Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst teile ich Ihnen mit, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern:
3. Weitere Überweisungen 1m vereinfachten Verfahren ({0})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Oswald Metzger, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einkommensteuerreform für Gerechtigkeit und Transparenz - Drucksache 13/7895 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Zur Reform des Kindschaftsrechts - Drucksache 13/78994. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({1})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS: Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten - Drucksache 13/ 7691-
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren ({3}) - Drucksachen 13/7578, 13/7700 Nr. 2.2, 13/7930-
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 13/ 7780, 13/7855 Nr. 2.2, 13/79315. Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Doris Odendahl, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Investition für die Zukunft: Hochschul- und Studienfinanzierung sichern - Drucksache 13/7914 -6. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Regelmäßige Berichterstattung über die personelle Einkommens- und Vermögensverteilung ({5}) - Drucksache 13/7933Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Des weiteren soll der Tagesordnungspunkt 4 a, Rehabilitation und Kuren, abgesetzt werden.
Die Beratung des Tagesordnungspunktes 4 b, Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, bleibt unverändert bestehen.
Mit Rücksicht auf die heute abend stattfindenden Fraktionssitzungen der CDU/CSU und F.D.P. ist außerdem vereinbart worden, die Beratung der Vorlagen unter Tagesordnungspunkt 14, Anpassung an das EU-Recht, sowie den Tagesordnungspunkt 15, Reichtumsbericht, und den Tagesordnungspunkt 16, Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, von Donnerstag auf Freitag im Anschluß an die für diesen Tag vorgesehenen Beratungen zu verschieben. Sind Sie damit einverstanden? - Ja.
Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. haben beantragt, den TOP 13, Straßenverkehrsgesetz, von der Tagesordnung abzusetzen. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Ja, das ist der Fall.
Das Wort hat Kollege Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der federführende Verkehrsausschuß hat das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze verabschiedet und eine entsprechende Beschlußvorlage für das Plenum vorgelegt. Bei diesem Gesetz handelt es sich im wesentlichen um die Umsetzung einer EU- Richtlinie, und zwar der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie, und einiger Folgeänderungen daraus, die in anderen Bundesgesetzen notwendig sind.
Im Zusammenhang mit dieser Umsetzung einer EU-Richtlinie hat die SPD angekündigt, einen Antrag zur Änderung des § 24a Straßenverkehrsgesetz in zweiter Lesung einzubringen.
({0})
Es handelt sich um die Voraussetzungen der Feststellung der Promillegrenzen und der Bemessung, wie sie einmal über Blutalkoholkonzentration und zum anderen über Konzentration des Alkoholspiegels in der Atemluft festgestellt werden sollen.
Exakt dieser Sachgegenstand ist dem Rechtsausschuß federführend überwiesen worden. Er befaßt sich auf der Grundlage mehrerer Anträge und Gesetzentwürfe - auch eines Gesetzentwurfes des Bundesrates - mit dieser Materie.
({1})
Der Rechtsausschuß des Bundestages ist zu einer abschließenden Bewertung des Sachverhaltes noch nicht gelangt, weil Gerichtsmediziner die Feststellung der Alkoholkonzentration im Blut bzw. in der Atemluft unterschiedlich bewerten. Ich muß für meine Fraktion in Anspruch nehmen, daß wir über einen solchen Sachverhalt erst dann entscheiden können, wenn wir eine vernünftige wissenschaftliche Grundlage haben, die von den Kollegen im Rechtsausschuß entsprechend abgewogen worden ist.
({2})
Ich halte es nicht für angemessen, das Verfahren zu wählen, das die Sozialdemokraten bevorzugen, weil dieses Gesetz weitreichende Folgen hat
({3})
und wir sicherstellen müssen, daß alles das, was hier zu entscheiden ist, auf einer vernünftigen wissenschaftlichen Grundlage geschieht.
({4})
Solange Gerichtsmediziner unterschiedlicher Auffassung in diesem Punkt sind, kann man in dieser Weise nicht vorgehen.
Im übrigen wäre es Ihnen unbenommen gewesen, die Verfahren im Rechtsausschuß voranzutreiben, wenn Sie sich sicher gewesen wären, wie die Entscheidung ausgehen soll.
Deswegen bitten wir im Interesse einer sachgerechten und vernünftigen Beratung gerade dieses Themas, den Tagesordnungspunkt abzusetzen. Wir werden das Thema dann wieder behandeln, wenn zu dem anderen Thema Klarheit besteht.
({5})
Zur Geschäftsordnung die Abgeordnete Elke Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hörster, was Sie sich gerade abgerungen haben, ist wirklich der Gipfel des Chaos, das hier seit Wochen tobt.
({0})
Es ging ursprünglich natürlich um die Umsetzung der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie. Aber das Bundesverkehrsministerium hat mit dem Punktesystem, mit dem Fahrlehrergesetz und anderen Dingen draufgesattelt. Es geht also nicht mehr nur um den EU-Führerschein, sondern um viel mehr.
Jetzt behaupten Sie, man könne nicht darüber beraten, weil noch wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden müßten. Wenn Sie sich Ihrer Mehrheit so sicher sind, Herr Hörster, dann lehnen Sie unseren Änderungsantrag doch einfach ab. Sie haben aber keine Mehrheit bei diesem Punkt.
({1})
Sie vertagen nicht wegen Ihrer Sonderfraktionssitzung, Sie vertagen nicht, weil Sie noch wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen, sondern weil Sie bei vielen, vielen kleinen Punkten keine Mehrheit in der Koalition mehr haben.
({2})
Wir sind heute zu einer Debatte über das StVG bereit; wir können auch die Debattenzeit verkürzen,
({3})
wenn es daran hängt; dann können Sie ab 20 Uhr in den Koalitionsfraktionen Ihre Chaostage, die Sie hier seit Wochen inszenieren, endlich fortsetzen.
({4})
Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion und auch aus öffentlichen Stellungnahmen Ihrer Kolleginnen und Kollegen, daß Sie für eine Absenkung der Promillegrenze sind, damit auf deutschen Straßen endlich mehr Verkehrssicherheit erreicht werden kann. Aber Sie wollen heute kein Abstimmungsrisiko eingehen. Man kann es auch so sagen: Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Koalition tendiert gegen Null.
({5})
Sie blockieren sich mittlerweile gegenseitig und merken nicht einmal mehr, was Sie tun. Das einzige, was Sie im Moment noch können - das sieht man auch an dem Tagesordnungspunkt Rehabilitation und Kuren -, ist, unangenehme Dinge, die gelöst werden müssen, zu vertagen, damit Sie keine Abstimmungsniederlagen hier erleiden.
({6})
Sie rennen von einem Chaos in das nächste: vom Chaos auf dem Arbeitsmarkt über das Chaos im Gesundheitswesen zum Chaos in der Altersversorgung und zum Chaos in der Steuerpolitik, von HaushaltsElke Ferner
loch zu Haushaltsloch, von der Neubewertung der Goldreserven bis zum Verscherbeln des Tafelsilbers.
({7})
Frau Ferner, Sie bleiben beim Geschäftsordnungsantrag, nicht?
Ja, natürlich. - Das Chaos hat einen Namen; das Chaos heißt CDU/CSU-F.D.P.-Koalition.
Herr Hörster, ziehen Sie Ihren Absetzungsantrag zurück, damit wir endlich wenigstens ein kleines Problem in dieser Republik lösen können, oder treten Sie zurück, und machen Sie den Weg für Neuwahlen frei!
({0})
Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Albert Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hörster, Sie sagen, es fehlten die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Beratung und eine Entscheidungsfindung. Hier fehlen aber nicht die wissenschaftlichen Grundlagen; hier fehlen vielmehr die sicheren Mehrheiten auf Ihrer Seite. Das ist der springende Punkt.
({0})
Gestern hat der Verkehrsausschuß des Bundestages, der übrigens in der Frage Drogen im Straßenverkehr und Führerscheinentzug federführend ist, während für die Behandlung der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes kurioserweise der Rechtsausschuß federführend ist, zum erstenmal mit den Stimmen der Oppositionsmehrheit - der Oppositionsmehrheit! - beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, ein 10-Punkte-Klimaschutzprogramm mit Verkehrswende, mit Eisenbahnrevolution usw. vorzulegen.
So sind im Moment die Mehrheitsverhältnisse. Sie müssen von Tag zu Tag fürchten, daß Sie wieder eine Abstimmung verlieren.
({1})
Sie wissen ganz genau, daß der gesammelte wissenschaftliche Sachverstand in diesem Land und auch eine nennenswerte Zahl namhafter Fachleute in Ihrer Fraktion längst für die Absenkung der Grenze auf 0,5 Promille eintreten. Herr Dr. Jobst, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, weiß es auch.
Sie wollen sich diesem Desaster heute nicht aussetzen. Schenken Sie doch endlich der Öffentlichkeit in der Promillefrage reinen Wein ein; sagen Sie, daß
Ihnen die Mehrheit fehlt und nicht die wissenschaftliche Einsicht!
({2})
Herr Abgeordneter van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich ein sachdienlicher Vorschlag, reinen Wein einzuschenken, wenn wir über Trunkenheitsfahrten reden.
({0})
Tatsache ist, daß die wissenschaftlichen Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin zeigen, daß seit Jahren die Trunkenheitsfahrten mit geringen Alkoholkonzentrationen zurückgehen.
Tatsache ist, daß in Deutschland jeder, der mit einer Alkoholkonzentration ab 0,3 Promille einen Unfall verursacht, mit strafrechtlichen Folgen rechnen muß.
({1})
Tatsache ist auch - auch das muß hier erwähnt werden -, daß der federführende Rechtsausschuß seine Beratungen aus guten Gründen noch nicht abgeschlossen hat.
({2})
Die guten Gründe habe ich gerade genannt, unter anderem die Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin.
({3})
Tatsache ist auch, daß entgegen Ihrer Behauptung, wir hätten keine Mehrheiten, schon in der letzten Woche vorgeführt wurde: Wir haben eine sehr viel größere Mehrheit gehabt, als Sie sie uns unterstellt haben.
({4})
Deshalb ist nicht irgendeine Furcht, sondern schlicht und einfach die Tatsache, daß wir heute abend Sondersitzungen der Koalitionsfraktionen haben, der Grund dafür, daß wir Debatten verschieben müssen. Wir müssen hier Rücksicht auf den Rechtsausschuß nehmen. Ich bin einer der Berichterstatter, und ich lege Wert darauf, daß wir im federführenden Ausschuß diese Beratungen abschließen.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion schließt sich deshalb dem Antrag auf Absetzung dieses Tagesordnungspunktes an.
Vielen Dank.
({5})
Frau Abgeordnete Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Wochen agiert die Koalition hier buchstäblich wie Geisterfahrer.
Ich will aber zur Geschäftsordnung zurückkommen.
({0})
- Der letzte Redner hat auch nicht gerade zur Geschäftsordnung gesprochen.
({1})
In der letzten Sitzungswoche haben wir die Tagesordnung für diese Sitzungswoche vereinbart. Es ist bereits damals darauf hingewiesen worden, es könne sein, daß die Koalitionsfraktionen Probleme bekommen, diese Tagesordnung durchzuhalten.
({2})
Wir haben uns dann darauf verständigt, daß wir den Rest der Tagesordnungspunkte auf den Freitag verschieben, und zwar grundsätzlich alle, ohne Ausnahme.
Jetzt machen Sie eine Ausnahme, und zwar ausgerechnet bei der Verkehrsdebatte. Ich denke, das läßt durchaus tief blicken.
Es könnte ja sein, daß Sie Sorgen haben, die erforderlichen Mehrheiten zusammenzubekommen, gerade beim Antrag der SPD auf Absenkung der Promillegrenze auf 0,5. Dieses Thema behagt Ihnen offenkundig nicht.
Ich habe festgestellt: Gerade, wenn es in diesem Parlament um Alkohol am Steuer geht, dann gehen bei Ihnen regelmäßig die Jalousien herunter.
({3})
Es ist ja durchaus verständlich, denn das ist typisch männliche Solidarität: Alkohol am Steuer ist ein Problem von Männern.
({4})
Immerhin: Nur zirka 8 Prozent der jährlich 200 000 Führerscheinentzüge wegen Alkohol betreffen Frauen. Das heißt auch, mehr als 90 Prozent der alkoholisierten Verkehrsrowdies sind Männer.
({5})
Für die meisten Männer auch in diesem Parlament ist offenkundig Fahren unter Alkohol ein Kavaliersdelikt. Aber bei den Unfallursachen steht Alkohol ganz oben an, und betroffen sind dann eben nicht nur die alkoholisierten Fahrer, sondern vor allen Dingen Unbeteiligte.
Frau Enkelmann, zum Antrag.
Ich war wohl die einzige, die überhaupt zu dem Antrag gesprochen hat.
({0})
Hier muß etwas passieren, und eine Mehrheit der Bevölkerung fordert das inzwischen auch, aber das Signal vom Gesetzgeber steht bis heute aus.
Seit März 1995 liegt unter anderem ein Antrag der PDS auf Festlegung der Grenze auf 0,0 Promille vor. Es gibt massenhaft wissenschaftliche Untersuchungen. Ich finde es ein bißchen eigentümlich, wenn der Rechtsausschuß bis heute nicht in der Lage ist, darüber zu entscheiden. Sie verweigern die Debatte und die Entscheidung darüber.
Der Antrag zur Absenkung der Promillegrenze auf 0,5, der heute vorliegt, löst das Problem nicht grundsätzlich. Er ist halbherzig und inkonsequent. Aber er könnte ein Ansatz für eine erneute Diskussion in diesem Parlament sein. Sie aber verweigern sich wieder. Da wird man sich wohl fragen dürfen: Ist das Lobbyarbeit für die Alkoholindustrie oder gar Lobbyarbeit für alkoholisierte Kraftfahrer? Diese Frage müssen Sie sich schon gefallen lassen.
Wir stimmen gegen eine Absetzung.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Absetzungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Absetzungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung zum 50. Jahrestag des Marshallplan
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche, am 5. Juni, jährte sich zum 50. Mal der Tag, an dem der amerikanische Außenminister George Marshall in Harvard seine zu Recht berühmte Rede hielt. Darin schlug er eine umfassende Hilfe für das vom Krieg zerstörte Europa vor. Diese Hilfe veränderte das Gesicht Europas und auch das Gesicht Deutschlands.
Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit, in Washington an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Marshallplans teilzunehmen. Ich habe diese Gelegenheit genutzt, dem amerikaniBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
schen Volk noch einmal den Dank der Deutschen für diese Hilfe auszusprechen.
({0})
Ich glaube, es ist gut und richtig, wenn wir diesen Dank auch hier vor dem Deutschen Bundestag bekräftigen. Wir werden niemals vergessen, was das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika für uns Deutsche getan hat.
({1})
Wenn ich diesen Dank vor allem auch in Erinnerung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten Harry S. Truman und seinen Außenminister George Marshall ausspreche, dann gilt er zugleich den vielen Amerikanern, die uns in Deutschland in einer großen Not durch ihre tätige Hilfe mit Paket- und Spendenaktionen jeglicher Art geholfen haben.
({2})
Die Rede George Marshalls wird stets als ein Dokument der Weisheit, der Klugheit und vor allem auch der Großherzigkeit des amerikanischen Volkes in Erinnerung bleiben. Für Europa und vor allem für uns Deutsche ging es dabei um mehr als um wirtschaftliche Hilfe. Die Rede Marshalls war in erster Linie eine Botschaft der Solidarität. Sie besagte: Die Vereinigten Staaten von Amerika werden Europa nicht seinem Schicksal überlassen.
Sie war zugleich ein Anstoß für die Europäer, sich zusammenzuschließen und sich vor allem selbst zu helfen. Für uns Deutsche war sie wie ein Lichtstrahl der Hoffnung, der die Dunkelheit von Not und Verzweiflung durchbrach, der einen neuen Anfang ankündigte.
Das Nein Stalins in jener Zeit verhinderte, daß dieser Lichtstrahl auch den Eisernen Vorhang durchdringen konnte.
In Westeuropa und auch im westlichen Teil Deutschlands entfaltete George Marshalls Rede eine ungeheuere, heute kaum vorstellbare psychologische Wirkung. Der Sieger reichte dem Besiegten die Hand zur Hilfe und zur Versöhnung. Wann je hat es in der Geschichte Vergleichbares gegeben? Dieses Beispiel moralischer Größe hat Konrad Adenauer wenige Jahre später zu Recht als „eine der größten Taten eines Volkes" bezeichnet.
Man kann die Tragweite dieser Geste nur ermessen, wenn man sich die Ausgangslage vor Augen führt. Der Zweite Weltkrieg, von der nationalsozialistischen Diktatur entfesselt, hatte zu unsagbarem Leid auf unserem Kontinent geführt. Viele Millionen Menschen starben auf den Schlachtfeldern oder wurden barbarisch ermordet. Am Ende stand die Verwüstung weiter Teile Europas. Das besiegte Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Vor allem - auch das soll ausgesprochen werden - die moralische Verantwortung für das, was im Namen Deutschlands getan wurde, lastete schwer auf unserem Volk.
Ich erinnere mich gut an die Situation im Jahre 1947. Ich war damals 17 Jahre alt. Für die Mehrheit der heutigen Deutschen, die die Nachkriegszeit nur vom Hörensagen kennen, ist die Not, in der die Menschen damals lebten, schwer vorstellbar. Viele wohnten notdürftig in den Kellern zerbombter Häuser. In den überfüllten Städten drängten sich die Flüchtlinge. Die Fabriken standen vielerorts still. Vor Hunger waren die Menschen oft zu schwach, um die notwendigsten Dinge für ihre Ernährung zu beschaffen. In jenem Jahr schrieb Wolfgang Borchert „Draußen vor der Tür", ein Stück, das eine ganze Generation zu Recht tief erschüttert hat.
Die Rede George Marshalls wies den Weg aus dieser verzweifelten Lage in eine bessere Zukunft. Er verkündete im Auftrag seines Präsidenten Truman das Ziel, den vom Krieg zerstörten Ländern Europas zu wirtschaftlicher Stabilisierung und Unabhängigkeit zu verhelfen. Die Politik Amerikas, so sagte er, richte „sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos". Für die Vereinigten Staaten sei es eine logische Notwendigkeit, den Völkern bei der Rückkehr zu gesunder wirtschaftlicher Entwicklung zu helfen. Nur so würden politische Stabilität und Frieden in der Welt möglich.
Natürlich erkannte George Marshall mit der nüchternen Lagebeurteilung und dem strategischen Blick des erfahrenen Soldaten auch die Interessen Amerikas. Seine Initiative schuf ein Instrument, um die politische Widerstandskraft der Länder im Westen Europas gegen die Expansionspolitik Stalins zu stärken. Zugleich machte sie deutlich, daß Amerika nicht den verheerenden Fehler wiederholen würde, den es nach dem Ersten Weltkrieg begangen hatte: sich vom europäischen Kontinent zurückzuziehen und in Isolationismus zu verfallen. Dabei hatte Marshall auch die Schaffung einer sich frei entfaltenden stabilen Weltwirtschaft im Auge. Er wollte die durch den Krieg zerstörte internationale Arbeitsteilung wiederherstellen.
Dies schmälert die Bedeutung seiner Rede als eines beispiellosen Zeugnisses der Humanität keineswegs, im Gegenteil: Es zeichnet die Initiative Marshalls aus, daß sie das politisch und strategisch Richtige mit dem menschlich und moralisch Gebotenen klug zu verbinden wußte. Die Aufgabe, die die damalige amerikanische Regierung sich damit stellte, war beispiellos, und die Anstrengungen, die sie unternommen hat, waren es ebenso. Amerika unterstützte Europa in den vier Jahren des Marshall-Plans mit insgesamt rund 13,3 Milliarden US-Dollar, von denen etwa 1,4 Milliarden Dollar an Deutschland gingen.
Diese Zahlen muß man sich verdeutlichen: Auf dem Höhepunkt der Marshallplanhilfe 1948 und 1949 war mit dieser Leistung ein Verzicht auf über 2 Prozent des Volkseinkommens der Vereinigten Staaten und ihrer Bevölkerung verbunden. Fast die Hälfte aller Ausfuhren nach Europa zwischen 1948
und 1951 wurden vom amerikanischen Steuerzahler selbst finanziert. Jeder Amerikaner hat 1952 mit rund 80 US-Dollar zum Aufbauprogramm beigetragen. Dies entsprach damals mehr als einem durchschnittlichen Wochenlohn.
Die Hilfsbereitschaft der amerikanischen Bevölkerung ging weit darüber hinaus. Viele hier im Saal aus meiner Generation erinnern sich gut an die CARE- Pakete. Ich selbst weiß noch, mit welchem Gefühl die ersten Pakete mit dieser Aufschrift in unserer Familie und unserem Freundeskreis aufgenommen wurden. All denen, die damals dazu beitrugen, die Not der Menschen nach dem Krieg zu lindern, gehört auch heute unser besonderer Dank.
({3})
Die amerikanische Unterstützung schenkte den Menschen neue Kraft und neue Zuversicht, das Aufbauwerk in Deutschland und in Europa anzupacken. Eine neue Perspektive für die Zukunft tat sich auf. Diese psychologische Wirkung macht in erster Linie den wahren Erfolg des Marshallplans aus.
Auch für die Wirtschaft war das amerikanische Angebot mehr als nur rein materielle Unterstützung. Zu einer Zeit, als man in Deutschland mit Zigaretten mehr kaufen konnte als mit Geld, bedeutete der Marshallplan ein ganz wichtiges Element der Stabilität und der Sicherheit. Damit hat er auch einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen der Währungsreform im Jahr 1948 geleistet. In den Jahren danach half der Marshallplan bei der Modernisierung unserer Industrie und trug so wesentlich zur Initialzündung des Wirtschaftswachstums bei.
Doch das Konzept der amerikanischen Hilfe in Deutschland wirkte tiefer. Es handelte sich nicht einfach um Spenden. Die Importeure mußten die Güter mit Gegenwertmitteln bezahlen. Dadurch wurde eine marktgerechte Verteilung der Mittel sichergestellt. Mit den ERP-Gegenwertmitteln konnte ein Kapitalstock angelegt werden, der bis heute der deutschen Wirtschaft zugute kommt. Seit 1949 wurden aus dem ERP-Vermögen Förderkredite in Höhe von etwa 105 Milliarden DM vergeben. Besondere Bedeutung erhielt das ERP-Vermögen noch einmal im Zuge der deutschen Einheit. Seit 1990 sind die laufenden Förderkredite mehr als verdoppelt worden und betragen 1997 zirka 13 Milliarden DM. Von 1990 bis 1996 wurden Kredite für Investitionen in den neuen Bundesländern in Höhe von insgesamt 51 Milliarden DM zugesagt. Sie haben dort zu einem Investitionsvolumen von über 150 Milliarden DM geführt. Ich denke, hier schließt sich der historische Kreis. Das Kapital, das der Marshallplan geschaffen hat, unterstützt heute den Wiederaufbau in dem Teil Deutschlands, dem vor 50 Jahren durch Stalins Verdikt die Teilnahme am Marshallplan versagt worden war. Welches Beispiel zeigt besser als dieses, daß die Idee der Freiheit - politisch und wirtschaftlich - auf Dauer nicht aufzuhalten ist?
({4})
Einen Neubeginn bedeutete der Marshallplan auch im Blick auf die Beziehungen zu unseren Nachbarn. Amerika zeigte uns damit den Weg, der zurück in die Gemeinschaft der freien Völker wies, und unterstützte uns bei den ersten schwierigen Schritten auf diesem Weg. Zugleich - das war von größter Bedeutung - brachten die Vereinigten Staaten von Amerika die Länder Europas einander näher. Die amerikanische Regierung machte es zur Bedingung, daß sich die Empfängerstaaten in Europa für die Gewährung der amerikanischen Hilfe abstimmten, und verpflichtete sie zur Zusammenarbeit. Die Europäer selbst sollten die Initiative ergreifen und gemeinsam ihre Bedürfnisse formulieren.
Die Empfängerländer bildeten einen gemeinsamen Ausschuß, um eine Antwort auf den Vorschlag von George Marshall auszuarbeiten. Dies führte 1948 -knapp drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - zur Gründung der OEEC, der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Für uns Deutsche hatte das eine besondere Bedeutung: Dies war die erste internationale Organisation, die die junge Bundesrepublik als gleichberechtigtes Mitglied aufnahm. Durch diese Zusammenarbeit erreichten die Vereinigten Staaten, daß die Europäer eine gute Zukunft Europas als ihre gemeinsame Aufgabe verstanden. Man kann mit Recht davon sprechen, daß der Marshallplan einen ganz wesentlichen Anstoß für die europäische Einigung gab.
({5})
Es war ein Glücksfall, daß George Marshall auf Partner traf, die in seinem Geiste wirkten. Stellvertretend für viele nenne ich hier allen voran Jean Monnet, Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer. Ohne die vorausschauende Politik von Präsident Truman und seinem Außenminister wäre die europäische Geschichte der vergangenen Jahrzehnte mit Sicherheit in anderen Bahnen verlaufen. Der Dank aller freien Nationen Europas - im Westen wie heute auch im Osten unseres Kontinents - gilt diesen Männern ebenso wie ihren Mitarbeitern.
Ich will bei dieser Gelegenheit gerne einen Mann besonders hervorheben, der bei der Erinnerung an diese Zeit häufig vergessen wird. Es ist Senator Arthur Vandenberg.
({6})
Er hat auf der republikanischen Seite in enger Zusammenarbeit mit der demokratischen Administration die parteiübergreifende Unterstützung des Programms im Kongreß gesichert. Ich halte es für geboten, Senator Vandenbergs Verdienst sehr viel stärker zu würdigen, als dies bisher geschehen ist.
({7})
Ich wünsche mir auch, daß beispielsweise in unseren Schulen mehr über diese Zeit und über diese Persönlichkeiten gesprochen wird. Gerade die jungen Deutschen sollen wissen, daß damals der Grundstein
für die enge transatlantische Partnerschaft und Freundschaft gelegt wurde. Diese Freundschaft verbindet Deutschland und die USA jetzt seit einem halben Jahrhundert. Sie ist und bleibt für uns von existentieller Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa. Die Vereinigten Staaten haben an vorderster Stelle über vier Jahrzehnte die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und des Westteils von Berlin geschützt. Als die Sowjetunion die Versorgung Berlins auf allen Landwegen blockierte, entschloß sich die amerikanische Regierung ohne zu zögern, das Überleben der Stadt durch eine einzigartige Luftbrücke zu sichern. In den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation schützten viele Millionen amerikanischer Soldaten die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind ein wichtiger Teil der Freundschaftsbrücke über den Atlantik geworden. Wir werden auch dies nicht vergessen.
({8})
Wir werden und wollen auch nicht vergessen, wie vorbehaltlos die amerikanische Regierung - ich denke hier vor allem an Präsident George Bush und Außenminister James Baker - und auch das amerikanische Volk uns unterstützten, als sich die Chance der deutschen Einheit ergab. Ohne diese Hilfe und ohne die Hilfe und Unterstützung auf der anderen Seite durch Michail Gorbatschow hätten wir - davon bin ich überzeugt - die Einheit in Frieden und Freiheit unter Zustimmung all unserer Nachbarn wohl nicht erreicht.
({9})
Die deutsch-amerikanische Freundschaft ist eine wichtige - ich sage: eine kostbare - Errungenschaft. Die Brücke über den Atlantik ist stabil und tragfähig. Jetzt gilt es aber, neue Fahrbahnen zu bauen, nicht zuletzt im wissenschaftlichen, im kulturellen und im wirtschaftlichen Bereich. Deutschland und die USA sind heute die größten Handelsnationen der Welt.
Die USA sind unser wichtigster Handelspartner außerhalb der Europäischen Union. Seit 1990 haben sich unsere Wirtschaftsbeziehungen noch vertieft. Die USA sind zum größten Investor in den neuen Bundesländern geworden. Es ist wichtig, daß wir die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern weiter vertiefen.
Die Freundschaft zwischen den Völkern wächst aber vor allem aus der Begegnung der Menschen. Deshalb ist es eines unserer wichtigsten Anliegen, Begegnungen zwischen Deutschen und Amerikanern - gerade und vor allem in der jungen Generation - zu fördern, wo immer dies möglich ist.
({10})
Als Dank für die empfangene Hilfe hat die Bundesregierung unter Führung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt im Jahre 1972 zum 25. Jubiläum der Rede Marshalls ein aus dem ERP-Vermögen finanziertes Programm zur Gründung des ,,German Marshall Fund of the United States" ins Leben gerufen. Mit ihm sollte das Verständnis, die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten gefördert werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem German Marshall Fund von 1972 bis heute insgesamt 250 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Anläßlich des 50jährigen Jubiläums wird die Förderung durch ein „Deutsches Programm zur transatlantischen Begegnung" abgelöst. Dafür werden aus dem ERP-Vermögen jedes Jahr 10 Millionen DM zur Verfügung stehen. Es geht dabei vor allem darum, den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch - oder ganz einfach: das Kennenlernen von Menschen - über den Atlantik hinweg zu fördern. Diesem Ziel dient im Bereich der Wissenschaft nicht zuletzt das von Präsident Clinton und mir vor vier Jahren initiierte Deutsch-Amerikanische Akademische Konzil, das in diesen Tagen hier zusammentrat. Wer dabei gewesen ist, der konnte erkennen, daß dieses Konzil eine ganz großartige Entwicklung nimmt.
Die Teilung des europäischen Kontinents hat damals auch der Marshallplan nicht verhindern können. In das amerikanische Angebot waren ausdrücklich alle europäischen Staaten eingeschlossen. Das kategorische Nein Stalins beschränkte den europäischen Wiederaufbauplan Marshalls auf Westeuropa. Ich sagte vor zehn Jahren im Rahmen der Gedenkstunde für den Marshallplan im Deutschen Bundestag: „Das Nein Stalins von 1947 darf kein Schlußwort sein." Heute wissen wir: Es wurde nicht zum Schlußwort. Die Mauer ist verschwunden, und Deutschland ist wiedervereint. Das kommunistische Imperium im Osten ist zusammengebrochen, und die Völker Mittel-, Ost- und Südosteuropas kehren wieder ins freie Europa zurück. Oder wie ein Repräsentant dieser Länder, Vaclav Havel, damals sagte: Wir kehren heim nach Europa.
Heute haben wir die Chance, im Geiste George Marshalls gemeinsam mit den mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten die Einheit Europas zu vollenden. Wir, die Deutschen, haben daran ein ganz besonderes Interesse. Unser Land liegt in der Mitte des Kontinents. Wir haben die meisten Nachbarn und die längsten Grenzen. Wir wollen, daß unsere Grenzen mit Polen oder der Tschechischen Republik ebenso offen sein werden wie unsere Grenzen mit Frankreich oder den Niederlanden. Die Grenze zwischen Deutschland und Polen darf nicht die Ostgrenze der Europäischen Union und des Nordatlantischen Bündnisses bleiben.
({11})
Am kommenden Montag und Dienstag werden im Rahmen des Europäischen Rates in Amsterdam die Abschlußverhandlungen der Regierungskonferenz zum Maastricht-Il-Vertrag stattfinden. Wir werden dabei auch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Europäische Union auf die Aufnahme neuer MitBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
glieder vorbereitet ist. Wir wollen, daß zu Beginn des kommenden Jahres die Beitrittsverhandlungen mit den ersten Ländern Mittel- und Osteuropas aufgenommen werden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, George Marshall strebte ein Europa in Frieden und Freiheit, in Sicherheit und Stabilität an, ein ungeteiltes Europa, verbunden mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir vollenden heute, was er angelegt hat. Wir erfüllen sein Vermächtnis im besten Sinne, indem wir die Freundschaft mit den amerikanischen Partnern pflegen und das Haus Europa als ein gemeinsames Haus für alle Völker unseres Kontinents bauen. Dies ist der beste Dank, so denke ich, den wir dem großen amerikanischen Staatsmann George Marshall und dem großen Präsidenten Harry S. Truman abstatten können.
({12})
Ich eröffne die Aussprache. Zuerst ergreift der Abgeordnete Freimut Duve das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir säßen nicht hier im Parlament als frei gewählte Parlamentarier und es gäbe die demokratische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989, wiedervereinigt dann ab 1990 nicht ohne die hier heute geehrte Leistung eines anderen Volkes. Dafür müssen wir ihm danken.
({0})
Es ist eine Leistung, die auch ermöglicht hat, daß wir in Freiheit aufgewachsen sind, erzogen wurden und Parlamentarier werden konnten.
Unser früherer Kollege Erhard Eppler weist in seinen Schriften immer wieder darauf hin, wie wenig demokratische Erfahrung seiner Generation - er war bei Kriegsende 19 Jahre alt - zur Verfügung stand. Ich zitiere ihn:
Dem ({1}) verordneten Geschichtsbild hatte meine Generation keinerlei eigene Erfahrung entgegenzusetzen. Wir waren angewiesen auf das, was uns Ältere erzählten. Und die zogen es meist vor zu schweigen.
Wir haben Erfahrungen; der Herr Bundeskanzler hat das eben für unsere Generation gesagt. Eine ganz zentrale Erfahrung für uns ist, daß unser demokratisches Selbstbewußtsein, daß auch unser patriotisches Selbstbewußtsein immer an den Dank an andere gekoppelt ist. Das ist neu in der Geschichte der Demokratien und auch neu in der Geschichte der Nationalstaaten. Es gibt ein neues Element; das ist unsere Erfahrung.
Wir können nicht dauernd weitergeben, wie es mit dem „nichts zu essen haben" war, warum wir noch immer kein Butterbrotpapier wegschmeißen können; ich merke das an meinen Kindern. Sie finden es langsam anekdotisch, wenn der Alte das immer wieder erwähnt. Ich komme aber nicht davon weg, ich bekomme das nicht aus meinem Kopf. Daß wir, wenn wir eine weggeworfene Brotstulle liegen sehen, denken, sie gehöre eigentlich nicht dorthin, geht nicht heraus aus unseren Köpfen.
({2})
Nur, das werden wir nicht vererben können. Eines aber können wir vererben: Wie sind Sieger, die aus einer Demokratie kamen, und wie ist ein siegreicher Soldat, der in zwei Weltkriegen mitgekämpft hat, nämlich George Marshall, mit den Verlierern umgegangen? Das ist der entscheidende Punkt für unsere Erfahrungen, die wir der nächsten Generation weitergeben müssen: Nur Demokratien sind in der Lage, auch dann, wenn sie sich gezwungen sehen, Kriege zu führen, so mit Verlierern umzugehen, daß diese hinterher die Chance zur Kooperation, zur Partnerschaft, zum Zusammenleben mit den anderen haben. Dies ist die zentrale Erfahrung.
({3})
Genau diese Erfahrung können Diktaturen, die Sieger sind, nicht vermitteln. Nein, sie bleiben Sieger, werden nicht Partner, nicht Freunde. Das leider hat Stalin Osteuropa, das hat Stalin den 17 Millionen Menschen in den heute neuen Ländern, in der damaligen sowjetisch besetzten Zone, zugefügt: Sein Land war unfähig, aus Siegern wirkliche Partner zu machen. Das ist das Entscheidende.
({4})
Ich muß eine kleine Geschichte erzählen: Das sechsjährige Kind - das war damals derjenige, der hier spricht - kommt bei einer Wanderung mit seiner Mutter in den Schwarzwälder Bergen oberhalb von Freiburg an einem Gefangenenlager, wohl hohe amerikanische Offiziere, vorbei - die ersten „Feinde", die ich unmittelbar sehe; Fernsehen gab es ja nicht. Die Gefangenen sind freundlich hinter einem hohen Zaun. Sie rufen uns nette Dinge zu, und meine Mutter wechselt auf Englisch - sie hat vor dem Krieg in England gelebt - einige Worte mit ihnen. Plötzlich wirft einer eine große Tüte Bonbons über den Zaun. Meine Mutter freut sich und bedankt sich herzlich. Aber der kleine Junge - also ich - macht die Tüte mit den Süßigkeiten nicht auf: „Mutti, die sind bestimmt vergiftet. Die dürfen wir nicht essen. Und ich habe sie nicht gegessen. Das Feindbild war fest eingeschraubt, sogar in einem so kleinen Kopf, und selbst meine Mutter hat es in dem Moment nicht lösen können.
Drei Jahre später kommt ein CARE-Paket zu uns nach Hause; ein jüdischer Jugendfreund meiner Mutter schickt aus New York den ersten Bohnenkaffee.
Später lernte das neunjährige Kind dann noch das wilde Wort „Morgenthau-Plan". Da hatten einige mißtrauische Verlierer der ermüdeten Kriegsgeneration ihr Stichwort, wenn auch nur für kurze Zeit. Es hielt nur kurz, die demokratischen Sieger wandelten sich rasch zu Helfern.
George Marshall war Soldat. Daran hat Willy Brandt vor 25 Jahren in Harvard erinnert - ich zitiere Willy Brandt -:
Er war Soldat, das heißt, er diente einem Beruf, der stets Bereitschaft zum Krieg mit all seinen Konsequenzen voraussetzt. Ich sage dies bewußt so hart; denn dadurch wird die exemplarische Leistung dieses Lebens um so sichtbarer.
Natürlich müssen wir an einem solchen Tag historische Erkenntnisse nicht verschweigen. Fachhistoriker haben in den letzten drei Jahren inzwischen sowjetische Akten studiert. Sie haben die Instrumentalisierung dieses Marshallplans durch Moskau für seine Absichten erkannt. Aber sie haben auch erkannt, daß es im Westen Politiker gab, die erhofften, daß Moskau auf dieses Angebot so reagieren würde. Das ist heute die historische Erkenntnis aus der Aktenlage.
Eines wird bei der Betrachtung des Marshall-Plans und seiner Wirkungen auf Westeuropa überdeutlich. Es gab und gibt eine Zukunfts- und Sicherheitsphilosophie, die auf Kooperation und Hilfe zur Selbsthilfe aufgebaut ist; und es gab und gibt Sicherheitsphilosophie, die auf hegemonialem Herrschaftsanspruch gründet. Das ist der entscheidende Unterschied - übrigens auch in der Debatte um die NATO-Erweiterung. Wir wollen eine Philosophie, die auf Kooperation aufbaut, nicht eine Philosophie, die auf hegemonialem Anspruch aufbaut.
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Das ist unsere weitere historische Lehre: Wer Hegemonie, also Vorherrschaft, will, kann niemals Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln. Er kann allenfalls freundschaftlich oder herrschaftlich alimentieren, wenn er die Mittel dazu hat - aber auch dies ist Hilfe zur künftigen Abhängigkeit.
Die im Marshall-Plan angelegte Philosophie der Kooperation schafft eine Abhängigkeit auf Gegenseitigkeit. Wir können nicht voneinander, und das ist gut so. Dieser Plan hat das halbe Jahrhundert transatlantischer Kooperation begründet. Er war der Appell zur politischen Gemeinsamkeit, das Grundelement des Programms, das Willy Brandt damals, vor 25 Jahren in Harvard, „genial" genannt hat.
Eine letzte Bemerkung: 1945, in meiner Kindheit, standen an den Trümmerwänden in Hamburg zwei Wörter, die mich geprägt haben - ich denke, sie drücken für viele von uns einen noch größeren Auftrag aus als eine Parteimitgliedschaft, bis ans Lebensende -: „Nie wieder" . Diese Wörter standen beispielsweise am Bahnhof Dammtor. Ich kenne die Stellen alle noch; und manche mag es langweilen, wenn ich jedesmal sage: Da stand „Nie wieder". Das ist unser Auftrag. Daß wir dieses „Nie wieder! " sagen konnten, haben wir den Amerikanern und den anderen Verbündeten zu verdanken.
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Noch etwas Aktuelles: Wir sind manchmal etwas enttäuscht, wenn wir, wie vor 14 Tagen, in Sarajewo sind, mit der dortigen Regierung sprechen und im Grunde genommen diese beiden Wörter in Bosnien-Herzegowina nicht finden, sondern überall finden: „Falls nicht, dann wieder!" Jeder deutet an, es könnte wieder kommen, wenn wir nicht alimentieren. Es ist genau unser Auftrag, ihnen zu sagen: Es wird Hilfe zur Selbsthilfe nur geben, wenn auch ihr grundsätzlich für euer Leben das „Nie wieder! " akzeptiert.
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Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Dank, den wir fast alle mit unserem Beifall zum Ausdruck gebracht haben, möchte ich für die CDU/ CSU-Fraktion auch in Worte fassen: Herr Bundeskanzler, wir danken für Ihre Regierungserklärung, stimmen ihr zu und machen sie uns zu eigen. Herr Kollege Duve, wir finden uns auch in dem wieder, was Sie gesagt haben. Das ist bei einem solchen Anlaß gut so.
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Wir haben über General George Marshall und seine große Rede bei vielen Gelegenheiten, auch in diesen Wochen wieder, Wichtiges und Bleibendes gehört. Sein Name ist zum Synonym für amerikanische Wiederaufbauhilfe im Nachkriegseuropa geworden. Ihm selbst wäre es vermutlich gar nicht recht gewesen, wenn er all diese Reden über sich hätte ergehen lassen müssen; denn der wortkarge General Marshall redete nicht gern, schon gar nicht über eigene Verdienste. Mehr sein als scheinen - die Devise des alten Moltke, traf auf ihn zu. Taten waren ihm wichtiger als Worte.
Auch daran ist zu erinnern, wenn wir heute aus Anlaß der 50. Wiederkehr des Marshallplans zusammenkommen; denn über das Erinnern und die Lehren der Geschichte hinaus geht es um die Frage, was wir in Zukunft tun können, um das Vermächtnis Marshalls zu bewahren und seinem Geist entsprechend zu handeln.
Zunächst ist diese Stunde der Erinnerung für viele von uns ein Stück erlebter, ganz persönlicher Geschichte. Herr Kollege Duve, ich glaube, Sie sind sechs Jahre nach dem Bundeskanzler geboren, und,
wenn ich richtig gerechnet habe, ich bin wieder um sechs Jahre nach Ihnen geboren.
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- Meine Kinder sehen das ganz anders. Im übrigen ist das ein Nachteil, der von Jahr zu Jahr abnimmt.
Es geht um die Erinnerung an die Zeiten direkt nach Ende des Krieges. Ich habe keine unmittelbaren Erinnerungen mehr an den Krieg selbst; mein Erinnerungsvermögen setzt in der Nachkriegszeit ein. Natürlich ist diese Stunde für viele von uns auch ein Stück persönlicher Geschichte.
Damals, vor 50 Jahren, als unser Vaterland in Trümmern lag und zu den materiellen Verwüstungen vor allem die geistigen hinzukamen, in dieser Stunde der tiefsten Erniedrigung waren es die Vereinigten Staaten von Amerika, die durch kluge und weitsichtige Politik von Männern wie Präsident Truman oder Außenminister Marshall dafür sorgten, daß Freiheit und Demokratie in unserer geschundenen Heimat wieder eine politische Perspektive erhielten.
Der Marshallplan und die politische Philosophie, für die er steht, sind eine entscheidende Markierung auf diesem Weg. Der Marshallplan, die CARE-Pakete, ein paar Jahre später die Rosinenbomber in der Zeit der Berlin-Blockade, die Quäker-Hoover-Kinderspeisung, an die sich die etwas Jüngeren erinnern - sie alle sind zum Symbol der amerikanischen Freundschaft und Verbundenheit mit unserem Schicksal geworden. Viele meiner Generation erinnern sich noch lebhaft daran, wie Ende der 40er Jahre die Schulspeisungen durch amerikanische Quäker zum täglichen Ereignis wurden. Sie garantierten eine warme Mahlzeit, die für ausgehungerte Mäuler die kärgliche Tagesration erträglich machte.
Die Initiative haben wir dem früheren amerikanischen Präsidenten Hoover zu verdanken, der 1946 zum ersten Mal nach Deutschland gekommen war und wegen der entsetzlichen Not durchsetzte, daß 40 000 Tonnen nahrhafte Armeekost, die für Hungerkrisen gelagert wurden, in ein Kinderspeisungsprogramm umgewidmet wurden. 3,5 Millionen deutsche Schulkinder haben davon profitiert, kamen so in den Genuß von zusätzlich 350 Kalorien pro Tag. Für viele stellte dies unter den damaligen Bedingungen das Überleben sicher.
Es waren amerikanische Soldaten, die in den vergangenen vier Jahrzehnten durch ihren Einsatz in Berlin und anderswo Freiheit und Demokratie verteidigten.
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Und es war die amerikanische Regierung - der Bundeskanzler hat es gesagt -, die nach dem Fall der Mauer die Initiative ergriff, um den äußeren Rahmen für die deutsche Einheit zu schaffen. Das alles, meine Damen und Herren, werden wir nicht vergessen.
Wie eng die Bindungen an die Vereinigten Staaten und die bei uns lebenden Amerikaner sind, ist vielen vielleicht erst richtig bewußt geworden, als in manchen unserer Städte mehr verschwand als die aus ihren Kasernen abziehenden GIs.
Heute, 50 Jahre nach dem Marshallplan, ist ganz Europa frei. Die Geschichte hat General Marshall und den Vereinigten Staaten recht gegeben. Langfristig setzte sich eine freie Wirtschaftsordnung gegen Planwirtschaft und Staatsdirigismus durch. Zu den Lehren des Marshallplans zählt deshalb auch, daß die Staaten Europas ihre Probleme nur über wirtschaftliche Kooperation meistern können. Nicht Protektionismus und Abschottung sind geeignete Antworten auf die Probleme der Gegenwart - im Gegenteil: Wir werden unsere Leistungsfähigkeit nur dann bewahren und steigern, wenn wir die Herausforderung offener Märkte annehmen.
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Die zweite Lehre aus dem Marshallplan ist in ihrer Konsequenz noch entscheidender. Am Ende sind die Anziehungskräfte von Freiheit und Demokratie allemal stärker als staatliche Gängelung und Unterdrükkung. Das ist die Erfahrung von 1989.
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Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs erleben wir, daß auch der Osten Europas zum Westen gehören will. So eröffnet sich unserem alten Kontinent nach dem Ende der Nachkriegszeit die Chance, daß Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechte auch in seinem östlichen Teil verwirklicht werden können. Insofern war es von symbolischer Bedeutung, daß der polnische Außenminister gestern während der Regierungserklärung des Bundesaußenministers zur Europapolitik in unserem Bundestag anwesend war.
Das politische Europa braucht nicht mehr auf den westlichen Teil des Kontinents begrenzt zu bleiben. Kulturell hat diese Trennung ja nie bestanden. Diese Teilung war nur das Ergebnis des weltpolitischen Kräfteverhältnisses nach dem Zweiten Weltkrieg.
Wir Deutsche sind für Teilungen besonders sensibel. Wir wissen, daß alles, was bestehende Gräben vertieft oder neue aufreißt, am Ende unserer gemeinsamen Sicherheit schadet. Wir können es uns nicht leisten, daß sich an unserer Ostgrenze dauerhaft ein Wohlstandsgefälle auftut.
Weil wir dem Marshallplan verdanken, daß wir nach dem Krieg überlebt haben und eine stabile Ordnung der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft errichten konnten, die zur Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit führte. Und weil dafür die Integration Europas und des Westens entscheidend war, stehen wir heute auf besondere Weise in der Pflicht, wenn es darum geht, den Reformstaaten Ostmitteleuropas den Weg in das politische Europa, in Europäische Union und NATO, zu bahnen.
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Auf den Marshallplan trifft zu, was Bismarck einmal über historische Größe gesagt hat:
die Großzügigkeit im Wurf, die Überzeugungskraft und Weitsicht, das richtige politische Kalkül.
Der Gang der Geschichte hat das bestätigt. Für uns kann das nur Ermunterung und Ansporn sein.
Geschichte wiederholt sich nicht. Doch den zentralen Satz Marshalls können wir gar nicht oft genug wiederholen. „Die Initiative", hat er gesagt, „muß von Europa ausgehen."
Auf die Europäer, d. h. auf diejenigen Europäer die bereits heute Teil der euroatlantischen Strukturen sind, kommt es an, wenn es darum geht, den ostmitteleuropäischen Reformstaaten eine realistische Beitrittsperspektive zu den beiden institutionellen Garanten von Sicherheit und Stabilität - Europäische Union und NATO - zu eröffnen.
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Und auf die Europäer kommt es an, wenn wir die Vereinigten Staaten auch in Zukunft in Europa halten wollen. Das Beste, was wir meines Erachtens dafür tun können, ist die Verbesserung unserer außenpolitischen Handlungsfähigkeit. Wir Europäer leben noch immer zu einem erheblichen Teil in geborgter Sicherheit. Zuletzt haben wir in Bosnien die schmerzliche Erfahrung gemacht, daß wir auf uns allein gestellt noch immer nicht in der Lage sind, verlorenen Frieden wiederherzustellen.
Ein handlungsfähiges Europa ist die beste Gewähr für eine stabile Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten; denn es schafft die Voraussetzungen dafür, daß sich die Vereinigten Staaten von einem Teil ihrer Lasten befreien können. „Die Wahrung gemeinsamer Interessen erfolgt nicht automatisch, sondern muß beständig neu definiert werden", hat einst Henry Kissinger bemerkt.
Eine Definition der gemeinsamen Interessen setzt eine Analyse der Herausforderungen voraus. Auch wenn die Welt nach dem kalten Krieg weniger berechenbar geworden ist, bleibt doch unbestritten, daß es in Zukunft häufiger Situationen geben kann, in denen wir Europäer unsere sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen.
Vielleicht ist es deswegen ganz günstig, daß der heutige Jahrestag wenige Tage vor dem Gipfel der Europäischen Union in Amsterdam liegt, für den wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, viel Erfolg wünschen.
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Wir haben in den transatlantischen Beziehungen in den letzten 50 Jahren viel erreicht: Wir schicken unsere Kinder in amerikanische Gastfamilien und auf amerikanische Universitäten; wir haben die Atlantikbrücke und den German Marshall Fund, das Deutsche Historische Institut und vieles andere mehr. Auf wissenschaftlicher Ebene existiert ein reger Austausch.
Seit 1990 holen wir schließlich auch in den östlichen Bundesländern in den deutsch-amerikanischen Beziehungen nach, was in den vier Jahrzehnten SED-Diktatur nicht möglich gewesen ist. Auch das zählt zum Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika und seinen Herausforderungen.
Die menschlichen Bindungen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten enstanden sind, sind das Fundament, auf das wir bauen können. Entscheidend dabei ist vor allem die Verbindung aus der Überzeugung, daß die Vereinigten Staaten für die beste und vernünftigste Ordnung, nämlich die freiheitlich-demokratische, stehen, und den Siegeszug des American Way of Life, der dank der einstigen Verächter der amerikanischen Außenpolitik sogar in seiner Freizeitvariante mit Blue Jeans und Turnschuhen selbst in diesem Haus Einzug gehalten hat. So sehr haben sich die Zeiten geändert.
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Europäer und Amerikaner bilden eine Wertegemeinschaft, die auf dem gemeinsamen Erbe von abendländischer Zivilisation und christlichem Menschenbild gründet. Wir haben eine gemeinsame Herkunft und gemeinsame Grundüberzeugungen. Wir teilen die Vorstellungen von Menschenwürde und Bürgerrechten. Deshalb werden die transatlantischen Bindungen auch in Zukunft tragen.
Wir haben viel erreicht, aber Anlaß, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen, haben wir nicht. Wir müssen die transatlantischen Bindungen von Generation zu Generation immer wieder neu erwerben. Jede Generation hat ihre eigenen Erfahrungen und deshalb auch ihr eigenes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten.
Für die Kriegsgeneration ist der definitorische Moment die unmittelbare Nachkriegszeit, als der Marshallplan geboren wurde und die Vereinigten Staaten durch ihren mutigen Einsatz für Frieden und Freiheit den sowjetischen Vormarsch in Ost- und Mitteleuropa eindämmten.
Die Generation der heute 40- bis 60jährigen - Kriegskinder und Babyboomer - sind im Zeichen des kalten Krieges und mit der amerikanischen Präsenz in Europa großgeworden. Ihre Sicht und ihre Erfahrungen dominieren heute in den deutschamerikanischen Beziehungen; aber entscheidend wird sein, welches Verhältnis zu Amerika die künftigen Generationen entwicklen.
Deshalb stehen Schule und Ausbildung ganz oben auf unserer Agenda. Vorrangig muß es dabei um die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit unserer Hochschulen gehen. Wie wollen wir denn für Absolventen amerikanischer Eliteuniversitäten einen Anreiz schaffen, zu einem Postgraduiertenstudium nach Deutschland zu kommen, wenn wir uns in immer mehr Bereichen aus der internationalen Spitze verabschieden und unsere Hochschullandschaft für viele Ausländer einfach nicht mehr attraktiv genug ist?
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Hier können, ja hier müssen wir mehr tun.
Ich halte die Idee für überlegenswert, auf dem Gelände der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen vielleicht eine Art Wilson-Center einzurichten, wohin einschlägig ausgewiesene amerikanische Diplomaten, Wissenschaftler und Journalisten für einen begrenzten Zeitraum nach Deutschland eingeladen werden können, um sich von dort aus mit ihren jeweiligen Gesprächspartnern in Parlament, RegieDr. Wolfgang Schäuble
rung und Strategic community auszutauschen. Auch das Vorhaben, das gegenwärtig auf den Weg gebracht wird, beim Deutschen Historischen Institut in Washington ein Visiting Scholar Center für jüngere Nachwuchswissenschaftler aus den Geisteswissenschaften - Deutsche wie Amerikaner - ins Leben zu rufen, weist in die richtige Richtung.
Wir müssen jedenfalls bei einem Anlaß wie heute überlegen, was wir tun können, damit der Austausch zwischen Deutschen und Amerikanern auch in der jüngeren Generation so intensiv und fruchtbar bleibt, wie dies in den letzten 50 Jahren seit dem Marshallplan gelungen ist.
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Schulen, Universitäten, Kirchen und Verbände, nicht zuletzt der Deutsche Bundestag, auch die Parteien, jeder einzelne von uns kann hierzu beitragen. Auf diese Weise, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erhalten wir die deutsch-amerikanische Freundschaft, leisten unseren Beitrag für Frieden und Freiheit in der Welt des 21. Jahrhunderts und bleiben dem Erbe von General Marshall verpflichtet.
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Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Ludger Volmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie bewerten Mitglieder der Nachkriegsgeneration ein Ereignis, dessen Bedeutung sich ihnen nur aus historischer Rückschau erschließt? Wie bewertet eine Partei, die ohne die APO der 60er Jahre, die Friedensbewegung und deren massive Kritik an der amerikanischen Außenpolitik kaum existent wäre, eine amerikanische Tat, die für die europäische Nachkriegsentwicklung grundlegend war?
Der Einsatz Amerikas für die Befreiung Deutschlands und Europas von den Nazis kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Was wäre heute, wenn Deutschland, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte? Man muß sich diesem schauerlichen Gedankenexperiment unterziehen, um begreifen zu können, welche historische Größe hinter dem amerikanischen Angebot stand, nicht nur den schwer getroffenen Opfern der Nazi-Aggression unter die Arme zu greifen, sondern ausdrücklich auch der niederliegenden deutschen Bevölkerung.
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Anders als 1918 waren die Gedanken eines Siegers nicht von Rache und Vergeltung, Reparation und Demütigung erfüllt. Er übernahm für Befreite und Besiegte Verantwortung, wies konstruktiv einen Weg, wie sich Staat, Wirtschaft und öffentliches Leben auf demokratischer Basis neu entfalten könnten.
Ohne die enorme Solidarität führender amerikanischer Politiker und der amerikanischen Bevölkerung hätte es die wirtschaftlich prosperierende Demokratie der Bundesrepublik ebensowenig gegeben wie den europäischen Integrationsprozeß, zu dem es - bei allem Streit um einzelne Elemente - keine Alternative gibt.
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Leider wurde der Marshallplan wegen der Hegemonialinteressen Stalins und wegen der Ablehnung sozialistischer Wege nicht der Auftakt zur gesamteuropäischen Integration, obwohl sein Angebot auch für die osteuropäischen Staaten galt. Begrenzt auf Westeuropa stimulierte er hier wirtschaftliche Entwicklung, demokratische Stabilisierung, Verfestigung der westlichen Werte und internationale Kooperation.
Gleichzeitig aber vertiefte seine Implementierung im Westen die beginnende Teilung Europas und Deutschlands, als zugleich der sowjetische MolotowPlan, der weder materiell noch vom ideellen Wertegehalt her mit ihm konkurrieren konnte, den Weg der osteuropäischen Nachbarn in den RGW erzwang. Heute kann und muß die Osterweiterung der EU das nachholen, was vor 50 Jahren unmöglich war.
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Es gehört zu den Paradoxien deutscher Nachkriegsgeschichte, daß die spätere Kritik an den USA nur auf der Basis von Werten entstehen konnte, die von den Amerikanern in die deutsche Gesellschaft eingepflanzt worden waren.
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Es ist zwar weit verbreitet, bleibt aber ein Fehlverständnis, die Kritik der Grünen an der amerikanischen Außenpolitik als Antiamerikanismus zu bezeichnen. Die Kennedys und Martin Luther King waren Leitfiguren unserer Jugendzeit,
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ihre Modernität, ihre Liberalität, ihre Zivilcourage in unseren Augen Leitbilder, die die längst wieder verkrustete westdeutsche Gesellschaft dringend benötigt hätte.
Das Amerika-Bild kippte mit Beginn des VietnamKrieges. Zu offensichtlich schien der Widerspruch zwischen der propagierten Universalität der westlichen Werte und einer politischen Praxis, die diese Werte verletzte. In dem nachvollziehbaren Bestreben nach Begrenzung des sowjetischen Einflußbereichs auch jeden antikolonialen Befreiungskampf, jede soziale Emanzipation zu unterdrücken, das paßte mit unserem Verständnis westlicher Werte nicht zusammen. Wir hätten uns Amerika an die Seite der Sandinisten gegen Somoza,
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an die Seite der Sozialreformer gegen Pinochet gewünscht, so wie es an unserer Seite gegen die Apartheid kämpfte. Wie sich die Emanzipationsbewegungen in der Dritten Welt, wo die westlichen nicht zur Verfügung standen, andere ideologische Orientierungen suchten, so suchten wir nach Alternativen zum zusammengebrochenen westlichen Weltbild.
Als dann neue amerikanische Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik stationiert werden sollten, verdichtete sich das ohnehin schon amerikakritische Bild - unterstützt durch die martialische Rhetorik Ronald Reagans - zu einem Ressentiment, das den Blick auf die volle Wahrheit trübte.
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Nicht die USA, sondern die Bundesregierung unter Helmut Schmidt war in dem Bemühen, dem deutschen Sicherheitsdilemma Genüge zu tun, die treibende Kraft der sogenannten NATO-Nachrüstung.
Der Streit um die bekannten Themen wurde in den USA selbst so energisch geführt wie hier. Unsere besten Verbündeten waren Amerikaner: Herbert Marcuse als philosophischer Mentor der APO, die kulturellen Einflüsse von Andy Warhol, Alan Ginsberg und Jefferson Airplane, die Freunde der „nuclearfreeze"- und der Umweltbewegung, der Jackson- und der Nader-Kampagne. Petra Kelly war so sehr Amerikanerin, wie sie Deutsche war. Und - um zu Marshall zurückzukehren - einer unserer wichtigsten Zeugen gegen die NATO-Nachrüstung und die heutige Osterweiterung war und ist George F. Kennan, der engste Berater und Weggefährte von George Marshall.
({7})
Die Grünen hatten keinen Streit mit Amerika. Sie hatten 25 Jahre lang - vom Vietnam-Krieg bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes mit seinen atomaren Strategien - denselben Streit mit einigen Richtungen amerikanischer Außenpolitik, den Amerikaner mit ihrer Regierung und wir mit der unseren austrugen.
Das ist heute Geschichte. Der Blick hat sich längst auf die gemeinsame Verantwortung angesichts neuer Herausforderungen gerichtet. Das transatlantische Verhältnis bedarf einer neuen Fundierung. Der Sicherheitsaspekt ist in den Hintergrund getreten. Dennoch müssen Amerika und Europa eng verschränkt bleiben. Europa braucht die stabilisierende Wirkung des transatlantischen Partners, die USA den interkulturellen Austausch. Es ist Zeit für eine transatlantische Lern- und Problemlösungsgemeinschaft. Die USA, Deutschland und die anderen OECD-Staaten müssen endlich einen globalen ökologischen Marshall-Plan auflegen, der Impulse dazu gibt, Hungersnöte, ökologische Katastrophen und Migrationskrisen präventiv zu verhindern.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wünschen uns einen offenen, tiefgehenden transatlantischen Dialog, der die globalen Probleme anpackt. Wir wollen gern mit eigenen Ideen, aber auch mit Offenheit zum Lernen daran teilnehmen.
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Als nächster Redner Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es war 1948/49. Ich arbeitete damals zur Teilfinanzierung meines Studiums in einem Reisebüro gegenüber dem Kölner Hauptbahnhof. Wir betreuten Besucher, Touristen aus aller Welt. Unser Partnerbüro in Chicago warb für Reisen nach Deutschland mit dem schönen Plakat: „If you want to see the ruins go to Germany now." Wenn ihr die Ruinen noch sehen wollt, müßt ihr jetzt nach Deutschland reisen.
Deutschland befand sich in rasantem Wiederaufbau. Wir wühlten uns aus den Trümmern der zerstörten Städte und hatten mit der D-Mark eine neue Währung. Fleiß der Arbeitnehmer, Risikobereitschaft der Unternehmer und die Befreiung von Zwangswirtschaft und Staatskontrolle, das waren die Grundlagen - und eine neue Wirtschaftspolitik: die Politik der sozialen Marktwirtschaft, übrigens, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir diese Seitenbemerkung, die Wirtschaftspolitik der Neoliberalen.
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- Nun lassen Sie mich erst einmal zu Ende vortragen! Lesen Sie einmal Ludwig Erhards Rede zur Trauerfeier von Wilhelm Röpke, wo er sich mit Stolz als Neoliberaler bezeichnet. Eucken, Röpke, Müller-Armack, sie alle haben sich in diesem Sinne ausdrücklich als Neoliberale bezeichnet. Deswegen wundert es mich immer wieder, daß unsere. Kollegen Heiner Geißler, Joschka Fischer und Herr Lafontaine gleichermaßen die Bezeichnung „Neoliberale" ein bißchen wie ein Schimpfwort handhaben. Das ist eine Verkennung der historischen Wirklichkeit.
({1})
Meine Damen und Herren, diese Wirtschaftspolitik, dieser erstaunliche Wiederaufbau war eine unmittelbare Folge des Marshallplans. Meine Generation - Herr Duve hat darauf hingewiesen; Sie haben gesagt, Herr Schäuble sei Ihnen gegenüber ein junger Mann; Sie sind mir gegenüber ein junger Mann, Herr Duve - ist und bleibt geprägt von dieser amerikanischen Großtat gegenüber unserem Kontinent und vor allem gegenüber dem geschlagenen Kriegsgegner Deutschland.
In der vorigen Woche hat Außenministerin Madeleine Albright an die Adresse des Bundeskanzlers in Washington gesagt:
Bundeskanzler Kohl war ein Kind des Europas, das der Marshallplan wieder aufbaute und neu formierte.
Zu diesen Kindern gehörte und gehört eine ganze Generation.
Europa, die Einigung Europas, die Europäische Union heute gehört zu den größten Erfolgen amerikanischer Außenpolitik der Nachkriegszeit. Herr Schäuble, Sie haben das zu Recht gesagt.
({2})
Wer hat diesen Weg so eindrucksvoll, so früh formuliert wie George Marshall? Sie haben auf seine geringe Gesprächsbereitschaft hingewiesen. Die Harvard-Rede hat ganze 15 Minuten gedauert und hat damit in so kurzer Zeit in der Welt etwas in Bewegung gesetzt. Vielleicht sollten wir - ich schließe mich da ein - bei unserer Geschwätzigkeit gelegentlich daran denken, was man kurz sagen kann.
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- Das ist richtig. Aber er war nach amerikanischem Verständnis auch nicht Politiker, Herr Schäuble, wie Sie wissen.
Mit Recht verweist Helmut Schmidt in seiner Würdigung des Marshallplans in „Foreign Affairs" auf drei bedeutende Reden: 1946 Winston Churchill in Zürich, 1947 George Marshall in Harvard, 1950 Robert Schuman in Paris. Hinzu kommt 1946 die Stuttgarter Rede von Außenminister James Byrnes. Ich sehe mich noch am Volksempfänger sitzend während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses diese Rede hören.
Herr Duve, Sie haben das „Nie wieder" für Bosnien eingefordert. Sie wissen, ich war vorige Woche dort; ich kann Ihnen nur zustimmen. Aber denken wir auch daran: Dieses „Nie wieder" kann man überzeugend nur dann einfordern, wenn sich Kriegsverbrechen nicht auszahlen und Kriegsverbrecher nicht länger frei umherlaufen.
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Es kommt weiter hinzu das berühmte „long telegram", das lange Telegramm von George Kennan, dem man gelegentlich heute noch im Council on Foreign Relations in New York begegnet. Seine Analyse war die Grundlage für die Entscheidung von Präsident Truman und seinem Außenminister George Marshall, die weltweit drohende Ausweitung des Kommunismus einzudämmen. „Containment", das war George Kennans Vorschlag.
Ich danke Ihnen sehr, Herr Bundeskanzler, Sie haben völlig recht, daß Sie den Senator Vandenberg hier erwähnt haben. Ohne ihn wären diese Vorschläge im Kongreß nicht mehrheitsfähig geworden.
Bei aller Verehrung für George Kennan: Ob man ihn so in Anspruch nehmen kann, wie Sie es gerade für die gesamte Friedensbewegung getan haben, Herr Volmer? In einem werden wir uns nie einigen: Wir sind der Meinung, daß ohne den NATO-Doppelbeschluß die Wiedervereinigung Deutschlands, das
Ende des kommunistischen Imperiums nicht zustande gekommen wäre.
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Sie dagegen glauben, daß das die Aktivitäten der Friedensbewegung zustande gebracht haben.
Meine Damen und Herren, der Kern des Marshallplans war nicht nur Großmut und Hilfsbereitschaft. Es war langfristig strategisch angelegte Außenpolitik.
Es gibt einen wichtigen Satz in der Rede; ich will ihn zitieren:
Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Doch Regierungen, welche den Wiederaufbau anderer Länder verhindern, können nicht mit unserer Hilfe rechnen.
Dieser Satz steht aus meiner Sicht im Zusammenhang mit dem berühmten Satz von Ronald Reagan in Berlin: „Mr. Gorbachev, tear down that wall."
Amerikanische Außenpolitik bedarf für ihre Akzeptanz beim amerikanischen Wähler einer moralischen Rechtfertigung. Henry Kissinger hat diesen Zusammenhang manchmal als Schwäche kritisiert. Aber Marshalls Rede macht eindrucksvoll klar, wie die Außenpolitik der USA kurz nach dem Kriegsende von humanitären Erwägungen getragen war.
Das amerikanische Hilfsprogramm für den Wiederaufbau Europas, das European Recovery Program - bei uns kurz ERP genannt -, gehört zu den großen Erfolgsgeschichten dieses Jahrhunderts. Dabei stehen die bereitgestellten Finanzmittel nicht einmal im Vordergrund. Die Verkündung des Marshallplans am 5. Juni 1947 in der Harvard University hat weitaus mehr in Europa bewirkt. Der Bundeskanzler hat die Zahlen genannt. Denken Sie noch einmal daran, wie klein sie sind im Verhältnis zu dem, was wir heute in der Welt hin- und herschieben.
Die Rede Marshalls bedeutete für Deutschland, daß der Morgenthau-Plan zu den Akten gelegt wurde. Die USA setzten sich dafür ein, daß alle Empfänger in eine gemeinsame Organisation zur Vertiefung ihrer wirtschaftlichen Kooperation eintraten, einschließlich des geschlagenen Westdeutschland. Das ist die heutige OECD.
Die Verkündung des Marshallplans war nicht nur ein Meilenstein für Europa. Sie ist auch ein Meilenstein für die amerikanische Geschichte. Es wurde klar definiert, daß die Siegermacht Amerika nicht zurückfallen würde in Protektionismus und Isolationismus, sondern daß sie die Führerschaft in der westlichen Welt übernehmen wollte. „Wir wollten verhindern, daß sich Versailles noch einmal wiederholte", sagte mir ein amerikanischer Freund, der damals bei Vandenberg dafür arbeitete, den Marshallplan im Kongreß durchzusetzen. Dieser Freund, meine Damen und Herren, war ein aus Deutschland geflohener jüdischer Amerikaner und sagte das 1947, nur zwei Jahre nach dem Ende des Holocaust.
Die Marshallplan-Hilfe hat wichtige Anstöße für den wirtschaftlichen Aufbau in Europa gegeben.
Aber ohne die damit implizit verbundene Garantie der Amerikaner zur Sicherstellung der Freiheit in Europa wäre sie sinnlos geworden. Das Vertrauen darauf, daß sich die Siegermacht als Garant der neugewonnenen Freiheit und des Friedens in Europa etablierte, ermöglichte erst gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität, Investitionen und Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, anläßlich der heutigen Debatte habe ich - Sie haben das ja offensichtlich auch getan, Herr Bundeskanzler - mir das Protokoll unserer Debatte vom 5. Juni 1987 zum 40. Jahrestag des Marshallplans noch einmal angesehen. Damals war uns nicht bewußt, daß wir am Vorabend ganz neuer europäischer Entwicklungen standen. Wir konnten 1987 auch nicht verdrängen, daß nach damaliger Interpretation der Marshallplan dazu beigetragen hat, die Entscheidung zur Spaltung Europas zwar nicht herbeizuführen, jedoch spürbarer zu machen, weil Moskau seinen Satelliten verbot, das amerikanische Angebot anzunehmen.
Daß ab 1989 mit dem Zerfall von Diktatur und Planwirtschaft in der damaligen DDR und der späteren Wiedervereinigung das von Marshall verkündete Wiederaufbauprogramm für Europa eine andere, eine brückenschlagende Funktion nach Osten haben würde, konnten wir damals so nicht absehen. Heute leistet das ERP-Sondervermögen als Nachfolger des Marshallfunds in den neuen Bundesländern einen bedeutenden Beitrag zum wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Aber auch hier gilt: Ohne das Bekenntnis zu Freiheit und Marktwirtschaft können diese Mittel nicht wirken. Sie sind Hilfe zur Selbsthilfe wie vor 50 Jahren in Westdeutschland. Ostdeutschland hat eine zusätzliche Chance durch diese Mittel, wie wir im Westen vor 50 Jahren.
Wir Heutigen haben allen Anlaß, den USA, den Menschen in Amerika, zu danken. Aber es wäre zu wenig, wenn diese und andere Gedenkstunden alsbald vergessen und wir wieder zur Tagesordnung übergehen würden. Die „Washington Post" mag vor einigen Tagen übertrieben haben, aber wo Rauch ist, ist immer auch etwas Feuer.
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen bedürfen intensiverer Pflege, auf beiden Seiten des Atlantik. Es ist gut, Herr Bundeskanzler, was Sie von Ihrer Reise nach Washington mitgebracht haben. Wir müssen uns, Herr Schäuble, den Kopf darüber zerbrechen, wie wir das alles verbessern und intensivieren können - übrigens auch wir als Parlamentarier. Die Beziehungen zwischen den Parlamenten sind außerordentlich wichtig. Ich habe nicht den Eindruck, daß sie so gepflegt werden, wir wir das eigentlich tun müßten.
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Herr Volmer, ich will Ihnen gerne glauben, daß es grünen Antiamerikanismus nicht gibt. Ich stimme Ihnen zu: Ich habe die USA sehr ungerne an der Seite des Herrn Somoza gesehen. Aber an der Seite der
Sandinisten möchte ich sie auch nicht gerne sehen, wenn Sie sich anschauen, was Herr Ortega in Nicaragua angerichtet hat.
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Man wird nicht dadurch besser, daß man eine Diktatur mit einer anderen bekämpft.
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Sie setzen sich gegen den Vorwurf des Antiamerikanismus zur Wehr. Dann will es mir nicht in den Kopf - das sage ich mit aller Klarheit -, daß hier im Deutschen Bundestag vor wenigen Tagen dem Kollegen Westerwelle bei seiner positiven Würdigung der amerikanischen Wirtschafts- und Beschäftigungssituation zugerufen wurde: „Geh doch nach drüben", und zwar in Erinnerung an den ähnlichen Zuruf: Geh doch in die DDR!
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- Nein, Herr Fischer, diese Bemerkung ist nicht witzig; sie ist nicht ironisch; sie ist einfach geschmacklos.
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Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten sagen heute nicht nur Dank für die wirtschaftliche Hilfe des Marshallplans; wir wissen, wer unsere Freiheit und unsere Sicherheit über Jahrzehnte erhalten hat. Auch dafür sagen wir: Herzlichen Dank, Amerika!
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Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Müller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Redner haben hier zu Beginn ihre eigene Erfahrung mit der Hilfe des amerikanischen Volkes und ihr eigenes Erleben dargestellt. Ich bin ein Berliner und bin im Westteil der Stadt aufgewachsen. Ich persönlich habe zwar kaum eine konkrete Erinnerung zum Beispiel an CARE-Pakete; aber an die Schulspeisung kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich weiß auch aus den Diskussionen nicht nur mit meinen Eltern, sondern mit der Generation meiner Eltern, wie dankbar die Menschen damals waren. Deshalb habe ich an den von allen hier ausgesprochenen Dankesworten keinerlei Abstriche zu machen und schließe mich persönlich und auch für meine Gruppe diesen Dankesworten ausdrücklich an.
({0})
Wenn ich sage, daß ich keine Abstriche an den Dankesworten machen möchte, dann darf ich allerdings darauf hinweisen, daß ohne diese Hilfe das westdeutsche Wirtschaftswunder und die westdeutManfred Müller ({1})
sche demokratische Entwicklung nicht möglich gewesen wären. Deshalb muß ich den Dank mit der Einschränkung versehen, daß ich in meiner Kindheit in Berlin auch anderes erlebt habe, nämlich daß die Hilfe an den Grenzen zum Ostsektor haltmachte und daß dies damals und auch bis heute sichtbar geblieben ist. Wenn wir heute über unsere eigene Geschichte reden, dann bitte schön über die Geschichte des ganzen Deutschland. Die Zeit des kalten Krieges ist vorbei. Es ist an der Zeit, über seine Ursachen und seinen Verlauf erneut nachzudenken.
Ich finde, daß es im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Marshallplans zwei Gründe gibt, über diese Geschichte nachzudenken. Der erste Grund ist, daß die amerikanische Wiederaufbauhilfe nicht nur die Anschubfinanzierung für das westdeutsche Wirtschaftswunder war, sondern auch die Spaltung Deutschlands vertiefte. Am 12. Juni 1947 hat Außenminister Marshall noch erklärt, daß er bei seinem Vorschlag Großbritannien und die Sowjetunion mit einbeziehe; er verstehe unter dem Begriff Europa alle Gebiete westlich von Asien. Dazu sollte es, wie wir wissen, nicht kommen.
Ich finde es heute nicht mehr so wichtig nachzuweisen, daß die Strategie des kalten Krieges schon 1947 darauf gerichtet war, den sowjetischen Einflußbereich mit den gewaltigen ökonomischen Potenzen der USA einzudämmen; das bestreiten die Historiker nicht. Wichtig ist mir allerdings der Hinweis, daß man vor diesem Hintergrund die Leistungen der Menschen in der ehemaligen DDR nicht mehr mit dem Etikett „40 Jahre Mißwirtschaft" belegen kann. An diesen Menschen gingen nicht nur die Dollarmilliarden vorbei, die den westdeutschen Wiederaufbau anstießen; sie mußten auch noch an die 100 Milliarden DM für Reparationen an die Sowjetunion aufbringen und darunter mindestens 40 Milliarden DM stellvertretend für die westlichen Besatzungszonen.
({2})
Der zweite Grund für nachdenkliche Überlegungen betrifft die aktuelle Lage der osteuropäischen Länder. Hier ist heute schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß es gegenwärtig eigentlich einer neuen Anstrengung in der Art des Marshallplans bedürfe, um diese Länder in die Europäische Gemeinschaft zu integrieren. Das ist sicher richtig, und man sollte sich an das oben erwähnte Zitat von Marshall erinnern, für den Europa eben nicht an der Elbe aufhörte, als es ursprünglich darum ging, den Wiederaufbau im ganzen Europa voranzubringen, und dieser Plan dem kalten Krieg geopfert wurde. - Dann haben die Völker Osteuropas nach dem Ende des kalten Krieges ein legitimes Recht, auf die Hilfe zu setzen, die sie damals nicht erreichen konnte.
Danke schön.
({3})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir gedenken heute im Bundestag mit der Ankündigung des Marshallplans durch den amerikanischen Außenminister gleichzeitig der größten wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts. In seiner Rede „Dank an Amerika" hat Bundeskanzler Willy Brandt vor 25 Jahren in Harvard darauf hingewiesen, daß in der Ära seiner Generation mehr Finsternis, mehr Bitternis und mehr tiefes Leid konzentriert waren, als jemals zuvor Nationen über sich gebracht hatten.
Zehn Millionen Menschen im Ersten Weltkrieg und über 50 Millionen Menschen im Zweiten mußten sterben - auf dem Schlachtfeld, in Luftschutzkellern, in Lagern, vor Erschießungskommandos, in Gaskammern und durch Hunger und Erschöpfung.
Not und Verzweiflung, zerbombte Städte, unpassierbare Verkehrswege, zerstörte Fabrikhallen, verwaiste Handwerksbetriebe und Geschäfte, stilliegende Bergwerke und erloschene Hochöfen kennzeichneten das Deutschland der Nachkriegsjahre. Überall herrschte wirtschaftliches und menschliches Chaos - freilich nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa.
Vor diesem düsteren Hintergrund leuchtete der Marshallplan um so strahlender. Er verband nüchterne Analyse mit großmütiger Hilfe, politische Weitsicht zu Beginn des kalten Krieges mit tatkräftiger Organisation des Friedens.
Der Marshallplan war weit mehr als die unmittelbaren Hilfslieferungen, an die sich die ältere Generation zu Recht dankbar erinnert. Er mobilisierte die amerikanischen Ressourcen, um Westeuropa mit dem Kapital und den Rohstoffen zu versorgen, die es brauchte, um den Wiederaufbau zu beschleunigen und neue Dynamik zu gewinnen. Das Programm schloß das besiegte und international geächtete Deutschland ausdrücklich mit ein und verpflichtete darüber hinaus die europäischen Partner, in eine enge ökonomische Kooperation einzutreten und einen gemeinsamen politischen Kurs anzustreben.
Der Marshallplan war in dieser Zeit nicht nur der Funke, der Europa „Hoffnung gebracht, wo keine mehr war", wie der englische Außenminister Ernest Bevin damals sagte, sondern er bildete auch die Grundlage für ein Vierteljahrhundert beispiellosen Aufschwungs, Wohlstands und Vollbeschäftigung in den westlichen Industrienationen.
Schon die Höhe der Mittel - darauf haben Bundeskanzler Helmut Kohl und Graf Lambsdorff hingewiesen - war beeindruckend. Allein das Europäische Wiederaufbauprogramm, ERP - und das war nicht das einzige -, beanspruchte 2,1 Prozent des Volkseinkommens der Vereinigten Staaten und - das vergessen wir gerne, wenn wir heute über Hilfen reden - zwischen 15 und 17 Prozent des Bundesbudgets der Vereinigten Staaten von Amerika. Westdeutschlands Anteil an den Hilfen - man darf sie nicht nur nominal bemessen - betrug damals über 4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, und das Jahr für Jahr.
Der gewaltige Bedarf für den Wiederaufbau wurde mit den Liefermöglichkeiten der Vereinigten Staaten verbunden. Für Westdeutschland und Westeuropa war es eine großmütige Hilfe zur Selbsthilfe. Auch für die USA selbst wurde die Hilfe ein Erfolg: Sie ebnete der Umstellung der rüstungsorientierten Volkswirtschaft auf zivile Produktion und Dienstleistungen den Weg. Vermieden wurden so in den USA die an sich zwangsläufige Massenarbeitslosigkeit und Rezession.
In Deutschland - darauf haben verschiedene Redner bereits hingewiesen - wurden diese Mittel klug für den Wiederaufbau und im ERP-Sondervermögen als wirkungsvolles Instrument zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen genutzt. Jetzt spielen sie eine ganz besondere Rolle in den neuen Bundesländern.
Diese goldenen Jahre" stetigen starken Wachstums in allen westlichen Industrienationen brachten breiten Schichten Wohlstand und Beschäftigung. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate in den 60er Jahren sank in Westeuropa auf 1,5 Prozent. Hilfsempfänger wuchsen in die Rolle des wirtschaftlich starken Partners.
Für diese großzügige Haltung gegenüber Opfern und Besiegten, für die Weitsicht, den politischen Willen und den Elan, dies alles in Amerika auch innenpolitisch und nicht nur außenpolitisch durchzusetzen, in einem Land, dessen Bevölkerung nicht nur durch seine Männer und seine Armeen, sondern auch durch Konsumverzicht Opfer gebracht hatte, dafür verdient das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika - nicht nur sein Kongreß und seine Präsidenten - Dankbarkeit und Respekt.
({0})
In der vergangenen Woche hat Professor Stern vom German Marshall Fund, ein Amerikaner, uns auf einem wissenschaftlichen Symposium im Haus der Geschichte darauf hingewiesen, daß wir den Dank nicht nur Amerika aussprechen sollten, sondern auch unseren europäischen Nachbarn, für die es sehr viel schwerer war, in jener Stunde nicht nur uns die Hand zu reichen, sondern tatkräftig und kooperativ den Wiederaufbau zu leisten.
({1})
Der Marshallplan war aber nicht nur eine transatlantische Erfolgsgeschichte, in der Amerika Europa dazu verhalf, wie Phönix aus der Asche zu steigen: zu neuem Glanz und neuem Gewicht in der Welt. Aus dem Marshallplan können wir noch heute acht Lehren für die wirtschaftspolitische Praxis im Zeitalter der Globalisierung ziehen:
Erstens. Gib keine Almosen, sondern großzügige, aber mittelfristig zurückzahlbare Kredite! - Das sollte auch für uns gelten. Denn wenn ein Mensch sieben Meter vom Ufer entfernt ertrinkt - sagte damals schon ein Mitglied des amerikanischen Kongresses -, ist es ein fataler Fehler, ihm nur ein fünf Meter langes Seil zuzuwerfen.
Konzentriere deine Mittel auf volkswirtschaftliche Engpaßbereiche und sorge für einen effizienten institutionellen und rechtlichen Rahmen! - Die ERP-Kredite für den Aufbau der Infrastruktur und für private Investitionen in Energie, Wohnungsbau und mittelständische Unternehmen in Deutschland sind ein gelungenes Beispiel dafür, wie man damals der Korruption und dem Schwarzmarkt den Boden entzogen hat.
({2})
Zweitens. Kooperation ist erfolgreicher als Konfrontation. - Herr Schäuble und Herr Lambsdorff haben uns gemahnt, wir sollten die Lehren des Marshallplanes aufnehmen, nämlich die Herausforderung offener Märkte. Das ist richtig. Aber wir sollten uns gleichzeitig daran erinnern: Nicht Standortkonkurrenz und „Balkanisierung", sondern die Entwicklung größerer gemeinsamer Märkte mit einer fortschreitenden Harmonisierung von Normen und Standards, gesetzlichen Regelungen und Verhaltensweisen legte und legt den Grund für Wohlstand und Aufschwung.
Graf Lambsdorff, die USA haben ehemals darauf verzichtet, ihre Konsumgüter in Europa einfach abzuladen und die europäische Industrie aufzukaufen, was ihnen mit Dollars leicht gelungen wäre. Statt dessen haben sie uns gestattet, aus eigener Kraft eine Industrie und einen erst deutschen, dann europäischen Binnenmarkt aufzubauen.
({3})
Die dritte Lehre: Gewerkschaften sind keine Gegner, sondern Partner für mehr Prosperität. - Das gilt nicht nur in Zeiten des kalten Krieges. Ohne eine demokratische Gewerkschaftsbewegung in Europa, ohne die Gewerkschaftsbewegung unter Hans Böckler in Deutschland, ohne ihre konstruktive Arbeit wären der rasche Wiederaufbau und der anschließende strahlende wirtschaftliche Aufschwung nicht denkbar gewesen.
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Das vierte - weil Sie, Graf Lambsdorff, die neoliberalen Werte erwähnt haben -: Angebots- und Nachfragepolitik sind keine Gegensätze. Sie müssen Hand in Hand gehen. - Sowohl bei den Hilfen der USA wie beim Aufbau der Europäischen Union wurden beide Seiten der Wirtschaftspolitik eingesetzt, Binnenmarkt und Export gleichermaßen stimuliert.
Fünftens. Wer Vollbeschäftigung anstrebt, sichert auch anhaltendes Wachstum der Märkte, die Finanzierbarkeit des Sozialstaats und die Solidität der Staatsfinanzen. Vollbeschäftigung ist das wesentliche Ziel.
Sechstens. Beteilige breite Bevölkerungsschichten angemessen am Volkseinkommen und am Vermögen! - Das fördert nicht nur soziale Stabilität, sondern schafft auch Arbeitsplätze und stetige Expansion der Nachfrage.
Siebtens ein Wort auch an unsere amerikanischen Freunde: Aus Kindern werden Leute, aus Hilfsempfängern werden Partner. Sie wollen am Sagen und am Haben beteiligt werden. Daran sei angesichts der Helms-Burton- und der D'Amato-Gesetzgebung in diesem Hause erinnert.
({5})
Für Europa wiederum stellt sich die Frage, ob es nicht selbst schneller sprach- und handlungsfähig werden muß, vor allem gegenüber den Problemen vor der eigenen Haustür. Denn - achtens - riesige Potentiale für Wirtschaft und Zusammenarbeit sind in Europa derzeit blockiert. Unser schwaches Wachstum und 18 Millionen Arbeitslose in Europa sind überwiegend Folgen einer hausgemachten Politik, die unsere Stärken in Europa nicht bündelt, sondern die kontraktiv wirkt, mehr Arbeitslosigkeit erzeugt und in ihrer Gegenläufigkeit nicht Kräfte freisetzt, sondern lähmt.
({6})
Unsere Probleme sind aber auch Folge der Vernachlässigung der politischen und der wirtschaftlichen Katastrophen, die sich vor unserer Haustür abspielen. Der Zusammenbruch des sowjetischen Wirtschaftssystems und die Tragödie auf dem Balkan sind nicht nur politische Probleme, die mit unserer Hilfe der Lösung bedürfen, sondern sie haben auch Produktion und Nachfrage in den betroffenen Ländern in so gewaltigem Umfang reduziert, wie es bisher nur große Kriege geschafft haben.
Innerhalb der Europäischen Union gibt es bereits genug Möglichkeiten, Innovation, nachhaltiges Wachstum und Arbeitsplatzbeschaffung miteinander zu verbinden. Die Vorschläge des Weißbuchs von Jacques Delors für Investitionen in Forschung und Entwicklung, Bildung und Qualifizierung liegen seit Jahren auf dem Tisch. Es reicht nicht, für die Länder Osteuropas und des Balkans die Tür aufzumachen und zu sagen: Kommt herein. Man muß ihnen auch die Möglichkeit geben, die Türschwelle tatsächlich zu überschreiten.
({7})
Verbunden mit einem Marshallplan 1997 - wir sollten also, wie der Marshallplan 1947 uns die Möglichkeit gegeben hat, Osteuropa und dem Balkan durch großzügige, zurückzahlbare Kredite Hilfe zur Selbsthilfe geben -, könnten die gemachten Vorschläge ein auslösender Funke für eine neue, langanhaltende Wachstumsdynamik in Europa und in der westlichen Welt sein, so wie der Marshallplan 1947 nicht nur Europa, sondern auch Amerika und der westlichen Welt geholfen hat.
({8})
Die Bedingungen dafür hat mein Kollege Freimut Duve bereits genannt: Gewaltverzicht, Respektierung der Grenzen, Kooperation in der Region und kein Gegeneinander; denn sonst sind Kredite hinausgeworfenes Geld. Diese Kredite dürfen auch nicht zunächst in die privaten profitabelsten Investitionen fließen, sondern sie müssen - wie bei uns nach dem Krieg - in die volkswirtschaftlichen Engpaßbereiche der Energieversorgung und des Transportwesens mit dem Ziel eines schnell wirksamen Wiederaufbaus gesteckt werden.
Ein Weiteres - und daran kommen wir nicht vorbei -: Die Mitglieder der Europäischen Union und die USA müssen - das war auch damals teuer - institutionelles Know-how und Experten zur Verfügung stellen. Denn man kann die Marktwirtschaft nicht einfach herbeirufen; die Leute müssen sie lernen, und sie müssen sie gemeinsam einüben. Das fällt einem nicht einfach in den Schoß.
({9})
Frau Skarpelis-Sperk, kommen Sie zum Schluß.
Ein solches Programm, das die Kräfte in der Europäischen Union zu unserem eigenen Nutzen und für das Europa vor unserer Haustür bündelt, könnte die Wachstumsblokkade in Europa und auch die Massenarbeitslosigkeit überwinden, für Osteuropa sowie den Balkan, aber auch für uns alle neue, goldene Jahre von Vollbeschäftigung und Prosperität an der Grenze zum 21. Jahrhundert bringen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 b auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ({0})
- Drucksache 13/7558 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit des Freistaats Bayern, Frau Barbara Stamm.
Staatsministerin Barbara Stamm ({2}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz des vergangenen Jahres wurde eine Deckelung der Ausgaben für Rehabilitationsmaßnahmen der Rentenversicherung auf dem abgesenkten Stand des Jahres 1993 vorgenommen. Damit stehen im Jahre 1997 für derartige Maßnahmen insgeStaatsministerin Barbara Stamm ({3})
samt zirka 2,5 Milliarden DM weniger zur Verfügung als im Jahre zuvor. Eine Begrenzung des Ausgabenniveaus für Rehabilitationsmaßnahmen der Rentenversicherung war und ist nach Auffassung aller maßgeblich Beteiligten notwendig und auch erforderlich. Denn Ausgabensteigerungen in den Jahren 1991 bis 1996 um mehr als 50 Prozent sind weder volkswirtschaftlich vertretbar noch medizinisch begründbar. Dennoch haben wir von Länderseite bei der Diskussion über die Spargesetze dringend davor gewarnt, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Nicht die Frage, daß gespart werden muß, stand und steht zur Diskussion; die Frage ist allein, wieviel zu sparen ist.
Schon während der Beratungen zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz hat der Freistaat Bayern versucht, nicht das Jahr 1993, sondern das Jahr 1994 ohne zusätzliche Absenkung zum Maßstab für die Reha-Ausgaben der Rentenversicherung zu machen. Wegen der bekannten Mehrheitskonstellationen im Bundesrat, die bedauerlicherweise nur noch eine Diskussion nach dem Muster „schwarz oder weiß"
({4})
und nicht mehr nach der Unterscheidung zwischen sachlich oder unsachlich zulassen,
({5})
war diesem Bemühen jedoch kein Erfolg beschieden.
({6})
Bereits damals und auch in der Folgezeit hat die Bayerische Staatsregierung jedoch klar und deutlich erklärt,
({7})
daß Bayern auf eine Änderung drängen werde, falls es zu einer nicht mehr hinnehmbaren Übersteuerung, ausgelöst durch die Gesetzesänderungen, kommen sollte. Am 23. Januar dieses Jahres haben Bayern und Baden-Württemberg die Initiative ergriffen. Das war, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, zwei Monate vor dem Antrag Ihrer Bundestagsfraktion.
({8})
Ich habe die Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten sehr aufmerksam verfolgt und mußte zur Kenntnis nehmen, daß es in den Rehabilitationseinrichtungen und in den Kur- und Bäderorten bereits zu existenzbedrohenden und arbeitsplatzvernichtenden Einbrüchen gekommen ist.
({9})
In vielen Gesprächen, die ich vor Ort mit den am Rehabilitationsgeschehen Beteiligten geführt habe, wurde mir das immer wieder vor Augen geführt. Ich meine, daß der Gesetzgeber dieser krisenhaften Entwicklung nicht weiter tatenlos zusehen kann und darf.
({10})
An die Adresse der Damen und Herren von der SPD möchte ich vor allen Dingen folgendes sagen: Wenn Sie im Bundesrat bei Gesetzen nicht mehr mitwirken, sondern sich nur noch verweigern, dann bin ich der Meinung, daß Sie hier das Recht auf Ihre dauernden Zwischenrufe verwirkt haben.
({11})
Dabei verkenne ich keineswegs, daß mit dem WFG ein gewisser Überhang von Kapazitäten im Rehabilitationsbereich abgebaut werden soll und auch abgebaut werden muß. Auf Grund der derzeitigen Entwicklung zeichnet sich aber ab, daß über den gewollten Abbau hinaus langfristig notwendige Kapazitäten vom Markt verdrängt werden, die möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgebaut werden müßten. Dies ist auch volkswirtschaftlich nicht vertretbar.
Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Staatsministerin Barbara Stamm ({0}): Nein.
({1})
Natürlich bin ich mir bewußt ({2})
- Angstzustände bekomme ich durch Sie, verehrte Damen und Herren der SPD, bestimmt nicht -, daß es nicht in erster Linie die Ausgabendeckelung ist, die die Versicherten davon abhält, einen Rehabilitationsantrag zu stellen. Hier stehen andere Ursachen im Vordergrund, zum Beispiel die Erhöhung der Zuzahlung, die Teilanrechnung auf den Urlaub sowie vor allem auch die angespannte Arbeitsmarktsituation und die damit verbundene unterschwellige Angst vor einem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes.
({3})
Neben der allgemeinen Verunsicherung, die die Diskussion der letzten Monate bei den Versicherten ausgelöst hat, mußte bei vielen von ihnen der Eindruck entstehen, ein Rehabilitationsantrag habe unter den gegebenen Umständen ohnehin keinen Erfolg mehr.
({4})
Staatsministerin Barbara Stamm ({5})
Wenn unter diesem Eindruck auch solche Versicherte von einer Antragstellung absehen, die dringend einer Rehabilitationsmaßnahme bedürfen, so ist dies unter medizinischen Aspekten, aber auch in den Auswirkungen auf spätere Rentenzahlungen wegen Erwerbsminderung mehr als bedenklich.
Sicherlich wäre es eine Illusion, anzunehmen, eine Realisierung des mit dem Gesetzentwurf verbundenen Anliegens würde unmittelbar und sofort auf das Antragsverhalten der Versicherten durchschlagen. Ich meine aber, daß mit einer Lockerung des den Rentenversicherungsträgern auferlegten Deckels für diese wieder etwas mehr Raum für gestalterisches Handeln entstünde. Vor allen Dingen aber bin ich der festen Überzeugung, daß von einer Rechtsänderung, wie sie der Entwurf zum Gegenstand hat, ein positives Signal für die Versicherten ausginge, daß notwendige Rehabilitationsleistungen weiterhin erbracht werden. Auf ein positives Signal warten jedoch nicht nur die Versicherten, sondern auch die in ihrem Bestand bedrohten Rehabilitationseinrichtungen und die dort Beschäftigten. Auch deren Erwartungen dürfen wir nicht enttäuschen.
Deshalb bitte ich Sie, sich diesen Argumenten im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht zu verschließen und dem Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Als nächste Rednerin in dieser Debatte spricht die Abgeordnete Susanne Kastner.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Es ist schon manchmal schwer erträglich, Frau Stamm, wie Wahrheiten verdreht werden. Auch wenn Sie dies noch so oft tun, die Bevölkerung vor Ort weiß längst, wo es langgeht.
({0})
Zur Entscheidung des Bundesrates muß ich in diesem Hohen Hause noch einmal sagen, daß im Bundesrat jedes Bundesland dem Antrag Herrn Stoibers - mit Ausnahme Sachsens, das bekanntlich von der CDU regiert wird - zugestimmt hat. Soviel zur Wahrheit.
({1})
In der Tat ist es so, verehrte Frau Sozialministerin, daß sich Zeitungsmeldungen wie diese häufen: Man dreht uns den Hahn zu; man läßt uns nicht, obwohl wir auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sind. Viele Betriebe in Bad Kissingen stehen kurz vor dem Untergang - und das nicht, weil sie schlecht verwaltet, die Betreiber vielleicht unfähig sind, sondern dies hat der Gesetzgeber bewirkt.
({2})
Jahrelang sind kassenfremde Leistungen finanziert worden. Nun fehlt das Geld. Nach Aussage des IHKTourismusausschuß Würzburg-Schweinfurt greift der Staat in den Markt ein, über Qualität wird nicht gesprochen. - So wird die Situation der Betroffenen, der bayerischen Kurorte, in der Presse beschrieben.
Im Sommer 1996, zu Beginn der Diskussion um die Einsparungspläne der Herren Seehofer und Blüm, gab es in Bad Kissingen eine Veranstaltung mit dem Ministerpräsidenten von Bayern, Edmund Stoiber, der damals ohne Wenn und Aber, Frau Staatsministerin, die Einsparungen im Gesundheitsbereich verteidigte.
({3})
Bereits damals hat die SPD vehement darauf hingewiesen, wie schwierig die Situation für die Kurorte werden könnte, wenn diese Pläne in die Tat umgesetzt werden.
({4})
Daß Herr Stoiber nur ein paar Monate später gemeinsam mit seiner Sozialministerin Barbara Stamm zur Einsicht gekommen ist, liegt nicht allein am massiven Druck der Sozialdemokraten, sondern vor allem wohl daran, daß ihn die Tatsachen, wie wir sie bereits vorhergesagt haben, eingeholt haben.
({5})
Als die ersten Kliniken schlossen, hat Herr Stoiber über den Bundesrat den Antrag eingebracht, die Budgetierung für Reha-Maßnahmen im Bereich der Rentenversicherung um 1,5 Milliarden DM aufzustocken. Daß die Bayerische Staatsregierung mit diesem Gesetzentwurf die Sparmaßnahmen im Bereich des Bundesgesundheitsministeriums völlig außen vor gelassen hat, sollte vermutlich dem inneren Frieden der CSU dienen. Dieser ist ja bekanntlich durch die ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Herren Stoiber und Waigel deutlich gestört.
({6})
Nun möche ich Herrn Stoiber an dieser Stelle ausdrücklich zu diesem Gesetzentwurf des Bundesrates beglückwünschen.
({7})
Er ist zwar keine umfassende Hilfe für die Kurorte, aber er wäre in der Tat eine Auffanglösung. Hinfallen ist ja bekanntlich keine Schande, nur das Liegenbleiben. Deshalb begrüßen wir Sozialdemokraten ausdrücklich, daß Herr Stoiber in dieser Frage nicht liegengeblieben ist.
({8})
Wer allerdings immer noch auf dem Boden liegt und die Augen verschließt, ist sein Parteifreund, der Finanzminister Theo Waigel.
({9})
- Und selbstverständlich Herr Glos. Auf Herrn Glos komme ich nachher noch zu sprechen. - Dieser hat gleichzeitig, bedingt durch sein riesiges Haushaltsloch, dem Bundesarbeitsminister weitere Einsparungen aufs Auge gedrückt.
({10})
Das bedeutet: Herr Blüm hat hinsichtlich seines Etats keine Bewegungsfreiheit mehr. Deshalb lehnt er die Aufstockung um 1,5 Milliarden DM ab.
Nun haben CDU und CSU im Gesundheitsausschuß die Behandlung des Antrages der SPD wieder einmal vertagt, weil angeblich noch Beratungsbedarf besteht. Dies funktioniert seit Wochen nach dem Motto: „Sie tagen und tagen, und es wird doch nicht heller." Noch am Wochenende konnte man in der „Süddeutschen Zeitung" lesen, der Streit um die Reha-Maßnahmen sei entschärft. Die geplanten Einsparungen sollten zeitlich gestreckt werden. Dies war eine Aussage von Herrn Gesundheitsminister Seehofer,
({11})
der damit wie selbstverständlich über den Etat von Herrn Blüm verfügen wollte.
Die F.D.P. - Herr Thomae, das war Ihr Vorschlag - forderte die Finanzierung dieser Maßnahme über einen Griff in den Überschußtopf der Pflegeversicherung. Diese Forderung ist wirklich der Gipfel der Zumutungen, den sich diese Koalition seit Wochen leistet.
({12})
Die Reha-Maßnahmen für die Kranken sollten mit Geldern für die Schwerstbedürftigen finanziert werden.
({13})
- Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie es hören wollen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.: Ihr soziales Weltbild sollten Sie dringend einmal den Bürgerinnen und Bürgern erklären. Wahrscheinlich aber haben sie es sowieso längst begriffen.
Nun ist die Situation so, wie sie ist: Alle Gespräche sind bisher gescheitert. Eine Auffanglinie von seiten der Koalition ist nicht absehbar. Die Situation in den Kurorten verschärft sich weiter. - Ich prognostiziere Ihnen schon heute: Wenn Sie dieses Thema weiter so chaotisieren, dann wird es am 1. Oktober 1997 nicht nur in Bayern, sondern republikweit ein großes Sterben der Reha-Einrichtungen mit einem Verlust von Tausenden von qualifizierten Arbeitsplätzen geben.
({14})
Insgesamt rechnet die Bundesanstalt für Arbeit mit einem Verlust von hunderttausend Arbeitsplätzen. Die Milliarden, die Sie im Bereich des Kur- und Reha-Wesens vermeintlich eingespart haben, müssen Sie über die Arbeitslosenversicherung doppelt und dreifach wieder ausgeben.
In Bad Bocklet, einer Kurstadt in meinem Wahlkreis, fährt die Kurklinik zur Zeit mit einer Belegung von 30 Prozent; das bedeutet einen Einbruch von 50 Prozent. In anderen Kliniken, nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern bundesweit, werden Belegungseinbrüche von 25 bis 50 Prozent gemeldet. Diese Entwicklung kann sich keine Klinik über einen längeren Zeitraum leisten.
Sie, Herr Zöller, reden so gerne über Einsparungen. Deshalb möchte ich Ihnen einfach einmal zwei Zahlen vor Augen halten. In Bayern sollten im Kur- und Reha-Bereich 500 Millionen DM eingespart werden. Durch die schon verlorengegangenen Arbeitsplätze in diesem Bereich entstehen der Bundesanstalt für Arbeit Mehrkosten von 900 Millionen DM. Wenn Sie 400 Millionen DM Mehrkosten als Einsparung bezeichnen, dann wundern mich Ihre Haushaltslöcher überhaupt nicht mehr.
({15})
Der bayerische Gesundheitsminister hatte die blendende Idee, die Kurstädte sollten sich doch mehr auf dem Markt profilieren. Einmal abgesehen davon, daß sie dies schon lange tun und mit viel Geld für Kururlaub, Fitneß und Gesundheitsvorsorge werben, sind die Einbrüche im Kur- und Reha-Bereich damit einfach nicht aufzufangen. Ein bayerischer Gesundheitsminister sollte im übrigen wissen, daß ein RehaAufenthalt in einer Kurklinik nicht dazu beiträgt, schön oder sportlich auszusehen, sondern die Gesundheit wiederherzustellen, daß also eine Reha-Klinik auf die Behandlung von Kranken ausgerichtet ist und nicht auf die Behandlung von Schönheitsfehlern.
({16})
Frau Kastner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?
Bitte schön.
Frau Kollegin Kastner, sind Sie bereit einzugestehen, daß die Untersteuerung im Kur- und Reha-Bereich und bei den Belegungen nichts damit zu tun hat, daß wir den rentenversicherungsfinanzierten Kur- und Reha-Bereich auf den Stand von 1993 budgetiert haben, sondern
damit, daß Sie und Ihre Partei dafür gesorgt haben, daß die Menschen draußen im Land glauben, es gebe überhaupt keine Kuren mehr,
({0})
daß Sie also ein gerüttelt Maß an Schuld an dieser Verunsicherung tragen? Sind Sie auch bereit einzugestehen und darzustellen, daß die CSU-Landesgruppe ständig sagt, daß sie dem Antrag Bayerns und Baden-Württembergs mit großer Sympathie gegenübersteht und alles daransetzt, daß wir innerhalb der Koalition eine vernünftige Lösung finden?
({1})
Herr Kollege Ramsauer, ich bin natürlich nicht bereit einzugestehen, daß die rückläufigen Zahlen im Reha-Bereich dadurch zustande kommen, daß die SPD eine verkehrte Propaganda gemacht hat. Ich bin aber bereit einzugestehen, daß die Zahl der Reha-Maßnahmen zurückgegangen ist, weil Sie an jenem unseligen schwarzen Freitag im letzten Jahr, am 13. September, ein Gesetz beschlossen haben, durch das die Zuzahlung auf 25 DM erhöht worden ist
({0})
und das eine psychologische Hemmschwelle für alle Menschen ist, denen 800 DM und mehr im Monat für eine Reha-Maßnahme weggenommen werden.
({1})
Im übrigen sind Sie mit dieser Meinung nicht eins mit den Äußerungen der Sozialministerin Stamm.
Auf die Aktivitäten der CSU-Landesgruppe in dieser Frage komme ich am Schluß meiner Rede gesondert zu sprechen.
({2})
Damit, Herr Kollege Ramsauer, bin ich schon bei der Passage, was Sie mit der Zuzahlungsregelung angerichtet haben; das sage ich hier nicht nur für das Protokoll. Das spielt für die Einbrüche bei den Kuren eine massive Rolle. Ich garantiere Ihnen schon heute, daß der lobenswerte Schritt des Herrn Stoiber, die Budgetierung auf das Basisjahr 1994 festzuschreiben, nur ein erster Schritt sein kann. Wir werden in kürzester Zeit genau diese Frage der Zuzahlungsregelung noch einmal neu diskutieren müssen.
Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, verschieben Sie denn die Beratung unseres Antrags immer wieder aufs neue?
({3})
- Herr Kollege Zöller, der Antrag von Bayern und Baden-Württemberg ist in der ersten Lesung. Ich frage
Sie an dieser Stelle, warum Sie die Beratung des Antrags der SPD im federführenden Ausschuß schon zum zweitenmal verschoben haben. Wenn Sie, so Ihr Kollege Jürgen Seitz in der Zeitung,
({4})
SPD-Anträgen ohnehin nie zustimmen - ich zitiere: „auch wenn sie bayerischer Sicht entsprechen" -,
({5})
warum lassen Sie dann nicht endlich über unseren Antrag abstimmen und stimmen dann halt dagegen?
({6})
Weil Sie den Ernst der Lage aus den Wahlkreisen kennen, trauen Sie sich nicht. Ihr untaugliches Heilrezept besteht lediglich aus hohlen Worten.
({7})
Wie kommt es denn, daß die SPD die Beratung dieses Gesetzentwurfs von Herrn Stoiber hier im Bundestag beantragen muß? Wäre das nicht Aufgabe der CSU-Landesgruppe gewesen, lieber Herr Glos?
({8})
Herr Ramsauer, der Sie uns - so Tickermeldungen gestern - heuchlerisch eine „unnötige Hektik" vorwerfen, fühlen Sie sich nach der dritten Verschiebung unserer Antragsberatung nicht selbst langsam an den Schneckensammler erinnert, der trotz günstiger Witterung keine Schnecke erwischt und dies mit den Worten erklärt: „Ich sehe sie, ich bücke mich, aber, husch, husch, schon ist sie wieder weg"?
({9})
Herr Kollege Ramsauer, Sie müssen halt endlich zupacken, wenn das Kurwesen stranguliert zu werden droht; sonst geht ihm nämlich die Luft aus.
Frau Kollegin Kastner, ich bitte um Entschuldigung - Susanne Kastner ({0}): Ich bin sofort fertig.
Ich will Sie gar nicht mahnen. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer zulassen.
Im Gegensatz zu Frau Stamm lasse ich Zwischenfragen gerne zu.
({0})
Frau Kollegin Kastner, dann müssen Sie sich jetzt aber auch fragen lassen, warum Sie im Bundesrat das WFEG mit allen
Mitteln hintertrieben haben, in dem wir vorgesehen haben, daß der Bettenabbau, soweit er erforderlich wird, symmetrisch aufgeteilt wird zwischen den versicherungseigenen Heimen und den Vertragshäusern.
({0})
Dieser Hinweis gehört dazu, wenn Sie hier Wahrheit verlangen. Ich frage Sie also: Warum haben Sie das WFEG hintertrieben? Es gibt keine sachlichen Gründe dafür. Vielmehr haben Sie das aus parteitaktischen, kleinkarierten Erwägungen heraus getan. Sie machen sich damit am Niedergang eines gewissen Bereiches schuldig.
({1})
Herr Kollege Ramsauer, ich sage Ihnen, warum wir das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz nicht mit verabschiedet haben:
({0})
Weil es zu mehr Arbeitslosen in dieser Bundesrepublik führt, nicht zu weniger.
({1})
Einen solchen Unsinn werden Sozialdemokraten nie mitmachen.
({2})
Nun bleibt uns die Spannung noch 14 Tage erhalten, bis wir erfahren, ob die CSU-Bundestagsabgeordneten dem Gesetzentwurf der Länder Bayern und Baden-Württemberg, den Sie, Frau Sozialministerin Stamm, hier mit Leidenschaft vorgestellt haben,
({3})
zustimmen werden oder nicht. Herr Glos, sagen Sie uns doch heute definitiv und verbindlich: Tragen Sie, trägt die CSU-Landesgruppe den Gesetzentwurf von Herrn Stoiber mit,
({4})
und verabschieden Sie ihn in der nächsten Sitzungswoche, oder tun Sie das nicht? Ihre Doppelstrategie, Herr Glos - in Bayern Hilfe versprechen und in Bonn dann doch nichts tun -, werden wir jedenfalls nicht durchgehen lassen.
({5})
Wenn Sie sich in den nächsten 14 Tagen nicht entscheiden, dann verspreche ich eine Sommerpause, die Sie nie vergessen werden.
({6})
So vielversprechend ist die deutsche Sprache. - Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Glos das Wort.
Nachdem mich Frau Kollegin Kastner angesprochen hat und nachdem sie hier ein sehr übles Spiel betreibt
({0})
und sich dieses Spiel natürlich auch bis nach Unterfranken, woher wir beide kommen, auswirkt, nutze ich die Gelegenheit, um die Haltung der CSU-Landesgruppe darzustellen.
({1})
Richtig ist, daß wir uns bei der Beschlußfassung von vornherein Sorgen gemacht haben, wie wir einsparen können,
({2})
ohne daß gleichzeitig Strukturen kaputtgehen. Wir wollten eine Lösung, die dazu führt, daß Kosten gespart werden, die sich aber nicht überproportional gegen bestimmte Regionen, gegen bestimmte Einrichtungsformen und Kurkliniken auswirkt.
({3})
Wir sind sehr stark davon ausgegangen, daß die Kürzung quasi linear auf alle Kureinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland umgelegt wird.
Nun hat sich eine Entwicklung ergeben - Herr Kollege Ramsauer hat in seiner Zwischenfrage darauf hingewiesen -, daß offensichtlich die Einrichtungen, die dafür verantwortlich sind, Leute in Kuren zu schicken, sehr einseitig ihre eigenen Heime bevorzugen
({4})
und dadurch ganze Strukturen vernichten.
Daraufhin hat die Bayerische Staatsregierung gemeinsam mit der baden-württembergischen Landesregierung eine Initiative eingebracht, die mit uns abgesprochen war und die auch mit dem Bundessozialminister und mit dem Bundesgesundheitsminister erörtert worden ist. Diese Initiative wird von uns sorgfältig beraten und weiter verfolgt.
({5})
- Habe ich das Wort oder nicht?
({6})
Das wird anschließend in ähnlicher Form selbstverständlich Kollege Louven für die CDU erklären. Ich muß hier aber ein Märchen ausräumen. Die CSUMichael Glos
Landesgruppe hat zu keinem Zeitpunkt diese Angelegenheit hintertrieben, sondern das Gegenteil ist richtig: Wir haben sie befördert, und wir betreiben sie weiter und werden diese Initiative zum Erfolg führen.
({7})
Frau Kollegin Kastner, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu antworten.
({0})
- Die Aufforderung, Herr Kollege Fischer, ging an Frau Kastner und nicht an Sie. - Frau Kastner, bitte.
Herr Kollege Glos, wenn Sie mir hier unterstellen, ich würde am Rednerpult des Deutschen Bundestages ein übles Spiel treiben,
({0})
dann weise ich das zurück.
({1})
Ich weise es deshalb zurück, weil die SPD die Partei war, die die Sorgen und Nöte der Kurstädte und der Betroffenen, der in den Kurstädten Arbeitenden, frühzeitig aufgenommen und artikuliert und auch frühzeitig Lösungsvorschläge angeboten hat.
({2})
Wenn Sie heute davon sprechen, daß die CSU- Mandatsträger oder Sie als in dieser Frage Verantwortliche diese Auswirkungen vorher nicht wissen konnten, dann frage ich mich manchmal: Wie wird hier in Bonn eigentlich noch Politik betrieben?
({3})
Die Situation der Kurstädte war absehbar.
({4})
- Ich komme noch einmal darauf zurück. Sie haben jetzt bereits vier Wochen Zeit gehabt, um den Beratungsbedarf zu decken, um Lösungsvorschläge und Auffanglinien zu diskutieren.
Herr Bundesminister Seehofer hat bereits am vergangenen Samstag in der „Süddeutschen Zeitung" gesagt,
({5})
es gebe eine Auffanglinie zur Rettung der Kurstädte. Bis heute liegt uns kein Vorschlag für einen Antrag von Ihrer Seite vor.
Wenn Sie heute sagen, Sie betrieben das als CSUPolitiker mit aller Ernsthaftigkeit, dann streite ich Ihnen das schlichtweg ab.
({6})
- Ach Gott, Herr Zöller, wir kennen uns viel zu gut, als daß wir nicht wüßten, wer was wann wie und wo gemacht hat.
Herr Kollege Glos, Ihr Wortbeitrag hier hat mir wieder einmal gezeigt, daß es CSU-Politiker gibt, die im Wahlkreis den Leuten Hilfe versprechen, daß Sie aber als gesamte Landesgruppe hier in Bonn nicht das Durchsetzungsvermögen haben oder haben wollen, um dieses für die Kurstädte auch durchzusetzen.
({7})
Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Marina Steindor.
({0}): Ihr bei der CSU seid richtige Nieselpriemchen geworden! Wenn das
der Strauß erlebt hätte!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den wir hier heute beraten, soll Auswirkungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes rückgängig machen. Nach den Wortbeiträgen, die wir bisher gehört haben, muß man ausdrücklich klarmachen: Es handelt sich hier nicht um ein bayerisches Problem, sondern um ein Problem der gesamten Bundesrepublik.
({0})
Die Sozialpolitik dieser Bundesregierung ist mittlerweile so unerträglich geworden, daß selbst unionsgeführte Landesregierungen mit einem Bundesratsantrag um Hilfe rufen. Das können Sie nicht dadurch verschleiern, daß Sie hier eine Art bayerisches Volkstheater inszenieren.
({1})
Mit jedem Mal, wenn Sie hier sagen, Sie hätten nicht gewußt, daß es so schlimm kommt, beweisen Sie Ihre politische Unfähigkeit.
({2})
Sie zeigen damit, wie unbedacht Sie in einer Branche Massenarbeitslosigkeit auslösen und dann sagen, man habe es nicht so gewollt.
Alles, was in diesem Bereich an Auswirkungen zu spüren ist, war bekannt und ist in den Anhörungen vorgetragen worden. Wir reden hier davon, daß mindestens 22 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind, hauptsächlich Frauenarbeitsplätze. Jeder von uns kennt mittlerweile die Zahlen der geschlossenen und der von Schließung bedrohten Kliniken sowie die der Arbeitsplatzverluste.
Die eingesparten Gelder in der Rentenversicherung - das ist Ihnen vorgerechnet worden - hätten Sie mit dem zu finanzierenden Aufwand für Arbeitslosigkeit, für Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten und mit den Einnahmeverlusten durch die Arbeitslosigkeit in der Renten-, Kranken- und PflegeversicheMarina Steindor
rung gegenrechnen müssen. Darüber hinaus fehlen dem Fiskus durch Ihr Sparprogramm jetzt Gelder in der Steuerkasse, Gelder, die nicht nur von den privaten Kliniken kämen, sondern auch über die Lohn- und Einkommensteuer.
Wenn Sie hier beklagen, daß die Versicherungsanstalten ihre Häuser belegen, dann muß man aber auch ganz deutlich sagen: Die Verluste in den Häusern der Landesversicherungsanstalten und der BfA gehen zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Soll die für Ihre falsche Politik noch einmal bezahlen?
Weitere Steuergelder werden durch Sie vernichtet, da Sie die Investitionen, die die Länder in diesen strukturschwachen Regionen getätigt haben, mutwillig zerstören.
Darüber hinaus brechen auch die Servicebetriebe weg. Natürlich hat auch der Tourismus in diesen Bereichen Schaden genommen.
Die Strukturen im Kur- und Rehabilitationsbereich werden, selbst wenn die Mittel noch einmal aufgestockt werden, nie wieder so sein wie früher. Sie haben mit Ihrer Politik ein in Europa einzigartiges Rehabilitationskonzept zerstört.
Die von Ihnen ausgelöste Marktbereinigung durch Schließung von Kur- und Reha-Kliniken ist keine Frage der Qualität oder einer gesundheitspolitischen Konzeption. Es geht jetzt ausschließlich um die Frage der Kapitaldecke der betroffenen Kliniken. Die Aktiengesellschaften bekommen in diesem Rehabilitationsbereich so noch mehr Marktmacht.
Die Gespräche mit den Landesversicherungsanstalten zeigen, daß es einen dramatischen Rückgang der Anträge gibt, weil die Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit haben, weil Sie sie verunsichert haben, weil Sie die Legitimität von Rehabilitation durch Ihre populistischen Argumentationen in Zweifel gezogen haben,
({3})
weil Urlaubstage angerechnet werden und die Menschen auch noch zuzahlen müssen.
Sie zeigen immer wieder, daß Sie keine gesundheitspolitische Konzeption haben; denn Sie haben mit dem Wegschrumpfen des § 20 im SGB V die Primärprävention in diesem Lande ruiniert.
({4})
Mit Ihrem Sparen im Rentenbereich haben Sie die Sekundärprävention fast kaputtgemacht. Das Ganze wird zu erheblichen Mehrkosten im Akutbereich führen.
Der demographische Wandel in unserer Gesellschaft ist für Sie immer nur ein Argument für die Postulierung höherer Ausgaben im Akutbereich. Diesem Problem politisch und konzeptionell zu begegnen sind Sie nicht in der Lage.
({5})
Daß Sie in der Rentenversicherung einsparen, wo die Kostensteigerungen in den letzten Jahren durch den demographischen Wandel hervorgerufen worden sind, ist den Fachleuten schleierhaft.
Sie wollen die Ergebnisse der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Sie regieren völlig konzeptionslos in die Rehabilitationslandschaft hinein.
({6})
Wir müssen neben der klassischen medizinischen Behandlung gesellschaftliche Wege zur sozialtherapeutischen und ganzheitlichen Behandlung von chronischen Krankheiten entwickeln. Wir haben einen sehr großen Reformbedarf im Rehabilitationsbereich. Ihre Politik führt jedoch nur zu einem volkswirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Zerstörungswerk.
Weil Sie dem Druck, dem Ihre Abgeordneten in den Regionen ausgesetzt sind, nicht standhalten können, haben Sie sogar tricksen müssen, indem Sie den Antrag der Sozialdemokratie geschäftsordnungsmäßig ausgebremst haben. Sie wissen ganz genau, daß Sie Ihre Reihen bei einer namentlichen Abstimmung nicht hätten geschlossen halten können.
({7})
Wenn man der „Süddeutschen Zeitung" Glauben schenken darf, dann sind Sie doch schon wieder mit den neoliberalen Glaubenssätzen beschäftigt, die schon einmal Lügen gestraft worden sind. Während Sie weiterhin über virtuelle Arbeitsplätze diskutieren, die Sie mit Ihrer Politik schaffen wollen, zerstören Sie eine inländische Dienstleistungsbranche.
({8})
Wie lange wollen Sie noch diskutieren? Wie viele Anhörungen muß der Bundestag noch durchführen? Die Fakten liegen doch alle auf der Hand. Meiner Meinung nach ist das hier keine Politik mehr, sondern unterlassene Hilfeleistung.
({9})
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden im Bereich der Rehabilitation nicht um Einsparungen umhinkommen. Dies sind die Fakten. Ich habe bereits sehr deutlich gemacht, daß das Einsparpotential, das in der medizinischen Rehabilitation erzielt werden sollte, zunächst über das Maß hinausgeht, was volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich vertretbar ist, und daher den qualitätsorientiert arbeitenden Rehabilitationskliniken die Luft nimmt.
Ich betone aber meine Überzeugung, daß die Maßnahmen, die wir in diesem Bereich getroffen haben, vom Grundsatz her notwendig waren und gerechtfertigt sind. Allerdings - das ist das Entscheidende - braucht die Branche die Möglichkeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Das ist der entscheidende Punkt in dieser Diskussion.
({0})
Denn wir wissen: Nicht alles, was in der Sozialversicherung bezahlt wird, muß auch zukünftig von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Hier muß ein Umdenken stattfinden; da gibt es kein Entkommen.
({1})
Das ist aber in diesem Bereich von heute auf morgen nicht machbar.
Nach allen Überlegungen, wie man das Übersteuern im Bereich der Rehabilitation im Rentenversicherungsbereich abmildern kann, dürfen wir jedoch nicht vergessen, in welcher wirtschaftlichen Situation wir gegenwärtig diskutieren. Die Sozialversicherungsbeiträge haben mittlerweile ein so hohes Niveau erreicht, daß auf Grund der Koppelung an den Produktionsfaktor Arbeit arbeitsplatzvernichtende Maßnahmen erfolgen.
Den Antrag der Bundesländer Bayern und Baden- Württemberg, das Ausgabebudget für die Rehabilitation im Rentenversicherungsbereich um rund 1,5 Milliarden DM zu erhöhen, und zwar auf Dauer, bewerte ich, isoliert betrachtet, im Sinne einer Finanzspritze für diejenigen, die im Rehabilitationssektor aktiv sind.
Aber den anderen Aspekt, daß nämlich eine solche Maßnahme auch finanziert werden muß, dürfen wir nicht übersehen. Bei aller Verbundenheit mit dem Kur- und Rehabereich ist ein langfristig um 0,1 Prozent erhöhter Beitragssatz - ich sage bewußt: langfristig - in der Rentenversicherung mit den Vorstellungen der Koalition auf Dauer nicht durchführbar.
({2})
Ich bin allerdings der Auffassung, daß ein Nichtstun in dieser Frage ebenfalls kein gangbarer Weg ist.
({3})
- Warten Sie doch ab, seien Sie nicht so hektisch.
Wir sollten deshalb gemeinsam noch einmal den Stufenplan, den ich vorgeschlagen habe, sehr intensiv diskutieren, das heißt zunächst eine Anhebung des Deckels und dann eine schrittweise Abschmelzung der Beträge. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Kur- und Reha-Orte und Rehabilitationskliniken dann stärker in die Verantwortung bringen müssen, so daß sie auch im privaten Sektor den Kundenkreis suchen.
({4})
Aus dieser Verantwortung können und dürfen wir die Kurorte und auch die Rehabilitationskliniken auf Dauer nicht entlassen, wenn sie von der Politik eine Übergangsphase eingeräumt bekommen. Dann haben nämlich alle Beteiligten die Möglichkeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Auch die Kostenträger sind dann gefragt; denn das Angebot auf dem Rehabilitationsmarkt muß viel stärker nach Qualitätsgesichtspunkten ausgewählt werden.
Ganz wichtig ist, wie die BfA und die LVAs ihre Kliniken heute füllen. Es gibt schon BfA-Kliniken, wo heute drei Monate Wartezeit üblich sind. Das kann die Politik nicht mehr akzeptieren. Zu Lasten der privaten Betreiber werden hier die Kliniken der BfA und der LVAs favorisiert.
({5})
- Ich sage das ganz bewußt.
({6})
- Nein, überhaupt nicht. Dann sind Sie falsch informiert.
Flankiert werden diese Maßnahmen durch ein Konzept des Wirtschaftsministers; denn der Minister entwickelt gegenwärtig dieses Konzept im Namen der Bundesregierung: Auslandswerbung für Kur- und Reha-Orte. Auf Grund der Qualität der Kur- und Reha-Orte sehe ich große Chancen, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten. Von daher wird die Koalition mit den Bundesländern hier bis zur Sommerpause ein Konzept auf den Weg bringen, was im Rahmen der Politik dieser Regierung verantwortbar ist. Ich hoffe, daß wir damit die entscheidenden Weichenstellungen für diesen Bereich vornehmen.
({7})
- Wir werden dies bis zur Sommerpause auf den Weg bringen und Ihnen den Vorschlag in der nächsten Sitzungswoche unterbreiten.
Zu Ihnen, Frau Kastner. Ich habe nie davon gesprochen, auch wenn Sie hier aus einem Zeitungsartikel vorgelesen haben, daß wir bereit sind, Teile der Pflegeversicherung zu übertragen, um dies zu finanzieren.
({8})
- Nein, ich sage dies sehr deutlich: Ich habe dies in keiner Bemerkung erwähnt. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dies hier klarzustellen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gebe der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Thomae, ob
man diese Einschnitte nun peu à peu oder mit einem Hauruck-Verfahren einführt, ist egal; denn aus meiner Sicht bleiben sie unsozial.
({0})
Rehabilitation ist heute qualitätsgesicherte Behandlung Kranker, Genesender oder Behinderter. Das Ziel ist es, gesundheitliche Schäden zu beheben, wo immer erreichbar, Funktionen oder Restfunktionen wieder zu aktivieren und eine möglichst dauerhafte Reintegration des Betroffenen in Familie, Arbeit und Beruf zu erreichen.
Gesundheitlich erforderliche Rehabilitationsmaßnahmen sollten keinesfalls verschoben und schon gar nicht abgesetzt werden. Allein die demographische Entwicklung und natürlich das Streben nach wachsender Qualität und Effizienz der Medizin werden den Bedarf in Zukunft noch ansteigen lassen. Nun hat allerdings die Regierung mit einem Programm, das sie als wachstums- und beschäftigungsfördernd bezeichnet und im Sommer 1996 mit ihrer Mehrheit durch den Bundestag gebracht hat, innerhalb weniger Monate die bestehenden medizinischen Rehabilitationseinrichtungen und viele Kurorte an den Rand des Ruins gebracht.
Die Zahl der gefährdeten Arbeitsplätze wächst, die Belegungsausfälle in den Einrichtungen erreichen 50 Prozent oder mehr. Eine wachsende Zahl der Kliniken schreibt rote Zahlen. Bundesweit wurden innerhalb kürzester Zeit Hunderte hochqualifizierter Kliniken vor das Aus gestellt.
Das ist ein beispielloses Resultat neokonservativer und neoliberaler Regierungskunst. Es bedeutet, daß ganze Regionen durch Senkung ihrer Wirtschafts- und Finanzkraft, durch Ausfall von Steuern und Kaufkraftverlust existentiell gefährdet sind. Drastische Mittelverkürzungen, massive Zuzahlungserhöhungen, Senkungen der Rehabilitationszeiten und -intervalle sowie eine unverantwortlich betriebene pauschale Diffamierungskampagne von Kur- und Reha-Maßnahmen mit starker Verunsicherung der Ärzte, Patienten und Kassen haben sich offensichtlich potenziert und einen massiven Antragsrückgang ausgelöst. Das Resultat ist so verheerend, daß man geneigt ist, zu sagen, daß selbst die Koalition dies nicht gewollt haben kann.
Was hier vor den Augen der Öffentlichkeit abläuft, ist ein erneutes Lehrstück für die zunehmende Aushöhlung der politischen Substanz dieser Regierung.
({1})
So häuft sich nicht nur die Zahl verheerender Grundsatzentscheidungen, sondern es kommt auch bei der handwerklichen Qualität in der Umsetzung des politisch Gewollten zu einer Fehlleistung nach der anderen. Erinnern möchte ich an die falschen Berechnungen des Einsparvolumens beim Beitragsentlastungsgesetz und an das berühmt-berüchtigte Notopfer Krankenhaus.
Der Rückgang der Rehabilitationsmaßnahmen wirkt sich besonders schwerwiegend für Heilbäder und Kurorte in strukturschwachen Regionen aus. Bayern gehört meines Erachtens noch nicht dazu.
Aber es trifft Einrichtungen in Ostdeutschland mit besonderer Härte. Aus eigener Erfahrung in Thüringen kann ich sagen: Unverzügliches Gegensteuern ist dringend geboten.
({2})
Angesichts dieser Situation ist die Untätigkeit der Regierung ein ungeheurer Skandal. Um das Schlimmste zu verhüten, sahen sich sogar die unionsgeführten Länder Bayern und Baden-Württemberg veranlaßt - ob es Ihnen nun recht ist oder nicht, Frau Ministerin Stamm -, notgedrungen im Gleichklang mit der Opposition im Bundestag gegen die Regierung Front zu machen.
Ihr Vorschlag, der mit der heute vorliegenden Gesetzesinitiative des Bundesrates endlich behandelt wird, läuft darauf hinaus, die verheerenden finanziellen Kürzungen wenigstens partiell wieder zurückzunehmen und so der Mehrzahl der Einrichtungen zunächst das Überleben zu ermöglichen. Statt diese Initiative gemeinsam mit dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion als ein positives Signal an die Versicherten und Kliniken zu nutzen, hat die Koalition weitere wertvolle Zeit verstreichen lassen, in der sich die Talfahrt der Rehabilitationseinrichtungen noch beschleunigt hat. Regierungen, die sich im großen wie im sogenannten kleinen als handlungsunfähig erweisen, sollten die Konsequenzen ziehen und abtreten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich gebe dem Abgeordneten Julius Louven das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 23. Januar vorigen Jahres wurde in der sogenannten Kanzlerrunde
({0})
zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Bundesregierung die Vereinbarung getroffen, daß es dringend erforderlich ist, beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf deutlich unter 40 Prozent abzusenken. Dies haben die Gewerkschaften mit beschlossen.
Wenige Monate später wurde bekannt, daß wir für 1997 mit einem Rentenversicherungsbeitrag von 20,7 Prozent, ja, 20,8 Prozent rechnen mußten. Dies war vor dem Hintergrund der Kanzlerrunde ein Beitrag, der nicht akzeptabel ist.
({1}) - „Warum nicht?" Weil er zu hoch ist, Frau Fuchs.
({2})
Daher haben wir dann im WFG Einsparungen beschlossen, auch Einsparungen zugunsten der RenJulius Louven
tenversicherung. Dazu gehören ebenfalls die Einsparungen im Reha-Bereich. Wir gehen hierbei auf das Jahr 1993 zurück. 1993 war beileibe kein rehafreies Jahr.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Regelung für vertretbar gehalten - wir halten sie noch heute für vertretbar - und waren uns darüber im Maren, daß dies Konsequenzen für Träger von Rehabilitationseinrichtungen haben muß.
({3})
Wir sind uns aber auch darüber im klaren, Frau Kollegin Kastner - Sie haben mehrfach von Bad Kissingen gesprochen; ich habe zufällig in Bad Kissingen mit dem Kollegen Haack, der neben Ihnen sitzt, über dieses Thema diskutiert -, daß es im Reha-Bereich Fehlentwicklungen gab und gibt. Qualitätskontrolle und Erfolgskontrolle wurden so gut wie nicht praktiziert. Die Entwicklung konnte also nicht ungehindert so weitergehen.
Ich will an dieser Stelle, Frau Kastner, auch einmal sagen, daß Reha mit Tourismus absolut nichts zu tun hat.
({4})
Nun wünschen die Länder Bayern und BadenWürttemberg, daß wir das Basisjahr 1994 zugrunde legen. Auch von diesen Ländern wird anerkannt, daß im Reha-Bereich eingespart werden muß. Wir diskutieren derzeit in der Koalition, wie man dem Antrag dieser beiden Bundesländer entgegenkommen kann. Wir sehen auf Grund der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung allerdings nicht, wie wir diesem Antrag voll entsprechen können,
({5})
überlegen aber ernsthaft, wie man zu einer Abfederung kommen kann, um die Einbrüche etwas abzumildern. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Es muß nach einer Phase der Abfederung wieder das Basisjahr 1993 gelten.
({6})
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, will ich einmal sagen: Es findet doch Reha statt. Frau Fuchs, der Westdeutsche Rundfunk wirbt nach wie vor: „Kuren sind möglich! Stellen Sie Anträge!" Die Rentenversicherungsträger bestätigen, daß bislang kein einziger Rentenantrag, der medizinisch ordentlich begründet war, abgelehnt werden mußte.
Im übrigen, was die Einbrüche angeht, so haben die sicherlich andere Gründe. Ein Grund ist die von uns eingeführte Vierjahresfrist, das Intervall von vier Jahren. Diese Regelung läuft Ende dieses Jahres aus, so daß auch von daher eine Verbesserung der Situation zu erwarten ist.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie immer wieder sagen, wir müssen die Sozialversicherungsbeiträge senken, dann müßten Sie eigentlich auch Verständnis für Sparschritte haben. Aber Sie beschimpfen jeden Sparschritt. Wenn man sich Ihre Vorschläge dazu ansieht, so stellt man fest, daß sie nur eine Umfinanzierung beinhalten.
Zu Ihren Argumenten, daß die Regelung Arbeitsplätze kostet, kann ich nur sagen: Dies ist nicht zu bestreiten. Aber wir brauchen Arbeitsplätze im produktiven Bereich und nicht zunehmend Arbeitsplätze, die durch die Beitragszahler finanziert werden.
({7})
Herr Kollege Louven, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rehbock-Zureich?
Bitte, ja.
Herr Louven, wenn Sie sagen: „Uns ist bewußt, daß Arbeitsplätze verlorengehen", ist Ihnen dann auch klar, daß bis März 1997 die Zahl der Kurgäste in Orten des Hochschwarzwaldes schon um 33 Prozent abgenommen hat? Das heißt, die Zahl der Übernachtungen hat fast um die Hälfte abgenommen. Das hat nicht nur Folgen für den Kur- und Reha-Bereich, sondern wirkt sich auch auf die Arbeitsplätze im Handel, Handwerk und Gewerbe aus. Ist Ihnen bewußt, daß Sie keine Zeit mehr haben, diese Verbesserungen für den Kur- und Reha-Bereich noch hinauszuschieben?
Nach dem, was ich soeben ausgeführt habe, ist klar, daß mir die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Arbeitskräfte in diesem Bereich bewußt sind. Aber ich habe gesagt: Wir brauchen Arbeitsplätze im produktiven Bereich
({0})
und nicht Arbeitsplätze, die durch die Beitragszahler finanziert werden.
Meine Damen und Herren, auch die Reha-Träger müssen sich etwas einfallen lassen. Neue Formen von Reha sind denkbar, und sie werden von den Reha-Trägern auch angedacht.
Ich sage noch einmal: Strukturpolitik kann nicht auf Kosten der Beitragszahler betrieben werden. Neue Arbeitsplätze gewinnen wir nur, wenn wir die Arbeitskosten senken, wenn wir das verinnerlichen, was in der Kanzlerrunde, die ich hier angesprochen habe, zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Arbeitnehmern einvernehmlich beschlossen wurde.
Wir werden die nächsten Tage nutzen, um in Gesprächen zu einer vernünftigen Regelung für eine Abfederung zu kommen.
({1})
Ich sage Ihnen jedoch in aller Deutlichkeit: Es muß nach einer Phase der Abfederung das Basisjahr 1993 gelten. Wir halten dies für vertretbar.
Ich denke, daß sich die Dinge besser entwickeln, als sie von Ihnen dargestellt werden.
({2})
Sie sollten wirklich einmal, anstatt schwarzzumalen, darüber nachdenken, wie es kommt, daß der Westdeutsche Rundfunk schon seit vielen Wochen nach wie vor - in einer Werbesendung offensichtlich des Bäderverbandes - wirbt: „Kuren sind möglich! Stellen Sie Anträge!" Dies ist doch der beste Beweis dafür, daß das, was Sie uns vorwerfen, so wohl nicht stimmen kann.
({3})
Es spricht der Abgeordnete Karl Hermann Haack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich könnte jetzt das bayerische Thema ausweiten auf Ostwestfalen-Lippe. Mir liegt eine Zeitung des gestrigen Tages aus Ostwestfalen-Lippe vor: Einer der größten Klinikträger dieser Republik, die ParacelsusKlinikgruppe, wird Kliniken en masse schließen. Es ist anvisiert, in den nächsten Wochen 530 Leute in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Das ist die Realität.
({0})
Realität ist auch, daß diese Koalition redet, redet, Anträge stellt, berät und nicht zu Potte kommt.
({1})
Damit bin ich bei Ihnen, Frau Stamm. Ich halte Sie für eine unverfrorene Ministerin.
({2})
Das will ich begründen. Das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, das Sie hier. darstellen als ein Ergebnis der SPD-Bundesratsmehrheit, ist am 13. September letzten Jahres mit Kanzlermehrheit verabschiedet worden, und zwar mit Herrn Seehofer, mit Herrn Waigel, mit Herrn Glos, mit Herrn Louven gegen die Stimmen der SPD.
({3})
Erklären Sie mir einmal, was die SPD mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz und dessen Konsequenzen zu tun hat. Nichts!
({4})
Ich will Ihnen aber sagen, warum die politisch Verantwortlichen das Fracksausen haben. In Hessen waren Kommunalwahlen. Wir haben alle festgestellt - Sie wie wir -: Das ist ein Thema, da können Mehrheiten kippen. Sie haben 1998 Wahlen. Sie haben eine landesweite Wählerinitiative der freien Wählergruppen im Nacken und haben - wenn Sie unter 50 Prozent kommen - keinen Koalitionspartner. Also müssen Sie etwas tun. Was macht die CDU/CSU nach dem beliebten Spielchen: Aktion Sandmännchen. Also beschließen Sie im Kabinett unter Absingen schmutziger Lieder gegen die Bundesregierung, Abteilung Blüm: Es muß ein Antrag gemacht werden.
Dieser Antrag kommt nun in den Bundesrat. Was geschieht mit diesem Bundesratsantrag? Die Referenten der CDU/CSU erklären, Beratungsbedarf liege noch nicht vor, man müsse Zahlen haben. Also, was macht die SPD in Verantwortung für die sich abzeichnende Beschäftigungslage in den Kurorten? Sie setzt diesen Punkt auf die Tagesordnung. Nicht die Bayern, nicht die Baden-Württemberger, die SPD hat ihn nach unserem Wissen auf die Tagesordnung gesetzt.
({5})
Dann ist dieser Antrag im Bundesrat gemeinsam verabschiedet worden: 15 : 1. Sie sitzen im Boot der deutschen Sozialdemokratie. Diese hat Ihrer Einlassung zugestimmt, mit der Begründung, daß die Situation, herbeigeführt durch Ihr Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, zu katastrophalen Ergebnissen geführt hat. Jetzt heißt es: Aktion Sandmännchen; ich beschimpfe Bonn, lasse den Antrag liegen, halte ihn aber immer in Bayern hoch. Nun ist er auf dem Tisch des Hauses. Also muß man über Finanzierungen reden. Also muß man darüber streiten.
Ich bin Herrn Louven sehr, sehr dankbar, daß er sich äußerst vorsichtig geoutet hat, wie schwierig die Finanzierung ist. Ich weiß, daß sich der Bundesarbeitsminister Blüm geäußert hat: Keine müde Mark für die Rehabilitation. Er ist bei der Bundesanstalt für Arbeit ohnehin pleite, und die Rentenreform steht an. So ist die Gesamtsituation. Sie sind im Prinzip handlungsunfähig.
({6})
Nun will ich Ihnen noch eine schöne Geschichte erzählen. Wir haben vorhin gehört: Mit bewegender Stimme hat der Kanzler zu 40 Jahren Marshallplan gesprochen.
({7})
- Ja, 50 Jahre. Nun seien Sie still, und hören Sie zu, was ich hier sage! Der Kanzler ist nicht nur ein Kanzler der Höhen, sondern auch der Tiefen. Er wird zum 100. Todestag von Pfarrer Sebastian Kneipp am kommenden Sonntag in Bad Wörishofen eine Rede halten.
({8})
Er wird also an einem der berühmtesten Kurorte der Bundesrepublik zum Gesamtwerk von Pfarrer Kneipp und darüber sprechen, welche Bedeutung er für Rehabilitation und Prävention hatte, und - ich darf zitieren; denn ich kenne schon den Text, den man ihm gesteckt hat - er wird folgenden Satz von Pfarrer Kneipp anführen:
Wenn die Menschen nur halb so viel Sorgfalt darauf verwenden würden, gesund zu bleiben und verständig zu leben, wie sie heute darauf verwenden, um krank zu werden - die Hälfte der Krankheiten bliebe ihnen erspart.
Dieses Konzept von Pfarrer Kneipp soll in Rehabilitation und Prävention umgemünzt werden. Aber es gibt ein Problem für die Rathausmehrheit in Bad Wörishofen. Sie müßten nämlich dem Kanzler sagen,
Karl Hermann Haack ({9})
wie es in Bad Wörishofen auf Grund des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes aussieht, dem Sie von der CDU/CSU und Sie von der F.D.P. zugestimmt haben.
({10})
Es gibt ein historisches Vorbild; das ist der Graf Potemkin. Was hat also die bayerische CSU, Abteilung Bad Wörishofen, gemacht,
({11})
als dann die SPD-Fraktion im dortigen Stadtrat sagte: Wir müssen dem Herrn Bundeskanzler eine Resolution überreichen, um darauf aufmerksam zu machen, daß Abhilfe nottut? Man hat sich auch gegenseitig in die Hand versprochen, man wolle es demütig tun; einen Kanzler, der schon auf dem Podest der Geschichte stehe, beleidige man nicht.
Also wurde eine Resolution entworfen. Diese Resolution schilderte das gesamte Elend, über das wir hier reden. Und was macht die CSU? Sie stimmt die Resolution nieder,
({12})
mit der Begründung, man könne dem Kanzler dies nicht zumuten.
Also, meine Damen und Herren, wird der Kanzler am kommenden Sonntag in Bad Wörishofen nicht über blühende Landschaften in den neuen Bundesländern sprechen, aber über blühende Landschaften im deutschen Bäderwesen. So ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Politik.
({13})
Damit wird deutlich, welch penetrantes Doppelspiel Sie hier betreiben.
Unser Antrag nimmt die Initiative Baden-Württembergs und Bayerns auf mit der Begründung, die Sie, Frau Stamm, selber da reingeschrieben haben. Was macht die bayerische CSU hier im Bundestag? Sie schiebt diesen Antrag immer weg.
({14})
- Keine Zwischenfragen. Frau Stamm hat ebenfalls keine zugelassen. Also Feierabend!
Herr Kollege Haack, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Olderog?
Nein. Frau Stamm hat ebenfalls keine zugelassen.
({0})
Der Kollege Fuchtel möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.
Also passiert folgendes: Seit fünf Monaten liegt der Antrag des Bundesrates auf dem Tisch des Hauses und seit Dezember, also seit mehr als sechs Monaten, der SPD- Antrag. Da Sie sich über die finanziellen Konsequenzen dieser Anträge nicht einig werden, verschieben Sie und verschieben Sie. Vorgestern abend fand eine Verhandlungsrunde statt. Dabei sollte über diesen Antrag entschieden werden. Sie haben dies nicht getan. Derweil bricht Ihnen die gesamte Situation in der Bundesrepublik weg.
({0})
Ich gehe mal nach Hessen. Das Staatsbad Bad Wildungen hat einen Arbeitsplatzverlust inklusive Ausbildungsplätzen bei den Physiotherapeuten in der Größenordnung von 500. Diese Stadt hat auf Grund der Gesamtsituation Finanzschwierigkeiten. Kliniken erklären: Wenn die Absprachen zur Kurzarbeiterregelung zwischen den Klinikbetreibern und Jagoda von der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr greifen, dann werden ungefähr 40 000 Kurzarbeiter im Bereich von Kuren, Rehabilitation und Prävention ab Juli auf die Straße gesetzt. Dazu sagt dann Herr Louven, den tertiären Sektor brauchten wir nicht, obwohl wir uns auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft befinden. Offensichtlich wollen Sie den Umkehrprozeß: Mit nicht vorhandenen Mitteln des Arbeitsamtes sollen die Betroffenen dann zu Stahlwerkern umgeschult werden, damit die Tonne Stahl verkauft werden kann.
({1})
Das wäre in einer Dienstleistungsgesellschaft wesentlich produktiver.
({2})
- Julius, ich lasse keine Zwischenfragen zu; du kannst eine Kurzintervention machen, Julius.
({3})
- Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu, weil Frau Stamm sie ebenfalls nicht zugelassen hat. Wenn Frau Stamm sie zugelassen hätte, wäre auch ich dazu bereit.
Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort. Ihre Redezeit läuft weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen wollen wir am heutigen Tage auf Punkt und Komma genau wissen, welcher Abgeordnete für die Arbeitsplätze in
Karl Hermann Haack ({0})
seinem Kurort stimmt, vor allem in strukturschwachen Gebieten.
({1})
Weil Sie diese Abstimmung gescheut haben, haben Sie am gestrigen Tage im Gesundheitsausschuß unseren Antrag abermals geschoben und abgesetzt.
({2}) Es ist das fünfte Mal, daß Sie das gemacht haben.
({3})
- Ich habe fünf Finger, also war es das fünfte Mal.
Nachdem dieser Skandal der Arbeitsplatzvernichtung, dieses heuchlerische Spiel der CSU endgültig entlarvt worden ist,
({4})
möchte ich den Satz des Pfarrers Kneipp wie folgt abwandeln: Wenn diese Bundesregierung unter Führung von Helmut Kohl, Horst Seehofer und Norbert Blüm nur halb so viel Sorgfalt darauf verwenden würde, eine vernünftige, arbeitsplatzorientierte Gesundheitspolitik zu betreiben und somit verständig zu handeln, wie sie heute darauf verwendet, Chaos in dieser Republik zu produzieren, bliebe uns die Hälfte der Arbeitslosen in dieser Republik erspart.
Herzlichen Dank.
({5})
Es folgen zunächst zwei Kurzinterventionen. Zur ersten Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Dr. Rolf Olderog das Wort.
({0})
Herr Kollege Haack, ich weise die Polemik,
({0})
mit der Sie uns belegen, zurück, wenn Sie der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln wollen, als ob wir uns nur aus parteipolitischer Taktik jetzt ein bißchen zu bewegen versuchten und als ob wir keine ernsthaften Sorgen um die Entwicklung in diesem Bereich hätten.
({1})
- Hören Sie sich doch erst einmal an, was ich sagen möchte!
Jeder weiß - ich denke, das kann man ohne weiteres einräumen -, daß das, was in diesem Bereich jetzt tatsächlich eingetreten ist, ein ganzes Stück über das hinausgeht, was wir erwartet oder befürchtet haben.
({2})
Ich bin Berichterstatter im Tourismusausschuß. Dort haben wir darüber geredet. Wir haben einen Antrag auf eine dreijährige Übergangsregelung eingereicht. Ich habe wahrscheinlich ähnlich viele Gespräche mit den Vertretern der deutschen Bäderwirtschaft und mit den Kommunen geführt wie Sie. Das sieht bei Ihnen nicht anders aus als bei uns.
Das Problem ist doch, daß wir in der Regierungsverantwortung die Kostenfrage, die Auswirkungen auf die Sozialbeiträge, die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze langfristig schlechthin vielleicht ein bißchen sorgfältiger betrachten, als Sie es tun.
({3})
Ich werfe Ihnen vor, daß Sie sich im Grunde nicht ernsthaft genug mit den unterschiedlichen Argumenten zur Kostenfrage auseinandergesetzt haben.
({4})
Das Problem ist doch, daß dabei Aussage gegen Aussage steht. Wir haben mehrere Gespräche mit Vertretern der deutschen Bäderwirtschaft, mit Vertretern des Gesundheitsministeriums und mit Vertretern des Sozialministeriums gehabt und dabei keine Einigkeit über die Zahlen erzielen können.
Eine Versachlichung der Debatte tut not.
({5})
Frau Steindor redet davon, daß 22 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Frau Kastner redet von 100 000 Arbeitsplätzen.
({6})
- Wie dem auch sei.
({7})
Es zeigt doch nur, wie weit die Einschätzungen auseinandergehen und wie wenig sie wirklich substantiell begründet sind.
({8}) - Jetzt hören Sie doch bitte einmal zu!
Ich richte an die Bundesregierung die dringende Bitte, eigene Untersuchungen anzustellen, eigene Zahlen zu erarbeiten
({9})
und mit den Vertretern der Bäderwirtschaft zu einer Abgleichung zu kommen, damit wir endlich mehr Sachlichkeit in diese so polemische Debatte bekommen.
Vielen Dank.
({10})
Herr Kollege Haack, Sie können darauf antworten.
({0})
- Ich gebe Ihnen aber jetzt das Wort zur Beantwortung der ersten Kurzintervention.
Bitte schön.
({1})
Herr Kollege Dr. Olderog, ich will es ganz kurz machen. Sie haben einen Antrag auf den Tisch des Hauses gelegt, von dem Sie ganz genau gewußt haben, daß er unter den Koalitionspartnern, dem Finanzminister, dem Gesundheitsminister, dem Arbeitsminister und der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, irrelevant ist. Das war ein Showantrag, mit dem Sie in Ihrem Wahlkreis an die Presse gehen konnten.
Ich habe keine Polemik gemacht. Ich habe mich nicht zu Ihrem Antrag geäußert, um es Ihnen im Ausschuß nicht peinlich zu machen. - Das ist der eine Punkt.
({0})
Der zweite Punkt, den ich Ihnen hier sagen muß, betrifft die Frage der Arbeitslosigkeit und Ihre Forderung, eine lange Untersuchung hierüber durchzuführen. Gehen Sie doch bitte zu Ihrem örtlichen Arbeitsamt. Dort erfahren Sie, wer aus Ihrem Wahlkreis arbeitslos ist. Ich gehe zu meinem Arbeitsamt in Detmold. Ich weiß, daß die Staatsbad GmbH Bad Salzuflen/Bad Meinberg sozialverträglich Auflösungsverträge mit den Beschäftigten abschließt.
Es läuft doch alles. Das wissen wir doch alles. Es kommt doch darauf an, jetzt die Gesamtsituation zu ändern. Sie schieben das seit einem Jahr vor sich her, weil Sie sich nicht über das Finanztableau einig werden.
Herr Louven ist insofern sehr korrekt, als er darauf hinweist, welche Probleme darin bestehen, wenn Arbeitsminister Blüm erklärt, die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit seien ausgeschöpft, es müsse Staatszuschüsse geben. Er weist zu Recht darauf hin, daß bei der Rentenreform Finanzbedarf besteht. Aus der Situation seines Hauses hat er recht, wenn er sagt: Wie soll ich Kürzungen im Arbeitsförderungsgesetz und im Rentenbereich vertreten, wenn ich dann Mittel auf den Bereich der Rehabilitation draufpacke? Ich finde Herrn Louven in der Debatte von heute morgen sehr ehrlich.
Nun gebe ich dem Abgeordneten Joachim Fuchtel zu der zweiten Kurzintervention das Wort.
Herr Kollege Haack, angesichts des Vorwurfs des Doppelspiels möchte ich Ihnen das Interview in Erinnerung rufen, das Ihr Parteivorsitzender, Lafontaine, am 2. März 1996 gegenüber dpa gegeben hat. Dort wurde er nämlich zu Beginn der Spardiskussion gefragt: Müssen wir nicht auch aus Sicht der Opposition sparen? Lafontaine antwortete wörtlich: Ja, wir müssen im Sozialbereich sparen. Auf die Frage, wo er sich das vorstellen könne, nannte Lafontaine als allererstes die Kur.
Da frage ich Sie heute, wer das größere Doppelspiel spielt. Heute wollen Sie von diesen Dingen nichts mehr wissen, wenn es darum geht, konkrete Einsparungen zu erbringen.
({0})
Herr Kollege Haack, auch darauf können Sie antworten.
Herr Kollege Fuchtel, zum 2. März 1996. Kollege Lafontaine hat recht, weil ich ihn für dieses Interview in diesem Punkt gebrieft habe.
({0})
- Jetzt hören Sie einmal zu, dann werden Sie wissen, auf welch dünnem Eis Sie stehen.
Ich habe unserer Fraktion angesichts dieser Fragestellung geraten, das Programm der Einsparungen in den Bereichen von Rehabilitation und Prävention in konzertierter Aktion mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, in der alle Beteiligten - informell auch die politischen Parteien - zusammenkommen, durchzuführen. Seit 1990 wird dieses Projekt erarbeitet. Die 600 Millionen DM, die von Ihnen schon eingespart wurden, sind ein Ergebnis der Einsparbemühungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation.
Was Sie gemacht haben, ist, daß Sie diesen Konsens mit der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation zerstört haben. Denn es war Konsens bei den politisch Beteiligten, die informell teilnahmen, als auch bei denjenigen, die dort gearbeitet haben, daß sie gesagt haben: Wir müssen die Rehabilitation über eine lange Zeit umstrukturieren. Unter anderem muß so umstrukturiert werden, daß wir stationäre, teilstationäre und wohnortnahe ambulante rehabilitative Strukturen aufbauen. Die ersten Ergebnisse der Modellversuche liegen seit 1996 vor. Ungefähr 10 bis 15 Prozent der Rehabilitation können ambulant und wohnortnah durchgeführt werden. Das bedeutet ein Einsparpotential von ungefähr 1 Milliarde DM.
Das alles lag auf dem Tisch. Das habe ich Herrn Lafontaine aufgeschrieben. Das hat die ganze Fraktion erhalten. Also wunderbar, es war nichts mit dem, was Sie erzählt haben.
({1})
Nun gebe ich das Wort als Mitglied des Bundesrates der bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit, Barbara Stamm.
Staatsministerin Barbara Stamm ({0}): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr Abgeordneter Haack, das, was Sie gesagt haben, kann von mir nicht unwidersprochen hingenommen werden. Ich meine nicht das, was Sie zu meiner Person gesagt haben, sondern das, was in Ihrem Beitrag inhaltlich zum Teil sehr polemisch gewesen ist.
Ich darf Ihnen hier ganz deutlich sagen: Wie ist denn Ihr Verhalten im Bundesrat? Sie haben sich doch im Bundesrat, in diesem Gremium, in dem Sie beim Gesetzgebungsverfahren mitwirken können, völlig aufgegeben.
({1})
Es kommt inhaltlich überhaupt nicht mehr zu Diskussionen,
({2})
weil Sie die Gesetze grundsätzlich ablehnen. Das ist ein unechtes Vermittlungsverfahren.
({3})
Sie handeln nach dem Motto „Den Karren an die Wand fahren". Das ist das, was Sie gezeigt haben. Damit übernehmen Sie keine Verantwortung für unser Land.
({4})
Das war Punkt eins.
Punkt zwei. Ich habe vorhin wirklich versucht, meine Aussagen sehr moderat zu halten. Aber wissen Sie, Frau Abgeordnete Kastner, wenn ich mir Ihren Beitrag, was die Verunsicherung anbelangt, vergegenwärtige: Ich bin Ihnen bei mehreren Veranstaltungen in Bayern persönlich begegnet. Was die Verunsicherung anbelangt, tragen Sie - zumindest dort, wo ich Sie erlebt habe, und nach dem, was ich gehört habe, auch über das, was Sie in der Presse und in der Öffentlichkeit zum besten gegeben haben - ganz entscheidend mit dazu bei. Die Krisenstimmung haben Sie zum Teil mit herbeigerufen.
({5})
Frau Abgeordnete Kastner,, hinzu kommt, daß Sie mit Verantwortlichen von BfA-Klinken, denen es angesichts dieser Problematik noch am besten geht, weil - wie Herr Abgeordneter Thomae ausgeführt hat - die Rentenversicherungsträger ihre Häuser bevorzugt belegen, in der Verunsicherung zum Teil gemeinsame Sache machen.
({6})
Frau Abgeordnete Kastner, wenn Sie heute hier ankündigen, daß eine weitere Initiative von Ihrer Seite die 25-DM-Hinzuzahlung betreffen wird, dann kann ich nur sagen: Mit dem Bayerischen HeilbäderVerband werden Sie in dieser Diskussion keine Freude haben, weil wir uns zusammen mit dem Bayerischen Heilbäder-Verband dahin gehend geäußert haben: Wenn es uns gelingt, wieder zusätzliche Gelder zur Verfügung zu bekommen, damit hier wieder klarere Strukturen geschaffen werden und die Verunsicherung bei den Einrichtungen und damit bei den Beschäftigten beseitigt wird, wird man über diese Hinzuzahlung sprechen können. Die Hinzuzahlung ist berechtigt. Man kann sie den Versicherten abverlangen; denn seine eigene Gesundheit muß einem etwas wert sein, und da muß man auch bereit sein, in Eigenverantwortung etwas zu tun.
({7})
Mein Beitrag, den ich hier geleistet habe, hat nichts damit zu tun, daß Bayern selbstverständlich zu dem Antrag, der im Bundesrat beschlossen worden ist, nach wie vor steht.
({8})
Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Horst Günther.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte verfolgt, dann zwingt sich zunächst der Satz, gerichtet an alle Versicherten, geradezu auf: Niemandem, der eine medizinisch verordnete Kur notwendig hat, wird sie verweigert.
({0})
Er bekommt sie. Das muß man hier am Anfang mit aller Deutlichkeit sagen; denn diese Debatte ist geeignet, die Menschen noch weiter zu verunsichern.
Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates hat das Ziel, das auch wir haben, nämlich einen Mittelweg zwischen wirksamer Ausgabenbegrenzung, die notwendig ist, und einem klaren Bekenntnis zum hohen Stellenwert der Rehabilitation im Gesamtsystem der sozialen Sicherung zu finden. Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm führt deshalb zur Zeit Gespräche mit den Koalitionspartnern, den Ländern und natürlich auch mit den beteiligten Ressorts, um zu einer einvernehmlichen Lösung mit allen Beteiligten zu kommen. Die Gespräche dauern an.
Wenn wir heute über das Rehabilitationswesen in Deutschland reden, dann müssen wir feststellen, daß hier gilt, was für alle Bereiche der Sozialversicherung gilt: Wir müssen sparen. Wir müssen die Beiträge zur Sozialversicherung senken, um den Faktor Arbeit zu entlasten.
({1})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, heute so sehr auf die Arbeitsplätze abheben, dann sage ich Ihnen: Es würden viel mehr Arbeitsplätze, als es jetzt im zentralen Reha-Bereich der Fall ist, verlorengehen, wenn die Beiträge wegen hoher RehaKosten steigen müßten. Außerdem wäre die Wirkung länger anhaltend.
({2})
Auch das müssen Sie, Kollege Haack, bedenken, wenn wir über Arbeitsplätze sprechen. Auch ich bedauere das natürlich. Aber wir haben es gewußt. Der Kollege Louven hat es gesagt, und ich kann es bestätigen: Wir haben darüber diskutiert, und wir waren uns darüber im klaren, daß bei der Summe, die eingespart wird, in gewissem Umfang auch Arbeitsplätze verlorengehen. Aber ich sage noch einmal: Wenn wir das nicht in Kauf genommen hätten, wären an anderer Stelle, im produktiven Bereich, mehr Arbeitsplätze verlorengegangen. Das bedenken Sie nie bei dieser Frage.
({3})
Darum kann auch die Rehabilitation in der Rentenversicherung nicht von den Sparmaßnahmen ausgenommen werden.
Es gibt gute Gründe, warum im Reha-Bereich nicht so weitergemacht werden kann wie bisher. Von 1981 bis 1990, also in zehn Jahren, sind die Gesamtausgaben für die Rehabilitation in der Rentenversicherung nur um rund 30 Prozent gestiegen. Demgegenüber sind allein in den westlichen Bundesländern die Ausgaben von 1991 bis 1995, also in nur fünf Jahren, um über 50 Prozent gestiegen.
({4})
Im gesamten Bundesgebiet mußten wir einen Anstieg von 6,5 Milliarden DM im Jahre 1991 auf 9,8 Milliarden DM im Jahre 1995 feststellen.
Meine Damen und Herren, das kann nicht damit begründet werden, daß die Deutschen in dieser Zeit besonders krank gewesen sind. Das kann überhaupt nicht sein.
({5})
Das kann auch nicht allein mit Kostensteigerungen begründet werden und auch nicht mit einem Nachholbedarf in den neuen Bundesländern.
Es gibt verschiedene Ursachen für den Ausgabenanstieg. 1990 haben 32 von 1000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern in Westdeutschland die medizinische Rehabilitation in Anspruch genommen; 1995 waren es 37 von 1000 Beschäftigten. Dies entspricht einem Anstieg um ein Sechstel. Bislang, also vor 1997, wurden Reha-Maßnahmen auch dann bewilligt, wenn bei den betreffenden Personen das Rehabilitationsziel nicht mehr erreicht werden konnte, weil sie schon dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Ich denke zum Beispiel an Vorruhestandsempfänger und Empfänger von Altersübergangsgeld. Diese Fehlentwicklungen bringen die Rehabilitation in Mißkredit. Darüber hinaus sind die damit verbundenen Mehraufwendungen vor dem Hintergrund der Kassenlage der Sozialversicherungsträger in unserem Land nicht mehr hinnehmbar.
Um die Ausgabenexplosion im Bereich der Rehabilitation zu stoppen, hat der Gesetzgeber mit dem
WFG für 1997 und die folgenden Jahre eine Deckelung der Ausgaben nach dem Niveau von 1993 abzüglich 600 Millionen DM beschlossen. Gleichzeitig wurde die Dauer von Reha-Leistungen verkürzt, und die Intervalle zwischen mehreren Reha-Maßnahmen wurden verlängert. Aber ich kann Ihnen versichern, daß nach meiner Kenntnis seit Inkrafttreten der Sparmaßnahmen noch kein Antrag eines Versicherten auf eine medizinisch notwendige Rehabilitationsmaßnahme abgelehnt worden ist. Wir bleiben auch künftig dem Grundsatz treu: Reha vor Rente.
Das eigentliche Problem für die Kur- und Bäderorte liegt derzeit nicht darin, daß für Reha-Maßnahmen zuwenig Geld zur Verfügung steht, sondern darin, daß es einen drastischen Antragsrückgang gibt, und zwar beginnend schon im Jahre 1995, also lange vor Inkrafttreten des WFG. In den ersten Monaten dieses Jahres liegen die Zahlen der Anträge zirka 40 Prozent unter den Zahlen des Vorjahreszeitraumes.
({6})
Die ungünstige konjunkturelle Lage, einhergehend mit der Sorge der Versicherten um ihren Arbeitsplatz, hat zu dieser Entwicklung sicherlich auch erheblich beigetragen. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob eine gewisse Anzahl jetzt nicht mehr beantragter Kur- und Reha-Maßnahmen in der Tat medizinisch notwendig gewesen wären. Und: Überlegen sich die Menschen nun auch mit Blick auf ihren Geldbeutel, ob eine solche Maßnahme wirklich unerläßlich ist?
Was das Geld angeht, kann ich nur das bestätigen, was die Kollegin Stamm hier gesagt hat. Der Vorsitzende des Bayerischen Heilbäder-Verbandes ist der Bürgermeister von Bad Füssing, Franz Gnan. Er hat seit Jahren gefordert: Erhöht doch die Zuzahlung von 12 auf 25 DM! Wir haben diesem Sachverstand Folge geleistet; nun beklagt er sich und dreht den Spieß um. So kann man, meine Damen und Herren, keine Politik machen.
({7})
Gerade in Zeiten, in denen wir alle Ausgaben in der Sozialversicherung auf ihre Notwendigkeit hin abklopfen, kann es nicht Aufgabe der Sozialversicherung sein, einen bestimmten Auslastungsgrad der vorhandenen Kapazitäten in den Reha-Einrichtungen zu garantieren. Dennoch ist sich die Bundesregierung selbstverständlich ihrer Verantwortung für das Rehabilitationswesen und für eine gute Entwicklung in den Kurorten und Heilbädern bewußt. Ich bin überzeugt, daß wir bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfes eine Lösung finden, mit der alle leben können.
Vielen Dank.
({8})
Es liegen zwei Wünsche auf eine Kurzintervention vor. Zunächst gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede der bayerischen Staatsministerin Stamm der Abgeordneten Kastner.
Frau Staatsministerin, Wahrheiten verunsichern nicht, Tatsachen verunsichern. Die Tatsache ist im Deutschen Bundestag am 13. September letzten Jahres mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz geschaffen worden. Wenn man als Oppositionspolitikerin die Sorgen und Nöte der Bevölkerung aufnimmt, dann ist das keine Verunsicherung, sondern ein Arbeiten an der Sache, um die von Ihnen verursachten Zustände zu verbessern.
({0})
Sie wie auch Herr Staatssekretär Günther zitieren heute ständig den Präsidenten des Bayerischen Heilbäder-Verbandes Gnan, der ja vormals CSU-Mitglied war und deshalb, weil er von Ihrer Politik enttäuscht war, aus der CSU ausgetreten ist - deshalb bestrafen Sie ihn jetzt mit Ächtung, statt den wirklichen Dialog mit ihm zu suchen -, als Kronzeugen für die Zuzahlungsregelung. Es ist in der Tat richtig, daß der Herr Gnan bei Verhandlungen mit Ihnen und mit Herrn Seehofer darüber gesprochen hat, in der Zuzahlungsregelung einen Kompromiß zu machen. Nachdem Sie sich aber von den anderen Zusagen, die Sie dem Präsidenten des Bayerischen Heilbäder-Verbandes gegeben haben, verabschiedet haben, hat sich Herr Gnan gegen die Zuzahlungsregelung ausgesprochen. Er steht also, was unseren Antrag betrifft, auf unserer Seite. Das will ich Ihnen zur Klarstellung noch einmal ganz deutlich sagen.
Im Hinblick auf die Belegung der BfA- und LVA- Kliniken gebe ich Ihnen nur die Äußerung des Geschäftsführers der LVA Unterfranken, Herrn Adamis, aus einem Presseartikel der „Mainpost" wieder, in dem er seine Sorgen um die LVA-Häuser zum Ausdruck gebracht hat:
Die vier Häuser in Bad Kissingen, Bad Brückenau, Aibling und Ohlstadt, in denen rund 500 Mitarbeiter beschäftigt sind, wirtschaften an der Grenze der Rentabilität.
Selbst die LVA Oberbayern und die LVA Unterfranken überlegen heute schon, wie lange sie ihre eigenen Häuser noch halten können. Dies nur zu Ihrer persönlichen Aufklärung, da Sie dies anscheinend nicht wissen.
({1})
Zur Blockadepolitik sage ich Ihnen noch: Die SPD wird dann blockieren, wenn Sie unsinnige Maßnahmen beschließen.
({2})
Es ist Schlichtweg eine unsinnige Maßnahme, ein Gesetz zu beschließen, bei dem im Endeffekt 100 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Sie können nicht erwarten, daß die SPD in so einem Fall im Bundesrat zustimmt. Im übrigen hat die SPD in den anderen von Ihnen zitierten Fällen zugestimmt, wie ich vorhin in meiner Rede schon gesagt habe.
({3})
Frau Minister, nach den Regeln dieses Hauses haben Sie nun zwei Möglichkeiten: Entweder antworten Sie auf die Kurzintervention - dann haben Sie maximal drei Minuten -, oder Sie halten eine neue Rede, dann ändert sich die Redezeit für die gesamte Debatte.
({0})
Staatsministerin Barbara Stamm ({1}): Ich verzichte.
Danke.
Dann gebe ich das Wort zu einer zweiten Kurzintervention zu der Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Günther der Kollegin Steen.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf Ihren Vorwurf eingehen, Reha würde vor der Rente zu stark genutzt werden. Wer hat denn in diesem Haus beschlossen, die Lebensarbeitszeit der Menschen mit einem Federstrich von 60 auf 65 Jahre zu erhöhen, und wer will sich heute vor der Verantwortung drücken, daß hier Vorsorge und Rehabilitation nötig sind? Das sind Sie mit Ihrer Politik.
Im übrigen kann ich Ihnen nur sagen, daß es mich tief berührt, daß anscheinend in diesem Haus zu diesem Thema immer nur unter fiskalischen Gesichtspunkten diskutiert wird. Die Situation der Menschen, die von Krankheit betroffen sind, und vor allen Dingen die Situation der chronisch Kranken wird hier immer unter dem Blickwinkel des Risikos betrachtet. Es gehört zu einer zukunftsorientierten Gesundheitspolitik - das ist die Politik, die die SPD in diesem Haus vertritt -, daß Rehabilitation ein unverzichtbares Element ist. Diese zerstören Sie mit Ihrer Kahlschlagpolitik, indem Sie eine Ausgrenzung betreiben und versuchen, Menschen in einer Situation allein zu lassen, die sie selbst nicht ändern können.
42 Prozent aller Rehabilitanten sind in einem Lebensalter zwischen 52 und 60 Jahren. Das heißt, sie stehen noch voll im Erwerbsleben. Über 50 Prozent aller Rehabilitanten haben, wenn sie in eine Rehabilitation gehen, bereits eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit von einem halben Jahr hinter sich. Den Vorwurf, daß Menschen die Rehabilitiation mißbräuchlich in Anspruch nehmen, weise ich zurück. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Appelle, wie sie hier von Kollegen an die Minister gerichtet werden, finde ich ziemlich überflüssig. Wir, die Parlamentarier, fällen die politischen Entscheidungen. Inzwischen müßten eigentlich auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition in der Lage sein, hier solche Entscheidungen zu treffen.
({1})
Sie sollten nicht durch Abstimmungsmätzchen, wie
Sie das im Gesundheitsausschuß ausprobiert haben,
immer wieder versuchen, die Behandlung von Anträgen zu verhindern, die eine deutliche, politische Entscheidung verlangen.
({2})
Herr Staatssekretär, Sie können darauf antworten.
Frau Kollegin, ich glaube, Sie haben entweder nicht richtig zugehört, oder Sie haben sich selbst widersprochen oder beides. Wenn ich gesagt habe, daß Reha-Maßnahmen - nämlich die Wiederherstellung der Arbeitskraft; darauf haben Sie sich ja bezogen - in Bereichen stattfanden, in denen das Ziel nicht mehr erreicht werden konnte, dann ist das doch richtig. Denn wer im Vorruhestand ist und wer Altersübergangsgeld bekommt, arbeitet nicht mehr.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, wir hätten mit einem Strich die Lebensarbeitszeit verlängert, dann kann ich Ihnen nur sagen: Erstens. Mit einem Strich machen wir das nicht; das erfolgt in mehreren Stufen. Zweitens. Maßnahmen, die die Arbeitskraft länger erhalten, führen dazu, daß dann wieder mehr Kuren bewilligt werden können. Sie haben sich also total widersprochen.
({0})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Kauder. Bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debattenbeiträge der Opposition haben überhaupt keinen Beitrag dazu geleistet, den Menschen deutlich zu machen, worum es eigentlich geht.
({0})
Bei der ganzen Diskussion geht es darum, daß aus den Zwangsbeiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber das finanziert wird, was medizinisch notwendig ist und was die Menschen wirklich brauchen. Es geht darum, daß die notwendigen Plätze in den Reha-Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Es geht aber überhaupt nicht darum - darum darf es nicht gehen -, daß mit Zwangsbeiträgen Strukturpolitik gemacht wird.
Wenn Sie in Diskussionen mit den Menschen argumentieren würden, daß Sie die Beiträge zur Krankenoder Rentenversicherung deshalb nicht absenken können, weil Arbeitsplätze im Einzelhandel der Kurorte gefährdet seien, dann könnten Sie einmal erleben, was Ihnen die Menschen sagen. Wir können doch nur so argumentieren: Aus Zwangsbeiträgen muß das medizinisch Notwendige finanziert werden. Darum geht es und um gar nichts anderes.
({1})
Wenn Sie die These, meine Damen und Herren von der Opposition, daß aus Zwangsbeiträgen nur das medizinisch Notwendige finanziert werden darf, nicht unterstützen, dann müssen Sie Ihren Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und in anderen von der SPD regierten Bundesländern in den Rücken fallen, weil sie im Rahmen der Krankenhausbedarfspläne die Anzahl der Betten zusammenstreichen und sagen: Wir können nur noch die Betten vorhalten, die wir brauchen. Weil die Pflegeversicherung eingeführt worden ist, brauchen wir in den Krankenhäusern nicht mehr so viele Betten wie vorher. Dies bedeutet doch Arbeitsplatzabbau.
Glauben Sie, daß Sie mit der These - Frau Kastrier, das, was Sie erzählt haben, war ja unglaublich - „Um Arbeitsplätze zu schaffen, erhöhen wir die Beiträge in der Renten- und in der Krankenversicherung" Anklang finden könnten?
({2})
Sie benutzen die Sozialversicherungssysteme für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
({3})
Sie müssen sich einmal überlegen, ob Sie überhaupt noch den Durchblick haben. Sie argumentieren ja nur noch selektiv. Zeitgleich zur Aufstellung der These, die Zwangsbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu verwenden, klagen Sie darüber, daß die Menschen durch zu hohe Lohnnebenkosten belastet sind, daß vor allem junge Menschen so stark belastet sind. Sie müssen sich einmal überlegen, was Sie eigentlich wollen.
Es ist völlig richtig: Die Menschen sind durch die Beiträge zu hoch belastet. Deswegen kann nur noch das aus Beiträgen finanziert werden, was zwingend notwendig ist, und keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Sozialversicherungsbeiträge sind keine Mittel für die Strukturpolitik.
({4})
Herr Kollege Haack, Oskar Lafontaine hat das völlig richtig erkannt. Er erkennt nicht alles richtig. Aber jeder, der viel falsch macht, hat auch einen hellen Augenblick.
({5})
Auf die Frage, wo man sparen muß, hat er ohne Zukken gesagt: Im Kur- und Reha-Bereich muß gespart werden.
({6})
Jetzt will ich Ihnen noch eines sagen: Der Protest der Bevölkerung gegen diese Maßnahmen hält sich
sehr im Rahmen, weil die Menschen gespürt haben, daß in diesem Punkt übertrieben worden ist.
({7})
Wir werden in der Diskussion über die Bundesratsinitiative von Bayern und Baden-Württemberg prüfen,
({8})
ob wir in dem Punkt „medizinische Notwendigkeiten" noch etwas tun müssen. Ich bin überzeugt, daß wir dann eine Lösung finden werden - aber nur mit der These „Was medizinisch notwendig ist", nicht mit „Strukturpolitik aus Zwangsbeiträgen".
({9})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Halo Saibold das Wort.
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß es, wenn die Kosten so stark steigen, wie Sie es dargestellt haben - ich will jetzt nicht auf die einzelnen Gründe der Verschiebung und den Bezug zur Krankenhausbehandlung usw. eingehen -, die Möglichkeit gäbe, die Genehmigungsverfahren zu verändern, den Medizinischen Dienst ganz anders einzubeziehen und vieles andere mehr, um hier Abhilfe zu schaffen, und daß es ein vollkommen verkehrter Weg ist, eine Kahlschlagpolitik zu betreiben, wie Sie es getan haben? Es zeigt, daß Sie nicht überlegt haben, wo man zu Reformen ansetzen könnte, und daß Sie jetzt noch nicht einmal bereit sind, die tatsächlich entstandenen Probleme zu sehen und angesichts der Fehler, die Sie gemacht haben, Hilfestellung zu leisten?
Wenn Sie sagen, man dürfe in diesem Bereich nicht strukturpolitisch argumentieren, dann frage ich Sie: Wie können Sie verantworten, daß unsere Fördermittel im Osten heute nach wie vor in den Aufbau von Kureinrichtungen gehen? Wie können Sie verantworten, daß allein dort, woher ich komme - es geht um fünf Bäder -, in den letzten 20 Jahren über 1 Milliarde DM an öffentlichen Mitteln investiert wurden und hier so getan wird, als wäre das eine Investition in eigentlich unsinnige Arbeitsplätze? Sie sagten doch gerade, wir bräuchten Arbeitsplätze im produktiven Bereich und nicht hier?
Soll das heißen, daß die bisher betriebene Politik, diese 1 Milliarde DM, die in diesen Bereich investiert worden ist, vollkommen verkehrt war? Gab es denn nicht wirklich gute Gründe dafür, den Reha- und Kurbereich aufzubauen? Strukturpolitisch hat das natürlich Vorteile gehabt. War aber nicht der Hauptgrund der, daß es eine sinnvolle Heilbehandlung ist? Das fällt hier doch fast vollkommen unter den Tisch.
Ich sage Ihnen: Den Imageverlust, der durch Ihr Verhalten und die Diskussion gerade aus Ihren Reihen zum Bereich Reha, Kuren usw. entstanden ist, werden Sie so schnell nicht wieder los. Das ist das nächste Problem. Die Leute trauen sich gar nicht mehr, eine Kur zu beantragen, weil sie sich, ganz zu schweigen von ihrer wirtschaftlichen Lage, wie Kostgänger oder Ausnutzer von irgendwelchen Systemen vorkommen.
Wenn man einen Baum pflanzt - Vergleichbares hat im Kurbereich stattgefunden -, weil man das für sinnvoll erachtet, und man merkt, daß die Äste auswuchern, dann muß man doch die Äste beschneiden, aber darf doch nicht den Stamm halb wegschlagen. Genau in der Situation sind wir. Was Sie hier betreiben - Nichtbehandlung des SPD-Antrages usw. -, ist unterlassene Hilfeleistung. Normalerweise müßte so etwas eigentlich bestraft werden.
({0})
Herr Kollege Kauder, es besteht der Wunsch nach einer weiteren Kurzintervention, und zwar des Kollegen Haack. Ich schlage Ihnen vor, daß Sie gemeinsam auf beide antworten.
Im übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß am Ende dieser Debatte eine Überweisung steht. Das Thema wird uns also ohnehin noch weiter begleiten.
Herr Kollege Haack, bitte.
Herr Kauder, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie gesagt haben, wir hätten den Gesamtdurchblick nicht.
({0})
Ich stelle fest, daß wir im Bereich des Gesundheitswesens kein Ausgabenproblem, sondern ein Einnahmeproblem haben.
({1})
Dazu liefere ich Ihnen die Zahlen: Eine Differenz von 100 000 Arbeitslosen bedeutet Mindereinnahmen in Höhe von 550 Millionen DM in der gesetzlichen Krankenversicherung, von 900 Millionen DM in der Rentenversicherung und von rund 1 Milliarde DM in der Arbeitslosenversicherung.
Da Sie gesagt haben, wir würden den Arbeitsmarkt durch Sozialversicherungsbeiträge, durch Zwangsbeiträge, stützen, will ich Sie darauf hinweisen, daß es im Kernbereich des Gesundheitswesens 3 Millionen Beschäftigte gibt. Dies ist der in den letzten 20 Jahren am stärksten wachsende Sektor gewesen. Im Wege von Arbeitsförderungsmaßnahmen hat man den Strukturwandel bewußt gesteuert, indem die Mittel entweder in Sozialisationsberufe wie Lehrer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder in den Bereich von Gesundheit, Medizin und verwandte Berufe geleitet wurden. Das war eine bewußte Politik als Antwort auf den notwendigen Strukturwandel - dies, um noch einmal Herrn Louven zu zitieren - vom sekundären zum tertiären Sektor.
Ich habe Ihnen dargelegt, welche Einnahmeverluste bei einer Differenz von 100 000 Arbeitslosen entKarl Hermann Haack ({2})
stehen. Soviel Mißbrauch in den sozialen Sicherungssystemen - Stichwort: Fango-Tango - kann es gar nicht geben, daß man damit die auf der Einnahmeseite durch Massenarbeitslosigkeit entstandenen Probleme erklären könnte.
Es klang auch an, wir könnten angesichts der von uns vertretenen Wirtschaftspolitik nicht alle Tassen im Schrank haben.
({3})
Wenn man den Strukturwandel in einer industriellen Gesellschaft will, führt man ihn unter zwei Bedingungen durch: Erstens macht man ihn im Konsens. Aber den Konsens - „Bündnis für Arbeit" - haben Sie aufgekündigt.
({4})
Zweitens setzt man auf die Zeitschiene. Das hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation in Verabredung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie mit BfA und LVA getan, indem sie vorgeschlagen hat, die Reha-Leistungen in den nächsten Jahren nach einem festen Programm zurückzufahren. Das wissen Sie so gut wie ich.
Aber mit der Streichung von 3,3 Milliarden DM haben Sie die Fallbeilmethode gewählt, um nach dem Grundsatz politischer Kleptomanie - hier nimmt man was weg und tut da was dazu - Ihre Löcher zu stopfen.
({5})
Herr Kollege Kauder, Sie können darauf antworten.
Herr Präsident, ich will Ihre Anmerkung ernst nehmen, daß wir die Debatte noch in den Ausschüssen führen werden. Deswegen nur wenige Hinweise.
Herr Kollege Haack, Sie haben versucht, sich um die Antwort herumzudrücken. Ich stelle Ihnen die Frage trotzdem: Was ist die Schließung von acht großen Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen anderes als die von Ihnen so bezeichnete Kleptomanie? Sie müssen eine Antwort darauf geben, ob Sie noch dazu beitragen wollen, gemeinsame Ziele zu verfolgen. Sie können nicht auf der einen Seite die Schließung von Krankenhäusern, die medizinisch nicht mehr notwendig sind, befürworten, selbst wenn Arbeitsplätze vernichtet werden, aber auf der anderen Seite dagegen sein, wenn wir Maßnahmen treffen, die dem Ziel dienen, medizinisch Notwendiges im Kur- und Reha-Bereich auch in Zukunft finanzieren zu können. Mit dieser Argumentation lassen wir Sie nicht laufen.
({0})
Wir werden Vertreter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in den Ausschuß laden
({1})
und sie fragen, wie sie zum Arbeitsplatzabbau in diesem Bereich stehen.
({2})
- Herr Kollege Andres, wenn es unangenehm wird, hilft auch Schreien nichts mehr.
({3})
Frau Kastner, für das, was Sie uns in Ihrem Beitrag vorgeworfen haben - daß wir in den Ländern anders reden würden als hier in Bonn -, sind Sie von der SPD ein Musterbeispiel. Sie reden und handeln in den Ländern anders, als Sie hier in Bonn reden und handeln.
({4})
Das müssen Sie tun, weil Sie in den hochverschuldeten SPD-regierten Ländern gar keinen Kredit mehr kriegen. Deswegen müssen Sie dort einsparen.
({5})
Sie haben den Strukturwandel im tertiären Bereich angesprochen. Da sind wir, Regierungskoalition und Sie, völlig einer Meinung. Nur in einem haben wir einen ganz großen Unterschied: Wir glauben, daß der Strukturwandel nicht ausschließlich durch den Staat und durch Zwangsbeiträge finanziert werden kann, sondern auch durch Eigenbeiträge. Das haben Sie noch nicht verstanden.
Ihre Jungen in der SPD sind da viel weiter. Die Jungsozialisten in Baden-Württemberg sagen: Dieses ganze Rentenversicherungssystem muß abgeschafft werden; Kapitaldeckung, kein Umlageverfahren mehr.
({6})
- Ja, jetzt kommt Aufregung. Wenn die junge Gruppe der SPD sagt, wir dürfen uns bei der Rentenreform nicht verweigern, wir müssen mitmachen, da muß sich etwas ändern, dann merken Sie, wie rückschrittlich Sie eigentlich argumentieren.
({7})
- Ich weiß das alles. Frau Kastner, es geht nur um Fakten und Tatsachen, die ich hier anspreche.
Nun zu Ihnen, Frau Saibold. Ich bin schon dafür, daß man in der politischen Argumentation zuspitzt und vielleicht auch ein bißchen übertreibt. Aber wenn ein Zuwachs in der Reha von 1993 bis 1995 von 2,8 Milliarden DM wieder auf den Zustand von 1993 zurückgeführt wird, davon zu reden, daß der Baum abgehackt werde, ist falsch. Ich sage: Es ist genau das, was auch Sie wollen, was jeder Gärtner tut; wenn der Baum oben zu weit wuchert und umzufalVolker Kauder
len droht, dann werden die Äste etwas beschnitten. Genau dies tun wir, mehr nicht.
({8})
Ich schließe diese Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/7558 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Bevor ich die Debatte zur Gesundheitspolitik aufrufe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir im Anschluß an diese Debatte über drei Anträge der Koalitionsfraktionen auf Zurückweisung von Einsprüchen des Bundesrates namentlich abstimmen werden. Da zur Annahme der Anträge jeweils die absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie außer Ihren Stimmkarten drei Stimmausweise in den Farben Gelb, Grün und Rosa. Diese Stimmausweise können Sie Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Das Verfahren werde ich nachher im einzelnen beschreiben. Ich möchte die Kollegen, die nicht im Raum sind, darauf aufmerksam machen, daß wir nach Schluß der Abstimmung keine weiteren Stimmkarten entgegennehmen werden. Darum bitte ich alle Beteiligten, ihre Anwesenheit darauf einzurichten.
Dies alles vorausgeschickt, rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte zur Gesundheitspolitik
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren nun seit über zwei Jahren über die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens. Die Argumente sind ausreichend ausgetauscht. Deshalb möchte ich mich heute auf vier zusammenfassende Bemerkungen beschränken.
Erstens. Wir haben zu Beginn dieser Diskussion der Opposition, der SPD, ein Angebot gemacht, diese Gesundheitsreform gemeinsam zu konstruieren und zu konzipieren. Die SPD hat sich auch auf diesem Feld einer Zusammenarbeit verweigert. Deshalb handeln wir als Koalition heute aus eigener Kraft.
({0})
Zweitens. Wir haben im deutschen Gesundheitswesen keine Leistungskrise, sondern Finanzierungsprobleme. Die Versorgungsqualität, das Versorgungsniveau und das Ausmaß des sozialen Schutzes im Fall der Krankheit stehen in der Bundesrepublik Deutschland im weltweiten Vergleich ganz oben. Das wollen wir auch künftig beibehalten.
Drittens die Finanzierungsprobleme. Meine Damen und Herren, ich möchte einmal darauf hinweisen, daß die Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1997 nicht gestiegen sind. In der Bundesrepublik West sind sie sogar gesunken. Dennoch verzeichnet die gesetzliche Krankenversicherung ein Defizit.
Dies macht deutlich, daß Sparen in der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig bleibt - dies geschieht auch; das zeigen die Entwicklungen des Jahres 1997 sehr deutlich: kein Leistungsausgabenzuwachs -, daß Sparen allein aber nicht ausreicht, um das hohe Versorgungsniveau und den medizinischen Fortschritt im deutschen Gesundheitswesen zu finanzieren. Das ist eine Tatsache.
({1})
Deshalb beschreiten wir als Koalition den Weg, durch Erhöhung der Selbstbeteiligung ein stärkeres Maß an Eigenverantwortung herbeizuführen - mit der klaren Botschaft für die Bevölkerung: Wenn wir dieses höhere Maß an Eigenverantwortung in Deutschland nicht realisieren, können wir das derzeitige Leistungsniveau im deutschen Gesundheitswesen nicht halten. Das sind die Alternativen.
({2})
Natürlich gibt es auch für Selbstbeteiligung eine Grenze. Sie liegt dort, wo die Selbstbeteiligung dazu führen würde, daß kranke Menschen die Leistungen des deutschen Gesundheitswesens, die auf einem hohen Niveau sind, nicht mehr in Anspruch nehmen könnten. Deshalb wird die Selbstbeteiligung mit sozialem Schutz verbunden. Auch in der Zukunft bleiben all die Menschen von Selbstbeteiligung befreit, die diese von ihrem Einkommen oder ihrer Rente her nicht leisten können.
Ich nenne ein Beispiel. Ein Rentnerehepaar mit einer Rente von 2300 DM monatlich ist von der Zuzahlung bei Arzneimitteln, Heilmitteln und Fahrtkosten völlig befreit.
({3})
Eine Rente von 2300 DM monatlich ist in der Bundesrepublik Deutschland eine hohe Rente.
Beim Krankenhausaufenthalt bleibt die Zuzahlung auf 14 Tage begrenzt. Das heißt, wenn ein kranker Mensch innerhalb eines Jahres zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal voll stationär behandelt werden muß, muß er nicht immer wieder zuzahlen, weil die Zuzahlung im Krankenhaus auch künftig gesetzlich auf maximal 14 Tage begrenzt bleibt.
Wir verbessern die Härtefallregelung sogar noch, nämlich für chronisch kranke Menschen, die wegen derselben Krankheit, derselben Indikation länger als ein Jahr in Behandlung sind. Für einen chronisch kranken Menschen ist, wenn er wegen der Höhe seines Einkommens nicht ohnehin von der Zuzahlung befreit ist, ein Überforderungsschutz vorgesehen, so daß kein chronisch kranker Mensch mehr als 1 Prozent seines Einkommens für Arzneimittel, für Heilmittel und Fahrtkosten aufzuwenden hat. Eine ZuBundesminister Horst Seehofer
zahlung, die über diese Grenze hinausgehen würde, muß nicht geleistet werden.
Wenn man schon zu Beginn eines Jahres weiß, daß das Einkommen im laufenden Jahr niedrig sein wird, bzw. wenn feststeht, daß eine chronische Erkrankung gegeben ist, ist man nicht verpflichtet, die Zuzahlung zu verauslagen, um sie anschließend von der Krankenversicherung erstattet zu bekommen. Nein, meine Damen und Herren, man kann diese Befreiung oder den Überforderungsschutz bei der Krankenversicherung von vornherein beantragen, um nicht verauslagen zu müssen. Dies ist eine saubere, eine sozial verantwortliche Regelung, die gewährleistet, daß wir das hohe Leistungs- und Versorgungsniveau in der Bundesrepublik Deutschland auch künftig bezahlen können.
({4})
Die Alternative, meine Damen und Herren: Ich stelle fest, daß keine politische Kraft in der Bundesrepublik. Deutschland den Weg, der in der Vergangenheit beschritten wurde, nämlich Finanzierungsprobleme in den Sozialsystemen durch einfaches Erhöhen der Sozialversicherungsbeiträge - und damit der Arbeitskosten - zu beantworten, für die Zukunft für richtig hält. Uns ist dieser bequeme Weg der Vergangenheit, Finanzierungpsrobleme einfach dadurch zu lösen, daß man die Beiträge erhöht, für die Zukunft versperrt; denn es ist mittlerweile gesellschaftlicher Konsens, daß Erhöhungen der Beiträge und damit Erhöhungen der Lohnnebenkosten Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. Deshalb kann dieser Weg als Alternative nicht gegangen werden.
({5})
Weil häufig gefragt wird, ob mit einer Eigenbeteiligung nicht im besonderen der kranke Mensch getroffen wird, möchte ich mich mit der Alternative auseinandersetzen, die von der SPD am 9. Oktober 1996 mit dem Inhalt „Sofortprogramm zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in den Krankenkassen" in dieses Parlament eingebracht wurde.
Darin wird eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, aber an erster Stelle steht die Finanzierungsalternative zu unserer Erhöhung der Eigenverantwortung. Ich muß hier einmal vorlesen, was die SPD vorschlägt, und dann bewerten, welche Folgen diese Vorschläge im Jahre 1997 hätten:
Nachdem die sektorale Ausgabenbegrenzung am 31. Dezember 1995 ausgelaufen ist, muß zum 1. Januar 1997 ein Globalbudget bei den Krankenkassen eingeführt werden; der Ausgabenrahmen wird entsprechend der Einnahmenentwicklung der Krankenkassen fortgeschrieben.
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Übersetzt für das Jahr 1997 - dieser Diskussion kann man nicht ausweichen, diese führe ich mit Arbeitnehmern und Versicherungsvertretern tagtäglich, wo auch immer in der Bundesrepublik Deutschland ich auftrete; ich bekomme immer die gleiche Antwort: Das wollen wir nicht - würde der Vorschlag der SPD bedeuten, daß die Ausgabenzuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Zuwachs der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich begrenzt werden müßten.
Die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung steigen in diesem Jahr wahrscheinlich in einem Korridor zwischen 0,5 und 0,9 Prozent, also unterhalb eines Prozents. Das ist nicht nur eine Prognose der Bundesregierung, das sind auch die tatsächlichen Ist-Entwicklungen, die uns bis jetzt für das Jahr 1997 vorliegen.
Für die Krankenhäuser und das Personal in den Krankenhäusern ist durch den Bundesangestelltentarifvertrag für 1997 bereits eine Tariferhöhung von 1,3 Prozent vereinbart worden. Wenn nun der Gesetzgeber herginge und den Ausgabenzuwachs in der gesetzlichen Krankenversicherung, so wie von der SPD gefordert, auf den Zuwachs der Einnahmen in der Krankenversicherung gesetzlich beschränken würde, müßte dieser Zuwachs unterhalb dessen liegen, was die Tarifpartner für die Krankenhäuser und für niedergelassene Praxen und dort beschäftigtes Personal vereinbart haben.
Meine Damen und Herren, dann gibt es nur zwei Alternativen, die entweder/oder oder gemeinsam ergriffen werden müssen. Entweder müßten massenhaft Stellen in den Krankenhäusern gestrichen und Personal abgebaut werden, um das gesetzliche Ziel zu erreichen, oder es müßten in massiver Weise Leistungen für Patienten, für kranke Menschen, in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkt werden. Dann gäbe es keine Härtefallregelung, dann müßten die Patienten die über die Einschränkung hinausgehenden Leistungen zu 100 Prozent bezahlen. Deshalb lehnen wir den Vorschlag ab.
({7})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Ja.
Herr Kollege Seehofer, revidieren Sie damit Ihre eigene Aussage vom 4. Februar 1996 in der „Welt am Sonntag", in der Sie erklärt haben, in diesem System werden 10 Prozent der Ausgaben und damit 25 Milliarden DM für Schnickschnack - das war Ihre wörtliche Aussage - ausgegeben?
Wir wollen mit einem Globalbudget erreichen, daß Wirtschaftlichkeitsreserven im System ausgelotet werden. Sie unterstellen mit Ihrer Aussage, das sei nicht mehr machbar. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie noch vor einem Jahr sagten?
({0})
Herr Kollege Kirschner, es waren ganz klare Botschaften. Während Sie mir zuhörten, habe ich gesagt: Wir müssen auch künftig sparen, das bleibt ein Gebot. Aber ich füge hinzu, daß das Sparen allein nicht
ausreicht; denn wenn schon bei der Nichtsteigerung der Leistungsausgaben ein Defizit entsteht, müßten wir in die Substanz der Leistungsausgaben eingreifen, wenn wir noch stärker sparen wollten, als es ohnehin schon geschieht.
Zweite Botschaft: Seit Februar 1996, seit dieser Aussage, hat die Koalition ein Beitragsentlastungsgesetz mit einem Einsparvolumen von 7,5 Milliarden DM verabschiedet und hat die Selbstverwaltung - mit leichtem politischem Druck - ein Defizit, was einmal bei 9 Milliarden DM lag, auf 2 Milliarden DM zurückgeführt. Da ist ungeheuer viel gespart worden. Das hat seit Februar 1996 stattgefunden. Das wollen Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Deshalb bleibt meine Aussage weiterhin richtig.
({0})
Aber, Herr Kirschner, bevor Sie meine Aussagen vergleichen, wäre es für die Bevölkerung viel interessanter gewesen, ob Sie noch zu dieser Ziffer 1 als Alternative zu unserer Erhöhung der Selbstbeteiligung stehen, nämlich zu Ihrer für das Jahr 1997 und für die Zukunft vorgeschlagenen gesetzlichen Budgetierung, die sich nach der Einnahmeentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung richtet.
Ich habe bisher keinen DGB-Vorsitzenden und keinen ÖTV-Vorsitzenden vor Ort gefunden, der mir gesagt hätte, wir sind für diese Budgetierung, weil sie meiner These und meiner Schlußfolgerung zugestimmt haben: Wenn diese Budgetierung unterhalb der Summe, die die Tarifpartner vereinbart haben, gesetzlich vorgesehen würde, dann kämen die kranken Menschen in der Bundesrepublik Deutschland unter die Räder. Das ist die Realität. Deshalb nehmen Sie, Herr Professor Pfaff, diese Ziffer 1 vom Tisch. Dies ist der größte Anschlag auf kranke Menschen und auf Patienten, der jemals in der deutschen Gesundheitspolitik stattgefunden hat.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nichts mehr.
Meine vierte und letzte Bemerkung: Wir wollen auch künftig in der Bundesrepublik Deutschland die Grundprinzipien unseres Krankenversicherungswesens aufrechterhalten, das heißt die freie Arztwahl, die Pluralität des Angebots bei Krankenkassen, bei Krankenhäusern, Ärzten und auch bei Therapierichtungen. Allerdings sage ich hier noch einmal: Besondere Therapierichtungen müssen in der Zukunft der Wissenschaft verpflichtet bleiben. Scharlatanerie findet auch in der Zukunft in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht statt.
({0})
Wir wollen insbesondere das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung auch ins nächste Jahrtausend führen, das heißt eine hochwertige medizinische Versorgung für jedermann und jede Frau ohne Ansehen des Einkommens, des Alters oder der Herkunft. Eine Transplantation, eine aufwendige Diagnostik oder Therapie müssen auch in der Zukunft jedem Menschen zur Verfügung stehen und solidarisch finanziert werden. Das ist das Grundbild unserer solidarischen Gesellschaft. Da darf es keine Selektion geben wie in anderen hochentwickelten Ländern, wo man etwa bei dem Alter die Frage stellt: Lohnt es sich noch, bei einem 78 Jahre alten Menschen eine aufwendige Operation durchzuführen? Wir verstehen den humanen Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung und die Solidarität anders. Das wollen wir auch weiterhin gewährleisten.
({1})
Aber wir fügen hinzu: Wenn wir dies auf hohem Niveau erhalten, wenn wir den medizinischen Fortschritt weiterhin finanzieren und an ihm teilhaben wollen, wenn wir die finanziellen Kosten, die aus der ständig steigenden Lebenserwartung erwachsen, auch künftig aufbringen, wenn wir die Herausforderungen des demographischen Wandels in unseres Bevölkerung bewältigen wollen, dann gehört zur Wahrheit hinzu, daß bei der Aufrechterhaltung des Solidarprinzips bei den ohnehin hohen Arbeitskosten der einfache Ausweg, noch weitere Erhöhung der Arbeitskosten, nicht gegangen werden kann, sondern daß wir der Bevölkerung sagen müssen: ein höheres Maß an Eigenverantwortung dort, wo die Eigenverantwortung den Menschen zumutbar ist. Solidarität und Eigenverantwortung sind ein Geschwisterpaar.
Wir können Solidarität auf Dauer und auf hohem Niveau nicht finanzieren, wenn wir nicht die Kraft und den Mut haben, der Bevölkerung zu sagen: Wir brauchen in Deutschland wieder ein höheres Maß an sozialverträglicher Eigenverantwortung.
Deshalb bitte ich meine Fraktionen, dieser Reform zuzustimmen. Sie ist geeignet, das deutsche Gesundheitswesen blühend zu erhalten und auf hohem Niveau auch ins nächste Jahrhundert zu führen.
({2})
Ich gebe dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist für das Hohe Haus von Interesse, wie die Eingangsbewertung des Bundesministers für Gesundheit über das Verhandlungsangebot an die SPD in der Praxis abgelaufen ist. Das Angebot der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen an die sozialdemokratische Fraktion zur Verhandlung bestand darin, die heute zur endgültigen Verabschiedung anstehenden Gesetze in ihrem unsozialen Charakter mitzutragen. Das ist legitim. Aber, Herr Seehofer, es ist genauso legitim, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dies kategorisch ablehnt.
({0})
Was den Versuch betraf, Blockadehaltungen in dieser Gesetzgebung aufzuweichen, darf ich Sie an die letzte Sitzung des Vermittlungsausschusses erinRudolf Dreßler
nern. Dort hat die SPD-Seite den Ländern, der Bundesregierung und den Koalitionsabgeordneten das Angebot gemacht, erneut den Versuch einer Verhandlung zu wagen. Herr Seehofer hat für die gesamte CDU/CSU- und F.D.P.-Seite erklärt, dies komme überhaupt nicht in Frage.
({1})
Wenn ein Minister heute also suggeriert, die sozialdemokratische Fraktion hätte sich Gesprächen und Verhandlungen entzogen, obwohl er diese selber im Vermittlungsausschuß kategorisch abgelehnt hat, dann ist das ein merkwürdiges Verfahren, mit der Wahrheit umzugehen.
({2})
Was die Frage von Solidarität und ihrer neuen Definition auf christdemokratische Art betrifft, will ich das Hohe Haus an eine Ausführung des Bundesministers für Gesundheit vor wenigen Tagen anläßlich des Deutschen Ärztetages in Eisenach erinnern. Dort hat er zum erstenmal öffentlich den Ärzten erklärt - auch dies hat er heute hier im Hause nicht gewagt zu sagen -, daß die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. die Umwandlung des geltenden Krankenversicherungsrechts am heutigen Tage verabschieden werde, nämlich die Belastung von Versicherten mit einem Drittel, der Unternehmen mit einem Drittel und der Kranken mit einem Drittel. Wir haben in der Vergangenheit die Belastung 50 zu 50 kennengelernt. Diese hatte sich über Jahrzehnte bewährt. Wenn also ein Bundesgesundheitsminister offen erklärt, daß er die solidarische Hälftelung der Belastungen in eine Drittelung verändert hat und dabei verschweigt, daß die Patienten in Wahrheit zwei Drittel zahlen müssen, dann ist auch das kein Umgang mit der Wahrheit, Herr Bundesgesundheitsminister.
({3})
Damit auch das klar ist und überhaupt kein Zweifel besteht: An dieser Politik wird sich die SPD-Bundestagsfraktion nicht beteiligen.
Die gesetzliche Budgetierung als unsere Grundposition. Damit auch da kein Zweifel besteht, Herr Seehofer: Dabei bleiben wir. Wenn Sie dies hier schon problematisieren, warum haben Sie dann nicht gewagt, dem Hohen Hause zu sagen, daß unter Ihrer Federführung 2 Milliarden DM an Einsparungen durch die Eliminierung der Positivliste und des Arzneimittelinstituts gestrichen worden sind?
({4})
Warum haben Sie es nicht gewagt, dem Hohen Hause zu erklären, daß Sie die Verantwortung dafür tragen, die zwischen uns verabredete Großgeräteplanung - Einsparungen eine Milliarde DM - eliminiert zu haben? Warum haben Sie es nicht gewagt, dem Hohen Hause zu erklären, daß die verabredete sukzessive Einführung der monistischen Finanzierung im Krankenhaus - Einsparungen in nicht quantifizierten Milliarden - von Ihnen niedergelegt worden ist, unbearbeitet blieb, ins Gegenteil verkehrt wurde. Und wenn dann die Art von Zahlenrelation,
die Sie hier vortragen, auftritt, weil sie Sie selbst besorgt haben, das gegen die SPD zu wenden, Herr Seehofer, ist intellektuell in höchstem Maße lächerlich.
({5})
Die Koalition und dabei vor allem Herr Seehofer reden immer wieder von der Notwendigkeit, im Gesundheitswesen zu sparen. Sie begründen das damit, daß die heute zu beratenden Gesetze das Ziel erfüllen.
Sparen im Gesundheitswesen wäre ja notwendig. Unser Gesetzentwurf enthält dazu eine Reihe von Vorschlägen. Die Gesetze allerdings, die heute mit Mehrheit verabschiedet werden sollen, haben mit Sparen nichts zu tun. Im Gegenteil, diese Gesetze werden die Ausgaben der Menschen für Gesundheit nicht vermindern, sondern sie werden sie erhöhen. Sie sind eine Mixtur aus Bestrafungsaktion für Kranke und gezielter Klientelbedienung zugunsten bestimmter Gruppen im Gesundheitswesen.
Vor allem die F.D.P. - Herr Seehofer hat sich ihr gebeugt - verbindet mit diesen sogenannten Neuordnungsgesetzen die Zielsetzung, unser bestehendes System der solidarischen Gesundheitssicherung zu zertrümmern oder, wie Sie es vornehmer sagen: zu überwinden. Herr Möllemann räumt dies auch öffentlich und unumwunden ein.
Die F.D.P., Herr Möllemann auch, und große Teile des Wirtschaftsrates der Unionsparteien träumen von einer weitgehend privatisierten Gesundheitsversorgung, in der letztendlich die gesundheitlichen Risiken der einzelnen Menschen Maßstab dafür werden sollen, wieviel sie für ihre Gesundheitssicherung aufwenden müssen, getreu dem Motto: Wer krank ist, soll auch zahlen.
Meine Damen und Herren, die sarkastisch gemeinte Alternative, „lieber reich und gesund als krank und arm", ist zwar schon alt, aber sie war in diesem Hause nie Handlungsrahmen in der Gesundheitspolitik, trotz bestehender Meinungsunterschiede in wichtigen Fragen. Mit dem Inkrafttreten dieser Gesetze wird sich das ändern. Die Koalition will, daß die Gesundheit im wahrsten Sinne des Wortes zukünftig ein „teures" Gut wird. Daß dabei die kranken Menschen verdammt schlechte Karten haben, nehmen CDU/CSU und F.D.P. bewußt in Kauf.
Ich wiederhole: Mit diesen Gesetzen wird keine müde Mark gespart. Nichts wird billiger. Keine überflüssige Behandlungsmaßnahme wird vermieden.
Was soll denn die von CDU/CSU und F.D.P. erzwungene Erhöhung der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln um sage und schreibe 125 Prozent bei Kleinpackungen, also von 4 auf 9 DM, eigentlich bewirken, außer den Patienten das Geld aus der Tasche zu ziehen?
Eine solche Kleinpackung, die vor der Erhöhung der Selbstbeteiligung 8 DM kostete, kostet auch danach 8 DM. Vorher übernahm die Krankenkasse von diesen 8 DM 4 DM, nachher muß der Patient 8 DM selber zahlen. Wo bitte ist da gespart worden? Wo bitte ist da weniger ausgegeben worden? Nach wie
vor werden 8 DM bezahlt. Das einzige, was sich verändert hat, ist der Kreis derjenigen, die die Kosten zu tragen haben.
Die Koalition hat also nichts gespart, nein, meine Damen und Herren, sie hat umverteilt, und zwar zu Lasten der kranken Menschen. Um nichts anderes geht es hier.
({6})
Es kann doch den Vertretern der Koalition nicht entgangen sein, daß durch die drastische Erhöhung der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln - ich rufe in Erinnerung: von 4 auf 9 DM bei Kleinpackungen, 6 auf 11 DM auf mittleren und 8 auf 13 DM bei großen Packungen - vor allem eines erreicht wird: Ein großer Teil der Arzneimittel geht zukünftig in vollem Umfang ausschließlich zu Lasten der Patienten. So wird zukünftig zum Beispiel kaum mehr ein Schmerzmittel verordnet werden können, zu dem die Krankenkassen noch einen nennenswerten Kostenbeitrag leisten. Wollen mir die Vertreter der Koalition wirklich einreden, derartig fatale und mit dem sozialen Anspruch unseres Gesundheitswesens unvereinbare Auswirkungen hätten sie übersehen? Natürlich hat das die CDU/CSU - von der F.D.P. ganz zu schweigen - nicht übersehen.
Die Wahrheit ist: Sie wollen das so; das ist der entscheidende Punkt. CDU/CSU und F.D.P. wollen, daß die Kranken bezahlen. Nichts beweist das deutlicher als diese Gesetze; denn mit einer einmaligen drastischen Erhöhung der Selbstbeteiligung ist es ja nicht getan. Das soll ja weitergehen; das hat Herr Seehofer schamvoll verschwiegen.
Die Selbstbeteiligungen sollen dynamisiert werden. Hinter diesem schönen Wort „dynamisiert" versteckt sich eine weitere unsoziale Wirkung: Dynamisiert bedeutet nichts anderes, als daß zukünftig die Selbstbeteiligung jedes Jahr automatisch erhöht werden wird.
({7})
Selbst das soll noch nicht das Ende der Fahnenstange sein; die Grobheiten gehen weiter.
Wenn diese Gesetze, über die heute entschieden wird, in Kraft getreten sein werden, dann muß zukünftig jede Krankenkasse, wenn sie ihren Beitrag erhöhen muß, auch die Selbstbeteiligung erhöhen: Je 0,1 Prozent Beitragserhöhung entspricht das einer Erhöhung von 1 DM oder 1 Prozent bei der Selbstbeteiligung. Das ist sozialpolitisch eine wirklich verheerende Regelung.
2,5 Milliarden DM Defizit haben die Krankenkassen im ersten Vierteljahr 1997 erzielt. Wenn dieser Trend anhält - nichts spricht dagegen -, werden wir Ende des Jahres ein Gesamtdefizit von 6 bis 8 Milliarden DM in der Krankenversicherung zu verzeichnen haben. Das entspricht etwa 0,3 oder 0,4 Beitragspunkten. Um die müssen dann die Beiträge der Krankenkassen erhöht werden, damit das Defizit ausgeglichen werden kann.
Das heißt aber auch, aus der Arzneimittelselbstbeteiligung von 4, 6, 8 DM am 1. Januar 1997 werden nicht nur Mitte des Jahres 9, 11, 13 DM geworden sein, sondern am 31. Dezember 1997 mindestens 12, 14, oder 16 DM. Das ist bei der kleinsten Arzneimittelpackung eine Erhöhung der Selbstbeteiligung in einem Jahr um sage und schreibe 300 Prozent. Was hat das mit Sparen im Gesundheitswesen zu tun? Meine Damen und Herren, das ist schiere Abzockerei in ihrer bösartigsten sozialen Form.
({8})
Ein Weiteres. Soll das, was CDU/CSU und F.D.P. in Sachen Zahnersatz und zahnärztlicher Versorgung mit dem Beitragsentlastungsgesetz zu Jahresbeginn bereits eingeführt haben und was mit diesen Gesetzen fortgeführt werden soll, eigentlich auch Sparen sein? Ist es Sparen, wenn Zahnärzte zukünftig den Zahnersatz nicht mehr nach Kassensätzen, sondern nach den Sätzen und Regeln der Privatgebührenordnung abrechnen können? Preistreiberei ist das. Daß die Koalition das selbst vermutet, zeigt doch die Regelung, die den Zahnärzten für zwei Jahre ausdrücklich verbietet, den vollen preislichen Handlungsrahmen, den die Privatgebührenordnung ihnen bietet, auszuschöpfen.
CDU/CSU und F.D.P. räumen doch damit indirekt selbst ein, daß eine solche Regelung vor allem eines bewirkt: das Abkassieren des Patienten. Aber genau das soll erst nach den Wahlen 1998 seine volle Wirkung entfalten. Seien Sie doch so mutig und setzen Sie das heute in Kraft, damit jeder spüren kann, wie Sie die Patienten und Kranken abzocken wollen, meine Damen und Herren.
({9})
Gerade die Versorgung mit Zahnersatz zeigt eindeutig, wohin die Reise gehen soll: Auf Kosten der Patienten werden den Zahnärzten zusätzliche Einnahmemöglichkeiten eröffnet. Was CDU/CSU und F.D.P. Sparen nennen, ist Klientelpolitik und nichts anderes. Leistungen, die ausgegrenzt waren, weil sie ästhetisch und qualitativ auf andere Art und Weise wesentlich günstiger zu bekommen waren, werden auf Druck der F.D.P. wieder eingeführt, wenn damit eine bestimmte Gruppe bedient werden kann, die aus wahlarithmetischen Gründen für die F.D.P. benötigt wird. Meine Damen und Herren, ich nenne das sozialpolitsch widerlich, nichts anderes als widerlich.
({10})
Wieso erdreistet sich diese Koalition eigentlich, einerseits einer Normalpatientin ihre Mullverbände oder Pillen, die sie benötigt, einzeln vorzuzählen, wenn sie andererseits den starken Gruppen Millionen über die Rampe schiebt, etwa jenen pharmazeutischen Unternehmen, die Arzneimittel herstellen, über deren Sinn und Nutzen im Rahmen einer solidarischen Finanzierung nun wirklich gestritten werden kann?
({11})
Ich wiederhole: 2 Milliarden DM hat diese Koalition dabei durch Streichung der ursprünglich gesetzlich vorgesehenen Arzneimittel-Positivliste verplempert.
({12})
Die haben nach wie vor die Beitragszahler zu bezahlen. Das nennen die Damen und Herrn innovations-freundliche Pharmapolitik. Ich lache.
({13})
Diese Art von Politik hat folgendes bewirkt, meine Damen und Herren: Die leistungsfähigen, forschungsintensiven pharmazeutischen Unternehmen mit ihren innovativen Produkten - dank fehlender Positivliste - haben sich die notwendigerweise begrenzten finanziellen Mittel der Krankenkassen mit den Herstellern jener Mittel teilen müssen, deren therapeutische Zweifelhaftigkeit besser nicht von den Krankenkassen bezahlt würde. Sie sind mir schöne Innovationsförderer, Herr Möllemann. In Wahrheit ist das, was Sie betreiben, innovationsfeindlich. Daß Sie hier im Bundestag darüber lachen, kann mich nicht dazu animieren, es Ihnen gleichzutun, Herr Möllemann.
({14})
CDU/CSU reden ständig davon, man müsse das Wettbewerbsprinzip für das Gesundheitswesen nutzbar machen und damit mehr Wirtschaftlichkeit herbeiführen.
({15})
Das ginge sogar. Das geht sogar, ohne gegen die sozialen Grundsätze eines humanen Gesundheitswesens zu verstoßen. Aber wo, bitte schön, findet man von diesem Gedanken auch nur eine Andeutung in dem heute zur Verabschiedung stehenden Gesetz?
Nichts davon. Da geschieht etwas ganz anderes. Da wird nicht für mehr Wettbewerb zwischen den starken Gruppen gesorgt, da werden die Risiken der kleinen Leute privatisiert.
Ich sage Ihnen, wenn funktionslose Einkommen das Sterben einer dynamischen ökonomischen Entwicklung bedeuten, dann gleicht unser starres ständisch oder verbandlich organisiertes Gesundheitswesen einem riesigen Friedhof. Wo, Herr Seehofer, finde ich in diesen Gesetzentwürfen die Maßnahmen, die Regelungen oder auch nur die Versuche, diese Verkrustungen aufzubrechen?
({16})
Nichts davon. Statt dessen betätigt sich Herr Seehofer auf diesem Friedhof der Wettbewerbsfeindlichkeit auch noch als Grabpfleger. Zum Ausgleich halten Sie sich mit der Koalition am Normalverbraucher schadlos. Soll das eine vernünftige, zukunftsorientierte Gesundheitspolitik sein? Es hat mit einem vernünftigen Wettbewerb nichts zu tun, wenn die eine Seite, die Leistungserbringer, auf Teufel komm raus
Leistungen und Produkte anbieten dürfen und die andere Seite, die Krankenkassen und ihre Beitragszahler, das alles weitgehend unbesehen bedienen und bezahlen müssen.
Deshalb stellen wir fest: Unwirtschaftliche Strukturen bleiben bei Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe. Die Probleme werden nicht gelöst. Die Unterstützung der SPD für den Einspruch des Bundesrates, also für die Ablehnung der Gesetze der Koalition, ist für uns ein sozialpolitisches Gebot der Vernunft. Eine zukunftsorientierte, moderne Gesundheitspolitik erfordert jene Lösungen für eine Strukturreform, wie sie im SPD-Gesetzentwurf vorgesehen waren, den Sie in diesem Bundestag abgelehnt haben. Aber an diesen Philosophien und an diesen Absichten wird die SPD zusammen mit der Mehrheit der Patienten, der Krankenkassen und vieler Leistungsanbieter, Herr Möllemann, gegen Sie festhalten.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Es sollte doch die ganz große Reform werden, und jetzt will sie niemand haben.
({0})
Die Bundesregierung umgeht in beispielloser Weise die Bundesländer und ignoriert sogar parlamentarische Gepflogenheiten. Jetzt muß die Kanzlermehrheit zusammengetrommelt werden, um der Gesellschaft den Systemausstieg aufzuzwingen.
({1})
Es ist doch ein schlechter Witz: Sie werfen dem rotgrünen Bundesrat Blockade vor, obwohl Sie zustimmungsfreie Gesetze geschneidert haben. Sie haben doch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit repräsentativen Gremien der Demokratie gescheut; Sie haben doch den Konsens verlassen.
({2})
Sie können stolz sein: Die ganzen Ergebnisse Ihrer Gesundheitspolitik fallen auf Sie zurück. Wir lassen uns nicht in Mithaftung nehmen.
Es ist aber nicht wahr, Herr Seehofer, daß der demographische Wandel und der Fortschritt in der Medizin dazu führen, daß das Gesundheitswesen nicht mehr bezahlbar ist. Das System ist in Ordnung; falsch ist Ihre Politik.
({3})
Sie reden das System schlecht und machen aus ideologischer Verranntheit hochqualifizierte ArbeitsMonika Knoche
plätze im Gesundheitswesen kaputt. Wer sich das vorliegende NOG anschaut, der kann aus ihm keine ökonomische Vernunft herauslesen. Das ist doch keine Reform, sondern reine Deregulierung. Wegen der imaginären Kostenexplosion beschneiden Sie Gesundheitsleistungen und kürzen Ausgaben, und trotzdem machen die Krankenkassen Defizite. Haben Sie noch immer nicht bemerkt, daß man mit Sparexzessen und Kürzungen kein Wachstum, keine Beschäftigung und keine Stabilität erreichen kann? Haben Sie noch immer nicht verstanden, daß Sie im Gesundheitswesen grob unverantwortlich handeln, wenn Sie über Beitragssatzsenkungen Arbeitsplätze vernichten? Die Einnahmen fehlen, weil die Grundlohnsumme sinkt.
In einem Punkt gebe ich Ihnen recht, Herr Minister: Ein Globalbudget hat nur dann einen Sinn, wenn es sich am Bruttoinlandsprodukt orientiert, weil die Quelle der Defizite die sinkende Lohnquote und die Massenarbeitslosigkeit sind. Wir bekommen Elemente der Strukturreform überhaupt nur hin, wenn wir nicht deregulieren, sondern dezentralisieren. Wir müssen in die Regionen gehen; wir brauchen eine neue regionale Gesundheitsstrukturplanung. Dann können Sie den Quell von Ineffizienzen abschöpfen, der mit 20 Milliarden DM im Jahr zu veranschlagen ist.
({4})
Ich sage also noch einmal: Ihre Krisendiagnose ist falsch. Ihr Massenexperiment staatlich-dirigistischer Eingriffe hat bis jetzt 30000 Arbeitsplätze gekostet; diese Zahl wird noch steigen.
Ich habe aber den Eindruck, daß beispielsweise die Initiative der großen Fürsprecherin der Alternativmedizin, Frau Philipp, CDU, dazu dient, die Öffentlichkeit ein bißchen davon abzulenken, daß der eigentliche Skandal, um den es heute geht, der Systemwechsel ist. Ob die besagten vier Wörter im Anerkennungsverfahren und im Gesetz stehen oder nicht, ist nicht die ausschlaggebende Frage für die Zukunft und für die alternativen Therapieformen überhaupt. Ich glaube, es handelt sich um einen Nebenkriegsschauplatz.
Ich will die Pflegepersonalregelung im Krankenhaus erhalten. Daran hängen Pflegequalität und Frauenarbeitsplätze. Ich will den vollen Leistungsanspruch bei Zahnersatz und Kieferorthopädie, denn Krankheit muß von Profitinteressen freigehalten werden. Ich will die volle Sachleistung gewährt haben. Darauf haben alle Anspruch. Ich will keine Erhöhung der Zuzahlung bei Arzneien, Krankenhausaufenthalten und Kuren, weil dies Kranke bestraft. Ich will keine Modellprojekte ohne Letztverantwortung der Länder, und ich will keine weiteren Fallpauschalen ohne letzte Verantwortung des Bundes.
({5})
Ich will auch keine Konkurrenz und keinen Wettbewerb aus Kostendruck, bei dem die Krankenkassen
genötigt sind, zwangsläufig gegen die Interessen ihrer Versicherten zu verhandeln.
({6})
Das ist unsere grundsätzliche Kritik an der Ideologie von Markt und Wettbewerb im Gesundheitswesen.
Aber noch etwas wird geschehen - da bin ich mir sehr sicher; gerade die Diskussionen, die auf dem Deutschen Ärztetag geführt worden sind, machen das in alarmierender Weise deutlich -: Wenn aus ärztlichen Kreisen und auch von Ihnen, Herr Seehofer, davon gesprochen wird, daß wir in Zukunft die solidarischen Sicherungssysteme nur noch als Grundversorgung definieren, dann bedeutet das, daß die Sozialkassen zu den Armenkassen werden, dann bedeutet das, daß wir von einem umfassenden, zivilisierten Verständnis emanzipatorischer Gesundheitspolitik Abstand nehmen und daß nur jene die Vollversorgung bekommen werden, die finanziell in der Lage sind, sie sich zu leisten. Alles, was Sie in diesem Gesetz vorantreiben, geht in diese Richtung.
({7})
Es kann kein Zweifel bestehen: Sie wollen Schritt für Schritt die Amerikanisierung dieses Systems. Da gehen wir nicht mit. Der rot-grüne Bundesrat spielt da auch nicht mit. Darüber bin ich außerordentlich glücklich.
({8})
Das Wort hat Kollege Jürgen Möllemann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute mit den beiden Gesetzen, über die wir nachher abstimmen werden, darum, das Spannungsverhältnis zwischen zwei Trends aufzulösen, die wir analysieren können. Der eine Trend besteht darin, daß das Gesundheitssystem ein Wachstumsbereich in unserer Volkswirtschaft ist, mit 500 Milliarden DM Umsatz und zwei Millionen Beschäftigten. Dieser Bereich wird im Hinblick auf die Zahl der Beschäftigten und den Umsatz auch weiterhin wachsen.
Dafür ist entscheidend, daß die Menschen immer älter werden und im letzten Lebensabschnitt mehr gesundheitliche Leistungen nachfragen. Dafür ist entscheidend, daß der medizinische Fortschritt immer neue Möglichkeiten erbringt, Leiden zu lindern oder zu heilen. Dieser Fortschritt wird von den Menschen auch gewollt. Sie wollen ihn in Anspruch nehmen. Dafür ist entscheidend, daß der Grenzbereich zwischen Gesundheit und Fitneß von immer mehr Menschen mit einer hohen Priorität ausgestattet wird. Sie wollen dafür einen größeren Teil ihres verfügbaren Einkommens einsetzen.
Wir haben auf der einen Seite also einen Wachstumsbereich mit mehr Umsatz, mehr Arbeitsplätzen,
mehr Priorität für die Menschen, auf der anderen Seite eine Situation, in der die Steuer- und Abgabenlast für den einzelnen Beschäftigten ebenso nicht weiter wachsen kann wie die Lohnzusatzkosten, also die Produktionskosten, für die Betriebe.
Aus dem Spannungsverhältnis, das sich aus diesen beiden Trends ergibt, haben wir drei Hauptaufgaben abgeleitet, die wir mit diesen Gesetzen bewältigen wollen.
Erstens. Wir wollen das Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität neu ordnen. Das bedeutet, daß das, was die Gemeinschaft finanziert - jeder für jeden -, einen geringeren Anteil am Gesamtvolumen haben wird als zuvor. Insofern hat der Bundesgesundheitsminister vollkommen korrekt etwas angesprochen, was unausweichlich ist.
Übrigens wäre dafür das Modell, das wir Freien Demokraten immer ganz offen vorgeschlagen hatten, das ehrlichste Modell: nämlich den heute gültigen Zuschuß der Betriebe an die Beschäftigten als steuerfreien Lohnzuschlag auszuzahlen und festzuschreiben. Wir werden darauf zurückkommen.
({0})
Das zweite Anliegen ist, das System durchschaubarer, transparenter, klarer kalkulierbar zu machen. Deswegen wollten und wollen wir - wir verstehen die Aufgeregtheiten im Bereich der Ärzteschaft überhaupt nicht -, daß künftig gegenüber allen Verbrauchern, sprich: gegenüber allen Patienten, über alle Leistungen im Gesundheitswesen Rechnung gelegt wird. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn man einerseits Freiberufler sein will und sich andererseits weigert, das, was man tut, den Patienten in Rechnung zu stellen? Privatpatienten erhalten wie selbstverständlich eine Rechnung; künftig soll das auch bei Kassenpatienten so sein.
({1})
Wie wollen wir denn anders Kostenbewußtsein bei den Verbrauchern, in dem Fall bei den Patienten, erzielen, wenn sie gar nicht wissen, was die entsprechende Leistung kostet? Hier werden Scheingefechte geführt, die uns aber nicht sehr beeindrucken. Wir benötigen ein mündiges Verhältnis zwischen Dienstleistern und Verbrauchern. Das setzt voraus, daß offengelegt wird, was geschieht und was es kostet.
Drittens. Wir wollen weniger Staat und mehr Eigenverantwortung. Ein bißchen hat mich an dieser Debatte gestört, daß offenkundig alle hier Anwesenden auf der Seite links von der Mitte denjenigen, die jetzt mehr Spielraum erhalten, nämlich den Kassen und Versicherungen auf der einen Seite und den Gesundheitsberufen auf der anderen Seite, gar nicht zutrauen, daß sie mit dem neuen Rahmenwerk vernünftig umgehen können. Wir sind da optimistischer. Wir haben das alles mit diesen besprochen. Wir werden sehen, daß man diesen neuen Freiheitsraum auch vernünftig nutzen kann.
Schlußbemerkung. Lieber Herr Kollege Dreßler, ich bin es ja von Ihnen gewohnt, daß Sie immer ein bißchen nach dem Motto auftreten: Es gibt den anständigen Teil des Parlaments, den sozialpolitisch verantwortungsbewußten - das sind Sie -,
({2})
und die Restlichen, die nicht so genau wissen, wie man hier im Spannungsverhältnis von Sozial- und Wirtschaftspolitik Politik zu betreiben hat. Sie wissen doch ganz genau, daß das eine Methode ist, mit der Sie hier im Parlament und auch außerhalb keinen beeindrucken können.
Was mich beschäftigt, ist, daß überall dort, wo in Europa Sozialdemokraten regieren - in Skandinavien, in den Niederlanden
({3})
und jetzt in England - zum Teil viel massivere Eingriffe in die Struktur der Systeme der sozialen Sicherung vorgenommen werden, als die Vorhaben es vorsehen, über die wir hier diskutieren.
({4})
Es geht nicht, daß Sie diejenigen, die verantwortungsbewußt versuchen, die Erfordernisse der Sozialpolitik und der Beschäftigungspolitik in Einklang zu bringen, hier nach dem Motto attackieren: In der Opposition können wir ja lustig losreden.
Daß aber überall dort, wo Sozialdemokraten regieren - in den Niederlanden zum Beispiel zusammen mit den Liberalen -, sehr viel massiver, was in Skandinavien die Selbstbeteiligungen angeht,
({5})
Kürzungen, Eingriffe und Regulierungen vorgenommen werden, davon wollen Sie hier kein Wort wahrhaben. Das werden wir nicht durchgehen lassen.
Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Möllemann, unabhängig davon, daß Sie sich bei Besuchen in Den Haag, Stockholm oder Kopenhagen von der Unrichtigkeit Ihrer gerade hier entwickelten These durch Einvernahme des Augenscheins überzeugen könnten, frage ich Sie: Ist Ihnen die Ausarbeitung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung aus den letzten Wochen bekannt, die dokumentiert hat, daß diese Bundesregierung, was im Rahmen der Europäischen Union das Kürzen von Sozialleistungen betrifft, an erster Stelle steht?
({0})
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, was die von Ihnen
getragene Bundesregierung hier geäußert hat, sind
Sie dann bereit, Ihren gerade hier dargelegten rhetorischen Irrtum mit Bedauern zu korrigieren?
({1})
Herr Präsident, wenn ich es richtig sehe, ist es geschäftsordnungsmäßig so, daß ich eine solche Frage außerhalb meiner Redezeit beantworte?
Ja. Jürgen W. Möllemann ({0}): Das ist schön.
Deswegen in aller Geduld, Klarheit und Ausführlichkeit, Herr Kollege Dreßler:
Erstens. Ich habe in einem Blatt, das nicht besonders stark dem Verdacht ausgesetzt ist, der F.D.P. dauernd nahezustehen und das gelegentlich eher Ihre Positionen präsentiert, nämlich im „Spiegel", den Bericht über Ihre Mission gelesen. Ich meine die Mission der SPD-Gruppe, die nach Skandinavien und nach Holland fuhr, um sich über die Eingriffe dortiger sozialdemokratisch geführter Regierungen in die Systeme der sozialen Sicherung zu informieren. Sie kam völlig bedripst nach Hause, weil sie sah, daß dort das gleiche gemacht wird, was wir hier machen, und versuchte dann, zu bagatellisieren und zu relativieren. Sie wollen bestimmte Sachverhalte offenbar nicht zur Kenntnis nehmen.
Zweitens. Mir ist unter anderem aus dieser Ausarbeitung bekannt - ich lese natürlich fast alles aufmerksam, was Norbert Blüm und seine Mitstreiter produzieren -, daß in Deutschland aus einem bestimmten Sachverhalt ein besonderer Korrekturbedarf bestand und besteht. Wenn in einem Land der Urlaub am längsten, die Arbeitszeit am kürzesten, die Lohnnebenkosten am höchsten und die Löhne am höchsten sind und gleichzeitig die Produktivität nachhaltig im Sinken begriffen ist,
({1})
dann entsteht in ebendiesem Land das Problem, mit dem wir uns hauptsächlich konfrontiert sehen, nämlich daß massenhaft Arbeitsplätze entweder wegrationalisiert oder ins Ausland transferiert werden.
Mit dem Problem, das daraus resultiert, nämlich sechs Millionen Arbeitslosen, setzen wir uns auseinander. In der Tat haben wir in den letzten zwei, drei, vier Jahren manches an Korrekturen nachholen müssen, was in den Niederlanden, in Skandinavien und in Frankreich vorher in Angriff genommen wurde, weshalb diese Länder mittlerweile in vieler Hinsicht vor uns stehen. Jawohl, insofern ist bei uns ein erheblich größerer Handlungsbedarf entstanden als in anderen Ländern, und insofern ist die Studie des Arbeitsministeriums auch nicht völlig falsch.
({2})
Herr Kollege Möllemann - Jürgen W. Möllemann ({0}): Ein zweiter Punkt, den ich gerne ansprechen möchte, geht an die Adresse der Kollegin Knoche. Frau Kollegin Knoche, Sie haben hier dargelegt, wir hätten an parlamentarischen Usancen und an den Zuständigkeiten von Bund und Ländern vorbei operiert. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Der Deutsche Bundestag wird lediglich das tun, was sein gutes Recht ist: Er wird mit der Mehrheit aus Union und F.D.P. heute Ihren Widerspruch gegen unsere Politik ebenso zurückweisen, wie er mit der Kanzlermehrheit das Mehrheitsvotum des Bundesrates zurückweisen wird. Daß Sie eine Abstimmung mit der Kanzlermehrheit erneut als für Sie unangenehm empfinden, kann ich verstehen. Aber wir haben sie nun einmal, und wir werden sie heute anwenden.
({1})
Herr Kollege Dreßler, tut mir leid.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Martin Pfaff.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesminister mag heute, weil er sich seiner Sache absolut nicht sicher ist, auf eine Frage keine Antwort geben. Aber Sie alle werden spätestens im Sommer 1998 den Bürgerinnen und Bürgern in Ihren Wahlkreisen deren Fragen beantworten müssen. Denn dann wird es offensichtlich, daß die Mehrzahl der deutschen Krankenkassen ihre Beiträge um einen Beitragssatzpunkt wird anheben müssen. Dann wird offensichtlich, welche Kassen wieviel in den Risikostrukturausgleich eingezahlt haben. Dann wird auch offensichtlich, um wieviel die Zuzahlungen angehoben werden müssen. Von vielen Krankenkassen im Osten Deutschlands wissen wir schon heute, daß diese Beitragssatzanhebungen dort über zwei Beitragssatzpunkte ausmachen werden.
Sie werden also spätestens im Sommer 1998 erklären müssen, wie Sie diese Zuzahlungsorgie, die heute beschlossen werden soll, vertreten wollen. Sie werden es den Männern und Frauen erklären müssen, die Monat für Monat, Jahr für Jahr Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. Wenn sie dann krank werden oder ein Arzneimittel brauchen, zahlen sie nicht nur 1 DM nach dem Beitragsentlastungsgesetz mehr und zahlen nicht nur zusätzlich die 5 DM nach dem Zweiten Neuordnungsgesetz mehr, sondern zahlen, wenn die Krankenkasse um einen Beitragssatzpunkt anheben mußte, noch 10 DM mehr. Das heißt, sie zahlen 1 DM plus 5 DM plus 10 DM, das sind 16 DM, dazu. Bei den mittleren und größeren Packungen sind das noch mehr. Im Klartext: Ein großer Teil der Arzneimittel wird schlicht und einfach durch die privaten Mittel, durch die Portemonnaies der Menschen, zu zahlen sein.
Sie weigern sich, zur Kenntnis zu nehmen, daß es einen einfachen anderen Weg gäbe. Wenn in Ihrer Familie oder in Ihrem Freundeskreis Probleme auftreten, dann rücken Sie doch enger zusammen und fragen sich: Wie können wir durch mehr und nicht durch weniger Solidarität - das heißt in diesem Fall:
nicht durch Belastung der Kranken - die Probleme lösen? Die SPD - Herr Bundesminister, Sie haben aus unserem Sofortprogramm sehr wenig zitiert - sagt: Das ist doch ganz einfach. Wir heben die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung an und machen dasselbe bei der Versicherungspflichtgrenze. Dann können wir den Beitragssatz für alle um sechs Zehntel eines Beitragssatzpunktes senken, ohne daß wir bei den Kranken abkassieren müssen.
({0})
Herr Seehofer, ich finde es schon sehr eigenartig, wie selektiv Sie das Globalbudget verwenden. Im letzten Jahr standen Sie mit dem Rücken zur Wand. In der Mitte des Jahres wußten die deutschen Krankenhäuser nicht, in welcher Höhe ihr Budget gesetzlich verbindlich war, und in drei Fünfteln aller Bundesländer wußten sie nicht, was ihnen die Fallpauschalen und Sonderentgelte bringen würden. Wir haben Ihnen damals aus der Patsche geholfen.
Deshalb in der gebotenen Kürze: Ja, wir fordern eine globale Budgetierung über alles. Aber daraus können Sie doch nicht ableiten, daß die Beschäftigung im Krankenhaus zurückgeht.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.
Ja. - Denn es gibt ja die Möglichkeit, Ressourcen zwischen den Sektoren zu verschieben.
Zum zweiten. Wir sagen, daß die Pflegepersonalregelung den Gegebenheiten des Krankenhauses angepaßt werden muß.
Herr Kollege.
Deshalb finde ich, daß Ihre Argumente wirklich auf tönernen Füßen stehen.
({0})
Hierbei handelt es sich wieder um einen Fall, bei dem ich mir nicht völlig klar darüber bin, auf welchen Redner sich die Kurzintervention eigentlich beziehen sollte. Ich habe verstanden, daß sie sich auf das beziehen sollte, was der Minister gesagt hat.
({0})
Ich frage: Wollen Sie erwidern? - Herr Möllemann? - Keine Erwiderung.
Dann hat jetzt das Wort die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gesetze zur dritten Stufe der Gesundheitsreform stehen heute noch einmal zur Abstimmung. Faßt man ihre Hauptinhalte zusammen, ergibt sich eine erschreckende Gesamtbewertung.
Erstens. Mit diesen Gesetzen verschärfen Koalition und Regierung ihre Politik des Sozialabbaus und der Arbeitsplatzvernichtung auch im Gesundheitswesen massiv weiter. Alles zielt nur noch darauf ab, die wachsenden Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung allein auf die Patienten abzuwälzen. Ganz besonders sind ältere, behinderte und sozial schwächere Menschen davon betroffen. Die Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen werden so drastisch wie noch nie erhöht, und die Leistungen der Krankenkassen werden weiter empfindlich eingeschränkt. Für viele wird damit ein Punkt erreicht, an dem sie auf notwendige, aber unbezahlbar gewordene Leistungen verzichten müssen. Auch die Härtefallregelungen ändern das für die große Mehrheit der Betroffenen eben nicht.
Zweitens. Mit der Einführung weiterer Elemente der privaten Versicherung wie Kostenerstattung, Selbstbehalt und Beitragsrückgewähr in die GKV wird der Solidarausgleich und die Funktionstüchtigkeit der Kassen bewußt untergraben. Schritt für Schritt wird dieses große und unverzichtbare System der sozialen Sicherung zur Disposition gestellt. Kernvorstellungen des Neoliberalismus wie Deregulierung, Entsolidarisierung und Reprivatisierung elementarer Lebensrisiken werden rücksichtslos auf das Gesundheitswesen übertragen. Was hier als Reform angeboten wird, erweist sich als definitiver Beginn der Zerstörung der solidarischen Gesundheitssicherung. Es geht um einen grundsätzlichen Systemwechsel hin zu einem Gesundheitswesen, das dem einzelnen in erster Linie nach seinem Geldbeutel und nicht mehr nach seinem gesundheitlichen Bedarf zur Verfügung steht.
Drittens. Es wird keines der wirklichen Probleme, die sich im Gesundheitswesen angestaut haben, gelöst. Die großen Wirtschaftlichkeitsreserven des Systems bleiben unberührt. Dort, wo es nötig wäre, wird nichts gespart, im Gegenteil: Die Pharmaindustrie und die Hersteller medizinischer Geräte erhalten neue Milliardengeschenke. Während ihre Umsatz- und Gewinnchancen weiter steigen, wird die riesige Mittelverschwendung fortgesetzt. Im Ergebnis dessen sind die nächsten Defizite der GKV schon vorprogrammiert. Die neuen Gesetze sind deshalb nicht nur unsozial und zutiefst ungerecht; sie zeigen zugleich, daß die Regierung auch auf diesem Politikfeld versagt.
({0})
Sie besitzt weder den Willen noch die Fähigkeit, Gesundheitspolitik im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung zu gestalten.
Viertens. Angesichts dessen sagen wir: Betroffene und Öffentlichkeit müssen sich gemeinsam mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen noch stärker wehren, und sie werden das auch tun, wenn sie zuDr. Ruth Fuchs
künftig all die Unsäglichkeiten dieser Gesetze am eigenen Leibe spüren.
({1})
Wir wollen nicht, daß die Solidargemeinschaft zerstört wird; wir wollen nicht, daß eine humane Gesundheitsversorgung ebenso wie die Arbeits- und Existenzbedingungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen auf der Strecke bleiben; wir wollen nicht, daß ein weiteres Stück schon einmal erreichten sozialen Fortschritts und erkämpfter Humanität zu Grabe getragen wird.
({2})
Die Gesetze zur dritten Stufe der Gesundheitsreform, die das Klima in diesem Lande weiter nachhaltig vergiften werden, lehnen wir entschieden ab.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weiß um die Vergeblichkeit des Bemühens, gleichwohl bitte ich darum, ein bißchen ruhiger zu sein und auch dem letzten Redner noch ein wenig Aufmerksamkeit zu gönnen.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Lohmann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dank des umfassenden und auch alle Einzelheiten betreffenden Beitrages unseres Gesundheitsministers bin ich in der schwierigen Lage, entscheiden zu müssen, ob ich in den verbleibenden fünf Minuten noch auf einige Beiträge, die man hier gehört hat oder über sich ergehen lassen mußte, eingehen soll oder ob ich lieber noch einmal die Grundsätze darstellen soll. Beides zusammen ist in der kurzen Zeit nicht mehr möglich.
Wir alle, Herr Dreßler - ich sehe ihn im Moment nicht; er wird aber noch im Saal sein, denn er muß ja auch nachher abstimmen -,
({0})
müssen hier in gewissen Abständen Ihre intensiven Beiträge - ich sage das ganz vorsichtig - über uns ergehen lassen. Ein Teil unserer Entschädigung dient ja auch als Schmerzensgeld, um das zu verwinden.
({1})
Falls man ein besonderer Befürworter der Wahrheit ist, müßte man zumindest einmal erwähnen, daß auch noch andere bei dem vorhin genannten Gespräch dabei waren. Er hat wahrscheinlich versehentlich zu erwähnen vergessen, daß die Gespräche trotz unserer Bemühungen, in die Sache einzusteigen, daran scheiterten, daß ultimativ gefordert wurde, zunächst einmal von unseren Gesetzen, wie zum Beispiel dem Beitragsentlastungsgesetz, Abstand zu nehmen.
({2})
Er hat vergessen, das hier zu sagen. Weil uns das, wie er wußte, nicht möglich war, sind wir bei den Gesprächen dann erst gar nicht in die Sache eingestiegen - leider, wir hätten vielleicht mehr erreichen können. Soweit zur Frage der Wahrheit.
Frau Knoche, Sie sagten vorhin, Sie seien so glücklich, daß Sie dabei sein durften. Aber warum machen Sie denn so ein unglückliches Gesicht, wenn Sie so glücklich sind? Ihnen geht es wohl ähnlich wie Herrn Dreßler, der sagt, man könne darüber nur noch lachen - dabei kann er überhaupt nicht mehr lachen. Sie hatten uns versprochen, einmal zu lachen, es aber nicht getan.
({3})
Nun noch einmal zu den Zielen - man kann dieses ja nicht oft genug sagen -: erstens weniger Staat, zweitens mehr Selbstverwaltung, drittens mehr Eigenverantwortung.
Zum ersten Punkt, weniger Staat: Unter allen Regierungen - das wissen wir doch inzwischen - hat es im Gesundheitsbereich insgesamt etwa 50 gesetzliche Änderungen mit über 7 000 Einzelbestimmungen gegeben. Eingriffe, Steuerungsmaßnahmen und Dämpfungsversuche dienten alle nur dem einen Ziel, Beitragssatzerhöhungen und Kostenexplosionen zu vermeiden und das Ganze in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis dessen war äußerst gering und bewirkte, wenn überhaupt, meist nur kurzfristig etwas bei einer sich ständig verringernden Halbwertszeit. Jeder vernünftige Mensch muß doch irgendwann zu der Einsicht kommen, daß er sagt: Sollten wir nicht den Versuch einer Umkehr unternehmen und es, wenn staatliche Maßnahmen nicht greifen, nicht vielleicht doch mit mehr Selbstverwaltung versuchen? Auf Grund dieser ersten Überzeugung haben wir es in Angriff genommen.
({4})
Der zweite Punkt: mehr Selbstverwaltung. In einem Ausmaß - obwohl die Krankenkassen teilweise in unheiliger Allianz mit Ihnen das Gegenteil behaupteten -, wie es bisher noch nie möglich war, wird künftig die Gelegenheit gegeben, durch flexible Verträge, Strukturverträge, Modellvorhaben, Selbstbehalt und Beitragsrückgewährung alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen. Endlich wird versucht, an die Stelle staatlicher Steuerung Anreizsysteme zu setzen. Sie, Herr Professor Pfaff, werden als Volkswirt zugeben, daß wir mehr zum Rationalprinzip zurückkehren sollten. Das Rationalprinzip ist nur umsetzbar, wenn Sie Anreize in die richtige Richtung geben und nicht vom Staat aus zu steuern versuchen. Deswegen ist mehr Selbstverwaltung nötig.
Der dritte Punkt: mehr Eigenverantwortung. Der Minister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß alle Sparmaßnahmen bei unserer gegenwärtigen Lage
Wolfgang Lohmann ({5})
nicht ausreichen werden, um - das müssen und wollen wir erreichen - dieses System für alle weiter ohne Ansehen der Person, des Alters und des Geschlechtes aufrechtzuerhalten, ohne dabei in die Gefahr zu geraten, zu einem rationierten System und damit zu einem Zwei-Klassen-System zu kommen. All das wird nicht reichen, wenn wir nicht den Mut aufbringen - Sie haben ihn zur Zeit nicht oder noch nicht -, den Menschen zu sagen, daß es nur möglich ist, wenn sie auch bereit sind, einen größeren Anteil des verfügbaren Einkommens als bisher zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit zur Verfügung zu stellen. Dieser größere Anteil, umschrieben mit dem Wort Eigenverantwortung, schlägt sich in Zuzahlungen nieder. Es ist vorhin mehrfach geschildert worden, was alles getan wird, damit diese Zuzahlungen im Rahmen einer solidarischen Versicherung sozial zumutbar bleiben.
Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Auch Herr Kirschner weiß, daß alle hier im Saal Anwesenden endlich abstimmen wollen. Ich möchte Ihnen den Gefallen tun, daß wir zur Abstimmung kommen, anstatt die Diskussion auszuweiten.
({0})
In der restlichen Redezeit möchte ich über die Eigenverantwortung sprechen. Weil wir die Probleme kennen, müssen wir mit den Menschen reden. Sie von der Opposition versuchen nach wie vor, den Menschen einzureden, man könnte sich um die Probleme sozusagen herumschlängeln; man könnte so tun, als könne alles, was wir bisher haben, ohne spürbare Beitragserhöhungen aufrechterhalten werden.
Das ist keine seriöse Politik und auch keine seriöse Argumentation. Wir müssen den Menschen sagen - die Menschen wissen es im Grunde genommen -: Wir müssen von einer teilweisen unsolidarischen Ausnutzung der sozialen Sicherungssysteme wegkommen, um das System als Ganzes zu erhalten. Ich bitte Sie alle herzlich, den Einspruch des Bundesrates zurückzuweisen.
Danke.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 bis 8 auf:
6. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Erste Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({0})
- Drucksache 13/7850 - 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({1})
- Drucksache 13/7851-
8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das ... Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung
- Drucksache 13/7852 -
Es ist jeweils namentliche Abstimmung verlangt.
Nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückweisung eines Einspruchs des Bundesrates die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Das sind mindestens 337 Stimmen. Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen. Ich wiederhole: Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen.
Sie benötigen außer Ihren Stimmkarten auch Ihre Stimmausweise in den Farben Gelb, Grün und Rosa. Die Farbe der zu verwendenden Stimmausweise werde ich bei den jeweiligen Abstimmungen bekanntgeben. Die Stimmausweise können Sie, falls das noch nicht geschehen ist, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Bitte achten Sie darauf - ich sage das, weil es diesbezüglich immer sozusagen zu Unfällen kommt -, daß Stimmkarten und Stimmausweise jeweils Ihren Namen tragen. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen, übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimmausweis einem der Schriftführer an der Urne.
Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich ausdrücklich, darauf zu achten, daß Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in die Urnen geworfen werden dürfen, die vorher ihren Stimmausweis in der richtigen Farbe abgegeben haben.
Wir kommen damit zur ersten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Erste Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung; das ist die Drucksache 13/7850. Sie benötigen Ihren Stimmausweis in der Farbe Gelb.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich gehe davon aus, daß jetzt alle ihre Stimme abgegeben haben.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Abstimmung fort, allerdings nur, wenn der Raum hier vorne freigemacht wird. Ich habe keine Übersicht. Außer den Schriftführern möchte ich dort niemanden sehen.
Wir kommen zur zweiten namentlichen Abstimmung - Sie benötigen jetzt Ihren Stimmausweis in der Farbe Grün -: Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung; das ist die Drucksache 13/7851.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Alle Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich gehe davon aus, daß jetzt alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben haben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. **)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich darf wiederum bitten, daß der Innenraum freigemacht wird.
Dritte namentliche Abstimmung - Sie benötigen jetzt Ihren Stimmausweis in der Farbe Rosa -: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung. Das ist die Drucksache 13/7852.
Sind alle Urnen besetzt? - An der Urne rechts vor mir fehlt noch 'ein Schriftführer. - Sind jetzt alle Urnen vorschriftsmäßig besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. ***)
Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung bekannt. Dabei handelt es sich um die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Erste Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksache 13/7850. Abgegebene Stimmausweise: 660. Abgegebene Stimmen: 660. Mit Ja haben gestimmt: 342. Mit Nein haben gestimmt: 318. Enthaltungen: keine. Der Antrag ist angenommen.
({2})
*) Seite 16267 C
**) Seite 16270 A
***) Seite 16276 A
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 660; davon:
ja: 342
nein: 318
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({4}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({5}) Hartmut Büttner
({6})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({7}) Peter Harry Carstensen
({8})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({9})
Leni Fischer ({10})
Klaus Francke ({11}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({12}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({13}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({14}) Hansgeorg Hauser
({15}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek
Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({16}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({17})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({18}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({19})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link ({20}) Eduard Lintner
({21})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({22}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({23}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski
Günter Marten Dr. Martin Mayer
({24}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({25})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({26}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({27}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({28})
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({29}) Klaus Dieter Reichardt
({30})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({31}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({32}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({33})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({34}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({35}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({36})
Andreas Schmidt ({37}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({38}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({39}) Gerhard Schulz ({40}) Frederick Schulze
({41})
Diethard Schütze ({42}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt ({43}) Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({44}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({45}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({46})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({47}) Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({48}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({49}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({50})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen ({51}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({52}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({53}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({54})
Katrin Fuchs ({55})
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf ({56}) Angelika Graf ({57}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack ({58})
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({59}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({60}) Frank Hofmann ({61}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Wolfgang Ilte Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({62}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({63}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({64}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({65}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({66}) Jutta Müller ({67}) Christian Müller ({68}) Volker Neumann ({69}) Gerhard Neumann ({70}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({71})
Ulla Schmidt ({72}) Dagmar Schmidt ({73}) Wilhelm Schmidt ({74}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({75})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({76})
Brigitte Schulte ({77}) Volkmar Schultz ({78})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({79}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({80})
Karsten D. Voigt ({81}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({82}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({83}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({84}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann
({85}) Marieluise Beck ({86}) Volker Beck ({87}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({88}) Joseph Fischer ({89}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller ({90}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({91})
Cem Özdemir Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({92}) Wolfgang Schmitt
({93}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz ({94}) Marina Steindor Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({95}) Margareta Wolf ({96})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({97}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslose
Kurt Neumann ({98})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordneter Ibrügger, Lothar, SPD
Ich würde gern fortfahren. Könnten wir uns darauf verständigen, wenigstens die Gänge frei zu machen? Wir haben jetzt einen ganzen Block von Abstimmungen. Ich kann die Abstimmungsergebnisse nicht ermitteln, wenn ein Teil der Kollegen steht.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Vor dem Aufruf von Tagesordnungspunkt 19 teile ich mit, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zur Unterstützung der weltweiten Bemühungen um die Abschaffung der Todesstrafe - das ist Tagesordnungspunkt 19e - von der Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung bekannt: Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Abgegebene Stimmausweise: 660, abgegebene Stimmen: 660. Mit Ja haben 342 gestimmt, mit Nein haben 318 gestimmt, es gab keine Enthaltungen. Der Antrag ist angenommen worden.
({99})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 660; davon:
ja: 342
nein: 318
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({100}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({101}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({102}) Hartmut Büttner
({103})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({104}) Peter Harry Carstensen
({105})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({106}) Leni Fischer ({107})
Klaus Francke ({108}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({109}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({110}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({111}) Hansgeorg Hauser
({112})
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({113}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
({114})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({115}) Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({116}) Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Ø Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link ({117}) Eduard Lintner
({118})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({119}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({120})
Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({121}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({122})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({123}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({124}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({125}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({126}) Klaus Dieter Reichardt
({127})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({128}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({129}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({130}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({131}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({132}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({133})
Andreas Schmidt ({134}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({135}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({136}) Gerhard Schulz ({137}) Frederick Schulze
({138}) Diethard Schütze ({139}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({140})
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({141}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({142}) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun ({143}) Günther Bredehorn
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({144})
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({145}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({146}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
({147})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Rudolf Bindig
Arne Börnsen ({148}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner ({149}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Lothar Fischer ({150}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({151}) Katrin Fuchs ({152}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf ({153}) Angelika Graf ({154}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({155})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({156}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({157}) Frank Hofmann ({158}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Wolfgang Ilte
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({159}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({160}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({161}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({162}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({163}) Jutta Müller ({164}) Christian Müller ({165}) Volker Neumann ({166}) Gerhard Neumann ({167}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({168})
Ulla Schmidt ({169}) Dagmar Schmidt ({170}) Wilhelm Schmidt ({171}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({172})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
({173})
Brigitte Schulte ({174}) Volkmar Schultz ({175})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({176}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt ({177})
Karsten D. Voigt ({178}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({179}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({180}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({181}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann
({182}) Marieluise Beck ({183}) Volker Beck ({184}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({185}) Joseph Fischer ({186}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller ({187}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({188}) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({189}) Wolfgang Schmitt
({190}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz ({191}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({192}) Margareta Wolf ({193})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({194}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann ({195})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordneter Ibrügger, Lothar, SPD
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 d sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerreformgesetzes 1999
-Drucksache 13/7917 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({196})
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen
({197})
- Drucksache 13/7141 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({198}) Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rezzo Schlauch, Volker Beck ({199}), Gerald Häfner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Begrenzung des aktiven Wahlrechts für Deutsche, die nicht in den
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Gebieten der Mitgliedstaaten des Europarates leben
- Drucksache 13/7864 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({200})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({201}), Cem Özdemir, Volker Beck ({202}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Asylrecht für EU-Staatsangehörige
- Drucksache 13/7303 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({203})
Rechtsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Oswald Metzger, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einkommensteuerreform für Gerechtigkeit und Transparenz
- Drucksache 13/7895 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({204}) Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Zur Reform des Kindschaftsrechts - Drucksache 13/7899Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({205})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 u sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 20 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten
- Drucksache 13/6912 -({206})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({207})
- Drucksache 13/7842 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Herta Däubler-Gmelin
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7842, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 20 b:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ergänzenden Protokoll vom 22. August 1996 zum Ems-Dollart-Vertrag zur Regelung der Zusammenarbeit zum Gewässer- und Naturschutz in der Emsmündung ({208})
- Drucksache 13/6919 -({209})
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus. schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({210})
- Drucksache 13/7921 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Dietmar Schütz ({211}) Ulrike Höfken
Günther Bredehorn
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7921, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 20 c:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. April 1996 über die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung ({212})
- Drucksache 13/6920 -({213})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({214})
- Drucksache 13/7922 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Dietmar Schütz ({215}) Ulrike Höfken
Günther Bredehorn
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7922, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 20 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kasachstan über den Luftverkehr
- Drucksache 13/7323 - ({216})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({217})
- Drucksache 13/7868Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/7868, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 20 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder"
- Drucksache 13/7336-({218})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({219})
- Drucksache 13/7873 - Berichterstattung:
Abgeordnete Ilse Falk
Rita Grießhaber
Barbara Imhof
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Rosel Neuhäuser
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({220}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/7874 Berichterstattung:
Abgeordnete Wilfried Seibel Ina Albowitz
Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
Der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 13/7873, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 f:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen
- Drucksache 13/7645 - ({221})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({222})
- Drucksache 13/7885 -Berichterstattung:
Abgeordneter Lothar Ibrügger
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von Koalition und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen von SPD und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 g:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachVizepräsident Hans-Ulrich Klose
ten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes
- Drucksache 13/7494 - ({223})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({224})
- Drucksache 13/7920 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje-Marie Steen
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 h:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({225}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einundneunzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/7065, 13/7209 Nr. 2, 13/ 7754Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 i:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({226})
- zu dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Aktuelle Fragen der Europapolitik, insbesondere Vorschau auf die Tagung des Europäischen Rates in Dublin am 13./14. Dezember 1996
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Forderungen an den Europäischen Rat in Dublin am 13./14. Dezember 1996 zur Oberprüfung des Vertrages von Maastricht
- Drucksachen 13/6492, 13/6495, 13/7488Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Gero Pfennig Heidemarie Wieczorek-Zeul Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wir kommen zunächt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Regierungserklärung zu aktuellen Fragen der Europapolitik.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7488 Nr. 1, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ 6492 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Nun zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Forderungen an den Europäischen Rat in Dublin, Drucksache 13/7488 Nr. 2. Der Auschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6495 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 j:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({227}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({228}), Dr. Dionys Jobst und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Friedrich, Lisa Peters, Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.
Weißbuch über Harmonisierungsdefizite bei Verkehrsdienstleistungen
- Drucksachen 13/6403, 13/7508 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6403 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Opposition angenommen.
Ich unterbreche jetzt die Abstimmungen für einen Augenblick und gebe Ihnen das Ergebnis der dritten namentlichen Abstimmung bekannt. Es ging urn die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung, Drucksache 13/7852. Abgegebene Stimmausweise: 659. Abgegebene Stimmen: 659. Mit Ja haben
342. Mit Nein haben gestimmt: 317. Der Antrag ist angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 659; davon:
ja: 342
nein: 317
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({2}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({3}) Hartmut Büttner
({4})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({5}) Peter Harry Carstensen
({6})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({7})
Leni Fischer ({8})
Klaus Francke ({9})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({10}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
({11})
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({12}) Hansgeorg Hauser
({13}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({14}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
({15})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({16}) Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({17}) Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link ({18}) Eduard Lintner
({19})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({20}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({21}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski
Günter Marten Dr. Martin Mayer
({22}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({23})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({24}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({25}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({26})
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({27}) Klaus Dieter Reichardt
({28})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({29}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({30}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({31})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({32}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({33}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({34})
Andreas Schmidt ({35}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({36}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({37}) Gerhard Schulz ({38}) Frederick Schulze
({39}) Diethard Schütze ({40}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({41})
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({42}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({43}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({44})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({45})
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({46}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({47}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({48})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen ({49}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({50}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({51}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({52})
Katrin Fuchs ({53})
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf ({54}) Angelika Graf ({55}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack ({56})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({57}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz Frank Hofmann ({58}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Wolfgang Ilte
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({59}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({60}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({61}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({62}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({63}) Jutta Müller ({64}) Christian Müller ({65}) Volker Neumann ({66}) Gerhard Neumann ({67}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({68})
Ulla Schmidt ({69}) Dagmar Schmidt ({70}) Wilhelm Schmidt ({71}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({72}) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({73})
Brigitte Schulte ({74}) Volkmar Schultz ({75}) Use Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({76}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt ({77})
Karsten D. Voigt ({78}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({79}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({80}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({81})
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann ({82})
Marieluise Beck ({83}) Volker Beck ({84})
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig
Andrea Fischer ({85})
Joseph Fischer ({86})
Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({87})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch ({88}) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({89}) Wolfgang Schmitt
({90})
Ursula Schönberger
Waltraud Schoppe
Werner Schulz ({91}) Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Helmut Wilhelm ({92}) Margareta Wolf ({93})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({94})
Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Fraktionslose
Kurt Neumann ({95})
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordneter Ibrügger, Lothar, SPD
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20k auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({96}) zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Otto Schily, Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Erhalt der Buchpreisbindung
- Drucksachen 13/6061, 13/7803 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({97})
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6061 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 201:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({98}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Einsetzung eines Ausschusses für Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik
- Drucksachen 13/5555 Nr. 2.31, 13/7419Berichterstattung:
Abgeordneter Rudolf Meyer ({99})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 20m:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({100}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Registrierung der an Bord von Fahrgastschiffen befindlichen Personen
- Drucksachen 13/6861 Nr. 2.12, 13/7732 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({101})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltung?- Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltungen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20n:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({102}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/58/EG über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten
- Drucksachen 13/6357 Nr. 2.7, 13/7773 Berichterstattung: Abgeordneter Konrad Kunick
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 o:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({103})
zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/97
- Drucksache 13/7736 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann
Der Ausschuß empfiehlt, in dem Verfahren eine Stellungnahme abzugeben und einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung der PDS von dem Haus im übrigen angenommen.
Wir kommen jetzt zu Punkt 20p:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({104})
Sammelübersicht 203 zu Petitionen
({105})
- Drucksache 13/7515 Zu diesem Tagesordnungspunkt wird eine Erklärung zur Abstimmung gewünscht. Das Wort hat die Kollegin Professor Christa Luft.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach § 31 der Geschäftsordnung möchte ich eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben, eine Petition betreffend, die der Petitionsausschuß empfiehlt zurückzuweisen. Diese Petition betrifft die bisherige Nichtgewährung von finanziellen Mitteln aus dem Bundeshaushalt an die PDS-nahe Stiftung „Gesellschaftsanalyse und politische Bildung".
Ich erkläre zu meinem Abstimmungsverhalten folgendes: Ich kann der vorliegenden Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses erstens deshalb nicht zustimmen, weil sie die für eine Berücksichtigung der parteinahen Stiftung der PDS bei der finanziellen Unterstützung aus dem Bundeshaushalt sprechenden Argumente des Petenten in keiner Weise würdigt. Der Petent ist übrigens Mitglied einer liberalen Partei. Er kommt aus den alten Bundesländern und ist seit 1977 in der politischen Erwachsenenbildung tätig.
Wie will man den Gleichheitsgrundsatz der Art. 3 und 21 des Grundgesetzes vermitteln, wenn die Mehrheit dieses Hauses seit sieben Jahren insofern gegen diesen Gleichheitsgrundsatz verstößt, als sie ihre eigenen parteinahen Stiftungen großzügig finanziert, aber den Finanzanteil, der nach dem Votum von 2,1 Millionen Wählerinnen und Wählern der PDS-nahen Stiftung zusteht, unter sich aufteilt? Unter diesen Millionen, die die PDS gewählt haben, sind auch Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, deren Gelder also ausschließlich Stiftungen der anderen hier vertretenen Parteien für die politische Erwachsenenbildung, für Studienförderung, für Auslandsarbeit usw. zugute kommen.
({0})
Zweitens erkläre ich: Ich kann der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auch insofern nicht folgen, als die Bundesministerien durchaus über die Verteilung der Mittel unter den parteinahen Stiftungen entscheiden und im Hinblick darauf eine Überweisung dieser Beschlußempfehlung an die Bundesregierung rechtens und in Ordnung gewesen wäre.
Ich nenne Beispiele von Bundesministerien, die selbständig über die Mittelverteilung entscheiden. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vergibt zum Beispiel über 300 Millionen DM für Entwicklungsprojekte der parteinahen Stiftungen der anderen Parteien. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber es weigert sich, wenige tausend DM für die Fortführung eines Projektes der PDS-nahen Stiftung in Palästina zu bewilligen. Es wird nicht einmal das Projekt angesehen, weil es eben von der PDS-nahen Stiftung durchgeführt wird.
Das Auswärtige Amt vergibt mehr als 30 Millionen DM an parteinahe Stiftungen für deren Tätigkeiten im Ausland. Selbiges steht für unsere PDS-nahe Stiftung nicht zur Verfügung.
({1})
Das Bundespresseamt bestellt für fast eine halbe Million DM Zeitschriften von parteinahen Stiftungen der anderen Parteien.
Drittens. Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu, weil die Bestätigung der gleichberechtigten Mitgliedschaft der PDS im Deutschen Bundestag durch die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres von der Mehrheit der Mitglieder des Petitionsausschusses offensichtlich ignoriert wird. Die genannte Entscheidung würde zumindest erfordern, die Einbeziehung der PDS-nahen Stiftung in die Finanzierung parteinaher Stiftungen unverzüglich einer Lösung zuzuführen.
Das Votum des Petitionsausschusses ist im übrigen auch insofern verwunderlich, als sich die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Haushaltsausschuß bei den Budgetberatungen für das Jahr 1997 unserem Antrag angeschlossen haben; die SPD-Abgeordneten haben sich bei den gleichen Budgetberatungen der Stimme enthalten. Nun gibt es im PetiDr. Christa Luft
tionsausschuß völlig andere Voten. Das ist sehr unverständlich.
Ich stimme selbstverständlich für unseren Änderungsantrag und lade Sie ein, das auch zu tun. Die von uns geforderte Überweisung der Petition an die Bundesregierung ist auch deshalb angezeigt, weil die Empfehlungen der 1992 vom damaligen Bundespräsidenten eingesetzten Kommission Unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung bis heute nicht erfüllt sind.
Eine entsprechende Unterrichtung dieses Hauses hat 1993 stattgefunden. Es heißt in dieser Unterrichtung: Die Grundsätze der parteinahen Stiftungen sind in einem Gesetz zu regeln. Ein solches Gesetz haben wir bis heute nicht.
In der Unterrichtung heißt es weiter: Die Bewilligung der Mittel ist transparenter zu gestalten. Aber das Gegenteil ist immer noch der Fall. Bei mehreren Haushaltstiteln - einige habe ich hier angeführt - ist nicht einmal im Gesetz vermerkt, daß parteinahe Stiftungen Mittel erhalten.
Insgesamt sind seit 1993 4 Milliarden DM für parteinahe Stiftungen der anderen hier im Bundestag vertretenen Parteien ausgegeben worden - nicht gerade Peanuts, wie ich finde.
({2})
Transparenz auf gesetzlicher Grundlage ist überfällig. Das soll unser Änderungsantrag anstoßen. Es wäre ein Gewinn für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, wenn dies gelänge.
Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Danke schön.
({3})
Herr Kollege, das ist immer sehr schwer auszumachen. Wenn solche Erklärungen mit der Bemerkung eingeleitet werden: „Ich stimme dagegen" oder „Ich stimme dafür" und wenn danach eine Erklärung kommt, dann hat man sehr viel Interpretationsspielraum. Das ist ein bißchen schwierig.
Ich sage das vorsorglich schon für die nächsten angekündigten Erklärungen zur Abstimmung. Übertreiben Sie es bitte nicht!
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zur Sammelübersicht 203 auf Drucksache 13/7515.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/7887? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 203 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 q:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 210 zu Petitionen
- Drucksache 13/7811Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 210 ist bei Stimmenthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20r:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 211 zu Petitionen
- Drucksache 13/7812 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 211 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 20s:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 212 zu Petitionen
- Drucksache 13/7813 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 212 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 t:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 213 zu Petitionen
- Drucksache 13/7814 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 213 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 215 zu Petitionen - Drucksache 13/7816 Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Sammelübersicht 215 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 a auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS
Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten
- Drucksache 13/7691 Dazu gibt es Wortmeldungen für Erklärungen zur Abstimmung. Das Wort hat zunächst die Kollegin Dr. Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde dem vorliegenden Antrag zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten zustimmen.
Erstens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß man, bevor man erneut Arbeitslose, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger, Rentnerinnen und Rentner sowie Familien zur Kasse bittet, auf die Diätenerhöhung für 1997 verzichten sollte.
({0})
Es ist den Bürgerinnen und Bürgern einfach nicht mehr vermittelbar, wenn ihnen gesagt wird, sie sollten sparen, wir selber aber bei uns nicht damit anfangen.
Zweitens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß sich künftige Diätenerhöhungen an der Entwicklung der Leistungen aus dem Arbeitsförderungsgesetz orientieren sollten.
Drittens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß auch Bundestagsabgeordnete sozialversicherungspflichtig sein sollten. Das heißt, es sollten eine gesetzliche Rentenversicherung für Bundestagsabgeordnete eingerichtet und Zahlungen an die Arbeitslosenversicherung geleistet werden.
({1})
Abgeordnete sollten nicht nur großzügig aus den Kassen empfangen, sondern vor allem einzahlen. Das ist unser bescheidener Beitrag zur Reform der Rentenversicherung.
({2})
Viertens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß Abgeordnete verpflichtet werden sollten, Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte offenzulegen. Die Wählerinnen und Wähler haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was ihr Abgeordneter neben seiner parlamentarischen Tätigkeit tut, ob sich aus dieser Tätigkeit möglicherweise Interessenkonflikte ergeben und ob ihm am Ende auch noch Zeit für seine parlamentarische Arbeit bleibt.
({3})
Fünftens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß Übergangsregelungen sich an denen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern orientieren sollten.
Sechstens. Ich stimme zu, weil ich meine, daß Versorgungsansprüche aus Amtsverhältnissen ruhen sollten.
Eine Mehrheit dieses Hauses ist für Haushaltslöcher und für den Abbau zahlreicher Sozialmaßnahmen verantwortlich, und diese Mehrheit fordert erneut die Bürgerinnen und Bürger auf, den Gürtel enger zu schnallen. Wie glaubwürdig sind eigentlich Abgeordnete, die genau das nach außen vertreten, sich selbst aber kräftig in die Tasche stecken? Wie glaubwürdig ist eine Politik, die die einen bis aufs Hemd auszieht und den anderen die goldenen Löffel hinterherwirft?
({4})
Merken Sie nicht selbst, wie unglaubwürdig Sie sich machen? Denken Sie darüber nach und treffen Sie eine Entscheidung nach Ihrem Gewissen!
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Peter Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem Zusatztagesordnungspunkt 4 a, der heute morgen auf Verlangen der PDS aufgesetzt worden ist und der ohne Debatte behandelt werden soll, eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben. Ich freue mich, daß die Abgeordnete Dr. Enkelmann meine Anregung aufgenommen hat, die Geschäftsordnung kreativ zu nutzen - da war ja neulich etwas; wenn es keine Debatte gibt, sollte man wenigstens über Erklärungen zur Abstimmung etwas Inhaltliches beitragen dürfen. Kreative Debattenführung scheint mir besser als kreative Buchführung zu sein.
({0})
Ich werde gegen den Antrag der Abgeordneten Dr. Enkelmann und der PDS stimmen, weil der Antrag verlangt: „Aus der Mitte des Bundestages werden unverzüglich Gesetzentwürfe ... eingebracht". Wer ist die Mitte des Bundestages, wir alle? So leicht darf man es sich nicht machen. Ich meine, wer einen Gesetzentwurf haben will, der muß ihn selber ausarbeiten und einbringen und darf nicht die anderen dazu auffordern.
Ich stimme gegen den Antrag, weil in Ziffer 2 eine unabhängige Expertenkommission verlangt wird,
die jährlich Vorschläge zur Abgeordnetenentschädigung machen soll. Ich sehe in dieser Forderung wenig Sinn. Es gab bereits zwei solcher Kommissionen. Die letzte hat - für 1995 wohlgemerkt - eine Abgeordnetenentschädigung von 14 000 DM im Monat vorgeschlagen. Jetzt, 1997, sind wir bei 11300 DM, weil der Bundestag nicht den Mut hatte, gegen die vereinigte Hetze von ARD, ZDF, „Bild-Zeitung" und „Spiegel" das durchzusetzen, was ihm die Sachverständigen gesagt haben.
({1})
Was bringt es also, neue Kommissionen zu gründen, wenn der Bundestag - auch die PDS - gar nicht willens ist, das, was die Kommissionen vorschlagen, dann auch umzusetzen?
Ich stimme gegen den Antrag, obwohl ich die Vorschläge in den Ziffern 3 bis 6 zu Nebentätigkeiten und Nebeneinkünften und zur Inkompatibilität für sehr erwägenswert halte und obwohl ich Ihre Vorschläge in den Ziffern 7 ff. zu Übergangsgeldern und zu Versorgungen für vernünftig und berechtigt halte. Ich stimme dagegen, weil die Ziffer 1 ausschlaggebend für mich ist, mit der die gemäß § 11 des Abgeordnetengesetzes beschlossene Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung zum 1. Juli, so wie im letzten Jahr, aufgeschoben werden soll. Ich stimme gegen diesen Antrag, weil die Bundestagsabgeordneten nach neun Nullrunden in früheren Jahren mit der Aussetzung der gesetzlichen Anpassung ihrer Gehälter im vergangenen Jahr bereits einen Sparbeitrag für dieses Jahr in Höhe von 6300 DM geleistet haben.
Ich habe Verständnis für die ostdeutschen Abgeordneten, die sich gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern besonders schwertun. Aber auch sie müssen sich an das Grundgesetz halten, das in Art. 48 Abs. 3 eine angemessene Entschädigung für Abgeordnete verlangt. Die derzeitige Entschädigung ist nicht angemessen; das haben uns zwei unabhängige Kommissionen bestätigt. Sie widerspricht damit dem Grundgesetz.
Die SPD-Fraktion hat ihren Abgeordneten freigestellt, wie sie sich bei der Abstimmung verhalten. Ich nehme an, daß die meisten mir folgen werden.
Trotz großer Sympathie, Frau Dr. Enkelmann, für weite Teile Ihres Antrags kann ich ihm im Hinblick auf die Ziffern 1 und 2 nicht zustimmen.
({2})
Eine Erklärung zur Abstimmung, Herr Kollege Häfner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich bei der Abstimmung über diesen Antrag aus einer Reihe von Gründen, die ich hier kurz darlegen möchte, der Stimme enthalten.
Ich halte den Antrag der PDS in erster Linie für einen Vorführantrag und nicht für eine ernstgemeinte
Vorlage. Daß Sie über diesen Antrag hier ohne Überweisung an die Ausschüsse sofort abstimmen wollen, zeigt auch ein bißchen, wes Geistes Kind er ist.
({0})
- Frau Enkelmann, nun seien Sie mal einen Moment ruhig, wenn ich spreche!
({1})
- Sie haben doch eben geredet, Frau Enkelmann. Hören Sie doch mal einen Moment zu!
Einer Überweisung hätte ich noch zustimmen können; denn dann kann man vernünftig beraten. Aber über so unausgegorene Dinge hier endgültig abzustimmen halte ich für ganz und gar unerträglich.
Sie verlangen zum Beispiel, sämtliche Nebentätigkeiten offenzulegen. Darüber kann man ja noch reden. Ich erinnere daran, daß Bündnis 90/Die Grünen schon vor zwei Jahren einen Antrag eingebracht hat, der dieselbe Frage wesentlich differenzierter regeln wollte, und daß der Geschäftsordnungsausschuß eine Anhörung dazu durchgeführt hat. Wir sind da also wesentlich weiter.
Aber Sie wollen nicht nur das; Sie wollen, daß sämtliche Nebentätigkeiten genehmigungspflichtig sind. Wir müssen also in Zukunft die Präsidentin des Deutschen Bundestages fragen, ob wir neben unserem Mandat Nebentätigkeiten ausüben dürfen. Unser Arbeitgeber, Frau Enkelmann, ist das Volk und nicht die Präsidentin. Wir sind hier nicht in einem Betrieb, in dem wir den Chef um Genehmigung bitten müssen.
Sie wollen noch mehr: Sie wollen alle Nebenverdienste abschöpfen. Dabei wollen Sie nicht nur diejenigen abschöpfen, die in einem Zusammenhang mit dem Mandat stehen könnten; Sie wollen zum Beispiel auch abschöpfen, wenn jemand von einem verstorbenen Familienmitglied ein Häuschen geerbt hat und Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hat. Sie wollen abschöpfen, wenn jemand einen Hof hat und Einnahmen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit erzielt. Das alles will die PDS abschöpfen. Was Sie nicht abschöpfen wollen - eine Ausnahme sehen Sie vor -, das sind, Frau Enkelmann, Einnahmen aus publizistischer und künstlerischer Tätigkeit,
({2})
und zwar wohl deshalb, weil es in Ihrer Gruppe so manche Figur gegeben hat, die ihren vom Volk erteilten Auftrag eher so verstanden hat, daß sie sich publizistisch, nicht aber parlamentarisch betätigen sollte. Das, finde ich, ist kein sehr seriöser Vorschlag.
({3})
Das Schlimmste, aber ist das, was Herr Conradi schon angesprochen hat, nämlich die Form des Antrages. Darin heißt es doch tatsächlich:
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen: Aus der Mitte des Deutschen Bundestages werden unverzüglich Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten ... nach folgenden Maßgaben eingebracht ...
Das heißt also: Der Bundestag soll beschließen, daß Gesetzentwürfe eingebracht werden sollen. Was soll das? Das ist Ihr selbstverständliches Recht, auch unseres. Wir haben im übrigen längst Gesetzentwürfe eingebracht.
({4})
Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann quälen Sie uns bitte nicht mit Ihrer Unfähigkeit!
({5})
Sie schreiben, es sollten Gesetzentwürfe eingebracht werden „nach folgenden Maßgaben", und dann kommen zwei Seiten lang die Vorstellungen der PDS. Wem gilt das? Sie können doch nicht erwarten, daß die CDU oder die Grünen Ihre Gesetzentwürfe einbringen. Das müssen Sie schon selber tun.
({6})
Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann lassen Sie es einfach, aber schreiben Sie doch nicht, der Bundestag möge Sie beauftragen.
({7})
Der Kernpunkt der Geschichte ist: Im Grunde wollen Sie die Diätenerhöhung verhindern. Hier will ich mich um ein deutliches Wort nicht herumdrücken. Meine Fraktion hat im vergangenen Jahr und auch früher schon die Auffassung vertreten, daß wir von diesem ständigen Hin und Her vieler Nullrunden und dann plötzlicher dramatischer Erhöhungen endlich wegkommen und ein Verfahren finden sollten, das akzeptabel, transparent, für jeden nachvollziehbar und vernünftig ist. Wir haben damals vorgeschlagen, sich an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu orientieren. Das heißt, die Abgeordnetendiäten sollen nicht mehr und nicht weniger steigen als die allgemeinen Einkommen in unserem Land im entsprechenden Jahr. Damit haben wir uns nicht durchgesetzt; es ist etwas anderes beschlossen worden.
Dann haben wir im vergangenen Jahr den Antrag gestellt, die bereits beschlossene Diätenerhöhung um ein Jahr zu verschieben, weil wir der Meinung waren, daß sie, gemessen an der allgemeinen Einkommensentwicklung - das war jedenfalls unser Maßstab -, zu hoch sei. Wir haben uns damit durchgesetzt; alle Fraktionen haben sich auf einen entsprechenden Antrag geeinigt.
({8})
Nun findet also das statt, was wir Grüne gewollt haben.
Hier jetzt dagegen aufzutreten wäre lächerlich. Ich sage deutlich: Man muß auch mal Farbe bekennen und einen Maßstab benennen. Unser Maßstab ist die allgemeine Einkommensentwicklung. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes dazu liegen vor. Die Lohnerhöhungen lagen im vergangenen Jahr im Durchschnitt bei Arbeitern bei 3,9 Prozent und bei Angestellten im Durchschnitt bei 2,9 Prozent. Was in diesem Jahr als Diätenerhöhung im Bundestag vorgesehen ist, bedeutet, weil der Zeitraum nun über mehr als zwei Jahre gestreckt wurde, aufs Jahr gerechnet eine Erhöhung von 2,65 Prozent. Dies liegt deutlich unter der allgemeinen Einkommensentwicklung, und deshalb tragen wir dies mit.
Ich werde dem Antrag der PDS nicht zustimmen können, sondern mich bei der Abstimmung enthalten.
({9})
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Gruppe der PDS zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten, Drucksache 13/7691. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Stimmenthaltung und einer Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren ({1})
- Drucksachen 13/7578, 13/7700 Nr. 2.2, 13/ 7930 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Marion Caspers-Merk Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung von PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 13/7780, 13/7855 Nr. 2.2, 13/ 7931-
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9a und 9b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung anläßlich der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({4}), Wilhelm Dietzel, Herbert Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.
Globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft im 21. Jahrhundert - VN-Sondergeneralversammlung 1997 zur Überprüfung und Bewertung der Umsetzung der Agenda 21
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Müller ({5}), Ulla Burchardt, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umsetzung der Agenda 21- Prioritäten für Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung im 21. Jahrhundert
- Drucksachen 13/7054, 13/7253, 13/7256,
13/7106, 13/7679, 13/7890- Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Michael Müller ({6})
Birgit Homburger
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.
5 Jahre nach der VN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro: Schutz des Tropenwaldes verstärken - Initiativen gegen die Zerstörung der borealen Wälder ergreifen
-Drucksachen 13/7601, 13/7932Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck Dr. Mathias Schubert
Roland Kohn
Zum Bericht der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Ministerin Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zwei Wochen werden wir in New York auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung Bilanz ziehen, was in den fünf Jahren nach der Konferenz in Rio passiert ist.
Es ist heute in diesem Parlament sicherlich nicht der Zeitpunkt, darauf zu verweisen, was sich bei uns in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten fünf Jahren geändert hat. Ich will nur sagen, daß sich mit Sicherheit nicht nur für die Umweltpolitik, sondern auch für alle anderen Politikbereiche das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Schritt für Schritt durchsetzen wird und daß die Agenda 21, die in Rio verabschiedet wurde, uns alle - den Staat, die gesellschaftlichen Gruppen, die Wirtschaft - auffordert, darauf hinzuwirken, daß die Sorge um die Zukunft und die zukünftigen Lebensgrundlagen Maßstab für unser heutiges Handeln wird.
Einer der großen Unterschiede zu der Zeit, als die Konferenz in Rio stattfand, ist, daß wir diese Zielssetzung nun auch in unserem Grundgesetz verankert haben. Wir werden morgen auf einer Veranstaltung mit den gesellschaftlichen Gruppen Bilanz ziehen, und uns überlegen, welche Schritte wir auf dem Weg
zu einer nachhaltigen Entwicklung als nächstes gehen müssen.
Diese Diskussionen sind schwierig. Wir kennen das aus der entsprechenden Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Es ist schwierig, Ziele vorzugeben, zu formulieren - möglichst noch im Konsens mit den gesellschaftlichen Gruppen. Der Staat wird hier vorranig gefordert bleiben und Entscheidungen treffen müssen. Ich denke, es ist richtig, daß wir diesen Weg auf der Grundlage der Agenda 21 gehen.
({0})
Neben der Sondergeneralversammlung, die in New York stattfindet, wird die dritte Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention mit Sicherheit so etwas wie die Nagelprobe für die konkreten Umsetzungen der postulierten Ziele sein. Wir haben seit Rio verschiedene Konventionen ins Leben gerufen: die Klimarahmenkonvention, die Konvention über die Erhaltung der Biodiversität und die Wüstenkonvention. Wir haben im Bereich der Klimarahmenkonvention vielleicht die konkretesten Schritte unternommen, auch wenn diese für viele - auch für mich - nach wie vor unzureichend sind.
Die Klimarahmenkonvention bedarf dringend einer Ergänzung, weil die in ihr festgelegten Verpflichtungen für die Industrieländer mit dem Jahr 2000 enden. Das heißt, für die Zeit nach dem Jahr 2000 gibt es keine konkreten Verpflichtungen für die Industriestaaten zur Reduktion von Treibhausgasen. Angesichts der Gefährdung unserer Atmosphäre und der Gefahren der Erwärmung der Erdatmosphäre ist dies ein nicht akzeptabler Zustand. Wir benötigen in Kyoto dringend die Abfassung eines entsprechenden Protokolls.
Ich erwarte mir von den über 60 Staats- und Regierungschefs in New York ein klares Signal in Richtung dieser Klimakonferenz. Ich erwarte, daß sie den in New York anwesenden Ministern die Rückendekkung geben, im Dezember in Kyoto ein anspruchsvolles Protokoll zu fordern. Das heißt für uns - ich will das ganz klar sagen -: Reduktion der Treibhausgase unter das Niveau von 1990, quantifiziert festgeschrieben in einem solchen Protokoll.
({1})
Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat sich auf eine Verhandlungsstrategie verständigt. Das war ein hartes Ringen. Wir haben gesagt: Wir wollen gegenüber 1990 eine Reduktion um 15 Prozent bis zum Jahre 2010. Wir haben leider noch kein europäisches Ziel für das Jahr 2005 festgelegt. Wir werden versuchen, dies in der nächsten Woche anläßlich des Umweltministerrates in Luxemburg zu formulieren. Die Bundesrepublik tritt für eine EU-Strategie mit dem Ziel einer Reduktion um 10 Prozent bis zum Jahre 2005 ein.
Herr Müller, nach Ihrer gestrigen Presseerklärung bin ich sehr optimistisch, daß Großbritannien und Frankreich uns nun gemeinschaftlich unterstützen werden, ein solches Reduktionsziel zu erreichen. Bislang war das schwierig. Nachdem ich aber gelesen habe, was Sie über Ihre sozialdemokratischen Freunde geschrieben haben, fahre ich mit großem Elan nach Luxemburg und hoffe, mit genauso großem Elan wieder zurückzukehren.
({2})
Von vielen - wir sollten das hier in diesem Hause nicht vergessen - werden das Verhandlungsziel der Europäischen Union und auch unsere nationalen Reduktionsziele als außerordentlich übertrieben, wenn nicht gar als Provokation angesehen. Ich glaube, wir müssen auf den kommenden internationalen Konferenzen - insbesondere auch auf der Sondergeneralversammlung - gemeinsam darum ringen, daß es uns gelingt, diesen Zielen wirklich näherzukommen und andere - gerade die Entwicklungsländer - davon zu überzeugen, daß es richtig ist, Druck auf noch säumige Industrieländer auszuüben.
Die Entscheidung des Bundeskanzlers, zu dieser Sondergeneralversammlung zu fahren, war für viele Staats- und Regierungschefs eine Ermutigung, selber teilzunehmen. Mit der Teilnahme von über 60 Staats- und Regierungschefs an dieser Konferenz können wir zufrieden sein. Aber es muß auch Ergebnisse geben.
Außer Aussagen zum Klima will ich hier kurz auch noch etwas zum Thema Wald sagen. Über das Thema der Wälder - nicht nur der Tropenwälder, sondern auch der borealen Wälder - ist schon in Rio gesprochen worden. Es liegen jetzt fünf Jahre intensiver Arbeit in den entsprechenden Verhandlungsgremien hinter uns. Für uns ist ganz klar: Jetzt ist der Zeitpunkt, den Weg für eine Waldkonvention zu ebnen und diese möglichst schnell zu verabschieden.
({3})
- Wollen Sie seitens der Opposition das nicht? - Dann könnten Sie doch auch einmal klatschen.
({4})
Denn das ist eines der schwierigsten Themen, bei dem sich Entwicklungsländer und ein Teil der Industrieländer leider noch nicht darüber einig sind, diesen Weg auch wirklich zu gehen. Das wird auf dieser Konferenz, fünf Jahre nach Rio, einer unserer Hauptverhandlungspunkte sein.
Frau Kollegin, gestatten Sie der Kollegin Dr. Eid eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte.
Frau Minister Merkel, Sie sagten, Sie setzen sich für eine Waldkonvention ein. Ist Ihnen bekannt, daß die Umwelt- und Entwicklungsverbände gegen eine Waldkonvention und statt dessen für ein Waldprotokoll im
Rahmen der Konvention zur Erhaltung der Artenvielfalt sind, weil eine Waldkonvention eher die Nutzung der Wälder als deren Schutz regelt?
({0})
Wenn ich jetzt auf Ihre Frage direkt antworten soll, würde ich sagen: Ja, das ist mir bekannt. Nun vermute ich einmal, daß Ihre Intention auch war, daß ich das kommentiere. Wenn mir die Zeit dafür nicht angerechnet wird, will ich das gerne tun.
Wir haben sehr viel über das Thema „Extrakonvention oder Protokoll zur Biodiversitätskonvention" gesprochen. Ich sage als Umweltministerin frank und frei: Ich brauche ein rechtliches Instrument. Mir ist es recht, wenn keine neuen Konventionen geschaffen werden. Wir haben jedoch - bei Kooperation mit anderen Ressorts, vor allem auch in der Europäischen Union - keine Chance gesehen, ein Protokoll zur Biodiversitätskonvention durchzubekommen. Die Frage war also: eine einzelne Konvention als rechtliches Instrument oder überhaupt kein rechtliches Instrument. Angesichts dieser Konstellation in der Europäischen Union habe ich mich mit dem Kompromiß einer neuen Konvention einverstanden erklärt. Aber man hätte genausogut sagen können: Jawohl, wir machen das im Rahmen der Biodiversitätskonvention. Allerdings bedarf diese Konvention dringend einer Überarbeitung.
Also, rechtlich verbindliche Regelungen, die der nachhaltigen Forstwirtschaft dienen, lassen sich realistischerweise nur mit einer Besonderen Konvention treffen.
Ich möchte noch auf andere Themen eingehen, die wir auf der Sondergeneralversammlung als Strategie und Arbeitsschwerpunkte für die nächsten Jahre verankern wollen. Dies ist erstens der Schutz der Süßwasserressourcen in einem globalen Aktionsprogramm, zweitens der Vorschlag, eine Dekade der nachhaltigen Energienutzung bei der UNO auszurufen und dafür die entsprechenden Strategien zu erarbeiten, und drittens die Frage der umweltverträglichen Verkehrsentwicklung. Dazu gehören die Einführung einer Flugbenzinbesteuerung auf internationaler Ebene, der weltweite Ausstieg aus der Verwendung bleihaltigen Benzins in den nächsten zehn Jahren, Leitlinien für einen umweltgerechten Verkehr insbesondere in den großen Städten und - das sage ich für mich dazu - die möglichst schnelle Einführung des geregelten Katalysators in möglichst vielen Schwellenländern, weil hier auf Jahrzehnte Investitionen getätigt werden, die, was die Luftqualität angeht, lange Nachwirkungen haben werden.
({0})
Im Rahmen der biologischen Vielfalt setzen wir uns - das haben wir auch in der Europäischen Union immer wieder gesagt - für sogenannte „hot spots" als Ergänzung der Biodiversitätskonvention ein, das heißt für einen Anhang mit besonders schutzwürdigen Gebieten, weil diese Konvention ansonsten in vielen Fragen sehr wenig konkret ist. Zum zweiten setzen wir uns aber auch für eine schnelle Verabschiedung eines Protokolls zur Sicherheit in der Biotechnologie ein.
Ich persönlich sehe einen wichtigen Schwerpunkt - wir konnten dies auch in den jetzt vorliegenden Verhandlungstexten verankern - in der Arbeit im Bereich des Tourismus. Wir haben im Frühjahr mit über 20 Ländern die Berliner Erklärung verabschiedet, die sich mit der Frage eines nachhaltigen Tourismus beschäftigt. Das Thema Tourismus und nachhaltige Entwicklung ist eines der wenigen Themen, bei denen wir immer wieder etwas von dem Geist von Rio spüren, nämlich bei der Frage: Was bedeutet Entwicklung für Entwicklungsländer und ihre Hoffnungen, und was bedeutet nachhaltige Entwicklung aus der Sicht der Industrieländer? Denn es gibt seit Rio einen latenten Konflikt, den wir schrittweise abbauen müssen. Die Entwicklungsländer sagen uns: Ihr kommt uns mit neuen Umweltvorschriften; ihr habt Nachhaltigkeit auf Umweltpolitik reduziert und wollt uns damit unsere eigentlichen Entwicklungschancen verbauen. - Wir haben bislang zu wenige Felder benennen können, in denen wir deutlich machen können, daß Entwicklung und Nachhaltigkeit für uns und für die Entwicklungsländer in gleichem Maße bedeuten können, daß wir gemeinsam vorankommen und daß es sich nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander auf der Basis einer nachhaltigen Nutzung von Rohstoffen handelt.
({1})
Dies läßt sich im Bereich des Tourismus in vernünftiger Weise anschaulich machen und praktizieren. Abgaben, bestimmte Standards und Verpflichtungen in diesem Bereich können den Entwicklungs- und den Schwellenländern, auch beim Naturschutz, direkt zugute kommen. Das heißt, auch die Menschen in diesen Ländern sehen: Wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz müssen kein Gegensatz sein.
Ein zweites Thema, das aus meiner Sicht in ähnlicher Richtung entwickelt werden muß, ist die Frage der Öko-Effizienz. Das ist bei uns im Zusammenhang mit der Diskussion um die entsprechenden Faktoren - Faktor 4 bis hin zu Faktor 10 - bekannt geworden. Das heißt, bei reduziertem Naturverbrauch ist mehr Effizienz in der technologischen Umsetzung durchaus möglich. Dies muß ein Weg sein, mehr Gerechtigkeit auf dieser Erde zu gewährleisten. Das Fatale dabei - wie auch bei anderen Fragen, beispielsweise der Problematik der WTO - ist, daß die Entwicklungsländer immer wieder befürchten, wir wollten ihnen Entwicklungsspielräume nehmen, und daß sie aus diesem Grunde von vornherein gegen bestimmte Strategien der Industrieländer sind. Hier geht es vor allen Dingen um eine bessere Vertrauensbasis. Zu dieser Vertrauensbasis gehört natürlich auch, daß wir die entsprechenden finanziellen Ressourcen zur Verfügung stellen. Unser Ziel,
0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zu verwenden, ist nach wie vor gültig,
({2})
auch wenn wir es - dies müssen wir selbstkritisch eingestehen - nicht erreicht haben. Trotzdem halten wir es für ein sinnvolles Ziel; Sie sicherlich auch.
Weiterhin halten wir mit Blick auf diese Sondergeneralversammlung die Auffüllung der Mittel der Globalen Umweltfazilität für außerordentlich dringend. Die Bundesrepublik wird ihre Pflicht tun. - Herr Müller, ich habe übrigens noch ein Beispiel, bei dem sich die französische Regierung durch außerordentliche Progressivität auszeichnen kann: durch die Wiederaufnahme der Zahlung ihrer Beiträge für das UNEP. In den letzten drei Jahren sah es da schlecht aus. Ich fürchte, auch in bezug auf frühere sozialistische Regierungen sah es da alles andere als gut aus. Hier wäre ein Feld für zukünftige französische Aktivitäten.
Ich kann hier nicht in aller Breite auf alle Facetten dessen eingehen, was in New York verhandelt wird. Sie kennen die Verhandlungstexte; sehr vieles bedarf noch der Klärung. Wir müssen sehr intensiv verhandeln. Ich hoffe auf große Unterstützung. Es genügt nicht, hier über den Rest der Welt zu schimpfen. Wir müssen es schaffen, einen Konsens in allen UN-Gremien herbeizuführen, damit die Verhandlungstexte am Ende so ausschauen, wie wir - Sie und ich - das wollen. Damit wir das schaffen können, ist erforderlich, daß wir in New York überzeugend auftreten. Ebenfalls ist eine verständnisvolle Verhandlungsführung erforderlich, für die ich mich einsetzen werde. Ich hoffe auf eine erfolgreiche Sondergeneralversammlung.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
({3})
Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD.
({0})
Ich bin gern für Gemeinsamkeit, nur nicht mit jedem. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will am Anfang gleich sagen, Frau Ministerin: Wir wünschen Ihnen ungeachtet unserer innenpolitischen Kontroversen für die Verhandlungen Erfolg, weil in New York in der Tat sehr viel auf dem Spiel steht.
({0})
Wir wären wirklich sehr provinziell, wenn wir das Ganze nur innenpolitisch betrachten würden.
Ungeachtet der Tatsache, daß man bei genauerem Hinsehen noch viele Fragezeichen setzen muß, war die Konferenz von Rio sehr wichtig, weil sie Diskussionen ausgelöst und Prozesse in Gang gesetzt hat.
Wir hoffen, daß das auch in New York der Fall sein wird, auch wenn wir die letzten fünf Jahre in vielen Bereichen - global gesehen - nicht besonders positiv bewerten können. Der Prozeß, der in New York in Gang gesetzt werden solle, nämlich daß man sich auf eine Weltinnenpolitik hin bewegt, kann von uns nur unterstützt werden. Im Grundsatz gibt es zwischen uns sehr viele Gemeinsamkeiten; darüber will ich gar keine Debatte führen.
Ich will einen zweiten Punkt anführen, der ebenfalls wichtig ist: Ich finde es gut, daß die Bundesrepublik die Initiative in bezug auf das Verhältnis zwischen Umwelt und Tourismus ergriffen hat. Das ist ein bisher unterschätztes, höchst wichtiges Thema. Der Tourismus ist die größte Wirtschaftsbranche der Welt. Nirgendwo wird man persönlich so sehr gefordert, umweltverträgliches Verhalten zu zeigen. Nirgendwo stellt sich auch die Frage eines verantwortlichen Umgangs mit Freiheit so drängend wie bei diesem Thema, auch wenn ich insbesondere an Naturschutz, Schutz der Arten und ähnliches denke.
Hier können wir Ihnen nur sagen: Es ist gut, daß Sie diese Initiative ergriffen haben, allerdings müssen der Berliner Erklärung jetzt auch die entsprechenden Instrumente folgen. Absichtserklärungen alleine werden da nicht reichen. Unsere Unterstützung haben Sie.
({1})
Für uns war Rio ein Zeichen der Hoffnung. Mir ist, nachdem ich in den letzten Tagen über diesen Prozeß noch einmal intensiv nachgedacht und die Geschichte von Rio nachgelesen habe, aufgefallen, daß Rio eigentlich ein Ergebnis des Ost-West-Konflikts war. Wenn Sie es einmal historisch nachvollziehen, stellen Sie fest: Nach der Konferenz in Stockholm 1972 entstand eine Polarisierung einerseits zwischen Nord und Süd und andererseits zwischen Ost und West.
Wenn man die Dokumente von Maurice Strong und anderen liest, stellt man fest, daß man sich angesichts der alarmierenden Daten der 80er Jahre, insbesondere der ökologischen und sozialen Daten, darüber im klaren war, daß man handeln mußte. Man hat versucht, mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit bzw. mit der Durchführung eines Erdgipfels einen gemeinsamen Weg jenseits der ideologischen Konfrontation zu finden. Der Ansatz, insbesondere der Kommission von Frau Brundtland, war: Handlungsfähigkeit entwickeln trotz Konfrontation. Es ist schon erstaunlich - so empfinde ich es jedenfalls -, daß wir es nach dem Erdgipfel jetzt wieder mit Blokkaden und Konfrontation zu tun haben, wenn auch in anderer Form. Das heißt, der Wille, der sich in der Folge von Stockholm entwickelt hatte, nämlich trotz ideologischer Kontroversen zu handeln, wird aus meiner Sicht heute durch die sehr schwierige wirtschaftliche Entwicklung, die Verschärfung der Konkurrenz und die Aufhebung - so kann man es auf den Punkt bringen - der nationalstaatlichen Souveränität in vielen Bereichen durch die Globalisierung der Ökonomie ausgehebelt.
Michael Müller ({2})
In Frankreich wird beispielsweise heute immer weniger erkannt, daß Ökologie in der Bundesrepublik als ein Zivilisationsmodell diskutiert wird. Wir diskutieren es ja nicht so verengt, daß wir sagen: Jetzt haben wir unsere Liebe zur Umweltpolitik entwickelt; jetzt muß alles der Umweltpolitik folgen. Wir sehen darin vielmehr einen wesentlichen Ansatz, um die Dauerhaftigkeit der Zivilisation zu sichern. Dieser Punkt ist für uns wichtig. Diese Diskussion wird in vielen anderen Ländern überhaupt nicht geführt. Das ist ein Problem, wenn nicht gleichzeitig ein gewisser Druck besteht, trotzdem handeln zu müssen. Diese Schwierigkeit stellt sich nach dem Wegfall der Blöcke ganz anders, denn damals gab es sehr viel mehr Strukturen in der Weltpolitik, die alle weggefallen sind.
Auf der anderen Seite fehlt der Schritt dahin - wir fordern es dringend -, daß die UN in die Lage versetzt werden, eine wirkliche Weltinnenpolitik durch handlungsfähige Institutionen zu machen. Das ist eine der zentralen Forderungen, die wir ganz nach vorne stellen müssen. Es geht darum, sozusagen eine Art weltpolitisches Regime zu schaffen, das in wichtigen und zentralen Fragen handeln kann.
Unsere Konsequenz ist: Die entscheidenden Schritte, die nach Rio gegangen werden müssen, müssen in den Industrieländern getan werden. Wenn die Industrieländer nicht vorangehen und zeigen, daß die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft eine große Chance für ihr Zivilisationsmodell darstellt, wird sie im Weltmaßstab nicht erfolgen. Hier hat die eigentliche Veränderung seit 1990 stattgefunden.
({3})
Dies müssen wir als unsere Verantwortung begreifen. Wir werden weltpolitisch kein gemeinsames, nach vorne weisendes Handeln erreichen, wenn nicht auch in der Bundesrepublik der Widerspruch beseitigt wird, daß wir auf der einen Seite ständig von Energieeinsparungen und Solarenergie reden, aber der Bundeswirtschaftsminister auf der anderen Seite ein Energiegesetz auf den Tisch legt, das genau das Gegenteil davon ist. Das paßt nicht zusammen!
({4})
Ich will jetzt nicht die Debatte der letzten Woche über das Naturschutzgesetz wieder aufgreifen, aber diese Beispiele lassen sich an vielen Punkten fortführen. So paßt es zum Beispiel nicht zusammen, über das 0,7-Prozent-Ziel in der Entwicklungshilfe zu reden und gleichzeitig auf einen historischen Tiefstand in der Entwicklungshilfe abzurutschen.
({5})
Ich sage Ihnen: Es besteht die dringende Notwendigkeit, trotz ideologischer Konfrontation zusammenzuarbeiten, zu einer Art Weltpolitik zu kommen. Wir müssen das über die Industriestaaten organisieren. Wir haben aus meiner Sicht in der Bundesrepublik eine große Verantwortung, diese Politik vor allem im europäischen Rahmen voranzutreiben.
Frau Ministerin, ich nehme Ihre Anregung gerne auf. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß wir auf Grund der Regierungswechsel in Großbritannien und in Frankreich sehr viel intensiver mit den mit uns befreundeten, sich jetzt in der Regierungsverantwortung befindenden Parteien im Rahmen unserer europäischen Politik über die Stärkung ihres ökologischen Bewußtseins reden müssen. Wir haben erste Schritte gemacht und uns auf ein gemeinsames Programm verständigt. Aber auch in diesem Punkt zählt natürlich der Beweis in der Praxis.
Ich will zusammenfassen: Wir unterstützen jeden weitergehenden und, wie wir hoffen, mutigen Schritt in Richtung einer Weltinnenpolitik. Aber wir bleiben dabei: Wer eine Weltinnenpolitik macht, der muß erst auf nationaler Ebene zeigen, daß er es ernst damit meint.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Vorabend einer so wichtigen internationalen Konferenz wie der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung, in der es auch um gemeinsame Schicksalsfragen der Erde geht, sind Jammerei und nationale Nabelschau nicht gefragt, auch wenn zugestandenermaßen im eigenen Land - trotz der umweltpolitischen Leistungen, die in den letzten Jahren erbracht worden sind - noch einiges an Herausforderung vor uns liegt.
Das Gebot der Stunde heißt, der deutschen Delegation - mit Frau Ministerin Merkel an der Spitze, mit Staatssekretär Hedrich und Abgeordneten aus allen Parteien - den Rücken zu stärken und mit ihr dafür zu kämpfen, daß die internationale Staatengemeinschaft dem vor fünf Jahren begonnenen Prozeß von Rio neuen Schwung verleiht.
Entscheidend sind hier Überzeugungskunst und persönliches Engagement der deutschen Delegation, die ja schon einmal, wenn auch in anderer Zusammensetzung, während der Konferenz von Rio und der Berliner Konferenz das Ruder in die richtige Richtung herumwerfen konnte. Genauso entscheidend ist, was wir Deutsche an konkreter Unterstützung in administrativer, in personeller und in finanzieller Hinsicht international einbringen können und einbringen werden.
Lassen Sie mich zunächst sagen, daß wir uns in dieser Hinsicht bisher nicht zu verstecken brauchen. Ein Drittel unserer Entwicklungsprojekte dient mittlerweile direkt der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir sind weltweit größter Geldgeber für Projekte im Bereich des Tropenwaldschutzes
und des Gewässerschutzes in der dritten Welt. Wir haben das große Tropenwaldprogramm der Europäischen Union und die Globale Umweltfazilität von UNO und Weltbank durchgesetzt, zu der wir ebenfalls einen überproportional hohen Beitrag leisten. In diese Richtung müssen wir gemeinsam Umwelt- und Entwicklungspolitik unbeirrt weiterführen.
Deswegen bitte ich unsere Delegation, folgende Signale zur Sondergeneralversammlung mitzunehmen:
Erstens. Wir sind entschlossen, den deutschen Beitrag zur internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik auf hohem Niveau beizubehalten. Wir bemühen uns, die Anstrengungen noch zu verstärken, soweit die angespannte Haushaltslage dies zuläßt.
Zweitens. Wir bieten unseren Partnern in den Entwicklungs- und Schwellenländern gerade dort verstärkt Zusammenarbeit an, wo wir die größte Expertise und die größten Erfolge aufzuweisen haben, zum Beispiel in einer umweltfreundlichen Energietechnik, im integrierten Ressourcenschutz auf dem Land und bei Projekten, mit denen wir die Bewahrung der Schöpfung mit neuen Einkommensquellen für die lokale Bevölkerung oder für die Bevölkerung einer ganzen Region - zum Beispiel im Bereich des sanften Tourismus oder der Wildtiernutzung - verbinden können.
Drittens. Wir sind entschlossen, durch den größeren Einsatz personeller Kapazitäten in internationalen Organisationen die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung gegenüber unseren Freunden und Verbündeten, aber auch gegenüber der EU und den wichtigen internationalen Entwicklungsbanken im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit mit Nachdruck zu vertreten, um zu einer besseren Koordination der internationalen Entwicklungspolitik zu gelangen.
Viertens. Auch die Vereinten Nationen müssen ihre eigene, unüberschaubar gewordene Organisation gerade im Umwelt- und Entwicklungsbereich verbessern, straffen und koordinieren. Bewährte Institutionen wie die Globale Umweltfazilität oder die UNDP müssen beibehalten und gestärkt, andere Neben- und Sonderorganisationen aufgelöst oder neu gruppiert und an die kurze Leine genommen werden. Nur so können die knappen Gelder für Entwicklung der Vereinten Nationen effektiv für nachhaltige Entwicklung genutzt werden.
({0})
Schließlich fünftens. Ein wesentlicher Schlüssel zur Bekämpfung der Umweltzerstörung ist die Bekämpfung der Armut. Dies ist jedoch nicht nur Aufgabe einer effizienten Entwicklungspolitik, sondern liegt vor allem in der Verantwortung der Regierenden in den Entwicklungsländern gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung. Auch das, glaube ich, muß in New York angesprochen werden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt, Bündnis 90/ Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fünf Jahre nach Rio muß man leider sagen, daß die Dynamik nicht so positiv ist, wie wir es erhofft haben. Eine Ursache ist - das wurde hier schon angesprochen -, daß wir zwar globale Umweltprobleme haben, auch eine zunehmende Globalisierung im Bereich der Ökonomie, es aber an politischer Globalisierung fehlt. Michael Müller hat das „Weltinnenpolitik" genannt; dem kann ich nur zustimmen.
Ein Punkt der sogenannten Weltinnenpolitik, einer politischen Globalisierung, ist die Frage, wie das Verhältnis von Handel zu Umwelt gesehen wird. Zwar werden diesbezüglich in der WTO zügig Fakten geschaffen und damit auch nationale Gestaltungsspielräume für den Umweltschutz eingeschränkt. Gleichzeitig aber begründet man im Umweltschutz, während es dort zügig vorangeht, bei uns das mangelnde Vorankommen damit, daß es so kompliziert sei, im internationalen Zusammenhang zu handeln. Deswegen ist in Zukunft eine der ganz wichtigen Fragen, ob es eine Gleichstellung oder möglichst einen Vorrang von Umweltkonventionen vor Handelsabkommen geben wird; denn nur dann können sie auch wirksam werden.
Ein weiterer Punkt der Weltinnenpolitik ist die Kräftigung der Strukturen. Dazu gehört zum Beispiel die Schaffung einer Weltsolaragentur und daß man weltweit über Ökosteuern nachdenkt und sie auch einführt, wie beispielsweise die Kerosinbesteuerung.
({0})
Frau Merkel hat in ihrer Rede schon darauf hingewiesen, daß das von den Entwicklungsländern teilweise kritisch gesehen wird. Sie sehen das als Neokolonialismus. Ich finde aber, man sollte nicht darüber klagen und jammern. Das Wichtigste, um diese Widerstände zu überwinden, ist doch, daß man zur jetzigen Zeit als Hauptverursacher der Schäden im eigenen Land zeigt, daß man bereit ist, einen wirklichen Beitrag zu leisten.
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Auf die Frage, ob er sich wünsche, daß Indien nach der Unabhängigkeit das gleiche Wohlstandsniveau erlangt wie Großbritannien, entgegnete Mahatma Gandhi schon 1908: „Wenn Britannien die Ausbeutung der halben Weltkugel benötigt, um das zu erreichen, was ist: Wieviel Erdkugeln benötigt dann Indien?"
Angesichts endlicher Ressourcen geht es nicht nur um Gerechtigkeit hier und jetzt, sondern auch um globale Gerechtigkeit, um Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen. Da sind nicht die Entwicklungsländer diejenigen, die nachlegen müssen.
Die Industrieländer sind vielmehr die wahren Entwicklungsländer, auf die es ankommt.
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Ich habe heute von Frau Merkel eigentlich kein einziges Wort darüber gehört, was Deutschland dazu beigetragen hat - das ist bezeichnend -,
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weil sie nämlich mit leeren Händen zu der Sondergeneralversammlung fährt.
Sie haben auf Kyoto hingewiesen, Frau Merkel, und haben gesagt, es sei wichtig, ein Klimaschutzprotokoll zu erreichen. Da stimmen wir Ihnen natürlich hundertprozentig zu. Sie haben aber im März in der Umweltdebatte hier gesagt: Deutschland wird mit der Politik der Bundesregierung das sich selbst gesteckte Ziel nicht erreichen. Für das Frühjahr - das haben wir jetzt - haben Sie angekündigt, Maßnahmen vorzulegen, wie dieses Ziel doch noch erreicht werden kann.
Ich sage Ihnen: Heute in der Debatte hätten Sie sagen müssen: Das und das machen wir noch. Dann können wir das Klimaschutzziel noch erreichen. - Dann hätten Sie zur New Yorker Konferenz mit vollen Händen fahren können.
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Kommen Sie uns nicht nur mit einer Wärmeschutzverordnung, wenn Sie im Herbst oder im Winter, während uns die Zeit wegläuft, doch noch Vorschläge unterbreiten. Eine solche Verordnung ist zwar notwendig, wird aber bei weitem nicht ausreichen.
Svend Auken, Ihr Kollege, hat Ihnen auf unserer Ökosteuerkonferenz ziemlich deutlich ins Stammbuch geschrieben, daß eine ökologische Steuerreform durchaus nicht im Widerspruch zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung steht und daß es viele Länder in Europa gibt, die dies schon gemacht haben und durch die Senkung der Lohnnebenkosten neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
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Wegen der Kürze der Zeit nur noch einen letzten Punkt: Alle Umweltminister der Bundesländer haben Sie in der Jenaer Erklärung dazu aufgefordert, endlich damit zu beginnen - wie viele Länder in dieser Welt -, einen nationalen Umweltplan zu erarbeiten. Sie sagen: Wir machen Gesprächsrunden und unternehmen Schritte hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. - Aber die Wahrheit ist doch folgende: Diese Runden dienen vor allen Dingen dazu, daß Sie in den Berichten darauf verweisen können, daß Sie mit allen sprechen. Diese Runden dienen nicht dazu, tatsächlich einen nationalen Umweltplan zu erarbeiten, in dem konkrete Maßnahmen stehen und konkrete Wege aufgezeigt werden, wie diese neuen Ziele auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung erreicht werden können.
Ein Letztes: Dieser nationale Umweltplan wäre aus unserer Sicht nicht nur eine Chance, um tatsächlich einen Schritt voranzukommen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, sondern ist auch ein großartiges Instrument, um Innovations- und Forschungspolitik voranzutreiben; denn in der heutigen Zeit geht es nicht mehr nur darum, Forschung nach dem Gießkannenprinzip zu fördern - die fetten Jahre sind vorbei -; vielmehr muß sich die Gesellschaft auf Zielvorstellungen einigen. Dann kann sie motivieren, daß man dort besonders innovativ tätig wird.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende dieses Monats findet ja nun die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen statt. Auf ihr soll natürlich umfassend Bilanz gezogen werden über den Rio-Folgeprozeß, aber auch über die Ziele und die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele soll diskutiert werden.
Die Bilanz, die wir bisher ziehen müssen, ist leider ernüchternd; das haben auch die Vorredner schon festgestellt. Der in Rio angestoßene Prozeß ist ins Stocken geraten. Ich denke, daß die Sondergeneralversammlung dringend notwendig ist, um neue Anstöße zu geben.
Das gilt gerade auch für den Bereich des Klimaschutzes. Denn der Schutz der Erdatmosphäre ist ein wesentlicher Bestandteil der Diskussion um nachhaltige Entwicklung. Wir werden Ende dieses Jahres an der Konferenz in Kyoto teilnehmen, wo es dann darum geht, ob wir in der Frage des Klimaschutzprotokolls weiterkommen. Ich denke, daß von der Sondergeneralversammlung in New York ein wesentlicher Anstoß für diesen Prozeß ausgehen muß.
Dabei geht es um die Frage, wie wir weltweit mit der Energie umgehen, inwieweit wir das Produktions- und Verbraucherverhalten am Ziel der Nachhaltigkeit ausrichten. Ich finde es nach wie vor bedauerlich, daß wir es nicht schon in Berlin geschafft haben, einen konkreten Handlungsauftrag zu erteilen, und zwar auf der Basis des Protokollentwurfs der AOSISStaaten. So sind zwei wertvolle Jahre letztlich mit Reden verlorengegangen, statt daß auf der internationalen Ebene gehandelt wurde. Deshalb ist es richtig, daß Frau Ministerin Dr. Merkel hier ganz klar gesagt hat: Die erste Priorität liegt auf einem klaren Signal für das Klimarahmenprotokoll.
Schon lange ist klar, daß den Industriestaaten im Bereich des Klimaschutzes eine besondere Rolle zukommt. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir erwarten einen dramatischen Anstieg der TreibBirgit Homburger
hausgasemissionen durch sich entwickelnde Länder wie beispielsweise China und Indien. Erwartet man von diesen Ländern den nötigen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, so verlangt dies unverzichtbar die Bereitschaft der Industriestaaten zu eigenen konkreten und sicherlich unbequemen Reduktionsmaßnahmen.
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Nur dann werden auch die sich entwickelnden Länder bereit sein, den Zuwachs ihrer Treibhausgasemissionen zu begrenzen.
Ich sage hier ganz deutlich: Das geht natürlich auch in Richtung unserer Partnerländer; das geht natürlich auch in Richtung unserer europäischen Partner, mit denen wir uns - die Ministerin hat es gesagt - im Augenblick lediglich auf Zielvorgaben für das Jahr 2010 einigen konnten, nicht aber schon klare Zielvorgaben für das Jahr 2005 erarbeiten konnten. Aber es betrifft natürlich auch uns selbst, es geht auch um unser nationales Ziel. Auch darüber wurde heute schon gesprochen. Für die F.D.P. sage ich deshalb ganz deutlich: Wir halten nach wie vor an dem nationalen Ziel fest, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu senken.
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- Nun denn, die Institute sagen uns, daß wir mit den augenblicklich ergriffenen Klimaschutzmaßnahmen eine Reduktion der CO2-Emissionen um zwischen 14 und 17 Prozent erreichen. Ich fange mit Ihnen keinen Streit darüber an, welches dieser Gutachten recht hat. Fakt ist, es müssen weitere Maßnahmen hinzukommen. Es ist vollkommen richtig, daß wir weiter darüber reden müssen.
Wir sind dabei, zu definieren, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden können, um die CO2Emissionen zu mindern. Ich denke, daß eine ganze Reihe von aktivierbaren Potentialen zur Minderung von CO2-Emissionen besteht. Die F.D.P. hat auf ihrem Klimaschutzkongreß im Januar diese Potentiale klar herausgearbeitet. Wir haben darüber mehrfach auch hier im Plenum diskutiert.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hustedt?
Ja.
Bitte schön.
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Ich bin doch gar nicht so unfreundlich.
Frau Homburger, ich habe in meiner Rede gesagt, daß Frau Merkel für dieses Frühjahr angekündigt hat, diese Maßnahmen vorzulegen. Das, was Sie eben gesagt haben, war uns schon im März bekannt und ist auch schon länger bekannt. Es ist also nichts Neues. Sie sagen dann immer: Ja, wir werden vorlegen. - Jetzt meine Frage: Wann legen Sie denn vor? Im Herbst? Im Winter? Oder nächstes Frühjahr? Oder nach der Bundestagswahl? Wann legen Sie vor?
Frau Kollegin Hustedt, es ist immer dasselbe mit Ihnen. Zunächst einmal: Ich habe hier nicht angekündigt, wann wir vorlegen. Was die Ministerin gesagt hat, ist ihre Sache. Es ist dann auch ihre Sache, zu sagen, wann sie vorlegt. Wir haben immer wieder ganz klar Dinge angekündigt und auch vorgelegt.
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Ich denke nur an unser Ökosteuerkonzept.
- Eines nach dem anderen, Herr Kollege Müller.
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Auch beim Ökosteuerkonzept haben Sie uns nicht geglaubt, daß wir etwas vorlegen. Wir sind mitten im Diskussionsprozeß; wir sind uns noch nicht an allen Punkten einig,
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weshalb hier noch nichts endgültig vorgelegt ist.
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Aber die F.D.P. hat schon vielfach an mehreren Stellen, auch hier im Plenum, deutlich gemacht, wo sie die Potentiale sieht. Wir werden uns mit Sicherheit innerhalb der Koalition einigen. Sobald wir fertig sind, werden wir Ihnen das selbstverständlich vorlegen.
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Ich sage es noch einmal: Jetzt gilt es, die Potentiale auszuschöpfen, die vorhanden sind, gerade auch bei kleinen und mittleren Betrieben. Dort gibt es eine Vielzahl von Leuten, die hierzu einen erheblichen Beitrag leisten können. Ich denke, darüber sollte man sich weiter unterhalten, und zwar mit denjenigen, die diesen Beitrag in der Wirtschaft leisten können, mit den Ingenieurkammern, mit den Architektenkammern, mit den Kommunen etc., auf vielen Ebenen; ich will nicht alles noch einmal sagen, was wir hier schon mehrfach gesagt haben.
Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz - auch das, denke ich, sollte heute noch einmal klar gesagt werden - sind eine Aufgabe, die nicht nur uns hier und ein paar wenige, die sich vielleicht um dieses Thema bemühen, angeht. Vielmehr ist das eine Aufgabe, die jeden einzelnen angeht. Jeder einzelne
kann seinen kleinen Beitrag leisten. Kleine Beiträge summieren sich zu großen Wirkungen. Deshalb sollte man klar gegen die weitverbreitete Haltung angehen, daß der einzelne allein nichts tun könne. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel ist jeder gefordert, im Haushalt Energie einzusparen, das Auto öfter einmal stehenzulassen und mehr regionale oder zumindest heimisch angebaute Lebensmittel zu kaufen. Das sind alles Punkte, die eine Rolle spielen.
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Die F.D.P. setzt sich im übrigen für richtige Rahmenbedingungen ein, um die hohen bisher nicht erschlossenen Potentiale zu aktivieren. Dafür sind wir zuständig: Wie sollen die Rahmenbedingungen aussehen? Wie wollen wir auch das persönliche Handeln lenken? Das ist unsere Aufgabe, die wir hier zu erfüllen haben.
Deswegen ist die Entscheidung der Koalition richtig, in der EU eine Initiative zur Einführung eines höheren Mehrwertsteuersatzes auf den Energieverbrauch zu ergreifen.
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Das ist der Einstieg in die Umsetzung unserer Konzeption für mehr Arbeitsplätze, weniger Steuern und eine bessere Umwelt. Eine Integration von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen müssen wir in diesem Zusammenhang schaffen.
Eine ganz entscheidende Rolle beim Klimaschutz spielen natürlich die Kommunen. Sie setzen letztlich die Rahmenbedingungen für das Verkehrs- und Baugeschehen und auch für die Energieversorgung in ihrem Gebiet.
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Jetzt nenne ich wieder kleine Beispiele, die aber von erheblicher Bedeutung für das gesamte Potential an Einsparmöglichkeiten in diesem Bereich in der Bundesrepublik sind. Zu den möglichen Maßnahmen gehören zum Beispiel die konsequente Südausrichtung von Neubauten, um die Nutzung der Sonnenenergie zu ermöglichen, ein attraktives ÖPNV-Angebot mit dichten Taktzeiten, Busspuren, Rufbussen für ländliche Regionen, Anschluß neuer Wohngebiete und vieles mehr. Des weiteren gehören eine vernünftige Verkehrswegeplanung und integrierte Energieversorgungskonzepte bei der Planung und Erschließung von Bau- und Gewerbegebieten zu den Handlungsfeldern der Kommunen im Klimaschutz.
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Es gibt eine ganze Menge Dinge, die getan werden können.
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Diesen lokalen Agenda-21-Prozeß und die Initiativen, die es vor Ort gibt, in die eine ganze Menge Bewegung mit großem persönlichen Engagement hineinkommt, wird es hoffentlich bald flächendeckend geben. Sie leisten einen ganz wesentlichen Beitrag bei der Erschließung solcher Potentiale und bei der
Bildung von Bewußtsein. Auch das ist an dieser Stelle unheimlich wichtig.
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Es gäbe einiges zu dem Verkehrsbereich zu sagen. Darüber haben wir hier aber schon mehrfach diskutiert.
Ich will eine letzte Bemerkung über den Klimaschutz hinaus machen. Der Klimaschutz soll in New York nicht das einzige Thema sein. Wir müssen - da stimme ich mit der Ministerin überein - auch bei der Waldkonvention weiterkommen; denn die bisherige Entwicklung der tropischen und auch der borealen Wälder zeigt keine wesentliche Trendwende zum Besseren. Dabei kann es nicht um ein Verbot der Waldnutzung gehen, sondern es muß um eine kontrollierte, nachhaltige Waldbewirtschaftung, belegt durch ein Gütesiegel gehen.
Nachhaltige Entwicklung setzt auch faire Weltmarktbedingungen für die sich entwickelnden Länder sowie eine Klärung des Widerspruchs zwischen dem freien Welthandel und der Bekämpfung von Ökodumping und Ausbeutung voraus.
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Ich wünsche der Bundesregierung bei den Verhandlungen Erfolg und eine glückliche Hand und hoffe sehr, daß andere Länder, gerade auch europäische Partnerländer, uns bei der Verhandlungsführung entsprechend unterstützen.
Danke.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche hat die Weltbank einen Maßnahmenkatalog zur Vorbereitung der Sondergeneralversammlung veröffentlicht. Er stellt unmißverständlich fest, daß der „Ausstoß von Kohlendioxid in den entwickelten Ländern seit Rio um fast 25 Prozent in die Höhe geschnellt" ist und tropische Pflanzen und Vögel weiter mit einer hohen Rate verlorengehen. Er legt dar, daß Menschen weltweit durch Armut und Umweltzerstörung in ihrer Existenz bedroht sind.
Aber die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, beispielsweise Investitionen zur Luftreinhaltung und zum Wassermanagement, sind typisch für die gesamte Debatte um Umwelt und Entwicklung. Sie stellen mit keinem Wort die Art und Weise des Wirtschaftens in Frage; sie thematisieren nicht die wirklichen Ursachen von Umweltzerstörung, Armut und Abhängigkeit.
Obwohl Frau Merkel kürzlich feststellte, „daß eine wirklich spürbare Trendwende hin zu einer nachhaltigen Entwicklung leider noch nicht festzustellen ist", stellen weder sie noch Entwicklungsminister Spranger, noch andere Vertreter der offiziellen deutEva Bulling-Schröter
schen Politik den altmodischen Politikstil von sogenannter nachholender Entwicklung des Südens, Technologietransfer und Handelsliberalismus in Frage.
Statt dessen wird die „globale Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern" nebulös beschworen - und dies, obwohl sich seit Rio, laut „Human Development Report 1996", der Einkommensunterschied zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung in den letzten drei Jahrzehnten vom 30fachen auf das 60fache verdoppelt hat.
Für die 47 Least Developed Countries, also die Armsten der Armen, zeigt sich kein Ausweg aus dem Teufelskreis von Schulden, Armut und Abhängigkeit. Das Pro-Kopf-Einkommen dieser Länder ist nach Rio im Durchschnitt weiter gesunken. Ebenso sank im gleichen Zeitraum der Anteil dieser Länder am Welthandel von 0,6 auf 0,2 Prozent.
Daß es nicht zu einem tatsächlich strategischen Ansatz zur Lösung der globalen Umwelt- und Armutsprobleme kommt, hat weniger mit Politikversagen als mit den klaren Profitinteressen der kapitalkräftigen Unternehmen der Industrieländer und ihrem globalen Herrschaftssystem zu tun.
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Denn diese Interessen sind auf die totale zeitliche und räumliche Verfügbarkeit von Ressourcen gerichtet, und zwar zu möglichst niedrigen Kosten, seien es Rohstoffe, genetische Ressourcen oder menschliche Intelligenz. Reduktionen beim Ausstoß bestimmter Gift- und Gefahrenstoffe, seien es Schwefeldioxid, Stäube oder FCKW, sind in den Industrieländern Realität, allerdings eine Realität, bei der mit staatlichen Reglements in erster Linie bei den Emissionen des Produktionsausstoßes angesetzt wird.
Beim Input aber, bei den Millionen Tonnen Ressourcen, welche der kapitalistische Produktionsprozeß täglich in sich hineinsaugt, gelten letztlich allein der Markt und seine Verwertungsgesetze.
Die „Öko-Effizienz-Initiative" der EU zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität, für die die deutsche Umweltministerin auf der Sondergeneralversammlung werben will, ignoriert ebenfalls wesentliche Ursachen der Nichtnachhaltigkeit. Um den bekannten Faktor 4 soll sich die Ausbeute an Waren und Dienstleistungen je Material- und Energieeinheit erhöhen. Die Verdoppelung der Produktion bei halbiertem Ressourcenverbrauch ist eine Vision, die weniger Umweltzerstörung und trotzdem Arbeit und Wohlstand verspricht.
Doch die Geschichte des Kapitalismus ist die Geschichte unablässiger Effizienzrevolutionen. Diese Abfolge von Innovationsschüben zur Senkung des spezifischen Material- und Energieverbrauchs hat allerdings auf scheinbar wundersame Weise sowohl den Ressourcenverbrauch als auch die Arbeitslosigkeit global beschleunigt anwachsen lassen und nicht reduziert.
Es ist deshalb nicht sehr überzeugend, wenn gesagt wird, daß staatliche Programme zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität den Trend umkehren sollen. Auf der internationalen Ebene werden diese Mechanismen nicht thematisiert. Im Gegenteil, die wichtigsten Rahmenbedingungen werden durch die Regierungen neu gesetzt. Sie entwickeln sich hin zu einem ungezügelten Markt.
Die Politik beschränkt selber ihren Handlungsspielraum für ökologisch und sozial dringend gebotenes Eingreifen. Maastricht oder die WTO sind dafür exemplarisch. Aber auch die Agenda 21 selbst verzichtet auf eine kritische Analyse.
In der Präambel wird auf Armut, Hunger, Krankheit und verfallendes Gemeinwohl hingewiesen. Gleichwohl wird in Kapitel 2 der Agenda 21 das klare Ziel der verbesserten Funktionalität der Rohstoffmärkte aufgestellt, die ungleichen multilateralen Handelsbeziehungen werden in ihrer Funktion bestätigt, und Freihandel wird gepredigt. Wirtschaftswachstum wird als Stütze des Umweltschutzes festgeschrieben und der Umweltschutz als Stütze des Wirtschaftswachstums definiert.
Daran wird auch in den vorliegenden Anträgen von Koalition und SPD nicht gerüttelt. In diesem Licht sind die Erwartungen an die Ergebnisse der Verhandlungen der Sondergeneralversammlung in New York zu betrachten.
Nichtsdestotrotz ist die Bundestagsgruppe der PDS der Auffassung, daß die Sondergeneralversammlung die Chance bietet, wenigstens politische Impulse zu geben, um die gegenwärtige Stagnation und Blokkade bei der Bewältigung der Umwelt- und Entwicklungsaufgaben zu überwinden.
Dementsprechend finden Sie in unserem Entschließungsantrag auch die Forderungen des Forums der deutschen Nichtregierungsorganisationen „Umwelt und Entwicklung" an die bundesdeutsche Delegation zur Tagung in New York.
Danke.
({1})
Ich erteile jetzt dem Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sollte in diesem Zusammenhang noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Konferenz nicht Konferenz für Umwelt heißt, sondern Konferenz für Umwelt und Entwicklung. Dieser entscheidende Zusammenhang muß der deutschen Öffentlichkeit, vielleicht aber auch den parlamentarischen Gremien immer wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden; denn dieser Punkt ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil ohne Entwicklung, zum Beispiel auch ohne sachgerecht angewandte Technologie, kein wirklich ausreichender Umweltschutz stattfinden kann und weil ohne die Entwicklung in den Partnerländern des Südens und des
Ostens - darauf werde ich gleich zurückkommen - keine Bewahrung der Umwelt gegeben ist.
Bei meinen letzten Ausführungen hier hatte ich bereits darauf hingewiesen, daß im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Poster mit der Aufschrift „Der Tropenwald ist weit weg, aber nicht mehr lange" hängt.
Was soll dieses Bild beschreiben? Wenn wir nicht in der Lage sind, der Umweltzerstörung in den Tropenwaldgebieten, aber auch in den borealen Wäldern Einhalt zu gebieten, werden in der Tat diese Wälder bald nicht mehr weit weg sein, weil es sie nicht mehr gibt.
Dies ist eine Herausforderung auch für die deutsche Politik. Deshalb, lieber Kollege Müller, habe ich Ihren Hinweis in der Pressemitteilung - Sie haben ihn hier nicht expressis verbis wiederholt - nicht ganz verstanden, als Sie sagten - wahrscheinlich mit einem kritischen Unterton -, daß erst die Hälfte der Mittel, die wir im Rahmen unserer Tropenwaldprogramme zugesagt haben, ausgezahlt sind. Dies ist tendenziell richtig. Aber ich glaube, wir sind beide der Auffassung, daß natürlich nur für solche Waldprogramme Gelder ausgegeben werden sollen, die wirklich der nachhaltigen Entwicklung, der nachhaltigen Nutzung und dem nachhaltigen Schutz dieser Wälder dienen, daß also das Geld nicht für irgendwelche Projekte verwendet wird, nur damit das Geld ausgegeben worden ist.
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Deshalb hier der Hinweis: Wir geben jedes Jahr zwischen 230 und 300 Millionen DM alleine für die Waldprogramme, hier schwerpunktmäßig für die Tropenwaldprogramme, aus. Ich meine, das ist ein Haufen Geld. Ich möchte weiterhin darauf hinweisen, daß es 180 Projekte alleine unseres Ministeriums in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Osten und im Süden gibt, wo wir darauf ausgerichtet sind, einen Beitrag zum Schutz der Wälder zu leisten.
Das reicht von Projekten wie der Demarkierung von Indianerschutzgebieten in Brasilien, um dort der eingeborenen Bevölkerung die Chance zu geben, wenigstens einigermaßen das Leben so zu führen, wie sie es selbst in eigener freier Selbstbestimmung tun wollen, über den Aufbau einer forstwirtschaftlichen Fakultät in Samarinda in Kalimantan in Indonesien, die die Voraussetzung dafür bildet, daß genügend Fachkräfte und genügend qualifizierte Forstwirte vorhanden sind, um eben den Wald schützen zu können, bis hin zur Rechtsberatung in Indien, um die Forstgesetzgebung auf den richtigen Weg zu bringen. Ohne einen legalen fachlichen Rahmen ist es nicht möglich, unsere Wälder - das gilt nicht nur in Deutschland, wie wir wissen, sondern weltweit - zu bewahren.
Nun noch ein weiterer Hinweis, wobei ich auch bei der Pressemeldung des umweltpolitischen Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion anknüpfe.
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- Ich teile die Auffassung, lieber Wilhelm Schmidt, daß es sich bei Herrn Müller um einen hochqualifizierten Kollegen handelt.
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- Wenn es schon wahr ist, muß es auch gesagt werden.
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- Und das aus meinem Mund.
Ich verweise aber hier darauf, daß ich mit Ihnen gemeinsam bedauere, daß wir uns Schritt für Schritt ständig weiter von dem berühmt-berüchtigten 0,7Prozent-Ziel entfernen.
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Aber wir müssen auch ehrlich miteinander umgehen. Wir können nicht folgendes tun: für höhere Haushaltsansätze plädieren und, wenn möglicherweise höhere Haushaltsansätze nur dadurch finanziert werden können, daß die Kreditaufnahme erhöht wird, dann gleichzeitig beklagen, daß hier angeblich Schuldenmacherei betrieben wird. Dieses Doppelspiel möchte ich nicht mitmachen. Es ist niemandem damit gedient, daß wir gegenüber unseren Bürgern den Eindruck erwecken, als wäre beliebig Geld vorhanden und könnten Haushaltsansätze wunschgemäß erhöht werden.
Ein letztes Wort. Die Hauptursache für die katastrophalen fortschreitenden Umweltzerstörungen auf dieser Welt ist nach wie vor die Armut. Menschen, die nichts zu verlieren haben, die tagtäglich für das eigene Überleben kämpfen, werden nicht den Umweltschutz, die Reinhaltung von Wasser, Luft und Böden und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen dieser Erde als die Priorität ihres Lebens ansehen. Deshalb ist es die entscheidende Aufgabe - dieses Signal sollte auch von der Konferenz in New York ausgehen -, daß wir die Solidarität zwischen den Völkern verstärken und daß wir nicht nur von ihr reden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Mathias Schubert, SPD- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben schon auf den Stillstand des Rio-Prozesses hingewiesen und einige der vielfältigen Gründe dafür erwähnt. So wahr das ist, so müssen wir uns allerdings auch klarmachen, daß es falsch wäre, zu behaupten, der Rio-Gipfel hätte entwicklungspolitisch überhaupt nichts gebracht. Vor allem auf parlamentarischer Ebene im Bundestag gibt es ein beachtliches Maß an Übereinstimmungen über entwicklungspolitische Grundsätze etwa zur Bedeutung der Armutsbekämpfung, zu DemokratiDr. Mathias Schubert
sierungsprozessen, zur Rolle von Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Strukturen, zur Rolle der Frauen usw. Ich nenne hier nur ein paar Beispiele. Unbestritten ist auch die Einsicht, daß eine nachhaltige Entwicklung nur unter Beachtung des Zusammenhanges von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Komponenten möglich ist.
Wenn diese Sicht der Dinge richtig ist, dann erhebt sich die Frage, warum in der Öffentlichkeit die Schritte hin zu einer globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik überwiegend als erfolglos charakterisiert, in vielen Fällen Stagnation und in manchen sogar Rückschritt festgestellt werden. Es ist natürlich legitim, dabei auf die unterschiedlichen internationalen Interessenlagen hinzuweisen. Doch dieser Schluß ist so lange zu schnell gezogen, solange es innerhalb der eigenen deutschen vier Wände gravierende Probleme gibt. Eines der schwerwiegendsten dieser Probleme ist dabei, daß es innerhalb der Bundesregierung keine wirklich integrative oder kohärente ressortübergreifende Politik gibt, innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit das Prädikat „Querschnittsaufgabe" wirklich verdiente.
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Die Bundesumweltministerin hat in ihrer Rede in diesem Parlament am 20. März dieses Jahres das für ihr Ressort sehr ausdrücklich zum Ausdruck gebracht und uns Abgeordnete aufgefordert, die ökologische Dimension von Politik stärker in das Blickfeld unseres Handelns und unserer Entscheidungen zu rükken. Sie hat das heute wiederholt.
Ein solcher Appell von Herrn Minister Spranger ist überfällig und dringend notwendig; denn er würde Entwicklungszusammenarbeit als Querschnittsaufgabe nicht nur rhetorisch, sondern möglicherweise auch faktisch innerhalb der Bundesregierung aufwerten. So aber bleibt es bei dieser unkoordinierten Politik der Konkurrenz zwischen den Ressorts, durch die wegweisende Ansätze oftmals neutralisiert werden, bevor sie hinreichend konkrete Gestalt annehmen konnten.
Auf diesem Niveau verkümmert Entwicklungspolitik zum bloßen Reparaturbetrieb. Sie verharrt in der Agonie eines ungeliebten Anhängsels zur Beruhigung eines nicht ganz reinen politischen Gewissens.
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Die Folgen dieser Politik sind schwerwiegend. Die integralen Konzepte zur nachhaltigen Armutsbekämpfung, zur Hilfe zur Selbsthilfe, zur Unterstützung von Demokratisierungsprozessen, zur Stärkung von Zivilgesellschaften und zur Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie in der Agenda 21 vereinbart sind, werden durch ein gleichzeitiges wirtschaftspolitisches Handeln unter dem Diktum des Neoliberalismus faktisch korrumpiert. Das sehen zunehmend auch unsere Partnerländer in der Dritten Welt so.
Es wird zum Beispiel ein Streit darüber geführt, ob weltweit soziale und ökologische Mindeststandards verbindlich eingeführt werden sollen. Der Wirtschaftsminister lehnt das strikt ab. Er verweist auf politische und wirtschaftliche Eliten in Entwicklungs- und Schwellenländern, die ihre komparativen Standortvorteile gefährdet sehen. Abgesehen davon, daß vor allem in Ländern mit ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Strukturen von Vertretern der politischen Basis ganz andere Auffassungen zu hören sind, stellt sich für uns ernsthaft die Frage, was unsere Projekte zur Armutsbekämpfung, zur Bildung, zur Gesundheitsfürsorge, zum Umweltschutz, zur Erhaltung der Artenvielfalt usw. andere sind als auch Wege zur nachhaltigen Hebung von sozialen und ökologischen Standards in Entwicklungsländern,
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mithin in der Optik des Wirtschaftsministers Versuche, komparative Vorteile aufzuheben.
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Ein weiteres Beispiel: die Klimarahmenkonvention. Es ist bekannt, daß die CO2-Emissionen weltweit von Jahr zu Jahr steigen. Bei uns stagniert der Anstieg weit vor dem anvisierten Ziel einer 25prozentigen Senkung.
Auf der anderen Seite proklamiert die Bundesrepublik die Notwendigkeit, in alternative, innovative Energien und umweltschonende Technologien zu investieren und sie auch in Entwicklungsländer zu transferieren.
Wenn dies richtig ist, wenn weiterhin zu glauben ist, daß wir außerdem nach innen ein wirtschaftspolitisches Standortproblem haben, wenn zudem der Transfer solcher Technologien in Entwicklungsländer notwendig ist und wenn schließlich auch klar ist, daß es ein entwicklungspolitisch wichtiges Ziel ist, die Energie- und Rohstoffgewinnung in diesen Ländern zu ökologisieren, dann fragt man sich doch langsam, warum die Bundesregierung gerade hier forschungspolitisch unzureichend handelt und es an wirksamen wirtschaftspolitischen Initiativen fehlen läßt.
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Auch hier gibt es wieder diese unkoordinierte Politik, die nur allzuoft Chancen vertut, bevor sie richtig greifen können.
Schließlich ein paar Bemerkungen zu dem berühmten 0,7-Prozent-Ziel, über das man wirklich ernsthaft streiten kann; das will ich nicht in Abrede stellen. Sicher steht vor der Quantität der qualitative Aspekt der effizienten Verwendung der vorhandenen Gelder. Dieses Ziel ist zum Symbol für eine verläßliche, berechenbare und nachhaltige Entwicklungspolitik der Bundesrepublik geworden. In der internationalen Öffentlichkeit gilt weiterhin die Zusage der Bundesregierung, dieses Ziel stufenweise zu erreichen. Doch der Haushalt des BMZ wird immer mehr als Steinbruch zum Auffüllen anderer Haushaltslöcher mißbraucht.
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Damit wird nach innen die Arbeit der entwicklungspolitischen NGOs einschließlich der Kirchen
destabilisiert. Das wirkt sich natürlich auf deren Projekte in den Entwicklungsländern aus.
Das hat aber insbesondere negative Auswirkungen auf die Qualität unserer hiesigen entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, zum Beispiel auf das Ziel, antizipatorisches Lernen einzuüben, letztlich auf die Veränderung von Verhaltensweisen. Tendenzen der Entsolidarisierung von der Dritten Welt werden so unterstützt.
Aus der Sicht der Entwicklungsländer wird langsam, aber hörbar artikuliert, daß durch eine solche Politik die internationale Reputation der Bundesrepublik möglicherweise Schaden nehmen könnte. Denn deutsche Entwicklungspolitik wird immer unkalkulierbarer.
Vor allem fragen sich immer mehr Menschen der Dritten Welt, warum sie etwa ihre Umwelt schützen und dabei möglicherweise wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen sollen, während das internationale Schwergewicht Bundesrepublik Deutschland entwicklungspolitisch immer mehr abspeckt und das Prinzip einer nachhaltigen und kohärenten Entwicklungszusammenarbeit in der eigenen Politik trotz gegebener Zusagen und des Bekenntnisses zur globalen Verantwortung nicht umsetzen will oder auch nicht umzusetzen in der Lage ist.
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Zum Schluß: Vielleicht - ich hoffe das sehr, wie ich vermute, mit Ihnen allen - schafft es die internationale Staatengemeinschaft in zwei Wochen in New York, die bislang unerledigten Herausforderungen verbindlich zu verabreden. Vielleicht wird die Bundesregierung in New York Versprechungen abgeben und sich bemühen, diese durch ernsthafte kohärente Politik zu erfüllen, wie das Frau Merkel vorhin angekündigt hat. Ich will das gern glauben - aber erst in anderthalb Jahren.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Flut an Dokumenten zu Rio und zu all den anderen internationalen Konferenzen hat eines gezeigt: Die Welt verbessert sich nicht, indem man über ihren Zustand spricht oder ihn auf Papier beschreibt. Alle Abschlußdokumente der verschiedenen Konferenzen ähneln sich. Das heißt, es gibt einen zunehmenden globalen Grundkonsens hinsichtlich der drängenden Probleme zum Ausgang dieses Jahrtausends, und dies ist positiv zu vermerken.
Allein der Wille zur Umsetzung von Problemlösungsschritten ist nicht vorhanden. Ich werfe der Bundesregierung vor, den Motivationsschub, den die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio mit sich brachte, nicht genutzt zu haben.
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Die erhoffte Trendwende hin zu einer nachhaltigen Entwicklung und hin zur Armutsbekämpfung ist Illusion geblieben; die Umwelt- und Entwicklungspolitik befindet sich in einer Warteschleife. Umweltpolitik wird als Luxusveranstaltung sozusagen für bessere Zeiten aufgespart, und die Entwicklungszusammenarbeit wird ganz offensiv in den Dienst der Standortrettung gestellt.
Dies ist geradezu lächerlich, wenn man bedenkt, daß der Entwicklungshilfeetat dieser Bundesregierung niedriger ist als die jährliche Kohlesubvention in Deutschland, niedriger ist als die Subventionen, die die EU 1996 für Milch und Milchprodukte zahlte. Diese Politik ist angesichts der Tatsache gefährlich und unverantwortbar, daß 840 Millionen Menschen hungern, daß 540 Millionen. Frauen weder lesen noch schreiben können, daß 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind oder daß jährlich 17 Millionen Hektar tropischen Regenwaldes - das entspricht der Größe Tunesiens - zerstört werden.
Die internationale Staatengemeinschaft hat es trotz öffentlich zelebrierter Versprechung in Rio nicht vermocht, den weltweiten Anstieg der Armut zu verhindern. Die absolute Zahl hat zugenommen. Über 1,3 Milliarden Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Dies ist nicht länger zu verantworten.
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Es ist eine Schande, daß Herr Bundesminister Spranger nur 14,5 Prozent des Entwicklungshilfeetats für die selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung bereitstellt. Ich fordere Herrn Bundesminister Blüm auf, das auf dem Sozialgipfel in Kopenhagen gegebene Versprechen, 20 Prozent der bilateralen Entwicklungshilfe zur Bekämpfung von Armut einzusetzen, gemeinsam mit Herrn Spranger am Kabinettstisch durchzusetzen. Was Armutsbekämpfung nach Rio angeht, fahren der Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär Hedrich, jedenfalls mit fast leeren Händen nach New York. Daß es heute 89 Staaten dieser Welt wirtschaftlich schlechter als vor zehn Jahren geht, ist der schlagkräftige Beweis des Nichtstuns.
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Frau Merkel, Sie sagten zum Schluß Ihrer Rede, Sie brauchten ein starkes Auftreten in New York. Meine Fraktion unterstützt Sie darin, indem wir heute einen Entschließungsantrag vorgelegt haben, der Ihnen, wenn Sie ihn sorgfältig lesen, zeigen wird, daß er wirklich der beste ist, der heute vorliegt.
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Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Ich bitte
Sie, Frau Ministerin Merkel und Herr Staatssekretär
Hedrich, ihn in Ihr Reisegepäck nach New York mitzunehmen und sich im Sinne unserer Anregungen und Forderungen in New York einzusetzen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mir erlauben, einige Anmerkungen zur Diskussion und zu denen, die hier in der Diskussion geredet haben, zu machen.
Ich sage vorweg: Ich bin über die Einführung des Kollegen Müller sehr froh, weil ich ihm abnehme, was er gesagt hat, daß er nämlich die Gemeinsamkeit in vielen Punkten bei allen ansonsten sicherlich notwendigen unterschiedlichen Meinungen der einzelnen Fraktionen wünscht, damit wir auf dieser Konferenz einen Schritt weiterkommen. Es muß deutlich werden, daß es eine gewisse Geschlossenheit auch in diesem Hause gibt, um in New York Erfolge zu erzielen, genauso wie wir durch eine - ich sage es einmal vorsichtig - relativ geschlossene Haltung sowohl in Rio als auch in Berlin Erfolge erzielen konnten.
Hierbei müssen wir ganz deutlich sehen, daß gerade Umweltschutz international nach wie vor nicht den Rang hat, der ihm zukommt.
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Alle Institutionen der UN sind wesentlich stärker auf wirtschaftliche Entwicklung - GATT/WTO ist fest verankert - als auf die Sicherung des Umwelt- und Entwicklungsprozesses ausgerichtet.
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Wir müssen uns bei den Institutionen gemeinschaftlich dafür einsetzen, daß der Umweltschutz fester verankert und global gestärkt wird. Das ist im Sinne des Club of Rome, und das ist - das kann ich hier ganz eindeutig sagen - nicht nur erklärtes Ziel der Bundesregierung, sondern die Bundesregierung hat in diesem Bereich vieles international angeschoben und auch viel erreicht. Daß sie weiterhin an dieser Zielsetzung arbeitet, ist erforderlich; wir müssen aber auch ganz deutlich sehen - gerade bei den Beiträgen der Grünen klingt das immer wieder an -: Wir sind ein Land von 180. Ich stelle vielfach fest, daß die Grünen den Eindruck erwecken wollen - so zum Schluß Frau Eid -, als ob die Bundesrepublik Deutschland 179 anderen Staaten diktieren könnte, was zu tun sei. Wir können argumentieren; wir können Anschübe geben. Das tun wir sowohl in der Umweltpolitik wie auch in der Entwicklungshilfepolitik.
({2})
Wenn Sie sich einmal international umhören, werden Sie feststellen, daß die anderen Nationen die deutsche Vorreiterrolle im internationalen Umweltschutz nicht nur anerkennen und respektieren, sondern zufrieden darüber sind, daß diese Position von der Bundesrepublik Deutschland so nachhaltig vertreten wird und daß die Bundesrepublik Deutschland insbesondere im Entwicklungshilfebereich Armutsbekämpfung mit dem Gedanken nachhaltiger Entwicklung und dem Gedanken, auch mit dem Umweltschutz Erhebliches zu erreichen, verknüpft.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Brecht?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege, Sie haben die deutsche Vorreiterrolle der Bundesrepublik im Bereich des internationalen Umweltschutzes und der Entwicklungshilfe erwähnt. Darf ich Sie fragen, ob Sie den geplanten Rückzug aus einer als vorbildlich empfundenen Umweltorganisation und Entwicklungshilfeorganisation in einem - nämlich der UNIDO - als Beispiel für diese Vorreiterrolle sehen?
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie müssen ganz einfach sehen, daß wir Diskussionsprozesse brauchen, um dort, wo es Unzuträglichkeiten gibt, Anstöße zu geben, wieder den richtigen Weg zu beschreiten. Wir können doch nicht unkritisch alle Entwicklungen in diesem Bereich hinnehmen, akzeptieren und ganz einfach beiseite stellen.
({0})
Insofern, sehr geehrter Herr Kollege, kann ich Ihnen nicht recht geben.
Erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage?
Ja.
Wunderbar.
Herr Kollege, ich möchte Sie um eine Interpretation des Begriffes „unkritisch" bitten, nachdem die UNIDO von Arthur D. Little evaluiert worden ist, nachdem sie von den Dänen evaluiert worden ist und nachdem selbst der Bundesrechnungshof ihr ein hervorragendes Zeugnis ausstellt.
({0})
Den Zwischenruf habe ich jetzt nicht verstanden.
({0})
- Das weise ich, Herr Kollege, mit Entschiedenheit zurück. Ich meine, daß wir unsere eigenen Vorstellungen, was eine konzertierte Vorgehensweise angeht, im Zusammenhang betrachten müssen, und halte deshalb die geplante Vorgehensweise nach wie vor für richtig. Das kann man nicht separieren; das muß man im Zusammenhang sehen. Daran halte ich fest.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch den Gedanken der Kollegin Hustedt aufgreifen, daß sich Handeln nämlich nicht nur im internationalen Bereich erweisen müsse, sondern wir unsere Schulaufgaben auch zu Hause machen müßten. Wenn wir das Beispiel Klimaschutz ansprechen, dann müssen wir sehen, daß die Bundesrepublik Deutschland mehr als 130 Maßnahmen eingeleitet hat - wesentlich mehr als jedes andere vergleichbare Industrieland. Wir sind - auch wenn Sie es bestreiten
- diejenigen, die es erreicht haben, daß wir einen Rückgang der CO2-Emissionen haben.
({2})
Wir sind diejenigen, die es erreicht haben, daß wir einen geradezu dramatischen Rückgang der anderen klimarelevanten Gase feststellen können. Kaum eine andere Nation ist so schnell aus den Fluorchlorkohlenwasserstoffen ausgestiegen wie die Bundesrepublik Deutschland. Sie wissen wie ich, daß wir diejenigen sein werden, die gerade im Bereich der anderen
- also neben Kohlendioxid - klimarelevanten Gase eine Reduktion von über 50 Prozent erreichen, was weltweit eine vergleichbare Entwicklung sucht. Sie sollten das einmal akzeptieren, damit für die jungen Menschen draußen deutlich wird, daß Politik in Deutschland nicht nur redet, sondern auch handelt.
({3})
Daß wir trotzdem, Frau Kollegin Hustedt, das Ziel, das wir 2005 erreichen wollen, 1998 noch nicht erreicht haben werden, ist zum einen damit zu erklären, daß wir bis zum selbstgesteckten Ziel noch sieben Jahre Zeit haben - ich unterstreiche noch einmal, daß wir hinsichtlich des Kohlendioxids an einer Reduktion um 25 Prozent festhalten -, und zum anderen damit, daß wir selbstverständlich weitere Maßnahmen implementieren werden.
({4})
- Wir haben Ihnen gesagt, daß das ein Stufenprozeß ist, und wir werden entsprechende Initiativen ergreifen, um zum Beispiel im Bereich des Altbaubestandes weitere Maßnahmenpakete auf den Weg zu bringen, um Anreize zu schaffen, Energieeinsparungen im Altbaubestand zu erreichen, und dafür auch entsprechende Mittel vorsehen, damit wir auf diesem erfolgreichen Wege weiter vorangehen.
Ich sage auch, daß wir entsprechend initiativ werden - die Vorbereitungen sind jetzt sehr weit gediehen -, um aus der Wärmeschutzverordnung eine Energieeinsparverordnung zu machen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies dann auch begrüßen würden und uns auf diesem Weg konstruktiv begleiten würden, statt immer wieder nur Kritik zu äußern.
Ich sage also noch mal ganz deutlich: Wir haben gehandelt, wir handeln, und wir werden diesen Weg ganz entschieden weiter fortsetzen. Wenn Sie sehen, was wir im Bereich nachhaltiger Politik in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit Produktverantwortung gemacht haben, zum Beispiel Altautoverwertung, daß wir die anderen Recyclingprozesse auf den Weg gebracht und Vermeidung intensiviert haben, dann wissen Sie, daß es kein Land gibt, das uns in diesem Handeln überholt hätte oder in absehbarer Zeit überholen würde.
Hier ist vielfach die Frage des Wirtschaftswachstums und nachhaltiger Entwicklung angesprochen worden. Ich glaube schon, daß wir einen Weg finden müssen, um Wirtschaftswachstum mit nachhaltiger Entwicklung zu verbinden, keine Gegensätze zu konstruieren. Denn wir müssen natürlich das, was es an Armut in den Ländern der Dritten Welt gibt, beseitigen. Ich glaube, das geht nicht, indem wir Wirtschaftswachstum jetzt undifferenziert abbauen, sondern nur, indem wir mit einem gezielten nachhaltigen Wirtschaftswachstum dazu beitragen, daß wir diese Armutsschwellen überwinden können.
Das geht, indem wir auch eine klare Haltung zu neuen Technologien einnehmen, mit Hilfe neuer Technologien Entwicklungen auf den Weg bringen, die die Ernährung der Menschheit sicherstellen, uns gegen neue Technologien nicht sperren, das heißt, nicht auf der einen Seite auf Innovationskongressen die Einführung von Technologien fordern, die wir in selbstregierten Bundesländern dann auf der anderen Seite blockieren. Man muß dann auch schon sehen, daß man über Bio- und Gentechnologie nicht nur dort reden kann, wo man auf dem Kongreß gerade etwas Positives sagen will, sondern man muß sie auch hinterher dort, wo man Verantwortung trägt, im eigenen Bundesland, umsetzen. Dies ist ein Bereich, bei dem ich Sie bitten würde, Ihre Haltung noch einmal zu überdenken. Hier sind Ansatzpunkte, an denen wir mit neuen Technologien Entwicklungen einleiten können, die nachhaltiges Wachstum ermöglichen.
Daß wir Verhaltensänderungen brauchen, darauf will ich nur in einem Nebensatz verweisen, weil dies sicherlich eine Voraussetzung sein wird, aber weil wir auch erkennen müssen, daß Verhaltensänderungen bei Menschen nur sehr langsam zu erreichen sind. Wir können im Umweltschutz nicht zuwarten, bis wir diese Verhaltensänderung erreicht haben, sondern das, was bis dahin getan werden kann - Entkoppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum, Entkoppelung des Flächenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum, Entkoppelung des Verbrauchs anderer Stoffe vom Wirtschaftswachstum -,
Dr. Klaus W. Lippold ({5})
müssen wir tun. Daran arbeiten wir in verschiedenen Kommissionen gemeinsam. Dann sollten wir auch in diesem Punkt die Gemeinsamkeiten betonen und nicht das, was uns in der einen oder anderen Auseinandersetzung trennt.
Lassen Sie mich auch noch etwas unter einem anderen Aspekt sagen, der mir hier etwas zuwenig anklang: Hier wurde nur die Tropenwalddebatte geführt, aber nicht darauf hingewiesen, wie schwierig es ist, in diesem Bereich Umsetzungen zu erzielen. Die Bundesregierung gehört zu den Staaten, die in, wie ich meine, vorbildlicher Weise mit Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten - eine Position, die Sie bei anderen Regierungen in vergleichbarer Form nicht finden.
Das ist ein Weg, der nicht einfach zu gehen ist, mit dem wir es uns aber erlauben, den Sachverstand, der in der lokalen Bevölkerung vorhanden ist, für unsere Vorhaben einzubinden. Ich glaube, daß dies ein Weg ist, der in gleicher Weise positiv herausgehoben werden muß, weil es erstens nur so möglich sein wird, die Projekte qualitativ so auf den Weg zu bringen, daß sie wirklich zur Walderhaltung beitragen, zweitens aber auch dafür zu sorgen, daß wir auf diesem Weg schneller zu Ergebnissen kommen als ohne die Einbindung von Nichtregierungsorganisationen.
Wir werden uns in diesem Zusammenhang noch einmal ganz nachhaltig dafür einsetzen, daß es nicht nur im Bereich Klima, sondern auch im Bereich der Erhaltung der Artenvielfalt Erfolge gibt. Wir haben gerade zu „hot spots" einen Antrag eingebracht, sprich dazu, daß wir die besonders artenreichen Gebiete der Welt mit einer Initiative stützen wollen, daß wir in Kerngebieten, in denen der maximale Artenreichtum gegeben ist, wirklichen Schutz gewährleisten wollen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Vorstellungen, die wir hier gemeinschaftlich mit Wissenschaftlern sowie deutschen und auch internationalen Nichtregierungsorganisationen entwickelt haben, unterstützen würden.
Ich sage das auch deshalb, weil wir in der Frage des Klimaprozesses vielleicht noch die Möglichkeit haben, zu einem etwas späteren Zeitpunkt weltweit korrigierend einzugreifen. Aber die Entwicklung im Artenschutzbereich ist irreversibel. Die Arten, die zerstört sind, werden wir nicht wiedergewinnen können. Wenn wir die Entwicklung hier treiben lassen, dann haben wir innerhalb weniger Jahre nichts mehr, was zu schützen wäre.
Deshalb ist es notwendig, daß wir hier schneller handeln und rascher zu Ergebnissen kommen. Ich danke der Bundesregierung, daß sie uns auf diesem Weg begleitet und dabei ist, jetzt wiederum entsprechende Initiativen anzugehen und gemeinschaftlich mit uns umzusetzen.
Ich glaube, daß wir in dieser Hinsicht in der Politik der Bundesrepublik ebenso Akzente gesetzt haben wie in der internationalen Politik. Wir werden diesen Weg ganz konkret durch Maßnahmen in dem einen oder anderen Bereich weiterentwickeln. In fünf Jahren werden wir dann, so glaube ich, nicht sagen müssen, daß wir nicht weiter vorangekommen sind. Was wir in Deutschland, in der Europäischen Union und im internationalen Bereich tun können, werden wir tun. Dabei sind wir auf einem guten Wege.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marion Caspers-Merk, SPD- Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Nachhaltigkeit ein Marathonlauf ist, zu dem in Rio der Startschuß gegeben wurde, legen wir jetzt nach fünf Jahren in New York eine erste Zwischenetappe ein. Dies ist ein Wettlauf gegen globale Trends und gegen die Zeit. Erst unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen werden entscheiden, ob wir diesen Wettlauf gewonnen haben. Denn Nachhaltigkeit ist für uns eigentlich der einzige Zukunftspfad, der uns bleibt, wenn wir uns die globalen Risiken ansehen, und stellt die einzige Chance dar, wenn wir die globalen Herausforderungen annehmen wollen.
({0})
Wir glauben, daß wir in New York wirklich einen neuen Anstoß brauchen. Frau Dr. Merkel, Sie werden uns an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, auf dieser Sondergeneralversammlung auf alle Forderungen konkrete Ergebnisse zu erreichen. Sie werden uns an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, eine Waldkonvention einzufordern. Sie werden uns auch an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, im Abschlußdokument deutlich zu machen, daß das Thema Artenvielfalt endlich richtig umgesetzt werden soll.
Wir werden Sie ermutigen, eine deutliche Initiative für ein hartes Klimaprotokoll zu ergreifen. Unsere Anträge sind ja, was den internationalen Teil angeht, im Kern nicht unterschiedlich. Wir gehen vielleicht noch ein Stück weit über das, was Sie fordern, hinaus, wenn wir zum Beispiel Initiativen für eine internationale Bodenkonvention einfordern.
Sie haben uns auch an Ihrer Seite, wenn es darum geht, das Thema Ökoeffizienz und Faktor 4 in das Abschlußdokument einzufügen - ich weiß, daß das derzeit noch schwierig ist -, und wenn es darum geht, die Agenda 21 in allen ihren Teilen umzusetzen.
Aber, Frau Dr. Merkel, wir möchten gerne erhobenen Hauptes nach New York gehen können.
({1})
Dazu gehört, daß man auf internationaler Ebene nur das einfordern kann, was man national selber vorlebt.
({2})
Was antworte ich denn dem Vertreter des Staates Bangladesch, wenn er mich fragt, warum wir die Nutzung erneuerbarer Energien von ihm einfordern
angesichts dessen, daß er nur ein Achtzigstel unseres Energieverbrauchs hat und wir gleichzeitig in unserem Energieverbrauch und in der Art, wie wir Energie erzeugen, weitermachen wie bisher?
({3})
Was antworte ich unseren europäischen Freunden, wenn sie fragen, woran es liegt, daß in Europa fast zwei Drittel aller Kommunen schon lokale Agendaprozesse durchgeführt oder angestoßen haben und wir bei mageren 10 Prozent stehengeblieben sind? Was antworte ich nicht zuletzt den Amerikanern - wir wissen ja, daß sie die absoluten Bremser beim Thema Klimaschutz sind -, wenn sie uns vorwerfen, daß wir unser Klimaschutzziel wie eine Monstranz vor uns hertragen, aber im eigenen Land eigentlich nur die Dividende für den wirtschaftlichen Zusammenbruch Ostdeutschlands abfeiern?
({4})
Natürlich werde ich mich auf internationalen Konferenzen immer auf die Seite einer fortschrittlichen Politik stellen. Aber für uns ist wichtig, daß wir diese Glaubwürdigkeitslücke endlich schließen. Deshalb möchten wir von Ihnen wissen - denn nach New York geht die innenpolitische Debatte weiter -: Was tun Sie ganz konkret, um eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie in der Bundesrepublik Deutschland zu verankern? Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die einen Umweltplan umfaßt, muß zur Chefsache gemacht werden.
({5})
- Jetzt wird mir zugerufen: „Kommt drauf an, wer der Chef ist". Wir werden das hoffentlich bald ändern.
Es ist für mich als Umweltpolitikerin unerträglich, wenn Sie als Umweltministerin gestern einen Leitfaden für den kommunalen Klimaschutz vorstellen - sehr lobenswert -, man von Ihnen gleichzeitig aber kein Veto hört, wenn es um das Energiewirtschaftsgesetz geht. Damit wird den Kommunen jede Möglichkeit für aktive Klimapolitik aus der Hand geschlagen.
({6})
Es ist auch unerträglich für uns, wenn wir international stärkere Anstrengungen von anderen einfordern, aber innerhalb der Europäischen Union - das adressiere ich an Sie, Frau Homburger - zu den Bremsern gehören, wie sich gezeigt hat, als sich der Wirtschaftsminister im Ecofin-Rat gegen Umweltsteuern gewandt hat.
({7})
Insofern ist es nur zu verständlich, wenn ich von dem dänischen Energie- und Umweltminister die Frage hören muß, warum wir von den Mächten des Lichts zu den Mächten der Finsternis werden. Das sind Fragen, auf die wir antworten müssen. Wir müssen feststellen, daß hier Reden und Handeln nicht übereinstimmen.
({8})
Ich will zu den internationalen „hot spots" etwas sagen. Wir haben einen Anteil von Naturschutzgebieten von ungefähr 1,8 Prozent. Jetzt fordern wir von den anderen „hot spots" und eine Liste. Das soll ganz stark unter Schutz gestellt werden. Aber bei uns scheitert schon eine Sollbestimmung in einem Bundesgesetz für die Unterschutzstellung von 10 Prozent der Fläche. Damit habe ich meine Probleme. Deswegen glaube ich, daß es wichtig ist, daß wir nicht nur international etwas einfordern, sondern daß wir auch national entsprechend handeln.
Da haben wir eine Chance, auch nach New York. Wir haben nämlich die Chance, einmal alle Akteure in der Zivilgesellschaft zusammenzuholen und den Prozeß einer Nachhaltigkeitsstrategie, eines nationalen Umweltplans - oder wie immer die Überschrift heißt - zu beginnen. Das eröffnet die Möglichkeit, daß wir nicht nur - was wir bisher tun - zurückblikken. Umweltberichte haben wir genug. Damit sind wir in der Bundesrepublik sehr weit; wir kennen jeden Grenzwert und jedes Milligramm. Aber wir schauen nicht nach vorne. Wir haben keinen Dialog und nicht einmal Ansätze für eine Verständigung darüber, wohin wir wollen. Welche Umweltziele setzen wir uns? Mit welchen Maßnahmen wollen wir diese Umweltziele erreichen? Was sind die wichtigen Themen? Warum lassen wir uns immer vom Schadstoff der Woche und von dem Skandal des Tages treiben?
({9})
- Sie wissen, Frau Homburger und Herr Grill, daß wir diese nationale Nachhaltigkeitsstrategie innerhalb der Enquete-Kommission durchzusetzen versuchen und daß wir unsere Arbeiten als Beiträge zu dieser Debatte sehen.
Wir haben für New York derzeit vier unterschiedliche Berichte. Der Bericht, den die Ministerialbürokratie gemacht hat, enthält in Teilbereichen gute Ansätze. Aber er orientiert sich hinsichtlich der Querschnittsaufgabe nicht an dem Ziel Integration, sondern an dem Motto: Jeder darf seinen Senf dazugeben.
Dann haben wir einen Bericht, den das nationale Komitee erstellt. Außerdem äußert sich der WBGU. Auch die Enquete-Kommission erstellt einen verkleinerten Teil ihres Berichts für New York. Wie stehen wir denn international dar, wenn wir feststellen müsMarion Caspers-Merk
sen, daß 60 Nationen Umweltpläne, Umweltstrategien und Maßnahmen vorlegen, und wir selbst diesen Schritt noch nicht gegangen sind?
({10})
Ich glaube, daß es eine Chance wäre, wenn wir uns nach New York zusammensetzen, diese Initiativen bündeln und zur gemeinsamen Initiative machen. Es gibt dazu auch einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages, der die Bundesregierung auffordert, mit einem nationalen Umweltplan zu beginnen, und zwar auch in Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen, also mit allen in der Zivilgesellschaft, mit einem Dialog- und Verständigungsprozeß, der klären soll, was sich in Zukunft wie und mit welchen Instrumenten und Maßnahmen entwickeln soll.
Wir müssen ja nicht beim Punkt Null anfangen. Vielmehr gibt es doch sehr positive Initiativen, auf die wir zurückgreifen können. Ich erinnere daran, daß der Stadtstaat Hamburg jetzt sehr beachtliche erste Schritte für die Umsetzung der Agenda 21 getan hat. Ich erinnere daran, daß die Landesregierung in Baden-Württemberg einen Kabinettsbeschluß für die Erarbeitung eines Landesumweltplans getroffen hat. Ich erinnere daran, daß in Bayern erste Schritte für die Erarbeitung eines Plans - „Zukunftsfähiges Bayern" heißt er - getan worden sind. Ich erinnere auch daran, daß Niedersachsen auf Initiative der SPD- Landtagsfraktion mit einer solchen Nachhaltigkeitsstrategie begonnen hat.
Wenn die Länder das machen und wenn 150 Kommunen dies tun, dann frage ich Sie: Wo bleiben die Führungsrolle und die Richtlinienkompetenz der Bundesregierung in diesem Prozeß? Deswegen fordern wir von Ihnen, daß Sie, ausgehend von den Ergebnissen von New York, eine innenpolitische Debatte um die Fragen führen: Was wollen wir in Zukunft verändern und wie? Wir alle sollten gemeinsam an einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie mitarbeiten, die unseren Kindern eine Chance für die Zukunft eröffnet.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort zu einer persönlichen Erklärung der Abgeordneten Birgit Homburger, F.D.P.
({0})
Frau Caspers-Merk, Sie haben mich in bezug auf die Frage der Ökosteuern in der Europäischen Union angesprochen. Sie behaupten jedesmal, daß Wirtschaftsminister Dr. Rexrodt dies verhindere. Ich stelle hiermit für unsere Fraktion fest, daß wir es waren, die in der Koalition durchgesetzt haben, daß auf europäischer Ebene, im Ecofin-Rat, überhaupt über Ökosteuern im Rahmen der Diskussion über den dritten Mehrwertsteuersatz verhandelt wird. Ich halte fest, daß wir diesen sehr progressiven Ansatz eingeführt haben. Ich bitte Sie, das endlich zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Bericht der Bundesregierung anläßlich der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York. Das sind die Drucksachen 13/7054 und 13/7890 Nr. 1. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenommen worden ist.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Bericht der Bundesregierung. Das ist Drucksache 13/7890 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7253 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht der Bundesregierung. Das ist Drucksache 13/7890 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7256 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur globalen Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft im 21. Jahrhundert. Das ist Drucksache 13/7890 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7106 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag
Vizepräsidentin Michaela Geiger
der Fraktion der SPD „Umsetzung der Agenda 21", Drucksache 13/7890 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7679 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den gleichen Stimmenverhältnissen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7940. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/7919. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von PDS und eines Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen im übrigen abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Verstärkung des Schutzes des Tropenwaldes, Drucksache 13/7932. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7601 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a bis 10c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Bodens
- Drucksache 13/6701 - ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann ({1}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Bodens
- Drucksache 13/5203 - ({2})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
- Drucksache 13/7891 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
bb) Berichte des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/7892, 13/7893 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart Kuhlwein Adolf Roth ({5})
Kristin Heyne
Dr. Wolfgang Weng ({6})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren, Michael Müller ({8}), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gefährdung der Böden erkennen und vorsorgenden Bodenschutz durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Günther Maleuda, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Eckpunkte für ein Gesetz zum Schutz des Bodens ({9})
- Drucksachen 13/3553, 13/6715, 13/7891 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Jürgen Rochlitz
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt und Forsten ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Deichmann, Horst Sielaff, Anke Fuchs ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung der landwirtschaftlichen Verwertung von Klärschlämmen und Komposten
- Drucksachen 13/4449, 13/7047 Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Deichmann
Ulrich Junghanns
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Änderungs- und Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Christa Reichard, CDU/CSU- Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Macht Euch die Erde untertan!" - dies ist der erste Auftrag, den die Menschen erhalten haben. So ist es im Buch Genesis aufgeschrieben. Bezogen auf den
Christa Reichard ({0})
Anlaß meiner Rede könnte dies in freier Abwandlung lauten: Nutzt den Boden! Dies hat die Menschheit Tausende von Jahren getan.
Die wachsende Zahl der Menschen auf dieser Erde, die rasante Entwicklung von Technik und Mobilität und der damit einhergehende Verbrauch von Energie und natürlichen Ressourcen, besonders im letzten Jahrhundert, führen uns aber immer stärker die Begrenztheit unserer Ressourcen vor Augen. Wie uns der Wert einer Sache immer erst dann bewußt wird, wenn sie uns verlorenzugehen droht, trat auch die vielfältige Bedeutung des Bodens als Teil der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen erst dann so richtig ins Bewußtsein, als sich die Grenzen seiner Belastbarkeit zeigten.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung - Welt im Wandel" hat uns im Jahresgutachten 1996 die Gefährdung der Baden vor Augen gestellt. Auch der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen hat die Verabschiedung eines Bundesbodenschutzgesetzes als vordringliche Aufgabe der Bodenschutzpolitik bezeichnet.
({1})
Nach Wasser und Luft, den beiden von der Umweltgesetzgebung seit langem erfaßten Umweltmedien, hat das Umweltmedium Boden nun endlich die Chance, in seiner ganzen Bedeutungsbreite unter Schutz gestellt zu werden.
({2})
Ich freue mich, daß wir heute, noch vor der Sommerpause, nach intensiver Beratung das Bundesbodenschutzgesetz im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellen können, wie wir dies auch bei der ersten Lesung angekündigt hatten. In der Anhörung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen im Februar wurde der Entwurf der Bundesregierung in seiner Grundkonzeption von der weit überwiegenden Zahl der Sachverständigen bestätigt. Zugleich wurde, insbesondere von den Sachverständigen der Länder, die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung hervorgehoben. Wir haben Anregungen aus der Anhörung sowie aus einer Vielzahl von Fachgesprächen mit Experten und Ländervertretern in die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eingearbeitet. Auf die wesentlichen Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf wird Kollege Kampeter in seiner Rede noch näher eingehen.
Weiterhin haben wir Teile der Änderungswünsche des Bundesrates übernommen. So hoffe ich, daß die weiteren Beratungen im Bundesrat ebenso zügig vorangehen und das Gesetz bald wirksam werden kann.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, einschließlich der von den Koalitionsfraktionen eingebrachten und vom Umweltausschuß verabschiedeten Änderungsanträge, werden die Voraussetzungen für einen wirksamen Bodenschutz und die Sanierung von Altlastenflächen geschaffen. In der Bundesrepublik gelten derzeit etwa 170000 Flächen als altlastenverdächtig. Mit bis zu 240000 Altlastenflächen wird gerechnet. Auf Grund verbindlich festgelegter Bodenwerte wird ein großer Teil dieser Flächen aus dem Verdacht entlassen werden können. Diese können sofort einer neuen Nutzung zugeführt werden. Das ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die Umwelt auf jeden Fall besser als eine weitere Versiegelung unbelasteten, kostbaren Bodens. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig.
({3})
Die einheitlichen Anforderungen, die das Gesetz bundesweit stellen wird, werden auch die Grundlage für ein effektives Vorgehen der Behörden bilden. Zugleich wird mit den Sanierungspflichten Rechtssicherheit geschaffen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für künftige Investitionen. Wie sieht denn die derzeitige Praxis aus? In über 30 Listen werden heute unterschiedliche Anforderungen an den Bodenschutz und die Altlastensanierung gestellt. Jedes Land und jede Kommune setzen eigene Maßstäbe, so daß keine Einheitlichkeit gegeben ist. Das führt nicht nur dazu, daß der Umweltschutz oft zu kurz kommt, sondern dies alles hat auch erhebliche - sicher keine positiven - wirtschaftliche Auswirkungen.
Ein besonders wichtiges Element des vorliegenden Gesetzentwurfes ist sein nutzungsbezogener Ansatz. Ich erinnere an den Beginn meiner Rede. Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen und teilweise auch der SPD nach einer nutzungsunabhängigen Sanierung halte ich für völlig überzogen, unverhältnismäßig und nicht finanzierbar.
({4})
Etwas überspitzt gesagt: Ein Schutz ohne Nutzungsansatz würde in der Konsequenz die Abschaffung des Menschen voraussetzen,
({5})
denn jeder Mensch schadet dem Boden. Es kann also nur um eine verantwortungsvolle, nachhaltige Nutzung gehen.
Darüber hinaus halte ich die Forderung nach einer nutzungsunabhängigen Sanierung beim Bundesrat nicht für zustimmungsfähig. Es kann nicht unser Ziel sein, jeden alten Industriestandort so herzurichten, daß dort anschließend ein Kinderspielplatz eingerichtet werden könnte. Wir müssen statt dessen die begrenzten und beschränkten öffentlichen und privaten Mittel effektiv einsetzen.
Ich freue mich, daß der nutzungsbezogene Ansatz von der weit überwiegenden Zahl der Sachverständigen in der Anhörung vom Februar sowohl aus naturwissenschaftlicher, fiskalischer und auch rechtlicher Sicht für unabdingbar gehalten wurde.
Die wichtigsten Regelungen des Gesetzentwurfes möchte ich noch einmal kurz in Erinnerung rufen. Leitgedanke des Entwurfs ist es, die Anforderungen an einen wirksamen Bodenschutz und die Sanierung insbesondere von Altlasten zu vereinheitlichen. Grundpflichten stellen sicher, daß die Funktionen des Bodens langfristig erhalten bzw., soweit erforderlich, wiederhergestellt werden.
Christa Reichard ({6})
Eine Verfahrensbeschleunigung ist bei der Sanierung von Altlasten vorgesehen. Behördliche Entscheidungen zur Altlastensanierung sollen also eine Konzentrationswirkung entfalten. Das heißt, die Sanierungsentscheidung schließt andere behördliche Entscheidungen, zum Beispiel im Bereich des Wasser-, Immissionsschutz- und Abfallrechts, ein.
Im Gesetzentwurf werden ferner die Voraussetzungen für die Festlegung bundeseinheitlicher, verbindlicher Bodenwerte im Gefahrenabwehr- und Vorsorgebereich geschaffen. Eckpunkte eines entsprechenden untergesetzlichen Regelwerkes sind inzwischen durch die Bundesregierung, wie vom Bundesrat, aber auch vom Bundestag gefordert, vorgelegt worden.
Für wichtig halte ich aber auch, Spielräume für landesrechtliche Regelungen zu erhalten. Insbesondere ist im Bodenschutzgesetz vorgesehen, daß Länder Vorschriften erlassen können, um Schutz- und Vorsorgemaßnahmen für besondere Gebiete zu ergreifen. Im Altlastenbereich können die Länder bestimmen, daß über altlastenverdächtige Flächen und Altlasten hinaus bestimmte Verdachtsflächen von der zuständigen Behörde zu erfassen sind. Hervorzuheben ist für mich auch, daß weder die Einrichtung eigener Bodenschutzbehörden verlangt noch eigenständige Genehmigungsverfahren für den Bodenschutz vorgesehen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch darauf hinweisen, daß Regelungen zum Bodenschutz, also zu einer verantwortungsbewußten nachhaltigen Nutzung, auch in den Novellen zum Bundesnaturschutzgesetz, zum Raumordnungsgesetz und zum Baugesetzbuch beschlossen worden sind.
Gestatten Sie mir bitte abschließend noch einen Hinweis auf die internationale Bedeutung des Bodenschutzes. Auch international ist es dringend notwendig, dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung des Bodens verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden.
({7})
Für den globalen Bodenschutz muß ein vergleichbarer internationaler Stellenwert erkämpft werden, wie dies beim Klimaschutz weitgehend gelungen ist.
Umweltministerin Merkel will über die Europäische Union das Thema „Erhaltung der Bodenressourcen und Entwicklung nachhaltiger Bodennutzungen" auf die Tagesordnung der globalen Umweltdiskussion setzen. Sie möchte dadurch erreichen, daß verstärkt Wechselbeziehungen zwischen ökonomischen und sozialen Aufgaben, der Erhaltung der Bodenressourcen und den Anforderungen zum Schutz von Klima und Wasserressourcen gesehen werden. Dabei möchte ich ihr im Namen meiner Fraktion unsere Unterstützung zusagen.
Abschließend möchte ich allen, die an der zügigen Beratung im Parlament mitgewirkt haben, ganz herzlich danken.
({8})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Angelica Schwall-Düren, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Warum diskutieren wir heute über Boden, über die Erde in unseren Blumentöpfen, über den braunen Schlamm, der uns an den Schuhen klebt, wenn wir nach einem Spaziergang in Mutter Natur nach Hause kommen? Warum muß man diesen „Dreck", den Boden, schützen?
Böden entstehen aus den Felsen, über die wir auf unserem Spaziergang geklettert sind. Flechten, Algen und Moose siedeln sich darauf an und bilden Säuren, die dann das Gestein zersetzen. Darauf siedeln sich erste kleine Pflanzen an. Ihr Laub wird von Bodentieren und Mikroben in Humus umgewandelt. Rund 2,3 Kilo Regenwürmer, Springschwänze, Mikroben, Pilze und Algen leben in einem Quadratmeter mitteleuropäischem Boden. Die bei ihrer Arbeit freiwerdenden Säuren treiben den Zerfall des Gesteins weiter voran. So entsteht sehr langsam, über Tausende von Jahren, das, was wir als Boden kennen.
Der Boden bietet also Lebensraum für unzählige Lebewesen. Er kann aber noch viel mehr: Der Boden kann Wasser aufnehmen und speichern und so Hochwässer abmildern. Schadstoffe wie Schwermetalle, Säuren und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe können im Boden festgehalten und um- oder sogar abgebaut werden. Der Boden ist also eine natürliche Waschanlage und kann so dazu beitragen, daß unser Trinkwasser sauber bleibt.
Meine Damen und Herren, ohne Boden könnte keine einzige und kein einziger von uns leben. Denn wovon sollten wir uns ernähren?
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Böden sind zusammen mit Wasser und Luft die Grundlage allen Lebens auf dieser Erde.
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Während jedoch die Umweltmedien Wasser und Luft, zumindest theoretisch, schon einen umfassenden Schutz genießen, fehlt dieser für den Boden.
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Wir behandeln den Boden tatsächlich wie das letzte Stück Dreck.
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Wir belasten ihn mit Giften und Schadstoffen aus Industrie, Landwirtschaft und Verkehr. Wir lassen zu, daß durch unsachgemäße Bewirtschaftung jährlich 10 Tonnen Boden pro Hektar durch Erosion verlorengehen.
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Jeden Tag bauen und asphaltieren wir in Deutschland mehr als 80 Hektar Boden zu. Durch diese Versiegelung kann er keine der angesprochenen wichtigen Funktionen mehr wahrnehmen.
1984 hat die SPD-Bundestagsfraktion ein Bodenschutzprogramm gefordert, worauf die Bundesregierung 1985 mit einer bemerkenswerten Bodenschutzkonzeption reagiert hat. Dennoch sollte es trotz wiederholter Anfragen und Anträge der SPD bis 1996 dauern, bis Frau Merkel den Entwurf eines Bundesbodenschutzgesetzes auf den Tisch gelegt hat.
Nach allem, was ich bereits gesagt habe: Warum wird die SPD den vorgelegten Entwurf eines Bundesbodenschutzgesetzes dennoch ablehnen?
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Um es noch einmal klar zu sagen: Wir wollen ein Bundesbodenschutzgesetz.
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Es ist höchste Zeit, den Boden bundeseinheitlich zu schützen.
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Aber wir wollen das Gesetz nicht in dieser Form, weil es rein auf den wirtschaftlichen Nutzen des Bodens und eine schnelle und billige Altlastensanierung abzielt.
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Was wir brauchen, ist aber ein wirkungsvolles Instrument für einen nachhaltigen und vorsorgenden Bodenschutz, welches ökologisch und auch wirtschaftlich langfristig sinnvoll ist.
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Ein Gesetz, das in diesem Sinne wirken soll, muß einige wichtige Grundbedingungen erfüllen. In dem vorgelegten Bundesbodenschutzgesetz sieht man jedoch vor lauter Altlasten den Boden nicht mehr.
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Ich möchte hier nur ein paar der gravierendsten Mängel des Regierungsentwurfs ansprechen:
Erstens. Das Gesetz trennt nicht zwischen dem Schutz der natürlichen Funktionen des Ökosystems Boden und seiner Nutzung durch uns Menschen. Wir wollen aber, daß der Vorsorgegedanke ernst genommen wird und deshalb die ökologischen Bodenfunktionen ein höheres Gewicht bekommen.
Zweitens. Frau Merkel, Sie haben selbst, zuletzt in Ihrer Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Halt die Welt im Gleichgewicht" in der vergangenen Woche, auf die Versiegelungsproblematik hingewiesen. Das Gesetz der Regierung liefert jedoch keine Instrumente zum Stopp des nach wie vor ungebremsten Flächenverbrauchs.
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Wir wollen, daß durch ein Entsiegelungsgebot und Anreize zum Flächenrecycling der sparsame und schonende Umgang mit Boden gefördert wird.
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Sie werden argumentieren, daß das untergesetzliche Regelwerk genau dies tue, nämlich durch Festlegen von Prüf- und Vorsorgewerten eine Rechtssicherheit zu schaffen, die das Bauen auf der grünen Wiese verhindere. Doch um welchen Preis? Die Werte in der im Entwurf vorliegenden Boden- und Altlastenverordnung sind so hoch angesetzt, daß etwa die Hälfte der Altlastverdachtsflächen wieder zur uneingeschränkten gewerblichen Nutzung freigegeben wird.
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Finden Sie dieses Vorgehen nicht verantwortungslos?
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Drittens. Der Entwurf eines Bodenschutzgesetzes der Koalition enthält eine lange Liste von Handlungsfeldern, bei denen andere Gesetze und Verordnungen, zum Beispiel die Klärschlammverordnung, gelten sollen und nicht das Bundesbodenschutzgesetz. Da in vielen Fällen die jeweiligen Bodenschutzstandards schlechter sind oder gar nicht existieren, erweist man so dem Bodenschutz einen Bärendienst. Wir wollen, daß diese Ausnahmen nur dann gelten, wenn in diesen Gesetzen gleich hohe oder bessere Standards als im Bodenschutzgesetz gelten. Nur dann kann zum Beispiel der Landwirt im Sinne einer Kreislaufwirtschaft unbesorgt Klärschlamm auf seinem Acker aufbringen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen sagen, daß ich dazu gestern abend noch etwas Interessantes gefunden habe: Das bayerische Landwirtschaftsministerium rät nämlich den Landwirten, keinen Klärschlamm auf die Acker aufzubringen, weil dies einer bodenschonenden Nutzung widerspreche.
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Viertens. Die gesetzliche Definition der „guten fachlichen Praxis" in der Landwirtschaft ist ein wichtiger Fortschritt, ist aber nicht vollständig. Die Berufung der Landwirte auf diese Definition wird nicht ausreichen, um wirklich sicher zu sein, vorsorgenden Bodenschutz praktiziert zu haben. Wir wollen, daß über die Beratung zur guten fachlichen Praxis hinaus den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, Anordnungen von Maßnahmen für eine jeweils standortgemäße Landwirtschaft zu erlassen. Nur so ist der Umsetzung einer umweltverträglichen Landwirtschaft näher zu kommen.
Fünftens. Beim Umgang mit Altlasten schaffen bundeseinheitliche Sanierungsstandards Rechtssicherheit.
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Wettbewerbsvor- und -nachteile werden verhindert. Dies ist auch das Anliegen der SPD. Die Gleichsetzung von Dekontamination und Sicherung einer Altlast als Sanierung und ihr Nutzungsbezug im Regierungsentwurf bergen jedoch die große Gefahr in sich, daß allein aus Kostengründen Sanierungsmaßnahmen zweiter Klasse durchgeführt werden. Bei einer späteren Nutzungsänderung müßte dann auf Kosten der Länder nachsaniert werden. Wir wollen, daß auch in der Nachsorge der Bodenschutz und damit letztendlich der Schutz der Ökosysteme und der Schutz der Menschen ernstgenommen wird.
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Deshalb verlangen wir einen grundsätzlichen Vorrang für die Dekontamination, also die weitgehende Beseitigung der Schadstoffe aus dem Boden. Selbstverständlich muß dennoch im Einzelfall abgewogen werden, welche Maßnahme sinnvollerweise zu ergreifen ist. Gefahrenabwehr kann es notwendig machen, zunächst die Sicherung einer Altlast vorzunehmen.
Sechstens. Das Bundesbodenschutzgesetz der Koalition sieht vor, daß die Landwirte Ausgleichszahlungen bekommen sollen, wenn ihnen Nutzungsbeschränkungen auferlegt werden. Dies soll gelten, falls sie nicht selbst für die Belastungen ihrer Böden verantwortlich sind. Zwar ist diese Forderung der Landwirtschaft durchaus berechtigt. Diesen Anspruch könnten aber auch alle anderen Geschädigten geltend machen. Diese müssen aber, sofern der Verursacher einer Bodenvergiftung nicht mehr greifbar ist, nicht nur den Schaden hinnehmen, sondern auch noch die Sanierung bezahlen. Der Gleichheitsgrundsatz wird verletzt. Außerdem wird gegen das Verursacherprinzip verstoßen, weil nicht die entsprechende Industrie und die Autofahrer, die die belastenden Einträge aus der Luft verursachen, zur Verantwortung gezogen werden, sondern die Länder. Wir können daher dieser Regelung nicht zustimmen.
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Siebtens. Das Gesetz der Regierung zeigt keinen Weg auf, wie die den Ländern aufgetragenen Lasten finanziert werden sollen.
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Durch die Ausgleichszahlungen und die Übernahme von Sanierungskosten werden den Ländern erneut Kosten vom Bund auferlegt - siehe Bundesnaturschutzgesetz -, ohne daß geregelt wird, wovon das bezahlt werden soll.
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Wir wollen eine fundierte Finanzierungsregelung, damit ein Bodenschutzgesetz, das diesen Namen verdient, rasch umgesetzt werden kann.
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Wir fordern darüber hinaus in unserem Entschließungsantrag zum Bundesbodenschutzgesetz ein nationales Bodenschutzprogramm, wie es schon vor zwölf Jahren in der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung angekündigt, aber nie verwirklicht wurde. Darin sollten beispielsweise Programme enthalten sein, die uns beibringen, Boden als wertvolles Ökosystem und eben nicht als Dreck anzusehen und als endliche Ressource zu schätzen und dies entsprechend in die Praxis umzusetzen.
Ein wichtiges Instrument ist auch ein regelmäßiger Bodenzustandsbericht, wie er gerade erfreulicherweise im Waldbodenbericht vorgelegt wird. Eine genaue Flächenbilanzierung wäre eine wichtige Voraussetzung, um den ungeheuren Flächenfraß einzudämmen und schließlich zu stoppen.
Meine Damen und Herren, stecken Sie nicht aus Scheu vor der Verantwortung den Kopf in den Sand.
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Oder doch: Tun Sie es! Herr Kampeter, stecken Sie den Kopf in den Boden
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und überzeugen Sie sich von der Wichtigkeit für die Ökosysteme, für das Kleinklima, für den Wasserhaushalt und nicht zuletzt für unsere Lebensgrundlage!
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Das von der Regierung vorgelegte Bundesbodenschutzgesetz wird die natürlichen Funktionen des Bodens nicht schützen. Deshalb lehnen wir es ab. Die Einbeziehung unserer 50 Änderungsvorschläge kann den Entwurf jedoch zu einem Instrument für nachhaltigen und vorsorgenden Bodenschutz und für eine angemessene Nutzung des Bodens machen.
Kostensparendes Wirtschaften ist erstrebenswert. Es darf aber nicht zu Lasten der natürlichen Lebensgrundlagen auch der kommenden Generationen gehen. Lassen Sie uns nicht wegen erhoffter kurzfristiger wirtschaftlicher Vorteile langfristig den Boden unter den Füßen verlieren!
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Jürgen Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand von Ihnen wird künftig sagen können, er hätte es nicht gewußt. Mit diesem heute zur Debatte steDr. Jürgen Rochlitz
henden Bodenschutzgesetz wird die Mehrheit dieses Hauses der Natur und der Umwelt innerhalb knapp einer Woche erneut einen nachhaltigen Stoß versetzen. Nach dem schwarzen Tag des Naturschutzes folgt heute der der Bodenlosigkeit der Kohlschen Umweltpolitik.
Unter dem grassierenden katastrophalen Zeitgeist der Ökonomisierung und Entökologisierung wird das letzte noch nicht geregelte Umweltmedium der reinen Ökonomie, dem Pragmatismus der Altlastenreduktion geopfert.
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Dabei hätte dieses tatsächlich und im übertragenen Sinne allerletzte Umweltmedium es so bitter nötig, umfassend geschützt zu werden: vor dem ständigen Zugriff durch Straßen- und Siedlungsbau, vor dem Eintrag von Schadstoffen aus dem Verkehrsbereich, vor dem Eintrag von Pestiziden und Düngemitteln aus der Landwirtschaft, vor dem Eintrag von gentechnisch veränderten Organismen jeglicher Art. Aber nichts davon ist auch nur angedacht. Statt dessen wird selbst von der Umweltministerin zugegeben, dieses Gesetz diene zur Beschleunigung bei der Abwicklung von Altlasten. Sein Federstrich reduziert ihre Zahl, nicht jedoch ihre gefährliche Wirkung.
An zwei konkreten Beispielen möchte ich deutlich machen, wie sehr dieses Gesetz an den Problemen vorbeigeht. Das offensichtlich hand- und schnellgestrickte untergesetzliche Regelwerk besitzt weder eine naturwissenschaftliche Systematik noch den nötigen Schutzcharakter für die Menschen, die von belastetem Boden eine Gesundheitsgefahr gewärtigen müssen.
Schon die nebulösen Definitionen von Prüf- und Vorsorgewerten machen stutzig. Zum Skandal wird das Bodenschutzgesetz aber, weil in der zugehörigen Verordnung noch nicht einmal Maßnahmewerte für Schwermetalle aufgestellt wurden und weil - noch schlimmer - Kadmium, Quecksilber und polychlorierte Biphenyle für Wohngebiete in höheren Konzentrationen als im Klärschlamm erlaubt sind.
Meine Damen und Herren, bedauerlicherweise sperrten sich die Koalitionsfraktionen gegen eine Bodenverantwortung des Bundestages für die untergesetzlichen Regelwerke. Damit können wir über diesen Freibrief für Untätigkeit selbst bei hohen Bodenbelastungen leider nicht abstimmen.
Außer Altlastenminimierung hat das vorgelegte Bodenschutzgesetz noch die Funktion, die „gute fachliche Praxis" in der Landwirtschaft zu definieren. Damit wird der angebliche Bodenschutz mit einem Leitbild vom Naturschutz verschränkt, was die Fortsetzung der Naturzerstörung bedeutet; denn lediglich in völlig unverbindlicher Form soll den Landwirten ein etwas sorgsameres, letztlich aber doch konventionelles Wirtschaften vermittelt werden.
Mit keinem Wort wird erwähnt, wie sehr die Bodenfunktionen durch erhöhte Nährstoffzufuhr bzw. durch den Eintrag ökotoxischer Stoffe wie Pestiziden aus der Landwirtschaft geschädigt werden. Welche Folgen diese Art angeblich guter fachlicher Praxis hat, kann jede und jeder von Ihnen gerade jetzt im Frühsommer draußen in der Landschaft beobachten. Weder auf Wiesen noch auf Äckern und ihren Randstreifen sind die früher üblichen Blütenpflanzen zu beobachten. Nur auf den Äckern der Biobauern blüht der Klatschmohn wie ein Relikt aus alten Zeiten.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, nicht so viel Chemieverliebtheit unterstellen, wie Ihr Ludwigshafener Kanzler sie an den Tag legt, wenn er zum Beispiel die weltgrößte Chemieausstellung höchstpersönlich eröffnet. Aber damit muß es wohl zu tun haben, wenn Sie sich nicht zu mehr Bodenschutz durchringen können; denn die Chemielobby möchten Sie doch zuallererst nicht vergrätzen. Die Landwirtschaft ist gleich mit dabei.
Man kann sich das Zitat aus der Neujahrsansprache des Kanzlers nicht oft genug auf der Zunge zergehen lassen:
Wir Deutsche können nicht einfach weitermachen wie bisher. Wer dies versucht, verspielt unsere Zukunft.
Aber sich selbst und sein Kabinett hat er dabei so großzügig zur Ausnahme gemacht, daß eigentlich nur eine Erklärung weiterhilft: Die merken gar nicht mehr, daß sie unsere Zukunft vor allem in der Umweltpolitik verspielen. Diese Politik des Bodenschutzes, die heute zur Abstimmung ansteht, ist allenfalls rückwärts in Richtung Altlasten orientiert, aber keinesfalls in Richtung einer umweltbewußten Zukunft.
Einer der ersten Grundsätze der Umweltpolitik, das Vorsorgeprinzip, wird durch die Relativierung auf Nutzungsaspekte und eine draufgesattelte Verhältnismäßigkeit zur Floskel degeneriert. Mit dieser rückwärts gewandten Sichtweise entgehen dem Gesetzgeber all jene schädigenden Bodeneinwirkungen, die unabhängig von der Nutzung über den Luftpfad eintreten.
Ein Bodenschutzgesetz mit konsequenter Ausrichtung auf die Vorsorge hätte die große Chance gehabt, die nötigen Schritte gegen die aus Verkehr und Landwirtschaft stammende Versauerung der Böden einzuleiten. So aber haben wir den Eindruck, daß die Regierung, insbesondere die betroffenen Ministerien, noch nicht einmal die grundlegenden und warnenden Ergebnisse ihrer eigens dafür eingesetzten wissenschaftlichen Berater zur Kenntnis nimmt.
So hat der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen in einer geradezu beschwörenden bildlichen Darstellung die Versauerung der Böden in Europa verdeutlicht. Unser bündnisgrüner Entwurf eines Bodenschutzgesetzes formuliert diese notwendige aktive Schutzpolitik im wahrsten Sinne des Wortes und läßt auch die Wälder nicht aus, deren Böden nach wie vor versauert werden.
Ich bleibe dabei, Frau Reichard, trotz Ihrer Eingangsbemerkung: Selbst der Papst erweist dem Boden, auf dem er ankommt, durch seinen berühmten Kuß mehr Ehre als die Bundesregierung mit nur einem Paragraphen ihres Bodenschutzgesetzes.
Genauso wie eine jahrelange falsche Haushaltsund Finanzpolitik dieser Bundesregierung Realkapital aufgezehrt und Schuldenberge aufgetürmt hat, so wirtschaftet sie das Naturkapital herunter und häuft Altlast auf Altlast für künftige Generationen. Doch ungestraft geht dies nicht weiter.
Schon vor Jahren signalisierte das Verschwinden der Glühwürmchen, daß schwer korrigierbare Eingriffe in den Naturhaushalt stattfinden. Heute müssen wir das Verschwinden der blühenden Wiesen als Opfer einer weder guten noch fachlichen, sondern mörderischen Praxis in der Landwirtschaft beklagen.
Meine Damen und Herren, es geht heute nicht um eine skurrile Romantik auf deutschen Böden, sondern darum, was wir ihnen noch weiter zumuten dürfen. Die Zukunft der Böden wird sicherlich nicht durch einen stummen Frühling und einen farblosen Sommer gekennzeichnet sein, aber mit diesem Bodenschutzgesetz wird die Reduktion unserer heimischen Arten und die Zerstörung ihrer Vielfalt festund fortgeschrieben, ja schlimmer noch, legitimiert. Hier bei uns auf den Wiesen sind die „hot-spots" mit hohem Artenreichtum, die uns am ehesten interessieren sollten.
Lassen Sie uns dabei nicht vergessen, daß mit dem beklagten Verschwinden der blühenden Wiesen und Äcker unzählige Insektenarten ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Uns verbleibt angesichts dieser unabweisbaren Fakten nur die Hoffnung, daß eine solch lebensfeindliche Umweltgesetzgebung durch den Mechanismus des Bundesrats gestoppt wird.
Immer noch ist der Boden auch unsere menschliche Lebensgrundlage. Wir sollten seine Zerstörung mit allen Mitteln aufhalten. Nur, dazu taugt das vorgelegte Gesetz mit seinen Verordnungen überhaupt nicht.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Bodenschutzgesetz setzen wir nach der Naturschutznovelle das zweite große umweltpolitische Vorhaben der Koalition in dieser Wahlperiode um. Das ist im übrigen etwas, was Sie von der Opposition uns überhaupt nicht zugetraut haben. Jetzt, wo es vorliegt, sagen Sie, es sei alles schlecht. Das war nicht anders zu erwarten, aber darin zeigt sich auch, wie Sie arbeiten.
Sie, Frau Kollegin Schwall-Düren, haben davon geredet, daß Sie seit Jahren irgendwelche Anträge vorgelegt haben, aber Gesetzentwürfe haben Sie nie eingebracht. Ich wäre folglich an Ihrer Stelle mit den Bemerkungen etwas vorsichtiger.
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Um keinen Zweifel zu lassen, sage ich deutlich dazu, daß dieses Gesetz geeignet ist, die Lücke, die wir im Umweltrecht haben - das ist eine empfindliche Lücke, was den Bodenschutz anbelangt -, zu schließen. Es trifft nämlich Vorsorge- und Sanierungsregelungen, Vorsorgeregelungen dort, wo andere Fachgesetze keinen Bodenschutz leisten.
Wir haben dieses Gesetz deswegen so gemacht, weil wir keine Doppelregelungen wollen. Deshalb ist vollkommen richtig, daß wir die Regelungen des Immisionsschutzrechts, des Gewässerschutzrechts, des Abfallrechts, die landwirtschaftlichen Regelungen und das Bergrecht, die dem Schutz des Bodens dienen, nicht durch das Bodenschutzgesetz außer Kraft setzen.
Im übrigen sieht der Bundesrat das genauso. Er verlangt sogar noch schärfere Abgrenzungen zum Landwirtschafts- und zum Verkehrswegerecht.
({1})
- Herr Rochlitz, daß Sie dazwischenrufen, paßt ganz gut.
Ganz anders die Grünen: Sie wollen das Bodenschutzgesetz schlicht als Antiverkehrsgesetz mißbrauchen. Sie wollen per Gesetz alle Randstreifen an stark befahrenen Straßen zu Verdachtsflächen erklären, und sie verbieten einfach jeden weiteren Flächenverbrauch durch Verkehrswegebau. Das, sage ich Ihnen, ist reine Utopie, was Sie von den Grünen in Ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben. Immerhin haben Sie einen gemacht. Auch das sollte man einmal positiv anmerken.
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Aber bei Ihrem Wunschkoalitionspartner SPD hätten
Sie damit, jedenfalls beim vernünftigeren Teil im
Bundesrat, keinerlei Chance.
Eine ganz wichtige Vorsorgeregelung ist die gesetzliche Einführung der guten fachlichen Praxis der Landwirtschaft in § 17 des Gesetzes. Immerhin sind nämlich 84 Prozent der Fläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Hier verwirklichen wir einen integrativen Ansatz. Bodenschutz wird in die landwirtschaftliche Praxis einbezogen. Die F.D.P. unterstützt dabei ausdrücklich den Ansatz der Beratungen durch die Landwirtschaftskammern. Umweltgerechtes Verhalten aus Überzeugung und Wissen ist der behördlichen Anordnung immer vorzuziehen. Deswegen, Herr Kollege Rochlitz, lehnen wir die Forderung des Gesetzentwurfs der Grünen nach einer Anordnungsbefugnis der Behörden schlicht ab.
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Wenn es nämlich nach den Grünen ginge, würde die Naturschutzbehörde dem Landwirt vorschreiben, wann er mit einfacher oder mit Zwillingsbereifung auf das Feld fahren darf. Sie wollen also allmächtige Behörden. Auch das ist nichts Neues. Wir von der F.D.P. befördern lieber durch klare Rahmenvorgaben den gesunden Menschenverstand. Wir vertrauen auf die Menschen, anstatt sie zu entmündigen.
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Die Sachverständigen haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung ganz überwiegend positiv beurteilt. Aber das Bessere ist eben der Feind des Guten. Deshalb haben wir noch einige Änderungen und Verbesserungen vorgenommen und Kritikpunkte, die vorhanden waren, aufgegriffen. Zentrale Änderung ist der § 3 des Gesetzes. Nicht der Anwendungsbereich des Gesetzes, wohl aber die einzelnen Pflichten sollen nutzungsbezogen sein. Der nutzungsbezogene Ansatz wird im übrigen von der Fachwelt - ganz im Gegensatz zu dem, was hier von meinen Vorrednern dargestellt wurde - überwiegend bestätigt. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen und der Bundesrat sagen dies. Auch beispielsweise Frau Martini, SPD-Umweltministerin in RheinlandPfalz, spricht sich für einen solchen nutzungsbezogenen Ansatz aus.
Wer wie SPD und Grüne im Bundestag Luxussanierungen unter dem Stichwort „Sicherung der Multifunktionalität der Böden" fordert, der verlangt Illusorisches, im übrigen auch umweltpolitisch Unsinniges und schadet damit der Durchsetzbarkeit berechtigter Umweltschutzforderungen.
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Es macht doch keinen Sinn, Herr Kollege Rochlitz - Sie haben das hier gerade ausgeführt -, Industriebrachen so zu sanieren, daß dort Getreide angebaut werden kann oder Kinderspielplätze gebaut werden. Wir wollen auf Industriebrachen neue Gewerbebetriebe ansiedeln anstatt auf der grünen Wiese, wo sie Natur verbrauchen und ansonsten nur teure Erschließungskosten verursachen.
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Das ist der Ansatz, Herr Kollege Rochlitz: nutzungsbezogen, nicht durch übertriebene Forderungen nach hehren Grundsätzen, sondern durch angemessene finanzierbare und vollziehbare Regelungen erreichen wir etwas im Umweltschutz. Genau das machen wir hier.
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Herr Rochlitz, jetzt komme ich zu Ihrem Punkt mit dem untergesetzlichen Regelwerk. Die Bundesregierung hat die Eckwerte für das untergesetzliche Regelwerk vorgelegt, und zwar rechtzeitig. Sie kommt damit dem Wunsch der Abgeordneten, aber auch dem Wunsch des Bundesrates nach. Wer will denn schon die Katze im Sack kaufen? Dieses Regelwerk wird das Chaos der Altlastensanierung beenden. Wir wollen den Grenzwertewettlauf der Länder, Gutachter und Behörden stoppen. Auch das ist ein Beitrag zum schlanken Staat, zur Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und zu mehr Rechtssicherheit für Eigentümer, Investoren und Kommunen.
Sie haben noch einmal gefordert - das haben Sie im Umweltausschuß eingebracht gehabt -, das untergesetzliche Regelwerk hier im Deutschen Bundestag zu beschließen. Ich kann dem überhaupt nichts abgewinnen. Ich sage das ganz deutlich. Bei diesem untergesetzlichen Regelwerk geht es um technische
Vorgaben und das Festlegen von Werten. Dort werden fachlich die einzelnen Punkte bestimmt. Das, was wir hier machen, ist, die Rahmenbedingungen und die Eckwerte vorzugeben, zu sagen, wonach sich diese Werte zu richten haben. Da ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Ich denke nicht, daß wir den Bundestag damit überfrachten sollten, alle einzelnen technischen Werte zu debattieren und einzuführen. Dafür haben wir die Fachbehörden.
Ebenso wird auch das neu eingeführte Verfahren des Sanierungsplans mit seiner Konzentrationswirkung den Bürokratieaufwand reduzieren. Das Nebeneinander von ordnungsrechtlichen, wasserrechtlichen und abfallrechtlichen Verfahren wollen wir damit beenden.
Das Gesetz wird im übrigen auch kostensenkend wirken. Die Sorgen der Bundesländer vor finanziellen Mehrbelastungen sind nicht nachvollziehbar. Wir beenden nämlich mit diesem Gesetz das teure Chaos der Altlastensanierungspraxis durch bundeseinheitliche Regelungen. Wir reduzieren Bürokratieaufwand. Schließlich verringern wir durch den nutzungsbezogenen Ansatz auch den Sanierungsaufwand und die Zahl der Verdachtsflächen.
Deshalb lehnt die F.D.P. Forderungen nach einem Altlastensanierungsfonds ab. Erst recht lehnen wir die von den Grünen in ihrem Gesetzentwurf geforderte Versiegelungsabgabe ab. Die Grünen lassen auch mit diesem Gesetz keine Gelegenheit aus - ich kann es Ihnen nicht ersparen, das zu wiederholen -, um die Bürger zu schröpfen. Das Ganze hat mit dem, was Sie behaupten, nämlich mit marktwirtschaftlichen Lenkungsinstrumenten im Umweltschutz, überhaupt nichts mehr zu tun;
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denn Sie erfinden immer strengere und dichtere ordnungsrechtliche Regelwerke mit Überwachungsbehörden und Genehmigungspflichten und satteln dann noch sogenannte Lenkungsabgaben drauf.
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Das ist das Ideal der Grünen: der preußische Obrigkeitsstaat, versehen mit den Zoll- und Steuererhebungsrechten der mittelalterlichen Fürstentümer. Wir Liberalen jedenfalls haben, Herr Rochlitz, ein anderes Staatsverständnis.
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Meine Damen und Herren, ich habe damit die wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfes und die Punkte, die der F.D.P. wichtig waren, in einem Kurzdurchgang abgehandelt. Wir haben mit diesem Gesetz eine vernünftige Vorlage für den Bundesrat erarbeitet. Wir haben zahlreiche Änderungswünsche aufgegriffen. Die Vollziehbarkeit und seine kostensenkende Wirkung werden durch das untergesetzliche Regelwerk nachgewiesen. Deshalb appelliere ich an die Länder: Stimmen Sie diesem Gesetz zu!
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das lang erwartete erste Bodenschutzgesetz kann getrost als besseres Altlastenmanagementgesetz in die Annalen des Umweltrechts eingehen. Von umfassendem und vorsorgendem Schutz des dritten Umweltmediums, des Bodens, kann nämlich kaum die Rede sein.
Es ist die Philosophie des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, die mich etwas unsicher macht, ob wir dieses Gesetz überhaupt brauchen. Denn als umweltpolitische Vorgabe - auch gegenüber den Entwicklungen anderer Fachgesetze und Regierungsressorts - ist es ja wohl nicht gedacht, wobei, wenn ich mir in Erinnerung rufe, was meine Vorrednerin ausgeführt hat, sich dieses Gesetz als eierlegende Wollmilchsau entpuppt. Es kann den Wettbewerb beschleunigen und schafft vielleicht noch Arbeitsplätze. Sehr interessant!
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Alles, was irgendwie einmal den Bodenschutz - und sei es auf marginalste Weise - berührend gesetzlich festgeschrieben wurde, hat Vorrang vor diesem neuen Gesetz, die, gerade was den Boden- und Grundwasserschutz betrifft, heftig umstrittene Düngemittelverordnung genauso wie das Bundeswaldgesetz, das Abfallrecht oder das Atomrecht.
Okay, macht dieses Gesetz, aber laßt uns in Ruhe! So könnte die entsprechende Kabinettsempfehlung an die Umweltministerin ausgesehen haben; denn der Geltungsbereich betrifft unmittelbar nur 10 bis 20 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik, einer Gesamtfläche, die nach wie vor durch zunehmende Zersiedlung, Flächenzerschneidung, Versiegelung und Schadstoffbelastung bedroht ist. Auch der Flächenklau im Straßen- und Schienenbau wird ausgeklammert. Das ist völlig unverständlich; denn gerade hier wird doch ungezügelt Boden versiegelt und kontaminiert. Wenn die Bundesregierung in § 24 das Verteidigungsministerium für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen in bezug auf den Bodenschutz auf militärisch genutzten Flächen verantwortlich macht, dann wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Einer der Hauptbelaster des Bodens, die Landwirtschaft, wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung genauso mit Samthandschuhen angefaßt wie im gerade verabschiedeten neuen Bundesnaturschutzgesetz. Die formulierten Regeln für die „gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft" sind völlig unverbindliche Empfehlungen ohne jede Sanktionsmöglichkeit. Für den Forst fehlen sie ganz.
Der Verweis auf Fachgesetze, beispielsweise auf die Düngemittelverordnung, ist nicht sehr überzeugend; denn diese ist bekanntlich sehr umstritten. Von Umweltverbänden wird befürchtet, daß sie nicht in der Lage sein wird, den durchschnittlichen Nährstoffüberschuß von 120 Kilogramm Stickstoff je Hektar, den Boden und Pflanzen nicht binden können, zu reduzieren. Wenn uns oder den Grünen hier wieder einmal vorgeworfen wird, wir seien für die Bevormundung der Bauern, dann meine ich: Das ist grundfalsch. Es ist auch falsch, daß wir gegen Bauern vorgingen. Es geht vielmehr gegen die Politik, die das Bauernsterben befördert und die die Bauern zwingt, immer mehr aus dem Boden herauszuholen, um überhaupt zu überleben. Deshalb passieren doch solche Dinge. Man muß Menschen auch einmal vor sich selbst schützen können.
({1})
Was die Pflichten zur Vorsorge, zur Gefahrenabwehr oder zur Sanierung angeht, unterstützen wir den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem diese Pflichten unabhängig von der derzeitigen und künftigen Nutzung wahrgenommen werden müssen.
Die Nutzungsabhängigkeit im Regierungsentwurf wird dagegen verhindern, daß ökologischen Schädigungen, die zunächst noch nicht nachhaltig sind, rechtzeitig entgegengewirkt wird. Den problematischen Summations- und Distanzschäden wird somit nicht vorgebeugt. Gerade für die komplexen und schlecht zu beobachtenden Prozesse im Erdreich wäre jedoch eine strenge Auslegung des Vorsorgegrundsatzes erforderlich.
Im Regierungsentwurf vermissen wir ebenfalls einen klaren Schritt in Richtung Flächenentsiegelung. Schließlich werden täglich rund 90 Hektar der Fläche der Bundesrepublik neu versiegelt. Die Regelung im § 5 enthält keine Entsiegelungspflicht für Flächen, bei denen sie nicht unbedingt notwendig ist. Entsiegelt soll nur dort werden, wo die Versiegelung im Gegensatz zu planungsrechtlichen Feststellungen steht. Viele stadtplanerische Launen oder Sünden der Vergangenheiten werden somit sanktioniert.
Wir bedauern es auch, daß die im ursprünglichen Antrag vorgesehene verbindliche Übermittlung von bodenschutzrelevanten Daten von den Ländern an den Bund im Laufe der parlamentarischen Beratungen aus dem Gesetz verschwunden ist. Ein bundeseinheitliches und aussagefähiges Bodenkataster wäre für eine an Nachhaltigkeit orientierte Bodenschutzpolitik von großem Wert. Dann müßten die Damen und Herren der Koalition auch nicht immer darüber streiten, in welchem Tempo die Bundesrepublik Schritt für Schritt weitgehend überbaut wird, ob nun in 85 oder 80 Jahren.
Danke.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Steffen Kampeter, CDU/CSU- Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In etwas weniger als sechs Monaten hat der Deutsche Bundestag die Beratungen zum Bundesbodenschutzgesetz abgeschlossen. Dies ist im Vergleich zu den übliSteffen Kampeter
chen Beratungszeiten eine relativ kurze Bearbeitungszeit für ein Gesetz. Ich danke daher den Kolleginnen und Kollegen des Umweltausschusses dafür, daß sie so engagiert daran mitgewirkt haben. Ich danke dem Bundesumweltministerium, daß es so solide Vorarbeiten geleistet hat, daß eine so rasche und gründliche Beratung des Gesetzentwurfes möglich war.
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Das Bundesbodenschutzgesetz unterstellt den Boden nach Luft und Wasser dem unmittelbaren Schutz durch ein Bundesgesetz. Es enthält nicht nur Regelungen über den Bodenschutz, sondern auch ein effektives Instrumentarium für die Altlastensanierung. Wir haben uns bewußt für die große Lösung entschieden, in der sowohl Vorsorgeelemente als auch Sanierungselemente enthalten sind.
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- Das ist eine große Lösung.
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Herr Kollege Rochlitz, ich erkenne an, daß Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Aber nach der Rede der Kollegin Schwall-Düren, die ausgeführt hat, was an unserem Gesetzentwurf alles nichts taugt, und der Erkenntnis, daß die SPD keinen Gesetzentwurf zusammengebracht hat, muß die SPD hier wohl als umweltpolitische Ankündigungsopposition charakterisiert werden. Zum Bodenschutz hat sie hier nichts Vertretbares vorgelegt.
Wir schaffen also eine Basis für einen wirksamen Bodenschutz. Die neuen bundeseinheitlichen Anforderungen sind ein Signal nicht nur für den Umweltschutz, der von der schnellen Altlastensanierung, aber auch von der Vorsorge vor schädlichen Bodenveränderungen profitiert. Aufatmen werden ebenfalls die Investoren, die Altlastenflächen wieder nutzen wollen; denn oft weichen diese heute auf die grüne Wiese aus, weil sie auf Brachflächen in den Städten nicht zugreifen dürfen oder angesichts rechtlicher oder materieller Unsicherheiten nicht zugreifen wollen. Eine Blockade solcher Brachflächen können wir uns in allen Teilen Deutschlands nicht länger leisten. Das neue Gesetz schafft jetzt die von Investoren geforderte Rechtssicherheit. Wer die Flächenversiegelung beklagt, muß das Bodenschutzgesetz heute unterstützen.
Das Bodenschutzgesetz ist damit ein höchst notwendiges Gesetz. Hinsichtlich der Industriebrachen in Deutschland gibt es zwar nur unvollständiges Zahlenmaterial. Aber als besonders schwierige Fälle werden immer wieder die Kalisalzreviere im Südharz und an der Werra, die Bunt- und Edelmetallgewinnung im und am Harz, der Uranbergbau in Thüringen und im Erzgebirge, die Metallgewinnung aus dem Kupferschiefer im Mansfelder Revier, die Region um Bitterfeld-Wolfen, Borna und Espenhain sowie der gesamte Sanierungsbergbau in Brandenburg und im Gebiet Cottbus und Senftenberg genannt.
Kritiker, die immer noch die fortschreitenden Flächenversiegelungen mit ihren negativen ökologischen Folgen für Boden, Wasserhaushalt und Klima beklagen, müssen daher die engagiertesten Befürworter dieses Gesetzesvorhabens sein. Daher ist es wichtig, alte, brachliegende Flächen zu sanieren, bevor unverbrauchte Landschaft verwendet wird. Das gilt beispielsweise auch für eine so dichtbesiedelte Industrieregion wie Nordrhein-Westfalen, wo der Siedlungsflächenanteil zwischen 21 Prozent und - in Ballungszentren - 50 Prozent liegt.
Wenn die Opposition in Zeiten leerer Kassen umweltschützerische Maximalforderungen propagiert, zeigt sich, daß sie die Bodenhaftung verloren hat.
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Es ist völlig realitätsfremd, in der dichtbesiedelten Bundesrepublik so zu tun, als ob der Boden nicht genutzt würde. Es muß ein vernünftiger Ausgleich zwischen den Nutzungsarten des Bodens gefunden werden. Die knappen öffentlichen Mittel zur Altlastensanierung müssen effektiv eingesetzt werden. Damit ist es nicht vereinbar, bei Bodensanierung das Wiederherstellen von Multifunktionalität zum Ziel zu erklären. Luxussanierungen mit Milliardenkosten ohne einen vertretbaren ökologischen Nutzen wollen wir nicht.
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Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft. Denn das Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen Herr Professor Thoenes hat in unserer Sachverständigenanhörung ausdrücklich angefordert, daß der Sachverständigenrat das Konzept des Nutzungsbezugs in diesem Gesetzentwurf unterstützt. Deswegen glaube ich, daß es auch umweltpolitisch in vollem Umfang vertretbar ist.
Unsere Auffassung ist: Bodenschutz muß mit den Bodennutzern und nicht gegen sie betrieben werden.
({5})
Unsere Regelungen beispielsweise für die Landwirtschaft als größten Bodennutzer in Deutschland sind auch unter diesem Gesichtspunkt zielführend. Die Definition der „guten fachlichen Praxis" und die starke Stellung der landwirtschaftlichen Beratung zeigen, wie stark wir für Kooperation im Bodenschutz eintreten. Bürokratische Verschärfungen, wie von der Opposition gefordert, lehnen wir sowohl als Partner des Bodenschutzes als auch als Partner der verantwortungsbewußten Landwirtschaft ab.
({6})
Wenn die Kollegin Schwall-Düren die Ausgleichszahlungen für Landwirte in Frage stellt, gleichzeitig aber zusätzliches Geld für die maroden Haushalte der Länder einfordert, dann will ich ihr sagen: Der zentrale Unterschied zwischen einem Landeshaushalt und dem Boden eines landwirtschaftlichen Betriebes ist, daß der Boden des landwirtschaftlichen Betriebes Einkommensgrundlage ist.
({7})
Deswegen halten wir es für gerechtfertigt, die Einkommensgrundlage dieser Menschen auch bei Einschränkungen zu erhalten.
({8})
Herr Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schwall-Düren?
Aber selbstverständlich. Die Kollegin Schwall-Düren ist immer eine interessante Zwischenfragerin.
Herr Kampeter, wie argumentieren Sie denn, wenn ich Ihnen folgenden Fall vorstelle? Wir haben den kleinen Häuslebauer, der sein Haus auf einer ehemaligen Deponie gebaut hat. Nun wird festgestellt: Der Boden ist vergiftet. Nach Ihrem Gesetzentwurf ist dieser Häuslebauer verpflichtet, die Sanierung teilweise zu bezahlen, und zwar bis zur Höhe des Verkehrswertes des Grundstückes. Außerdem hat er schon die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu tragen. Halten Sie es noch für eine Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes, wenn man diese Grundstücksbesitzer im Regen stehen läßt, aber nicht schaut, wie die Verursacher herangezogen werden, wenn im Bereich der Landwirtschaft Nutzungsbeschränkungen auferlegt werden müssen?
Frau Kollegin Schwall-Düren, dieser Gesetzentwurf zielt geradezu darauf ab, daß die Verursacher von schädlichen Bodenveränderungen zur Kasse gebeten werden. Das ist der ganz klare Grundansatz dieses Gesetzentwurfes. Ich möchte aber noch einmal auf den zentralen Unterschied zwischen dem Hausbesitzer und dem Landwirt hinweisen. Das Grundstück des Hausbesitzers ist keine Einkommensgrundlage. Schon deshalb gibt es eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Hausbesitzer und dem Landwirt, der sein Einkommen auf der Fläche erzielen muß, die eventuell von anderen vergiftet wurde.
({0})
Wir sind uns aber im Kern einig: Der Verursacher einer Verschmutzung muß dafür entsprechend blechen.
({1})
- Nachhilfe für die Sozialdemokraten mag es immer geben.
Sie haben uns heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, den ich - zugegeben: etwas salopp - als bodenlos schlecht charakterisieren möchte. Eine
Vielzahl von Punkten, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag als grundlegend für die Novellierung des Gesetzes bezeichnet haben, Frau Kollegin Schwall-Düren, haben während der Gesetzesberatung in Ihren Anträgen überhaupt keine Rolle gespielt.
({2})
Wenn Sie heute beispielsweise fordern, das Düngemittelrecht müsse im Bodenschutzgesetz verankert werden, dann frage ich Sie, Frau Schwall-Düren: Wo war Ihr Antrag, der die Rechtsgrundlage für das Düngemittelrecht im Bodenschutzgesetz verankert hat? Sie haben dazu keinen Antrag gestellt. Das gleiche gilt für das Verschlechterungsverbot, für Ihre Forderung nach einem Bodenzustandsprogramm, einem nationalen Bodenschutzprogramm, einem BodenMonitoring-System: alles Schaulaufen für die Presse, für die Öffentlichkeit, aber überhaupt kein materieller Antrag. Dies halte ich für unseriös. Im Ausschuß haben diese Forderungen von Ihrer Seite keine Rolle gespielt.
In Ihrem Antrag erheben Sie, Frau Kollegin, die Forderung, eine Ausbildungsinitiative für Umweltbeamte der Kommunen zu starten. Ich finde es zwar ungewöhnlich, daß der Bund jetzt für die Ausbildung der Kommunalbeamten zuständig sein soll, aber ich will Ihnen aus fachlicher Sicht sagen: Bitte gehen Sie einmal in die Praxis, dann sehen Sie, daß wir hervorragend qualfizierte Beamte im Vollzug haben, die in der Vergangenheit schon Großartiges beim Bodenschutz geleistet haben.
({3})
Frau Kollegin Schwall-Düren, auch Ihre Forderung nach Vorlage des untergesetzlichen Regelwerks als Vorwurf gegen die Bundesregierung greift in vielem zu kurz. Ich stelle fest, daß beispielsweise auf der Ausschußdrucksache 780 im Landwirtschaftsausschuß das untergesetzliche Regelwerk im Entwurf vorliegt. Es ist auch Ihnen per Schreiben zugegangen. Heute fordern Sie groß in Ihrem Antrag, es solle vorgelegt werden. Ich stelle fest: Es liegt vor, es ist solide bearbeitet. Sie sollten allerdings die Vorlagen, die Ihnen zugeschickt werden, irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist hilfreich für den weiteren Verlauf der Beratungen.
({4})
Ich will schließlich darauf hinweisen, daß eine weitere Kategorie von Forderungen, die Sie aufstellen, einfach nicht zu bezahlen ist, beispielsweise Ihre Forderung des grundsätzlichen Vorrangs der Sanierung von Flächen vor der Sicherung. Wenn wir nicht im Einzelfall entscheiden, was für die Fläche geboten ist, sondern einen grundsätzlichen Vorrang im Gesetz niederlegen, würden wir zusätzliche Milliardenkosten ohne irgendeinen ökologischen Vorteil haben.
Insgesamt ist der Antrag ein Sammelsurium von unausgegorenen Plattitüden und unbezahlbaren, unverhältnismäßigen Maximalforderungen.
({5})
Daher lehnen wir ihn ab; denn dem Schutz der Umwelt dient er nicht.
In den nächsten Wochen werden die Beratungen mit dem Bundesrat beginnen. Wir haben das, was wir politisch im Bodenschutzgesetz wollen, mit diesem Gesetzesbeschluß vorgelegt. Wir sind selbstverständlich an einem weiteren Dialog interessiert. Es gilt jetzt, die Verhandlungen mit dem Bundestag rasch zu einem für beide Seiten vertretbaren Kompromißergebnis zu führen. Ich glaube nicht, daß der Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion eine Grundlage ist. Vielmehr werden wir uns an dem, was in den Länderparlamenten mehrheitsfähig ist, zu orientieren haben.
In diesem Sinne werden wir als CDU/CSU-Fraktion heute unserem Gesetzentwurf zustimmen, den der Grünen ablehnen und die Entschließungsanträge der Opposition gleichwohl.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kampeter, es ist natürlich legitim, daß ein Vertreter der Regierungsparteien versucht, das Erreichte gebührend zu feiern. Das nehme ich Ihnen gar nicht übel.
({0})
Aber ich darf Sie doch noch einmal daran erinnern, daß die Entstehungsgeschichte des Bundesbodenschutzgesetzes zwölf Jahre dauerte und nicht sechs Monate, wie Sie hier behauptet haben.
({1})
Ich denke, daß Lobeshymnen dieser Art eigentlich am Kern der Sache vorbeigehen. Sie sind nicht geeignet, aus einem schwachen Gesetz nun ein Jahrhundertwerk zu machen.
({2})
Es ist gewiß zutreffend, daß der Boden neben Wasser und Luft eines der wichtigsten Umweltmedien ist. Aber damit ist seine Funktion noch längst nicht ausreichend umschrieben; denn der Boden ist eben die wichtigste Lebensgrundlage, die wir haben. Vor allem ist er die Grundlage unserer Ernährung, und er ist ein nicht vermehrbares Gut. Schon das allein sollte Veranlassung genug sein, äußerst pfleglich und schonend mit der Ressource Boden umzugehen. Aber wir tun genau das Gegenteil. Dies haben wir in der Vergangenheit auf weite Strecken so gemacht. Es sieht nicht danach aus, als ob es in Zukunft anders sein würde.
Der Boden verträgt viel; aber langfristige Mißhandlungen nimmt er sehr übel. Über viele Jahre hinweg haben wir in der Bundesrepublik große Teile unserer Böden durch enorme Schadstoffeinträge, durch Überdüngung und durch gedankenloses Zubetonieren aufs gröbste mißhandelt. Es sieht keineswegs danach aus, als ob dieser Gesetzentwurf hier Abhilfe bringen würde. Deshalb können Sie von unserer Seite beim besten Willen keine Jubelrufe erwarten.
({3})
- Dazu ist er nicht gut genug.
Einen der unverzeihlichsten Fehler, liebe Frau Kollegin Homburger, sehe ich in der stiefmütterlichen Behandlung des Vorsorgegedankens. Wenn wir uns um eine wirksame Vorsorge herumdrücken, können wir das Ganze eigentlich bleiben lassen.
({4})
- Lieber Herr Weng, hören Sie einmal zu.
Genau vor drei Tagen hat die Bundesregierung den deutschen Waldbodenbericht 1996 vorgestellt. Heute wird das Bundesbodenschutzgesetz verabschiedet. Hier treffen zwei Ereignisse zusammen, die im Grunde in schärfstem Kontrast zueinander stehen.
({5})
Ich weiß nicht, ob Sie die Zeit hatten, in der Zwischenzeit diesen Waldbodenbericht überhaupt einmal zu studieren. Denn wem noch nicht bewußt war, was unterlassene Vorsorge beim Bodenschutz bedeutet, dem werden beim Studium des Waldbodenberichtes sicherlich die Augen aufgehen. Vielleicht werden sie manchem sogar übergehen, wenn er sensibel genug dafür ist.
30 Prozent der Böden Deutschlands sind Waldböden. In sechsjähriger mühsamer Arbeit wurde dieser Bodenzustandsbericht zusammengestellt. Er offenbart ein erschreckendes Fazit. Er besagt klipp und klar: Erstens sind die Waldoberböden flächendekkend versauert und basenarm. Zweitens besteht für anspruchsvollere Pflanzenarten auf 68 Prozent der untersuchten Standorte ein starkes Säurerisiko. Drittens sind in den Humusauflagen - das finde ich besonders brisant - hohe Schwermetallkonzentrationen zu finden. Für Blei sind an 25 Prozent der untersuchten Standorte die für Bodenorganismen potentiell toxischen Konzentrationen bereits überschritten, bei Kupfer sogar an 38 Prozent der untersuchten Standorte. Solche Ergebnisse sprechen für sich. Bei bestimmten Bodentypen ist viertens die Gefahr der Grund- und Quellwassergefährdung nicht mehr auszuschließen. Schließlich sind fünftens in den meiDr. Liesel Hartenstein
sten Regionen die Stickstoffeinträge in den Waldböden weit überhöht.
Alles in allem sind das Ergebnisse, die eigentlich die Alarmglocken schrillen lassen müßten, und zwar sehr laut.
({6})
Wenn diese Fakten für ein Drittel unserer Landesfläche zutreffen, dann muß doch die Frage berechtigt sein: Wie sieht das bei den übrigen 70 Prozent unserer Landesfläche aus? Die Ergebnisse dieser Erhebungen dokumentieren eindeutig, daß die Bundesregierung beim Bodenschutz, zumindest bei den Waldböden, eklatant - das möchte ich festhalten - gegen das Gebot der Vorsorgepflicht verstoßen hat, und dies übrigens, obwohl sie selber in die Bodenschutzkonzeption von 1985 das Prinzip der Vorsorgepflicht deutlich hineingeschrieben hat. Inzwischen hat sie das total verdrängt.
Was nun, Frau Merkel? Eigentlich müßte die logische Konsequenz der Ergebnisse des Waldbodenberichts sein, dieses Bodenschutzgesetz zurückzuziehen.
({7})
Schlimm dabei ist, daß es in Zukunft unverändert so weitergehen wird. Anforderungen an den Schutz von Waldböden werden - ebenso wie bei der Landwirtschaft - einfach aus dem Bodenschutzgesetz ausgeklammert. Die Erfüllung der Vorsorgepflicht bei der forstwirtschaftlichen Bodennutzung soll sich nach den im Bundeswaldgesetz und den in den Forst- und Waldgesetzen der Länder festgelegten Standards richten. Punktum, damit ist in Ihren Augen das Problem offensichtlich gelöst. In unseren Augen nicht! Eine Verschiebung des Problems ist noch lange keine Lösung.
({8})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Jack London hat einmal gesagt: „Wenn die Geduld der Natur erschöpft ist, antwortet sie mit Katastrophen". Ich habe den Eindruck, bei den Waldböden ist die Entwicklung so hochdramatisch, daß es dort bald soweit sein könnte. Das wäre nicht nur nicht verantwortbar, sondern - was schlimmer ist - es wäre praktisch irreparabel.
Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf, ein umfassendes nationales Bodenschutzprogramm im Sinne der Agenda 21 vorzulegen - und zwar schnell -, in dem die Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit der Böden in ihrer standorttypischen Vielfalt im Vordergrund steht. Vielleicht sagen Sie uns heute, Frau Minister Merkel, wann mit einem solchen umfassenden Programm zu rechnen ist und wie Sie die vorhandenen Lücken schließen wollen.
Ich möchte noch ein Wort zum internationalen Aspekt sagen. Es ist wahr: Um den Bodenschutz ist es nicht nur national, sondern auch international schlecht bestellt. Wenn in der Bundesrepublik - das ist schon gesagt worden - pro Jahr und Hektar 10 Tonnen Boden durch Erosion verlorengehen, so ist das ein trauriges Faktum. In den USA sind es aber 15 bis 20 Tonnen pro Hektar und Jahr. Aus den Entwicklungsländern liegen nur teilweise konkrete Zahlen vor. Man weiß zum Beispiel durch Erhebungen der FAO aber, daß mehr als 80 Prozent der Erosion in den Entwicklungsländern stattfindet.
Klar ist nach meinem Dafürhalten also: Auch international besteht beim Bodenschutz ein ganz dringender Handlungsbedarf. Heute haben die Menschen pro Kopf der Weltbevölkerung gerade noch 0,3 Hektar landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung. Im Jahre 2020 wird sich diese Fläche von 0,3 Hektar halbieren. Ich frage mich: Wie sollen wir in Zukunft mit der Welternährung zu Rande kommen?
Die Internationale Bodenschutzkonferenz, die im letzten Jahr in Bonn stattgefunden hat, hat die Devise ausgegeben: „Globaler Bodenschutz gehört auf die internationale Agenda der Umweltpolitik und ist Zukunftsinvestition für kommende Generationen". Dies ist in Ordnung und sollte bei internationalen Konferenzen als Handlungsdevise nicht vergessen werden.
Nun hat die Bundesregierung die löbliche Absicht bekundet, den globalen Bodenschutz als prioritäres Thema - wenn ich Sie richtig verstanden habe, Frau Minister Merkel - bei der Sondergeneralversammlung der UN im Juni in New York einzubringen.
({9})
Sie haben unsere Unterstützung, wenn dies geschieht; wir sind völlig einverstanden. Aber ich muß eines hinzufügen: Wenn Sie bei einer solchen internationalen Initiative Erfolg haben wollen - wir wünschen Ihnen dies -, dann müssen Sie sich zuallererst auch der Unterstützung des Herrn Rexrodt vergewissern, der die WTO-Verhandlungen für die Bundesrepublik führt. Das heißt, es muß dafür gesorgt werden, auch durch Initiative der Bundesrepublik Deutschland,
Frau Kollegin, Ihre Redezeit.
- daß in der Außenwirtschaftspolitik ökologische Komponenten einbezogen werden und daß nicht durch totale Liberalisierung wie heute weiter verfahren wird.
({0})
Ich bin sofort am Ende, Herr Präsident.
Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Sie müssen bitte auch - ich hoffe, daß Ihnen das gelingt - den Herrn Bundeskanzler an Ihrer Seite haben; denn er fährt demnächst zum G-7-Gipfel, und dort muß sich etwas bewegen. Dort werden die entscheidenden Weichen gestellt.
Die beste Hilfe zum Schutz der Böden in den Entwicklungsländern ist nämlich noch immer
Frau Dr. Hartenstein, ich würde Sie wirklich bitten, zum Schluß zu kommen.
- sofort, das ist der letzte Satz -, daß eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung eingerichtet wird, die es den armen Ländern erlaubt, zuerst ihre eigene Bevölkerung zu ernähren, mid sie nicht dazu zwingt, riesige Flächen zum Anbau von Cash Crops für den Export zu nutzen, um ihre drückende Schuldenlast zu vermindern. Wir sind auf Ihrer Seite, wenn Sie internationale Initiativen unternehmen,
Frau Dr. Hartenstein, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
- aber wir sind nicht bereit, eine schwache nationale Initiative wie das Bodenschutzgesetz zu unterstützen; denn dies schwächt auch die Position der Bundesrepublik bei internationalen Verhandlungen, und das ist bedauerlich.
Danke schön.
({0})
Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heutigen Tag sind wir ein gutes Stück auf dem Weg zum Schutz des dritten Mediums, zum Bodenschutz, vorangekommen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die zu den schnellen Beratungen - um die ging es jetzt erst einmal, Frau Hartenstein - im Deutschen Bundestag beigetragen haben, insbesondere bei den beiden Berichterstattern aus dem Umweltausschuß, Frau Christa Reichard und Herrn Steffen Kampeter, und bei allen anderen, die mitgewirkt haben.
({0})
Ich freue mich auch, daß den Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums gedankt wurde; denn ich denke, hier hat es eine sehr gute Kooperation gegeben.
Der Boden ist ja nicht umsonst das Medium, für das wir als letztes ein Gesetz machen, in dem es um Vorsorge und um Revitalisierung geht. Denn der Boden ist viel stärker mit Eigentumsrechten belastet, als dies bei Luft und Wasser der Fall ist, und deshalb läßt er sich auch schwerer schützen. Es gibt keinen einzigen umweltpolitischen Grund, warum der Boden anders geschützt werden sollte als andere Medien. Aber es ist schwieriger. Wir sind mit diesem Bodenschutzgesetz international Vorreiter. Auch wenn Sie uns das an manchen Stellen immer wieder absprechen wollen: Hier ist es so.
({1})
Man kann natürlich im Stil einer guten Vorlesung darüber räsonieren, was man noch alles hätte machen können. Nur, ich sage Ihnen auch: Bei der Verabschiedung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes lag noch nicht einmal ein einziger Verordnungsentwurf vor. Dort ist genauso wie hier im Bundesbodenschutzgesetz das Vorsorgeprinzip mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot verbunden worden. Kein Mensch würde heute sagen, daß dieses Bundes-Immissionsschutzgesetz in den vielen Jahren nicht zu hervorragenden Regelungen geführt hätte. Das heißt, wir tun heute einen ersten wichtigen Schritt - es sagt doch niemand, daß es der allerletzte ist - und legen erst einmal die Grundlagen für einen vernünftigen Bodenschutz.
({2})
Weil die Regelung für den Boden so spät kommt und weil der Boden geschützt werden muß und weil ein Zusammenhang mit den anderen Medien gegeben ist, gibt es schon 50 Rechtsetzungsvorhaben des Bundes, die bereits den Bodenschutz zum Inhalt haben. Es gibt das Pflanzenschutzrecht, das Immissionsschutzrecht, das Düngemittelrecht, das Wasser-, das Abfall-, das Naturschutzrecht, das Baurecht, das Planungsrecht, das Bergrecht. In all diesen Gebieten sind schon teilweise Aspekte des Bodenschutzes verankert. Aber wir haben gesagt: Trotzdem ist es notwendig - hier geht es um die nicht geregelten Bereiche -, zusätzlich den Boden insgesamt unter die Lupe zu nehmen und dieses Gesetz zu schaffen.
Ich glaube, wir stimmen in bezug auf die Funktionen des Bodens als Lebensgrundlage und Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen vollkommen überein. Dieser Aspekt wird in dem Gesetz auch ausdrücklich genannt und wird nicht irgendwie ausgeklammert. Deshalb ist es eben kein Altlastensanierungsgesetz, sondern ein Gesetz, das sich einem umfassenden Bodenschutz widmet.
({3})
Ich kann Ihnen sagen - darüber bin ich sehr froh -, daß die Konzeption des Regierungsentwurfs, der lange und ausgiebig mit allen einschlägigen Fachleuten besprochen wurde, in den Anhörungen im wesentlichen Zustimmung erfahren hat.
Ich möchte auch erwähnen, daß es lobenswert ist, daß Bündnis 90/Die Grünen einen in vielen Teilen gar nicht einmal völlig von unserem abweichenden
Regierungsentwurf - Oppositionsentwurf vorgelegt haben.
({4}) - Ja, das hätten Sie gern; so weit ist es nicht.
({5})
- Das werden wir auch verhindern. Keine Sorge.
({6})
Wir unterscheiden uns aber in einem Punkt, der hier schon öfter genannt worden ist und den ich noch einmal ganz klar herausstreichen will. Warum wollen wir eigentlich bei offensichtlich auf allen Ebenen außerordentlich beschränkten Finanzmitteln völlig nutzungsunabhängig unsere Altlasten sanieren und dafür sehr viel Zeit vergeuden? Können Sie mir das erklären? Warum wollen wir Millionen in den Sand setzen, um auf einem Boden, auf dem man von der Qualität her einen Kinderspielplatz errichten könnte, hinterher ein Gewerbegebiet zu errichten? Können Sie mir das erklären? In der Zwischenzeit nehmen wir neue, unverbrauchte Flächen in Anspruch, um dort Gewerbegebiete zu errichten. Das wäre vom Standpunkt der Nachhaltigkeit her völlig unsinnig. Deshalb ist das auch keinem Menschen klarzumachen.
({7})
Meine Damen und Herren, es ist schon recht verwunderlich, was Sie gemacht haben, als es um die Definition der „guten fachlichen Praxis" ging. Als wir in der letzten Woche über das Naturschutzgesetz debattiert haben, da hieß es: Wenn ihr in das Naturschutzgesetz hineinschreiben würdet, was ihr in das Bodenschutzgesetz hineingeschrieben habt, das wir ja noch nicht verabschiedet haben, dann wären wir mit den Betreiberpflichten vollkommen zufrieden.
({8})
Aber da ihr das ja in bezug auf den Naturschutz nicht ernst nehmt, sind wir nicht einverstanden. Heute heißt es, die Art von „guter fachlicher Praxis"; die in das Bodenschutzgesetz hineingeschrieben werde, sei ja nicht mehr als ein Mäntelchen usw. usf. Ich muß darauf erwidern: Sie sind ja noch nicht einmal für einen Zeitraum von 14 Tagen einigermaßen konsistent in Ihrer eigenen Argumentation. Wenn es sich nun um eine vernünftige Beschreibung der „guten fachlichen Praxis" handelt, dann muß ja wohl in bezug auf das Bodenschutzgesetz wahr sein, was in bezug auf das Naturschutzgesetz hätte wahr sein sollen. Wir wollen aber keine Doppelregelung. Deshalb haben wir diese Regelung nicht in zwei Gesetze, sondern dort hineingeschrieben, wo sie hingehört.
({9})
Wir haben auch Neuigkeiten vorgelegt. Ich stimme aber Frau Homburger zu: Wer kauft schon gerne die Katze im Sack? Die Verordnungsermächtigungen sind klar. Bei den Eckpunkten der Bodenschutz- und
Altlastenverordnung handelt es sich ganz klar um seriös abgeleitete und begründete Anforderungen.
({10})
Nur muß man bei einem Gesetz, das international ohne Vergleich ist und auch national noch nie erstellt wurde, erst einmal schauen, wie ökotoxikologischen Wirkungsschwellen und Wirkungsschwellen in Nutzpflanzen abgeleitet werden und mit den verschiedenen Körperdosen und medizinischen Erkenntnissen abgeglichen werden können. Es sagt doch keiner, daß dabei wissenschaftlicher Fortschritt nicht mehr zum Zuge kommen und nicht noch einmal darüber nachgedacht werden kann. Bringen Sie es doch erst einmal auf den Punkt und nennen Sie eine Alternative! Die Werte sind erst einmal hervorragend abgeleitet und schlüssig in sich selbst und passen - das ist ganz wichtig - auch noch zu den Anschlußmedien Wasser und Luft. Das ist nämlich gar nicht so einfach.
Es ist auch wichtig - ich will den Sanierungsaspekt von Altlasten überhaupt nicht in den Hintergrund stellen -, daß wir genau diesen Bereich, der sich zur Zeit in Deutschland in einem Schwebezustand befindet und nicht bearbeitet wird, voranbringen. Frau Bulling-Schröter, Sie werden sich wundern: Für uns ist es nicht schlimm, wenn Umweltschutz auch noch Arbeitsplätze schafft. Denn wir wollen ein Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie. Darüber braucht man sich nicht lustig zu machen, wir freuen uns in der augenblicklichen Situation darüber.
({11})
Damit dies alles auch schnell geht, haben wir in diesem Gesetz einen neuen Weg gewählt: Bei der Altlastensanierung soll eine Konzentrationswirkung eingeführt werden. Das ist sicherlich für den Abbau von Bürokratie und für schnellere Entscheidungen sehr hilfreich.
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Natürlich existieren zusätzliche Regelungen in bezug auf die Frage, wie man eine Entkoppelung von Flächenverbrauch und Wirtschaftswachstum schaffen kann. Die mechanistischen Rechnungen, daß hier in 80 Jahren alles zugebaut ist, sind natürlich nicht richtig. Richtig ist aber, daß wir diese Entkoppelung schaffen müssen und bislang noch nicht geschafft haben. Um sie zu schaffen, ist sicherlich ein schrittweiser Prozeß nötig. Weder im Zwischenbericht der Enquete-Kommission noch in unserem Gesetz - das sage ich ganz ehrlich - habe ich dafür eine komplette Lösung gefunden. Ich will aber darauf hinweisen, daß wir sowohl im Bundesnaturschutzgesetz als auch bei der Novellierung des Baurechts im Rahmen der Raumordnung verankert haben, daß Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen sind und es statt eines Abbruchgebotes in Zukunft ein Rückbau- und Entsiegelungsgebot geben wird. Auch hier sind Schritte in diese Richtung gemacht. Man muß sich schon einmal die Mühe machen, die Gesetze in ihrer Gesamtheit zu betrachten.
Meine Damen und Herren, ich bin mir gewiß, daß jeder, der es mit dem Bodenschutz ernst meint, dieBundesministerin Dr. Angela Merkel
sem Entwurf zustimmen müßte, um das Thema Bodenschutz konstruktiv voranzubringen. In den nächsten Schritten kann man natürlich über Verbesserungen diskutieren. Daß wir hier einen ganz wesentlichen Schritt gehen, auch international viele Nachfragen bekommen werden und bei internationalen Vereinbarungen für den Boden weiterkommen, dessen bin ich mir ganz gewiß und bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung.
({12})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Ulrike Mehl das Wort. Bitte schön.
({0})
Das mußte kommen; so ist es. - Frau Ministerin, Sie haben eben gesagt, wir würden uns in der Argumentation widersprechen,
({0})
weil wir in der letzten Woche gesagt hätten: Wenn die Definition der „guten fachlichen Praxis", die im Entwurf des Bodenschutzgesetzes steht, im Naturschutzgesetz stehen würde, wären wir damit zufrieden. Ich stelle hier fest: Das ist falsch; das haben wir nie gesagt. Wir haben gesagt, daß wir es in Ordnung finden, daß im Bodenschutzgesetz überhaupt eine Definition enthalten ist, aber sie uns nicht ausreicht. Außerdem haben wir gesagt: Die Definition, die im Bodenschutzgesetz steht, bezieht sich überhaupt nicht auf die Frage des Naturschutzes und reicht daher für den Naturschutz nicht aus. Deswegen ist der Querverweis darauf, daß die Definition der „guten fachlichen Praxis" ja im Bodenschutzgesetz stehe, falsch. Genau dies haben wir letzte Woche in der Naturschutzdebatte gesagt.
Sie sagen: Wer ein Bodenschutzgesetz will, muß diesem Gesetz zustimmen. Ich sage, das Gegenteil ist der Fall: Wer ein Bodenschutzgesetz mit vorsorgendem Bodenschutz will, muß dieses Gesetz ablehnen.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Wir beginnen mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Schutz des Bodens auf Drucksachen 13/6701 und 13/7891 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7904 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Damit treten wir in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenergebnis wie eben angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7905. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich urn das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz des Bodens auf Drucksache 13/5203. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf der Drucksache 13/7891 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen und bitte diejenigen, die dem Entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei einer Stimmenthaltung und bei Stimmenthaltung der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Dann lasse ich über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Antrag der Fraktion der SPD zur Erkennung der Gefährdung der Böden und zur Durchsetzung eines vorsorgenden Bodenschutzes auf Drucksache 13/7891 Nr. 3 abstimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3553 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, . daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Antrag der Gruppe der PDS zu Eckpunkten eines Bodenschutzgesetzes auf Drucksache 13/7891 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6715 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! 16318
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung der landwirtschaftlichen Verwertung von Klärschlämmen und Komposten, Drucksache 13/ 7047. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4449 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 11 und Zusatzpunkt 5 auf:
11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger, Elisabeth Altmann ({0}), Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Hochschul- und Studienfinanzierung: Studiengebühren sind der falsche Weg
- Drucksache 13/7473 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Doris Odendahl, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Investition für die Zukunft: Hochschul- und Studienfinanzierung sichern
- Drucksache 13/7914 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 7 Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Matthias Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Verlautbarungen verschiedener auch hier im Hause Verantwortung tragender Politiker in den letzten Monaten zu dem Thema Studiengebühren gehört hat, müßte man sich fragen: Besteht überhaupt Anlaß, heute über das Thema Studiengebühren zu diskutieren? Es werden nämlich nicht nur von den Oppositionsfraktionen Studiengebühren kategorisch abgelehnt, auch Bundesbildungsminister Rüttgers hat sich wiederholt und teilweise auch in, wie ich finde, sehr erfreulich energischer Form gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen.
Ich denke trotzdem, daß es nötig ist, daß sich dieses Haus mit diesem Thema beschäftigt; denn was im Moment ansteht, ist eine Reform der Hochschullandschaft in Deutschland, weil wir das Hochschulrahmengesetz demnächst auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages haben werden. Dies wird zur Zeit noch zwischen Bund und Ländern verhandelt. Dabei zeichnet sich in einem, wie ich finde, sehr entscheidenden Punkt ein Konflikt ab, nämlich in der Frage, ob wir als Bundesgesetzgeber zusammen mit den Ländern im Hochschulrahmengesetz festschreiben, daß das Studium in Deutschland im Grundsatz gebührenfrei bleiben soll. Dieser Streit ist aus meiner Sicht ein Streit zwischen den Ländern, die an diesem meines Erachtens sozialstaatlich wichtigen Prinzip festhalten wollen, und den Ländern, die - auch das würde ich unterstellen - darauf schielen, in den nächsten Jahren die Finanzierung ihrer Hochschulen auf neue Füße zu stellen.
Ich glaube, daß die Einheitlichkeit der Hochschullandschaft in Deutschland auf dem Spiel steht, wenn wir es nicht schaffen, bundeseinheitlich ein klares Wort zu diesem Thema in Form eines Gesetzes zu sprechen. Zur Zeit erleben wir schon, vor allem in Baden-Württemberg, in Anfängen, aber auch in anderen Bundesländern, wie man durch Hintertüren auf erst einmal nicht so hohe Gebühren setzt. Man spricht dann von Verwaltungsgebühren, von Gebühren für sogenannte Langzeitstudierende. Das ist ein Grundprinzip, das hier zum Ausdruck kommt, von dem ich glaube, daß es früher oder später dazu führen wird, daß in einigen Bundesländern das Studium weiterhin gebührenfrei bleibt, während in anderen Bundesländern Gebühren erhoben werden. Das hat fatale soziale Folgen: Diejenigen, die sich dort, wo Gebühren erhoben werden, eine Hochschulausbildung nicht leisten können, bleiben draußen vor der Tür oder müssen abwandern in Bundesländer, die keine Studiengebühren erheben.
Dies hielte ich für eine schlechte Entwicklung. Diese Entwicklung können wir ohne weiteres aufhalten. Wir können sie aufhalten, indem wir sagen:
Erstens. Es ist keineswegs ein Nachteil für den Bildungsstandort Deutschland, daß in der Bundesrepublik keine Studiengebühren erhoben werden. Im Gegenteil: Es ist ein Standortvorteil, zu dem wir uns auch offensiv bekennen sollten.
Zweitens. Es ist nach wie vor ein Ziel der Politik zu sagen: Studiengebühren sind der falsche Weg, weil wir eine Öffnung der Hochschulen wollen, damit möglichst vielen Menschen, auch Menschen aus Familien mit geringem Einkommen, der Weg in die Hochschule und damit in eine exzellente Ausbildung geebnet wird.
({0})
Auch dieser Punkt ist zum Teil umstritten. Denn neben der Frage der Gebührenfreiheit ist die Reform des BAföG hoch umstritten. Das Pingpong zwischen den Ländern und dem Bundesminister, aber auch der Streit hier im Hause in dieser Frage wird aus meiner Sicht, wenn wir uns nicht irgendwann einmal einigen, fatale Folgen haben, nämlich daß Kinder aus Familien mit geringem Einkommen nicht mehr studieren werden.
Alle sprechen von der Wissensgesellschaft. Alle sprechen davon, daß unsere Gesellschaft qualifizierter werden muß, daß der Anteil der akademischen Ausbildung wahrscheinlich wachsen muß. Gleichzeitig ist ein wichtiger Grundkonsens der deutschen Politik der 70er Jahre in Gefahr, nämlich der der Chancengleichheit. Wenn wir uns gegen Studiengebühren aussprechen, können wir auch das erreichen: daß das Prinzip der Chancengleichheit zumindest an dieser Stelle nicht ausgehöhlt wird. Das scheint mir sehr wichtig und sehr erstrebenswert zu sein.
({1})
Wenn diese Einigkeit auch in öffentlichen Äußerungen vehement zum Ausdruck kommt, dann habe ich die Hoffnung, daß wir es schaffen, uns nicht nur fraktionsübergreifend in diesem Parlament gegen Studiengebühren auszusprechen, sondern alles in der Macht des Bundes Stehende zu tun, daß Studiengebühren nicht erhoben werden. Da kommt vor allem den Regierungsfraktionen eine enorme Verantwortung zu.
Denn so wie ich die Sache verstehe, wollen Sie diese Frage bislang nicht bundeseinheitlich, im Hochschulrahmengesetz, regeln, weil sich gewisse Länder - in der Regel CDU- oder CSU-regiert - dagegen sperren und Sie keine Spaltung herbeiführen wollen. Ich finde, hier sollte man ein sehr klares Signal setzen.
Die einzigen, die sich in der Bundesrepublik noch für Studiengebühren aussprechen, sind, wenn ich das richtig überblicke, die Wirtschaftsverbände. Deren Papiere machen deutlich, daß sie nicht erkannt haben, in welche Richtung sich die Hochschulen in Zukunft entwickeln müssen. Wer heutzutage sagt, man könne die Finanzierung der Hochschulen gewährleisten, indem man von Studierenden 3000 DM Studiengebühren pro Jahr verlangt, der sieht sich zu Recht einer breiten Front der Ablehnung - von den Hochschulrektoren über die allergrößte Zahl der Landesbildungsminister, den Bundesbildungsminister und die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag bis, wie ich hoffe, zu den Regierungsparteien im Deutschen Bundestag - gegenüber. Hier bietet sich einigen die Chance, ein bißchen mehr Klarheit zu schaffen.
Die F.D.P. hat ihren Bundesparteitag auch unter das Thema Bildung gestellt. Darüber ist nicht soviel berichtet worden; das mag mit der Haushaltskrise zu tun haben. Aus dem Antrag zu diesem Thema, den Sie auf Ihrem Parteitag verabschiedet haben, wird nicht klar, ob Sie dafür oder dagegen sind. Man könnte Ihnen bösartig unterstellen - das will ich von dieser Stelle aus noch nicht tun -, daß Sie ganz tief in die Mottenkiste der Bildungspolitik der späten 60er Jahre greifen und die Formel „Hörergeld" weiter verwenden wollen.
({2})
Ich würde mich freuen, wenn Sie klarstellen würden,
({3})
daß auch Sie gegen Studiengebühren sind.
Ich glaube, daß wir eine Chance haben, im Ausschuß eine gemeinsame Position zu beziehen. Ich rechne auch damit, daß wir eine Chance haben, im Hochschulrahmengesetz eine klare Position zu finden. Mich freut es sehr, daß sich zum Beispiel die Bildungspolitiker der Sozialdemokraten, auch deren Bildungsminister, bereits festgelegt haben und sagen: Das ist für uns ein elementarer Punkt. Damit dieser Kernpunkt der Hochschulreform nicht untergeht, wird es unsere Aufgabe in diesem Parlament sein, ein sehr klares Wort zu sprechen. Dazu fordere ich Sie auf. Sie haben jetzt die Gelegenheit dazu.
Ich denke, wir haben vor allem in den Beratungen über ein neues Hochschulrahmengesetz die Chance, eine dauerhafte Perspektive zu eröffnen und das Signal zu setzen, daß uns Chancengleichheit keineswegs egal ist, sondern eines der wichtigsten Prinzipien in der Hochschulpolitik darstellt.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Edelgard Bulmahn.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Die nachwachsende Generation hat Anspruch auf die bestmögliche Qualifikation. Qualifizierte Bildung ist für den einzelnen eine ganz wesentliche Voraussetzung zur Realisierung individueller Lebens- und Berufschancen. Aber auch für unsere Gesellschaft insgesamt hängen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit, Kultur und Lebensqualität immer mehr von der Kompetenz, dem Wissen, dem Können und der Kreativität der Menschen in unserem Lande ab.
({0})
Nur wer in Bildung und Wissenschaft investiert, investiert in die Zukunftsfähigkeit der gesamten Gesellschaft.
Den Hochschulen kommt dabei eine ganz zentrale Bedeutung zu. Sie leisten mit der Ausbildung von hochqualifizierten Arbeitskräften einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität und zur Zukunftssicherung. Die Forschung an den Hochschulen bildet das Fundament des deutschen Forschungssystems und schafft die Grundlagen für wissenschaftliEdelgard Bulmahn
che, technologische und wirtschaftliche Innovation. Trotz aller - mitunter auch berechtigter - Kritik an den Hochschulen erkennen wir an, daß die Hochschulen in den vergangenen Jahrzehnten Beträchtliches geleistet haben. Sie haben einen hohen Standard der Ausbildung sicherstellen können. Der wachsende Umfang der Drittmitteleinwerbung, Sonderforschungsbereiche, Graduierten- und Innovationskollegs unterstreichen die Leistungsfähigkeit der deutschen Hochschulforschung.
Seit dem sogenannten Öffnungsbeschluß 1977 hat sich die Zahl der Studierenden fast verdoppelt, während der Personal- und Sachressourceneinsatz nur ganz unwesentlich gesteigert worden ist. Unsere Hochschulen sind in dramatischer Weise unterfinanziert. Besorgniserregend ist insbesondere der seit Jahren festzustellende kontinuierliche Rückzug des Bundes aus der Hochschulfinanzierung. So ist, wie in den vom BMBF herausgegebenen Grund- und Strukturdaten nachzulesen ist, der Anteil des Bundes an der Hochschulfinanzierung von 1970 bis 1995 von 14,3 Prozent auf sage und schreibe 5,2 Prozent gesunken.
({1})
Seit die konservativ-liberale Koalition 1982 die Regierungsverantwortung im Bund übernommen hat, ist der Anteil der BMBF-Ausgaben am Bundeshaushalt kontinuierlich von 4,7 Prozent auf 3,4 Prozent gesunken. Das wurde von uns immer wieder kritisiert. Leider ist es dennoch jedes Jahr praktiziert worden.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat nicht immer recht. Aber er hatte recht, als er auf dem CDU-Parteitag 1996 feststellte:
... die eigentliche Entscheidung über die Zukunft Deutschlands ({2}) nicht zuletzt in unseren Schulen und Hochschulen ..., nämlich ob dieses Land im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts bestehen wird oder ob wir absteigen.
({3})
Absteigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird aber zunächst jemand anderes: Eine Bundesregierung, die die notwendigen Investitionen in die Zukunft auf diese Art und Weise blockiert, die die Jugend unseres Landes Stück um Stück ihrer Zukunft beraubt, hat selbst keine Zukunft mehr. Deshalb wird diese Bundesregierung zunächst absteigen.
({4})
Bevor Sie - ich warte schon fast darauf - wieder mit Ihrer Länderschelte anfangen - das Spielchen kennen wir ja -, nehmen Sie doch bitte erst einmal zwei Zahlen zur Kenntnis: Von 1989 bis 1995 stiegen die Wissenschaftsausgaben der Länder um 70,5 Prozent, die des Bundes aber nur um 41,3 Prozent. - Ich warte
jetzt eigentlich auf den Hinweis auf Niedersachsen; auch der kommt normalerweise immer.
({5})
Deshalb zwei Zahlen zur Situation in Niedersachsen. Der Haushalt des dortigen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur ist von 1989 bis 1997 um 31,3 Prozent gesteigert worden. Der BMBF dagegen erzielte, obwohl die neuen Länder dazugekommen sind und das eigentlich bedeutet, daß die Wissenschaftsausgaben deutlich gesteigert werden müßten, weil wir um ein Viertel gewachsen sind, nur ein Plus von 30,5 Prozent.
({6})
Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist endlich eine klare Prioritätenentscheidung in den öffentlichen Haushalten für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
({7})
Unsere Hochschulen benötigen zusätzliches Geld. Neben den Ländern, die angesichts der verfehlten Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung
({8})
ihre Mittel nicht mehr steigern können und in den letzten Jahren zum Teil auch kürzen mußten, steht hier angesichts der aufgezeigten Entwicklung, die ich eben belegt habe, vor allem die Bundesregierung in der Pflicht.
({9})
Unverantwortbar wäre es, angesichts der Finanzprobleme erneut eine Debatte um die Studierendenzahl zu führen oder gar die Studienmöglichkeiten einzuschränken. Das wäre der falsche Weg.
({10})
Wir haben in Deutschland nicht zu viele Studierende. Wir sind vielmehr im Interesse unseres Landes auf eine möglichst große Zahl hochqualifizierter Menschen angewiesen. Ich freue mich, daß es zumindest in dieser Frage im Ausschuß bisher Konsens gab. Derzeit studieren in der Bundesrepublik zirka 30 Prozent eines Jahrganges. Im Vergleich zu den westlichen Industrienationen nehmen wir damit keinesfalls eine Spitzenstellung ein. Allen Beschäftigungsprognosen, die uns vorliegen, zufolge wird der Bedarf an Hochschulabsolventen weiter zunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit zusätzlichen Mitteln allein werden wir die strukturellen Probleme der Hochschulen nicht lösen können. Die knappen Ressourcen, aber auch das Leistungspotential von Hochschulen muß besser eingesetzt werden. Wir wollen deshalb die von den Ländern eingeleitete Hochschulreform weiter voranbringen und die
Eigenverantwortung und die Handlungsfähigkeit der Hochschulen stärken.
In Anbetracht der Finanzprobleme der Hochschulen wird jetzt seit einigen Jahren wieder verstärkt die Einführung von Studiengebühren verlangt, quasi als Wundermittel. Studiengebühren sind allerdings kein geeignetes Instrument zur Überwindung der Unterfinanzierung der Hochschulen;
({11})
Kollege Berninger hat dies zu Recht dargestellt. Sie sind sozialpolitisch verfehlt und unverantwortbar; sie sind bildungspolitisch falsch und in ihrer finanzpolitischen Wirkung zweifelhaft.
Wir sind uns in diesen Punkten mit dem Bündnis 90/Die Grünen und im Ergebnis bemerkenswerterweise auch mit der Bundesregierung einig. Daher verzichte ich jetzt auf die ausführliche Darlegung der Argumente. Mein Vorredner hat darauf hingewiesen. Außerdem sind sie für den, der noch Argumentationsbedarf hat, in meiner schriftlichen Fassung nachlesbar.
Die SPD-Bundestagsfraktion - da haben wir uns ganz eindeutig festgelegt - lehnt die Einführung von Studiengebühren ab. Wir lehnen sie auch als Partei ab.
({12})
Wir haben einen entsprechenden Parteitagsbeschluß, der das ganz klar und eindeutig besagt. Er ist unsere Handlungsgrundlage.
({13})
- Das unterscheidet uns vielleicht von Ihnen.
Wir werden im Zusammenhang mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes darauf bestehen, daß ein Verzicht auf die Einführung von Studiengebühren festgeschrieben wird.
({14})
Nur so läßt sich das verfassungsrechtliche Gebot der Schaffung vergleichbarer Lebensverhältnisse sicherstellen und ein verfälschender Wettbewerb zwischen den Ländern und Hochschulen vermeiden.
Ich habe allerdings kein Verständnis für den Bundesbildungsminister, der öffentlich immer wieder erklärt, er lehne Studiengebühren ab - was ich begrüße -, in den Bund/Länder-Verhandlungen die Aufnahme einer entsprechenden HRG-Regelung bisher aber abgelehnt hat.
Wir fordern die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung hier deshalb nachdrücklich auf, eine solche Festlegung von unserer Seite nicht länger zu blockieren, sondern gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag eine entsprechende Regelung im HRG zu verankern.
({15})
Meine Damen und Herren, in einer offenen, demokratischen Gesellschaft müssen alle jungen Menschen unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation die Möglichkeit haben, eine ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechende Ausbildung zu absolvieren. Der Hochschulzugang muß deshalb allen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren Einkommensverhältnissen offenstehen.
({16})
Die Herstellung von Chancengleichheit - das vergessen einige - ist Verfassungsgebot.
Diesem Anspruch, diesem Verfassungsgebot genügt das gegenwärtige zweigleisige System der Ausbildungsförderung - zum einen bestehend aus den Leistungen im Rahmen des Familienleistungsausgleichs und zum anderen bestehend aus den Leistungen im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - immer weniger.
Hiermit wird keine Chancengleichheit mehr gewährleistet. Dieses zweigleisige System begünstigt beim Familienleistungsausgleich die Bezieher höherer Einkommen. Zudem fordert es von den Beziehern von BAföG-Leistungen Leistungsnachweise, von denen, die durch den Familienleistungsausgleich begünstigt werden, aber nicht.
({17})
Infolge der fehlenden Verzahnung dieser Förderungen mangelt es dem gegenwärtigen Förderungsrecht an Gerechtigkeit, Konsistenz und Transparenz. Das muß behoben werden.
Das BAföG ist infolge der verfehlten Politik der Bundesregierung über die Kürzungen der letzten Jahre, die Nichtaufstockung der Förderbeträge und der Freibeträge ausgeblutet und wird seiner ursprünglichen Zielsetzung, nämlich dafür Sorge zu tragen, daß auch Jugendlichen aus einkommensschwächeren Familien die Teilnahme an weiterführenden Bildungsgängen ermöglicht wird, nicht mehr gerecht.
Seit 1982 ist der Anteil der Studierenden aus Elternhäusern mit niedrigen und mittleren Einkommen von 23 auf 14 Prozent bzw. von 34 auf 28 Prozent gesunken. Parallel dazu ist die Förderungsquote in den alten Ländern bis 1994 von 30,3 auf 17,6 Prozent gesunken.
Die Förderungsleistungen decken überdies immer weniger den Bedarf der Studierenden zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes. Das heißt, das Gesetz wird seiner Zielsetzung nicht mehr gerecht. Inzwischen müssen mehr als 60 Prozent der Studierenden in wachsendem Umfang auch während des SemeEdelgard Bulmahn
sters arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren. Die Konsequenzen sind jedem in diesem Hause klar.
Die SPD setzt sich deshalb für eine grundlegende strukturelle Reform der Ausbildungsförderung ein. Das neue System muß transparent, nachvollziehbar und sozial gerecht gestaltet sein. Es muß Verteilungsgerechtigkeit zugunsten unterer und mittlerer Einkommensschichten schaffen. Es muß unangemessene Begünstigungen und Benachteiligungen abbauen.
Hierzu sind die bisher getrennten Bereiche - ich habe sie vorhin geschildert - zu einem einheitlichen System der Studienförderung zusammenzuführen, bestehend aus einem einkommensunabhängigen Ausbildungsgeld und einer einkommensabhängigen Aufbauförderung, dem bisherigen BAföG.
Empfänger der Förderleistungen sollen grundsätzlich die Studierenden sein, damit diese ihr Studium und ihr Privatleben eigenverantwortlich gestalten können. Die Förderung soll von der Höhe und von den Bedingungen her so ausgestaltet sein, daß alle Studierenden ihr Studium in der Regelstudienzeit erfolgreich abschließen können.
Hierbei ist es für uns überhaupt keine Frage, daß die im Rahmen der Aufbauförderung während der Höchstförderungsdauer gewährten hälftigen Darlehen grundsätzlich zinsfrei bleiben.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern den Bundesbildungsminister auf, endlich seiner Verantwortung für die Reform der Ausbildungsförderung gerecht zu werden und konstruktiv mit den Ländern die Reformarbeiten voranzubringen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir die Bundesregierung vor einem Jahr im Deutschen Bundestag aufgefordert haben, genau das zu leisten.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Alles, was der Bundesbildungsminister bis jetzt dazu beigetragen hat, war, Bedenken vorzutragen, aber keinen einzigen konstruktiven Vorschlag. Meine Damen und Herren, das muß geändert werden, sonst werden wir dem Generationenvertrag nicht gerecht.
({0})
Ich gebe dem Abgeordneten Christian Lenzer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hätte wahrscheinlich der beiden Anträge nicht bedurft, um in diese Diskussion, die sich schon über Monate und
Jahre hinzieht, einzusteigen. Ich betrachte sie aber als einen Beitrag zur Klarstellung. Ich habe mir die Begründungen angehört. So unterscheidet sich der sehr sachliche Ton des Kollegen Berninger, dem ich das von diesem Podium aus ausdrücklich bescheinigen möchte, sehr wohltuend, liebe Kollegin Bulmahn, von Ihren Angriffen auf die Bundesregierung. Es ist Ihr gutes Recht, das zu tun, aber Sie sollten uns in diesem Hause nicht mit Ihren Zahlenspielereien überschwemmen.
({0})
Ich glaube, daß man die Probleme der Bildung mit statistischen Spielchen nicht lösen kann.
Im übrigen wünsche ich Ihnen etwas mehr Gelassenheit in der Diskussion. Wir haben Ihnen alle aufmerksam zugehört; daran sollten Sie sich vielleicht ein Beispiel nehmen. Daß Sie allerdings - das als scherzhafte Bemerkung - auch noch von uns verlangen, daß wir Ihnen durch einen entsprechenden Zwischenruf die Vorlage liefern, sich zur Bildungspolitik Ihres Heimatlandes Niedersachsen - ein sehr schönes Land - zu äußern, können Sie nicht ernst gemeint haben.
Übrigens: Das wichtigste bildungspolitische Ereignis des Landes Niedersachsen war gestern abend der Aufstieg des VfL Wolfsburg in die 1. Fußballbundesliga. Ich nehme an, Sie stimmen mir zu.
({1})
Meine Damen und Herren, Bildung ist wieder ein Thema der Titelseiten. Das ist nicht zuletzt das Verdienst unseres Bundesbildungsministers Dr. Jürgen Rüttgers. Er ist im Moment dabei, mit den Ländern eine Vorlage für das Hochschulrahmengesetz zu erarbeiten.
Ich glaube, bei einer so diffizilen Angelegenheit mit vielen unterschiedlich gearteten Interessen, die auch das Bund-Länder-Verhältnis betrifft, sollte man etwas Geduld haben und nicht Störfeuer, die in der politischen Auseinandersetzung verständlich sind, legen.
In der nächsten Sitzungswoche wird darüber hinaus eine Anhörung in unserem Ausschuß zu dem Thema Bundesausbildungsförderungsgesetz stattfinden. Die Vorwürfe in der Begründung des Antrags, es fehle an einem Konzept bei der Hochschulreform, es fehle an einem Konzept in der Bundesausbildungsförderung, sind wesentlich zu weit gegriffen.
Meine Damen und Herren, lassen sie mich unseren Standpunkt kurz in einigen präzisen Aussagen umschreiben.
Erstens. Ich halte die Finanzierung der Bildung in erster Linie, was das Individuum betrifft, für einen Akt der persönlichen Daseinsvorsorge. Ich stehe deshalb auch der elternunabhängigen Förderung sehr skeptisch gegenüber. Aber wir werden im Ausschuß genügend Gelegenheit haben, uns damit nach der heutigen Überweisung auseinanderzusetzen.
Zweitens. Bildung ist nach meiner Auffassung kein kostenloses Gut. Der Steuerzahler, der einfache Mensch ohne höheren Bildungshintergrund, der mit seinen Steuern die Investitionen in Schulen, Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen finanziert, hat ein Recht darauf, daß Bildung auch an Leistung gekoppelt ist
({2})
und daß diese Leistung regelmäßig, etwa durch eine Zwischenprüfung während des Studiums, nachgewiesen werden muß.
Aber ich sage drittens ebenso deutlich, um allen Mißverständnissen vorzubeugen: Niemand darf aus finanziellen Gründen um seine Bildungschancen gebracht werden.
({3})
Es darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, ob jemand studiert oder nicht, sondern ausschließlich von seiner persönlichen Begabung, von seinem Einsatz und von seiner Leistung, die er allerdings nachweisen muß.
({4})
Lassen Sie mich zum Abschluß etwas zu dem eigentlichen Thema sagen, was heute auf der Tagesordnung stehen sollte, nämlich zu den Studiengebühren. Bundesminister Rüttgers hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er Studiengebühren ablehnt.
({5})
Ich sage für unsere Fraktion: Auch wir lehnen Studiengebühren während des Regelstudiums als eine Finanzierungsmöglichkeit ab.
({6})
Die Begründung ist hier gegeben worden. Ich unterschreibe sie. Dazu nur soviel: Sie trifft die Familie, den Studierenden, die Studierende in einer Zeit besonderer Belastungen. Aber ich bin jederzeit bereit, auch darüber nachzudenken und zu diskutieren, ob nachher bei der Berufsaufnahme in einem besonders qualifizierten, mit einem im Regelfalle überdurchschnittlich hohen Einkommen verbundenen Beruf ein - wie auch immer gearteter - Beitrag, quasi ein Dankeschön, eine Teilrückzahlung an die Kassen, aus denen man ursprünglich geholfen bekommen hat, zu leisten ist.
Wir werden in den Ausschußberatungen genügend Zeit haben, uns in Ruhe auseinanderzusetzen. Es hat keinen Zweck, wenn wir im Plenum des Deutschen Bundestages öffentlich aufeinander einprügeln. Deswegen, lieber Herr Berninger, nehme ich gerne Ihr Angebot an, in eine sehr sachliche und gründliche Diskussion zu diesen Themen der Hochschulreform und auch der Hochschulfinanzierung einzutreten. Sie wird sicherlich spannend sein. Darauf freuen wir uns jetzt schon.
({7})
Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Bildungsfinanzierung. Herr Berninger, ich gebe Ihnen recht. Ihr Antrag beschäftigt sich mit den Studiengebühren. Wir haben sehr sachlich darüber zu befinden, inwieweit wir die Studiengebühren erheben oder ob wir es uns leisten können, die Gleichberechtigung und die Chancengleichheit der Studierenden so herzustellen, daß die Studiengebühren nicht eingeführt werden, sondern eine Förderung über das BAföG, wie wir das hier verabredet haben, erfolgt.
Aber wenn ich sage „sachlich", muß man dieses Problem auch besprechen. Man muß sich, wenn man einmal analysiert, auch vergegenwärtigen, wer die Hochschulleistungen in Anspruch nimmt, wer sie finanziert und wer individuell davon besonders der Nutznießer ist. Dahinter steht dann eine große Gruppe von Menschen, nämlich all die Steuerzahler, die Nichtakademiker - 90 Prozent unserer Bevölkerung -, die diese Studienfinanzierung insgesamt trägt.
Der besonders unter Akademikern verbreitete Glaube, daß man diese Bevölkerungsschicht als so großen Vorteil für die Gesamtgesellschaft ansehen muß, daß es gerechtfertigt ist, ihr aus Allgemeinsteuermitteln die komplette Ausbildung zu finanzieren, läßt sich bei genauer Betrachtung wohl nur für diejenigen aufrechterhalten, die überdurchschnittliche Leistungen erbringen und von denen man dies auch in Zukunft erwarten kann.
Ich verweise auf eine sehr gute Untersuchung, die von Holtzmann, dem Professor am Lehrstuhl der Volkswirtschaftslehre der Universität ErlangenNürnberg, erarbeitet worden ist. Holtzmann sagt, in eine sachliche Diskussion der aktuellen Reformansätze zur Finanzierung der Hochschulen muß man zumindest die Klärung der folgenden drei Fragen mit einbeziehen: Wer nutzt in welcher Höhe unentgeltlich angebotene öffentliche Hochschulleistungen? Wer trägt die Lasten dieser Leistungen? Welche Nettoeffekte der staatlichen Hochschulfinanzierung folgen daraus?
Der theoretischen Berechtigung der Studiengebühren stehen aber praktische Bedenken gegenüber. Zum einen gibt es keine Möglichkeit, zu verhindern, daß in dem Maße, wie den Universitäten beispielsweise Studiengebühren zuflössen, die Landesregierungen ihre Zuweisungen zu den Universitäten zurückfahren würden. Studiengebühren würden möglicherweise zur Finanzierung maroder Landeshaushalte benutzt. Genau das wollen wir nicht.
Zum anderen sind Studiengebühren mit unserem BAföG-System kaum vereinbar. Wir müßten die Fördersätze um die Studiengebühren erhöhen, die wir den Studierenden anschließend wieder abnehmen. Deswegen: Die F.D.P. hat einen Parteitagsbeschluß
gefaßt, wir werden uns gegen Studiengebühren aussprechen.
({0})
Denkbar wäre es - das habe ich schon im Rahmen der Diskussion zur 18. BAföG-Novelle hier gesagt -, daß man das Kindergeld ab dem 25. Lebensjahr nur noch dann gewährt, wenn diese Studenten ähnlich wie BAföG-Bezieher mit einer qualifizierten Studienbescheinigung den Nachweis erbringen, daß sie sich ernsthaft um ihr Studium bemühen. Nach unserer überschlägigen Rechnung - das deckt sich mit dem Bayern-Modell von Staatsminister Zehetmair, das er vorgestellt hat - könnte man auf diese Weise einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr einsparen.
In Zukunft wird man die Studienfinanzierung in engem Zusammenhang mit einer Studienreform zu diskutieren haben. Wir müssen den Hochschulen einen eigenen globalen Haushalt, aber auch die Dienstherrenschaft übertragen, so daß sie die Möglichkeit haben, die Finanzierung der Hochschule selber zu tragen und zu verantworten.
In diesem Zusammenhang müssen die Hochschulen das Recht eingeräumt bekommen, zum Beispiel bei der Auswahl ihrer Studenten ein entscheidendes Wort mitzusprechen.
({1})
- Nein, wir wollen das Abitur nicht aushebeln. Aber
wir möchten, daß die Hochschulen das Recht eingeräumt bekommen, das vorgelegte Abitur dahin gehend zu bewerten, daß die Fächer, die als Schwerpunkte im Abitur gewählt wurden, dem gewählten Studiengang entsprechen. Wir möchten eine Aussteigerquote von über 30 Prozent vermeiden. Wir vergeuden bei einer so hohen Aussteigerquote öffentliche Gelder.
({2})
Herr Kollege Guttmacher, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
- Eine Sekunde. - Herr Kollege Guttmacher, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sonst würde ich die Frage noch beantworten, Herr Braune.
({0})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Maritta Böttcher.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Da ich nur wenig Zeit habe, möchte ich zuerst sagen: Ich stimme in jedem
Satz mit den Ausführungen von Frau Bulmahn überein. Während wir hier debattieren, ist die Einführung von Studiengebühren - das wird nur anders genannt - schon längst im Gange. Wie alles in diesem Land wird auch dieses Problem schlicht und einfach über Haushaltskürzungen geregelt.
1000 DM dürfen Studentinnen und Studenten in Baden-Württemberg, die die Regelstudienzeit überschreiten, pro Semester an die Hochschulen zahlen. In Sachsen werden Semestergebühren von 600 DM für Zweitstudien erhoben. „Kein Grund zur Aufregung", meint der sächsische Wissenschaftsminister, da ja das Erststudium gebührenfrei bleibt.
Die Berliner Justizsenatorin verordnet 500 DM für das erste juristische Staatsexamen und 860 DM für die zweite Prüfung. Brandenburgs Wissenschaftsminister Steffen Reiche denkt über die Erhebung sozial gestaffelter Beiträge von Hochschulabsolventen nach. Die Wirtschaftsverbände - das wurde schon gesagt - fordern Studiengebühren von 3000 DM pro Jahr. All das passiert - selbstredend - im Interesse des Standorts Deutschland.
Kaum beachtet wird dagegen, wie wir überhaupt in die Lage gekommen sind, solche Debatten führen zu müssen. Statt über Wissenschaftspolitik als beliebig manipulierbare Budgetgröße für kurzsichtige Standortbestimmungen zu diskutieren, benötigten wir die eben benannte Grundsatzdebatte über Wissenschaftspolitik als soziale und demokratische Gestaltungsmöglichkeit, nämlich darüber, was Wissenschaft im Dienste des Menschen leisten kann. Den auf diesem Weg gefundenen Prämissen wäre dann die Finanzierungsdiskussion unterzuordnen und nicht umgekehrt.
Statt dessen gibt es vollmundige Ablehnung von Studiengebühren, während gleichzeitig der Schwarze Peter hinterrücks über die ominöse Sachzwanglogik von oben nach unten durchgereicht wird. Kein Wunder, meine ich, wenn Politikerinnen und Politiker auf diese Weise immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren.
Das Problem, das die Hochschulen mit der Einführung von Gebühren zu lösen versuchen, heißt nicht zu viele Studierende als Schmarotzer des Standorts, sondern staatliche Unterfinanzierung von Hochschulen und Studium. Die Lösung kann demzufolge auch nicht in der Abschreckung vom Studium durch eine Privatisierungsspirale der Kosten sein. Hochschulen und Studierende müssen endlich eine angemessene finanzielle Ausstattung erhalten, um ein Studium im Rahmen der Regelstudienzeit tatsächlich zu ermöglichen.
({0})
Bildung ist und bleibt für uns eine gesellschaftliche Aufgabe und ist daher staatlich zu finanzieren. Dazu gehört auch die umgehende Reform der Ausbildungsförderung - wir werden in der nächsten Sitzungswoche darüber debattieren -, die seit der 18. Novelle aussteht und sich im Bürokratendschungel zu verlieren scheint.
Ich weiß nicht, Herr Guttmacher, woher Sie Ihren Optimismus nehmen. Die Gefördertenquote sinkt, und das muß doch an irgend etwas liegen.
({1})
Insofern ist diese Einigkeit eben nur scheinbar gegeben. Meiner Meinung nach müssen wir endlich die Aufgabe der Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge an den Lebenshaltungskosten mit einer 19. BAföG-Novelle lösen.
Abschließend möchte ich noch sagen: Die gesellschaftliche Funktion des Hochschulwesens wird durch die Diskussionen, die immer wieder hervorgebracht werden, ernsthaft und nachhaltig bedroht. Das können und dürfen wir gemeinsam nicht zulassen.
Die heutige Diskussion hat Übereinstimmung darin gezeigt, daß Studiengebühren durch den Deutschen Bundestag zumindest nicht befürwortet werden.
({2})
Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Bernd Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die Bundesregierung lehnt die Einführung von Studiengebühren ab.
({0})
Studiengebühren sind kein geeignetes Mittel, die bestehenden Probleme im Hochschulbereich zu lösen, sondern diese würden im Gegenteil dadurch eher verschärft. Für Studierende aus wohlhabenden Familien wären Studiengebühren kein Hindernis; BAföG-Empfänger würde man von einer Gebührenregelung ausnehmen oder aber die BAföG-Sätze entsprechend anheben müssen, um die Gebühren zu kompensieren.
Die tatsächlichen finanziellen Belastungen entstehen letztlich im mittleren Einkommensbereich, der nicht von BAföG-Zahlungen profitiert. Es steht zu befürchten, daß in diesem Einkommensbereich - und hierzu gehören die meisten Studenten - in erheblichem Maße von einem Studium Abstand genommen würde. Dies kann jedoch nicht unser Ziel sein.
({1})
Aus dem gleichen Grunde sehe ich auch nicht, daß wir, wie von Befürwortern von Studiengebühren oft vorgetragen, eine wesentliche Verkürzung der überlangen Studienzeiten durch Einführung von Studiengebühren erreichen können.
({2})
Wenn die Studierenden aus Familien, die zum mittleren Einkommensbereich zählen, zusätzlich Studiengebühren finanzieren müssen, werden sie zwangsläufig zu zusätzlichen Nebentätigkeiten gezwungen sein, die das Studium noch verlängern.
Es ist bekannt, daß es zu dem Thema Studiengebühren beziehungsweise Einschreibgebühren, die ja ein erster Teil von Studiengebühren sind, in den politischen Parteien durchaus unterschiedliche Meinungen gibt. Auch Ihr Vorgänger, Frau Bulmahn, Peter Glotz, hat massiv für Studiengebühren geworben.
Meine Damen und Herren, Studiengebühren liegen in erster Linie im Zuständigkeitsbereich der Länder. Ungeachtet der Position des Bundes steht es ihnen daher frei, eigene Regelungen zu treffen. Einzelne Länder haben dementsprechend Gebühren in unterschiedlicher Ausgestaltung, zum Beispiel Gebühren für Langzeitstudierende, eingeführt oder hatten dies - wie Hessen - früher getan und dann wieder abgeschafft. Es gibt darüber hinaus in Berlin Einschreibgebühren; Niedersachsen hatte eine Einschreibgebühr geplant und ist dann vom SPD-Parteitag zurückgepfiffen worden. Frau Kahrs, SPD-Senatorin in Bremen, plant dies; in Thüringen gibt es, bezogen auf Langzeitstudenten, ähnliche Überlegungen. Ein Beschluß des Deutschen Bundestages mit dem vorliegenden Tenor wird an dieser Tatsache nichts ändern, sondern lediglich die Fronten verhärten. Daran kann keiner Interesse haben.
Wir sind zur Zeit mit den Ländern in einer intensiven Diskussion über eine dringend erforderliche Hochschulreform. Wir sollten uns davor hüten, diese Diskussion durch eine Gebührendebatte, für deren Umsetzung ich keine realistische Chance sehe, auf einem falschen Kriegsschauplatz zu führen. Dies lenkt uns von den eigentlichen Problemen ab; das eigentliche Problem ist der dringliche Vollzug der Hochschulreform.
({3})
Die Bundesregierung will eine umfassende Hochschulreform. Das heißt unter anderem: Wir wollen mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen, damit diejenigen Hochschulen mehr Geld bekommen, die sich mehr anstrengen und besser sind als andere. Wir wollen eine stärkere Leistungsorientierung für Studenten, aber auch für Lehrpersonal. Wir wollen eine leistungsbezogene Differenzierung bei der Zulassung und in der ersten Studienphase erreichen. Wir wollen den Hochschulen mehr Handlungsfreiheit geben. Wir wollen international wettbewerbsfähiger werden. Wir wollen die Fachhochschulen stärken.
Des weiteren wollen wir, daß die Regelstudienzeiten auch eingehalten werden. Wenn dies passiert, dann stellt sich die Frage der Längerstudierenden und damit der Einführung von Studiengebühren überhaupt nicht.
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen auch eine Verbesserung der Ausbildungsförderung mit dem Ziel, Verteilungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung herzustellen. Dazu sollen unangemesse BeParl. Staatssekretär Bernd Neumann
günstigungen wie Benachteiligungen abgebaut und gerechte Ausbildungs- und Studienchancen gemehrt werden.
Von den in der entsprechenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die ja getagt hat, diskutierten Modellen hat für den BMBF das sogenannte Bayern-Modell die größten Sympathien. Es sieht vor, die Zahlung von Kindergeld und die steuerlichen Kinder- und Ausbildungsfreibeträge mit der Erbringung von Leistungsnachweisen entsprechend den BAföG-Kriterien zu verknüpfen. Die dabei eingesparte Summe soll die BAföG-Förderung deutlich verbessern. Auf der Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 3. Juli wird entschieden, welcher Weg gegangen werden soll. Diese Entscheidung sollten wir abwarten.
Aber, verehrte Frau Kollegin Bulmahn, um diese Debatte nicht scheinheilig werden zu lassen - Ihr Vorwurf ist ja immer an die Adresse des Bundes gerichtet -, sollte man folgendes anerkennen: All diese Modelle, auch das Bayern-Modell, für das wir Sympathien haben, erfordern die Änderung des Unterhaltsrechts. Inzwischen haben von den 16 Justizministern der Länder, die dafür zuständig sind, 13 dies kategorisch abgelehnt.
({5})
Unter denen haben Sie die Mehrheit. Deswegen ist es unredlich, dem Bund hier Vorwürfe zu machen.
({6})
Ein Zweites möchte ich Ihnen sagen. Das betrifft die gleiche Materie und das Verhalten der Länderfinanzminister. 15 der 16 Länderfinanzminister - auch bei ihnen haben Sie leider zahlenmäßig die Mehrheit - haben gesagt, wenn überhaupt eine Reform, dann auf dem Level der letzten BAföG-Änderung. Das unterscheidet sich ja von Ihnen. Des weiteren haben sie gesagt, was auch ganz wichtig ist: Wenn eines dieser Modelle, die ja steuerliche Auswirkungen haben, also ein Stück Reform im Steuerrecht bedeuten, zum Zuge kommen soll, dann ist Voraussetzung, daß die Willensbildung zur sonstigen Steuerreform abgeschlossen ist. Diese wiederum behindern Sie, und insofern können Sie dem Bund hier keine Vorwürfe machen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat für die Förderung von Hochschulen und Universitäten, die ja primär Länderaufgabe ist, in den letzten Jahren trotz dramatischer finanzieller Restriktionen viel erreicht. Frau Bulmahn, Sie haben recht: Leider - das bedauern wir auch - ist der Anteil für Forschung und Bildung am Gesamthaushalt zurückgegangen. Das hat auch seine Ursachen in den vielen Aufgaben, die im Hinblick auf die Verbesserung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern zu leisten waren, bei denen es ja um Milliarden ging.
Auf der anderen Seite sind aber die Aufwendungen für den Hochschulbereich, wenn ich sie alle zusammennehme, von 3,3 Milliarden DM im Jahr 1991 auf jetzt 4,1 Milliarden DM stetig gestiegen. Das heißt, die Ausgaben des Bundes für Hochschulen insgesamt haben sich in den letzten Jahren jährlich um
4 Prozent gesteigert. Ich gebe zu, daß es noch mehr sein könnte. Aber diese Summe muß wegen der Wahrhaftigkeit einmal genannt werden.
({7})
Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt noch etwas zum Hochschulsonderprogramm III sagen. Ich beschränke mich aber auf folgendes: Auch dabei haben Bund und Länder gemeinsam eine beträchtliche Summe zur Verfügung gestellt. Die Länder wollten noch mehr, aber bei einem Verteilungsschlüssel von 60 zu 40 - auf Kosten des Bundes. Das haben wir nicht mitgemacht. Es ist aber eine deutliche Steigerung erfolgt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte bei der Debatte, was der Bund leisten kann, bescheiden darauf hinweisen, daß die Länder die eigentliche Zuständigkeit für Hochschulen und Universitäten haben. Es ist den Ländern, insbesondere den SPD-regierten, doch völlig unbenommen, in den Bereichen, in denen sie originär zuständig sind - die personelle und sächliche Ausstattung der Hochschulen -, unabhängig vom Bundeshaushalt entsprechende Mittel in ihren Haushalten bereitzustellen und die Steigerungen vorzunehmen, die sie vom Bund fordern.
Gerade in den SPD-regierten Ländern sieht es doch in Wahrheit wie folgt aus: massive Stelleneinsparungen in Niedersachsen, eine katastrophale Situation in Berlin - auch dort ist die SPD beteiligt.
({8})
In Nordrhein-Westfalen ist im Jahre 1997 für den Hochschulbereich eine aktuelle Minderausgabe von 65 Millionen DM vorgesehen. Sie machen in den SPD-regierten Ländern also genau das Gegenteil von dem, was Sie vom Bund fordern und wofür Sie den Bund kritisieren.
({9})
Lassen Sie mich zum Abschluß feststellen: Das Thema Studiengebühren, sehr verehrter Herr Berninger, darf uns keine falschen Debatten aufzwingen. Hören wir mit gegenseitigen Schuldzuweisungen auf!
({10})
- Verehrter Kollege, ich darf ja wohl zur Richtigstellung auf das eingehen, was Ihre Kollegin Bulmahn erklärt hat.
Meine Damen und Herren, trotz allem müssen Bund und Länder zusammenarbeiten. Wir sind auf diese Zusammenarbeit angewiesen; ohne diese Zusammenarbeit bekommen wir kein Ergebnis. In der Frage der Studiengebühren sind wir uns einig. Noch wichtiger ist die Reform der Hochschulen, wozu Sie beitragen können. Wir bitten Sie darum: Verhalten Sie sich ab sofort konstruktiv,
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damit die Lage an den Hochschulen und an den Universitäten verbessert werden kann, um somit dem Standort Deutschland eine gute Chance zu geben.
Vielen Dank.
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Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Bulmahn das Wort.
Herr Staatssekretär Neumann, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß sich die Justizministerkonferenz bezüglich des BAföG-Vorschlages noch nicht festgelegt hat. Ich muß Sie in einem Punkt korrigieren. Auch 13 Justizminister haben sich noch nicht endgültig festgelegt. Es gibt durchaus Überlegungen, ob man das Unterhaltsrecht - je nachdem, welche Regelungen man trifft - korrigieren muß. Das ist noch nicht endgültig geklärt. Ich halte es für falsch, im Deutschen Bundestag den Eindruck zu vermitteln, daß das unbedingt geschehen müsse. Denn es hängt letztendlich davon ab, welche Regelung getroffen wird.
Ich finde, daß wir im Deutschen Bundestag, wenn wir übereinstimmend - so habe ich die Redebeiträge verstanden - der Meinung sind, daß unangemessene Bevorzugungen, wie sie das bisherige zweigeteilte System beinhaltet, in Zukunft zu verringern und zu vermeiden sind, damit wir zu einem wirklich gerechten System kommen, die Machbarkeit nicht durch gewisse Bemerkungen in Frage stellen sollten.
Ich hoffe, daß die Ministerpräsidentenrunde zusammen mit Bundeskanzler Kohl einen konkreten Beschluß faßt, der eine detaillierte Debatte zur Folge hat. Wir müssen und werden uns im Ausschuß eine eigene Meinung dazu schaffen. Aber das Thema mit dem Hinweis auf eine bisher nicht getroffene Meinungsbildung der Justizminister vom Tisch wischen zu wollen, halte ich wirklich nicht für verantwortungsvoll.
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Herr Staatssekretär, Sie können antworten.
Frau Kollegin, ich kann nicht ausschließen, daß Justizminister - insbesondere die der SPD - immer wieder zu neuen Erkenntnissen kommen können.
Ich bin aber gehalten, von Fakten auszugehen, und erinnere Sie daran, daß ich dem Vorsitzenden des Bildungsausschusses und damit auch Ihnen ein Schreiben zugestellt habe, aus dem hervorgeht, daß der Bundesjustizminister und 13 Länderjustizminister in den sogenannten Schlußfolgerungen vom 22. Mai 1997 und in der inzwischen vorliegenden schriftlichen Stellungnahme der Justizministerkonferenz vom 16. Mai 1997 der Beschlußfassung, die davon ausgeht, eine Veränderung des Unterhaltsrechtes nicht vorzunehmen, zugestimmt haben.
Das heißt, ich habe genau das gesagt, was der Faktenlage entspricht. Man muß unterscheiden zwischen den Wünschen der Abgeordneten und dem tatsächlichen Sachverhalt.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7473 und 13/7914 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gert Weisskirchen ({0}), Dr. Eberhard Brecht, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reform der Vereinten Nationen
- Drucksachen 13/5055, 13/6773 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Karl Lamers und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Ulrich Irmer und der Fraktion der F.D.P.
50 Jahre Vereinte Nationen - eine große
Vision schrittweise verwirklichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gert Weisskirchen ({2}), Dr. Eberhard Brecht, Dr. Ulrich Böhme ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
50 Jahre Vereinte Nationen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Dr. Angelika Köster-Loßack, Gerd Poppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
50 Jahre Vereinte Nationen - die Vision einer demokratischen Weltorganisation schrittweise verwirklichen und nationalstaatlichen Egoismus überwinden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel,
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Willibald Jacob, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
VN-Politik der Bundesregierung
- Drucksachen 13/2744, 13/2751, 13/2739, 13/ 2632, 13/6455 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers Dr. Eberhard Brecht
Ulrich Irmer
Steffen Tippach
Zur Großen Anfrage liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Gert Weisskirchen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die friedlichen Revolutionen im europäischen Osten haben für einen kurzen Moment eine unerhörte Chance eröffnet. Die Vereinten Nationen hätten Zentrum weltweit aufeinander abgestimmten politischen Handelns werden können - nicht, weil das ein alter Traum der Menschheit ist, dem Immanuel Kant eine so schöne plastische Gestalt gegeben hat, nämlich den Krieg mit vereinten Kräften aus der Welt zu schaffen. Nein, den Frieden weltweit zu sichern ist unverzichtbar, weil so erst unser Blick wirklich frei werden kann auf die Probleme, die die Menschheit belasten.
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„Der historische Moment darf nicht verlorengehen", lautet der Appell von Paul Kennedy und Bruce Russett, den sie kürzlich in der Zeitschrift „Foreign Affairs" veröffentlicht haben.
In der Tat: Die internationale Staatengemeinschaft steht vor einem Kreuzweg. Der eine Weg führt in die Renationalisierung, zurück in den Schein des behütenden Nationalstaats. Das ist nichts anderes als Illusion. Mehr noch: Es ist der Versuch, sich selbst zu täuschen. Das Denken in kurzen Fristen, das dahintersteckt, ist verhängnisvoll. Leider ist auch die Politik davon nicht frei. Nach uns die Sintflut - was kümmert uns schon die Zukunft derer, die nach uns kommen.
Es gibt Turbulenzen. Schließlich gibt es noch die Organisation der Vereinten Nationen; auf sie kann man dann die eigenen Versäumnisse ablenken, man braucht ja ein Opferlamm. Die Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse der UNO, ihre Bürokratie, die Hartnäckigkeit des Generalsekretärs, was auch immer: Die Nationalstaaten ziehen es heran, um sich der eigenen Verantwortung zu entziehen.
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Aber es gibt neben diesem Weg der Renationalisierung noch einen anderen Weg. Er führt dahin, die Vereinten Nationen ernsthaft und grundsätzlich zu reformieren, damit sie vorbereitet werden auf die Zeiten, die kommen werden. Diese Zeiten werden schwieriger werden; machen wir uns nichts vor.
Lassen Sie mich das an einer fundamentalen Trendverschiebung deutlich machen. Als die Vereinten Nationen gegründet worden sind, lebte fast ein Drittel der Menschen auf der Erde in entwickelten Ländern. Das hat sich dramatisch verändert: Seit 1950 ist diese Zahl um fast die Hälfte gesunken. Hier reiche Regionen - in denen Armutszonen einzusikkern beginnen -, deren Wohlstand immer noch - langsamer zwar als zuvor, aber immer noch - wächst; dort, auf der anderen Seite der Erde, arme Regionen.
Aber man darf sich nicht täuschen lassen; auch in diesen armen Regionen gibt es Inseln, Bastionen derer, die sozusagen die Globalisierungsgewinner sind. Sie versuchen sich abzuschotten, zu behaupten innerhalb dieser Armutszonen. Die allerdings stehen in der großen Gefahr, abzustürzen in soziales Elend.
Das Bild der Erde also wird bunter, vielfältiger. Auf der einen Seite wachsen die Chancen für viele, auf der anderen Seite nehmen die sozialen Spannungen an Schärfe zu. Willy Brandt hat das - das ist fast 25 Jahre her - vor den Vereinten Nationen so ausgedrückt:
Not ist Konflikt. Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede. Wo bittere Armut herrscht, ist kein Recht. Wo die Existenz in ihren einfachsten Bedürfnissen täglich bedroht bleibt, ist es nicht erlaubt, von Sicherheit zu reden.
Nichts, nichts Wesentliches jedenfalls, hat sich seither verändert. Noch immer ist die Sorge der Mehrheit der Menschen in weiten Teilen der einen Welt die Sorge um das tägliche Brot.
Heute, an diesem Tag, haben die Vereinten Nationen den jüngsten Bericht über die menschliche Entwicklung veröffentlicht. Was zu befürchten war - dort kann man es nachlesen. Afrika südlich der Sahara, die Kernregionen des schwarzen Kontinents - dort konzentrieren sich Elend, Hunger und Not. Hier leiden die Menschen an der höchsten Armutsrate der Welt. Hier wüten auch die Herren des Krieges. Sie schlachten Kinder, Frauen und Greise dahin, kämpfen um die Vorherrschaft, um Gold und Bodenschätze und morden sich an die Spitze ihrer Staaten über Leichen in die Macht.
Afrika südlich der Sahara hält uns, der Welt, den Spiegel vor. Wir erkennen in diesem Spiegel verlorene Chancen, Folgen des Kolonialismus, der eine weiße Farbe trug. Afrika - das ist aber auch der Mut von Schwarzen, sich gegen Unrecht aufzulehnen. Diese Hoffnung trägt einen Namen: Nelson Mandela.
Gert Weisskirchen ({2})
Südafrika ist aufgebrochen in den Farben des Regenbogens - ein Land zum Zerreißen gespannt von inneren sozialen Konflikten und doch bereit, zu versöhnen, statt zu vergelten; bereit, die Kraft des ungebrochenen Herzens zu verbinden mit dem Mut, zu vergeben; bereit, den Opfern ihre Würde zurückzugeben und den Tätern eine zweite Chance. Im tiefen Süden Afrikas also, dort gibt es auch das Gegenbild zur Tragödie seiner Massengräber. Hier liegt Afrikas Zukunft.
Wäre es nicht auch unsere Aufgabe, gemeinsam mit den reichen Nationen der Erde, die OAU, die Organisation der afrikanischen Einheit, stärker zu unterstützen als bisher? Längst haben die afrikanischen Staaten begonnen, Lösungen zu erarbeiten, um die Sprengsätze regionaler Konflikte zu entschärfen. Konzepte, die Vertrauen stiften, schälen sich heraus. Konflikte, die die Machtversessenen mißbrauchen, um Haß zu säen und Gewalt zu schüren, können so eingehegt werden, bis sie stillgelegt sind.
Kürzlich, vor einer Woche, haben die Länder Afrikas in Harare diesen Weg beschritten. Kofi Annan hat sie darin bestärkt. Was ihnen noch fehlt, ist vor allem die technische Infrastruktur und der finanzielle Rahmen. Statt, wie geschehen, 350 Millionen DM für Ruanda/Burundi auszuschütten, um Flüchtlingen zu helfen - so notwendig und wichtig das auch war -, wäre es da nicht sinnvoller gewesen, in die Prävention zu investieren, damit so etwas gar nicht erst entsteht?
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Verschließen wir nicht die Augen vor dieser Wirklichkeit der Welt und handeln jetzt und stärken jetzt die Vereinten Nationen und ihre Fähigkeiten zur vorbeugenden Bewältigung von Krisen!
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Die Wirklichkeit wird uns doch ereilen. Wir werden uns davor nicht schützen können.
Um es ganz konkret und praktisch auf den Punkt zu bringen: Ich finde es ungehörig - ich will das so deutlich und drastisch sagen -, daß es in der Koalition oder doch zumindest unter denjenigen, die über den Haushalt entscheiden, noch immer Überlegungen gibt, die UNIDO als eines der zentralen Instrumente, um einen wirklich zivilen Aufbau und Umbau in den Ländern Schwarzafrikas voranzutreiben, abzuschaffen oder sie so abzubauen, daß sie nicht mehr arbeiten kann. Ungeheuerlich ist das!
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Was auf uns zukommen wird, das kann man in den großen Städten der USA, in London und auch - zwar erst zaghaft - in Berlin erkennen, nämlich die Umbrüche der Kulturen. Es kommt auf diese Umbrüche in den Kulturen an. Wir können uns nicht gegenüber den entgangenen Chancen der übergroßen Mehrheit der Menschen dieser Erde abschotten. Ein Drittel aller Menschen, so sagt der jüngste Bericht der Vereinten Nationen, der heute veröffentlicht worden ist, lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Könnte man es ihnen verdenken, wenn sie versuchen, die Chancen zu verwirklichen, hinsichtlich deren wir ihnen durch unsere Medien, über CNN und andere Sender, ständig deutlich machen: „Das sind die universalen Werte der europäischen Zivilisation", und wenn sie nun sagen: „Auch wir gehören zu dieser Universalität und werden versuchen, einen Weg zu finden, um an diese Werte heranzukommmen", selbst wenn sie in ihren eigenen Ländern nicht realisiert werden können? Können wir uns wirklich davor schützen, daß es Massenwanderungen über den Globus hinweg bis hin zu uns gibt? Nein, es kommt darauf an, alles daranzusetzen, soviel Kraft wie nur möglich aufzubringen und die UNO dafür zu nutzen, daß es einen Ausgleich der Chancen für alle Menschen auf dieser Erde gibt; denn die Universalität der Menschenrechte gilt für alle. Dafür brauchen wir dringender denn je die Vereinten Nationen.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Christian Ruck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den großen Jubiläumsfeierlichkeiten der Vereinten Nationen vor zwei Jahren, der Diskussion über Grundsätze und Visionen auch in diesem Hause und einem Wechsel im Amt des Generalsekretärs ist dies heute ein willkommener Anlaß, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Ich würde zwar gerne, Kollege Weisskirchen, auch auf Ihre Ausführungen zu Afrika eingehen. Aber vielleicht ein kleiner Trost: Wir fahren demnächst zur OAU, und ich bin in vielem, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, Ihrer Meinung.
Boutros-Ghali hat mit großem Elan, guten Ideen und gewaltigem persönlichen Einsatz die notwendigen Reformen der Vereinten Nationen in Schwung gebracht. Er hat - mit Ermunterung und Unterstützung auch aus diesem Haus - konkrete und richtungsweisende Entwürfe für eine höhere Effizienz seiner Organisation und des gesamten UN-Systems, für eine produktivere Arbeit der Umwelt- und Entwicklungspolitik, für mehr Transparenz und eine höhere demokratischere Akzeptanz gerade auch der Führungsgremien der Vereinten Nationen auf den Tisch gelegt.
Daß diese Entwürfe nur in Ansätzen verwirklicht werden konnten, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, daß der vormalige Generalsekretär in entscheidenden Punkten von wichtigen Mitgliedern der Staatengemeinschaft im Regen stehengelassen wurde. Ich glaube, wir wünschen uns alle, daß dieses Schicksal seinem Nachfolger, Kofi Annan, erspart bleibt. Denn eine Fortsetzung der Reformen ist dringender denn je und wurde von Kofi Annan auch sofort tatkräftig angepackt. Als Beispiele nenne ich den Beschluß zu einer Verschlankung der Verwaltung in New York mit einer Budgeteinsparung von rund 120 Millionen US-Dollar und die Einführung einer reDr. Christian Ruck
gelmäßig tagenden Abteilungsleiter- und Untergeneralsekretärsrunde zur Verbesserung der horizontalen Kommunikation.
Von den vielen Bereichen, die es zu reformieren oder fortzuentwickeln gilt, kommen drei besonders wichtige in ihre entscheidende politische Phase, bei der natürlich auch unser Engagement besonders gefordert ist.
Erstens: die Finanzreform. Dieses vielleicht drängendste Problem, das den Vereinten Nationen nicht zuletzt bei der Friedenserhaltung und Konfliktvorbeugung wie ein Mühlstein am Hals hängt, ist trotz verschiedener Vorschläge - auch seitens der Europäischen Union - zum Teil noch weit von einer Lösung entfernt. Es erfüllt einerseits mit Sorge, daß aus dem Kreise der G-7-Staaten manche die Notwendigkeit einer Finanzreform überhaupt abstreiten. Noch größere Sorge bereitet jedoch andererseits die Diskussion zwischen Administration und Kongreß in den Vereinigten Staaten, wo eine Einigung zum gewaltigen Schaden der Vereinten Nationen und aller anderen Mitgliedstaaten drohen könnte mit der Folge, daß die nächste schwere Finanzkrise der UNO vorprogrammiert wäre.
Wir können jedenfalls als ohnehin drittgrößter Beitragszahler nicht für andere Staaten in die Bresche springen, die mit ihren Leistungen deutlich hinter ihrer eigenen Leistungsfähigkeit zurückbleiben. Wir müssen darauf bestehen, daß existierende Schulden in voller Höhe beglichen und die Beiträge zur Gänze und ohne Vorbedingungen bezahlt werden,
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- noch lauter kann ich das nicht sagen -, Beiträge, die fair und transparent nach der aktuellen Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaates berechnet werden müssen.
Wenn die Lösung des Finanzproblems so aussieht, daß die Vereinten Nationen handlungs- und arbeitsunfähig werden, ist dies vor allem auch zum Schaden der Entwicklungsländer, die die Vereinten Nationen zu Recht immer auch als ihr Forum angesehen haben. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß es vor allem auch langfristig der verbliebenen globalen Ordnungsmacht USA erheblich schaden würde, wenn der Zusammenbruch etwa der friedenserhaltenden, friedensstabilisierenden oder konfliktvorbeugenden Arbeit der UNO letztendlich doch zu einem erheblich teureren politischen oder militärischen Eingreifen zwingen würde.
Der zweite anstehende wichtige Punkt ist die von uns allen massiv verfochtene Reform des Wirtschafts- und Sozialbereiches, der auch die Idee der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung der Erde tragen soll. In wenigen Tagen steht ja die wichtige Sondergeneralversammlung zur Kontrolle dessen, wie weit wir im Rio-Prozeß gekommen sind, an. Der Kollaps der Vereinten Nationen im Wirtschafts- und Sozialbereich droht nicht nur durch die Finanzmisere, sondern auch durch eine völlige Zersplitterung und Ausfransung der Arbeit und der Organisation in ein völlig unüberschaubar gewordenes, weitverzweigtes System von Unter-, Sonder-, Neben- und Seitenorganisationen und Programmen. Dies führt dazu, daß die ohnehin knapper werdenden Entwicklungshilferessourcen in immer stärkerer Weise verpuffen. Gegen diese schmerzliche Ressourcenverschwendung ist die Neugliederung, Neuorganisation und Straffung des Systems, einschließlich der Organisationen von Bretton Woods, ein Gebot der Stunde. Kofi Annan ist offensichtlich entschlossen, auch hier das Werk seines Vorgängers fortzusetzen, und hat für Mitte Juli einen ersten Reformvorschlag in dieser Richtung angekündigt, dem wir alle mit Spannung entgegensehen. Dabei, Herr Weisskirchen, sollten wir uns hüten, im Vorfeld, quasi in vorauseilendem Gehorsam, schon wieder bestimmte Organisationen von möglichen Reformbestrebungen auszunehmen. Man sollte auch die Diskussion über die UNIDO nicht als ungehörig bezeichnen. Da kann man ja der einen oder anderen Meinung sein; das geht ja bis in die eigenen Reihen.
Mein Gedanke ist folgender: Selbst wenn wir alle Unter- und Nebenorganisationen der UNO perfekt ausstatten und perfekt reformieren würden, könnte es trotzdem sein, daß alle 150 bestens reformierten Unterorganisationen so arbeiten, daß sie sich gegenseitig blockieren. Das war auch der Hintergedanke, als man sagte: Wir müssen die Reform und das System als Ganzes sehen. Wir müssen auch untersuchen, ob es nicht möglich ist, Organisationen zusammenzufassen, und ob nicht dadurch die gesamte Entwicklungs- und Umweltpolitik der UNO stark verbessert werden könnte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brecht?
Jawohl.
Bitte.
Herr Kollege Ruck, darf ich Sie fragen, ob hinter der Ankündigung von Herrn Spranger, die UNIDO zu verlassen, ein solches Gesamtkonzept steht, wie Sie das eben angekündigt haben? Oder handelt es sich dabei um eine Entscheidung, die das Haus Spranger unter einseitiger Berücksichtigung fiskalischer Gesichtspunkte getroffen hat?
Ich kenne die Aussagen des Ministers nicht im Originaltext.
({0})
Aber die Äußerungen, die ich ihn in Diskussionen habe machen hören oder die ich von ihm weiß, kann ich voll und ganz mittragen. Wir haben immer gesagt - auch wir Entwicklungspolitiker -: Das wichtigste Ziel muß sein, eine wirkliche Reform als Ganzes mit einer erheblich besseren Effizienz der entwicklungsDr. Christian Ruck
politischen Organisationen hinzubekommen. Wenn dies aber nicht gelingt, dann sind wir auch bereit, über die Diskussion über Einzelorganisationen einen solchen Prozeß einzuleiten oder sogar zu erzwingen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege Ruck, uns liegen ja eine Reihe von Evaluierungen über die UNIDO vor.
Die sind alle gut und prächtig ausgefallen.
Diese Evaluierungen deuten nicht darauf hin, daß es hier zu Überschneidungen oder - wie Sie sich eben ausgedrückt haben - zum Verpuffen von Mitteln kommt. Vielmehr kommt man in diesen Evaluierungen zu genau der gegenteiligen Aussage. Glauben Sie vor diesem Hintergrund, daß ein einseitiger Schritt in der von Ihnen eben genannten Art den Reformprozeß in der UNIDO oder generell im UN-System befördert?
Vielleicht reden wir ein wenig aneinander vorbei. Ich habe in bezug auf die UNIDO ein ganz reines Gewissen. Erstens bin ich schon der Meinung, daß man durch eine harte Diskussion über Einzelfälle auch die Diskussion über die Gesamtreform beschleunigen und befördern kann.
Zweitens. Ich respektiere, daß sich die UNIDO in letzter Zeit - ob es da nach wie vor Doppelarbeit gibt oder nicht, will ich einmal beiseite lassen - wirklich in einer Art und Weise reformiert hat, die uns allen Respekt abfordert.
Aber noch einmal, Herr Kollege Brecht, mein Gedanke: Es muß ja nicht sein, daß dann, wenn ich alle Unter- und Nebenorganisationen ausgezeichnet reformiert habe, das Gesamtsystem stimmt. Mein Petitum ist, nicht von vornherein auch die bestfunktionierenden Organisationen von einer Gesamtreform auszunehmen.
Damit bin ich schon bei der nächsten Organisation, die auch eine Rolle in Ihrem Entschließungsantrag spielt.
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- Es tut mir leid, Herr Brecht. Ich habe gedacht, ich hätte Sie richtig verstanden. Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ein anderes Beispiel ist die UNICEF. Natürlich hat jede der einzelnen Unter-, Neben- und Sonderorganisationen - auch die UNICEF - die engagiertesten Mitarbeiter, die besten Ziele und auch Erfolge. Es ist auch verständlich, daß jede Organisation den eigenen Bereich als ihr Königreich verteidigt. Dies gilt ganz besonders für das UN-Kinderhilfswerk mit seinen gewaltigen Verdiensten und so wichtigen organisatorischen und politischen Besonderheiten. Es ist auch vollkommen unbestritten, daß Erfolg und Wirken von UNICEF nicht beeinträchtigt werden dürfen. Dennoch darf es im Interesse der so entscheidenden Verbesserung der internationalen Entwicklungs- und Umweltpolitik keine Tabus geben. Auch die UNICEF muß sich die Frage gefallen lassen, ob nicht mit einer besseren Koordination ihrer Arbeit vor Ort und im UN-Gesamtsystem mit den gleichen Mitteln noch mehr Gutes für Kinder und Erwachsene geschehen kann.
Der dritte Bereich, bei dem eine Entscheidung vor der Tür steht, ist die Reform des Sicherheitsrates. Die Diskussion darüber ist ja erst vor wenigen Wochen wieder neu in Gang gekommen, insbesondere durch Herrn Rassali aus Malaysia, und dreht sich im Moment ja nicht so sehr um eine mögliche Aufnahme Deutschlands oder Japans als Ständige Mitglieder im Sicherheitsrat, sondern um eine gerechte und angemessene Vertretung der Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, die auch wir immer für wesentlich und notwendig gehalten haben. Eine solche Erweiterung in den Bereich der Entwicklungsländer hinein ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Verbreitung der demokratischen Akzeptanz der UNO. Nicht weniger wichtig ist jedoch, die Beschlüsse und die Arbeit des Sicherheitsrates für alle, vor allem aber auch für die engagierten Mitgliedsländer, transparenter zu machen und die Mitgliedsländer stärker als bisher an der Meinungsbildung teilnehmen zu lassen.
1994 haben 65 Länder 85 000 Soldaten in 17 ,,peacekeeping operations" bereitgestellt. Zu Recht fordern natürlich gerade solche Länder - und die meisten von diesen 65 sind ja nicht im Sicherheitsrat - eine stärkere Einbindung in die politischen Verfahren, die politischen Beschlüsse und die politische Meinungsbildung des Weltsicherheitsrates.
Wir selbst bleiben dabei, daß wir ohne Hast und Drängelei die Aufnahme Deutschlands in den Sicherheitsrat als Ständiges Mitglied mit allen Rechten und Pflichten für gerechtfertigt und gut halten - nicht zuletzt deshalb, um im positiven Sinn Einfluß auf Entscheidungen zu nehmen, für die wir bisher nur zahlen. Aber nicht weniger wichtig ist es, daß wir auch unsere Zahl gut ausgebildeter, hochqualifizierter und hochmotivierter Landsleute, die im System der Vereinten Nationen tätig sind, erhöhen. Auch dies ist wichtig für eine politische Einflußnahme, nicht zuletzt zugunsten engagierter Reformen bei den Vereinten Nationen. Hier haben wir noch Defizite, und hier sollten wir gemeinsam, Bundesregierung und Parlament, gegensteuern.
Vielen Dank.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das kleine Thema UNICEF gleich zu Anfang ansprechen. Ich glaube, Herr Ruck, Sie werden zustimmen, daß wir die Notwendigkeit, auf UNICEF einen Reformdruck auszuüben, in unserem Antrag durchaus zum Ausdruck gebracht haben. Wir sind uns auch einig, daß wir ihn überweisen, um ihn so in der nächsten Woche verabschieden zu können.
Herr Weisskirchen hat sehr eindrücklich den Status des Globus beschrieben und eine massive Unterstützung der UNO und ihrer Organisationen eingefordert.
Ich will im Laufe meines Beitrags auch noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Herr Ruck, auch Sie haben dieses Thema angesprochen und wissen, daß es ein Lieblingsthema von mir ist, weil sich dort nationale Politik und notwendige Politik in den internationalen Strukturen überschneiden.
Ich möchte ein paar Bemerkungen zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD machen. Darin erwähnt sie, daß in den vergangenen Jahren eine Reihe profunder Vorschläge gemacht worden sind. In der Tat: Die Commission on Global Governance und die Unabhängige Arbeitsgruppe haben Vorschläge gemacht. Wir haben viele Vorschläge auch aus dem NGO-Bereich auf dem Tisch gehabt. Trotzdem frage ich mich, warum die Bundesregierung in der Antwort an so vielen Stellen freundliche Übereinstimmung signalisiert, während die Differenzen in Wirklichkeit doch oft massiv sind.
Ich frage mich weiter, ob die Bundesregierung nicht nur flüchtig über die Vorschläge hinweg liest und sagt, wir haben nichts dagegen, sich aber selbst zurückhält. Herr Außenminister, dafür gibt es einen einfachen Grund: Mein Eindruck ist, daß sich die Bundesregierung zu massiv und fast ausschließlich auf den ständigen Sitz im Sicherheitsrat konzentriert. Sie vergißt darüber die konzeptionelle Mitarbeit an den dringend notwendigen Reformen.
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Ich erwähne diesen Punkt noch aus einem anderen Grund. Wir Grünen haben immer gefragt: Warum brauchen wir dieses Symbol einer nationalstaatlichen Großmachtspolitik? Verzichten wir doch darauf! Nutzen wir statt dessen die Reform zur Entwicklung einer besseren, gemeinsamen Europapolitik! Europa hat ohnehin zwei Sitze im Sicherheitsrat. Durch den Verzicht gewinnen wir gleichzeitig die Möglichkeit, über eigene Reformvorschläge und den dadurch gewonnenen Vorsprung Akzeptanz zu finden. Das schien uns immer sinnvoll zu sein. Ich möchte das noch einmal betonen.
Inzwischen liegt der Vorschlag der Reformkommission auf dem Tisch. Sie werden sehen, daß er ein auf Deutschland ausgerichtetes Angebot enthält. Aber Sie werden auch sehen, daß das soviel gelobte Vetorecht nicht mehr darin enthalten ist. Mich würde schon interessieren, ob Sie einen Sitz ohne Vetorecht akzeptieren würden. Ganz unabhängig von dieser Frage wissen wir, daß aus der Frage der Erdteilsvertretung ohnehin große Probleme entstehen, so daß dieser Vorschlag noch lange Zeit in der Luft hängenbleiben wird.
In diesem Zusammenhang fällt mir folgendes auf: Wann immer wir den Wunsch nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat vorgebracht haben, haben die Länder mit einem ständigen Sitz immer wieder deutlich gemacht, daß sie den Sicherheitsrat nur ungern sozusagen europäisieren wollen. Gleichzeitig diskutieren wir die Reform der EU-Verträge. Wenn ich in diesen Verträgen nachblättere und mich frage, wie es um die hochsymbolische, gemeinsame europäische Politik in einer Organisation wie der UN bestellt ist, stelle ich fest, daß es immer noch die alten Wortlaute gibt, die einen Unterschied zwischen den ständigen und den nichtständigen Sitzen machen. Es gibt da keine neuen Vorschläge.
Ich weiß, es hat einen spanischen und einen italienischen Vorschlag gegeben. Diese sind aber noch nicht einmal in eine konsolidierte Fassung gebracht worden. Ich kann mir vorstellen, warum es ausgerechnet einen italienischen Vorschlag gegeben hat und warum man darüber lächeln kann. Das kann ich sehr wohl nachvollziehen.
- Wir bleiben mit unserer Politik ein bißchen zurück, weil die Bundesregierung im Rahmen ihrer UN-Politik zu sehr darauf konzentriert ist, alle nötigen Unterstützer, die sie für ihr nationalstaatliches Verlangen braucht, nicht vor den Kopf zu stoßen. Sie versäumt dadurch die Provokation mit einem weitsichtigen Konzept, in dem sich eine Vision eines geeinten Europas mit der Vorstellung von Global Governance verbinden würde. Eine solche UN-Politik wäre mir viel lieber als die Engführung der deutschen UN- Politik auf den immer wieder vorgebrachten Anspruch, nun ein Global Player werden zu wollen. Darüber versäumt die Bundesregierung die Gelegenheit, durch eine Politik der Selbstbescheidung eine gemeinsame europäische Politik zu entwickeln, die sich dann im Rahmen der UN-Mitarbeit spiegelt.
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Ich gebe der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lippelt, wenn Sie hier reden, habe ich manchmal, heute wieder verstärkt, den Eindruck: Ihre Ansichten über die deutsche Außenpolitik orientieren sich eher an dem, was Zeitungen, die sich immer nur auf Einzelaspekte konzentrieren, berichten, als daran, was die Bundesregierung wirklich tut: in internationalen OrganisaDr. Irmgard Schwaetzer
tionen, unter anderem eben auch bei der Reform der Vereinten Nationen.
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- Herr Lippelt, da wundern wir uns ja auch manchmal über Ihre Einlassungen.
Nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes haben wir alle geglaubt, daß sich die Chance auf mehr Frieden realisieren könnte. Wir haben festgestellt, daß, nachdem Waffen und eine waffenstarrende Welt ihren Einfluß verloren haben, Gegensätze aufgebrochen sind, die in Minderheitenkonflikten und in Nationalitätenkonflikten ihre Ursachen haben, die auf religiösen Grundlagen beruhen. Diese Konflikte hat es auch früher gegeben, aber sie waren zugedeckt: von der Angst, in vielen Fällen auch von dem Geld, das die westliche und die östliche Welt in Stellvertreterkriege gesteckt haben.
Wir stellen also fest, daß die Aufgaben der Vereinten Nationen nicht etwa geringer geworden sind, sondern daß sie - nach wie vor dem Ziel der Herstellung und Bewahrung des Friedens und der Bewältigung der globalen Herausforderungen verpflichtet - größer geworden sind: dadurch, daß die Verschwendung von Ressourcen nicht nachgelassen hat - wir alle müssen hier verstärkt Anstrengungen unternehmen -, dadurch, daß die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht geringer geworden sind.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, daß die Reformanstrengungen durch den früheren Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros-Ghali, in so umfassender Weise in Gang gesetzt worden sind. Er hat weitreichende Vorschläge gemacht. Leider stellen wir fest, daß die Umsetzung schleppend erfolgt, weil viel zu viele Nationalstaaten ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt der Verhandlungen stellen. Ich begrüße, daß der Nachfolger von Boutros-Ghali, Kofi Annan, die Reformanstrengungen dezidiert weiter betreibt.
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Ich möchte an dieser Stelle auch der Bundesregierung danken, die in Person von Herrn Paschke einen ganz wichtigen personellen Beitrag geleistet hat, um zum einen die Mittelverwendung in den Vereinten Nationen besser kontrollieren zu können und zum anderen - das ist die Voraussetzung für eine bessere Mittelverwendung - ein effektives Controlling aufzubauen, wie es heute in jeder modernen Organisation üblich ist.
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Das ist die Voraussetzung dafür, daß die Effizienzsteigerung durch eine Reform, durch eine Straffung der Unterorganisationen der Vereinten Nationen zu den Effekten führt, die wir uns alle wünschen, nämlich den Betroffenen wirklich die Hilfe zugute kommen zu lassen, die sie brauchen, und größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um Konfliktprävention zu betreiben und dort, wo Konflikte aufgebrochen sind, den Frieden wiederherzustellen.
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Ich möchte aber ganz klar sagen, weil es hier eine kurze Diskussion über die UNIDO gegeben hat, daß diese Reformanstrengungen natürlich nur dann zum Erfolg führen können, wenn keine Regierung einseitig bestimmte Dinge aufkündigt oder finanzielle Mittel zurückhält. Ich finde, der Deutsche Bundestag hat das zu Recht einhellig an den Vereinigten Staaten kritisiert. Wir begrüßen, daß jetzt wichtige Anstrengungen unternommen werden, um die aufgelaufenen Zahlungen tatsächlich leisten zu können. Aber wir als Bundesregierung dürfen nicht unsere eigene Glaubwürdigkeit zerstören.
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Einen ganz wichtigen Schwerpunkt bei der Reform der Vereinten Nationen sehen wir in der neuen Konzeption des Wirtschafts- und Sozialbereiches. Meine Damen und Herren, der ECOSOC, also der Wirtschafts- und Sozialrat, hat 150 nachgeordnete Gremien. Das kann doch nur L'art pour l'art, Politik um ihrer selbst willen, sein, was da gemacht wird. Deswegen ist hier die Reform ganz besonders notwendig.
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Ich bin allerdings skeptisch, was den Vorschlag des Expertengremiums zur Umsetzung der Ergebnisse der Kommission „Global Government" betrifft. Neben den Sicherheitsrat einen eigenen Wirtschaftsrat, einen eigenen Sozialrat zu stellen, wird, so glaube ich, der zentralen Bedeutung der Voraussetzungen für Frieden auf der Welt nicht gerecht. Soziale Probleme gefährden den Frieden; eine übermäßige Nutzung der vorhandenen Ressourcen gefährdet den Frieden. Deswegen muß dieser Aspekt global sein, alle Bereiche in sich aufnehmen. Aus diesem Grunde sehe ich die Zuständigkeit des Sicherheitsrates nach wie vor gegeben.
Ich möchte allerdings hinzufügen: Was bei der Neuformulierung der Aufgaben der Vereinten Nationen wichtig ist, ist die Weiterentwicklung der Inhalte bei der Straffung der Entwicklungsprogramme und der Programme zur humanitären Hilfe. Die Bemessung hat in der Vergangenheit im Einzelfall sicherlich immer gute Gründe gehabt. Wir haben bei der Entwicklung einzelner Staaten aber festgestellt, daß dort, wo die Rahmenbedingungen von Demokratie, Rechtsstaat und die Gewährleistung von Menschenrechten am stärksten beachtet wurden, auch die Entwicklung am raschesten der Bevölkerung zugute gekommen ist.
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Deswegen ist dies in meinen Augen eine der Voraussetzungen für eine Verbesserung der Arbeit in diesem Bereich der Entwicklungspolitik und der Umweltpolitik.
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Eine andere wichtige Voraussetzung ist die Dezentralisierung der Aufgaben der Vereinten Nationen. Die Regionalorganisationen nach Kapitel VIII - die OSZE hat sich als eine Regionalorganisation konstituiert - werden in ihrer Bedeutung meines Erachtens bisher unterschätzt.
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Was die OSZE mit ihren Langzeitmissionen bereits jetzt an Konfliktprävention geleistet hat, ist im einzelnen natürlich nicht meßbar. Denn ein Konflikt, der nicht aufbricht, findet auch in der Öffentlichkeit keine Beachtung.
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Ich begrüße es deswegen nachdrücklich, daß auch die OAU den Weg in Richtung Regionalorganisation genommen hat. Die OAU hat in den vergangenen Monaten - im Konflikt um die Großen Seen, im Konflikt im ehemaligen Zaire - eine wichtige Rolle gespielt. Sie hat Beschlüsse gefaßt, die nur leider deswegen nicht zur Umsetzung gekommen sind, weil andere Staaten, die nicht in der OAU angesiedelt sind, dies verhindert haben.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zur Reform des Sicherheitsrates machen. Der Sicherheitsrat spiegelt die Nachkriegsordnung. Das muß überwunden werden. Alle Regionen dieser Welt müssen dort repräsentiert sein. Das ist die Essenz auch der Politik der Bundesregierung, die wir nachdrücklich unterstützen. Wenn alle Regionen dieser Welt dort repräsentiert wären, dann bedeutete das auch, daß der Sicherheitsrat in seinen Aufgaben und seinen Beziehungen zu anderen Organisationen, vor allen Dingen zur Vollversammlung, neu definiert werden müßte. Dazu hat die Bundesregierung wichtige Vorschläge gemacht.
Ich möchte der Bundesregierung danken für ihren Einsatz gerade im Bereich der Umsetzung der Vorschläge, die aus dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen gekommen sind, aber auch bei der Erarbeitung eigener Vorschläge. Wir werden sie weiterhin nach Kräften unterstützen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Eberhard Brecht, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle in diesem Haus stimmen überein: Die UNO könnte und sie muß auch mehr leisten, als es gegenwärtig der Fall ist. Es ist sehr schmerzlich, anzusehen, wie über Jahre über die Reformen der UNO geredet wird, ohne daß es in den eigentlichen Kernbereichen der UNO - im ECOSOC, bei den Finanzen oder im Sicherheitsrat - zu wirklichen Fortschritten gekommen ist.
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In dieser Bewertung - das entnehme ich den Redebeiträgen, die wir bisher gehört haben - sind wir uns
in diesem Hohen Hause einig; wir teilen damit auch die Auffassung von Kollegen in vielen anderen europäischen und außereuropäischen Parlamenten. Aber während in der Öffentlichkeit immer wieder die These verbreitet wird, daß der vermutete Widerstand des UN-Apparates selbst Reformen behindern würde, muß immer wieder richtiggestellt werden, daß es die Mitgliedsländer sind, die den Schlüssel zur Reform in der Hand haben.
({1})
Meine Damen und Herren, nun faßt jedes Land seinen nationalen Beitrag zur UN-Reform etwas anders auf. Beispielsweise führt die amerikanische Methode des „Gesundhungerns" der UNO sicherlich zu einer Verschlankung, akzeptiert aber als Nebenwirkung das Siechtum oder den Tod des Patienten. Dagegen spielen Kanada und die skandinavischen Staaten eine außerordentlich konstruktive Rolle, eine Rolle, die ich mir manchmal auch für Deutschland wünschen würde.
({2})
Um die Bundesregierung zu etwas mehr Engagement anzustoßen, hat die SPD-Bundestagsfraktion die heute zu debattierende Große Anfrage formuliert. Bevor ich Ihre Erwartung gegenüber einem Vertreter der Opposition befriedige, möchte ich die Gelegenheit nutzen, zunächst einmal das Engagement vieler Beamter des Auswärtigen Amtes für die UNO und ihre Reformen zu würdigen.
({3})
- Klatschen Sie nicht zu früh! Denn mit diesem Lob beginnt auch schon meine Kritik.
({4})
Nicht nur, daß einige Fragen unserer Großen Anfrage ausweichend oder unvollständig beantwortet wurden, nein, die Antworten sind auch vorsichtig bis ängstlich, liegen im „mainstream" und lassen Profil und Innovation vermissen. Genau das hat Kollege Lippelt eben ausgeführt.
Dieser Mangel hängt nicht zuletzt mit dem geringen Vorrat an Gemeinsamkeiten der betroffenen Ressorts innerhalb der CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung zusammen. Die UN-Politik der Bundesregierung als Ganzes gerät mehr und mehr zu einer gruppendynamischen Übung unter Beteiligung schwarzer und blau-gelber Ministerien, die dem Ernst der Aufgabe, vor der die Vereinten Nationen stehen, nicht mehr gerecht wird.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Felder benennen, wo das Engagement der Bundesregierung für die UNO und deren Reformen auf Grund divergierender Interessen unzulänglich ist.
Deutscher Bundestag - 13: Wahlperiode Dr. Eberhard Brecht
Nicht nur unter den Haushältern, sondern auch innerhalb der Bundesregierung sind Bekenntnisse zur Multilateralität sowohl im entwicklungspolitischen als auch im sicherheitspolitischen Bereich nicht gerade karrierefördernd. Dabei genießt gerade das multilaterale Engagement bei den Empfängerländern hohe Akzeptanz, weil sie davon ausgehen können, daß diese Hilfen neutral und ohne Erwartung irgendwelcher Folgeaufträge erfolgen.
Während vom Auswärtigen Amt immer wieder das deutsche Interesse an der Stärkung multilateraler Formen der globalen Friedenssicherung betont wird, erklärt Verteidigungsminister Rühe, daß Friedenseinsätze nur dann im deutschen Interesse sind, wenn sie in Europa oder seiner Peripherie stattfinden. Diese Position ist inkonsequent und altem Denken verhaftet ({6})
altem Denken deshalb, weil deutsche Sicherheitsbedürfnisse an einem traditionellen Sicherheitsbegriff gemessen werden.
Ich darf den Bundespräsidenten Herzog zitieren, der bei der Rede zum 40. Jahrestag der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gesagt hat:
Immer deutlicher sehen wir, daß risikoscheues Nichthandeln auf die Dauer risikoreicher sein kann als risikobereites Handeln. ... Wenn wir den Risiken nicht vor Ort begegnen, kommen sie zu uns.
({7})
- Herr Laschet, diese Frage haben Sie mir schon bei der letzten Debatte gestellt.
({8})
Ebendiese Erkenntnis ist es, die zumindest bei Teilen der Bundesregierung noch nicht angekommen ist. Inkonsequent ist die Position des Verteidigungsministers deshalb, weil er einerseits die deutschen Sicherheitsinteressen auf Europa und seine Peripherie beschränkt, er aber andererseits zu den vehementen Befürwortern eines ständigen Sitzes Deutschlands im Sicherheitsrat gehört. Das paßt doch nicht zusammen.
({9})
Im übrigen ist zu fragen, warum die Bundesregierung so lange gezögert hat, an den sogenannten Verfügungsbereitschaftsabkommen bzw. dem Stand-byRegister teilzunehmen. Es war peinlich genug, daß der Streit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesverteidigungsministerium während des Besuchs von Boutros-Ghali im Jahr 1995 offen ausgetragen wurde. Zur Wiedergutmachung hat das Auswärtige Amt dafür gesorgt, daß beim nächsten Besuch 1996 immerhin so etwas wie eine sogenannte zivile Komponente angeboten werden konnte. Das ist sicherlich besser als nichts, aber es ist immer noch zuwenig.
Man muß sich vor Augen führen, daß die Verbesserung der Verfügungsbereitschaft und der Reaktionsfähigkeit für friedenserhaltende Maßnahmen ein sehr bescheidenes Konzept der VN ist, um auf dem Gebiet der Friedenssicherung die eigene Handlungsfähigkeit auszubauen.
Meine Damen und Herren, eine besondere Schwächung multilateraler Entwicklungszusammenarbeit war die Ankündigung von Minister Spranger, die UNO-Sonderorganisation UNIDO zu verlassen. Wir hatten uns eben schon darüber ausgetauscht. Nach einem einjährigen Moratorium wird innerhalb der nächsten Wochen wieder einmal darüber entschieden, ob sich Deutschland aus dieser wichtigen Entwicklungshilfeorganisation zurückzieht. Gerade die UNIDO ist eine UN-Organisation, die seit ihren Beschlüssen auf der 5. Generalkonferenz Ende 1993 in ihren Reformanstrengungen in anerkennenswerter Weise erfolgreich war.
({10})
Ich will ein paar Zahlen und Stichworte nennen: Kürzung des Budgets um 25 Prozent, Einsparungen im administrativen Bereich von über 70 Prozent, Stellenabbau seit 1993 um 36 Prozent, eine gestraffte Organisationsstruktur und ein günstiges Verhältnis von Projektfinanzierung zur Verwaltung. Dadurch ist sie in der Lage, einen wirksamen Beitrag zur Industrialisierung der Entwicklungsländer mit einem ökologischen Ansatz zu leisten.
Das ganz bequeme Vorurteil von der „wuchernden UN-Bürokratie", das die eigene Sachkenntnis nicht sonderlich strapaziert, trifft auf die UNIDO wirklich nicht zu. Dies bestätigen nicht nur die Aussagen der Unternehmensberatung Arthur D. Little und die kürzlich veröffentlichte dänische Evaluierung, sondern nun haben wir auch noch vom Bundesrechnungshof Rückenwind.
Von allen Begründungen für einen Austritt bleibt am Ende nur noch das Haushaltsargument. Wenn Staatssekretär Härdtl als Kompromiß eine 40prozentige Kürzung des ohnehin bescheidenen Beitrags von 16 Millionen DM ins Spiel bringt, setzt sich die Bundesregierung dem Verdacht eines „downsizing" nach US-amerikanischem Vorbild aus.
({11})
Die jüngste Ankündigung, den deutschen UNDP- Beitrag drastisch zu kürzen, stößt in der sozialdemokratischen Fraktion auf keinerlei Verständnis. Auch wenn ich der Auffassung bin, daß sowohl UNDP als auch UNICEF reformbedürftig sind, meine ich, daß nicht der Versuch unternommen werden sollte, UN- Organisationen dadurch zu reformieren, daß man sie stranguliert.
({12})
Meine Damen und Herren, seit Jahren verfolgt die Bundesregierung als Mitglied der Genfer Gruppe das Ziel des realen Nullwachstums bei den Haushalten der Weltorganisation. Sofern dabei noch die inflations- und wechselkursbedingten Kosten absorbiert werden sollen, wird de facto ein nominales Minuswachstum erreicht.
Wenn die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage jetzt erklärt, daß der Grundsatz des realen Nullwachstums überprüft werden müsse, dann heißt das doch nichts anderes, als daß sie ihren bisher schon restriktiven Kurs noch weiter verschärfen wird.
Wir streiten uns hier nicht darüber, daß auch bei den internationalen Organisationen gespart werden muß. Aber Sparen muß so ausgerichtet sein, daß bei gleichbleibendem Mitteleinsatz ein größerer Effekt erreicht wird, daß die Effektivität und die Effizienz der jeweiligen Organisation gestärkt werden.
({13})
Im EU-Papier vom Januar dieses Jahres heißt es - ich zitiere -,
daß es bei der Reform der Vereinten Nationen nicht um eine Senkung der Kosten geht - es geht um die Stärkung und Neubelebung der Organisation, damit sie den Herausforderungen der Zukunft wirksam begegnen kann.
Was gilt nun, meine Damen und Herren: die Aussage des EU-Papiers oder die Ankündigung in der Antwort der Bundesregierung, die beide im Januar dieses Jahres verfaßt worden sind?
Verehrter Herr Außenminister, in einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen haben Sie gesagt:
Wenn es darum geht, die Vereinten Nationen zu stärken, will und wird Deutschland eine treibende Kraft sein.
({14})
In einer Phase, in der sich die Weltorganisation verstärkt unsachlicher Kritik ausgesetzt sieht, braucht sie nicht weniger, sondern mehr Unterstützung, vor allem der starken Mitgliedsländer. Das heißt, sie braucht auch die Unterstützung und den entschiedenen Reformwillen Deutschlands. Herr Bundesaußenminister, sorgen Sie bitte mit dafür, daß die gesamte Bundesregierung daran mitwirkt.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Brecht, ich will gleich auf zwei Punkte eingehen, die Sie angeschnitten haben: Der erste Punkt bezieht sich auf unsere Beiträge und die Unterstützung der Vereinten Nationen. Darauf werde ich nachher auch noch einmal zurückkommen. Wir sind nach wie vor drittgrößter Beitragszahler mit 100 Millionen DM im Haushaltsjahr.
Ich finde, das läßt sich sehen. Ich füge hinzu: Wir sind ein zuverlässiger Beitragszahler im Vergleich zu ein paar anderen.
({0})
Wenn alle anderen ihre Beiträge zahlen würden, würde es um die Vereinten Nationen ein klein wenig besser stehen, was die organisatorischen Probleme anbelangt.
Zweiter Punkt: Ich weiß nicht, ob ich an Ihrer Stelle ausgerechnet den weltweiten Einsatz der Bundeswehr hervorgehoben hätte. Ich habe seit fünf Jahren aus allernächster Nähe die Chance, zu beobachten, wie sich Ihre Einstellung und die Ihrer Partei geändert hat. Wenn ich mir vorstelle, wie das in den letzten fünf Jahren ausgesehen hat, dann würde ich bei der Kurve, die Sie gedreht haben, diesen Punkt wahrhaftig nicht hervorheben.
({1}) Si tacuisses, philosophus mansisses.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Verheugen?
Nein, ich möchte jetzt wirklich zu einem anderen Aspekt kommen.
({0})
- Herr Kollege Verheugen, wir unterhalten uns nachher darüber. Wir haben da andere Gelegenheiten.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Frieden wahren und Menschen eine Lebensperspektive geben, unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen: Das sind die wichtigsten Aufgaben der internationalen Politik. Mit diesem Ziel wurden die Vereinten Nationen vor 52 Jahren gegründet.
Sie sind bei dieser Aufgabe im Interesse der Völkergemeinschaft und aller Staaten nach wie vor absolut unersetzbar. Aus diesem Grund ist und bleibt es die Politik der Bundesregierung, sich in dieser und für diese Organisation weiter zu engagieren. Es wird uns niemand dabei ertappen, daß wir das nicht tun.
Im Gegenteil, ich glaube, daß wir durch mehrfache Mitgliedschaft im Sicherheitsrat als nicht dauerndes Mitglied bewiesen haben, was wir leisten. Ich glaube auch, daß sich die Vereinten Nationen nicht darüber beschweren können. Was den deutschen Beitrag anBundesminister Dr. Klaus Kinkel
belangt, haben das weder Boutros-Ghali noch Kofi Annan getan, und dabei wird es bleiben.
({2})
Wir haben die Reformanstrengungen der Vereinten Nationen intensiv unterstützt, übrigens auch im Rahmen der G 7 und der EU. Der Druck in Richtung Reform und Engagement für die Vereinten Nationen gehört für uns zusammen. Die Kluft - Sie wissen es - zwischen den ärmsten 20 Prozent der Menschheit und den reichsten 20 Prozent hat sich seit 1960 um mehr als das Doppelte verbreitert. Schon aus diesem Grund braucht die Weltgemeinschaft die UNO mehr denn je.
Kein Land, keine Region und keine Staatengruppe kann allein auf sich gestellt die enormen Herausforderungen unserer Zeit - von der Armutsbekämpfung über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bis zum Erhalt der Tropenwälder - bewältigen. Wer sonst, wenn nicht dieses Forum, sollte darüber wachen, daß nicht gemordet und gefoltert wird, daß Flüchtlinge mit dem Notwendigsten versorgt werden und Kinder Schutz und Fürsorge erhalten? Da darf es kein Wegschauen geben, und darum sind die Vereinten Nationen so wichtig. Die Menschheit braucht nun einmal gemeinsames Handeln, wenn sie künftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten Erde hinterlassen will.
({3})
Deshalb richten sich auch an die Sondergeneralversammlung zu Umwelt und Entwicklung im Juli in New York große Erwartungen. Der Bundeskanzler wird dort auf die Reform der mit Umweltfragen befaßten Institutionen der UN drängen; denn wir müssen unsere Zusammenarbeit für die Zukunft unseres Planeten Erde in der Tat deutlich verbessern.
Zur Reform der UNO: Die Notwendigkeit zur Reform besteht in ganzer Breite vom Wirtschafts- und Sozialbereich über die Finanzierung bis zum Sicherheitsrat. Es ist außerordentlich erfreulich - diese Erwartung ist in ihn gesetzt worden -, daß sich Generalsekretär Kofi Annan an die Spitze der Bewegung gesetzt hat. Er hat durchaus beachtliche Teilerfolge errungen. Das wissen wir alle.
Manchmal gibt es unendlich falsche Vorstellungen darüber, was die Anforderungen der UNO anbelangt. Deshalb will ich noch einmal sagen, daß der reguläre UNO-Haushalt zirka 2,25 Milliarden DM beträgt. Um es deutlich und klar zu sagen: Er ist kaum größer als der Haushalt der Stadt Bonn. Nochmals: Der reguläre UNO-Haushalt ist kaum größer als der Haushalt der Stadt Bonn. Wenn man die Relationen sieht und sich vor Augen führt, was wir mit unseren 100 Millionen DM erbringen, dann ist das keine Überdimensionierung, sondern etwas, was für all die Sorgen und Probleme, denen sich die UNO widmet, zu leisten ist.
({4})
Die politisch zentrale Reform betrifft den Sicherheitsrat. Er trägt nach der Charta die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Er setzt sich - das ist schon gesagt worden - nach den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zusammen. Er muß reformiert werden.
Natürlich ist es so, daß vor allem die großen Länder der Dritten Welt einen ganz besonderen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben. Uns geht es um eine echte umfassende Reform des Sicherheitsrates mit dem Ziel einer größeren Legitimität, Effizienz und Transparenz. Deshalb haben wir immer betont, daß in erster Linie die großen Länder der Dritten Welt einen Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben, vor allem aber die drei großen Kontinente Afrika, Lateinamerika und Asien.
Leider haben sie untereinander Probleme. Das ist etwas, wobei wir nur sehr schwierig helfen und etwas tun können. Damit müssen sie selber fertig werden. Wir in Deutschland sind - auch das muß man einmal deutlich sagen - praktisch bei jedem Konflikt, mit dem sich der Sicherheitsrat befaßt, entweder direkt oder indirekt betroffen: als Geber internationaler Hilfe in unserer Sorge um die Wahrung der Menschenrechte, als Ziel von Asylsuchenden und als Truppensteller für Friedensmissionen.
Unsere Bürger fühlen sich betroffen, auch durch das, was wir finanziell zu leisten haben. Ich vertrete ganz einfach die Auffassung - ich merke auch bei allen Diskussionen, die wir dazu haben, daß das sehr wohl verstanden wird -: Wenn von uns verlangt wird, daß wir als drittgrößter Beitragszahler womöglich noch mehr Beiträge erbringen, uns noch mehr engagieren oder noch mehr Mitverantwortung übernehmen, dann muß auch mehr Mitsprache gegeben sein.
({5})
Deshalb ist die ganze Diskussion über die Erweiterung des Sicherheitsrates etwas künstlich. Ich will das sagen, Herr Kollege, weil Sie das vorhin angesprochen haben: Wir stehen nicht mit Schaum vor dem Mund vor der Tür des Sicherheitsrates, um Ständiges Mitglied zu werden. Dieser Sitz kommt mehr oder weniger automatisch auf uns zu. Eine Verlagerung unserer Aktivitäten hin zu einem Werben für unseren Sitz im Sicherheitsrat, ist - das muß ich Ihnen deutlich und klar sagen - gar nicht notwendig. Wir tun das auch nicht. Sie werden, genauso wie übrigens bei dem Einsatz der Bundeswehr out of area, sehen, daß diese Sache mehr oder weniger automatisch auf uns zukommt.
Zur Zeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts über Auslandseinsätze der Bundeswehr 1994 - das ist schon angesprochen worden - befanden sich die Friedensmissionen der UN mit rund 78 000 Teilnehmern und einem Budget von 4 Milliarden US-Dollar auf ihrem Höhepunkt. Heute sind es - SFOR nicht mitgerechnet - 25 000 Teilnehmer und 1,3 Milliarden US-Dollar. Aber die Anzahl und Intensität der weltweiten Konflikte haben sich nicht in gleichem Umfang verringert, wenn überhaupt.
Deshalb läuft vor diesem Hintergrund eine intensive Diskussion über die heutigen Möglichkeiten friedenserhaltender Maßnahmen. Es reicht nicht aus, daß der Sicherheitsrat zu Friedensmissionen mandatiert. Wir brauchen Verfahren, mit denen schnell reagiert werden kann, und Mitgliedstaaten, die militärische Einheiten zur Verfügung stellen. Dazu muß die Konzeption und die Planung der zahlreichen zivilen Aktivitäten von Friedensmissionen, von der Konfliktprävention bis hin zur Friedenskonsolidierung, kommen. All das wirft natürlich für das UN-Sekretariat gewaltige Probleme auf. Die Mitgliedstaaten haben schwierige politische, organisatorische und finanzielle Fragen zu bewältigen.
Konfliktprävention - das ist auch hier im Deutschen Bundestag immer wieder angemahnt worden - ist von uns durchaus schon seit Jahren zum Schwerpunktthema gemacht worden. Wir haben deshalb dem Generalsekretär Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt, die sich dabei engagieren. Ich erinnere nur an Norbert Holl als UN-Vermittler in Afghanistan. Dazu kann ich nur sagen - ich höre es jedenfalls von allen Seiten -, daß seine Arbeit hoch geschätzt wird. Ich will ihm übrigens für einen nicht ungefährlichen Einsatz bei der Gelegenheit einmal sehr herzlich danken.
({6})
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die UNO nicht überfordern. Deshalb ist der Ausbau der regionalen Fähigkeiten sehr wichtig. Sie wissen, daß es seit langer Zeit mein Kredo ist: Nicht immer gleich zur UNO laufen und sie überfordern, sondern mehr auf die regionalen Organisationen verlagern. Das ist bei uns die OSZE, das ist im afrikanischen Raum natürlich vor allem die OAE, der man helfen muß, weil sie allein die Probleme nicht lösen kann.
Um es noch einmal zu sagen: Genauso wichtig wie die Vorbeugung von Konflikten ist natürlich auch die Sicherung des Übergangs vom Zeitpunkt einer Waffenruhe bis zum Wiederbeginn des normalen zivilen Lebens. Dabei geht es um die Entwaffnung und Reintegration von Kombattanten, um Abrüstung, Minenräumen und Flüchtlingsrückkehr. Sie wissen, daß wir uns ganz besonders - auch ich persönlich - bei der Minenräumung engagieren. Ich bitte, auch im Deutschen Bundestag nicht zu vergessen: In 65 Ländern sind noch immer 100 Millionen Personenminen verlegt, die jährlich 20 000 Menschen töten oder verstümmeln. Dieses Teufelszeug muß weg.
({7})
Zum Wirtschafts- und Sozialbereich. Hier besteht die Notwendigkeit zu Umorganisation, Verschlankung und Straffung. Ich meine, daß es jetzt am Ende der Debatten darum gehen muß, daß wir vorankommen. Eine Reihe von Reformen und Sparmaßnahmen sind bereits durchgeführt. Die Reduktion des Haushalts, Streichung von 1000 Stellen bei der UNO, Zusammenlegung von Abteilungen verdienen Respekt.
Ich möchte ganz besonders den AA-Angehörigen Paschke hervorheben und loben. Er ist im UN-Sekretariat eine Art Bundesrechnungshof geworden und leistet weltweit anerkannte, hervorragende Arbeit.
({8})
Wir unterstützen den Vorschlag von G 7 und EU, die sogenannten Reformersparnisse in Entwicklungsprogramme zu reinvestieren. Ich muß allerdings sagen, daß man nicht immer nur auf das Sekretariat und die Organisation der UNO deuten darf. Die UNO sind wir. Wir müssen uns bemühen, diese Reformmaßnahmen mitzutragen, uns engagiert einzubringen, damit sie zustande kommen.
Zum Schluß: Finanziell steht die UNO leider nach wie vor mit dem Rücken an der Wand. Die Bundesregierung und die EU setzen sich dafür ein, daß alle Schuldner - auch die USA ihre Schulden begleichen. Es muß der Beitragsschlüssel insgesamt geändert werden, weil er der heutigen Wirklichkeit nicht mehr entspricht. Wir sind jedenfalls bereit, unseren Beitrag nach wie vor engagiert und zuverlässig zu erbringen.
Meine Damen und Herren, es geht darum, die UNO so zu reformieren, daß sie ihr Wächteramt für Frieden und Achtung der Rechte von Menschen und Natur auch im kommenden Jahrhundert wirksam ausüben kann. Dazu brauchen die Vereinten Nationen nicht nur wohlfeile Kritik von der Zuschauertribüne herunter, sondern sie brauchen konstruktive Kritik. Sie brauchen vor allem konstruktive Mitarbeit. Ich finde, das tun wir in der Bundesrepublik Deutschland. Das werden wir auch weiterhin tun.
({9})
Der Präsident der laufenden Generalversammlung hat uns die Mahnung mit auf den Weg gegeben: Wir müssen über den Horizont unserer nationalen Grenzen hinaus denken und handeln, wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben wollen. Wir werden das auch beherzigen, als ein berechenbarer, zuverlässiger und konstruktiver Partner. Es darf uns die Vision, mit der die Vereinten Nationen vor 52 Jahren gegründet worden sind, nicht verlorengehen, nämlich die Vision einer friedlicheren und gerechten Welt.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die UNO ist die Organisation, in der die Regelung friedenspolitischer Probleme völkerrechtlich angesiedelt ist. Darüber scheint in diesem Haus Einigkeit zu herrschen, Herr Außenminister Kinkel, wenngleich nur verbal; denn die Realität sieht anders aus.
Der Stolz, 100 Millionen DM im Jahr der UNO zur Verfügung zu stellen, relativiert sich leicht, wenn man sich überlegt, daß wir im gleichen Zeitraum
46 Milliarden DM für den Etat der Verteidigung ausgeben.
({0})
Dies spricht für die Gewichtung der Politik, auch der Bundesregierung.
Ich möchte auf einen Aspekt eingehen, der heute weitestgehend noch nicht belichtet worden ist. Seit dem Ende der Ost-West-Auseinandersetzung wurde die Rolle der UNO durch die NATO-Staaten, insbesondere die USA, aber auch durch die deutsche Außenpolitik, permanent ausgehöhlt. Begonnen hat es damit, daß die UNO zum Legitimationsbeschaffer für Rohstoffinteressen der OECD-Staaten degradiert wurde. Im Krieg im ehemaligen Jugoslawien verweigerten die NATO-Mitglieder sowohl der UNO als auch der OSZE die Unterstützung, die sie für die Durchführung ihres Mandates gebraucht hätten.
Wir befürchten, daß durch diese aufgezeigte Gewichtsverschiebung vom zivilen zum militärischen Handeln diese Elemente Bestandteil deutscher Außenpolitik werden und sich immer mehr verstärken, und dieser Prozeß ist zurückzuweisen.
Die UNO - das will ich noch einmal unterstreichen - ist nur so gut und so handlungsfähig, wie die Mitglieder der UNO und des UN-Sicherheitsrates bereit sind, eben auch Handlungsfähigkeit und Mittel dieser Organisation zu überlassen. Während der Außenminister zwar von UNO-Reformen redet, auf der internationalen Bühne aber lediglich um den deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat buhlt und damit eine wirkliche Reform und Stärkung der UNO, wie wir sie wollen, blockiert hat - ({1})
- Nein, ich höre nicht auf. Das ist die Tatsache. Der gesamte Reformprozeß ist gestoppt, weil der deutsche Außenminister nichts anderes zu tun hat, als um den Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat zu buhlen.
({2})
Auch der Prozeß der NATO-Osterweiterung geht mit einer Marginalisierung der Aufgaben der UNO und der Unterorganisationen der OSZE einher. Wir befürchten, daß eine militär- und sicherheitspolitische Spaltung des OSZE-Raumes, wie sie von dieser Bundesregierung betrieben wird, fatale Auswirkungen und Folgen für den Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung, die diesen Namen auch verdient, haben wird.
Es mag Sie wundern, daß ich hier mehr auf die Verteidigungs- als auf die Außenpolitik dieses Landes eingehe.
({3})
Das liegt aber schlichtweg daran, daß im wesentlichen Kollege Rühe und leider nicht mehr das Auswärtige Amt oder Kollege Kinkel die Instrumente der Außenpolitik bestimmt.
({4})
Dafür spricht auch, daß der Bundesminister der Verteidigung es zulassen konnte oder wollte, daß General Eisele, der ganz hervorragende Arbeit auf internationaler Ebene bei den Vereinten Nationen geleistet hat,
({5})
in seinem Konzept vom BMVg nicht mehr getragen wird und frühzeitig aufs Altenteil geschickt wird.
({6})
Wir setzen uns für eine Reform und eine Stärkung der Vereinten Nationen ein, die das Moment ziviler Außenpolitik nicht nur betont, sondern auch bereit ist zu finanzieren. Deutschland steht in einer besonderen Verantwortung für die Zivilisierung der internationalen Beziehungen; denn als Exportweltmeister ist es auch für eine wesentliche Konfliktursache mitverantwortlich, nämlich für die ungerechte Weltwirtschaftsordnung.
({7})
Wer eine Reform der Vereinten Nationen ohne die Punkte der Zivilisierung und einer gerechteren Weltwirtschaft diskutiert, der gibt zu, daß er kein Interesse daran hat, sondern allenfalls nationale Interessen unter Einschaltung der internationalen Organisationen durchzusetzen beabsichtigt. Das ist keine Friedenspolitik, sondern die Entmündigung der internationalen Politik.
({8})
Das Wort hat Kollege Armin Laschet, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müßten in der Bundestagsverwaltung einmal darüber nachdenken, wie man die Rede, die gerade eben gehalten wurde, möglichst breit für das deutsche Volk veröffentlicht,
({0})
um einmal zu zeigen, wie die Alternativen der Opposition zur Außenpolitik dieser Bundesregierung auch in bezug auf weltweite Verantwortung sind.
({1})
Das ist weit entfernt von dem, womit Willy Brandt einmal 1973 nach New York gegangen ist. Er hat nämlich gesagt:
Wir sind gekommen, um auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen.
Das, was Frau Kollegin Beer hier eben vorgetragen hat, ist der Rückzug aus dieser Verantwortung,
({2})
ist die Vermischung mit Fragen der NATO und allem anderen, und Sie haben keine Antwort auf diese Frage nach der weltpolitischen Mitverantwortung, die von uns erwartet wird, gegeben.
Ich möchte auf das, was die Kolleginnen und Kollegen vor mir gesagt haben, in vier Punkten Bezug nehmen.
Das erste ist die Frage des Engagements in den Vereinten Nationen. Wir sind der drittgrößte Beitragszahler. Ich denke, daß man die Frage des UN- Sicherheitsrates, über die hier gesprochen worden ist, nicht so verkürzt darstellen kann, wie das geschehen ist. Ich könnte mir auch vorstellen, daß man darin einen europäischen Sitz anstrebt. Das wäre aus dem Konzept einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf europäischer Ebene heraus völlig unstrittig.
({3})
Aber diejenigen, die hier gesprochen haben, wissen es entweder nicht oder versuchen es wider besseres Wissen hier vorzutragen, wissend, daß sich Franzosen und Briten im Vertrag von Maastricht genau vorbehalten haben, daß dies nicht Bestandteil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist.
({4})
Das ist bisher auch nicht zur Disposition gestellt worden.
Lieber Herr Kollege Lippelt, dann zu sagen, wenn wir selbst verzichteten, leisteten wir einen Beitrag dazu, daß dieser gemeinsame europäische Sitz kommt, ist in der Tat wirklichkeitsfremd. Ich glaube, daß wir dann, wenn wir uns nicht verweigern und dem Wunsch vieler Länder des Südens nachkommen, die uns auffordern, in diesem Sicherheitsrat mitzuwirken - sie sagen: beteiligt euch mit euren Ideen und eurem Engagement -, viel mehr zur Reform dort, wo die Entscheidungen fallen, beitragen können, als wenn wir draußen bleiben.
({5})
Der bessere Schritt zu einem europäischen Sitz, den wir langfristig anstreben sollten, ist eine deutsche Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, die auch bereit ist, den Sitz, den sie dann erworben hat, in den Dienst eines gemeinsamen europäischen Sitzes zu stellen. Auf diese Weise ist dort mehr erreichbar.
({6})
Bei der Reform des Sicherheitsrates muß allerdings eine größere Repräsentanz auch der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas erreicht werden. Ich sage auch hier ganz offen - auch in Richtung unserer Kollegen im amerikanischen Kongreß; heute laufen ja Meldungen, daß sich in der amerikanischen Politik etwas verändert -: Wenn die Beiträge der Amerikaner mit Forderungen wie der verknüpft werden, Weltkonferenzen sollten demnächst nur noch in den Industriestaaten stattfinden, dann ist das genau der falsche Ansatz. Wir müssen auch dem Süden in diesem Weltforum weiterhin seinen Platz überlassen.
({7})
Ein zweites ist das Thema UNIDO: Ich glaube ja, daß es sich hier zur parteipolitischen Polemik eignet. Aber die Haltung der Bundesregierung zur UNIDO, Herr Kollege Brecht, ist völlig eindeutig. Wir können eine Prüfung vornehmen. So lautet der Kabinettsbeschluß des letzten Jahres. Diese Prüfung findet statt. Daß wir das System der Vereinten Nationen straffen müssen, daß wir sehen müssen, wo Reformen möglich sind, dagegen kann ja niemand etwas haben. Deswegen sollten wir jetzt die Sachdebatte an Hand der Evaluierungen vornehmen, die vorhanden sind, beispielsweise an Hand der dänischen, die Sie erwähnt haben, aber auch an Hand vieler anderer.
Ich kann mir vorstellen, daß dann, wenn andere UN-Organisationen es so wie die UNIDO machen, wirklich viele Reformen möglich sind. Darüber sollten wir dann die Sachdebatte führen:
({8})
Wo ist Reform möglich? Wie kann sie stattfinden? Wenn das Ergebnis dieser Sachdebatte entsprechend ist, bleiben wir sicher auch in der UNIDO. So ist jedenfalls meine Position.
({9})
Aber ich sage dazu auch: Man kann diese Last dann nicht allein dem Entwicklungsminister überlassen; denn wenn der Entwicklungsetat weiter gekürzt wird
({10})
und er dann in seinem Etat multilaterale Festlegungen hat, dann muß man verstehen, daß dies innerhalb des gesamten Haushalts zu einem Ausgleich führen muß. Wenn es unser gemeinsames Interesse ist, Mitglied der UNIDO zu sein, dann kann die Last nicht allein dem Einzelplan 23 überantwortet werden. Auch dies sollten wir hier formulieren.
Zum höheren Engagement innerhalb des Systems der Vereinten Nationen - das ist in der heutigen Debatte bisher noch nicht erwähnt worden - gehört auch die Frage, daß Deutschland jetzt Sitz der UNO ist, daß in Deutschland mit UNV und anderen Institutionen erstmals eine UN-Organisation ihren Sitz genommen hat. Wir danken dem Auswärtigen Amt, vor allem aber auch dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die mit viel Engagement erreicht haben, daß Bonn Nord-Süd-Zentrum und Standort von UNO-Institutionen wird. Wir wünArmin Laschet
schen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich im Moment darum bemühen, auch das Sekretariat der Wüstenkonvention in Bonn anzusiedeln, viel Erfolg bei ihrer Politik ohne Drängen, aber mit dem Angebot, daß Bonn als Nord-Süd-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland seinen Beitrag leisten will.
({11})
Lassen Sie mich zum Schluß zu dem Entschließungsantrag, den uns die SPD vorgelegt hat, noch einige Bemerkungen machen.
({12})
- Ob das so erfreulich ist, werden Sie gleich merken, wenn wir die Punkte durchgehen. Wir müssen nämlich diesen Antrag hier heute ablehnen, weil er in vielem doch sehr schnell dahingeschrieben und auch nicht sehr überzeugend ist.
Sie haben im zweiten Spiegelstrich unter Ziffer II angesprochen, daß im UN-Sicherheitsrat die Regionen der Welt besser repräsentiert sein sollten. Diese Forderung ist in Ordnung. Aber im nächsten Spiegelstrich zu sagen, daß Sparmaßnahmen allein der verbesserten Administration dienen sollten, das ist eine Binsenweisheit und bereits heute eine europäische Position.
Ihre gesamte Beschreibung einer ständigen Eingreiftruppe ist aus unserer Sicht zu undifferenziert. Es hätte einer intensiven Erörterung in den Ausschüssen des Bundestages bedurft. Aber wenn Sie darauf bestehen, daß wir heute darüber - in dieser undifferenzierten Form - abstimmen, so müssen wir es ablehnen.
Besonders schlecht wird Ihr Antrag, wenn es heißt, daß der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern solle, einen konkreten Maßnahmenkatalog zur Frauenförderung innerhalb der Vereinten Nationen vorzulegen. Das ist nun wirklich Aufgabe des UNO-Generalsekretärs; sie muß in New York geleistet werden. Der Bundesregierung zu sagen, sie solle Maßnahmen vorlegen, wie der Frauenanteil innerhalb der Vereinten Nationen gesteigert werden könne, ist eine so nationale Sichtweise von UN-Politik, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte.
({13})
Auch Ihre Bemerkungen im letzten Absatz zu UNICEF - dazu hat der Kollege Ruck einiges gesagt - machen Panik. Niemand hat die Absicht gehabt, UNICEF aufzulösen. Indem man das aber in Entschließungsanträge des Deutschen Bundestages hineinschreibt, verunsichert man eher Institutionen, als den Prozeß konstruktiv innerhalb der UNICEF zu begleiten.
Ich denke, daß wir die Situation, in der sich unser Land jetzt befindet, dazu nutzen sollten, dem vielfach vorgetragenen Wunsch, manches nationalstaatlich zu lösen, eine Reform der Vereinten Nationen entgegenzuhalten. Im Moment ist die Vorstellung, daß viele Menschheitsprobleme nur weltweit lösbar sind, zu wenig verbreitet. Die Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts sind nicht mehr in der Lage, gegen weltweite Klimaverschiebungen, gegen Terrorismus, gegen die Verschiebung von spaltbarem Material und gegen ähnliche Herausforderungen vorzugehen. Überall in der Welt erleben wir, daß als Lösungskonzept der Rückfall in den Nationalstaat angeboten wird.
Insofern wünsche ich mir von dieser Debatte, daß wir die Vereinten Nationen zeitgemäßer definieren, nämlich als ein Gremium, das diesem weltweiten Auftrag gerecht werden kann. Wenn wir den Zusammenhang zwischen Frieden, Demokratie und Entwicklung, den der UNO-Generalsekretär BoutrosGhali in sehr überzeugenden Worten als Grundidee seines Konzeptes aufgestellt hat, wieder verbreiten und erkennen, daß die klassischen Nationalstaaten diese Aufgabe nicht lösen und daß wir zu Handlungskonzepten kommen müssen, wie wir das im weltweiten Rahmen gemeinsam lösen, dann können wir auch unsere Bevölkerung davon überzeugen, daß die Vereinten Nationen das einzige Forum der Menschheit sind, in dem die Zukunftsprobleme der Menschheit angesprochen werden können.
Dazu wünsche ich uns allen mehr Überzeugungskraft an Stelle von Debatten über Detailprobleme.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Adler, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Reform der Vereinten Nationen ist so alt wie die Weltorganisation selbst. In Anbetracht akuter finanzieller und struktureller Probleme droht jedoch mittlerweile der Kollaps. Keiner der VN-Mitgliedstaaten kann dies ernsthaft wollen, seien die Interessen und Erwartungen auch noch so unterschiedlich.
Gerade die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen unterstreicht dies in besonderer Weise. Die Themen der VN-Weltkonferenzen der 90er Jahre belegen eindrucksvoll die Aktualität des in der Charta der Vereinen Nationen formulierten Ziels, „internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen". Die weltweite Dimension dieser neuzeitlichen Menschheitsprobleme zwingt zu wirksamen Maßnahmen. Mit der entsprechenden Kompetenz und den notwendigen Kapazitäten können die Vereinten Nationen den Kampf aufnehmen. Ich sehe dazu keine Alternative.
Kompetenz und Kapazitäten, das scheint den VN- Organisationen zum Teil abhanden gekommen zu sein. Eine Reform, die sich überwiegend auf die Sicherung der finanziellen Ressourcen bezieht und die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsstrukturen der Vereinten Nationen erhöht, reicht jedoch nicht aus. Konzeptionelle Anpassungen an die sich im Laufe der Zeit verändernden Rahmenbedingungen und die notwendige qualitative Verbesserung kooperativen Handelns zwischen den einzelnen VN-Organisationen müssen unbedingt forciert werden. Dazu ist ein Höchstmaß an störungsfreier und schneller KommuBrigitte Adler
nikation erforderlich - störungsfrei einerseits in bezug auf die internen Verwaltungsabläufe, störungsfrei andererseits im Hinblick auf politische Zielvorgaben der einzelnen Mitgliedstaaten.
Eine Reform der Vereinten Nationen macht jedoch nur dann Sinn, wenn sich die Mitgliedstaaten mit ihren Zielen identifizieren. Handlungsfähigkeit und Effizienz erfordern unter den heute herrschenden globalen Bedingungen ein klares Bekenntnis zur Multilateralität.
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In diesem Zusammenhang ist es mir unverständlich, wenn die Bundesregierung Anstalten macht, den Anteil der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit um einige Prozentpunkte zu senken. Die hohe Anzahl der entwicklungspolitisch tätigen VN- Organisationen gab immer wieder Anlaß zu massiver Kritik. Ohne Zweifel, hier bestehen zum Teil untragbare organisatorische Mängel. Mehr denn je wird deutlich, daß das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das UNDP, endlich in die Lage versetzt werden muß, die Führungsrolle unter den operativen VN-Organisationen zu übernehmen. Trotz des Bekenntnisses zu seiner Stärkung wurde die finanzielle Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen im laufenden Haushaltsjahr von 133 Millionen um 10 Millionen auf 123 Millionen DM gekürzt. Weitere Kürzungen würden das Bekenntnis zur VN konterkarieren, die Glaubwürdigkeit Deutschlands weiter aufs Spiel setzen.
Notwendige Umstrukturierungen und Verbesserungen müssen nicht bedeuten, daß die Eigenständigkeit und das Profil der Unter- und Sonderorganisationen aufgegeben werden müssen, um öffentlichkeitswirksame Reformerfolge vorweisen zu können. Andererseits soll in begründeten Fällen die Diskussion um eine Zusammenlegung von Unterorganisationen, Sonderorganisationen und Programmen kein Tabu sein.
Es macht doch aber zum Beispiel wirklich keinen Sinn, UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in einer namenlosen Abteilung für humanitäre Angelegenheiten aufgehen zu lassen und es damit seiner herausragenden Position zu berauben.
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Keine VN-Organisation ist so bekannt wie UNICEF. Welche VN-Organisation finanziert sich weltweit zu 30 Prozent aus privaten Spenden und kann ein dermaßen hohes Engagement an ehrenamtlichen Mitarbeitern vorweisen? Die Leistungen des Anwalts der Interessen und Rechte von 50 Prozent der Weltbevölkerung, nämlich die der Kinder, sprechen eine deutliche Sprache.
Wenn am 16. Juli Kofi Annan vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen seinen Reformplan vorstellt, sollte UNICEF nicht Opfer einer Reformdiskussion werden, deren Ziel unter anderem die Erhöhung der Zahlungsmoral einzelner Mitgliedstaaten ist.
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Wichtige Fonds und Programme, wie etwa das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, oder der Bevölkerungsfonds, UNFPA, dessen deutsche Beteiligung ebenfalls im laufenden Jahr eine millionenschwere Kürzung hinnehmen mußte, oder die fachlichen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen wie FAO, ILO, UNESCO und WHO bieten tagefüllenden Diskussionsstoff. Die zähen Fortschritte jahrelanger Bemühungen haben die Lösung der dringenden Probleme nicht gerade beschleunigt.
Gerade deshalb ist es endlich an der Zeit, ein Konzept einer globalen Entwicklungspartnerschaft als Grundlage der UN-Entwicklungszusammenarbeit zu entwickeln.
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Die Bundesrepublik Deutschland sollte deshalb ihre Außenwirtschafts-, Landwirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik so gestalten und aufeinander abstimmen, daß sie einen Beitrag zu mehr internationaler Gerechtigkeit leisten kann.
Die Stärkung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, des UNDP, und die Einbindung der internationalen Finanzinstitutionen im Sinne einer aktiveren Zusammenarbeit innerhalb des UN-Systems würden uns auf diesem Weg ein gutes Stück voranbringen.
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Brecht.
Sehr geehrter Herr Kollege Laschet, ich möchte zu Ihren Ausführungen ein paar Bemerkungen machen. Sie haben kritisiert, daß wir den Gesamtumfang des Haushaltes der Vereinten Nationen vorläufig auf dem Niveau des realen Nullwachstums der Vereinten Nationen halten wollen. Dies ist just der Ansatz, der auch in dem gemeinsamen EU-Papier steht, das die Bundesregierung mit unterschrieben hat, der Sie zumindest als Koalitionspartei angehören.
In diesem Zusammenhang möchte ich natürlich auch noch erwähnen, daß die Ausführungen des Außenministers nicht ganz richtig waren.
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Wir sind drittgrößter Beitragszahler; aber wir sind natürlich kein Musterknabe. Wir zahlen unsere Beiträge nicht chartagemäß in einem Stück, sondern in zwei Tranchen. Außerdem haben wir den Makel, daß wir als relativ reiches Land auch die DDR-Schulden noch immer nicht abgetragen haben.
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Eine zweite Bemerkung zum Problem des langfristigen Konzeptes für den Aufbau einer Eingreiftruppe. Hier geht es um die Entwicklung eines Konzeptes und nicht darum, daß wir eine Aktion der nordischen Staaten heute oder morgen auch tatsächlich operativ umsetzen wollen.
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Eine dritte Bemerkung - die bezieht sich auf die hier gemachten Ausführungen - zur Unterstellung, daß es bei dem Stand-by-Register um Kampfeinsätze geht. Das war die Ausführung des Außenministers, die natürlich nicht zutrifft. Das ist vielmehr Unkenntnis dessen, was tatsächlich im VN-Vorschlag steht.
Herr Kollege Laschet, da ich sehe, daß Sie sich wirklich Mühe gegeben haben, die Dissenspunkte im Entschließungsantrag der SPD herauszusuchen, möchte ich den Vorschlag machen - denn ich sehe die Differenzen nicht als so erheblich an -, zu versuchen, einen gemeinamen Antrag einzubringen. Deshalb möchte die SPD jetzt nicht auf einer Abstimmung bestehen, sondern beantragen, diesen Entschließungsantrag genauso wie den UNICEF-Antrag an den entsprechenden Ausschuß zu überweisen, damit uns im Ausschuß noch einmal Gelegenheit gegeben wird, eine Einigung herzustellen.
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Herr Kollege Laschet.
Herr Kollege Duve, Sie wollen also die Welt retten. Mit dem Zurücknehmen eines Antrags kann vielleicht ein kleines Stück Unfug, der in diesem Antrag steht, beseitigt werden.
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- Das ist ja wunderbar. Dann werden wir im Ausschuß - vielleicht an der Sache orientiert - über einige der Punkte, die hier sehr schnell hineingeschrieben wurden, sprechen. Das ist sicher eine gute Sache. Das kann gelingen.
Den Punkt, den Sie hinsichtlich der europäischen Position angesprochen haben, betraf genau meine Kritik, nämlich daß Sie hier von der Bundesregierung verlangen, irgend etwas zu fordern, obwohl wir auf europäischer Ebene genau dies alles bereits tun. So ist der gesamte Antrag eine Aufforderung an die Bundesregierung. Das mag sehr leicht sein. In der konkreten Sache aber müßte schon etwas passieren.
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- Es wird nicht so leicht passieren, Herr Kollege
Duve, daß Sie in die Verlegenheit kommen, hier
deutsche UN-Politik machen zu müssen. Insofern
können wir über diese Dinge ganz beruhigt im Ausschuß sprechen.
Ich denke, daß wir, wenn wir einen Entschließungsantrag des Bundestages zu einer Großen Anfrage formulieren, darüber nachdenken sollten, einige Zielvisionen in einen solchen Antrag mit hineinzuschreiben, Herr Kollege Brecht, und darüber, daß wir nicht nur über rein technische Dinge sprechen sollten, sondern auch einmal darüber, was im System der Vereinten Nationen noch an Konzepten über den Tag hinaus, also über das, was ohnehin schon alles passiert, formuliert werden könnte.
Insofern freue ich mich darüber, daß Sie heute nicht auf einer Abstimmung bestehen. Im Ausschuß haben wir die Gelegenheit, hierüber weiter in der Sache zu debattieren.
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Ich schließe die Aussprache.
Zunächst kommen wir zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7941. Dieser Antrag soll - da besteht Einigkeit - überwiesen werden, und zwar an den Auswärtigen Ausschuß - federführend -, den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. - Dann ist das so beschlossen.
Der nächste Antrag: Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7915. Auch dieser Antrag soll überwiesen werden, und zwar an die gleichen Ausschüsse wie zuvor genannt. Ich gehe davon aus, daß das Haus auch damit einverstanden ist. - Das ist so.
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.: „50 Jahre Vereinte Nationen - eine große Vision schrittweise verwirklichen", Drucksache 13/ 6455. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2744 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltungen der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu „50 Jahre Vereinte Nationen" ; das ist die Drucksache 13/6455. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2751 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „50 Jahre Vereinte Nationen - die Vision einer demokratischen Weltorganisation schrittweise verVizepräsident Hans-Ulrich Klose
wirklichen und nationalstaatlichen Egoismus überwinden", Drucksache 13/6455. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2739 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der PDS zur UN-Politik der Bundesregierung, Drucksache 13/6455. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2632 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 13. Juni 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.