Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/5/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen! Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern: 5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({0}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: 5 Jahre nach der VN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro: Schutz des Tropenwaldes verstärken - Initiativen gegen die Zerstörung der borealen Wälder ergreifen - Drucksache 13/7601 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Umwelt- und Entwicklungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit global umsetzen - Drucksache 13/7783- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform des steuerlich geförderten Mietwohnungsbaus - Drucksache 13/7790 6. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({2}) a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Horst Sielaff, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Berücksichtigung sozialer und ökologischer Mindeststandards in der EU-Bananenverordnung - Drucksachen 13/6625, 13/7571- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({5}), Dr. Norbert Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.: Elefanten erhalten - neue Lebensräume erschließen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller ({6}), Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Elefanten schützen und Verbot des Elfenbeinhandels aufrechterhalten - Drucksachen 13/7654, 13/7254, 13/7818- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Geänderter Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ({8}) - Drucksachen 7017 Nr. 3.1, 13/78197. Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({9}), Matthias Berninger, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäftigungsorientierte Arbeitszeitpolitk: BonusMalus-System als Anreiz zur Verkürzung der Arbeitszeiten und zum Abbau von Überstunden - Drucksache 13/78008. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS: Einseitige Aufkündigung des deutsch-persischen Niederlassungsabkommens - Drucksache 13/7784 ({10}) 9. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der wirtschaftlichen Förderung in den neuen Ländern - Drucksache 13/7792 10. Beratung des Antrags des Abgeordneten Werner Schulz ({11}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufbau Ost braucht langen Atem - Drucksache 13/7789 Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Es ist weiterhin vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 9, bank- und wertpapieraufsichtsrechtliche Vorschriften, mit Tagesordnungspunkt 10, Beratung des Postgesetzes, zu tauschen. Der Tagesordnungspunkt 12, Rehabilitation und Kuren, soll abgesetzt werden. Außerdem mache ich auf eine geänderte Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 175. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. Mai 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf ist irrtümlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten statt an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen worden. Er wird nunmehr wie folgt überwiesen: Gesetzentwurf der Bundesregierung Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksache 13/7336 Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 h auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften - Drucksache 13/6441 - ({13}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ({14}) - Drucksache 13/4247 ({15}) - Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - Drucksache 13/6442 -({16}) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes - Drucksache 13/1930 -({17}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Vera Lengsfeld, Elisabeth Altmann ({18}), Gila Altmann ({19}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes ({20}) - Drucksache 13/3207 - ({21}) Beschlußempfehlung und Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({22}) - Drucksache 13/7778 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Höfken b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Verbesserung des Naturschutzes in Deutschland - Drucksachen 13/2743, 13/7778 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Höfken c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Franziska Eichstädt-Bohlig, Gerald Häfner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes - Drucksache 13/3906 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({24}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Lengsfeld, Gila Altmann ({25}), Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökosystem Watt vor Dauerbelastung schützen - Drucksache 13/5199 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({26}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({27}), Dr. Christian Ruck, Wilhelm Dietzel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Erhaltung und Schutz der biologischen Vielfalt durch weltweite Ausweisung von Schutzgebieten - Drucksache 13/7252 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({28}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({29}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Marianne Klappert, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erhaltung und Nutzung der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen - Drucksachen 13/4985, 13/7020 -Berichterstattung: Abgeordneter Helmut Lamp Vizepräsident Hans-Ulrich Klose g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({30}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Eva Bulling-Schröter, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten - Drucksachen 13/2905, 13/5945 - Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Junghanns h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({31}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft - Drucksachen 13/6593 Nr. 1.6, 13/7470 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dietmar Schütz ({32}) Michaele Hustedt Es liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zwölf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und warte auf Wortmeldungen. ({33}) - Bitte.

Prof. Dr. Norbert Rieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie immer bei der Novellierung eines Gesetzes werden nach Ansicht vieler sicher viele Erwartungen oder auch Befürchtungen nicht erfüllt. Das gilt speziell für die Novellierung eines Naturschutzgesetzes, von dem die einen erwarten, daß es als Querschnittsgesetz alle Umweltprobleme dieser Republik löst, indem es von der Bauleitplanung über die Landwirtschaft bis zur Industrie alles und jedes abschließend regelt, die anderen aber - auch diese gibt es in reichlichem Maße in dieser Republik - ein Naturschutzgesetz im günstigsten Falle als überflüssig, im ungünstigsten Falle als schädlich ansehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Versuch gemacht, der nach meinem Dafürhalten sehr geglückt ist, über weite Strecken einen vernünftigen Kompromiß zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen zu finden. Ich will das an einigen Punkten etwas genauer erläutern. Beginnen möchte ich mit der Forderung der Länderumweltminister, aber auch vieler Verbände, ins Gesetz zu schreiben, daß 10 bis 15 Prozent der Fläche als Vorrangflächen unter Schutz zu stellen seien. Diese Forderung wurde nicht aufgegriffen; denn eine solche Flächenangabe hat nach unserer Ansicht in einem Bundesgesetz nichts zu suchen. Denn es ist nicht die Aufgabe des Bundesgesetzgebers, den Ländern mit ihren ganz unterschiedlichen Voraussetzungen solche Vorgaben zu machen. Ich erinnere dabei nur an die Unterschiede zwischen Stadtstaaten und Flächenstaaten. Wir als Bund können da nicht regulierend eingreifen, sondern müssen das den Ländern überlassen. Es hat aber auch ganz praktische Auswirkungen. Jeder, der sich ein wenig mit der Praxis des Naturschutzes beschäftigt hat, weiß, daß es keineswegs damit getan ist, eine Fläche als Schutzgebiet auszuweisen, sondern daß diese Fläche dann gepflegt werden muß. Das ist ein Umstand, den viele häufig übersehen. Denn in unserer dichtbesiedelten Landschaft - auch das muß man in aller Deutlichkeit sagen, obwohl es allen Fachleuten völlig klar ist - sind die meisten Naturschutzgebiete, zumindest solange sie auf dem Land liegen - ich rede jetzt bewußt nicht von Gewässern -, von Menschen geformt und geschaffen. Es handelt sich in aller Regel um Gebiete, in denen im Lauf der vergangenen Jahrhunderte der Mensch die Landschaft geprägt hat. Ich will das nun an einigen Beispielen etwas deutlicher machen. Das älteste deutsche Schutzgebiet, die Lüneburger Heide, ist durch den Menschen und seine Viehherden aus Wald zur Heide geworden. Mühsam und mit viel Geld - das sage ich in aller Deutlichkeit - muß sie dauernd vom Baumwuchs freigehalten werden. Weil es billiger ist, wird dazu meistens nicht die Beweidung durch Heidschnucken vorgenommen, sondern die aufwachsenden Birken werden schlichtweg herausgehauen. Jeder Fachmann weiß, daß die Freihaltung durch Beweidung wesentlich besser und in diesem Fall ökologisch richtiger wäre. Aber sie ist teuer, und deswegen wird die schlechtere Methode angewandt. Es fehlt schlichtweg jetzt schon das Geld, um die eigentlich fachgerechte Beweidung durchzuführen. Nehmen wir ein anderes Gebiet aus den neuen Bundesländern, ein wunderschönes Gebiet, von dem ich jedem empfehlen kann, es sich ausführlichst anzuschauen, dort einmal Urlaub zu machen: die Schorfheide Chorin. Die Schorfheide Chorin verdient den Namen Heide eigentlich nicht mehr, denn die Heideflächen, die dort durch die Beweidung geschaffen waren, sind längst dem Wald gewichen. Darüber kann man sich ohne weiteres unterhalten. Was aber in diesem Gebiet derzeit passiert, ist traurig: In diesem Gebiet, das durch die jahrhundertelange Beweidung teilweise zu einer Parklandschaft mit wunderschönen Einzelbäumen geworden ist, wächst nun durch die mangelnde Pflege, einfach weil das Geld fehlt, der Wald durch. Die Parklandschaft mit ihren Einzelbäumen verschwindet. Wenn wir nicht bald mit richtigen Pflegemaßnahmen, die Geld kosten, eingreifen, wird dieses Gebiet im Laufe der nächsten Jahrzehnte einen großen Teil seiner Qualität verlieren. Oder nehmen Sie ein einfacheres Beispiel, das jeder kennt. Eine blühende Wiese ist nun einmal ein Kunstprodukt, das nur erhalten bleibt, wenn die Wiese sach- und fachgerecht gepflegt wird. Wenn sie nicht mehr gepflegt wird, wird sie in unserem Klimabereich zu Wald. ({0}) Eine solche Wiese zu erhalten, kostet Geld. Die Bundesländer - das sage ich in aller Deutlichkeit - haben jetzt schon ohne Ausnahme nicht genügend Geld in ihren Etat eingestellt, um jedes ihrer vorhandenen Schutzgebiete ausreichend zu pflegen. Wenn also ein Bundesland 10 oder 15 Prozent seiner Fläche als Vorranggebiet ausweisen will, so würden wir das ungeheuer begrüßen. Nur muß dieses Bundesland auch das notwendige Geld dafür in den Etat einstellen. Wer fordert, 10 oder 15 Prozent der Fläche als Vorranggebiet auszuweisen, und nicht gleichzeitig das Geld dafür fordert, der handelt unredlich, oder er weiß nicht, wovon er redet. ({1}) Meine Damen und Herren, Pflege muß also auch in Schutzgebieten sein. Nach den Erfahrungen in allen Bundesländern hat sich gezeigt, daß die billigste und beste Form dieser Pflege in der Regel der Vertragsnaturschutz ist, also jene Form des Schutzes, bei der in der Regel mit den Grundstückseigentümern Verträge über die Pflege abgeschlossen werden. ({2}) - Die Bauern machen das häufig am preisgünstigsten; sie sind in der Regel auch die Eigentümer der Flächen. Deswegen hat sich überall gezeigt, daß es die beste und billigste Form ist, mit Verträgen zu arbeiten. Wir als Bundesgesetzgeber können nun keineswegs den Ländern vorschreiben, wieviel Geld sie für den Vertragsnaturschutz ausgeben wollen. Wir können ihnen aber vorschreiben - und das ist unsere Aufgabe -, in der Regel mit Vertragsnaturschutz zu arbeiten; denn es ist die beste, billigste und günstigste Form, die man überhaupt anwenden kann. Eben das werden wir machen. Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kommen, der auch umstritten war. Wir sind dabei, im Rahmen dieses Gesetzes, das wir nachher verabschieden werden, den Katalog der anzuerkennenden Verbände formal zu erweitern. Wir haben im § 29 des bisherigen Gesetzes eine Regel, daß Naturverbände als Naturschutzverbände anerkannt werden können, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Wir werden diesen Katalog nun in dem Sinne erweitern, daß wir auch sogenannte Nutzerverbände, wenn sie denn im Sinne der Natur nutzen, ebenfalls anerkennen können. Ich sage nun in aller Deutlichkeit, daß das nichts anderes ist als die Anerkennung der bisherigen Praxis. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Einer der vom Bund, also von der Bundesregierung, anerkannten Naturschutzverbände ist derzeit der Verband Deutscher Gebirgs- und Wandervereine. Einer der Teilverbände im Verband der Deutschen Gebirgs- und Wandervereine ist der Touristenverein „Die Naturfreunde". Er ist damit ein in der Bundesrepublik Deutschland anerkannter Naturschutzverband und ist darüber hinaus entweder über den Dachverband oder als einzelnes Mitglied in verschiedenen Bundesländern anerkannt, zum Beispiel in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz - um nur einige zu nennen. Der Schwarzwaldverein und der Schwäbische AlbVerein - um zwei weitere Beispiele zu nennen - sind in Baden-Württemberg deswegen als Naturschutzverbände anerkannt, weil ihr Arbeitsgebiet in Baden-Württemberg liegt. Nach der bisherigen Fassung des Gesetzentwurfes hätten diese drei Vereine eigentlich nicht unbedingt anerkannt werden müssen. Sie sind anerkannt worden - ich halte das für absolut richtig -, obwohl der Schwerpunkt ihrer Arbeit nicht im Naturschutz liegt. Ein beachtlicher Teil ihrer Arbeit aber spielt sich im Naturschutzbereich ab. Zumindest in Baden-Württemberg, wo ich das Ganze relativ gut überschaue, leisten die genannten Vereine mit ihren zusammen etwa 300 000 Mitgliedern unersetzliche Arbeit im Sinne des Naturschutzes. Darauf möchten wir in Zukunft nicht verzichten. ({3}) Das ist in keiner Weise eine Herabwürdigung der klassischen Naturschutzverbände, wie NABU oder BUND. Im Gegenteil: Was wir brauchen, ist die Zusammenarbeit aller dieser Verbände im Sinne der Natur. Genau das schreiben wir in das Gesetz hinein. ({4}) Wer aus dieser Formulierung, die wir getroffen haben, glaubt, schließen zu können, daß wir zum Beispiel Moto-Cross-Verbände oder ähnliches anerkennen wollen, der hat entweder den Gesetzentwurf nicht richtig gelesen - ich würde ihm empfehlen, ihn einmal nachzulesen -, oder er handelt böswillig. ({5}) Leider ist meine Redezeit zu Ende. Ich glaube, daß wir mit diesem Gesetzentwurf - das habe ich in einigen wenigen Punkten begründet - etwas Sinnvolles einbringen, das uns in der Naturschutzarbeit durch bessere Kompromißfähigkeit ein wesentliches Stück weiterbringen wird. Herzlichen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mehl, SPD.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein bemerkenswerter Tag. Heute ist die silberne Hochzeit des Weltumwelttages, der 5. Juni. Heute jährt sich zum 25. Mal der Tag der Weltumweltkonferenz, aus der die Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen hervorging. Just an diesem Tag verabschiedet die Mehrheit im Deutschen Bundestag ein Naturschutzgesetz, das alles andere als eine angemessene Antwort auf die Herausforderung der heutigen Zeit ist. Zu diesem Wechselbalg haben Sie auch noch zehn Jahre gebraucht, obwohl die SPD-Fraktion Ihnen in jeder Legislaturperiode einen zukunftsfähigen Gesetzentwurf vorgelegt hat. ({0}) Dieser Gesetzentwurf - wohlgemerkt Ihr Gesetzentwurf - ist angesichts der Erkenntnisse der letzten 25 Jahre über die Zerstörung und Belastung von Natur und Umwelt der blanke Hohn. Es gibt wenige Bereiche, in denen der auf Papier geschriebene und bekundete Wille und die praktische Umsetzung so weit auseinanderklaffen wie im Naturschutz. Ich will nur die Konvention zur biologischen Vielfalt als Ergebnis der Rio-Konferenz 1992 und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU nennen. Der Geist dieser beiden von Deutschland mitgetragenen Regelungen für den Naturschutz, nämlich der Gedanke der Nachhaltigkeit, findet sich in Ihrem Gesetzentwurf in keiner Weise wieder. ({1}) Im Gegenteil: Die Beratungen in den Ausschüssen haben eher den Eindruck vermittelt, daß keine Gelegenheit ausgelassen wurde, die ohnehin schlechte Vorlage auch noch restlos zu zerfleddern. ({2}) Naturschutz ist keine Aufgabe für Blümchengukker oder Käferbeinzähler, wie vielleicht manche glauben. Naturschutz ist vielmehr die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen sowie Aufgabe und Ziel für uns alle. ({3}) Wir haben nicht eine Mitwelt, die wir gut oder schlecht behandeln können, sondern wir sind mit in dieser Welt. Meyer-Abich führt in seinem neuen Buch „Praktische Naturphilosophie" aus - und zwar sehr eindrucksvoll -, daß es um das Mitsein der Menschen in der Natur geht. Das heißt, daß wir nicht das Recht haben, Natur zu zerstören, sondern die Pflicht, sie für uns alle und für alles Leben zu erhalten. ({4}) Naturschutz ist kein weiterer Nutzungsanspruch unter vielen anderen, sondern er ist das eigentliche Ziel und damit der Oberbegriff für alle Umweltschutzbemühungen. Jeder würde heute sagen, daß jemand, der die Holzkonstruktion seines Hauses verheizt, weil es dadurch im Moment so schön warm ist, ein Idiot ist; denn er ruiniert sich damit seinen Lebensraum. Genauso aber machen wir es mit der Natur. Sie haben im § 1 Ihres Gesetzentwurfs festgehalten, daß Natur zum Zwecke des Gebrauchs für den Menschen geschützt werden soll. Wenn Sie dies als ein riesiges Artenschutzprogramm für eine Art, nämlich für den Menschen verstehen, dann könnte ich Ihnen noch folgen, weil dies, wenn wir so weitermachen, durchaus nötig sein kann. Die Natur wird weiterbestehen, in welcher Form auch immer. Natur ist hochgradig anpassungsfähig. Ob wir es sind, ist noch die große Frage. ({5}) Ich möchte auf einige Einzelpunkte eingehen. Erstens. Wir wollen in den Grundsätzen das Ziel verankern, mindestens 10 Prozent der Landesfläche zur Schaffung eines Biotopverbundsystems für den Naturschutz festzuschreiben. Sie sind dazu nicht bereit; Herr Rieder hat das gerade wieder ausgeführt; ich muß sagen, Ihre Erklärung dazu fand ich nicht überzeugend. Sie sind nicht dazu bereit, obwohl Frau Merkel die Magdeburger Erklärung, eine gemeinsame Erklärung der Umweltministerkonferenz und der Umweltverbände, unterschrieben hat. In dieser Erklärung steht genau das drin. Zweitens. Wir wollen, daß der Grundwasserschutz und die stofflichen Einwirkungen in die Eingriffsregelung einbezogen werden. Sie haben dies in Ihren Gesetzentwurf nicht aufgenommen, obwohl Sie in Ihrer Unterrichtung zur Sondergeneralversammlung in zwei Wochen, über die wir gestern im Ausschuß debattiert haben, feststellen, daß zwei der drei Hauptursachen für den Artenrückgang eben genau diese Punkte - stoffliche Einträge und Veränderung des Wasserhaushalts - sind. Bemerkenswert ist übrigens auch, daß Sie sich im Teil B - Umweltschutz in Deutschland - dem Naturschutz in einem eigenen Kapitel widmen. Im Teil C -Strategien für eine nachhaltige Entwicklung - kommt das Thema als eigener Abschnitt überhaupt nicht mehr vor. Ich frage Sie: Wo, wenn nicht im Naturschutzgesetz, soll denn diese Frage geregelt werden, und warum sind Sie an dieser Stelle nicht konsequent? ({6}) Drittens. Wir wollen eine flächendeckend umweltverträgliche Landwirtschaft. Deshalb müssen wir die von Ihnen neu formulierten Landwirtschaftsklauseln streichen. Wir brauchen keinen Generalfreibrief für die Landwirtschaft, sondern wir brauchen klare Vorgaben für eine umweltverträgliche Landwirtschaft. ({7}) Dies ist auch im Interesse der Landwirtschaft. Das haben nur noch nicht alle begriffen. ({8}) Sie aber machen das Gegenteil. Sie machen die derzeitige Wirtschaftsweise zum Maßstab für die Zahlungsverpflichtungen an die Landwirtschaft und ersetzen einfach den Begriff der „ordnungsgemäßen Landwirtschaft" durch den Begriff der „guten fachlichen Praxis". Darauf, was dieser Begriff in der Praxis eigentlich bedeuten soll, nehmen Sie aber keinen Einfluß. Das überlassen Sie dem Landwirtschaftsminister. Sie sagen, einiges zu diesem Punkt sei schon im Bodenschutzgesetz geregelt. ({9}) Daß aber die Formulierung im Bodenschutzgesetz auf Bodenschutz und nicht auf Naturschutz bezogen ist, ignorieren Sie. ({10}) Das mindeste wäre gewesen, daß Sie eine Ermächtigung für die Bundesumweltministerin in Ihr Gesetz hineingeschrieben hätten, bei der näheren Ausfüllung dieses Begriffes gleichberechtigt beteiligt zu sein. Das haben Sie aber nicht getan. Statt dessen haben Sie sich vom Landwirtschaftsminister in das Gesetz hineinschreiben lassen, daß jede erhöhte Naturschutzanforderung in sämtlichen Schutzgebieten, die über diese „gute fachliche Praxis" - was immer das auch ist - hinausgeht und zu wirtschaftlichen Nachteilen führt, mit Geld auszugleichen ist. ({11}) - Da sollten vielleicht Leute mitreden, die etwas davon verstehen. ({12}) Von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und von Regeln für eine umweltverträgliche Landwirtschaft ist kein Wort zu finden. Dies nenne ich eine Subventionierung der Landwirtschaft aus Naturschutztöpfen. Wenn die Milliardenbeträge der EU in den Umbau zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft gesteckt würden, hätten Sie mich auf Ihrer Seite. Aber das findet nicht statt; vielmehr versuchen Sie, die schmalen Mittel des Naturschutzes noch weiter zu verkleinern. Das blockiert den Naturschutz. Dafür haben Sie unsere Unterstützung nicht. ({13}) Sie schreiben auch einen Vorrang für den Vertragsnaturschutz fest, das heißt, daß vor jeder Naturschutzanordnung geprüft werden muß, ob das Ziel auf Vertragsebene mit dem Grundeigentümer in gleicher Weise zu erreichen ist. Ich will deutlich festhalten: Dieses Instrument Vertragsnaturschutz kann durchaus sehr sinnvoll sein; es wird heute auch schon angewendet. Wenn Sie das aber als Vorrang festschreiben, dann erzeugen Sie einen ungeheuerlichen Verwaltungsaufwand durch Vertragsverhandlungen in allen Naturschutzprojekten, der eher zur Blockade der Naturschutzverwaltung führt statt zur Beförderung des Naturschutzes. Sie haben jetzt, Herr Rieder, in mehreren Punkten ausgeführt: Überlassen Sie das doch den Ländern, überlassen Sie es doch denen, die vor Ort entscheiden können. Genau das erwarte ich in diesem Punkt von Ihnen: Überlassen Sie es den Ländern und den Naturschutzverwaltungen vor Ort, dies zu entscheiden. ({14}) Viertens. Wir wollen eine klare Regelung, daß bei Eingriffen in Natur und Landschaft sichergestellt ist, daß dem Naturerhalt Vorrang eingeräumt wird und der Naturschutz ein echtes Gewicht bei der Abwägung von Nutzungsansprüchen bekommt. Sie dagegen haben dafür gesorgt, daß ein wesentlicher Bereich, nämlich die Eingriffsregelung in der Bauleitplanung, aus diesem Gesetz völlig herausgenommen wird. Wenn wir heute wissen, daß pro Tag rund 100 Hektar Fläche überbaut werden, dann müßten Sie eigentlich im Planungsverfahren die Naturschutzbehörden und nicht die Bauämter stärken. ({15}) Aber Sie haben dafür gesorgt, daß die Naturschutzverwaltung geschwächt wird und daß die fachliche Beurteilung und Bewertung, welche Bedeutung denn Natur bei einem geplanten Eingriff hat, allein den Baubehörden überlassen bleibt. Sie werden damit Flächenverbrauch und Naturzerstörung weiteren Vorschub leisten. Fünftens. Wir wollen eine flächendeckende Landschaftsplanung. Sie schreiben dies nicht fest, obwohl die Landschaftsplanung das einzige naturschützerische Planungsinstrument ist, das wir haben. Sie soll der Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes dienen. Wie soll das aber gehen, wenn sie entgegen der anderen Planungsinstrumente, Raumordnung und Landesplanung, nicht flächendeckend vorhanden ist? Wenn ich den Naturschutz voranbringen und das Biotopverbundsystem einrichten will, muß dies in allen Planungen und Verwaltungsverfahren Eingang finden können. Dazu muß die Landschaftsplanung flächendeckend vorhanden sein. Sie muß natürlich auch entsprechend berücksichtigt werden. ({16}) Das heißt, wer von dieser Planung abweichen will, muß dies bei Würdigung aller Umstände begründen. Sie belassen dieses wichtige Naturschutzinstrument in einem Dornröschenschlaf und vergeben die Chance, Naturschutzziele auf ganzer Fläche präsent zu machen. Sechstens. Wir wollen eine konsequente Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EG. Mit der Umsetzung dieser Richtlinie sind Sie schon seit drei Jahren im Verzug. Sie ist der eigentliche Grund für diese Gesetzesnovellierung. Warum haben Sie eigentlich nicht die Vorlage des Bundesrates verwendet, sondern statt dessen ein kompliziertes Gebilde in das Gesetz gepflanzt, von dem Praktiker vor Ort sagen, sie wissen überhaupt nicht, wie sie diesen komplizierten Aufbau umsetzen sollen? Wer die Umsetzung dieser Richtlinie will, muß sie praxisorientiert formulieren. Bei Ihrem Gesetz ist das leider völlig mißraten. ({17}) Siebtens. Sie wollen - - Wir wollen - ({18}) - Ich will auch noch auf Sie zu sprechen kommen. Aber die Reihenfolge ist so besser. Wir wollen eine breite und frühzeitige Beteiligung von Umwelt- und Naturschutzverbänden und die Einführung der Verbandsklage. Wollen Sie sie auch? ({19}) - Aha. Hier liegt die besondere Betonung auf den Worten Umwelt- und Naturschutz. Diese Verbände verstehen sich als die Anwälte für die Natur. Ihr Interesse ist nicht die Nutzung, sondern einzig die Erhaltung der Natur. Sie haben nun in Ihrem Gesetzentwurf bei der Regelung zur Anerkennung der Verbände ein Einfallstor geöffnet, das völlig inakzeptabel ist. Sie schreiben nämlich fest, daß auch die Verbände als Naturschutzanwälte anerkannt werden sollen, deren Ziele zunächst einmal die Nutzung der Natur insbesondere zum Zwecke der Erholung ist. Jeder Sport-, Angel- und Kletterverein braucht nur noch in seine Satzung zu schreiben, daß er die Natur zur Ausübung seiner Nutzung erhalten will, und schon ist er anerkannt. ({20}) Ich will überhaupt nicht die Bemühungen solcher Verbände schmälern, ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit über die Bedeutung des Naturschutzes und naturschutzfreundlichen Verhaltens aufzuklären und anzuleiten. Das ist sehr lobenswert und gut. Aber es bleibt doch immer zunächst das Nutzungsinteresse. Deshalb ist es falsch, diese Verbände mit dem Privileg Naturschutzverband zu versehen. Damit zersplittern Sie die Naturschutzlobby und nehmen sich selbst die Vorteile einer kritischen Begleitung und Förderung des Naturschutzes. ({21}) Hier liegt für mich auf der Hand, daß genau das das Ziel dieser Regelung ist. Damit werden sie dem Naturschutz einen Bärendienst erweisen. ({22}) Für Ihre Verweigerung, die Verbandsklage einzuführen, fehlt mir vollkommen das Verständnis. Das Argument, daß die Republik dann mit einer Flut von Klagen überzogen werde, ist doch nun völlig entkräftet. Die Länder, die in ihren Landesgesetzen dieses Rechtsinstrument eingeführt haben, können nur von guten Erfahrungen berichten. ({23}) Oder haben Sie etwa Angst, daß Ihre Planverfahren häufig so fehlerhaft sind, daß potentielle Kläger zu oft erfolgreich sein könnten? Gerade Sie setzen doch immer auf das Verantwortungsbewußtsein der Bürgerinnen und Bürger. Dann nehmen Sie sich bitte einmal selbst ernst und führen Sie die Verbandsklage auf Bundesebene ein. ({24}) Meine Damen und Herren, es gäbe noch eine ganze Menge Beispiele anzuführen, die belegen, daß das über 20 Jahre alte Naturschutzgesetz statt einer richtungsweisenden Fortschreibung nun ein vermurkstes Gesetz ersten Ranges wird. In dieser kurzen Zeit kann ich das alles aber leider nicht aufzählen. Aber ich will noch ein Beispiel nennen, das das sehr deutlich macht. Sie haben festgeschrieben, daß bei dem Erlaß von Schutzverordnungen für Biosphärenreservate und Nationalparke nicht nur das Bundesumweltministerium zu beteiligen ist, sondern zukünftig auch das Bundesbauministerium. Im Antrag haben Sie das im Umweltausschuß damit begründet, daß dadurch sichergestellt werden soll, daß das für Raumordnung zuständige Ministerium richtig eingebunden wird. Scheinbar traut man Ihnen nicht zu, Frau Merkel, daß Sie sich mit Ihren Kollegen vor Entscheidungen ordentlich abstimmen. Oder ist es so, daß die Bundesumweltministerin nun einen Wächter zur Seite gestellt bekommt, damit sie bloß nicht zu viel Naturschutz macht? Daß dieser Verdacht bestehen könnte, Frau Merkel, ehrt Sie sehr. Aber dem Naturschutz erteilen Sie mit diesem Gesetz einen echten Genickschlag. Wir werden dieses Gesetz ablehnen. ({25})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte jetzt zum ersten Mal eine Rede im Bereich des Natur- und Umweltschutzes. Ich bin ansonsten im Agrarausschuß tätig. Was mich doch überrascht, Frau Merkel, das ist die völlige Abwesenheit der Ministerin bei einem so wichtigen Thema ({0}) in der Diskussion im Ausschuß. - Natürlich sitzt sie da, ich meine aber bei der Diskussion im Ausschuß. Während im Landwirtschaftsaussschuß noch der Eindruck herrscht, daß dort Herzblut bei den Regierungsvertretern vorhanden ist, so hat man im Umweltausschuß doch einen gegenteiligen Eindruck. ({1}) Zur Landwirtschaft: Ich bin nun aus dem landwirtschaftlichen Bereich und weiß Gott für eine vernünftige Interessenabwägung. Aber eine Interessenabwägung macht es doch nötig, daß die Interessen des Naturschutzes vertreten und die Instrumente des Naturschutzes auch eingesetzt werden. Mit der Vorlage Ihres Gesetzentwurfs berauben Sie aber den Naturschutz dieser Interessenvertretung und seiner Instrumente. Das, denke ich, ist eine wirkliche Demontage. ({2}) Insofern würde ich heute sagen, dem Tag der Umwelt zum Hohn: Vom Naturschutzgesetz bleiben nur die Knochen. Lange haben Umweltverbände und Opposition Frau Merkel aufgefordert, die überfällige Novellierung des Naturschutzgesetzes durchzuführen. Doch was heute, ausgerechnet am 5. Juni, dem Tag der Umwelt, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen durch das Parlament gedrückt wird, hat mit diesen erhofften Verbesserungen und den Unterstützungen für die positiven Entwicklungen gerade von der landwirtschaftlichen Seite aus überhaupt nichts tun. Vielmehr gibt es eine Entwicklung, die auf Konfrontation zwischen den Nutzern und den Naturschützern neu abzielt. ({3}) Die Koalition setzt gegen Ende ihrer Regierungszeit noch alle Möglichkeiten der Demontage der bereits erzielten Naturschutzregelungen ein. Herr Rieder, Sie haben in Ihrer Rede ein Denken angeprangert, das in die Frühzeit der 70er/80er Jahre gehörte, nämlich dieses klassische Reservatsdenken. Wer von uns und wer von den Umweltverbänden hat denn das noch vertreten? Inzwischen sind wir längst an einem ganz anderem Punkt angelangt, und Ihre Verteidigung zielt wahrhaftig ins Leere. Unser Fazit lautet: Dieser Entwurf muß vom Tisch. Die dringend notwendige Umsetzung der EU-Richtlinien muß übergangsweise durch gesonderte Gesetzesergänzungen zum Artenschutz und der FloraFauna-Habitat-Schutzgebiete vorgenommen werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bzw. der Koalitionsfraktionen hat von den bisherigen Regelungskompetenzen im Naturschutzgesetz nur noch ein Skelett übriggelassen. Der gesamte wichtige Agrarbereich fällt nun in die Kompetenz der Fachgesetze wie etwa dem Pflanzenschutzgesetz, das niemals darauf ausgelegt war und niemals dazu taugt, die Vorlagen für den Naturschutz zu bieten. Oder es wird auf das noch nicht einmal verabschiedete Bundesbodenschutzgesetz verwiesen. Auch hier enthalten die Regelungen zur Praxis der Landwirtschaft nur eine Kann-Bestimmung, aber keine verbindlichen Richtlinien. ({4}) Dies sind Gesetzesregelungen, die für diese Aufgaben überhaupt nicht ausgelegt sind. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung für den Siedlungsbereich, das heißt für die Bauvorhaben, verbleibt nur als Torso im Naturschutzgesetz und wird ins Baurecht aufgenommen. Damit werden sich die Zuständigkeiten in den Kommunalverwaltungen, wie Sie ganz sicher wissen, entsprechend verändern: Diejenigen, die planen, werden hinterher diejenigen sein, die auch die Interessen des Naturschutzes abwägen müssen und abwägen können. Damit haben Sie den Naturschutz vollkommen seiner Interessenvertretung beraubt. ({5}) Letztendlich ist das von uns und den Verbänden bekämpfte Beschleunigungsgesetz schon im Baurecht für die gesamte Bundesrepublik festgelegt und fest verankert worden. Auch das Bauen im Außenbereich ist gegen den Naturschutz gerichtet, denn es wurde für den Wohnungsbau erheblich erleichtert. Wie Frau Mehl schon gesagt hat: Heute werden schon 100 Hektar Fläche pro Tag in Deutschland versiegelt. In 80 Jahren wird die Bundesrepublik verbaut sein. ({6}) Das Gesetz, das Sie heute einbringen, heißt nur, daß Sie diese Entwicklung noch beschleunigen. ({7}) Finanziell droht der Naturschutz nun zu einer Last für die Länder zu werden. Genau das ist auch Ihre Absicht gewesen. Ich bin durchaus für Vertragsnaturschutz, aber ein solcher Vertrag muß doch die Bedingungen setzen können, auch standortgerecht sein und von einer Basis ausgehen, die die Interessen des Naturschutzes und der Landwirtschaft einbeziehen kann. Sie haben den Vertragsnaturschutz zur Norm erklärt, damit auch Entschädigungen sozusagen einklagbar gemacht. Damit ist natürlich das Interesse der Landwirte erloschen, sich an Konzepten wie dem mit der Wasserwirtschaft zu beteiligen und positive Entwicklungen zu unterstützen. ({8}) Das heißt auch, daß Sie die ganzen Ansätze, die zum Beispiel in den Biosphärenreservaten getroffen wurden, die auch im Bereich der Vermarktung mit dem Label des Naturschutzes versehen wurden, in Frage stellen, weil für deren Existenz eigentlich keine Basis mehr vorhanden ist. Für die Umsetzung der EU-Richtlinien oder neuer Schutzvorhaben wird dann kein Geld mehr vorhanden sein. Gerade die neuen Länder werden darunter leiden, die bisher erheblich mehr Schutzgebiete ausgewiesen haben, als das zum Teil in den alten Ländern der Fall gewesen ist. Zahlreiche Freistellungen für den Bau von Telekommunikationseinrichtungen, Energieanlagen, Militäranlagen und ähnlichem behindern drastisch die ohnehin schwer eingeschränkte Wirksamkeit dieses Gesetzes. Die Forderung nach Einführung einer Verbandsklage wurde nicht erfüllt. Ehrlich gesagt, die wollen wir jetzt auch gar nicht mehr haben. Nachdem Sie die Öffnung für die Nutzer gemacht haben, kann man schwerlich noch die Verbandsklage einfordern wollen. Ich habe den Gesetzestext hier vorliegen, und Sie kennen ihn auch: Sie werden es schwerlich verhindern können, daß zum Beispiel MotoCross-Verbände ihre Beteiligung dort einfordern können, wenn sie das, was in Ihrem Entwurf steht, tatsächlich auch verfolgen. Ich finde es sehr bedauerlich, Herr Geißler, daß Sie sich für diese Aufweichung des Biotopschutzes eingesetzt haben. Damit können im Prinzip die ganzen Mittelgebirgslagen nicht mehr in der Form geschützt werden, wie das bisher der Fall ist. ({9}) Der Gesetzentwurf der Grünen strebt eine grundsätzliche Neukonzeption des Naturschutzes an, vor allem im Bereich der Landwirtschaft auch einen nutzungsintegrierten Naturschutz in beiderseitigem Einverständnis, aber selbstverständlich mit einer qualifizierten Definition, was unter einer Landnutzung zu verstehen ist, die nicht als Eingriff zu bewerten ist. Diese Definition fehlt in Ihrem Gesetzentwurf vollständig. Wir haben Änderungsanträge vorgelegt, die zusammengefaßt aussagen, daß die FFH-Richtlinie und die EU-Artenschutzverordnung umgesetzt werden sollen, daß übergangsweise entsprechend der Gesetzentwurf des Bundesrates angenommen werden soll, der die Umsetzung der FFH-Richtlinie zum Ziel hat, und daß ein neues Gesamtkonzept für den Naturschutz erstellt werden soll. Ansonsten wird dieses Gesetz vom Vermittlungsausschuß hoffentlich in die hinteren Ränge verwiesen werden. Danke schön. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Novellierung des Naturschutzgesetzes. Das bisher gültige Naturschutzgesetz stammt aus dem Jahre 1976. In der Tat ist eine Anpassung an heutige und zukünftige Anforderungen lange überfällig. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung deswegen die Novelle des Naturschutzgesetzes vorgelegt. Diesen Entwurf haben wir nach vielen Gesprächen und Diskussionen verbessert. ({0}) In vielen Bereichen sind die Belastungen der Umwelt zwar rückläufig; aber leider hält der Trend zum Verlust von Artenvielfalt und von Biotopen an. Das ist sicherlich ein Fakt. Aber, Frau Kollegin Höfken, es ist natürlich unglaublich, daß Sie hier vor der Öffentlichkeit wieder die Behauptung aufgestellt haben, die Bundesrepublik sei in 80 Jahren zugebaut. Ich weiß nicht, wie oft man das noch erklären muß. ({1}) Das ist ein in der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" vorgestelltes eindimensionales Modell. Das Ding ist noch nicht einmal ein Szenario. Aber Sie benutzen das jedesmal. Das kann man so nicht hochrechnen, wie Sie das machen. Das ist keine Rechnung, sondern das ist schlicht ein Modell mit Annahmen, die so nicht richtig sind. Das heißt, Sie sollten endlich aufhören, so einen Unsinn zu behaupten, der einfach nicht stimmt. ({2}) Wegen der Situation im Bereich der Artenvielfalt und im Naturschutz ist wichtig, daß wir die Instrumente des Naturschutzes wirksamer gestalten. Ich denke, daß das Gesetz - das will ich vorwegnehmen - diesem Anspruch gerecht wird. Ich will drei Schwerpunkte nennen, die der F.D.P. besonders wichtig sind. Zum einen setzen wir in einem Zuge EG-Recht um, und zwar sowohl die FFH-Richtlinie als auch die Vogelschutzrichtlinie und die Artenschutzverordnung der EG. Jetzt - das sage ich ganz deutlich, Frau Kollegin Mehl - gibt es auch keinerlei Ausreden mehr für die Länder; sie müssen jetzt ihre Schutzgebiete anmelden. ({3}) Zum zweiten. Wir binden - das ist hier schon angesprochen worden - die Landwirtschaft stärker in den Naturschutz ein. Wir haben jetzt die „gute fachliche Praxis" im Gesetz aufgenommen, und zwar an Stelle der bisherigen „ordnungsgemäßen Landwirtschaft". Das wird mit Sicherheit zu einer naturverträglicheren Bewirtschaftung führen. Das Wesentliche ist, daß jetzt nicht mehr vorausgesetzt wird, daß das Wirtschaften jeder Art, egal, ob man sich an bestimmte Grundvoraussetzungen hält oder nicht, naturverträgBirgit Homburger lich sei, sondern es ist an den Begriff der „guten fachlichen Praxis" gebunden. ({4}) - Das will ich Ihnen jetzt gerade erklären. - Wir haben im Regierungsentwurf einen wesentlichen Punkt verbessert. Wir haben nämlich die Anforderungen an die „gute fachliche Praxis" durch einen Verweis auf das Bodenschutzgesetz definiert. ({5}) - Jetzt mal langsam, Frau Höfken. Wir haben das gestern im Umweltausschuß abgeschlossen. ({6}) - Das ist klar. Wenn man nie dabei war, kann man das nicht wissen. Dann macht man hier solche Zwischenrufe. ({7}) Natürlich gibt es das Bodenschutzgesetz noch nicht. Deswegen haben wir exakt die Formulierung, die im Bodenschutzgesetz, das wahrscheinlich nächste Woche hier beschlossen wird, als Definition der „guten fachlichen Praxis" eingebracht wurde, in die Begründung des Gesetzestextes wortwörtlich aufgenommen, so daß keiner sagen kann, daß er nicht weiß, was „gute fachliche Praxis" sein soll. ({8}) Damit nehmen wir die Anregung von Sachverständigen, von Ländern und auch von der Opposition auf. Die F.D.P. hält die Entschädigungsregelung für die Landwirtschaft im übrigen für unverzichtbar. ({9}) Dort, wo standortbedingte Naturschutzanforderungen über die „gute fachliche Praxis" hinausgehen und zu wirtschaftlichen Einbußen bei den Betroffenen führen, müssen die Länder für eine angemessene Entschädigung sorgen. ({10}) Das entspricht den Erfordernissen des Schutzes des Eigentums. Nur so wird Naturschutz in den ländlichen Regionen auch die erforderliche Akzeptanz finden; das halte ich für ganz wesentlich. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe den Eindruck, daß sich diese Frage auf einen abgeschlossenen Punkt bezieht. Ich würde den jetzigen Gedanken gern im Zusammenhang vortragen. ({0}) - Wir können es gern im Anschluß daran aufrufen; dagegen habe ich nichts. Ich sprach gerade über die Entschädigungsregelung in der Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf die Akzeptanz. Auch an dieser Stelle haben wir den Regierungsentwurf entsprechend verändert und verbessert, indem die Rückwirkungen der Entschädigungspflicht beschränkt werden. Wir wollen nämlich, daß die Landesverwaltung nicht mit der Überprüfung alter Schutzgebiete belastet wird, und wir wollen auch die finanziellen Belastungen, die daraus resultieren, begrenzen. Deswegen haben wir die Rückwirkung der Entschädigungspflicht entgegen dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung entsprechend beschränkt. Ich halte das für eine Lösung, die von allen Seiten akzeptiert werden kann. Die F.D.P. unterstützt ebenso den Vorrang des Vertragsnaturschutzes vor hoheitlichen Anordnungen; auch das haben wir hier bereits mehrfach besprochen. Vielerorts ist in der Praxis, unterstützt auch durch EG-Instrumente, eine Form der Partnerschaft zwischen Landwirtschaft und Naturschutz entstanden. Diese wollen wir ausbauen. Durch die von uns gewählte Soll-Vorschrift haben wir einen sachgemäßen Weg gefunden. Wir vermeiden so auf der einen Seite formalisierte Verfahren und den Verlust von Handlungsfähigkeit der Naturschutzbehörden, verpflichten aber auf der anderen Seite die Behörden, zunächst freiwillige Lösungen anzustreben. Insofern sind wir auch mit den Ländern einer Meinung. ({1}) Den nächsten wesentlichen Bereich stellt der Baurechtskompromiß dar, der anders als zu Beginn des Verfahrens jetzt massiv kritisiert wird. Der Baurechtskompromiß bedeutet, daß wir für eine bessere Integration des Naturschutzes in die Bauleitplanung sorgen sowie Baumaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen örtlich und zeitlich entkoppelt werden können. Damit bringen wir einerseits mehr Flexibilität in das gesamte Verfahren. Andererseits heißt das aber auch, daß wir uns damit vom bisherigen Zwang zu zersplitterten Insellösungen in den einzelnen Baugebieten entfernen. Wir ermöglichen auf diese Weise zusammenhängende Naturschutzmaßnahmen. Wir ermuntern darüber hinaus die Gemeinden durch das Öko-Konto zu vorausschauender Naturschutzkonzeption. ({2}) In der Praxis hat sich gezeigt, daß sich die bisherige Unterscheidung zwischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kaum noch nachvollziehen läßt. Daher haben wir diese Unterscheidung aufgegeben und auch dadurch das Gesetz vereinfacht; wir komBirgit Homburger men an dieser Stelle ebenfalls einem Wunsch der Länder nach. Der Baurechtskompromiß fand breite Zustimmung bei den Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis, und zwar durchaus sowohl in der Anhörung des Bauausschusses als auch in der Anhörung des Umweltausschusses. Er gibt den Kommunen mehr Flexibilität und kann auch durchaus kostensenkend wirken. Der Wunsch einiger Länder, diese für alle Seiten vorteilhafte Regelung auszusetzen, ist für mich allerdings schwer nachvollziehbar. Die im Baurecht letztlich aufgenommene Öffnungsklausel ist aber deswegen hinnehmbar, weil sie kurz befristet ist und unter der Bedingung steht, daß die Naturschutzbelange sichergestellt sein müssen. Ziel muß also sein, die Naturschutzbelange beim Bauen flexibel und sachgerecht zu integrieren, aber nicht, sie einfach zu ignorieren. Bedauerlich ist für die F.D.P. auch, daß es uns nicht gelungen ist - da greife ich das auf, was die Opposition gesagt hat -, beim Koalitionspartner eine Mehrheit für die Einführung einer beschränkten Verbandsklage zu finden. Bedauerlich ist das, weil die anerkannten Naturschutzverbände im Rahmen von naturschutzrelevanten Projekten ein gesetzliches Beteiligungsrecht haben sollten, auch um die Möglichkeit zu haben, zugunsten des Naturschutzes Klage zu erheben. Die wesentliche Funktion einer solchen Verbandsklage, auf die sich der Streit bezog, liegt in der Präventivwirkung. Sie würde dazu führen, daß der Naturschutz nicht zu kurz kommt, sondern bei den Entscheidungen sorgfältiger berücksichtigt wird. Wir können immerhin auf die Erfahrungen von zwölf Bundesländern, in denen es die Verbandsklage bereits gibt, zurückblicken, und diese Erfahrungen zeigen, daß daraus keine Prozeßflut resultiert, wie befürchtet wird. Deshalb stünde die Verbandsklage auch nicht im Widerspruch zu dem Ziel, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, im Gegenteil: Es würden bei umstrittenen Projekten sicher zahlreiche Klagen vorher kanalisiert werden können, und somit könnte das Verfahren vereinfacht werden. ({3}) Deswegen finde ich es schade, daß das nicht gelungen ist. Im Verlauf der Beratungen war das leider nicht durchsetzbar. Über die rot-grünen Vorstellungen haben wir hier schon öfters diskutiert. Ich will noch einmal deutlich sagen, daß wir Ihre Forderungen nach bundeseinheitlichen Flächenvorgaben für Schutzgebiete ablehnen. Sie wollen damit nämlich die Länder in ihren ureigenen Zuständigkeitsbereichen schlicht bevormunden, und zwar nur deshalb, damit sie hinterher beim Bund die Hand für mehr Geld für den Naturschutz aufhalten können. Einen anderen Grund gibt es nicht. ({4}) Denn alle Bundesländer sind darin frei, so viele Flächen unter Schutz zu stellen, wie sie es für sinnvoll halten. Das zeigt sich auch an Folgendem: Sie, Frau Kollegin Mehl, haben vorhin gesagt, daß wir beim Vertragsnaturschutz die Entscheidung den Naturschutzbehörden überlassen sollten. Da wollen Sie es den Naturschutzbehörden überlassen; auf der anderen Seite wollen Sie die Regelung dieser Frage nicht denen überlassen, die dafür zuständig sind. Das unterstreicht noch einmal, daß es bei Ihren Forderungen eine Diskrepanz gibt, und es unterstreicht noch einmal, welche Interessen Sie im Blick haben, wenn Sie solche Forderungen erheben. ({5}) Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich: Die Umweltminister in den rot-grünen Landesregierungen müssen die Entscheidungen in ihren Kabinetten suchen. Wenn sie den Wählern oder der Basis womöglich zuviel versprochen haben, dann sollten sie den Mut haben, ihre Schwäche einzugestehen. Jedenfalls sind wir im Bund nicht bereit, den Schwarzen Peter entgegenzunehmen. ({6}) Deshalb lehnen wir auch die Forderung nach einer Finanzierungsbeteiligung des Bundes ab. Vollzugs- und Finanzierungskompetenz der Länder sind schlicht untrennbar. Es geht nicht, nach dem Motto zu verfahren: Wir wollen mehr Naturschutz, aber mehr kosten darf es uns nicht. Das ist ein Zeichen - ich sage es ganz deutlich - politischer Unreife, und es wäre ein bequemer Ausweg. Sie können sich nämlich nicht um die Entscheidung über politische Prioritäten drücken. Wer Verantwortung haben will, muß Verantwortung auch übernehmen. Dann muß man sich auch dem schmerzlichen Prozeß unterziehen, Abwägungen zu treffen. Man kann nicht einfach bestimmte Entscheidungen treffen und die Kosten dann anderen aufdrücken. ({7}) Ich möchte mich abschließend bei allen Beteiligten für die faire Zusammenarbeit bei den Gesetzesberatungen bedanken. Wir haben uns in den Koalitionsfraktionen einem - zugegebenermaßen - mühsamen Abstimmungssprozeß mit allen Beteiligten unterzogen ({8}) und haben letztlich einen breiten Konsens gefunden. Wir machen es eben nicht so wie in manchen Ländern, in denen die Umweltminister ohne Abstimmung mit ihren Kabinettskollegen Maximalforderungen vortragen. Wenn man den Landwirtschaftsminister des betreffenden Landes hören würde, dann würde seine Aussage ganz anders ausfallen. ({9}) Wir fordern schlicht nichts anderes als daß das, was wir in der Koalition gemacht haben, nämlich einen Abstimmungsprozeß durchzuführen, in den Ländern auch einmal gemacht wird und daß man sich der Verantwortung, die man dort hat, stellt. ({10}) Die Länder sind jetzt gefordert, ihre Positionen verantwortlich neu zu entwickeln. Wir haben, wie ich finde, mit diesem Gesetz ein gutes Angebot gemacht. Ich sage an die Adresse des Bundesrates: Nehmen Sie dieses Angebot im Interesse des Naturschutzes an. Danke. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Wochen beschäftigte sich die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur mit den - ich sage das hier deutlich - Verbrechen an der Umwelt, die in der DDR begangen wurden. Von Vertreterinnen und Vertretern der Koalition wurde gefordert, diesen ohne Zweifel unverantwortlichen Umgang mit der Umwelt und den darin lebenden Menschen als systembedingt zu definieren. Folgt man einer solchen Logik ohne Selbstgefälligkeit, dann müßte man allerdings auch fragen, wie es eigentlich kommt, daß in der Bundesrepublik alt zwar die wichtigsten Emissionen weit niedriger waren, allerdings die Ausräumung der Natur, der Flächenfraß, die Zersiedelung und Zerschneidung der Landschaft sowie in vielen Regionen auch der Artenschwund weit größere Ausmaße als in der DDR angenommen hatten und haben. Doch anscheinend sind sich Politbüro und Bundesregierung hier einig: Augen zu und weiter auf bewährtem Kurs. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands illustrierte diesen Kurs kürzlich in bezug auf die Situation bei Feuchtgebieten und Kleingewässern folgendermaßen: Zwischen 1950 und 1985 verlor die Bundesrepublik insgesamt 57 Prozent ihrer Feuchtgebiete. In einigen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen, gingen 80 Prozent der Kleingewässer verloren. Die norddeutschen Moore wurden auf die Hälfte, zirka 300 000 Hektar, reduziert. Nur noch 10 bis 15 Prozent aller Fließgewässer befinden sich in einem naturnahen und ökologisch voll funktionsfähigen Zustand. Etwa 360 000 Kilometer Flüsse und Bäche wurden in den vergangenen Jahrzehnten begradigt und einbetoniert. Als Konsequenz dieser Entwicklung stehen heute, je nach Artengruppen, 30 bis 70 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten auf der roten Liste. Dafür macht der BUND an erster Stelle die Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere die Ausräumung, die Bodenerosion und die seit 1994/95 wieder steigenden Dünger- und Pestizidfrachten verantwortlich. Danach kommen der Flächendruck durch Verkehr, Gewerbe und Siedlungen sowie die Schadstofffrachten über den Luftpfad. Konsequenzen der Politik? Fehlanzeige. Was hier und heute in abschließender Lesung als Novelle des Naturschutzrechtes durchgedrückt werden soll, scheint die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt nicht stoppen zu wollen. ({0}) „Naturnutzergesetz statt Naturschutzgesetz" - so umschrieb es am Montag ein Autor der „Frankfurter Rundschau" als Fazit seiner ausführlichen Analyse. Fest steht: Die bisherigen rechtlichen Instrumente konnten weder dem Flächenfraß von 90 Hektar täglich noch dem Artenschwund oder der Biotopzerstörung Einhalt gebieten. Daß die Bundesregierung daraus die Konsequenz zieht, das Naturschutzrecht zu demontieren - meine Kolleginnen der Opposition haben das inzwischen bewiesen -, ({1}) anstatt Klingen zu schärfen, stellt die zynische und im wesentlichen an den Interessen der Unternehmen ausgerichtete Umweltpolitik dieser Regierung bloß. Mit der Beibehaltung der Landwirtschaftsklausel, die auf 50 Prozent der bundesrepublikanischen Flächen den Landwirten quasi bescheinigt, sie würden per se mit ihrer Produktion die Umwelt schützen, wurde die Chance vertan, konkrete und verbindliche Betreiberpflichten für Land- und Forstwirtschaft festzuschreiben. Der verwaschene und unverbindliche Passus über die „gute fachliche Praxis" in der Landwirtschaft und die Verweise auf die Fachgesetze, wie das Düngemittelgesetz oder das Bundeswaldgesetz, helfen hier wenig. Schließlich sind gerade diese Gesetze aus naturschützerischer Sicht novellierungsbedürftig. Notwendig ist deshalb eine unmittelbare Geltung von Zielen, Grundsätzen und Definitionen des Naturschutzes. Ansonsten wird er immer nur Anhängsel von Fachgesetzen sein, die von Ministerien federführend erarbeitet werden, welche - vorsichtig ausgedrückt - nicht unbedingt Lobbyorganisationen der natürlichen Umwelt sind. Mit den vorgesehenen pauschalen Entschädigungszahlungen für die Land- und Forstwirtschaft verteilt die Bundesregierung eindeutig Gelder der mageren Naturschutzhaushalte der Länder. Darüber wurde hier schon gesprochen. Erhalten sollen das alle Eigentümer von Grundstücken, die von Maßnahmen des Naturschutzes betroffen sind, auch wenn sie diese im Rahmen der Sozialpflicht ihres Eigentums hinzunehmen hätten. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellt sich die Bundesregierung selbst ein Bein. Denn wenn sie die Betreiberpflichten für eine ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft klar definieren würde, wäre auch abzugrenzen, ab wann Land- und Forstwirte, deren Flächen innerhalb von Schutzgebieten liegen, einen berechtigten Anspruch auf Entschädigung hätten. Daß durch das Rückwirkungsgebot insbesondere die Naturschutzetats der ostdeutschen Länder, die seit 1990 umfangreiche Schutzgebiete ausgewiesen haben, völlig überfordert sind, scheint sie nicht zu interessieren. Die Vorrangregelung des bürokratisch höchst aufwendigen Vertragsnaturschutzes wurde hier schon angesprochen. Mit der Übernahme der Regelungen aus dem § 8 des Bundesnaturschutzgesetzes ins Baugesetzbuch werden Eingriffe in den Naturhaushalt und der dafür zu vollziehende Ausgleich, soweit er beispielsweise bei der Überbauung eines in Tausenden von Jahren entstandenen Moores überhaupt möglich ist, in den Bauämtern bearbeitet. Naturschutz ist nur abzuwägen, er genießt keinerlei Priorität. Damit wird der Naturschutz den städtebaulichen Interessen weitgehend ausgeliefert. Außerdem dürfte die Nähe der entscheidenden Behörden zu den Investoren größer geworden sein, aber das ist ja auch erwünscht. Erwünscht ist leider auch, die Rechte von Umweltverbänden weiter zu beschneiden. Vorausschauende Umweltpolitik sollte diese Rechte eher erweitern und Verbände schon in der ersten Phase von Planungsprozessen einbeziehen, anstatt sie beispielsweise bei länderübergreifenden Vorhaben und Planungsgenehmigungen auszugrenzen. Die Verbandsklage, die bisher zwölf Bundesländer mit guten Erfahrungen eingeführt haben, ist im neuen Bundesnaturschutzgesetz nicht vorgesehen. Auch darüber wurde schon gesprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend ein Wort zu unserem Antrag „Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten": § 1 der Flächenerwerbsverordnung berücksichtigt nunmehr Forderungen des PDS-Antrags nach Nichtprivatisierung des Waldes. Allerdings bleibt die Nichtprivatisierung von Flächen auf Naturschutzflächen beschränkt. Deshalb halten wir an unserem Antrag fest. Grundsätzlich ist die PDS gegen die Privatisierung von Wald. Wir finden es unverständlich, daß der Anteil an Gemeindewald im Osten noch weit unter dem im Westen liegen soll. Würde die gesamte Waldfläche, die durch die BVVG privatisiert werden soll, also 670 000 Hektar, den Gemeinden übergeben, dann entspräche der Gemeindewaldanteil etwa dem westdeutscher Gemeinden. Ich denke, das wäre ein erstrebenswertes Ziel. Danke. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 84 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands werden durch Land- und Forstwirte bewirtschaftet, gepflegt und als Kulturlandschaft erhalten. ({0}) Ein Naturschutzgesetz, das die Zusammenarbeit mit den Bauern und den Forstwirten nicht sucht ({1}) und ihre Fachkenntnisse ungenutzt läßt, ihre emotionale Bindung an Grund und Boden und ihr Interesse am Erhalt der Bodenfruchtbarkeit für folgende Generationen nicht anerkennt, wäre in der Praxis von vornherein zum Scheitern verurteilt. ({2}) Diese Gedankengänge habe ich bei der SPD und auch bei den Grünen überhaupt nicht vernommen; sie sind offensichtlich auch nicht vorhanden. Ein Naturschutzgesetz, das die Produktion gesunder Nahrungsmittel ({3}) auf unseren Böden nicht auch in Zukunft einigermaßen wirtschaftlich ermöglicht, das den Einsatz des landwirtschaftlichen Berufsstandes für unsere in Jahrtausenden entstandene schöne Kulturlandschaft nicht würdigt und damit die Pflege und den Erhalt einer großen Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren nicht anerkennt, ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Genau das trifft auf Ihre Anträge zu. Meine Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Entwurf der Koalitionsfraktionen berücksichtigt die von mir geforderten Ziele. Die genaue Definition der „guten fachlichen Praxis" in der Landwirtschaft in diesem Gesetzentwurf hilft bei der Umsetzung von Naturschutzzielen vor Ort, indem auf die Fachgesetze verwiesen wird. Die Bauern, Forstwirte, Fischer, aber auch Umweltschützer erhalten eine genaue Grundlage, an der sie erkennen, bis wohin die Sozialpflichtigkeit des Eigentums geht und ab wo eine darüber hinausgehende Forderung der Öffentlichkeit an die Gestaltung der Landbewirtschaftung oder der Landschaftsgestaltung durch uns, die Allgemeinheit, entschädigt werden muß. Damit wird die Akzeptanz von Umweltschutz - und Naturschutzmaßnahmen verbessert. Der Bezug auf die Fachgesetze wie das Pflanzenschutzgesetz, das Düngemittelgesetz, die Waldgesetze des Bundes und der Länder sowie das kurz vor der Verabschiedung stehende Bodenschutzgesetz dient den Zielen des Naturschutzes mehr als die hier von den Mitgliedern der SPD und der Grünen verlangten Betreiberpflichten, die in der Praxis nicht umsetzbar sind. ({4}) Ein weiterer Vorteil: Die Fachgesetze ermöglichen jederzeit eine Anpassung an den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik, weil man das untergesetzliche Regelwerk an die neuen Bedingungen anPeter Bleser passen kann. Ich nenne nur ein Stichwort: die Düngeverordnung. Mich treibt aber noch eine ganze andere Sorge um. Die Weltbevölkerung nimmt pro Jahr um 90 Millionen Menschen zu. Um diese Menschen mit ihren veränderten Ernährungsgewohnheiten, die die Situation noch verschärfen, auch in Zukunft ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen zu können, müßte die landwirtschaftliche Produktion in den nächsten 30 Jahren um 75 Prozent gesteigert werden. ({5}) Das bedeutet eine Steigerung von 2,5 Prozent pro Jahr; derzeit sind es aber nur 1,5 Prozent. Die Schere geht also weiter auseinander. ({6}) Auf der anderen Seite geht der Anteil der für die Nahrungsmittelproduktion nutzbaren Fläche weiter zurück, zum einen durch das Bevölkerungswachstum und zum anderen aber auch durch die Inanspruchnahme für Verkehrs- und Siedlungsflächen. Die Ausbreitung von Dürrezonen, die durch die Klimaveränderungen verursacht wird, kommt noch hinzu. Vor diesem Hintergrund ist die Abnahme landwirtschaftlicher Nutzfläche in Deutschland in einer Größenordnung von 35 000 Hektar pro Jahr - das sind die von Ihnen genannten fast 100 Hektar Abnahme pro Tag; das entspricht praktisch der Fläche eines großen landwirtschaftlichen Betriebs - nicht länger zu vertreten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Zusammenhang mit der „guten fachlichen Praxis" möchte ich noch einmal nachfragen. Stimmen Sie mir zu, daß die gute fachliche Praxis, wie sie beispielsweise im Bodenschutzgesetz beschrieben ist, keine Verbindlichkeit für die Landwirte in der Praxis beinhaltet? Meine zweite Frage: Ist es nicht so, daß die jetzige Entwicklung, die auch im Entwurf eines Bodenschutzgesetzes intendiert wird, auf etwas hinausläuft, was wir als Landwirte gar nicht haben wollen, nämlich auf der einen Seite eine Entwicklung in Richtung Intensivzonen, sogenannte Agrarproduktionsinseln, und auf der anderen Seite eine Entwicklung in Richtung Schutzgebiete, die nicht weiter zur landwirtschaftlichen Produktion genutzt werden können?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Höfken, ich muß Ihnen jetzt leider sagen, daß man merkt, daß Sie gestern bei der abschließenden Beratung des Bodenschutzgesetzes nicht anwesend waren. ({0}) Dort wurde mitgeteilt, daß es eine Bodenschutzverordnung geben wird, in der genau geregelt ist, wie dieses Bodenschutzgesetz in Anwendung zu bringen ist. Damit ist in der Tat auch den Zielen des Umweltschutzes gedient. Die wechselseitigen Beziehungen sind in den vorliegenden Gesetzeswerken berücksichtigt worden. Ich will in meiner Rede fortfahren und einen anderen wichtigen Aspekt erwähnen. Wer weiterhin den Flächenverbrauch für Siedlungsbau, der sicherlich notwendig ist, will, der muß aber darauf achten, daß nicht, wie bisher in einzelnen Bundesländern, bis zum Zehnfachen des in Anspruch genommenen Flächenanteils für Ausgleichsmaßnahmen aus der landwirtschaftlichen Produktion herausgenommen werden. Das vernichtet nicht nur Arbeitsplätze im ländlichen Raum, sondern es nimmt uns auf Dauer die Ernährungsgrundlage. ({1}) Wir wollen einen intelligenten Ausgleich ({2}) ohne weiteren Flächenverbrauch, zum Beispiel durch Renaturierung von Bachläufen, Begrünung und Entfestigung von Ballungs- und Siedlungsgebieten und Umwandlung von Fichtenwälder in Mischwälder. ({3}) Deshalb haben wir zu § 18 des Bundesnaturschutzgesetzes einen Änderungsantrag gestellt. Flächen, die für Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen sind, oder Flächen, die nicht landwirtschaftlich genutzt werden, wollen wir vorrangig im Eigentum der öffentlichen Hand belassen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Das Zusammenraufen von Naturschützern und Landwirten steht erst am Anfang. Themen wie die Nutzung nachwachsender Rohstoffe werden in Zukunft dafür sorgen, daß sich die Vertreter beider Gruppen öfter am selben Tisch wiederfinden werden. Eine umweltverträgliche Versorgung unserer Bevölkerung und Entsorgung der Abfälle in Form einer Kreislaufwirtschaft ist ohne eine funktionierende und nachhaltige Landwirtschaft nicht möglich. Die sinnvolle Verbindung einer intakten Natur mit den Ansprüchen unserer modernen Zivilisation wird mit diesem Gesetz weiter verbessert. Insofern hilft uns dieses Naturschutzgesetz, unseren Kindern eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Horst Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Nach einer langen Phase der Stagnation folgt nun der Rückschritt, droht eine Demontage des Naturschutzrechts" war zuletzt ein bemerkenswerter Artikel in der „Frankfurter Rundschau" zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes überschrieben. ({0}) Die anthropozentrische Grundhaltung, die die Natur nur als Lebensgrundlage des Menschen schützen will und nicht um ihrer selbst willen, schreibt dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung konsequent fort. Dieser Trend läuft meines Erachtens der wachsenden Sensibilität breiter Bevölkerungsschichten völlig entgegen und ist daher nicht nur erschreckend kurzsichtig, sondern geradezu anachronistisch. ({1}) Zwischen Ökologie und Landnutzung gibt es spätestens seit den 20er Jahren unseres Jahrhunderts Konflikte. Die Sicherung der ausreichenden Nahrung für immer mehr Menschen, die Erfindungen der Agrarchemie und die Umgestaltung der Landschaft führten zu immer stärkeren Umweltbelastungen und schließlich zu Umweltzerstörungen. Wer will das leugnen? Ich bin davon überzeugt, daß der wachsende Stellenwert des Umwelt- und Naturschutzes in Wirklichkeit keine Gefahr für die Landwirtschaft darstellt, sondern ihre Chance ist. Jeder Landwirt weiß: Er verbaut seine eigene Zukunft, wenn er den Boden zerstört oder Luft und Wasser seine Produkte schädigen. ({2}) Wir Sozialdemokraten wollen ein neues agrarpolitisches Leitbild. Es muß die ökologisch sinnvolle Landbewirtschaftung zur Erzeugung von gesunden Nahrungsmitteln und agrarischen Rohstoffen, sofern sie effizient einsetzbar sind, in den Vordergrund stellen. ({3}) Hierzu tragen die nach den Richtlinien der ökologischen Verbände wirtschaftenden Landwirte im besonderen, aber auch eine Vielzahl der sogenannten konventionellen Landwirte, die sich sehr um ein umweltgerechtes Wirtschaften bemühen, bei. Es waren Landwirte, die die Kulturlandschaft, die uns umgibt, geschaffen haben; das ist richtig. In vielen Regionen - da gebe ich Ihnen recht, Herr Rieder - kann man auf dieses Werk stolz sein. In anderen Regionen aber kann einen schon manchmal das Grausen packen, wenn man sich die Belastung der Umwelt durch die landwirtschaftliche Nutzung anschaut. Für letztere brauchen wir dringend ein funktionierendes Naturschutzgesetz. ({4}) - Ich könnte Namen nennen; aber ich will nicht die eine Region gegen die andere ausspielen. Lieber Kollege Hornung, auch du kennst die Regionen. Das beste neue Agrarleitbild nutzt nichts, wenn es im luftleeren Raum steht. Daher muß die Erarbeitung neuer Gesetze wie des Bundesnaturschutz- und des Bundesbodenschutzgesetzes, übrigens auch des Tierschutzgesetzes, ein solches Leitbild widerspiegeln. Daraus folgt zwangsläufig, daß die Landwirtschaftsklausel, die lediglich besagt, daß die sogenannte ordnungsgemäße Landwirtschaft den Zielen des Naturschutzes dient, keinen Bestand haben kann. Auch eine Entschädigungspflicht - das sage ich sehr deutlich, meine Damen und Herren - kann nicht per se im Gesetz verankert werden. Natürlich begrüße ich als Agrarpolitiker Zahlungen an die Landwirtschaft, wenn sie auf Grund ökologischer und sozialer Anforderungen gerechtfertigt sind. Es ist aber eine unredliche Politik des Bundes, wenn von seiner Seite immer Gesetze beschlossen werden, nach denen die Länder auf den vorgesehenen Entschädigungszahlungen sitzenbleiben. Dieses Vorgehen müssen wir zurückweisen. ({5}) Ich halte es ebenfalls für unredlich und falsch, wenn wir sagen: Die Mittel für die Landwirtschaft gehen zu Lasten des Umweltschutzes. Wir sollten uns doch zusammensetzen und überlegen, wo im Agrarbereich Möglichkeiten bestehen, die Landwirte zu entschädigen. Das halten wir für den richtigen Weg. ({6}) Hinsichtlich der Streichung der Landwirtschaftsklausel haben wir Zweifel, ob sie allein uns dem Ziel einer flächendeckend umweltverträglichen Landbewirtschaftung näher bringt. Ich glaube auch nicht, daß es nur die überfällige Definition der „guten fachlichen Praxis" sein wird, die die Landwirte umweltverträglich wirtschaften läßt. Schließlich ist Pflanzenanbau kein jedes Jahr gleicher, statischer Prozeß. Er ist von zu vielen Faktoren abhängig, als daß man daran absolute Vorgaben messen könnte. Für die Durchführung einer flächendeckend ökologisch sinnvollen Landbewirtschaftung ist nicht allein die Abschaffung der Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz entscheidend - die übrigens später ohnehin wieder in verklausulierter Form im Gesetz auftaucht -, sondern eine abgestimmtere Naturschutz- und Agrarpolitik. Diese beiden Politikbereiche müssen, wie ich meine, den notwendigen Spagat wagen: ({7}) Da ist zum einen der Grundsatz, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen. Der andere Grundsatz ist: Landwirtschaftliche Nutzung darf nicht weiter gegen den Arten- und Biotopschutz ausgespielt werden. ({8}) Wir sind uns sicher: Ganz werden wir den Konflikt niemals ausräumen, wenn Naturschutz sozusagen nur nach der reinen Lehre vertreten wird. Denn umweltfreundliche Erzeugung von gesunden Lebensmitteln ist mit einer Politik des isolierten Arten- und Biotopschutzes nicht vereinbar. Umweltverbände und Landwirte sowie Fischer, Förster und andere müssen für das gemeinsame Ziel „Bewahrung der Schöpfung" eintreten. ({9}) Viele der Bäuerinnen und Bauern haben das längst verstanden. Sie sind da übrigens viel kooperativer, als ihre Standesvertretung annimmt, die doch immer wieder so manches Rückzugsgefecht führt. Die Landwirte haben oft längst in Eigeninitiative den Weg nach vorne angetreten und suchen den Kontakt mit allen gesellschaftlichen Gruppen, um ihre schwierige Lage zwischen Schutz und Pflege der Natur sowie dem Zwang zur Erwirtschaftung eines angemessenen Einkommens und dem harten Kampf des Wettbewerbs bei sehr ungleichen Bedingungen darzustellen. ({10}) Die Landwirte wissen, daß sie auch durch die zweifelhafte Mithilfe einer jahrzehntelang falschen Politik auf der Basis einer puren Wachstums- und Produktivitätsideologie in einer Isolation gelandet sind, die für sie fatale Folgen haben kann. Eine solche fatale Folge wäre der Entzug der Akzeptanz der Bevölkerung für die Gewährung der öffentlichen Mittel, die der Landwirtschaft zufließen und die die Landwirtschaft auch benötigt. ({11}) Nicht allein die Landwirte und ihre Interessenvertreter können die Landwirtschaft sichern oder retten. Vielmehr gilt: Ohne breite Gesellschaftsschichten in Form von Naturschutzverbänden, Tierschutzvereinen, Verbraucherorganisationen, Kommunalpolitikern, die mit einer ökologischen Erzeugung von Lebensmitteln und der Pflege der gewachsenen Landschaft einverstanden und deswegen bereit sind, dafür zu zahlen, können wir keine verantwortliche Agrarpolitik betreiben. ({12}) Der entscheidende Erkenntnisfortschritt muß in der Einsicht liegen, daß ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungen nicht voneinander abgespalten und gegeneinander ausgespielt werden dürfen. ({13}) Wir meinen, diesem Ziel entspricht der Regierungsentwurf nicht. Unser Gesetzentwurf dagegen dient diesem Ansinnen. Deswegen lehnen wir den Regierungsentwurf ab. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, unserem Kollegen Norbert Gansel angesichts seinesAusscheidens aus dem Deutschen Bundestag ein ganz herzliches Wort der Anerkennung zu sagen. ({0}) Dies ist seine letzte Sitzungswoche. Ich weiß, daß er - so sehr er sich bewußt für das entschieden hat, was er jetzt tun wird, nämlich Oberbürgermeister in seiner Geburts- und Heimatstadt Kiel zu sein - diesen Bundestag nicht ohne Traurigkeit verläßt, dem er fast sieben Wahlperioden angehört hat, als überzeugter und überzeugender Parlamentarier. Manche seiner Reden werden uns in Erinnerung bleiben. Für mich sage ich: Ganz unvergeßlich sind mir Ihre wiederholten Ausführungen zu Bosnien-Herzegowina in der schwierigsten Phase des Krieges und des Terrors im früheren Jugoslawien. Ich möchte Ihnen in unser aller Namen für Ihren kollegialen Umgang und Ihr Wirken im Deutschen Bundestag danken. ({1}) Viel Erfolg im neuen Amt! Jetzt gebe ich das Wort unserem Kollegen Dr. Jürgen Rochlitz.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben wahrlich einen schwarzen Tag für die Umwelt, wenn man an die heute stattfindende weitgehende Aushebelung des Naturschutzes denkt. Ausgerechnet am Tag der Umwelt, an dem eigentlich umweltpolitische Fortschritte gefeiert werden müßten, muß ein weiteres für die Regierung besonders blamables Kapitel europäischer Umweltpolitik behandelt werden. Ausgerechnet die Umweltministerin, die sich in wenigen Wochen auf der New Yorker UNCED-Konferenz wieder als europäische Vorreiterin im Umweltschutz ({0}) präsentieren will, hat die Verantwortung für die mangelhafte Umsetzung der europäischen Richtlinie über den freien Zugang zu Umweltinformationen und damit für ein Verfahren des Europäischen Gerichtshofs gegen die Bundesrepublik. Wegen der unvollständigen Umsetzung dieser Richtlinie gibt es bis heute horrende Gebühren und bürokratische Hemmnisse, die verhindern, daß Bürger den ihnen durch EU- Recht garantierten Zugang zu Umweltinformationen wahrnehmen können. Für Anwohner von chemischen und anderen Anlagen sind wichtige Informationen über mögliche Störfälle, über mögliche Emissionen, über gesundheitsgefährdende Eigenschaften von Einsatzstoffen usw. nicht vollständig einsehbar. Für die spärlichen Auskünfte deutscher Umweltbehörden sind Gebühren bis zu mehreren tausend D- Mark nicht unüblich. Die gütlichen Vorschläge der Europäischen Kommission wurden von der Bundesregierung abgelehnt. Diese harte Linie, Frau Merkel, hätten wir uns so manches Mal gewünscht, als es darum ging, fortDr. Jürgen Rochlitz schrittliche nationale Umweltschutzbestimmungen gegen die Verwässerungen aus Brüssel zu verteidigen. Warum wollen Sie eigentlich Umweltinformationen denjenigen verweigern, die von Umweltrisiken betroffen oder bedroht sind? Fürchten Sie deren Pochen auf ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit? Sie wissen doch, Frau Merkel, daß dies nicht der erste Fall deutscher Umweltschlamperei ist, über den die europäischen Behörden und der Europäische Gerichtshof zu befinden haben. So hat die Europäische Kommission erst Anfang dieses Jahres zum ersten Mal beim Gerichtshof Zwangsgelder gegen die Bundesrepublik beantragt, weil sie bis dahin die Grundwasser- und Oberflächengewässerrichtlinien aus den Jahren 1977 und 1979 nicht umgesetzt hatte. ({1}) Immerhin sind für diese Verstöße Strafen in Höhe von 800 000 DM pro Tag beantragt. Sparsamkeit durch umweltpolitische Konsequenz wäre da leicht zu erzielen. Hat die Umweltministerin eigentlich den Bundeskanzler einmal gefragt, ob er ökologischer Musterschüler in der EU oder deren größter Bußgeldzahler werden will? Die Bundesregierung ist der Meinung, der Grund für die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinien liege in der langjährigen Abstimmung mit Ländern und Bundesrat. Der wahre Grund ist jedoch der, daß die Umweltpolitik in Konfrontation nicht nur zur Opposition, sondern auch zu den Ländern formuliert wird. Eine Abstimmung auf der Basis Brüsseler Vorgaben bei der Umsetzung von Richtlinien wird erst gar nicht gesucht. Ob Öko-Audit, Beschleunigungsgesetze oder Wasserhaushaltsgesetz, immer häufiger landen Sie mit Ihrem Konfrontationskurs im Vermittlungsausschuß. Heute, am Tag der Umwelt, sollten wir auch des stillen und leisen Untergangs weiterer ökologischer Vorhaben der Bundesregierung gedenken. Hierzu zählt zum Beispiel die europäische Ozonrichtlinie, die mit einem Schwellenwert von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter und einer völlig falschen Meßmethode unvollständig umgesetzt worden ist. Wir können nur bedauern, daß die mangelhafte Umsetzung dieser europäischen Vorgaben bisher noch nicht zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geführt hat. Der immer als großer Europäer apostrophierte Helmut Kohl entpuppt sich so, im Detail betrachtet, als Hinterbänkler der europäischen Umweltpolitik. ({2}) In einer beispiellosen Mischung aus Perfektion im Unwichtigen und Schlamperei im Wichtigen hat seine Ministerialbürokratie mittlerweile in ganz Europa negative Umweltschlagzeilen gemacht. Sollte Deutschland einmal eine Vorreiterrolle besessen haben, sie ist längst eingebüßt. Die Spatzen pfeifen es schon von den europäischen Dächern. Es gilt, dies endlich zu ändern, zum Beispiel durch unsere heute zur Beratung anstehende Novelle zum Umweltinformationsgesetz. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Gerhard Friedrich auf.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Mehl, ich bin immer erstaunt darüber, daß eine so liebenswürdige Kollegin so schreckliche Reden halten kann. ({0}) Jedes Gesetz, das wir hier verabschieden, führt nach Ihrer Auffassung in die Katastrophe. Alle Gutachten, auch internationale der OECD, sagen uns aber: Die Umweltsituation in Deutschland wird immer besser. ({1}) Sie verschließen die Augen und nehmen solche Dinge nicht zur Kenntnis. ({2}) Frau Kollegin Mehl, Sie haben gesagt, Sie legten in jeder Legislaturperiode ein neues Naturschutzgesetz vor, während wir - das stimmt - jahrelang Probleme gehabt hätten, hier zu einem Gesetzesbeschluß zu kommen. ({3}) Sie legen solche Gesetzentwürfe aber nur vor, weil Sie wissen, daß Sie hier keine Mehrheit haben. ({4}) Hätten Sie eine Mehrheit, dürften Sie so etwas nie beschließen; denn dann würden Ihre Landwirtschaftspolitiker und Ihre Wirtschaftspolitiker ein Veto einlegen. ({5}) Frau Kollegin Mehl, wir können jetzt nicht die einzelnen Punkte Ihres Gesetzentwurfs abhandeln. Aber es gibt darin sechs oder sieben Vorschriften, die ich in keinem Landesnaturschutzgesetz dort, wo die SPD regiert, finde. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, beschließen Sie das, was Sie hier beantragen, nicht. ({6}) - Ich nenne Ihnen nur ein kleines Beispiel. Schreiben Sie doch in Ihre Landesnaturschutzgesetze: 10 Prozent der Fläche wird für Naturschutz reserviert. ({7}) Wir vollziehen das doch gar nicht auf Bundesebene. Sie könnten sehr viel Fläche in Ihren Ländern ohne gesetzliche Regelungen unter Naturschutz stellen. ({8}) Sie machen es aber nicht. Ich habe manchmal den Eindruck, wir sollen benutzt werden, um SPD-Länderregierungen zu dem zu zwingen, was sie gar nicht wollen. ({9}) - Ja, es ist so. Frau Kollegin Mehl, ich habe jetzt nicht alle Belege dabei. Aber manchmal lese ich in den hektischen Tagen doch noch Zeitung. ({10}) Am letzten Montag habe ich in der „Süddeutschen Zeitung" einen interessanten Artikel über ein Umweltforum dieser Zeitung gefunden. Darin klingt es ganz anders. Auf dem Forum hat für Sie Wolfgang Clement gesprochen, der Wirtschaftsminister und angeblich künftige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich lese Ihnen nur einmal zwei Sätze vor: Die konventionelle Umweltpolitik habe zwar große Erfolge erzielt, ... - das haben Sie noch gar nicht bemerkt, aber Herr Clement ({11}) man könne aber keinesfalls so weitermachen wie bisher. ({12}) Wenn beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ein Projekt aus Umweltschutzgründen abgelehnt werde, freuten sich einige Kilometer weiter die Niederlande; sie verwirklichten das Projekt dann gerne. Daran habe man kein Interesse. Ich finde es wirklich toll: Die Umweltpolitiker der SPD reden, um den Beifall der Naturschutzverbände zu bekommen, und der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister macht einen vorgezogenen Wahlkampf mit dem Argument: Wir wollen weniger Umweltschutz und mehr Arbeitsplätze. Das geht wirklich nicht. ({13}) Ich sage Ihnen noch einmal: Die Gesetzentwürfe, die Sie hier vorlegen, werden Sie deutlich verändern, wenn Sie irgendwann einmal im Bundestag wirklich die Möglichkeit haben, sie auch zu beschließen. ({14}) - Ja, das dauert noch, freilich. Darum haben Sie Probleme, das zu erkennen; das ist doch klar. Wer so lange Naturschutz pur und Umweltschutz pur fordert, der verliert den Bezug zur Realität; das ist natürlich völlig richtig. Meine Damen und Herren, wir haben uns wochenlang bemüht, dem Bundesrat bei den Formulierungen des Naturschutzgesetzes entgegenzukommen. ({15}) - Ja, sicher. - Wir haben einiges aufgegriffen. Es war bloß sehr schwer; der Bundesrat hat sich nur auf ein pauschales Nein verständigen können und leider nicht auf einen Forderungskatalog, aus dem hervorgeht, was wir im Detail ändern können und sollen; darüber sind sich die Länder nämlich selber nicht einig. ({16}) Deshalb haben wir viele Einzelgespräche, auch mit dem bayerischen und dem sächsischen Umweltminister, geführt, denen ich für Ihre Mitwirkung herzlich danken möchte. Wir haben nicht alles übernommen, was sie uns vorgeschlagen haben, aber - das will ich Ihnen hier signalisieren - wir sind den Ländern ein Stück entgegengekommen. Jetzt kann ich aus Zeitgründen nur noch zu zwei Dingen kurz etwas sagen. Erstens. Der Komplex Naturschutz und Landwirtschaft beschäftigt uns seit vielen Jahren. Die Vorsitzende des Naturschutzbundes in Erlangen hat mir neulich bei einer Radtour gesagt, seit sie aufgehört habe, die Bauern über die Zeitung zu beschimpfen, könne man mit denen über Naturschutz ganz vernünftig reden. Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht. ({17}) - Sie schreiben in Ihren Presseerklärungen - zum Beispiel die Kollegin Mehl -, das neue Entschädigungsrecht bedeute eine neue Subvention für die Landwirte. ({18}) Ich bin absolut sicher, daß Sie diesen Satz verschweigen, wenn Sie ein Grußwort auf einem Bauerntag sprechen. ({19}) Sie sprechen hier mit zweierlei Zungen. Ich möchte mich beim Kollegen Susset ausdrücklich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei den vorbereitenden Gesprächen bedanken. ({20}) Wir haben uns schnell geeinigt, schwierige Probleme zu lösen. Ich erwähne nur zwei, drei Dinge. Wenn man mit einem Bauern verhandelt und ein Ergebnis mit Handschlag besiegelt, dann ist das so, wie er es will. ({21}) Dann ist er auch für Naturschutz zu haben. Wenn man ihn aber als Beamter über die Presse beschimpft, daß er alles falsch macht, und ihm einen Bescheid ins Haus schickt - manchmal ohne mit ihm zu reden -, dann ist er stinksauer. Deshalb bleiben wir beim Vorrang des Vertragsnaturschutzes. ({22}) Die Länder, die das nicht möchten, praktizieren doch den Vertragsnaturschutz. ({23}) Ich verstehe die Diskussion gar nicht. Die haben uns gesagt: Je größer der Widerstand der Bauern ist, desto mehr gehen wir über vom hoheitlichen Handeln zum Verhandeln. Je mehr Widerstand - den Eindruck habe ich manchmal -, desto mehr Geld gibt ist, was auch bedenklich ist. Was die kritisieren, machen sie längst, und wir schreiben es halt ins Gesetz. ({24}) Zweitens. Das, was Sie, Frau Kollegin Mehl, als eine Subvention bezeichnen, ist eine vernünftige Sache. ({25}) Das neue Entschädigungsrecht trägt der Tatsache Rechnung, daß kein Landwirt mehr die Rechtsprechung zum Enteignungsbegriff versteht. ({26}) - Frau Kollegin Fuchs, das ist ganz einfach: Da entscheiden wir nicht politisch, sondern wir schauen ins Grundgesetz. Im Grundgesetz steht: Für den Vollzug des Naturschutzrechts sind die Länder zuständig. ({27}) Sie wissen doch - ich glaube, Sie waren sogar mit mir in der Verfassungskommission -, daß der, der ein Gesetz vollzieht, auch die Kosten tragen muß. ({28}) Es ist schon wirklich eine tolle Sache, daß uns der Bundesrat in seinen Stellungnahmen im Grunde genommen zwei Kernsätze herübergeschickt hat: Erstens. Wir wollen mehr Naturschutz. Zweitens. Wir Länder sind nicht bereit, einen Pfennig mehr für Naturschutz zu bezahlen. ({29}) Besonders übel nehme ich es den Umweltministern der SPD, daß sie hier mit den Argumenten der Finanzminister kämpfen. Statt sich um mehr Geld für den Naturschutz vor Ort zu bemühen und mit ihren Finanzministern zu reden, daß mehr Mittel bereitgestellt werden, arbeiten sie plötzlich mit den Argumenten der Finanzminister gegen unser Gesetz. ({30}) Das ist eine ganz tolle Sache. An dem neuen Entschädigungsrecht halten wir also fest. Abschließend noch eine ganz kurze Anmerkung, ebenfalls zum Komplex Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft. Der Streit über die sogenannte Landwirtschaftsklausel ist ja ganz interessant, aber weitgehend nur von theoretischer Bedeutung; denn das, was ein Landwirt normalerweise macht, nämlich sein Land bewirtschaften, ist nach der Eingriffsregelung -§ 17 Abs. 2- von vornherein kein Eingriff, so daß nur ganz wenige Maßnahmen möglicherweise ein Eingriff sind. Dann überhaupt kommt es auf eine Landwirtschaftsklausel an. Noch eine Anmerkung; dann mache ich wirklich Schluß. Die SPD will die Landwirtschaftsklausel total streichen und den Landwirten vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Die Vorschrift lautet: Daher sind die Regeln umweltschonender Land- und Forstwirtschaft in den Bereichen Düngung, Pflanzenschutz, Bodenbearbeitung und Bodenpflege, Anbausysteme ... anzuwenden. Wenn ich das meinen Bauern zeige und sage: Das habt ihr jetzt zu beachten, dann halten die mich wirklich für verrückt. Deshalb: Beschließen Sie so etwas nicht! ({31})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort erhält jetzt der Kollege Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß vier Vorbemerkungen machen. Die erste Vorbemerkung richtet sich an den Kollegen Friedrich. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der vorliegende Entwurf nicht der Entwurf der Umweltpolitiker ist, sondern der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion unter Einschluß der Wirtschaftspolitiker, der Finanzpolitiker etc. Betreiben Sie bitte nicht solche Spaltungen. Das sind Kinkerlitzchen. ({0}) Zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang. Sie werden sich wundern: Wir werden einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat einbringen, und zwar mit Zustimmung der SPD-Länder. Dann werden wir weitersehen. Sie werden sich täuschen. So einfach kommen Sie nicht aus Ihrer Position heraus. Die SPD wird in diesem Punkt geschlossen bleiben. ({1}) Michael Müller ({2}) Dritte Bemerkung an Sie, Herr Friedrich. Sie täuschen sich: Wir beschimpfen nicht die Bauern. Im Gegenteil, wir wissen, daß wir bei einer solch wichtigen Frage möglichst viel im Konsens machen müssen. Das ist uns völlig klar. Denn es geht hier nicht um eine technische Änderung, sondern um eine tiefgreifende Veränderung in unserem Verständnis von der Natur. Aber wir beschimpfen Sie. Das ist richtig, und das dürfen wir. ({3}) Meine vierte Vorbemerkung. Herr Kollege Rieder, ich muß, weil Sie mich angesprochen haben, auch auf Sie eingehen. Leider muß ich jetzt meine Rolle ein bißchen wechseln. Jetzt spreche ich auch als Vorsitzender eines Verbandes und als Präsidiumsmitglied des DNR, also des Deutschen Naturschutzrings. ({4}) - Er hat mich darauf angesprochen. Dann darf ich darauf auch bitte reagieren. ({5}) - Natürlich spreche ich auch als Abgeordneter. Wir haben in diesem Präsidium Ihren Entwurf übereinstimmend abgelehnt. Sie wissen, dort sind nicht nur reine Naturschutzverbände, sondern beispielsweise auch die Gebirgs- und Wandervereine, die Reiterliche Vereinigung und viele andere vertreten. Wir machen diese Form der Spaltung, die Sie damit sozusagen in die Naturschutzverbände hineintragen wollen, nicht mit. Da bleiben wir geschlossen. Wir lehnen diesen Entwurf geschlossen ab. Das müssen Sie wissen. So lassen wir mit uns nicht spielen. ({6}) Ich mache nicht mit, daß man eine sozusagen dogmatische Spaltung zwischen Naturnutzern und Naturschützern herbeiführt. Das halte ich für falsch. Aus meiner Sicht ist jeder Naturschützer in gewisser Weise auch ein Naturnutzer; das ist völlig klar. Aber nicht jeder Naturnutzer ist auch ein Naturschützer. Hier fängt der Streit an. ({7}) Insofern: Wenn ein Verband nicht überwiegend Naturschutzfragen verpflichtet ist, darf er auch keine entsprechende Anerkennung finden. In diesem Punkt sind wir hart, und das wird auch so bleiben. Es ist gut, daß es dazu bei uns Übereinstimmung gibt. ({8}) Meine Damen und Herren, 1992 hat das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung die Analyse vorgelegt, daß im Jahre 1990 die Kosten für volkswirtschaftliche Schäden an Umwelt und Gesundheit durch unsere Art des Produzierens allein in den alten Bundesländern bei etwa 610 Milliarden DM gelegen haben. Ich wiederhole: 610 Milliarden DM. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rieder?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Prof. Dr. Norbert Rieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Müller, bedeuten Ihre Einlassungen, daß Sie voll hinter der Passage im SPD-Entwurf über die Zulassung von Verbänden stehen, die im Klartext bedeutet, daß die Deutschen Gebirgs- und Wandervereine, zu denen ja die Touristenfreunde ebenfalls gehören, nicht mehr anerkannt werden sollten? Soll das auch bedeuten, daß die Arbeitsgemeinschaft der Naturfreunde in Baden-Württemberg e.V., die dort ein anerkannter Naturschutzverband ist und bekanntlich aus dem württembergischen und dem badischen Landesverband besteht, daß der Landesverband Bayern e.V. der Deutschen Gebirgs- und Wandervereine, daß in Brandenburg der „Touristenverein Die Naturfreunde", daß in Hessen der Deutsche Gebirgs- und Wanderverein, daß in RheinlandPfalz die „Naturfreunde, Verband für Umweltschutz, Touristik und Kultur" , Hohenzollernstraße - dies sind nur einige Beispiele - entsprechend Ihrer Aussage ihre Anerkennung nach dem bisherigen § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes dann verlieren? Oder würden Sie mir zustimmen, daß dies äußerst bedauerlich wäre, weil das genau zu dem führen würde, was Sie gerade gegeißelt haben, nämlich zu einer Spaltung bei denjenigen, die sich aktiv für den Naturschutz auf den verschiedenen Ebenen einsetzen? ({0})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Rieder, Sie sind wirklich schlecht informiert; denn wir sind nur in einigen Bundesländern anerkannt, und zwar dort - ich lege Wert darauf, daß das auch in Zukunft so bleibt -, wo die jeweilige Landesorganisation weit überwiegend im Naturschutz arbeitet. Wenn das nicht der Fall ist, hat sie auch keine Anerkennung verdient. ({0}) Das gilt auch für meinen eigenen Verband. In dieser Frage wird sich an meiner Position nichts ändern. Die Arbeit muß zum überwiegenden Teil im Natur- und Umweltschutz erfolgen; sonst darf es aus meiner Sicht keine Anerkennung geben. ({1}) Das ist sehr unterschiedlich. In manchen Ländern haben wir deshalb keine Anerkennung gefunden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hellwig?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Aber ich denke, wir sollten auch noch mal zum Thema kommen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Sie kennen ja die Frage noch nicht.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine sehr einfache Frage an Sie, Herr Müller, nämlich die: Halten Sie es eigentlich mit Ihrem Mandat als Abgeordneter für vereinbar, daß Sie an dieses Rednerpult gehen und sagen: „Ich spreche jetzt als Verbandsvorsitzender"? Haben Sie sich einmal überlegt, was es bedeuten würde, wenn jeder hier an das Rednerpult ginge und so etwas sagte? ({0}) Wir bekämen ein reines Standesparlament. Das wäre kein echtes Parlament mehr, wenn hier jeder als Vorsitzender eines Verbandes spräche. ({1})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens handelt es sich um eine ehrenamtliche Funktion. Zweitens. Im Unterschied zu vielen anderen Lobbyisten sage ich, woher ich komme. Das ist schon viel wert. ({0}) Drittens muß ich Ihnen sagen: Ich hätte das gar nicht erwähnt, wenn ich nicht darauf angesprochen worden wäre. Man kann mich nicht ansprechen und erwarten, daß ich darauf nicht reagiere. Liebe Frau Kollegin, ich glaube, Sie verwechseln jetzt ein wenig die Gepflogenheiten des Parlaments mit der Notwendigkeit zur Aufklärung. Diese habe ich hier zu leisten versucht. ({1}) Ich habe darauf hingewiesen, daß wir in unserer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um etwa 610 Milliarden DM ärmer wären, wenn wir die volkswirtschaftlichen Schäden durch Umwelt- und Gesundheitszerstörung einbeziehen würden. ({2}) - Das kann man tun. Ich kann Ihnen die Studie der Fraunhofer-Gesellschaft auch zuschicken. Sie sind ja sehr wissenschaftsgläubig; vielleicht hilft das. Wenn in unserem Jahrhundert der Ökonomie die ökonomischen Gründe dafür, daß wir mehr Rücksicht auf die Natur nehmen müssen, schon nicht zählen, so will ich doch versuchen, hier eine Argumentation aufzuzeigen, die vielleicht sogar etwas schwieriger ist, die zu begreifen ich aber für wichtig halte. Aus meiner Sicht ist die Debatte über das Naturschutzgesetz im wesentlichen eine Debatte über unser Verständnis von Natur. Hier zeigt sich ein Bruch mit einem Fortschrittsverständnis, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat, der nach den Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen am Ende dieses Jahrhunderts notwendig ist. Dies ist eine ungeheuer wichtige Frage. Ich will das an einigen wenigen Punkten deutlich machen. Wenn wir beispielsweise in diesem Parlament kritisch über manche Technikfragen diskutieren, so hat das auch etwas damit zu tun, daß wir bei unserem Fortschrittsverständnis wissen, daß die traditionelle Reduktion auf den Dualismus: Mensch und Wirtschaft auf der einen Seite und Natur und Umwelt auf der anderen Seite nicht durchzuhalten ist. Dieser Dualismus, der auf dem Weltbild von Descartes entstanden ist, sozusagen mit der Idee, daß der Mensch Herr und Nutzer der Natur ist, hat unser Denken und Handeln zutiefst geprägt. Aber das ist nicht durchhaltbar, wenn wir die Zukunft bewahren wollen. ({3}) Das ist der eigentliche Konflikt, der beispielsweise in der Bewertung von Technik, von Natur, von Umwelt usw. von zentraler Bedeutung ist. Es war René Descartes, in der Folge dann aber auch Galilei, Kepler, Newton und andere, die immer davon geredet haben, der Mensch könne sich der Natur bedienen, daß es sozusagen hier die Sphäre des Menschen und dort die sich selbst regulierende Natur gibt. Spätestens seit der Quantenphysik aus den 20er Jahren wissen wir, daß dieses Weltbild falsch ist. Wir haben im Naturprozeß selbst Unsicherheiten, und zwar nicht nur wegen fehlender wissenschaftlicher Kenntnisse. Dies wissen wir spätestens seit der Theorie der offenen Systeme aus den 60er Jahren. Deshalb ist die Auseinandersetzung, die wir hier über die Frage des Naturverständnisses führen, eine fundamentale Auseinandersetzung auch mit dem Verständnis von Fortschritt und von Zukunft. ({4}) Bewahren ist eine zentrale Zukunftsfrage. Es gibt in der Natur drei Elemente, die mit unserem traditionellen Fortschrittsverständnis nicht übereinstimmen: erstens die Endlichkeit der Natur, zweitens die Störanfälligkeit der Natur und drittens die Tatsache, daß die Zeitrhythmen der Natur völlig anders sind als die Beschleunigungsrhythmen der industriellen Gesellschaft. Wir müssen wissen: Wenn wir diese Grundfragen der Moderne nicht neu beantworten, werden wir auch nicht in der Lage sein, die Zukunftsprobleme zu lösen. Insofern ist die Auseinandersetzung, die wir hier über das Naturschutzgesetz führen, keine AusMichael Müller ({5}) einandersetzung nur über ein Gesetz. Es ist eine Auseinandersetzung um die Philosophie der Moderne, um die Philosophie, wie wir wirklich noch Zukunftsprobleme in einer zerbrechlichen Welt lösen können. ({6}) Hier wird sich entscheiden, ob wir zur Einsicht fähig sind. Ich bekomme es mit, wie einige, wenn wir beispielsweise in den Fraktionen, in Ausschußgremien usw. über einzelne Pflanzen- oder Tierarten reden, anfangen zu lachen. Ich kann das nachvollziehen. Ich sage nur: Dieses Lachen ist auch ein Zeichen dafür, daß wir diese Fragen zu wenig durchdacht haben. Wir kommen nicht daran vorbei, die Natur um ihrer selbst willen anzuerkennen. Die Zukunft wird heißen: Bewahren im Interesse des Mitmenschen und der Mitwelt. Übrigens gilt dieses Fortschrittsverständnis, das früher vielleicht konservativ war, nicht nur für die Ökologie. Es gilt genauso für den sozialen Bereich. Wenn wir nicht beispielsweise bestimmte soziale Errungenschaften bewahren, sind wir nicht modern, sind wir nicht fortschrittsorientiert, erkennen wir nicht, daß in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft gerade das Bewahren von modernen Errungenschaften ein wesentliches Element ist, um überhaupt Zukunft gestalten zu können. ({7}) Wir lehnen diesen Gesetzentwurf aus verschiedenen Gründen ab. Meine Vorredner von der SPD und auch von der übrigen Opposition haben dies zu Recht begründet. Ich will aber sehr wohl sagen: Uns ist klar, daß dies eine Debatte ist, die über die einzelnen technischen Elemente hinausgeht. Es ist eine Debatte, die überall in der Gesellschaft geführt werden muß. Wenn dieses neue Naturverständnis nicht in die Wissenschaft, in die Wirtschaft und in die Verbände des öffentlichen Lebens eindringt, werden wir diesen Wechsel, den wir brauchen, nicht erreichen. Deshalb, Frau Ministerin, appelliere ich sehr an Sie, daß dieses große Thema Nachhaltigkeit, das aus meiner Sicht auch ein anderes Naturverständnis beinhaltet und das Sie jetzt wieder in New York behandeln, von Ihnen als Chance genutzt wird, Einsichten und neue Lernprozesse auszulösen. Wenn wir das Prinzip der Nachhaltigkeit ernst nehmen, bedeutet das ein anderes Verständnis der Natur. Dies wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung aus unserer Sicht völlig unzureichend gesehen. Wir halten dieses Gesetz in manchen Punkten sogar für einen Rückschritt. Bitte nutzen Sie diese Debatte um Nachhaltigkeit, weil Sie vielleicht nicht in der Lage waren, heute weitergehende Gedanken durchzusetzen, um noch einmal einen neuen Anschub zu bekommen. Wir brauchen ein anderes Verständnis von der Natur, weil dies die zentrale Frage für die Bewältigung der Zukunftsprobleme wird. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Heiner Geißler.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Müller, ich möchte etwas zu dem sagen, was Sie gerade ausgeführt haben. Ich kann diesem philosophischen Ansatz voll zustimmen. Es ist auch richtig, daß die Nutzung der Natur in den vergangenen Jahrzehnten überdimensional zugenommen hat. Dies gilt für den wirtschaftlichen und den technischen Bereich ebenso wie für den Bereich der Erholung. Bei letzterem ist dies insbesondere durch die Verbesserung der Kleidung und die Saisonunabhängigkeit vieler Tätigkeiten erreicht worden. Man kann heute im Winter in der Natur Sport treiben. Das hat man früher gar nicht so gekonnt, wenn man nicht gerade Ski gefahren ist. Ich stimme Ihnen auch zu, daß wir eine Verantwortung für die kommenden Generationen haben. Wir sind im Grunde genommen wie Parasiten. Wir können die gesamte Biosphäre vernichten, aber wir können im Gegensatz zu anderen Parasiten unsere Kinder nicht auf einen anderen Wirt schicken, wenn der jetzige stirbt. Ich stimme Ihnen völlig zu. Ich wende mich Ihnen zu, weil - wie Frau Mehl es auch gesagt hat - in § 55 des Bundesnaturschutzgesetzes Verbände anerkannt und einbezogen werden sollen, die eine entsprechende Nutzung von Natur und Landschaft, insbesondere für Zwecke landschafts- und naturverträglicher Erholung, fördern. Ich bin ja selber in ein etwas merkwürdiges Licht geraten, weil ich sehr dafür plädiert habe, daß diese Bestimmung mit hineinkommt. Mir wurde nachher vorgehalten, ich würde hier etwas gegen den Naturschutz unternehmen. Ich bin zu dieser Überlegung einfach aus der praktischen Erfahrung heraus gekommen. Wenn man dieses neue Verständnis von Natur durchsetzen will, kann man das nicht in einer alternativ-radikalen Gegnerschaft machen. Vielmehr muß man diejenigen, die an der Nutzung beteiligt sind, soweit es möglich ist, in diese Aufgabe mit einbeziehen. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Es macht überhaupt keinen Sinn, Kletterer, Wanderer, Gleitschirmflieger oder Radfahrer nicht anzuhören, wenn es zum Beispiel darum geht, Landschaftsteile unter Biotopschutz zu stellen. Sie sollen nach dem Gesetzentwurf nicht mitentscheiden; aber es ist doch vernünftig, wenn ich diesen Personen die rechtliche Möglichkeit gebe, angehört zu werden. Ich will ein ganz praktisches Beispiel nennen. Die Frage, ob man an bestimmten Felsen klettern kann, hängt zum Beispiel davon ab, ob dort Wanderfalken brüten. Nun gibt es in einigen Ländern Bestimmungen, die eine ganzjährige Sperrung dieser FelsformaDr. Heiner Geißler tionen vorschreiben; dort gibt es also Totalverbote. Das kapiert derjenige, der klettern will, nicht; denn Wanderfalken brüten ungefähr von März bis August, und in der übrigen Zeit ist ein Artenschutz für Wanderfalken durch eine Totalsperrung sinnlos. Wir praktizieren es im Pfälzer Wald so - wir brauchen gar keine untere Naturschutzbehörde -, daß sich die Vogelschützer, die Felskletterer und der Alpenverein an Weihnachten zusammensetzen und miteinander überlegen, welche Felsen ab welchem Termin abgesperrt werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Geißler, kommen Sie zum Schluß.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. Dann setzen sich die Klettererverbände mit den Vogelschützern dafür ein, daß die Regeln eingehalten werden. Ich plädiere dafür, daß wir die Kanufahrer, die Kletterer, die Wanderer und alle, die sich in der Natur erholen wollen, in die Aufgabe des Naturschutzes mit einbeziehen und sie von dieser Aufgabe nicht aussperren. Das ist der Sinn dieser Bestimmung. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Müller, möchten Sie antworten?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Herr Kollege Geißler, ich habe gesagt, daß ich diese rigide Haltung auch nicht teile. Allerdings bleibe ich bei meinem Grundsatz, daß die Anerkennung von Verbänden die überwiegende Beschäftigung mit Natur- und Umweltschutz voraussetzt. Ich finde, das ist eine Notwendigkeit angesichts der heutigen Strukturen, damit die Umwelt und die Natur überhaupt eine wirksame Stimme bekommen. Ich würde mich immer dagegen wehren, wenn Umwelt- und Naturverbände eine Art „closed shop" praktizierten. Das geht nicht. Ich bin zutiefst der Meinung, daß die Idee der Nachhaltigkeit die Chance in sich birgt, dieses Naturverständnis breit in die Gesellschaft hineinzutragen. Bei der Anerkennung von Verbänden muß es bestimmte Grundsätze geben. Der Maßstab der überwiegenden oder fast ausschließlichen Beschäftigung mit Umwelt- und Naturschutz ist für mich unverzichtbar.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer zweiten Kurzintervention wünscht Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte nur etwas klarstellen. Ich denke, die Mitwirkung und Einbindung ist wirklich etwas Positives, das wir alle unterstützen wollen. Aber die bundesrechtlich vorgesehenen Verfahren, um die es hier geht, sind keine runden Tische. Das ist der entscheidende Unterschied. Hier wird der Naturschutz eines Instruments beraubt, seine Interessenslage und die entsprechenden Verbände, die die ideellen Interessen vertreten, zur Geltung zu bringen. Die zukünftigen Nutzungsinteressen werden in den Abwägungsprozeß mit einbezogen. Das halte ich für ein außerordentlich großes Problem, weil zwei Verfahren vermischt werden, die auf dieser Ebene meines Erachtens nicht vermischt gehören. Danke. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müller, wir stimmen vollkommen überein, daß diese Debatte über das Naturschutzgesetz Gelegenheit bietet, über unser Verständnis von Natur zu sprechen und damit auch über unser Verständnis von Fortschritt, von menschlichem Arbeiten, Leben und Wirken. Diese Chance sollten wir auch nutzen. Ich muß Ihnen sagen, daß wir bei der Erstellung und Novellierung dieses Bundesnaturschutzgesetzes eigentlich eine ganze Zeit lang ein sehr gutes Gesprächsklima hatten. Ich möchte mich zu Beginn gerade für meine Fraktion bedanken für viele sehr, sehr gute Diskussionen mit den Landwirten, mit den Forstwirten, mit denen, die wir gemeinhin als Nutzer bezeichnen. Danken möchte ich ausdrücklich auch denen, die an der Verbesserung des Regierungsentwurfes in den letzten Wochen und Monaten mitgearbeitet haben. ({0}) Diese Diskussion hatte eine lange Strecke auch die Naturschutzverbände eingeschlossen. Auch da bin ich für viele Gespräche dankbar. Aber sie sind an einem bestimmten Punkt wieder in das klassische Muster des Ja oder Nein, von schwarz oder weiß und auf Formeln wie „Rückschritt" und „auseinandergeflogen" verfallen. Ich bedaure dies sehr, weil ich nach wie vor meine, daß dieser Gesetzentwurf - wenn es abgestimmte Alternativen gibt, soll es mir recht sein - eine Grundlage dafür bietet, diese Diskussion im Bundesrat fortzusetzen. Ich habe die dringende Bitte: Benutzen Sie dieses Bundesnaturschutzgesetz nicht als eine Form der gesamtpolitischen Auseinandersetzung, sondern führen Sie diese Debatte über die Frage des Fortschritts und des Verständnisses, von Natur und begrenzten Ressourcen weiter. Das wäre mein erster Wunsch. Wir haben in der Tat am Beispiel der Natur gelernt, daß unsere Ressourcen endlich sind, knapp sind und sich zum Teil in ganz anderen Zeitläuften entwickeln, als wir es von der Industriegesellschaft gewohnt sind. Genau an dieses in einer sehr stark urbanisierten Gesellschaft verlorengegangene Verständnis müssen wir anknüpfen. Das müssen wir - da sind wir im allgemeinen nicht auseinander - ganz bestimmt zusamBundesministerin Dr. Angela Merkel men mit denen tun, die die meiste Naturfläche bewirtschaften, die die Zeitläufte dort sehr gut kennen: Das sind die Land- und Forstwirte. Auch in diesem Punkt sind wir im generellen immer noch auf derselben Seite. Nun geht es aber um die Frage, welche Rolle die Natur bei der Rechtsetzung spielt. Es ist doch gar keine Frage, daß die Natur auch um ihrer selbst willen geschützt werden muß. Ein Verfassungsgrundsatz besagt, daß wir die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen, aber auch aus sich selbst heraus bewahren müssen. Sie wissen ganz genau, daß es einen Riesenunterschied zwischen einer philosophischen Aussage und einer Rechtsetzung gibt, bei der sich natürlich die Frage ergibt: Wenn die Natur um ihrer selbst willen geschützt werden soll, wer ist dann eigentlich die menschliche Instanz, die festlegt, was Naturschutz um seiner selbst willen ist und was nicht? Das ist so einfach nicht zu klären. Es geht um die Frage: Wer vertritt eigentlich die Natur vor Gericht? Was ist das Leitbild dieses Verständnisses? Um welche Art von Natur geht es denn? Natur ist immer vom Menschen beeinflußt. Was ist unser Leitbild? Das 11. Jahrhundert, das 12. Jahrhundert? Wir müssen akzeptieren, daß sich die Natur mit dem Menschen geändert hat, daß es eine Evolution gibt, daß es auch eine Regenerationsfähigkeit gibt. Mit diesen Fakten müssen wir sorgsam umgehen. Es darf nicht dazu kommen, daß es in der Gesellschaft eine Gruppe gibt, die die Natur vertreten und um ihrer selbst willen schützen darf, und alle anderen sind dann sozusagen die Bösen, die alles kaputtmachen. Diese Aufteilung klappt nicht. ({1}) Natürlich wird jede Debatte der Rechtsetzung dann ganz schwierig. Ich denke schon - ich glaube, der Kollege Heiner Geißler ist nicht mehr anwesend -, daß es Aufgaben, auch die des Schutzes der Natur, gibt, die von einigen Verbänden mehr und von anderen weniger wahrgenommen werden, und daß man deshalb nicht sagen kann, daß jeder, der schon einmal einen Schritt in die Natur gesetzt hat, nun auch das gleiche Mitspracherecht in diesem Verfahren hat. Darüber gab es bei uns sehr wohl auch kritische Auseinandersetzungen. Aber ich sage auch: Die Naturschutzverbände haben natürlich die große Angst, daß sie sich nun in einem Bereich, in dem sie lange Zeit allein sein konnten und durch den Gesetzgeber auch nicht besonders protegiert wurden, mit anderen auseinandersetzen müssen und daß ihre monopolartige Rolle ins Wanken gerät. Ein Stück weit soll ihre Rolle aufrechterhalten bleiben. Aber man darf sich dem Dialog nicht verschließen und sagen: Wir bestimmen, wer am Naturschutz beteiligt wird. Schauen Sie sich einmal die Praxis in den Ländern an. So einheitlich, wie man denkt, ist das schon lange nicht mehr. Verschiedene Verbände sind längst anerkannt - das ist hier auch diskutiert worden -, und so wird es auch weitergehen. Herr Müller und auch Frau Mehl, wir haben uns im übrigen in der Debatte, ob wir „Leistungsfähigkeit" oder, wie jetzt im Entwurf des Parlamentes, „Funktionsfähigkeit" des Naturhaushaltes schreiben, sehr wohl mit dem Eigenwert der Natur auseinandergesetzt. Ich bin sehr dankbar - darüber gab es längere Diskussionen -, daß wir jetzt „Funktionsfähigkeit" sagen, weil es eben nicht nur um die Leistung geht. Das ist etwas, was doch auch Sie begrüßen. Das sollte man, trotz all der Schwierigkeiten, die Sie mit uns noch haben, auch einmal sagen. ({2}) Es stellt sich die Frage: Was kann ein Rahmengesetz leisten? Sie sagen nun, wir sollen festlegen, 10 Prozent der Fläche müßten oder sollten unter Schutz gestellt werden. Das kann nichts weiter als eine Empfehlung sein. Es gibt Länder, wie zum Beispiel mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, die das erfüllt haben, und es gibt Länder, die das bei weitem nicht erfüllt haben. Es ist jedem unbenommen, dies umzusetzen. Mir wäre es wirklich viel lieber, alle Länder hätten das in Angriff genommen, als daß wir in einem Rahmengesetz etwas niederlegen, von dem ich fachlich überzeugt bin. Wir haben in verschiedenen Stellungnahmen gesagt, daß wir genau dies brauchen; aber wir brauchen das nicht als eine unverbindliche Festlegung in einem Rahmengesetz, die keinem etwas nutzt. Sollen das doch die Länder machen, die uns kritisieren! Nichts wie ran und fröhlich zugeschritten! ({3}) In den letzten Jahren sind - das wissen Sie wie ich - die Debatten über den Naturschutz lokal eher schwieriger als leichter geworden. Woran liegt das denn? Das kann allein an der bösen Bundesregierung wohl nicht liegen, sondern das muß doch etwas mit der Akzeptanz des Naturschutzes vor Ort und mit der Art und Weise der Umsetzung zu tun haben. ({4}) Da muß man ganz selbstkritisch sagen: Diejenigen, die sich für Naturschutz interessieren, sind an vielen Stellen an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden und damit zum Teil Fundamentalisten geworden. Deshalb müssen wir politisch versuchen, sie wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Das heißt dann aber, daß es genau das geben muß, was heute hier schon vielfach besprochen wurde: Ausgleich, Gespräch und praktikable Lösungen suchen. Sie werden mit einer Gruppe in der Gesellschaft keine praktikablen Lösungen finden, nämlich mit denen, die Landwirtschaft und Forstwirtschaft betreiben, wenn Sie sagen: Uns ist das ungeheuer wichtig; wir schreiben in ein Rahmengesetz etwas von 10 Prozent oder 15 Prozent zu schützende Fläche, aber wenn es auch nur einen Pfennig kostet, sind wir nicht bereit, denjenigen, die aus guten Gründen NutBundesministerin Dr. Angela Merkel zungsbeschränkungen auferlegt bekommen, dafür einen Ausgleich zu zahlen. Das ist doch nicht ehrlich. ({5}) - Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Manche sind für den Ausgleich, manche sind gegen den Ausgleich. Sie sagen gerade, Sie sind für einen Ausgleich, aber gleichzeitig erklären Sie, die Länder könnten nicht zahlen. Die Länder sind zwar verantwortlich und haben auch in der Verfassungskommission darum gebeten, mehr Verantwortung zu bekommen, und Sie alle sind der Meinung, daß wir unbedingt auch regional und verbrauchernah wirtschaften müssen. Aber dann sagen Sie, der Bund müsse es bezahlen; für solche Probleme gebe es den BundLänder-Finanzausgleich, in dem das geregelt sei. Dazu sage ich Ihnen nur, was Sie doch selbst wissen: Die Beträge, über die wir an dieser Stelle sprechen, sind geringer als diejenigen, die der Bund ohnehin jedes Jahr in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für Bundesnaturschutzprojekte ausgibt ({6}) und die die Länder dankend annehmen, weil sie selber oft nicht einmal die Mittel zur Verfügung haben, die wir ihnen geben. ({7}) Hier kommt dann an den Tag, ob man redlich ist oder nicht. Der Landwirtschaftsklausel, wie sie im geltenden Naturschutzgesetz steht, ging seinerzeit eine nicht immer einfache Diskussion mit den Landwirten voraus. Sie gewährleistet nicht mehr in jedem Fall, daß die ordnungsgemäße Landwirtschaft den Anliegen des Naturschutzes dient. Es war für die Landwirte ein weiter Weg, sich diesem Gedanken anzunähern. Wir haben jetzt gesagt: Die landwirtschaftliche Tätigkeit stellt in der Regel keinen Eingriff in den Naturhaushalt dar, wenn sie sich am Leitbild der guten fachlichen Praxis orientiert. Das ist nicht die Aufrechterhaltung der Landwirtschaftsklausel, sondern ein Schritt hin zur Realität. Nun können Sie aber nicht sagen, daß die Landwirte in Deutschland, die sich nach Recht und Gesetz verhalten, in einer Art und Weise in den Naturhaushalt eingreifen, die nicht akzeptabel ist. Das wäre doch wirklich widersinnig, und die Bauern wären die einzige Berufsgruppe, der man so etwas vorwirft. ({8}) Jetzt geht es um die Fragen, worin die gute fachliche Praxis besteht und wo wir diese beschreiben. Frau Mehl, auch Sie wissen, daß es schwierig ist, in einem Rahmengesetz des Bundes über Naturschutz genau aufzuschlüsseln, was an welcher Stelle gute fachliche Praxis bedeutet, die ja im übrigen noch weiterentwickelt werden soll. Deshalb bin ich dankbar, daß wir uns in der parlamentarischen Debatte darauf verständigt haben, den Begriff der guten fachlichen Praxis durch Aufzählung der Fachgesetze zu konkretisieren. Sie wissen, daß nicht nur im - noch nicht beschlossenen - Bundes-Bodenschutzgesetz Grundlagen für die gute fachliche Praxis verankert sein werden, sondern daß zum Beispiel auch in der Düngeverordnung bereits ganz klar geregelt ist, was die gute fachliche Praxis ist. In diese und andere Fachgesetze und -verordnungen gehören Festlegungen bezüglich der guten fachlichen Praxis, weil diese wichtig, ja wesentlich ist. Nun sagen Sie, es müßten allgemeine Betreiberpflichten aufgeschrieben werden. Wir glauben, daß wir dem durch die Aufzählung der Gesetze nachgekommen sind. Sie fordern, diese Pflichten explizit aufzuführen. Darüber kann man streiten, aber tun Sie doch bitte nicht so, als ob zwischen Ihrem Verständnis, was man über Landwirtschaft sagen muß, und dem unseren Welten liegen. Jetzt kommt allerdings ein wichtiger Punkt: Wenn Anforderungen an die Nutzer - aus wohlverstandenen Gründen des Naturschutzes - über das Maß der guten fachlichen Praxis hinausgehen, dann hat der Landwirt, wenn diese Anforderungen über die Sozialpflichtigkeit seines Eigentums hinausgehen, ein Recht darauf - das übrigens jeder in unserer Gesellschaft hat -, dafür einen Ausgleich zu bekommen. ({9}) Wer diesen Ausgleich nicht gewähren will, der zeigt von vornherein, daß ihm Naturschutz nicht so viel wert ist, wie er immer behauptet. ({10}) Eines wissen wir auch: Nur mit dem Herzen und der Liebe zur Natur bringen wir den Naturschutz nicht voran. Das gilt hier genauso wie in anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Hinsichtlich der vielen Unterstützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft bin ich mit Ihnen gänzlich einer Meinung: Ich würde manches Geld auch lieber bei den Bauern als bei der Verwaltung des Butterberges oder sonstwo sehen. An dieser Stelle sind wir auch mit den Landwirten völlig einig. ({11}) Wir sollten gemeinsam zu Herrn Fischler gehen und schauen, was wir EU-rechtlich bewerkstelligen können. Darüber können wir hier in diesem Parlament leider nicht entscheiden; daran müssen wir auf europäischer Ebene noch arbeiten. ({12}) - Ja, da drücken wir. Frau Fuchs, machen Sie mit, dann werden wir bestimmt ganz schnell Erfolg haben. ({13}) Ich will jetzt noch kurz auf die Umsetzung der FFH-Richtlinie eingehen. Frau Mehl, die Länder haben einen Entwurf vorgelegt, der im Grunde genomBundesministerin Dr. Angela Merkel men besagt, die FFH-Richtlinie sei umzusetzen, ohne dies konkret im einzelnen zu regeln. Nun werfen Sie uns an dieser Stelle Kompliziertheit vor. - Wir haben versucht, die Umsetzung der FFH-Richtlinie - unter Berücksichtigung aller Instrumente des Naturschutzes - so zu integrieren, als handele es sich um eine deutsche, in unser Rechtssystem eingepaßte Ausweisung von Schutzgebieten, damit auch jeder weiß, was er entsprechend dem deutschen Recht zu tun hat. Das ist kompliziert, richtig; aber das muß erlernt werden. Hinzukommen müssen Landschaftsplanung, Landschaftsbeobachtung und vieles andere mehr. Meiner Meinung nach gehen wir damit einen Weg, der uns insgesamt mehr Rechtssicherheit, mehr Einheitlichkeit und mehr Klarheit in dieser Angelegenheit bringt, auch wenn es auf den ersten Blick etwas komplizierter aussieht. ({14}) Abschließend möchte ich sagen: Es hat viele Diskussionen über die Frage gegeben: Baurecht/Naturschutzrecht. Es ist nicht richtig - es wird auch dadurch nicht richtiger, daß Sie immer wieder den Eindruck zu erwecken versuchen, es sei so -, daß das Mitspracherecht und die Benehmensregelungen in bezug auf die Naturschutzbehörden entfallen sollen. Wir haben viele Dinge verfahrensmäßig in das Baurecht hineingenommen. Darüber kann man lange diskutieren, wie man das macht. Praktiker haben immer wieder gesagt: Macht nicht dauernd Querverweise. Nun haben wir die betreffende Regelung in das Baurecht hineingeschrieben. Das bedeutet aber keine Änderung der Regelung, daß weiterhin - so wie es auch heute gilt - das Benehmen mit den Naturschutzbehörden zu suchen ist, und es bedeutet auch keine Schwächung der Stellung der Naturschutzbehörden. Man muß einfach einmal klar sagen, was im Gesetz steht, weil manch einer etwas behauptet, was nicht stimmt. ({15}) - Das sehen Sie anders; das kann schon sein. Aber ich meine, wir müssen uns an Gesetzestexte halten. Nach übereinstimmender Meinung aller unserer Fachleute verhält es sich so, wie ich es eben gesagt habe. Meine Damen und Herren, jede Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wird Fragen, Wünsche und vieles andere offenlassen; jede Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gibt uns die Gelegenheit, über solche grundsätzlichen Fragen zu sprechen. Dieses Gesetz wird heute hier verabschiedet und dann im Bundesrat behandelt werden. Ich sage Ihnen: Greifen Sie die Diskussion auf! Lassen Sie sie uns weiterführen, weil es wichtig ist, daß wir in diesem Bereich insgesamt vorankommen. Ich habe Ihnen gezeigt, daß das an vielen Stellen gelungen ist. Ich bedanke mich bei all denen, die mitgewirkt haben, insbesondere bei meinen Kollegen im Parlament. ({16})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Damit kommen wir zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften. Das sind die Drucksachen 13/6441 und 13/7778 Nr. 1. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die zuerst abgestimmt wird, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7793. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktion der SPD? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Jetzt stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 7808 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit treten wir in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7794. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auf Drucksache 13/4247. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/4247 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegen- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien der Europäischen Union zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen auf Drucksache 13/ 6442. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 unter Nr. 3, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7817 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/6442 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen in zweiter Beratung abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auf Drucksache 13/1930 auf. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7778, den Gesetzentwurf der SPD abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/1930 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt auch dazu die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auf Drucksache 13/3207. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 Nr. 5, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3207 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung auch in diesem Fall die weitere Beratung. Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Verbesserung des Naturschutzes auf. Das ist die Drucksache 13/7778 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2743 anzunehmen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen und bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3906, 13/5199 und 13/ 7252 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion der SPD zur Erhaltung und Nutzung der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen auf. Das ist die Drucksache 13/7020. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4985 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten. Das ist die Drucksache 13/5945. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2905 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Mitteilung der Europäischen Union zur Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft, Drucksache 13/7470 Nr. 1. Wer der Beschlußempfeh- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch lung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7470 die Annahme einer Entschließung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Müller ({0}), Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Außenwirtschaftliche Stärkung des Mittelstandes - Drucksache 13/5754 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine zukunftsorientierte, innovative Mittelstandspolitik - Neue Ausrichtung und Konzentration der Förderung - Drucksache 13/6097 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Margareta Wolf ({5}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Reform des Industrie- und Handelskammerwesens - Drucksache 13/6063 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({6}) Rechtsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigen, das Plenum zu verlassen, bitten, das nun auch zu tun. Ich eröffne die Aussprache und gebe nunmehr das Wort der Abgeordneten Anke Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über zwei Anträge der SPD-Bundestagsfraktion: „Außenwirtschaftliche Stärkung des Mittelstandes" und „Für eine zukunftsorientierte, innovative Mittelstandspolitik - Neue Ausrichtung und Konzentration der Förderung". Die beiden Anträge sind Teil unserer wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Wir haben bewußt zwei konkrete Projekte zur Mittelstandspolitik herausgehoben, um zu untermauern, daß auch konkrete, einzelne Schritte Teile einer gestaltenden Wirtschaftspolitik sein können. Auch diese beiden Punkte gehören zu den Fragen: Wie überwinden wir die dahindümpelnde wirtschaftliche Entwicklung? Wie schaffen wir Arbeitsplätze? Wie bekämpfen wir die Massenarbeitslosigkeit? Das hat auch etwas mit dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu tun. Die Diskussion heute morgen ist also Teil dieser Gesamtdebatte. ({0}) Außenwirtschaftliche Förderung des Mittelstandes ist nicht überwiegend Aufgabe der Länder, wie es heute Praxis ist, weil sich der Bund nicht genug gekümmert hat. Sie ist primär Aufgabe des Bundes. Es geht darum, Kräfte zu bündeln und Vertrauen zu schaffen, um damit Wettbewerbschancen für den Mittelstand zu erarbeiten. Mein Kollege Christian Müller wird das noch vertiefen. Das zweite ist, daß Rahmenbedingungen und Beratungsangebote für kleine und mittlere Betriebe verbessert werden können und müssen. Mit Konzentration, Kreativität, Umorganisierung und Entbürokratisierung kann Hilfe geleistet werden. Das kostet nicht mehr Geld, aber es erfordert politischen Gestaltungswillen. Wir hätten von den Koalitionsfraktionen eigentlich erwartet, daß sie unseren Anträgen zustimmen. Ich habe gehört, daß wir diese Hoffnung noch nicht aufgeben müssen. Lassen Sie uns gemeinsam über unsere Perspektiven reden! Ich würde es erfreulich finden, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Haltung kommen könnten. ({1}) Die Punkte, die wir hier ansprechen, werden immer auch in Sonntagsreden von Vertretern der CDU, CSU und F.D.P. genannt. Deswegen wären wir enttäuscht, wenn Sie unseren Anträgen nicht zustimmen würden. Mittelstandspolitik ist ein zentrales Element der Wirtschaftspolitik. Wir sprechen hier ja nicht über wenige Unternehmen, sondern über das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Die mittelständischen Unternehmen in Industrie, Handwerk, Handel und im Dienstleistungssektor prägen die Wirtschaftsstruktur in Deutschland. Das gilt übrigens genauso für die Europäische Gemeinschaft. Hier sind 99 Prozent aller Unternehmen kleine und mittlere Betriebe mit bis zu 250 Arbeitnehmern. Der Mittelstand ist Motor für die Beschäftigung. Hier entstehen neue Arbeitsplätze. Die Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten haben in Deutschland in der Zeit von 1987 bis 1995 etwa 2,1 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. In Großunternehmen wurden Anke Fuchs ({2}) im gleichen Zeitraum etwa 500 000 Arbeitsplätze abgebaut. Also: Der Motor für die Beschäftigung sind kleine und mittlere Unternehmen. ({3}) Der Mittelstand ist Motor für die Berufsausbildung. Die Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten bieten in Deutschland 80 Prozent aller Ausbildungsplätze an. Der Mittelstand ist schließlich Motor für Innovation unserer Unternehmensstruktur. Hier entstehen die neuen, zukunftsorientierten Unternehmen, auf die wir in Deutschland angewiesen sind, wenn wir unsere Wirtschaftsstruktur an die Herausforderungen der Zukunft anpassen wollen. Selbst die Großunternehmen haben jenseits mancher Konzentrationsbestrebungen, die ich jetzt außen vor lasse, erkannt: Klein ist fein und flexibel. Die Ausgliederung von Unternehmensteilen steht deswegen auf der Tagesordnung, um auf den Anpassungsdruck durch den gestiegenen Wettbewerb mit beweglichen Unternehmensstrukturen reagieren zu können. In Ansprachen, Reden und Bundestagsdebatten herrscht immer große Einmütigkeit. Alle sprechen sich für eine Stärkung des Mittelstandes aus. Alle fordern eine effiziente Mittelstandsförderung. Alle beklagen die zu geringe Eigenkapitalquote des Mittelstandes. Alle klagen über zu hohe Hürden bei der Existenzgründung. Da wir uns in diesen Punkten einig sind, sollten wir einmal fragen: Was kann man tun, um die aufgezeigten Probleme zu lösen? ({4}) Ich frage Sie, Herr Rexrodt: Warum geht die Bundesregierung nach all den Sonntagsreden montags nicht an die Arbeit? Die Probleme sind ja nicht neu, vor denen die Existenzgründer von kleinen und mittleren Unternehmen stehen, im Gegenteil! Die Probleme liegen seit Jahren auf dem Tisch: Die Zahl der Unternehmenskonkurse sinkt nicht, sondern steigt. Die Eigenkapitalquote der kleinen und mittleren Unternehmen hat sich nicht verbessert, sondern eher verschlechtert; ich habe darauf hingewiesen. Die Mittel der Forschungsförderung kommen nicht primär dem Mittelstand zugute, sondern den Großunternehmen. Die Mittelstandsförderung ist nicht übersichtlicher geworden, sondern für die Unternehmer kaum durchschaubar. Wir Sozialdemokraten haben im Bundestag immer wieder Anträge eingebracht, um für den Mittelstand etwas zu tun. Ich frage mich: Warum haben Sie all unsere Initiativen immer wieder abgelehnt? Wir fordern Sie heute auf: Geben Sie Ihre Selbstblockade auf, machen Sie mit uns eine innovative, zukunftsorientierte Mittelstandspolitik! ({5}) Ich will nicht all das wiederholen, was Sie abgelehnt haben, sondern nur stichwortartig erinnern: an den Beitrag für kleine und mittlere Unternehmen für die Industrie- und Handelskammern, an die Verbesserung der Risikokapitalversorgung, an die Bereitstellung von Risikokapital für junge Technologieunternehmen und an den Antrag zur Beendigung des Stillstands in der Mittelstandspolitik. Sie haben sich dem immer verweigert, weil Sie sich nicht zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik durchringen können. Geben Sie sich heute einen Ruck: Diskutieren Sie mit uns über diese Inhalte! Wir wären froh, wenn Sie endlich etwas täten. Offensichtlich aber ist Nichtstun in der Wirtschaftspolitik nach dem Motto „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt" Programm dieser Bundesregierung. Dies ist übrigens leider auch auf europäischer Ebene so, wenn ich das hier einfügen darf. Wer die gestrige Debatte verfolgt hat, der weiß: Wir haben 18 Millionen Arbeitslose in der Europäischen Gemeinschaft. Alle Länder sagen inzwischen: Wir wollen bei der Veränderung der Verträge über Beschäftigungspolitik reden, weil wir nicht wollen, daß es ein Europa der Arbeitslosigkeit gibt. Wir wollen mit Beschäftigungsmaßnahmen dafür sorgen, daß die Menschen eine Chance für den Einstieg ins Erwerbsleben bekommen. - Alle Länder wollen dies, nur die Bundesregierung blockiert. Ihr Nichtstun auf dem Weg nach Europa wird verheerende Folgen haben. Ich ermahne Sie, sich auch auf europäischer Ebene zur Beschäftigungspolitik durchzuringen und mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, daß es auf der europäischen Ebene Kompetenzen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt, meine Damen und Herren. ({6}) Wir können es uns in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit mit mehr als 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland nicht leisten - das kostet im Jahr 160 Milliarden DM; ich sage das, damit wir wissen, worüber wir ökonomisch reden -, den Mittelstand zum Stiefkind der Wirtschafts- und Finanzpolitik verkommen zu lassen. Deswegen sage ich noch einmal: Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Wir haben Ihnen in unserem Steuerkonzept eine Senkung von 2 Prozent angeboten. Nehmen Sie zumindest diesen Punkt auf, damit die Lohnnebenkosten zügig gesenkt werden können. Das wäre für den Mittelstand ein großer Erfolg. ({7}) Es ist ganz wichtig: Wir brauchen eine Welle von Existenzgründungen. Wir wollen die bürokratischen Hemmnisse abbauen; meine Kollegin SkarpelisSperk wird dazu noch etwas sagen. Der Kern unseres Antrages ist der Vorschlag, eine Mittelstandsagentur einzurichten. Ich bin einmal gespannt, was Sie zu diesem Vorschlag sagen. Das würde bedeuten, daß Sie Kräfte und Instrumente bündelten, daß Sie entbürokratisierten. Ich denke, Sie würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn Sie sagten: Jawohl, wir wollen diese Anlaufstelle für die Unternehmen. Sie können so Förderaktivitäten bündeln, verschiedene finanzielle Angebote des Bundes verzahnen und den Informationsfluß für die Unternehmen erleichtern. Ich habe gelernt, daß eine ganze Abteilung im Wirtschaftsministerium abgeschafft Anke Fuchs ({8}) werden könnte. Das wäre doch fabelhaft. Das wäre ein Stück schlankerer Staat, weniger Bürokratie und würde dem Mittelstand helfen. Deswegen bin ich gespannt, was Sie zu unseren Anträgen sagen. Ich weiß, daß Sie ihnen nicht ablehnend gegenüberstehen. Überwinden Sie Ihre Selbstblockade! Reden Sie mit uns über eine gute, innovative Mittelstandspolitik! Stimmen Sie unseren Anträgen zu! ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Hansjürgen Doss das Wort. ({0})

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau Fuchs, in weiten Teilen sind wir uns einig. ({0}) Das ist schön. Der Anlaß, wieder einmal über den Mittelstand zu reden, ist eine der wenigen verdienstvollen Initiativen der SPD, ({1}) die ich erkennen kann. Insofern ist das ganz gut. Ich möchte gerne - ich will im Verlauf meiner Rede auch auf Teile Ihrer Ausführungen eingehen - etwas sehr Grundsätzliches zum Mittelstand sagen, weil ich glaube: Eine solche Gelegenheit müssen wir nutzen, Herr Finanzminister. - Entschuldigung: Herr Wirtschaftsminister. ({2}) - Sie sind bescheiden; ich weiß das. Der geringste Versprecher löst bei Ihnen Freude aus. Wenn Sie in der Sache etwas anspruchsvoller würden, wäre das besser. Meine Damen, meine Herren, Mittelstandspolitik ist nicht eine Facette, nicht eine Unterabteilung der Wirtschaftspolitik. Mittelstandspolitik ist nicht zu reduzieren auf Begriffe wie „Förderung", „Unterstützung", „Nachteilsausgleich" oder „Betreuung", „Einrichtung von Schutzräumen". Das alles können wir Mittelständler in der Politik nicht mehr hören. Mittelstandspolitk ist die eigentliche Wirtschaftspolitik; denn die deutsche Wirtschaft ist primär mittelständische Wirtschaft. ({3}) Jeder sollte wissen: 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind mittelständische Betriebe. 80 Prozent aller Ausbildungsplätze sind im Mittelstand. 64 Prozent aller Arbeitnehmer sind beim Mittelstand beschäftigt, und auch 44 Prozent aller Bruttoinvestitionen gehen von dort aus. Das wissen die Mittelständler alle. Aber wir müssen es immer wieder sagen, damit die Bedeutung des Mittelstandes deutlich wird. Die aus diesen Tatsachen nötigen Schlußfolgerungen müssen noch deutlicher angesprochen werden. Wir brauchen keine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik mit sogenannten Mittelstandskomponenten. Richtiger ist es vielmehr umgekehrt, eine mittelstandsgerechte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, gegebenenfalls mit einer Großbetriebskomponente, zu betreiben. Das ist der richtigere Weg. ({4}) Wenn in einem Gremium zehn Lehrer und ein Handwerksmeister beteiligt sind, die sich über Ausbildungsplätze unterhalten, ist das Ergebnis bereits durch die Zusammensetzung vorgegeben. Von dieser Art der Stellvertreterpolitik haben die Unternehmer - wenn ich das so populär sagen darf - langsam die Schnauze voll. Die Verbandsfunktionäre bestimmen die Tarife; die „Titularmittelständler" kümmern sich um die Politik. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber ich habe schon ein bißchen den Eindruck gehabt, als sei es wie mit den Titularbischöfen in der römischen Kurie: Sie tragen die Insignien des Bischofs und haben noch nie ein Bistum von innen gesehen. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Doss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Doss, ich stimme Ihnen in Ihrem bisherigen Teil der Analyse ausdrücklich zu. ({0}) Sie beschreiben damit die Tatsachen, mit denen wir uns zur Zeit auseinandersetzen müssen: eine Steuerpolitik, die mittelstandsfeindlich ist, ({1}) eine nicht ausreichende Flexibilität, Lohnnebenkosten in Höhe von 42 Prozent. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Würden Sie mir zustimmen, daß Sie zunächst einmal die Fehler Ihrer Politik ausführlich beschreiben?

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, was ich auf so etwas sagen soll. Das ist so dünn, hochverehrter Herr Kollege! ({0}) Ich wollte etwas Positives über unseren Mittelstand sagen, und Sie meinen, mich an dieser Stelle unterHansjürgen Doss brechen zu müssen, um Ihre eher parteipolitisch- polemischen Fragen zu stellen. Lassen Sie uns doch, wie das Frau Fuchs gesagt hat, einmal darüber reden, welche Bedeutung der Mittelstand in Deutschland hat, und uns dann weiter um die Lösung der Probleme kümmern. ({1}) Diese Art der Destruktion erleben wir bei Ihnen doch ununterbrochen. Mittelstand ist die einzige Hoffnung für den Arbeitsmarkt. Das muß man wissen. Das ist der sogenannte - wir reden ja inzwischen neudeutsch-englisch - „local player" , während sich ein „global player" auf der gesamten Welt ausweitet. Der Chef der Adam Opel AG, David Herman, erklärte uns neulich bei einem Gespräch im Parlamentskreis Mittelstand, daß bei jeder Investitionsentscheidung seines Unternehmens weltweit 15 alternative Standorte zur Auswahl stehen, zwischen denen er sich zu entscheiden hat. Er betonte aber - darüber habe ich mich wirklich gefreut -, daß deutsche Zulieferer für seine Automobilfirmen zunehmend in Frage kommen. Der deutsche Mittelstand bietet eine Kombination aus ausgereifter Technik, Marktnähe, hoher Zuverlässigkeit und enormer Innovationsfähigkeit. ({2}) Das ist für das Endprodukt Opel eben wichtig. Deswegen kehren sie wieder zu vielen Zulieferern aus Deutschland zurück. Insofern muß Mittelstandspolitk in erster Linie Freiräume für Unternehmergeist schaffen, Fesseln der Bürokratie lösen, Steuer- und Abgabenlasten erleichtern, Regulierungen des Arbeitsmarktes lockern usw. Aus Amerika stammt eine Redensart, der ich mich ausdrücklich anschließen möchte - die ganzen Instrumentarien, die hier immer wieder diskutiert werden, sollten diesem amerikanischen Vorschlag folgen -: Lieber Staat, steige von meinem Rücken, und nimm deine Hand aus meiner Tasche! - Würde man dem folgen, dann wüßten die Mittelständler schon, was sie mit dem von ihrem Fleiß übriggebliebenen Geld anfangen könnten. ({3}) Meine Damen und Herren, Ihre Politik ist doppelbödig. Sie werfen uns Sonntagsreden vor. Die Rede eben war eine Sonntagsrede, denn am Freitag stimmen Sie im Bundesrat gegen alle Reformen für den Mittelstand. Das ist die Wahrheit in Deutschland. Insofern versündigen Sie sich an den Arbeitsplätzen. ({4}) Zu den vorliegenden Anträgen: Mittelstandsförderung, ganz gleich ob Existenzgründungsförderung, Forschungsförderung, Messeförderung oder Beratungsförderung, muß schnelle, zielgerichtete und unbürokratische Hilfe zur Selbsthilfe sein. Eines ist sicher: Eine einzige zentrale Institution hätte nur einen Sinn, wenn sie schneller, unbürokratischer und effektiver arbeiten würde als die dezentralen Organisationen, die wir in Form von Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern und Verbänden haben. Wir haben erhebliche Zweifel, ob eine Zentralisierung zu einer Verbesserung führen würde. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß Ihre Mittelstandsagentur ein neuer Moloch würde und eine neue Mittelstandsbetreuungsbürokratie, eventuell sogar mit paritätischer Mitbestimmung - wie ich mir vorstelle -, hervorriefe. Der arme Mittelständler, der da durchdringen will! Er verhungert sozusagen auf dem Weg. Wir machen das nicht mit. Es gibt für eine solche Initiative auch überhaupt keine Notwendigkeit. Emnid stellte Ende 1994 in bezug auf die Betriebsberatungen - diese machen die Handwerkskammern hervorragend - bei einer Untersuchung von 10 000 Handwerksbetrieben fest: 84 Prozent sind zufrieden, 51 Prozent sogar völlig zufrieden. Ich meine, es ist einfach nicht notwendig, eine neue Institution zu gründen. Sie weichen mit diesen „Mätzchen" den zentralen Problemen der deutschen Politik, das heißt der Entlastung des Mittelstandes, aus. Nächstes Thema: Gesetzentwurf zur Privatisierung der Industrie- und Handelskammern. Die Kammern sind Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft; sie übernehmen viele Aufgaben, die sonst staatliche Behörden wahrnehmen müßten. Diese Alternative ist mir immer lieber, als neue bürokratische Strukturen aufzubauen. Die Industrie- und Handelskammern müssen selber stärker dem Verdacht entgegenwirken, sie seien Quasi-Behörden. In diesem Punkt ist ein wenig Reformwille notwendig und besteht Handlungsbedarf. Das ist gar keine Frage. ({5}) Die Kammern sind zwar öffentlich-rechtliche Einrichtungen, müssen sich aber wesentlich stärker als Dienstleister für ihre Mitglieder verstehen und weniger als ein Teil hoheitlicher Staatsverwaltung. Der Sinn der Kammern erschöpft sich nicht im Servicegedanken, so wichtig er aus der Sicht der Betriebe sein mag; sie müssen auch ihre Notwendigkeit gegenüber den Betrieben stärker in den Vordergrund ihres Handelns stellen. Die Union hält deswegen bewußt an dem Leitbild der Gesamtvertretung der Wirtschaft durch die Kammern fest. Das will ich hier ausdrücklich betonen. Zu dessen Sicherung sowie für die demokratische Legitimation dieses Auftrages brauchen die Kammern das Prinzip der Pflichtmitgliedschaft aller Betriebe. ({6}) Wir werden daher an diesem Prinzip festhalten und es im Kern nicht antasten. Eine sogenannte Privatisierung, also Zerschlagung der bisherigen Strukturen, um gleichzeitig die wesentlichen Aufgaben Kammervereinen zu überlassen, wie es der Gesetzentwurf der Grünen vorschlägt, lehnen wir in jedem Fall ab. Wir werden in diesem Sinne unsere politische und rechtliche Aufsichtspflicht den Kammern gegenüber kritisch wahrnehmen. Davon können Sie ausgehen. Wir werden ihnen kritische Freunde sein und sie dabei unterstütHansjürgen Doss zen, die notwendigen Reformen herbeizuführen. Hinsichtlich der Beiträge zum Beispiel wollen wir, die Koalition, wenn es irgendwie geht, auch zusammen mit unseren Kollegen und Freunden von den Sozialdemokraten versuchen, eine Lösung zu finden, die das Kammersystem aus dem politischen Kleinkrieg heraushält. Das nutzt keinem. Insofern haben wir auch zugestimmt, als der von mir geschätzte Kollege Uwe Jens zur Objektivierung dieser Frage vorgeschlagen hat, ein Ifo-Gutachten vorzulegen, um auf dieser objektivierten Grundlage beurteilen zu können, wer freigestellt werden kann und wer beitragzahlendes Mitglied bleiben muß. ({7}) Wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern reformieren. In diesem Sinne brauchen wir Kraft für Reformen an allen Stellen der Republik. Sie, meine Damen und Herren, stehen auf der Bremse, während wir Feuer unter dem Kessel machen. Deswegen hören Sie auf mit Ihrer Blockadehaltung, und machen Sie mit bei Reformen für den Mittelstand! Es sind Reformen für die Gesamtgesellschaft, weil nur dadurch mehr Arbeitsplätze entstehen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen jedoch ist unser gemeinsames Ziel; so habe ich Sie verstanden. In diesem Sinne vielen Dank für die geduldige Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Margareta Wolf das Wort.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Doss, Sie sind ja Mittelständler, und Ihr Beitrag klang ein bißchen wie ein Stoßgebet gen Himmel. Es ist richtig: Mittelstandspolitik ist Wirtschaftspolitik. Aber Sie sind es, die die Regierungsverantwortung seit einigen Jahren inne haben. Ich kann Ihren Beitrag in weiten Teilen wirklich unterstützen. Beten Sie weiter, aber handeln Sie irgendwann auch einmal! Meine Damen und Herren, die Wirtschaftsforschungsinstitute sprechen seit mindestens zwei Jahren vernichtend über die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung. Sie sagen, eine Hauptursache für die ständig zurückgehenden Investitionen in diesem Land seien die fehlenden bzw. die unklaren Rahmenbedingungen. Das beste Beispiel für diese unklaren Rahmenbedingungen, Herr Doss, ist die von Ihnen als Jahrhundertwerk angekündigte Steuerreform. Es glaubt doch kein Mensch in diesem Lande mehr, daß sie ein Jahrhundertwerk wird; sie wird vielmehr ein Rohrkrepierer werden. ({0}) - Entschuldigen Sie, wir haben ein Steuerreformkonzept vorgelegt, das nicht 30 Milliarden DM Steuerausfälle im Bundeshaushalt nach sich zieht. Nach der gestrigen Debatte möchte ich Sie daran erinnern. ({1}) Wir sind ferner darüber beunruhigt, daß wir im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern und zu den Ländern der OSZE eine sinkende und keine steigende Investitionsdynamik haben. ({2}) Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. Wir sind weiterhin darüber beunruhigt - die Kollegin Fuchs hat darauf hingewiesen -, daß die Insolvenzrate bei kleinen und mittleren Unternehmen einen historischen Höchststand erreicht hat. - Soviel zum Erfolg der Mittelstandspolitik. Wir sind ferner darüber beunruhigt, daß die Arbeitslosenzahlen steigen und steigen, ohne daß eine Trendwende absehbar ist. Sie werden vielleicht heute morgen die „FAZ" gelesen haben. Dort heißt es - dies ist wiederum beunruhigend -: Die Investitionen ausländischer Unternehmer und Anleger in deutsche Betriebe sind im vergangenen Jahr mit 1,1 Milliarden DM auf ein Rekordtief gesunken. ({3}) - Schreien Sie doch nicht so! Es steht heute in der „FAZ", im Wirtschaftsteil auf der Seite eins. Lesen Sie es nach! ({4}) Die Bundesrepublik gilt im europäischen Ausland als strukturkonservativ; sie gilt als verstaubt. Die Rahmenbedingungen für Investoren werden von Tag zu Tag unklarer. Die Finanzpolitik und die Wirtschaftspolitik - das konnten Sie auch gestern im „Handelsblatt" auf der Seite 2 in einem Kommentar nachlesen - gilt als chaotisch und strukturlos. Diese Politik, die Sie ja machen, verursacht Zukunftsangst; sie blockiert Investitionen; sie blockiert Innovationen; sie blockiert auch Existenzgründungen und somit Mut und Kreativität. Sie produzieren Angst. Ich sage das wirklich nicht aus Häme, sondern aus Sorge. Sie müssen sich doch einmal Gedanken machen. Wir haben viel Kapital in diesem Land. Aber durch Ihre Politik der Verunsicherung produzieren Sie so etwas wie einen Schlafzustand: Die Freiheit schläft. Ich denke, wir alle sind gefordert - da kann ich Roman Herzog wirklich nachträglich gratulieren -, den Schlaf zu beenden und die Angst vor der Gestaltung in der Gesellschaft und die Angst vor Freiheit zu beseitigen und endlich die Chancen, die die Globalisierung auch bietet, zu nutzen, um Investitionen, Eigeninitiative, Existenzgründungen und die Risikobereitschaft in diesem Land zu fördern. Dazu brauchen die Margareta Wolf ({5}) Menschen ganz klare Rahmenbedingungen. Meine Damen und Herren, das wissen Sie auch. ({6}) Kommen Sie doch endlich heraus aus Ihren Schützengräben! Wir haben das gestern hier wieder beispielhaft erlebt. Wir brauchen in diesem Land eine neue, moderne und kommunikative Politik. Sehen Sie doch einmal ins Ausland, zum Beispiel zu Tony Blair. Wie hat er denn die Wahlen gewonnen? Lesen Sie Anthony Giddens! Sehen Sie in die Niederlande! Die Antwort auf die neuen Herausforderungen liegt jenseits von rechts und links; sie liegt außerhalb Ihrer Schützengräben; sie liegt in einer Bürgergesellschaft. Wir müssen diese Bürgergesellschaft fördern; wir müssen Vertrauen fördern. Nur dann haben wir Eigeninitiative und Mut. So erhalten wir die notwendigen Existenzgründungsoffensiven, von denen Sie immer nur reden, während die Rahmenbedingungen aber fehlen. ({7}) Lassen Sie mich zu den Anträgen der SPD kommen. Meine Fraktion unterstützt die Anträge der SPD, vor allen Dingen den Antrag, der vorsieht, die Förderprogramme zu bündeln und auf Ziele zu orientieren. Herr Doss, Sie haben vorhin gesagt, der Mittelständler verirre sich auf dem Weg hin zu dieser Agentur. Im Moment haben wir die Situation, daß er sich auf dem Weg zu den Förderprogrammen verirrt. Wenn er sich bis dahin noch nicht verirrt hat, verirrt er sich spätestens an dem Schalter seiner Bank. ({8}) Lassen Sie mich aber jetzt zu unserem Gesetzentwurf über die Reform der Industrie- und Handelskammern kommen. Sie wissen, daß die IHKn immer mehr in das Kreuzfeuer der Kritik gekommen sind. Nicht ohne Grund, so denken wir, hat der Gesetzgeber im Jahr 1956 dieses Gesetz bewußt Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der IHKn genannt. Die Zwangsmitgliedschaft ist immer wieder, so auch in jüngster Vergangenheit, auf erbitterten Widerstand gestoßen. Wir haben heute 25 000 Unternehmer, die sich in zahlreichen Vereinen flächendekkend über die Bundesrepublik organisiert haben, um für eine privatrechtliche Organisation ohne Zwangsmitgliedschaft zu kämpfen. Obwohl ich den Schwerpunkt meiner Begründung bei dem Gesetzentwurf tatsächlich auf die politische Betrachtung gelegt habe, möchte ich einige juristische Vorbemerkungen machen, die, glaube ich, für die Beurteilung nicht unwesentlich sind. Das Bundesverfassungsgericht hat sich auf der Grundlage einer Klage von Gewerbetreibenden zuletzt 1962 mit dem IHK-Gesetz beschäftigt. Im Rahmen seiner Überprüfung argumentierte es, die Zwangsmitgliedschaft stelle einen Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit dar, sei aber gerechtfertigt, da zur Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft ein erhebliches öffentliches Interesse daran bestehe, daß den Kammern Ermittlung und Abwägung der Auffassungen aller kaufmännischen Kreise ermöglicht werde. Es kommt zu dem Schluß, das sei ohne Zwangsmitgliedschaft nicht möglich. Wir bezweifeln, daß dieses nach 35 Jahren tatsächlich noch überzeugt. Erstens werden heute wesentliche Entscheidungen der Wirtschaftsförderung im europäischen Rahmen getroffen, und zweitens glaube ich, daß sich die Struktur der Wirtschaft so verändert hat, daß es ein Gesamtinteresse, was ja die Definitionsgrundlage für die Zwangsmitgliedschaft ist, nicht mehr gibt. Der Bonner Antiquitätenhändler oder Sie, Herr Doss, als Architekt haben ein anderes wirtschaftspolitisches Interesse als zum Beispiel die Firma Siemens. Nicht zuletzt glaube ich, daß europarechtliche Gesichtspunkte gegen diese Zwangsmitgliedschaft sprechen. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Überprüfung durch den EuGH, die jetzt auch angestrebt wird, den Punkt der Niederlassungsfreiheit tatsächlich in den Vordergrund der Argumentation rücken könnte. Lassen Sie mich noch kurz zu den politischen Punkten kommen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Doss?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich habe den Vorzug gehabt, an der Gründung einer Außenhandelskammer - diese werden ja von unseren Kammern getragen - in Ankara mitgewirkt zu haben. Die Türkei ist auch unser Sprungbrett für 180 Millionen türkisch sprechende Menschen. Die mittelständische Industrie hat eine Chance, wenn sie sich zum Beispiel mit unseren türkischen Unternehmern, mit vielen Freunden, die wir dort haben, zusammen in diesen Ländern engagiert. Wie könnte nach Ihrer Vorstellung so etwas organisiert werden, wenn mittelständische Unternehmen allein dazu nicht in der Lage sind, anders als die großen Unternehmen wie beispielsweise Siemens oder Lufthansa, die alle vor Ort sind? Wie soll so etwas geschehen, wenn wir eine privatwirtschaftlich organisierte Kammerorganisation, die mehr tut als das, worüber wir hier diskutieren, nicht mehr haben würden?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege Doss, ich sage gar nichts grundsätzlich gegen Kammern. Aber Sie wissen, daß die Außenhandelskammern keine Pflichtbeiträge erheben und auch keine Zwangsmitgliedschaft haben, sondern privatrechtlich organisiert Margareta Wolf ({0}) sind. Das unterscheidet sie positiv von den hiesigen IHKn. ({1}) Die Außenhandelskammern arbeiten mit dem hiesigen Wirtschaftsministerium zusammen. Sie wollen doch nicht sagen, daß gerade die nordeuropäischen Länder, die auch über Außenhandelskammern und über Kammern im Inland verfügen, die aber privatrechtlich organisiert sind, bei der Etablierung ihres Mittelstandes oder bei der Kontaktpflege ihres Mittelstandes zum Beispiel in China Nachteile uns gegenüber hätten. Das stimmt einfach so nicht. Die Zwangsmitgliedschaft ist nicht Bedingung für eine Arbeit oder für eine Vernetzung von Strukturen des Mittelstandes im Ausland. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Herr Doss möchte noch eine Frage stellen. Sind Sie einverstanden?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön, Herr Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Außenhandelskammern sind vor Ort privatwirtschaftlich organisiert. Sie haben recht. Die gesamte sonstige Infrastruktur wird von Deutschland aus getragen. Sie würden vor Ort nicht existieren können. Deswegen noch einmal meine Frage: Wie sollte nach Ihrer Vorstellung dieser sogenannte wichtige Schreibtisch des Mittelstandes im Ausland angesichts anderer Kulturen, anderer Sprachen und anderer Rechtssysteme funktionieren, wenn wir nicht das Rückgrat unserer Kammern hätten?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Doss, noch einmal: Ich halte die Arbeit der Außenhandelskammern für absolut notwendig. Diese muß man auch ausbauen. Die Außenhandelskammern finanzieren sich aus Beiträgen sowie aus dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers und nicht aus Pflichtbeiträgen, die hier bei unserem Mittelstand erhoben werden. ({0}) - Meine Herren, das ist leider nicht der Fall. Lesen Sie einmal das IHK-Gesetz, und kümmern Sie sich um die Finanzierung der Außenhandelskammern. Das stimmt leider nicht. Ich habe da, so glaube ich, recht. Es tut mir leid, es ist so. ({1}) - Herr Doss, ich habe wirklich recht. ({2}) Ich möchte aber jetzt zu den politischen Gründen kommen, weshalb wir unseren Gesetzentwurf eingebracht haben: Erster Punkt. Wir beobachten in letzter Zeit - ich denke, das sollte gerade die Koalitionsfraktionen nachdenklich machen -, daß die Legitimationsgrundlage unseres Verbändestaates ganz erheblich kriselt. Ich glaube, daß die Legitimationsgrundlage nicht durch Zwang gestärkt werden kann. Sie muß aber in den heutigen Zeiten, in denen wir starke Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände benötigen, gestärkt werden. Das geschieht nur durch Einsicht. Herr Doss, wir alle stützen uns auf andere Umfragen, Sie beziehen sich auf die DIHT-Umfrage; ich hingegen auf die Infas-Umfrage. Sie sagt - das muß nachdenklich stimmen -, daß 70 Prozent der Kammermitglieder am liebsten sofort austreten würden und 82 Prozent mit den Serviceleistungen der Kammern nicht zufrieden sind. Das spricht dafür, daß man die Krise des Verbändestaates tatsächlich nicht durch eine Zwangsmitgliedschaft beseitigen kann. Zweiter Punkt. Ich glaube nicht, daß die gewerbliche Wirtschaft dadurch, daß sie weiter in ein Zwangskorsett à la Ludwig XIV. gepreßt wird, auf die gegenwärtige Standortdebatte reagieren kann. Dritter Punkt. Ich glaube - da sind wir uns doch sonst immer einig -, daß der gemeinsame Binnenmarkt einer höchstmöglichen Harmonisierung gerade auch im wirtschaftsrechtlichen Bereich bedarf. Es spricht sehr viel dafür, zu einer, wie ich schon sagte, privatrechtlichen Organisationsform zu kommen, wie wir sie in Großbritannien - Sie würden immer sagen, dort sei man wirtschaftlich erfolgreich -, Irland, Finnland, Schweden, Dänemark, Belgien, Portugal, der Schweiz und Norwegen haben. Noch ein Hinweis: Die ,,Euro-Chambres", die Europäische Wirtschaftskammer, ist auch privatrechtlich organisiert und funktioniert. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es vor dem Hintergrund der rasanten weltwirtschaftlichen Veränderungen für Deutschland und für die Unternehmen eine Voraussetzung ist, sich tatsächlich auf die Wettbewerbsbedingungen einzustellen. Die Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft, die Umorganisation der IHKn in ein privatrechtlich organisiertes Modell, ist die Voraussetzung dafür, daß sich kleine und mittlere Unternehmen, daß sich die zukunftsfähigen neuen innovativen Unternehmen hier gut beraten fühlen. Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin zu vielen IHKn gereist. Es gibt Statistiken, welche Berufsgruppen dort organisiert sind. Die größte Berufsgruppe sind die sogenannten Sonstigen. Auf meine Frage - die habe ich bei allen gestellt -, wer die Sonstigen sind, wurde geantwortet: Das sind die neuen Dienstleister, die neuen Technologiefirmen und Beraterfirmen, also diejenigen, von denen wir immer sagen, daß sie zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen und daß in diesem Bereich ein Expansionsvolumen besteht. Jetzt frage ich Sie: Warum haben die IHKn zu ihnen keinen Zugang? Sie wissen überhaupt nicht, wie Margareta Wolf ({3}) sie arbeiten. Die neuen Dienstleister aber beschweren sich, daß sie Abgaben bezahlen müssen, wovon sie nichts haben. ({4}) Ich glaube, Herr Friedhoff, daß eine Umorganisation eine standortfördernde Deregulierung wäre und daß eine privatrechtliche Organisationsform die Eigeninitiative des Mittelstandes erheblich fördern würde und damit auch die Verantwortung und Vertretung der eigenen Interessen in einem eigenen Verband. Danke schön. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat häufiger ein Problem, weil sie sich des Vorwurfs erwehren muß, sie würde nicht soviel von Wirtschaft verstehen. ({0}) Deshalb hat die SPD - so scheint mir - in der Fraktion in Fleißarbeit zwei Anträge zu dem erarbeitet, was sie Mittelstandsförderung nennt. Frau Wolf, Sie haben gerade sehr deutlich gemacht, was Sie unter Steuerreform verstehen, und haben das in Zusammenhang mit Investitionen in Deutschland gestellt. Ich bin absolut davon überzeugt, daß man Investitionen nicht durch Steuerverschiebungen, sondern durch Steuersenkungen nach Deutschland holt. ({1}) Das ist der Punkt. Hier sind wir auseinander. Wir wollen international mithalten können. Im Gegensatz dazu wollen Sie unser System nur anders finanzieren; das wird am Ende nicht funktionieren. Erfreuliches gibt es dennoch; denn die SPD stellt in den Anträgen, die sie vorgelegt hat, zwei Punkte heraus, die wir Freien Demokraten immer wieder betont haben: Erstens. Die kleinen und mittleren Betriebe bilden das Herz und Rückgrat unserer Wirtschaft. Die Erkenntnis ist also allgemein da. Sie schaffen zwei Drittel aller Arbeitsplätze in Deutschland. Ohne ihr Engagement, ohne den Fleiß von Hunderttausenden von selbständigen Unternehmern ist unsere Wirtschaft schlichtweg nicht denkbar. Wir sehen das gerade beim Aufbauprozeß in den neuen Ländern. Zweitens. Die SPD stellt fest, der Mittelstand laufe Gefahr, gegenüber den Wettbewerbern aus anderen Industrieländern zurückzufallen. Das ist richtig, sogar sehr richtig. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, woran das liegt. An der Leistungsfähigkeit unserer mittelständischen Betriebe, also an der Leistungsbereitschaft in den Betrieben werden wir ja wohl kaum zweifeln wollen. Das Problem muß dann anderswo liegen. Richtig, es liegt bei den Rahmenbedingungen. Kommen wir zunächst zum Thema außenwirtschaftliche Stärkung des Mittelstands. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung versucht, den Gang deutscher Unternehmen auf ausländischen Märkten nach Kräften zu unterstützen. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere die verstärkten Bemühungen der deutschen Botschaften nennen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen brauchen Anlaufstellen, die ihnen vor Ort weiterhelfen und Kontakte vermitteln können. Andererseits sollten Sie auch nicht die Findigkeit unserer Unternehmen unterschätzen. Nach Untersuchungen des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung sind die Deutschen derzeit in Ungarn, Tschechien, der Slowakei und in Polen mit rund 20 000 Engagements vertreten. Drei Viertel davon stellt der Mittelstand. In diesen Staaten werden inzwischen rund 300000 Arbeitsplätze mit deutschem Kapital finanziert. Der Mittelstand findet also wohl den Weg in außenwirtschaftliche Engagements, ohne daß wir ihm mit neuen Staatsagenturen unter die Arme greifen. Ja, wir treiben ihn geradezu in solche Engagements, weil sich Investitionen in Deutschland für viele immer weniger rechnen. Deshalb entstehen Arbeitsplätze im Ausland und nicht bei uns. Das eigentliche Thema, das die Menschen bei uns bewegt, ist die Frage, wie das passieren kann. Meine Damen und Herren von der SPD, reden Sie doch endlich einmal mit Unternehmern. Sprechen Sie mit Mittelständlern darüber, wo der Schuh wirklich drückt. Wissen Sie, was Sie dann zu hören bekommen? ({2}) - Es ist wunderschön, daß Sie gerührt sind. Aber Sie sollten das einmal tun. ({3}) Sie werden Ihnen sagen, daß die Lohnzusatzkosten unerträglich hoch sind. Das ist die erste Aussage. Die zweite wird sein: Der Arbeitsmarkt ist zu stark reguliert. Es gibt zu viele und zu unübersichtliche Vorschriften und eine ausufernde Bürokratie. Genau dies und nicht zuletzt auch die strengen und in ihrer Wirkung unkalkulierbaren Arbeitsgesetze halten die kleinen und mittleren Unternehmen davon ab, mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Eine Forderung hören Sie vom Mittelstand mit besonderem Nachdruck. Sie müssen mit den Steuern herunter, sagen sie uns. Sie sagen nicht, daß wir die Steuern anders verteilen müssen. Bei der Steuerbelastung für Bürger und Unternehmen sind wir Weltspitze. ({4}) Vor allem aus diesem Grund kommen wir von der hohen Arbeitslosigkeit nicht herunter. ({5}) Sie von der SPD stellen sich hierhin und gerieren sich als Mittelstandsfreunde, während der von Ihnen verteidigte Steuerstaat den Betrieben die Luft zum Atmen nimmt. Das sind die Fakten. ({6}) Wir hätten die große Steuerreform zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen längst ins Werk setzen können, wenn die SPD mit ihrer Mehrheit im Bundesrat nicht dagegen stände. ({7}) Auch das, was Sie jetzt hier wieder sagen - Sie haben gefragt: Wer hat denn die Steuern erhöht? -, zeigt doch, daß Sie sie nicht senken wollen; vielmehr wollen Sie, daß alles das, was in der Vergangenheit gemacht worden ist, unendlich so weitergeführt wird. Da unterscheiden wir uns eben. ({8}) Da ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wollen mit den Steuern so weitermachen, und wir wollen mit den Steuern herunter. ({9}) Nur gut, daß Sie nach monatelangem Zögern endlich ein eigenes Konzept für die Steuerreform vorgelegt haben. Wenn wir uns das in bezug auf seine Auswirkungen für kleine und mittlere Unternehmen einmal ansehen, so ist festzustellen: Eine Aussage zur Senkung des Spitzensteuersatzes fehlt. Der Körperschaftsteuersatz für reinvestierte Gewinne soll auf 35 Prozent festgelegt werden. Den Personengesellschaften hilft das herzlich wenig. Mittelstand, Handwerk und freie Berufe gehen leer aus. Um die Absenkung der Lohnnebenkosten um zwei Prozentpunkte zu finanzieren, ist, wie bei Sozialdemokraten üblich, eine allgemeine Steuererhöhung angesagt. Der gleiche Strukturfehler liegt auch in der von der SPD geplanten Vermögensabgabe. Sie soll nur auf große Privatvermögen erhoben werden. Betriebliche Vermögen sollen ausgenommen sein. Aber wie kann eine Unterscheidung funktionieren, wenn mehr als 90 Prozent unserer Betriebe in Deutschland Personengesellschaften sind? In der Konsequenz bedeutet dies, daß die SPD nur große Kapitalgesellschaften von der Vermögensabgabe wirklich befreien will. Die Vermögensabgabe wird so zur Steuer für die Bürger und den Mittelstand. Es ist doch die hohe Unternehmensbesteuerung, die für die dünne Eigenkapitaldecke vieler kleiner und mittlerer Unternehmen verantwortlich ist. Darunter leiden gerade unsere ostdeutschen Betriebe. Dies wiederum bedeutet auch die entscheidende Hürde beim Gang auf internationale Märkte. Kapitalschwache Betriebe tun sich nun einmal mit der Vorfinanzierung im Exportgeschäft schwer. Das sind die tatsächlichen ökonomischen Zusammenhänge, die mittelständische Betriebe berühren. In ihrem zweiten Antrag regt die SPD die Straffung der Mittelstandsförderung an. Eine solche Straffung ist in der Tat sinnvoll. Wir Freien Demokraten freuen uns, daß sich der Bundeswirtschaftsminister dieser Aufgabe bereits vor Monaten angenommen hat. Der SPD genügt das nicht. Sie fordert in ihrem Antrag eine staatliche Mittelstandsagentur. Eben haben Sie gesagt, dafür könnte eine Abteilung im Bundeswirtschaftsministerium ausgelagert bzw. geschlossen werden. So könnte daraus eine staatliche Mittelstandsagentur gemacht werden. Um Gottes willen! Die Unternehmen in diesem Land stöhnen über die Steuerlast und die Bürokratiekosten. Ihnen fällt dazu nichts Besseres ein als ausgerechnet eine neue Staatsagentur, natürlich mit steuerfinanzierten Personalkosten und mit neuem bürokratischen Aufwand. ({10}) Wir sollten das ERP-Sondervermögen im übrigen ruhig dort lassen, wo es bisher angesiedelt ist, ({11}) zum Nutzen vieler kleiner und mittlerer Unternehmen. Die kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land benötigen keine Subvention oder sonstigen Schutz vor Wettbewerb, um konkurrenzfähig zu sein. Sie brauchen schon gar keine deutsche Exportconsult GmbH oder eine staatliche Mittelstandsagentur. Die meisten mittelständischen Unternehmen wollen einfach aus der Zwangsjacke befreit werden, die ihnen unser Steuerstaat angelegt hat. Erheblich interessanter als die beiden SPD-Anträge ist der Gesetzentwurf der Grünen zur Reform der Industrie- und Handelskammern schon deshalb, weil die Grünen hier ungewohnterweise das Prinzip der Freiwilligkeit einsetzen und damit argumentieren. Dieses Prinzip ist das Credo der Liberalen, und es wird in Zukunft die Wirtschaft mehr bestimmen. Wir stehen an der Schwelle zur globalen offenen Wettbewerbsgesellschaft. Deshalb müssen wir grundsätzlich alle mit hoheitlicher Macht versehenen Einrichtungen auf den Prüfstand stellen, die die ökonomische Bewegungsfreiheit des einzelnen beschränken. Wir dürfen dabei allerdings keine gewachsenen und bewährten Strukturen unnötigerweise zerschlagen, schon gar nicht, wenn wir Gefahr laufen, am Ende nicht vor weniger, sondern vor mehr Staatsaufgaben zu stehen. Was Sie fordern, ist gleichbedeutend mit der Zerschlagung der Industrie- und Handelskammern in ihrer bisherigen Form. Die Kammern haben sich über Jahrzehnte als Selbstverwaltungsorgane bewährt. Ein Kammersystem auf Basis der freiwilligen Mitgliedschaft würde sich schnell zu einer weiteren, nur interessengeleiteten Gruppierung entwickeln. Das Entscheidende aus unserer Sicht ist: Die Kammern bilden das Fundament für die Einflußnahme der Wirtschaft auf staatliche Planungsaktivitäten für die Kooperation der gesamten Wirtschaft. Die KamPaul K. Friedhoff mein sind die Grundlagen eines beruflichen Bildungssystems, um dessen Qualität uns viele Länder in der Welt beneiden. Richtig ist, daß die Industrie- und Handelskammern aufgefordert bleiben, über interne Strukturen nachzudenken und Kritik ihrer Mitglieder ernst zu nehmen. Die Bundesregierung hat mit dem im Jahre 1992 verabschiedeten neuen Beitragsrecht für die Kammern ihren Teil zum Reformprozeß beigetragen. Einen darüber hinausgehenden Handlungsbedarf sieht die F.D.P.-Fraktion höchstens in einer Konkretisierung des Beitragsrechts, ähnlich wie der Kollege Doss das hier gesagt hat. Ich komme zum Schluß. Kümmern wir uns im Interesse der Arbeitslosen lieber um verbesserte Rahmenbedingungen für die Meinen und mittleren Unternehmen in unserem Land. Wenn uns die SPD und Bündnis 90/Die Grünen dabei unterstützen wollen, dann sind sie herzlich aufgefordert. Allerdings sind die Anträge und der Gesetzentwurf dazu nicht geeignet. Deswegen werden sie von uns abgelehnt. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort nun dem Abgeordneten Roll Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätten Worte Gewicht, wie es so oft behauptet wird, bestünde im Mittelstand in Deutschland kein Grund zur Klage; denn es ist schon bemerkenswert, wie oft dieses Wort in diesem Haus benutzt wird. Aber, Herr Kollege Doss, das ist offensichtlich ohne positive Folgen. Zwei Dinge möchte ich voranstellen. Erstens. Noch nie hat es in der Bundesrepublik Deutschland so viele Existenzgründungen gegeben, aber auch noch nie so viele Pleiten. Die Zahl der Insolvenzen wird 1997 im siebten Jahr in Folge auf ein neues Rekordniveau klettern. Ein Anstieg um acht Prozent zum Vorjahr wird erwartet. Der Gipfel ist noch nicht erreicht - so der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Vereine Creditreform. Nun, Herr Kollege Doss, wo wären wir denn ohne Förderung? Was wären denn die Betriebe, die Einrichter, die ohne staatliche Förderung beginnen wollen? Wer besitzt schon beim Start Grundstücke, Gebäude und das entsprechende Bankkonto? Zweite Feststellung. Wenn wir vom Mittelstand reden, habe ich nicht selten den Eindruck, daß wir über völlig unterschiedliche Betriebe reden. Gestern in der Anhörung hat ein Sachverständiger gesagt, er beziffere den Mittelstand mit Betriebsgrößen von zehn bis tausend Beschäftigten. Damit wären aber alle 500 000 mittelständige Unternehmen und freiberufliche Existenzen in Ostdeutschland, die im Schnitt sechseinhalb Beschäftigte haben, einfach aus dieser Rubrik herausgestrichen. Das kann nicht unser Anliegen sein. ({0}) Jeder einzelne Existenzgründer verdient Anerkennung und Unterstützung. Nicht wenige der Selbständigen - das muß ich hier auch noch einmal hervorheben - kommen aus zusammengebrochenen Firmen. Sie werden zu Existenzgründern, übernehmen ein hohes persönliches Risiko und sind oft weniger abgesichert als ein sozialversicherter Arbeitnehmer. Die Achillesferse kleiner und mittlerer Unternehmen in Ost und West ist ihr Mangel an Eigenkapital. Auch dieses Problem ist mit der bisherigen Politik nicht gelöst worden. Also ist jeder Vorschlag darauf zu prüfen, wie er dieses Problem lösen hilft. Finanzierung über Fremdkapital hat hierzulande Tradition, es wird ge- und politisch befördert. In der Fördermittelpolitik schlägt sich dies in der ausgeprägten Ausrichtung auf Hilfen durch Kredite und eng zweckgebundene Zuschüsse nieder - mit entsprechender Programmzahl und großem Bewilligungs- und Kontrollaufwand. Die PDS meint, eine Reform der Förderung mittelständischer Unternehmen muß an den letztlich ausschlaggebenden Defiziten ansetzen, Instrumente und Mechanismen der Förderung ändern und damit zu einer anderen Struktur der Förderpolitik kommen. Es erscheint uns deshalb sinnvoll, staatliche Förderung auf Stärkung des Eigenkapitals auszurichten, Finanzierung per Fremdkapital dorthin zu verweisen, wo sie sowieso stattfindet: über die Kreditinstitute. Mit Eigenkapital können Unternehmer entsprechend konkreten Situationen selbstbestimmt und damit auch selbstverantwortlich wirtschaften, je nach Gegebenheit, egal, ob es um Forschung, Produktion, Inlands- oder Auslandsabsatz geht. Diese staatliche Förderung - das will ich deutlich hervorheben - hat nichts mit Planwirtschaft, Bürokratie, Subventionsmentalität und schon gar nichts mit Sozialismus zu tun. All diese beliebten Schlagworte ziehen zumindest nach unserer Einschätzung bei einem Modell nicht, welches wir - da bin ich guter Hoffnung - noch im Juni als Antrag einreichen werden. Sie werden also, liebe Kolleginnen und Kollegen, sofern Sie sich Zeit nehmen oder Zeit haben, während der Sommerpause Gelegenheit haben, sich damit zu beschäftigen. Vielleicht gehen dann die Erkenntnisprozesse etwas schneller als bei unserem Kollegen Westerwelle, der gestern über alle ihm möglich zu erreichenden Radiokanäle eine Finanzierungsquelle, eine Ölquelle, erschlossen hat, über die die PDS nachweislich seit 21 Monaten in diesem Hause spricht. ({1}) Angesichts der Meldungen, die gestern so sehr zahlreich erschienen sind, fällt mir zu Herrn Westerwelle wirklich nur ein Lied der „Prinzen" ein: „Es ist alles nur geklaut" . ({2}) Kurz etwas zu den Anträgen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen. Liebe Kollegin Fuchs, ich unterstreiche die darin getroffenen Feststellungen insbesondere im Antrag betreffend neue Ausrichtungen und Konzentration der Fördermittel. Ich unterstreiche die Feststellungen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung, zu den Herausforderungen, vor denen der Mittelstand steht, wie auch zu den Problemen der bisherigen Mittelstandsförderung Wort für Wort, Satz für Satz. Aber die Konsequenz daraus, die Forderungen, halte ich für nicht ausreichend. Vielleicht könnte ich auch sagen: Noch nicht; denn wir können im Ausschuß ja noch darüber diskutieren. Sie fordern eine neue Behörde, auch wenn diese ausdrücklich ein Dienstleistungsunternehmen sein soll. Mir fehlen Vorschläge, wo denn nun im Fördermitteldschungel die Axt angelegt werden soll, wo konkret Kompetenzen und damit andere Behörden zugunsten der verlangten Mittelstandsagentur beschnitten werden sollen - sieht man einmal ab von der Unterabteilung des BMWi; gemeint sind wohl die verschiedenen Referate der Abteilung II. Jedes bestehende Fördermittelprogramm ist für sich genommen durchaus sinnvoll. Diese Programme sind zu keiner Zeit zur Beschäftigungssicherung von Beamten und Staatsangestellten entstanden, sondern aus nachvollziehbaren wirtschaftspolitischen Erfordernissen. Auch die damit entstandenen Entscheidungs-, Verwaltungs- und Kontrollstrukturen sind insofern legitim. Dennoch stehen wir vor einer von der SPD absolut zutreffend beschriebenen Krise der bisherigen Wirtschaftsförderung. Diesem Dilemma aber nur mit einem strukturellen Änderungsvorschlag abhelfen zu wollen, würde zu kurz greifen. Am Ende stünde lediglich eine neue, zusätzlich zu finanzierende Struktureinheit neben dem Bestehenden. Wenn man das Chaos - als das stellt sich die Wirtschaftsförderung für den hilfesuchenden Mittelständler dar - aber nur besser, effizienter verwalten will, so bleiben unter dem Strich vielleicht besser abfließende, aber absolut weniger Mittel für die Wirtschaftsförderung im Mittelstandsbereich, weil deren Verwaltung auch wieder Geld kostet. Dieselbe Krux sehe ich auch bei den Vorstellungen der SPD zur außenwirtschaftlichen Stärkung des Mittelstandes. Eine deutsche Exportconsult GmbH kann in dem Moment höchst wirkungsvoll sein, wenn bei ihr Kompetenzen und damit Mittel tatsächlich konzentriert und gebündelt werden. Da aber im Moment noch konkrete Aussagen fehlen, von wo die Mittel zugunsten dieser GmbH abgezogen werden sollen, fürchte ich, daß auch auf diesem Gebiet zu schlechter Letzt nicht unbedingt größere Effizienz, sondern noch mehr Gegeneinander und Durcheinander staatlicher Aktivitäten entstünden. Ich bin auch auf die Diskussion im Ausschuß gespannt. Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Privatisierung der Industrie- und Handelskammern lehnt die PDS ab. Statt die Kammern zerschlagen zu wollen, sollten wir sie viel mehr als bisher einfach beim Wort nehmen. Der Beitrag der IHK zum Beispiel im Berufsausbildungssystem ist allseits anerkannt und wird von ihnen selbst überall betont. Wir haben einerseits mit einer enormen Lehrstellenmisere zu tun. Es fehlt auf diesem Feld zunehmend jede Solidarität innerhalb der Wirtschaft. Kleine und mittelständische Unternehmen bilden vorrangig aus. Immer mehr große Unternehmen ziehen sich hingegen zurück und übernehmen Ausgebildete einfach von anderen Unternehmen. Andererseits sind kleine, ausbildende Unternehmen mit teilweise hohen Gebühren im Kammerbereich konfrontiert: für Eintragungen in die Ausbildungsrolle, für Prüfungen. Warum sollten diese Kosten - diese Kostenentscheidung liegt allein bei den Kammern - künftig nicht auch über die Pflichtbeiträge differenzierter beglichen werden als heute? So würden wir dieses selbstverwaltete Organ der Wirtschaft stärken, statt es auch formell zu einer Ansammlung loser Lobbyvereine zu degradieren, von denen es im Bereich der Wirtschaft inzwischen ausreichend gibt. Danke schön. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Für die Bundesregierung gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es erfreulich, daß ich nach dem bisherigen Verlauf der Debatte zu einer wichtigen Grundsatzfrage keine Überzeugungsarbeit mehr leisten muß. Die Bedeutung des Mittelstandes für Beschäftigung, Ausbildung, Innovation hat sich in Deutschland offenbar herumgesprochen. Herr Kutzmutz, Mittelstand beginnt für mich nicht erst bei zehn Beschäftigten. Im Gegenteil: Auch der allein tätige Handwerker oder Freiberufler, Dienstleister ist für mich bereits Mittelstand. ({0}) Wir alle wissen auch, daß kleine und mittlere Unternehmen der Beschäftigungsmotor unserer Volkswirtschaft sind. Ich will die Zahlen gerne noch einmal nennen: In Zeiten massiven Arbeitsplatzabbaus in der Großindustrie hat der deutsche Mittelstand über zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Der Mittelstand ist, wohl ebenfalls unbestritten, auch zukünftig der Hoffnungsträger für mehr Beschäftigung in diesem Land. Erfreulich ist, daß wir allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz in jüngster Zeit wieder einen verstärkten Trend zur Selbständigkeit verzeichnen können. Nachdem die Selbständigenquote 1982 mit 6,9 Prozent einen Tiefpunkt erreicht hatte, haben wir heute in den alten Bundesländern immerhin wieder 8,8 Prozent erreicht. In den neuen Ländern ist die Selbständigenquote in acht Jahren von nahezu null auf beachtliche 7,6 Prozent emporgeschnellt. Das heißt, dort haben inzwischen rund 500 000 engagierte Menschen den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Das ist erfreulich, sehr erfreulich sogar, aber es reicht noch nicht. Deswegen müssen wir weiter unverstärkt auf den Mittelstand setzen, wenn wir das drückende Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen wollen. Wir müssen Menschen mit Mut und Initiative den Weg zu einer selbständigen Existenz erleichtern, indem wir ihnen die Hindernisse aus dem Weg räumen, die sie oftmals noch abschrecken. Frau Fuchs, Sie haben gesagt, Ihre Anträge sollen Teil eines Gesamtkonzeptes für den Mittelstand, für mehr Selbständigkeit sein. Lassen Sie uns also einmal gemeinsam nachsehen, welche Steine dem Mittelstand und einer höheren Selbständigkeit im Wege liegen. Dazu will ich zunächst einmal feststellen - das wird mir immer wieder bestätigt -, daß es an finanziellen Hilfen der öffentlichen Hand nicht mangelt. ({1}) Unser Fördersystem mit Eigenkapitalhilfe, mit zinsgünstigen Krediten und mit Bürgschaften, ergänzt durch spezielle Instrumente wie das Beteiligungsprogramm technologieorientierter Unternehmen, bildet ein fast lückenloses Gesamtkonzept. Die Kehrseite der Medaille ist sicherlich die Vielzahl der Programme, die durch die Vielzahl der Träger noch potenziert wird. Die Unübersichtlichkeit - ich bestreite das gar nicht - schadet zweifellos der Effektivität der Förderung. Sie wissen, es gibt hier einen Auftrag der Koalition, und es gibt auch eine Arbeitsgruppe unter meinem Vorsitz. Wir sind in Verhandlungen mit den Ländern, die hier eine wichtige Rolle spielen, und die Dinge gehen voran. Ich will aber auf zwei konkrete Maßnahmen hinweisen. Erstens. Was die Übersichtlichkeit angeht, hat der Bundeswirtschaftsminister Dr. Rexrodt den Aufbau einer zentralen Förderdatenbank veranlaßt, die alle bestehenden Fördermöglichkeiten online per Knopfdruck rund um die Uhr abrufbar machen wird. Damit erfüllt der Staat eine wichtige Bringschuld. Zweitens haben wir unser erfolgreiches Eigenkapitalhilfeprogramm in die ERP-Förderung integriert und damit verstetigt. Eine weitergehende Zusammenfassung, möglicherweise sogar Ausgliederung der Förderinstrumente des Bundes hat, wie ich sagen muß, leider nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Ich stehe dennoch - vorbehaltlich Ihrer Aussagen, Frau Skarpelis-Sperk, die Sie gleich machen werden - dem Gedanken, der im übrigen nicht ganz neu ist, grundsätzlich erst einmal aufgeschlossen gegenüber. Aber ich meine, daß wir mit allen Beteiligten noch gründliche Gespräche führen müssen, bevor weitreichende Beschlüsse gefaßt werden. Es würde mich aber als Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung freuen, wenn sich die Opposition in dieser für den Mittelstand so wichtigen Frage mit konkreten, umsetzbaren Vorschlägen an der Diskussion beteiligt. ({2}) Eines ist klar: Ganz egal, wie die bestehenden öffentlichen Hilfen organisatorisch oder institutionell einen Rahmen finden: Wir werden zukünftig auf einen besser funktionsfähigen privaten Risikokapitalmarkt nicht verzichten können. Bei der Stärkung des Risikokapitals hat die Bundesregierung bereits einiges an Vorschlägen auf den Weg gebracht, die jetzt zügig umgesetzt werden sollen. Ich nenne die Schaffung von Börsen für Beteiligungskapital, was den Mittelstand anbelangt, die Informationsbörse für Unternehmensbeteiligungen unterhalb der Schwelle der organisierten Kapitalmärkte, die stärkere Einbeziehung der institutionellen Anleger in die Risikokapitalversorgung gerade auch des Mittelstandes und den Abbau der steuerlichen Bevorzugung von Fremdkapital gegenüber Eigenkapital. Diese Maßnahmen, die ich genannt habe, stärken die Handlungsfähigkeit des Mittelstandes. Sie sind aus meiner Sicht auch auf dem außerwirtschaftlichen Gebiet wirksam. Wenn wir dies tun, werden wir auf das von der SPD vorgeschlagene neue gemeinsame Finanzierungsinstrument von Bund und Ländern im außerwirtschaftlichen Bereich verzichten können. Ich wollte über Steine reden, die hier auf dem Wege des Mittelstandes liegen und die wir beiseite räumen müssen. Die zweite Hürde, die Gründern und bereits existierenden mittelständischen Unternehmen große Probleme bereitet, ist die Regulierungsdichte und die daran geknüpfte Bürokratie in Deutschland. Auch auf diesem Gebiet hat die Bundesregierung einiges bewegt. Wir haben Planungs- und Genehmigungsverfahren wieder beweglich gemacht. Wir haben Überregulierungen mit erdrückenden Kostenfolgen im Arbeitsrecht beseitigt. Wir haben in der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Grundlage dafür geschaffen, daß bürokratische Belastungen, die gerade für den Mittelstand eine besondere Bürde sind, schon im Vorfeld von Gesetzesvorhaben aufgespürt und bereits im Ansatz vermieden werden. Das alles sind aber nur erste Schritte. Wir brauchen eine breitangelegte Offensive zum Abbau überflüssiger Bürokratie und kostenintensiver überkommener Vorschriften. Das heißt, wir müssen endlich die Fesseln abstreifen, die die Innovations- und Beschäftigungsdynamik in Deutschland hemmen. Der Vorschlag, Frau Kollegin Wolf von Bündnis 90/ Die Grünen, zu einer Reform des Kammerwesens fällt meines Erachtens nur auf den ersten Blick in diese Kategorie Abbau von Bürokratie und Deregulierung. Im Gegenteil, ich glaube, daß Sie unter dem Deckmantel von Deregulierung und Privatisierung ein Einverleiben der bisherigen Selbstverwaltung in den Staatsapparat verfolgen. Frage an Sie, Frau Kollegin Wolf: Glauben Sie denn nicht an Ihr eigenes Konzept - was ich vermute, wenn ich § 2 Abs. 4 Ihres Vorschlages lese -, oder zielen Sie etwa von Anfang an auf die Zuweisung von Aufgaben an die Landesbehörden ab? Sie geben Ihrer Initiative das Etikett der Deregulierung. Ich kann nur sagen: Das, was Sie vorschlagen, ist Deregulierung mit Verhütungsmitteln, mithin ein Wolf im Schafspelz. Der Vorschlag, das Kammersystem aufzulösen, ist aber auch aus mittelstandspolitischen Gründen abzulehnen. Die Pflichtmitgliedschaft, die dem einen oder anderen ein Dorn im Auge ist, begünstigt in erster Linie nämlich tatsächlich die kleineren Unternehmen. Sie müssen sich vorstellen, daß bei freiwilligen Zusammenschlüssen, bei Vereinen finanzstarke Mitglieder mit ihrer Austrittsdrohung eine starke Waffe in der Hand hätten. Sie könnten ihre Sonderinteressen ungleich besser durchsetzen, als das im gegenwärtigen Kammersystem der Fall ist. Wer also dieses System abschafft, schadet damit vor allem den kleineren, finanzschwächeren Unternehmen. Nicht ohne Grund haben auch die Länder Ende letzten Jahres den Status der Industrie- und Handelskammern als Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft noch einmal nachdrücklich bestätigt. Es ist aber richtig - das will ich hier durchaus sagen -, daß natürlich die Kammern ihre interne Organisation effizienter, dienstleistungsorientierter anpassen müssen. Den Kammern muß klar sein, daß sie nur mit mehr Effektivität und Transparenz die ihrer Arbeit verlorengegangene Akzeptanz bei ihren Pflichtmitgliedern wiedergewinnen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß meiner Ausführungen den Blick noch auf ein Thema richten, das die bisherige Debatte noch nicht angesprochen hat und das vielleicht nicht unmittelbar auf der Hand liegt, wenn wir hier über bessere Bedingungen für den Mittelstand und mehr Selbständigkeit in Deutschland reden. Ich meine damit, daß der Grundstein für den beruflichen Werdegang eines jungen Menschen bereits sehr früh gelegt wird. Die Jugendlichen orientieren sich in der Regel an dem, was ihnen vorgelegt wird. Viele strömen in den Lehrberuf oder treten in die Fußstapfen ihrer Eltern. Wer aber nicht zufällig aus einer Unternehmerfamilie stammt, kommt dann meist gar nicht auf die Idee, daß auch und gerade berufliche Selbständigkeit eine vielversprechende Perspektive bietet. ({3}) Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß eine Kultur der Selbständigkeit deshalb sozusagen auch eine Bildungs- und Wissenschaftskultur der Selbständigkeit braucht. Wir müssen die Jugendlichen schon in der Schule mit den Chancen und auch mit den Risiken unternehmerischer Tätigkeit vertraut machen. ({4}) Ich habe deshalb vor kurzem die Schirmherrschaft des Projektes „Junior" des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Köln, übernommen, das mit beachtlichem Erfolg dieses Anliegen in mehreren Bundesländern verfolgt, und ich kann Ihnen nur empfehlen, sich diese Initiative einmal selbst anzusehen. Aber auch die Hochschulausbildung ist meines Erachtens zu sehr auf abhängige Beschäftigung ausgelegt. Wir sollten an unseren Universitäten nicht nur Nachwuchs für den öffentlichen Dienst ausbilden. Es sind immer noch 40 Prozent der Hochschulabgänger, die in den öffentlichen Dienst streben. Wir sollten nicht nur Jungmanager für Siemens und die Deutsche Bank ausbilden, sondern auch gezielte Bildungsangebote für den Nachwuchs im Mittelstand schaffen. Als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung habe ich hierbei die Inititative ergriffen und im Kontakt mit Universitäten in den alten und neuen Bundesländern die Thematik von Lehrstühlen für Existenzgründer besprochen. Das Interesse der Wissenschaft ist übrigens in diesem Zusammenhang sehr groß.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Bitte sehr!

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie können Sie einem jungen Menschen heute empfehlen, sich selbständig zu machen, beispielsweise im mittelständischen Bauhandwerk oder Baugewerbe, wenn die Bundesregierung gleichzeitig durch die Richtlinie des Bauministeriums dafür sorgt, daß zunehmend Bauaufgaben der öffentlichen Hand nicht mehr an mittelständische Betriebe, sondern an General-, ja sogar Totalübernehmer übertragen werden, die dann selbst gar nichts mehr leisten, sondern mit Sub- und Subsubunternehmern, das heißt mit bis aufs Blut ausgepreßten mittelständischen Betrieben, die dann massenhaft pleite gehen, die Arbeiten ausführen? Das heißt, hier geben Sie schöne Worte, aber die Praxis Ihrer Regierung sieht doch völlig anders aus. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Conradi, ich will mit zwei Bemerkungen auf Ihre Frage antworten. Erstens. Was die Selbständigkeit anbelangt, habe ich ja nicht ausschließlich gezielt dafür geworben, in den Baubereich zu gehen. Es verhält sich ja offensichtlich so, daß sich in Deutschland im Saldo nach wie vor immer noch sehr viele Leute selbständig machen. Es gab im letzten Jahr - einem schwierigen Jahr, zugegeben - einen Saldo von 80 000 neuen Unternehmen, die in der Bundesrepublik gegründet worden sind, selbst wenn man Konkurse und Liquidationen abrechnet. Ich denke, das spricht für sich. Ich will Ihre zweite konkrete Bemerkung aufnehmen. Ich sehe das genauso wie Sie. Ich habe deswegen bei den Neubauten für das BundeswirtschaftsmiParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb nisterium in Berlin eine Initiative gestartet, die das Ziel hat, mittelständische Bietergemeinschaften besser zum Zuge kommen zu lassen. Ich freue mich, Ihnen sagen zu können - ich lade Sie zu einer in Kürze anstehenden Feier ein -, daß eine mittelständische Bietergemeinschaft die Ausschreibung für ein durchaus nicht unbeachtliches Projekt gewonnen hat. Wir werden das, was hier geschieht - daran knüpfen sich ja eine Reihe von Fragen -, sehr aufmerksam auswerten, und vielleicht ergibt sich daraus eine Initiative, die bewirken könnte, daß Sie in Zukunft nicht mehr solche Bedenken haben müssen, die Sie mit Ihrer Frage aufgeworfen haben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das Thema von Lehrstühlen für Existenzgründer angesprochen. Ich freue mich, Ihnen heute von dieser Stelle aus sagen zu können, daß in Kürze der erste Stiftungslehrstuhl für Existenzgründer an der European Business School in Reichartshausen im Rheingau eingerichtet werden kann. Ich bin zuversichtlich, daß bereits zum kommenden Wintersemester der Lehrbetrieb aufgenommen werden wird. Das soll aber nur der Startschuß sein. Ich hoffe, daß wir mit mehr Lehrstühlen für Existenzgründer und Mittelstand nicht nur den Startschuß für ein neues Fach in der wissenschaftlichen Ausbildung geben, sondern auch eine Gründungswelle durch gut ausgebildete und motivierte Existenzgründer auslösen. Ich lade auch hier alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft in Bund und Ländern ein, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Das ist in der Mittelstandspolitik wirklich erforderlich, aber auch lohnend, um dem Mittelstand der Zukunft in unserer Wirtschaft und Gesellschaft den Weg zu ebnen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Dr. Sigrid SkarpelisSperk.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 50 Jahren hat der amerikanische Außenminister jene denkwürdige Rede an der Harvard-Universität gehalten und den später nach ihm benannten Marshallplan angekündigt, der die größte wirtschaftliche Erfolgsstory des 20. Jahrhunderts anstoßen sollte. Er war nicht nur der Funke, der dem kriegszerstörten Europa Hoffnung gebracht hat, wo keine mehr war, sondern er bildete die Grundlage für ein Vierteljahrhundert von beispiellosem Aufschwung, Prosperität und Vollbeschäftigung der europäischen Industrienationen. Die USA spornten die europäischen Nationen an, ja, haben sie unter Druck gesetzt, in eine enge wirtschaftliche Kooperation zu treten und einen gemeinsamen Markt mit dem Ziel einer politischen Union anzustreben. Für diese großzügige Haltung gegenüber Opfern und Besiegten, für die Weitsicht, den Willen und die Tatkraft, dies alles innenpolitisch und außenpolitisch durchzusetzen, verdienen Regierung, Kongreß und Volk der Vereinigten Staaten auch 50 Jahre danach Dankbarkeit und Respekt. ({0}) Wer heute eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit mit einer fortschreitenden Harmonisierung der Normen, Standards, Gesetze und Verhaltensweisen zwischen den Nationen als Illusion betrachtet, weil angeblich Staaten als Gegner im Wettbewerb der Nationen gegeneinanderstünden, der hat diese Weitsicht nicht, und dem sei das Studium des Marshallplans, Herr Kollege Friedhoff, als eines schlagenden Gegenbeweises empfohlen. ({1}) Der Marshallplan hat aber nicht nur in Deutschland und Europa Prosperität gebracht; er hat in Deutschland nach der Phase des unmittelbaren Wiederaufbaus auch indirekt ein Instrument geschaffen, das eines der wichtigsten Förderinstrumente für die kleinen und mittleren Unternehmen werden sollte und auch noch heute ist und über dessen Fortentwicklung wir heute reden und für dessen Neuorganisation zugunsten des Mittelstandes wir einen Vorschlag gemacht haben. Ich meine das ERP-Sondervermögen. Damit haben wir ein flexibles Instrument geschaffen, und dieses Instrument steht heute in einer neuen Bewährungsprobe, einerseits wegen der deutschen Einheit, andererseits aber auch deshalb - um die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzusprechen -, weil die Regierung durch ihre Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht empfindlich gestört hat. ({2}) Damit wir uns recht verstehen: Ein noch so gutes Instrument der Angebotspolitik, das die mittelständische Wirtschaft auf der Kostenseite entlastet, wofür wir sind, hilft dann wenig oder nichts, wenn gleichzeitig dieselbe Politik dafür sorgt, daß die Masseneinkommen stetig zurückgehen, die öffentlichen Investitionen insbesondere im Bau massiv gekürzt werden und die Binnennachfrage stagniert, in manchen Branchen sogar zurückgeht. Da können Sie entlasten, soviel Sie wollen, der Bauindustrie hilft es nichts, wenn sie keine Nachfrage hat. ({3}) Schauen Sie sich die Situation im Einzelhandel, bei den Gaststätten und im Tourismus an. Da können Sie große Reden halten, da können Sie auch alles über verbilligte Kredite lösen wollen - wenn die Auslastungsgrade unter 70 und unter 50 Prozent sinken, dann helfen verbilligte Kredite nichts mehr, dann brauchen wir eine andere makroökonomische Politik. ({4}) Es macht dann keinen Sinn, über diese gesamtwirtschaftlichen Kreislaufstörungen, die Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Regierungspolitik in den letzten Jahren mit verursacht haben und die Sie parlamentarisch abdecken, in einer großen Mittelstandsdebatte Deklarationen abzugeben; denn Ihre Politik ist der Grund für die steigenden Insolvenzen gerade kleiner und mittlerer Betriebe und die steigenden Konkurszahlen im Osten. Diese Ihre Politik ist Gift für die kleinen und mittleren Unternehmen. ({5}) Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen wir eine radikale Umkehr in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie haben ja recht, Herr Doss, wir dürfen nicht über Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik für den Mittelstand reden, sondern diese muß so angelegt sein, daß sie dem Mittelstand das Überleben auch gestattet, und sie darf ihm nicht noch Bleikugeln an die Füße hängen. ({6}) Sonst werden wir mit all unserer Mittelstandsförderung allzu vielen Klein- und Mittelbetrieben nur die Wunden verbinden oder sie bankrott vom Platz tragen können. Da können wir uns über die Fragen der Mittelstandsförderung, über verbilligte Kredite, über konkrete Hilfen in den Unterausschüssen und Ausschüssen des Parlaments noch so einig sein - wenn die Rahmenbedingungen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht stimmen, werden diese Betriebe nicht überleben können, und diese Rahmenbedingungen stimmen derzeit einfach nicht. ({7}) Zu diesem Punkt sage ich aber auch deutlich: In diesem Hause ist gerade in Fragen des Mittelstandes immer das Bemühen spürbar gewesen, konstruktiv aufeinander zuzugehen. Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß wir uns bei allen Streitereien immer bemüht haben, wie wir den Branchen und dabei insbesondere den Kleinen praktisch helfen können. Wenn wir aber in der Vergangenheit ein Instrument gemeinsam entwickelt und übrigens nahezu jedes Jahr einstimmig im Parlament verabschiedet haben - das letzte Mal haben sich nur die Grünen der Stimme enthalten -, heißt das doch nicht, daß dieses Instrument mit einem „Weiter so!" weitere zehn Jahre unverändert vor sich hindümpeln kann. Wir alle wissen, wie wichtig die kleinen und mittleren Unternehmen für unser Land sind, und wir bestätigen uns ja immer wieder, daß sie für die Beschäftigung und für die Ausbildung unverzichtbar und für die Innovation und unsere Wettbewerbsfähigkeit, für die Qualität der Produkte und Dienstleistungen und vor allem für die Aufrechterhaltung der erfolgreichen pluralistischen Wirtschaftsstruktur wichtig sind. Das Bundeskartellamt kann so viel erzählen, wie es will, wenn nicht Wettbewerb von unten kommt, dann bricht unsere pluralistische Wirtschaftsstruktur auseinander. Da sind wir uns doch einig! Aber wenn wir uns ansehen, was wir tatsächlich unternehmen, und wenn wir uns die öffentlichen Haushalte ansehen, stellen wir fest, daß die kleinen und mittleren Unternehmen eher die Stiefkinder der öffentlichen Subventionspolitik sind. Nur 2 bis 4 Prozent der öffentlichen Subventionen - je nachdem, wie wir es rechnen - gehen in diesen Bereich. Und wieder kann ich Ihnen, Herr Kollege Doss, im Grundsatz recht geben, wenn Sie sagen, daß Wirtschaftspolitik zu häufig eine Politik für die großen Unternehmen unter nebensächlicher Berücksichtigung der kleinen und mittleren Unternehmen ist. Es müßte umgekehrt sein. Aber ich darf auch dabei daran erinnern, daß Sie schon eine Weile, nämlich anderthalb Jahrzehnte, im Amt sind. ({8}) Wir sagen Ihnen: Angesichts des Zustands der öffentlichen Finanzen können auch wir als Opposition nicht hingehen - gestern ist das ausführlich diskutiert worden - und die Spendierhosen anziehen. Auch wir als Opposition können nicht milliardenschwere Versprechungen machen. Aber wir müssen uns alle angesichts der Konkurszahlen schon der Mühe unterziehen zu überlegen, wo die Schwächen des Systems liegen, wo wir sie beseitigen können, wo wir die Förderung effektiver machen können, wo wir den kleineren Unternehmen helfen können, sich den neuen Herausforderungen im Zuge des Ausbaus des europäischen Binnenmarktes und der Globalisierung erfolgreich zu stellen. Erstens. Ich kann dem Herrn Staatssekretär nur recht geben und darf daran erinnern, daß nach einem übereinstimmenden Urteil aller Experten die Schwächen im Förderwirrwarr liegen. Allein in Deutschland gibt es über 610 Programme. Den Schuh des Förderwirrwarrs muß sich jedoch nicht der Bund anziehen - er hat die geringsten Förderprogramme -, die meisten haben die Länder und Kommunen. Zusätzlich gibt es 20 EU-Programme. Bei Umfragen hat sich herausgestellt, daß ein erheblicher Teil der kleinen und mittleren Unternehmen - weit über die Hälfte - überhaupt nicht weiß, welche es gibt, für wen sie da sind und wie sie davon profitieren können. Das ist die Realität. ({9}) Zweitens. Wir haben uns bisher auf die Gründungen konzentriert - das ist richtig -, aber dabei stellen wir fest, daß man das Problem der Insolvenzen und der Betriebsstillegungen, die besorgniserregend zunehmen, vernachlässigt hat. Drittens. Bis vor kurzem ist auf das Instrument zur Lösung der Probleme bei Betriebsübergaben - bis zum Jahr 2005 werden es 300 000 Betriebe sein, die einen neuen Chef oder eine neue Chefin suchen - zu wenig Rücksicht genommen worden. Viertens. Eine weitere Schwäche ist die Konzentration auf die Finanzierung der Hardware und die unzureichende Berücksichtigung von Forschung und Entwicklung, Softwarequalifizierung, Marketing, Einkauf und Logistik und die Überbetonung der dinglichen Sicherheit bei Krediten und die geringe Beachtung von Ideen. Auf gut deutsch: Man schaut bei den Banken mehr darauf, wie Opas Grundstück oder Omas Pfandbriefe als Sicherheit aussehen, als darauf, daß die Jungen Ideen, Innovation und Power mitbringen. Das ist auch die Realität. ({10}) Die neuen Herausforderungen für die kleinen und mittleren Unternehmen im Zuge des Ausbaus des Binnenmarkts werden ebenso zuwenig berücksichtigt. Das Schlimmmste ist: Nirgendwo oder nur höchst selten bekommen ein Existenzgründer, ein Unternehmen in akuten Schwierigkeiten, aber auch einer, der phantastische Aussichten, aber im schnellen Wachstum zu wenig Kapital hat, Informationen und Hilfe aus einer Hand und schon gar nicht schnell. Allzu häufig ist Valentins „Buchbinder Wanninger" keine Satire, sondern traurige Realität. Deswegen schlagen wir Ihnen eine Neuorganisation der Mittelstandsförderung mit der Erprobung neuer Instrumente, wie sie in anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, erfolgreich sind, vor. Jetzt habe ich etwas ganz Interessantes festgestellt: ({11}) Wir haben die Gutachten, die die Schwächen feststellen und neue Instrumente vorschlagen, gewürdigt und bearbeitet, und wir haben am 16. November vergangenen Jahres unseren Antrag dem Parlament vorgelegt. Im April 1997 lag uns der zweite Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder unter Vorsitz des Beauftragten der Bundesregierung, unseres geschätzten Kollegen und Parlamentarischen Staatssekretärs Kolb, vor, der im wesentlichen die Instrumente, die wir empfohlen haben, und eine Auswahl von Neuorganisationsmodellen, darunter auch die Mittelstandsagentur - es gab auch andere Neuorganisationsvorschläge - vorgesehen hat. Heute hören wir von Ihnen - ich sage Ihnen das einmal völlig offen -, daß das alles nicht recht ist und daß man darüber noch reden muß. Was wollen wir Sozialdemokraten? Wir wollen für die kleinen und mittleren Unternehmen Informationen und Hilfen aus einem Guß. Wir wollen eine Anlaufstelle für die Beratung von Unternehmen. Wir wollen kein Informationslabyrinth. Wir wollen vielmehr Hilfe und Information aus einer Hand, aus einem Guß: von der Hotline in Krisenfällen, vom „gewußt wer und wo" bis hin zur Vermittlung von Kontakten. ({12}) Das ist Tatsache: Wir wollen keine neuen Institutionen und Bürokratien. Wir wollen vielmehr, daß die Unternehmen nicht von Pontius zu Pilatus rennen müssen, sondern wissen: Unter der Nummer gibt es telefonische Beratung, die sie zu den Stellen schickt, wo sie verläßliche Informationen bekommen können. Wir wollen keine neue Bürokratie! Bevor Sie sagen, das alles ist des Teufels, lassen Sie uns einmal gemeinsam die Small Business Administration in den USA anschauen. Dort wird die Öffentlichkeit informiert; in den USA ist sie und auch bei uns konnte sie der Anwalt des kleinen und mittleren Unternehmens gegenüber der Bundesregierung und dem Parlament sein. Wenn Herr Kolb jetzt beklagt, daß die Bundesregierung in Person von Herrn Töpfer einen Vorschlag macht, der mittelstandsfeindlich ist, dann sage ich: In den USA könnte die Small Business Administration, bevor ein Vorschlag bekannt wird, sagen: Wir haben damit Probleme; wir sind dagegen - bevor die Administration das in Gang setzt. Wir wollen praktische Hilfen und Dienstleistungen für Unternehmen und keine abgehobene Bürokratie in Form des Wirrwarrs von 600 Programmen und mindestens so vielen Ansprechpersonen. ({13}) Ich bin hier angetreten, ohne zu wissen, wie Sie reagieren werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, ich muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Gut. - Also hatte ich zwei Redeabschlüsse vorbereitet. In dem einen dankte ich Herrn Staatssekretär Kolb für die Bereitschaft, auf uns zuzugehen und zu diskutieren.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aus seiner Rede habe ich entnommen, daß er bereit ist, auf uns zuzugehen. Aber den Reden der Kollegen Doss und Friedhoff habe ich entnommen, daß sie gänzlich dagegen sind. Insofern kann ich Ihnen keinen Dank sagen und auch keine Bedingungen für unsere Kooperation nennen. Ich kann nur sagen: In Ihren eigenen Reihen übertreiben Sie es in diesen Tagen mit der neuen Flexibilität. Das führt Sie nicht zur Innovation, sondern nur zur „neuen Unübersichtlichkeit". Danke. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe aufmerksam gelauscht, Frau Kollegin Skarpelis-Sperk. Es war eine pathetische Rede. Viel Neues habe ich ihr nicht entnommen. Im Jahre des 100. Geburtstages Ludwig Erhards ({0}) möchte ich ein Zitat von ihm an den Anfang meiner Rede stellen. Jetzt hören Sie einmal gut zu, weil es für Sie wichtig ist: Der Mittelstand kann materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er ist viel stärker ausgeprägt durch eine Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozeß. Recht hat er. Was hat sich nun seit den Zeiten Erhards bei uns geändert? ({1}) Den Zeitzeugen der 50er Jahre fällt sicherlich die Aufblähung der Verwaltung und die Auftürmung administrativer Mauern in einem Gelände auf, wo nach den Vorstellungen von Erhard Freiheit herrschen sollte. Umfang und Kosten der Lawinen von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die über die Bevölkerung und die Wirtschaft niedergegangen sind, sind in den letzten Jahren wiederholt untersucht worden. Wir haben sicherlich nicht alles, aber wenigstens vieles in großen Teilen geändert. Meine Damen und Herren, heute führen wir eine Debatte über drei Anträge der Opposition, die sich alle mit mittelständischen Problemen beschäftigen. Damit haben wir uns auseinanderzusetzen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Skarpelis-Sperk?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, Sie haben mir freundlicherweise das Stichwort „Auftürmung der Bürokratie", die Ludwig Erhard beklagt habe, gegeben. Könnten Sie mir stichwortartig - gegebenenfalls kann Ihnen Herr Bohl Einflüsterungshilfe geben - mitteilen, wie stark die Bürokratie insbesondere der Bundesregierung in den letzten 15 Jahren ihrer Verantwortung angestiegen ist.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich hier nicht beantworten. Ich kann allerdings sagen, daß wir viele Entbürokratisierungsbemühungen eingebracht haben, die SPD aber leider immer dagegen war, ({0}) wie zum Beispiel beim Planungs- und Genehmigungsvereinfachungsrecht. Hier haben Sie ein Paradebeispiel dafür geliefert, wie man es nicht machen soll. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem bereits Kollege Doss auf die Industrie- und Handelskammerangelegenheit eingegangen ist, kann ich mir hierzu Bemerkungen ersparen. Zum Antrag „Außenwirtschaftliche Stärkung des Mittelstandes" möchte ich nur feststellen: Der Forderung, sowohl die Mittelstandsförderung als auch die Marketingaktivitäten für den Standort effizienter und kundenorientierter zu gestalten, ist zuzustimmen. Dazu brauchen wir allerdings keine Mittelstands- oder sonstigen Agenturen, auch wenn sie noch so modern lackiert sind, da sie letztlich doch nur aus Steuergeldern finanziert werden und zusätzliche Bürokratie erzeugen, Frau Skarpelis-Sperk. Wir sollten daher alle gemeinsam, das heißt: Bund, Länder, Kommunen und die Wirtschaft, überlegen, wie Mittelstandsförderung und Standortmarketing im Rahmen der bestehenden Organisationen verbessert werden können. ({2}) Unser Kollege Uldall hat hierzu eine hervorragende Grundlage erarbeitet, die für uns in nächster Zeit richtungsweisend sein wird. ({3}) Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit dem Antrag Ihrer Fraktion „Für eine zukunftsorientierte, innovative Mittelstandspolitik - Neue Ausrichtung und Konzentration der Förderung" auseinandersetzen. Lassen Sie mich deshalb zunächst auf einen offenen Brief von Mittelständlern eingehen, der kürzlich viele Kollegen von uns erreicht hat. Darin heißt es, daß dem Mittelstand immer nur in Sonntagsreden geschmeichelt wird; das kommt auch heute wieder klar und deutlich zum Ausdruck. Es wird weiter ausgeführt: Wir, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind das Rückgrat der sozialen Marktwirtschaft. Innovativ und leistungsfähig. Immer bereit, mehr zu tun als die Großkonzerne. Wir wissen alle, daß jeder Mittelständler mit seinem ganzen Hab und Gut haftet, daß er nicht den Hut in den Ring schmeißen kann, wenn es betrieblich daneben geht, sondern daß er dann pleite ist und deshalb auch ein ganz anderes Beziehungsgeflecht zu seinem Betrieb hat. Das gilt es herauszustellen und besonders zu würdigen. ({4}) Ich meine, daß gerade der Mittelstand viele Arbeitsplätze geschaffen hat. Immerhin beschäftigen allein die kleinen Betriebe rund 23,5 Millionen Menschen. Die Großunternehmen stellen - ich möchte das Wort „noch" in Klammern setzen - 4,2 Millionen Jobs. Doch es werden immer weniger. Zu Recht heißt es in dem Brief weiter, auf das Konto des Mittelstandes gingen über drei Viertel aller seit 1997 neu geschaffenen über 3 Millionen Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, unser Bundespräsident Roman Herzog wurde bereits von den Vorrednern zitiert. Ich meine schon, hier sagen zu dürfen und sagen zu müssen: Wie recht hat er doch, wenn er in seiErnst Hinsken ner großen Berliner Rede laut fordert, daß ein Ruck durch unser Land gehen muß. Wie recht hat er, wenn er darauf verweist, daß wir das Jammern aufhören sollen und anpacken müssen. ({5}) Wie recht hat er, wenn er fordert, sich an der Aufbaugeneration ein Beispiel zu nehmen. ({6}) Wie recht hat er, wenn er darauf hinweist, daß die Lohnnebenkosten zu hoch sind. Wie recht hat er, wenn er die Frage stellt, wann Arbeitgeber und Gewerkschaften endlich die Kraft zu Abschlüssen finden, die Neueinstellungen möglich machen. Wie recht hat er, wenn er sagt, daß uns, statt Subventionen mutig zu kürzen, immer wieder neue Vorschläge für staatliche Leistungen einfallen. Wie recht hat er, wenn er fragt, ob es wirklich ein Naturgesetz sei, daß man in Deutschland bis zu 19 Behörden fragen muß, wenn man einen Produktionsbetrieb errichten will, obwohl dieser neue Arbeitsplätze schafft. Verehrte Frau Kollegin Wolf von den Grünen, hat er recht, oder hat er nicht recht? Wie recht hat er, wenn er sagt, daß Löhne und Sozialhilfeleistungen so weit auseinanderliegen müssen, daß es sich für den einzelnen auch lohnt zu arbeiten. Frau Kollegin Fuchs, das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Lassen Sie uns einen solchen Weg, der von unserem Bundespräsidenten vorgegeben wurde, gemeinsam gehen! ({7}) Ich glaube, er spricht gerade dem Mittelstand voll aus dem Herzen. Vieles, was in den SPD-Anträgen steht, ist - das bestreite ich nicht - mitzutragen. Aber leider klaffen Aussagen und Wirklichkeit weit auseinander. Für uns, die CDU/CSU, gilt, daß die Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerer Betriebe der Wettbewerbsfaktor ist, der Wachstum und Beschäftigung in diesem Land wesentlich beeinflußt. Um das Potential des Mittelstandes in seiner ganzen Breite auszuschöpfen, bedarf es eines erfolgreichen Technologietransfers. Auf Märkten, auf denen immer mehr internationale Wettbewerber konkurrieren, müssen wir den Weg von Erfindungen in marktfähige Produkte durch Orientierungshilfen und konkrete Verbesserungen der Infrastruktur ebnen. Sicher muß auch viel auf betrieblicher Ebene geregelt werden; aber der Bogen über die betrieblichen und institutionellen Aktivitäten wird vor allen Dingen von den politischen Rahmenbedingungen geschlagen. ({8}) Deshalb müssen wir ein innovationsfreundliches Klima schaffen, ({9}) das die Betriebe motiviert, neue Technik einzusetzen, sie weiterzuentwickeln, dadurch Nischen zu besetzen und letztlich den Anstoß für eine umfassende Verbreiterung etwa durch industrielle Wertung zu geben. Dazu gehören in erster Linie niedrige Arbeitskosten, ({10}) wenngleich mir bewußt ist, daß wir in diesem Bereich auch bei größter Anstrengung nicht direkt mit den Staaten Mittel- und Osteuropas konkurrieren können. Unser Industrie- und Sozialstaat Deutschland steht am Scheideweg. Notwendig ist deshalb ein neuer Konsens, der Zukunftsvertrauen und frische Nährlager gibt für die Bewältigung der Herausforderungen, die uns auf dem Weg ins dritte Jahrtausend gestellt sind. Unser Land hat schon einmal bewiesen, daß es fähig ist, solche Probleme zu meistern. Dem Aufstieg der letzten Jahre" und Jahrzehnte muß kein Abstieg folgen, wie viele befürchten. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, die nicht primär auf Kollektivismus und Umverteilung, sondern auf die Kraft, die Verantwortungsfreude und die Leistung des einzelnen setzen, müssen wieder erneuert werden. Wir müssen vor allen Dingen bereit sein, auf den Bürger zuzugehen, um ihm zu vermitteln, daß am Besitzstandsdenken nicht festgehalten werden kann, sondern man bereit sein muß, Reformen aufzugreifen und die Schwerfälligkeit und Erstarrung, die vielfach zu verzeichnen ist, zu beseitigen. Die Kollegen Friedhoff und Doss haben in ihren Reden heute die Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt gestellt. Dies ist richtig, da sie als Damoklesschwert über allem hängt. Deshalb möchte ich an Sie von der Opposition appellieren, mitzuhelfen, die Probleme zu bewältigen, damit Arbeitsplätze geschaffen werden können. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zum Sparpaket. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zu einer Steuerreform, mit der die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes erhöht werden könnte. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zu einer Gesundheitsreform, die zu einer effizienteren Verteilung der knappen Mittel beitragen kann. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zu einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zu allen standortverbessernden und arbeitsplatzsichernden Maßnahmen. Ludwig Erhard, den ich eingangs zitiert habe, hat auch gesagt: Die beste Sozialpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik. - Ich meine, hinzufügen zu müssen: Die beste Politik ist die, die Arbeitsplätze schafft. Diese schafft vor allem der Mittelstand. ({11}) Aber was schafft Arbeit? - Wir können uns ein Beispiel an verschiedenen anderen Nationen nehmen. Einen Königsweg gibt es nicht; aber eines ist doch nicht von der Hand zu weisen:

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, ich muß Sie auf das Ende Ihrer Redezeit aufmerksam machen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- daß gerade dort die Arbeitslosigkeit am niedrigsten ist, wo die Staatsquote am niedrigsten ist, wo das Steuersystem einfach ist, ({0}) wo die Investitionen hinfließen, wo länger gearbeitet wird, wo es vor allen Dingen weniger Bürokratie gibt, als es bei uns der Fall ist. ({1}) Ich glaube, es sind gute Rahmenbedingungen geschaffen worden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, nur einen Satz. - Es gilt, gerade auch an Sie von der Opposition zu appellieren, einen Beitrag zu leisten, damit vor allen Dingen der Mittelstand wieder verstärkt Fuß fassen kann und junge Leute eher bereit sind, selbständige Existenzen zu gründen oder die Betriebe der Eltern zu übernehmen, die momentan noch keinen Nachfolger finden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, zum zweiten Mal.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist unsere Aufgabe, hierbei sind auch Sie gefordert. Ich bitte Sie, mit uns diesen vernünftigen Weg zu gehen, dann ist mir nicht bange, daß der Mittelstand eine Renaissance erleben wird. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Christian Müller.

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach diesen vielen richtungsweisenden Worten vier Punkte auf greif en. Erstens wären noch ein paar Sätze zum Thema Mittelstand und Globalisierung zu sagen. Es gilt wohl als unbestritten, daß der Anteil Deutschlands am Welthandel in den letzten zehn Jahren geschrumpft ist. Dabei sind die deutschen Ausfuhren schwächer als der Welthandel gewachsen. Wichtige Wettbewerber Deutschlands konnten demgegenüber ihren Anteil am Welthandel halten. In diesem Zusammenhang ist die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft von Bedeutung. Wir alle kennen die Zahlen, die hier heute schon mehrfach übereinstimmend genannt wurden. Ich will dieses nicht weiter vertiefen. Verfügbare Analysen besagen aber, daß diese Unternehmen nur unterdurchschnittlich an den Exporten beteiligt sind. Ihre in der Binnenwirtschaft anerkannte Stärke schlägt sich also nur unzureichend in der Außenwirtschaft nieder. Die strategischen Nachteile der mittelständischen Unternehmen für die außenwirtschaftliche Tätigkeit sind folgendermaßen zu beschreiben: Ihre Unternehmensführung ist zumeist auf den Firmenchef konzentriert, ihre Managementkapazitäten und gleichermaßen ihre Organisationspotentiale im Hinblick auf die Aufnahme und Abwicklung von Auslandsengagements sind begrenzt, ihre Finanzierungspotentiale sind unzureichend, und die Kreditwirtschaft verhält sich gegenüber den KMU häufig sehr restriktiv und orientiert sich an den nur begrenzt vorhandenen dinglichen Sicherheiten und nicht am zu erwartenden Auslandsertrag. Risikofähigkeit und Risikobereitschaft dieser Unternehmen spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Herr Kollege Friedhoff, ich finde, daß dies natürlich bei einem Überseeengagement deutlich anders aussieht als bei einem Engagement im Nahbereich, in Polen, Tschechien oder Ungarn. Bei einem Überseeengagement wirken sich besonders die überproportional hohen Transaktionskosten aus. Man kann ja wohl davon ausgehen, daß ein mittelständisches Unternehmen mit einem Jahresumsatz von vielleicht 50 Millionen schätzungsweise 1 Million pro Jahr aufwenden müßte, wenn es in einer asiatischen Großstadt eine eigene Repräsentanz aufbauen wollte. Meine zweite Bemerkung hat mit dem politischen Handlungsbedarf und damit auch mit unserem Antrag zur außenwirtschaftlichen Stärkung des Mittelstandes zu tun. Es liegt nahe, mittlere Unternehmen durch die anteilige Übernahme von Transaktionskosten bei der Markterschließung und Finanzierung zu unterstützen. Dies wird von der Bundesregierung durch das bekannte 3-Säulen-Modell auch getan und soll nicht kritisiert werden. Die Förderung der Teilnahme an Messen im Ausland ist für mittlere Unternehmen unverzichtbar. Instrumente wie Hermes Bürgschaften für Direktinvestitionen werden demgegenüber überwiegend von Großunternehmen benutzt. Insgesamt wird vom Mittelstand festgestellt, daß die Außenwirtschaftskonzepte der Bundesregierung zu sehr an den Interessen der Großindustrie ausgerichtet sind und folglich der sichtbaren Herausforderung für den Mittelstand kaum gerecht werden. Wirtschaftlich starke Bundesländer ergänzen diese Maßnahmen des Bundes im Hinblick auf die Transaktionskosten seit ein paar Jahren und sind dabei, die Grundlagen für eine - nennen wir es so - vierte Säule der Außenwirtschaftspolitik zu legen. Dies ist dann in gewissem Sinne eher ein industriepolitischer Ansatz oder etwas Ähnliches. Denn es wird auf die Förderung von Kooperationen im Auslandsgeschäft gesetzt, um neue Handlungspotentiale infolge von Aufgaben- und Kostenteilung zu erschließen. In diesem Zusammenhang sind die deutschen Industrie- und Handelszentren in Singapur und anderswo sowie umfassende Beratungs- und Serviceleistungen usw. zu erwähnen, wie die von den Ländern geförderten Firmenpools, Verbundprojekte und Brancheninitiativen. Christian Müller ({0}) Alle diese Maßnahmen sind deutlich auf den Mittelstand ausgerichtet. Es liegt aber auf der Hand, daß nur größere und finanzstärkere Bundesländer in der Lage sind, in dieser Hinsicht als Akteure tätig zu sein. Mittelständische Unternehmen in kleinen Bundesländern - dazu gehören in jedem Fall die ostdeutschen Bundesländer - sind in dieser Hinsicht extrem benachteiligt. Unser Antrag will genau dazu beitragen, die vierte Säule der Außenwirtschaftsförderung tragfähiger zu machen. ({1}) Deswegen ist es vielleicht ein bißchen leichtfertig, dies von vornherein abzutun, weil man sich möglicherweise an dem Wort „Exportconsult" stößt. Es geht darum, eine bessere Abstimmung der einzelnen Akteure auf deutscher Seite im Rahmen einer vom Bund und von den Ländern gemeinsam getragenen Aktionsgemeinschaft, von mir aus zuerst für den Asien- und Pazifikraum, zu ermöglichen, die außenwirtschaftliche Infrastruktur in Deutschland zu verbessern, die Präsenz im Ausland auszubauen und das außenwirtschaftliche Instrumentarium zu erweitern, um Komplettlösungen besser anbieten zu können. Die erwähnte zu gründende Aktionsgemeinschaft von Bund und Ländern ermöglicht dann auch die Beteiligung kleinerer Bundesländer, sowohl im Inland als auch im Ausland. Das ist, glaube ich, ziemlich wichtig. Daß der Finanzierungsfonds zur Unterstützung und Förderung von gemeinschaftlichen Projekten und Repräsentanzen in den Zielländern hilfreich sein könnte, sollte auch von Ihnen noch einmal überdacht werden. ({2}) Ich finde nicht, Herr Kollege Friedhoff, daß dies von vornherein etwa die Bewegungsfreiheit einschränkt. Es ist ja letztendlich keine Pflichtinanspruchnahme eines solchen Instruments damit verbunden. Wir laden Sie also ein, mit uns über diesen unserer Meinung nach sehr konstruktiven Ansatz, der bereits die Zustimmung einer ganzen Reihe von Bundesländern findet, zu beraten und ihn gemeinsam auf den Weg zu bringen. ({3}) Allerdings, meine Damen und Herren, wird der Erfolg solcher sinnvollen Unterstützungsmaßnahmen für die Außenwirtschaft nur dann eintreten, wenn die in Frage kommenden Unternehmen einigermaßen fit im marktwirtschaftlichen Konzert sind. Das gilt ganz besonders für Ostdeutschland. Dort gibt es, wie Sie wissen, erheblichen Nachholbedarf. Alle Analysen der jüngeren Zeit belegen, daß Defizite bei Management und Marketing neben denen bei der Produktentwicklung zu den entscheidenden Schwächen der ostdeutschen mittelständischen Unternehmen gehören. Das führt mich drittens zu der sehr dringlichen Forderung an Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, Ihre offenkundige Fehlentscheidung, nämlich die Streichung des Patenschaftsprogramms für ostdeutsche Unternehmen zum 30. Juni dieses Jahres, unbedingt zu korrigieren. Sie begehen hier den folgenschweren Fehler, bedürftigen Ostmittelständlern die notwendige Hilfe zur Selbsthilfe, sehr geehrter Herr Kollege Doss, in allen unternehmensrelevanten Bereichen, wie Marketing, Kostenrechnung, Export usw., zu entziehen. Die 150 im Einsatz befindlichen Paten haben insgesamt 1100 Unternehmen geholfen. Wer von denen hätte sich in dieser Zeit wohl eine Unternehmensberatung leisten können? Das spricht im übrigen auch für Ihre Art von Finanzpolitik, über die wir hier reichlich diskutieren. Lassen Sie mich viertens und letztens mit dem durchaus mittelstandsrelevanten Thema der IHK- Beiträge abschließen. Unser Ziel besteht darin, mit einer vernünftigen, am Ertrag festgemachten Grenze möglichst vielen kleinen Unternehmen die Beitragsfreiheit zu verschaffen. Das sehen Sie offenbar ein bißchen anders. Wir sind auch bereit, das Ergebnis der Studie, die heute schon angesprochen wurde, abzuwarten, obwohl ich meine, bei sieben befragten IHKs ist die Basis dafür etwas mager. Sollte dies aber nicht zu einer vernünftigen Freistellungsgrenze führen, werden auch bei uns die Stimmen vermutlich zahlreicher werden, die eine Pflichtmitgliedschaft in der IHK eher in Frage stellen. Bisher folgen wir jedoch, wie Sie wissen, durchaus dem von Ihnen, Herr Kollege Doss, noch einmal formulierten Leitbild. Wir wollen dann die Ergebnisse abwarten. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/ CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lieber Herr Müller, Sie haben in Ihrer Rede - das ist durchaus erfreulich und begrüßenswert - die Politik der Bundesregierung in der Frage der Außenwirtschaft in einer großen Breite unterstützt. Ich finde, das ist eine großartige Sache. Die Politik kann dann so schlecht nicht sein. Ihre Aussage, daß die Politik der Bundesregierung rational, zuverlässig und zukunftsweisend ist, verdient die herzliche Zustimmung der Opposition. Dafür möchte ich mich bedanken. Sie weisen darauf hin, es handele sich hier um eine Politik weitgehend für die Großindustrie in der Außenwirtschaft. Ich muß Ihnen sagen, daß mich das als These ein bißchen überrascht. Bei der Frage der Auslandsmessen, die Sie angesprochen haben, ist es so, daß wir für 1997 die Ansätze auf 70 Millionen DM erhöht haben. Aber von diesen Mitteln gehen 85 Prozent an kleine und mittlere Unternehmen. Bei den Hermes-Bürgschaften gehen 50 Prozent der Einzeldeckungen an kleine und mittlere Unternehmen. Das ist die Ist-Zahl aus dem Jahre 1995. Wir führen hier ja keine neue Debatte. Schon am 28. Februar des vergangenen Jahres haben wir im Ausschuß einen gemeinsamen Beschluß gefaßt, der eine vorzügliche Grundlage ist, weil er in 18 Punkten festhält, wo wir gemeinsam stehen. Das ist eine gesunde Sache. Ich erwähne weiter die Außenhandelskammern und die Deutschen Häuser, die wir beide stützen und die wir wollen. Auch diese sind Ansätze für den Mittelstand. Die Deutschen Häuser sind Anlaufstellen. Schauen Sie sich an, mit welcher Praxisnähe das Deutsche Haus in Singapur läuft, wie dort beraten wird in der Auseinandersetzung mit Partnern im Gastland. Nicht alle Häuser, die neu entstehen, laufen gleichermaßen gut. Das dortige läuft gut, weil Private dahinter stehen und dafür kämpfen, daß es erfolgreich ist. Eine noch so tüchtige Behörde ist nicht so gut, wie diejenigen es sind, die etwas aus eigenem Interesse durchsetzen. ({0}) Ich habe keine ideologischen Vorbehalte gegen Agenturen - SBA ist eine interessante Konstruktion in den Vereinigten Staaten -, aber sie müssen sich daran messen, ob die Dynamik des Marktes größer oder gemindert wird, ob es schneller oder langsamer wird und ob man mehr Transparenz, mehr Schnelligkeit, mehr Eigenverantwortung bekommt oder ob durch ein Netz von zusätzlicher Verwaltung die Beweglichkeit gemindert wird. Da bin ich bei der Euroconsult nicht restlos glücklich. Bei der Euroconsult gibt es durchaus offene Fragen mit Neugier zu stellen. Sie sprechen davon, daß die Bundesländer mit Herzlichkeit zustimmen. Bei einer Konstruktion, die darauf hinausläuft, daß die Kosten im wesentlichen auf den Bund verlagert werden, ist die Begeisterung der Bundesländer nicht weiter überraschend. Wenn die Bundesländer die ehrenvolle Aufgabe haben, besonders schöne Projekte voranzubringen, ist ihre Begeisterung auch hier verständlich. Ob in der derzeitigen Situation die Verdopplung der Mittel des Bundes in einem Bereich eine besonders kreative Idee ist, mag dahingestellt sein. Das heißt also, ich spreche gar nicht über ideologische Gegensätze, sondern ich spreche über die schlichte Rationalität eines Vorgehens. Wir werden hierüber mit Vergnügen im Ausschuß sprechen, und ich glaube, wir werden dort lichtvolle Argumente konkret austauschen. Die Kernfrage Ihrer Anfrage ist im Grunde, daß die Bundesregierung die Herausforderungen der Globalisierung nicht verstanden habe. Wir wollten die Globalisierung haben, und wir haben sie. Die Verhandlungen der Uruguay-Runde, GATT, World Trade Organization, die Singapur-Konferenz im Dezember des letzten Jahres, dies alles war Globalisierung. Offene Märkte, niedrigere Zölle, keine nichttarifären Hemmnisse, Austausch, Konkurrenz - in dieser Situation haben wir eine Lage, die wir noch nie hatten. Wir haben Hochtechnologieländer, die gleichzeitig Niedriglohnländer sind. Wir sind in der Welt ziemlich am teuersten. Die 95er Zahlen belegen: 45 DM pro Stunde in Deutschland, 35 DM in Japan, 25 DM in den USA. Ich rede gar nicht von Polen mit unter 5 DM bis hin zu Weißrußland mit unter 1 DM. Die können Technik entwickeln. ({1}) Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Das Mirakel ist nicht, daß wir heute Probleme haben, das Mirakel ist, mit welcher Tatkraft und mit welchem Unternehmensgeist der Mittelstand in die Auseinandersetzung geht. Es geht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, um Positionen im Handel, im Austausch, im Export, im Import, in den Investitionen in anderen Ländern. Die großartige Leistung des Mittelstands sollten wir hier besprechen. Wir sollten nicht beklagen, wie schwierig dies alles ist, sondern wir sollten uns an dem freuen, was gelingt, und stolz darauf sein. Nur das ermutigt. ({2}) Was hier entsteht, ist eine Vielfalt von unterschiedlichen Möglichkeiten und Aufgaben. Der Mittelstand hat sich bis jetzt gut geschlagen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, wir hätten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Skarpelis-Sperk.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, sie ist mir höchst willkommen. Ich bin sicher, daß es eine sehr intelligente Zwischenfrage ist.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben gesagt, daß wir uns über den Mittelstand freuen sollen. Das haben wir nun ungefähr eine Stunde lang getan. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß wir hier im Parlament, vor allem wenn es um vorliegende Anträge geht, nicht nur ein „Frohlocket" von einer Wolke zu verkünden haben, sondern auch eine Diskussion über konkrete Vorschläge, wie wir den vorhandenen negativen Entwicklungen, zum Beispiel der Insolvenzentwicklung, begegnen, und über die Fragen, wie wir den mittelständischen Unternehmen über den Berg helfen, wo die Schwächen liegen und wie wir ihnen helfen könnten, führen sollten?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dies ist eine ausgesprochen faszinierende Frage. In meiner Antwort knüpfe ich an das an, was Sie so ausgezeichnet formuliert haben, nämlich daran, daß der Mittelstand ein Stiefkind der Subventionen der Bundesregierung sei. Genau darüber führen wir die Diskussion. Weist sich eine gute Politik dadurch aus, daß sie jemanden mit möglichst viel Subventionen beglückt, oder weist sie sich dadurch aus, daß sie die hervorragenden Voraussetzungen dafür schafft, daß er sich aus eigener Kraft, Tüchtigkeit, Mut und Unternehmungsgeist bewähren kann? Das ist der Unterschied. ({0}) Wenn Sie hier darüber sprechen, was man für den Mittelstand tut, dann betrifft das nicht die Frage der Subventionen. Die Subventionen machen noch nicht einmal 1 Prozent der Wertschöpfung des Mittelstands aus. Das sind ein paar Promille. Der Punkt ist nicht, daß die Subvention die Menschen reicher macht, sondern daß sie Signale gibt, Strukturen verändert und Prioritäten aufzeigt. Außenhandelsinformationen sind im Rahmen unserer Diskussion eines der Instrumente im Sinne von Markttransparenz für diejenigen, die hier auf Grund einer kleineren Betriebsgröße Nachteile haben. Die Frage aber, wie man dies voranbringt, ist eine Frage anderer Qualität. Dazu muß ich sagen: Was wir hier in diesen Jahren tun, ist nicht etwa der Versuch, die Leute mit mehr Geld zu beglücken, sondern der Versuch, in einer offenen Welt Strukturen so zu schaffen, daß der einzelne leisten kann, was er eigentlich will. Dieser Versuch hat das Ziel, daß der Staat Menschen so wenig wie möglich bei der Arbeit stört. Dies ist ein schwieriges und hartes, aber ein richtiges Ziel. ({1}) Wenn Sie jetzt einmal alles durchgehen, stellen Sie fest: Unsere Genehmigungsverfahren sind von außerordentlicher Vollkommenheit. Unsere Beamten - Lester Thurow schreibt es in seinem Buch „Head to Head" - sind die besten Beamten der Welt: hochmotiviert, bestens ausgebildet, diszipliniert, fleißig, treu und unbestechlich. Man hat ihnen aber nicht gesagt, daß Zeit zählt. ({2}) Wir erhalten prima Ergebnisse in Genehmigungen nicht dann, wenn wir sie brauchen. Wir konnten uns dies in den 80er Jahren leisten. Die Risikovermeidungskultur, die wir damals entwickelt haben, war eine prächtige Sache gewesen. Dies können wir uns heute in einem schnelleren und härteren internationalen Wettbewerb nicht mehr leisten. Deshalb straffen wir die Genehmigungsverfahren. Deshalb haben sich Bund und Länder geeinigt. Deshalb werden die Vorschläge der Schlichterkommission umgesetzt. Deshalb haben wir das gemeinsame Ziel, die Dauer der Genehmigungsverfahren zu halbieren. Es ist immer wieder gesagt worden - das ist wahr -: Nicht der Große frißt den Kleinen, sondern der Schnelle den Langsamen. Das ist die Regel. Deshalb setzen wir bei den Genehmigungsverfahren an. Wir könnten genauso über die Deregulierung sprechen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, wir hätten noch eine Zwischenfrage von der Frau Abgeordneten Luft.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stoppen Sie bitte meine Redezeit. Sie läuft so schnell davon. Ich bin noch lange nicht da, wo ich sein wollte. - Bitte, verehrte Frau Kollegin.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrter Herr Kollege Riesenhuber, es könnte ja sein, daß einige Mittelständler, obwohl sie viel beschäftigt sind, jetzt doch unserer Debatte am Rundfunk lauschen. Was sagen Sie ihnen denn bitte dazu - außer solchen Dingen, die Sie eben angeführt haben -, wie sie zum Beispiel mit der schlechten Zahlungsmoral der öffentlichen Hand sowie der privaten Nachfrager umgehen sollen? Denn ein Problem - zumindest in den neuen Bundesländern - ist es auch, daß sehr viele kleine Handwerksbetriebe und Dienstleister mit 25 000 bzw. 30 000 DM Außenständen schon die nächsten Wochen nicht überleben werden. Sie müssen teure Kontokorrentkredite aufnehmen. Ich bitte Sie, daß Sie auf diese Frage, die eine ganz dringliche, wenngleich vielleicht auch eine profane Frage ist, eine Antwort geben.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Profane Fragen sind duchaus zulässig. Zur Sache: Ich halte dies für ein Ärgernis. Wir haben darüber mit Herrn Ludewig diskutiert, als er noch Beauftragter für diese Fragen in den neuen Ländern gewesen ist. Er hat gesagt, daß er alles das, was der Bund hierzu tun kann, tun will. Wenn hier noch weitere Möglichkeiten bestehen: Der Wille ist da. Der Auftraggeber ist aber in den seltensten Fällen der Bund. Das sind oft die Gemeinden. Sprechen Sie einmal mit den Handwerkern! Hier sind die Möglichkeiten des Durchgriffs des Bundes begrenzt. Aber daß wir hier eine andere Moral brauchen, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren; da bin ich Ihrer Meinung. Zur Deregulierung: Die Regelungen beim Kündigungsschutz haben wir ausgeweitet; sie gelten jetzt für Unternehmen mit bis zu zehn und nicht mehr nur bis zu fünf Mitarbeitern. Wir haben das nicht getan, damit Leute entlassen werden können, sondern damit sie eingestellt werden können. Wir haben die Ladenschlußzeiten angegangen. Wir haben in einem heroischen Kraftakt des Deutschen Bundestages das Recht des deutschen Bäckers erkämpft, dann Brötchen zu backen, wenn die Menschen sie essen wollen. ({0}) Der Bürger beißt in seine Sonntagssemmel und freut sich der neugewonnenen Freiheit. Das ist eine neue Dimension von konkreten Möglichkeiten für den Mittelstand. ({1}) Wir schaffen die Substanzsteuern ab, die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer. Warum? Damit der einzelne in Krisen besser überleben kann. Wir gehen an die Fragen heran, die die einzelnen bedrücken. Die große Steuerreform hat ein sehr einfaches Prinzip: niedrige Steuersätze schaffen und Schlupflöcher schließen. Der einzelne soll nicht auskneifen können. Der Steuerertrag wird wahrscheinDr. Heinz Riesenhuber lich per saldo eher steigen als sinken, weil nicht so gekniffen wird. ({2}) Aber die Sache wird rational. Die Großen konzentrieren sich nicht auf die Optimierung globaler Steuerstrategien. Die Mittelständler konzentrieren sich nicht auf die Optimierung von Abschreibungsmodellen. Die einen konzentrieren sich auf Marktstrategien, die anderen auf Produkte. Wir müssen die Leute wieder das tun lassen, was sie wollen: ihre Arbeit mit Zuversicht und Kompetenz tun und nicht die Bürokratien befassen. ({3}) Hier wäre über Meister-BAföG, über Ausbildung, über die Definition neuer Berufe zu reden. Zehn neue Multimediaberufe schaffen wir innerhalb von weniger als zwei Jahren. Alles dies ist Hilfe, nicht Subvention, sondern Struktur. Es wäre zu reden über den Risikokapitalmarkt; der ist noch lange nicht da, wo wir ihn wünschen. ({4}) Aber er entwickelt sich. Es sind in Deutschland 6 Milliarden DM; im Jahr kommt 1 Milliarde DM neu dazu. Wir kommen also voran. Die Struktur stimmt noch nicht. Zukunftstechnologien machen bei uns 10 Prozent aus; in den USA sind es 60 Prozent. Die Struktur ist noch nicht gesund; aber innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich die Zahl der Biotechnologieunternehmen in Deutschland immerhin auf 150 verdoppelt. Die Sparkassen, die Deutsche Bank und andere machen Verträge mit der Fraunhofer-Gesellschaft, mit Wissenschaftlern, um Produkte zu beurteilen. ({5}) Wir schaffen die Strukturen, und der Schwung nimmt zu. Wir sind noch nicht da, wohin wir wollen. Aber wir machen zunehmend eine Politik, die der ganzen Wirtschaft, die dem Mittelstand nützt, weil sie ihn dazu bringt, nicht auf den Staat zu gucken, auf seine Güte, auf die Zuteilung von Präferenzen und milden Zuwendungen, sondern auf den Markt zu schauen, auf die Konkurrenz, darauf, was er leisten kann und was er leisten will. Genau das ist die vernünftige Strategie für einen selbstbewußten Mittelstand. ({6}) Liebe Frau Skarpelis-Sperk, Sie haben in Ihrem Antrag, der viele schöne Sätze enthält, ein Wort, das mir aufgefallen ist: Sie sprechen da von der „Bestandspflege" des Mittelstands. Das erinnert mich ein bißchen an Brutpflege. Ich weiß nicht - ich hoffe, das ist keine sexistische Bemerkung -, ob da ein frauliches Temperament bei Ihnen durchgegangen ist. Aber der Mittelständler will nicht gepflegt werden; er will respektiert werden in seinem Mut, in seiner Standfestigkeit und in seiner Tatkraft. ({7}) Das ist die Grundlage für jede Arbeit. Auf dieser Grundlage bauen wir unsere Politik auf. ({8}) Wenn man nicht das richtige Verständnis von dem, was man tut, und von den Zielen, die man anstrebt, hat, wird es im einzelnen nur schiefgehen können. Ich weiß, daß diese Zeit für alle schwierig ist. Sie ist auch für den Mittelstand sehr schwierig. Aber der Mittelstand wurde im Laufe seiner Geschichte mit großer Regelmäßigkeit totgesagt. Karl Marx hat ihn totgesagt. Karl Marx ist tot; der Mittelstand lebt. Er wandelt sich und bewältigt neue Aufgaben: in Dienstleistungen und in Produkten, in High-Tech, in Low-Tech, in No-Tech, in Innovation, in neuen Arbeitsplätzen. Er ist in der Tat die Kraft, die unsere Wirtschaft vorantreibt. Er ist das Element der Freiheit in der Marktwirtschaft. Dort kann jeder, der möchte, für seine eigene Zukunft auf seine eigene Arbeitskraft setzen. Für ihn wollen wir die Voraussetzungen schaffen. Aber wir wollen ihn nicht gängeln. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Für den Abgeordneten Dr. Riesenhuber müssen wir hier die modernen Technologien einführen und tragbare Mikrofone besorgen. Dann ist es einfacher. ({0}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/ 5754, 13/6097 und 13/6063 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Jetzt kommt ein richtiger Abstimmungsmarathon. Ich möchte Sie um ein bißchen Geduld bitten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 t sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf: 14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. September 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Costa Rica über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7609 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Vizepräsidentin Michaela Geiger b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. August 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7610 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Oktober 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7611-Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. September 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Simbabwe über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7612 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika über die gegenseitige Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7613 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7614 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Januar 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Hongkongs zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7615 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Dezember 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Barbados über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7616 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Honduras über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7617 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. September 1996 zum Abkommen vom 13. Juli 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Argentinien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/7618 -Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Februar 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ghana über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7620 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Februar 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7621- Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. April 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7622 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Vizepräsidentin Michaela Geiger n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 19. März 1991 unterzeichneten Fassung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen - Drucksache 13/7619 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten o) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern - Drucksache 13/7559 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steuerreformgesetzes ({2}) 1998 - Drucksache 13/7775 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({3}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank ({4}) - Drucksache 13/7728 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({5}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Simone Probst, Elisabeth Altmann ({6}), Dr. Manuel Kiper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Keine weitere Beteiligung am Fusionstestreaktor ITER - Drucksache 13/7282 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({7}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union s) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Christoph Matschie, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sanierung des Braunkohlebergbaus in den neuen Bundesländern - Drucksache 13/7529 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({8}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den politischen Neuanfang und den Wiederaufbau in der Demokratischen Republik Kongo unterstützen - die humanitäre Hilfe verstärken - Drucksache 13/7708 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9}) Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß ZP5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({10}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P. 5 Jahre nach der VN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro: Schutz des Tropenwaldes verstärken - Initiativen gegen die Zerstörung der borealen Wälder ergreifen - Drucksache 13/7601- ({11}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({13}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umwelt- und Entwicklungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit global umsetzen - Drucksache 13/7783 - ({14}) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Vizepräsidentin Michaela Geiger c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform des steuerlich geförderten Mietwohnungsbaus - Drucksache 13/7790 - ({16}) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({17}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 o sowie die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 15 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften - Drucksache 13/6629 -({18}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({19}) - Drucksache 13/7694 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Hasenfratz Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 15 b: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1995 zur Änderung des Vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden weiteren Übereinkünften - Drucksache 13/5903 - ({20}) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({21}) - Drucksache 13/7695 Berichterstattung: Abgeordnete Armin Laschet Joachim Tappe Ludger Volmer Dr. Irmgard Schwaetzer Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7695, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 15 c: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überleitung preisgebundenen Wohnraums im Beitrittsgebiet in das allgemeine Miethöherecht ({22}) - Drucksache 13/7251 - ({23}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({24}) - Drucksche 13/7767 - Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Iris Gleicke Der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick, PDS, hat um eine Erklärung zur Abstimmung gebeten.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem für den hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf sowie den Antrag weder in der ersten Lesung am 20. März 1997 noch heute Zeit und Raum für eine Debatte war, möchte ich Ihnen kurz mein Abstimmungsverhalten erläutern. In beiden Drucksachen geht es um mietenpolitische Entscheidungen, die aus dem Auslaufen des Mietenüberleitungsgesetzes resultieren. Davon sind über 5 Millionen ostdeutsche Haushalte betroffen. Mit dem Antrag werden die Erarbeitung eines Mietspiegelgesetzes und Änderungen im Miethöhegesetz, unter anderem die Abschaffung der Umlagemöglichkeit von Modernisierungs- sowie Kapitalkosten, gefordert. Mit dem Gesetzentwurf soll die Bestimmung des Mietenüberleitungsgesetzes, wonach die Neuvertragsmieten in Ostdeutschland höchstens um 15 Prozent erhöht werden dürfen, nicht am 30. Juli 1997 auslaufen, sondern um sechs Monate verlängert werden. Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzentwurfes, weil ich in der Begrenzung der NeuvertragsKlaus-Jürgen Warnick mieten ein wichtiges Instrument zum Schutz von Wohnungssuchenden vor überhöhten Mietforderungen sehe. ({0}) Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzentwurfes, weil es zwar stimmen mag, daß viele Wohnungsunternehmen auf Grund des insgesamt ausreichenden Wohnungsangebotes und der strukturellen Leerstände in zahlreichen Städten und Gemeinden gegenwärtig keine überhöhten Mietforderungen bei Neuverträgen fordern, weil es aber auch Tatsache ist, daß immer wieder versucht wird, vor allem Wohnungssuchende mit Zugangsproblemen - zum Beispiel Alleinerziehende, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderungen und Arbeitslose - schamlos auszunutzen. Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu, weil das Ende dieser Kappungsregelung bei Neuvertragsmieten ein falsches Signal für die schon seit langem angekündigte bundesweite Mietrechtsnovelle wäre. ({1}) Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzentwurfes sowie des Antrages, weil die immer noch bedeutend geringeren Einkommen, die Massenarbeitslosigkeit sowie das Fehlen von Sozialwohnungen spezifische Regelungen in Ostdeutschland rechtfertigen. ({2}) Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu, weil ich die Forderungen des Deutschen Mieterbundes, beschlossen sowohl auf der ostdeutschen Mieterkonferenz am 16. November 1996 als auch auf dem Mietertag in Nürnberg am 23. Mai 1997, für richtig und unterstützenswert halte und weil genau diese Forderungen und Vorschläge im Gesetzentwurf sowie im Antrag der PDS aufgenommen wurden. ({3}) Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzentwurfes sowie des Antrages, weil ich nicht die Möglichkeiten habe, alternativ über andere Anträge bzw. Gesetzentwürfe zu diesen Fragen abstimmen zu können, obwohl in diesem Parlament mehrere Parteien für sich in Anspruch nehmen, die oder eine Partei der Mieter bzw. ein ostdeutscher Interessenvertreter zu sein. Nun kennen Sie mein Abstimmungsverhalten und die Gründe dafür. Ich hoffe, daß auch Sie im Interesse der Wohnungssuchenden sowie der Mieterinnen und Mieter Ostdeutschlands entscheiden und meinem Abstimmungsverhalten folgen. Der Dank der Betroffenen ist Ihnen sicher gewiß. Vielen Dank. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/7767 Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/7251 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Grünen und der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 15 d: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS Ausarbeitung eines Mietspiegelgesetzes sowie damit verbundener Änderungen des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe - Drucksachen 13/7245, 13/7767 Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Iris Gleicke Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7767 Nr. 2, den Antrag auf Drucksache 13/7245 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der SPD bei Enthaltung der Grünen und gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 15 e: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Kommission gemäß Artikel 189b Abs. 8 des EG-Vertrages über den Anwendungsbereich der Mitentscheidung - zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu dem Bericht der Kommission gemäß Artikel 189b Abs. 8 des EG- Vertrages über den Anwendungsbereich der Mitentscheidung - Drucksachen 13/5687 Nr. 2.4, 13/6766 Nr. 1.9, 13/7566 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gero Pfennig Heidemarie Wieczorek-Zeul Christian Sterzing Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7566 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Vizepräsidentin Michaela Geiger des Hauses bei Enthaltung der Stimmen der PDS angenommen. Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt unter den Nrn. 2 a und 2 b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7566, den Bericht der Kommission sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 15 f: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entschließung zum Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über den Binnenmarkt 1995 - Drucksachen 13/6766 Nr. 1.3, 13/7608 -Berichterstattung: Abgeordnete Jelena Hoffmann ({3}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 15 g: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission der Europäischen Union über die Ergebnisse der Bewertung gemäß der Richtlinie des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz - Drucksachen 13/5837 Nr. 1.17, 13/7626 -Berichterstattung: Abgeordneter Rudolf Meyer ({5}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 15 h: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Abkommens zur Festlegung von Bedingungen für den Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Tschechischen Republik, der Republik Polen und der Slowakischen Republik andererseits - Drucksachen 13/7017 Nr. 2.39, 13/7653, 13/7799 - Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkte 15i bis 15 k: i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Liegenschaften im Wert über 30 Mio. DM; Straußberg, Am Herrensee 13-20, 24-28, 3448, Am Marienberg 17-28, 57-62, Am Annatal 21-28, 34-48 - Drucksachen 13/7358, 13/7696 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({8}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Köln, Raderberggürtel ({9}) - Drucksachen 13/7349, 13/7697 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({10}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen US-von SteubenWohnsiedlung in Frankfurt am Main - Drucksachen 13/7356, 13/7698 -Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin Vizepräsidentin Michaela Geiger Wer stimmt für diese drei Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 15 l bis 15 o. Zunächst Tagesordnungspunkt 15 l: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 205 zu Petitionen - Drucksache 13/7664 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 205 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 15 m: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 206 zu Petitionen - Drucksache 13/7665 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 206 ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 15 n: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 207 zu Petitionen - Drucksache 13/7666 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 207 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 15 0: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 209 zu Petitionen - Drucksache 13/7668 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 209 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Wir kommen zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6 c. Zunächst Zusatzpunkt 6 a: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Horst Sielaff, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Berücksichtigung sozialer und ökologischer Mindeststandards in der EU-Bananenverordnung - Drucksachen 13/6625, 13/7571 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Christian Ruck Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 13/7571, den Antrag auf Drucksache 13/6625 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Zusatzpunkt 6 b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({16}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({17}), Dr. Norbert Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P. Elefanten erhalten - neue Lebensräume erschließen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller ({18}), Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Elefanten schützen und Verbot des Elfenbeinhandels aufrechterhalten - Drucksachen 13/7654, 13/7254, 13/7818 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Mehl Birgit Homburger Wir stimmen zunächst über Drucksache 13/7818 Nr. 1 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7654 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der Stimmen der SPD angenommen. Nun stimmen wir über Drucksache 13/7818 Nr. 2 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7254 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Geänderter Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ({1}) - Drucksachen 13/7017 Nr. 3.1, 13/7819- Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Marliese Dobberthien Ilse Falk Rita Grießhaber Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Heidemarie Lüth Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5h auf: Weitere Beratungen mit Aussprache a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotentiale ({2}) - Drucksache 13/7389 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({3}) Verteidigungsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({4}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Erhöhung der Mittel für zivile Minenräumung - Drucksache 13/5857 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({5}) Verteidigungsausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Fortsetzung der konventionellen Abrüstung in Europa - Drucksachen 13/3987, 13/6163 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Gert Weisskirchen ({7}) Ludger Volmer d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis ({9}) - Drucksachen 13/4450, 13/6482 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis ({11}) - Drucksachen 13/4580, 13/4450, 13/6483 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({12}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis ({13}) - Drucksachen 13/4557, 13/4450, 13/6484 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Eine Welt ohne Atomwaffen - Drucksachen 13/5987, 13/6871 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Karsten D. Voigt ({15}) Dr. Olaf Feldmann Vizepräsidentin Michaela Geiger h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen - Drucksachen 13/6383, 13/7003 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Karsten D. Voigt ({17}) Dr. Olaf Feldmann Zum Jahresabrüstungsbericht 1996 liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Jahresabrüstungsbericht fällt mitten in einen Prozeß historischer Weichenstellungen für eine neue Sicherheitsordnung in Europa. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind dafür absolut unersetzliche Bausteine. In den letzten zehn Jahren sind die militärischen Ausgaben um ein Fünftel gesunken - noch immer nicht genug, aber immerhin -, und die meisten Länder reduzieren weiter. Niemand kann die Augen davor verschließen, daß uns das Wettrüsten des kalten Krieges riesige Waffenarsenale hinterlassen hat. Allein die USA und Rußland haben noch immer 70 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe und mehr als 30 000 nukleare Sprengköpfe, übrigens mehr als auf dem Höhepunkt der Kubakrise. Nichts von diesem todbringenden Material darf in falsche Hände geraten. In unserer Welt darf es für solche gigantischen Arsenale keinen Platz mehr geben. ({0}) Auch vor diesem Hintergrund hat die Grundakte zwischen der NATO und Rußland, die wir vergangene Woche in Paris unterzeichnet haben, größte Bedeutung, ebenso das paraphierte Übereinkommen mit der Ukraine, wobei die Aussagen zur Rüstungskontrolle Kernelemente sind. Mit dieser Grundakte ist es gelungen, Rußland, das größte Land der Erde, in einer wirklichen Sicherheitspartnerschaft mit der NATO zu verbinden, und die Richtschnur heißt jetzt Vertrauen und Kooperation und nicht mehr Gleichgewicht von Drohpotentialen. Die Bundesregierung - ich glaube, das kann man wirklich so sagen - hat entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen. Ich darf auch noch einmal auf meinen eigenen Vorschlag einer Charta vom März 1995 verweisen, die die Beziehungen zwischen der NATO und Rußland auf eine neue Grundlage stellen sollte und inzwischen gestellt hat. Präsident Jelzin hat in Paris zugesagt, daß künftig keine einzige russische Nuklearrakete mehr auf die 16 NATO-Mitgliedstaaten gerichtet ist. Das ist ein willkommenes und gutes Signal zur rechten Zeit, nachdem die NATO von sich aus erklärt hat, keine Nuklearwaffen auf dem Territorium neuer Bündnismitglieder stationieren zu wollen. ({1}) Die Beschlüsse des kommenden NATO-Gipfels am 8./9. Juli in Madrid zur inneren Reform des Bündnisses, zur Öffnung für neue Mitglieder und für stärkere Beziehungen mit allen Partnerstaaten werden uns einer neuen Sicherheitsordnung in einem geeinten, freien und demokratischen Europa näherbringen. Die Entwicklung zeigt: Unsere Grundsatzentscheidung, Abrüstung und Rüstungskontrolle auch nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes hohe Priorität beizumessen, war und bleibt richtig. Ohne sie hätte es diese historischen Veränderungen mit absoluter Sicherheit eben nicht gegeben. ({2}) Abrüstung ist und bleibt ein zentrales Thema deutscher Außenpolitik, und deshalb ist es so wichtig, daß diese Politik von einem breiten Konsens hier im Haus getragen wird. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß sich die Ergebnisse gerade auch unserer eigenen Politik sehen lassen können. Die erfolgreich abgeschlossene Konferenz zur Überprüfung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa, KSE, der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, das Chemiewaffenübereinkommen vom 29. April dieses Jahres, das revidierte Minenprotokoll im Rahmen der UN-Waffenkonvention sowie die erfolgreich abgeschlossenen Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Konfliktparteien im früheren Jugoslawien - überall haben wir entscheidend dazu beigetragen, daß es dazu gekommen ist. Das können wir mit einem gewissen Stolz sagen. Insbesondere der KSE-Vertrag hat sich als eine feste Größe etabliert. Seit 1990 sind über 50000 schwere Waffensysteme aus Europa verschwunden. ({3}) Aber brauchen wir wirklich die hohen Obergrenzen, die der Vertrag immer noch enthält? ({4}) Wir haben mit unseren NATO-Partnern vorgeschlagen, daß künftig ein engmaschiges Netz von territorialen und nationalen Obergrenzen jede destabilisierende Streitkräftekonzentration im KSE-Gebiet verhindert. Rußland hat auch weiterhin keine konventionelle Überlegenheit der NATO zu befürchten. Wir brauchen jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem zweierlei: energische weitere Einschnitte bei den überdimensionierten Waffenbeständen und die tatsächliche Erfüllung von Abrüstungszusagen. ({5}) Die nuklearen Sprengköpfe aus abgerüsteten Waffen müssen unter gegenseitiger Kontrolle beseitigt werden. Ich begrüße ausdrücklich die amerikanisch- russische Übereinkunft, über einen START-III-Vertrag Gespräche aufzunehmen. Dazu muß nun aber endlich der vor über vier Jahren gezeichnete STARTII-Vertrag in Kraft treten. ({6}) Auch hierfür hat die Erklärung von Präsident Jelzin große Bedeutung. Wenn Rußland zusagt, keine Atomraketen mehr auf die 16 NATO-Staaten zu richten, dann hat eigentlich die russische Duma keinen Grund, die Ratifizierung von START II weiterhin zu blockieren, ({7}) und wir erwarten, daß Präsident Jelzin sich in diesem Sinne durchsetzt. Nicht weniger wichtig ist die Umsetzung der einseitigen Erklärung Präsident Jelzins vom Januar 1992, wesentliche Teile der taktischen nuklearen Sprengköpfe Rußlands auszumustern und sie auch weitgehend zu vernichten. Ebenso bedeutsam sind die vereinbarten russischamerikanischen Gespräche über taktische Nuklearwaffen. Schon 1993 habe ich einen zuverlässigen Informationsaustausch über Bestände an Nuklearwaffen und militärischem Spaltmaterial vorgeschlagen. Jetzt, nachdem die Grundakte völlig neue Kooperationsmöglichkeiten zwischen NATO und Rußland geschaffen hat, muß erst recht gelten: Mehr Transparenz bedeutet zwangsläufig auch mehr Sicherheit für alle. ({8}) Der jetzt eingesetzte Ständige Gemeinsame Rat zwischen NATO und Rußland sollte rasch, konkret und offen über all diese Fragen sprechen. Über 140 Staaten, allen voran die fünf Atommächte, haben sich im August 1996 verpflichtet, künftig keine Atomtests mehr durchzuführen. Nun müssen auch die an Bord, die noch nicht gezeichnet haben. Das ist ganz wesentlich. ({9}) Auch über ein Verbot der Produktion von militärischem Spaltmaterial für Waffenzwecke - „cut-off" - muß endlich verhandelt werden. Deutschland wird auch da, wie bisher schon, weiter drängen. ({10}) Mit dem Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen wird die gesamte Kategorie chemischer Waffen international geächtet. Die neue Verifikationsbehörde in Den Haag für Überwachung und Inspektion verdient und erhält unsere volle Unterstützung. Zu einem Punkt, der uns, wie ich weiß, gemeinsam interessiert und bei dem ich in besonderer Weise für die bisherige Unterstützung des Deutschen Bundestages - und zwar aller seiner Fraktionen - sehr dankbar bin. Das Minenprotokoll zur UN-Waffenkonvention wurde im Mai 1996 revidiert. Das war ein ganz wichtiger Etappensieg. Aber natürlich geht er nicht weit genug. ({11}) Immer noch fordern weit über 100 Millionen ungeräumte Landminen - der größte Teil davon Antipersonenminen - pro Woche 150 bis 200 Opfer durchschnittlich. Zusammen mit Großbritannien und Frankreich drängen wir auf ein weltweites Verbot. Dieses Teufelszeug muß endlich verschwinden. ({12}) Deutschland hat schon im April 1996 endgültig auf Antipersonenminen für die Bundeswehr verzichtet und das neue Protokoll Anfang Mai 1997 als einer der ersten Staaten ratifiziert. Ich danke ganz besonders herzlich für die schnelle Beratung des Ratifikationsgesetzes. Großbritannien hat ja auch inzwischen ein wichtiges Signal gegeben. Ich habe im Juli 1996 ein Sieben-Punkte-Programm zu Personenminen vorgestellt. Erste Programmpunkte sind bereits umgesetzt. Über 100 Staaten haben es unterstützt; viele tragen es mit. Ich habe im Dezember 1996 und im April 1997 hier Konferenzen veranstaltet - wie ich finde, mit gutem Erfolg. Wir werden da nicht lockerlassen, und ich bitte Sie sehr herzlich um weitere Unterstützung. Meine Damen und Herren, wie zentral wichtig Abrüstung nach wie vor ist, zeigt im wahrsten Sinne des Wortes Bosnien-Herzegowina. In Dayton haben wir auf Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Konfliktparteien gedrängt und sie im Juni 1996 mit Erfolg beendet. Es darf jetzt zwischen den Konfliktparteien kein neues Wettrüsten geben. ({13}) Ich wiederhole, was ich vor kurzem in Sarajevo selbst und auch letzte Woche in Sintra gesagt habe: Natürlich müssen alle Verantwortlichen vor Ort mitziehen, und sie müssen vor allen Dingen Frieden wollen. Wir müssen deutlich und klar sagen: Wer rüstet, wer dort Häuser anzündet, um Flüchtlinge an der Rückkehr zu hindern, wer sich Beratungen verweigert und sich lieber über Sitzordnungen in fast kindischer Weise streitet, der sollte nicht weiter auf die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft hoffen können. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Abrüstung und Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungspolitik haben in den letzten Jahren neue Schwerpunkte erhalten. Sie haben nicht an Bedeutung verloren. Die Dynamik des Abrüstungsprozesses darf nicht erlahmen. Die Bundesregierung wird die aktive Abrüstungspolitik zielstrebig fortsetzen. ({15}) Ich weiß, daß wir dafür die Unterstützung des Hauses haben. Herzlichen Dank. ({16})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uta Zapf, SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Sachen Abrüstung sind wir ja meistens weitgehend einer Meinung. Ich spreche sicherlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Unterausschusses, aber auch des Auswärtigen Ausschusses, wenn ich mich bei der Bundesregierung für den Bericht bedanke. Es ist ein sorgfältig erarbeiteter Bericht, und er ist sehr informativ. ({0}) Ich möchte mich auch bei den Kollegen und Kolleginnen, aber auch bei den Zuständigen im Ministerium für die gute Zusammenarbeit bedanken. Herr Kinkel hat auch gewürdigt, daß wir uns in der Frage der Abrüstung bemühen, über Kompromisse der Regierung in der schwierigen Arbeit des Vorantreibens von Abrüstung und Rüstungskontrolle den Rücken zu stärken. Ich denke, das wird auch in Zukunft so sein, auch wenn die Abrüstung ein schwieriges, ein langwieriges Geschäft ist. Aber gerade deshalb muß man in den heutigen Zeiten betonen, daß das ein wichtiges Geschäft ist und daß wir dort in vielem auch noch Handlungsbedarf haben, wobei schnell gehandelt werden muß. Da unterscheide ich mich, Herr Minister, auch bei einigen Einschätzungen dessen, was im letzten Jahr geschehen ist, von Ihrer vielleicht etwas zu optimistischen Einschätzung, obwohl ich das würdige, was erfolgt ist. ({1}) Denn Abrüstung und Rüstungskontrolle sind nicht nur eine Erfolgsstory, sondern auch eine Story von Mißerfolgen und Problemen. Sicherlich ist es richtig, den KSE-Vertrag mit der nun mitterweile von allen ratifizierten Flankenregelung auf der Erfolgsseite einzuordnen, wobei man auch erwähnen muß, wie schwierig es in den USA und in der Ukraine war, diese Regelung zu ratifizieren, obwohl sie längst praktiziert wurde. Ich begrüße auch, daß es neue Verhandlungsvorschläge für einen weiteren Abrüstungsprozeß im KSE-Rahmen gibt. Mein Kollege Erler wird auf diesen Bereich näher eingehen. Ebenso wie Sie, Herr Minister, würdige ich das, was mit dem Minenprotokoll vorangebracht worden ist. Wir werden Sie bei weitergehenden Bemühungen unterstützen und in manchen noch problematischen Bereichen vielleicht auch antreiben müssen. Das Chemiewaffenübereinkommen ist am 29. April in Kraft getreten. Die USA haben es sozusagen noch in letzter Sekunde ratifiziert. Der Schönheitsfehler an diesem wirklich sehr begrüßenswerten Übereinkommen ist, daß einer der beiden großen Chemiewaffenbesitzer, nämlich Rußland, es bisher nicht ratifiziert hat. ({2}) - Herr Feldmann, wir haben das beide gehört. Wir waren beide in Moskau, und ich wollte gerade darauf kommen, das zu berichten. In Rußland wurde in der Staatsduma ein Durchführungsgesetz für die Delaborierung von Chemiewaffen und die Vernichtung der Infrastuktur bereits verabschiedet. ({3}) Wie Herr Feldmann soeben schon vorauseilend mitgeteilt hat, hat man uns bei unserem Besuch in Moskau gesagt, daß wir damit rechnen könnten, daß die Ratifizierung im Herbst über die Bühne gehen werde. Im übrigen wurde gesagt, daß dies Priorität habe. Es wurde aber auch signalisiert, wie schwierig das für die Russen sei, weil es einen ungeheuren Geldaufwand erfordere, die notwendige Infrastruktur und alles, was damit zusammenhängt, aufzubauen. Ich denke, wir werden bei den Haushaltsberatungen, in denen wir uns im Rahmen der Abrüstungshilfe immer sehr intensiv über solche Probleme unterhalten haben, das auch noch einmal einbeziehen müssen. ({4}) Weniger erfolgreich, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bisher die Verhandlungen zum BWÜ gelaufen. Da gibt es große Schwierigkeiten, obwohl dies in der Tat ein wichtiges Übereinkommen in einem ganz schwierigen Bereich ist. Die Frage, wie bei den biologischen Waffen etwas verifiziert und kontrolliert werden kann, ist sicherlich noch schwieriger zu beantworten als beim Chemiewaffenübereinkommen. Vielleicht wird auch das Übereinkommen zu den Chemiewaffen positive Auswirkungen auf den Verlauf der Verhandlungen haben, aber dort sind wir meiner Einschätzung nach noch lange nicht über dem Berg. Ich glaube, das ist ein wichtiger Bereich. Ich sehe auch bei dem hochgelobten Verbot von Atomwaffentests, bei dem Comprehensive Test Ban Treaty, nicht nur positive Seiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt auch dort Schönheitsfehler. Dazu gehört unter anderem - das haben wir bei der Diskussion kritisch beleuchtet -, daß die subkritischen Tests erlaubt sind. Diese könnten jedoch nach unserer Meinung in der Lage sein - ich sage das sehr vorsichtig -, dem Sinn und Zweck dieses Abkommens entgegenzuwirken; denn Sinn und Zweck kann nicht nur sein, die Umwelt zu schützen, sondern Sinn und Zweck sollte sein, die Entwicklung neuer Atomwaffen zu verhindern. Daß man mit neuen Programmen, die auch die Amerikaner auflegen, dort möglicherweise wieder Optionen eröffnet, ist für uns, die wir uns für Abrüstung und Rüstungskontrolle engagieren, schon ein schwerwiegendes Problem. Sie haben auch darauf hingewiesen, daß es zum Inkrafttreten dieses Vertrages immer noch der Unterschrift einiger Staaten - insbesondere Indien weigert sich, diesen Vertrag zu unterzeichnen - bedarf, es sei denn, man wartet die dreijährige Karenzzeit ab und macht dann eine andere Konstruktion, als die 44 Staaten namentlich zu nennen. Ich wiederhole etwas, was ich bereits in den Diskussionen gesagt habe. Das Problem ist dadurch zustande gekommen - hier müßte man auch bei einer Lösung ansetzen -, daß sich im Zusammenhang mit diesen Diskussionen die Atomwaffenstaaten, aber auch andere, weigern, in der Konferenz für Abrüstung in Genf ein Verhandlungsmandat zur nuklearen Abrüstung aufzunehmen. Das halte ich für einen schwerwiegenden Fehler derer, die sich wehren. Das geht natürlich insbesondere an die Adresse der Atomwaffenstaaten. Ich wünsche mir, daß man von der Seite der Bundesrepublik mehr als Zustimmung zu solchen Verhandlungen signalisiert: daß man in der Tat darauf drängt, diese aufzunehmen. ({5}) Wir haben bei der Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrags zwei Dokumente erstellt, die ausdrücklich die Verpflichtung zur atomaren Abrüstung der Staaten festschreiben. Wenn man an dieser Stelle nicht wirklich Ernst macht, dann kann man auch nicht erwarten, daß Staaten wie Indien es ernst nehmen und unterschreiben. Nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs müssen wir auch bei uns die Frage der Atomwaffen auf die Tagesordnung setzen. Der Unterausschuß hat das bereits beraten und signalisiert, daß wir das machen wollen, weil es in bezug auf eine zukünftige gemeinsame Verteidigungspolitik Europas wichtig ist, auch bei der atomaren Abrüstung zu Erfolgen zu kommen. Ich begrüße wie Sie, Herr Minister, die Vorschläge, die in Helsinki von den Präsidenten Clinton und Jelzin gemacht worden sind; denn diese können ein Stück weit aus der Falle helfen, in der die atomare Abrüstung im Moment sitzt. START II zu ratifizieren wird den Russen mit dem Vorschlag zu START III wesentlich leichter gemacht werden; a) wird ihnen durch die Verlängerung der Abrüstungsphase bis zum Jahre 2007 aus der Zeitfalle herausgeholfen, in der sie stecken, und b) wird damit dem Problem, das nur die Russen betrifft, Rechnung getragen, daß sie nämlich, wenn sie die ihnen zugestandene Anzahl von Sprengköpfen erreichen wollen, beim Abbau der Mehrfachsprengköpfe Einfachsprengköpfe nachrüsten müßten. Das ist doch eigentlich absurd. Deshalb ist die Absenkung der Anzahl der Sprengköpfe, die dort vorgeschlagen ist, ein großer Fortschritt. Ich wünsche mir, daß man dort vorankommt, damit atomare Abrüstung tatsächlich ernsthaft betrieben wird. ({6}) Nicht zu vernachlässigen ist auch das Angebot, in diesem Zusammenhang nicht nur die Sprengköpfe von den Trägersystemen zu separieren, sondern sie in der Tat zu vernichten. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Bei allen Schwierigkeiten, die wir heute schon bei der Vernichtung von Waffenplutonium haben, ist das ein ganz wichtiger Schritt. Zusätzlich soll über weitere Systeme - das bezieht sich nicht auf START III, aber auf dessen Umfeld -, nämlich über die seegestützten Cruise Missiles und die von Ihnen, Herr Minister, erwähnten taktischen atomaren Waffen geredet werden. Es ist schön, was alles in bilateralen Versprechen verabredet worden ist. Nur, auch das muß einmal vertraglich geregelt werden. Wir wissen heute überhaupt nicht, wie viele solcher taktischen Atomwaffen noch existieren. Wir wissen auch nicht, wo sie stationiert sind. Wir wissen ferner nicht, ob sie laut dem Versprechen von Jelzin abgebaut worden sind. Angesichts der sicherheitspolitischen Veränderungen, auch im Rahmen der Diskussion um die NATO-Osterweiterung, ist es ganz wichtig, hier zu vertraglichen Vereinbarungen zu kommen. Denn wir können uns doch nicht wünschen, daß durch diese eigentlich begrüßenswerten sicherheitspolitischen Veränderungen, die auch zu Abrüstungsschritten im konventionellen Bereich geführt haben, nun plötzlich wieder Atomwaffen größeres Gewicht erlangen. Dies kann keine Perspektive sein. Auch wir als Nichtnuklearstaat müssen diese Diskussion sehr ernsthaft führen. Ich schlage daher vor, daß wir uns im Deutschen Bundestag darüber unterhalten, ob wir nicht den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen fordern sollen. ({7}) Dies wäre ein ganz wichtiger Schritt auf einem Wege, der weitere Perspektiven eröffnet. Ein letzter Punkt. Ich will darauf hinweisen, daß es mir große Sorgen macht, daß die Amerikaner im Verteidigungsausschuß des Senates eine National Missile Defense beschlossen haben. Damit könnte der Konsens, der sich jetzt beim ABM-Vertrag zwischen Rußland und den USA abzeichnet, gefährdet werden. Damit könnte die Voraussetzung für die Ratifizierung von START II sozusagen den Bach hinuntergehen. Auch über diesen Punkt sollten wir sehr ernsthaft mit unseren Kollegen und Kolleginnen im US-Senat streiten.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist schon weit überschritten.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch zwei Sätze, Frau Präsidentin. Es gibt noch viel mehr Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen. ({0}) Aber ich glaube, dies ist ein Kernproblem, auf das wir im nächsten Jahr den Schwerpunkt legen sollten. Herzlichen Dank. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abrüstungsbericht dokumentiert eine Erfolgsgeschichte, die die Friedensbewegung der frühen 80er Jahre nicht einmal zu träumen gewagt hätte. ({0}) Trotzdem bleiben gravierende Probleme zu lösen. Zu beiden, zu den Erfolgen und zu den Herausforderungen, will ich einige Anmerkungen machen. Zunächst zu den Erfolgen. 1987 begann mit dem INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen das Jahrzehnt der nuklearen Abrüstung. Heute sind sämtliche amerikanischen und russischen Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 km zerstört. Das gleiche gilt für sämtliche nukleare Artilleriemunition und für die atomaren Minen. Fast 1700 strategische Trägersysteme und über 5600 ihrer Sprengköpfe wurden abgebaut und ebenfalls zum Teil vernichtet. Vor zehn Jahren befanden sich allein auf westdeutschem Gebiet etwa 3500 nukleare Sprengköpfe und damit die umfangreichste atomare Infrastruktur der ganzen Welt. Die Zahl wurde bis heute um 95 Prozent reduziert. ({1}) Im Herbst vergangenen Jahres wurde das Atomteststoppabkommen unterzeichnet. Auch wenn es noch nicht formal in Kraft ist, so hat es doch zu einem Ende - hoffentlich für immer - der unseligen Atomtests geführt. ({2}) Es gibt ein Kontrollsystem der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien, das die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen erschwert oder verhindert. Dieses Kontrollsystem wird in naher Zukunft verschärft. Deutschland hat bei diesem Prozeß eine wichtige Rolle gespielt. Das gleiche gilt für das Internationale Wissenschafts- und Technologiezentrum - IWTZ - in Moskau, das auf die Initiative von KGB - von Kosyrew, Genscher und Baker ({3}) 1994 seine Arbeit aufgenommen hat. Das IWTZ soll Wissenschaftlern und Ingenieuren der ehemaligen Sowejtunion, die über Kenntnisse zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen verfügen, ermöglichen, ihr Wissen im Rahmen ziviler Projekte einzusetzen. Damit soll der Transfer von nuklearem Knowhow in andere Länder verhindert werden. Seit 1994 wurden zirka 15 400 Wissenschaftler in 324 Projekten mit einem Gesamtfördervolumen von 121 Millionen US-Dollar gefördert. Neben der Beteiligung am IWTZ und unserer Hilfe im ökonomischen Bereich leisten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch Abrüstungshilfe. Seit 1993 sind immerhin 50 Millionen DM nach Rußland und in die Ukraine geflossen, ({4}) die jeweils zur Hälfte für atomare und chemische Abrüstung eingesetzt werden. Für dieses Jahr sind 15 Millionen DM im Haushalt eingestellt. ({5}) - Das ist immer noch zu wenig, Frau Kollegin Zapf. Es ist aber angesichts dessen, was wir in anderen Bereichen leisten, ein durchaus ansehnlicher Betrag. Wir müssen lernen, daß die Ausgabe dieses Betrages in unserem ureigensten politischen Interesse liegt. ({6}) Zusammen mit Frankreich werden wir zukünftig in einem trilateralen Projekt in Rußland Waffenplutonium im sogenannten MOX-Verfahren zu Brennelementen für die zivile Nutzung verarbeiten. Die Testphase dazu wird noch in diesem Jahr beginnen. Auch bei den konventionellen Waffen können wir einen gewaltigen Fortschritt registrieren. Nach Angaben des Bonn International Center for Conversion wurde zwischen 1990 und 1995 weltweit bei jedem dritten schweren Waffensystem reduziert, insgesamt 165 000 Panzer, Flugzeuge, Schiffe und Artilleriewaffen. Davon wurden zwar 10 Prozent exportiert und ein großer Teil rostet vor sich hin, aber die Mehrzahl der Waffen wurde fachgerecht entsorgt. In Europa wurden allein mit dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte, KSE, von 1992 mehr als 50 000 schwere Waffen zerstört, davon in Deutschland 8700. Die Zahl der Soldaten ist ebenfalls in einem nie geahnten Umfang reduziert worden. 1987 standen etwa 700 000 deutsche Soldaten in beiden Teilen unseres Landes unter Waffen. Zehn Jahre später sind es noch 340 000. ({7}) Vor zehn Jahren gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zusätzlich 800 000 ausländische Soldaten; heute sind es noch knapp 140 000. Vor 20 Jahren betrug der Anteil des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt 20 Prozent; heute liegt er bei etwa 10 Prozent. Ohne das Ende des kalten Krieges und ohne die Wiedervereinigung hätten wir heute einen Verteidigungsetat von über 60 Milliarden DM allein im Westen. Wie glücklich können wir uns schätzen, daß wir heute in ganz Deutschland nur noch knapp über 46 Milliarden DM dafür ausgeben. ({8}) Trotz der schwierigen Integration der NVA in die Bundeswehr haben wir zwischen 1991 und 1997 fast 100 Milliarden DM gespart. Das ist wahrlich eine große Friedensdividende und eine gewaltige Anstrengung der Bundeswehr. ({9}) Sie hat ihren Anteil an den Sparanstrengungen unseres Landes geleistet. ({10}) Bei der Abrüstung liegen wir mit an der Spitze in der Welt. ({11}) Nach dem Abrüstungsindex des BICC, des Bonn International Center for Conversion, haben in den letzten Jahren nur zehn Länder auf der Welt stärker abgerüstet als wir. Das sind vor allen Dingen Länder, in denen ein Bürgerkrieg oder ein Krieg beendet wurde. Kein einziges NATO-Land hat in den letzten Jahren stärker abgerüstet als wir. Die einzigen auf der ganzen Welt, die nicht anerkennen, daß Deutschland bei der Abrüstung Vorreiter ist, sind die Grünen und die PDS. ({12}) Eine führende Rolle nehmen wir Deutsche auch bei der Bekämpfung der „schleichenden Massenvernichtungswaffen", der Antipersonenminen, ein. Durch das besondere Engagement von Minister Kinkel gehören wir zu den ersten Ländern, die auf Antipersonenminen verzichtet haben. Herr Bundesminister, ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion für Ihr Engagement im Abrüstungsbereich generell, vor allen Dingen aber für Ihr Engagement gegen Antipersonenminen ganz herzlich danken. Sie sind ein Vorreiter auf der ganzen Welt. Das ist wichtig und sollte auch so bleiben. ({13}) Wir haben über 3 Millionen Minen aus Beständen der NVA und der Bundeswehr vernichtet. Wir sind nicht Minenexporteur, sondern der größte Vernichter von Minen auf dieser Welt. ({14}) Ich will gerne einräumen - um die Kritik der Kollegin Beer, die so sicher wie das Amen in der Kirche kommt, vorwegzunehmen -, daß der dramatische Abbau an Militärausgaben für Minen und Waffen zum Teil auch durch Verschrottung ausgedienter, veralteter Systeme oder durch die Reduzierung von Overkill-Kapazitäten entsteht und daß manchmal weniger, aber effizientere Systeme an die Stelle der alten getreten sind. Dennoch: Der Abrüstungsprozeß der letzten zehn Jahre hat zur Vertrauensbildung und Stabilisierung des Friedens in Europa entscheidend beigetragen und die unsägliche Konzentration von Vernichtungsmitteln im Herzen Europas drastisch verringert. Wer angesichts dieser Tatsachen noch immer von einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik spricht, der betrachtet die Realität durch eine ideologische Brille. Nichts davon ist wahr. ({15}) Ohne unsere Sicherheit preiszugeben - und die Sicherheit ist nach wie vor das erste Gebot -, hat sich in den letzten Jahren ein ungeahnter Prozeß der Abrüstung vollzogen. Aber es bleiben Herausforderungen, Gefahren und Probleme. Erstens. Wir wissen, daß es immer noch Länder gibt - Iran, Irak, Libyen, Syrien, Nordkorea und andere -, die sich in den Besitz einsatzfähiger Massenvernichtungswaffen bringen wollen. Dadurch entstehen neue Ungleichgewichte und Rüstungswettläufe. Die Bekämpfung der Proliferation, zusammen mit Rußland, ist die entscheidende sicherheitspolitische Aufgabe der Zukunft. ({16}) Zweitens. Trotz weltweiter Abrüstung gibt es nach wie vor regionale Rüstungswettläufe: Naher Osten, Südostasien, Ägäis. Es müssen neue und verstärkte Anstrengungen zur regionalen Rüstungskontrolle unternommen werden. Drittens. Wir müssen alle noch lernen, daß nicht nur Aufrüstung, sondern auch Abrüstung viel Geld kostet. Es kostet 1 000 Dollar, eine Mine, die 3 Dollar kostet, aus dem Boden zu entfernen. Wir müssen lernen, daß Geldmittel für Abrüstung nicht nur humanitär geboten sind, sondern in unserem sicherheitspolitischen Interesse liegen. ({17}) Viertens. Trotz aller Abrüstungserfolge gibt es nach wie vor zu viele Waffen. Im konventionellen Bereich haben wir eine neue Kürzungsrunde - KSE II - ins Auge gefaßt. Im nuklearen Bereich - der Minister hat darauf hingewiesen - muß die russische Duma endlich den START-II-Vertrag ratifizieren, damit wir so schnell wie möglich über START III verhandeln können, das die Zahl der strategischen Systeme auf 2000 bis 2500 reduzieren soll. Fünftens. Auch das ,,Cut-off" -Verfahren haben Sie, Herr Minister, angesprochen. Das ist das Abkommen, das die Herstellung von Spaltmaterial einschränken oder ganz abschaffen soll. Und schließlich: Wichtig sind Maßnahmen zur vorbeugenden Rüstungskontrolle, über die wir vor kurzem im Unterausschuß eine erfreuliche Übereinstimmung aller Fraktionen erzielt haben. Trotz des Endes des kalten Krieges hat sich nämlich die Waffentechnologie revolutioniert. Einen ersten Eindruck davon bekamen wir im Golfkrieg; das Stichwort vom chirurgischen Krieg machte die Runde. Brauchte man im Zweiten Weltkrieg zur Zerstörung eines einzigen Zieles wegen der Trefferungenauigkeit etwa 9000 Bomben - man mußte also Flächenbombardements vornehmen, um ein einziges Ziel auszuschalten -, im Vietnamkrieg noch 300 Bomben, so reichten im Golfkrieg im Durchschnitt zwei Präzisionsbomben, um ein Ziel zu zerstören. Techniken zur Kriegführung aus dem Weltraum, zur Störung computergestützter Systeme, Mikrowellen- und Akustikwaffen - es gibt eine erschreckende Anzahl neuer Forschungen auf diesem Gebiet. Wir sollten alles tun, nicht erst abzuwarten, bis diese Systeme alle entwickelt sind, sondern den Versuch unternehmen, durch vorbeugende Rüstungskontrolle, wie das ansatzweise bei Laserblendwaffen gelungen ist, von Anfang an dafür zu sorgen, daß solche Waffen gar nicht erst entwickelt, beschafft oder eingesetzt werden. ({18}) Abschließend möchte ich meinen Dank - neben dem Minister - auch an Herrn Botschafter Hartmann und sein Team im Auswärtigen Amt sowie an das Verteidigungsministerium richten. Ich glaube, daß wir zusammen, über alle Fraktionsgrenzen hinweg - manchmal mit Ausnahme der Grünen -, ({19}) an einem sehr wichtigen Ziel arbeiten. Ich möchte das Auswärtige Amt, insbesondere Sie, Herr Minister, ausdrücklich ermutigen, diesen Weg weiterzugehen. Es ist ein gutes Profil der deutschen Außenpolitik, wenn Sie wie bisher eine hohe Priorität auf die Abrüstung legen. ({20})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen mich ja aus den Ausschüssen: Ich bin durchaus harmoniebedürftig, um nicht zu sagen harmoniesüchtig. ({0}) Aber wenn wir Gefahr laufen, daß die Abrüstungsschritte - unter Federführung des Außenministers - nur noch Kaschierungen massiver Umrüstungsmaßnahmen des Verteidigungsministers sind, dann, so glaube ich, muß man einige sehr kritische Töne anmerken. Die friedenspolitische Bilanzierung der Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozesse ist aus unserer Sicht ernüchternd, ja fast erschreckend. Die Fortschritte, die Sie, Herr Kinkel, hier gerade gelobt haben - durchaus auch mit einem Ton des Selbstlobes -, sind aus unserer Sicht keine Abrüstungsfortschritte, sondern es handelt sich um eine Stabilisierungspolitik, die an nationalen Interessen und den Bedürfnissen der Industriestaaten orientiert ist. Ich will Ihnen dafür ein aktuelles Beispiel geben. Der Versuch der Kollegen Waigel und Rühe, mit nicht billigen, sondern sehr teuren Buchhaltertricks den Eurofighter zu finanzieren und damit die Interessen der bayerischen Rüstungslobby zu wahren, offenbart die eigentlichen Prioritäten der Bundesregierung, die Sie hier heute vertreten. ({1}) Die Beschaffung dieses Fossils des kalten Krieges, also des Eurofighters, kostet Milliarden von D-Mark, die über Jahrzehnte für jeden tatsächlichen Abrüstungsschritt allein schon im Bereich der Luftverteidigung fehlen werden. ({2}) Das sollten Sie sich, Herr Kinkel, zu Herzen nehmen. Wenn Sie wirklich nur ein Stück Ihres Abrüstungsberichtes ernst nehmen, dann sorgen Sie dafür, daß der Eurofighter nicht beschafft wird. ({3}) Die Bundesregierung versucht Jahr für Jahr die Situation schönzureden und sich mit fremden Federn zu schmücken oder gar mit welchen, die überhaupt nicht vorhanden sind. Das eigentliche Dilemma Ihrer Politik ist die Fehlorientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. ({4}) Das Ziel ist nämlich nicht wirkliche Abrüstung, sondern bloß die Kontrolle von Rüstungsprozessen. Was die verbleibenden Waffen betrifft und wo sie landen, scheint wenig zu interessieren, solange man sich die Hände nach außen hin in Unschuld waschen kann. Abrüstungspolitik, Kollege Pflüger, die diesen Namen auch verdient, muß in ein Politikkonzept eingebettet sein. Dazu gehört meines Erachtens an erster Stelle der Abbau von militärischen Potentialen; dazu gehören nicht die Umstrukturierung der Bundeswehr in Krisenreaktionskräfte und der Aufbau von neuen militärischen Fähigkeiten. Aber genau letzteres ist die Leitlinie der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und die der NATO. Sie können Ihre NATO-Osterweiterung über den grünen Klee loben, das ändert überhaupt nichts daran. ({5}) Die Erweiterung nach Osten ist kein Fortschritt, sondern eine falsche Strategie, die zu Destabilisierung führen und immense Probleme mit sich bringen wird. ({6}) Abrüstungspolitik muß auch von anderen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen getragen sein, denn sonst ist sie technokratisch ausgedünnt und unwirksam. Zu solchen Maßnahmen gehören kurzfristig die Abrüstungshilfe, über die Konsens besteht, oder die Wiederaufbauhilfe beim „post-conflict peace building", die massiv erhöht werden muß. Langfristig gehört dazu die Entwicklungspolitik und der Aufbau von zivilen Konfliktregulierungsmechanismen. Herr Außenminister Kinkel, Sie haben ja sehr ausführlich über die Minenräumungen gesprochen. Auch dort klafft der Unterschied zwischen Ihren Worten und der Bereitstellung der Haushaltsmittel. Nur auf Grund des interfraktionellen Druckes des Parlamentes haben Sie im Haushalt lächerliche 10 Millionen DM zusammengekratzt, ({7}) um die Minenräumung als humanitäre Maßnahme zu ermöglichen. Im gleichen Zeitraum werden über 220 Millionen DM für die Produktion neuer HighTech-Minen ausgegeben. ({8}) Dieser Widerspruch zeigt, wo die Prioritäten liegen: an der falschen Stelle. Den entscheidenden Einfluß auf Abrüstungsprozesse haben die Industriestaaten. Die Rüstungsspiralen werden von ihnen doppelt angeheizt. In diesem Punkt besteht Konsens; das ist in der Tat richtig. Wenn wir nicht präventive Rüstungskontrolle als Bestandteil der Politik akzeptieren und umsetzen, wird uns diese Art des Profites der Rüstungsindustrie später sehr teuer zu stehen kommen. Natürlich kritisieren wir, daß auf Grund der Abrüstungsvereinbarungen zum KSE-Vertrag ein Waffendeal stattgefunden hat, daß Militärgerät verschoben und billig gedealt worden ist und daß Menschen damit in der Türkei oder Indonesien unterdrückt werden. Das kann nicht der Sinn von Abrüstung sein. Das „cascading", das dies ermöglicht hat, war ein Beispiel, das nicht wiederholt werden darf. ({9}) Wie sieht es bei den Atomwaffen aus? Warum zeigen Sie immer nur auf die anderen? Natürlich ist der Schritt von Jelzin zu begrüßen. Er ist längst überfällig. Aber was macht die NATO, was machen die fünf offiziell Atomwaffen besitzenden Staaten, die den von Ihnen gelobten NPT unterzeichnet haben und auf überirdische Atomtests verzichtet haben? Sie haben sich doch nur ihre eigentlichen Vorhaben abgesichert. Sie können durch Simulationstests die Weiterentwicklung betreiben. Das bedeutet, daß jene Staaten, die sich diskriminiert fühlen, den wichtigen und entscheidenden Schritt des Verzichts auf Atomwaffen nicht gehen werden, solange die Atomwaffenstaaten den Geist des NPT untergraben und darauf beharren, ihr Arsenal zu behalten und im Rahmen der NATO-Strategie sogar den Ersteinsatz nicht auszuschließen. Einen Punkt möchte ich in der kurzen Redezeit noch ansprechen, nämlich die Frage der „counter proliferation". Wir sollten in der Zukunft ein verstärktes Augenmerk darauf richten. „Counter Proliferation" bedeutet, zu versuchen, mit militärischen Strategien die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Das geht so weit, daß man unter Projizierung neuer Feindbilder, wie zum Beispiel des Islamismus, atomare militärische Strategien entwickelt, um mit „mini nukes " die Proliferation von Atomwaffen zu verhindern. Das ist der Weg ins Desaster und in die atomare Vernichtung. Wenn dies weiterhin in der bisherigen Form von Ihnen unterstützt wird, kann es da keinen Konsens geben. Das ist der falsche Weg. Eine einseitige Abrüstung und der Druck auf die NATO und die Atomstaaten, endlich nukleare Potentiale zu vernichten, sind der einzige Weg, um Proliferation zu verhindern. Da brauchen Sie nicht nur nach Rußland zu sehen; vielmehr sollte Deutschland als Schwellenland in dieser Frage eigenständig und vorbildhaft handeln. ({10}) Zum Schluß: Abrüstungspolitik muß, um es noch einmal zu betonen, Bestandteil von Friedenspolitik sein. Rüstungskontrollpolitik ist dies nicht. ({11}) Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Umkehr auf mehreren Ebenen vorzunehmen. Wir wollen, daß sich die Bundesregierung für die Entwicklung und Umsetzung von wirklichen Abrüstungsschritten in allen Bereichen einsetzt. Das ist mehr als Rüstungskontrolle. Wir wollen die Ächtung aller Minen. Wir sind es leid, über die perfide Strategie zu streiten, die darin besteht, sich als Vorreiter der MinenbeseitiAngelika Beer gung und der humanitären Bewegung hinzustellen sowie die Ächtung der Antipersonenminen zu fordern, ({12}) aber gleichzeitig in Deutschland die Entwicklung einer neuen Generation zu betreiben, die ebenso zu den Massenvernichtungswaffen der Zukunft gehört wie auch die alten. Stärken Sie die UNO und die OSZE, anstatt mit der NATO und brüchigen Regimen diese weiterhin zu unterminieren! Sprechen Sie doch endlich einmal Klartext mit dem Bundesminister der Verteidigung! Wenn Ihre Worte ernst sind, dann schichten Sie die Haushalte um!

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Streichen Sie im Militärhaushalt, und tun Sie endlich etwas dafür, damit die Abrüstung nicht nur auf dem Papier steht, sondern wirklich stattfindet! ({0}) - Auch für Sie, damit Sie es endlich kapieren.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Mehrheit in diesem Hause ist sich einig: Die Abrüstungspolitik ist insgesamt eine Erfolgsstory. ({0}) Auch der jüngste Abrüstungsbericht dokumentiert dies. Der Bundestag kann stolz sein auf die Vorreiterrolle Deutschlands in der Abrüstung. Unser Dank gilt auch den umsichtigen Abrüstern aus dem Auswärtigen Amt. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Abrüstungspolitik ist kein Selbstzweck. Unser Ziel ist Stabilität und Frieden. Nicht nur durch Abrüstungsverträge, sondern auch durch die Grundakte zwischen der NATO und Rußland sind wir diesem Ziel näher gekommen. Diese Grundakte ist ein wichtiger Baustein in der gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur. Rußland wird nicht ausgegrenzt, sondern einbezogen. Die Grundakte bringt auch die Modifikation des KSE-Vertrages voran. Die F.D.P. unterstützt die Bemühungen, das überholte Blockkonzept aufzugeben und das KSE-Vertragswerk zu modernisieren. ({2}) Dazu gehören eine dauerhafte Flankenregelung, ein verfeinertes Regionalkonzept, die signifikante Absenkung der Gesamtobergrenzen vor allem für schwere Waffen und die Öffnung für neue Vertragsstaaten. Es ist richtig, Frau Kollegin Zapf, das Präsidententreffen in Helsinki hat nicht nur die Tür für die NATO-Erweiterung, sondern auch neue Perspektiven für die strategische Abrüstung eröffnet. Eine Fristverlängerung für die START-II-Abrüstungsziele ist ein akzeptables Zugeständnis, wenn wir dadurch erreichen, daß Rußland START II ratifiziert. Durch ein START-III-Abkommen kann Problemen begegnet werden - Sie haben es erwähnt -, die durch das Verbot der Mehrfachsprengköpfe entstehen. Die Zahl der Sprengköpfe - auch das muß man sich einmal vor Augen führen - würde dann um 80 Prozent reduziert werden gegenüber der, die wir zur Zeit des kalten Krieges hatten. In START III würde erstmals auch die Vernichtung der nuklearen Köpfe vorgesehen werden und nicht nur die Demontage wie bisher. START II und START III wären natürlich auch für die CTBT-Implementierung sehr hilfreich. Die Ablehnung des Atomteststoppvertrages durch Indien und Pakistan könnte durch solche weitergehenden und sehr konkreten Abrüstungsverpflichtungen der Atommächte überwunden werden. Herr Minister, Sie haben zu Recht die erfolgreiche CWÜ-Politik der Bundesregierung erwähnt. Die kürzlich erfolgte Ratifizierung durch die USA und China ist ein entscheidender Schritt zur weltweiten Ächtung der Chemiewaffen. Wir freuen uns, daß die russische Duma - alle Vertreter haben uns das vor einigen Tagen in Moskau versichert - nach einer Anhörung im September die Ratifizierung des CWÜ im Oktober dieses Jahres vollzogen haben will. ({3}) Entscheidend für den Erfolg des CWÜ ist seine Universalität. Nur so kann der unkalkulierbaren Proliferation chemischer Waffen wirksam begegnet werden. Aus den Abrüstungsverträgen ergeben sich große finanzielle Lasten vor allem für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Hier dürfen wir diese Staaten nicht allein lassen. Die erhöhte deutsche Abrüstungshilfe leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Sie muß trotz angespannter Haushaltslage fortgesetzt werden; ({4}) Das Landminenprotoll ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Ächtung dieser besonders unmenschlichen Waffenkategorie. Auch wenn in Genf nicht alle unsere Vorstellungen verwirklicht werden konnten, war es doch ein entscheidender Schritt nach vorn. Die F.D.P. begrüßt, daß der Außenminister die Landminenproblematik zu seinem besonderen Anliegen gemacht hat. ({5}) Ein umfassendes Verbot von Antipersonenminen muß ein Hauptziel deutscher Abrüstungspolitik bleiben. Natürlich, Frau Kollegin Beer, hätten wir gern mehr erreicht. Aber wenn Sie in Genf dabeigewesen wären, hätten Sie miterleben können, daß allein das schon ein großes Ziel war und wie schwer es ist, vor allem Staaten der Dritten Welt auf dieses Ziel zu verpflichten. Deswegen müssen wir froh sein, daß wir auf diesem Gebiet so weit vorangekommen sind. Wir haben hier eine klare Vorreiterrolle. ({6}) Die Ergebnisse der Abrüstungspolitik der jüngsten Zeit sind ermutigende Signale auf dem Weg zu einer stabilen Sicherheitsstruktur in Europa. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Graf von Einsiedel, PDS.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Man kann von Ihrem Standpunkt aus sicher den Grünen und der PDS vieles vorwerfen, aber man kann uns wirklich nicht vorwerfen, daß wir die Abrüstung behindern. Das finde ich schon sehr weit hergeholt. ({0}) Es mag sein, daß wir in manchem etwas weitgehende Forderungen haben, die höchstens langfristig zu verwirklichen sind, aber immerhin unterstützen wir doch jeden einzelnen Schritt zu wirklicher, realer Abrüstung. In einem kürzlich im Auswärtigen Ausschuß verabschiedeten interfraktionellen Antrag von Koalition und SPD zur OSZE heißt es: Nach Umsetzung des KSE-Vertrages darf keine Pause im europäischen Abrüstungsprozeß entstehen. Der nach wie vor zu hohe Bestand an Waffen und Soldaten in Europa muß weiter verringert werden. Wir haben nicht die geringsten Schwierigkeiten, uns diesem Absatz in dem Antrag anzuschließen. Wir haben eben bloß unsere Zweifel, wie ehrlich die Regierungskoalition das eigentlich meint. Denn mit Datum vom 11. April dieses Jahres hat die Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS mitgeteilt: Die Bundesregierung teilt nicht die Einschätzung, daß in Europa generell der Bestand an Waffen und Soldaten zu hoch ist. Was gilt denn nun eigentlich? Wenn ich Herrn Außenminister Kinkel soeben richtig verstanden habe, dann hat er sich neuerdings diesem Antrag angeschlossen und gesagt, diese Grenzen seien noch immer zu hoch, er werde sich dafür einsetzen, daß diese Obergrenzen herabgesetzt werden. Praktisch ist aber in dieser Beziehung noch überhaupt nichts erfolgt. Wenn ich den Abrüstungsbericht der Bundesregierung betrachte und die Obergrenzen vergleiche, die für die wichtigsten Großwaffensysteme, also für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie, Flugzeuge und Angriffshubschrauber, festgelegt sind, dann stelle ich fest, daß dort ein Kräfteverhältnis zwischen der NATO und Rußland in Höhe von 3 : 1 zugunsten der NATO festgeschrieben ist. Dabei sind die demnächst der NATO beitretenden Länder noch gar nicht mitgerechnet. Dann wird sich dieses Kräfteverhältnis auf 4 :1 verändern. Kürzlich hat im Verteidigungsausschuß eine Diskussion über die 116 15,5-cm-Geschütze stattgefunden, die die USA für 100 Millionen Dollar an die bosnische Armee liefern. Der Bundesverteidigungsminister hat das mit dem Argument gerechtfertigt, daß dies zur Herstellung eines Gleichgewichts zugunsten der Bosnier absolut notwendig sei. Ein Gleichgewicht zugunsten von jemandem ist eine etwas merkwürdige Sache. Wenn ich einmal einen Vergleich aus der Geschichte heranziehen darf: Ich glaube, die 6. Armee bei Stalingrad umfaßte 250 000 Mann. Die wären froh gewesen, wenn sie soviel schwere Artillerie gehabt hätten. Die bosnische Armee hat angeblich nur 50000 Mann. Ich möchte gerne einmal wissen, was die mit 116 Geschützen anfangen sollen! Ist das ein Schritt zur Abrüstung in Europa? Herr Dr. Pflüger, Sie haben erwähnt, daß das Räumen einer Mine 1000 Dollar kostet. Die Verlegung kostet 3 Dollar. Dann vergleichen Sie doch damit einmal die Zahl von 10 Millionen DM, die wir für die Minenräumung einsetzen. Das ist doch lächerlich. Das ist doch abenteuerlich. ({1}) Da wird von Fortschritten gesprochen, da werden Protokolle unterschrieben, da wird wer weiß was getan. Wenn Sie den Abrüstungsbericht der Bundesregierung vom vergangenen Jahr mit dem, den wir jetzt bekommen haben, vergleichen, dann stellen Sie fest: In beiden Berichten steht wortwörtlich dasselbe. Wöchentlich sterben 150 bis 200 Menschen oder werden verstümmelt. Das sind im Jahr 10000. Es hat sich offenbar in diesem Jahr überhaupt nichts geändert. Wenn wir uns bloß drei der Jäger 90 sparen würden, die Sie offenbar unbedingt anschaffen wollen - in den nächsten Wochen werden Sie darüber entscheiden -, dann wären das 450 Millionen DM. Wäre dann unsere Sicherheit gefährdet? Wieviel Minen könnte man für 450 Millionen DM räumen? Das wäre doch ein wirklicher Schritt zur Abrüstung. ({2}) - Natürlich weiß ich, daß wir das nicht alles alleine machen können. Aber wir geben ja das Geld für die Jäger 90 auch alleine aus; dann können wir ebenso das Geld für die Minenräumung alleine ausgeben. Wieso müssen wir denn da auf die anderen warten? Das ist doch lächerlich. ({3}) Ich kann all dem nicht folgen. Ich unterstreiche das, was Frau Beer gesagt hat, nämlich daß die Antiproliferation der Atomwaffen natürlich eine wichtige Frage ist, wenn man selber auf einem großen Berg von Atomwaffen sitzt. Ich gebe ja zu, es sind ungeheuer viel abgeschafft worden. Aber es sind ja noch immer genügend vorhanden, um die Welt dreimal zu vernichten. ({4}) - Im Abrüstungsbericht werden viele Verträge über atomwaffenfreie Zonen aufgeführt. Warum sind wir denn nicht bereit, die Initiative der Ukraine und von Belarus zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im mittleren Europa aufzugreifen und an ihrer praktischen Verwirklichung mitzuwirken? ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Graf Einsiedel, kommen Sie bitte zum Schluß.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Aufrechterhaltung und verläßliche Absicherung der bereits heute vorhandenen Kernwaffenfreiheit in dieser Region liegt doch im fundamentalen Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik. Die Erklärung der NATO- Staaten über die Nichtstationierung von Kernwaffen in künftigen Beitrittsländern sollte als Impuls für die Realisierung des Zonenkonzeptes dienen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, die Redezeit ist längst vorbei. Bitte machen Sie Schluß. Ich muß Ihnen sonst das Wort entziehen.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke sehr. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bestehen doch überhaupt keine Zweifel daran, daß Deutschland im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle äußerst erfolgreich arbeitet, und zwar auf einer Ebene mit allen Ländern, die guten Willens sind. ({0}) Das wird überall bestätigt, nicht nur in dem von uns selbst verfaßten Bericht. Ich bin außerordentlich dankbar dafür, daß wir uns in diesen Fragen ziemlich einig sind. Wer sieht, was unsere Diplomaten hier an Aufklärung und an vertrauensbildenden Maßnahmen leisten, der kann eigentlich erst richtig ermessen, wie schwierig dieses ganze Gebiet ist. Wir sind mit unseren vielleicht etwas idealistischen Vorstellungen eben nicht allein auf dieser Welt. Vielmehr müssen wir versuchen, alle anderen so mit ins Boot hineinzunehmen, wie sie eben sind. Weil wir auf dem Boden dieser Welt stehen, müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Mir ist eine realistische Politik lieber als eine solche, die sich nur in Wolkengebilden aufhält ({1}) und für die Menschen auf der Welt letztlich nichts erreicht. ({2}) Ich möchte auch den deutschen Firmen und vor allem unserer Bundeswehr danken, die in sehr praktischen Fragen das technische Know-how besitzen und durch ihren Einsatz das umsetzen, was Politik und Diplomatie aushandeln und in Verträge fassen. ({3}) Es kann sich weiß Gott sehen lassen, was deutsche Firmen und die Bundeswehr alleine im Rahmen des KSE-Vertrages geleistet haben, letztlich auch, wieviel Geld wir dazu gegeben haben. Ein anderer Bereich: 80 Inspektionen sind bislang von Geilenkirchen aus erfolgt. Ich glaube, dort, wo wir waren, in Rußland, in Slowenien, in Litauen, in vielen anderen Ländern, hat gerade diese Maßnahme mit zur Vertrauensbildung beigetragen. Es wurde erwähnt, wie wir gerade das Dayton-Abkommen umsetzen, wie wir auch bereit sind, Personal auszubilden, das vor Ort etwas gegen das leidige Minenproblem tun kann. Vorwürfe, wir würden unsere Möglichkeiten nicht genügend ausschöpfen, sind in diesem Gesamtszenario sicher reichlich absurd. ({4}) Natürlich gibt es Problemfelder. Wir haben das letzte Mal über ,,open sky" gesprochen. Ich möchte das noch einmal anführen. ({5}) - Es sind schon Veränderungen erfolgt; es sind Verbesserungen erfolgt. Mittlerweile gab es 20 Testflüge über russischem Gebiet, die wir mit durchgeführt haben. Die Russen sind schon bei uns geflogen. Aber Sie haben in einer Beziehung recht, daß sich nichts verändert hat: Die Ratifizierung fehlt in diesen Ländern noch. Diesen Prozeß müssen wir weiter unterHans Raidel stützen, damit es möglichst schnell zu dieser Ratifizierung kommt. ({6}) Darüber sind wir doch einig. Die Russen sollten endlich begreifen, daß sie wohl am meisten davon profitieren, wenn sie im Rahmen einer freien Luftaufklärung weiter Einfluß nehmen können. Unser Einsatz für die Nichtverbreitung von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen muß weiter fortgesetzt werden. Wir wissen, daß gerade biologische und chemische Waffen nicht nur für Militärs und Staaten, die entsprechende Ziele verfolgen, sondern auch für Terroristen attraktiv sind. Allein in Tokio - Sie erinnern sich - starben damals bei dem Giftgasanschlag zwölf Menschen; 5500 wurden verletzt. Erinnern wir uns an die 80er Jahre, als seinerzeit für die Herstellung von Waffen wichtige Stoffe bei den Mitgliedern der RAF gefunden worden sind. Oder denken Sie nur an Gas-Milzbrand-Bakterien, Ebolaund Pockenviren und andere Dinge, die über Granaten und Raketen verschossen werden können. Für das BWÜ-Abkommen ist wichtig, daß nun diese biologischen Waffen mit verboten werden. Aber - auch da gebe ich Ihnen recht - wir haben noch keine präzisen Definitionen in diesem Bereich. Es fehlen noch die Überprüfungsverfahren. Hier müssen wir weiterarbeiten, auch unter dem Stichwort, daß künftig gentechnisch manipulierte Viren in diesem Bereich leider auf dem Markt sein werden. Das Chemiewaffenabkommen ist angesprochen worden. 40000 Tonnen Kampfstoffe können jetzt endlich beseitigt werden. 50 000 Tonnen chemische Munition liegen bereits in der Ostsee. ({7}) Ich will bewußt immer auf diese praktischen Themen hinweisen und auf diese praktischen Folgen. Ich gebe jedem recht, der sagt, es muß sich bei uns mehr in den Köpfen bewegen, daß neben der Sicherheitsvorsorge auf der einen Seite, die für jedes Land unerläßlich ist, nicht nur die Abrüstung auf der anderen Seite einen gleichwertigen Platz haben muß, sondern daß wir darüber hinaus im Sinne von Visionen an solchen abrüstungspolitischen Schritten weiterarbeiten. ({8}) Ich meine: Wenn wir dieses Wünschenswerte sehen, dann müssen wir mit Augenmaß für das Machbare das Notwendige tun. Das ist der Inhalt unserer Politik. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gernot Erler, SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben wieder einmal eine Debatte über Abrüstung. Sie ist von der Debattenzeit her gesehen erneut zu knapp, um der Bedeutung und der Arbeit gerecht zu werden, die diesen Themen, im Auswärtigen Amt von den Fachleuten, aber auch im Deutschen Bundestag mit Recht gewidmet wird. Ich möchte nicht den zahlreichen Rundumsichten, die hier abgeliefert worden sind, noch eine weitere hinzufügen, sondern ich möchte mich hier auf einen Themenkreis begrenzen und dafür ein bißchen mehr in die Einzelheiten gehen. Mein Ausgangspunkt ist die Unterzeichnung der Grundakte NATO-Rußland am 27. Mai 1997 in Paris und die Übereinkunft über eine besondere Charta zwischen der NATO und der Ukraine in der gleichen Woche. Ich möchte hier noch einmal betonen, daß die SPD- Bundestagsfraktion - ich glaube: der ganze Bundestag - es außerordentlich begrüßt, daß diese beiden entscheidenden begleitenden Dokumente rechtzeitig vor dem Akt der Erweiterung der NATO auf dem Gipfel in Madrid am 8. und 9. Juli 1997 zustande gekommen sind. ({0}) Ich möchte auch Herrn Kinkel und seinem Haus für die Bemühungen bei dem Zustandekommen dieser entscheidenden Dokumente danken. ({1}) Nur durch das rechtzeitige Zustandekommen dieser Verabredungen gibt es eine realistische Perspektive, das Ziel, nämlich mehr Sicherheit und Stabilität in Europa zu erreichen, über die Erweiterung des westlichen Bündnisses zu realisieren. Aber das ist beileibe keine Automatik. Es kommt tatsächlich darauf an, jetzt diese Abmachungen mit praktischem Leben zu erfüllen. Was wurde da vereinbart? Das Kapitel IV in der Grundakte NATO-Rußland unter dem Titel „Politisch-Militärische Angelegenheiten" beschäftigt sich fast ausschließlich mit dem Bereich der konventionellen Abrüstung des KSE-Prozesses. Hier werden bereits die Linien vorgezeichnet, die dann in Wien bei den sogenannten KSE-Adaptationsverhandlungen zu einem Erfolg führen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet im Klartext, daß die KSE-Verhandlungen in Wien eine Schlüsselrolle in der künftigen Politik, die über die eigentliche Bedeutung der Abrüstung hinausgeht, erhalten. Man kann sagen, in Wien wird darüber entschieden, ob die NATO-Osterweiterung in Verbindung mit der Grundakte, in Verbindung mit der Charta tatsächlich ihr Ziel erreicht, zu mehr Sicherheit und Stabilität in Europa zu gelangen. Wir erinnern uns: Der KSE-Vertrag von 1990 hat die Nichtangriffsfähigkeit herbeiverhandelt auf der Grundlage von Reduzierung, von Höchstgrenzenfestlegung und von Regeln für die territoriale Verteilung von fünf Hauptwaffensystemen. Dabei ist notwendigerweise eine Zählweise, die noch aus der Denkweise des kalten Krieges stammte, nämlich die Gruppenzählweise, gewählt worden. Heute stehen wir nicht nur vor der Herausforderung, diese Zählweise zu überwinden, die sich inzwischen zu einer Zählweise zwischen Staatengruppe West und Staatengruppe Ost verändert hat, sondern es muß auch die neue Situation der NATO-Osterweiterung berücksichtigt werden. Es muß dabei bleiben, daß es nicht um die Bewertung von politischen Absichten, sondern als Grundlage um die Bewertung von militärischen Fähigkeiten geht. Das steckt hinter dem Begriff der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit, die stets das Ziel des KSE-Prozesses ist. Interessant ist, daß die Grundakte diesen Gedanken aufnimmt und die Aussage macht, die Stabilität müsse durch die Weiterentwicklung von Maßnahmen gestärkt werden - ich zitiere -, „die darauf abzielen, jeden potentiell gefährlichen Aufwuchs konventioneller Streitkräfte in vereinbarten Regionen Europas, einschließlich Mittel- und Osteuropas zu verhindern". Durch die Osterweiterung des Bündnisses wird diese Aufgabe noch komplizierter; denn es gibt eine bestimmte Spannung zwischen dem Ziel von nicht bedrohlichen Streitkräftekonzentrationen auf der einen Seite und dem nachvollziehbaren Recht von neuen Mitgliedern - etwa wie Polen, Tschechien und Ungarn - auf der anderen Seite auf die militärisch- technische Glaubwürdigkeit der Sicherheitsgarantien nach § 5 des Washingtoner Vertrages, auf den diese neuen Mitglieder Anspruch haben. Nicht zufällig ist deswegen eine weitere Aussage - in diesem Fall von der NATO - in der Grundakte über bestimmte Selbstbeschränkungen bei der Verwirklichung dieser Sicherheitsgarantien gemacht worden. Da sind noch einmal die sogenannten drei „no" wiederholt: no plans, no intention, no reason - das heißt: keine Pläne, keine Absicht, kein Anlaß -, nukleare Waffen in den neuen Mitgliedsländern zu stationieren oder nukleare Depots anzulegen. Aber es wird dort auch gesagt, daß die NATO, statt auf Dauer zusätzlich substantielle Kampftruppen in diesen neuen Mitgliedsländern zu stationieren, eher - so heißt es in dem Dokument - auf Interoperabilität, auf Integration und auf die Fähigkeit zur Verstärkung setzt. Ich möchte hier für die SPD-Bundestagsfraktion - ich denke, für den ganzen Bundestag - sagen, daß wir diese Beschränkung ausdrücklich begrüßen. Sie allein öffnet den Weg, auch in Zukunft den KSE-Prozeß mit der NATO-Osterweiterung vereinbar zu machen. Darauf legen wir außerordentlichen Wert. ({2}) Aber es bleiben in diesem Kontext doch einige Risiken. Ein allgemeines Risiko ist, daß es bei diesen ganzen Vertragsverhandlungen leider immer noch einen großen Unterschied gibt zwischen der Bereitschaft des russischen Präsidenten und der russischen Regierung - das gleiche gilt im übrigen für die Ukraine - und den Meinungen in der Staatsduma und im Föderationsrat bzw. in der Verkhovna Rada in Kiew gibt. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, diese Lücke Meiner zu machen. Wir müssen um Vertrauen werben in den Parlamenten. Gerade als parlamentarische Demokratie können wir uns nicht allein darauf verlassen, daß wir die Unterschriften, die Zusagen von Präsidenten haben. Wir müssen auch die Mehrheit der Parlamente für diesen Weg bei der Grundakte bzw. bei der Charta, die die Präsidenten unterzeichnen, finden. ({3}) Zum zweiten ist in der Grundakte, gerade was die Abrüstungsperspektiven angeht, natürlich noch vieles unverbindlich. Es muß von der deutschen Position aus verlangt werden, daß im Zuge der Adaptationsverhandlungen in Wien aus diesen Absichten und Plänen verbindliche Regeln, verbindliche Vertragstexte werden. Der dritte Punkt beschäftigt mich am meisten. Das ist die Frage, wie eigentlich die Option, eben nicht auf dauerhaft stationierte Streitkräfte zu setzen, sondern auf Verstärkungskräfte und entsprechende Aufnahmekapazitäten, gestaltet wird. Davon hängt in der Tat auch gerade das Vertrauen der russischen Seite in die Grundakte und in die NATO-Osterweiterung ab. Hier gibt es auch im Westen noch sehr unterschiedliche Positionen. In dem Report, den Präsident Clinton am 24. Februar dem amerikanischen Kongreß zugeleitet hat, wird zum Beispiel noch von einem erheblichen Umfang dieser Verstärkungskräfte ausgegangen. Da ist die Rede von vier schnell verlegbaren Divisionen und von sechs Geschwadern von Kampfflugzeugen, die im Falle einer Bedrohung in vorbereitete Stellungen verlegbar sein sollen. Außerdem ist davon die Rede, daß jedes der neuen Mitglieder der NATO mindestens eine Staffel moderner westlicher Kampfflugzeuge und auch mindestens ein modernes Luftabwehrsystem wie etwa Patriot erwerben soll. Ich denke, daß sich hier auch ein Stück weit amerikanische Rüstungsexportinteressen niederschlagen. Ich begrüße es, daß im Rahmen der NATO-Diskussion, zum Beispiel durch den Beschluß des Nordatlantikrates vom 3. März in dem sogenannten Papier zur Kostenmethodologie der NATO-Osterweiterung, inzwischen von wesentlich bescheideneren Maßnahmen die Rede ist. Ich denke, die Bundesregierung sollte es unterstützen, daß nicht die maximalen Sichten auf diese Verstärkungskräfte und Rezeptionsfähigkeiten nachher die Oberhand gewinnen, sondern bedrohungsgerechte bescheidene Maßnahmen, die natürlich auch die Kosten des ganzen Prozesses senken werden. ({4}) Ich möchte auf ein Problem hinweisen, das nun wieder den KSE-Prozeß insgesamt betrifft. Es geht um eine Philosophie, die die Nichtangriffsfähigkeit durch die Reduzierung von Hauptwaffensystemen und auch durch regionale Begrenzungen erreichen will. Wenn in Zukunft zur Verteidigung des westlichen Bündnisses zu stark auf schnell verlegbare Großverbände und auf die Vorbereitung durch Verstärkungskräfte einerseits und die Rezeptionsfähigkeit, sprich Infrastruktur, andererseits in den neuen Mitgliedsländern des Bündnisses in Osteuropa gesetzt wird, wird damit der Grundgedanke von KSE in Frage gestellt. Denn schnell verlegbare Kräfte ermöglichen eben doch gefährliche Streitkräftekonzentrationen, die gerade durch KSE vermieden werden sollen. Das ist das Wenigste, was wir uns wünschen können. Es muß vermieden werden, daß mit dem NATO-Osterweiterungsprozeß und durch die KSE-Verhandlungen sozusagen eine Gefährdung dieser wichtigsten Zielsetzung von KSE eingeleitet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen deutlich zu machen, daß Abrüstung in Verbindung mit dem NATO-Osterweiterungsprozeß in Zukunft politisch einen anderen Stellenwert hat. Es ist nicht mehr so ein Mauerblümchen oder eine Randerscheinung der internationalen Politik, sondern die Verhandlungen in Wien sind von zentraler Wichtigkeit dafür, um tatsächlich das Ziel, nämlich mehr Sicherheit und Stabilität in Europa, zu erreichen. Das wird vielleicht in Zukunft auch dazu führen, daß wir in anderer und gründlicherer Weise die Gelegenheit haben, vor diesem Hause diese Prozesse zu begleiten und auch zu überprüfen. ({5}) Ich setze bei diesem Ziel auf die Gemeinsamkeit des Hauses. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen über die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7389 und 13/5857 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS auf den Drucksachen 13/7805 und 13/7797 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Jahresabrüstungsbericht 1996. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Fortsetzung der konventionellen Abrüstung in Europa, Drucksache 13/6163. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3987 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 5 d: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Jahresabrüstungsbericht 1995, Drucksachen 13/4450 und 13/6482. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses bis auf eine Gegenstimme von der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 5 e: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zum Jahresabrüstungsbericht 1995, Drucksache 13/6483. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ 4580 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Grünen und gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 5 f: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Jahresabrüstungsbericht 1995, Drucksache 13/6484. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4557 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 5 g: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einer Welt ohne Atomwaffen, Drucksache 13/6871. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5987 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 5 h: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Konvention zur Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen, Drucksache 13/7003. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6383 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie Zusatzpunkt 7 auf: 6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Gerd Andres, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch Abbau von Überstunden und Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen Vizepräsidentin Michaela Geiger - Drucksache 13/7522 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einrichten - Massenarbeitslosigkeit und ihre sozialen Folgen bekämpfen - Drucksache 13/7147 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({2}), Matthias Berninger, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschäftigungsorientierte Arbeitszeitpolitik: Bonus-Malus-System als Anreiz zur Verkürzung der Arbeitszeiten und zum Abbau von Überstunden - Drucksache 13/7800 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn die Lautstärke in diesem Saal etwas gedämpft wird, dann eröffne ich die Aussprache. - Das Wort hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD- Fraktion.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser vorliegender Antrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch Abbau von Überstunden und Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen will vor allen Dingen die Damen und Herren der Koalition daran erinnern, daß es zu Ihrer Politik sehr wohl Alternativen gibt. Sie behaupten ja immer, die Oppositionsparteien in diesem Parlament, insbesondere die SPD, zeigten keine alternativen Möglichkeiten zu Ihrer Politik auf. ({0}) Der Antrag, der zur Diskussion steht, reiht sich in ein ganzes Tableau von Vorschlägen ein, die wir in den letzten Monaten und Jahren hier im Parlament zur Bekämpfung und zur Reduzierung der unerträglich hohen Massenarbeitslosigkeit unterbreitet haben. Ich will Sie an unseren Antrag für eine ökologische Steuerreform bei gleichzeitiger Absenkung der Lohnnebenkosten erinnern. Vor wenigen Tagen noch hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin eine Studie veröffentlicht, wonach selbst bei einer sehr stark abgespeckten Ökosteuerreform bei gleichzeitiger Absenkung der Arbeitskosten die Schaffung von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen möglich wäre. In das gleiche Horn stößt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, die ebenfalls vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Die Koalition hat hier mit ihrer Mehrheit vor einiger Zeit entsprechende Anträge der sozialdemokratischen Fraktion kategorisch abgelehnt. ({1}) Ich will Sie an den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion für ein neues Arbeits- und Strukturförderungsgesetz erinnern, in dem wir eine umfängliche Reform der Arbeitsförderung in Deutschland mit dem Ziel vorgeschlagen haben, etwa _ein halbe Million arbeitslose Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszunehmen, in Qualifizierungsmaßnahmen und in öffentlich geförderte Arbeitsprojekte zu bringen, um auch aus Sicht der Arbeitsmarktpolitik einen deutlichen Beitrag zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu leisten. Ich erinnere Sie an einen Gesetzentwurf, den Sie ebenfalls vor einigen Monaten mit Ihrer Mehrheit hier im Bundestag ablehnten, an den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion für eine wirksame Bekämpfung von Lohndumping in Deutschland. Über Jahre hinweg haben Sie dem Treiben auf deutschen Baustellen tatenlos zugeschaut. Das, was Sie letztlich zustande gebracht haben, verpufft wirkungslos im Raum. Wir werden in absehbarer Zeit, in den nächsten Wochen, erneut einen Antrag bezüglich dieser Frage in diesem Parlament einbringen. Ich erinnere Sie an die wiederholten Bemühungen der SPD-Fraktion hier im Haus, die Regierung dazu zu bringen, in die Maastricht-Vereinbarungen auch eine Beschäftigungsinitiative einzubringen. Nach unserer Kenntnis ist die deutsche Bundesregierung nach der Abwahl der französischen und der britischen Regierung inzwischen die einzige Regierung im Rahmen der Europäischen Union, die die Aufnahme einer Beschäftigungsinitiative in die Maastricht-Vereinbarungen nach wie vor ablehnt. Sie sind inzwischen auf europäischer Ebene beschäftigungspolitisch völlig isoliert. ({2}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist mit ihrer eigenen Rezeptur zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hoffnungslos gescheitert. Sie haben vor reichlich einem Jahr die Gesetze zur Wachstums- und Beschäftigungsförderung eingebracht. ({3}) Diese Gesetze waren, wie der Zuruf des Kollegen Dreßen richtigerweise bemerkt, reiner Etikettenschwindel. ({4}) Sie gingen damals in den Debattenbeiträgen in der ersten Lesung hier im Parlament davon aus, daß nach Verwirklichung dieser Gesetze die Arbeitslosigkeit in Deutschland nachhaltig abgebaut werden könnte. Sie nannten eine Zahl in der Größenordnung von mehreren hunderttausend. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Wenn man die Frühjahrsdaten des vorigen Jahres mit denjenigen dieses Jahres vergleicht, dann haben wir keinen Zuwachs an Beschäftigung, sondern den Verlust von über 530 000 Arbeitsplätzen in Deutschland zu vermelden. Ich wiederhole es: Im Vergleich zwischen dem Frühjahr vorigen Jahres und dem Frühjahr 1997 ist nicht ein einziger Arbeitsplatz gewonnen worden; wir haben über 530 000 Arbeitsplätze in diesem Zeitraum verloren. Das ist das Resultat einer Politik, die völlig einseitig die Angebotsbedingungen der Unternehmungen verbessern wollte und alle anderen Vorschläge hier im Deutschen Bundestag kategorisch niederstimmte. ({5}) Sie sind mit Ihren Beschäftigungsinitiativen vollständig gescheitert; Sie haben nicht einen einzigen Arbeitsplatz mehr geschaffen. Ihre Politik hat dazu beigetragen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland dramatisch angestiegen ist. Meine Damen und Herren, der Kern der Auseinandersetzung ist, daß Sie sich in einer Zeit, in der im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung nationalstaatliche Eingriffsmöglichkeiten eher verringert worden sind, durch Ihr blindes Vertrauen in die Marktgesetze gewissermaßen in doppelter Weise die Hände gebunden haben. Im Unterschied zu Ihnen sind wir allerdings nach wie vor der festen Überzeugung, daß es auch unter den heutigen Modernisierungszwängen hinreichende politische Gestaltungsmöglichkeiten für eine Politik zur Verbesserung der Lebenschancen, für eine Politik zur nachhaltigen Verringerung der Arbeitslosigkeit sehr wohl gibt. Der heute zur Diskussion stehende Antrag der SPD-Fraktion hat eine durchaus bescheidene Zielsetzung. Er versucht nämlich, Sie selbst beim Wort zu nehmen. Viele Vertreter der Bundesregierung bis hin zum Bundeskanzler haben in den letzten Monaten und Jahren mehrfach auf die unerträglich hohe Anzahl von Überstunden in Deutschland hingewiesen. Sie haben mehrfach betont, daß es notwendig sei, die vorhandene - im europäischen Vergleich durchaus bescheidene - Teilzeitquote in Deutschland aus beschäftigungspolitischen Gründen deutlich zu erhöhen. Was wir mit unserem Antrag bezwecken, ist der Versuch, Sie selbst in diesen Fragen beim Wort zu nehmen und die notwendigen politischen Instrumente bereitzustellen, um zu dem erforderlichen Abbau von Überstunden, zu der Umwandlung von Überstunden in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu kommen und um die notwendigen Anreize zu schaffen, die bescheidene Teilzeitquote in Deutschland deutlich zu erhöhen. Insoweit sind wir in der Tat gern bereit, von Holland zu lernen, auch wenn dort nicht alles Gold ist, was glänzt. Denn in die holländische Teilzeitquote werden beispielsweise Miniteilzeitbeschäftigungsverhältnisse eingerechnet - die bei uns allerdings sozialversicherungsfrei sind, was in Holland nicht der Fall ist. Gleichwohl gibt es einen beträchtlichen Vorsprung Hollands in der Bereitstellung von vernünftigen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen. Hier haben wir Nachholbedarf. Es liegt dem Deutschen Bundestag eine entsprechende Initiative der SPD-geführten Bundesländer vor. Sie lehnen diese Initiative nach wie vor ab. Sie befinden sich damit in einen kategorischen Widerspruch zu Ihren eigenen verbalen Beteuerungen, Sie wollten sehr wohl eine Ausweitung von Teilzeitarbeitsplätzen als einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({6}) Es sind viele Worte gemacht worden, denen keine Taten folgen: weder beim Überstundenabbau noch bei der Verstärkung von Anreizen zur vermehrten Bereitstellung von Teilzeitarbeitsplätzen. Die Höhe der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nicht mehr erträglich. Viele Ihrer befreundeten, konservativen Regierungen in Europa sind in den letzten Jahren abgewählt worden, weil deren und Ihre Politik dazu geführt hat, daß wir auf der Ebene der Europäischen Union nunmehr über 20 Millionen Arbeitslose zu beklagen haben. Die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland ist der zentrale Grund für Ihre Haushaltsmisere. Wir werden nicht - wie noch vor wenigen Monaten von Ihnen in Ihrem notorischen Optimismus vorausgeschätzt - 3,9 Millionen Arbeitslose im Jahresschnitt 1997 - was später auf 4,1 Millionen korrigiert wurde - haben, sondern wir werden im Jahresschnitt 1997 vermutlich 4,3 Millionen Arbeitslose haben. Wir erleben zum erstenmal seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten, daß die Jugendarbeitslosigkeit die allgemeine Arbeitslosigkeit zu überholen droht. In einigen Bundesländern ist inzwischen die Jugendarbeitslosigkeit höher als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Ich kann Ihnen nur nachdrücklich anraten, sich die jüngste, die 12. Shell-Studie zur Situation der Jugend in Deutschland durchzulesen und durchzuarbeiten. Die Quintessenz dieser Studie lautet: Die jungen Menschen in Deutschland haben Angst, arbeitslos zu werden, haben Angst, keine Arbeit zu finden, haben Angst vor beruflicher und damit persönlicher Perspektivlosigkeit. Wenn aber die Angst vor persönlicher und beruflicher Perspektivlosigkeit zum prägenden Erlebnis einer jungen Generation wird, dann frage ich: Wo wird diese Generation landen? Ich will Ihnen zum Abschluß zwei kurze Zitate aus der Shell-Studie bringen. Ich glaube, daß diese Zitate in einem engen Zusammenhang stehen. Es heißt dort: Am problematischsten wird von der jungen Generation mit großem Abstand die steigende Arbeitslosigkeit empfunden. Mehr als 92 Prozent empfinden die Arbeitslosigkeit als ein großes oder sehr großes Problem für unsere Gesellschaft. - Mehr als 92 Prozent der jungen Menschen unter 25 Jahren! Und nun das zweite Zitat: Relativ am wenigsten Vertrauen bringen die jungen Leute unserer Studie den „klassischen" politischen Institutionen entgegen. Den schlechtesten Vertrauensbonus überhaupt haben ,,politische Parteien", kaum weniger Bundesregierung und Bundestag. Die These, daß mit zunehmendem Alter, mit dem Hineinwachsen in die Gesellschaft Vertrauen wächst und Distanz abgebaut wird, bestätigt unsere Erhebung nicht. Meine Damen und Herren, wenn dieser Ansehensverlust der demokratischen Einrichtungen unseres Landes nicht gestoppt wird, dann hat dies verheerende Folgewirkungen für die Substanz unserer parlamentarischen Demokratie überhaupt. ({7}) Deshalb will ich Sie mit großem Nachdruck auf folgendes hinweisen: In dem Maße, in dem es uns gelänge, Arbeitslosigkeit abzubauen, in dem Maße, in dem es uns gelänge, jungen Menschen wieder einen Blick in die Zukunft möglich zu machen, jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben, in dem Maße würden wir den Vertrauensverlust, den die parlamentarische Demokratie insgesamt zu erleiden droht, wieder rückgängig machen können und unsere Gesellschaft auf festen demokratischen Boden stellen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Herr Kollege Schreiner, in dem Bemühen, die Arbeitslosigkeit abzubauen, stehen wir der SPD an Aktivitäten wirklich nicht nach. Das, was Sie als Antrag Ihrer Partei vorgelegt haben, ist nicht wesentlich mehr als der Versuch, aus einem wichtigen Thema eine Aktivität Ihrerseits zu entwickeln, um dahinter - und das wird ganz deutlich - Ihre eigene Konzeptionslosigkeit in dieser Frage und insbesondere Ihre Entscheidungsunfähigkeit zu verbergen. Wenn Sie hier Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versprechen und von einem „einfachen und schnell umsetzbaren Mittel zur Verringerung der Arbeitslosigkeit" reden, dann tun Sie so, als habe die SPD das Wundermittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und für die Zukunft des Arbeitsmarktes gefunden. Die Tatsache, daß diese Formulierungen nicht über eine halbe Seite hinausgehen, zeigt wohl auch, welche Bedeutung Sie diesem Thema beimessen. ({0}) Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß der Abbau von Überstunden sicherlich wünschenswert ist. Aber wer meint, daß dies direkt zu neuen Arbeitsplätzen führe, wie das von manchen Instituten und auch von Ihnen als Antragsteller vorgegeben wird, der betrachtet die Lage zu oberflächlich. Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Gesamtzahl der Überstunden umgerechnet nur zwei Überstunden pro Arbeiter und Woche ausmacht. Dies ist - darüber sind sich auch viele Fachleute einig - in Klein- und Mittelbetrieben kaum veränderbar, weil diese Betriebe nur mit Hilfe solcher Schwankungsmöglichkeiten die Gelegenheit haben, ihre Produktion der jeweiligen Nachfrage und den damit verbundenen Veränderungen anzupassen. Aber auch in den anderen Unternehmen ist die Stabilität der Beschäftigungsbeziehungen ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, nachdem Sie eben versucht haben, die von uns geforderte deutliche Begrenzung der Überstunden als kaum oder gar nicht machbar darzustellen, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß zum Beispiel der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Schäuble, aber auch der Kollege Louven und andere Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in den letzten Monaten mehrfach hier im deutschen Parlament auf die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zur Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 hingewiesen haben. Ich wollte Sie zudem fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in dieser Studie des IAB vorgeschlagen wird, die Überstunden so nachhaltig zu reduzieren, daß ein Beschäftigungseffekt von etwa 400 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen dabei herauskommt. ({0})

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, natürlich sind mir die Studie und die Außerungen bekannt. Ich habe mich gerade nur dagegen gewehrt, daß Sie sagen, der Abbau der Überstunden sei eine Sofortmaßnahme zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Ich will Ihnen gleich im Zusammenhang vortragen, welche weiteren Bedingungen erfüllt sein müssen, damit es zum Abbau von Überstunden kommen kann und damit das, was Sie konzipieren, auch für die Betriebe so umsetzbar ist, wie diese es benötigen. Ich glaube, daß der Abbau von Überstunden allein nicht dazu beitragen kann, die von Ihnen vorgetragenen Ziele zu erreichen. ({0}) Lassen Sie mich fortfahren: Wenn wir in den Unternehmen eine stärkere Bereitschaft, Überstunden in Neueinstellungen umzuwandeln, fördern wollen, dann kann das erst gelingen, wenn Kosten- und Risikoabwägung der Unternehmen zugunsten der Neueinstellungen ausschlagen, so daß diese den Vorrang bekommen. Gerade bei unsicherer Auftragslage und verstärktem Kostendruck, wie wir sie in weiten Bereichen der Wirtschaft haben, sind Risikominimierung und hohe Flexibilität von entscheidender Bedeutung. Deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, daran zu denken, Überstunden gesetzlich verbieten zu wollen. Damit schafft man für die Unternehmen wieder nur neue Hindernisse und Einengungen, also genau das Gegenteil der notwendigen Flexibilisierung. Statt dessen müssen den Personalchefs der Unternehmen die Bedenken gegenüber Neueinstellungen genommen werden. Hier haben wir - das ist der Kontext, den ich bereits erwähnt habe - als Koalition in den vergangenen Monaten vieles verbessert. Ich erinnere zum ersten daran, daß wir die Möglichkeit geschaffen haben, befristete Arbeitsverträge bis zu einer Höchstdauer von zwei Jahren abzuschließen, und zwar mit mehrfacher Verlängerung. Das fördert ganz sicher die Bereitschaft, Einstellungen auch bei unsicherer Auftragslage vorzunehmen. Zum zweiten haben wir mit der Erhöhung des Schwellenwertes beim Kündigungsschutz auch Kleinbetrieben die Möglichkeit gegeben, Überstunden in Einstellungen umzuwandeln. Zum dritten sind mit Trainingsmaßnahmen und Eingliederungsverträgen Möglichkeiten geschaffen, die mitgebrachten Qualifikationen der Arbeitnehmer und die Qualifikationsanforderungen der Betriebe - das ist ein entscheidender Punkt - in Übereinstimmung zu bringen. Zum vierten haben wir bei Saisonanforderungen von Arbeitskräften die Möglichkeit geschaffen, die Arbeitnehmerhilfe in Höhe von 750 DM pro Monat beizubehalten. Auch das ist ein ganz wesentlicher Anreiz für Neueinstellungen bei den Unternehmen. Ich erinnere daran - das ist bereits von einem Vorredner gesagt worden -: Das alles haben wir gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt. Auf dem Weg zu mehr Flexibilität in der Arbeitszeit - auch daran möchte ich Sie gern erinnern - sind wir auch auf einem anderen Gebiet ein gutes Stück vorangekommen: In vielen Tarifbereichen wie der Stahlindustrie oder der Chemie, aber auch der Bahn ist der Abbau nicht betriebsnotwendiger Überstunden längst tariflich vereinbart. Mit dem Gesetzentwurf zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten geben wir jetzt allen Arbeitszeitkontenmodellen den notwendigen gesetzlichen Rahmen. Auch damit gewinnen wir neue Beweglichkeit für alle Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zur Altersteilzeit. Mit der Vereinbarung zu ganzjähriger Beschäftigung am Bau werden wir in Kürze einen weiteren wesentlichen Überstundenbereich in Jahresbeschäftigung überführen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft verbessern; denn mit rund 100 Überstunden pro Beschäftigtem und Jahr war gerade diese Branche mit weitem Abstand Überstundenverursacher Nummer eins. Meine Damen und Herren, wenn der Überstundenabbau bisher trotz aller Bemühungen kaum zu neuer Beschäftigung geführt hat, dann vor allem deshalb, weil damit viel eher Personalabbau gebremst und betriebsbedingte Kündigungen vermieden wurden, statt daß Beschäftigung weiter ausgebaut wurde. Dies macht deutlich, daß Überstundenabbau und Teilzeitbeschäftigung immer nur ein defensives Mittel, also eine reine Umverteilung von Arbeit, sein können. Wenn wir Arbeitslosigkeit wirklich bekämpfen wollen, wenn wir neue Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten schaffen wollen, dann können wir das nur dadurch erreichen, daß wir endlich die notwendigen Reformen weiter verwirklichen. Aber bei allem, was wir bisher zur Verbesserung der Situation beschlossen haben, haben Sie Ihre Zustimmung verweigert. Man kann mit Ausweichreaktionen allenfalls Trostpflaster kleben, aber keine durchgreifende Veränderung erreichen. ({1}) In diesem Punkt unterscheiden wir uns eben von denen, die eine rein defensive Umverteilung wollen. Wir versuchen, einen progressiven Ansatz einer Beschäftigungsentwicklung durch Ausbau von Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Modell der Grünen sagen: Zumindest zeigt es, daß man das Problem der hohen Lohnzusatzkosten erkannt hat und daß man nun versucht, diese hohen Lohnzusatzkosten abzubauen. Aber ob man im Rahmen eines äußerst komplizierten Regelwerkes mit Entlastung auf der einen Seite und damit Belastung auf der anderen Seite wirklich vorankommen kann, das scheint mir doch sehr fraglich. ({2}) - Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Sie tragen hier ein Konzept vor; wir tragen vor, was wir als Politik der CDU umgesetzt haben, ({3}) welche Entscheidungen wir bereits gegen Ihren Widerstand getroffen haben. Ich darf zusammenfassen: Was Sie heute hier vortragen, nämlich eine zwangsweise Arbeitszeitverkürzung, kann nur Mangelverteilung sein, aber keine Förderung der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. ({4}) Wir sind der Auffassung, daß Arbeit in unserem Lande wettbewerbsfähiger werden muß. Dazu brauchen wir keine neuen Reglementierungen. Dazu brauchen wir mehr Öffnung, mehr Beweglichkeit und mehr Eigenverantwortung. Ich rufe Sie hiermit auf, auf diesem Wege mit uns zu gehen. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile jetzt das Wort der Abgeordneten Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heiderich, Sie haben ja recht: Es gibt keine Wundermittel, um mit der Krise der Erwerbsgesellschaft fertig zu werden. ({0}) Aber Gesundbeten können Sie den Arbeitsmarkt nun auch nicht. Das ist in den letzten Jahren, in denen die Erwerbslosigkeit zugenommen hat, deutlich geworden. Egal, was Sie machen - vielleicht auch, weil Sie es machen -: Es bewegt sich wirklich nichts zum Guten, sondern alles nur zum Schlechten. Herr Kollege Schreiner hat eben darauf hingewiesen. ({1}) Das Gefährliche - auch für uns in diesem Parlament - ist, daß sich wegen dieser pauschalen Schlagabtäusche die Bevölkerung zunehmend mit Enttäuschung und auch Vertrauensverlust von „denen da oben" abwendet und der soziale Sprengstoff, nämlich die Arbeitslosigkeit, von Tag zu Tag wächst. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich muß schon sagen: Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen! ({2}) Sie haben in der Tat mehr zu bieten, als Sie in diesem Antrag skizziert haben. Der zentralen Aussage Ihrer Analyse möchte ich allerdings gerne folgen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Der zentrale Satz in Ihrem Antrag lautet: Ein Wirtschaftsaufschwung allein kann die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen. Das sagen übrigens inzwischen auch Sie von der Regierungskoalition und sogar Herr Rexrodt. Dazukommen müssen auch Maßnahmen zur gerechten Verteilung der Arbeit. Vollkommen d'accord. Das sagt übrigens auch Herr Schäuble. Das ist eben schon gesagt worden. An diesem Punkt setzt das bündnisgrüne Modell zum Bonus/Malus an. Bonus/Malus ist die Übertragung der Idee der Ökosteuer auf das Sozialversicherungssystem. Das Gewollte, der Bonus, soll belohnt, das zu Vermeidende, der Malus, soll teuer gemacht werden. Das Gewollte ist in diesem Fall die Verkürzung der Arbeitszeit; das zu Vermeidende sind Überstunden und überlange Arbeitszeiten. Die grobe Struktur des Modells ist leicht erklärt: Mittels einer Differenzierung der Sozialversicherungsbeiträge, die die Unternehmen abzuführen haben, soll auf die Gestaltung der Arbeitszeiten im Betrieb Einfluß genommen werden. Wir verteilen das Gesamtaufkommen der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen intern um und entlasten dabei gezielt die Betriebe, die ihr Jahresarbeitszeitvolumen auf mehr Beschäftigte verteilen, während wir Betriebe mit ungünstiger Relation von Arbeitszeit und Beschäftigtenzahl stärker belasten. Als Scheidepunkt für die Ent- und Belastungen soll die derzeitige tarifliche Durchschnittsarbeitszeit von 37 Stunden im Westen und 39 Stunden im Osten angesetzt werden. Das Unternehmen wird am Jahresende, ähnlich wie beim Lohnsteuerjahresausgleich, die Zahl der in seinem Betrieb geleisteten Arbeitsstunden ins Verhältnis zu der Zahl der Beschäftigten setzen. Landet es dann bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von unter 37 Stunden, so wird die von ihm abzuführende Sozialversicherungssumme verringert, landet es bei über 37 Stunden, so muß es draufzahlen. ({3}) Für kleine und mittlere Betriebe schlagen wir vor, einen zusätzlichen Zeitbonus auszusetzen, weil wir wissen, daß gerade in diesen Betrieben die realen Arbeitszeiten oft höher sind als in den Tarifverträgen festgelegt. Dieser Ansatz, meine Damen und Herren, bietet eine Chance, mit einem hochflexiblen und sehr sensibel reagierenden Instrument den Trend in Bewegung zu bringen, den wir so dringend brauchen: die tendenzielle Verkürzung der Arbeitszeiten, die die Chance für Neueinstellungen eröffnet. ({4}) Dieses Instrument ist nicht nur flexibel, sondern auch kostenneutral; denn die Höhe des auszuschüttenden Bonus richtet sich nach dem aufgelaufenen Malus. Die Einnahmen der Sozialkassen auf der Arbeitgeberseite bleiben also im Saldo bei 50 Prozent. Auf diese Weise sollen die Arbeitgeber auch weiterhin zur paritätischen Finanzierung der Sozialkassen beitragen. ({5}) Mit dem Bonus-Malus-Modell gibt es endlich ein Instrument, das beweglich genug ist, um auf die hochausdifferenzierten Arbeitszeitverhältnisse in den Betrieben zu reagieren, das tarifliche Vereinbarungsrechte nicht beschneidet und dennoch das dringend Gewünschte auf den Weg bringt, nämlich Überstunden und überlange Arbeitszeiten für den Marieluise Beck ({6}) Arbeitgeber teuer zu machen und damit die Waage in Richtung Umverteilung, also Neueinstellungen, sich neigen zu lassen. Dieses ökonomische Anreizmodell kann viel feiner auf die in der Arbeitswelt bereits jetzt schon so hoch ausdifferenzierte Arbeitszeitregelung reagieren, als es gesetzliche Regelungen können, die immer nur grobe Rahmen abstecken. Unser Ansatzpunkt ist das betriebliche Kostenkalkül. So, wie wir in der Ökologie von der Internalisierung der Kosten sprechen, müssen auch die externen Kosten der Arbeitslosigkeit internalisiert werden. Die Sozialversicherungsansprüche der Arbeitnehmer bleiben von diesem Modell unberührt. Den Ausweg über die Flucht in prekäre Beschäftigung haben wir verstellt, indem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterhalb einer Halbtagsbeschäftigung, also 19 Stunden, bei der Ermittlung des betrieblichen Mittelwertes unberücksichtigt bleiben. - Ich hoffe, Sie winken nicht gleich ab. Im Volksmund heißt das: Wat de Buer nit kennt, dat freit er nit. Wer ein wenig über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen bereit ist, der weiß, daß unsere europäischen Nachbarländer zum Teil schon mit dem Instrument der Differenzierung von Sozialversicherungsbeiträgen arbeiten, um neue Beschäftigungspotentiale zu erschließen, und daß sie damit durchaus Erfolg haben. Wir können davon ausgehen, daß sich die Debatte um Beschäftigungspolitik in Europa verändern wird, nachdem in England und Frankreich Wahlen stattgefunden haben und so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind. Ich habe Ihnen hier nur einige Grundzüge des Bonus-Malus-Modells darlegen können. Sie können unserem Antrag entnehmen, daß es bereits viel ausdifferenzierter ist. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuß; denn ich meine, einem so klugen marktwirtschaftlichen Lenkungsinstrument für die Verteilung von Arbeit werden Sie sich nicht entziehen können. Mit dem Totschlagsargument, es sei zu kompliziert, machen Sie es sich etwas zu einfach; denn die Arbeitswelt ist inzwischen kompliziert. ({7}) Auch die Sozialversicherungssysteme sind kompliziert. Sie wissen ganz genau, daß wir auf die Krise der Arbeitsgesellschaft nicht mit einfachen Lösungen antworten können. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit zwei nicht neuen, sondern hier schon oft debattierten Rezepten will die SPD Arbeitslosigkeit bekämpfen: der gesetzlichen Beschränkung von Überstunden und der Förderung von Teilzeitarbeit. Es tut mir leid, Frau Beck, mir lag Ihr Antrag noch nicht schriftlich vor. Aber ich garantiere Ihnen schon jetzt: Wir werden ihn sicher nicht gleich herzlos in den Papierkorb werfen, sondern ihn schon prüfen. Nur, mein erstes Hinhören zeigt mir: Er ist außerordentlich bürokratisch. Vielleicht kann man Formen finden, in denen auch ein solcher Vorschlag unter Umständen positive Impulse in unser aller Sinne aussendet. Ich konzentriere mich insofern auf das, was die SPD vorgeschlagen hat. Zunächst zu den Überstunden: Eine Million Arbeitsplätze könnten - rechnerisch - entstehen, wenn heute geleistete Überstunden in reguläre Arbeitszeit umgewandelt würden, so die schlichte Argumentation der SPD. Also müsse man die Arbeitgeber zwingen, statt teure Überstunden leisten zu lassen, Arbeit in Form von neuen Arbeitsplätzen anzubieten. ({0})]: Wenn die Arbeitskräfte dann überhaupt da sind!) Es lohnt sich angesichts dieser immer wiederkehrenden Diskussion, sich einmal die Fakten vor Augen zu führen und die Frage ernsthaft zu beantworten: Warum machen Firmen Überstunden, wann machen Firmen Überstunden? Vergleicht man den Höchststand der Überstunden aus dem Jahr 1970 - da waren es pro Arbeitnehmer in Westdeutschland 157 Überstunden im Jahr - mit der entsprechenden Zahl heute, nämlich 60 Überstunden, wird zweierlei deutlich. Erstens. Überstunden spiegeln auch die wirtschaftliche Lage im produzierenden Gewerbe - dort sind die Überstunden vornehmlich anzutreffen - wider. Zweitens. Die Anzahl an Überstunden ist enorm zurückgegangen. Sie machen nur noch 4 Prozent des gesamten Arbeitsvolumens aus. Dies ist auch Folge der wachsenden Flexibilität der Arbeitszeit. Überstunden sind teuer. Ohne Grund wird kein Unternehmen über längere Zeit sein Arbeitskontingent über Überstunden abwickeln. Überstunden sind also nur ein notwendiger Arbeitszeitpuffer. Sie ermöglichen Mehrarbeit bei kurzfristig veränderter Auftragslage. Wer hier quotiert, einschränkt, einengt, nimmt den Unternehmen Luft zum Atmen. Es ist also naiv, zu glauben, daß diese in Betrieben anfallenden Überstunden ohne Schaden für die Kostenstruktur in Dauer- und Teilzeitarbeitsplätze verwandelt werden können. ({1}) Flexible Arbeitszeiten, also die Inanspruchnahme von Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, sind sicher sehr geeignete Mittel, Überstunden der regulären Arbeitszeit zuzuführen. Nur, das hilft wiederum nur denen, die schon Arbeit haben, also nicht den anderen, die völlig ohne Arbeit dastehen, um die es uns in dieser Debatte geht. Dieser Weg - das ist die Quintessenz - führt also in die Sackgasse. Zur Teilzeit: Hier liegen wir durchaus näher beieinander; denn die Förderung von Teilzeitarbeit ist durchaus sinnvoll - allerdings nicht über die von IhDr. Gisela Babel nen vorgeschlagenen Maßnahmen. Einen großen Schritt tun wir jetzt in dem angekündigten Flexibilisierungs- und Altersteilzeitgesetz, das noch vor der Sommerpause eingebracht werden soll, in dem wir gesetzliche Regelungen finden - die vor allem auch die Sozialversicherungspflicht betreffen -, die die Aufteilung von Arbeitszeit begünstigen werden. Die SPD dagegen - Sie, Herr Schreiner, haben das eigentlich ein bißchen verschleiert, was mir zeigt, daß Sie vielleicht nicht so ganz daran glauben - will dem Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Einräumung eines Teilzeitjobs geben, ({2}) verbunden mit dem Recht zur Rückkehr auf eine volle Stelle. Meine Damen und Herren, manchmal erscheint es mir so, daß Ihr Bild von einem Betrieb völlig von der Wirklichkeit abhebt. Ein Unternehmen, das am Markt und im Wettbewerb bestehen muß, ist doch keine karitative, soziale Veranstaltung, wo es nur darum geht, den Beschäftigten ihre Arbeitszeitwünsche von den Augen abzulesen, ohne jegliche Rücksicht auf betriebliche und ökonomische Bedingungen. ({3}) Ihre Vorschläge zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit erschöpfen sich, wenn ich das einmal ein bißchen härter ausdrücken darf, in Feindseligkeiten gegenüber Unternehmern, die ja schließlich Arbeit anbieten sollen. ({4}) Sie münden meist in den Ruf nach staatlichen Beschäftigungsprogrammen, möglichst auf europäischer Ebene. ({5}) - Sofort, Herr Schreiner, ich will nur noch diesen Gedanken zu Ende führen. Ich darf noch einmal das Instrumentarium aufzählen: Überstunden verbieten; Lehrlingsausbildung aufnötigen, anderenfalls Geld einfordern; für die wiedereinzurichtende Frühverrentung den Arbeitgebern einen Fonds aufdrücken, in den sie 3 Milliarden DM einzahlen sollen; den Arbeitgebern die Pflicht auf erlegen, Teilzeit anzubieten. All das erleichtert den Arbeitgebern das Leben nicht, sondern erschwert es. Wer bei widrigem Wetter schwierige Wegstrecken hinter sich bringen muß, braucht Marscherleichterung. Bitte schön, Herr Schreiner.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Entschuldigung, Frau Kollegin, das Wort erteile ich. Herr Kollege Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Dr. Babel, nachdem Sie soeben gesagt haben, das Begehren der SPD, Menschen, die vorübergehend in Teilzeit arbeiten, ein Recht zur Rückkehr in ein volles Arbeitszeitverhältnis zu verschaffen, wenn sie dies denn wollen, sei Zeugnis der unternehmensfeindlichen Haltung der SPD, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es eine ganze Reihe von Großunternehmen wie zum Beispiel Bayer gibt, die aus Familienfreundlichkeit - es gibt ja den sogenannten Dräger-Preis, der jährlich jeweils dem bundesweit familienfreundlichsten Unternehmen verliehen wird - den dort beschäftigten Männern und Frauen über eine Gesamtbetriebsvereinbarung die Möglichkeit einräumen, nach Geburt eines Kindes und nach Ablauf des Erziehungsurlaubes ({0}) die Erwerbsarbeit bis zum siebten Lebensjahr des Kindes ganz zu unterbrechen oder auf Teilzeit zu gehen, und anschließend ein Wiedereinstiegsrecht zu den früheren Bedingungen zugestehen. Das, was Sie als arbeitgeberfeindlichen Akt der SPD darstellen, ist längst Gegenstand von Gesamtbetriebsvereinbarungen in etlichen deutschen Großunternehmen. Wir überlegen uns, wie man diese arbeitnehmerorientierten Arbeitszeitregelungen so ausweiten kann, daß wesentlich mehr Menschen als bisher, die eigentlich einige Jahre auf Teilzeit gehen wollen, dieses auch tun können. Dies hätte positive Beschäftigungseffekte zum Ergebnis. Sie tun es gegenwärtig nicht, weil sie Angst haben müssen, die später gewünschte Rückkehr in ein Vollzeitarbeitsverhältnis nicht mehr zu bekommen. ({1})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schreiner, daß diese Regelung, so wie Sie sie schildern, auch für den Arbeitgeber durchaus Vorteile bietet, weil sie ja auch das Gesamtklima positiv beeinflussen könnte, will ich gar nicht in Abrede stellen. Ich bin aber dagegen, daß eine gesetzliche Regelung, die Zwangscharakter hat, einen dazu zwingt, es zu tun. ({0}) Wenn es innerhalb von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu solchen flexiblen Regelungen kommt, würden wir es begrüßen. Sie sind ja für den einzelnen oft nur dann akzeptabel, wenn er eine Garantie bekommt. Das ist ja auch das Dilemma, daß dann, wenn man für seinen Lebensunterhalt ein gewisses Arbeitskontingent einfach braucht, die Bereitschaft zur Teilzeit nicht da ist. In diesem Ziel sind wir uns durchaus einig. Aber es ist in dem Moment arbeitgeber- und betriebsfeindlich, wenn ohne Rücksicht auf die betrieblichen und ökonomischen Belange sowie die ökonomische Situation etwas aufgezwungen wird. Da liegt der Unterschied, nicht in der Sache selber. ({1}) Die SPD packt bei ihren Vorschlägen - das können Sie nicht bestreiten - munter drauf. Diese BelastunDr. Gisela Babel gen werden das Gegenteil bewirken - da knüpft unsere Kritik an -, sie werden zu einem weiteren Schrumpfen der Beschäftigung und einem weiteren Anwachsen der Arbeitslosigkeit führen. Wir Liberale setzen dagegen nicht auf Gängelung, sondern auf Entlastung der Unternehmen, vor allem auch von bürokratischer Strangulierung. Wir fahren mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme und der Liberalisierung im Arbeitsrecht fort. Die Koalition hat diese Gedanken ebenso wie viele andere europäische Staaten aufgegriffen. Wir befinden uns auf europäischer Ebene übrigens in bester Gesellschaft: Der Wohlfahrtsstaat muß reformiert werden. Das Sozialsystem hat zu einer Abhängigkeitskultur geführt. In Zukunft wird die Zahlung von Sozialleistungen stärker an die Arbeitsbereitschaft gekoppelt. Diese in Ihren Ohren liberal klingende Aussage stammt von Tony Blair, dem gewählten Premierminister Großbritanniens. Auch die Tarifpartner sind meiner Ansicht nach zumindest im Vergleich zur SPD-Fraktion schon auf einem sehr viel moderneren Weg. Wenn Sie heute die Kommentare zu dem Chemie-Tarifvertrag mit Entgelt- und Arbeitszeitkorridoren sowie Einstiegstarifen lesen, dann können Sie endlich ein Reagieren auf die Wünsche nach flexibler Gestaltung der tariflichen Regelungen beobachten. Ich begrüße das ausdrücklich; denn es ist besser, wenn sich hier die Tarifpartner einigen und nicht der Gesetzgeber Vorgaben machen muß. Das bringe ich auch von seiten der F.D.P. ganz klar zum Ausdruck. ({2}) Zum Abschluß möchte ich den Arbeitgebern dringend nahelegen, die Instrumente zu nutzen, die wir geschaffen haben, um Einstellungen zu fördern: die befristeten Arbeitsverträge, die Möglichkeiten des Eingliederungsvertrags, bei dem das Risiko der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für eine bestimmte Zeit vom Arbeitsamt getragen wird, sowie künftig die Arbeitsteilzeit, kombiniert mit der Einstellung von Arbeitslosen. Wenngleich ich tief davon überzeugt bin, daß das, was die SPD vorschlägt, nichts taugt, muß ich auch zugeben, ({3}) daß der Beweis, daß die Koalition das Richtige getan hat, um Beschäftigung zu fördern, noch aussteht. Sie könnten immerhin einmal anerkennen, daß ich so etwas sage. Hier sehe ich uns gleichfalls in der Pflicht. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde auch, daß Frau Babel einmal ein richtiges Lob verdient hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ich hoffe, Sie werten es nicht als Mißachtung, wenn ich jetzt angesichts der Kürze meiner Redezeit im wesentlichen zu unserem Antrag argumentiere. Das entscheidende Motiv für den Antrag. der PDS zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ist das dramatische Ausmaß der Massenarbeitslosigkeit und vor allem, daß kein Land in Sicht ist. Es tut not, Alternativen zur herrschenden Politik aufzuzeigen., Dabei, Herr Heiderich, gehen wir weder davon aus, daß wir ein Allheilmittel vorschlagen, noch davon, daß es ein Wundermittel ist. Wir möchten aber erste Schritte machen, die möglicherweise wirksamer als das sind, was Sie bisher geleistet haben. Mit dieser Forderung stehen wir auch nicht alleine. Die Forderung nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor wird ja in vielen anderen Bereichen - etwa bei den Gewerkschaften oder bei anderen Parteien - diskutiert. Morgen werden wir die neuen Arbeitslosenzahlen für den Mai hören. Niemand in diesem Hause, jedenfalls niemand, der sich ernsthaft mit dieser Problematik auseinandersetzt, wird glauben, daß es eine Trendwende zum Besseren geben wird; ganz im Gegenteil. Sie müssen sich schon vorhalten lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, daß es in der Vergangenheit kein größeres Projekt gegeben hat, das Sie nicht mit dem Versprechen in Gang gebracht hätten, es schaffe Arbeitsplätze. Aber es passiert überhaupt nichts; es sind alles beschäftigungspolitische Flops. Das ist auch gar kein Wunder. Nehmen wir als Beispiel das Arbeitsförderungs-Reformgesetz. Ich hoffe, Sie reden auch einmal mit Trägern und Beschäftigungsgesellschaften. Was dort jetzt passiert, ist geradezu ein Drama, und ich wünschte mir, wir würden uns damit einmal wirklich ernsthaft auseinandersetzen. Ihr vielbeschworener Mix aus Sozialabbau und Steuersenkung ist eben überhaupt nicht geeignet, mit der Massenarbeitslosigkeit fertig zu werden. Selbst Ihr großes Reformwerk, die Steuerreform, ist beschäftigungspolitisch der blanke Hohn. Mit Steuereinsparungen in Höhe von 30 Milliarden DM zugunsten der Besserverdienenden wollen Sie ganze 50 000 Arbeitsplätze schaffen. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es lächerlich; aber es ist leider ernüchternd und eine zynische Bilanz für die Millionen Erwerbslosen, die auf neue Arbeitsplätze hoffen. ({0}) Sie haben gegenüber dem Problem der Massenarbeitslosigkeit komplett versagt, weil Sie untaugliche Rezepte auf Entwicklungen anwenden, die einer Erosion der traditionellen Arbeitsgesellschaft gleichkommen. Es ist doch unübersehbar, daß selbst bei günstigerer Wirtschaftsentwicklung - in diesem Jahr haben wir sie ja beinahe - mit weiteren ArbeitsplatzDr. Heidi Knake-Werner verlusten gerechnet werden muß und sich die Prognosen häufen, die davon ausgehen, daß in wenigen Jahren nur noch ein Bruchteil der Erwerbstätigen gebraucht wird, um die benötigten Waren und Dienstleistungen herzustellen. Mit unserem Antrag auf Einrichtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors wollen wir einen Beitrag zu dem dringend notwendigen sozialen und ökologischen Umbau unserer Arbeitsgesellschaft leisten. Ein zukunftsfähiger und gemeinwohlorientierter dritter Sektor zwischen Markt und Staat ist nicht nur ein wirksames Instrument gegen Massenarbeitslosigkeit, er ist auch unverzichtbar zur Verbesserung der sozialen, kulturellen und ökologischen Lebensräume der Menschen. ({1}) Niemand in diesem Hause - so hoffe ich jedenfalls - kann doch die Augen davor verschließen, daß die öffentliche Daseinsvorsorge in diesem Land schlechter geworden ist und gleichzeitig die Probleme infolge der Massenarbeitslosigkeit und der zunehmenden Verarmung massiv gewachsen sind. Niemand sollte sich darum herumdrücken, daß die Städte und Gemeinden immer weniger in der Lage sind, mit diesen zunehmenden sozialen Problemen fertig zu werden. Der Bedarf an öffentlichen Angeboten wächst in dem Maße, wie Menschen ins soziale Abseits gedrängt werden, ökologische Lebensgrundlagen bedroht sind und gemeinschaftliche Strukturen zerfallen. Ja, sie zerfallen, weil immer mehr Lebensbereiche von Kommerz und Profit bestimmt werden. Wir haben es in dieser Hinsicht gegenwärtig mit einem Skandal zu tun. ({2}) Dieser Gesellschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht eben nicht die Arbeit aus, wie ja oft diskutiert worden ist, schon in den achtziger Jahren. Es mangelt ihr nicht an Arbeit, sondern es mangelt ihr an Bezahlung der unzähligen öffentlichen Aufgaben, die nicht mehr wahrgenommen werden können, weil unter anderem die Kommunen pleite sind, die aber so dringend gebraucht werden: wohnquartiernahe Jugend- und Seniorenprojekte, Breitensportagenturen, Gesundheits- und Wissenschaftsleben, Technologieberatung für kleine und mittlere Unternehmen, psychosoziale Beratung, Schuldnerberatung, wohnungsnahe Erholungsprojekte usw. Ich will sie jetzt gar nicht alle aufzählen; dazu reicht auch meine Zeit nicht. Wichtig ist nur, daß Bereiche für den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor nicht nur Beschäftigung schaffen, sondern auch sinnvolle und existenzsichernde Arbeit und im wahrsten Sinne eine Zukunftsinvestition sein müssen. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor bedeutet für uns nicht - was uns ja immer gerne vorgeworfen wird - mehr Staat, mehr Zentralismus und mehr Bürokratie. Wir denken nämlich, daß der Staat nicht alles, wofür er Verantwortung trägt, auch selber machen muß. Schon heute dehnt sich ja zwischen Markt und Staat ein sogenannter Non-Profit-Sektor. Vereine, Verbände, Initiativen und selbstorganisierte Projekte leisten dort unverzichtbare Arbeit. Wir wollen, daß diese Arbeit auf Dauer erledigt werden kann, daß sie ausgebaut und professionalisiert werden kann. Das ist ein wichtiges Anliegen des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. ({3}) Ein Anliegen ist es auch, diese Projekte gezielt zu planen und sie mit Struktur- und Regionalpolitik zu verbinden. Im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor sollen auch innovative Produktionen gefördert werden. Wir wollen zum Beispiel, daß Ingenieure in Brandenburg, die ein Glas entwickelt haben, das sich hervorragend als Ersatzstoff für die eklige Glasfaserdämmwolle eignet, ihr Projekt nicht beenden müssen, weil nach drei Jahren die ABM-Stellen auslaufen, sondern daß sie dieses Projekt fortführen können. Vielleicht wird es ja irgendwann einmal marktfähig. So etwas darf man einfach nicht übersehen. Ich will auch deutlich sagen: Viele Ideen des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors sind schon im zweiten Arbeitsmarkt angelegt, aber es kommt jetzt darauf an, dessen Schwachstellen zu beseitigen. Die Schwachstellen kennen sie alle: keine Kontinuität wegen Befristung, Individual- statt Projektförderung usw. Beim ÖBS setzen wir auf selbstorganisierte gemeinnützige Strukturen, weil wir denken, daß sie den sozialen Zusammenhalt fördern, demokratisch gestaltbar sind und bürgernah und unbürokratisch zu organisieren sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Rede kommen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme sofort zum Schluß. - Beim ÖBS geht es uns vor allen Dingen um die Verbesserung der Lebensqualität und darum, die unabschätzbaren Folgen der Massenarbeitslosigkeit und die Langzeitkosten zu minimieren. Danke. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Peter Keller. ({0})

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren seit einer Dreiviertelstunde über drei Anträge der Opposition. Ich habe mich spaßeshalber gefragt, was das Gemeinsame dieser Anträge ist. Ich bin der Meinung: Im Sinne eines Befreiungsschlages gegen die Arbeitslosigkeit kann man sie nur als Patentrezept älterer Bauart bezeichnen. Sie sind in dieser Form nicht tauglich. ({0}) Nun wenigstens eine Bemerkung zum Antrag der PDS. Es hat den Anschein - das meine ich ernsthaft -, als wollten Sie die alte Planwirtschaft wiederbeleben. Man sollte meinen, daß gerade Sie aus Ihren alten Erfahrungen mit einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mehr gelernt hätten. ({1}) Gut, das Wort Arbeitslosigkeit gab es bei Ihnen nicht. Das war tabu. Dafür waren ja auch alle beschäftigt. ({2}) - Na gut. Aber umgekehrt würde eher ein Schuh daraus. Zu den grünen Kollegen möchte ich sagen, daß ihr Bonus-Malus-System bei den Sozialversicherungsbeiträgen, so wie ich das verstanden habe, sicherlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen würde, aber, wie ich glaube, mehr im Bereich der Bürokratie und sonst kaum, weil dieses System einfach zu kompliziert ist. Deshalb sollte man es zwar prüfen, aber ich sehe momentan wenig Chancen für eine Umsetzung. ({3}) - Sie hätten diesen Antrag ja wenigstens ordentlich einbringen können. Man mußte ihn ja durch die Hintertür beschaffen. Regen Sie sich also bitte jetzt nicht gleich auf. Nun zum Antrag der SPD. Nach meiner praktischen Lebenserfahrung und Überzeugung können Überstundenabbau und mehr Teilzeitarbeitsplätze nicht einfach staatlich verordnet werden. Das ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe. Andere mögen vielleicht andere Erfahrungen gemacht haben. Deshalb ist das Ziel zwar richtig, daß die SPD Überstunden abbauen will, nur der Weg ist falsch. Deshalb sollten wir überlegen, ob wir einen gemeinsamen Weg finden. ({4}) Wir benötigen nicht mehr gesetzliche Regelungen. Wir haben gerade im Arbeitszeitgesetz den Rahmen für Überstunden abgedeckt. Das ist ausreichend. Ich bin auch der Meinung, daß es schön wäre, wenn es keine Überstunden gäbe, zumindest nicht in diesem Umfang. Die berufliche Wirklichkeit ist aber anders: Überstunden können wirklich nicht vollständig vermieden werden. Warum? Weil insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sie unabdingbar brauchen. Sie müssen in der Lage sein, Auftragsspitzen, saisonale Schwankungen und kurzfristige Lieferungen auszugleichen. ({5}) Jetzt werden Sie fragen: Wie sieht der gangbare Weg aus? Ich denke - das sollten gerade Sozialdemokraten noch mehr beherzigen -, wir sollten den Betriebspartnern, sprich: unseren Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat und in den Personalräten mehr als bisher zutrauen. Wir sollten ihnen die Verantwortung nicht abnehmen, weil diese Regelung ihre Aufgabe ist. Können Sie mir nicht zustimmen, daß die Betriebspartner vor Ort am besten beurteilen können, wie die Bedürfnisse eines Betriebes und der Menschen unter einen Hut zu bringen sind? Das können wir doch nicht gesetzlich verordnen. Wir müssen uns von der Illusion lösen, daß wir Politiker immer alles besser wissen und zum Wohl der Arbeitslosen möglichst viel reglementieren müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich will darauf hinweisen, daß die Tarif- und Betriebspartner schon viel weiter sind, als viele von uns denken. ({6}) Es gibt ja zahlreiche Vereinbarungen - darüber können wir in den Ausschüssen diskutieren -, die den Überstundenabbau und auch die Teilzeit durch vielfältige Arbeitszeitmodelle fördern. Das sollte man honorieren und unterstreichen. Deshalb sagen wir: Vorfahrt für betriebliche Lösungen. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Keller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Keller, wenn Sie schon meinen, daß alles auf partnerschaftlicher Ebene geregelt werden kann, dann frage ich Sie: Warum waren Sie bei der Lohnfortzahlung so scharf darauf, dies gesetzlich zu regeln? Warum hat man das nicht partnerschaftlich geregelt? ({0}) Denn dort - das hat sich hinterher bewiesen - hat man danach sehr viel bessere Lösungen gefunden, als man es sich hier im Parlament jemals erdenken konnte. ({1}) - Jetzt will ich Ihnen trotzdem noch etwas sagen, Frau Kollegin Babel. ({2}) Herr Kollege Keller, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir mit dem Gesetz zur Lohnfortzahlung einen Bock geschossen haben, wenn Sie jetzt auf der anderen Seite ein staatliches Vorgehen verurteilen und meinen, wir sollten unter Umständen keine gesetzlichen Initiativen ergreifen, um den Überstundenabbau in den Griff zu bekommen?

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei dem Thema Lohnfortzahlung geht es nicht um meine persönliche Meinung. Aber wenn Sie so konkret fragen, dann muß ich konkret antworten. ({0}) Lieber Kollege, die Tarifpartner haben das gesetzliche Instrument angewandt, in dem Rahmen, den Tarifverträge hergeben. Das finde ich gut. In genau diesem positiven Sinne sollen sie es jetzt auch beim Thema Überstundenabbau tun. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir setzen auf einfache Lösungen. Statt teurer Überstunden gibt es ja Instrumente wie den befristeten Arbeitsvertrag, der innerhalb von zwei Jahren dreimal verlängert werden kann. Ich gebe zu: Das war nicht meine Erfindung. Aber jetzt ist er da, und jetzt müssen wir ihn auch anwenden. Dazu fordere ich die Unternehmen auf. Jetzt kommt es einfach darauf an, daß die Betriebspartner diese Möglichkeiten nutzen. Befristete Arbeitsverträge sind ein höchst wirksames Instrument zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wenn sich die Auftragslage in einem mittelständischen Unternehmen stabilisiert, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die eingearbeiteten und fähigen Arbeitnehmer zu übernehmen, wie das vielfach geschieht. Nun noch eine Bemerkung zu dem Antrag der SPD, Hindernisse für Teilzeitbeschäftigung zu beseitigen. Ich muß gestehen: Ich weiß nicht, welche Hindernisse es im Arbeitsrecht noch gibt. Ich habe mich auch im Arbeitsministerium vergewissert; auch dort sind keine bekannt. Denn wir haben die volle arbeitsrechtliche Gleichstellung von Vollbeschäftigung und Teilzeitbeschäftigung. Das geht sogar bis hin zu den von uns nicht ganz so geliebten - da bin ich Ihrer Meinung - 610-DM-Jobs. Auch sie sind arbeitsrechtlich vollkommen gleichgestellt. ({1}) Deshalb verstehe ich diese Forderung nicht. Vielleicht können Sie uns im Ausschuß eine Antwort darauf geben. Weiterhin fordern Sie einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Rückkehrrecht bei Teilzeitarbeit. Ich frage Sie: Glauben Sie wirklich, daß ein solcher Rechtsanspruch die Bereitschaft von Arbeitgebern zu mehr Teilzeitarbeit fördern würde? Ich bin für freiwillige Vereinbarungen, aber nicht für gesetzliche Regelungen. ({2}) Wir können dem Unternehmer nicht irgendwelche Phantommitarbeiterlisten geben. Er muß schon viele zurückkehrende Arbeitnehmer hinnehmen. ({3}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nun zum dritten Teil Ihres Antrags: einmalige Teilzeithilfe - das ist zwar nicht näher umschrieben, aber ich habe versucht, es so zu verstehen. Ich frage mich wirklich, woher Sie das Geld für diese Teilzeithilfe nehmen wollen. Von der Bundesanstalt? Da gibt es nur leere Taschen. Die vom Bundesrat unterstellten Einsparungen und Kompensationseffekte sind mehr als unsicher. Da müssen Sie sich noch etwas einfallen lassen, wenn Sie uns im Ausschuß davon überzeugen wollen. Im Vergleich zu Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, bin ich eher optimistisch. Ich sage: Die gesetzlichen Rahmenregelungen reichen aus; sie müssen nur angewandt werden. Das mehr zu tun als bisher, dazu fordere ich die Unternehmer auf. Da bin ich mit Ihnen einer Meinung. ({4}) Deshalb müssen wir jetzt den Informationsstand in bezug auf die Möglichkeiten und Vorzüge einer Arbeitszeitflexibilisierung einschließlich Teilzeitarbeit wesentlich verbessern. Wir sollten wirklich auch von dieser Stelle aus die Sozialpartner bei einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. Der eingeschlagene Weg zeigt seine Wirkung. Der Bewußtseinswandel ist spürbar - noch zuwenig, aber er ist spürbar. Die Zunahme der Teilzeitarbeit zum Beispiel zeigt etwas ähnliches wie einen ersten Aufwärtstrend. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin der tiefsten Überzeugung, daß die Politik, also der Gesetzgeber, den Abbau von Arbeitslosigkeit nicht verordnen kann, auch nicht durch mehr Gesetze. Es gibt nur einen Weg, nämlich daß jeder in unserer Gesellschaft an seinem Platz gegen die Arbeitslosigkeit ankämpft. Sie fragen jetzt vielleicht zu Recht: Wer ist „jeder"? „Jeder" - das ist für mich der Unternehmer, der mehr unternimmt als bisher. Das ist der Arbeitgeber, der mehr Arbeit gibt als bisher. Das ist der Arbeitnehmer, der Arbeit mit anderen teilt. Das ist auch der Arbeitslose, der zumutbare Arbeit annimmt. Das ist der Betriebsrat, der betriebliche Beschäftigungspakte schmiedet und durchsetzt. Das ist aber auch der Verbandsvertreter, ganz gleich auf welcher Seite, der über seinen Tellerrand hinausschaut und auch die Arbeitslosen mit im Blick hat. ({5}) Das ist meine Überzeugung: Nur gemeinsam - unter „gemeinsam" verstehe ich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft - werden wir die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt abbauen. Herr Kollege Schreiner, weil vorhin jemand von Kolping und KAB gesprochen hat: Dies ist auch die Position der evangelischen und der katholischen Kirche zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. Es wird nur gemeinsam gehen. Dazu möchte ich immer wieder aufrufen. Helfen Sie dabei mit! Ihre Anträge sind in der vorliegenden Form sicher nicht der richtige Weg. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit gebe ich dem Abgeordneten Adolf Ostertag das Wort.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es hinsichtlich der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt längst fünf nach zwölf ist, wissen alle. Ich glaube, auch die Debatte zeigt es. Die lange Zeit, die diese Regierungskoalition hatte, ist ein Beleg dafür, daß sie wirklich die Zeit verpaßt hat und für sie die Zeit abgelaufen ist; denn die Glaubwürdigkeit, den Arbeitsmarkt ernsthaft im Blick zu haben und den Arbeitslosen zu helfen, hat sie wirklich 15 Jahre lang verspielt. ({0}) Nun haben Sie sich im vergangenen Jahr mit dem Ziel, Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000, noch ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Aber wenn man sieht, was seitdem geschehen ist, muß man sagen: Die Regierung Kohl hat das Bündnis für Arbeit nur aus wahltaktischen Gründen genutzt. Sie hat gleichzeitig mehrere soziale Kürzungspakete eingeläutet und verabschiedet. Der Arbeitsplatzabbau geht massiv weiter. Seit Mai 1996 haben wir 450 000 mehr Arbeitslose in diesem Land. Trotz ihrer so tollen Deregulierungsbemühungen seit nahezu 15 Jahren - und weitere sind angekündigt - haben wir eben keine positive Entwicklung, sondern von Monat zu Monat neue Schreckensmeldungen. Seit Monaten schwadronieren Blüm und auch Kohl über die Halbierung der Arbeitslosigkeit. Sie geben das Ziel angeblich nicht auf. Aber niemand in dieser Republik nimmt es mehr ernst, daß dieses Ziel von ihnen wirklich angepackt wird. Nahezu alle verspüren inzwischen, daß mit diesem schönen Versprechen letzten Endes nur der Sozialabbau übertüncht wird. Die Regierung merkt es offensichtlich nicht, daß sie mit ihrer Beschäftigungspolitik total gescheitert ist. Sie versucht weiter, von dem eigenen Versagen abzulenken, indem sie dann uns immer wieder mit dem plumpen Blockadevorwurf kommt. Als ob es aus beschäftigungspolitischer Sicht bei dieser Regierung überhaupt etwas zu blockieren gäbe; das sehe ich in keiner Weise. ({1}) Die Verschlechterung für Arbeitslose und Arbeitnehmer wird auch die SPD natürlich weiterhin nach Kräften versuchen zu verhindern. Ich glaube, die vorliegenden Anträge unterstreichen dies. Dieser Antrag, Sofortmaßnahmen gegen Massenarbeitslosigkeit, konzentriert sich auf die zwei angesprochenen Bereiche: Umwandlung von Überstunden in Arbeitsplätze und die Förderung von Teilzeitarbeit. Alle Experten und auch die Praktiker haben längst erkannt, daß dadurch effizient und auch relativ schnell die Arbeitslosigkeit reduziert werden kann. ({2}) Ich komme gleich dazu, Herr Louven. Zu den Überstunden. Im vergangenen Jahr wurden trotz Rekordarbeitslosigkeit 1,8 Milliarden Überstunden geleistet. Das ist kaum zurückgegangen. Wenn man das über einen längeren Zeitraum betrachtet, dann erkennt man, daß es vor zehn Jahren ähnlich viele waren. ({3}) - Ich gebe Ihnen die Statistik. Sie können es gerne nachlesen. Vielleicht sollten Sie die Studien des IAB nehmen oder das, was wir gestern auf den Tisch bekommen haben, nämlich das Bundesarbeitsblatt. Dort können Sie die Statistiken wirklich sorgfältig nachvollziehen, wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Viele Betriebe - das ist der entscheidende Ansatz - fahren dauerhaft Überstunden. Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich unsinnig, weil es viel zu teuer ist, sondern es ist auch arbeitsmarktpolitisch unverantwortlich. Wir als Politiker sind aufgefordert, das deutlich zu machen. ({4}) Die Reduzierung von Überstunden durch ihre Umwandlung in neue Arbeitsplätze ist eben auch unter gesamtgesellschaftlichen Kosten notwendig, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das kostet einen Haufen Geld. Es ist letzten Endes auch ein Gebot der Solidarität derjenigen, die in Betrieben sind, mit den arbeitslosen Menschen in unserem Land. Die Gewerkschaften, die Kirchen, die Sozialverbände und die Wissenschaft haben das längst erkannt. Wir als Opposition haben entsprechende Anträge eingebracht. Nur die Regierung hat es immer noch nicht begriffen. Bisher ist verhindert worden, den rechtlichen Rahmen zu schaffen, Herr Keller. Ich erinnere an unsere Debatte vor ein paar Jahren im Zusammenhang mit dem neuen Arbeitszeitgesetz. Wir haben doch mit diesem Riesenrahmen, der mit diesem Arbeitszeitgesetz geschaffen wurde, wieder die 60-Stunden-Woche ermöglicht. Wir haben eben nicht festgeschrieben, daß es Freizeitausgleich geben muß; denn dort hat eben eine vernünftige Politik anzusetzen, wenn es um die Umwandlung von Überstunden geht. ({5}) Das Institut in Nürnberg - es ist schon darauf hingewiesen worden - hat nun wirklich festgehalten, daß allein in Westdeutschland durch einen Abbau der zuschlagpflichtigen Überstunden um nur 40 Prozent - das sind überwiegend die dauerhaften Überstunden in den Betrieben - 320 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das geht relativ schnell. Es geht nicht um kurzfristig abzuwickelnde Aufträge in den Betrieben, also wenn mal schnell etwas raus muß. Es geht nicht um das Erledigen von Reparaturen und dergleichen mehr. Das wissen Sie genausogut wie wir. Vielmehr geht es in der Tat um die durchgängig seit über zehn Jahren 1,8 Milliarden Überstunden pro Jahr. Wir müssen einen Teil davon - das IAB hat ausgerechnet, daß 40 Prozent möglich wären - abbauen. Das könnten dann tatsächlich - nicht nur rechnerisch - 320 000 neue Arbeitsplätze sein. ({6}) Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit fordert das ein. Der DGB hat schon vor langer Zeit ein Sofortprogramm für mehr Beschäftigung vorgelegt, in dem eben auch die Halbierung der Überstundenzahl enthalten ist. Es ist wiederum nicht vom Abbau wirklich jeder Überstunde die Rede; denn Wir wissen, glaube ich, daß das nicht geht. Das möchte ich insbesondere auch Frau Babel sagen, aber sie ist jetzt leider nicht hier. ({7}) Es geht nicht nur um die rechnerischen Größen, sondern um die tatsächliche Umsetzung, um die kurzfristige Realisierung. Was macht denn die Regierung? Sie palavert herum und appelliert an die Arbeitgeber. Herr Keller hat das eben auch wieder getan. „Überstunden abbauen" lautet der Appell; wir kennen das doch schon von der Lehrstellenmisere. Das zieht nicht. Wir als Gesetzgeber sind aufgefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn dieses Problem über Jahrzehnte nicht geregelt werden kann. ({8}) Genauso ist es bei den Teilzeitarbeitsplätzen. Wir wissen eben aus den Befragungen, daß etwa ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kürzer arbeiten wollen. Allerdings müssen geeignete Teilzeitarbeitsplätze da sein. Wenn in den Betrieben und Verwaltungen überhaupt Teilzeitarbeitsplätze angeboten werden, dann überwiegend in den unteren Etagen. Von zehn Teilzeitarbeitsplätzen werden neun von Frauen besetzt. Die Gleichung, daß Teilzeit geringqualifiziert, schlechtbezahlt ist und überwiegend von Frauen geleistet wird, ist ein Armutszeugnis für die Gesellschaft und letztendlich auch für den Gesetzgeber, wenn er keine Anreize dazu gibt, was wir tun sollen. Wo bleibt denn die Kreativität der Unternehmer? Sie haben doch die Chance, mehr Teilzeitarbeit anzubieten, wenn so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Teilzeitarbeit möchten. Bisher liegt Deutschland - das ist schon gesagt worden - bei der Teilzeitquote gerade einmal im Mittelfeld, wobei bei uns die 610-DM-Jobs - das sind inzwischen sechs Millionen in diesem Land - eigentlich eingerechnet werden müssen. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Ich gehe darauf nicht ein. Nur würde ich Herrn Keller empfehlen, daß er auf unseren Antrag im Bundesrat aus dem Jahr 1995 eingeht und ihn noch einmal nachliest, weil man dort wirklich detailliert nachlesen kann, wie wir die Teilzeithilfe für Arbeitnehmer umsetzen wollen. Das kostet auch nicht mehr; denn Arbeitslosigkeit ist wohl die teuerste Form. Unser Vorschlag ist also nicht mit höheren Kosten verbunden. Wir sind der Meinung, daß hier in der Tat eine akzeptable und kurzfristig umsetzbare Möglichkeit vorhanden ist. Diese Regierungskoalition blockiert seit Jahren unsere Vorschläge. Ich verweise noch einmal auf das, was mein Kollege Schreiner eingangs gesagt hat, weil ja vorhin von Herrn Heiderich gesagt worden ist, wir hätten kein Konzept: Wir haben eine Fülle von Initiativen vorgelegt. Ottmar Schreiner hat sie aufgezählt; ich glaube, das muß ich nicht wiederholen. All diese Initiativen sind von Ihnen blockiert worden. Es geht Ihnen darum, immer zu deregulieren und abzubauen. Der Kündigungsschutz in den kleinen Betrieben hat nichts gebracht. Er wird auf dem Arbeitsmarkt auch nichts bringen; das wissen wir. ({9}) Die Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse hat auch kaum etwas gebracht. Auch das können Sie inzwischen in den Statistiken der Ministerien nachlesen. Sie forcieren leider noch den Zugang zu den 610- DM-Jobs; ich verweise hier nur auf den Flop des Ladenschlußgesetzes, der das nun wirklich belegt. ({10}) Zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz - lassen Sie mich das auch noch sagen - haben Herr Blüm, Herr Hundt und Herr Jagoda diese Woche Stellung bezogen. Herr Blüm hat gesagt, es bestehe die Gefahr, daß die Reform das bekannte Unwesen bleibt und daß eben kein neues Instrument umgesetzt wird, weil die Betriebe das nicht machen. Sie lassen nur Appelle los. Das reicht in der Tat nicht aus, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Ich glaube, daß unser Vorschlag wirklich ein Schritt zu einem Gesamtpaket zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist. Die Zahlen habe ich genannt. Wir müssen uns bemühen, daß wir viele Instrumente wirksam ansetzen und daß sie schnell wirksam werden. Das hat Auswirkungen auf alle Sicherungssysteme, und wir würden uns manche andere Debatte zur Rente, zur Arbeitslosenversicherung und natürlich auch zur Krankenversicherung ersparen können, wenn wir den Arbeitsmarkt stärken, indem wir nicht alles nur in die Finanzierung von Arbeitslosigkeit stecken, sondern Gelder freimachen und schnell handeln, damit der Arbeitsmarkt entlastet wird. ({11}) Angesichts dessen, daß Sie uns immer vorwerfen, Blockadepolitik zu betreiben, und angesichts der Vorschläge, die wir auf den Tisch gelegt haben, halte ich das für eine ziemliche Unverschämtheit. Handeln Sie endlich: Die Überstunden runterfahren - die Teilzeitquote rauf, damit dieses Millionenheer, das uns alle so sehr bedrückt, ein Stückchen entlastet wird! Das wäre das Richtige. Vielen Dank. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Rudolf Kraus.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schreiner hat die Debatte damit eröffnet, daß er sagte, dieser Gesetzentwurf sei, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit anbelangt, eine der Alternativen zur Regierungspolitik. Herr Schreiner, ich bezweifle nicht, daß das gut gemeint ist, habe aber Bedenken, weil dieser Gesetzentwurf eben nicht geeignet ist, uns in dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auch nur einen Schritt vorwärts zu bringen. ({0}) Dafür sprechen im wesentlichen zwei Gründe: Wir denken, daß das Gesetz nicht mit den Realitäten zu vereinbaren ist und daß es letztlich kontraproduktiv ist, weil etwas zwangsweise gemacht werden soll, was, wenn es zwangsweise gemacht wird, in der Wirtschaft Schwierigkeiten bringen wird. Heute wurde immer wieder auf das Institut in Nürnberg bezug genommen, das ausführt, Arbeitszeitverkürzung könne dazu beitragen, mehr Arbeitsplätze in der Bundesrepublik zu bekommen. Dabei wird eins immer verschwiegen, nämlich daß auch dieses Institut ausdrücklich darauf aufmerksam macht, daß das nur unter Wohlstandsverzicht für alle betroffenen Bürger möglich sei. Genau hier hakt unsere Kritik ein. Wir brauchen zusätzliches Arbeitsvolumen und nicht allein eine Verteilung der Arbeit, die jetzt vorhanden ist. ({1}) - Herr Schreiner, wenn Sie sich ein bißchen mit der Materie beschäftigen, dann müssen Sie doch folgendes feststellen: Mittlerweile ist die Arbeitszeitverkürzung bei uns so fortgeschritten, daß eine natürliche Grenze, nämlich der Zweitberuf, erreicht ist. Warum glauben Sie denn, daß die 610 DM-Arbeitsverhältnisse als Nebenberuf so beliebt geworden sind und warum so viele Leute versuchen, nebenbei etwas zu verdienen? Weil die Tatsache, daß man immer kürzer arbeitet, letztendlich dazu geführt hat, daß die Leute für das, was sie an Ansprüchen stellen oder stellen müssen, zuwenig verdienen! Das ist auch ganz logisch. Jede Arbeitszeitverkürzung wird tendenziell zur Verteuerung der angebotenen Arbeit führen. Das ist ganz selbstverständlich; das kann man nicht ernsthaft bezweifeln. Damit wird ein Kreislauf in Bewegung gesetzt, der fatal ist: weitere Verteuerung der Arbeit, weniger Möglichkeiten für den Betroffenen, Arbeit nachzufragen, und letztendlich ein Stück mehr Arbeitslosigkeit. Ich denke, es muß einleuchtend sein, daß es eine natürliche Grenze der Arbeitszeitverkürzung und damit auch des Überstundenabbaus gibt, nämlich den Zweitberuf.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Kraus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beck?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Aber gern.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Herr Staatssekretär, es wird niemand bestreiten, daß zusätzliches Arbeitsvolumen durchaus wünschenswert ist. Nun wissen wir aber, daß wir bei einem augenblicklichen Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent im Jahr das Erwerbsvolumen bestenfalls auf dem Stand halten können, auf dem es im Augenblick ist. Können Sie uns bitte erklären, wie Sie Wachstum in einer Größenordnung erreichen wollen, die es ermöglicht, die vier Millionen Menschen, die im Augenblick vom Erwerbsarbeitsmarkt ausgegrenzt sind, mit zusätzlichem Erwerbsvolumen zu bedenken?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Ich will Ihnen das an folgendem Beispiel erklären. Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß wir einmal über die Grenzen unseres Landes hinaus in andere europäische Länder schauen sollten. Mir fällt folgendes auf: Die Dänen arbeiten 100 Stunden im Jahr mehr, die Österreicher 120 und die Schweizer 250 Stunden mehr. Das sind alles Länder, die die Folgen des Krieges bei weitem nicht so zu tragen haben wie wir. Also, Arbeitszeitverkürzung ist im Vergleich mit diesen Ländern bei uns auf dem niedrigsten Niveau angelangt. Das als Vorbemerkung. Das zweite ist: Es ist völlig unbestritten, daß Arbeitsvolumen generell praktisch unbeschränkt vorhanden ist. Was nicht vorhanden ist, ist die Kaufkraft für diese Dienstleistungen und Güter. Da gibt es generell zwei Möglichkeiten: Ich kann die Kosten in der Weise senken, daß ich die Bruttolöhne oder die Lohnnebenkosten verringere, oder ich kann längere Zeit für denselben Lohn arbeiten. Diesen Weg gehen schon eine ganze Menge von Firmen. Das Arbeitsvolumen ist also unbeschränkt vorhanden. Ich bin davon überzeugt, daß wir selbstverständlich in einer sehr viel größeren Zahl als bisher Arbeitsplätze schaffen könnten, wenn es uns gelingt, diesen Weg in geeigneter Weise zu gehen. ({0}) - Wenn Sie das nicht verstehen, können Sie das zwar als abstrus bezeichnen; aber es ist trotzdem logisch, Herr Dreßen. Denken Sie einmal ein bißchen darüber nach, dann werden Sie darauf kommen. Vielleicht sollten Sie sich auch einmal mit Leuten unterhalten, die in Betrieben arbeiten, in denen die Arbeitszeit mit dem Effekt verlängert wurde, daß die Kosten gesenkt wurden. Ich rede nicht einer allgemeinen Arbeitszeitverlängerung das Wort. Ich spreche nur davon, daß die allgemeine Euphorie darüber, daß durch Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze geschafft werParl. Staatssekretär Rudolf Kraus den könnten, ein Irrtum ist. Das ist meine feste Überzeugung. ({1}) Frau Beck spricht zum Beispiel auch davon, die Großbetriebe hätten das durchgeführt. Frau Beck, es ist natürlich so, daß es ein großer Irrtum ist, wenn Sie glauben, das, was den Großbetrieben möglich ist, könnte auch den Kleinbetrieben ohne weiteres zugemutet werden. Zu den Größenordnungen: In Großbetrieben mit über 1000 Beschäftigten arbeiten bei uns in der Bundesrepublik etwa 20 Prozent der Erwerbstätigen. In Betrieben mit unter 20 Beschäftigten arbeiten 38 Prozent. Das ist ganz wichtig. Den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Gruppen werden Sie regelmäßig - nicht immer - finden, wenn Sie in die Gewinn- und Verlustrechnungen schauen und die Personalkosten in bezug zum Umsatz oder zur Wertschöpfung setzen. Das wird bei den Großbetrieben ganz anders ausschauen als bei den Kleinbetrieben. Dies ist der eine Grund, warum Großbetriebe zum Beispiel Sozialleistungen leichter verkraften. Der zweite, genauso wichtige Grund ist der, daß Großbetriebe mit einer Marktmacht ausgestattet sind, die es ihnen ermöglicht, bestimmte Kosten auf die Zulieferer abzuwälzen. Dann haben wir die merkwürdige Situation, daß der Großbetrieb, der in sozialer Hinsicht einiges tun kann, das letztendlich zu Lasten der kleinen und mittleren Betriebe sowie deren Angestellten und Arbeiter tut. Der typische Fall war die Frühverrentung. Deswegen darf man nicht derartige Verhältnisse miteinander vergleichen. Wir sind - ich sagte das schon - sicher nicht dagegen, daß man versucht, Überstunden abzubauen. Das ist dort selbstverständlich, wo dies möglich ist. Aber es ist eben in vielen Fällen nicht möglich, weil die Qualifikation der Beschäftigten, die Überstunden machen, nicht mit der Qualifikation der Beschäftigten identisch ist, die Arbeit suchen, so daß die Arbeitsuchenden nicht das tun könnten, was diejenigen, die keine Überstunden mehr machen, nicht mehr tun. Sie werden selbst jetzt, wenn Sie sich mit den örtlichen Arbeitsämtern unterhalten, feststellen, daß es in vielen Bereichen keine entsprechenden Arbeitsuchenden mehr gibt, daß also Arbeitsplätze angeboten werden, die nicht besetzt werden können. Ich spreche jetzt nicht einmal von der sich jede Sitzungswoche neu vollziehenden Merkwürdigkeit, daß die Kollegen kommen und sagen, wir müßten dafür sorgen, daß in dem Bereich Gastronomie, Landwirtschaft oder sonstwo die Anwerbebestimmungen gelockert werden, weil es nicht genügend Deutsche gebe, die diese Arbeit machen. Ich spreche von den ganz normalen Arbeitsverhältnissen, bei denen es in vielen Fällen nach wie vor so ist, daß die Arbeitsplätze nicht mehr mit geeigneten Fachleuten besetzt werden können. Wir sind selbstverständlich dafür, daß alles unternommen wird, um die Dauerüberstunden zu reduzieren. Aber wir warnen davor, das dadurch machen zu wollen, daß man das zwangsweise vorschreibt und gesetzlich fixiert. Das wird nicht funktionieren, genausowenig wie Ihr Bonus-Malus-Modell funktionieren würde; denn das hat mit Marktwirtschaft überhaupt nichts zu tun. Die Marktbedingungen, die vorgefunden werden und die in optimaler Weise vom Produzenten zu nutzen sind, damit er im Wettbewerb bestehen kann, würden dadurch künstlich verfälscht. Das kann man dadurch tun, daß man durch Gesetze vorschreibt, was der einzelne Arbeitgeber zu tun oder zu lassen hat. Man kann es natürlich auch dadurch tun - das ist etwas feiner -, daß man ihm finanzielle Anreize gibt, das heißt, bestimmte Verhaltensweisen finanziell bestraft und andere Verhaltensweisen belohnt. Aber mit Marktwirtschaft hat das mit Sicherheit nichts zu tun. ({2}) Ich habe das durchaus einmal überprüft. Ich bin der festen Überzeugung, daß auch die damit verbundene Bürokratie eine ernsthafte Prüfung dieser Vorschläge überhaupt nicht sinnvoll erscheinen läßt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, daß diese Vorschläge, denen ich ausdrücklich zugestehen will, daß sie gut gemeint waren, uns mit Sicherheit nicht helfen werden, mit den Problemen fertig zu werden. Wir werden versuchen, in der Weise, in der wir bisher Arbeitsmarktpolitik betrieben haben, unter den gegebenen Umständen - auch im Hinblick auf die Globalisierung der Wirtschaft - weiterzumachen und zu versuchen, damit die Probleme zu lösen. Ich glaube, daß wir auf diesem Weg doch gute Erfolgschancen haben. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7522, 13/ 7147 und 13/7800 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatzpunkt 8 auf: 7. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern ({1}) - Drucksache 13/7416 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({2}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({3}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechte von Einwanderinnen und Einwanderern ({4}) - Drucksache 13/7417 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({5}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Vorlage eines Gesetzes zur Steuerung der Zuwanderung und Förderung der Integration - Drucksache 13/7511-Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes - Drucksache 13/7505 - e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innenpolitische Konsequenzen aus dem Mykonos-Urteil ziehen: Einbürgerung für iranische Staatsangehörige erleichtern - Drucksache 13/7676 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({7}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller ({8}), Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klare Integrationssignale setzen: Für eine sofortige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts - Drucksache 13/7677 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Visumspflicht für Kinder und Jugendliche aus den früheren Anwerbeländern zurücknehmen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Rücknahme der Visums- und Aufenthaltsgenehmigungspflicht für hier lebende Kinder und Jugendliche aus den ehemaligen Anwerbestaaten Türkei, Marokko, Tunesien und den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Keine neuen bürokratischen Hürden für jugendliche Ausländer - Einbürgerung endlich erleichtern - Drucksachen 13/6930, 13/7036, 13/7090, 13/7637 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem Özdemir Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS Einseitige Aufkündigung des deutsch-persischen Niederlassungsabkommens - Drucksache 13/7784 ({12}) -Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({13}) Innenausschuß Rechtsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 12 Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Zur Zeit wird es in den Medien Mode, die Idee der Ausländerintegration zu Grabe zu tragen. ({0}) Auf die kürzlich erschienene ziemlich dramatische „Spiegel"-Reportage unter dem Titel „Gefährlich fremd" folgten gleich mehrere Nachfolgeartikel, ({1}) die ebenfalls das Modell einer multikulturellen Gesellschaft für gescheitert erklärten. ({2}) Nun bin ich - das gestehe ich - inzwischen selbst gegenüber dem Begriff „multikulturell" skeptisch geworden. Die romantische Vorstellung von Menschen höchst unterschiedlicher Herkunft, die herzlich und harmonisch permanent Verbrüderung feiern, hält vielleicht der rauhen sozialen Wirklichkeit nicht stand. ({3}) Und es gibt sie leider, die Abschottung und Entfremdung auf beiden Seiten. Es gibt den Rückzug vor allem junger Migranten in ihre abgeschlossenen Zirkel, es gibt deutsche und ausländische Jugendgangs, die sich befehden, es gibt Konflikte um Schulklassen mit hohem Anteil ausländischer Kinder, es gibt Krach um Muezzinrufe im Ruhrgebiet. Das alles ist überhaupt nicht zu leugnen, und ich plädiere sehr für eine offene Aussprache. ({4}) Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wo stecken denn die Ursachen, und wie schaffen wir es, daß Deutsche und Zuwanderer friedlich miteinander oder wenigstens nebeneinander leben, und zwar auch und gerade in den sozialen Problemgebieten, nämlich da, wo hohe Arbeitslosigkeit und Angst vor der Zukunft in den Menschen Abwehrgefühle und Aggressionen erzeugen? Darauf muß die öffentliche Diskussion eine Antwort finden. Integration, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist keine Gleichmacherei. Sie ist wechselseitige Annäherung, ist ein Sicheinfinden und ein Sichanfreunden mit anderen Kulturen. Sie verlangt Verständnisbereitschaft und Respekt vor- und füreinander. Darauf muß die Politik in unserem Lande abzielen, aber leider ist dieses Ziel von der Bundesregierung schmählich verfehlt worden. ({5}) Politischer Wille zur Integration setzt nämlich vor allen Dingen die Fähigkeit zu deutlichen, positiven und konkreten Signalen voraus. Das wichtigste, meine Damen und Herren, ist die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. ({6}) Die Bundesregierung aber bricht ein Versprechen, das sie schon in der vergangenen Legislaturperiode gegeben und das der Bundeskanzler höchstpersönlich - vergessen wir das nicht - noch unter dem Eindruck des Brandanschlages von Solingen für dringlich erklärt hatte. Daß bis heute nichts geschehen ist, läßt sich nicht mehr mit gegenseitiger Blockade von CDU/CSU und F.D.P., mit Zaudern und Zögerlichkeiten entschuldigen. Nein, meine Damen und Herren in der Koalition, Sie sind in dieser Frage verbohrt, verbockt und bar jeder Einsicht. ({7}) Deswegen der dringende Appell: ({8}) Machen Sie endlich Schluß mit Ihrem Kurs der Starre und des Stillstands; liefern Sie uns eine vernünftige Reform; geben Sie den hierzulande geborenen Kindern längst hier verwurzelter ausländischer Eltern mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft! Sorgen Sie dafür, daß die Anspruchseinbürgerung ihrer Eltern und Geschwister endlich durchgesetzt werden kann, und zwar in deutlich verkürzten Fristen! ({9}) Wir können es nicht dulden, daß Sie die notwendigen Voraussetzungen für die Integration von Migranten länger blockieren und damit letztendlich auch den inneren und den sozialen Frieden unseres Landes aufs Spiel setzen. ({10}) Ich verkenne überhaupt nicht, daß gerade manche junge Ausländer zunehmend gewaltbereit sind und sich stärker fundamentalistischen Strömungen zuwenden. Dafür gibt es allerdings mehrere Gründe, und einer davon ist sicherlich: Wer sich beiseite geschoben und nicht anerkannt fühlt, wendet sich irgendwann von diesem Land und dieser Gesellschaft in Trotz und Abwehr ab. Deswegen brauchen wir so dringend einen Kurswechsel. Das sieht übrigens die Mehrheit der Bevölkerung auch so. Nach einer INRA-Umfrage sind 52 Prozent der Deutschen dafür, daß in Deutschland geborene Kinder den deutschen Paß bekommen. Auch im Deutschen Bundestag gäbe es eine Allianz, eine Mehrheit der Vernunft für diese Reform, könnten sich die Befürworter Reform innerhalb der Koalition denn durchsetzen. Ich muß ein Wort zu den „jungen Wilden" sagen, die hier eigentlich eher als junge Milde wirken. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es genügt nicht, über ein Jahr hinweg Ihren Reformwillen in Interviews und Pressekonferenzen kundzutun; hier ist das Parlament, hier müssen Sie mit Anträgen oder Gesetzentwürfen aufwarten; sonst passiert doch nichts. ({11}) Seit Jahrzehnten gibt es eine Zuwanderung nach Deutschland. Der Bundesinnenminister aber argumentiert nach der Devise, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich muß schon sagen: Es zeugt von Realitätsverlust und ideologisch geprägtem Starrsinn, wenn man vor diesen Tatsachen die Augen verschließt. ({12}) Wir brauchen ein Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung und zur Förderung der Integration. Nötig ist ein Konzept, das fair, ehrlich und beständig die Belange der einheimischen Bevölkerung mit unserer Verpflichtung in Einklang bringt, die sozialen, ökonomischen und politischen Aufgaben angesichts der anhaltenden Migration zu bewältigen. Dem dient unser Antrag. Folgendes muß klar sein: Erstens. Der Zuzug von Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen und nachziehenden Familienangehörigen läßt sich nicht mit Quoten festlegen; dafür gibt es nämlich internationale Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte und Ansprüche, die sich aus unserem Grundgesetz herleiten. Das ist auch gut so. Zweitens. Zuwanderung kann jedoch dort politisch gestaltet und durch eine Quotierung gesteuert werden, wo sie sich ansonsten andere Ventile suchen würde. Das erleben wir alle ja tagtäglich. Wer illegale Beschäftigung und ruinöse Konkurrenz durch Lohndumping eindämmen und die Asylverfahren entlasten will, muß eigentlich für ein solches Zuwanderungsgesetz sein. Drittens. Die angespannte Situation in Deutschland und die anhaltend hohe Erwerbslosigkeit lassen es jetzt und für die absehbare Zukunft nicht zu, daß wir neue Wanderungsbewegungen auslösen oder dazu anregen. Das muß man ganz deutlich sagen. Genau deshalb, Herr Zeitlmann, fordern wir ein Gesetz, das an jährliche Zuwanderungsquoten durchaus strenge Kriterien anlegt. Denn politische Steuerung ist möglich und auch nötig, wo es den Erf ordernissen des Arbeitsmarktes und auch der demographischen Entwicklung entspricht. ({13}) Unsere Vorschläge beziehen sich in erster Linie auf den wirtschaftlich motivierten Zuzug, aber wir berücksichtigen auch humanitäre Gesichtspunkte und die berechtigten Interessen des Herkunftslandes. Wer allerdings auf der Grundlage der strikten Vorbedingungen, die wir stellen, eine Zuwanderungserlaubnis erhält, hat dann aber auch einen festen Anspruch auf Hilfen zur Beratung und zur Eingliederung. Wir haben bewußt die Form des Antrags gewählt, weil wir eine offene Diskussion über dieses Thema jetzt wollen, und zwar ab jetzt, durchaus auf die Zukunft gerichtet. Ich glaube, das wird unserer Demokratie und der Meinungsbildung im Parlament guttun. ({14}) Daß es ein Gesetz zur Regelung der Einwanderung geben soll, haben inzwischen alle im Bundestag vertretenen Parteien eingesehen mit Ausnahme der CDU/CSU in ihrer Gesamtheit; aber auch dort brökkelt die einheitliche Ablehnungsfront, und der Innenminister gerät mit seiner starren Abwehrhaltung zunehmend in die Isolation. Sie werden das noch weiter erleben. Ich möchte auch eine Bemerkung zum Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen machen. Richtig erscheinen mir Analyse und Ansatz. Ebenso richtig ist die Forderung, Integrationshilfen zum festen Bestandteil zu erklären. Einig sind wir uns auch darin, daß eine Expertenkommission regelmäßig eine Empfehlung zur Aufnahmekapazität geben soll. Aber ich will auch mit Kritik nicht hinterm Berg halten. Ich meine, Sie gehen in Ihrem Einwanderungsgesetz und auch in Ihrem Niederlassungsgesetz zu weitläufig mit dem Familiennachzug um, so wünschenswert manches daran auch sein mag. Weiter: Spätaussiedler mit anderen Einwanderungswilligen gleichzusetzen geht so kurzfristig, wie Sie es meinen, nicht. Ich halte es auch für falsch, im Gesetz eine Zahl von bis zu 440 000 Zuwanderern pro Jahr festzulegen. Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John - CDU, wie Sie wissen - sagt in ihrem grundsätzlichen Plädoyer für ein Zuwanderungsgesetz aber auch folgendes - ich zitiere sie -: Quoten festsetzen heißt nicht Köpfe zählen, sondern ein Bandbreitenmodell schaffen. Ich finde, darin hat sie recht. Diesem Ziel kommt unser Antrag sehr viel näher. Wir machen ein faires Angebot, und wir zeigen zugleich - ich meine, das müssen wir auch - Zuwanderungswilligen ein ungeschöntes Bild über Bedingungen und Chancen ihres Zuzuges. Schließlich, meine Damen und Herren, gäbe es noch einen weiteren Gesetzentwurf, nämlich einen von der F.D.P., aber den hat sie nicht vorgelegt. Sie hat ihn nur auf Parteiebene diskutiert, damit der flinke Herr Westerwelle auch einmal einen anderen Akzent setzen kann als die ungebremste Klientelpolitik zugunsten der Begüterten in diesem Lande. ({15}) Die F.D.P. will nämlich die Zuwanderung gesetzlich regeln, so wissen wir. Aber es fehlt ihr der Mumm, dazu eine ordentliche parlamentarische Vorlage zu machen, wie es sich ziemt, wenn wir etwas hier in diesem Parlament in Gang setzen wollen. ({16}) Meine Damen und Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, wie wäre es denn, so Sie das wirklich wollen, wenn Sie einmal Ihre koalitionsinterne Kampfeslust nicht nur als beherzte Steuersenker einsetzten und austobten, sondern mit klaren Voten für eine integrationsorientierte Einwanderungspolitik und die gleichberechtigte politische Teilhabe für hier lebende Ausländer durch eine moderne Staatsangehörigkeitsgesetzgebung? Es wäre doch ganz schön, wenn die F.D.P. einmal alte und längst verschüttete Tugenden wiederentdeckte. ({17}) - Wir wollen Ihnen nicht zu viele gute Ratschläge geben, aber ich fände das im Interesse der Sache ganz gut. Meine Damen und Herren, gerade in den vergangenen Monaten hat sich die Bundesrepublik auch in der internationalen Gemeinschaft kein gutes EmpDr. Cornelie Sonntag-Wolgast fehlungsschreiben ausgestellt. Ich erinnere an die Visums- und Aufenthaltsgenehmigung für jugendliche Ausländer, die sich nicht positiv auswirkt und bei den Betroffenen kontraproduktiv zur Integration wirkt. Ich erinnere auch an die jetzt nötigen Bonitätserklärungen für die Beherbergung ausländischer Besucher. Ich erinnere an die Denkspiele in Kreisen der Union über erschwerte Arbeitsaufnahmebedingungen für nichtdeutsche Bewerber um einen Arbeitsplatz. Meine Damen und Herren, wenn das so weitergeht, dann entwickelt sich unsere Republik zu einem muffigen Staat der Schikanen und der Abwehr. Das wollen wir nicht, und deshalb wird die SPD so lange Druck machen, bis Sie sich endlich eines Besseren besinnen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist zweifellos ein nicht unwichtiges Thema. Das ist klar. Aber es ist nicht das wichtigste Thema der Innenpolitik und schon gar nicht deutscher Politik. Daher hielten wir es für notwendig, uns zu Beginn dieser Legislaturperiode zunächst andere Vorhaben vorzunehmen, die für die Zukunft unseres Landes entscheidender sind. Die Menschen wollen die notwendigen Reformen. Sie wollen, daß diese Reformen durchgesetzt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Gerade hier, meine Damen und Herren, sollte die SPD ihre Verweigerungshaltung gegenüber der Rentenreform, gegenüber der Gesundheitsreform und gegenüber der Steuerreform aufgeben; denn das sind die wichtigsten Themen dieses Landes. Zur Innenpolitik: Wir wollen erstens eine große Dienstrechtsreform, die wir zum großen Teil verwirklicht haben. Sie ist nötig. Wir wollen zweitens den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. In der Frage der Kriminalitätsbekämpfung sind wir in Europa Spitze, und das wollen wir weiterhin sein. Drittens wollen wir eine tatsächliche Zuwanderungsbegrenzung. Das sind die wichtigen Aufgaben dieses Landes. Natürlich ist es bekannt, daß das Staatsangehörigkeitsrecht, das aus dem Jahre 1913 stammt, veraltet und reformbedürftig ist. Das ist klar. Aber es handelt sich in diesem Bereich um eine äußerst sensible Materie; denn dieses Recht regelt das Grundverhältnis zwischen Staat und Bürger und berührt damit das Selbstverständnis der Menschen in diesem Lande. Daher muß diese Reform äußerst behutsam angegangen werden. Das haben wir getan, und das werden wir weiterhin tun. Sie, die SPD und die Grünen, haben schon mehrfach erfolglos versucht, uns mit fragwürdigen Reformvorstellungen zum Staatsangehörigkeitsrecht im Plenum zu befassen. Wir haben uns diesem Druck nicht gebeugt, und wir werden das auch heute nicht tun, und zwar einfach deswegen nicht, weil das niemand außer Ihnen will, und das deutsche Volk schon gar nicht. ({0}) Unser Ziel ist vielmehr die Integration der ausländischen Bevölkerung, und daran werden wir arbeiten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marschewski, trifft es zu, daß im Bundesinnenministerium ein fertiger Entwurf für die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vorhanden ist? ({0}) Wenn er nicht vorgelegt wird, ist Ihnen bekannt, warum er nicht vorgelegt wird?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, ich werde gleich darüber berichten. Wir sind dabei, unsere Koalitionsaussage selbstverständlich zu erfüllen. Das ist doch gar keine Frage. Wir haben im Bereich der Innenpolitik Beträchtliches geleistet. Dem stimmen Sie zu; Sie stimmen im Vermittlungsausschuß vielem zu, weil Sie erkennen, daß das eine gute Politik ist, Herr Kollege Schily. Wir werden auch das Staatsangehörigkeitsrecht selbstverständlich in dieser Legislaturperiode neu ordnen. Das ist unser Versprechen, und das werden wir einhalten. ({0}) Es geht natürlich darum, Fragen zu klären. Wir wollen, daß Ausländer integriert werden. Was heißt denn Integration? Integration heißt - das beispielsweise ist Gegenstand unseres Staatsangehörigkeitsrechts -, daß sich jemand kulturell, sozial und rechtlich einordnet. Das wird auch im neuen Staatsangehörigkeitsrecht stehen. Daß derjenige, der Deutscher werden will, vor allen Dingen das Grundgesetz akzeptiert - zum Beispiel, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, akzeptiert, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind -, gilt für alle Ausländer. Das ist eine ganz wichtige Bestimmung. Er muß, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, auf die ausländische verzichten. Wir haben diese Politik stets verfolgt, Herr Kollege Schily. Wir werden den Gesetzentwurf vorlegen, und deswegen ist der Vorwurf der Untätigkeit völlig haltlos. Wir haben größte Vorhaben der Innenpolitik beErwin Marschewski reits verwirklicht. Es ist das letzte große Vorhaben, das wir anfassen werden. Wir tun das deswegen, meine Damen und Herren, weil wir Politik zum Wohl des deutschen Volkes machen und nicht, wie Sie in vielen Bereichen, Verweigerung betreiben. Ich will Ihnen einmal aufzählen, was wir in der Vergangenheit bereits getan haben. Ich mache das, weil meine Kollegen, meine Freunde und ich sehr maßgeblich daran beteiligt waren. Wir haben 1991 das Ausländergesetz liberalisiert. Wir haben zweitens im Asylkompromiß - ich sehe gerade den ehemaligen Innenminister vor mir -, daran gearbeitet, das Ausländerrecht - Herr Kollege Seiters, das war damals Ihre Leistung - zu verbessern. Wir haben - ich glaube, als einziger Staat in der Welt - gesetzliche Einbürgerungsansprüche, die sogar einklagbar sind. Wir haben die Aufenthaltsfristen verkürzt, und wir haben die Einbürgerungsgebühren beträchtlich gesenkt. Dies hat zu dem Ergebnis geführt, daß sich die Zahl der Einbürgerungen auf 70 000 mehr als verdoppelt hat. Dies gilt auch für die Einbürgerung türkischer Mitbürger. Für uns ist dabei eines klar: Die generelle Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft ist für uns nicht diskutabel. Sie birgt die Gefahr in sich, daß sich der betreffende Ausländer der Integration verweigert, weil ihm, Herr Kollege Schily, ohnehin die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wird. Sie kennen die weiteren Probleme. Es ist doch nicht anachronistisch, wenn ich sage: Deutsche Staatsbürgerschaft bedeutet die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Ich sage auch: Schicksalsgemeinschaft. In diese darf man nicht nach Geschmack eintreten und austreten. Doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie die Grünen wollen, führt doch zu einer Rückversicherungsmentalität, zu Rechtsproblemen im Bereich des Familienrechts und im Bereich des Erbrechts. Nun zu Ihrem Antrag. Sie wollen die doppelte Staatsangehörigkeit für hier geborene Ausländer. Haben Sie denn gefragt, ob die Ausländer, zum Beispiel die türkischen Mitbürger, dies überhaupt wollen? Wollen Sie ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft gegen ihren Willen aufdrängen? Ich frage weiter: Ist dies wirklich integrationsfördernd? Sie haben die Verpflichtung, dafür den Beweis zu erbringen. Ich wäre für diese Lösung zu gewinnen, wenn Sie den Beweis für die Wirksamkeit erbringen könnten. Ich bitte Sie daher, diesen Beweis zu erbringen. Ansonsten hätte Montesquieu recht: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es besser, keines zu erlassen. - Bis zu dem Beweis werden wir uns danach richten. Unser Ziel ist es, das Ausländerrecht zu novellieren. Herr Kollege Schily, dankenswerterweise sind wir uns da sehr nahe gekommen, wo es darum geht, die Situation für junge, ältere und behinderte Ausländer zu verbessern. Ein zweites ist uns genauso wichtig. Es geht uns darum, Gewalt zu verhindern. Es ist völlig richtig, daß auch Sie diese Auffassung vertreten. Ich bedanke mich dafür. Wenn jemand in Dortmund demonstriert und die Stadt kurz und klein schlägt, dann muß er ausgewiesen werden. Ich bedanke mich bei der SPD, daß wir in diesen Fragen zu einer Meinung gekommen sind. Das ist eine vernünftige Ausländerpolitik: Integration für die hier lebenden ausländischen Mitbürger und natürlich Ausweisung für diejenigen, die Gewalt ausüben und das Recht brechen. Ein weiteres Problem ist der Zuzug nach Deutschland. Der Zuzug ist zu hoch; er muß wirksam und dauerhaft begrenzt werden. Wir haben 4,3 Millionen Arbeitslose und deswegen geht es darum, mißverständliche Signale in Richtung mehr Aufnahmebereitschaft in jedem Falle zu vermeiden. Solche Mißverständnisse entstehen eben durch die Forderung nach einem Zuwanderungsgesetz. Da man nicht bereit ist, den individuellen Anspruch auf Asylrecht in eine institutionelle Garantie umzuwandeln und das Recht auf Familienzuzug einzuschränken, führen die Vorschläge zu einer Erhöhung der Zuwanderungsrate. Dies will niemand in Deutschland; dies will auch die Union nicht. ({1}) Konkret zu Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen eine jährliche Höchstgrenze für die Aufnahme von Ausländern. Dies könnten wir, wäre diese Höchstgrenze zu verwirklichen, Frau Kollegin, akzeptieren. Daß Sie dies aber nicht wollen, zeigt Ihre Politik und Ihr Bestreben im Innenausschuß des Bundestages. ({2}) Sie sind doch kaum dafür, daß man abgelehnte Asylbewerber - „das machen doch sozialdemokratisch regierte Länder nicht" - abschiebt. Sie sind stets für eine Zuwanderung. Sie, aber nicht alle Kollegen von der SPD, wollen Zuwanderungserleichterungen im Rahmen des Ausländerrechtes schaffen. Sie kommen immer wieder gebetsmühlenartig mit neuen Altfallregelungen. Zu Ihrem Vorschlag, daß Sie Asylberechtigte, Ausländer, die aus tatsächlichen rechtlichen Gründen in Deutschland bleiben, Spätaussiedler-, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge anrechnen wollen. Das ergibt eine Zahl von 850 000 Menschen im Jahre 1995. Wenn Ihr Gesetzentwurf verwirklicht würde, dürften nach Ihrer Rechnung 850 000 Menschen hierbleiben. Das sind mehr, als wir in Deutschland aufnehmen können und in Deutschland brauchen. Das bedeutet, daß die Einwanderungsquote stets Null wäre; Null wie Ihr Handeln im Bereich der Innenpolitik. Ihre Pläne sind unausgegoren und unschlüssig; sie sind eine Mogelpackung. Sie wollen 850 000 pro Jahr vorweg akzeptieren. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen keine weitere Einwanderung. ({3}) Wir sind kein Einwanderungsland. Wir brauchen vielmehr wirkliche Zuwanderungsbeschränkungen. Nun haben Sie dieser Tage eine Presseerklärung abgegeben. Darin fordern Sie die politische, parlaErwin Marschewski mentarische Auseinandersetzung. Wir stellen uns dieser Aussetzung. Wir treten mit dieser Frage vor unser Volk. Sie werden sehen, was das deutsche Volk zu Ihren Vorschlägen sagt. ({4}) An die „vollständig versammelte" Fraktion der Grünen ein paar Worte zu ihrem Vorschlag. Zu dem, was die generelle doppelte Staatsbürgerschaft anbetrifft, habe ich bereits einiges ausgeführt. Weiterhin wollen Sie, wenn ich Ihren Gesetzentwurf richtig verstehe, eine Erhöhung der Einwanderung in Deutschland. Sie wollen, daß der Familiennachzug auf Lebenspartnerinnen und Lebenspartner ausgedehnt werden soll. ({5}) - Ich weiß es nicht; das ist unbestimmt und erweitert die Zuwanderung. - Sie wollen zudem die Ausdehnung auf gleichgeschlechtliche Paare. Meine Damen und Herren, zu letzterem: Ich rufe in diesem Bereich wahrhaftig nicht nach der Vergangenheit; damit das klar ist. Aber hier wird ein Regelungsbedürfnis gefordert, gleichgeschlechtliche Paare als Verwirklichung von Art. 6, dem Schutz von Ehe und Familie, im Einwanderungsgesetz einzubeziehen. Manche Leute in dieser Republik haben, ich sage nicht: den Verstand - das möchte ich aber am liebsten sagen -, aber doch jedes Maß verloren, wenn sie fordern, dies im Zuwanderungsgesetz aufzunehmen. ({6}) Wir wollen eine konsequente Begrenzung der Zuwanderung. Dies geht durch konsequente Anwendung des Ausländerrechts, durch nicht immer neue Altfallregelungen und meines Erachtens nur durch eine Grundgesetzänderung, insbesondere einer Änderung der Artikel 6, 16a und - vielleicht in begrenztem Maße; das Denken soll nicht verboten sein -116. Dies sollte man vielleicht einmal überdenken. ({7}) - Ja, Herr Kollege Penner. Nur das führt zu einer wirksamen Begrenzung der Zuwanderung. Ich biete Ihnen an - ich habe da Erfahrungen -, ({8}) wie beim Asylkompromiß gemeinsam mit uns eine Regelung anzustreben. Nur dies wäre ehrlich und wirksam, Herr Kollege Dr. Penner, nicht Ihr Vorschlag. Der führte zu mehr Zuwanderung, die wir nicht wollen. Zum Schluß: Die Integration der hier lebenden Ausländer - an diesem Ziel arbeiten wir- muß gefördert werden. Aber nur derjenige, der integriert ist, darf erwarten, daß wir ihm die deutsche Staatsangehörigkeit verleihen werden; denn es hat doch keinen Sinn, dies anders zu regeln. Es darf doch hier in Deutschland keine Menschen geben, denen wir zwar die Staatsangehörigkeit verliehen haben, die aber letzten Endes Fremde in Deutschland sind. Bedenken Sie dies, meine Damen und Herren der SPD- Fraktion und der Fraktion der Grünen! Ganz herzlichen Dank. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Cem Özdemir das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner vielbeachteten Rede hat der Bundespräsident in Berlin - ({0}) - Nein, in dem Fall war es der Bundespräsident. Die Reden des Bundespräsidenten werden Gott sei Dank etwas mehr beachtet als die Reden des Kollegen Marschewski. ({1}) Er hat in seiner Rede wörtlich gesagt: Uns fehlt der Schwung zur Erneuerung, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, eingefahrene Wege zu verlassen, Neues zu wagen. Ich behaupte: - so der Bundespräsident weiter Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Rede des Herrn Kollegen Marschewski war ein beredtes Beispiel dafür, daß diese Regierung jede Art von Reformpotential verloren hat, nicht nur in der Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes. Wir haben es gestern verfolgen dürfen: Sie haben keine Luft mehr, eines der dringendsten Probleme dieser Republik in Angriff zu nehmen. ({2}) Mehr als 80 Jahre hat das Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland mittlerweile auf dem Buckel. Eine kohärente Einwanderungsintegrationspolitik, die der Tatsache Rechnung trägt, daß sich die Gesellschaft verändert hat, daß wir nicht mehr in der Gesellschaft der Adenauer-Ära leben, ist von dieser Regierung ganz offensichtlich nicht zu erwarten. ({3}) - Stimmt, die sind noch auf dem Niveau von Bismarck. ({4}) - Ich nehme es zurück, nicht die gesamte Fraktion, nur ein Teil der Fraktion. Ich habe genau aufgepaßt, wer wann geklatscht hat. Der Bruch geht mittlerweile quer durch die Unionsfraktion. Man sieht es schon bei der Sitzordnung. Das scheint mir ganz erstaunlich zu sein. Wenn wir in dieser Frage jetzt noch eine spontane Abstimmung hinkriegen könnten, hätten wir, so glaube ich, doch ganz spannende Mehrheiten. Aber zurück zum Thema: Nach wie vor ist das Kriterium die Abstammung von deutschen Eltern oder einem deutschen Elternteil. In der Koalitionsvereinbarung vom November 1994 heißt es wörtlich: Die Bundesregierung wird eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vornehmen ... Die im Einbürgerungsverfahren bisher vorgesehenen Ermessensentscheidungen sollen weitgehend durch Rechtsansprüche - man höre und staune ersetzt und Fristen beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit verkürzt werden. Bei der Ankündigung ist es bisher geblieben, obwohl wir eine Mehrheit in diesem Hause haben, darunter, wie gesagt, auch viele Kollegen vom rechten Rand dieses Hauses. Das heißt, diese Mehrheit kommt nicht zum Tragen, weil der Fraktionszwang offensichtlich wichtiger ist als eines der dringendsten Probleme in dieser Gesellschaft. Wieviel Zeit wollen wir eigentlich noch verlieren, bevor wir anfangen, die Ärmel hochzukrempeln und dieses Problem in Angriff zu nehmen? Dabei hat niemand von der Opposition bisher verhehlt, daß es auch Probleme gibt im Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen. Niemand von der Opposition hat bisher verhehlt, daß wir auch die Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes überzeugen müssen, gewinnen müssen für ein gemeinsames Miteinander, ({5}) genauso wie wir die Interessen der Nichtdeutschen dieser Gesellschaft einbeziehen müssen. Wir legen Ihnen heute zwei Gesetzentwürfe vor. Der eine hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebenssituation von sogenannten Ausländern und Ausländerinnen zu verbessern durch ein Niederlassungsgesetz, das der Situation gerechter wird als das Ausländergesetz, wie wir es bisher haben. Der andere bemüht sich um eine transparente und sozialverträgliche Regelung von Einwanderinnen und Einwanderern. Wir wollen über dieses Einwanderungsgesetz künftig die Frage der Zuwanderung regeln. Ich denke, daß diese zwei Gesetze wichtig sind für das Zusammenleben in dieser Gesellschaft. Aber eines ist klar: Auch ein Einwanderungsgesetz und ein Niederlassungsgesetz machen so lange keinen Sinn, wie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes nicht in Angriff genommen worden ist. ({6}) Es macht mit Sicherheit keinen Sinn, Menschen ins Land zu holen, die dann wieder eine Karriere als Ausländer beginnen. Wir wollen einen Fahrplan der Integration, nicht einen Fahrplan des Ausländerdaseins in dieser Gesellschaft. ({7}) - Das gehört zusammen, Frau Schmalz-Jacobsen. Deshalb sind wir sehr gespannt darauf, wie die Ankündigung von Herrn Gerhardt, dieses Thema zum Chefthema zu erklären, zu werten ist. Wir sind sehr gespannt auf Ihre Vorschläge. Wir sind vor allem darauf gespannt, wie Sie sich in der Koalition bei diesem Thema durchsetzen werden. Ihre steuerpolitischen Vorschläge haben wir zur Genüge vernommen; vielleicht haben Sie ja auch zu diesem Thema Vorschläge und können einen Teil davon in der Koalition durchsetzen. ({8}) - Sehr schön. Sie haben im Anschluß ja noch Gelegenheit zu reden. Wir schlagen vor, in diesem Einwanderungsgesetz die Fragen der Familienzusammenführung und der Arbeitsaufnahme zu regeln. Wir haben ausdrücklich nicht vorgeschlagen, daß erst die Menschen ins Land kommen und wir dann einmal schauen, wie wir mit ihnen zurechtkommen. Vielmehr steht klar im Gesetzentwurf, daß es vor der Einreise eine Arbeitsplatzgarantie geben muß. Dies ist, so glaube ich, Beispiel dafür, daß wir uns sehr wohl Gedanken darüber machen, wie wir die Probleme in dieser Gesellschaft lösen können. Ich möchte noch etwas zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen, weil ich den Eindruck habe, daß dies der entscheidende Punkt ist und hierzu Meinungsunterschiede offensichtlich nicht nur in diesem Hause, sondern auch in der Gesellschaft vorhanden sind. Mir scheint eine grundsätzliche Verständigung in dieser Frage - guten Willen natürlich vorausgesetzt - durchaus möglich. Wir haben kürzlich den Vorschlag gemacht, zwischen einer ruhenden und einer aktiven Staatsbürgerschaft zu unterscheiden. Die Experten, die sich mit diesem Thema beschäftigen - Frau Schmalz-Jacobsen und andere -, kennen diesen Vorschlag. Ich denke, daß eine ruhende und aktive Staatsbürgerschaft eine problemadäquate Lösung beinhaltet. In einem solchen Konzept werden die Rechte und Pflichten von Doppelstaatlern wie Wahlrecht, wie beispielsweise auch Wehrpflicht zwischen dem Herkunftsland und der Aufnahmegesellschaft in bi- oder multilateralen Abkommen geregelt. Spanien beispielsweise hat seine Beziehungen zu Lateinamerika auf diese Weise geregelt und hat bisher sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Warum sollten wir dieses Problem, beispielsweise in bezug auf die größte Gruppe von nichtdeutschen Menschen, die bei uns lebt - zwei Millionen Menschen aus der Türkei -, nicht auf diesem Wege lösen? Ich denke, mit dieser vernünftigen Lösung könnte man sowohl den Interessen der Menschen, die hier leben, als auch denen der Nichtdeutschen in unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Wenn Sie Interesse an einer Lösung dieses Problemes haben, bitte ich Sie, sich mit diesem Thema ausführlicher zu beschäftigen. Ich glaube, das könnte eine Lösung sein, mit der wir uns in diesem Hause vernünftig aufeinander zubewegen könnten. Ich erkläre es Ihnen gerne nachher noch einmal ausführlich, wie es geht. In der Bundesrepublik Deutschland leben mittlerweile mehr als 2 Millionen Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft. Jede sechste Ehe ist mittlerweile binational. Die Kinder, die aus diesen Ehen hervorgehen, haben ebenfalls völlig legal die Mehrstaatlichkeit. Der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit ist also längst national wie international überholt. Mir ist übrigens auch nicht bekannt, daß diese 2 Millionen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, wie es die Ausführungen von Herrn Marschewski nahelegen, ständig zum Therapeuten rennen und dort auf die Couch müssen, weil sie Loyalitätskonflikte haben und nicht wissen, zu welchem Volk sie gehören. Mir ist dieses bisher nicht untergekommen, im Gegenteil, ich habe den Eindruck, daß man ganz gut damit leben kann und es sehr wohl möglich ist. Bei einem aktuellen Beispiel bitte ich Sie, ebenfalls eine unbürokratische Lösung zu finden: Es handelt sich um die Iraner, die ganz besonders betroffen sind. ({9}) Meine Kollegin Dietert-Scheuer wird auf dieses Thema noch ausführlicher eingehen. Gerade nach dem Mykonos-Urteil können wir uns das skandalöse Vorgehen nicht mehr leisten, Iraner zu zwingen, auf die iranische Botschaft zu gehen, um dort die Ausbürgerung zu beantragen. Es handelt sich um keine Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft wollen, sondern sie sind darauf angewiesen, weil es gar nicht anders geht. Diesen sollten wir doch bei allem Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft eine unbürokratische Lösung ermöglichen. ({10}) Zum Abschluß möchte ich Bezug auf das nehmen, was Kanzler Kohl gesagt hat: Er bat oder forderte auf - ich weiß nicht, wie das bei ihm zu verstehen ist - man möge doch etwas bei den ausländischen Kindern tun. Generalsekretär Hintze hat es offenbar als Aufforderung verstanden, einen originellen Beitrag beizusteuern. Sein Vorschlag einer Kurzzeitstaatsangehörigkeit zwischen Schulalter und Volljährigkeit ist noch einmal eine Variation, ({11}) diese Schnupperstaatsangehörigkeit ist eine intellektuelle Meisterleistung. Offensichtlich führt jedes weitere Verzögern einer Lösung dazu, daß immer abenteuerlichere Vorschläge von seiten der Koalition kommen. Es wird Zeit, daß wir aus den vorhandenen Vorschlägen eine gute Lösung finden. Ich darf mit einer Bitte schließen: Warum können sich nicht einmal alle Abgeordnete, die Interesse an einer Lösung dieser Frage haben - ganz unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit und dem Parteibuch -, zusammensetzen, ihre Vorschläge vorbringen und gemeinsam nach einer vernünftigen Lösung Ausschau halten? ({12}) Die Frauen haben es uns bei der Vergewaltigung in der Ehe vorgemacht. Wir sollten noch einmal zeigen können, daß eine Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses in der Lage ist, dieses Problem zu lösen, ohne mit ideologischen Scheuklappen an die Sache heranzugehen. Ich danke Ihnen. ({13})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es gibt mitunter bizarre Erhebungen, wie jene, die zu folgendem Ergebnis gekommen ist: 80 Prozent der jugendlichen Türken, die in Köln leben, sind auch dort geboren, aber nur 75 Prozent der jugendlichen Deutschen, die in Köln leben, sind dort geboren. Es ist so bizarr, weil es eigentlich nicht so schrecklich viel über Integration, sondern nur etwas über die Bleibezeit aussagt. Ich denke, daß solche Erhebungen ein Schlaglicht auf die Art und Weise unserer Diskussion werfen. Ich habe vor mehreren Jahren hier gesprochen und gesagt, man solle zwei Themen aus dem Giftschrank nehmen, nämlich die Themen Einwanderungsland und doppelte Staatsbürgerschaft. Aus dem Schrank sind sie nun heraus. Das ist schon einmal einen Schritt weiter; sie liegen nämlich auf dem Tisch. Es gibt sehr viel mehr Diskussionen, auch wenn man manchen Diskussionen eine gewisse Giftigkeit nicht absprechen kann. Ich möchte mich bemühen, hier sehr sachlich und ohne Schärfen zu reden. Im übrigen sprechen wir ja hier nicht nur miteinander, sondern auch für die Öffentlichkeit in Deutschland; das ist übrigens etwas anderes als die deutsche Öffentlichkeit. ({0}) Ich möchte den Standpunkt meiner Fraktion und der Freien Demokratischen Partei darlegen. Zunächst einmal möchte ich auf die Frage zu sprechen kommen, wie die Realität aussieht. Umfassende gesetzliche und politische Antworten auf die Herausforderung durch die Migration und ihre Folgen fehlen leider nach wie vor. Es gibt zwar Ansätze, aber umfassend und konzise sind sie leider nicht. Jahrelang hieß es - übrigens parteienübergreifend -, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland. Heute ist das zum Glück nicht mehr so parteienübergreifend der Fall; aber durch diese Lebenslüge wurde jahrelang eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben tabuisiert und blockiert. ({1}) Zugleich wurde übrigens einer der brisantesten Gestaltungsbereiche vernachlässigt. Das hat sich gezeigt, und es zeigt sich immer wieder: Es gibt immer noch und immer wieder fremdenfeindliche Straftaten; ihre Zahl ist deutlich höher als vor der deutschen Vereinigung. Es gibt die Kriminalität gewaltbereiter junger Ausländer und gewaltbereiter junger Aussiedler; Frau Kollegin Sonntag-Wolgast hat es angesprochen. Mit der ungeregelten Einwanderung und der häufig demagogischen Auseinandersetzung darüber sowie mit der Unübersichtlichkeit der Situation wird die Zuwanderung von vielen Menschen in unserem Land als Bedrohung empfunden. Darum ist für den gesamten Bereich des Wanderungsgeschehens und natürlich auch für die Folgeprobleme eine realitätsnahe und - ich wiederhole - umfassende, auf klare Rechtsgrundlagen gestützte Politik für Migration, Integration und Minderheiten überfällig. Sie muß langfristig angelegt sein und Abwägungen mit dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, der Sozialpolitik bis hin zur Kulturpolitik im weitesten Sinne vornehmen. Die Sachkenner sind sich darüber einig, daß Deutschland, das nach wie vor ein besonders attraktives Ziel für Zuwanderung ist, einerseits ein Übermaß an Einwanderung fürchtet und auch fürchten muß, andererseits aber auf lange Sicht ein gewisses Maß an Einwanderung braucht. Ich verweise auf das, was man aus unserer Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" hört. Eine offene, sehr breit geführte Generaldebatte ist nötig und beginnt zum Glück. Es liegen Entwürfe auf dem Tisch. Ich möchte mich jetzt nicht im einzelnen mit Ihrem Entwurf beschäftigen - dazu reicht meine Redezeit nicht aus -, hinsichtlich dessen ich vieles anders sehe. Aber die Entwürfe, die in der Welt sind, haben eines jedenfalls gemeinsam: Sie sind sich darüber im klaren, daß hier Regelungsbedarf ist. Nun verdient dieses Thema nicht, daß man solchen Entwürfen einfach zustimmt oder sie ablehnt. Die Diskussion darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß tiefer gehen und gründlicher geführt werden. ({2}) Aber im gemeinsamen Interesse an der Gestaltung der Zukunft sowie an der Sicherung von sozialem Frieden und kultureller Toleranz muß es doch gelingen, irgendwann konsensfähige Perspektiven zu finden. Ich wünsche mir eine Deeskalation der hoch emotionalisierten und oft völlig irrationalen deutschen Migrationsdiskussion, und ich wünsche mir die Bereitschaft zu einem pragmatischen Dialog über die gemeinsamen Probleme, wobei nicht zuerst nach Zahlen, sondern zunächst einmal nach Zielen zu fragen ist. ({3}) - Herr Kollege Schily, das Irgendwann gilt für uns beide. Sie haben ja nun ein Eckpunktepapier in Ihrer Fraktion vorgelegt. Ich frage Sie: Wird sich irgendwann die SPD auf einen Gesetzentwurf einigen? ({4}) Jede weitere Erkenntnisverweigerung und jede defensive Vernachlässigung aus Angst vor dem Bürger als Wähler halte ich für fahrlässig. Die Migration und ihre Folgen werden uns auch weiter begleiten. Ausländerpolitik reicht als Antwort auf Einwanderungsfragen nicht aus. Das ist zwar unbequem und schwierig, aber wir müssen es leisten. Ein Blick auf die Zugewanderten: Sie sind nicht nur passiv Betroffene, sie sind immer auch Akteure. In ihrer Mehrheit waren sie jahrelang und sind wohl zum Teil immer noch unschlüssig in einem Zustand zwischen unbefristetem Arbeitsaufenthalt und ungeklärter Einwanderungsabsicht. Wir haben nun also eine Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland; gleichzeitig haben wir ein Einwanderungsland ohne klare Einwanderungsentscheidungen der Dazugekommenen. Wer zum Einwanderungsland wider Willen geworden ist, meine Damen und Herren, der darf sich eigentlich nicht darüber wundern, daß er es zum Teil mit widerwilligen Einwanderern zu tun hat. Da gibt es Larmoyanz, da gibt es Rückwärtsgewandtheit, das wissen wir alles. Aber das stellt uns auf eine ziemlich harte Belastungsprobe. Es ist eine deutsche Besonderheit. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks begegnen sich hier nicht nur Deutsche und Ausländer, sondern einheimische Ausländer mit einem fremden Paß und fremde Deutsche mit einem deutschen Paß und mit erheblichen Sprachbarrieren. Sie bilden die zweitstärkste zugewanderte Minderheit. Deutschstämmige Aussiedler - von denen spreche ich hier - sind heute Jahr für Jahr die größte Gruppe der Neuankömmlinge. Das ist eine geradezu klassische Einwanderungssituation. Damit will ich gar nicht die Rechte beschränken, aber man muß es sagen. ({5}) Meine Damen und Herren, natürlich sind verstärkte Bemühungen um die bessere Eingliederung der Zugewanderten nötig. Vor allem gilt dies für die schon in unserem Land geborenen Kinder. Ich kann Ihnen versichern: Es gibt sehr häufig Gespräche, nur tragen wir sie nicht auf dem offenen Markt aus. Es ist übrigens ein Märchen - das höre ich immer wieder -, daß fast alle Türken ihre Kinder in der Türkei in die Schule gehen lassen. Lassen Sie mich Zahlen nennen. 1985 hatten noch etwas über 31 Prozent der Türken ihre Kinder dort. Zehn Jahre später, 1995, waren es nur noch knapp über 8 Prozent, und die Zahlen sind kontinuierlich gesunken. Diese Mär, alle schicken ihre Kinder weg, ist Quatsch. Wir treten ein für ein Geburtsrecht, also Jus soli, für die Kinder. Ich wünschte mir, meine Damen und Herren, wir hätten wenigstens so etwas, wie es die Franzosen nach der Verschärfung durch den ehemaligen Innenminister Pasqua haben. Dort sind nämlich die Kinder der dritten Generation nach klassischem Jus soli sofort Franzosen. Bei der zweiten Generation ist das eine formlose Geschichte; per Postkarte kann man den Antrag stellen, und die Kinder werden wie Franzosen behandelt. Nur ist dort die doppelte Staatsbürgerschaft kein Problem. Auf die Umfrage, die ich mir hier auch notiert hatte, hat bereits die Kollegin Sonntag-Wolgast hingewiesen. Es ist ebenfalls ein Märchen, wenn immer erzählt wird, die Deutschen wollten das alles nicht. 52 Prozent - ich wiederhole das - sind dafür, daß hier geborene ausländische Kinder von Eltern mit Dauerbleiberecht Deutsche werden, 42 Prozent sagen nein, dem Rest ist es egal.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich habe mit Wohlgefallen gehört, daß Sie wünschen, daß wir ein Jus soli bekommen. Das wünschen wir auch. Ich weiß, daß es auch Kollegen in der CDU-Fraktion gibt, die das wünschen und wollen, und auch in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt es Abgeordnete, die das wünschen und wollen. Warum gelingt es dann nicht, das umzusetzen? Das ist der Sinn einer solchen Veranstaltung, wie wir sie heute hier im Bundestag haben. Meine Frage ist: Wären Sie bereit, heute gemeinsam mit uns dafür zu stimmen, daß dieses Jus soli dann auch verwirklicht wird?

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Schily, Sie sind doch durchaus koalitionserfahren. ({0}) - Er selber noch nicht. ({1}) - Ich nehme an, daß der Herr Kollege Schily nicht nur auf sich selber hört, sondern die Ohren und die Augen offen hat und Erfahrungen von Kollegen wahrnimmt. Ich lasse mich hier nicht von Ihnen am Nasenring durchs Gelände ziehen. Sie wissen, wofür wir eintreten. Wir sagen das, wir wiederholen das, und wir bemühen uns um Lösungen; seien Sie versichert. Zu Lösungen - das ist allerdings in der Tat richtig - müssen wir sehr bald kommen. ({2}) Meine Zeit ist abgelaufen. Zum Schluß will ich noch sagen: Ich appelliere sehr dringend daran, daß wir eine vertiefte Diskussion über die Einbürgerungsregelung für Iraner führen. Das geht so nicht weiter, meine Damen und Herren. ({3}) Dazu hatten wir doch im Ausländergesetz die Härteregelung eingestellt. Da müssen wir mehr tun. Vielen Dank. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist traurig, aber wahr: Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist längst überfällig. Frau Schmalz-Jacobsen, es ist wirklich schwer, den Menschen klarzumachen, daß es in diesem Haus für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht und für die doppelte Staatsangehörigkeit zwar eine Mehrheit gibt, daß diese Mehrheit aber hier nicht zustande kommt, und zwar seit Jahren. Herr Marschewski, Sie haben sich hier heute tatsächlich als einer der rechten Hardliner profiliert. ({0}) - Doch, das würde ich schon sagen, Herr Penner. Herr Marschewski, das Fazit Ihrer Rede lautet: Ein richtiger Deutscher ist eben nur, wer deutschen Blutes ist. Ganz offensichtlich haben Sie diese Orientierung. Wenn Herr Marschewski auch nur ein wenig Kontakt zu Menschen ausländischer Herkunft ohne einen deutschen Paß hätte, dann wüßte er, daß diese Menschen schon lange auf ein politisches Signal warten, nämlich, daß sie hier erwünscht sind - Sie sollten einmal gerade mit ausländischen Jugendlichen darüber diskutieren -, daß sie einen Anspruch auf Einbürgerung haben, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt hier haben, und vor allen Dingen, daß ihre Kinder nicht wie Ausländer behandelt werden oder als Fremde gelten. Es ist schon gesagt worden - wir haben das hier öfter betont -: Natürlich sind Kinder, die hier geboren wurden, Deutsche und sollten den deutschen Paß sofort erhalten. Fast täglich übrigens gehen bei mir Briefe von Flüchtlingsorganisationen ein, die dies immer wieder verlangen und uns auffordern, dies im Bundestag einzubringen. Kollege Özdemir hat es bereits gesagt: Herr Marschewski, tun Sie nicht so, als ob es die doppelte Staatsbürgerschaft in diesem Lande nicht gäbe. Fast alle Aussiedler und Aussiedlerinnen haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich muß Ihnen sagen: Auch einige ehemalige iranische Staatsangehörige konnten inzwischen die deutsche StaatsanUlla Jelpke gehörigkeit erhalten, auch wenn sie aus der Staatsangehörigkeit des Iran nicht entlassen wurden. Dazu muß man natürlich wissen: Wenn ein Mensch ohne deutschen Paß diesen Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft überhaupt stellt, muß er Torturen durchlaufen, was Bürokratie und Behördengänge angeht. ({1}) Ich möchte Ihnen einmal das Beispiel eines Mannes darstellen, mit dem ich zur Zeit in brieflichem Kontakt stehe. Er ist hier in Deutschland geboren. Seine Mutter ist Deutsche; sein Vater ist Iraner. Er ist mit seiner Mutter nach Israel ausgewandert, hat dort die israelische Staatsangehörigkeit angenommen, ist dort Staatsbürger und Soldat gewesen, kehrte 1988 in die Bundesrepublik zurück und möchte jetzt gerne die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Ob Sie es glauben oder nicht, er bekommt sie nicht. Deutsche Bürokraten machen ihn plötzlich als Iraner aus. Er war niemals im Iran. Er spricht nicht persisch. Er hat auch keine iranischen Ausweispapiere. Die Bundesbehörden fordern von ihm jetzt, die Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft zu erreichen. Schon die Tatsache, daß man die Forderung der Iraner kennt, daß man dafür dort zunächst den Wehrdienst ableistet, zeigt, wie skandalös deutsche Behörden mit solch einem Fall umgehen. Für Herrn Kanther wäre es ein leichtes, sich hier einmal großzügig zu zeigen. Aber selbst diese Größe hat dieser Innenminister nicht. Unverdrossen halten er und auch Sie, Herr Marschewski, an dem Märchen fest, daß wir nicht in einem Einwanderungsland leben. Entsprechend will er Menschen anderer Staatsangehörigkeit draußen halten und möglichst zügig alle zurückschicken, wie wir an den bosnischen Flüchtlingen sehen. Dieses Land ist ein Einwanderungsland. Das haben wir heute schon häufiger gehört. Deshalb ist es wichtig, politische Wege zu finden, mit der Einwanderung real umzugehen. Jetzt ein Wort an die Grünen: Ich meine nicht, daß der Weg, den die Grünen in ihrem Einwanderungsgesetz aufzeigen, der richtige ist. Da fand ich das von der F.D.P. auf ihrer Pressekonferenz vorgestellte Einwanderungsgesetz ehrlicher. Herr Westerwelle hat nämlich gesagt: Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Einwanderung. Letztendlich haben die Grünen hinterher sehr schnell und eifrig erklärt, daß auch sie die Einwanderung begrenzen bzw. die Rückführung mit organisieren wollen. Einwanderungsbewilligungen sollen nach dem grünen Gesetz Menschen bekommen, bei denen es um den Nachzug von Familiennachwuchs geht, ({2}) die bereits einen Arbeitsplatz hier vorweisen, was sich meiner Meinung nach einzig und allein an der deutschen Wirtschaft orientiert, und die als Spätaussiedler gelten. Eine Quote ist auch für Menschen bestimmt, die nicht als Asylsuchende gelten, aber aus dringenden humanitären Gründen Aufnahme finden wollen. Notlagen lassen sich aber meiner Meinung nach nicht quotieren. Die PDS ist immer für offene Grenzen für Menschen in Not eingetreten. Darunter verstehen wir beispielsweise durch staatliche oder auch durch nichtstaatliche Stellen Verfolgte. Notlagen entstehen durch Verfolgung aus rassistischen, religiösen, sexistischen Motiven. Aber auch aus ökologischen, ökonomisch-sozialen Katastrophen gehen Menschen, die in Not sind, in die Emigration und kommen hierher. Meine Damen und Herren, die Wohlstandsverteilung auf dieser Welt ist schreiend ungerecht. Die Zahl der Umweltflüchtlinge steigt von Tag zu Tag. Der überwiegende Teil der Umweltzerstörung geht auf die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise der westlichen Staaten zurück. Von daher tragen wir eine Mitverantwortung für die Menschen, die dadurch in Not geraten. Weil immer das Horrorgemälde gemalt wird, daß alle nach Deutschland oder nach Westeuropa wollen, möchte ich Ihnen sagen: 50 Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht, meistens innerhalb ihrer eigenen Herkunftsländer. Nur ein Bruchteil will überhaupt hierherkommen. Nur ein geringer Bruchteil will gen Westen bzw. kommt. Diese Tatsachen müssen gesehen werden. Wenn hier gefordert wird, die Ursachen von Flucht zu bekämpfen, dann muß man sagen, daß diese Bundesregierung gegenwärtig mit Abschottung und Repression reagiert, wenn sie davon spricht. Das ist mir erst in den letzten Tagen wieder deutlich geworden, als ich eine Reise an der Ostgrenze durchgeführt habe, wo hochgerüstet wird und mit viel Polizei und technischen Geräten Menschen davon abgehalten werden, in dieses Land zu kommen. ({3}) Wenn Sie beispielsweise diese Gelder dafür einsetzen würden, Menschen, die hierherkommen und es nötig haben, zu helfen, wäre das allemal sinnvoller, als die Bevölkerung systematisch aufzuhetzen. Herr Marschewski, ich kann der löblichen Liste, die Sie hier vorgetragen haben, nicht zustimmen. Seit der Vereinigung haben wir die Verschärfung oder faktische Abschaffung des Asylrechts. Wir haben massenhaft Verschärfungen im Ausländergesetz, im Asylbewerberleistungsgesetz. In diesem Jahr, dem antirassistischen Jahr, haben wir als erstes die Visumspflicht für Kinder und Jugendliche von Herrn Kanther präsentiert bekommen. Man könnte diese Aufzählung um einiges erweitern, was an Regelungen gegen Menschen ohne deutschen Paß in diesem Bundestag zustande gekommen ist. Zum Schluß möchte ich Ihnen sagen - das ist mein voller Ernst -: ({4}) Wenn Sie keine andere Politik machen, dann werden Sie den Rechtsextremisten in diesem Land Rückenwind geben. Sie kennen alle Rostock, Solingen, Mölln, Lübeck und andere Orte, wo es gebrannt hat. Diese Politik führt dazu, daß die Rassisten und Rechtsextremisten in diesem Land sich aufgewertet fühlen und entsprechend tätig werden. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Zeitlmann.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln hier Anträge der Opposition, die zum einen auf Gesetze abstellen, die eine Einwanderungsregelung schaffen sollen, und zum anderen darauf, im Staatsangehörigkeitsrecht mehr zu tun. Ich gehe zuerst auf die erste Gruppe ein: das Einwanderungsgesetz. Ich halte die begriffliche Seite für schon vom Ansatz her falsch. Wir reden in Deutschland vom Sprachlichen her von Einwanderung dort, wo diese Zuwanderung gewollt ist. Typische Einwanderungsländer in der Vergangenheit waren Amerika und Kanada. Dies ist - das müssen wir als erstes sagen - in der deutschen Bevölkerung mehrheitlich sicher nicht gewollt. Tatsache ist doch, daß wir mit solchen Einwanderungsgesetzen - ob wir nun wollen oder nicht - und Sie mit Ihren Einwanderungsgesetzen, die Sie vorschlagen, Signale nach draußen geben. Ohne Zweifel wird der durchschnittliche Informant die Auffassung vertreten, es würde etwas erleichtert werden, sonst hieße es nicht Einwanderung. Auch wenn Sie Einwanderungsbegrenzung sagen, ist das Signal falsch. Im Inneren ist das Signal ähnlich falsch; denn die Mehrheit dieser Bevölkerung, glaube ich, sieht mit großer Skepsis auf die wachsende Zahl der im Lande lebenden Ausländer. Es wird niemand bestreiten können, daß die kritische Sicht der Problematik Inländer/Ausländer im deutschen Volke eher gewachsen ist, und zwar in dem Maße, wie in den letzten Jahrzehnten der Ausländeranteil in unserer Bevölkerung zugenommen hat. Nun wird das natürlich zusätzlich durch die Probleme im Inland angeheizt - ob das vor Jahren schwerpunktmäßig noch die Wohnung war oder jetzt in den letzten Jahren der Arbeitsplatz ist. Es wird immer ein großes Spannungsverhältnis bleiben. Wenn Sie solche Gesetzentwürfe vorlegen, dann sollten Sie auch ganz offen sagen, welche Ergebnisse Sie erreichen, was die Zuwanderungsbegrenzung anbelangt. Da höre ich: überhaupt kein Ergebnis. Ich höre beim einen: Es wird auf absehbare Zeit eine Null-Quote sein. Es wird also über die jetzige Zuwanderung hinaus nichts zurückzuführen sein, also keine Reduzierung. Das ist wenigstens ehrlich. Ich frage mich dann aber: Was soll es dann, wenn Sie Kommissionen einsetzen wollen, die von allen gesellschaftlichen Gruppierungen besetzt sind, und diese dann über viele Jahre nur eine Quote Null festlegen, weil Sie nicht die Ehrlichkeit besitzen, zu sagen: Wenn wir die jetzige Ist-Zuwanderung reduzieren wollen, dann müssen wir ganz anders ansetzen, nämlich erneut am Art. 16a des Grundgesetzes. Kollege Marschewski hat es erwähnt. Wenn wir über die Familienzusammengehörigkeit sprechen, dann müßten Sie den Art. 6 heranziehen. ({0}) Frau Kollegin Sonntag-Wolgast hat davon gesprochen, im grundgesetzlich gesicherten Bereich könne man natürlich nicht quotieren. Einverstanden. Aber dann müssen Sie auch ehrlich sagen: Wir werden nach menschlichem Ermessen auf Jahre hinaus nur eine Null-Quote haben. Dafür hole ich alle Träger dieser Gesellschaft zusammen und lasse sie ein Taubstummenkonzert geben. Das wird nichts anderes; denn sie dürfen im Ergebnis keinen Laut geben, sondern sie müssen Null rufen. Das kann es nicht sein. Damit wird die Gesellschaft, ich sage es einmal so: zumindest nicht ehrlicher. Ich frage mich manchmal, warum einige so etwas erzählen. Frau Jelpke kann ich wirklich nicht ernst nehmen, wenn sie so tut, als sei das Asylrecht abgeschafft worden. Wir waren damals alle dabei. Da hieß es: Es kommt keiner mehr. Angeblich könnten alle nur noch per Hubschrauber von oben ins Land gelangen. Die 120 000 Einwanderer, die wir jetzt jährlich im Verfahren haben, werden völlig negiert. ({1}) - Es werden zwar ein bißchen weniger, aber es ist immer noch mehr als die völlige Abschottung und Abschaffung. Das waren die Ausdrücke, die hier gefallen sind und die ich völlig absurd finde. ({2}) Wenn wir darüber diskutieren, dann sollten wir ganz ehrlich sein und sagen: Diese Bevölkerung hat Ängste wegen ihrer eigenen sozialen Probleme. Diese sollte ich nicht noch dadurch schüren, indem ich draufsattle und so tue, als würde ich etwas bei den Schwierigkeiten verändern, die da sind. Jetzt komme ich zu dem Thema doppelte Staatsangehörigkeit. Ich habe überhaupt kein Verständnis, wie eine Opposition einerseits von dem so bewußten und selbstbestimmten Menschen redet, der wisse, was er wolle. Aber dann wiederum sagt man: Einem Teil dieser Gesellschaft gebe ich - ob er will oder nicht - mit Geburt - das wird ihm nachgetragen - die deutsche Staatsangehörigkeit. Es ist doch begrifflich nicht modern, zu sagen: Ob der integriert wird, ob der hierbleibt, ob der will oder ob die Eltern das bestimmen, ist völlig wurscht; ich gebe es ihm mit der Geburt. Die Antwort darauf, wie modern diese Regelung nun ist, müssen Sie mir einmal geben.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast? ({0})

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme schon noch darauf zu sprechen. Bitte, Frau Kollegin.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Zeitlmann, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß wir denjenigen, die in Frage kämen, die Staatsangehörigkeit nicht hinterhertragen? Vielmehr ist es ein Angebot, das zum Beispiel von den Erziehungsberechtigten auch ausgeschlagen werden kann. Niemand soll zwangsgermanisiert werden. Das Zweite ist, daß Sie bei Ihren Schreckensmeldungen über die Zuwanderungen pro Jahr doch sehen müssen - Herr Kollege Marschewski hat das leider auch verschwiegen -, daß es nicht nur Zuwanderungen gibt, sondern auch Weiterwanderungen und Rückwanderungen.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, Sie kennen wie ich den Saldo, das heißt die verbleibende Positivzuwanderung nach Deutschland nach Abzug derer, die weiterwandern. Diese ist nach meiner Erkenntnis höher als das, was die Wissenschaftler für die notwendige - wie sagt man? - Bluterneuerung fordern. Sie ist deutlich höher als das, was ich als Rate kenne, die für die demographische Entwicklung dieses Volkes erwartet wird. Ich gebe zu, daß ich nicht im einzelnen unterschieden habe zwischen Ihrem Vorschlag und dem der Grünen. Sie hätten auch die Gelegenheit gehabt, die Vorschläge gesondert aufzusetzen oder vielleicht auch wirklich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ausformuliert ist. Sie machen es ja ganz elegant, fordern etwas mit der Nennung von ein paar Eckwerten und sagen, die Bundesregierung solle dann für Sie einen Gesetzentwurf vorlegen. Ich negiere ja gar nicht, daß Sie im Gegensatz zu den Grünen sagen: Wir wollen eine Staatsangehörigkeit nicht gleich jedem nachtragen, wir wollen die Betroffenen die Staatsangehörigkeit auch ausschlagen lassen. Nur, ich habe in dem Fall die Grünen gemeint, die ganz brühwarm sagen, sie wollen, daß die Staatsangehörigkeit nachgetragen wird. Sie fordern also eine Bringschuld der Deutschen bezüglich der hier Geborenen. Das paßt nicht so ganz in meine Welt hinein. Der Kollege Penner fragt: Was ist mit den zwei Millionen Doppelstaatlern? ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Zeitlmann, ich muß Sie unterbrechen. Herr Kollege Penner hatte keine Zwischenfrage gestellt, er hat einen Zuruf gemacht. Nun ist die Frage, ob Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Schily gestatten. ({0})

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, wenn Sie eine Sekunde länger warten, gehe ich erst einmal auf den Zwischenruf des Kollegen Penner ein; denn den Anspruch hat er. Es erscheint mir nicht logisch zu sagen: Wenn es in deutschen Familien doppelte Staatsangehörigkeiten gibt, dann muß ich deswegen generell noch mehr Doppelstaatler zulassen. Diese Logik entzieht sich mir; denn Sie können nicht negieren, daß es, wenn Sie womöglich die ganzen türkischen Familien Doppelstaatler werden lassen, zu Spannungen kommen kann. Diese müssen bei einem Doppelstaatler in einer halbdeutschen Familie nicht logischerweise immer da sein. Man muß also schon unterscheiden. Wenn ich schon zwei Krankheiten habe, muß ich nicht eine dritte fordern. ({0}) Herr Kollege Penner, ich gebe Ihnen recht: In manchen Fällen der Doppelstaatler - ich denke jetzt an Aussiedler - wäre mir auch recht, die Herkunftsländer wären bei der Entlassung von Menschen aus ihrer Staatsangehörigkeit nicht so restriktiv oder so fiskalisch, wie sie sind, und wir könnten die Zumutbarkeit etwas anders ansetzen, als das derzeit geschieht. Bei manchen der Aussiedler ist es nach jetziger Rechtslage nicht zumutbar, zu sagen: Du mußt deine bisherige Staatsangehörigkeit erst aufgeben. Das wäre unzumutbar, weil einige Staaten beispielsweise 5000 DM verlangen, ehe sie die Menschen aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Lassen Sie also bitte die Kirche im Dorf! Bitte, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Zeitlmann, trifft es zu, daß die CSU sehr massiv dafür eintritt, daß der deutschen Minderheit in Polen die Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit erhalten bleibt? ({0})

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ganz offen: Ich gehe davon aus, daß die hier lebende polnische Minderheit - ({0}) - Die deutsche Minderheit, die dort lebt? ({1}) Herr Kollege Schily, ich bin jetzt nicht imstande, Ihnen zu sagen, was die Meinung meiner Partei ist. Das haben wir nicht diskutiert. Ich persönlich bin der Auffassung, daß man in diesem Bereich jetzt irgendwann einen Schlußstrich ziehen muß. Das ist meine persönliche Auffassung. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihnen nicht sagen kann, wie der letzte Stand der Meinungsbildung in meiner Partei dazu ist. Das weiß ich nicht. Ich bin generell der Meinung, daß wir konsequent sein müssen: Dort, wo wir die doppelte Staatsangehörigkeit vermeiden können, sollten wir sie dem Ausland auch nicht ohne weiteres zumuten. Das gilt insbesondere nach Klärung der ganzen europäischen Grenzsituation. Das ist meine persönliche Auffassung. Aber jetzt lassen Sie mich noch etwas zum Thema des Integrationsangebotes sagen. Eines muß man auch einmal deutlich machen dürfen: In Deutschland gibt es - im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, die ich gesehen habe - ein hohes Maß an liberalen Angeboten an die bei uns lebenden Ausländer. Den Eindruck zu erwecken, wir seien ein halber Abschottungsstaat und schrecklich rechtsaußen, ist falsch. Auch von der Frau Ausländerbeauftragten ist zugegeben worden: Wir haben viel eher die Tendenz - wenn auch abnehmend - des Abschottens von hier lebenden Ausländern. Dieser Bereich wird - wie ich höre - mit der zunehmenden Islamisierung und Fundamentalisierung der Gesellschaft immer schwieriger werden, gerade im großstädtischen Umfeld. Deswegen glaube ich, daß wir nicht mit falschen Zeichen an die Öffentlichkeit gehen und den Eindruck erwecken dürfen, als würde sich dieser Staat sperren. Im Gegenteil: Auch im Staatsangehörigkeitsrecht sind wir - eben um Angebote zu machen - dabei, zu liberalisieren und zu vereinfachen, zum Beispiel indem wir Fristen verkürzen. ({2}) Ich wiederhole, was ich an dieser Stelle schon einmal gesagt habe: Es muß aber auch klar sein, daß nicht eingebürgert werden kann, wer nicht einigermaßen deutsch spricht, wer nicht nachweisen kann, daß er nicht straffällig geworden ist, und und und. Dann finden Sie in der deutschen Bevölkerung auch das, was wir brauchen, nämlich die Akzeptanz für den ausländischen Mitbürger. Nach meinem Dafürhalten werden Sie dann auch weniger rechtsradikales Gedankengut in der Gesellschaft finden. Sie übersehen bei Ihren Vorschlägen völlig, daß Sie für Ihre Gesetze eine Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft brauchen. Herr Özdemir, wenn Sie alle Schwulen dieser Erde über Familienzusammenführung zufriedenstellen wollen, dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Ich werde dem deutschen Wähler aber immer wieder sagen, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf stehen haben. Da wird viel Freude aufkommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun dem Abgeordneten Günter Graf das Wort.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in meinem Redebeitrag auf eine ganz besondere Situation konzentrieren, die bisher nur sehr kurz angesprochen wurde. Das ist die Situation der in Deutschland lebenden Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten, die bei uns Aufnahme gefunden haben und auch weiterhin Aufnahme finden werden. Vorweg will ich eines ganz deutlich bemerken. Mich hat vorhin sehr überrascht - darüber werden wir zu reden haben -, daß der Kollege Marschewski vor der deutschen Öffentlichkeit gesagt hat, daß man möglicherweise darüber nachdenken müsse, wie man künftig mit dem Art. 116 des Grundgesetzes umgehe. ({0}) Das hat sich vor fast einem Jahr, als wir gemeinsam in diesen Staaten waren, noch ganz anders angehört. Ich frage mich natürlich, woher dieser Sinneswandel kommt. Aber das werden wir im Innenausschuß des Deutschen Bundestages zu diskutieren und zu besprechen haben. Mir scheint es jedenfalls eine gute Basis zu sein, daß man die Diskussion in diesen Fragen versachlicht. Mir geht es um folgendes: Nachdem wir den Asylkompromiß ausgemacht haben, konnte in diesem Zusammenhang auch eine Vereinbarung über Zuzugszahlen der Spätaussiedler und über Maßnahmen der Integration getroffen werden. Wir müssen uns heute die Frage stellen: Was ist aus dieser Vereinbarung eigentlich geworden? Zutreffend ist sicherlich eines: Die Zahl der Zuzüge aus diesen Gebieten ist rückläufig. Nun kann man die Frage stellen: Warum? Das Thema Sprachtest ist in aller Munde. Ich frage mich allerdings, ob die Art, wie das heute gemacht wird, nicht im Grunde genommen auch eine Quotierung auf kaltem Wege darstellt, indem man die Hürden verwaltungsrechtlich so hoch baut, daß die Leute keine Chance mehr haben. Ich halte das, wenn es denn so ist, für unehrlich und unaufrichtig. Dann sollte man sich lieber in der Form unterhalten, daß man deutlich und klar sagt: Wir haben eine Quote, daran orientieren wir uns, das sind die Merkmale. ({1}) Günter Graf ({2}) Das halte ich für ehrlich und aufrichtig. Man darf nicht auf kaltem Wege verwaltungsrechtliche Bestimmungen aushöhlen. ({3}) Nun will ich beispielhaft von meinem Landkreis, dem Landkreis Cloppenburg, berichten. Wenn ich „beispielhaft" sage, dann meine ich, daß das genauso für den Ortenaukreis, für Lahr - ich sehe den Kollegen Peter Dreßen dort -, für den Rhein-Hunsrück-Kreis und für den Kreis Gummersbach, wo der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung seinen Wahlkreis hat, gilt. Seit 1993 haben wir in bestimmten Gebieten - das sind etwa zehn Landkreise in Deutschland - einen massiven Zuzug von Deutschen aus den GUS-Staaten zu verzeichnen. Nun haben wir das ländermäßig quotiert. Allerdings hat es kein Instrument gegeben, das es ermöglicht hätte, eine Steuerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Wenn wir uns in den von mir hier angesprochenen Kreisen - es gibt in Niedersachsen noch einige mehr; ich denke zum Beispiel an Gifhorn und das Emsland - an der vereinbarten Quote orientiert hätten - das hätte für Niedersachsen 9,2 Prozent bedeutet; das wären jährlich etwa 20 000 Aussiedler gewesen -, hätte das für den Landkreis Cloppenburg im Ergebnis bedeutet, daß wir bis zum heutigen Tage etwa 2500 Deutsche aus den ehemaligen Ostblockstaaten hätten aufnehmen müssen. Tatsache ist aber, daß wir in diesem Zeitraum zirka 20 000 Deutsche aufgenommen haben. Das entspricht immerhin einem Bevölkerungsanteil von etwa 17 Prozent; die Zahlen schwanken ein bißchen. Das wäre zu verkraften. Aber was ist in der gleichen Zeit passiert? Die seinerzeit zugesagten Finanzierungsmittel der Bundesregierung, die man vereinbart hat, sind im Laufe der letzten Jahre einseitig aufgekündigt worden. ({4}) Ich nenne einige Stichworte: Überbrückungshilfe völlig gestrichen, Pauschalisierung der Rückführungskosten mittlerweile auf ganz niedrigem Niveau, Begrenzung der Eingliederungshilfe auf sechs Monate, Kürzung der Mittel für die Sprachförderung auf sechs Monate, Kürzung der Garantiefondsmittel. Um Ihnen einmal zu zeigen, wie sich das entwikkelt hat: 1992 450 Millionen DM, 1993 360 Millionen DM, 1994 300 Millionen DM, 1995 180 Millionen DM, dazu kommen allerdings 60 Millionen DM für die Otto-Behnecke-Stiftung, die in diesem Bereich tätig ist - das in einer Zeit, in der der Zuzug zugenommen hat, in der die Arbeitslosigkeit zugenommen hat und in der die Integration dieses betroffenen Personenkreises auf dem Arbeitsmarkt schwieriger geworden ist. Wenn ich Ihnen sage: 22,7 Prozent Arbeitslosigkeit im Landkreis Cloppenburg im April dieses Jahres - der Kollege Carstens weiß das -, können Sie sich ausrechnen, wie groß die Chancen derjenigen auf dem Ausbildungsmarkt und dem Arbeitsplatzmarkt bei uns sind, die die deutsche Sprache nicht beherrschen und auch keine Mittel bekommen, um die Sprache zu lernen, und deren Anteil an der Arbeitslosigkeit ein Drittel beträgt. Dann können Sie sich vielleicht vorstellen, was das in einem solchen Gebiet für Auswirkungen hat und was dort für ein sozialer Sprengstoff entsteht. Ich wage gar nicht daran zu denken, was passiert, wenn diese Entwicklung anhält. Es ist ein schwieriges Thema. Wir müssen alles dafür tun, daß wir die Leute, die berechtigterweise bei uns sind, nicht durch unbedachte Äußerungen in Situationen bringen, in denen sie in ihrem Leben in unserem Staat möglicherweise gefährdet sind, wie wir das im Ausländerbereich in den letzten Jahren - das Wort Rechtsextremismus ist hier schon genannt worden - leider erlebt haben. Davor haben wir uns zu hüten, und deswegen sage ich das auch. Ich sage das hier vor dem Hintergrund, daß wir viel mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um Integration zu ermöglichen. ({5}) Alle Aufwendungen dafür sind jedoch rückläufig. Die Verbände bei uns - die Volkshochschulen, die katholischen Bildungswerke, die Caritas, die AWO - sind durch die Mittelkürzungen im Bereich von ABM und dergleichen mehr nicht mehr in der Lage, das, was sie bisher geleistet haben, künftig fortzuführen. Gerade gestern fand ich zufällig, aber ganz aktuell ein Interview mit Dr. Horst Waffenschmidt, Beauftragter der Bundesregierung: „Erfreuliche Entwicklung bei der Integration von Aussiedlern". Ich habe mich, als ich das las, gefragt: Erlebst du wirklich in diesem Landkreis, von dem hier berichtet wird, wirklich eine erfreuliche Entwicklung bei der Integration? Dort findet nichts mehr statt, und ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, daß wir künftig auch bei den Beratungen zum Haushaltsplan verstärkt darüber nachdenken müssen, in den besonders betroffenen Gebieten entsprechend finanzielle Hilfen anzubieten, um das aufzufangen, was uns in den letzten Jahren dort weggebrochen ist. ({6}) Ich will auch noch etwas zu den entstehenden Kosten sagen, die Unmut in der Bevölkerung schaffen. Wenn wir im Jahr 1993 im Landkreis Cloppenburg Sozialhilfekosten von 23 Millionen DM hatten und sich dies innerhalb von drei Jahren auf eine Summe von etwa 60 Millionen DM hochschaukelt, dann fehlt den Kommunen, den Städten und Gemeinden, die Luft zum Atmen. Sie können keine Maßnahmen mehr durchführen. Die letzte Mark, die sie noch für soziale Integration ausgeben, muß gestrichen werden, weil sie ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Dies kann nicht der Sinn sein. Ich unterstreiche: Das ist eine nationale Aufgabe, und in erster Linie ist hier der Bund gefordert, dort, wo diese Probleme entstehen, auch tätig zu werden. Da hilft nicht der Hinweis auf das Land, wie das gern praktiziert wird. Günter Graf ({7}) Vielleicht noch einen letzten Satz zum Land Niedersachsen, weil immer darauf hingewiesen wird, die Landesregierung müsse das über den Länderfinanzausgleich regeln. Wie ist die Situation? Betrachten Sie die Entwicklung in den Jahren 1993 und 1994: Das Land Niedersachsen hat 20 000 Aussiedler über die Quote hinaus aufgenommen und dafür nicht einen Pfennig von dieser Bundesregierung erhalten. Dies kann nicht in Ordnung sein. ({8}) Ich bitte Sie - das ist mein Appell an Sie - ganz herzlich, daß Sie bei den Beratungen, wenn es um Integration und Steuerung geht, an diese Dinge zu denken und dann nicht wie in der Vergangenheit ohne Diskussion alles das in der Abstimmung niederzuschmettern, wie es bisher geschehen ist. Damit werden Sie der Angelegenheit nicht gerecht. Damit leisten Sie denen einen Bärendienst, die auch Sie - so hoffe ich jedenfalls - nicht wollen. Danke schön. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer das Wort.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will hier auf das spezielle Problem des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens eingehen, das von mehreren Kolleginnen und Kollegen bereits angesprochen wurde. Bekanntlich folgt aus dem Abschnitt II des Schlußprotokolls dieses Niederlassungsabkommens, daß einbürgerungswillige Iranerinnen und Iraner die Zustimmung des Iran benötigen, um bei uns eingebürgert werden zu können. Das wird so interpretiert: Entlassung aus der Staatsbürgerschaft. Über die normalen Regelungen - die auch für andere gelten - nach unserem Staatsbürgerschaftsrecht hinaus, das wir ändern wollen, geht es hier um eine bilaterale Vereinbarung. Deutsche Behörden sagen, sie dürfen darüber nicht hinwegsehen und müssen eine Einbürgerung verweigern, wenn nicht die Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft vorliegt. Im Gegensatz zu der Praxis mit anderen Ländern, bei denen erfolglose langjährige Bemühungen um die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft dazu führen können, daß eine Mehrstaatlichkeit hingenommen wird, wird dies Iranern in der Regel verweigert, beziehungsweise es werden Entlassungsbemühungen und ein Aufenthalt in der Bundesrepublik von zirka 20 Jahren verlangt, um schließlich davon abzusehen. Diese Situation hat gefährliche, schikanöse und teilweise absurde Folgen für die Betroffenen. Frau Jelpke hat schon den Sonderfall eines Deutsch-Iraners angesprochen, der zwischenzeitlich die israelische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Von ihm wird verlangt, er solle sich aus einer fiktiven iranischen Staatsbürgerschaft entlassen lassen; die Iraner fordern, daß er dort Wehrdienst ableistet, obwohl er in Israel Soldat war. Man kann sich vorstellen, welches Gefährdungspotential das für diesen Mann bedeutet. Iraner, die bei ihren Auslandsvertretungen die Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft beantragen, müssen teilweise bis zu 200 Paßbilder vorlegen und werden intensiv nach Freunden und Familienangehörigen aus dem Iran befragt. Man kann sich an zehn Fingern abzählen, welches Ziel das hat. Dennoch wird dieses Verfahren für zumutbar erachtet, selbst für anerkannte Asylberechtigte aus dem Iran. Deutsche Ehefrauen von Iranern werden von iranischer Seite automatisch als iranische Staatsangehörige betrachtet. Wenn sich ihre Ehemänner einbürgern lassen wollen, müssen sie die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen; sie müssen Paßbilder abgeben, die sie in Verschleierung zeigen. Die Bundesregierung hat nun nach zunehmender öffentlicher Kritik an dieser Praxis mit der iranischen Regierung die Streichung dieses Passus vereinbart. Das muß durch die Parlamente ratifiziert werden. Wir im Deutschen Bundestag haben dies bereits im letzten September getan. Nur, das Gesetz liegt im iranischen Parlament und wird nicht ratifiziert. ({0}) - Das ist eben das aktuelle Problem, genau, Herr Marschewski. Das Problem ist auch, daß angesichts der aus bekannten Gründen eingetretenen erheblichen Verschlechterung der deutsch-iranischen Beziehungen auch für die nächste Zukunft nicht unbedingt damit zu rechnen ist, daß das iranische Parlament diese Ratifizierung vornimmt. Ich meine, es kann nicht angehen, daß Iranerinnen und Iraner dafür bestraft werden, daß ihre Regierung vom Berliner Kammergericht im Mykonos-Urteil zu Recht des Terrorismus bezichtigt wurde. Das darf nicht sein. ({1}) Wir fordern daher, daß dieses Abkommen in der Praxis nicht angewandt wird und daß Iranerinnen und Iraner bei uns auch unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit eingebürgert werden können. ({2}) Wir fordern derzeit noch nicht - wie die PDS - die vollständige Aufkündigung des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens, weil das natürlich auch gewisse Nachteile zum Beispiel für im Iran ansässige Deutsche mit sich bringen würde, wobei ich mir schon vorstellen kann, daß das ein Schritt sein könnte, über den man nachdenken könnte, wenn es in dieser Ratifizierungsfrage keine Fortschritte gibt. Aber ich finde, dann wäre es sehr viel sinnvoller, zu sagen: Wir betrachten uns als nicht mehr daran gebunden und behandeln einbürgerungswillige Iraner anders, als es dort vorgesehen ist, und nehmen auch eine Mehrstaatlichkeit in Kauf. Denn es ist für diese Menschen einfach nicht zumutbar, sich jahrelang um die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft des Iran zu bemühen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich will nur drei sehr kurze Bemerkungen machen. Zuerst zur Frage des Einwanderungsgesetzes. Ich finde, wir sollten für uns festhalten, daß diejenigen, die ein Einwanderungsgesetz vorlegen und eine Einwanderungsgesetzgebung fordern, nicht mehr Einwanderung wollen, sondern mehr Kontrolle über vorhandene Einwanderung. Das ist ein großer Unterschied. ({0}) Das zweite, was ich anmerken möchte, ist, daß es in Deutschland unter den mittlerweile sieben Millionen Ausländern etwa zwei Millionen gibt, die jünger als 20 Jahre sind. Schon allein dieses Zahlenverhältnis macht die Größe der Integrationsaufgabe für unsere Gesellschaft deutlich. ({1}) Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß es nicht nur darum geht, jungen Menschen bessere Chancen zu geben, sondern darum, daß es im Interesse unserer deutschen Gesellschaft ist, die jungen Menschen, die hier geboren werden, besser zu integrieren. Wir wollen eine bessere Integration der hier lebenden Ausländer, und wir wollen vor allen Dingen eine bessere Integration der hier geborenen Kinder. Es macht keinen Sinn, daß man diese Kinder mit einem ausländischen Bewußtsein groß werden läßt, anstatt daß man ihnen von Anfang an eine inländische Identität vermittelt, da man doch weiß, daß sie aller Voraussicht nach immer in diesem Land leben werden. ({2}) Wer die Ghettoisierung in den Städten - zu Recht - beklagt, der muß die Ghettoisierung in den Köpfen verhindern. Denn das ist die Voraussetzung für die Ghettoisierung in den Städten. ({3}) Eine dritte Bemerkung zur Frage der Koalition und zum weiteren Fahrplan. Sie fragen zu Recht nach. Wir verhandeln. Mein Eindruck von diesen Verhandlungen ist, daß wir vorankommen. ({4}) Ich habe auch den Eindruck, daß wir uns einig werden im Interesse einer besseren Integration der hier geborenen Kinder von Ausländern. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in absehbarer Zeit in diesem Hause etwas zur Abstimmung stellen werden, was dieser besseren Integration der hier geborenen Kinder dient. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß das in absehbarer Zeit erfolgen soll und erfolgen muß. Jeder, der schon einmal in solchen Situationen gewesen ist, weiß, daß man am besten nicht auf einem Basar verhandelt, sondern daß man hinter verschlossenen Türen versucht, ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Das tun wir zur Zeit, und mein Eindruck ist, daß wir zu einer guten Lösung kommen werden. Dann werden wir sehen, ob Sie zustimmen oder ob Sie, was leider auch ein Teil dieser Debatte ist, stärker Ihre parteipolitischen Ziele verfolgen ({5}) als das Ziel der Integration der hier geborenen Kinder im Interesse unserer Gesellschaft und im Interesse derjenigen, die hier eine bessere Zukunft, eine integrierte Zukunft haben wollen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Sirenengesänge des Kollegen Özdemir sehr wohl gehört. Leider schlagen sich seine Vorschläge nicht in den Anträgen nieder. Aber vielleicht ist das doch einmal der Fall, und dann können wir sicherlich auch über die Abstimmungsmodalitäten nachdenken, die hier vorgeschlagen worden sind. Unser Staatsangehörigkeitsrecht - das ist heute schon von vielen gesagt worden - muß insbesondere hinsichtlich der hier geborenen Kinder ausländischer Herkunft novelliert werden. Das ist auch der Koalitionsvereinbarung zu entnehmen. Ihre rechtliche Integration wollen unterschiedliche Modelle erreichen, die in der Koalition und in unserer Fraktion diskutiert werden. Das geht von der sogenannten Kinderstaatsangehörigkeit von Geburt an, die unter anderem von den Kollegen Altmaier, Röttgen, Krautscheid, Schnieber-Jastram und Gröhe, um nur diejenigen zu nennen, die ich gerade im Blickfeld habe, vertreten wird, bis hin zu verschiedenen Vorschlägen zur Kinderstaatszugehörigkeit. ({0}) Mit welchem Modell wir die Koalitionsvereinbarung ausfüllen werden, meine Damen und Herren, diskutieren wir zur Zeit in der Fraktion und in der Koalition. Aber eines ist klar: Wir werden in dieser Frage in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung kommen, die ein klares und eindeutiges Integrationssignal setzt, und wir laden Sie herzlich ein, an diesem Signal teilzunehmen. ({1}) Einig sind wir uns in der Koalition zweitens auch darin, daß wir die generelle doppelte Staatsangehörigkeit ablehnen. Mir ist es unverständlich, warum Sie gerade diesen Punkt immer wieder zur Gretchenfrage des Staatsangehörigkeitsrechts machen. ({2}) Herr Kollege Özdemir, Ihre Rede widerspricht leider wieder einmal Ihren Anträgen. Ich habe manchmal den Eindruck, das dient vor allem dazu, die Attitüde der Fortschrittlichkeit vor sich herzutragen, aber gleichzeitig eine vernünftige Lösung in der Sache zu verhindern. ({3}) Wir wollen drittens - auch das ist in der Koalition unstrittig und insbesondere durch einen Beschluß der CSU-Landesgruppe im Januar letzten Jahres auf der Klausurtagung im Wildbad Kreuth so bestätigt worden ({4}) - die Einbürgerungsvoraussetzungen für hier lebende Ausländerinnen und Ausländer doppelt verbessern: zum einen durch eine großzügigere Gewährung des Rechtsanspruchs auf Einbürgerung und zum anderen durch eine Reduzierung der Fristen. Außerordentlich wichtig für die Akzeptanz einer vernünftigen Ausländerpolitik ist jedoch, folgenden Umstand nicht außer acht zu lassen: Wir haben in bestimmten Deliktsbereichen - auch das gehört hierher - einen erschreckend hohen Täteranteil mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Dabei handelt es sich nicht - darauf hat Bundesminister Kanther vorgestern im Deutschlandfunk zutreffend hingewiesen - um diejenigen, die seit langem, seit vielen Jahren mit uns hier leben, aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind und zu ihrem konstitutiven Bestandteil geworden sind, sondern es geht um diejenigen, die oft nur zum Zwecke der Begehung von Straftaten in unser Land kommen. Deswegen heißt das Zauberwort in der Einbürgerungspolitik „Differenzierung" . Diese Möglichkeit dürfen wir uns nicht aus der Hand schlagen lassen. ({5}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, genau das ist der Grund, warum Ihr Antrag vom 15. Mai abgelehnt werden muß. Dort heißt es: Der Rechtsanspruch auf Einbürgerung verlangt einen verfestigten Aufenthalt und ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. Das heißt, er ist noch nicht einmal an die Voraussetzung gebunden, in unserem Land nicht straffällig geworden zu sein. Gerade das Instrument der Differenzierung dürfen wir uns nicht aus der Hand schlagen lassen. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Einwanderungsgesetz machen. Ein Teil seiner Befürworter geht davon aus, daß es in den nächsten Jahren überhaupt nicht zur Anwendung kommen wird. Ein Gesetz aber, das dem Verbesserungsprozeß aus Vollzug und Novellierung entzogen wird, wird ein schlechtes Gesetz sein. Man kann es auch so sagen: Ein Gesetz zu machen, um es gleich auf Halde zu legen, ist so sinnvoll, als wenn man zur Vorratshaltung Schokolade im Garten vergräbt. Da Sie den Ausführungen unserer Fraktion in diesem Punkt wahrscheinlich nicht zustimmen wollen, will ich Ihnen gern etwas aus einem Antrag auf Ihrem Bundesparteitag in Mannheim 1995 vorlesen. Das war nicht nur aus diesem Grunde ein ganz bemerkenswerter Parteitag. Ich will das in der Ihnen angemessenen Milde tun, Frau SonntagWolgast. Hier geht es um die Fragen eines Einwanderungsgesetzes. Der Antrag kommt zu dem Ergebnis: Deshalb legen wir dem Bundesparteitag auch ausdrücklich keine Empfehlung zur Schaffung eines Einwanderungsgesetzes vor. ({6}) - Ja, ja, es gibt manchmal Einbrüche der Realität in Ihrer Partei. Deswegen will ich Ihnen die Argumente nennen: Ein Einwanderungsgesetz ist nicht geeignet - so heißt es im Antrag -, dem Argument Rechnung zu tragen, daß Deutschland ein Einwanderungsland sei. Es ist nicht geeignet, die Integrationsanstrengungen in diesem Lande zu fördern. Es wird darauf hingewiesen, daß es eine Fiktion ist, zu meinen, wir könnten dieses Einwanderungsgesetz auf junge Menschen beschränken oder wir könnten angesichts unserer jetzigen Lage auf dem Arbeitsmarkt ein solches Einwanderungsgesetz gebrauchen. Auch der Vorstellung, daß es notwendig sei, die Möglichkeiten der Zuwanderung nach Deutschland neu zu regeln, wird überall eine Absage erteilt. Deswegen kommt der Antrag zu der Feststellung, daß wir zur Zeit kein Einwanderungsgesetz brauchen. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Kurt Tucholsky abschließen, der über die SPD gesagt hat: Es ist ein Unglück, daß die SPD „Sozialdemokratische Partei Deutschlands" heißt. Hieße sie ... „Reformistische Partei" oder „Partei des kleineren Übels" oder „Hier können Familien Kaffee kochen" oder so etwas -: ... so aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun dem Abgeordneten Otto Schily das Wort.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, unser Staatsangehörigkeitsrecht ist jetzt 80 Jahre alt. Ich denke, wir sind gemeinsam der Auffassung, daß es jetzt notwendig ist, daß wir die Regelungen des geltenden Rechts überprüfen. ... Wir wollen weitere Regelungen schnell treffen. Das heißt, wir wollen sie noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Jetzt müßte eigentlich brausender Beifall der CDU/ CSU-Fraktion kommen; denn das war ein Zitat aus einer Ansprache des Bundeskanzlers. ({0}) - Sehr gut. Herr Marschewski, der Beifall ist in Ordnung, Sie müssen jetzt nur noch zur Kenntnis nehmen, wann der Bundeskanzler das gesagt hat. Das hat er nämlich am 16. Juni 1993 gesagt, und am 16. Juni 1993 fehlte etwa noch ein Jahr bis zum Ende der Legislaturperiode, und nichts ist passiert. ({1}) Jetzt erzählen Sie uns wieder etwa ein Jahr vor Toresschluß, Sie werden, Sie wollen und Sie wünschen allerlei. Nun müssen Sie allerdings hinnehmen, Herr Marschewski, Herr von Klaeden und Herr Westerwelle, daß die Glaubwürdigkeit Ihrer Versprechen durch den Zeitablauf gelitten hat. ({2}) Wir wollen keine schönen Worte mehr hören. Wir wollen nicht mehr am Sonntag schöne Interviews der „jungen Zahmen" hören. Wir wollen vielmehr Taten sehen. ({3}) Ich sage einmal zu der von mir sehr hoch geschätzten Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen: Ich höre Sie hier des öfteren. Man kann eigentlich alles das, was Sie hier am Pult sagen, unterschreiben. Nur wenn es dann an das Abstimmen geht, gilt das Gesagte auf einmal nicht mehr. So können wir nicht miteinander umgehen. ({4}) Es muß endlich einmal nicht nur das Richtige gesagt werden, sondern auch das Richtige getan werden. Für eine Integrationsaufgabe, die gerade Jugendliche betrifft, die bei uns leben, und bei denen die Gefahr besteht, daß sich eine soziale Spaltung vertieft, sind fünf Jahre eine lange Zeit. ({5}) Fünf Jahre sind nicht irgendeine kleine Zeitspanne, so daß man sagen kann: Wir handeln in den nächsten fünf Jahren. So kann man mit einem solch ernsten Problem nicht umgehen. ({6}) Daß diese Bundesregierung handlungsunfähig geworden ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. ({7}) Was wir hier vor uns haben, ist nur noch das dahinvegetierende Chaos. Sie haben wenigstens in Ihren Reihen einige Leute, von denen ich annehme, daß sie das Richtige erkannt haben. Diese müßten dann auch den Mut haben - da folge ich dem Kollegen Cem Özdemir -, einmal das Parlament und damit die quer durch die Fraktionen vorhandene Mehrheit zur Geltung zu bringen - wie es immerhin in anderen Fragen gelungen ist -, so daß wir zu einer vernünftigen Reform kommen. ({8}) An erster Stelle gilt für eine Staatsangehörigkeitsreform, daß wir damit eine Integrationsaufgabe zu erfüllen haben. Aber sie gehört auch in den Bereich, in dem wir allenthalben von allen Seiten Beschwörungsformeln hören, nämlich in den Bereich der Modernisierung und der Vereinfachung der Verwaltung und des Rechts. Wir haben ein völlig zersplittertes, unübersichtliches Staatsangehörigkeitsrecht. ({9}) Es wäre nun wirklich an der Zeit, das einmal so zu kodifizieren, daß man vernünftig damit umgehen kann. Wenn Herr Marschewski dazu ja sagt, dann freue ich mich darüber. Aber handeln Sie nun endlich einmal! ({10}) Einige wollen sich und uns übertreffen. Das finde ich sehr gut; ich bin für politischen Wettbewerb auf diesem Gebiet in jeder Weise zu haben. Aber die Bedenkenträger vertreten immer die Meinung, die wir auch heute wieder gehört haben: Die Mehrstaatlichkeit wollen wir nicht. Ich bin nicht dafür, daß wir uns zum Ziel setzen, für möglichst viele die Mehrstaatlichkeit herbeizuführen. Das ist sicherlich nicht richtig. Wo man sie vermeiden kann, sollte man sie vermeiden, um die bekannten Probleme, die damit verbunden sein können, nicht herbeizuführen. Aber man sollte diese Frage nicht hochstilisieren. Ich habe hier einen Ausspruch, den ich für völlig richtig halte. Er stammt von dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, der bekanntlich der CDU angehört. Herr Eylmann hat gesagt: Der Ausschluß mehrerer Staatsangehörigkeiten als Ordnungsprinzip ist durchaus vernünftig. Aber er erfährt eine fragwürdige, ideologische Überhöhung. Genau das ist richtig. Diese Erkenntnis muß zu Konsequenzen führen. ({11}) Da Herr Zeitlmann und andere diese Dinge hier so hochgespielt haben, muß ich fragen: Herr Zeitlmann, ist Ihnen eigentlich entgangen, daß die Mehrstaatlichkeit in Rechtsordnungen einiger sehr respektabler demokratischer Staaten als Jus soli verwirklicht wurde? Es ergeht auch deutschen Staatsbürgern so, daß sie - wie Sie das ausgedrückt haben - durch Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben. Daran nehmen sie keinen Schaden. Ich habe eine Nichte, die in den Vereinigten Staaten geboren wurde. Dadurch hat sie die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben. Ihre deutsche Staatsangehörigkeit hat sie, weil sie aus einer deutschen Familie stammt, nicht verloren. Sie hat die doppelte Staatsangehörigkeit. Ich habe bei meiner Nichte keinen Schaden wahrnehmen können. So geht es vielen. Sie sollten die Dinge nicht daran festmachen, urn eine künstliche Hürde zu schaffen, damit Sie die Integrationsaufgabe nicht leisten können. Seien Sie ehrlich: Es gibt in Ihren Reihen jemanden, der diese Integration überhaupt nicht will. Ich nenne ihn beim Namen. Das ist der Bundesinnenminister Kanther. ({12}) Sie sollten sich endlich einmal eingestehen, daß Ihre „jungen Zahmen" in der Minderheit sind und daß sich Ihre Versprechungen, die Sie heute von diesem Pult aus abgegeben haben, auch in dieser Legislaturperiode nicht erfüllen werden. ({13}) Das ist leider die Wahrheit, meine Damen und Herren. Zu Herrn Westerwelle. Ich habe irgendwo gelesen - Herr Özdemir oder ein anderer, ich weiß es nicht mehr genau, hat das bereits zitiert -, Herr Gerhardt habe erklärt, die Staatsangehörigkeitsreform sei zur Chefsache gemacht worden. Darüber freue ich mich ja. Nur: Wer ist denn der Chef in der Koalition? Das ist doch die Frage. ({14}) Wenn das nun wirklich zur Chefsache gemacht worden ist, dann möchte ich doch einmal fragen, ob der Chef das Durchsetzungsvermögen hat, das, was er uns verspricht, auch zu realisieren. Ich muß leider feststellen, daß in dieser Richtung nichts geschieht. Ich denke, diejenigen, die diese Fragen wirklich ernst nehmen, sollten das Angebot akzeptieren, daß wir die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gemeinsam - wenn es Varianten, unterschiedliche Vorschläge gibt, dann bin ich bereit, darüber zu reden - bald umsetzen. Dem dient auch unser Antrag. Wir haben bewußt die materielle Grundlage dessen offengelassen. Wir haben gesagt: Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Reformprojekt vorzulegen. Wir sind bereit, über die Vorstellungen zu reden. Wer noch andere Vorstellungen hat als wir - bitte schön, all das ist diskussionsfähig. Sie müssen aber nun wirklich vom Reden zum Handeln übergehen. Davon habe ich bisher nichts sehen können. Wenn Sie es aus der Regierung und der Koalition heraus nicht schaffen, dann lassen Sie uns dies, wie der Kollege Özdemir gesagt hat, über einen Gruppenantrag versuchen. Ich bin gespannt, ob Herr Altmaier, Herr von Klaeden und andere, die gerne bestimmte Essensveranstaltungen wahrnehmen, ({15}) bereit sind, sich auf solche Gruppenanträge einzulassen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Für die Bundesregierung gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zu behandelnden Anträge und Gesetzentwürfe sind ein Musterbeispiel dafür, wie weltfremd man in der Opposition agieren kann. ({0}) Nehmen wir uns zunächst einmal die Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen vor. Man muß feststellen, daß es sich dabei um die offenkundige Weigerung handelt, die in Deutschland bestehende Realität zur Kenntnis zu nehmen. Die Realität ist: Wir haben 4,5 Millionen Arbeitslose, davon allein ungefähr 900 000 arbeitslose Ausländer, was einem Anteil von zirka 20 Prozent entspricht. Der Ausländeranteil bei den Sozialhilfeempfängern ist mit zirka 33 Prozent sogar noch höher. In dieser Situation, die zudem durch immer knapper werdende Haushaltsmittel gekennzeichnet ist, kommen nun die Grünen und fordern in ihrem Entwurf für ein Einwanderungsgesetz die Schaffung erweiterter Zuwanderungsmöglichkeiten. Sie wollen die Aufnahme von 220 000 Zuwanderern in jedem Jahr bis ins nächste Jahrtausend hinein, wobei die Zahl der Asylbewerber, derzeit etwa 120 000, sogar noch hinzugerechnet werden müßte. Zur Begründung wird ausgeführt, eine „bewußt geplante Einwanderung" liege im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Der Einwanderungsprozeß müsse deshalb, wie es heißt, „konstruktiv gestaltet" werden. ({1}) Indes: Für eine derartige konstruktive Gestaltung bietet der Gesetzentwurf keinerlei Handhabe. ({2}) Im Gegenteil: Gerade in den Bereichen Zuwanderung aus humanitären Gründen und Familiennachzug, in denen der Gesetzentwurf den Zuzug praktisch völlig freigibt, ist keinerlei Auswahl der Zuwanderer vorgesehen. Vielmehr soll der Familiennachzug uneingeschränkt garantiert sein, sogar dann, wenn absehbar ist, daß die Nachzugswilligen der Sozialhilfe zur Last fallen werden. Obendrein bleiben die Verfasser die Antwort schuldig, was mit nachzugswilligen Familienangehörigen nach Ausschöpfung der Jahresquote eigentlich zu geschehen hat. Die vorgeschlagene Regelung wird im Einzelfall sogar gegen Integration gerichtet sein, zum Beispiel dann, wenn die Altersgrenze für den Nachzug von Kindern von 16 Jahren auf 21 Jahre heraufgesetzt wird. Denn dies bedeutet, daß Kinder noch in einem Alter nach Deutschland geholt werden können, in dem eine erfolgreiche Eingliederung in das deutsche Schul- und Ausbildungssystem in der Regel nicht mehr zu erwarten ist. Die sprachlichen und sozialen Barrieren werden auf diese Weise höchstens erhöht, nicht aber gesenkt, und damit die Integrationsmöglichkeiten und Erwerbschancen der Betroffenen erheblich verringert. Ihr Weg in die Bedürftigkeit, das heißt in die Sozialhilfe, ist damit eigentlich vorprogrammiert. Daß Sie auch nichtehelichen Lebenspartnern und gleichgeschlechtlichen Partnern einen Anspruch auf Nachzug einräumen wollen, ist bereits erwähnt worden. Ebenso gravierend ist, daß die Verfasser es hinsichtlich der angestrebten Aufnahme von Zuwanderern offenbar nicht für nötig halten, zu fragen, ob die Arbeitsplätze nicht auch mit einem Deutschen oder einem bereits in Deutschland ansässigen Ausländer besetzt werden können. Dann müßten sie nämlich zu dem Schluß kommen, daß praktisch in keinem Berufsfeld auf lange Zeit irgendein Zuwanderungsbedarf gegeben ist. Bei dieser Sachlage muß die Neuaufnahme von Ausländern zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der in der Regel besser bezahlten einheimischen Arbeitnehmer führen - Stichwort Lohndumping, das ja aus der aktuellen Lage bekannt ist. Das kann sich - diese Gefahr möchte ich ausdrücklich auch hervorheben - bis zu einer Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern auswachsen. Fast noch frappierender als der Entwurf eines Einwanderungsgesetzes ist das sogenannte Niederlassungsgesetz. Mit dem dort enthaltenen absoluten Ausweisungsschutz wäre dann aber auch der letzte Anreiz beseitigt, sich um eine rasche Integration in Deutschland zu bemühen. Ich muß sogar so weit gehen, zu sagen, daß der Gesetzentwurf das Verhältnis von Deutschen und Ausländern schwer belasten würde. Denn es dürfte zum Beispiel den Bürgern nicht zu vermitteln sein, daß selbst schwerkriminelle Ausländer weiter im Land bleiben sollen, weil sie sonst - ich zitiere aus der Begründung des Gesetzentwurfes - „in der Planung ihrer Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland verunsichert" wären. Wo sich die Grünen durch besondere Realitätsferne hervortun, macht es sich die SPD bequem. Man spart sich die Mühe, einen eigenen Gesetzentwurf auszuarbeiten, der natürlich das Risiko mit sich bringt, daß man daran gemessen werden könnte, und beschränkt sich darauf, der Bundesregierung bruchstückhafte, sogenannte Regelungsvorschläge vorzulegen. Kommen wir also zu diesen Regelungsvorschlägen. Die SPD befürwortet ein System der gesteuerten Zuwanderung mit regelmäßig festzulegenden Höchstgrenzen. Dabei will sie allerdings keine neuen Anreize für eine weitere Zuwanderung schaffen. Ich habe zuvor schon dargelegt, daß weder die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes noch die demographische Entwicklung ein Zuwanderungssteuerungsgesetz erforderlich machen. Wohlweislich benennt auch die SPD keine Sektoren, in denen ein Arbeitskräftebedarf bestehen soll, der angeblich nur durch Zuwanderung gedeckt werden kann.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Bitte schön.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lintner, ich bin ein wenig irritiert. Sie kritisieren die SPD, weil sie in ihrem Antrag über Quoten spricht. Stimmen Sie denn der Auffassung Ihres Kollegen Steffen Kampeter zu, der im Rahmen eines Seminars der Konrad-Adenauer-Stiftung am 11. Juni 1992 in Espelkamp ({0}) -1992, zu einem Zeitpunkt, als das Problem noch nicht so dringlich war - erklärte, daß der Zuzug stärker geregelt werden muß. Das betrifft die Aussiedler, aber auch jede andere Form des Zuzugs. Wir werden in diesem Zusammenhang um Quotierungen oder ähnliche Regelungen nicht herumkommen, so bitter das für die Günter Graf ({1}) Betroffenen auch sein mag. Die Tür bleibt weiter offen, nur müssen wir verstärkt Steuerungsinstrumente einsetzen. Dies muß differenziert für die verschiedenen Gruppen der zuziehenden Personen erfolgen. Jetzt kommt das, was in unserem Antrag fast wortgleich steht: Dabei werden auch die Aussiedler mit zu berücksichtigen sein. Wenn die Verwaltungspraktiker fragen, wie eine entsprechende Vorschrift umgesetzt werden soll, kann eine ganze Reihe von Kriterien genannt werden, die zur Grundlage von Quotierungen werden können: Die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik, Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes oder Finanzierungsaspekte des Sozialversicherungssystems. Wo ist eigentlich der Unterschied zu unserem Antrag? Darauf hätte ich gerne eine Antwort. ({2})

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Graf, über Quoten und dergleichen ist ja schon oft geredet worden. Sie wissen so gut wie ich - das ist im übrigen auch in den Einlassungen der Vorredner zum Ausdruck gekommen -: Gerade dadurch, daß Sie selber für die nächsten Jahre die Quote null anerkennen, geben Sie zu, daß im Moment ein solches Gesetz völlig wirkungslos wäre. ({0}) - Aber faktisch müssen Sie es doch tun, sonst bekommen Sie doch eine zusätzliche Zahl von Zuwanderern, die wir alle nicht verkraften. Sie betonen doch immer, daß das nicht Ziel Ihrer Initiative sei. Daß wir bei den Aussiedlern Maßnahmen ergriffen haben, die in etwa in die von Ihnen angemerkte Richtung gehen, haben Sie ja miterlebt, so daß diese Äußerung eigentlich nicht gegen das spricht, was ich hier vorgetragen habe. ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es keinen Sinn macht, eine Quote festzulegen, wenn die tatsächlich stattfindende Zuwanderung diese Quote bei weitem überschreitet und deshalb die Quote auf Jahre hinaus, praktisch auf die volle absehbare Zeit hinaus, mit null festgesetzt werden müßte. ({2}) Das Gesetz ist eine Luftnummer, die wir uns auch im Interesse der Betroffenen nicht zumuten sollten. Sie wissen ganz genau, daß allein der Titel Einwanderungsgesetz falsche Hoffnungen wecken würde, die dann nicht erfüllt werden könnten. Die Leute sind aber möglicherweise, weil sie diese tiefere Differenzierung nicht kennen können und darüber keine Informationen haben, dann doch im Lande. Lassen Sie bitte die Finger von einem solchen Verfahren! Damit würden Sie uns allen einen wesentlichen Dienst erweisen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7416, 13/7417 und 13/7511 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit sind diese Überweisungen so beschlossen. Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der SPD „Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes" auf Drucksache 13/7505. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. haben beantragt, die Vorlage zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen. Die Fraktion der SPD verlangt sofortige Abstimmung. Der Überweisungsantrag geht nach ständiger Übung vor. Wir stimmen daher zunächst über den Überweisungsantrag ab. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. ({0}) - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit stimmen wir heute nicht in der Sache ab. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7676 und 13/7677 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Zurücknahme der Visumspflicht für Kinder und Jugendliche aus den früheren Anwerbeländern; das ist die Drucksache 13/7637. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6930 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Rücknahme der Visums- und Aufenthaltspflicht für Kinder und Jugendliche aus den ehemaligen AnwerVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch bestaaten auf, Drucksache 13/7637. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7036 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Erleichterung der Einbürgerung jugendlicher Ausländer, Drucksache 13/7637, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7090 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. ({1}) Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. ({2}) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/7784 ({3}) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael von Schmude, Dr. Rolf Olderog, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ina Albowitz, Jürgen Koppelin und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Otto-von Bismarck-Stiftung - Drucksache 13/3639 - ({4}) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5}) - Drucksache 13/4186 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach Siegfried Vergin Manfred Such Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Michael von Schmude.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Stiftungserlaß vom 14. November 1994 wurde eine wichtige Lücke in der Reihe der bestehenden Stiftungen geschlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nun die Umwandlung der bisher unselbständigen Otto- von-Bismarck-Stiftung in eine rechtsfähige Stiftung öffentlichen Rechts vor. Damit wird Rang und Bedeutung des Wirkens Otto von Bismarcks angemessen Rechnung getragen und der Stiftung zugleich eine tragfähige überparteiliche Basis für ihre zukünftige Arbeit gegeben. ({0}) Bereits 1985 wurde auf Anregung von Bundeskanzler. Helmut Kohl mit den Vorbereitungen zur Gründung dieser Stiftung begonnen. Das Land Schleswig-Holstein, ursprünglich einmal bereit, sich an der Finanzierung maßgeblich zu beteiligen, versagte sich nach mehrjährigen Verhandlungen in Etappen mit fadenscheinigen Begründungen. ({1}) Dabei wurden, Frau Kollegin Sonntag, nicht nur die Interessen Schleswig-Holsteins mißachtet, sondern auch die historische Bedeutung des Wirkens Otto von Bismarcks von Friedrichsruh aus verkannt, der die Geschichte des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1890 von seinem Wohnsitz im Sachsenwald aus leitete. Ziel war und ist es, den Nachlaß des Staatsmannes und Gründers des Deutschen Reiches sowohl der deutschen als auch der internationalen Öffentlichkeit und damit vor allem Wissenschaft und Forschung zugänglich zu machen. Die einmalige Chance, den historischen Bahnhof Friedrichsruh aus dem Jahre 1880 als Teil des Ensembles Bismarck-Museum und -Mausoleum von der Deutschen Bahn AG zu erwerben, wurde vom Bundesinnenminister 1994 genutzt, um dort die Stiftung künftig zu etablieren. Sanierung und Umbau des Bahnhofsgebäudes sind beschlossen und ebenso wie die Kosten für die laufende Arbeit der Stiftung im Bundeshaushalt bereits eingeplant. Für die Gebäudeherrichtung sind 7,5 Millionen DM vorgesehen, für die jährlichen Kosten der Stiftung 1 Million DM. Mit der Fertigstellung rechnen wir 1999. Die Bündelung der verschiedenen Einrichtungen in Friedrichsruh stellt ein gesamtstaatlich bedeutsames Kulturerbe Deutschlands dar. Der Familie von Bismarck ist besonders zu danken. Sie hat durch die Bereitstellung der Archiv- und Bibliotheksbestände aus dem Nachlaß des Reichskanzlers die Gründung der Stiftung überhaupt erst ermöglicht und damit den Weg frei gemacht für diese wissenschaftliche und kulturelle Institution, die künftig das Zentrum der Bismarck-Forschung sein wird. Zentraler Aspekt ist die historisch-politische Bildung. Die Darstellung und Erforschung der Geschichte des 19. Jahrhunderts, der Übergang zum 20. Jahrhundert und die durchaus pluralistische Auseinandersetzung mit der zentralen Figur dieser Epoche sind Aufgaben der Stiftung. Das Spannungsfeld Deutschland und Europa hat Bismarck stets beschäftigt. Deutsche und europäische Geschichte haben bis in unsere Zeit hinein einen Bezug zu seinem Wirken. Otto von Bismarck hat Politik gestaltet in einer Zeit des Umbruchs und der Neuordnung. Seine Antworten auf die außenpolitischen Herausforderungen, aber auch auf die großen sozialen Probleme, haben Weichen gestellt. ({2}) Dies gilt ebenso für die Entwicklung vom Obrigkeitsstaat hin zu einer demokratischen Öffnung. Die Stiftung hat ihre Arbeit aufgenommen und tritt mit ersten Seminaren an die Öffentlichkeit. Zu nennen wären Themen wie „Deutsche Sozialpolitik einst und heute", „Bismarck und Europa". Die rot-grüne, von der PDS tolerierte Landesregierung von Sachsen-Anhalt hat die Bismarck-Stiftung - man höre! - um Unterstützung der von ihr zum 100. Todestag Bismarcks geplanten Veranstaltung im nächsten Jahr gebeten. ({3}) Es ist um so bedauerlicher und unverständlicher, daß sich heute Teile der Opposition, die in allen Ausschüssen diesen Gesetzentwurf mitgetragen haben, jetzt aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigern. ({4}) Die Bismarck-Stiftung verdient es nicht, durch ungerechtfertigte Unterstellungen diskreditiert zu werden. ({5}) Es geht hier nicht, wie es einige wenige vom linken Rand aus böswillig behaupten, darum, aus Friedrichsruh einen Wallfahrtsort der Rechten zu machen, sondern es geht um die vorurteilslose Auseinandersetzung mit einer wichtigen Epoche unserer Geschichte. ({6}) Namhafte Historiker, die diese Stiftung durch ihre Mitarbeit fördern, sind Garanten dafür; unter anderem die Professoren Gall, Frankfurt, Hildebrand, Bonn, Kolb, Köln, Kahlenberg, Rovan, Paris, sowie Knopp, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dem Beirat gehört darüber hinaus auch der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger an. Wir begrüßen dieses eindrucksvolle Engagement führender Historiker und stimmen diesem Gesetzentwurf gerne zu. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Uta Titze-Stecher, SPD.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz so einfach ist die Entscheidung für diese Stiftung ja nicht, Herr Kollege von Schmude. Immerhin haben Sie vor fast einem Jahr, kurz vor der parlamentarischen Sommerpause, an einem späten Juniabend, kurz vor Mitternacht versucht, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit eine Idee, sprich: eine Ideologie zum Gesetz werden zu lassen, ({0}) über die nicht einmal im zuständigen Fachausschuß, dem Innenausschuß, ausführlich diskutiert wurde - in der gegenseitigen Annahme der Mitglieder, das sei alles auf höchster Ebene geritzt, geregelt, beschlossen. Alles wäre seinen diskreten Gang gegangen; Haushalts- und Innenausschuß hatten schon zugestimmt, nur noch die Handzeichen für die zweite und dritte Lesung fehlten. Auf meine ständigen Anfragen - ich bin Berichterstatterin im Haushaltsausschuß für eben diesen Komplex, nämlich die Innenpolitik - ist mir nie eine saubere Antwort gegeben worden. Es wurde vielmehr immer nur darauf verwiesen, daß das auf oberster Ebene entschieden werde und es schon entschieden sei. Im letzten Moment bin ich auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" gestoßen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Titze-Stecher, ich muß Sie einmal unterbrechen, weil ich Sie fragen muß, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das habe ich schon mitbekommen. Ich möchte diesen Gedanken zu Ende bringen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das müssen Sie mir aber wenigstens sagen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie mir das jetzt auch noch von meiner Redezeit abziehen, dann ist das schon fast böswillig.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das ziehe ich Ihnen nicht ab.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Ordnung. Ich erlaube eine Zwischenfrage. Herr Kollege von Schmude.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu, daß der Haushaltsausschuß nicht kurz vor Mitternacht, sondern nach ausführlicher BeMichael von Schmude ratung dieses Gesetzentwurfes am 28. Februar letzten Jahres bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS beschlossen hat, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, und zwar mit allen Stimmen der Sozialdemokraten? Stimmen Sie mir weiter zu, daß der Innenausschuß des Bundestages, der am 13. März 1996 abschließend beraten hat, ebenfalls mit den Stimmen der Sozialdemokraten, von Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen eine Stimme der Gruppe der PDS zugestimmt hat?

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist richtig, Herr Kollege. Meine Bemerkung zielte allerdings zum ersten auf die zweite und dritte Lesung hier vor fast einem Jahr ab. Meine Bemerkung hat zum zweiten die Information enthalten, daß, eine ordentliche Debatte im zuständigen Fachausschuß nicht stattgefunden hat. Mehrere Debatten darüber im Haushaltsausschuß, deren Zeuge ich war, wurden immer durch Nachfragen von mir veranlaßt, weil ein Konzept sehr lange nicht vorgelegt und die Struktur der Gremien von uns kritisiert wurde. Erst nach langem Fordern der SPD wurde ein wissenschaftlicher Beirat vorgesehen, dessen hochkarätige Besetzung Sie - Sie haben Kissinger genannt - jetzt so lobend erwähnt haben. Genau diese Dinge sind erst zustande gekommen, nachdem im letzten Jahr auf Druck der SPD die zweite und dritte Lesung - denn es lag eine Kleine Anfrage vor, die ich angestoßen hatte - abgesetzt worden ist. ({0}) Daß wir uns heute von Ihnen zu Recht und auch kritisch vorhalten lassen müssen, daß wir zunächst zugestimmt haben, ist keine Schande, Herr Kollege. Genau die Antworten der Bundesregierung - ich kann unsere ganzen Nachfragen und die Antworten der Bundesregierung hier nicht vorbeten - haben uns veranlaßt, eine komplette Kehrtwendung inhaltlicher Art vorzunehmen. Ich werde sauber begründen, in welchen Punkten wir gegenüber dem vorliegenden Gesetzentwurf, der im übrigen nicht geändert worden ist, noch immer Vorbehalte und Bedenken anzumelden haben und warum wir deswegen heute entschieden gegen die Errichtung einer Bundesstiftung sind. Im übrigen ein letzter Gedanke - bitte als Antwort, Herr Präsident -: Es geht ja nicht darum, daß hier kein Geld für die Forschung zur Person und zum Wirken Bismarcks bereitgestellt wird. Diese Stiftung ist bisher, wie Sie wissen, unselbständig. Diese unselbständige Funktion bedeutet natürlich, daß je nach Haushaltslage des Bundes Mittel gekürzt werden können. Anders ist dies bei einer Bundesstiftung. Das ist mehr als eine Ehe. Sie können sich faktisch nur durch ein zweites Gesetz aus einer Bundesstiftung lösen. Das ist der Punkt, um den es heute geht. ({1}) Eine solche Entscheidung, Herr Abgeordneter Schmude und Frau Abgeordnete Albowitz, muß man doch nicht verschämt diskutieren. Warum diskutieren Sie darüber nach der Antwort der Bundesregierung nicht aufs neue im Innenausschuß? ({2}) Sie haben diese Bundesstiftung in eine Reihe mit den bestehenden gestellt. Wir haben Bundesstiftungen für den ersten Präsidenten der Weimarer Republik, für zwei Kanzler der Bundesrepublik - Adenauer und Brandt, wie bekannt - und für den Bundespräsidenten Theodor Heuss. Alle diese durch Bundesstiftungen geehrten Staatsmänner sind demokratisch gewählt worden, standen demokratischen Staatswesen vor. Der Beschluß zur Errichtung der Bundesstiftungen ist einvernehmlich erfolgt. Wenn das in diesem Falle nicht möglich ist, dann - das sage ich Ihnen als Schlußsatz - verantworten Sie das bitte alleine. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Titze-Stecher - Uta Titze-Stecher ({0}): Das war meine Antwort; ich möchte fortfahren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine Zwischenfragen? Es sind zwei weitere angemeldet.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Koppelin weiß, daß ich rechts blind bin. - Ich habe Sie nicht gesehen. Selbstverständlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dann ist aber zunächst der Kollege Beck an der Reihe.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Danach Herr Koppelin.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das entwickelt sich ja. Ich freue mich darüber.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Titze-Stecher, da ich nicht den Ausschüssen angehöre, die diesen Stiftungsantrag beraten haben, würde ich als Parlamentarier für mein Abstimmungsverhalten gerne wissen, welche Rolle bei der Diskussion in den Fachausschüssen die Information gespielt hat, die wir kürzlich im „Spiegel" lesen konnten: daß sich im Umfeld dieser Stiftung und der Stiftungsgremien namhafte Persönlichkeiten rechtsVolker Beck ({0}) extremer und verfassungsfeindlicher Parteien bewegen. Welche Rolle hat das gespielt? ({1}) Zu welchem Zeitpunkt ist den Bundestagsfachausschüssen bekanntgeworden, was wir da im „Spiegel" lesen konnten? ({2})

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen dazu keine Antwort geben, weil ich nur stellvertretendes Mitglied im Innenausschuß bin. Ich bin ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuß. Da sind diese Informationen, die ich dem „Spiegel" der letzten Woche entnommen habe, auf die Sie anspielen, noch nicht bekannt gewesen. Ich habe allerdings durchaus vor, in meiner Rede darauf einzugehen, daß der Verein „Bismarckbund e.V. " mit dem Schirmherrn Fürst Ferdinand Bismarck an der Spitze unter seinen 500 Mitgliedern BismarckMedaillen-Träger und Funktionäre hat, die dem rechtsextremen Dunstkreis zuzuordnen sind, beispielsweise einen Herrn, der Europaabgeordneter war und den Republikanern angehört, und einen Herrn, der der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei angehörte. Das ist alles dem „Spiegel" letzter Woche zu entnehmen. ({0}) Ich denke, wenn das bekanntgeworden wäre, Herr von Schmude, dann würden Sie sich heute schwerer tun, hier zu sagen, es gehe nur um das Andenken und die Erinnerung an einen, wie ich zugebe, wichtigen Staatsmann. Aber, Herr von Schmude, das Entscheidende ist -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie beantworten die Frage von Herrn Beck.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe sie beantwortet: Das war damals mir nicht bekannt. Ich nehme an, da Aumühle im Wahlkreis von Herrn Schmude liegt und die Bekanntschaft zum Fürsten vorausgesetzt wird, wie ich weiß, ist die Frage eher an den Kollegen Schmude zu richten. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Kollegin, Sie wissen, wie ich Sie schätze.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deswegen fällt es mir fast schwer, diese Frage zu stellen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie dürfen sie stellen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. Sie haben berichtet, wie engagiert Sie im Haushaltsausschuß aufgetreten sind. Ich habe hier das Protokoll des Haushaltsausschusses vom 28. Februar 1996. Sie sind zwar Berichterstatterin, haben aber an der Sitzung nicht teilgenommen. Das kann ja einmal vorkommen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das hatte ich Herrn Kuhlwein überlassen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Herr Kollege Purps hat Sie vertreten. Sie waren also, wie gesagt, nicht da.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deswegen konnten Sie sich da auch nicht so engagieren, wie Sie es hier dargestellt haben. Wie erklären Sie dann, daß alle Vertreter der Sozialdemokraten, der Kollege Purps vorneweg, durchaus erklärt haben, daß Ihre Fraktion zustimmen wird? Da Sie den Zeitpunkt und die Art der Diskussion kritisiert haben, frage ich Sie: Ist es nicht auch in Ihrer Fraktion üblich, daß die Tagesordnung, die langfristig bekannt ist, vorbereitet wird? ({0})

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin Berichterstatterin für den Etat des Innenministeriums seit 1994, wie Sie wissen, Herr Kollege Koppelin. Vor meiner Zeit war dies der Kollege Purps. Ich kann und will hier keinen Kollegen vorführen. Es war bei allen Kollegen gleich, an die ich Fragen gerichtet habe: Wer um Himmels willen hat das wo beschlossen? Wo hat eine Diskussion stattgefunden? Aus welchen Gründen soll hier eine Bundesstiftung entstehen? Mir sind - ich wiederhole mich - nie ordentliche, einsehbare Antworten gegeben worden. Der Kollege Purps hat mir nur gesagt: Uta, diese Sache ist auf oberster Ebene geklärt. - Nun werde ich einmal ganz deutlich: So etwas wird - wie bei den anderen Stiftungen - zwischen den Parteivorsitzenden besprochen und abgemacht. Also mußte ich davon ausgehen, daß zwischen Kanzler Kohl und unserem damaligen Parteivorsitzenden alles geregelt war. Mein Nachbohren bei verschiedenen Personen hat dann aber ergeben, daß es gar keine Festlegungen gab, ({0}) sondern daß es den Wunsch des Kanzlers gab, dem Fürsten anläßlich eines Besuchs auf Schloß Friedrichsruh 1988 in die Hand zu versprechen: Der alte Otto von Bismarck kriegt seine Bundesstiftung, und zwar so rechtzeitig, daß zum 100. Todestag 1998 alles geritzt und geregelt ist. - Es gab keine schriftliche Absprache zwischen CDU und SPD. Weisen Sie sie mir nach, Herr von Schmude. Sie werden keinen SPD-Parteivorsitzenden des Wortbruchs bezichtigen können. Das habe ich eruiert.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Titze-Stecher, mir liegt der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage vor. Gestatten Sie sie?

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber immer.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Dr. Lippelt, bitte.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, da nach den Gründen gefragt wurde und als Grund im wesentlichen die Bedeutung der Persönlichkeit Otto von Bismarcks und die Notwendigkeit, sich seinem Werk stärker zu widmen, angeführt wurde, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, daß zwei bis drei Historikergenerationen in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast nichts anderes getan haben, als das Werk Otto von Bismarcks zu erforschen, daß es infolge dieser enormen Forschungsarbeit hervorragende Biographien gibt - bis hin zu Lothar Galls letzter Biographie -, daß also, wenn überhaupt etwas betrieben worden ist, Forschung betrieben worden ist ({0}) zu politischer Geschichte, auch zur Sozialgeschichte, so daß von daher nicht der geringste Anlaß besteht - ({1}) - Ich bin vor lauter Empörung über Ihre Begründung, Herr von Schmude, vom Fernsehen aufgesprungen, habe mich aufs Rad geschwungen und bin hierher gekommen, um diesen Punkt einmal klarzustellen. ({2}) Ich frage deshalb die Rednerin, ob ihr bekannt ist, daß es über keinen deutschen Politiker so viele Meter guter Forschung in den Regalen der Universitätsseminare gibt wie über Otto von Bismarck, und ob sie glaubt, daß es dennoch einen Grund gibt, diese Stiftung zu errichten. ({3})

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben absolut recht: Es gibt keinen Staatsmann, keinen Politiker des gesamten 19. Jahrhunderts - ich habe das als Teil in meine Rede eingebaut -, der so gründlich erforscht und analysiert worden ist wie diese Person. ({0}) - Das ist mir recht. Wolf-Michael, ich kann das so alles zweimal sagen; vielleicht überzeuge ich die Kollegen dann. ({1}) Es gibt niemanden, der so gut erforscht worden ist. Es gibt - schauen Sie nach Berlin; ich bin extra hingefahren - von keiner Person so viele steinerne Zeugnisse. Bismarck wird jedes Jahr geehrt, zum Beispiel im Mausoleum im Sachsenwald. Er hat also seine Fangemeinde. Die soll er auch haben; das ist jedem unbenommen. Jeder soll an das glauben, was er will. Wir haben Religions- und Glaubensfreiheit. Warum hier eine Lücke sein soll, Herr von Schmude, hat sich mir nicht erschlossen, es sei denn, Sie meinen eine Bundesstiftung. Ich habe erklärt, daß diese Person eben nicht in eine Reihe mit demokratisch gewählten Staatsleuten gehört. Das, was Sie anführen, nämlich daß eine vorurteilslose Beschäftigung mit einem wichtigen Teil der Geschichte durch die Stiftung gewährleistet werden soll, ist für mich überhaupt keine Begründung, weil genau dies, also die Beschäftigung mit der ambivalenten Figur und Person und auch mit der Politik und dem Wirken Otto von Bismarcks, seit über hundert Jahren stattfindet. Sonst gäbe es doch nicht eine wachsende Fangemeinde. Das ist geradezu der schlagende Beweis dafür, daß Ihre Begründung absolut nicht stichhaltig ist. ({2}) - Ich bitte Sie jetzt, mir zu ermöglichen, meine Rede fortzusetzen. Gleichwohl bin ich Ihnen dankbar für die Fragen, da dadurch einige Dinge in aller Klarheit gesagt werden konnten. Der Bund hatte bereits 1993, bevor das Parlament sich inhaltlich mit der Sache und auch bevor der Haushaltsausschuß sich mit der haushaltsmäßigen Seite beschäftigt hat, den völlig maroden historischen Bahnhof Friedrichsruh für eine halbe Million DM gekauft. Das war der erste Schritt. Den zweiten Schritt stellte die Zurverfügungstellung von 7,5 Millionen DM seitens des Bundes für die Sanierung dieses maroden Gebäudes dar. ({3}) - Zu den Zahlen komme ich gleich, ich bin Mitglied des Haushaltsausschusses. Bis zur Ausfinanzierung der Stiftung im Jahre 1999 ist sie in angemieteten Räumen untergebracht, wofür an Miete rein rechnerisch vom 1. Juli 1996 bis Ende Dezember 1999 noch einmal 76 000 DM anfallen. Der reine Betriebshaushalt der zu 100 Prozent vom Bund institutionell geförderten Otto-von-Bismarck-Stiftung beläuft sich in vier Jahren auf 1,4 Millionen DM. Roundabout, das können Sie sich ausrechnen, sind das 8,5 Millionen DM; und das in einer Zeit - jetzt bitte ich die lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß um Zustimmung -, in der wir uns gerade beim Einzelplan 06 des Innenministeriums bemühen, die vielen, vielen Empfänger instituUta Titze-Stecher tioneller Förderung daran zu gewöhnen, sich auf die Projektförderung umzustellen, damit wir mehr Gestaltungsfreiheit haben. In Zeiten maroder Staatsfinanzen - ich erinnere Sie an die Debatte, die gestern gelaufen ist; Stichwort: Operation Goldschatz -, in Zeiten globaler Minderausgaben, Defizite, Haushaltssperrungen und Kürzungen im sozialen Bereich haben Sie die Chuzpe, so ein Bubenstück vorzulegen, Steuermittel für eine Bundesstiftung zu verlangen, für eine Stiftung mit einem völlig überflüssigen Stiftungszweck. ({4}) Wir sind keine Kulturbanausen. Der Bahnhof Friedrichsruh verdient durchaus Unterstützung. Wir haben im Bundesetat Denkmalschutzmittel; ich kann mir durchaus vorstellen, daß kein Mensch etwas dagegen hätte, den Bahnhof mit diesen Mitteln herzurichten. Die Frage ist, ob sich die Familie Bismarck die Sanierung vom Bund sponsern lassen muß. Herr Schmude, Sie haben ausgeführt, die Familie Bismarck habe aus Großmut aus ihren Archiven eine ganze Menge zur Verfügung gestellt. Man muß die volle Wahrheit wissen: Die volle Wahrheit ist, daß das eine Dauerleihgabe ist, die, wie Sie mir selbst sagten, nach dem Tode des alten Fürsten durchaus in Frage gestellt ist. Wer schützt mich denn davor, daß sich die Erben der Familie jedes Blatt vergolden lassen, das heißt, vom Bund bezahlen lassen wollen? Ein weiterer Punkt dazu: Archiv und Bibliothek sind leihweise eingebracht. Was ist denn mit dem Mausoleum? Was ist denn mit den Memorabilia? Die Teile, bei denen zahlende Besucher auftauchen, behält die Familie für sich. Ich denke, daher sind durchaus Nachfragen angebracht. Die Kritik der SPD-Bundestagsfraktion macht sich aber weniger, also nicht prioritär, an den Budgetkosten fest, sondern vor allem am Stiftungszweck - dazu bin ich, durch die Fragen aufgemuntert, schon eingegangen -, an der Gremienstruktur und an der Konzeption. Was bekommt denn der Steuerzahler für sein Geld? Ginge es nach den Vorstellungen des Bonner Historikers Professor Klaus Hildebrand, des Schöpfers der Konzeption - einer Konzeption übrigens, die bis heute noch nicht vom hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirat beurteilt worden ist; und Sie wollen hier schon die endgültige Beschlußfassung durchziehen -, ({5}) dann würde Friedrichsruh zum Zentrum der Bismarckforschung in der Welt werden. Wenn man diese Konzeption durchliest - was ich getan habe -, dann merkt man, daß das eine Daueraufgabe ist, ({6}) so wie der Sozialismus, wie wir früher einmal in der SPD gesagt haben. Das heißt, die Familie Bismarck mit all ihren Erben wird immer zu erforschen sein, weil sie existiert. Ich denke, das ist eine Ausweitung der Forschung, die nicht rechtfertigt, daß Sie Bundesmittel einsetzen. ({7}) Das Andenken an das Wirken des Staatsmannes Bismarck soll, so steht es im Gesetzentwurf, für die Interessen der Allgemeinheit gesammelt und verwaltet werden. Auf die Anfrage von Ihnen, Herr Kollege Schmude, habe ich schon gesagt, daß kein Politiker des 19. Jahrhunderts so genau erforscht wurde. Deswegen wirft dieses Anliegen von Ihnen die Frage auf: Wieviel Bismarck braucht das Land noch? Braucht es ihn überhaupt? Ausgewiesene Historiker, die mir bekannt sind - Ihnen vielleicht nicht, Herr Schmude -, wie Mommsen und Faulenbach, bestätigen meinen Verdacht, daß unter dem Deckmantel der politischen Bildung handfeste Interessen zum Tragen kommen. Faulenbach beispielsweise spricht von einem kaum kaschierten Versuch einer Subventionierung. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Darf ich darum bitten, daß nicht von Bank zu Bank kommuniziert wird, wenn hier vorne gesprochen wird.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Faulenbach kritisiert nicht nur das zu geringe Maß an Öffentlichkeit, sondern spricht vom „kaum kaschierten Versuch einer Subventionierung von Einrichtungen der Familie Bismarck". Und Mommsen - Mommsen ist nicht irgendwer, sondern ein ausgewiesener Historiker - wertet das Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung als Versuch, „der Geschichtswissenschaft eine weitergehende Funktion im Sinne der Schaffung eines nationalen Selbstbewußtseins zu geben". Da sind wir beim Punkt; das ist es, was Sie und der Kanzler wollen! Darum geht es Ihnen und den geistigen Geburtshelfern dieser Bundesstiftung! Der geplanten Stiftung geht es nicht darum, Forschungslücken zu füllen - denn die gibt es gar nicht mehr -, sondern darum, eine politische Figur zu heroisieren, zu popularisieren und zu politischen Zwekken zu nutzen. Der Adressatenkreis ist schon genannt worden - in der Ausgabe des „Spiegel" von voriger Woche ist das nachzulesen. Das ist weder gut noch neu; das ist bereits im letzten Jahrhundert durch den Bismarck-Kult zur Genüge getan worden - siehe steinerne Zeugnisse. Die Folgen für Deutschland und seine Stellung in der Welt waren - wie bekannt - verhängnisvoll. Deshalb fragen wir weiter: Sollen da etwa die Geschichtsbilder aus dem Kanzleramt gesponsert werden? Will sich der „Kanzler der Einheit" in die Nachfolge des Eisernen Kanzlers begeben? ({0}) Oder versteht er so die Umsetzung seiner Vorstellungen von der geistig-moralischen Wende?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Titze-Stecher, Herr Kollege Uelhoff hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie ihn?

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Titze-Stecher, da Sie nach dem Sinn der Stiftung fragen, frage ich Sie, warum im Haushalts- und im Innenausschuß alle Sozialdemokraten der Begründung des Gesetzentwurfes und damit dem Sinn der Stiftung zugestimmt haben. In der Begründung heißt es, daß durch diese Stiftung das Andenken an den ersten deutschen Reichskanzler gewahrt und lebendig erhalten werden und die Stiftung „insgesamt einen Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte leisten" soll. In der Drucksache 13/4186 heißt es, daß im Haushaltsausschuß die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. - im Innenausschuß sogar die Bündnisgrünen - der eben genannten Begründung zugestimmt haben. Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt der Meinung sind, das gelte alles nicht. Warum haben Ihre Kollegen in beiden Ausschüssen zugestimmt?

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe diese Frage bereits beantwortet, weil sie schon einmal gestellt wurde, aber ich mache es gerne noch einmal. Beide Ausschüsse sind davon ausgegangen, daß die Zustimmung der entscheidenden Parteien bereits durch Vorgespräche eingeholt worden sei und somit auf dem Tisch liege. Das war aber nicht der Fall. Mir wurde gesagt, das sei bereits auf oberster politischer Ebene eingetütet und in trockenen Tüchern. Dann sagt man im Ausschuß natürlich nicht, man sehe das anders und stimme dagegen. ({0}) - Wenn schon, dann ist es ein Armutszeugnis für alle, Frau Kollegin, nicht nur für die SPD. ({1}) Wir haben wenigstens nachgefragt. ({2}) - Vielleicht lassen Sie mich die Antwort in Ruhe und Frieden geben und hören Sie zu. Es nimmt Ihnen niemand die Möglichkeit, am Ende zuzustimmen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Darf ich darum bitten, daß die Rufe von Bank zu Bank aufhören. So etwas ist einfach unfair, wenn hier vorne jemand spricht.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Uelhoff, ich kann Ihnen nur sagen: Niemand hat etwas gegen den Zweck der Stiftung, wenn er im Rahmen einer privaten Stiftung verfolgt wird. Diese kann sponsern, wer von der Sache überzeugt ist. In heutiger Zeit ausgerechnet diese Person - ich muß mich da wiederholen, auch wenn es mühsam ist - über Bundesmittel in eine Reihe mit den Personen zu stellen, die bisher durch Bundesstiftungen geehrt wurden, das verbietet sich. Die Finanzierung der Stiftung mit Bundesmitteln können Sie bei diesem Stiftungszweck nicht rechtfertigen. ({0}) Kein Mensch würde sich aufregen, und es gäbe keine Debatte, wenn Sie es bei dem belassen hätten, was bereits besteht, nämlich bei einer unselbständigen Stiftung. Davon gibt es schließlich viele. Aber nein, das genügt Ihnen ja nicht! Sie wollen - ich sage es einmal ganz drastisch - für Ihre Klientel die Errichtung einer Bundesstiftung, damit nie mehr etwas passieren kann. Dieses Gesetz ist so etwas wie ein eherner Ehevertrag, aus dem Sie nur mit einem neuen Gesetz wieder 'herauskommen. Sie wissen das; und genau deswegen wollen Sie das Gesetz durchdrücken. Hätten Sie es sein lassen, wäre diese Debatte nie geführt worden und hätte nie geführt werden müssen. Denn selbstverständlich erkennt auch die SPD den Rang und die Bedeutung des Staatsmannes Otto von Bismarck an. Wir sind weder kleinkariert noch unpolitisch. ({1}) Satte 8 Millionen DM an Bundesgeldern für Persönlichkeitskult sind unangebracht und hätten auch eine gefährliche Präzedenzfallwirkung: Von Friedrich dem Großem bis zu Hermann dem Cherusker wäre dann für jeden Geschmack und für jede politbildnerische Absicht eine Figur zur Verfügung. Was kann - das im Nachgang zu Ihrer Frage, Herr Kollege Uelhoff - der Antidemokrat Bismarck, der von Golo Mann „der nervöse Barbar" genannt wurde, der das Parlament als Pest, bestenfalls als notwendiges Übel betrachtet hat, zum Demokratie- und Verfassungsverständnis dieser Republik beitragen? ({2}) Das müßte er, wenn die Etatisierung im Bereich politische Bildung gerechtfertigt sein sollte. So ist es aber nicht. ({3}) - Die Sozialgesetzgebung hat der Staatsmann Otto von Bismarck doch nicht aus Mitleid mit der leidenden Arbeitnehmerschaft geschaffen, sondern um genau die Wirkung und das Wirken der entstehenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu beschränken und zu verhindern. Was Sie da sagen, zeugt von ausgesprochener historischer Unkenntnis. Er war ein Mann, der Katholiken, Mitglieder der Zentrumspartei als Reichsfeinde gebrandmarkt hat. Das macht im übrigen auch die Akzeptanz bei den Katholiken, bei spielsweise hier im rheinischen Raum, äußerst problematisch. ({4}) Wenn Sie sich darüber hinwegsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, daß bisher bei aller Kontroverse der Bewertung der politischen Leistung verschiedener Personen doch der Konsens der Bedeutung dazu geführt hat, daß wir einvernehmlich eine Bundesstiftung beschlossen haben, müßte Sie doch genau dieser Punkt dazu bringen, jetzt Einhalt zu gebieten und zu sagen: Das Einvernehmen ist nicht herzustellen; wir verzichten auf die Errichtung einer Bundesstiftung. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Achten Sie bitte auf die Zeit.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wieviel habe ich noch?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gar nichts mehr.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da es mir dank der Fragen gelungen ist, hier vor allem klarzumachen, wie problematisch die SPD die Person, die Form, die Gremienstruktur, überhaupt das Verhältnis zwischen Leistung und Geld ansieht, denke ich doch, daß auch klar herausgekommen ist, warum wir eine Bundesstiftung mit der aufgezeigten Ausrichtung unter dem Deckmantel der politischen Bildung ablehnen. Sie ist ein „erschreckendes Zeichen von zunehmendem Mangel an demokratischer Kultur", so Susanne Miller. Letzter Satz: Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie dies so wollen, im Dissens mit dem Rest des Hauses, dann müssen Sie das allein verantworten. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte erst einmal folgendes klarstellen: Wenn man eine Meinung vertreten und eine Abstimmung hinter sich gebracht hat und danach Informationen eingeholt, das diskutiert und sich begründet eine neue Meinung gebildet hat, dann ist diese Meinungsänderung überhaupt keine Schande. Was völlig daneben ist und was Sie hier machen, ist, wider besseres Wissen an falschen Entscheidungen festhalten. ({0}) Die Frage ist: Welches Interesse hat die „Allgemeinheit" - wie es in Ihrem Gesetzentwurf heißt - eigentlich an Bismarck? Dazu ist schon vieles gesagt worden. Immerhin hat der „große Staatsmann" ein recht sonderbares Männerwahlrecht eingeführt, ist für die Sozialistengesetze verantwortlich oder hat Sätze wie den folgenden von sich gegeben - ich zitiere -: Nicht durch Reden und Parlamentsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut. Nun denn, die Otto-von-Bismarck-Stiftung soll nur der „politischen Bildung" und der „Pflege des Geschichtsbewußtseins " dienen. Nach der geistig-moralischen Wende kommt jetzt offensichtlich die geistig-monarchistische Wende. ({1}) Haushaltspolitisch ist dieser Gesetzentwurf überhaupt nicht zu begründen. Das hat die Kollegin Titze-Stecher dankenswerterweise schon in der letzten Haushaltsdebatte und auch heute wieder ganz klar herausgestellt. Sie hat damals schon den Verdacht geäußert, daß es mehr um die Förderung der Familie des Fürsten von Bismarck geht als um die Förderung von Geschichtsbewußtsein. ({2}) So, wie die Besitzverhältnisse und die Gremienstruktur der Stiftung aussehen, ist das sehr naheliegend. 7,5 Millionen DM kostet die Einrichtung, und die von Bismarcksche Familie zahlt gar nichts. ({3}) Aber das Geld liegt ja auf der Straße, und andere Probleme hat die Regierung offensichtlich nicht. Wissen Sie eigentlich, was Fürst Ferdinand von Bismarck in Friedrichsruh treibt? Er ist unter anderem Schirmherr des Bismarckbundes. Das ist eine dubiose Vereinigung, in der an führender Stelle Rechtsextreme wirken, unter anderem ein ehemaliger Europaabgeordneter der Republikaner. Diese Leute versammeln sich mehrfach im Jahr im Sachsenwald. - Hier fand, glaube ich, eine der „demokratischen Bildungsveranstaltungen" statt, auf die schon angespielt worden ist. - Dort reden sie dann den Fürsten mit „Seine Durchlaucht" an. Dann verleiht der Fürst als - ich zitiere - „Anerkennung für die bewiesene vaterländische Gesinnung" einen „BismarckOrden" oder ein „Ritterkreuz 1. Klasse des Ordo Militaris Teutonicus" .

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Buntenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich Ihre Parteifreunde, zum Beispiel in Schleswig-Holstein - in der Region auch Sozialdemokraten -, überhaupt nicht scheuen, mit diesem Herrn zusammen gegen den Transrapid zu demonstrieren?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wer zu welchen Demonstrationen kommt, darauf habe ich hier keinen Einfluß, darüber diskutieren wir an dieser Stelle nicht. Es geht darum, daß Sie diese Institution als Bundesstiftung auf Dauer fördern wollen und damit diese Spielwiese für Rechtsextreme und für Monarchisten mit Geldern des Bundes ausstatten wollen. Das finde ich absolut unerträglich. ({0}) Außerdem habe ich gehört, daß hervorragende Abgeordnete der CDU/CSU auch schon die Ehre dieser Auszeichnung hatten, nämlich das „Ritterkreuz 1. Klasse des Ordo Militaris Teutonicus" verliehen zu bekommen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Buntenbach, ich muß Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uta TitzeStecher, wobei ich dem Hause - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf - raten würde, es mit den Zwischenfragen etwas mäßiger zu halten?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte sehr.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, bisher kamen die Zwischenfragen weniger von unserer Seite. Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die Koalition im Haushaltsausschuß in der entscheidenden Sitzung eine Absenkung des ursprünglich veranschlagten Betrages für die Otto-von-Bismarck-Stiftung vorgesehen hat, weil der Fürst offensichtlich Widerstand gegen die Einrichtung von Trassen in seinem Sachsenwald geleistet hat? Es handelt sich um Trassen im Zuge des Transrapidbaus. ({0}) Teilen Sie nicht meine Meinung, daß die jetzt in Aussicht gestellten Gelder auch zur Befriedung und zur Klarstellung in diesem Punkt gedacht sein könnten? ({1})

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Feststellung erscheint mir recht plausibel, der Zusammenhang einleuchtend. Ich bin sehr dankbar für die Information, die ich natürlich nicht hatte, weil ich nicht Mitglied des Haushaltsausschusses bin. Ich denke, daß auch Herr Koppelin das gern zur Kenntnis nimmt, weil damit seine Frage endgültig beantwortet sein dürfte. Diese ganzen militaristischen Dinge - BismarckOrden, Ritterkreuz 1. Klasse -, die ich genannt habe, könnte man noch als eher komisch bezeichnen. Aber das hört endgültig dann auf, wenn man sich klarmacht, daß sich in dieser Gesellschaft auch alte und neue Nazis befinden, darunter zum Beispiel ein ehemals führender Funktionär der militanten Neonazigruppe FAP, die der Bundesinnenminister aus gutem Grund verboten hat. Der Fürst selbst bewegt sich in Kreisen von Geschichtsrevisionisten und „Neuen Rechten". Darauf verweisen die eingeladenen Festredner der „Reichsgründungsfeiern" in Friedrichsruh, zum Beispiel Alfred Schickel oder Karlheinz Weißmann. Ein anderer Festredner war Stefan Wartisch, Mitbegründer des „Hamburger Kreises ", dem der Verfassungsschutz eine - ich zitiere - „Frontstellung zum Modell des demokratischen Verfasssungsstaates" bescheinigte. Auch jener Historiker, den die fürstliche Familie über Jahre hinweg beschäftigte, um das Bismarcksche Geschichtsbild geradezurücken, paßt gut in dieses Konzept. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie haben einen Historiker mit der Konzeption beauftragt, der sich schon 1986 im Historikerstreit eindeutig als Geschichtsrevisionist „verortet" hat. Sie wollen mit einem Antidemokraten politische Bildung machen. Sie haben schon jetzt das Publikum, das Sie dafür verdienen. Was Sie hier mit Gesetzesrang fördern wollen, ist eine Spielwiese für Monarchisten und Rechtsextreme. Wir lehnen die Errichtung einer solchen Stiftung ab. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ina Albowitz, F.D.P. ({0})

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe Sie akustisch nicht verstanden, Herr Kollege. ({0}) - Nein, überhaupt nicht. Ich habe nur fünf Minuten, in denen ich eigentlich etwas zur Otto-von-BismarckStiftung sagen wollte. Der Gesetzentwurf ist im übrigen kein Regierungsentwurf, sondern ein Entwurf, der von Abgeordneten der Regierungskoalition eingebracht wurde. Da ich selber zu diesen Abgeordneten gehöre, möchte ich ihn hier doch gern noch einmal begründen. ({1}) - Herr Lippelt, ich bereite Ihnen sehr ungern Enttäuschungen; das wissen Sie. Aber ab und zu kann ich Ihnen das nicht ersparen. Meine Damen und Herren, ich habe mich über Teile der Diskussion, die vorhin hier gelaufen ist, ein wenig gewundert - nicht, weil ich Ihnen möglicherweise populistische Beweggründe beim Hin- und Herrücken unterstellen wollte; was ich eigentlich gar nicht vorhatte und was ich jetzt auch lasse, weil das Thema viel zu ernst ist -, sondern weil ich denke, daß auch ein Mann wie Bismarck zu unserem Land gehört. ({2}) Ich glaube, wir können ihn nicht wegdiskutieren. Er gehört, wenn wir ihn aus einer monokausalen Betrachtungsweise herausnehmen, zu unserer Nation. ({3}) Dieser Mann ist vor 99 Jahren gestorben. Er hat sich, glaube ich, um Europa und um Deutschland verdient gemacht. ({4}) Er ist ein facettenreicher Politiker; er ist von uns außerordentlich kritisch zu betrachten. ({5}) - Ich glaube, wir täten ihm Unrecht, wenn wir ihn nur so betrachten würden. Aber das maße ich mir nicht an, Herr Kollege. Ich bin keine Historikerin; ich bin auch keine Wissenschaftlerin. Herr Kollege Lippelt, das, was Sie vorhin gesagt haben, es sei genügend geforscht worden, teile ich nicht. Ein Teil dessen, was das Leben und Werk Bismarcks ausmacht - es geht hier nicht um den gegenwärtigen Fürsten, Frau Buntenbach, sondern es geht um den Reichskanzler aus dem letzten Jahrhundert -, ist uns von der Familie von Bismarck in einer Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden - und das in einer sehr eindeutigen und festgelegten Weise. Die Vermutung, die die Kollegin Titze-Stecher eben geäußert hat, daß nämlich die Erben das verändern könnten, ist unbegründet. Das ist ausgeschlossen. Ich habe mich ein bißchen länger damit beschäftigt. Wenn man Antragstellerin ist, sollte man das eigentlich tun. Ich habe es getan, weil ich das ja vor Ihnen vertreten muß. Wer sich ein bißchen mit der Vergangenheit, mit dem Nachlaß und mit dem, was sich aus der Wiedervereinigung ergeben hat, beschäftigt hat, wird dem geschichtlichen Erbe eher gerecht. Es geht hier nicht um Glorifizierung, sondern es geht urn die sachliche Aufarbeitung bestimmter Themen. Es geht hier um keine Kanzlervereinbarung und auch um keine Vereinbarung der Parteispitzen. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Weisheiten haben. Im übrigen fände ich es angesichts der im Grundgesetz festgelegten Unabhängigkeit der Abgeordneten ziemlich schlecht, wenn man sagen wollte: Ich mache nur das, was mein Parteivorsitzender macht, und im übrigen gebe ich meinen Verstand an der Lobby ab. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Albowitz - Ina Albowitz ({0}): Ich hätte von dem Kollegen Vergin, den ich außerordentlich schätze, und von dem Kollegen Such, die sich mit der Stiftung im Innenausschuß und den anderen Ausschüssen auseinandergesetzt haben, erwartet, daß sie sich während der Beratung der Anträge dazu deutlich geäußert hätten. Der Kollege Kuhlwein hat in der beratenden Ausschußsitzung gesagt, daß er diese Stiftung, aber gleichzeitig auch eine außerordentlich kritische Betrachtungsweise wünsche. Die Kollegin Heyne hat sich für die Grünen genauso geäußert. Das alles können Sie nachlesen. Beide forderten eine kritische Auseinandersetzung mit Bismarck in der Stiftung. Frau Kollegin, ich habe das Protokoll mitgebracht; Sie können das nachlesen. Ich habe das extra alles herausgesucht, weil mir ähnliches schwante. Nein, meine Damen und Herren, ganz so einfach, wie Sie es sich heute zu machen versuchen, ist es nicht. Ich denke, wir sind es der Nachwelt schuldig, daß wir einen Mann wie den Reichskanzler von Bismarck, den man durchaus kritisch sehen kann, solide und historisch sauber und ordentlich aufarbeiten lassen. Und das ist im Rahmen einer Stiftung möglich. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, Sie wollten die Zwischenfrage nicht zulassen?

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Sie haben eben diesbezüglich appelliert, und ich hatte ohnehin nur wenige Minuten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke, PDS.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu den Vertretern der Unionsparteien freue ich mich, daß die SPD und die Grünen aus ihrem früheren Abstimmungsverhalten gelernt haben und heute gegen diese Stiftung stimmen werden. Es war für mich klar, daß ich im Innenausschuß dagegen stimmen würde. Vielleicht vorweg ein kleiner Hinweis: Ferdinand von Bismarck läßt sich mit dem Adelstitel anreden, aber in diesem Land ist es von Gesetzes wegen eigentlich nicht mehr üblich. Deswegen sollten vielleicht auch wir damit aufhören, ihn mit seinem Adelstitel zu benennen. Das nur als kleiner Hinweis. Im übrigen möchte ich noch einmal aus der Begründung für diese Stiftung zitieren. Dazu heißt es im Antrag, Bismarck werde geehrt als „Vertreter einer europäisch ausgerichteten Sicherheits- und Friedenspolitik und als Begründer der deutschen Sozialpolitik". Es ist schon gesagt worden, daß er für die Sozialistengesetze und für die Verfolgung von Sozialdemokraten verantwortlich war. Nach der Reichsgründung 1871 betrugen die Militärausgaben des Staatshaushalts 70 Prozent. Das ist nicht wenig, wenn man von „Friedenspolitik" spricht. ({0}) Es ist auch kein Zufall, meine Damen und Herren, daß die rechtsextreme Zeitung „Nation und Europa" diese Bismarck-Stiftung - sollte hier heute so abgestimmt werden - begrüßt und sich über sie sehr erfreut zeigt. Ich meine, daß sich die Koalitionsparteien nicht dem Argument verschließen dürfen, das Frau Buntenbach hier bereits vorgetragen hat, dem Argument nämlich, daß diese Stiftung ein Tummelplatz für Rechtsextremisten werden wird. Ich möchte nur ein paar Namen nennen: Robert Jahn, erster Beisitzer und Protokollführer des 1981 gegründeten Bismarckbundes, hatte einige Jahre zuvor an einem Treffen der illegalen NSDAP/AO teilgenommen und wurde dort beauftragt, die „Orga Norddeutschland" aufzubauen. Hugo Wellems, von 1983 bis 1995 stellvertrender Vorsitzender des Bismarckbundes, war zur Zeit des Faschismus Referent im - man höre und staune! - „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda". Emil Schlee - er ist hier schon genannt worden - war Europaabgeordneter der Republikaner. Einige Funktionäre waren in mittlerweile verbotenen Organisationen wie der Wiking-Jugend und der FAP aktiv. Andere organisierten sich in der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten" oder in der „Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte". Letztere bemüht sich ausschließlich um die Betreuung von SS- Offizieren. Kein Wunder also, daß die Zeitschrift „Nation und Europa" triumphiert! Der Bismarckbund arbeitet eng mit rechtsextremen Vereinen wie der „Staats- und wirtschaftspolitischen Gesellschaft" aus Hamburg, dem „Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen", dem „Hamburger Kreis" und nicht zuletzt der rechtsextremistischen Zeitung „Junge Freiheit" zusammen. Personelle Überschneidungen gibt es aber auch mit Schützenvereinen. Beispielsweise ist Albrecht Schiller, Vorsitzender des Bismarckbundes, zugleich Bundesvorsitzender der „Lützower Jäger". Nach Angaben eines vertraulichen Hamburger VS-Berichts bietet dieser Verein seinen Angehörigen die Möglichkeit, an Schießübungen teilzunehmen. Der Bericht gelangt zu der Einschätzung, daß sich die Ausbildung bei den „Lützower Jägern" an der Bundeswehr orientiert und daß seine Wehrsportübungen - ich zitiere - „von Mal zu Mal an Professionalität und Effektivität gewinnen". Also, meine Damen und Herren, ich bin in der Tat der Meinung, daß Sie diese Dinge erneut prüfen sollten. Im Innenausschuß sind wir gar nicht dazu gekommen, eine wirkliche Fachdiskussion zu führen. ({1}) Wir haben schon gehört, daß diese Stiftung den Steuerzahler 8,5 Millionen DM kosten wird. Ich bin wie viele andere Kollegen der Meinung, daß dieses Geld für soziale und andere wichtige Aufgaben ausgegeben werden sollte, aber nicht für so eine Stiftung.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin! Ulla Jelpke ({0}): Ich komme zum Schluß.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nein, Sie müssen jetzt sofort zum Schluß kommen. Sie haben Ihre Redezeit um anderthalb Minuten überschritten.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Darf ich noch einen Satz sagen?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Einen! Ich passe auf!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte meine Kollegin bitten, sich folgendes Zitat wirklich einmal durch den Kopf gehen zu lassen, wenn sie hier von Demokratie spricht: Nicht durch Reden und Parlamentsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Carstens.

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute soll die Otto-von-Bismarck-Stiftung den Punkt auf das i bekommen. Ich glaube, das ist die Kurzfassung dessen, was hier zur Beschlußfassung ansteht; denn wir haben schon eine Otto-von-Bismarck-Stiftung unselbständiger Art, angegliedert an das BMI, und diese Stiftung soll nun eine selbständige Stiftung des öffentlichen Rechts werden. Wenn ich mir die Mehrheitsverhältnisse anschaue, bin ich sicher, daß das auch so beschlossen werden wird. Ich sage das insbesondere deswegen, weil es eigentlich bedauerlich ist, daß man so etwas nicht einvernehmlich beschließt. Aber das ist nicht in Richtung Koalition, sondern in diesem Falle in Richtung Opposition gesprochen. Frau Kollegin Titze-Stecher hat hier eingestehen müssen, daß auch die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und wohl auch die Kolleginnen und Kollegen des Innenausschusses im letzten Jahr zugestimmt haben. Nun ist von der Kollegin Titze-Stecher gesagt worden - ich muß hinzufügen, daß ich sie persönlich sehr schätze - , daß es neue Fakten gebe, die dazu geführt hätten, zu einer veränderten Einschätzung zu kommen. Das ist eine Möglichkeit, der man durchaus positiv gegenüberstehen kann, aber es könnte ja auch sein, daß sich die SPD-Kolleginnen und SPD-Kollegen im nachhinein haben beeinflussen lassen, ohne daß es neue Fakten gibt. Das wäre dann nicht mehr ganz so angenehm. Wenn ich den Informationen trauen kann, die ich habe, dann wird es sich eher um den zweiten Fall handeln, der dazu geführt hat, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD ihre Position geändert haben. Wie dem auch sei, es geht heute darum, die Beschlußfassung herbeizuführen. Zwischenzeitlich ist eine Summe von 300 000 DM im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zur Sperrung vorgesehen. Ich habe den Eindruck, daß man sich bei der Art und Weise, wie der Haushaltsausschuß arbeitet, nicht darauf einstellen kann, daß dieses Geld - für was auch immer - in 1997 zur Verfügung stehen wird. Ich kann mir vorstellen, daß dieser Betrag dazu verwandt wird, die Kreditaufnahme zu reduzieren, was ja auch nicht schlecht wäre für unser Land. Darauf tippe ich eher, auch wenn ich nicht danach gefragt wurde, was meine Meinung dazu ist. ({0}) Ich möchte noch den Punkt Bereicherung bzw. Förderung der Familie ansprechen. Das ist nun wirklich nicht mehr nachzuvollziehen. Wenn man sich anschaut, was die Familie (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin ({1}) an Buchbeständen und Archivmaterial als eine auf Dauer angelegte Leihgabe unentgeltlich zur Verfügung stellt, dann ist das doch nichts, was mit einer Förderung der Familie in Zusammenhang gebracht werden kann. Insofern muß ich das strikt und klar zurückweisen. ({2}) Durch die Rechtsform einer selbständigen und rechtsfähigen Stiftung soll die Autonomie zum Ausdruck kommen, die der überparteilich zu führenden Einrichtung eingeräumt werden soll. Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich deshalb an vergleichbaren Einrichtungen, von denen soeben die Rede war. Die rechtliche Konstruktion ist inzwischen bei allen Stiftungen erprobt, und zwar sowohl im Betrieb der Einrichtungen als auch in der Publikationstätigkeit. Ich möchte zu Protokoll geben, was der bereits erwähnte Historiker Professor Dr. Klaus Hildebrand, der eine Konzeption für die Arbeit der Stiftung erstellt hat, zum Ausdruck gebracht hat. Er hat darin unter anderem darauf hingewiesen, daß das damalige Reich zwar inzwischen in die Geschichte eingegangen sei, aber zahlreiche seiner Institutionen und Traditionen im nationalen und europäischen Zusammenhang bis auf unsere Tage fortbestünden. Die Absichten, die heute weitgehend Vergangenheit seien - das ist wahr -, und die Wirkungen, die bis in die Gegenwart reichten, müßten miteinander verglichen werden. Diese fortdauernde Aufgabe der historischen Wissenschaft gehöre zum kulturellen Erbe einer Nation. Dieser Meinung schließe ich mich an. Ich würde mich freuen, wenn es hier zu einem Mehrheitsbeschluß käme. ({3}) Schönen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über die Errichtung einer Otto-von- Bismarck-Stiftung. Das ist die Drucksache 13/3639. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 4186, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie vor. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a bis 10e auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Postgesetzes ({0}) - Drucksache 13/7774 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Gerd Andres, Arne Börnsen ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Infrastruktur sichern, Wettbewerb fördern - Grundsätze zur Neuordnung des Postsektors - Drucksache 13/4582 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ({3}) Ausschuß für Wirtschaft Vizepräsident Hans-Ulrich Klose c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann ({4}), Simone Probst und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert: Vom Postamt zum Bürgerservicebüro - Drucksache 13/6556 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ({5}) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Wolfgang Bierstedt, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Festschreibung und Sicherung von sozialen Standards und Leistungsgarantien im Postgesetz - Drucksache 13/7094 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ({6}) Ausschuß für Wirtschaft e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Arne Börnsen ({8}), Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Remailing unterbinden - Arbeitsplätze in Deutschland sichern - Drucksachen 13/4448, 13/6550 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({9}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Minister:in)

Politiker ID: 11000228

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß mir die Damen und Herren Kollegen, die uns jetzt verlassen, in Zukunft keine Briefe mehr über schlechte postalische Leistungen schreiben, in denen ich aufgefordert werde, diese abzustellen. Alle anderen Kollegen, die hierbleiben, dürfen mir auch in Zukunft solche Briefe schreiben. ({0}) - Zur postpolitischen Bedeutung von von Bismarck kann ich leider nichts sagen. Wir sind nicht mehr bei diesem Tagesordnungspunkt. Er hat immerhin zugestanden, daß Bayern auch nach 1871 eigene Briefmarken haben konnte, als Ludwig II. dies von ihm verlangt hat. Etwa ein Jahr nachdem wir das Telekommunikationsgesetz in diesem Hause mit großer Mehrheit - jedenfalls auch mit der Mehrheit der Sozialdemokraten und ihrer Postpolitiker - verabschiedet haben, haben wir heute die erste Lesung des Postgesetzes auf der Tagesordnung, da wir uns 1994, als wir die Postreform II im Rahmen der Verfassungsänderung beschlossen haben, darauf verständigt haben, daß nicht nur der Telekommunikationsbereich, sondern auch der Postbereich nicht nur privatisiert, sondern auch liberalisiert werden soll. Wir haben damals Zeitgesetze geschaffen, so daß das derzeit geltende Gesetz für die Post am 31. Dezember 1997 ausläuft und deshalb am 1. Januar 1998 eine neue Rechtsgrundlage erforderlich ist. Unser Gesetzentwurf sieht vor, daß grundsätzlich jedermann die gewerbsmäßige Beförderung von Briefen gestattet wird, vorausgesetzt er beantragt eine Lizenz. Eine Lizenz erhält nur der, der über die notwendige Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit verfügt. Das sind im Grunde genommen die einzigen Voraussetzungen. Bisher haben wir bereits im Bereich der sogenannten Info-Post, früher als Massendrucksachen bekannt, eine Liberalisierung für Sendungen bis hinunter auf 100 Gramm. Ab 1. Januar 1998 soll die Beförderung dieser sogenannten adressierten Massensendungen sowie ein kleiner Teil der Beförderung von Normalbriefen völlig liberalisiert werden. Der weit überwiegende Teil des heutigen Monopols soll allerdings der Deutschen Post AG bis Ende des Jahres 2002 in Form einer sogenannten Exklusivlizenz zur Beförderung vorbehalten werden. Hierdurch wird dem Unternehmen ein sozialverträglicher Übergang vom Monopol zum Wettbewerb ermöglicht. Die im In- und Ausland vorliegenden Liberalisierungserfahrungen lassen erwarten, daß sich die Deutsche Post AG im Wettbewerb selbstverständlich gut behaupten wird. Ich rechne deshalb nicht mit negativen Auswirkungen durch diese Marktöffnung, insbesondere nicht für den geplanten Börsengang der Post AG am Ende dieses Jahrzehnts. Ganz im Gegenteil: Der künftige Anleger will wissen, wie sich ein Unternehmen im Wettbewerb behauptet. Ich glaube, der Börsengang der Telekom hat dies deutlich gezeigt: In der Frage der Exklusivlizenz gehen die Auffassungen von Bundesregierung und Opposition bzw. Bundesrat derzeit leider noch relativ weit auseinander. Die Bundesratsforderung, die vorgesehene Exklusivlizenz auch auf die sogenannte Info-Post zu erstrecken, findet offensichtlich die Zustimmung der SPD-Fraktion, wenn ich die Äußerungen im Vorfeld richtig beurteile. Sie treten de facto für eine Fortführung des privaten Monopols und gegen die Möglichkeit des Eintritts kleiner und mittelständischer Unternehmen in den Markt ein. Dies, Herr Kollege Bury - ich spreche Sie an, weil Sie den Ansatz eines Zwischenrufs gemacht haben -, ({1}) läßt sich wohl weder mit der Infrastruktursicherung noch mit beschäftigungspolitischen Argumenten begründen. Denn, meine Damen und Herren, was ist noch schlimmer als ein staatliches Monopol? - Ein privates Monopol. Deshalb müssen wir nach der Privatisierung der Post AG zum 1. Januar 1995, das heißt: nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, in Stufen, also anders als bei der Telekom, vorgehen. Und um auf das einzugehen, was schon in Zwischenrufen geäußert wurde: Ich gebe zu, daß wir uns darauf nach langwierigen Verhandlungen in der Koalition geeinigt haben. Es ist aber, wie wir an anderen Beispielen sehen, in Koalitionen so üblich, daß man nicht in allen Punkten von vornherein einer Auffassung ist. Wir als Bundesregierung haben aber einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ein Verzicht auf einen Endtermin beim Postmonopol wäre - ich sage es vorsichtig - verfassungsrechtlich in höchstem Maße bedenklich und würde darüber hinaus die für eine Marktbetätigung unerläßliche Planungssicherheit für andere beeinträchtigen und infolgedessen die Investitionstätigkeit und die Beschäftigungsentwicklung negativ beeinflussen. ({2}) - Ich habe leider den Zwischenruf des postpolitischen Experten Schily nicht verstanden, so daß ich nicht mitlachen kann. ({3}) Vielleicht teilt er es mir nachher mit. Seine Zwischenbemerkungen sind ja durchaus nicht unwitzig, wie ich aus anderen Debatten weiß, wenn auch manchmal haarscharf neben der Sache. ({4}) - Das ist wohl wahr. Übrigens: Der für die Jahrtausendwende geplante Börsengang der Deutschen Post AG würde durch ein Offenlassen der Frage, wann die Exklusivlizenz ausläuft, sehr beeinträchtigt, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Insofern wird das, was der Bundesrat hier vorschlägt, nämlich nach jeweils zwei oder vier Jahren eine Überprüfung vorzunehmen, mit Sicherheit nicht der Situation gerecht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Ausschußberatungen so zügig zu führen, daß wir zum Ende des Jahres das Postgesetz tatsächlich verabschieden können und zum 1. Januar 1998 den Verfassungsauftrag erfüllen, ein neues Postgesetz als Grundlage des postpolitischen Handelns in Deutschland zur Verfügung zu haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans Martin Bury, SPD.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit postpolitischen Debatten hier im Haus ist es wie mit dem Briefträger: Beide kommen immer später. Seit dem Inkrafttreten der Postreform II, also seit Juli 1994, weiß der Bundespostminister, daß die bisherigen Bestimmungen für den Postsektor am 31. Dezember 1997 auslaufen. Das SPD-Konzept für ein neues Postgesetz liegt dem Bundestag seit über einem Jahr vor. Die offenkundige Handlungsunfähigkeit dieser Regierungskoalition hat jedoch dazu geführt, daß die Gesetzesberatungen erst heute beginnen können. Wer die Entwicklung des Regierungsentwurfes verfolgt, stellt fest, daß sich die Regierungskoalition immer mehr von der europäischen Entwicklung abgekoppelt hat. Während die Europäische Union in dem vorliegenden Richtlinienentwurf über „gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität" die Aufrechterhaltung einer hochwertigen flächendeckenden Versorgung mit Postdienstleistungen in den Mittelpunkt stellt und folgerichtig eine schrittweise und kontrollierte Marktöffnung vorsieht, will die Regierungskoalition ohne Rücksicht auf Verluste nur eines: die radikale und vollständige Liberalisierung des Postmarktes. Mit ihrer ideologischen Fixierung auf den Wettbewerb als Selbstzweck hat sich vor allem die F.D.P. durchgesetzt. Die Sicherung des Infrastrukturauftrages im Postwesen, die das Grundgesetz ausdrücklich vorschreibt, interessiert diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ebensowenig wie der Erhalt von Arbeitsplätzen. ({0}) Da paßt es ins Bild, daß sich der Bundespostminister vor wenigen Tagen zum Ankündigungsminister für einen weiteren drastischen Personalabbau in den Postunternehmen gemacht hat. Während der Bundeskanzler landauf, landab verspricht, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen, zeigt sein Postminister, was bei dieser Koalition wirklich Sache ist, und kündigt den weiteren Abbau von über 70 000 Arbeitsplätzen in den Postunternehmen an. So sieht die konkrete Beschäftigungspolitik dieser Bundesregierung aus: Statt tatkräftig und entschlossen die mit dem neuen Telekommunikationsgesetz gegebenen Möglichkeiten zu nutzen und Innovationen und Arbeitsplätze zu fördern, macht der Bundespostminister genau das Gegenteil. Durch seine zögerliche Haltung erschwert er neuen Anbietern den Marktzugang und verhindert damit das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Der Bundespostminister wird seiner Aufgabe, als Regulierer klare und verbindliche Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zu schaffen, in keiner Weise gerecht und gefährdet damit die Marktchancen der deutschen Wirtschaft im weltweiten Zukunftsmarkt Telekommunikation. Statt im Zweifel für den Newcomer zu entscheiden, folgt Ihre Telekommunikationspolitik dem Motto: „In dubio pro Theo" - im Zweifel für den Finanzminister. ({1}) Ein schlimmes Beispiel für die Blockadepolitik des Bundespostministers ist seine völlig verfehlte ursprüngliche Vorlage zur Erhebung von Lizenzgebühren. Bis zu 80 Millionen DM sollten danach von einem Unternehmen für die bundesweite Lizenz für Übertragungswege und Sprachtelefondienst gezahlt werden. Diese Summen sind vor allem für die mittelständische Wirtschaft eine unüberwindbare Marktzugangsbarriere. Die Verunsicherungen durch den Bundespostminister haben bereits dazu geführt, daß innovative junge Unternehmen ihren Standort ins Ausland verlagert haben. Die Ankündigung, entgegen den gesetzlichen Festlegungen der Postreform II, Telekom-Aktien zu verscherbeln, um Haushaltslöcher zu stopfen, ist der vorerst jüngste Beleg für das unprofessionelle Vorgehen der Bundesregierung. Die „Börsen-Zeitung" titelt zu Recht „Finger weg, Herr Waigel!" und schreibt weiter wörtlich: Auch das „Auffüllen" der Nachfrage von beim Börsengang nicht ausreichend zum Zug gekommenen Adressen würde den Markt beeinflussen und wäre nicht nur ein Verstoß gegen den Emissionsprospekt, sondern ein eklatanter Vertrauensbruch. Man muß dabei gar nicht an die Prozeßlawine denken, die vor allem aus den USA auf Emittent und Emissionsbanken zurollen würde. Der Finanzplatz Deutschland wäre diskreditiert, der vermeintliche Big Bang zur Förderung der Aktienkultur könnte der Todesschuß gewesen sein. All dies gilt auch bzw. erst recht, wenn Bonn eigens das Gesetz ändern wollte, um sich aus den Finanznöten zu befreien. So unsolide wie der Bundeshaushalt ist der Entwurf dieses Postgesetzes. Ohne eine solide, dauerhafte Finanzierung des Infrastrukturauftrages und der Sonderbelastungen der Deutschen Post AG, zum Beispiel für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bedeutet die Liberalisierung, wie sie von der Regierungskoalition durchgedrückt werden soll, Verschlechterung der Dienstleistungsqualität, weitere Schließung von Postfilialen und den drastischen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen. ({2}) Meine Damen und Herren, die SPD fordert eine Neuordnung des Postsektors, mit der die flächendeckende Infrastruktur gesichert, die Nachfrage der Kunden optimal befriedigt und die berechtigten Belange der Arbeitnehmer gewährleistet werden. Wettbewerb und Infrastruktursicherung schließen einander nicht aus. Fairer Wettbewerb kann entscheidend dazu beitragen, Wachstum und Innovationen, kundenorientierte und preisgünstige Dienstleistungen zu ermöglichen. Die vielzitierten Kräfte des freien Marktes und des Wettbewerbs reichen allein jedoch nicht aus, um auch in Zukunft eine hochwertige, flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen zu erschwinglichen Preisen für alle Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. So stellt auch die Europäische Kommission in ihrem „Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste" fest, daß eine vollständige Liberalisierung des Postsektors - ich zitiere - „auf Kosten des Universaldienstes gehen würde, vor allem auf Kosten der für jedermann tragbaren Gebühren". Als Mindestangebot, das von jedem Mitgliedstaat garantiert werden muß, werden im Richtlinienentwurf der EU unter anderem Postsendungen bis zwei Kilogramm, Postpakete bis zehn Kilogramm - wobei die Gewichtsgrenze national auf 20 Kilogramm angehoben werden kann - sowie Einschreib- und Wertsendungen als Universaldienst festgelegt. Darüber hinaus gibt es Vorgaben über die Dichte der Abholund Zugangspunkte für die Kunden. Die Bundesregierung dagegen beschränkt mit ihrem Gesetzentwurf diesen Universaldienst als sogenannte Grundversorgung auf Briefsendungen bis zu einem Gewicht von 1000 Gramm und bleibt damit weit hinter den Vorgaben der Europäischen Union und den Infrastrukturverpflichtungen des Grundgesetzes zurück. Die SPD fordert die Festlegung eines qualitativ hochwertigen Universaldienstes, der den Anforderungen der Europäischen Union entsprechen muß. Der künftige Universaldienst darf nicht auf eine Minimalversorgung im Briefdienst beschränkt werden. Im Zusammenhang mit dem Universaldienst müssen auch verbindliche Vorgaben für ein ausreichendes flächendeckendes Netz von Annahmestellen, Transportkapazitäten und Zustelleinrichtungen im Gesetz bzw. den darauf fußenden Verordnungen vorgesehen werden. ({3}) Denn wir wollen auch in Zukunft ein flächendeckendes Netz von Postfilialen. ({4}) Der Bundespostminister wäre gut beraten, auf die Forderungen der SPD im Gesetzgebungsverfahren einzugehen, wenn er nicht ein ähnliches Desaster wie mit seinem Entwurf für eine Lizenzgebührenverordnung erleben will. ({5}) Bekanntlich mußte er seine Entwürfe zurückziehen und ändern, weil sie mit den europäischen Vorgaben, an denen er im übrigen selbst beteiligt war, nicht übereinstimmten. Wir hatten Sie damals in der Plenardebatte vorher darauf hingewiesen. In der Post- und Telekommunikationspolitik sind wir gewohnt, daß der eine Minister nicht weiß, was der andere tut. Daß aber derselbe Minister in Bonn nicht weiß, was er in Brüssel tut, hat schon eine neue Qualität. ({6}) Zur Finanzierung defizitärer Teile des Universaldienstes sieht der Regierungsentwurf eine befristete Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG zur Beförderung von Briefsendungen mit einem Gewicht von weniger als 100 Gramm bis zum 31. Dezember 2002 und danach eine sogenannte Fondslösung vor. Die Befristung der Exklusivlizenz ist sachlich nicht zu begründen und inhaltlich unzureichend. Sie ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Hinzu kommt, daß der lukrative Zukunftsmarkt Infopost ab Januar 1998 vollständig für den Wettbewerb freigegeben und nicht in die Exklusivlizenz einbezogen werden soll. Dadurch entgehen der Deutschen Post AG Einnahmen, die zur flächendeckenden Versorgung mit Universaldienstleistungen benötigt werden. Gleichzeitig sollen Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten für das befristete Briefmonopol eröffnet werden, die in der Praxis kaum zu kontrollieren sein werden. Darüber hinaus sollen nach Ihrer Vorstellung Anbieter von Infopost nicht lizenziert werden. Das hat zur Folge, daß ausgerechnet der Wachstumsmarkt Infopost nicht zur Deckung von Defiziten bei Leistungen der Grundversorgung im Rahmen möglicher Ausgleichszahlungen beitragen würde. Die SPD fordert, daß zur Sicherung des Universaldienstes und zur Finanzierung der Sonderbelastungen der Deutschen Post AG im neuen Postgesetz ein reservierter Bereich für die Beförderung sowohl von Briefen als auch von Infopost vorgesehen wird, der aus Praktikabilitätsgründen einheitlich bei einer Gewichtsgrenze von 100 Gramm festgelegt werden soll. Umfang und Dauer dieses reservierten Bereiches sollten regelmäßig unter Berücksichtigung der Entwicklung im Postsektor überprüft und gegebenenfalls angepaßt werden. Insofern, Herr Bötsch, ziehen auch die von Ihnen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Ich würde mir wünschen, daß sich die CDU/CSU nicht länger von ihrem Juniorpartner - den Feinden der Post - an der Nase herumführen ließe und Rückgrat genug hätte, zu ursprünglichen Einsichten zurückzukehren. ({7}) - Man kann an der F.D.P. verzweifeln oder darüber lachen. Ich trage es mit Humor. Was der CDU/CSU allerdings blüht, wenn sie sich weiterhin zum Anhängsel der F.D.P. und ihrer rücksichtslosen Politik zu Lasten der Arbeitnehmer und Verbraucher macht, können Sie an den Wahlergebnissen in Frankreich und Großbritannien deutlich ablesen. ({8}) Insofern stört es mich auch nicht, wenn wir in den Beratungen zum Postgesetz nicht zu einer Einigung kommen. Im Zweifel läuft das Gesetz zum Jahresende aus. Wir machen dann nächstes Jahr mit neuen Mehrheiten ein neues Gesetz. ({9}) Faire Wettbewerbsbedingungen und ein funktionsfähiger Ausgleich von Defiziten aus dem Universaldienst sind auch deshalb erforderlich, um für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Post AG eine sozialverträgliche Bewältigung des Strukturwandels zu ermöglichen. Die Deutsche Post AG hat die Anpassungsmaßnahmen im Personalbereich, die schon in der Vergangenheit sehr schmerzlich waren, bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen durch normale Fluktuation, Vorruhestandsregelungen etc. halbwegs erträglich für die Betroffenen regeln können. Mit dem verfehlten Postgesetzentwurf der Bundesregierung und den daraus resultierenden Umsatzeinbußen für die Post werden sozial verträgliche Anpassungsmaßnahmen erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Auch deshalb sind wir gegen dieses Postgesetz. Hinzu kommt, daß Wettbewerber der Post, aber auch die Post selbst zunehmend auf geringfügig Beschäftigte ohne tarifvertragliche und sozialversicherungsrechtliche Absicherung zurückgreifen werden. Eine solche Entwicklung wäre für die Betroffenen verhängnisvoll und würde zu Lasten der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer, der sozialen Sicherungssysteme und eines fairen Wettbewerbs gehen. Das wollen wir verhindern. Wir brauchen nicht immer mehr ungesicherte Jobs, Scheinselbständige und Turnschuhbrigaden, sondern qualifizierte, sozial abgesicherte Arbeitsplätze bei der Post und in anderen Unternehmen. ({10}) Die SPD fordert deshalb, daß im Postgesetz Lizenzauflagen vorgesehen werden, mit denen sichergestellt wird, daß künftige Lizenznehmer die in ihrem Bereich üblichen Arbeitsbedingungen einhalten. Solche Lizenzauflagen sind verfassungsrechtlich zulässig und wirtschafts- und gesellschaftspolitisch geboten, um den Weg in eine Volkswirtschaft von Tagelöhnern zu verhindern. Notwendig sind im neuen Postgesetz auch Regelungen zur Unterbindung aller Formen des sogenannten Remailings. Die betroffenen Unternehmen, die in ihrer Existenz bedroht sind, aber auch die Deutsche Post AG haben keine Zeit, darauf zu warten, daß irgendwann in ein paar Jahren endlich ein neues Endvergütungssystem im internationalen Postverkehr beschlossen wird, das dem Remailing den Boden entzieht. Bis das geschieht, sind die betroffenen Dienstleister, Rechenzentren, Druckereien etc. bereits pleite oder abgewandert und die Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet. Das hat die Anhörung ausdrücklich bestätigt. Deshalb sind für eine Übergangszeit bis zum Inkrafttreten eines neuen, kostengerechten Endvergütungssystems nationale geHans Martin Bury setzliche Regelungen zur Unterbindung des Remailings erforderlich. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat ihr Konzept zur Neuordnung des Postsektors bereits am 8. Mai 1996 im Deutschen Bundestag eingebracht. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß wir uns mit unseren Kernforderungen in weitgehender Übereinstimmung mit dem Bundesrat - übrigens nicht nur mit den A-Ländern - befinden. Sie haben jetzt die Wahl, mit uns ein vernünftiges Postgesetz zu verabschieden oder ohne Gesetz ins Wahljahr zu gehen. Wir haben beim Telekommunikationsgesetz eine vernünftige Einigung hinbekommen. Die einzige Möglichkeit, die CDU/CSU auch an der Regelung des Postmarktes zu beteiligen, ist eine Einigung noch in diesem Jahr. Anderenfalls machen wir es im nächsten Jahr ohne sie. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Elmar Müller, CDU/CSU.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Entschuldigung der SPD muß gesagt werden, daß sie durchaus modernere Wirtschaftspolitiker hat, die sich von dem abheben, was Herr Bury hier geboten hat. ({0}) Allerdings muß ihm möglicherweise zugestanden werden, daß seine Rede in Frankfurt-Niederrad beim Sitz der Deutschen Postgewerkschaft niedergeschrieben worden ist. Aber darüber sind wir hinweg, Herr Kollege Bury. ({1}) Ich bin allerdings auch dafür dankbar, daß wir heute zum erstenmal eine Aussprache zu unserem Fachbereich, der Post, haben, die nicht, wie Sie, Herr Postminister, immer sagen, im Schutz der Dunkelheit stattfindet, sondern tatsächlich einmal im Sonnenschein. ({2}) Ich hoffe, das ist ein guter Auftakt für dieses Gesetz; entsprechend sollen auch die Beratungen dieses Gesetzentwurfes sein. Meine Damen und Herren, mit der Liberalisierung des Postmarktes erreichen wir nicht nur ganz andere Dimensionen als bei der Telekommunikation, sondern daran sind zumindest ebenso viele Menschen beteiligt: diejenigen, die bei der Post arbeiten, ebenso wie unsere Mitbürger, die als Kunden der Post verbunden sind. Dieses Postgesetz gibt der Post eine neue Qualität, die weit in das nächste Jahrhundert hinein Bestand haben soll. Das heißt, wir diskutieren und entscheiden über die Zukunft des Unternehmens Deutsche Post AG, und ich hoffe, daß das Gesetz in seiner Qualität und in seinen Auswirkungen ebenso lange wie das hält, was wir in den letzten Jahrhunderten an Postqualität erlebt haben. Wir setzen damit auch für alle Unternehmen Rahmenbedingungen, die künftig in diesem Markt postalische Dienstleistungen anbieten wollen. Das hat nicht nur auf diejenigen Arbeitsplätze Auswirkungen, die bei der Post auf Grund stärkeren Wettbewerbs tatsächlich wegfallen werden, sondern auch für Arbeitsplätze - das stelle ich im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bury, auch fest -, die bei den Wettbewerbern bereits bestehen oder aber in Zukunft entstehen werden. Natürlich haben private Wettbewerber Kostenvorteile. Das sei nicht verschwiegen; das betont die Postgewerkschaft immer, wenn sie von gleichen Bedingungen redet. Die Kostenvorteile der privaten Wettbewerber bestehen darin, daß wir heute bei der PostLohnnebenkosten in der Größenordnung von 125 Prozent und weit über 1000 freigestellte Betriebs- und Personalräte haben. Das ist eine im Grunde genommen unvorstellbare Größenordnung, und natürlich werden bestehende oder künftige Mitbewerber nicht mit solchen Belastungen in den Markt gehen. Dieses Gesetz hat seit Bestehen der Bundesrepublik die größte Bedeutung für die zukünftige postalische Infrastruktur, für das Dienstleistungsangebot und insbesondere für die Preise, was für die Bürger natürlich wichtig ist. Es ist deswegen nicht verwunderlich, daß dieses Gesetz in seiner Auswirkung vorweg natürlich auch jetzt schon von den interessierten Gruppen diskutiert wird. Aber unsere Aufgabe ist es, eben nicht nur Gruppeninteressen nachzugehen, wie das Herr Bury vorhin getan hat, sondern wir müssen ein Gesetz machen, das allen gleichermaßen, vor allem dem Bürger, in Zukunft nützt. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist gut gelungen. Er bietet eine hervorragende Grundlage, um in unseren weiteren Beratungen - darauf, denke ich, werden auch Sie, Herr Bury, Wert legen - und insbesondere auf Grund der nach der Sommerpause stattfindenden Anhörung einzelne Regelungen durchaus noch zu diskutieren und, wenn möglich, den gegensätzlichen Interessen gerecht zu werden. An dieser Stelle möchte ich aber davor warnen, daß hier verantwortliche Politiker, wie Sie soeben gehört haben, weniger das Gemeinwohl und einen damit immer verbundenen Interessenausgleich im Auge haben, sondern offensichtlich knallharte Klientelpolitik betreiben. ({3}) Elmar Müller ({4}) Wenigstens in der Postpolitik, meine Damen und Herren, ist es uns in der Vergangenheit - auch darauf wurde hingewiesen - in der Regel gelungen, ausgewogene Regelungen zu erreichen. Das Telekommunikationsgesetz ist durchaus ein gutes Beispiel dafür. Mehr als eine Viertelmillion Menschen arbeiten bei der Post. Wir wissen, daß viele durch zunehmenden Wettbewerbsdruck und die notwendige Steigerung der Produktivität des Unternehmens in ihrer beruflichen Existenz gefährdet werden. Das bestreiten wir nicht. Bedauerlich ist dabei, daß die Deutsche Postgewerkschaft und leider auch die Unternehmensführung den Postmitarbeitern suggeriert, nicht die ohnehin notwendige Produktivitätssteigerung und die damit verbundenen Arbeitsverluste seien der Grund, sondern das Postgesetz sei verantwortlich für die zukünftig durch Automatisierung wegfallenden Arbeitsplätze. Hier macht man sich die Angst von Menschen für die eigenen Zwecke zunutze. Wer sich aber wie die SPD blauäugig und ohne die Unternehmenszahlen kritisch zu hinterfragen, dazu hinreißen läßt, seine Politik nicht auf Fakten, sondern auf Horrorszenarien aufzubauen, der wird seiner Verantwortung auch gegenüber den bereits über 100 000 Beschäftigten, die schon heute bei Mitbewerbern der Post einen Arbeitsplatz gefunden haben, und gegenüber den vielen Menschen, die im Zuge der Liberalisierung dort noch ihre Arbeit finden werden, nicht gerecht. ({5}) Ich möchte die Zahlen zu dem nennen, was Herr Bury vorhin mit dem Stichwort Turnschuhbrigaden abqualifiziert hat. Allein UPS hat heute über 15 000 festangestellte Mitarbeiter, und - hören Sie zu, Herr Bury - ganze 43 davon sind in sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig, prozentual also weniger als im öffentlichen Dienst. Soviel zu dem, was Sie vorhin oder was auch die Gewerkschaftler in den letzten Monaten als Turnschuhbrigaden abqualifiziert haben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Müller, ist Ihnen aus Gesprächen mit UPS bekannt, daß diese Firma uns angekündigt hat, daß auch UPS aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit gezwungen wäre, solche sozial nicht abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse vermehrt einzuführen, wenn die Bundesregierung keine weiteren sozialen Absicherungsmaßnahmen gesetzlich fixiert, um bei Wettbewerbern Turnschuhbrigaden zu verhindern?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Herr Kollege Börnsen - vielen Dank für die Frage -, daß dieses Thema uns alle angeht. Genau in diesem Bereich - das wollte ich vorhin mit meinem Beispiel sagen - scheint die Wirklichkeit ganz anders zu sein, als sie öffentlich immer wieder dargestellt wird. UPS ist wirklich einer der potentesten Mitbewerber, und genau UPS beweist, daß die sogenannten Turnschuhbrigaden überhaupt keine Rolle spielen. ({0}) Deshalb muß es unser aller Anliegen sein, daß wir den Begriff Turnschuhbrigaden, der ständig im Raum schwirrt, in diesem Bereich in Zukunft einfach nicht mehr verwenden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kiper?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Müller, ist Ihnen das Arbeitsgerichtsurteil aus Hannover von vor zwei Monaten bekannt geworden? In einem Arbeitsgerichtsprozeß, bei dem es um einen Konkurrenten der Post AG ging, hatten Angestellte gegen dieses Frachtunternehmen geklagt, weil sie der Meinung waren, es könne doch nicht angehen, daß ihre Verträge über Jahre hinweg jeden Tag aufs neue geschlossen werden, und daß sie eigentlich Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hätten, weil es sich im Grunde um einen durchlaufenden Arbeitsvertrag handle? Diese Kolleginnen und Kollegen haben vor dem Arbeitsgericht nicht recht bekommen, sondern es wurde für Rechtens befunden, daß bei diesem Frachtunternehmen das Arbeitsverhältnis jeden Tag aufs neue begründet wurde.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir kennen natürlich die Unsicherheiten, die die Wettbewerber derzeit haben. Ich denke, genau mit diesem Gesetz schaffen wir für den künftigen privat organisierten Markt und den Wettbewerb Sicherheit, so daß die Wettbewerber künftig ohne diese ungleichen Voraussetzungen am Markt mitmischen und hoffentlich noch mehr fest angestellte Mitarbeiter haben können. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Jüttemann?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Herr Kollege Jüttemann.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Müller, es wäre einmal interessant, einen Vergleich zu ziehen, was ein Beschäftigter bei der Deutschen Post AG und was die Kollegen bei UPS verdienen, damit deutlich wird, wohin Sie wollen, das heißt welche Löhne und welche Beschäftigung Sie anstreben.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß die Besoldungsstruktur der Post bekannt ist. Die Struktur bei UPS ist so, daß dort 15 000 festangestellte Mitarbeiter ganz offensichtlich in Lohn und Brot sind und deshalb auch ihr Auskommen haben dürften. ({0}) Deshalb, so denke ich, ist nicht nur das, was wir jetzt tun, sondern auch das, was wir auf den Weg bringen, eine gute Voraussetzung, um auf diesem Markt weiteren Wettbewerb und damit vor allem auch noch mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bury?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können das gerne fortsetzen, Herr Präsident.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Auch ich wollte darauf hinweisen: Das Ganze wird ja noch an die Ausschüsse überwiesen. Es wird dort noch beraten. ({0}) - Ich weiß das. Dies ist ein fürsorglicher Hinweis des amtierenden Präsidenten. Wollen Sie, Herr Müller, die Frage zulassen?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte dem Herrn Präsidenten recht geben. ({0}) - Also dann, wenn Sie darauf Wert legen, Herr Kollege Bury.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. Da Sie, Herr Kollege Müller, mich angesprochen, dann aber die Fragen der Kollegen allesamt nicht beantwortet haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Frage von Herrn Börnsen nicht verstanden haben oder ob Ihnen tatsächlich entgangen ist, daß die Firma UPS noch vor zwei Jahren keine sozialversicherungsrechtlich nicht abgesicherten Arbeitsverhältnisse hatte und uns seinerzeit aufgefordert hat, Maßnahmen zu treffen, die verhindern, daß sie aus Wettbewerbsgründen gezwungen ist, ihrerseits ungeschützte Arbeitsverhältnisse in größerem Umfang zu schaffen. Ist Ihnen weiterhin entgangen, daß die Firma UPS dies dank der Schlafmützigkeit der Bundesregierung in der Zwischenzeit tut und der Auffassung ist, daß sie in noch weit größerem Umfang dazu gezwungen sein wird, wenn Sie weiterhin nicht handeln?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Daran, Herr Kollege Bury, können Sie erkennen, daß offensichtlich diejenigen, die dafür zuständig sind - das sind nicht die Postpolitiker, sondern diejenigen, die im sozialen Bereich Verantwortung tragen -, dieses Unternehmen im Auge haben. Dazu sage ich ausdrücklich: Kollege Börnsen, ich und andere haben mehrmals an Begegnungen mit Vertretern dieser Firma teilgenommen. Nicht nur Herr Börnsen, wie ich vermute, sondern auch wir haben seit diesem Zeitpunkt dieses Unternehmen nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich aufgefordert, uns die Arbeitsverhältnisse genau darzulegen. Ich glaube, daß auch das dazu beigetragen hat, daß bei diesem Unternehmen darauf geachtet wird, daß man es sich auf Grund des Ansehens in der Öffentlichkeit nicht leisten kann, genau das zu tun, was Sie diesem Unternehmen wiederholt und fälschlicherweise vorwerfen. Das, was vor zwei Jahren war, scheint ganz offensichtlich korrigiert zu sein. Deshalb war es ein vernünftiger Weg, im Dialog mit diesem Unternehmen inzwischen einen Vergleich herzustellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ebensowenig verantwortlich handelten all diejenigen, die das im Wettbewerb zu erreichende Umsatzvolumen - das ist einer der Beiträge des Kollegen Bury gewesen - mit Umsatzverlusten der Post gleichsetzten. Alle Erfahrungen des Auslandes zeigen nun einmal, daß das marktbeherrschende Unternehmen selbst nach vielen Jahren noch immer 80 bis 90 Prozent des ehemaligen Monopolbereichs halten kann. Von einem plötzlichen Wegbrechen des Marktes kann also überhaupt keine Rede sein, wie im übrigen bereits bei der erfolgten Freigabe der Infopost bis zu einem Gewicht von 100 Gramm bewiesen wurde. Dabei hatten das Unternehmen und insbesondere die Postgewerkschaft Milliardenverluste vorausberechnet. Statt dessen weist die aktuelle Postbilanz einen Gewinn von nahezu einer halben Milliarde DM aus. Ich bitte Sie, sich daran zu erinnern, daß die Post AG noch vor vier, fünf Jahren bis zu 2 Milliarden DM jährlich an Quersubventionen von der Telekom benötigte und erhielt. Das ist, denke ich, der Beweis für den Erfolg der Gesetzgebung von der Postreform II bis heute. Immer wieder wird mit Sonderbelastungen von über 5 Milliarden DM Stimmung gemacht; das sind die sogenannten Pensionslasten. Auch dies ist ein Argument der SPD, das fälschlicherweise vorgetragen wird. Bis zum Jahre 2003 wird sich diese Sonderbelastung, wie wir wissen, auf unter 1 Milliarde DM reduzieren. In unserer politischen Verantwortung für die Mitarbeiter der Post und im Wissen um die noch bestehenden besonderen Belastungen haben wir uns für einen schrittweisen und wohldosierten Übergang vom Monopol zum Wettbewerb entschieden. Von etwa 16 Milliarden DM Umsatz im heutigen Monopolbereich werden 10 Milliarden DM, das heißt mehr als die Hälfte, weiter der Exklusivlizenz unterfallen. Zu klären wird auch sein, welche Auswirkungen die Herausnahme der Infopost aus dem lizenzierten Bereich haben wird. Wir werden uns nicht dem Vorwurf aussetzen, politische Kompromisse jenseits von Zahlen und Fakten, möglicherweise zu Lasten der Post AG, mitzutragen. Auch die Auswirkungen eines Elmar Müller ({0}) Netzzugangs für Mitbewerber werden noch zu diskutieren sein. ({1}) Kein Maßstab für unsere politische Entscheidung sollte dagegen der derzeitige Stand der Diskussion zum Richtlinienentwurf der EU sein. Zum einen ist der reservierbare Bereich nach den dortigen Vorstellungen lediglich eine absolute Obergrenze, wie Sie, Herr Bury, eben vorgetragen haben, die national zu unterschreiten jederzeit möglich ist. Andererseits dient der Entwurf im wesentlichen der Einführung von europaweiten Leistungsstandards, die wir in Deutschland schon längst erreicht haben. Ich hoffe im übrigen, daß andere europäische Regierungen - insbesondere nenne ich dabei Frankreich, Dänemark und die Niederlande - gleichfalls schrittweise auf wettbewerbsverzerrende Monopole verzichten, und zwar auch deshalb, weil es genau ihre Monopolunternehmen sind, die nun versuchen, auf den deutschen Markt zu kommen. Ich bin also der festen Überzeugung, daß der derzeitige Entwurf der EU-Richtlinie nicht unverändert bleiben wird. Es ist selbstverständlicherweise davon auszugehen, daß ein Eingreifen des Staates zur Sicherung des Universaldienstes nicht erst im Falle eines unwahrscheinlichen Marktversagens, wie es darin heißt, erforderlich oder gar zulässig ist. Das ist nicht unsere Konzeption. Sie erscheint uns wenig wettbewerbsgerecht und soll deshalb nicht so bleiben. Vielmehr sollten den Unternehmen von Anfang an bestimmte Verpflichtungen und Lasten auferlegt werden. Meine Damen und Herren, die Vorstellungen des Bundesrates werden wir sehr sorgfältig zu prüfen haben. Dabei ist jedoch jetzt schon festzustellen, daß eine vom Bundesrat geforderte unbefristete Exklusivlizenz weder rechtlich möglich noch sinnvoll wäre, da nur eine klare Befristung Planungssicherheit sowohl für die Deutsche Post AG als auch für die Wettbewerber bedeutet. Im Falle einer unbefristeten Exklusivlizenz erscheinen auch die vorgesehenen Entlassungen des Unternehmens - darauf lege ich Wert - ab 1999 nicht mehr gerechtfertigt. Das ist, denke ich, ein wichtiges Argument. Diese Aktion soll gerade dem Ziel dienen, im Jahre 2003, wenn die Exklusivlizenz ausläuft, eine volle Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Ich bin guten Mutes, daß die Gutmütigen und die Fortschrittlichen Ihrer Fraktion im Ausschuß - dazu zähle ich den Kollegen Börnsen - diesem Gesetzgebungsvorhaben wie den vorausgehenden durchaus positiv gegenüberstehen. ({2}) Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Kiper, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sagen ja zum Wettbewerb. Wir sagen aber nein zu einer vorrangigen Neuordnung des Postbereichs unter dem Gesichtspunkt des Börsenwerts der Post AG und unter dem Gesichtspunkt der Haushaltssanierung. Wir sagen nein ({0}) - Ich habe gerade gesagt: Wir sagen ja zum Wettbewerb, verehrte Kollegin. Wir sagen aber nein zu ausgedünnten Infrastrukturleistungen; denn insoweit haben wir ganz klar auch die Vorgaben des Art. 87 f des Grundgesetzes zu erfüllen. ({1}) Bei dem von der Regierungskoalition vorgelegten Gesetzentwurf stellt sich eine Reihe von Fragen. Dazu gehört die Frage: Wird durch dieses Gesetz langfristig die Tarifeinheit im Raum gewahrt, oder wird sie unterminiert? Wir werden diese Frage in den Ausschußberatungen vertiefen und klären müssen. Wir werden auch die Frage aufwerfen müssen: Wird hier flächendeckend ein Sozialdumping vorprogrammiert oder nicht? - Kollege Müller, ich habe den Eindruck, daß Sie blauäugig an die gesamte Entwicklung herangehen. Es wäre schön, wenn es nicht zu diesem Sozialdumping käme. Aber bislang sieht es eher so aus, daß die Wettbewerber ein Sozialdumping organisieren. Ich möchte daran erinnern, daß insbesondere der Beruf des Briefträgers kein leichter ist, sondern daß er unter Arbeitsschutzgesichtspunkten mit sehr vielen Belastungen verbunden ist. Von daher halte ich hohe Sozialleistungen in diesem Bereich für durchaus angemessen. Wir werden auch der Frage nachgehen müssen, ob die Qualität der zukünftigen Postdienstleistungen im Universaldienst ausreichend festgeschrieben wird. Kollege Bury hat dankenswerterweise bereits darauf hingewiesen, daß es nicht nur darum gehen kann, Herr Minister, den Bereich bis 1000 Gramm festzuschreiben, sondern daß zu einer ausreichenden Grundversorgung erheblich mehr gehört als das, was bislang im Gesetz steht. Ich möchte nicht verhehlen, daß ich ursprünglich skeptisch gegenüber der 100-Gramm-Grenze für einen reservierten Bereich war, wie er jetzt von der Regierungskoalition festgeschrieben worden ist, und daß ich auch skeptisch war bezüglich einer Befristung. Ich meine aber, daß - das hat Kollege Müller hier dargestellt - die stillen Reserven, die es bei der Post AG offensichtlich gibt, Anlaß zu der Frage geben, ob ein reservierter Bereich mit einer solch hohen Grenze unbefristet notwendig ist. ({2}) - Lieber Kollege Bury, ich möchte darauf hinweisen, daß die Post AG inzwischen selbst davon ausgeht, daß die Reservierung nur bis zum Jahre 2002 benötigt wird und daß sie dann flächendeckend sehr wohl im Wettbewerb bestehen kann. Von daher und angesichts der exorbitanten Erhöhungen der Vorstandseinkommen bei der Post AG frage ich mich, ob die Post AG, insbesondere von seiten der SPD-Fraktion, hier nicht manchmal zu sehr mit Samthandschuhen angefaßt wird. ({3}) Im Zuge der Ausschußberatungen werden wir prüfen müssen, ob Verbesserungen notwendig sind. Die Festschreibungen hinsichtlich der Qualität in diesem Gesetz müssen offensichtlich verschärft werden. Ganz offensichtlich muß auch die Tarifeinheit im Raum festgeschrieben werden. Auch Remailing-Regelungen - da stimme ich dem Kollegen Bury zu - müssen so lange festgeschrieben werden, bis ein international fairer Ausgleich der Postgebühren geschaffen ist. Ich möchte daran erinnern, daß der Gang zur Börse und der Verkauf der Post AG ganz offensichtlich zu sehr im Vordergrund der Postpolitik der Regierungskoalition stehen. Das heißt nichts anderes, als daß hier letztlich eine schnelle Mark für den Bundeshaushalt bzw. für das Stopfen von F.D.P.-Löchern im Bundeshaushalt geschaffen werden soll, ({4}) die Lasten aber der nächsten Generation aufgebürdet werden; denn es gilt nach wie vor § 16 des Postpersonalrechtsgesetzes. Durch ihn - das ist unbestritten - gibt es bis 2010 Lasten aus den Pensionen für den Bundeshaushalt von immerhin 172 Milliarden DM. Die Verantwortung der Postunternehmen für ihre Pensionslasten wird nach diesem Gesetz heruntergefahren. Da kommt also etwas auf die nächste Generation zu. Das ist keine christliche Politik. Das ist kein fairer Generationenvertrag. Dies hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern ist eher Ausdruck der Haltung: Nach uns die Sintflut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte abschließend darauf verweisen, daß wir bereits letztes Jahr den Antrag in den Bundestag eingebracht haben, sich ein modernes Dienstleistungskonzept vorzunehmen und die Postversorgung einzubetten in eine flächendeckende Dienstleistungsversorgung, die wesentlich variabler, flexibler, vernetzter ist. Ich erinnere an die Bürgerbüros, wie sie vor acht Jahren in Niedersachsen bereits als Konzept vorgelegt worden sind. Ich erinnere an das Modellvorhaben in Bismark in Sachsen-Anhalt, wo gebündelte Dienstleistungen vorgehalten wurden. Die Post hat sich geweigert, dabei mitzumachen. Die Informationstechnologie und die Computervernetzung bieten uns doch die Möglichkeit, gebündelt Dienstleistungen in der Fläche vorrätig zu halten; nur muß dieses Konzept auch richtig entwickelt werden. Wir müssen die Mentalität der Behördenpost konzeptionell ad acta legen. Die Ausrichtung auf eine nachfrageorientierte Dienstleistungsgesellschaft ist nötig, nicht das überholte Festhalten an irgendwie gearteten Postfilialen in einer bestimmten Zahl. Das kann nicht das Ziel sein. Tatsächlich muß das Ziel eine nachfrageorientierte Dienstleistungsgesellschaft sein. Einige Schritte sind mit der Postreform gegangen worden. Weitere Schritte sind unserer Meinung nach möglich und notwendig. Aber diese Schritte müssen hin zum Bürger getätigt werden und nicht weg vom Bürger. Hier werden schließlich die Arbeitsplätze der Zukunft bei der Post AG geschaffen werden können. ({5}) Die Haushaltslöcher von heute dürfen nicht die Zukunft der Post von morgen kosten. Ich danke Ihnen. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Postgesetz schließt die Liberalisierung der Märkte der alten Post ab. Die F.D.P. hat sich stets für eine schnelle Öffnung eingesetzt, um über Wettbewerb zu einem kostengünstigen, qualitativ guten und innovativen Angebot an Dienstleistungen zu kommen. Verbraucher und Unternehmen werden gleichermaßen die Gewinner dieser Entwicklung sein. Die Liberalisierung kommt spät, nach unserer Meinung fast zu spät. Wie sie im Endeffekt aussehen wird, ist anders als beim Telekommunikationsgesetz noch nicht endgültig vorhersehbar. Beim TKG gab es ja eine Annäherung der Standpunkte nicht nur innerhalb der Koalition, sondern auch zwischen Koalition und Opposition. Der Entwurf des Postgesetzes ist bis heute streitig geblieben, so daß sich möglicherweise ein Vermittlungsverfahren am Horizont abzeichnet. Dabei ist aber nach Art. 87 f des Grundgesetzes klar, daß ein dauerhaftes, also unbefristetes Monopol der Deutschen Post AG auch nur in Teilbereichen rechtlich unzulässig wäre. Entsprechende Forderungen insbesondere der Postgewerkschaft sind daher chancenlos. Dagegen haben wir in den koalitionsinternen Verhandlungen für die Zeit bis zum Ablauf des Jahres 2002 ein Teilmonopol, die sogenannte Exklusivlizenz, als Kompromiß akzeptiert. Dabei hat die F.D.P. durchgesetzt, daß dieses befristete Monpol nicht alle Briefsendungen bis 350 Gramm umfaßt. Dies wäre lediglich die Verlängerung des Monopols in einem neuen Gewande gewesen, da dann 98 Prozent des Marktes für Briefsendungen im geschützten Bereich verblieben wären. Vielmehr erstreckt sich die Exklusivlizenz nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr auf Briefsendungen bis 100 Gramm. Dies entspricht zwar nicht den Ursprungsforderungen der F.D.P., ist jedoch vetretbar, um der Post AG den Übergang in den freien Wettbewerb zu erleichtern. Dagegen halten wir eine Regelung, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen wurde, wonach das Monpol zwar irgendwann einmal fallen soll, der Endzeitpunkt jetzt jedoch noch nicht bestimmt wird, für völlig kontraproduktiv. Das ist wirklich die schlechteste vorgeschlagene Lösung zum Problem der Dauer eines Teilmonopols. Der Hauptsinn der Neuregelung besteht doch darin, zugunsten der Verbraucher Wettbewerb zuzulassen. Wettbewerb bedeutet, daß neue Investoren im bisherigen Monopolbereich tätig werden sollen. Die potentiellen Investoren brauchen aber zuverlässige Rahmendaten. Dazu gehört eine klare zeitliche Fixierung des endgültigen Übergangs vom Monopol in den freien Wettbewerb. ({0}) Ohne eine solche klare zeitliche Vorgabe würde auf längere Sicht Wettbewerb verhindert, zumindest weit hinausgezögert. Dies kann nicht gewollt sein. Die F.D.P. tritt ferner für den freien Netzzugang der Wettbewerber ein. Existenzgründer und mittelständische Unternehmer werden somit auch dann nicht mit hohen Marktzutrittsbarrieren zu kämpfen haben, wenn sie nicht sofort alle Dienstleistungen anbieten können. Sie dürfen auf Teildienstleistungen der Post AG zurückgreifen, für die sie selbstverständlich entsprechende Entgelte zu zahlen haben. Im Vorfeld ist vielfach die Befürchtung geäußert worden, daß durch Wettbewerb Arbeitsplätze in großer Zahl verlorengehen werden. Unserer Meinung nach liefert der Kurier-, Express- und Paketmarkt das Gegenbeispiel. Nach den mir vorliegenden Informationen sind im Wettbewerb mehr als 40 000 Arbeitsplätze bei den Privaten geschaffen worden. Nun ist vorhin schon ein Disput über die Qualität dieser Arbeitsplätze entstanden, bei dem mir das Mißtrauen der Opposition gegen den privaten Sektor übertrieben erscheint. Wir sind der Meinung, daß selbstverständlich auch die Deutsche Post AG ausgezeichnete Chancen am Markt behält. Sie hat hinreichend Zeit, sich auf die Öffnung der Märkte einzustellen. Auch unter diesem Aspekt ist die Übergangsfrist durchaus vertretbar. Die Deutsche Post AG startet als überragender Wettbewerber mit guter Logistik und flächendeckender Leistung. Sie hat daher zum Beispiel bei der begrenzten Freigabe der Infopost statt zuvor befürchteter Verluste nach der Liberalisierung Gewinne erzielt, obwohl andere Wettbewerber am Markt ebenfalls erfolgreich sind. Kollege Müller hat es ganz deutlich gesagt: Freigabe eines Sektors für den Wettbewerb bedeutet nicht etwa völligen oder großen Verlust für die Post AG in dem entsprechenden Sektor. Sie muß ihren Umsatz dann eben im Wettbewerb erwirtschaften. Dazu hat sie die besten Chancen. Wenn, wie wir erwarten, nach Abschaffung des Monopols Postdienstleistungen in Deutschland preiswerter werden - das ist der Hauptsinn der Veranstaltung -, dann wird sich das vorhin angesprochene Problem des Remailings deutlich entschärfen. Beim Remailing handelt es sich doch um nichts anderes als um ein Ausweichen der Verbraucher vor einem als zu hoch empfundenen Kostenniveau. Administrative Abwehrmaßnahmen sind unserer Meinung nach die schlechtere Verteidigungsstrategie als der von uns bevorzugte Wettbewerb in Form einer offensiven Gegenstrategie. Die flächendeckende Grundversorgung mit Postdienstleistungen, die der Bund nach Art. 87 f des Grundgesetzes zu sichern hat, bleibt gewährleistet. Sollte die Post AG diese nicht kostendeckend vornehmen können und der Wettbewerb nicht automatisch die Lücke schließen, so können die Dienstleistungen an diejenigen Wettbewerber ausgeschrieben werden, der sie zu den geringsten Kosten erbringen kann. Ein etwa anfallendes Defizit wird dann entsprechend den Marktanteilen auf die Wettbewerber umgelegt. Die Regelung im Telekommunikationsgesetz stand dafür natürlich Pate. Schließlich sei wegen der weiteren Anträge, die heute zur Behandlung anstehen, noch auf das im Dezember 1996 vorgelegte neue Postfilialkonzept verwiesen. Meiner Meinung nach muß man der alten Poststelle mit unzureichender Öffnungszeit und entsprechend deutlicher Ablehnung durch die Kunden keine Träne nachweinen. Ich stimme mit dem Kollegen Kiper völlig überein, daß das bloße Vorgeben von bestimmten Zahlen nicht das Entscheidende ist. Entscheidend ist vielmehr, daß ein Angebot gemacht wird, das wirklich bürgernah ist und vom Kunden akzeptiert wird. Das System der Postagenturen ist ein Schritt in die richtige Richtung. ({1}) Beispiele aus dem Ausland - etwa aus Großbritannien - sind selbstverständlich nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik Deutschland übertragbar, weil die Ausgangsvoraussetzungen zum Teil nicht übereinstimmen. Sie zeigen aber, daß der Phantasie kaum Grenzen gesetzt sind, wenn neue Formen von verbraucherfreundlichen Postjobs eingeführt werden sollen. Mit einer offensiven Marktstrategie sollte es der Deutschen Post AG daher auch gelingen, weiterhin flächendeckend präsent zu sein. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gerhard Jüttemann, PDS.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich heute ganz besonders, meine Besucher hier begrüßen zu können. Da hat man in diesem Hohen Hause ja selten Glück. ({0}) Die bekanntesten Räuber in der Welt der Märchen und Sagen, ob sie nun Störtebeker, Schinderhannes oder Robin Hood hießen, zeichneten sich dadurch aus, daß sie den Armen gaben, was sie den Reichen nahmen. Bei den heute modernen Räubern ist es genau umgekehrt. Sie nehmen den Armen, um es den Reichen zuzuscheffeln. Diese Art des Raubes ist deshalb so beliebt, weil sie unverfänglicher als die erstgenannte ist: Man setzt sich nicht nur keinerlei staatWolfgang Steiger junge und für kleine und mittlere Unternehmen kommen wird. Weitere Initiativen der Koalition zur Belebung der Finanzmärkte werden mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz in den nächsten Monaten folgen. Im übrigen ist bei der Anhörung gestern der Entwurf des 3. Finanzmarktförderungsgesetzes, Herr Staatssekretär, deutlich gelobt worden. Es ist herausgestellt worden, wie wichtig er für einen funktionierenden Finanzmarkt ist. Auch dabei werden wir mit diesem Gesetz die notwendigen Rahmenbedingungen für einen modernen, zukunftsorientierten Kapitalmarkt setzen, der vor allem auch den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen soll. Über eines müssen wir uns natürlich bei allen Schritten, die wir unternehmen, klar sein: letztlich liegt es an den Betroffenen selber, ob sie die Möglichkeiten, die sie vom Gesetzgeber geboten bekommen, nutzen oder nicht. Deshalb denke ich, daß es wichtig ist, daß wir in diesem Zusammenhang auch über die steuerpolitischen Rahmenbedingungen diskutieren; denn gerade hinsichtlich des Eigenkapitalmarktes ist es von besonderer Bedeutung, daß die steuerpolitischen Rahmenbedingungen funktionieren. Hier hat gerade die Opposition noch einen erheblichen Nachholbedarf, denn das Spiel, auf der einen Seite dogmatische Finanzpolitiker, die den klassenkämpferischen Ideen von gestern nachhängen, und auf der anderen Seite ein paar moderne Finanzmarktpolitiker, die den Finanzmarkt modernisieren wollen, zu präsentieren, wird auf Dauer nicht funktionieren. ({1}) Ebensowenig funktionieren wird die Umsetzung der Oppositionsidee zum Girokonto für jedermann. Wenngleich dieses Thema immer eine Schlagzeile wert ist, so müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, daß sich die vom Bundesfinanzminister ausgehandelte Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses vom Juni 1995 grundsätzlich bewährt hat. Nur noch vereinzelt scheint es zu Kontoverweigerungen und Kontokündigungen zu kommen. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. Trotz dieser alles in allem erfreulichen Entwicklung ist es aber richtig, daß der Deutsche Bundestag die weitere Entwicklung im Auge behält und sich bis Ende 1999 über den aktuellen Sachstand erneut informiert. Hiermit konnte eine Entschließung gefaßt werden, die nicht nur eine Mehrheit im Finanzausschuß fand, sondern die - wie die gesamte 6. KWG- Novelle - auch ohne Überregulierung der Sache dienen wird. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steiger, es ist Ihnen doch noch gelungen, ein bißchen Farbe hineinzubringen, allerdings mit einer nicht zutreffenden Behauptung, was die Finanzpolitik der Sozialdemokratie angeht. ({0}) Jede Gesetzgebung zur staatlichen Aufsicht über das Bankwesen, über Finanzdienstleistungen und über den Wertpapierhandel hat ein Spannungsverhältnis zu beachten. Einerseits darf die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte nicht durch ein Übermaß an staatlichen Regelungen beeinträchtigt werden; andererseits hat der Staat nicht nur ein legitimes Interesse, sondern auch eine Verpflichtung, für ein hinreichendes Maß an Sicherheit, Verläßlichkeit und Transparenz zu sorgen. ({1}) Das Wort „Kredit" heißt „Vertrauenswürdigkeit". Ein gänzlich sich selbst überlassener Finanzmarkt bietet dafür erfahrungsgemäß leider keine ausreichende Gewähr. Ein Mindestmaß an staatlich gesetzten Regeln für die am Markt tätigen Institute ist deshalb unverzichtbar. Seine vertrauensbildende, seine Vertrauen auch rechtfertigende Wirkung kann ein solches Regelwerk nur erzielen, wenn es Veränderungen des Marktgeschehens Rechnung trägt. Zwei Stichworte sollen dazu genügen: die fortschreitende Internationalisierung der Finanzmärkte und die Vielfalt neuer Finanzinstrumente. Eine Anpassung des deutschen Aufsichtsrechts ist deshalb nicht allein wegen der notwendigen Umsetzung von EG-Richtlinien erforderlich, sondern auch von der Sache her gesehen. Ob jede Einzelbestimmung des leider sehr komplizierten, kaum noch lesbar geratenen Gesetzentwurfs eine ideale Antwort auf dieses Spannungsverhältnis ist, lasse ich einmal beiseite. Ich will mir trotzdem die Randbemerkung erlauben, daß bei Bankern die Abkürzung „KWG" nicht ausschließlich mit „Kreditwesengesetz", sondern auch als „Keiner weiß Genaues" übersetzt wird. ({2}) Es wäre natürlich schöner, wenn wir ein lesbareres Gesetz hätten. Eine neue Regelung möchte ich aber mit nachdrücklicher Unterstützung hervorheben: den neuen § 25 a des Kreditwesengesetzes. Er basiert auf dem richtigen Grundsatz, daß die Pflicht zur Sicherheitsverantwortung, zur Risikobegrenzung nicht bei den staatlichen Aufsichtsbehörden anfängt, sondern innerhalb der Institute. ({3}) Jedes Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut - so bestimmt § 25 a Kreditwesengesetz - muß über geeignete Regelungen zur Steuerung, Überwachung und Kontrolle der Risiken sowie über angemessene Regelungen verfügen, an Hand derer sich die finanzielle Lage des Instituts jederzeit mit hinreichender Genauigkeit bestimmen läßt. Ebenso muß es über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation, über ein angemessenes internes Kontrollverfahren sowie über angemessene Sicherheitsvorkehrungen für den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung verfügen. Diese eigenverantwortliche Steuerung und Kontrolle muß zudem bei der Auslagerung bestimmter Bereiche auf andere Unternehmen gewährleistet sein. Materiell ist diese Vorschrift zwar schon im Rahmen von Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften in Kraft, aber daß dieser Grundsatz in das Gesetz aufgenommen worden ist, verleiht ihm den Rang, der ihm tatsächlich gebührt. ({4}) Es ist außerdem gelungen, mit dieser Novellierung ein relativ breites Spektrum von neuen Finanzgeschäften, das heißt insbesondere Finanzdienstleistungen, in den Aufsichtskreis einzubeziehen. Ich will aber nicht verschweigen, daß nach unserer Auffassung nach wie vor ein weiterer Handlungsbedarf besteht: Der sogenannte graue Kapitalmarkt macht weiterhin Kümmernisse. ({5}) - Sie haben recht, es gibt fast jede Woche neue Meldungen, die Besorgnis erwecken. Wir haben die etwas untypische Situation, daß es bei dem Kompetenzstreit zwischen den verschiedenen Ebenen, in diesem Fall Bund und Länder, einmal nicht darum geht, „wer darf was tun, wer darf die Zuständigkeit an sich reißen", sondern es gibt ein Schwarzer-Peter-Spiel, denn niemand will die Zuständigkeit haben. Hier besteht noch ein Handlungsbedarf. Das ist auch in der Entschließung, die Ihnen vorliegt, aufgegriffen worden. Herr Kollege Steiger, ein Punkt noch, wo wir nicht übereinstimmen, „Recht auf ein Girokonto". Das ist im vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht hinreichend behandelt worden, deswegen bestehen wir darauf, daß unsere eigenen Anträge ebenfalls Gegenstand der Abstimmung sind. ({6}) Das Recht auf Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr - ich will nicht sagen, daß das ein Grundrecht ist - hat heute so wesentliche Auswirkungen auf Alltagssituationen, daß ich nicht nachvollziehen kann, daß Sie das mit ziemlich leichter Hand beiseite schieben. ({7}) Es trifft zu, daß es sich dadurch ein bißchen gebessert hat, daß der Zentrale Kreditausschuß, also die Selbstorganisation der Banken und Sparkassen, eine freiwillige Regelung in Form einer Empfehlung vorgelegt hat. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das eine Ausnahme in dieser Empfehlung ist. „Das Kreditinstitut", so heißt es in der Empfehlung vom 20. Juni 1995, „ist nicht verpflichtet, ein Girokonto für den Antragsteller zu führen, wenn dies unzumutbar ist". Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, wann das für das Institut unzumutbar ist. Das ist es beispielsweise dann, wenn die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht gegeben ist, weil das Konto durch Handlungen vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Jahr lang umsatzlos geführt wurde. Das heißt, gerade die Gruppe von Fällen, auf die Schuldnerberaterorganisationen und Verbraucherschutzorganisationen immer wieder als besondere Problemfälle hinweisen, sind ausdrücklich aus dem an sich guten Grundsatz „generelles Recht auf ein Girokonto" ausgenommen. Hier sehen wir nach wie vor Handlungsbedarf des Gesetzgebers. ({8}) Lassen Sie mich noch zwei Einzelregelungen erwähnen, die ich als erfreulich empfinde. Herr Kollege Steiger hat schon auf den § 18 des Kreditwesengesetzes hingewiesen. Wir haben ja bisher die Situation, daß es im Nachhinein nach geltendem Recht nicht nur als grob fahrlässig, sondern als absolut unzulässig zu bezeichnen ist, daß der Schlossermeister August Borsig für den Bau seiner ersten Lokomotive einen Kredit bekommen hat, denn er hatte keine Sicherheiten. Nach § 18 des Kreditwesengesetzes ist bisher Vorschrift, daß sich die Bank bei der Gewährung einer Kreditsumme von insgesamt 250 000 DM an einen einzelnen Kreditnehmer genau über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers, insbesondere an Hand der Jahresabschlüsse, zu vergewissern hatte. Das heißt aber mit anderen Worten: Für ein junges Unternehmen, das Jahresabschlüsse überhaupt noch nicht vorlegen kann, ist diese Regelung ein ausgesprochenes Hindernis. In diesem Punkt gab es in dem Ausschuß erfreulicherweise einen Konsens. Die Summe ist auf 500 000 DM erhöht worden. Das heißt ja nicht, daß die Banken jetzt blind das Geld herausgeben sollen. Sie sollen jetzt in eigener Verantwortung entscheiden, welche Risiken zu tragen sie bereit sind. ({9}) Ein zweiter Punkt, der auch von allgemeinerem Interesse ist, betrifft die Einlagensicherung. Wir hatten bisher die Situation, daß bei Banken nur Einlagen auf Konten durch den Einlagensicherungsfonds wirklich gesichert waren. Darüber besteht hinreichende Klarheit. Es gab vor nicht allzu langer Zeit die Situation, daß nach dem Zusammenbruch einer Bank Kunden, die dort Bankschuldverschreibungen erworben hatten, leider feststellen mußten, daß sie über den Einlagensicherungsfonds nicht abgesichert waren. Es ist jetzt durch § 23 a des Kreditwesengesetzes eindeutig festgelegt worden, daß die Bank die Kunden deutlich darauf hinzuweisen hat, wenn beispielsweise Bankschuldverschreibungen, also andere „rückzahlbare Gelder", wie es in § 23 a heißt, aus dieser Absicherung herausgenommen worden sind. Ich will mir noch eine abschließende Bemerkung über die Funktionsfähigkeit der Aufsichtsämter erlauben. Über die Wirksamkeit der staatlichen Aufsichtsämter entscheiden nicht ausschließlich Art und Umfang ihrer Befugnisse. In der Praxis nicht minder wichtig ist die Ausstattung mit qualifizierten Mitarbeitern. Wie in den Ausschußberatungen deutlich wurde, haben sowohl das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen wie das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel Stellenbesetzungsprobleme. Übrigens wird durch die Novellierung des Gesetzes die Anzahl der Stellen erweitert. Schon jetzt ist es aber für beide Aufsichtsämter schwierig, alle Stellen zu besetzen. Das hat einen einfachen Grund: Die Lehrergehälter, bestenfalls Gymnasiallehrergehälter, die die Aufsichtsämter bieten können, sind für erfahrene Kenner des Bank- und Börsenwesens wenig attraktiv. ({10}) Hier liegt geradezu ein Musterbeispiel für die Fragwürdigkeit des starren öffentlichen Dienst- und Besoldungsrechts vor. Beide Aufsichtsämter sollten mehr Spielraum für die Gestaltung von Gehältern erhalten. Den öffentlichen Haushalt müßte dies überhaupt nicht belasten, denn beide Ämter finanzieren sich aus Gebühren und Umlagen, die von den ihrer Aufsicht unterstehenden Instituten aufgebracht werden. Auch einen größeren Spielraum beider Ämter bei der Bemessung jener Umlagen und Gebühren wäre denkbar, etwa nach dem Grundsatz: je weniger Kontrollaufwand der Ämter dank guter institutsinterner Kontrolle, desto geringer die Kosten für die Institute. Schließlich sollte Verwaltungsreform auch für den Bund kein Fremdwort sein. Ich danke Ihnen. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ursula Schönberger, Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zu dieser Beratung eine Vorbemerkung. Es ist schon merkwürdig, daß das Recht auf ein Girokonto mit der Umsetzung der EG-Richtlinie zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften in einen Tagesordnungspunkt gefaßt wurde, so nach dem Motto: Bei beidem handelt es sich um Geld. ({0}) Tatsächlich hat das überhaupt nichts miteinander zu tun. Lassen Sie mich mit unserem Antrag, Recht auf ein Girokonto für jedermann, beginnen. Die Bundesregierung hält ein gesetzlich verbrieftes Recht auf ein Girokonto, so wie wir es fordern, nicht für notwendig. Sie ist der Meinung, daß sich die Situation durch die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses fühlbar entschärft habe. Man braucht sich aber nur die konkreten Zahlen anzusehen, um zu erkennen, daß unser Antrag, das Recht auf ein Girokonto gesetzlich festzuschreiben, weiterhin notwendig ist, zumindest dann, wenn man es mit dem Anliegen ernst meint, daß auch sozial Schwache - davon gibt es durch die Politik dieser Bundesregierung, die oben gibt und unten nimmt, immer mehr - über ein Girokonto verfügen können. Die Studie der Schuldnerberatung belegt mit harten Zahlen - Herr Kollege Steiger, ich denke, das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie ausgeführt haben -, daß die Bereitschaft der deutschen Banken, Girokonten auf Guthabenbasis für sozial Schwache einzurichten, vor allem auf dem Papier existiert und weit davon entfernt ist, ein dringend notwendiges Maß an sozialer Mindestversorgung zu sichern. Anstatt den Arbeitslosen, den sozial Schwachen ein Recht auf ein Girokonto zu sichern, wollen Sie den Arbeitslosen ohne Konto künftig auch noch die daraus resultierenden Kosten aufdrücken und somit bei der Bundesanstalt für Arbeit 80 Millionen DM sparen. Mit dem Recht auf ein Girokonto könnten die Kosten der öffentlichen Hand erheblich reduziert werden. Bund, Länder und Kommunen müssen für Zahlungsanweisungen rund 140 Millionen DM jährlich ausgeben, und die Betroffenen sind durch die Kontolosigkeit mit zirka 5 Prozent ihres Haushaltseinkommens belastet. Meine Damen und Herren, ein Recht auf ein Girokonto darf nicht länger ein Gnadenakt der Banken sein. Im auslaufenden 20. Jahrhundert ist die Teilnahme am öffentlichen Leben vom bargeldlosen Zahlungsverkehr abhängig. Personengruppen davon auszunehmen ist diskriminierend. ({1}) Ich komme zum zweiten Teil des Tagesordnungspunktes. Wenn man der Meinung ist, daß der Finanzbinnenmarkt erstrebenswert ist, ist es völlig unverständlich, warum die Bundesregierung ausgerechnet diese für den Finanzplatz Deutschland existentielle Richtlinie, die eine Schlüsselrolle für die Schaffung des Finanzbinnenmarktes spielt, so stiefmütterlich hat schmoren lassen. Die Einführung eines europäischen Passes für Wertpapierdienstleistungsunternehmen und die Schaffung von einheitlichen Regelungen zu ihrer Risikoabsicherung und Beaufsichtigung gewährleisten verbesserte Finanzierungsbedingungen für die Unternehmerinnen und Unternehmer und gleichsam einen angemessenen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Erleichterte Zulassungsvoraussetzungen. für Wertpapierhandelshäuser sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer verbesserten Risikokapitalversorgung in der Bundesrepublik. Dennoch gibt es gravierende Mängel an der Umsetzung der Richtlinie. So wurde die Chance verUrsula Schönberger säumt, alle Finanzdienstleistungsunternehmen einer einheitlichen Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zu unterstellen. Kollege Spiller ist darauf bereits eingegangen. Weite Teile der Anbieter des sogenannten grauen Kapitalmarktes unterstehen nach wie vor lediglich den Gewerbeaufsichtsbehörden, die mit der Prüfung dieser Geschäfte sowohl fachlich als auch kapazitätsmäßig völlig überfordert sind. Es ist doch bekannt, daß die entsprechenden Regelungen in der Gewerbeordnung nicht ausreichend sind, um eine effektive Überwachung zu ermöglichen. Es ist auch bekannt, daß der graue Kapitalmarkt der Hauptbereich des Anlagebetrugs in Deutschland ist. Jährlich entstehen durch dubiose Geschäfte volkswirtschaftliche Schäden in mehrfacher Milliardenhöhe. Es ist nicht verständlich, warum dies nicht bei der Umsetzung dieser Richtlinie mit aufgenommen worden ist. ({2}) Die Vereinheitlichung im europäischen Binnenmarkt sollte eigentlich der Vereinfachung dienen. Dazu muß ich sagen: Die 6. KWG-Novelle hat dieses Ziel vollständig verfehlt. Wenn schon die Sachverständigen auf einer Anhörung sagen, daß man bereits das jetzige KWG kaum verstehen könne, die 6. Novelle nun selbst für Fachleute endgültig nicht mehr zu verstehen ist, ist das ein Armutszeugnis für diejenigen, die das Gesetz zu verantworten haben. Teilweise beinhaltet das KWG Paragraphen mit 80 Absätzen und Unterabsätzen. Gerade im Hinblick auf den Finanzbinnenmarkt und die doch gewollte verstärkte Tätigkeit ausländischer Banken und Finanzdienstleister in der Bundesrepublik wächst die Notwendigkeit, ein transparentes und verständliches Gesetz zu haben. Und was haben wir tatsächlich? Wenn die ausländischen Banken konstatieren, daß dieses Gesetz auf Grund seiner sprachlichen Konstruktion noch nicht einmal ins Englische übersetzbar ist, ({3}) dann muß man die Vermutung äußern dürfen, daß es sich nicht um eine Strategie zur Stärkung, sondern eher zur Schwächung des Finanzplatzes Deutschland handelt. Lassen Sie mich zuletzt noch einen Punkt ansprechen. Dieser betrifft die finanzielle Belastung, die zusätzlichen Kosten, die diese Novelle mit sich bringt. Es ist von 500 Millionen DM Mehrkosten jährlich die Rede, die insbesondere das mittelständische Kreditgewerbe treffen werden. Meine Damen und Herren, diese Novelle ist enttäuschend unzureichend. Sie verpaßt die Chancen des positiven Signals, ja, sie setzt die falschen Signale und bestätigt die im Ausland schon sprichwörtlich gewordene Behäbigkeit des deutschen Finanzmarktes. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Schönberger, ich freue mich, Sie hier heute im Plenum kennenlernen zu dürfen. Wir haben mehrfach im Finanzausschuß - zweimal ganztägig - zu dem Thema beraten und hatten dazu eine ganztägige Anhörung. Einen Beitrag der Grünen in diesem Zusammenhang habe ich leider nicht feststellen können. Das ist jetzt nicht auf Ihre Person gemünzt; da gab es Umstände. Aber es hätte ja dann die Möglichkeit bestanden, daß andere Personen seitens der Grünen die von Ihnen vorgetragenen Anregungen durchaus hätten einbringen können. ({0}) Das habe ich vermißt. ({1}) Parlamentsarbeit lebt davon, daß man sich einbringen kann. Wenn man sich nicht einbringt, dann muß man mit der Kritik etwas vorsichtig sein. Das vorliegende Gesetz stellt nicht nur einen wichtigen Schritt zur Harmonisierung der Finanzdienstleistungen in Europa dar. Ich halte es auch aus einem anderen Grunde für sehr erfreulich: Es gibt endlich wieder einmal ein Projekt aus dem Finanzbereich, in dem zügige und konstruktive Beratungen mit der Opposition möglich waren. Ich wünschte mir, daß das häufiger der Fall wäre. Gerade bei der so dringend notwendigen Steuerreform hätten wir dann schon mehr Klarheit. Ich hoffe deshalb, daß die Beratungen zur Steuerreform in ähnlich konstruktiver Weise im Finanzausschuß geführt werden wie bei diesem Gesetz. Die bisherigen Erfahrungen lassen da Positives erhoffen. ({2}) Bundespräsident Herzog hat den politischen Verantwortungsträgern in Bund und Ländern zu Recht gesagt, daß notwendige Reformen beschlossen und nicht zerredet werden dürfen. ({3}) Die Anhörung im Finanzausschuß hat gezeigt: Wir brauchen die Steuerreform. Wir brauchen sie so schnell wie möglich. Wir brauchen sie jetzt. Die Bürger und die Wirtschaft müssen so schnell wie möglich wissen, mit welchem Inhalt die notwendige und von den Sachverständigen geforderte Umsetzung der Steuerreform erfolgt. Deshalb appelliere ich auch an dieser Stelle an die SPD, keine Sonthofen-Strategie der verbrannten Erde zu betreiben, sondern in Bund und Ländern der staatsbürgerlichen Verantwortung gerecht zu werden. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vorliegende Gesetzespaket setzt verschiedene europäiCarl-Ludwig Thiele sche Richtlinien um. Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie enthält umfangreiche Regelungen für die Zulassung und Beaufsichtigung der gewerbsmäßigen Wertpapierdienstleister. Hervorzuheben ist der sogenannte europäische Paß. Es ist eine bedeutende Erleichterung für die Unternehmen, daß künftig die Zulassung in einem europäischen Staat zu Aktivitäten innerhalb der gesamten EU berechtigt. Wichtig ist auch, daß die am grauen Kapitalmarkt tätigen Unternehmen künftig von der Aufsicht erfaßt werden. Mit der Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie werden wichtige Aufsichtsregeln für die Geschäfte mit Finanzinstrumenten harmonisiert. Auch am Finanzplatz Deutschland erhalten so international tätige Unternehmen ein Stück mehr Berechenbarkeit und Transparenz. Das vorliegende Gesetzespaket enthält viele weitere Regelungen, mit denen unter anderem das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt, die Funktionsfähigkeit des Zahlungsverkehrs sowie die Geldwäschebekämpfung verbessert werden. Meine Damen und Herren, der Finanzausschuß hat auch diesmal viele Anregungen der Sachverständigen und der öffentlichen Anhörung aufgenommen. Der vom Finanzausschuß abgeänderte Gesetzentwurf weist erhebliche Verfahrenserleichterungen für die betroffene Kreditwirtschaft im Sinne von weniger Formularen und Verwaltung auf. Eine wesentliche Erleichterung für die Kreditinstitute stellt zum Beispiel die Verdoppelung der Grenze für die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Vergabe von Krediten dar. Sie beträgt statt bisher 250 000 DM künftig 500 000 DM und verringert den Verwaltungsaufwand in den Kreditinstituten unwahrscheinlich. Mehr als 50 Prozent Verwaltungsaufwand kann allein durch diese Regelung eingespart werden. ({5}) Zudem ist es gerade für Existenzgründer und für kleinere Unternehmen von entscheidender Bedeutung, daß nicht schon ab einem Kreditbetrag von 250 000 DM, sondern künftig erst ab 500 000 DM ein aufwendigeres Verfahren praktiziert werden muß. Die bisherige Grenze von 250 000 DM hatte zur Folge, daß in der Regel Kreditsuchende mit erheblicher zeitlicher Verzögerung an die von ihnen benötigten Kredite gelangten. Zukünftig ist es für Existenzgründer und kleinere Unternehmer leichter, Kredite zu erhalten. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Ein spürbarer Beitrag zur Deregulierung ist die Streichung der Meldepflicht für die Kreditinstitute bei Änderung der Satzung oder des Gesellschaftervertrags gegenüber dem Aufsichtsamt. Auch die Pflicht zur Anzeige von Veränderungen bei Zweigstellen wurde deutlich reduziert. Für vereinfachend halte ich die Klarstellung, daß Geldautomaten in diesem Zusammenhang keine Zweigstellen von Banken sind. Bislang wurde das anders betrachtet. Schließlich wurde das ursprünglich vorgesehene Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 1997 deutlich nach hinten verschoben. Damit erhalten die Betroffenen mehr Zeit, sich auf die notwendigen Änderungen einzustellen. Eine Reihe von Fragen konnte noch nicht abschließend beraten werden. Der vorliegende Entschließungsantrag enthält daher einige Prüfaufträge an die Bundesregierung. So soll geklärt werden, wie die Deutsche Ausgleichsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau bei den Refinanzierungsmöglichkeiten gleichgestellt werden kann. Diese Gleichstellung ist notwendig, um die den Mittelstand fördernde Ausgleichsbank abzusichern. Dieses ist die gemeinsame Auffassung des Finanzausschusses. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung den gemeinsam politisch getragenen Willen zu einer solchen Regelung auch umsetzt. Im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages bestand dahingehend Übereinstimmung, diesem Prüfauftrag eine klare politische Entscheidung zugrunde zu legen und in diesem Sinne tätig zu werden. Von einigen Regelungen im Bereich der Aufsicht wurde abgesehen, da dem Ausschuß die notwendigen Informationen noch nicht vorlagen. Das gilt im Bereich des grauen Kapitalmarktes sowie für die Verfolgung von Kursmanipulationen. Die F.D.P. wird sich im übrigen dafür einsetzen, daß der sogenannte aktivische Unterschiedsbetrag so gehandhabt wird, wie es der Gesetzgeber bei den Beratungen der Fünften KGW-Novelle entschieden hat. Die neuere Auffassung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen zur Behandlung des aktivischen Unterschiedsbetrages ist nach Auffassung der F.D.P. nicht durch den Text der Fünften KGW-Novelle abgedeckt. Dieses ergibt sich auch aus dem Bericht zur Fünften KGW-Novelle. Es ist deshalb für mich absolut unverständlich, wie vor diesem Hintergrund eine entsprechende vom Willen des Gesetzgebers nicht abgedeckte Meinung geäußert werden konnte, die zu erheblichen finanziellen Belastungen unserer Kreditwirtschaft führt. Ich gehe davon aus, daß dieses entsprechende Schreiben des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen überprüft wird und die vorgesetzte Behörde, das Bundesfinanzministerium, den Willen des Gesetzgebers beachtet und die entsprechende Mitteilung korrigiert. ({6}) Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unseres Finanzplatzes. Weitere Schritte müssen allerdings folgen. Die F.D.P. setzt sich für eine Verbesserung des Finanzplatzes Deutschland ein. Es muß doch auch in Deutschland möglich sein, leichter Zugang zu Kapital zu erhalten. Wir brauchen in Deutschland Existenzgründer und eine neue Kultur der Selbständigkeit. Wir als F.D.P. sind der Auffassung, daß gerade die kleinen und mittleren Betriebe die Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, die wir dringend brauchen. Hierfür werden wir uns im Rahmen des anstehenden Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes einsetzen. Ferner brauchen wir eine Verbesserung der Produkte und Anlagemöglichkeiten. Es gibt noch viel zu tun, um eine Verbesserung der privaten Altersvorsorge auch über den Kapitalmarkt zu erreichen. Carl-Ludwig Thiele Ich hoffe, daß wir, wie auch bei diesem Gesetz, konstruktiv, sachlich und zielorientiert bei den noch anstehenden Finanzmarktgesetzen zusammenarbeiten werden. Ich darf mich für die außerordentlich konstruktive Mithilfe des Finanzministeriums bei diesem Gesetzgebungsvorhaben bedanken. Herzlichen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vom federführenden Finanzausschuß zur Umsetzung von EG-Richtlinien über bank- und wertpapieraufsichtsrechtliche Fragen vom 20. Dezember 1996 verabschiedeten Gesetzentwürfe stellen durchaus in einer Reihe von Punkten Schritte in die richtige Richtung dar. Hinter dem Paragraphendschungel des umfangreichen Gesetzpaketes werden jedoch bestehende Regelungen vielerorts nicht etwa vereinfacht, sondern weiter verkompliziert - von der Sprache möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden . Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den von der Bundesregierung so hochgelobten Finanzplatz Deutschland. Darin steckt überhaupt viel Zündstoff. Dieser Zündstoff geht nicht nur Expertinnen und Experten, sondern auch Otto und Emma Normalverbraucher an. So soll die im Gesetzentwurf vorgesehene Einbeziehung der sogenannten Finanzdienstleistungsunternehmen in die spezielle Kontrolle durch die Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen bzw. für den Wertpapierhandel lediglich auf die Vertreiber von Warentermin-, Finanztermin- und Devisentermingeschäften sowie von Penny-Stocks, amerikanischen Billigaktien, begrenzt bleiben. Der übrige gefährliche und sehr oft vermögensvernichtende Bereich dubioser Geldanlagegeschäfte des sogenannten grauen Kapitalmarktes, zu denen Beteiligungssparpläne, dubiose Bankgarantiegeschäfte, zins- und tilgungsfreie Darlehen oder modifizierte Schneeballsysteme gehören, soll bei der Kontrolle durch die genannten Bundesaufsichtsämter jedoch weiter ausgespart und statt dessen von den Gewerbeämtern wahrgenommen werden, die gleichzeitig auch die Bockwurstbuden kontrollieren. Die Gewerbeämter verfügen über keine fachlichen und logistischen Voraussetzungen für die Ausübung dieser Aufgabe; das haben sie in den letzten Jahren leider gezeigt. Das ist für die PDS nicht hinnehmbar. Aus diesem Grunde sind wir auch mit den vorgeschlagenen Prüfungsaufträgen nicht einverstanden; dieser Schritt ist zu knapp bemessen. Das Gros der Verbraucher - so die Einschätzung der Verbraucherzentrale Berlin - legt das Geld aber nicht in den genannten Termingeschäften, sondern in dem viel gefährlicheren Bereich des grauen Kapitalmarktes an. Über 90 Prozent der ausgewerteten Betrugsfälle entfallen bundesweit allein auf diese Anlageform. Gerade die Bundesrepublik Deutschland ist nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Berlin heute zu einem Eldorado für Kapitalanlagebetrüger geworden. Der Schaden, den solche Geschäftemacher hierzulande anrichten, wird auf immerhin 40 bis 60 Milliarden DM jährlich beziffert. Hunderttausende Anlegerinnen und Anleger sind, teilweise mit dem Gesamtverlust ihrer Ersparnisse, betroffen. Jüngste Fälle sind die Hanseatische Aktiengesellschaft und, heute bekanntgeworden, der Konkurs von Euro Kapital Hamburg, von dem insbesondere Zehntausende ostdeutscher Anlegerinnen und Anleger betroffen sind - ein wenig ruhmreicher Zustand. Für die nach Auffassung der PDS-Gruppe dringend notwendige Einbeziehung des grauen Kapitalmarktes in die Aufsichtspflichten der zuständigen Bundesaufsichtsämter sollten internationale Erfahrungen aus dem angelsächsischen Raum aufgegriffen werden. So sind in Großbritannien seit Jahren erfolgreich wirkende Aufsichtsinstitutionen gesetzlich befugt, unseriöse Anbieter schnell vom Markt zu entfernen, wenn von ihnen nicht schlüssig dargelegt wird, wo und wie die weit über dem marktüblichen Zins liegende Rendite realisiert werden soll. Zudem werden von diesen Aufsichtsinstitutionen in Großbritannien bei entsprechenden Fällen ganz empfindliche Bußgelder verhängt. Warum soll das in Deutschland nicht möglich werden? Ich finde dafür keinen plausiblen Grund. Nach wie vor wird vielen Menschen in der Bundesrepublik das Recht auf ein privates Girokonto verweigert bzw. wird eine bestehende Kontoverbindung seitens der Kreditinstitute gekündigt. Damit beginnt vor allem für finanzschwache Bürgerinnen und Bürger - es ist bereits davon gesprochen worden - ein Teufelskreislauf mit einer beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung. Die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses geht wohl in die richtige Richtung, reicht aber - das zeigen die Analysen von Schuldnerberatungsstellen, Herr Steiger - doch wohl nicht aus. Notwendig ist, so meinen wir, eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf ein Privatgirokonto, wie es die Oppositionsfraktionen hier vorgetragen haben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Leider haben wir nur vier Minuten. Aus all den genannten Gründen ist eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf ein Privatgirokonto umgehend und ohne Verschiebung auf den SanktNimmerleins-Tag unerläßlich. ({0}) - Das wird sich beim nächsten Mal ändern, Herr Weng; da bin ich sicher. ({1}) Wir lehnen deshalb den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab, werden uns beim entsprechenden Begleitgesetz enthalten und bitten um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, der umfassend zu diesen Themen Stellung nimmt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Hauser.

Hansgeorg Hauser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000832

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird der Anlegerschutz in Deutschland entgegen den Äußerungen, die wir bisher gehört haben, weiter ausgebaut. Die Bundesregierung ist dabei bestrebt, die Belastungen für die Kreditinstitute und die künftig erstmals unter Bundesaufsicht gestellten Finanzdienstleistungsinstitute auf das notwendige Maß zu begrenzen. Vorschläge für eine sachgerechte Deregulierung wurden, soweit das möglich war, entsprechend aufgegriffen. Ich kann das, was Kollege Thiele gesagt hat, nur bestätigen: Wenn man im Finanzausschuß keinerlei entsprechende Anregungen zusätzlich einbringt, dann muß man auch hinnehmen, daß diese Vorschläge nicht berücksichtigt werden. Jedenfalls haben wir von den Experten, von den Verbänden gehört, daß zumindest da, wo es möglich war, ein ausreichendes Maß an Deregulierung in dieses Gesetz aufgenommen worden ist. Einige besonders markante Eckpunkte der Gesetzesvorhaben, die auch eine entlastende und begünstigende Wirkung für die betroffenen Wirtschaftskreise haben können, sollen hier herausgehoben werden. Mit dem Inkrafttreten der Gesetze wird Unternehmen, die gewerbsmäßig Wertpapierdienstleistungen erbringen, künftig der in der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie vorgesehene sogenannte europäische Paß gewährt. Das heißt, die Zulassung im Heimatland ermöglicht den Unternehmen, ihre Tätigkeit in allen Staaten der Europäischen Union auszuüben. Mit diesem erleichterten Zugang zu den Märkten der übrigen EU-Mitgliedstaaten wird die Wettbewerbsposition deutscher Kreditinstitute nachhaltig verbessert. Darüber hinaus eröffnet dieser Zugang zu den europäischen Börsen deutschen Universalbanken neue geschäftliche Betätigungsfelder. Auch das sollte nicht vergessen werden. Die übrigen Punkte sind zum großen Teil bereits erwähnt worden. Ich darf noch einmal auf die Verdopplung der Grenze für die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei Kreditvergaben hinweisen, die nun auf 500 000 DM angehoben ist. Ich glaube, man kann nicht stark genug herausstellen, daß das wirklich eine erhebliche Erleichterung und Verringerung von Verwaltungsaufwand ist und insbesondere den kleineren Unternehmen der Zugang zum Kreditmarkt erleichtert wird. Auf die im Wertpapierhandelsgesetz geforderte Hinweisbekanntmachung im Bundesanzeiger, auf die vom Emittenten vorgenommene Ad-hoc-Publizität, wird künftig verzichtet. Wir hatten das eingeführt, aber es hat sich als nicht brauchbar erwiesen. Auch das ist ein Hinweis darauf, daß wir sehr wohl flexibel handeln und entsprechende Veränderungen vornehmen werden. Für Börsenmakler werden die rechtlichen Möglichkeiten erweitert, sich vor dem Hintergrund der durch die Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie veränderten Wettbewerbslage im europäischen Wirtschaftsraum zu Wertpapierhandelshäusern weiterzuentwickeln. Meine Damen und Herren, die in Umsetzung der Richtlinie künftig erfolgende Aufsicht über große Bereiche des sogenannten grauen Kapitalmarktes macht allerdings eine nennenswerte Erhöhung des Personalbestandes der Aufsichtsbehörden erforderlich. Das ist ein Punkt, der leider bei den Forderungen nach zusätzlichen Inaussichtstellungen vielzu wenig beachtet wird. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, daß bis zu 7500 Unternehmen zusätzlich unter die Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel fallen werden. Es ist zu erwarten, daß gerade Unternehmen aus dem grauen Kapitalmarkt deshalb in weit größerem Maße, als dies bei den bereits seit geraumer Zeit unter Aufsicht stehenden Instituten der Fall ist, versuchen werden, sich unter Ausnutzung aller rechtlichen Mittel den Aufsichtsanforderungen zu entziehen. Hinzu kommen natürlich zusätzliche Aufgaben, die wir mit diesem Gesetz neu geschaffen haben. Mit Bezug auf das von der Verbraucherschutzseite vorgebrachte Anliegen, den Anwendungsbereich des Gesetzesvorschlages auf weitere Bereiche des sogenannten grauen Kapitalmarkts zu erweitern, weise ich darauf hin, daß die Gesetzentwürfe bereits durch die Einbeziehung der Vermittler von Warentermingeschäften und der Drittstaateneinlagenvermittler zum Schutz der Anleger über die Vorgaben der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie hinausgehen. Die Firmen müssen zuverlässige und fachlich geeignete Geschäftsleiter haben, und die Geschäftstätigkeit wird einer laufenden Solvenzaufsicht unterliegen. Damit wird der Verbraucherschutz auf einem wesentlichen Gebiet des Finanzdienstleistungssektors nachhaltig verbessert. Bevor weitere gesetzliche Maßnahmen erwogen werden, sollten aus Sicht der Bundesregierung die im grauen Kapitalmarkt noch bestehenden Problemfelder etwas gründlicher analysiert werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Bundesregierung den Entschließungsantrag des Finanzausschusses, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, zusammen mit den Ländern - das ist ein wichtiger Punkt - einen Überblick über den grauen Kapitalmarkt und die dort angebotenen Finanzprodukte sowie Vorschläge für eine Verbesserung der Aufsicht über den Bereich des grauen Kapitalmarkts zu erarbeiten und spätestens im nächsten Jahr vorzulegen. Damit wird eine fundierte Entscheidungsgrundlage geschaffen. Das Thema ist zu vielschichtig, um mit Schnellschüssen ein befriedigendes Ergebnis zu erreichen. Meine Damen und Herren, dieses Thema ist hier sehr stark in den Mittelpunkt gestellt worden, obwohl wirklich andere Dinge im Vordergrund stehen müssen. Man sollte hier doch bitte etwas mehr an die Eigenverantwortung appellieren. Es ist dringend notwendig, daß stärkere Aufklärung erfolgt. Das gebe ich gerne zu. Die Eigenverantwortung der Anleger aber sollte wirklich stärker betont werden. Man kann wirklich nicht verstehen, daß Versprechungen und Angebote, es würden Kapitalrenditen von 80 oder 100 Prozent erreicht, ernst genommen werden. Solche Anleger passen bei einem Kauf eines Gebrauchtautos zehnmal besser auf und rennen zu zehn verschiedenen Anbietern, bevor sie einen solchen Kauf tätigen. 10 000 DM werden hier aber ohne weiteres und ohne jegliche Bedenken angelegt, weil man solchen Versprechungen unterliegt. Eigenverantwortung sollte hier mehr gefragt sein. ({0}) Zum Thema „Girokonto für jedermann". Dieses Thema beschäftigt den Bundestag schon seit geraumer Zeit. Nicht zuletzt auf Grund der Bemühungen des Finanzministeriums und intensiver Gespräche mit den Verbänden der Kreditwirtschaft ist eine befriedigende Lösung des Rechts auf ein Girokonto gefunden worden. Wir haben im Juni 1995 mit den im Zentralen Kreditausschuß zusammengeschlossenen Verbänden erreicht, daß eine Empfehlung ausgesprochen worden ist. Sie sieht vor, daß alle Kreditinstitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen führen, für jeden in ihrem jeweiligen Geschäftsgebiet ein Girokonto bereithalten. Natürlich ist es richtig, daß man trotz allem nicht jedem ein solches Girokonto einräumen muß. Bestimmte Geschäfte müssen auch nicht zugelassen werden, wie beispielsweise Überziehungen. Jedem Institut ist es im übrigen freigestellt, darüber hinausgehende Dienstleistungen anzubieten. Die Bereitschaft zur Kontoführung ist grundsätzlich gegeben und unabhängig von Art und Höhe der Einkünfte. Insbesondere werden Eintragungen bei der Schufa allein kein Grund sein, die Führung eines Girokontos zu verweigern. Die Kreditinstitute werden allerdings nicht dazu angehalten, ein Girokonto auch dann zu führen, wenn dies für das Kreditinstitut unzumutbar ist. Auch hierüber dürfte, wie die vorliegenden Entwürfe bzw. Anträge zeigen, dem Grunde nach unter uns kein Dissens bestehen. Zu den Fallgestaltungen, in denen eine Kontoführung als unzumutbar bewertet werden kann, enthält die Empfehlung eine Aufzählung von Fallbeispielen. Für die Bundesregierung möchte ich feststellen, daß sich der Versuch einer Lösung der Probleme in diesem Bereich über eine Empfehlung bewährt hat. Es kann dabei sicher nicht davon ausgegangen werden, daß das gewählte Verfahren einer freiwilligen Lösung bereits in jedem Fall den gewünschten Erfolg gebracht hat. Die Bundesregierung nimmt die ihr durch Verbraucherorganisationen gegebenen Hinweise auf Nichtbeachtung der Empfehlung ernst und wird auch in Zukunft das Verhalten der Kreditinstitute in diesem Bereich weiter beobachten. Die Bundesregierung geht aber zugleich davon aus, daß nach wie vor kein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung zu sehen ist. In dieser Einschätzung sieht sie sich durch den Entschließungsantrag des Finanzausschusses bestätigt. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften. Das sind die Drucksachen 13/7142 und 13/7627 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPDFraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie vor. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Begleitgesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 13/7143 und 13/7627 Nr. 2. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD- Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur RegeVizepräsident Hans-Ulrich Klose lung eines Rechtes auf ein Girokonto auf Drucksache 13/351. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7627 Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/351 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Sicherung der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr, Drucksache 13/856. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7627 Nr. 4, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/856 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Es entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zum Recht auf ein Girokonto. Das ist die Drucksache 13/7627 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 137 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Privatgirokonten, Drucksache 13/7627 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1306 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 7 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7627 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/7659. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir sind damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juni 1997, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.