die Frage, „Herr Scheele, haben Sie die zerebrale Angiographie durchgeführt" - das ist eine
Methode der Hirntoddiagnose -, antwortet er: „Wir haben zwar keine Angiographien durchgeführt, sondern wir haben Dopplersonographien und EEG- Untersuchungen vorgenommen", die sich ebenfalls auf die Hirntoddiagnose beziehen. „Diese wurden auf Wunsch des Vaters auch nach der Hirntoddiagnose in wöchentlichen Abständen wiederholt." Er führt weiter aus - ich kann das gern noch einmal vortragen -, daß die Angiographie deswegen nicht vorgenommen wurde, weil der Fötus keiner unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt werden sollte.
Was sich daraus ergibt das möchte ich, weil Sie dankenswerterweise einen anderen Fall zitiert haben, noch einmal vortragen -, ist, daß im Fall des Erlanger Babys genauso wie im Fall des Leinfeldener Babys eine Hirntoddiagnose vorgenommen wurde
({1})
und daß in beiden Fällen nach Ihrer Definition der Tod vorliegen müßte.
Als letzten Satz darf ich hinzufügen: In Leinfelden konnte durch Kaiserschnitt das Leben des Babys gerettet werden. Es lebt heute. Das ist der Punkt, um den es geht.
Danke schön.
Das macht ja die Sache so schwierig, daß jeder seinen Gutachter hat, den er heranziehen kann.
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Jetzt gebe ich das Wort der Abgeordneten Monika Knoche.
Sehr viel aufschlußreicher, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist - ich möchte kurz auf die Debatte eben eingehen - die Tatsache, daß eine mit Totenschein ausgestattete hirntote Frau in Erlangen ihren Fötus über mehrere Wochen hinweg ausgetragen und das Phänomen des Spontanabortes vollzogen hat. Es ist unmöglich, zu sagen: Eine Leiche ist in der Lage, ein Kind zu gebären. Es ist unmöglich.
Wenn wir aber eine andere gesetzliche Regelung hätten als die, die wir vorschlagen, würden wir in der Tat zwei Arten des Totseins festlegen. Es würde lebendige, belebte Leichen und kalte Leichen geben. Über diese Erfahrung und über dieses Erleben kann keine Wissenschaft die Menschen hinwegtäuschen. Das ist so. Deshalb darf diese Frage nicht zweckgebunden diskutiert werden. Sie ist keine Ansichtssache, und sie ist auch nicht beliebig.
Dennoch muß entschieden werden, welchen Rechtsstatus ein Mensch im Zustand des irreversiblen Hirnorganverlustes hat. Wir sagen, er ist ein Sterbender und damit ein Grundrechtsträger.
Betrachten wir es doch als unsere Chance, aus dieser einmaligen Debatte heute ein Gesetz zu verabschieden, das die medizinischen, kulturellen und religiösen Fragen in Einklang mit unserer Verfassung
löst. Ohne jedwede Berührung des Tötungstabus halten wir die Tür vor Begehrlichkeiten fest verschlossen.
Organentnahme ist, wenn der Mensch zugestimmt hat, niemals Tötung, weil das Leben eines irreversibel Sterbenden nicht mit allen Mitteln verlängert werden darf. Beziehen wir doch ein, daß das auch ein Grundprinzip ärztlicher Ethik und ein Bestandteil der Ethik des Grundgesetzes ist.
Hierin ist der unverrückbare Konsens einer freien Gesellschaft ausgedrückt. Er sichert uns das ganzheitliche und weltanschaulich offene Menschenbild. Was ist das Wesen der Transplantationsmedizin? Sie ist ein Ausnahmefall ärztlichen Handelns; denn sie muß die Grenze der Fremdleibigkeit eines Menschen überschreiten, um einem anderen helfen zu können. Die Organentnahme liegt nicht im ärztlichen Behandlungsauftrag. Der Behandlungsauftrag erlischt, wenn der Zustand des, Coma dépassé festgestellt ist.
Hirntote sind nicht einwilligungsfähig. Sie können nicht sagen, was mit ihnen geschehen soll. Dennoch darf mit ihnen nichts im Interesse Dritter gemacht werden, was sie nicht gewollt haben.
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Will man die durchbluteten Organe entnehmen, kann man das nur bei lebendigem Leib tun. Tot bei lebendigem Leib, es ist ein. definitorischer Kunstgriff, der aber nichts am Zustand des Menschen ändert. Kein Mensch wird durch Definition zu einem Verstorbenen. Ich unterstreiche mit allem Nachdruck die Aussage der Bundesärztekammer: Ärzte töten nicht. - Das muß die ethisch unstrittige Maxime in allen Fragen ärztlichen Handelns bleiben.
Nur ist der ethische und moralische Konflikt der Explantation nicht dadurch aus der Welt zu bringen, daß man eine neue Art des Totseins festlegt.
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Für die Medizin ist es ungleich schwerer, zu sagen, daß die Organentnahme das Sterben verändert und keine Tötung ist. Man muß es aber dennoch sagen. Ohne neue Todesart wird es nicht mehr dazu kommen müssen, die Gefühle, die Wahrnehmungen, die viele Angehörige haben, zu verletzen. Sie können ihre Nächsten eben nicht als tot begreifen. Sie erleben ihre Belebtheit. Ein Mensch lebt, solange er als lebendig erfahrbar ist. Diesen existenziellen Konflikt können Ärzte sich und den Angehörigen nehmen, wenn wir das Sterben beim Leben lassen.
Es ist nicht vertretbar, das Bewußtsein als Kriterium für Personalität zu qualifizieren. Die Grundrechtsträgerschaft und die Personalität sind nicht an Geistigkeit gebunden. Es ist wahr: Die Eindeutigkeit, die der Begriff des Todes einmal auszeichnete, hat sich durch die Intensivmedizin verändert. Das entbindet uns aber nicht der Pflicht, den Begriff vom Leben am Ende extensiv auszulegen. Erkennen können wir heute lediglich einen ganz spezifischen Charakter des Erlöschens menschlichen Lebens, indem wir Hirnfunktionen messen. Wir können aber niemals ermessen, was dieser Zustand ist.
Das Grundgesetz sichert uns ein offenes, ganzheitliches Menschenbild. Jenseits von individueller Weltanschauung, jenseits von zweckrationalen Erwägungen drückt sich darin das Selbstverständnis einer freien Gesellschaft aus. Darauf sich zu beziehen gehört meines Erachtens zu den vornehmsten Aufgaben des Parlaments. Wenn wir uns an die Ethik des Grundgesetzes halten, die eine Ethik der Würde und keine Ethik der Interessen ist, haben wir den bestmöglichen Schutz gegen praktische Ethiker, die solche letzten Werte ablehnen.
Wenn man sagt: „Nur durch den Nachweis aller Hirnfunktionen ist der Mensch eine Person", dann verliert er mit dem Verlust seiner Hirnfunktionen seine Würde. Es bleibt sein materieller, verfügbarer Wert. Das ist der konkrete Utilitarismus. Das zeigt auch, daß der Versuch, per Definition eine Zäsur zwischen Leib und Geist an das Gehirn zu binden, den gesellschaftlichen Wertekontext zur Disposition stellt. Das zeigt gleichfalls, wie nah man einer Verwerfung des traditionellen Todesverständnisses und der Verwerfung ethischer Übereinkünfte kommt.
Nur wenn gesagt wird, was dieser explantationsgeeignete Zustand tatsächlich ist, daß die Beatmung abgestellt werden muß, weil es keine Behandlung im Interesse des Patienten oder der Patientin mehr gibt, nur wenn man diese Wahrheit sagt, wird man Vertrauen und Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen können, und nur dann ist die Voraussetzung gegeben, eine autonome Entscheidung zu treffen.
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Der Mensch ist frei, er ist Subjekt seiner selbst, und er ist es in allen Zuständen, auch im Sterben. Das Sterben ist das ganz Eigene, das ganz Unveräußerliche. Wir müssen garantieren, daß der Mensch in seinen schwächsten Zuständen den vollen Respekt und die Achtung der Gesellschaft erhält und daß sich der Blick auf ihn als ganzen Menschen nicht darauf reduziert, wodurch er für andere nützlich werden könnte. Niemand ist der Gesellschaft, die er durch Sterben verläßt, etwas schuldig.
Die Bereitschaft zur Organspende ist eine Entscheidung in einem eigenen persönlichen Bereich, wo es überhaupt keine Gewißheiten gibt. Die leiblich-seelische Integrität gehört zu diesem ureigenen Bereich, in dem es keine Stellvertretung geben kann. Von daher kann es auch keine Stellvertretung der Entscheidung über die Zustimmung geben.
Wir haben viel über den Wunsch gehört, die Organfrage optimal zu lösen, die Bedarfe zu befriedigen. Ich möchte noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen: Selbst die extensivste Regelung, selbst eine von niemandem gewünschte Solidarpflicht des menschlichen Leibes würde jemals das Dilemma aufMonika Knoche
lösen können, das durch die Transplantationsmedizin gekommen ist, nämlich daß immer viel mehr Menschen auf Organe warten werden, als es Menschen gibt - Gott sei Dank -, die einen explantationsgeeigneten Tod sterben.
Wir müssen uns dessen vergewissern, daß wir durch keine noch so maximale Regelung das Problem, das durch die Transplantationsmedizin in die Welt gekommen ist, lösen können. Gerade deshalb müssen wir uns auf die prinzipiellen Fragen, die prinzipiellen Werte konzentrieren. Diese werden nur gewahrt, wenn wir die Transplantationsmedizin in die alten Werte zurückbinden.
Ich weiß, das ist eine wertekonservative Haltung. Das ist eine Wertedebatte. Wir Grünen haben sie geführt. Ich hoffe, wir konnten Sie davon überzeugen, daß es für die Zukunft außerordentlich wichtig ist, an den allgemeinen alten Werteübereinkünften festzuhalten.
Danke schön.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hansjörg Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Knoche, es ist schon ein Ding, wenn Sie einen Spontanabort mit einer Spontangeburt vergleichen und ableiten, wenn ein Spontanabort möglich ist, sei das der Nachweis des Lebens einer Hirntoten. Ich könnte ironischerweise sagen, daß dann eine vermißte Fehlgeburt der Nachweis des Todes einer Lebenden ist.
Ich bin langgedienter Geburtshelfer. Ich kann Ihnen gerne einmal Nachhilfeunterricht in der Frage geben, was Spontanaborte auslöst und was nicht. Das hat mit der Frage des Lebens mit Sicherheit nichts zu tun.
Ich bin froh, daß die Diskussion um die Organtransplantation heute ein vorläufiges Ende findet, weil dann, so hoffe ich inständig, mehr todkranken Menschen geholfen werden kann - Menschen, die für manche der vorgebrachten Argumente wenig Verständnis aufbringen können.
Ich bin froh, weil dann endlich für die handelnden Ärzte Rechtssicherheit herrscht. Sie können dann nach der Feststellung des Hirntodes und einer erweiterten Zustimmung in einem rechtlich einwandfreien Raum Organe transplantieren.
Ich bin froh, daß dieses Gesetz nach einer Debatte zustandekommt, nach der niemand behaupten kann, seine Meinung sei nicht gehört worden.
Ich bin aber auch froh, daß eine Diskussion beendet wird, in der bewußt oder unbewußt mit der Einführung falscher Begriffe argumentiert wurde. Ich habe eben versucht, das an einem Beispiel klarzumachen.
Wann ist der Mensch tot? Aus meiner 26jährigen Erfahrung als praktizierender Arzt bin ich der festen Überzeugung: Der Hirntod beendet die Einheit von Geist und Körper, die erst den Menschen ausmacht. Der Hirntod ist das Ende des Menschen, sein Tod. Das Lebewesen Mensch ist eine Einheit und eben nicht nur die Summe verschiedener Körperteile. Mit Eintritt des Hirntodes ist die Rückkehr zum Leben mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen. Es ist weltweit kein Fall bekannt, wo nach Feststellung des Hirntodes eine Besserung eingetreten ist.
Natürlich müssen Definition und Diagnose des Hirntodes sehr klaren Bestimmungen unterliegen. Diese Bestimmungen sind in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom 9. Mai 1997 sehr eindeutig formuliert. Ich darf das zitieren:
Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten. Die Diagnose des Hirntodes erfordert: Die Erfüllung der Voraussetzungen, die Feststellung der klinischen Symptome, die Bewußtlosigkeit, Hirnstammareflexie und Atemstillstand, sowie den Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome.
Hier wird einwandfrei klargestellt, was mit Hirntod gemeint ist. Irrtümer in der Definition sind nicht möglich.
Zu meinem Bedauern sind in der Diskussion des öfteren die Grenzen zum apallischen Syndrom verwischt worden. Ob dies bewußt geschehen ist oder aus Mangel an Kenntnissen, das möge dahingestellt sein. Das apallische Syndrom ist eine Bewußtseinsstörung, die aus schweren zerebralen Funktionsstörungen unterschiedlicher Genese resultiert und durch aufgehobene Wahrnehmungsfähigkeit bei erhaltener Wachheit charakterisiert ist. Die Grenzen zum Hirntod sind mit dieser Definition eindeutig und klar. Apalliker sind wach, aber nehmen nichts wahr, und in den meisten Fällen ist eine eigenständige Atmung möglich.
Im übrigen ist der Hirntod nicht eine Definitionserfindung transplantationswütiger Ärzte,
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um an mehr Spenderorgane heranzukommen. Am Anfang stand diese Definition des Hirntodes dafür, nicht unsinnige Intensiv- und Apparatemedizin weiterführen zu müssen.
Natürlich bin ich der Meinung, daß die Hirntoddiagnose dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entsprechen muß. Ganz entschieden widerspreche ich der Aufweichung des Hirntodes als Ganzhirntod. Diese Tendenzen - das weiß auch ich - gibt es in anderen Ländern. Aber ich bin der Auffassung, daß die strenge Definition in unserem Gesetzentwurf diesen Tendenzen standhält.
In den anderen vorliegenden Gesetzentwürfen wird der Hirntod nur als Datum für die OrganentDr. Hansjörg Schäfer
nahme gekennzeichnet und nicht für den Tod des ganzen Menschen. Dies - da kann mich niemand beirren - bedeutet die Entnahme am Lebenden. Folgt man dieser Auffassung, so bedeutet diese Entnahme eine aktive Tötungshandlung. Das ist aktive Euthanasie. Ich bleibe bei diesem Wort.
Daß sich die transplantierenden Ärzte gegen eine solche Betrachtungsweise wehren, ist ihr gutes Recht. Ich möchte von dieser Stelle einmal ganz herzlich den transplantierenden Ärzten in Deutschland danken für ihren Mut und für ihre Leistung. Sie verdienen unsere Anerkennung.
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Sie haben es verdient, in Rechtssicherheit arbeiten zu können. Tod nein, aber Entnahme ja - das ist keine Rechtssicherheit. Es muß sichergestellt sein, daß Ärzte nicht nur keine Straftat begehen, sondern in völliger Übereinstimmung mit den ethischen Grundwerten dieser Gesellschaft handeln.
Es ist unzweifelhaft, daß durch Herz-LungenTransplantationen Menschenleben gerettet werden können und ihnen ein lebenswertes Leben über längere Zeit geschenkt werden kann. Es ist weiterhin unzweifelhaft, daß die Lebensqualität vieler Patienten durch die Transplantation von Nieren entscheidend verbessert werden kann.
Der Staat hat die Pflicht zur Wahrung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Staat ist auch dem Schutz der Menschenwürde verpflichtet. Dies gilt für Spender, aber auch für Empfänger. Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, den Mut aufbringen, das zu verwirklichen, was in anderen Ländern Rechtswirklichkeit ist. Lassen Sie uns den Mut aufbringen, mit diesem Gesetz Menschen zu helfen!
Danke.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Was sich in den Klüftungen des Todes vollzieht, ist nicht nur ein äußerliches Geschehen. Nach meiner Überzeugung handelt es sich bei dem Sterben um einen physisch-metaphysischen Prozeß. Wir tun gut daran, mit unseren Definitionen zurückhaltend zu sein.
Ich für meine Person meine, daß wir die Frage, was bei einem solchen Geschehen stattfindet, auch nicht medizinischen oder kirchlichen Konzilen anvertrauen können. Ich wehre mich auch dagegen, daß wir das, was während des Sterbens passiert, nur dann als wissenschaftlich verbürgt anerkennen, wenn es von naturwissenschaftlich-medizinischer Seite kommt.
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Ich bin der Meinung, daß wir jeglichen Hochmut ablegen sollten, daß wir im 20. Jahrhundert am Scheitelpunkt der Wissenschaft angekommen seien. Nach meiner Überzeugung steht die Wissenschaft vom Menschen erst am Anfang.
Es stellt sich die Frage, ob wir nicht manches, was in der Vergangenheit zu diesen Fragen ausgesagt worden ist, als eine Wahrheit wiederfinden. Zum Beispiel findet im Tode etwas statt, was man so bezeichnen kann, daß sich die geistig-seelische Einheit aus dem Körper löst. Das ist etwas, was nicht in materiell orientierten, wissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Begriffen eingefangen werden kann. Sie haben ihr Recht, und ich habe vor ihnen großen Respekt. Sie haben zu gewaltigen wissenschaftlichen Errungenschaften geführt. Aber ich glaube, es liegt noch viel Arbeit des Verstehens vor uns, was bei der Geburt und was bei dem Tode stattfindet. Ich rate dazu, die Diskussion heute im Hause - die, wie ich finde, einen hohen Rang einnimmt -nicht ergebnisorientiert zu führen in der Richtung, daß wir sagen, wir müssen eine Lage herbeiführen, bei der nun möglichst viele Transplantationen möglich sind.
Ich sage Ihnen das in aller Offenheit und bei allem Verständnis - Herr Kollege Seehofer hat das hier sehr eindrucksvoll vorgetragen - für viele Menschen, die sich in einer Notlage befinden, die um das Ende ihres Lebens fürchten und die die Hoffnung haben, durch die Opferbereitschaft eines Menschen eine Lebensverlängerung zu erhalten. Aber ich glaube, wir sind uns doch in einem Punkt alle einig. Es kann nicht so sein, daß wir eine Definition oder eine Rechtslage wählen, die sich nur an diesem Zweck orientieren darf. Das ist für mich ein sehr entscheidender Punkt.
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Nun habe ich sehr aufmerksam zugehört, was Herr Kollege Scholz gesagt hat. Er meinte, auf der einen Seite stehe die Norm und auf der anderen Seite die Feststellung des Sachverhalts. Aber, meine Damen und Herren Kollegen, es ist nicht so, daß wir auf der einen Seite einen Sachverhalt haben, der rein naturwissenschaftlich-medizinisch zu ermitteln und festzustellen ist, und auf der anderen Seite eine Norm und eine relative Beliebigkeit der Wertentscheidung, sondern - um einen philosophischen Begriff zu benutzen - das, was die Einheit des physischen-metaphysischen Prozesses ausmacht, ist eine Art ontologische Kategorie, ist auch eine Seinskategorie, ist auch ein Sachverhalt.
Wer der Meinung ist, wir dürfen in einen solchen Prozeß eingreifen, wir dürfen diesen Ehrfurcht gebietenden Prozeß des Sterbens stören - ich glaube, jeder von uns, der schon einmal an einer Geburt oder an einem Sterbevorgang teilgenommen hat, weiß, daß es zu den bestürzendsten und eindrucksvollsten Erlebnissen unseres Lebens überhaupt gehört -, der muß sich darüber im klaren sein, daß er eine Beziehung zur Würde des Menschen setzen muß. Selbstverständlich erkenne ich an, wenn ein Mensch aus seiner individuellen Würde heraus auf Grund einer
höchstpersönlichen Entscheidung sagt: Ich bin opferbereit. Ich bin in einer solchen Situation auch bereit, ein Organ zu spenden, um einem anderen das Leben zu ermöglichen. - Es gibt Situationen dieser Art in den unterschiedlichsten Konstellationen. Wer die Tradition der Habeas-Corpus-Akte in Europa ernst nimmt, der muß sich sagen: In dieser Entscheidung muß der Mensch immer Subjekt bleiben. Er darf nie zum Objekt werden.
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Das ist ein Verständnis des Menschen, das seiner Würde gerecht wird, das den Menschen als Teil des Kosmos, des Universums begreift und ihn nicht als zufällige Zusammenwürfelung von Molekülen und Zellen begreift, sondern ihn in diese individuelle Pflicht und Verantwortung stellt, ihm die Freiheit aber nicht nimmt. Ich meine, die Konsequenz einer solchen Betrachtungsweise kann nur die engere Zustimmungslösung sein.
Danke schön.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben - wie selten bei unserer Arbeit - eine Materie zu regeln, die tief in Bereiche eindringt, in denen Ängste vorhanden sind, in denen es um Schmerz und um Trauer geht. Ebenso bedeutend ist in diesem Zusammenhang die Rolle der ethischen, religiösen und weltanschaulichen Werte, um die es in unserer Gesellschaft geht.
Wir haben bei der Beratung dieses Gesetzes einen Vorteil; denn wir blicken zurück auf 20 Jahre Transplantation in der Bundesrepublik, in denen es 44 000 Transplantationen gegeben hat. Im Rückblick auf das, was geschehen ist, können wir sagen, daß wir einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, in dem wir den Erfahrungen Rechnung tragen. Das heißt, daß wir die bisherige erfolgreiche Praxis gesetzlich festschreiben, gesetzlich Klarheit schaffen und dies in einigen Punkten sehr deutlich zum Ausdruck bringen.
Ich bin der Überzeugung, daß wir die Diskussion ergebnisorientiert führen müssen; denn nicht nur die Menschen, die ihre Organe zur Verfügung stellen, sind mehr als eine Zusammenwürfelung von Zellen und Molekülen, sondern auch die Menschen, die auf Hilfe warten und die Hilfe erhoffen. Ihr Anspruch ist da. Er steht nicht gegen den Anspruch der anderen, aber er ist letztlich für uns vorhanden. Ich bin nach vielen Diskussionen zu dem Ergebnis gelangt, daß ich der erweiterten Zustimmungslösung zustimmen werde.
Ich gehe davon aus, daß viele Menschen nicht bereit und auch nicht in der Lage sind, sich mit dem Gedanken an ihren eigenen Tod so auseinanderzusetzen, daß am Ende ihres Lebens eine schriftliche Erklärung steht, weil ich glaube, daß eine solche Erklärung eine besondere Qualität hat. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, daß bei Nichtvorliegen einer solchen schriftlichen Erklärung nicht gesagt werden kann, daß keine Äußerung über die Bereitschaft zur Organspende abgegeben worden ist. Ich schließe dies aus der Tatsache, daß es bei 1054 vorgenommenen Organspenden nur 34 schriftliche Erklärungen gab.
Deshalb glaube ich, daß man sich fragen muß, ob der Gesetzgeber die persönliche schriftliche Zustimmung zur unabdingbaren Voraussetzung für die Zulässigkeit der Organspende machen darf. Das müssen wir auch unter dem Gesichtspunkt tun, daß wir davon ausgehen können, ansonsten auf einen katastrophalen Mangel an Organen zuzusteuern und den nun einmal bestehenden Bedarf aus anderen Ländern decken zu müssen.
Ich bin der Überzeugung, daß es eine Verkürzung der Wahrnehmung des Willens des Menschen ist, wenn wir diese Wahrnehmung seines Willens auf eine schriftliche Äußerung reduzieren. Kommt man nicht dem wirklichen Willen näher, wenn man Angehörige befragt - wenn man also die Überlegungen derer berücksichtigt, die zu dem Betroffenen eine besondere Nähe hatten - und wenn man ergründet, wie das Ereignis, daß das Leben endet, aufgenommen wird?
Bei unserem Vorschlag geht es nicht darum, den Willen des Betroffenen durch einen fremden Willen zu ersetzen. Das haben wir dadurch deutlich gemacht, daß wir die Formulierung aufgenommen haben, daß der Angehörige den mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten hat, und das wir den Arzt, der die Organentnahme vornehmen soll, verpflichtet haben, die Angehörigen darauf hinzuweisen.
Mit der von uns gewählten Rangfolge der nächsten Angehörigen verfolgen wir das Ziel, den wirklichen Willen des potentiellen Organspenders über die persönliche Nähe der Angehörigen klären zu können. Deshalb berücksichtigen wir auch die Tatsache, daß es Angehörige geben kann, die unterschiedlicher Auffassung sind. Für diesen Fall gehen wir in dem Gesetzentwurf davon aus, daß es keine Klärung gegeben hat und daß eine Organentnahme somit unzulässig ist. Auch dem Umstand, daß sich immer mehr Menschen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften befinden, haben wir Rechnung getragen, indem die jeweiligen Partner als Mittler des mutmaßlichen Willens des Organspenders neben die Angehörigen treten.
Ich möchte jetzt nur noch kurz auf einen Punkt eingehen, der Kritik hervorgerufen hat, die ich zu verstehen versuche. Es handelt sich um die Tatsache, daß wir den Angehörigen die Möglichkeit einräumen, sich eine Bedenkzeit für die endgültige Zustimmung vorzubehalten. Diese können sie mit dem Arzt vereinbaren und zusätzlich bestimmen, daß ihre Zustimmung als erteilt gilt, wenn sie sich nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht erneut erklären.
Ich verstehe die Bedenken, die mit der Interpretation des Schweigens als Zustimmung verknüpft sind. Wir wollen aber damit der Situation Rechnung tragen, daß sich die Angehörigen einerseits in einer starken psychischen Belastung befinden und sie sich mit der Situation von Trauer und Verlust auseinandersetzen müssen, daß aber andererseits - in diesem schwierigen Prozeß - eine Entscheidung von ihnen erwartet wird. Ich finde, daß man dieser außerordentlichen Belastung Rechnung tragen muß, indem man den Angehörigen die Möglichkeit gibt, sich anders als verbal zu äußern.
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Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Horst Schmidbauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst aus einem Brief zitieren, den mir Herr G. aus München geschrieben hat:
Ich beschwöre Sie deshalb, keinesfalls der gnadenlosen, abwegigen, menschenfeindlichen Horrorvariante zuzustimmen. Und lassen Sie sich nicht gegen das Hirntod-Kriterium aufwiegeln.
Er schreibt weiter:
Der Hirntod ist kein Scheintod, kein Koma. Hirntod heißt mausetot.
Ich denke, daß uns solche Oberflächlichkeiten bei der Diskussion, in der wir stehen, nicht weiterhelfen.
Wir sind alle dazu aufgefordert, uns persönlich ein Bild zu machen. Ich habe mein Bild dort gewonnen, wo Menschen unmittelbar und am nächsten mit Sterbenden zu tun haben. Ich meine die Schwestern und Pfleger auf der Intensivstation. Mich hat die Schilderung einer Schwester auf der Intensivstation tief beeindruckt, die ich gern wiedergeben möchte:
Auf der chirurgischen Intensivstation muß ich immer wieder lebende Tote pflegen, die zur Organspende vorgesehen sind. Zunächst bemühen wir uns um einen schwerverletzten Patienten, bei dem alle intensivmedizinischen und pflegerischen Möglichkeiten eingesetzt werden, um sein Leben zu retten. Mit der Diagnose Hirntod beginnt aber das Dilemma des Pflegepersonals.
Dann pflegen wir einen toten Patienten. Aber ein Patient ist es nicht, der wäre nicht tot. Aber ein Toter ist es auch nicht, weil er zu leben scheint. Aber um Tote zu pflegen, haben wir diesen Beruf nicht erlernt. Er darf eigentlich nicht tot sein. Er darf aber auch nicht lebendig sein, dieser lebende Tote.
Pflege eines Toten? Was heißt das für uns? Muß er noch angesprochen werden? Muß er noch gewaschen werden? Muß er noch gelagert, gebettet werden? Muß er abgesaugt werden, werden Verbände erneuert, Katheter kontrolliert, Mund-, Nasen- und Augenpflege durchgeführt?
Wir sind unsicher, und es gibt verschiedene Meinungen. Es geht um die Würde des Patienten.
Normal ist, daß man tote Menschen in Ruhe läßt. Weil wir den Stoffwechsel künstlich aufrechterhalten,. sind wir verpflichtet, den Körper des Toten, der noch zu leben scheint, der beatmet wird, dessen Herz noch schlägt, auch äußerlich unversehrt und sauber zu erhalten.
Also funktionieren wir. Aber unsere Gefühle bei dieser „Pflege unter anderen Gesichtspunkten" sind zwiespältig.
Hier möchte ich die Schilderung beenden.
Damit kommen wir zum Kern. Im Grundgesetz heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das bedeutet, daß der lebende Mensch nicht zum bloßen Mittel zur Erreichung eines Zweckes mißbraucht werden darf. Daher darf die körperliche Unversehrtheit eines Menschen nur beeinträchtigt werden, wenn eine Aussicht auf Hilfe besteht und wenn der Betroffene dieser Verletzung seiner körperlichen Integrität zugestimmt hat.
Viele Wissenschaftler, Ärzte, Philosophen und Theologen sehen im Hirntod zwar eine unumkehrbare Phase im Sterbeprozeß, ordnen diese aber noch dem Leben zu. So sehen dies auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen; so sehe auch ich es. Diese ethische Sichtweise bedingt die enge Zustimmungslösung, die allein auf der Zustimmung des Spenders basiert.
Die durch die Harvard-Kommission 1968 beschlossene Einführung des Hirntodkriteriums trug dazu bei, ein Kunstwort zu schaffen. Das Kunstwort Hirntod hat als solches nichts mit dem Tod des Menschen zu tun. Hirntod bezeichnet zunächst nichts weiter als den Tod eines Teils des Zentralnervensystems - zwar unumkehrbar -, also als einen Teil des Sterbens.
Die Harvard-Kommission hat sich zum damaligen Zeitpunkt - es ist interessant, dies nachzulesen - nicht mit der ethischen Fragestellung des Hirntodes auseinandergesetzt. Die von ihr vorgebrachten Begründungen zur Einführung des Hirntodkriteriums waren rein pragmatischer Art. Es waren zwei Gründe für die Harvard-Kommission, warum es einen Bedarf für die neue Todesdefinition gab.
Erstens. Die Last ist groß für die betroffenen Patienten, die den permanenten Verlust ihres Intellekts erleiden, für ihre Familien, für die Krankenhäuser und solche Patienten, die eines der Intensivbetten bedürften, die durch die komatösen Patienten belegt sind.
Zweitens. Veraltete Kriterien für die Definition des Todes können zu Kontroversen bei der Beschaffung von Spenderorganen führen.
Bekräftigt wird dies durch Professor Dörner, der als Sachverständiger bei der Anhörung sagte:
Das Geniale an der Harvard-Formel von 1968 bestand darin, daß auf jede Begründung verzichtet wurde. So hatte die Formel etwas von einer Norm, die die ganze Welt begeisterte und unhinterfragt begrüßte.
Horst Schmidbauer ({0})
Diese pragmatischen Aussagen rechtfertigen nach meiner Auffassung nicht die gesetzliche Festschreibung der Hirntoddefinition in der deutschen Gesetzgebung. Wir befinden uns mit der Definition des Hirntodes als Tod des Menschen auf einem Irrweg. Der Hirntod ist eben nicht der Zeitpunkt des Todes, sondern der Zeitpunkt der Unumkehrbarkeit des Sterbeprozesses. Gerade die Menschen, die von der Zerreißprobe unmittelbar betroffen sind, wollen diesen Irrweg nicht weiter mitgehen.
Die Spendenbereitschaft, über die wir heute so viel sprechen, wird wachsen, wenn wir mit unserem Weg ein Fundament aus Selbstbestimmung schaffen. Wenn zwei Drittel der in einer Umfrage der Zeitschrift „Die Woche" Befragten dafür sind, sich während ihres Lebens zu entscheiden, dann frage ich mich, wieso wir dann nicht dieses Fundament aus Selbstbestimmung schaffen, auf die Menschen zugehen und ihre Entscheidung abholen.
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Wir brauchen ein Fundament, bei dem nicht mehr der Zweck die Mittel heiligt; wir brauchen ein Fundament, das nicht mehr zu Mißtrauen Anlaß gibt, ein Fundament, mit dem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß alle Beteiligten offen und vertrauensvoll miteinander umgehen.
In diesem Sinne bitte ich Sie: Stimmen Sie für die enge Zustimmungslösung und für das Hirntodkriterium, wie ich es eben definiert habe.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Möllemann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter denen, die dieser Debatte heute draußen zuhören und zuschauen, sind gewiß viele, die in Krankenhäusern oder daheim darauf hoffen, daß ihnen durch eine Organspende geholfen wird, ihr Leiden zu lindern, und viele, die nur durch eine Organspende überleben können, deren Leben also nur dadurch gerettet werden kann.
Wenn man dieser Debatte aufmerksam folgt, dann fällt auf, daß dieser Aspekt des Themas eher beiläufig behandelt wird. Es ist sicher verständlich, vielleicht gerade auf Grund der deutschen Geschichte, daß die anderen Aspekte und die anderen Beteiligten und Betroffenen sehr stark im Mittelpunkt stehen. Aber ich möchte in meinem Beitrag sagen, daß für mich mindestens ebenso wichtig wie die Würde von Toten oder unwiderruflich im Sterbeprozeß Befindlichen das Lebensrecht, das Überlebensrecht und damit der Kernpunkt der Würde von Menschen ist, die sonst sterben müssen. Auch darum geht es schließlich. Ich glaube, auch dem müssen wir gerecht werden.
Mein Freund Bernd Tönnies - er war damals gemeinsam mit mir in den Führungsgremien von Schalke 04 tätig - starb an Nierenversagen. Er war gerade an der Schwelle zum 40. Lebensjahr. Es kam nicht schnell genug zur Organspende. Wir waren befreundet, und deswegen habe ich ihn beim Sterben begleitet, und zwar nicht wissend, daß ich ihn beim Sterben begleite. Wir haben in der Zeit, als er immer noch auf eine Organspende hoffte, darüber gesprochen, warum es in unserem Land so wenige gibt, die Organe spenden. Eine plausible Antwort darauf hat hier keiner. Es gibt Spekulationen darüber. Aber eines kann ich sagen: Von denen, die heute gerettet werden, werden 94 Prozent gerettet, weil eine erweiterte Zustimmungsregelung praktiziert wird. Eines muß sich jeder fragen, der hier für eine enge Lösung plädiert, nämlich ob er diesen 94 Prozent wirklich die Hoffnung machen kann, daß sie auch bei einer engen Zustimmungsregelung überleben können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Ich möchte meine Gedanken gerne im Zusammenhang vortragen; ich bitte um Verständnis dafür.
Ich glaube, daß die Sorge nicht unbegründet ist, daß unsere Appelle, die hier ausgerufen werden und an denen ich mich hier schon selber beteiligt habe, nicht sehr viel bewirken werden, warum auch immer das so ist. Hier wird gesagt: Holen wir die Menschen doch dort ab. - Ja, wer war denn bisher gehindert, seinen Willen zur Organspende zu bekunden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, von der Geschäftsordnung her geht es nicht; aber eigentlich sähe ich gern, wenn alle, die ihre Stimmkarte nachher draußen abholen und etwa gar dafür stimmen wollen, daß künftig jedermann verbindlich seinen Willen erklären soll, vorher einmal ihren Organspendeausweis vorzeigen, mit dem sie selber mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Ich würde mich freuen, wenn 672 Abgeordnete des Deutschen Bundestages für sich bereits diese Entscheidung getroffen hätten.
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Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht erwarten, daß die Bevölkerung das alles, von dem wir meinen, daß es getan werden müßte, tut, nur weil wir hier Appelle an sie richten. Meine Besorgnis ist: Die ernstzunehmenden Argumente zum Schutz der Würde der Toten oder der unwiderruflich Sterbenden, die wir sehr hoch gewichten und die, wenn der Antrag mit der engen Zustimmungslösung die Mehrheit bekäme, uns vielleicht ein gutes Gewissen geben würden, werden leider in Tausenden von Fällen zum Tod von Menschen führen, weil diese daraufhin auf Organspenden verzichten mußten.
({1})
- Das hat mit „unglaublich" nichts zu tun, es hat nur keinen Zweck, die Entscheidungsalternativen in ihren Implikationen im einen Fall moralisch zu überhöhen und im anderen Fall die Verantwortung von sich wegzudrängen, die man in Wahrheit doch dafür übernähme, daß Organe für Lebensrettung nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
Weil ich das sehe und nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen will, sondern darauf, daß Menschen in Todesangst, in Todesgefahr geholfen werden kann, daß ihr Leid gelindert wird, bitte ich Sie, für die erweiterte Zustimmungslösung zu stimmen.
Vielen Dank.
({2})
Der Abgeordnete Dreßen hat den Wunsch nach einer Kurzintervention. Bitte sehr.
Kollege Möllemann, gerade weil ich bisher ein Anhänger der erweiterten Fassung bin, möchte ich einem Punkt scharf widersprechen: Ich glaube, daß Menschen, die auf ein Organ warten, nicht ein Recht auf Organe haben, sondern sie haben die Hoffnung und bestenfalls das Glück, ein Organ zu bekommen. Ich glaube, man kann da nicht von einem Recht sprechen.
Ich habe zum Beispiel ein Recht darauf, ein Hüftgelenk zu bekommen, aber bei Organen sollte man den Zungenschlag, den Sie jetzt in die Debatte gebracht haben, wirklich nicht weiter verwenden.
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Ich habe, ehrlich gesagt, an meiner Haltung auch gewisse Zweifel. Ich gebe das offen zu. Genausogut gestehe ich jenen, die für die engere Lösung sind, auch ihre Zweifel zu. Deswegen fand ich Ihre Argumentationskette wirklich verfehlt.
Gerade weil ich bei meiner Meinung Zweifel habe, ob sie richtig ist, ich aber eher dieser erweiterten Zustimmungslösung meine Stimme geben möchte, möchte ich eine Debatte, wie Sie sie gerade geführt haben, zutiefst ablehnen.
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Herr Abgeordneter Möllemann, Sie könnten antworten, wenn Sie wollten.
Frau Präsidentin, ich möchte gerne darauf antworten, weil ich auch nicht möchte, Herr Dreßen, daß Ihre Position gegenüber meiner Haltung auf einem Mißverständnis beruht.
Ich habe nicht von einem Recht derer, die auf ein Überleben hoffen, gegenüber einem in Frage kommenden Spender gesprochen, jedenfalls nicht sprechen wollen. Ich habe von dem Recht dieser Menschen gesprochen, an uns die Erwartung zu richten, daß wir uns mit ihrer Situation, mit ihrer Not mit der gleichen Intensität beschäftigen wie mit der Würde derer, die tot sind oder unwiderruflich sterben werden. Darum geht es mir.
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Es gibt den Wunsch auf zwei weitere Kurzinterventionen, und zwar zuerst Herr Dr. Wolfgang Wodarg und dann Herr Otto Schily.
Herr Möllemann, Sie haben einen Fall dargestellt, bei dem es nach einem Nierenversagen zum Tod gekommen ist. Ich möchte als Arzt hier korrigieren und ergänzen: Es ist nicht so, daß man durch ein Nierenversagen sterben muß, sondern wir wissen alle, daß beide Nieren ausfallen können und trotzdem Menschen ohne Nieren weiterleben können, auch wenn sie kein Transplantat bekommen.
Es gibt zum Glück die Dialyse, die Menschen viele, viele Jahre am Leben halten kann. Daß viele Dialysepatienten in ihrer Lebensqualität Fortschritte erleben und besser rehabilitierbar sind, wenn sie transplantiert werden - das gilt nicht für alle, aber für eine ganze Reihe von Dialysepatienten -, ist völlig unbestritten, aber Nierenversagen heißt längst nicht Tod.
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Da gibt es eine Maschine, die von vielen tausend Menschen regelmäßig angewandt wird und deren Überleben sichert.
Bitte schön, die Antwort.
Lieber Herr Kollege, dieser Sachverhalt ist mir geläufig, aber der konkrete Fall hat sich so abgespielt, daß auf Grund des Versagens beider Nieren und auf Grund des dauerhaften Überstrapaziertwerdens durch die Dialyse der Wunsch nach Transplantation da war. Ich sagte, die Transplantation kam zu spät, und der Betroffene - das ist auch ein Sachverhalt, den man im nachhinein nicht medizinisch anders erörtern kann - ist dann gestorben.
Während dieser Phase haben wir uns intensivst über die Frage unterhalten, die man aus dem Blickwinkel eines Betroffenen anders, leidenschaftlicher diskutiert: Woran liegt es denn, daß so wenig Menschen Organe spenden, daß so viele, die betroffen sind, warten müssen und daß bei vielen dann die Hilfe zu spät kommt?
Deswegen - das wollte ich noch einmal betonen - habe ich die Betrachtungsweise, die andere hier angestellt haben, eine Zeitlang auch selber vertreten, nämlich ob man eine vermehrte Spendenbereitschaft nicht mit administrativen Maßnahmen geradezu erzwingen könne. Ich glaube, daß das aussichtslos ist
und daß deswegen die jetzige erweiterte Zustimmungsregelung rechtlich geschützt werden muß.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Schily, Ihre Kurzintervention.
Herr Kollege Möllemann, Ihre Argumentation halte ich für äußerst fragwürdig. Zunächst einmal darf ich darauf hinweisen, daß Sie eine Situation beschreiben, in der, wie Sie richtig sagen, viele eine solche Zustimmung - in welcher Form auch immer - vorher nicht erklären. Sie wollen das dadurch kompensieren, daß Sie Dritten die Möglichkeit geben, diese Zustimmung zu erklären.
Das halte ich für einen Verstoß gegen die Autonomie des einzelnen, die gerade in der Verweigerung einer solchen Zustimmung zum Ausdruck kommt. Es ist Ihr gutes Recht, dafür zu werben, daß eine solche Zustimmung erteilt wird. Sie sollten sie nur nicht auf die Weise, die Sie vorschlagen, sozusagen überholen wollen.
Ein Zweites möchte ich zu Ihren Ausführungen sagen. Ich respektiere das, was Sie dargestellt haben. Ich respektiere Ihre Position. Aber versuchen Sie nicht, jenseits einer rechtlichen eine moralische Verpflichtung zur Organspende zu etablieren.
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Es wäre wirklich sehr schwierig, damit umzugehen. Wenn Sie diejenigen, die einen Organspendeausweis vorzeigen, jetzt als die moralisch Höherstehenden qualifizieren wollen, dann wehre ich mich dagegen ganz entschieden.
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Ich bin der Meinung, es ist durchaus moralisch und vertretbar, zu sagen: Ich möchte diesen Eingriff in einen Sterbeprozeß nicht. - In diesem Punkt bin ich genauso moralisch wie derjenige, der ein solches Opfer aus seiner Position und Einschätzung heraus erbringen will. Wir sollten eine Verständigung so suchen, daß keine Unklarheiten entstehen.
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Herr Abgeordneter Möllemann, bitte, Ihre Antwort.
Lieber Herr Schily, just das habe ich an die Adresse derjenigen gesagt, die erklären, eine Bürgerpflicht konstituieren zu wollen. Ich habe festgestellt, daß diejenigen, die dem Antrag, die Organspende sozusagen von Staats wegen zu verordnen, zustimmen wollen - sei es auch nur als eine nicht sanktionierte Pflicht -, durch Vorzeigen ihres Organspendeausweises eigentlich dokumentieren müßten, daß sie selber dieser postulierten Pflicht schon genügen.
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade der Wortwechsel, den wir soeben erlebt haben, zeigt, daß der Kollege Seehofer nicht recht hatte, wenn er zu Beginn der Debatte sagte, daß in der Gesellschaft und nach gemeinsamen Auffassungen die gegenwärtige Praxis völlig streitlos und selbstverständlich durchgeführt werde. Die von uns geführte Debatte und die jahrelange Beratung des Gesetzentwurfes im Deutschen Bundestag zeigen, daß genau das nicht der Fall ist.
Die bewunderungswürdige Transplantationsmedizin hat uns nicht nur zu erstaunlichen Ergebnissen geführt, sondern auch in ein kaum entwirrbares Knäuel von medizinischen, ethischen, rechtlichen und leider auch pragmatischen Problemen. Denn gerade diese pragmatischen, soeben erörterten Probleme tragen mit dazu bei, daß das Vertrauen von Menschen ins Wanken gerät, wenn sie sich als. Sterbende in ärztliche Verantwortung begeben.
Wenn das Sterben ein Teil des Lebens ist, dann kann es - das hat Herr Schily zutreffend gesagt - nicht von der menschlichen Würde und damit von der eigenen Entscheidung gelöst werden, soweit ich überhaupt eine Entscheidung darüber zu treffen vermag, soweit das Schicksal es mir gestattet, eine Entscheidung zu treffen.
Wer sich als Spender zur Verfügung stellt, nimmt eine moralisch achtenswerte Haltung ein. Aber wenn ich die Organspende zu einer rechtlichen oder moralischen Pflicht erkläre, dann beraube ich diese Entscheidung gleichzeitig ihrer Autonomie und Freiwilligkeit und nehme ihr damit ihren eigentlichen Wert. Das kann nicht richtig sein.
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Darum ist die Entscheidung des Menschen, ob er sich zur Verfügung stellt oder nicht, eine höchstpersönliche Entscheidung, die nicht und durch niemanden ersetzbar sein kann. Auch der Sterbende, der keine eigene Entscheidung trifft - weil der Tod, weil das Schicksal ihn überrascht, weil er sich seinen Angehörigen nicht offenbaren will oder weil er keine Angehörigen hat, mit denen er darüber sprechen will -, hat eine Würde und das Recht, zu wissen, daß sein Körper der Erde überantwortet wird, wie es der Tradition unseres Kulturkreises entspricht. Darum ist die Einwilligung, von der hier geredet wird, nicht ersetzbar.
Nun verlangen die Transplantationsmediziner von uns, gesetzlich direkt oder indirekt den Todeszeitpunkt zu bestimmen. Da muß ich Ihnen sagen: Das geht nicht. Das Sterben ist ein medizinischer, ein biologischer Vorgang. Kein Gesetzgeber kann diesen Vorgang beeinflussen. Man kann ihn nicht beschleunigen, und man kann nicht einen Toten gesetzlich zum Leben erwecken oder umgekehrt. Das sind zwei ganz unterschiedliche Kategorien. Darum können
wir die berufsethische Frage, die Sie in den Vordergrund gestellt haben, als Gesetzgeber nicht lösen.
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Wir können den Medizinern diese Frage nicht abnehmen. Wir können nicht jemanden, der möglicherweise lebt, kraft Gesetzes zu einem Toten erklären. Wir können nur an bestimmte medizinische Umstände rechtliche Folgen knüpfen. Aber die berufsethische Frage können wir nicht lösen.
Nun führt uns die Transplantationsmedizin in ein neues Problem, nämlich daß der Prozeß des Sterbens in einer Weise verlängert wird, wie das niemand von uns früher geglaubt hätte. Herr Kollege Wodarg hat am Anfang der Debatte das Wort Hirntod hinterfragt. Dieser Begriff Hirntod hat eine Berechtigung als etwas anderes als Tod nur dann, wenn man zu dem Begriff Hirntod auch die Worte „organlebender Körper" hinzufügt. Man muß das auch aussprechen. Zum Hirntod gehört der organlebende Körper, ein Körper, der - wie hier wiederholt dargestellt wurde - physiologische und vegetative Reaktionen hat und der eben deswegen für die Transplantationsmedizin so wichtig und bedeutsam ist, weil seine Organe nicht abgestorben sind.
Die einzige Entscheidung, die wir gesetzgeberisch treffen können, ist, ob wir die Entscheidung darüber, was mit dem Körper in diesem Prozeß des Sterbens wird, ob er den normalen Weg des Todes geht oder nicht, zu irgendeinem Zeitpunkt irgendeinem anderen, einem Dritten, übertragen können. Die Übertragung auf einen Dritten bedeutet gleichzeitig, daß wir diesen Körper zu einem verfügbaren Gegenstand machen, dessen weiteres Schicksal nicht mehr im Willen des Sterbenden selbst, sondern in der Entscheidung eines anderen liegt, mag er verwandt sein oder nicht und aus welchen Motiven auch immer er entscheidet.
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Das ist der Punkt. Herr Schily hat mit Recht gesagt: habeas corpus. Wann endet die Würde des Menschen, die untrennbar mit dieser Entscheidung verbunden ist? Ich glaube, daß sie nicht mit dem Bewußtsein endet, daß sie nicht mit der Tätigkeit des Gehirns endet, sondern daß der Mensch sich nicht nur in seinem Bewußtsein verwirklicht, sondern auch in der körperlichen Erscheinung, in seinem Körper.
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Darum gehört es unentziehbar zur Menschenwürde, daß die Entscheidung über die Dauer, die Art des Sterbens ungeachtet aller pragmatischen und sonstigen praktischen Überlegungen bei dem einzelnen Menschen bleibt. Von ihm muß die Entscheidung getroffen werden.
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Wer die Ausdehnung der Transplantationsmedizin will - vieles spricht dafür -, der muß dafür werben. Er darf nicht in der Überzeugung resignieren, daß es möglich wäre, mehr Menschen als bisher von der Not ihrer Mitmenschen anrühren zu lassen, sie zum Nachdenken zu bewegen. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, daß, wie es der Antrag zur Änderung von § 2 vorsieht, jeder Mensch mit dieser Frage konfrontiert wird, daß er ihr nicht leichtherzig ausweichen kann. Das ist unsere gesetzgeberische und moralische Pflicht. Das ist auch unsere gesetzgeberische Möglichkeit. Aber all das, was wir darüber hinaus täten, indem wir den Willen des Menschen fingierten, würde einen Verstoß gegen Grundlagen unseres kulturellen Bewußtseins bedeuten.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Debatte ist zu Recht angesprochen worden, daß es für Angehörige von frisch Verstorbenen nicht einfach ist, die Entscheidung zu treffen, zu einer Organspende ja zu sagen. Ein Kollege hat darauf hingewiesen, daß damit für den Angehörigen eine seelische Last verbunden ist. Das habe ich so erlebt. Ich habe aber auch erlebt, daß Angehörige aus dieser Entscheidung heraus eine seelische Kraft entwickelt haben.
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Ich will das an einem Beispiel schildern: Mich hat das Erlebnis einer Frau aus Wuppertal sehr stark bewegt, die mich in der Sprechstunde aufgesucht hat. Sie hat mir von einem sehr ruhigen Gespräch nach dem Suizid ihres Mannes über die Bereitschaft, ein Organ zu spenden, erzählt. Es war keines, von dem sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Sie hat die Entscheidung in Ruhe getroffen und hat ja gesagt. Sie findet noch heute den größten Trost über den Tod ihres Mannes in dem Wissen, daß mit einem seiner Organe einem anderen Menschen Leben geschenkt worden ist, daß er weiterleben kann. - Das ist eines von mehreren Beispielen, die belegen, daß die Entscheidung eines Angehörigen für eine Organspende seelische Kraft entwickeln kann, bei der Sterbebegleitung eine Rolle spielt und auch ein Stück Trost ist. Ich halte es für die wichtigste Aufgabe der heutigen Gesetzgebung, diese Hilfsbereitschaft, die Solidarität und die Nächstenliebe, die über den Tod hinaus möglich ist, zu fördern und zu stärken.
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Wir denken viel und zu Recht über den Tod und seinen Charakter nach. Das ist auch richtig. Daß aber aus dem eigenen Tod ein anderer Mensch Lebenskraft schöpfen kann, ist vielleicht das Schönste, was es zu diesem Thema zu sagen gibt.
Die heutige Gesetzgebung würde ihr Ziel verfehlen, wenn sie nicht Rechtssicherheit und Spendenbereitschaft stärken würde.
Ich habe in den letzten Tagen, Wochen und Monaten unserer ernsthaften Diskussion erlebt, daß Ärzte und Schwestern auf einmal unter einen Rechtfertigungsdruck gerieten, und möchte im Namen auch derer, die dies für richtig halten, den Ärzten und Schwestern für ihre lebenserleichternde und lebensrettende Arbeit im Rahmen der Transplantationsmedizin danken.
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Die Frage, wann der Mensch tot ist, stellt sich durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin in neuer Weise. Das ist die Reihenfolge; ich glaube, darüber sind wir uns in der Diskussion noch einig.
Mit Hilfe der Apparate ist es möglich, einzelne Organe vor dem Absterben zu bewahren, auch wenn das, was den Menschen ausmacht, nämlich die Einheit von Körper und Geist, von Leib und Seele, nicht mehr vorhanden ist. Zu welchem Zeitpunkt der Tod exakt eintritt, wann also die Verbindung von Geist und Körper aufgehoben wird und was dabei genau vorgeht, das wissen wir nicht. Wir wissen aber, daß mit der Diagnose des Hirntodes dieser Zeitpunkt erreicht ist, der Tod also bereits eingetreten ist. Ich halte es für wichtig, daß wir festhalten, daß nicht die Diagnose des Hirntodes den Punkt des Todes markiert, sondern, daß dieser Zeitpunkt schon vor der Diagnose tatsächlich erreicht ist.
Es geht bei dieser Frage nicht nur um medizinische Dinge - Otto Schily hat zu Recht davon gesprochen; ich ziehe daraus allerdings einen anderen Schluß als er -; es geht auch um unser Verständnis vom Menschen. Sie sprachen von den metaphysischen Aspekten. Die christliche Vorstellung von der Person sieht den untrennbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist. Oder anders gesagt, Ihnen antwortend: Das Metaphysische gibt es nicht ohne das Physische, den Geist nicht ohne das Gehirn.
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Die Konzeption von Seehofer wird auch aus rechtlicher Sicht den ethischen Erkenntnissen zu Leben und Tod gerecht; sie bewahrt uns vor Unklarheit auf einem Gebiet, das nach höchster Klarheit verlangt. Sie sichert einen gewissenhaften Umgang mit diesem ernsten Thema; sie schafft Rechtssicherheit, auf die alle Beteiligten, Ärzte, Schwestern, Patienten, Angehörige und der Verstorbene zur Wahrung der Würde seines Todes, einen Anspruch haben.
Bei unserer Entscheidung müssen wir uns klarmachen, daß eine enge Zustimmungslösung die bisherige verantwortliche Praxis massiv einschränken und für viele Menschen, die auf Hilfe dringend angewiesen sind, bedeuten würde, daß sie nicht mehr weiterleben können und nicht mehr weiterleben dürfen. Diesen wichtigen Hinweis kann man nicht mit der Utilitarismus-Keule erschlagen. Vielmehr ist das Ergebnis unserer ethischen Abwägung, daß wir bereit sind, eine solche rechtliche Grundlage zu schaffen, die einerseits sicherstellt, daß der Tod klar und unwiderruflich eingetreten ist, die andererseits aber die Organtransplantation auch tatsächlich möglich macht.
Heute ist viel von den Wartelisten gesprochen worden; auffällig ist, daß die Wartelisten bei Lunge, Leber und Herz recht kurz sind, weil sehr viele Patienten die Wartezeit nicht überleben. Auch das müssen wir uns deutlich machen.
Ich bitte Sie daher dringend, der erweiterten Zustimmungslösung Ihre Zustimmung zu geben.
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Das Wort hat jetzt die Frau Kollegin Dr. Rita Süssmuth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die heute zu treffen ist, ist vielen von uns, auch mir, nicht leichtgefallen. Ich habe in den letzten Wochen oft gedacht: Vielleicht hätten wir es doch bei dem Verhaltenskodex der Transplantationszentren belassen sollen. Aber es gibt Prozesse, hinter die man nicht mehr zurück kann. Dann kann es sich ergeben, daß ein Gesetzgebungsvorgang, der vielleicht weniger vom sachlichen als vielmehr vom politischen .Standpunkt notwendig ist, unwiderruflich ist, und das nicht nur, weil andere Länder ähnliche Gesetze verabschiedet haben. Vielmehr würde sonst die Öffentlichkeit annehmen, wir flüchteten vor der Entscheidung oder sie würde mit ihrer Entscheidung alleingelassen. Deswegen ist dieser Gesetzgebungsvorgang notwendig.
Ein weiterer Punkt. Es ist heute viel von Rechtssicherheit, Transparenz, Klarheit und Eindeutigkeit die Rede gewesen. Vielleicht schaffen wir ja Rechtssicherheit, aber es wäre vermessen, anzunehmen, daß wir das, was so kompliziert ist, eindeutig machen könnten. Wenn die Bürgerinnen und Bürger wissen, wie viele Dinge zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Medizinisch-Wissenschaftlichen und dem Metaphysischen unentschieden bleiben, dann erst wird klar, welch einen kleinen Bereich wir regeln und wie groß der Bereich ist, der offen bleibt. Das ist für den Gläubigen wie für den Nichtgläubigen so. Wo beginnt Leben? Wo endet es? Die Fragen über Anfang und Ende sind gleich kompliziert und konflikthaft. Ich bin davon überzeugt: Auch mit der Rechtssicherheit, die wir heute geben, vermeiden wir nicht die konflikthaften Entscheidungen im ganz konkreten Fall.
Wenn wir dem Rechnung tragen, dann frage ich mich, warum wir so sehr über die Unterscheidung streiten: Wir dürfen nicht mehr vom Sterben reden, wenn der Mensch tot ist. Für mich ist das eine die Konvention von Wissenschaftlern über den Hirntod, den Gesamthirntod und den Tod des Menschen. Das andere ist der Sterbeprozeß.
Ich denke, daß wir, wenn wir über Entnahmekriterien sprechen, wissen, daß es um die Unterbrechung des Sterbeprozesses geht. Alle miteinander - Ärzte, insbesondere die Transplantationschirurgen, Pflegepersonal und Angehörige - sind aufgefordert, zu akzeptieren, daß es um die Würde des Sterbenden geht, daß diese mit dem Gesetz nicht aufgehoben
wird. Wie viele Konflikte sind hier heute morgen angesprochen worden.
Für mich ist ganz wichtig, daß der Gesetzgeber in dem veränderten Gesetzentwurf, den der Minister und andere Unterzeichner vorgelegt haben, auf die Definition des Todes verzichtet. Das ist die Rücknahme von Ansprüchen und von Gewißheiten, die wir nicht haben sollten.
Viele von uns haben das genauso erlebt. Wir müssen dem Tatbestand Rechnung tragen, daß hier nach dem Stand auch sich verändernder wissenschaftlicher Erkenntnis entschieden und gehandelt wird und daß in diesem Bereich eher Vorsicht geboten ist. Das schließt aber nicht aus, daß diejenigen, die entnehmen, Gewißheit brauchen. Davon sind wir angesichts der Diskussion über Teilhirntod und Gesamthirntod abgerückt. Das ist aber ein ganz wichtiger Punkt bei den Entnahmekriterien.
Denjenigen, die meinen „Es ist Leben und nicht Sterben", möchte ich sagen - Professor Scholz und andere haben es bereits angesprochen -: Es ist der Moment des Todes verbunden mit einem irreversiblen Sterbeprozeß. Wenn wir das gemeinsam festhalten, wissen wir um das Prozeßhafte.
Zu den Äußerungen menschlichen Lebens während dieses Prozesses möchte ich sagen: Ich maße mir nicht an, sie zu bewerten. Sie sind für mich menschlich. In diesem komplexen Sinne gelten sie auch. Es darf kein Gezanke um eine Floskel oder um ein „Ich weiß es nicht" geben. Vielleicht ist es auch gut, in dem einen oder anderen Fall dieses Nichtwissen zum Ausdruck zu bringen.
Bei dem Konflikt „Was tut sich noch zwischen Sterben und" - ich sage - „Weiterleben?" sollten wir uns nicht anmaßen, im Sinne der logischen Schlußfolgerung zu argumentieren: Tatbestände gleich Tatbestände gleich Definition gleich Tod.
Ich möchte noch ein Zweites ansprechen; das ist die Frage der Zustimmungslösung. Es spricht viel für eine enge Zustimmungslösung. Wir haben eine große Pflicht, die Menschen mit einer massiven Informations-, Aufklärungs- und auch Beratungswerbung anzusprechen. Was ist der Vorteil, daß wir nun ein Gesetz bekommen? Der Vorteil ist, daß das Thema an die Öffentlichkeit gekommen ist, ein tabuisiertes Thema. Es ist derzeit in mehr Familien Thema, als es das je gewesen ist - mit Zustimmung und Ablehnung. Beides haben wir zu respektieren.
Ich habe zu dem Gesichtspunkt „Es kann nur das einzelne Subjekt entscheiden" eine andere Frage zu stellen: das Subjekt der Entscheidung und der intersubjektive Vorgang. Sind wir als Menschen nicht in einer Weise verbunden, daß wir bei den Kindern den intersubjektiven Vorgang nehmen und ihn bei den Erwachsenen außen vor lassen?
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Deswegen muß ich an dieser Stelle sagen: Vorsicht, wenn wir von mutmaßlichem Willen sprechen. Das Wort ist ein bißchen mißverständlich, es geht nicht um Mutmaßung, um das, was hätte sein können, sondern um wirkliche Abklärung. Es kann nicht sein, daß jemand, der nie mit einem anderen Menschen darüber gesprochen hat und ihn nicht kennt, erklärt, er verweigert oder bejaht. Er fällt aus. Das gehört zur Ernstnahme des Willens des anderen.
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Ich komme zu dem Ergebnis, daß das Intersubjektive unter Menschen seine Berechtigung und Geltung hat. Oftmals erleben wir, daß das Intersubjektive, auch das aus dem Leben oft zu stark Verdrängte, gerade in Konfliktsituationen wichtig ist.
Meine letzte Bemerkung. Ich wünsche mir, daß auch die Experten oft anders redeten, als sie reden, und Menschen mehr Vertrauen als Mißtrauen geben. Es gibt immer wieder Stimmen, die mich eher abrükken lassen, weil sie zuwenig deutlich machen: Es geht hier um rettende Lebenshilfe. Das ist sicherlich ein Akt der Menschenliebe, der Nächstenliebe. Dazu kann niemand gezwungen werden.
Es ist aber so, daß mancher, der vorher nein gesagt hat, in der Situation des Freundes, des Partners, des Kindes, des Angehörigen oder des Menschen, von dessen Leid er erfährt, eine ganz andere Entscheidung trifft.
Ich glaube, daß unsere heutige Debatte dazu beitragen kann. Niemand hat einen Anspruch, und niemand darf daraus ein Gewerbe machen. Es gibt oft auch Ärzte, ob das nun bei der Abtreibung oder der Transplantation ist, die nicht gewissenhaft mit ihrem Beruf umgehen. Aber das darf nicht dazu führen, daß alle die als gewissenlos bezeichnet werden, die sich gewissenhaft verhalten.
Deswegen ist es ganz entscheidend, daß. dieses Gesetz zu mehr Verantwortung, Bewußtseinsbildung, aber auch zu den Möglichkeiten der Lebensrettung beiträgt, die wir haben. Wenn wir uns alle im Rahmen unserer Möglichkeiten engagieren und aufklärend, werbend und abwägend unter die Menschen treten, könnten wir viel bewirken, aber nicht den Konflikt nehmen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Kollege Büttner das Wort.
Herr Kollege Hintze hat in seinem Beitrag mit Blick auf die christliche Anschauung gesagt: Körper und Geist sind eine Einheit, und wenn das Gehirn abgeschaltet ist oder nicht mehr funktioniert, dann ist die Trennung vollzogen, dann ist der Mensch tot.
Ich sage Ihnen als Christ: Ich setze Gehirn nicht gleich mit Geist.
({0})
Hans Büttner ({1})
Ich meine, wir sollten als Gesetzgeber nicht den Versuch unternehmen, qua Gesetz für das, was in den Glaubensbereich über die menschliche Existenz gehört und über das in einer freien Gesellschaft jeder einzeln für sich Entscheidungen treffen und treffen können muß, bestimmte Auffassungen, Ideen, Haltungen oder Glauben vorzuschreiben.
Möchten Sie antworten, Herr Hintze?
Der Gesetzgeber tut das, was Sie befürchten oder abwehren wollen, mit dem Gesetzentwurf nicht. Ich habe in meinem Beitrag auch nicht Gehirn mit Geist gleichgesetzt, sondern ich habe gesagt, daß Geist ohne Gehirn nicht denkbar ist.
Ich bin auf die Unterscheidung zwischen Metaphysik und Physik gekommen. Wir brauchen eben auch für die unstofflichen Vorgänge im Körper stoffliche.
Gerade kam noch ein anderer Zwischenruf, der sich auf die Seele bezog. Das wäre ein dritter Sachverhalt. Dem belebten Körper, also dem, der durch meine stoffliche Körperlichkeit mein geistiges Dasein ermöglicht - dazu brauche ich das Gehirn -, kann ich als Christ, als Person eine Seele zusprechen. Dazu können Sie sagen: „Ich glaube daran" oder „Ich glaube nicht daran". Das regelt hier nicht der Gesetzgeber. Das ist ein anderer Sachverhalt.
Aber für mich ist die Einheit von Körper und Geist, die das Menschsein, das Personsein ausmacht, mit dem Tod des Hirns beendet. Damit ist der Mensch nach meinem Verständnis gestorben.
({0})
Frau Kollegin Nickels, wollen Sie eine Kurzintervention machen?
({0})
- Nein, darauf direkt reagieren dürfen Sie nicht.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Gerald Häfner das Wort.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute hier über weit mehr als über die Voraussetzungen und Regelungen zur Organtransplantation. Das ist der Grund, warum diese Debatte sehr wichtig ist. Ich meine, wir stehen mit ihr am Scheideweg in der Gestaltung unserer Rechtsordnung und damit auch unseres Selbstverständnisses als Menschen wie auch als Gesellschaft.
Wir entscheiden hier auch über das Menschenbild unseres Staates und unserer Verfassung. Wir entscheiden über unser Verhältnis zum Tod und damit auch zum Leben und zum Menschen. Wir entscheiden auch über die Frage - das möchte ich nicht ganz in Vergessenheit geraten lassen -, wie weit ein Gesetzgeber gehen darf, vielleicht auch gehen muß, und wo er seine Kompetenzen in fataler Hybris überschreitet.
Unverständlicherweise sind wir in diese Situation ohne Not getrieben worden. Ein verständiger Beobachter kann darüber eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Denn in den Fragen, die hier heute wirklich entschieden werden müssen, besteht in diesem Haus doch ein ganz erstaunlicher Konsens, und zwar sowohl was die Organspenden Lebender wie auch was die Organspende Sterbender betrifft. In der entscheidenden Frage, daß bei der letztgenannten Form der Spende der vollständige Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen zwingende Voraussetzung für eine Explantation von Organen ist, gibt es doch überhaupt keinen Dissens.
({0})
So weit, so gut. Wenn wir uns also darauf beschränken würden, was der Gesetzgeber tun darf und tun muß, könnten wir heute abend nach Hause gehen und sagen: Der Deutsche Bundestag hat in großer Einmütigkeit ein wichtiges Gesetz beschlossen. Damit würde endlich die ganze Unklarheit, die in diesem schwerwiegenden Bereich noch immer besteht, beseitigt.
Aber - und jetzt kommt das, worüber ich mich sehr ärgere - einige wollen eben sehr viel mehr. Sie wollen nicht nur das, was rechtlich unumstritten und zu regeln notwendig ist, sondern sie wollen, daß ein Gesetz etwas behauptet, was jeder Lebenserfahrung und der Auffassung vieler Wissenschaftler widerspricht, nämlich daß der vollständige Ausfall meßbarer Hirnfunktionen gleichzeitig der absolute und endgültige Tod des Menschen sei. So behaupten Sie das implizit in ihrem Gesetzentwurf.
({1})
- Ich sagte „implizit". Ich kann es Ihnen vorlesen, wenn Sie wollen.
Eine solche Festlegung widerspricht natürlich nicht nur der Lebenserfahrung, der ganz banalen Erfahrung, wonach ein Toter starr ist, er kalt ist, keine Reflexe mehr hat usw., wohingegen für einen sogenannten Hirntoten gerade das Gegenteil gilt: Er ist warm, weich, er ist belebt, das Herz schlägt, die Reflexe funktionieren; viele Kollegen haben das hier schon dargestellt -, sie widerspricht auch meinem ganz persönlichen Bild vom Menschen. Darauf will ich gleich noch zurückkommen.
Zunächst müssen wir feststellen: Unsere Verfassung läßt nicht zu, daß das Leben als Schutzgut gemäß Art. 2 des Grundgesetzes nach rein materiell- quantitativen Gesichtspunkten, also nach Nützlichkeitserwägungen, bestimmt werden kann.
Herr Kollege Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rüttgers?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gern.
Bitte.
Kollege Häfner, ich melde mich deshalb zu Wort, weil ich finde, daß es dieser Debatte nicht gut tut und daß es nicht nur nicht fair ist, sondern uns wirklich auf eine schiefe Bahn führt, wenn Sie unwidersprochen die Behauptung aufstellen, daß der Entwurf, den ich unterstütze, den Hirntod mit dem Tod gleichsetzt. Dies ist gerade nicht der Fall. Das wird auch durch Wiederholungen nicht besser.
Wir haben Wochen darum gerungen, Formulierungen zu finden, die sicherstellen, daß es keine Definition von Tod und schon gar keine Gleichstellung von Tod und Hirntod gibt. Es ist nur festgelegt worden - darüber kann man sicherlich diskutieren; das tun wir den ganzen Vormittag -, ob der Tod Voraussetzung dafür ist, und zwar der Tod, der nicht durch den Gesetzgeber, sondern nach den Regeln der medizinischen Kunst festgelegt wird.
Wir haben ein Zweites getan. Wir haben gesagt: Das darf sowohl im Verfahren als auch vom Inhalt her nicht unter bestimmte Kriterien abrutschen. Dies heißt aber für jeden Juristen - das kann man, auch wenn man nicht Jura studiert hat, wirklich dem Text entnehmen -, daß die Behauptung, hier sei der Hirntod als Tod definiert, falsch ist. Ich persönlich würde dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, wenn es irgendeinen Zweifel daran gäbe, daß die Position in dem Gesetz nicht so beschrieben wäre.
Herr Rüttgers, abgesehen davon, daß Sie eigentlich keine Frage gestellt haben: Was Sie sagen, ist zum Teil richtig. Sie haben auf die lange Zeit vorgesehene Definition am Ende verzichtet. Aber in der Rechtswirkung ist es exakt das gleiche.
({0})
- Aber selbstverständlich. Das ergibt sich zwingend aus dem Verhältnis Ihres Absatzes 1 zu Absatz 2.
Ich möchte hier sehr deutlich aussprechen: Der Mensch ist weitaus mehr als die Summe seiner Organe. Er ist auch sehr viel mehr als das, als wir mit naturwissenschaftlichen Methoden zählen, messen und wiegen können. Er ist ein sinnlich-übersinnliches Wesen.
Geburt und Tod sind Übergänge. Der Mensch - jedenfalls nach meiner Überzeugung - kommt mit der Geburt in diese physische Welt und geht mit dem Tod aus ihr heraus. Was in diesem Übergang stattfindet, das wissen wir nur sehr anfänglich, in weiten
Teilen wissen wir es überhaupt nicht. Und vor allem: Hierüber gibt es sehr verschiedene Auffassungen.
Aber eines wissen wir mit Sicherheit: Der Mensch läßt sich nicht auf sein Gehirn und dessen Funktionen reduzieren. Was für ein armseliges und jämmerliches Menschenbild ist es, das den Menschen auf die Funktionen seines Gehirns reduziert?
Wie gehen Sie eigentlich mit den konkreten Erlebnissen um, die man mit sogenannten Hirntoten machen kann, wie mit der „Hirntoten", die als Mutter ein Kind austrägt? Ist sie etwa kein Mensch mehr? Was sagen Sie zu den vielfältigen Erfahrungen der Menschen, die Sterbebegleitung vorgenommen und Totenwache gehalten haben und die dabei den Tod gerade nicht erlebt haben, wie das bei einem Radiogerät oder einer Maschine wäre, wenn der Schalter von „on" auf „off" geschaltet wird, sondern die ihn als einen allmählichen Übergang beschreiben, in dem sich die Wesenheit des Menschen nur allmählich verabschiedet und aus dem Körper zurückzieht?
Ich will Ihnen überhaupt nicht zumuten, daß Sie meinen Überzeugungen in diesem Bereich folgen; das kann ich nicht erwarten; umgekehrt ist das ja ebenso nicht der Fall. Ich will nur, daß Sie respektieren, daß ich über den Tod so denke - übrigens auch über die Geburt.
Und deshalb bin ich der ganz festen Überzeugung, daß in einem pluralistischen Gemeinwesen, in einer offenen, demokratisch verfaßten Gesellschaft der Gesetzgeber an einer Stelle, bei der ganz unterschiedliche Auffassungen unter den Menschen nebeneinander bestehen und die gleichzeitig von so zentraler Bedeutung ist wie dieser Bereich des Überganges vom Leben zum Tod, keinesfalls mehr tun darf, als er muß und kann. Der Gesetzgeber darf an dieser Stelle gar nicht ein bestimmtes Menschenbild und damit ein bestimmtes Todesverständnis vorschreiben und zum Gesetz erheben.
Ich möchte deshalb ganz dringend dafür werben, daß wir an dieser Stelle offenbleiben für die verschiedenen Auffassungen, die es hierüber unter den Menschen gibt. Wir sollten offen sein dafür - hier könnten wir uns eigentlich wieder treffen, tun es leider aber nicht -, daß der Mensch letzten Endes nur selbst entscheiden kann, was mit ihm in dieser Phase geschieht; das ergibt sich für mich ganz zwingend aus diesen Vorüberlegungen.
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Bei den Umfragen, die hierzu gemacht worden sind, haben sich übrigens viele weder so noch so entschieden; auch davor habe ich sehr großen Respekt. Ich finde, man sollte die Menschen bei Fragen, die sie für sich selber noch nicht geklärt haben, nicht zu Entscheidungen zwingen. Dieses Klären ist manchmal nicht leicht.
Aber diejenigen, die sich entschieden haben, haben sich mit ganz großer Mehrheit für die sogenannte enge Zustimmungslösung ausgesprochen. Das hängt, glaube ich, damit zusammen, daß das Mißbehagen, die Angst, die sehr verbreitet ist, nur
dann verschwinden wird, wenn die Menschen die Gewißheit haben, daß im Falle ihres Sterbens mit ihnen nichts geschieht, was sie nicht zu Lebzeiten gewollt und befürwortet haben.
Deswegen werbe ich so dringend für die enge Zustimmungslösung, die, um der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen - jedenfalls nach meinem Vorschlag -, auch zuläßt, daß Dritte, enge Angehörige oder Lebenspartner,
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dann, wenn eine sichere Willenserklärung abgegeben worden ist, sie aber nicht schriftlich beigebracht werden kann, diese als Boten überbringen.
Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß im Sterbeprozeß der vollständige Ausfall aller Hirnfunktionen einen „point of no return" darstellt. Das heißt, daß von diesem Moment an das Sterben, der Tod unumkehrbar geworden ist. Aber ich glaube, daß das Sterben an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen ist. Wir sind uns auch einig darüber, daß die Transplantation einen Eingriff in den Sterbevorgang bedeutet. Das ist gerade das Verrückte an dieser Stelle: Die Mediziner brauchen lebende Organe für die Transplantation. Deswegen wird der Sterbeprozeß unterbrochen, wird er aufgehalten, wird er verlängert. Deswegen darf bzw. kann der Mensch noch nicht sterben. Dies ist eine Tatsache. Nun aber gleichzeitig aus rechtlichen Gründen - weil es dann so viel einfacher zu sein scheint - zu behaupten, der im Sterben Befindliche sei schon tot, sei eine Leiche, ist nun wirklich Rabulistik. Das, so finde ich, ist keinem Menschen beizubringen, der einmal diesen Prozeß des Sterbens bei einem anderen Menschen miterlebt hat.
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Deshalb: Ich meine, daß der endgültige Tod eingetreten ist, wenn der Ausfall aller Organfunktionen vorliegt - nicht beim Hirntod. Ich meine aber, daß nach dem Eintreten des Hirntodes explantiert werden darf, wenn der Betroffene zu Lebzeiten zugestimmt hat. Für diese Position möchte ich herzlich werben, auch in der Abstimmung.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bisherige Diskussion um eine ethisch vertretbare Regelung von Organtransplantationen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen zwei verschiedenen Schwerpunktsetzungen: Auf der einen Seite wurde die Chance, dadurch Leben retten zu können, in den Vordergrund gestellt und auf der anderen Seite die Frage nach dem Prozeß, der vom Leben zum Tod führt, und seiner Bedeutung für den Menschen, dem Organe entnommen werden.
Für die Erstgenannten sind die Verbesserung der Akzeptanz der Organtransplantation und die Steigerung des Organaufkommens vorrangig. Für sie ist der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen. Jede Kritik daran und am Hirntodkonzept überhaupt wird mit der Behauptung zurückgewiesen, damit werde die Legitimität der Organtransplantation untergraben.
Meine Damen und Herren, es ist mir sehr wichtig, hier festzustellen, daß man über eine so schwerwiegende Frage im Grenzbereich zwischen Leben und Tod nicht vom gewollten Ergebnis her diskutieren darf. Der Zweck heiligt die Mittel nicht.
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Der sogenannte Hirntod ist eine Übereinkunft über den Zeitpunkt, ab dem ein irreversibler Zustand vorliegt und somit der Behandlungsauftrag erlischt. Er ist zugleich die allgemein anerkannte Voraussetzung für die Zulässigkeit der Organentnahme. Allerdings - auch das will ich hier so deutlich sagen - ist der Begriff irreführend, da das Erfülltsein der Kriterien keineswegs den Tod des gesamten Gehirns nachzuweisen imstande ist.
({1})
Auch nach der Hirntodfeststellung finden noch diverse Stoffwechselprozesse statt, sowohl im Gehirn selbst - sogar hochkomplexe Steuerungsvorgänge sind noch möglich, wie die schwangere, hirntote Frau in Erlangen bewiesen hat - als auch im übrigen Körper. Letztlich könnte eine maschinelle Beatmung ihre Wirkung nicht entfalten, wenn das Gewebe tot wäre.
Für mich ist der sogenannte Hirntod nicht mit dem Tod des gesamten Gehirns gleichzusetzen und schon gar nicht mit dem des Gesamtorganismus. Ein als hirntot eingestufter Mensch befindet sich in einem irreversiblen Prozeß des Sterbens, aber er ist nicht tot. Ich denke, daß man sehr genau unterscheiden muß zwischen der Festlegung eines justitiablen Kriteriums für die Organentnahme und der Versuchung, eine neue Legaldefinition des materiellen Todes, des Gesamttodes, vorzunehmen.
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Ich meine, genau dies dürfen wir hier nicht tun, weil das Gesetz Raum lassen muß für die verschiedenen Auffassungen darüber, was der Tod ist. Der grundgesetzliche Schutz von Menschen zwischen Leben und Tod, das Recht auf Achtung ihrer Würde, muß weiterhin uneingeschränkt garantiert bleiben.
Aus dieser Sicht beantwortet sich meines Erachtens zugleich die Frage, wie die Zustimmung zu regeln ist, ob sie ausschließlich durch die Betroffenen
selbst zu erfolgen hat oder ob ersatzweise den Verwandten bzw. Nahestehenden Entscheidungsbefugnisse zukommen. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, was in sogenannten Hirntoten vorgeht. Wir wissen nicht, was tatsächlich intrapersonal bei einem Menschen, bei dem die Hirntodkriterien erfüllt sind, sowohl vor als auch während der Explantation geschieht, wenn der Sterbeprozeß mit technischen Mitteln aufgehalten wird und dann mit der Organentnahme abrupt beendet wird. Das muß der Öffentlichkeit auch so ehrlich und klar gesagt werden.
Aus meiner Sicht bleibt die Organspende ein mögliches persönliches Risiko - nicht nur auf der metaphysischen Ebene -, das mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht aus der Welt zu schaffen ist. Es gibt Erfahrungen - einige haben in dieser Debatte schon darauf hingewiesen -, für die in den heutigen Schulweisheiten kein Platz ist. Diejenigen, die Sterbende begleitet haben, wissen das.
Die jetzige Gesellschaft hat den Tod weitestgehend tabuisiert und die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens aus dem Leben verdrängt. Sie hat infolgedessen das Gefühl für die Unwägbarkeiten und Unbestimmtheiten der letzten Lebensphase und damit auch den Respekt vor dieser Phase verloren. Solche Ungewißheiten sind nicht einfach mit einem definitorischen Handstreich, mit der Gleichsetzung von Hirntod und Tod aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil: Ich meine, daß die allgemeine Verharmlosung der Umstände und Geschehnisse bei einer Organtransplantation hierzulande sehr viel zu Mißtrauen und mangelnder Spendebereitschaft beigetragen hat.
Deshalb ist für mich die Bereitschaft zur Organspende nur auf der Basis einer persönlich abgegebenen Erklärung akzeptabel. Den Angehörigen oder den Nahestehenden steht die Verfügung über diese Bereitschaft nicht zu. Sie ist ihnen in einer solch schmerzlichen Situation auch nicht abzuverlangen. Die Berichte mehren sich: Viele haben erst im nachhinein von den Unwägbarkeiten erfahren und machen sich lebenslang schwerste Vorwürfe, einen ihnen nahestehenden Menschen einer solchen Prozedur überlassen zu haben, ohne zu wissen, ob sie in seinem Willen gehandelt haben.
In der Konsequenz des Gesagten werden einige meiner Kolleginnen und Kollegen und ich selbst nur einer engen Zustimmungsregelung ihre Stimme geben.
Danke.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Erika Schuchardt.
Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Nach der jahrelangen Diskussion haben sich die unterschiedlichen Positionen bedauerlicherweise nicht in einer Konsenslösung, sondern in zwei unterschiedlichen
Gesetzentwürfen und zahlreichen Änderungsanträgen niedergeschlagen, um die wir heute ringen.
Maßgeblichen Einfluß auf unsere heutige Entscheidung dürften neben den Stellungnahmen der Ärzte auch die der Kirchen haben. Ich möchte mich in erster Linie der Haltung der Kirchen zuwenden, zu denen ich als langjährige EKD-Synodale besonderen Zugang zu haben glaube und mit denen ich daher in engerem Kontakt stehe. Dies ist vor allem deshalb nötig, weil es sowohl im Vorfeld als auch während unserer Debatte manchmal zu unzutreffenden oder zumindest mißverständlichen Aussagen gekommen ist, die in der Öffentlichkeit zu Verunsicherung und Beunruhigung geführt haben.
Die beiden bisher vorliegenden offiziellen Stellungnahmen der Kirchen - die Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland „Gott ist ein Freund des Lebens" von 1989 sowie die Gemeinsame Erklärung der Bischofskonferenz von 1990 - haben noch eine Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen angenommen. Seither gab es etliche zusätzliche Äußerungen. So hat der Ratsvorsitzende, Bischof Engelhardt, 1994 vor der EKD-Synode zwar erklärt, die neuerliche Diskussion um den Hirntod habe eine Gleichsetzung mit dem Tod des Menschen wieder in Frage gestellt, wenngleich der Hirntod ein entscheidender Einschnitt im Sterbegeschehen sei. Doch ist der Rat der EKD von seiner Grundsatzerklärung von 1989 keineswegs abgerückt. Bischof Engelhardt hat mir persönlich vor wenigen Tagen auf meine Anfrage noch einmal versichert, daß die Evangelische Kirche in Deutschland an ihrer Kernaussage festhalte, die lautet:
Nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers..., das er aber aus Liebe zum Nächsten einsetzen darf.
Auch Äußerungen des Bevollmächtigten der EKD in Bonn, des Bischofs Löwe, die Herr von Klaeden mehrfach zitiert hat, haben in letzter Zeit zu gewissen Irritationen geführt. Hierzu hat mir, ebenfalls in der vorigen Woche, der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD in Hannover versichert, daß verschiedentlich geäußerte abweichende Meinungen von Einzelpersonen oder einzelnen Landeskirchen wie Berlin-Brandenburg oder Westfalen nichts daran änderten, daß die offiziellen Erklärungen von 1989 und 1990 noch immer die Äußerungen der für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland zuständigen Organe seien
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und als solche in ihrer Substanz unverändert als gültig betrachtet würden.
Auch für die katholische Seite gibt es einzelne Abweichungen, etwa die Äußerungen des Kardinals Meisner. Aber auch dort ist die offiziell zuständige Bischofskonferenz mit kaum einem Wort von ihrer früheren Erklärung abgerückt. Das bedeutet, daß alle Versuche, die Kirchen in unserer Diskussion auseinanderzudividieren, untauglich sind. Die offiziellen Vertretungen beider Kirchen stehen auch heute zu ihrer Auffassung, daß sie sich mit aller Deutlichkeit
der Aussage verweigern, ein Hirntoter sei ein Sterbender - das heißt also auch, ein noch Lebender -, und haben sich unmißverständlich dafür ausgesprochen, daß die Entnahme von Organen bei Hirntoten somit ethisch und rechtlich von einer Tötungsmaßnahme zu unterscheiden ist.
Daß auch die Vertreter der Gegenposition dies erkannt haben, zeigt deren jüngste Presseerklärung vom 20. Juni, in der nicht mehr von der abweichenden Meinung der Kirchen, sondern nur noch von - ich zitiere - „führenden Kirchenvertretern wie Meisner und Löwe" gesprochen wird.
Den von den Kirchen ausdrücklich gewünschten weiteren Diskussionen zur Frage des Hirntods trägt der neue Änderungsantrag von Seehofer Rechnung. Darin wird weiterhin die Feststellung des Todes gefordert. Aber er definiert den Tod selber nicht, sondern überläßt diese Frage in § 3 den dafür ausgewiesenen Fachleuten. Eine Kompetenzüberschreitung des Gesetzgebers ist damit ausgeschlossen.
Mit dem Seehofer-Antrag stimmt ebenfalls die kirchliche Haltung zur Frage der Zustimmung überein. Die Kirchen haben ohne Wenn und Aber die erweiterte Zustimmung favorisiert. Ergebnis ist also, daß man mit der Zustimmung der verantwortlichen Organe der Kirchen im Rücken den Seehofer-Antrag unterstützen kann, wofür auch ich nachdrücklich eintrete.
An dieser Stelle möchte ich - im Widerspruch zu den Ausführungen von Herrn Häfner - darauf hinweisen, daß dem Bundestag 4000 Unterschriften für eine erweiterte Zustimmungslösung vorliegen. Ich habe sie hier in den Händen und kann sie Ihnen zeigen. Des weiteren ist auf Initiative der Spitzensportler - unter anderem von Steffi Graf - eine Organtransplantationsinitiative begründet worden, die, angeregt durch den Chef von Opel, der sein Leben einer Organspende verdankt, der erweiterten Zustimmungsregelung das Wort redet.
Im Hinblick auf die Einholung der Zustimmung der Angehörigen liegt mir allerdings ein Punkt am Herzen, der in den Briefen erwähnt wird und auf den ich eingehen möchte. Eine Mutter fand ihr schwerverunglücktes Kind in der Intensivstation wieder. Es lag ruhig und gesund aussehend im Krankenbett. Schockartig traf die Mutter nach Tagen intensivsten Ringens um das Leben des Kindes die Frage des Arztes, ob sie einer Hirntoduntersuchung zustimmen würde, da man ihrem Kind nicht mehr helfen könne, möglicherweise aber einem anderen. Wegen allergrößter Zweifel an der Richtigkeit dieser Diagnose bat die Mutter schließlich darum, bei dieser Untersuchung anwesend sein zu dürfen. Der Arzt hatte dafür Verständnis. Nun konnte und mußte die Mutter selbst erkennen, daß ihr scheinbar so rosig schlafendes Kind - ich zitiere - „absolut reaktionsunfähig, ja leblos war". Daraufhin fand sie gemeinsam mit ihrer Familie den Mut, einer Organweitergabe zuzustimmen. Aus der Rückschau schreibt sie - ich zitiere -: „... gerade dies in aller scheinbaren Sinnlosigkeit dankbar als Sinn zu erleben".
Meine Bitte an die künftigen Transplantationsärzte lautet daher: Prüfen Sie bitte in jedem Einzelfall
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
- ich bin fertig -, ob Sie den Angehörigen ihre ungeheuer schwierige Entscheidung dadurch erleichtern können, daß Sie ihnen die Anwesenheit bei der Untersuchung gestatten. Das wäre einer von sicherlich vielen lebensnotwendigen Wegen, die Angehörigen in ihrer denkbar schwierigen Situation zu begleiten und Jonas' Verantwortungsethik - Verantwortung für andere übernehmen - praktisch zu leben.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heute anstehende abschließende Beratung eines Gesetzes zur Regelung der Transplantation schließt eine Gesetzeslücke und beendet vorläufig einen breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozeß, der mit der heutigen Abstimmung jedoch nicht endgültig abgeschlossen ist.
Viele Abgeordnete im Hohen Hause sind sich der Notwendigkeit der Gesetzesberatung bewußt und fühlen sich gleichzeitig in ihrem Entscheidungsprozeß überfordert. Der für uns oftmals übliche Mechanismus, ein politisches Problem durch Hinzuziehung von Sachverständigen zu lösen, scheint nicht mehr zu funktionieren. Das zur Abstimmung anstehende Gesetz zur Transplantation konfrontiert uns unmittelbar mit ethischen Fragen, die nicht durch naturwissenschaftliches Fachwissen gelöst werden können. Wir befinden uns in einer für unsere Epoche typischen Situation, in der der wissenschaftlich-technische Fortschritt Möglichkeiten eröffnet, denen wir scheinbar nicht mehr gewachsen sind. Die sich daraus ergebenden Risiken und Gefahren werden nicht mehr ausreichend breit diskutiert.
Im Transplantationsgesetz geht es um das Wertvollste, was der Mensch besitzt: um sein Leben, welches Sterben und Tod einschließt. Im Bewußtsein dessen, daß wir uns als Gesetzgeber mit ethischen Fragen auseinandersetzen, die durch kein Gesetz geklärt werden können, heißt das, daß wir in der Frage der Transplantation trotzdem abschließend darüber beraten müssen, nach welchen Regeln sie in der Zukunft in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen wird.
Widerspruchslösung, Informationslösung, erweiterte und enge Zustimmungslösung werden international diskutiert und praktiziert. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis einer langen Diskussion und beinhaltet viele Punkte, die einen breiten Konsens dokumentieren. Die heutige Auseinandersetzung dreht sich letztendlich um die Frage
der Definition des Sterbeprozesses und um die Frage, wer eine Entscheidung darüber treffen kann, ob eine Organentnahme stattfindet. Meiner Meinung nach sind sowohl die erweiterte als auch die enge Zustimmungslösung mit dem Grundgesetz vereinbar und moralisch nicht verwerflich. Beide unterstützen das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht.
Ich entscheide mich für die enge Zustimmungslösung, und zwar aus verschiedenen Gründen, von denen ich einige anführen möchte. Es ist auffällig, daß die Einflußmöglichkeit des Staates in der von mir erwähnten Reihenfolge der zur Entscheidung, ob eine Organentnahme stattfindet oder nicht, Berechtigten abnimmt und die freie, bewußte Entscheidung des Individuums immer größeres Gewicht bekommt. Am stärksten zeigt sich das bei der engen Zustimmungslösung.
Gleichzeitig bin ich gegen jegliche Überlegung - wie sie in der Diskussion laut wurde -, wonach sich jeder Bürger zu einem bestimmten Zeitpunkt mit der Transplantationsfrage auseinandersetzen muß, indem er per Gesetz verpflichtet wird, sich zu entscheiden. Denn schon die Frage, ob ich mich mit diesem Problem auseinandersetzen möchte oder nicht, muß eine freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger bleiben.
({0})
Jede von uns heute verabschiedete Lösung wird eine Möglichkeit des Mißbrauchs beinhalten. Man kann das nicht per Gesetz vollständig vermeiden. Es geht aber darum, diese Mißbrauchsmöglichkeiten gering zu halten. Die abnehmende Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung zeugt davon, daß das Mißtrauen gegenüber dem Gesundheitswesen relativ tief verwurzelt ist - nachvollziehbar in einer Gesellschaft, in der Gesundheit immer mehr zur Ware degradiert wird.
Ich halte die enge Zustimmungslösung unter dem moralischen Aspekt für die adäquateste und gleichzeitig für die demokratischste, wenn auch schwierigste. Wenn man sich gesellschaftlich darüber geeinigt hat, die Transplantationsmedizin zu wollen, und potentielle Spenderinnen und Spender braucht, ist die persönliche, freiwillige Zustimmung genau dieser potentiellen Spender einzuholen. Dieser Weg ist natürlich ungleich schwieriger als der Weg der erweiterten Zustimmungslösung, die in einer emotional äußerst schwierigen Situation des Verlustes und des Schmerzes eine Entscheidung von den nächsten Verwandten verlangt, die damit oft überfordert sind und sich in einer Drucksituation befinden.
Eine wirklich freiwillige und selbstbestimmte Entscheidung setzt Aufklärung und Beratung voraus und erleichtert gleichzeitig die Situation für die Menschen, die dringend auf eine Spende warten: Sie wissen, daß sie eine mögliche Spende in Übereinstimmung mit dem Willen des Sterbenden erhalten.
Jegliche Begründung vom Bedarf her halte ich moralisch für unzumutbar. Ich denke, wir müssen uns auch darüber verständigen, daß prinzipiell nicht alles das, was machbar ist, getan werden sollte.
Die breite Diskussion, die wir jetzt geführt haben, sollte damit enden, daß sich die Mehrheit des Hauses für eine enge Zustimmungslösung entscheidet, und gewährleisten, daß tatsächlich die Akzeptanz dieser Prozesse in der Gesellschaft steigt.
Zur Frage des irreversiblen Hirnversagens glaube ich, daß wir als Gesetzgeber uns nicht die Definitionsgewalt über den Prozeß des Sterbens anmaßen sollten. Wir sollten nur in dem Sinne über diese Frage diskutieren, daß ein formales juristisches Entnahmekriterium festgelegt wird. Ansonsten würden wir unsere Kompetenzen überschreiten.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Hinrich Knaape.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesetze, die ärztliches Handeln aus medizinischem Fortschritt regeln sollen, müssen sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Medizin als Entscheidungsgrundlage stützen.
({0})
Auf keinen Fall dürfen sie durch geisteswissenschaftliche Interpretationen, religiöse Auffassungen oder subjektives Erleben verfälscht werden.
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Ich möchte mich auf das Hirntodkonzept beschränken, da hier einige Auffassungen geäußert wurden, die der Realität widersprechen.
Das Hirntodkonzept war eine Notwendigkeit, die aus der medizinischen Wissenschaft heraus geboren wurde. Als es möglich wurde, Menschen, die bei einem Unfall zu Tode gekommen waren, wiederzubeleben auf Grund der modernen Beatmungstechnik, auf Grund der Weiterentwicklung der Intubation und auf Grund der Verfügbarkeit moderner technischer Geräte -, konnte das Herz wieder zum Schlagen gebracht werden, obgleich schwerste Schädel-/Hirnverletzungen eingetreten waren. Diese Personen sind tagelang - am Anfang wochenlang - beatmet worden. Das Ergebnis war: Wenn man die Maschinen abgestellt hat, war bei der Sektion das Gehirn verflüssigt, die Nekrose des Gehirns eingetreten. Das war der Grundgedanke des Hirntodkonzepts.
Wenn der Hirntod festgestellt wird, dann ist nach medizinischem Wissen - das ist in der deutschen Ärzteschaft nicht bestritten; das hat der 100. Deutsche Ärztetag noch einmal bekräftigt; dahinter stehen alle wissenschaftlichen Fachorganisationen der deutschen Ärzteschaft - der Tod des Menschen erfolgt, dann ist das, was seine Individualität, was seine psychische Eigenart, was seine Persönlichkeit ausmacht, das, war wir als Mensch an ihm erleben konnten, schon von uns gegangen, dann ist diese Persönlichkeit bereits verschieden.
Es ist möglich, das, was als Leiche übrigbleibt, mit moderner Technik intensiv zu pflegen und dadurch für einen beschränkten Zeitraum, also nicht für die
Unendlichkeit, die Organe zu erhalten, um sie, wie es heute durch den Fortschritt der Medizin möglich ist, anderen Menschen einzupflanzen, zu implantieren. Das ist eine Weiterentwicklung der modernen Medizin. Alles andere, was von den Gegnern des Hirntodkonzeptes vertreten wird, hieße, die Medizin auf den Kopf zu stellen und wieder zu dem zurückzugehen, was im Mittelalter vertreten wurde, als die Medizin noch der Meinung war, daß im Herzen die Seele oder der Geist des Menschen ihren Sitz hätte. Das wäre nicht moderne Medizin, sondern Rückschritt.
Des weiteren sind hier Befindlichkeiten geschildert worden, die jeder Mensch hat, der das Sterben eines Menschen erlebt. Ich kenne selbst Ärzte, die unter Extrembedingungen, weil sie tagelang bei einem Sterbenden waren, eine andere Auffassung haben. Das ist möglich; das zeichnet uns Menschen aus. Aber Emotionen und das Erleben des Sterbeprozesses müssen von dem getrennt werden, was neurophysiologisch und pathophysiologisch abläuft. Das sind unterschiedliche Betrachtungsweisen, die man scharf voneinander trennen muß.
({2})
Kollege Wodarg, Frau Knoche und andere haben hier praktisch ein Mißtrauen gegen die deutsche Ärzteschaft zum Ausdruck gebracht. Sie haben unter den Patienten bzw. unter denjenigen Angst geschürt, die sich in ein Krankenhaus begeben. Falsche Beispiele sind angeführt worden. Die Knochenmarkspende ist eine Lebendspende. Hinsichtlich des Erlanger Babys weiß niemand, wann bei der Mutter der Hirntod festgestellt worden ist und wann sie tot war, weil niemand von uns die Krankengeschichte kennt und wir sie also nicht interpretieren können.
Emotionen sind angesprochen worden. Sendungsbewußtes Auftreten ist hier demonstriert worden. Praktisch wird eine neue Heilslehre zelebriert, die wider die naturwissenschaftliche Erkenntnis ist. Dieser kann aber nicht widersprochen werden. Wir müssen die naturwissenschaftlichen Realitäten anerkennen und sollten das Wissen der deutschen Ärzteschaft achten und respektieren.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat der Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser großes Problem heute ist, daß wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin die Struktur und den Inhalt unserer Moral beeinflussen und in Frage stellen. Vor allem ist unser Problem, daß wir sowohl hinsichtlich der Frage des Beginns als auch hinsichtlich der Frage des Endes menschlichen Lebens durch die Entwicklung der Medizin zu einer bewußten moralischen Entscheidung gezwungen werden, die sich bisher jahrtausendelang als kulturelle historische Erfahrung entwickelt hat, ohne daß wir sie durch rechtliche Entscheidungen normiert haben.
Das gilt für den Beginn des menschlichen Lebens im Zusammenhang mit Empfängnisverhütung und Embryonenschutz, und als Folge der Intensivmedizin stellt sich dieses Problem jetzt auch für die Definition des Endes menschlichen Lebens. Der Philosoph Kurt Bayertz hat es einmal so formuliert:
Je weiter unser medizinisches Know-how reicht, desto stärker tritt das Sterben an die Stelle des Todes.
Ich komme nach langem Nachdenken zu der Entscheidung, daß die Hirntoddefinition schärfer und tiefergehend als der lange akzeptierte Begriff des klinischen Todes ist. Der Hirntod ist die entscheidende Zäsur im Sterbeprozeß, die es auch rechtfertigt, lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden. Der Hirntod ist unaufhaltsam und unumkehrbar.
Meine Damen und Herren, wir treffen damit aber eine Definition, die mit der Lebenserfahrung der Menschen im Umgang mit sterbenden Menschen nicht übereinstimmt; denn wir sehen dem Hirntoten nicht an, daß er tot ist. Er unterscheidet sich in der Wahrnehmung der Angehörigen nicht von einem noch lebenden Menschen. Mit diesem ethischen und moralischen Dilemma umzugehen ist unsere große Schwierigkeit.
Deshalb hat der Gruppenantrag einen guten Weg gefunden, indem er die kontextbezogene Mindestanforderung stellt, daß bei einer Organentnahme wenigstens die Voraussetzungen des Hirntodes festgestellt sein müssen, ohne daß damit eine abschließende gesamtgesellschaftliche, in allen Lebenslagen gültige Entscheidung über das Ende menschlichen Lebens getroffen wird.
Meine Damen und Herren, es geht dann natürlich auch um die Frage, wie eine Zustimmungslösung - ich bin für eine erweiterte Zustimmungslösung - ausgestaltet werden soll. Heute schon können nächste Angehörige bei schwerwiegenden Entscheidungen über die Grenzen und die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen mitentscheiden; sie werden vom Arzt einbezogen. Ich lasse diese Einbeziehung eines engsten Angehörigen auch für eine Situation gelten, in der es keine schriftlich abgegebene oder einem nächsten Angehörigen bekannte Erklärung des Betroffenen oder der Betroffenen über die Bereitschaft zu einer Organspende gibt.
Nur, wenn Zustimmung auf einen nächsten Angehörigen oder eine nächste Angehörige delegierbar wird, dann muß auch ein engster Angehöriger seine Zustimmung erklären. Wenn Zustimmung delegiert wird, muß er am Schluß von Beratung und Gespräch eine abschließende Erklärung abgeben? Das kann ein Widerruf sein; es kann aber kein Schweigen sein. Denn wir dürfen nicht vergessen, die Entnahme von Organen greift tief in den Prozeß des Erlöschens eines Menschenleben ein. Wir schulden auch dem Hirntoten Achtung und Schutz. Wenn wir schon einem engsten Angehörigen eine eigenständige Entscheidungsmöglichkeit einräumen, muß er am
Schluß des Prozesses eine Aussage treffen; er kann diesen Prozeß nicht durch Schweigen beenden.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Konrad Kunick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Schwierige an dieser Debatte ist, daß die Frage des Todes die Menschen derart berührt, daß sie sie in bezug auf sich selbst viel zu häufig wegschieben. Wir werden aber nur dann genügend Transplantationsorgane bekommen, wenn sich die Menschen darüber klarwerden, daß sie im weiteren Lebensverlauf sowohl Spender als auch Empfänger von Organen werden könnten, und wenn wir sie persönlich mit dieser Frage konfrontieren. Es glaube doch niemand, daß der Ersatz dieser höchst persönlichen Frage durch Entscheidungen von Angehörigen den Mangel an Organen beseitigen würde. Wenn sich diese Gesellschaft nicht positiv mit der Transplantation beschäftigt und sie akzeptiert, wird es beim Organmangel bleiben.
({0})
An diejenigen, die noch das christliche Denken gelernt haben: Es gibt in unserer Kultur und Gesellschaft seit zwei Jahrtausenden den Grundsatz: Es gibt nichts Höheres, als sein Leben hinzugeben für seine Freunde. Das bedeutet aber nicht, daß man erst tot ist und dann aus der Risikolosigkeit des Totseins sein Leben für die Freunde hingibt, sondern es bedeutet, sich selber dafür aufzuopfern, daß andere weiterleben, daß vielleicht das eigene Herz einem anderen noch zu zwei Jahrzehnten Leben verhilft. Diesen Gedanken muß man ein Stück weiterbringen, wenn man mehr Transplantationsspender finden will.
Man kann doch wohl nicht sagen, daß in dieser Gesellschaft bisher alles getan worden sei, um die freiwillige Spende zu fördern. Bis jetzt kommen mir Teile der Debatte so vor, als ob der preußische Obrigkeitsstaat dafür sorgen wollte, daß seine Landeskinder zu gutem Zweck verwertbar seien. Das ist in einer parlamentarischen Demokratie kein Zustand. Ich halte es jedenfalls für unmöglich, den Schutz des Grundgesetzes für das Leben - einschließlich des Sterbeprozesses - zu verkürzen und den Menschen vorzeitig zur Sache zu machen, deren man sich dann leichter bedienen kann.
({1})
Der Schutz des Grundgesetzes geht weiter und geht bis zum totalen Erlöschen des Lebens. Da ist nur die Konstruktion hilfreich, die besagt: Der Mensch darf sein Leben für seine Freunde opfern. Er darf darüber entscheiden, daß er sich in der letzten Phase seines Lebens für andere hingeben will.
Ich glaube, alles andere ist zu kurz geschlossen. Wir können den Menschen nicht vorzeitig zur Sache machen, um bequemer an seine Organe heranzukommen. Dieser Weg würde auch nicht dazu führen, daß der Mangel an Transplantaten beendet würde. Nur neues Vertrauen kann der Transplantationsmedizin weiterhelfen. Bisher ist ihr schwer geschadet worden, und zwar durch die Debatten, die von Medizinern in dieser Gesellschaft angefangen wurden und die zu schwerer Verunsicherung geführt haben.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was wir mit dem Organtransplantationsgesetz erreichen wollen, nämlich daß mit Organen, die transplantiert werden, todkranken Menschen geholfen werden kann. Sie gewinnen einen sonst verlorenen Lebensabschnitt zurück. Organtransplantation ist also eine Entscheidung für das Leben.
In vielen Fällen ist die Organspende und die Transplantation die einzige und letzte Möglichkeit, Leben zu erhalten. Organspende von einem Toten zur Erhaltung eines Menschenlebens ist also ein Akt der Nächstenliebe.
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Meine Damen und Herren, deshalb ist es notwendig, daß alle, die an einer Organtransplantation beteiligt sind, Klarheit über den Nachweis des Todes erhalten: die Angehörigen, denen die Totensorge obliegt, die Ärzte, das pflegende Personal sowie die Transplantationszentren. Denn der Nachweis des Todes ist entscheidend für die Zielrichtung der ärztlichen und pflegenden Tätigkeit: Vor dem Tod hat alle ärztliche und pflegerische Tätigkeit danach zu streben, dem Kranken zu helfen und sein Leiden zu lindern. Wenn nach dem nachgewiesenen Tod medizinisches Personal an dem Verstorbenen tätig wird, dann zu anderem, zu fremdem Nutzen. Nach dem Tod und keinesfalls davor ist die fremdnützige Tätigkeit, die Einwilligung vorausgesetzt, zulässig.
Für alle Beteiligten ist es deshalb von entscheidender Wichtigkeit, über drei Fragen zum Todesnachweis Klarheit zu erhalten: Erstens. Welches ist der Zeitpunkt, von dem an der Gesetzgeber den Tod als nachgewiesen erachtet? Zweitens. Steht die gesetzliche Festlegung des Nachweises im Einklang mit dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft? Drittens. Ist sichergestellt, daß die medizinische Wissenschaft die Anforderungen an den Todesnachweis nicht zum Schaden der Sterbenden und zu fremdem Nutzen willkürlich aufweichen kann? Eine Todeserklärung - lassen Sie mich dies auch deutlich sagen - von Teilhirntoten wie zum Beispiel Anenzephalen darf es nicht geben!
Diese Fragen werden im Antrag von Dreßler/Seehofer klar beantwortet. Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag befinden wir uns in Übereinstimmung mit anderen rechtsstaatlich-demokratischen Ländern der Welt und mit der Verfassung, was uns in den Anhörungen von namhaften Rechtsgelehrten bestätigt wurde.
Unser Regelungsvorschlag entspricht außerdem der bisherigen bewährten Praxis und ermöglicht weiterhin für viele schwerkranke Menschen Hilfe und Heilung durch eine Organspende. Dies möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen. Darum ist es von entscheidender Wichtigkeit, der Transplantationsmedizin eine sichere Vertrauensgrundlage zu schaffen.
Deshalb möchte ich mich auch noch mit der Position, die den Ganzhirntod als formales Organentnahmekriterium, nicht aber als Kriterium für den eingetretenen Tod eines Menschen sieht, auseinandersetzen.
Die Bundesärztekammer hat in den Anhörungen deutlich gemacht, daß sie, sollte dieser Vorschlag die Mehrheit finden, die Organentnahme künftig ablehnt. Ich zitiere:
Eine Entnahme lebenswichtiger Organe kann und darf nur nach sicherer Todesfeststellung des betroffenen Menschen durchgeführt werden.
Der Antrag von Wolfgang Wodarg und anderen - es ist mir wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen - erklärt die Explantation lebenswichtiger Organe an einem noch Lebenden, also eine Tötung zu fremdem Nutzen, für zulässig. Ich will daran erinnern, was Professor Schreiber dazu in der Anhörung ausgeführt hat:
Mit der Erlaubnis, Organexplantation bei noch lebenden Hirntoten vorzunehmen, wie es der eine Entwurf
- nämlich Ihrer vorsieht, werden zwei Stufen oder zwei Arten von Leben eingeführt. Dieses Leben der Hirntoten wäre ein Leben minderer Stufe, das wäre ein Leben minderer Qualität, das jedenfalls genommen werden kann, wenn der Betroffene eingewilligt hat. Ich würde das für falsch und gefährlich halten.
So die Aussage von Professor Schreiber in unserer Anhörung.
Meine Damen und Herren, damit wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet.
({1})
Das muß jeder wissen, der nachher für diesen Antrag stimmt.
Herr Kollege Kirschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wodarg?
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Kirschner, können Sie zugestehen, daß wir in unserem Antrag eben nicht sagen, daß hier Organe von Lebenden entnommen werden, sondern daß wir die Handlung des Arztes, der das Sterben des Patienten dadurch beendet, daß er das Beatmungsgerät ausschaltet, gleichsetzen mit der Handlung des Arztes, der dem Willen des Patienten entspricht, sein Sterben nicht auf diese Weise zu beenden, sondern durch eine Explantation lebender Organe, die in anderen Menschen weiterleben sollen? Das ist die Alternative, die zu wählen wir Sie bitten.
Danke.
Lieber Wolfgang Wodarg, in Ihrem Antrag heißt es in der Begründung, „daß das unwiederbringliche Versagen des Organs Gehirn, der sogenannte Hirntod, einen Übergangszustand im Sterbeprozeß darstellt". Dann heißt es weiter: Dies ist der Punkt,
von dem an das Sterben des betroffenen Menschen nicht mehr umzukehren ist. Der Sterbeprozeß selbst aber ist dem Leben zuzurechnen.
Das heißt doch: Wenn nach Ihrer Auffassung Hirntote noch leben, dann müssen wir sie so behandeln wie andere Lebende auch. Wir dürfen keinen Einbruch in den Schutz des Lebens zulassen.
({0})
Das würde einen Paradigmenwechsel einleiten. Ich weise nur darauf hin, was im Ausschuß dazu gesagt worden ist. Diese Meinung teile ich. Ich nehme sie sehr ernst. Deshalb kann ich vor einem solchen Paradigmenwechsel nur warnen.
({1})
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Wodarg?
Bitte schön.
Herr Kollege Kirschner, weshalb ist es kein Tötungsdelikt, wenn der Arzt in den Sterbeprozeß eingreift und den Beatmungsapparat durch aktives Handeln abschaltet, so daß der Patient dann erstickt und stirbt? Weshalb ist es ein Tötungsdelikt, wenn er auf die andere Weise das Sterben des Patienten beendet? Worin sehen Sie denn den Unterschied im ärztlichen Handeln?
Lieber Kollege Wodarg, es geht doch hier darum, daß der Gesetzgeber feststellt, daß das, was seit 20 Jahren Praxis ist und was von der Bundesärztekammer als Ganzhirntod festgelegt worden ist, als der Tod des Menschen festzustellen ist. In Ihrem Antrag wird davon gesprochen, daß dies ein Sterbeprozeß ist, der dem Leben zuzuordnen ist. Dies ist - darauf weise ich nochmals mit aller DeutKlaus Kirschner
lichkeit hin - ein Paradigmenwechsel in unserer bisherigen Rechtsauffassung. Das ist der Punkt.
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Einen weiteren Punkt möchte ich deutlich machen. Noch gravierender ist Ihre Konstruktion bei Organspenden von Kindern. Sie schlagen nämlich folgende Regelung vor:
Hat der Organspender das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, obliegt die Einwilligung den Personensorgeberechtigten, sofern der mögliche Organspender nicht widersprochen hat.
Ich weise nur darauf hin: Damit wird den Eltern eine Tötungsanordnung des nach Ihrer Prämisse - ich betone, in Ihrem Antrag steht: „Der Sterbeprozeß selbst aber ist dem Leben zuzuordnen" - noch lebenden Kindes zugemutet. Wenn Sie die Hirntodkonzeption ablehnen, dann können und dürfen Sie nicht das elterliche Sorgerecht zu dem Recht pervertieren, über Leben und Tod des Kindes zu entscheiden.
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Ich kann selbstverständlich eine andere Todesauffassung akzeptieren, und ich kann sie nachvollziehen. Ich mache sie mir aber nicht zu eigen. Ich warne vor diesem Weg. Auch das muß man mit aller Deutlichkeit sagen.
Herr Kollege, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von Frau Däubler-Gmelin.
Nein, ich möchte jetzt zum Schluß kommen.
Ich will noch einmal auf das hinweisen, was auch Professor Dr. Heun in der Sachverständigenanhörung sagte: „Wenn man annimmt, die Kinder leben noch, dann wird man den Eltern hier kein Verfügungsrecht zubilligen können."
Ich sage noch einmal: Ich akzeptiere, daß Sie die Sorge treibt, daß das Leben verfügbar gemacht wird. Aber indem Sie diese Sorge treibt, sind Sie gerade dabei, das Gegenteil zu erreichen. Alle Medizinprofessoren und die Bundesärztekammer haben in den Anhörungen des Gesundheitsausschusses die Argumente, die gegen das Hirntodkriterium angeführt wurden, aus meiner Sicht einleuchtend entkräften können.
Ich will noch einmal aus der Stellungnahme der Bundesärztekammer zitieren:
Der endgültige Ausfall der Hirnfunktion als sicheres Todeszeichen ist biologisch begründet und sowohl in der internationalen medizinischen Literatur anerkannt als auch in Deutschland in Stellungnahmen der vier mit dieser Thematik befaßten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften bestätigt worden.
Alle hochentwickelten rechtsstaatlich-demokratischen Länder und auch die Kirchen gehen im übrigen - auch das möchte ich betonen - vom Ganzhirntod als Tod des Menschen aus. Ich kann respektieren, wenn Sie diese Darlegungen nicht teilen. Aber ich bitte Sie, bei Ihrer Entscheidung zu berücksichtigen: Wenn Sie der Auffassung sind, daß ein ganzhirntoter Mensch noch lebt, dann müssen Sie sich auch zu der einzig möglichen Konsequenz bekennen: Sie müssen beantragen, daß die Explantation nach dem Ganzhirntod verboten wird.
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Deshalb bitte ich all diejenigen Abgeordneten, die sich noch nicht entschieden haben und sich erst unter Abwägung der Argumente dieser Debatte entscheiden wollen, dem Antrag von Dreßler und anderen zuzustimmen.
Ich bedanke mich.
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Zu einer Kurzintervention die Kollegin Herta Däubler-Gmelin.
Herr Kollege Kirschner, ich hätte ja gerne eine Frage gestellt, aber ich glaube, es geht auch als Kurzintervention.
Die Debatte hat lange gedauert, und wir haben uns gegenseitig sehr gut zugehört. Wir haben ganz unterschiedliche Standpunkte. Aber wir sollten am Ende der Debatte nicht damit beginnen, Folgerungen zu ziehen, die die Ausführungen und die Intentionen der jeweils anderen Seite unberücksichtigt lassen. Deswegen möchte ich von dem, was Sie gesagt haben, zwei Dinge zurechtrücken.
Wir gehen - ich glaube, mit guten Gründen - davon aus, daß in der Sterbephase Organe entnommen werden müssen, schlagende Herzen, lebende Organe. Wir gehen davon aus, daß die Umdefinition des Todes auf den Zeitpunkt des Beginns des Sterbens, signalisiert durch den Ausfall aller Hirnfunktionen, vielleicht manche Ängste bei Ärzten mildern mag, aber das Problem nicht bewältigt.
Außerdem können wir keinen Zweifel daran lassen, daß Eltern für ihre kleinen Kinder handeln müssen. Wir wissen alle genau: Unsere Kinder sind Grundrechtsträger. Aber es ist nun lange Zeit unbestritten - ich dachte eigentlich, das sei auch zwischen den Vertretern der im übrigen umstrittenen Meinungen völlig unstreitig -, daß dann, wenn Kinder klein sind und diese Grundrechte nicht selbst ausüben können, ihre Eltern das nicht nur tun dürfen, sondern tun müssen. Das ist bei zweijährigen, bei dreijährigen, wahrscheinlich auch bei zehnjährigen und möglicherweise auch noch bei zwölfjährigen Kindern der Fall. Bei 14jährigen und 16jährigen ist es schon anders. In diesem Alter können und müssen auch Kinder selbst entscheiden. Die Juristen bezeichnen das als die Theorie der wachsenden GrundrechtsmünDr. Herta Däubler-Gmelin
digkeit unserer Kinder. Wir sollten das nicht in Zweifel ziehen.
Danke schön.
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Wir sind damit am Schluß der Debatte.
Zu den nun folgenden Abstimmungen liegen von den Abgeordneten Freimut Duve, Norbert Geis, Roland Kohn, Wolfgang Lohmann und Manfred Opel Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Gibt es weitere Erklärungen zur Abstimmung? ({0})
- Gut. Ich bitte, alle Erklärungen zu Protokoll geben zu dürfen.*)
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen zum Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen auf Drucksache 13/4355.
Ich rufe zunächst § 3 auf, die Frage der Feststellung des Todes. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, und zwar ein Änderungsantrag der Initiativgruppe der Abgeordneten von Klaeden, Wodarg, Knoche, Schmidt-Jortzig und anderen auf Drucksache 13/8025 sowie ein Änderungsantrag der Initiativgruppe der Abgeordneten Seehofer, Lohmann ({1}), Dreßler, Thomae und anderen auf Drucksache 13/8027. Es ist eine namentliche Abstimmung vorgesehen.
Für die Abstimmung benötigen Sie den Stimmzettel mit der Überschrift „Stimmzettel zu § 3". Die Stimmzettel wurden bereits verteilt. Sollten Sie noch keinen erhalten haben, können Sie sich jetzt noch einen von den Plenarassistenten geben lassen.
Bitte tragen Sie gut lesbar Ihren Namen einschließlich eines eventuellen Ortszusatzes sowie Ihre Fraktion bzw. Gruppe ein. Wichtig ist: Sie haben nur eine Stimme. Wenn Sie einem der beiden Anträge zustimmen wollen, machen Sie in der entsprechenden Zeile ein Kreuz. Wenn Sie keinem der beiden Anträge zustimmen oder sich der Stimme enthalten wollen, machen Sie ein Kreuz in dem entsprechenden Kreis. Sie haben aber insgesamt nur eine Stimme.
Angenommen ist ein Vorschlag, wenn er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, also die einfache Mehrheit, erhält. Er muß also mehr Stimmen als der andere Vorschlag zuzüglich eventueller Neinstimmen bekommen.
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, gar kein Kreuz oder keinen lesbaren Namen aufweisen, müssen als ungültig gezählt werden.
*) Anlage 2
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe damit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
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Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Bevor ich Ihnen das Ergebnis der Abstimmung mitteile, möchte ich alle Kolleginnen und Kollegen bitten, entgegen einer Durchsage, die es gegeben hat, bis zur Schlußabstimmung über das Transplantationsgesetz hierzubleiben, nicht nur bis zur letzten namentlichen Abstimmung. Da wir freie Abstimmung haben, brauchen wir alle bis zur Schlußabstimmung.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Änderungsanträge zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Transplantationsgesetzes bekannt. Abgegebene Stimmen: 635; ungültige Stimmen: 4; gültige Stimmen damit: 631. Mit Nein hat ein Abgeordneter gestimmt, mit Enthaltung haben vier gestimmt. Für die Drucksache 13/8025 - Änderungsantrag der Abgeordneten von Klaeden, Wodarg, Knoche, SchmidtJortzig und anderer - sind 202 Stimmen abgegeben worden, für die Drucksache 13/8027 - Änderungsantrag der Abgeordneten Seehofer, Lohmann, Dreßler, Thomae und anderer - 424.*) Damit hat die zweite Drucksache die Mehrheit des Hauses gefunden.
Die Initiativgruppen haben um kurzfristige Sitzungsunterbrechung gebeten, um das weitere Vorgehen untereinander zu beraten. Ich denke, wir sollten dem nachkommen.
Ich unterbreche die Sitzung jetzt für etwa eine Viertelstunde.
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Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen jetzt zu § 4. Dazu liegen bisher fünf Änderungsanträge vor. Es ist vereinbart, daß die verschiedenen Vorschläge nochmals kurz erläutert werden. Deshalb hat zunächst der Kollege Wodarg das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle Ihnen jetzt unseren Antrag
*) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Seite 16479 ({0})
zu § 4 vor, der die enge Zustimmungslösung fordert. Wir wollen, daß nur derjenige Organe spendet, der vorher informiert wurde und der zu einem Zeitpunkt, an dem er noch klar und wach ist, selbst zugestimmt und es schriftlich bekundet hat.
Das hat folgenden Grund: Wenn wir uns die Situation am Krankenbett vorstellen und uns vor Augen führen, wie der zuständige Arzt die juristisch ausformulierten Möglichkeiten der Zustimmung, die ja in den anderen Anträgen ausgedrückt sind, in Realität umsetzen muß, dann zeigt sich, daß es für diesen sehr schwierig wird. Denn er ist derjenige, der sich bei den Angehörigen um die Zustimmung kümmern muß. Er muß entscheiden, ob es sich um einen mutmaßlichen, einen wirklichen Willen handelt oder ob der Wille sonstwie erklärt worden ist. Das ist im Bürgerlichen Gesetzbuch näher erläutert, und diese Entscheidung ist für Juristen schon schwierig genug. Ein Arzt auf der Intensivstation ist dabei mit Sicherheit überfordert.
Wir wollen hier Klarheit schaffen und setzen darauf, daß eine ausreichende Zahl an Organspendeausweisen, an schriftlichen Erklärungen zur Organspende dadurch erreicht wird, daß wir erheblich mehr für die Organspende werben. Allein die Aktion, die im vergangenen Winter gelaufen ist - mit all den Macken, die sie hatte; diese haben wir im Ausschuß kritisiert -, hat dazu geführt, daß das Aufkommen an Spenderherzen im ersten Quartal des Jahres 1997 um 33 Prozent höher lag als im Vorjahr. Wer also behauptet, man könne durch Werbeaktionen nicht erreichen, daß genügend Organe gespendet würden, der täuscht sich offenbar. Wir könnten viel mehr werben.
Auf der Vertrauensbasis, die dadurch geschaffen wird, daß nur der Betreffende selbst durch seine persönliche Erklärung entscheiden kann, ob Organe entnommen werden oder nicht, können wir auch nach dem eben festgestellten Abstimmungsergebnis dafür sorgen, daß es hier eine klare Lösung gibt. Ich bitte Sie, Ihre Stimme für die schriftliche Zustimmung abzugeben.
Danke.
Ich möchte zwischendurch darauf hinweisen, daß die Stimmzettel noch nicht ausgefüllt werden sollten; denn es steht zu vermuten, daß Änderungsanträge zurückgezogen werden. Dann wäre möglicherweise schon ein Kreuz auf dem Zettel, das dann Folgen hätte. Füllen Sie die Zettel bitte noch nicht aus.
Jetzt hat der Kollege Seehofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Vorschlag sieht - so, wie es seit 25 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird - bei der Frage, wer einer Organentnahme zuzustimmen hat und zu befragen ist, eine Dreistufigkeit vor. Mit erster Priorität kommt es auf die schriftliche Einwilligung oder den schriftlichen Widerspruch des Verstorbenen zu Lebzeiten an. Liegt eine solche Erklärung nicht vor, sind dessen nächste Angehörige zu befragen, ob ihnen eine Erklärung des Verstorbenen bekannt ist. Ist eine solche Erklärung nicht bekannt - das ist der dritte Schritt -, haben die Angehörigen selbst zu entscheiden und sich dabei nach dem mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu richten. Besteht bei den Angehörigen Uneinigkeit, kann nicht explantiert werden. Dies ist die Folge der gerade getroffenen Entscheidung, die es dann, wenn man vom Tod des Menschen ausgeht, verfassungsrechtlich und ethisch auch ermöglicht, Angehörige in die Entscheidung einzubinden.
Nun haben wir gerade mit den Initiativgruppen von Klaeden und Catenhusen gesprochen; sie werden anschließend noch etwas dazu sagen. Als Ergebnis dieses Gesprächs und der vielen Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, die mich zu diesem Punkt heute noch einmal angesprochen haben, möchte ich Ihnen eine Änderung zu der Drucksache 13/8027, und zwar zu § 4 - das ist Seite 3 des Antrages - vorschlagen, die es unter Umständen ermöglicht, die Zahl der Änderungsanträge zu verringern.
§ 4 Abs. 1 letzter Satz des Änderungsantrages auf Drucksache 13/8027 lautet:
Will der Angehörige sich eine Bedenkzeit für seine endgültige Zustimmung vorbehalten, kann er mit dem Arzt vereinbaren, daß die Zustimmung erteilt ist, wenn er innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist sich nicht erneut erklärt hat.
Diesbezüglich gibt es das Bedenken, daß sich dies in der Praxis zu einem Einverständnis durch Stillschweigen entwickeln könnte. Dieses Bedenken sehe ich so nicht. Aber wenn durch eine Änderung der Formulierung Klarheit für die Zukunft geschaffen werden kann, sollten wir das tun. Deshalb schlage ich in Abstimmung mit den Hauptunterzeichnern dieses Antrages und der beiden Initiativanträge vor, daß dieser Satz durch folgenden kurzen Satz ersetzt wird:
Der Angehörige kann mit dem Arzt vereinbaren, daß er seine Erklärung innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist widerrufen kann.
Damit ist das Anliegen, um das es bei diesem Satz geht, nämlich dem Angehörigen in dieser Grenzsituation eine Bedenkzeit einzuräumen, erfüllt. Mit Ablaufen der Bedenkzeit gilt die Zustimmung nur dann automatisch als erteilt, wenn er die Zustimmung nicht aktiv widerruft. Das schafft mehr Rechtssicherheit.
Ich lese noch einmal den Satz vor, der an die Stelle des § 4 Abs. 1 letzter Satz tritt:
Der Angehörige kann mit dem Arzt vereinbaren, daß er seine Erklärung innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist widerrufen kann.
Soweit der Änderungsvorschlag. Vorbehaltlich der Wortmeldungen derer, die ebenfalls Änderungsanträge zu § 4 gestellt haben, besteht die Chance, daß sich die Zahl der Änderungsanträge reduziert.
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Das Wort hat jetzt der Kollege von Klaeden.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von mir unterstützte Antrag zu § 4 sah vor, daß die Abstimmung zu § 3 zugunsten unseres Antrags ausgeht. Er steht also in einem logischen Zusammenhang zu dem in der Abstimmung unterlegenen Antrag zu § 3. Deshalb werden wir den Antrag zu § 4 zurückziehen.
Ich persönlich werde für den Antrag von Herrn Seehofer, Herrn Dreßler und anderen in der jetzt geänderten Fassung stimmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von mir mit initiierte Antrag bleibt bestehen, weil er eine ganz bewußte und eigenständige Position verfolgt. Gerade jetzt, nachdem feststeht, daß der rechtliche Schlußstrich beim Sterbeprozeß beim Hirntod gezogen wird und somit der Schutz des erlöschenden Lebens früher aufhört, ist es um so wichtiger, daß der Wille des einzelnen maßgeblich bleibt, um diese Unsicherheit zu beseitigen.
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An diesem Punkt - obwohl ich mir jede Ironie versagen will - kann ich sagen, daß unsere Position wesentlich einfacher und pragmatischer ist als das, was ich vom Antrag von Herrn Seehofer und anderen mitbekommen habe. Es kommt eben auf den Willen des betroffenen potentiellen Spenders an.
Unser Vorschlag ist nicht so eng wie das, was der Kollege Wodarg und die ihm folgenden Kollegen festlegen wollen. Wir wollen gelten lassen, daß ein solcher Wille auch dann maßgeblich ist, wenn er nicht - was natürlich das beste wäre - in dem Spenderpaß schriftlich und unmißverständlich erklärt wird. Man kann nämlich auch einen Zeugen bzw. - wie es einfach und verkürzt heißt - einen Boten hören, der dann etwa sagt: Ich weiß es genau, der Spender hat es mir gestern noch gesagt. Das würde dann auch genügen. Es kommt aber immer darauf an, daß es der Wille des Betroffenen ist. Das ist das wichtigste an der ganzen Sache.
Ich möchte noch etwas zu Frau Kollegin Süssmuth sagen. Natürlich muß die Spendemöglichkeit auch in der Kinderorgantransplantation gegeben sein. Ich halte es für ganz wichtig, zu sagen, daß die Eltern den Willen des Kindes vertreten. Es kommt also auch in diesem Fall auf den Willen des spendenden Kindes an. Das ist der grundlegende Unterschied. Wir sind pragmatischer als Wolfgang Wodarg mit seinen Vorschlägen, halten aber an der Grundposition fest.
Vielen Dank.
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Jetzt der Kollege Catenhusen.
Der von mir unterstützte Antrag bewegt sich im Rahmen einer erweiterten Zustimmungslösung. Das heißt: Die Initiatorinnen und Initiatoren gingen und gehen davon aus, daß es ethisch vertretbar ist, die Entscheidung in der schwierigen Situation, wenn wir weder eine schriftliche Entscheidung noch eine sonstige Mitteilung über den mutmaßlichen Willen des Betroffenen haben, von einem Angehörigen treffen zu lassen.
Ziel des Antrages war es von Anfang an, das Bewußtsein dafür wachzuhalten, daß die Entnahme von Organen ein Eingriff ist, der tief in den Prozeß des Erlöschens eines Menschens eingreift. Wir schulden auch bei der Ausgestaltung der Zustimmung den Hirntoten Achtung und Schutz. Deshalb haben wir mit unserem Antrag versucht, sicherzustellen, daß am Schluß des Gespräches, der Kommunikation zwischen Arzt und Angehörigen eine bewußte abschließende Entscheidung des oder der Angehörigen steht.
Der Änderungsvorschlag von Seehofer, Dreßler und anderen hat diese Intention aufgenommen, so daß ich unseren Antrag zurückziehen kann. Ich glaube, diejenigen, die diesen Antrag unterstützt haben oder unterstützen wollten, können mit guten Gründen dem Antrag von Dreßler und Seehofer zu § 4 zustimmen.
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Ich schließe diese kurze Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderungsanträge zu § 4. Die Änderungsanträge sind auf dem Stimmzettel mit der Überschrift „Stimmzettel zu § 4" aufgeführt. Nach den Erklärungen, die wir eben gehört haben, sind auf diesem Stimmzettel die Änderungsanträge mit den laufenden Nummern 3 und 5 zu streichen. Streichen Sie das einfach handschriftlich durch; wir haben jetzt keine Zeit, neue Stimmzettel zu machen.
Ich darf vorsichtshalber fragen, ob jeder der Anwesenden einen Stimmzettel hat; sonst ist jetzt die letzte Gelegenheit, sich einen geben zu lassen. - Das scheint der Fall zu sein.
Wie zuvor müssen Sie leserlich in Blockschrift Ihren Namen mit einem eventuellen Ortszusatz und die Fraktion bzw. Gruppe eintragen.
Für das vereinbarte Abstimmungsverfahren entsprechend § 50 der Geschäftsordnung gilt hier wiederum: Sie haben nur eine Stimme, die Sie einem der Vorschläge geben können. Die Stimmzettel enthalten außerdem je einen Kreis für Nein und für Enthaltung hinsichtlich aller Vorschläge.
Angenommen ist der Vorschlag, der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Das heißt, daß er mehr Stimmen erhalten muß als alle anderen Vorschläge zusammen zuzüglich der Neinstimmen. ErVizepräsident Hans-Ulrich Klose
reicht kein Vorschlag im ersten Abstimmungsgang diese Mehrheit, müssen wir einen Stichentscheid durchführen.
Beachten Sie bitte noch folgendes: Stimmzettel, die mehr als ein Kreuz aufweisen, gar kein Kreuz oder keinen lesbaren Namen enthalten, sind ungültig.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben jetzt alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung.
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Die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu § 4, Abstimmung über Änderungsanträge zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Transplantationsgesetzes, Drucksache 13/4355, bekannt.
Abgegebene Stimmen: 633. Ungültige Stimmen: 2. Gültige Stimmen: 631. Mit Nein hat ein Abgeordneter gestimmt, eine Abgeordnete hat sich enthalten. Auf die laufende Nr. 1- ich nenne hier nur Wodarg - entfielen 134 Stimmen, auf die laufende Nr. 2 - Seehofer - 422 Stimmen und auf die laufende Nr. 4
73 Stimmen.*)
Ein Vorschlag ist angenommen, wenn er mehr Stimmen als alle anderen Vorschläge zusammen zuzüglich der Neinstimmen erhalten hat. Der Vorschlag laufende Nr. 2 - Seehofer und andere - hat im ersten Abstimmungsgang die erforderliche Mehrheit erhalten. Damit erübrigt sich ein Stichentscheid.
Wir müssen jetzt noch über die bisher nicht behandelten Vorschriften des Gesetzentwurfes abstimmen.
Ich rufe § 1 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - § 1 ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe jetzt § 2 in der Ausschußfassung mit den Folgeänderungen, die sich aus dem angenommenen Änderungsantrag zu § 3 und § 4, Drucksache 13/ 8027, ergeben, auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/ 8029 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Schmidt-Jortzig vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
*) Endgültiges Ergebnis und Namenslisten siehe Seite 16491 ({0})
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem § 2 in der Ausschußfassung mit den Folgeänderungen, die sich aus den angenommenen Änderungsanträgen zu den §§ 3 und 4 ergeben - das ist Drucksache 13/8027 -, zustimmen wollen, um das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß § 2 in der Ausschußfassung einschließlich der Folgeänderungen, die sich aus den angenommenen Änderungsanträgen zu den §§ 3 und 4 ergeben, mit Mehrheit angenommen ist.
Ich rufe jetzt auf die §§ 5 bis 24 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung einschließlich der Folgeänderungen, die sich aus den angenommenen Änderungsanträgen zu den §§ 3 und 4 -das ist die Drucksache 13/8027 - ergeben. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Es ist zwischen den Fraktionen vereinbart worden, trotz der in zweiter Beratung angenommenen Änderungen jetzt unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. - Das ist mit der erforderlichen Mehrheit, wie ich unterstelle, so beschlossen worden.
Dann kommen wir jetzt zur
dritten Beratung und Schlußabstimmung.
Es liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung der Kollegin Marieluise Beck und einiger anderer vor. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß das zu Protokoll genommen wird.
Es ist für die dritte Lesung namentliche Abstimmung verlangt worden, in die wir jetzt eintreten. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen zu geben, wenn die Urnen besetzt sind.
Ich gehe davon aus, daß alle Urnen besetzt sind. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Ich gehe davon aus, daß alle abgestimmt haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt.*)
Wir setzen die Sitzung jetzt mit den übrigen Abstimmungen fort. Ich wäre dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden, sonst kann ich die Abstimmungsergebnisse nur sehr schlecht übersehen.
Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe d seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/8017 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit bei vereinzelten Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abge-
*) Endgültiges Ergebnis und Namenslisten siehe Seite 16503 ({1})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
ordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta DäublerGmelin, Horst Schmidbauer ({2}) und weiterer Abgeordneter zu Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen. Das ist die Drucksache 13/8017 Nr. 2.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4114 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirschner, Wolfgang Lohmann ({3}), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zu Spende, Entnahme und Übertragung von Organen. Das ist die Drucksache 13/8017 Nr. 3.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4368 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Eckart von Klaeden, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig sowie weiterer Abgeordneter der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu Eckpunkten für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen. Das ist die Drucksache 13/8017 Nr. 4.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6591 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/8004 Die Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Günter Verheugen auf:
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine vollkommen fertige, detaillierte Raumplanung für ein neues Funkhaus der Deutschen Welle, die vollständig an die Gegebenheiten des Bonner Schürmann-Baus angepaßt ist?
Der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther steht zur Beantwortung der Fragen bereit.
Herr Präsident! Herr Kollege Verheugen, den Planungen für die Unterbringung der Deutschen Welle in den Neubauten an der Kurt-SchumacherStraße in Bonn liegt der vom Bundesinnenministerium unter Beteiligung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau genehmigte Raumbedarfsplan vom 30. September 1994 in der reduzierten Form vom 12. November 1996 zugrunde. In diesem Raumbedarfsplan ist auch der Fernsehbereich Köln enthalten.
Die mit der Erstellung der Vorplanung, zu der insbesondere die Belegungsplanung gehört, beauftragten Architekten Prof. Schürmann und Partner haben in ihren Planungen für die Deutsche Welle diesen genehmigten Raumbedarfsplan zugrunde gelegt. Die an die Gegebenheiten des Bonner Schürmann-Baus angepaßte Vorplanung ist seitens der Architekten weitgehend abgeschlossen und in den Grundzügen mit der Deutschen Welle abgestimmt worden.
Vor dem Hintergrund der in diesem Jahr vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung vorgenommenen Haushaltskürzungen für die TransTel sowie weiterer Kürzungen des Anteils des Auswärtigen Amtes in der Größenordnung von 15 Prozent ist eine Prüfung der Konsequenzen notwendig, die sich aus der Reduzierung der institutionellen und projektbezogenen Förderung für die Deutsche Welle ergeben.
Die Prüfung bezieht auch die Auswirkungen auf den in Köln ansässigen Fernsehbereich und seinen künftigen Standort ein. Die Deutsche Welle hat zugesagt, die Bundesregierung in Kürze über das Ergebnis der Prüfung zur Unterbringung des Fernsehbereiches zu unterrichten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Verheugen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wer die Arbeitsgruppe leitet, die nach Angaben von Bundesminister Töpfer am 12. März 1997 im Deutschen Bundestag für die Einhaltung des genehmigten Kostenansatzes für den Weiterbau sorgen soll? Trifft es zu, daß der Architekt diese Arbeitsgruppe leitet und sich damit selbst kontrolliert?
Die Antwort muß ich Ihnen nachreichen, ich kann die Frage jetzt nicht beantworten.
Das bedaure ich. Ich habe keine weitere Zusatzfrage.
Die Zusatzfrage des Kollegen Reschke.
Herr Staatssekretär, Herr Töpfer hat am 12. März 1997 hier im Hause erklärt: „Das Raumprogramm ist zwischen BMI, BMF und der Deutschen Welle abgeklärt, so daß wir hier keine ausstehenden Entscheidungsnotwendigkeiten haben." Meine Frage lautet daher: Wie darf ich diese Aussage des Bauministers heute vor dem Hintergrund Ihrer Aussage, daß noch gar nichts geklärt ist, verstehen?
Die Klärung ist auf Grund der damaligen Tatsachen erfolgt, Herr Kollege Reschke. Es gibt Kürzungen im Bereich der Deutschen Welle. Die Deutsche Welle wird die Bundesregierung darüber unterrichten, wohin der Fernsehbereich Köln kommt. Auf Grund dieser Angaben ist dann eine weitere Entscheidung notwendig.
Ich rufe jetzt die Frage 7 des Kollegen Verheugen auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß der geplante Bau des Posthochhauses in der Gronau parallel zu der Fertigstellung des Bonner Schürmann-Baus und der Unterbringung der Deutschen Welle durchgeführt werden kann, und wann wird der Architekten-Wettbewerb für den Neubau des Posthochhauses abgeschlossen sein?
Herr Kollege Verheugen, der Neubau des Gebäudes für die Generaldirektion der Deutschen Post AG im Gronaugelände wird von ihr in eigener Zuständigkeit und Verantwortung geplant und durchgeführt. Im abzuschließenden Grundstücksveräußerungsvertrag zwischen dem Bund und der Post AG werden die technischen und funktionalen Abhängigkeiten, die mit der Teilung des Gronaugrundstückes verbunden sind, geregelt. Diese Regelungen ermöglichen die zeitlich und sachlich unabhängige Fertigstellung der Neubauten an der Kurt-SchumacherStraße und des Neubaus der Post AG.
Der Architektenwettbewerb wird von der Deutschen Post AG in eigener Verantwortung und ohne Beteiligung der Bundesregierung durchgeführt. Über den genauen zeitlichen Ablauf ist die Bundesregierung nicht unterrichtet. Der Stand der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Post AG wird durch das Bundesministerium der Finanzen im Rahmen der Antworten auf die Fragen des Kollegen Oesinghaus erläutert werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trotzdem möchte ich fragen, ob es eine Abstimmung in dem architektonischen Erscheinungsbild der beiden Gebäude gibt, ob also nach Ihrer Kenntnis Gespräche zwischen dem Architekten des SchürmannBaus und den Bauherren des Posthochhauses, der Post AG, stattfinden.
In die direkten Beziehungen zwischen der Post AG und dem Architekten des Schürmann-Baus sind wir nicht integriert. Das habe ich in meiner Antwort darzulegen versucht.
Ist meine Schlußfolgerung richtig, daß das bedeutet, daß nicht an einer Bauablaufkoordinierung zwischen Schürmann-Bau und Posthochhaus gearbeitet wird?
Bezüglich der technischen und funktionalen Abhängigkeiten finden Abstimmungen statt. Das betrifft Dinge wie Geh-, Fahr- und Leitungsrechte. Die Bauvorhaben können dann parallel zueinander erfolgen.
Herr Kollege Reschke.
Herr Staatssekretär, ist die Post schon Eigentümer des Grundstücks, und hat der Verkauf an die Post AG schon stattgefunden, damit rechtsverbindliche Verträge, Planungen, aber auch Folgelasten aufgenommen werden können?
Herr Kollege Reschke, ich habe darauf hingewiesen, daß dies im Rahmen der Frage des Kollegen Oesinghaus vom Bundesministerium der Finanzen beantwortet ist, weil das Ganze in dessen Bereich fällt.
Dann rufe ich jetzt die Frage 8 des Kollegen Otto Reschke auf:
Wann wird die vom Bundeskabinett im März 1997 beschlossene Prüfung von Alternativstandorten für die vorübergehende oder endgültige Unterbringung der Deutschen Welle in Berlin oder Leipzig abgeschlossen sein, und wann wird das Bundeskabinett, wie vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Klaus Töpfer, am 23. April 1997 im Deutschen Bundestag angekündigt, über den zukünftigen Standort der Deutschen Welle endgültig entscheiden?
Herr Kollege Reschke, die Bewertung kurzfristig nutzbarer Alternativstandorte für die Deutsche Welle in Leipzig und Berlin kann abgeschlossen werden, sobald Klarheit über die Standortbedingungen in Bonn geschaffen ist. Insbesondere muß zwischen allen Beteiligten der Deutschen Welle Einigkeit darüber bestehen, daß das Kölner Funkhaus bis zur Fertigstellung der Neubauten in Bonn ohne zusätzlichen Sanierungsaufwand nutzbar ist. Heute - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - verhandeln nach unserer Kenntnis die Deutsche Welle und ihr Personalrat über diese Betriebsvereinbarung.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß als möglicher Standort für die Deutsche Welle in Berlin ein früher von Siemens/Nixdorf genutztes Gebäude in der Nähe der bereits bestehenden Berliner Dependance für den Fernsehbereich intensiv geprüft wird, und insbesondere, daß dazu schon ein Angebot für die Herrichtung des Gebäudes in acht bis zwölf Monaten vorliegt, und zwar mit einem Quadratmeterpreis in Berlin am Marktplatz von, wie ich gehört habe, 18 DM, der nach unten verhandelbar ist? Das ist für die Entscheidung doch wichtig, bevor wir in die Sommerpause gehen.
Herr Kollege Reschke, es sind in Berlin und Leipzig natürlich Standorte geprüft worden. Das war ja unsere Aufgabe. Es ist aber nach wie vor der Beschluß vorhanden, die Deutsche Welle in Bonn anzusiedeln. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Prüfung nur abgeschlossen werden, wenn es einen Abschluß der Verhandlungen in Köln gegeben hat.
Noch eine Zusatzfrage?
Ja. - Kann also der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - in diesem Fall Sie als Vertreter - hier und heute eine verbindliche Aussage darüber machen, daß die Deutsche Welle, wie von der Bundesregierung mehrfach zugesagt, am Standort Köln/Bonn bleiben wird? Wird das hier heute wenigstens zugesagt? Auf Grund der Prüfungen, die schon bis März/April abgeschlossen sein sollten, könnte man heute doch eine Aussage vornehmen.
Wenn die Entscheidung zwischen Personalrat und Verwaltung der Deutschen Welle heute fällt, daß der Standort in Köln bis zur Fertigstellung genutzt wird, gibt es keine anderen Entscheidungsgrundlagen als bisher, das heißt Standort in Bonn.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Verheugen?
Ja.
Bitte.
Herr Staatssekretär, worauf stützen Sie eigentlich die Annahme, daß die weitere Nutzung des Funkhauses in Köln auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Leitung der Deutschen Welle und dem Personalrat möglich ist? Ist es nicht vielmehr so, daß eindeutige gesetzliche Regelungen sowohl des Bundes wie auch des Landes Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der weiteren Nutzung dieses Gebäudes bestehen?
Gegenwärtig finden Beratungen statt, die das Ziel haben, auf dieser Grundlage ein Konsensergebnis zu erreichen. Man kann nur von dem Bestreben ausgehen, daß eine Fortführung der Arbeit im Kölner Funkhaus mit dem Einverständnis des Personalrats möglich wird. Es liegen unterschiedliche Aussagen dazu vor. Sie haben recht: Diese Entscheidung sollte abgewartet werden. Dann findet der direkte Vergleich statt.
Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine etwas gewundene Antwort auf die Frage des Kollegen Reschke gegeben. Deshalb möchte ich Sie noch einmal fragen: Soweit es die Bundesregierung selbst angeht, können Sie hier eine klare Zusage machen, daß die Deutsche Welle auch zukünftig ihren Standort im Raum Köln/Bonn haben wird?
Unter den gegebenen Voraussetzungen, wie ich sie in der Beantwortung der Frage dargelegt habe, aus meiner Sicht ja.
({0})
- Es gibt hierzu keinen anderen Beschluß der Bundesregierung, der mir bekannt ist.
({1})
Ich rufe jetzt die Frage 9 des Kollegen Otto Reschke auf:
Ist inzwischen ein Vertrag mit dem Architekten Schürmann für die Weiterbauplanungen der Obergeschosse am Bonner Schürmann-Bau von beiden Seiten rechtsgültig unterschrieben worden, und wenn nein, warum nicht?
Kollege Reschke, der Bund und das Architekturbüro Schürmann & Partner haben den Entwurf des Architektenvertrages am 6. Juni 1997 paraphiert. Einem Wunsch der Architekten entsprechend sind die Konditionen und Modalitäten der CAD-Bearbeitung der Ausführungspläne ausdrücklich offengelassen worden.
Wenn dieser wichtige Punkt geklärt ist - die Architekten wollen sich binnen drei Wochen nach der Paraphierung äußern -, kann der Architektenvertrag nach Abschluß der Prüfung und nach Zustimmung des Bundesfinanzministeriums rechtsförmlich geschlossen werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau den Vertrag mit dem Architekten über die Weiterplanung erst dann unterschreiben will, wenn das Bundeskabinett über den endgültigen Standort der Deutschen Welle entschieden hat, und was bedeutet die Paraphierung des Architektenvertrages rechtlich? Ergeben sich daraus schon jetzt Ansprüche des Bundes auf Leistungen bzw. ergeben sich daraus schon Architektenhonorare?
Es trifft zu, daß erst nach der Abstimmung unterschrieben wird.
({0})
- Nein, aus der jetzigen Sicht ergeben sich keine Architektenhonorare.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Reschke.
Herr Staatssekretär, nach Angaben des Bauministers sollen die Weiterplanungen des Schürmann-Baus Ende dieses Jahres abgeschlossen sein, die Ausschreibungen im nächsten Frühjahr stattfinden, und die Deutsche Welle soll im März 2001 einziehen.
Meine Frage lautet: Plant der Architekt Schürmann trotz fehlenden rechtsgültigen Vertrages zur Zeit den Weiterbau, und wenn nein, welche Auswirkungen hat dies auf den Beginn des Weiterbaus und damit auf den Verlauf der Sanierungsarbeiten und schließlich auf den geplanten Fertigstellungszeitpunkt des Schürmann-Baus? Konkret: Hält der Bauminister den Bezugstermin 2001 für die Deutsche Welle für realistisch?
Der Minister hat Ihnen in der Fragestunde am 23. April diesen Endtermin, den Sie jetzt noch einmal genannt haben, im Prinzip bestätigt. Von diesem Termin wollen wir nicht abrücken. Auf diesen Termin ist alles ausgerichtet.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, wie geht es eigentlich am Schürmann-Bau weiter? Wenn der Architekt keine verbindliche Rechtsgrundlage hat, kann ich mir nicht vorstellen, daß er noch etwas tut. Oder tut er etwas sozusagen in der Erwartung, daß er noch einen Vertrag bekommt? Oder ist da jetzt ein Stillstand eingetreten? Wie verträgt sich das eigentlich damit, daß Sie einen bestimmten Endtermin ins Auge gefaßt haben und deshalb vielleicht einige Beschleunigungsmaßnahmen treffen sollten? - Gucken Sie lieber zu uns und nicht so hilfesuchend nach hinten.
({0})
Herr Kollege Schily, ich habe bereits gesagt, daß der Architektenvertrag paraphiert ist. Die weiteren Schritte werden in den nächsten Wochen erfolgen.
({0})
- Das ist richtig.
({1})
Herr Kollege Schily, es ist so, wie es ist.
({0})
Bitte sehr.
Der Bauminister hat hier am 12. März 1997 erklärt: Mit der Fertigstellung der Rohbauten, der Obergeschosse, der Fassaden und Dächer soll im Rahmen des Weiterbaus parallel zu den dann noch andauernden Sanierungsmaßnahmen begonnen werden. Wir werden also eine Überlappung zwischen Sanierung und Weiterbau haben.
Meine Frage lautet: Inwieweit trägt die Vorplanung des Architekten der Absicht des Bauministers Rechnung, daß sich Sanierung und Weiterbau überlappen sollen, und wie bewertet der Bauminister die Aussage des Architekten Dittmann, des Partners Schürmanns, gegenüber dem Bonner „General-Anzeiger" vom 19./20. April 1997, daß bei der Sanierung der Untergeschosse, die jetzt läuft, bereits geklärt sein müsse, wie die darüberliegenden Geschosse gestaltet werden sollen, da es sonst nicht ausgeschlossen sei, daß im Rahmen der Sanierung Arbeiten durchgeführt werden, die für den Weiterbau unbrauchbar sind? Ist also die jetzige Obergeschoßplanung, die sich wegen des Raumprogramms der Deutschen Welle ständig ändern muß, mit der Sanierung abgestimmt, ja oder nein?
Es wird so sein, daß Sanierung und Planung zum Teil parallel laufen. Die Aufgabenstellung in dieser Richtung ist eindeutig. Mit dem Bau wird auch termingemäß begonnen werden.
Die Änderungen, die sich in den Obergeschossen ergeben, werden sich nach dem jetzigen Kenntnisstand in den nächsten Tagen, zumindest Wochen ergeben, so daß dies integriert werden kann, ohne daß zusätzlicher Aufwand entsteht.
Zusatzfrage.
Jetzt ganz präzise, Herr Staatssekretär: Plant der Architekt zur Zeit - und wenn ja, auf Grundlage welchen Raumprogramms - weiter?
Der Architekt plant aus jetziger Sicht auf der Basis des vorhin genannten Raumprogramms von 1996 weiter.
({0})
Ich rufe jetzt die Frage 10 des Kollegen Schily auf:
Wurde inzwischen, wie vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau am 12. März 1997 im Deutschen Bundestag angekündigt, die Klageschrift zur Geltendmachung der durch das Hochwasser 1993 eingetretenen Schäden des Bundes am Bonner Schürmann-Bau fertiggestellt, und wann wird die Klage gegen die als Schädiger angesehene holländische Baufirma eingereicht?
Herr Kollege Schily, ein weitgehend fertiggestellter Entwurf der Klageschrift gegen die für den Schaden verantwortlichen Firmen liegt der Bundesbaudirektion und dem Bundesbauministerium seit kurzem vor und wird nunmehr unter rechtlichen und technischen Gesichtspunkten überprüft. Nach Abschluß der gebotenen gründlichen Prüfung soll die Klageschrift beim Landgericht Bonn eingereicht werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der Schaden des Bundes beträgt nach den von Bundesbauministerium und Bundesrechnungshof angegebenen Zahlen insgesamt etwa zwischen 430 Millionen und 450 Millionen DM. Deshalb würde es mich interessieren, welche Schadenssumme Sie als Forderung einklagen werden.
({0})
- Ja, das wäre sicherlich auch interessant. Vor allem der Gerichtsstand wäre noch interessant.
Herr Kollege Schily, ich habe Ihnen gesagt, daß die Schadenersatzklage weitestgehend fertiggestellt ist und gegenwärtig technisch überprüft wird. Es handelt sich hierbei - das ist Ihnen als Anwalt sicher besser bekannt als mir - um einen Entwurf mit einer riesigen Anzahl von Anlagen, nämlich 150. Wir gehen davon aus, daß die Klageschrift in der nächsten Zeit fertiggestellt werden kann. Anschließend wird sie eingereicht. Wenn sie eingereicht ist, können wir uns über diese Summen unterhalten.
Herr Staatssekretär, normalerweise steht auf Seite 1 der Klageschrift - ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen gehandhabt wird - der Tenor der Forderung und des erwarteten Urteils. Insofern weiß ich nicht, ob „weitgehend fertiggestellt" bei Ihnen heißt, daß Sie immer noch darüber rätseln, welche Summe Sie einklagen wollen.
Können Sie uns vielleicht die Größenordnung sagen? Ich will Sie ja nicht auf Komma und Pfennig festlegen. Aber vielleicht könnten Sie uns sagen, ob der Betrag oberhalb von 400 Millionen DM oder unterhalb von 400 Millionen DM liegt?
Herr Kollege Schily, ich will mich hier auf diese Zahl nicht festlegen, werde sie Ihnen aber nachreichen.
Herr Kollege Reschke.
Weil immer wieder im Raum steht, die Klage sei fertiggestellt, zitiere ich einmal aus der Fragestunde am 12. März den Bauminister:
Der von uns beauftragte Rechtsanwalt hat zugesagt, den Klageentwurf bis zum 27. März 1997 der BBD und dem Ministerium vorzulegen. Der Entwurf wird dann im Bereich des Ministeriums und der BBD laufend abgestimmt und im Mai fertiggestellt.
Ist er jetzt fertiggestellt, ist er weitgehend fertiggestellt, wird er zwingend fertiggestellt? Irgendwo muß doch ein Endpunkt sein, auch in bezug darauf, daß eine Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof stattzufinden hat. Hat also auch der Bundesrechnungshof die Klageschrift gesehen? Was ist damit los, Herr Staatssekretär?
Herr Kollege Reschke, der Entwurf ist nach Ihrer Definition „weitgehend fertiggestellt": Man macht die letzten Arbeiten daran. Sobald diese Schrift vorliegt - das habe ich bereits gesagt -, wird sie übergeben werden.
({0})
Herr Kollege Verheugen hat eine weitere Zusatzfrage.
Für den Ausgang des Rechtsstreites ist sicherlich das Beweissicherungsverfahren von großer Bedeutung, das vor dem Landgericht Bonn läuft. Darf ich einmal fragen, ob dieses Beweissicherungsverfahren inzwischen abgeschlossen ist bzw. wann mit dem Abschluß zu rechnen ist?
Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und StädteParl. Staatssekretär Joachim Günther
bau: Das Beweissicherungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Ich kann Ihnen den Endtermin gegenwärtig nicht mitteilen.
Herr Kollege Beucher hat sich zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, können Sie uns denn sagen, auf welchen Gerichtsstand Sie sich in der Klageschrift festgelegt haben?
Der Gerichtsstand ist Bonn.
Ich rufe jetzt die Frage 11 des Kollegen Schily auf:
Wie ist der Stand der Vergleichsverhandlungen mit den Baufirmen, die Forderungen an den Bund wegen erbrachter, aber durch das Hochwasser zerstörter Leistungen am SchürmannBau gerichtet haben, und wann rechnet die Bundesregierung mit dem Abschluß der Verhandlungen?
Herr Kollege Schily, die Verhandlungen mit den Baufirmen, die Forderungen wegen erbrachter, aber durch das Hochwasser zerstörter Leistungen erhoben haben, sind mit Ausnahme von vier Fällen, in denen bereits ein Vergleich geschlossen werden konnte, noch nicht beendet.
Wegen der grundsätzlichen Rechtsfrage des Übergangs der Vergütungsgefahr vor Abnahme von Bauleistungen ist ein Musterprozeß beim Bundesgerichtshof anhängig. Der Bundesgerichtshof hat den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den morgigen Donnerstag, den 26. Juni, festgesetzt. Sobald das Urteil vorliegt, werden die Verhandlungen mit den Baufirmen zügig zu Ende geführt.
Zusatzfrage.
Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie mit vier Firmen einen Vergleich abgeschlossen. Das haben wir ja auch früher schon von Ihnen gehört. Können Sie auch sagen, mit wie vielen Firmen die Verhandlungen gescheitert sind und mit wie vielen Firmen überhaupt noch über welche Schadensforderungen verhandelt wird?
Über die Anzahl der Firmen kann ich Ihnen keine Angaben machen. Die Vergütungsforderungen über zerstörte Leistungen haben eine Größenordnung von 8,8 Millionen DM.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sagen, wie hoch die Gesamtsumme der Forderungen gegen den Bund ist, inklusive auch der Forderungen der als Schädiger angesehenen Baufirmen und inklusive aller Forderungen wegen Stillstands und entgangener Gewinne, die von Baufirmen am Schürmann-Bau an den Bund gestellt werden?
Herr Kollege Schily, diese Zahlen habe ich nicht hier. Ich werde sie Ihnen, wie schon vorhin gesagt, nachreichen.
Es gibt keine Zusatzfragen. Dann ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau abgeschlossen. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär.
Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung nach dritter Beratung und Schlußabstimmung über den Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zu einem Transplantationsgesetz bekannt; das waren die Drucksachen 13/4355 und 13/8017. Abgegebene Stimmen: 629. Mit Ja haben gestimmt: 449. Mit Nein haben gestimmt: 151. Enthaltungen: 29. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.*)
Die Fragen 12 bis 14 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Gabriele Iwersen auf:
Wie kann die Bundesregierung gewährleisten, daß die bahnpolizeilichen Aufgaben wie die Verhütung und Aufklärung von Straftaten und Unfällen im friesisch/ostfriesischen Raum weiterhin in vollem Umfang wahrgenommen werden können, wenn durch die BGS-Reform II im Nordseeküstenraum zwischen dem Landkreis Wittmund und der Elbe die BGS-Bahnpolizei in einer einzigen Inspektion mit Sitz in Cuxhaven unter Schließung des Bahnpolizeipostens Wilhelmshaven organisiert werden soll?
Frau Kollegin, ich bitte um Genehmigung, die Fragen 15 und 16 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Frau Iwersen, sind Sie einverstanden?
Ja.
*) Endgültiges Ergebnis und Namensliste siehe Seite 16503 A ({0})
Dann rufe ich auch die Frage 16 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihr Organisationsmodell im Rahmen der BGS-Reform II zu überdenken mit dem Ziel, die Strecke Wilhelmshaven - Oldenburg - Bremen einer einzigen Inspektion zuzuordnen, damit Wilhelmshaven als Diensteinsatzort genutzt werden kann und der für Gefahrguttransporte so wichtige Bahnhof Sande auch weiterhin einer regelmäßigen Kontrolle unterliegt?
Im Zuge der Reform des BGS ist eine flächendeckende Neuorganisation auf Ortsebene in Form von Inspektionen vorgesehen. Die Neuorganisation richtet sich in erster Linie nach der Aufgabenstruktur, den kriminalgeographischen Gegebenheiten und der sich daraus ergebenden Personalausstattung.
Vorrangiges Ziel ist es, einen an den Schwerpunkten ausgerichteten zielgenauen Einsatz der Vollzugskräfte des BGS zu gewährleisten. Damit soll eine verbesserte polizeiliche Präsenz auf Bahnhöfen, an Bahnstrecken und in den Zügen der Deutschen Bahn AG erreicht werden. Eine Verringerung der polizeilichen Präsenz ist auch im ländlichen Raum weder beabsichtigt noch zu befürchten. Vielmehr ist für die Wahrnehmung der bahnpolizeilichen Aufgaben des BGS bundesweit eine personelle Aufstockung um zirka 750 Polizeivollzugsbeamte vorgesehen.
Das Bundesministerium des Innern wird in Kürze ein umfassendes Konzept über die künftige Organisation einschließlich der Standorte des BGS vorlegen. Eine vorgezogene Aussage zu einzelnen Standorten kann auf Grund der inhaltlichen Zusammenhänge nicht in Betracht kommen.
Zusatzfrage.
Kann ich denn davon ausgehen, daß das weitgehend schon bekannte Konzept mit einer Inspektion Küste mit Sitz in Cuxhaven, die gleichzeitig für die Landkreise Friesland und Wittmund zuständig sein sollte, aber durch den Einzugsbereich der Inspektion Bremen geteilt wäre, hinfällig ist?
Frau Kollegin, Sie können davon nicht ausgehen; denn ich kann Ihnen die endgültige Fassung des Konzepts heute nicht darlegen, weil es sie noch nicht gibt. Angesichts dessen wäre es unvorsichtig und vorschnell, wenn ich hier irgendwelche Zusagen machen bzw. Festlegungen treffen würde.
Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, daß Konzepte, die bisher bekanntgeworden sind, nicht aus dem Hause des Bundesinnenministeriums, sondern aus anderer Feder kommen?
Frau Kollegin, in der Phase der
Erarbeitung eines solchen Konzepts gibt es diverse Arbeitsschritte. Selbstverständlich sind beispielsweise Fakten bezüglich bestimmter Standorte gesammelt worden. Es werden auch Überlegungen angestellt. Wir haben nicht verhindern können, daß Teile dieser Überlegungen durch Indiskretionen nach außen gelangt sind. Aber diese Überlegungen stellen nicht das Konzept des Bundesinnenministers dar. Dieses Konzept steht noch nicht fest.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Berthold Wittich auf:
Hat der Leiter des Grenzschutzpräsidiums Mitte in seiner Meldung vom Januar 1997 bezüglich des Investitionsbedarfs für den BGS-Standort Bad Hersfeld vermerkt, daß inzwischen die Summe von 36,6 Mio. DM seitens des Staatsbauamts deutlich nach unten korrigiert und zur Prüfung an die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main weitergeleitet worden war?
Herr Kollege Wittich, ich beantworte die Frage wie folgt: Das Grenzschutzpräsidium Mitte hat in seiner Meldung vom Januar 1997 - Vorlage der Haushaltsvoranschläge und Wirtschaftspläne für das Haushaltsjahr 1997/98- auf die veränderte Berechnung der Liegenschaftskosten durch das Staatsbauamt Bad Hersfeld hingewiesen.
Da die bisherigen Berechnungen des Staatsbauamtes bereits durch die Oberfinanzdirektion Frankfurt als zuständige Aufsichtsbehörde genehmigt waren, konnte das Grenzschutzpräsidium die Änderung wegen ihrer erheblichen Abweichung - 9,5 Millionen DM gegenüber 36,3 Millionen DM - erst nach Billigung durch die Oberfinanzdirektion Frankfurt berücksichtigen.
Die Oberfinanzdirektion hat zwischenzeitlich mitgeteilt, daß mit den neuberechneten Kosten nur eine kurz- bis mittelfristige Sicherung des Gebäudebestandes zu erreichen sei, langfristig dagegen unverändert die bereits genehmigten Sanierungsmaßnahmen in Höhe von rund 36 Millionen DM notwendig seien. Das führt zu einem Kostenansatz von voraussichtlich rund 21 Millionen DM.
Zusatzfrage.
Welche Anstrengungen hat das Bundesinnenministerium unternommen, und welche Initiativen hat das Grenzschutzpräsidium Mitte ergriffen, um schnellstmöglich die schon im Herbst 1996 ermittelte Zahl von 9,5 Millionen DM zu prüfen, in die standortrelevanten Kriterien aufzunehmen und damit in der Entscheidungsgrundlage festzuschreiben?
Herr Kollege Wittich, die Investitionsschätzungen sind nur ein Teil der Entscheidungsgrundlagen, die uns zur Verfügung stehen. Wir kennen die Einwände und die Argumente. Insofern droht keine Verfälschung bezüglich der Entscheidungsgrundlagen.
Im übrigen habe ich Ihre Frage meines Erachtens bereits im Rahmen meiner vorherigen Antwort beantwortet. Sie ersehen daraus, daß das Grenzschutzpräsidium Mitte die korrigierten Zahlen bzw. den Einwand an die zuständige Oberfinanzdirektion weitergegeben hat. Die Oberfinanzdirektion hat den Sachverhalt überprüft und, wie ich vorhin dargelegt habe, geantwortet.
Weitere Zusatzfrage.
Warum hat das Bundesinnenministerium in seinen Antworten auf meine schriftlichen Fragen nach dem korrigierten Investitionsbedarf, die ich im Februar und März 1997 an die Bundesregierung gerichtet hatte, die Summe von 9,5 Millionen DM nicht genannt, sondern lediglich ausweichend geantwortet?
Einfach deshalb, weil die Oberfinanzdirektion Frankfurt mit dem Sachverhalt beschäftigt werden mußte. Sie hatte die ursprüngliche Zahl genehmigt und mußte nun bei der Korrektur eingeschaltet werden. Ein Ergebnis der Überlegungen der Oberfinanzdirektion lag noch nicht vor. Insoweit waren wir nicht in der Lage, Ihnen eine verbindliche Auskunft zu geben. Heute habe ich sie - wenn Sie so wollen - nachgereicht.
Jetzt kommt die Frage 18 des Kollegen Berthold Wittich:
Ist das Bundesministerium des Innern bereit, die Standortrelevanten Kriterien für die Auswahl von Liegenschaften künftiger Einsatzverbände des BGS" wegen einer Vielzahl von gravierenden Fehlern zurückzunehmen, um durch eine Korrektur der Entscheidungsgrundlage ein transparentes Verfahren zu ermöglichen, das auf objektiven Daten basiert und an einheitlichen Kriterien ausgerichtet ist?
Die „Standortrelevanten Kriterien für die Auswahl von Liegenschaften künftiger Einsatzverbände des BGS" enthalten die maßgeblichen Daten, die als einheitliche Grundlage für eine objektive Auswahl der Standorte von Bedeutung sind. Die Veröffentlichung der Kriterien hatte zum Ziel, das Auswahlverfahren transparent zu machen und allen Beteiligten Gelegenheit zu geben, durch Anregungen, Ergänzungen und - soweit notwendig - Korrektur möglicher Fehler zu einer sachgerechten Auswahlentscheidung beizutragen.
Die große Resonanz wie auch die Inhalte der eingegangenen Rückäußerungen machen deutlich, daß der Sinn dieses Angebots verstanden und in hohem Maße zu konstruktiv-sachlicher Auseinandersetzung genutzt wurde. Von einer „Vielzahl von gravierenden Fehlern" - wie Sie schreiben - kann dabei allerdings nicht die Rede sein. Alle Korrekturen und Anregungen werden - soweit möglich - in die weitere Entscheidungsfindung einfließen. Vor diesem Hintergrund besteht also keine Veranlassung, den Kriterienkatalog zurückzunehmen.
Zusatzfrage.
Warum sieht das Bundesinnenministerium in den standortrelevanten Kriterien, die erstens Kosten für Maßnahmen auflisten, die längst abgeschlossen sind, und die zweitens Mängel für einen Standort einmal kostenmäßig ausweisen und ein anderes Mal gerade nicht aufschlüsseln, eine Entscheidungsgrundlage, die die Vergleichbarkeit der Standorte zuläßt und auf objektiven Daten und Fakten beruht?
Herr Kollege Wittich, weil bei allen Standorten dieselben Kriterien angewandt worden sind und weil die Hinweise auf angebliche Fehler aufgegriffen worden sind und der Behauptung jeweils nachgegangen wurde, so daß bis zur endgültigen Entscheidung - die ja noch nicht getroffen ist - alle Dinge, die sich objektiv als fehlerhaft herausstellen sollten, korrigiert sein werden.
Zusatzfrage.
Warum hat das Bundesinnenministerium die vom stellvertretenden Abteilungsleiter Grenzschutz schon im Sommer des letzten Jahres zugesagte Überprüfung sämtlicher Standorte auf der Grundlage einheitlicher Kriterien und politischer Vorgaben nicht realisiert?
Wir haben es realisiert; wenn ich Sie da korrigieren darf. Wir haben es so gründlich gemacht, daß wir eine gewisse Zeit dazu benötigt haben. Deshalb haben wir die von uns ermittelten Kriterien und Angaben erst vor etwa sechs Wochen zur Stellungnahme übermitteln können.
Zusatzfrage des Kollegen Schmidt.
Herr Staatssekretär, da Sie bei Inanspruchnahme der, wie Sie es genannt haben, objektiven Kriterien zu Ergebnissen kommen, die ein Bundesland - nämlich Niedersachsen - ganz besonders benachteiligen, muß ich fragen: Haben Sie die Kriterien auch auf dieses Land angewandt, und haben Sie das Land ausreichend gehört?
Herr Kollege Schmidt, Sie wissen, daß die Aufgabenstellung des BGS nicht länderbezogen, sondern aufgabenbezogen ist. Die im Gesetz formulierten Aufgaben des BGS spielen sich in erster Linie auf Grund des Schengener Abkommens an den Außengrenzen Deutschlands ab, hauptsächlich an den Ostgrenzen. Dazu kommen die Bereiche der Bahnpolizei und der Luftsicherheit.
Von dieser Aufgabenstellung her ist es leicht erschließbar, daß in bestimmten Gebieten, in denen Standorte auf Grund der früheren Aufgabe nach Art
einer Perlenschnur an der ehemaligen Zonengrenze aufgereiht sind, eben keine aufgabengerechte Standortstruktur mehr vorhanden sein kann. Das hat nichts mit Niedersachsen, mit Hessen oder mit Bayern zu tun, sondern hängt ausschließlich mit der Veränderung in der Aufgabensituation zusammen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Seidenthal.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn bereit, uns die Überprüfungsergebnisse mitzuteilen? Ich möchte am Beispiel des Standortes Gifhorn festmachen, daß für die Instandsetzung der Kantine 1,895 Millionen DM angegeben worden sind. Die Renovierung dieser Kantine hat bereits für 200 000 DM stattgefunden. Ihre pauschale Antwort kann die betroffenen Kollegen nicht zufriedenstellen. Deshalb die Frage an Sie: Wären Sie bereit, uns auch über die Korrekturen zu informieren?
Herr Kollege, das ist sogar vorgesehen. Ich kann Ihnen zusichern, daß, wenn die Entscheidungsvorlage fertiggestellt ist, alle betroffenen Abgeordneten die Möglichkeit haben werden, sie zu überprüfen und Stellung zu nehmen. Darin müßten die von Ihnen angeregten Korrekturen, wenn sie berechtigt sind, enthalten sein.
Die Fragen 19 bis 23 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 24 der Abgeordneten Dagmar Freitag auf:
Durch welche Fördermaßnahmen hat die Bundesregierung den „Initiativkreis Wirtschaft und Sport" unterstützt?
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Antwort ist relativ kurz. Sie lautet nämlich: Die Bundesregierung fördert den „Initiativkreis Sport und Wirtschaft" nicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, vielleicht war die Formulierung in diesem Fall etwas mißverständlich. Wenn wir uns auf das Wort „Maßnahmen" einigen könnten, würde dann Ihre Antwort anders ausfallen? Ich würde das gerne in einem Zusammenhang mit dem runden Tisch sehen. Dort ist davon ausgegangen worden, daß die Bundesregierung die Ergebnisse und die Forderungen, die dort aufgestellt wurden, nach einer gewissen Zeit bewertet. Würden Sie sagen, daß in irgendeiner Form von seiten der Bundesregierung Maßnahmen ergriffen worden sind, um diesen Initiativkreis und im weiteren den runden Tisch voranzubringen?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen von hochrangiger Stelle aus erster Hand berichten, weil erst heute vormittag ein Gespräch mit dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, Walther Tröger, stattgefunden hat. Bei dieser Gelegenheit habe ich ihn im Hinblick auf die Fragestunde nach seiner Einschätzung gefragt: ob erstens die Initiative aus der Sicht des Sportes sinnvoll war und zweitens sich die Institution bewährt hat.
Ich habe nur Worte des Lobes gehört: Die Initiative war erfolgreich, und auch die Institution hat sich sehr bewährt, was sich an Hand ganz konkreter Maßnahmen von Wirtschaft und Sport belegen läßt. Eine darf ich erwähnen: Es ist dem Präsidenten beispielsweise gelungen, auf dieser Schiene innerhalb kürzester Zeit 1,4 Millionen DM Sponsorengelder für die Einrichtung des Sportmuseums in Köln zu erhalten. Es ließen sich noch diverse andere Beispiele anführen.
Herr Kollege Schily, bitte.
In welcher Weise hat denn die Bundesregierung zu diesen Erfolgen beigetragen?
Herr Kollege Schily, den entscheidenden Erfolg hat die Bundesregierung dadurch beigetragen, daß sie diesen Initiativkreis eingerichtet hat. Es ist nämlich das Ergebnis eines Gespräches am runden Tisch beim Bundeskanzler, daß Sport und Wirtschaft diesen Kreis gebildet haben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dann rufe ich jetzt die Frage 27 des Kollegen Friedhelm Julius Beucher auf:
Durch welche Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Ehrenamtsstruktur in den Sportorganisationen, zu der sie sich am „Runden Tisch" verpflichtet hat?
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise das Ehrenamt in der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, die in der Kernaussage der Berliner Resolution zum Ehrenamt anläßlich der Anhörung des Deutschen Sportbundes am 6. November 1995 von den Verbänden und den im Bundestag vertretenen Parteien verabschiedet wurde. Dort heißt es wörtlich:
Die Qualität einer Demokratie hängt entscheidend davon ab, ob eine große Zahl von Menschen bereit ist, durch freiwilliges und unbezahltes Engagement an ihrer Gestaltung mitzuwirken.
Die Bundesregierung hat zu den von ihr unternommenen Maßnahmen zur Aufwertung ehrenamtlicher Tätigkeit sowie zu den steuerlichen Maßnahmen nach dem Einkommensteuergesetz ausführlich in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Fraktion der F.D.P. vom 1. Oktober 1996, Bundestagsdrucksache 13/5674, Stellung genommen. Auf diese Antwort darf ich verweisen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß wesentliche Voraussetzung für die materielle Ausgestaltung des Ehrenamtes auch die finanzielle Ausstattung von Ländern und Kommunen vor Ort ist und die gegenwärtige Finanzpolitik der Bundesregierung nicht dazu geeignet ist, diese materielle Ausstattung in Zukunft sicherzustellen?
Herr Kollege, ich bin im Gegenteil der Meinung, daß die Bundesregierung in äußerst großzügiger Form die Ausübung des Ehrenamtes unterstützt. Ich darf Ihnen einen Betrag nennen: Allein durch die steuerfreie Übungsleiterpauschale, die in diesem Bereich wichtig ist - ich nenne nur die Sportvereine als Stichwort -, verzichtet die Bundesregierung auf Steuereinnahmen von etwa 450 Millionen DM. Das ist kein Betrag, der als Quantité négligeable gekennzeichnet werden könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nehmen Sie denn in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, Herr Staatssekretär, daß viele Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihre Sportstätten zu reparieren, und somit das Ehrenamt gar nicht zur Ausübung kommen lassen können, weil die Kommunen aus den von mir in der ersten Zusatzfrage unterstellten Gründen eben nicht die notwendigen finanziellen Ressourcen haben?
Herr Kollege Beucher, Sie wissen so gut wie ich, daß sich die Bundesregierung gegenüber den Ländern sehr großzügig gezeigt hat, was die Finanzausstattung angeht, daß aber seinerzeit die Länder nicht wollten, daß die Bundesregierung unmittelbar die Kommunen bedient, sondern zugesagt haben, ihrerseits Gelder des Bundes weiterzureichen. Sie wissen auch, daß von dieser Möglichkeit ernsthaft nur der Freistaat Bayern Gebrauch gemacht hat, die übrigen Bundesländer aber bis auf eine Ausnahme die Gelder im großen und ganzen für sich behalten und nicht an die Kommunen weitergereicht haben. Deshalb können Sie die Verantwortung für die gegenwärtige Misere der kommunalen Finanzen nicht dem Bund anlasten, sondern da wäre es vielleicht sinnvoller, sich mit den Kollegen in den Ländern zu unterhalten.
Im übrigen ist der Bund, von der Verfassung her gesehen, für die Unterstützung des Breitensports unmittelbar nicht zuständig - das ist Ihnen bekannt, nehme ich an -, sondern muß sich auf die Unterstützung des Spitzensportes beschränken und konzentrieren.
Frage 28 des Kollegen Friedhelm Julius Beucher:
Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Ergebnisse des „Initiativkreises Wirtschaft und Sport"?
Die bisherigen Ergebnisse des „Initiativkreises Sport und Wirtschaft" werden von der Bundesregierung positiv beurteilt. Ein Jahr nach der konstituierenden Sitzung des Initiativkreises wurden alle Projekte zugunsten des Sports, die sich der Initiativkreis vorgenommen hatte, auf den Weg gebracht. Für die drei in Berlin befindlichen sportbetonten Schulen hat die Bankgesellschaft Berlin die Patenschaft übernommen und ein entsprechendes Startkapital zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Projektes „Jugend gegen Gewalt" hat der Initiativkreis mit seinen Partnern Fördermittel bereitgestellt und vielfältige Projekte unter anderem auch der Deutschen Sportjugend finanziert.
Zusatzfrage.
Ist diese positive Einschätzung, Herr Staatssekretär, der Grund dafür, daß der Herr Bundeskanzler auf die sogenannte Überprüfungsrunde hinsichtlich der Ergebnisse des runden Tisches vom Februar 1996 verzichtet hat, oder besteht kein Zusammenhang?
Alle Beteiligten sind sich in der positiven Einschätzung der Ergebnisse derart einig, daß eine Überprüfung im Moment offenbar nicht erforderlich ist. Jedenfalls ist sie vom Partner Wirtschaft nicht verlangt worden.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Frau Staatssekretärin, ich muß Sie enttäuschen, bis Frage 32 werden alle Fragen schriftlich beantwortet.
({0})
Die Frage 29 des Kollegen Wolfgang Behrendt, die Fragen 30 und 31 des Kollegen Karl Diller sowie die Frage 32 des Kollegen Klaus Hagemann werden also schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Hans Büttner:
In welchem Zusammenhang steht die lt. DER SPIEGEL Nr. 24/1997 vorgenommene Anweisung des Bundeskanzlers an den Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, alle Pläne fallenzulassen, Rückstellungen der Energiewirtschaft für den Bau eines atomaren Endlagers künftig zu versteuern, mit der lt. „Handelsblatt" vom 9. Juni 1997 geplanten Absicht der
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Bundesregierung, noch m diesem Jahr alle Liegenschaften des Bundes an einen einzigen Großinvestor aus der Energiewirtschaft für rd. 5 Mrd. DM zu veräußern?
Herr Kollege Büttner, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, alle bundeseigenen Liegenschaften an einen Großinvestor aus der Energiewirtschaft zu veräußern. Schon deshalb kann kein Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Rückstellungen im Kernenergiebereich bestehen.
Zusatzfrage.
Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Mehrheitsbeschluß der Finanzministerkonferenz, über einen Musterprozeß feststellen zu lassen, ob Rückstellungen für den Betrieb eines atomaren Endlagers zulässig sind, und unterstützt sie dieses Vorgehen?
Nein, hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Ein Teil der Länder ist der Meinung, die Sie jetzt gerade vorgetragen haben. Ein Teil ist anderer Meinung, und wir sind auch anderer Meinung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Verfolgt die Bundesregierung, da sie dieses Vorgehen nicht unterstützt, weiterhin ihr gegenüber den Ländern durch Staatssekretär Hauser noch zum Jahresende verfolgtes Modell der Abzinsung solcher Rückstellungen, die nicht näher begründete Mehreinnahmen von 750 Millionen DM hätten bringen sollen, oder hat die Bundesregierung von diesen Plänen Abstand genommen?
Herr Kollege Büttner, ich war in den letzten Tagen nicht bei den Verhandlungen des Finanzausschusses. Schade, sonst hätte ich Ihnen die Antwort darauf präziser geben können. Darf ich Ihnen das nachreichen?
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Ich weiß jetzt nicht, wie die Kollegen dort abgestimmt haben.
Ich rufe die Frage 34, ebenfalls vom Kollegen Hans Büttner gestellt, auf:
Wie will die Bundesregierung begründen, daß durch einen solchen „Deal" der Bund kurzfristig zwar 5 Mrd. DM einnehmen, gleichzeitig aber lt. DER SPIEGEL auf 3,5 Mrd. DM Steuereinnahmen verzichten und damit Bundesvermögen zu einem realen „Schleuderpreis" von 1,5 Mrd. DM veräußern würde?
Herr Kollege Büttner, ich bin der Meinung, daß ich dies soeben schon beantwortet habe. Ich möchte aber noch ergänzend feststellen, daß es im übrigen keine Pläne gibt, Rückstellungen der Energiewirtschaft für den Bau eines atomaren Endlagers künftig steuerlich nicht mehr anzuerkennen, und zwar weder auf seiten des Bundes noch auf seiten der Länder.
Zusatzfrage.
Es geht hier, um das noch einmal deutlich zu sagen, nicht um die Rückstellung für den Bau, sondern um die Rückstellung für Gebühren für die Benutzung des Endlagers gemäß §§ 21 und 21 a des Atomgesetzes. Sie haben vorhin gesagt, es gebe keine Pläne, alle Liegenschaften des Bundes zusammen zu verkaufen. Laut Meldungen der Presse in diesen Tagen ist allerdings aus den Reihen der Koalition geäußert worden, daß man die Energiewirtschaft zu höheren Zahlungen für den Kauf des Bundesvermögens habe bewegen können.
Würden Sie aus der Sicht der Bundesregierung auch diese Äußerungen dementieren, oder gibt es doch noch Verhandlungen mit der Energiewirtschaft über die Übernahme von Bundesvermögen?
Ich weiß nicht, was einzelne Kollegen der Koalition denken und reden. Insofern kann ich dazu keine Stellung nehmen - und schon gar nicht aus Sicht der Bundesregierung. Ich bitte um Verständnis. Wenn Sie aber so freundlich wären, mir den entsprechenden Namen aufzuschreiben, dann will ich der Sache gerne nachgehen und Sie davon in Kenntnis setzen.
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Noch eine Zusatzfrage?
Eine letzte Zusatzfrage. Hat die Bundesregierung deswegen den Mehrheitsbeschluß der Finanzministerkonferenz nicht übernommen, und ist sie deswegen ihrer Aufforderung, durch ein Schreiben des Bundesfinanzministers auf eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis in bezug auf die Behandlung der Rückstellungen für diese Gebühren hinzuwirken, nicht nachgekommen, weil es - ich frage noch einmal nach - doch einen Zusammenhang geben könnte zwischen den Gesprächen, die der Bundeskanzler laut „Spiegel" mit Vertretern der Energiewirtschaft geführt hat, und dem Erlös für Bundesvermögen?
Mir ist das verständlicherweise nicht bekannt. Ich gehe davon aus, daß ein solches Gespräch überhaupt nicht stattgefunden hat.
Dann rufe ich jetzt die Frage 35 der Kollegin Ingrid Holzhüter auf:
Wie ist der gegenwärtige Stand der Übergabe des Olympiastadions an das Land Berlin und der Stand der Überlassungsund Sanierungsvereinbarung mit dem Senat von Berlin?
Frau Holzhüter, mit dem Tag der Freigabe des Reichssportfeldes durch die britischen Streitkräfte am 30. September 1994 hat der Bund dem Land Berlin die gesamte Liegenschaft übergeben.
Sind Sie jetzt nicht bei der Frage 36, oder irre ich mich?
Nein, ich bin bei der Frage 35.
Die Frage 35 betrifft das Olympiastadion.
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Ja, das ist richtig so. Das gehört zusammen. Herr Präsident, auch ich mußte das lernen.
Ich nehme Belehrungen immer entgegen.
Es sollte keine Belehrung sein. Nur, auch ich war lernfähig.
Frau Kollegin Holzhüter, der Bund hat zugleich angeboten, auch das Eigentum auf Berlin zu übertragen. Berlin ist zur Übernahme der Liegenschaft bereit.
Noch kein Einvernehmen besteht über die Konditionen. Der Bund hat angeboten, notwendige Sanierungskosten vom Verkehrswert des Gesamtareals abzusetzen. Das heißt konkret, er hat eine Übereignung zu 0 DM angeboten. Berlin lehnt die Nullösung ab und fordert die Übernahme der gesamten Sanierungs- und Modernisierungskosten. Darüber wird zur Zeit verhandelt.
Zusatzfrage.
Sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß erst durch die jahrelange nicht ausreichende Durchführung der Sanierung durch den Bund, dem ja zumindest das Areal des Olympiastadions gehört hat, die Höhe der Schäden entstanden ist?
Nein, ich bin nicht Ihrer Meinung. Wir beide wollen, so glaube ich, nicht Schwarzer Peter spielen,
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indem man das eine dem Land Berlin zuordnet und das andere uns. Es hat schwierige Verhandlungen gegeben. Bei den Summen, um die es sich da handelt, ist man nicht so gerne bereit, von vornherein ja oder nein zu sagen. Die Verhandlungen gestalten sich jetzt vielmehr so, daß ich sagen möchte: Sie führen für beide Seiten zu einem befriedigenden Ziel.
Sind Sie auch mit mir der Meinung, daß die besondere Situation in der neuen Hauptstadt Berlin gerade für dieses Olympiastadion, das unter Denkmalschutz steht, eine besondere ist? Ich denke, daß es mittlerweile weit mehr als ein Sportstadion ist.
Wenn wir uns darauf verständigen können, daß alle unter Denkmalschutz gestellten Objekte so wichtig sind, daß sie erhalten werden müssen, dann sage ich, daß das auch für das Stadion zutrifft. Aber, Frau Kollegin Holzhüter, ich bitte um Verständnis: Es geht hier um dreistellige Millionensummen. Da muß man sich schon verständigen: Was ist originär Aufgabe des Landes, und was ist Aufgabe des Bundes?
Zusatzfrage des Kollegen Schmidt.
Frau Staatssekretärin, ich will die Frage von Frau Holzhüter etwas deutlicher wiederholen, indem ich frage: Finden Sie nicht auch, daß das jahrelange Gezerre um die Kaufpreisverhandlungen erstens der Sache an sich und damit zweitens auch den Belangen der Hauptstadt Berlin geschadet hat? Denn das Olympiastadion ist schon ein ganz wesentlicher Bestandteil, der weit über den Charakter eines Landesobjekts hinausgeht.
Wenn wir uns vielleicht darauf verständigen können, daß beide Seiten dazu beigetragen haben, dann will ich zugestehen: Durch diese lange Verhandlungsmarge sind sicherlich weitergehende Sanierungsmaßnahmen erforderlich geworden.
Herr Kollege Feilcke.
Frau Staatssekretärin, ist denn aus der grundsätzlichen, vom Bundeskanzler signalisierten Bereitschaft zur Bewerbung Deutschlands für die Fußballweltmeisterschaft 2006 zu entnehmen, daß der Bund bereit ist, sich hier kurzfristig im Interesse einer Lösung zu bewegen?
({0})
Wenn die Entscheidung getroffen worden ist, daß die Weltmeisterschaft bei uns ausgetragen wird, dann werden wir uns sicherlich auf einen Weg begeben müssen. Aber auf welchen, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Auch da ist das Land Berlin natürlich in der Vorhand.
({0})
Nein, es gibt nur eine. Nur der Fragesteller kann zwei Zusatzfragen stellen.
({0})
Jetzt kommt die Frage 36 der Kollegin Ingrid Holzhüter:
Welche Nutzung beabsichtigt die Bundesregierung für das Gesamtareal des Reichssportfelds und seiner Liegenschaften, und wie ist der gegenwärtige Vereinbarungsstand mit dem Senat von Berlin?
Frau Kollegin Holzhüter, der Bund hat keine eigenen Nutzungsabsichten. Das gesamte Reichssportfeld wird für Sport und Kultur genutzt, also für Zwecke, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes den Ländern und Gemeinden obliegen. Es ist also nicht Aufgabe des Bundes, solche Zwecke zu erfüllen. Der Bund geht daher davon aus, daß die Liegenschaft auch künftig in der Obhut des Landes Berlin verbleiben wird.
Zusatzfrage? - Keine. Herr Kollege Feilcke, jetzt ist Ihre Chance.
({0})
Ich war gar nicht darauf gefaßt, Herr Schily. Sie sind ja ständig bei Fragestunden anwesend, ich bin nur sehr selten hier.
({0})
Frau Staatssekretärin, da der Bund keine Ambitionen zur eigenen Nutzung hat - was verständlich ist - das Reichssportfeld aber dem Land Berlin übertragen will, und zwar zu Konditionen, über die wir gerade gesprochen haben: Ist es nicht eigentlich ein Danaergeschenk, wenn der Bund dem Land Berlin etwas überträgt, was dieses sich finanziell gar nicht leisten kann, was aber im nationalen Interesse ist?
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Darüber wird miteinander gerungen und verhandelt. Ich habe eben schon auf die erste Frage der Kollegin Holzhüter gesagt: Wir sind auf einem guten Weg. Heute waren die Finanzministerin und der Staatssekretär noch einmal zusammen. Die Sache wird also nicht hinausgezögert, sondern wir geben uns hier wirklich Mühe, sowohl den Berlinern als auch dem Bund Rechnung zu tragen.
Zusatzfrage des Kollegen Riegert.
Frau Staatssekretärin, Sie sind mit mir aber einer Meinung, daß die hohen Kosten, die für die Sanierung des Olympiastadions erforderlich sind, nicht auf Versäumnisse der Bundesregierung, sondern einfach auf Betonschäden in einem über 70 Jahre alten Stadion zurückzuführen sind?
({0})
Herr Schily, das habe ich jetzt nicht gehört, sonst müßte ich darauf auch antworten.
Herr Kollege, insgesamt trifft es natürlich zu, daß auf Grund des 70jährigen Bestehens des Olympiastadions Schäden entstanden sind. Aber ich habe eben gesagt - und ich stehe auch dazu -: Dazu beigetragen hat auch der Umstand, daß wir seit über zwei Jahren in Verhandlungen stehen. Ich meine, man muß der Wahrheit die Ehre geben und das dazusagen.
Herr Kollege Schmidt.
Frau Staatssekretärin, im Anschluß an die Frage des Kollegen Riegert will ich Sie doch fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß der Bund als Eigentümer - und er ist zum jetzigen Zeitpunkt immer noch Eigentümer - in erster Linie die Verantwortung dafür trägt, daß das Stadion nutzbar ist und auch zukünftig nutzbar sein wird, insbesondere im Hinblick auf die Bewerbung zur Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006, die wir ja alle im Auge haben.
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Dieser Meinung bin ich nicht, Herr Schmidt. Ich bilde mir ein, ich hätte eben ausgeführt, wie die Verhältnisse im Augenblick sind. Wir haben, denke ich, ein sehr gutes Angebot gemacht. Bisher ist darüber keine Entscheidung gefallen. Insofern lasse ich mir, mit Verlaub, nicht den Schwarzen Peter zuspielen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Frage 37 des Kollegen Günter Oesinghaus:
Wie ist der Stand der Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Deutschen Post AG über den Verkauf eines Teiles der Liegenschaft des Bundes an der Kurt-SchumacherStraße in Bonn, und wann ist mit dem Abschluß der Verhandlungen und dem Verkauf des Grundstücks an die Deutsche Post AG, die dort ein neues Hochhaus errichten will, zu rechnen?
Herr Kollege Oesinghaus, die Verhandlungen über die Veräußerung eines Teils des bundeseigenen Geländes an der KurtSchumacher-Straße an die Deutsche Post AG und der damit im Zusammenhang stehende Ankauf des 59 prozentigen Bruchteileigentumanteils der Deutschen Post AG an der Liegenschaft Heinrich-vonStephan-Straße 1 sind im wesentlichen bis auf die Klärung einiger Einzelfragen abgeschlossen. Ich gehe davon aus, daß über die noch offenen Punkte in Kürze Einvernehmen erzielt wird.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, soll der zu erzielende Erlös aus dem Grundstücksverkauf vollständig oder zum Teil für die Fertigstellung des Bonner Schürmannbaus verwendet werden?
Nein. Nach meinem Kenntnisstand soll der Erlös insbesondere für die Herstellung des Hauses verwendet werden, in das die Postmitarbeiter einziehen wollen.
Mit welcher Summe rechnet die Bundesregierung bei dem Grundstücksverkauf?
Das ist ein Punkt, wo man noch unterschiedlicher Meinung ist.
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- Nein, das habe ich nicht gesagt.
Ich rufe die Frage 38 des Kollegen Günter Oesinghaus auf:
Knüpft die Deutsche Post AG irgendwelche Bedingungen an den Kauf des für das geplante Posthochhaus in Frage kommenden Grundstücksteils auf dem Gelände des Schürmannbaus, die im Zusammenhang mit der Unterbringung der Deutschen Welle stehen?
Herr Kollege Oesinghaus, die Deutsche Post AG legt Wert darauf, im Rahmen des von ihr geplanten Architektenwettbewerbs auch eine Überbauung der Zufahrtstunnel zum Schürmannbau zur Diskussion stellen zu können.
Weitere Bedingungen hat die Deutsche Post AG nicht genannt.
Eine Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß sich die Post AG erst nach einer endgültigen Entscheidung des Kabinetts für den Einzug der Deutschen Welle in den Schürmannbau für den Bau des Hochhauses auf dem Gelände des Schürmannbaus entscheiden will, und besteht hier nicht ein Zusammenhang mit der Finanzierung des Weiterbaus des Schürmannbaus durch Erlöse aus dem Grundstücksverkauf? Liegt also nicht eine Blockadesituation vor, weil der Finanzminister kein grünes Licht für den Weiterbau des Schürmannbaus gibt, ohne daß das Grundstück an die Post verkauft ist, und sich die Post zur gleichen Zeit nicht für den Bau des Hochhauses entscheiden kann wegen der ungeklärten Frage, ob die Deutsche Welle wirklich nach Bonn kommt?
Herr Kollege Oesinghaus, Sie haben in einer Zusatzfrage so viele Fragen untergebracht, daß ich jetzt nicht in der Lage bin, sie zu beantworten. Ich sage Ihnen aber zu, daß Sie auf Ihre Fragen bis Freitag eine schriftliche Antwort bekommen.
Herr Kollege Reschke.
Was geschieht mit dem Langen Eugen, und warum lehnt es die Post ab, dieses Gebäude in ihre Planungen einzubeziehen? Das wäre doch eine schöne Situation, wenn wir davon ausgehen, daß der Schürmannbau fertiggestellt wird, daß die Deutsche Welle dort einzieht und der Lange Eugen in die Planungen einbezogen wird. Was geschieht da eigentlich? Ist da noch ein Loch in der Höhe bzw. ein Hohlraum zu erwarten?
Herr Kollege Reschke, ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen, daß ich dafür nicht zuständig bin. Das wäre ein bißchen wenig. Ich weiß es nicht. Insofern frage ich - verständlicherweise - den zuständigen Bundesminister für das Bauwesen. Die Antwort auf Ihre Frage muß daher ebenfalls schriftlich erfolgen.
({0})
- Nein, jetzt wollen wir bei der Zuständigkeit bleiben. Im Zweifelsfall ist das Finanzministerium immer zuständig. Aber zunächst einmal wollen wir die Fakten auseinanderhalten, über sie reden und dann die Zuständigkeit feststellen. Es tut mir leid, daß ich so antworten muß.
Herr Kollege Schily.
Frau Karwatzki, ich habe Verständnis für Ihre Situation. Vielleicht können Sie uns aber darüber informieren, wer in der Bundesregierung diese beiden Fragen koordiniert, den Verkauf einerseits, den Schürmannbau andererseits, damit keine Verzögerungen eintreten.
Ich habe hier eine wunderbare Chronologie des Schicksals des Schürmannbaus. Das ist ein einziges Debakel; das werden Sie mir wahrscheinlich zugestehen. Wenn man solche Fehler hinter sich hat, wäre es doch an der Zeit, diese zu korrigieren und die Dinge etwas beschleunigt voranzubringen. Deshalb meine Frage: Gibt es in der Bundesregierung irgendeine Idee, wie man diese beiden Bereiche vernünftig miteinander vernetzen kann?
Herr Kollege Schily, ich bin dafür leider nicht zuständig. Ich habe mich auch nicht damit beschäftigt. Daß es nach der Geschäftsordnung einen Zuständigen gibt - im Zweifel ist es, wenn es um das Bezahlen geht, der Finanzminister -, ist klar. Bevor wir aber gefragt werden, muß der zuständige Bauminister entscheiden.
Wenn ich das, was der Kollege Günther auf die Fragen von Herrn Reschke und anderen geantwortet hat
({0})
- nein -, richtig verstanden habe - er hat Ähnliches gesagt -, dann sind wir, zumindest was die Deutsche Post AG angeht, auf dem richtigen Wege. Zu dem anderen will ich nichts sagen.
Es tut mir leid, Herr Schily. Sie kennen mich. Wenn ich es wüßte, würde ich es Ihnen sagen. Ich vergebe mir doch nichts.
({1})
- Dazu gebe ich jetzt keinen Kommentar ab.
Ich auch nicht. - Mißverstehen Sie das nicht! Wir haben im Rahmen der Parlamentsreform über diese Frage heftig diskutiert. Ich weiß, wie das vorläufige Ergebnis dieser Beratung aussieht. Es gibt keinen anderen Hintergrund, Frau Karwatzki. Bitte unterstellen Sie mir das auch nicht.
Nein.
Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 39 und 40 des Kollegen Gerhard Rübenkönig sowie die Fragen 41 und 42 des Kollegen Dr. Emil Schnell sind schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Lydia Westrich auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundeswehr im Rahmen einer sog. „historischen Offiziersweiterbildung" im Juni 1997 in der Gemeinde Schindhard bei Dahn im Landkreis Südwestpfalz drei historische Flugzeuge für die Offiziersanwärter in Richtung Schindhard starten ließ, die den Tag über die Gemeinde überflogen, originalgetreue Flugblätter vom 5. April 1945 abwarfen, auf denen u. a. zu lesen war: „Vorbereitungen auf den Endsturm in Berlin" ({0})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Der Frau Kollegin Westrich möchte ich antworten, daß die Logistikbrigade 2 in Germersheim am 5. und 6. Juni 1997 eine Offiziersweiterbildung mit zirka 150 Offizieren durchgeführt hat. Im Rahmen dieser Weiterbildung fand am 5. Juni 1997 eine Unterrichtseinheit im Rahmen der historischen Bildung im Sinne der Weisung des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Intensivierung der historischen Bildung. in den Streitkräften statt.
Die Unterrichtseinheit stand unter dem Motto „Deutschland im Jahre 1945". Als Einleitung war am gleichen Vormittag ein Vortrag von einem ehemaligen Geschichtslehrer der Offiziersschule des Heeres gehalten worden. Am Nachmittag besuchten die Offiziere von 14 bis 19 Uhr das private militärhistorische Museum Dahn-Reichenbach, wo eine Unterrichtung im Gelände stattfand und Luft- und Landfahrzeuge aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges von Angehörigen der Reservistengemeinschaft Wehrtechnik auf einem Privatflugplatz vorgeführt wurden. Dabei wurden zirka 10 Fotokopien von Flugblättern der Alliierten aus dem Frühjahr 1945 von den zivilen Piloten aus ihren privaten Maschinen abgeworfen.
Dies war der Logistikbrigade 2 vorher weder bekannt, noch war es von ihr gewünscht. Alle während dieser Phase abgeworfenen Flugblätter wurden ausnahmslos durch die für die Veranstaltung verantwortlichen Offiziere eingesammelt. Weitere Abwürfe fanden im Bereich der Veranstaltung nicht statt.
Es handelte sich dabei um Fotokopien von Flugblättern der US-Streitkräfte, wie sie zur Information der Bevölkerung in Deutschland im Frühjahr 1945 abgeworfen wurden. Die Flugblätter informieren über den Frontverlauf im Osten und Westen Deutschlands am 5. April 1945 und fordern die Bevölkerung auf, sich gegen die Naziherrschaft zu erheben. Dabei wird auch der Widerstand deutscher Soldaten beim Attentat auf Hitler gewürdigt.
Am 13. Juni 1997 erhielt der Kommandeur der Logistikbrigade 2 durch einen Artikel in der „Rheinpfalz" davon Kenntnis, daß auch im Bereich der zirka vier bis fünf Kilometer von Dahn-Reichenbach befindlichen Ortschaft Schindhard Fotokopien eben jener Flugblätter aufgefunden wurden. Das BundesmiParl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
nisterium der Verteidigung selbst erhielt durch Ihre - Frau Westrich - Anfragen und die Anfragen der Abgeordneten Heinz Schmitt und Dr. Hansjörg Schäfer von der Sache Kenntnis.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, es ist ja noch nicht so lange her, daß ich Sie zu einem anderen Vorfall, der sich auch in meiner Region ereignete, befragt habe. Damals ging es um den Abwurf einer Raketenattrappe, die Spaziergänger im Wald gefunden haben. Ist es dem Verteidigungsministerium nicht möglich, angesichts der Tatsache, daß diese Region schon von mehreren Vorfällen dieser Art betroffen wurde - zum Beispiel waren einmal Schnipselabfälle von Bombenattrappen auf Straßen, Häusern und Autos verteilt -, die in dieser Region stationierten Bundeswehreinheiten, wenn sie eine Übung machen, zu informieren und sie darüber zu unterrichten, daß man mit manchen Sachen sensibel umzugehen hat, zumal wenn es um den Abwurf von Flugblättern und ähnlichen Dingen ohne vorherige Information der Bevölkerung geht?
Sofern es sich um Veranstaltungen der Bundeswehr handelt, versuchen wir alles zu tun, um die Bevölkerung zu informieren. Der Abwurf der Flugblätter ist in diesem Fall von einer privaten Organisation vorgenommen worden. Ich habe gesagt, daß der Ablauf nicht bekannt war, so daß man beim besten Willen vorher nicht informieren konnte.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein. Dann rufe ich die Frage 44 der Kollegin Lydia Westrich auf:
Entspricht es der üblichen Praxis, die örtlichen Behörden und die Bewohner vorher nicht über solche Aktionen in Kenntnis zu setzen, und werden die Bürger dieser im Zweiten Weltkrieg extrem stark betroffenen Grenzregion von der Bundesregierung zu ihrer Reaktion befragt?
Da die Logistikbrigade weder den Abwurf von Flugblättern geplant hat noch ihr dies vorher bekannt war, waren folglich auch keine Maßnahmen zur Information der Bevölkerung ergriffen worden. Art und Umfang der durchgeführten Flugbewegungen erfolgten in der alleinigen Verantwortung der zivilen Luftfahrzeugführer. Es ist von seiten der Bundesregierung nicht beabsichtigt, die Bewohner der betroffenen Region zu ihren Reaktionen bezüglich dieser Aktionen zu befragen, da sie in keiner Weise von der Bundeswehr sanktioniert sind.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, ob man sich so einfach aus der Verantwortung stehlen kann, indem man sagt: Weil wir das nicht gewußt haben, übernehmen wir auch keine Verantwortung für den Abwurf von Flugblättern.
Dies fand ja im Rahmen einer Aktion statt, die die Bundeswehr durchgeführt hat. Deswegen muß ich Sie schon noch einmal fragen, ob die Bundesregierung nicht unserer Auffassung zustimmt, daß solche Aktionen geeignet sind, das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit - sowohl national als auch international - erheblich zu beschädigen. Manöver von solcher Art in der Grenzregion zu Frankreich sind ja nicht so gut zu vermitteln.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, Frau Kollegin, daß die Bundeswehr keine Manöver durchgeführt hat - wir müssen das auch bei der Wortwahl auseinanderhalten -, daß in bezug auf die vorherige Frage - sie ist auch schon vor einigen Wochen hier gestellt worden - festgestellt werden muß, daß keine Raketen abgeschossen wurden, wie das behauptet wurde,
({0})
und daß diese Flugblätter keinen Inhalt haben, den man in irgendeiner Weise angreifen könnte. Der Inhalt der Flugblätter ist historisch und bezog sich darauf, daß die damalige Bevölkerung in ihrer AntiNazi-Haltung bestärkt werden sollte. Das kann man ja auch heute noch den Menschen deutlich machen. Wenn Sie diese Angelegenheit also derart negativ darstellen, kann ich das nicht nachvollziehen, abgesehen davon, daß alle diese Aktionen von dem besagten privaten Veranstalter durchgeführt wurden. Dann könnte auch die Bundeswehr kein Verbot aussprechen; sondern dann müßten die örtlichen Behörden sagen: Dieser private Verein darf sich in dieser Form nicht betätigen.
Zusatzfrage?
Ich muß jetzt schon noch einmal fragen: Es handelte sich aber trotzdem um eine Aktion der Bundeswehr, nicht um eine Aktion jenes Vereins? Vielmehr hat der Verein nur seine Gerätschaften, seine Flugzeuge und was weiß ich noch alles zur Verfügung gestellt. Es handelte sich jedoch um eine Aktion der Bundeswehr?
Die Bundeswehr hat - fast überwiegend in der Stadthalle in Germersheim - eine zweitägige Tagung durchgeführt, die sich mit verschiedensten Fragen auseinandergesetzt hat. Das kann ich vielleicht nachher noch im einzelnen erläutern. Im Rahmen dieser zweitägigen Tagung, auf der es auch um militärhistorische Bildung, die von uns gewünscht ist, ging - sie befaßt sich nicht nur mit dem Zweiten Weltkrieg; Soldaten müssen möglichst viel über Militärgeschichte wissen -, gab es eine kleine Exkursion zu einem Flugplatz, auf dem Luftfahrzeuge aus früheren Zeiten vorgestellt wurden. Es war aber nicht festgelegt, was da im einzelnen gemacht werden sollte. Dieser Privatverein hat dennoch seine Flugblätter verteilt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 45 des Kollegen Heinz Schmitt ({0}) wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich jetzt die Frage 46 des Kollegen Dr. Hansjörg Schäfer auf:
Ist die historische Offiziersweiterbildung generell Bestandteil des regulären Weiterbildungsprogrammes für Offiziersanwärter, und welcher Zweck wird mit der historischen Offiziersweiterbildung verfolgt?
Auf den ersten Teil Ihrer Frage antworte ich ganz klar: Ja.
Auf den zweiten Teil Ihrer Frage antworte ich wie folgt: Ziele und Wirkungsfelder sind in der Weisung des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Intensivierung der historischen Bildung in den Streitkräften vom 2. März 1994 festgelegt. Danach soll die historische Bildung in den Streitkräften das militärische Führungspersonal befähigen, sich erstens durch eine wirklichkeitsnahe und ganzheitliche Geschichtsbetrachtung als Soldat in der Demokratie zu verstehen sowie Sinn und Zweck soldatischen Dienens in der Gegenwart zu erkennen; zweitens durch die Beschäftigung mit ausgewählten Ereignissen und Persönlichkeiten der Geschichte im allgemeinen wie der Militärgeschichte im besonderen sein politisches und militärisches Urteilsvermögen zu schulen, geschichtliche Erfahrungen zu berücksichtigen und daraus Maßstäbe für das eigene Verhalten zu gewinnen; sich drittens mit historischen Fragen sachgerecht zu befassen sowie daraus gewonnene Erkenntnisse und Schlußfolgerungen für eigenes Handeln zu nutzen und in der Ausbildung zu vermitteln; viertens die historischen Bezüge von politischen und militärischen Problemen der Gegenwart zu erkennen und diese in der politischen Bildung zu vermitteln sowie fünftens durch die Untersuchung von militärischen Aktionen in ihrem Gesamtzusammenhang wie in allen ihren Auswirkungen deutlichere Vorstellungen von den Handlungsbedingungen und von der Verantwortung bei der Führung von Soldaten im Krieg zu gewinnen.
Nach der Weisung des Generalinspekteurs erfordert die Zielsetzung der historischen Bildung eine Einbindung in die Führerausbildung der Streitkräfte und muß daher in alle Bereiche - also in Aus-, Fort- und Weiterbildung - integriert werden.
Zusatzfrage?
Ich kann mir vorstellen, daß solche Übungen eine Menge Geld kosten. Deswegen hätte ich gern gewußt, wie oft sie schon durchgeführt worden sind und ob da immer oder häufig Situationen aus dem Zweiten Weltkrieg nachgestellt wurden.
Es ist nicht immer klar festzustellen, was solche Veranstaltungen kosten, weil sie nicht unter Federführung des Bundesverteidigungsministeriums gemacht werden, sondern durch die Verantwortlichen vor Ort.
Im vorliegenden Fall sind nach meinem Kenntnisstand nur die Kosten für den Bustransfer von der Stadthalle in Germersheim zu dem Flugplatz angefallen. Die allgemeine Veranstaltung ist im Rahmen der Reservistenbetreuung und der militärhistorischen Fortbildung von Offizieren abzurechnen. Das kann im einzelnen nicht genau auseinanderdividiert werden.
Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob dabei immer nur der Zweite Weltkrieg behandelt wird. Militärhistorie ist natürlich nicht nur der Zweite Weltkrieg. Aber da wir sonst so allgemein sagen, daß die Geschichte aufgearbeitet werden muß, bin ich der Meinung, daß über den Zweiten Weltkrieg auch militärhistorisch diskutiert werden sollte.
Eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Hansjörg Schäfer auf:
Liegt eine Auswertung des Manövers vom 5. und 6. Juni 1997 der Logistik-Brigade 2 aus Germersheim vor, und was ist der Bundesregierung an Reaktionen der betroffenen Soldaten bekannt?
Der Brigadekommandeur der Logistikbrigade 2 in Germersheim bewertet die Offiziersweiterbildung vom 5. und 6. Juni 1997 als Erfolg. Es handelte sich dabei nicht um ein Manöver mit Truppen- und Fahrzeugbewegungen. Die Veranstaltung hatte vielmehr Tagungscharakter und fand überwiegend - bis auf die erwähnte Exkursion nach Dahn-Reichenbach - in der Stadthalle in Germersheim statt.
Insgesamt wurden die Offiziere der Brigade in diesen beiden Tagen ebenso über künftige Entwicklungen in ihrem Bereich informiert wie über die Personallage im allgemeinen, die Aufgaben der amerikanischen Streitkräfte in Europa, die Erkenntnisse aus IFOR-Einsätzen und Reservistenangelegenheiten. Nicht zuletzt erhielten die Offiziere einen Einblick in die deutsche Geschichte.
Bei der Exkursion wurde den teilnehmenden Offizieren durch das private militärhistorische Museum Dahn-Reichenbach und die "Reservistengemeinschaft Wehrtechnik" durch den Einsatz historischer Fahr- und Flugzeuge ein Eindruck vom historischen Geschehen in Deutschland im Jahre 1945 geboten. Die Soldaten, die an der Veranstaltung teilgenommen hatten, waren - so wie wir es gehört hatten - davon beeindruckt.
Zusatzfrage.
Hat die Brigade auch untersucht, wie die Reaktionen der Bevölkerung auf diese Übung waren? Gibt es dazu Erkenntnisse?
Die Brigade hat das bisher nicht gemacht. Die Brigade hatte dazu auch keine Veranlassung, weil die Flugzettel, die während der Veranstaltung abgeworfen wurden - es handelt sich um zehn Flugblätter, wie ich bereits sagte -, von den Verantwortlichen alle wieder eingesammelt wurden und weil man erst sehr viel später erfahren hat, daß in dem ungefähr fünf Kilometer entfernten anderen Ort auch Flugzettel aufgefunden wurden. Wir wissen nicht einmal, wer diese verbreitet hat. Deshalb bestand bisher keine Veranlassung, daß die Brigade etwas unternimmt.
Zusatzfrage.
Sehen Sie denn jetzt, nach unserer Befragung, Veranlassung, in der Bevölkerung nachzufragen, wie so etwas ankommt?
Rein persönlich sehe ich immer Veranlassung, mit der Bevölkerung zu reden. Ich wundere mich nur, daß in einem Zeitungsartikel ein rechtsradikaler Zusammenhang hergestellt wurde, obwohl man Flugblätter der Alliierten aus der Zeit gegen Ende des Krieges mit Aufrufen gegen die Naziherrschaft verteilt hat. Daß das heute eine besonders ärgerliche Situation darstellt, kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Ich habe Ihren Fragen entnommen, daß gewünscht wird, daß sich nicht nur Offiziere bei ihrer Weiterbildung mit solchen Flugblättern und dieser Zeit auseinandersetzen sollen, sondern daß das auch die Bevölkerung machen soll. Ich sehe es als sehr vernünftig an, daß man jungen Offizieren darstellt, wie es vor zirka 50 und mehr Jahren war.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 48 und 49 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke dem Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Ich rufe die Frage 50 des Kollegen Horst Schmidbauer auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß lt. ,,Ärzte-Zeitung" vom 12. Juni 1997 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Intervention des Bundesfachverbandes der Arzneimittelhersteller auf sein ursprüngliches Vorhaben verzichtet, im „Bundesanzeiger" ein Verzeichnis derjenigen Altarzneimittel zu veröffentlichen, deren Nachzulassungsanträge nach § 105 des Arzneimittelgesetzes zurückgewiesen werden sollen, weil ihre Wirksamkeit nicht belegt ist?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Schmidbauer, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geplante Bekanntmachung hatte eine Anhörung zum Gegenstand. Die Liste besagte, daß für bestimmte Präparate - aus welchen Gründen auch immer - kein vollständiger Nachzulassungsantrag gestellt wurde und deshalb für sie die Versagung der Nachzulassung anstehe. Eine Ablehnung dieser Nachzulassungsanträge wegen mangelnder Wirksamkeit steht nicht an.
Wie bereits in der Antwort auf die schriftliche Frage von Herrn Dr. Thomae im November 1994 ausgeführt worden ist, beabsichtigt die Bundesregierung derzeit keine Veröffentlichung von Listen, die Rückschlüsse auf die Rücknahme von Nachzulassungsanträgen nach § 105 Abs. 5 c AMG zulassen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist es nicht eine Irreführung - bzw. gibt es unter Umständen nicht sogar den Verdacht, daß Betrug stattfindet -, wenn Verbraucher oder Patientinnen und Patienten über den Status der Zulassung, der Prüfung und damit indirekt des Nutzens eines Arzneimittels nicht informiert sind?
Die Unterstellung, daß es sich hier um Betrug handelt, Herr Schmidbauer, möchte ich zunächst einmal ganz entschieden zurückweisen. Sie lassen übrigens auch in Ihrer zweiten Frage so etwas anklingen.
Ich will Ihnen sagen, daß auf Grund der Vorschriften des AMG über die Nachzulassung nicht darauf geschlossen werden kann, daß pharmazeutische Unternehmer aus Gründen der mangelnden Wirksamkeit ihre Nachzulassungsanträge zurücknehmen. Die Gründe sind statt dessen sehr vielschichtig. Es können zum Beispiel unternehmerische Gründe sein, weil etwa bestimmte Medikamente nicht genügend abverkauft werden können.
Zusatzfrage.
Die Bundesoberbehörde hat - wohlwissend um den Status der rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen - diese Liste erstellt. Welche Motive gibt es dafür, daß die Veröffentlichung durch die Bundesoberbehörde letztendlich unterbunden wurde?
Herr Kollege Schmidbauer, ich kann noch einmal die schriftliche Antwort auf die Frage von Herrn Thomae vorlesen, weil das den Zusammenhang deutlich macht. Darin steht: Eine amtliche Veröffentlichung derjenigen Arzneimittel, für die die pharmazeutischen Unternehmer die Anträge auf Verlängerung der fiktiven Zulassung nach § 105 Abs. 5 c AMG zurückgezogen haben, ist nach Auffassung der Bundesregierung zulässig. Die Bundesregierung beabsichtigt jedoch derzeit keine solche Veröffentlichung. In Betracht kommt eine zusammenfassende Veröffentlichung der betreffenden Arzneimittel zum Zeitpunkt des ErParl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
löschens der Zulassung am 1. Januar 2005; darüber wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein.
Ich darf zu dieser schriftlichen Antwort ergänzen: Sie wissen, daß die Nachzulassungsanträge noch bis 1999 zurückgezogen werden können und bis zum Jahre 2005 ein Abverkauf stattfinden kann, dem Sie, glaube ich, seinerzeit zugestimmt haben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 51 auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung ohne das Instrument des veröffentlichten Altarzneiverzeichnisses im Interesse eines konsequenten Verbraucherschutzes sicherzustellen, daß die Bevölkerung mit wirksamen und therapeutisch unbedenklichen Arzneimitteln versorgt werden kann?
Herr Kollege Schmidbauer, wie bereits in der Antwort zu Frage 50 ausgeführt, können aus der Liste keine Rückschlüsse auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität der Arzneimittel gezogen werden. Die Bundesregierung sieht es im Interesse des Verbraucherschutzes und zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit als vordringliche Aufgabe an, daß diejenigen Arzneimittel, die sich in der Nachzulassung befinden, so zügig wie möglich und so gründlich wie notwendig im Rahmen der Nachzulassung durch die zuständigen Bundesoberbehörden überprüft werden.
Zusatzfrage?
Ja. - Ich darf mir eine Bemerkung erlauben, Herr Präsident: Die SPD hat dieser sogenannten neuesten Arzneimittelnovelle natürlich nicht zugestimmt, in der es um die Verlängerung ging.
Wenn feststeht, daß der Bundesoberbehörde Erkenntnisse vorliegen und sie der Auffassung ist, diese Erkenntnisse im Sinne eines aufklärenden Verbraucherschutzes transparent machen zu sollen, kann ich noch immer nicht nachvollziehen, was die Bundesregierung dazu bewegt, dies nicht durchzuführen.
Meine präzise Frage: Sieht die Bundesregierung denn nicht die Gefahr, daß jemand Arzneimittel verbraucht, ohne die Informationen, ohne die Kenntnisse zu haben, die letztendlich im Rahmen einer nicht erfolgten Nachzulassung bzw. in den Fällen anfallen, in denen Anträge unzulänglich sind? Das würde in Richtung Qualitätsbeurteilung für den Verbraucher doch Auswirkungen haben. Wieso sollte der Verbraucher bis 1999 warten, um über die Tatbestände, die der Bundesoberbehörde bereits heute bekannt sind, informiert zu werden?
Das waren, glaube ich, mehrere Fragen.
Dann nehmen wir das alles zusammen und ich verzichte auf meine zweite Zusatzfrage.
Dafür wäre ich sehr dankbar. Ich versuche, das Ganze im Zusammenhang zu beantworten.
Erstens. Herr Kollege Schmidbauer, von dem Bearbeitungsstand der Nachzulassungsanträge kann nicht rückgeschlossen werden, daß die Medikamente, die sich noch im Handel befinden, nicht wirksam oder bedenklich, also nicht unbedenklich, sind. Es gibt andere Vorschriften im AMG, auf deren Grundlage diese Medikamente vom Markt genommen werden können. Das wissen Sie genausogut wie ich.
Zweitens. Es gibt die Möglichkeit, daß man, wenn Nachzulassungsanträge unvollständig sind, den Hersteller auffordert, vollständige Unterlagen beizubringen. Es macht doch wenig Sinn, wenn ein Hersteller zum Beispiel unvollständige Nachzulassungsanträge stellt, das zu veröffentlichen. Das würde dem Verbraucher nicht unbedingt weiterhelfen.
Drittens. Die Bundesregierung hat sich nicht dagegen gewandt, eine solche Liste zu veröffentlichen. Aber diese Liste macht erst Sinn, wenn man über die Nachzulassungsanträge entschieden hat bzw. wenn wir genau wissen, wieviel Hersteller Nachzulassungsanträge gestellt haben. Ich darf Ihnen sagen, daß sich derzeit noch 18 000 Nachzulassungsanträge in der Bearbeitung befinden.
Sie haben das Recht, noch eine Zusatzfrage zu stellen.
Ich habe die beiden Zusatzfragen zusammengefaßt, damit ich es der Frau Staatssekretärin nicht zu schwer mache.
Das ist fair.
Damit haben wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit beendet. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf.
Frage 54 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Reinhold Robbe auf:
Ist es richtig, daß der Berichtsentwurf der Firma Kienbaum zum „Untersuchungsbereich Mittelinstanz - Reform der Wasser- und Schiffahrtsverwaltungen" vorliegt ({0})?
Herr Abgeordneter Robbe, die Firma Kienbaum hat einzelne Entwurfsteile ihres Untersuchungsergebnisses der im Bundesministerium für Verkehr zur Reform der WSV gegründeten
Lenkungsgruppe vorgelegt. Das endgültige Gutachten wird Ende August dieses Jahres der Lenkungsgruppe vorgelegt werden. Diese wird dann der Leitung des Bundesministeriums für Verkehr eine Bewertung mit einem Entscheidungsvorschlag bis Ende September vorlegen. Mit der endgültigen Ministerentscheidung über eine Neuorganisation der WSV ist im Herbst dieses Jahres zu rechnen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas zu den wesentlichen Ergebnissen und Erkenntnissen des Berichtsentwurfs der Firma Kienbaum sagen?
Herr Abgeordneter, Sie werden verstehen, daß ich das im Moment nicht tun kann; denn die Lenkungsgruppe hat die bisherigen Teilergebnisse aus dem Untersuchungsbericht noch nicht einmal dem Minister vorgelegt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Firma Kienbaum exemplarisch eine Wasser- und Schiffahrtsdirektion untersucht hat, um die Untersuchungsergebnisse auf den gesamten WSDBereich zu übertragen?
Die Firma hat verschiedene Untersuchungsaufträge. Sie hat unter anderem Varianten der äußeren Aufbauorganisation der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung zu untersuchen. Dazu zählen auch Überlegungen einer möglichen Zusammenlegung.
Kollegin Janz.
Wenn es richtig ist, Herr Staatssekretär, daß die Gesamtorganisation durch die Firma Kienbaum überprüft wird, wie ist es dann möglich, daß es bereits jetzt Festlegungen für die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost in Magdeburg gibt, wo der Baubeginn für ein neues Haus für 1998 schon festgelegt ist?
Ich kann nur wiederholen, Frau Abgeordnete, daß eine endgültige Entscheidung über die Untersuchungsergebnisse von der Leitung des Hauses noch nicht getroffen wurde.
({0})
Das müssen Sie aber nach der Fragestunde klären.
Jetzt rufe ich die Frage 56 des Kollegen Reinhold Robbe auf:
Wann wird den Abgeordneten des Deutschen Bundestages dieser Bericht vorgelegt, und ist es richtig, daß eine Empfehlung im Bericht enthalten ist, die bisherigen Direktionen von sieben auf fünf zu reduzieren?
Herr Abgeordneter Robbe, nach Vorliegen der endgültigen Ergebnisse der Untersuchung werden die an der Organisation der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung interessierten Mitglieder des Deutschen Bundestages informiert werden - Sie natürlich auch.
Aus dem Bereich des Bundesministers für Verkehr war zu erfahren, daß für die gesamte Nord- und Ostseeküste lediglich noch eine WSD zuständig sein soll. Können Sie diese Nachricht bestätigen, Herr Staatssekretär?
Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß die Firma Kienbaum einen Auftrag hat, Untersuchungen auch darüber anzustellen, ob Zusammenlegungen von Dienststellen von ihr empfohlen werden können - nicht speziell, sondern im Gesamtrahmen der Organisation.
Eine weitere Frage, Herr Staatssekretär: Weshalb hat der Bundesminister für Verkehr nicht zunächst das Ergebnis der augenblicklich stattfindenden sogenannten inneren Reform abgewartet, bevor die Firma Kienbaum mit der Untersuchung beauftragt wurde?
Ich denke, diese Dinge stehen in einem engen Zusammenhang. Eine innere Reform hat auch Auswirkungen auf die äußere Struktur der Verwaltung.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 57 der Kollegin Ilse Janz auf:
Wann plant der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann, seiner eigenen Ankündigung anläßlich der Pressevorstellung der SPD-Position vom 5. Mai d.J. nachzukommen, gemäß der er „in Kürze" ein Konzept für die Neugestaltung der deutschen Schiffahrtspolitik vorlegen wollte?
Herr Präsident, darf ich wegen des inneren Zusammenhangs dieser Frage mit der nächsten Frage eine gemeinsame Antwort geben?
Einverstanden? Ilse Janz ({0}): Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 58 der Abgeordneten Janz auf:
Wann plant der Bundesminister für Verkehr steuerliche Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung einer Tonnagesteuer und die Reduzierung der Lohnsteuer für deutsche Seeleute, um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Seeschiffahrt im internationalen Wettbewerb zu erhalten?
Frau Abgeordnete, das Bundesverkehrsministerium bereitet wie angekündigt - Sie haben das in Ihrer Frage angesprochen - zusammen mit dem BMA, dem BMF, dem BMWi und dem Bundeskanzleramt ein Konzept zur Sicherung der Seeschiffahrt in Deutschland vor und wird darüber bis Mitte Juli dieses Jahres einen Bericht vorlegen. Darin werden auch die vom Finanzausschuß des Deutschen Bundestages in der vorigen Woche, am 19. Juni, im Rahmen der Einkommensteuerreform beschlossenen steuerlichen Maßnahmen für die Seeschiffahrt enthalten sein.
Zusatzfrage.
Ich gehe davon aus, daß Sie sich an den Zeitpunkt, der beschlossen ist -15. Juli -, halten werden. Werden Sie zu diesem Zeitpunkt auch eine neue Schiffsbesetzungsverordnung vorlegen?
In dieses Konzept gehört auch eine neue Schiffsbesetzungsverordnung. Ob diese nun schon zum 15. Juli voll ausgearbeitet ist, kann ich Ihnen jetzt nicht verbindlich sagen.
Die haben Sie schon lange in Arbeit. Irgendwann muß sie ja einmal kommen. - Die Maßnahmen, um die es geht - die Tonnagesteuer und die Reduzierung der Lohnsteuer für deutsche Seeleute -, greifen ja erst 1999. In welcher Höhe wollen Sie für 1998 Finanzbeiträge anheben?
Gibt es im Rahmen eines noch zu erstellenden Nachtragshaushalts für 1997 eine Aufstockung? Denn auch hier fehlen Mittel. Es kann ja nicht sein, daß wir bis 1999 warten müssen und die Schiffahrt zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon ausgeflaggt hat.
Sie kennen unsere Bestrebungen, vom Bundesfinanzministerium einen größtmöglichen Betrag zu bekommen. Heute abend wird das Chefgespräch stattfinden. Sie werden verstehen, daß ich nicht voraussagen kann, was heute in dem Chefgespräch vereinbart wird.
({0})
- Sie hatten nach 1998 gefragt. In bezug auf den Nachtragshaushalt laufen die Verhandlungen in ähnlicher Runde.
Sie können, wenn Sie wollen, noch zwei Fragen stellen.
Die Antworten waren sehr unbefriedigend; das führt uns, glaube ich, nicht weiter. Ich bekomme nur ausweichende Antworten. - Ich bedanke mich.
Dann gibt es keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 59 und 60 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 der Kollegin Helga KühnMengel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der Novellierung der Straßenverkehrs-Ordnung vorzusehen, daß sog. „echte" Einbahnstraßen für den gegenläufigen Radverkehr geöffnet werden können, wie dies im Rahmen des Projektes „Fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen" bereits erfolgreich erprobt worden ist?
Frau Abgeordnete KühnMengel, die Bundesregierung hatte ursprünglich erwogen, versuchsweise bestimmte Einbahnstraßen für gegenläufigen Radverkehr zu öffnen, diesen Entschluß dann jedoch aus Verkehrssicherheitsgründen wieder fallengelassen. In dieser Hinsicht ist deshalb vom Bundesministerium für Verkehr in dem dem Bundesrat zugeleiteten Verordnungsentwurf zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung, in der sogenannten Fahrradnovelle, eine entsprechende Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung nicht vorgesehen.
Zusatzfrage.
Können Sie die Gründe dafür nennen? Auf welche Erfahrungen stützen Sie sich? Denn Sie wissen ja sicher - so ist es auch in der Frage angesprochen -, daß das Land NordrheinWestfalen im Rahmen eines Projektes recht gute Ergebnisse erzielen konnte.
Ich hatte ausgeführt, daß wir anfangs tatsächlich erwogen haben, diesen gegenläufigen Verkehr zuzulassen, aber die Bedenken, daß bei Gestattung des Gegenverkehrs in bestimmten Einbahnstraßen erhebliche Gefahren auf Radfahrer und auf andere Verkehrsteilnehmer zusätzlich zukommen, dann letztendlich doch so groß waren, daß wir davon wieder Abstand genommen haben.
Frau Kollegin Schwaetzer.
Herr Staatssekretär, bedeutet das auch, daß die Erfahrungen, die im Rahmen eines Modellversuchs des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gemacht worden sind und die dazu geführt haben, die
Einrichtung solcher gegenläufiger Radwege in Einbahnstraßen dauerhaft zuzulassen, gegenstandslos sind und das in Zukunft überhaupt nicht mehr möglich sein wird?
Wir werden diese Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung nicht einbringen, weil wir der Überzeugung sind, daß auch im Bereich des Radverkehrs die Eindeutigkeit des zugelassenen Verkehrs gegeben sein muß. Wir müssen andere Verkehrsteilnehmer vor zusätzlichen Gefahren bewahren. Sie müssen sicher sein können, daß Ihnen in dem Moment, in dem sie eine Einbahnstraße befahren, niemand entgegenkommen kann.
Ich rufe jetzt die Frage 62 der Kollegin Helga Kühn-Mengel auf:
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für sachdienlich, um den spezifischen Gefahren von Frauen beim Parken in Parkhäusern und auf öffentlichen Parkplätzen durch die Einrichtung spezieller Frauenparkplätze zu begegnen?
Frau Abgeordnete KühnMengel, die Bundesregierung hat zu dem von Ihnen angeschnittenen Thema in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion „Frauen und Mobilität" ausführlich Stellung genommen. Insoweit wird auf die Antworten zu dieser Großen Anfrage, besonders auf die Antworten zu den Fragen 11 bis 13, verwiesen.
Wie aus der Antwort der Bundesregierung zu dieser Großen Anfrage hervorgeht, hält es die Bundesregierung für sinnvoll, die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen bereits im Rahmen der allgemeinen örtlichen Städtebau- und Verkehrswegeplanung zu berücksichtigen. Ansonsten ist der öffentliche Parkraum je nach Maßgabe der Örtlichkeiten so zu gestalten, daß für alle Nutzerinnen und Nutzer ein sicheres und angstfreies Parken möglich ist.
Der Bundesminister für Verkehr hat mit seiner Initiative zur Errichtung von speziellen Frauenparkplätzen auf Raststätten entlang der Bundesautobahnen einen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit von Frauen geleistet. Die Ausweisung von besonderen Frauenparkplätzen im öffentlichen Verkehrsraum durch Aufnahme eines entsprechenden Verkehrszeichens in die Straßenverkehrs-Ordnung wird im Einvernehmen mit den obersten Straßenverkehrsbehörden der Länder nicht befürwortet.
Zusatzfrage?
Ist es richtig, daß die Straßenverkehrs-Ordnung auf öffentlichen Verkehrsflächen bisher nur zwei Fälle privilegierten Parkens vorsieht, nämlich das für Behinderte und das für Anwohner, und daß Sie in Zukunft auch ermöglichen werden, daß spezielle Frauenparkplätze auf öffentlichen Flächen vorgesehen werden?
Nein, ich habe das nicht in dieser Weise gesagt. Spezielle Frauenparkplätze haben wir auf Raststätten an Bundesautobahnen eingerichtet.
Sie haben also nur für diesen Fall, aber ansonsten nicht die Möglichkeit eingeräumt, spezielle Frauenparkplätze im öffentlichen Verkehrsraum zu schaffen?
Ja.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 63, 64 und 65 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir sind zugleich am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 1997, 9 Uhr ein.
Die heutige Sitzung ist geschlossen.