Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Hans Peter Schmitz ({0}), der am 21. Mai seinen 60. Geburtstag feierte, und dem Kollegen Rupert Scholz, der am 23. Mai ebenfalls seinen 60. Geburtstag beging, die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
({1})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern:
1. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entlassung des Bundesministers der Finanzen Dr. Theodor Waigel - Drucksache 13/77872. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neubewertung der Gold- und Devisenreserven der Deutschen Bundesbank - Drucksache 13/ 7788 3. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Vertrauensfrage - Drucksache 13/7786 4. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Neubewertung der Goldreserven für ein Programm gegen Massenarbeitslosigkeit einsetzen - Drucksache 13/7791Außerdem mache ich auf eine Rückverweisung einer Beschlußempfehlung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Interfraktionell ist vereinbart worden, nachfolgende Beschlußempfehlung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur federführenden Beratung sowie an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung rückzuverweisen:
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - Drucksachen 13/7017 Nr. 3.1, 13/7584 überwiesen:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Rechtsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 sowie die Zusatzpunkte 1 bis 4 auf:
1. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung durch den Bundesminister der Finanzen zu Fragen der Finanzpolitik
ZP1 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entlassung des Bundesministers der Finanzen Dr. Theodor Waigel - Drucksache 13/7787 ZP2 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neubewertung der Gold- und Devisenreserven der Deutschen Bundesbank - Drucksache 13/7788 ZP3 Beratung des Antrags der Gruppe der PDS
Vertrauensfrage - Drucksache 13/7786 ZP4 Beratung des Antrags der Gruppe PDS Neubewertung der Goldreserven für ein Programm gegen Massenarbeitslosigkeit einsetzen - Drucksache 13/7791Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache mindestens eine namentliche Abstimmung durchführen werden.
Die Gruppe der PDS hat beantragt, daß über ihren Antrag zur Vertrauensfrage namentlich abgestimmt wird. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag der PDS das erforderliche Quorum erreicht, werden wir vor der Abstimmung feststellen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen ({4}): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute von der SPD
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
vorgelegte Antrag auf Amtsenthebung des Bundesfinanzministers ist der 13. Vorgang dieser Art in der Parlamentsgeschichte. 1950 wurde mein Vorgänger Fritz Schäffer mit einem solchen Antrag konfrontiert. Im gleichen Jahr traf es den damaligen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Damals ging es um die Brotpreise, und die SPD begründete ihren Antrag damit, daß Erhard dem internationalen Ansehen Deutschlands schweren Schaden zugefügt habe.
({5})
Ludwig Erhards Kommentar zur SPD lautete damals: „Hier waren wieder einmal Hysteriker als Wirtschaftspolitiker am Werk." Ich möchte das nicht kommentieren.
({6})
An einem Mißbilligungsantrag gegen den damaligen Bundeskanzler und früheren Bundesfinanzminister Helmut Schmidt habe ich mich 1977 als junger Abgeordneter selbst beteiligt. Ob ich es noch einmal täte, weiß ich nicht. Aber ich will nicht leugnen, daß ich in meinen jungen Jahren bei solchen Sachen auch dabeigewesen bin.
({7})
Auch der heutige Antrag wird das Schicksal seiner Vorgänger teilen und im Sande verlaufen.
Jenseits mancher aufgeregten Diskussionsbeiträge in den letzten Tagen bleiben die Grundlagen der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Bundesbank und Bundesregierung gefestigt.
({8})
Niemand wird das, was in 50 Jahren an Vertrauen und gefestigtem Zusammenwirken - unabhängig von Personen und Parteien - gewachsen ist, in Frage stellen.
({9})
Jeder, Bundesbank und Bundesregierung, nimmt die jeweils zugewiesenen Aufgaben in voller Verantwortung für unser Gemeinwesen wahr. Jeder weiß: Nur gemeinsames Handeln für gleichgerichtete Stabilitätsziele kann am Ende erfolgreich sein. Deshalb haben wir uns in der schwierigen Frage der Neubewertung der Bundesbankreserven auf einen gemeinsamen Weg verständigt, der für die Bundesbank und für die Bundesregierung ein sicheres Fundament gewährleistet.
Die Bundesbank und die Bundesregierung haben eine gemeinsame Erfolgsgeschichte. Wir stehen gemeinsam für eine stabile, international anerkannte Währung. Die Bundesregierung hat internationaler Kritik an der angeblich zu restriktiven Geldpolitik der Bundesbank immer wieder massiv widersprochen. Die Bundesregierung hat das Verlangen, den Internationalen Währungsfonds zu einem zusätzlichen Entwicklungshilfeinstitut umzugestalten, gemeinsam mit der Bundesbank zurückgewiesen.
Bei der Ausarbeitung des Maastricht-Vertrages, der Vorbereitung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion und des neuen EWS II hat die Bundesregierung die Standpunkte der Bundesbank ohne Einschränkung mitgetragen und deren Konzept nahezu unverändert im Maastricht-Vertrag durchgesetzt.
Gegen den Widerstand anderer hat die Bundesregierung den Vorrang der Preisstabilität im Maastricht-Vertrag durchgesetzt. Mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt hat die Bundesregierung die künftige europäische Geldpolitik gegen fiskalpolitische Belastungen gesichert.
Gestern gab es ein Gespräch zwischen dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank und mir. Um von vornherein jede Verwirrung zu entkräften,
({10})
will ich genau zitieren, was zwischen Herrn Bundesbankpräsident Tietmeyer und mir vereinbart wurde. Wörtlich:
Am Schluß des heutigen Gespräches zwischen Bundesfinanzminister Waigel und Bundesbankpräsident Tietmeyer wurde folgende Sprachregelung vereinbart:
({11})
Erstens. Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel und Bundesbankpräsident Dr. Hans Tietmeyer haben heute ... ein Gespräch über die in Aussicht genommene Neuregelung der Bewertung in der Bundesbankbilanz geführt.
Zweitens. Es gibt ein ernsthaftes Bemühen um eine einvernehmliche Lösung
({12})
für eine Neubewertung einzelner Positionen im Jahresabschluß 1997 mit Zahlungswirkung in 1998.
Drittens. Über die einzelnen Gesetzesformulierungen finden jetzt Gespräche statt zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und der Bundesbank. Abschließend werden die Ergebnisse in die Ausschußarbeit des Bundestages eingebracht.
Dies und nichts anderes habe ich gestern wortgleich in der Fraktion und auch vor der Presse vorgetragen.
({13})
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß diese Ergebnisse auch in die Gremien der Bundesbank gehen müssen.
Ich lasse mich von Ihnen hier nicht falsch zitieren. Bleiben Sie bitte in Ihren Zwischenrufen und Behauptungen bei der Wahrheit!
({14})
Durch die vorgesehene Anpassung des Wertes der Währungsreserven und die teilweise Abführung des Bewertungsgewinns an den Erblastentilgungsfonds
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
wird die geldpolitische Unabhängigkeit der Bundesbank nicht berührt. Der Rat des Europäischen Währungsinstituts hat bereits ani 5. November 1996 Beschlüsse über die Grundsätze der Rechnungslegung gefaßt. Dies wurde im April 1997 mit der Veröffentlichung des Geschäftsberichts bekannt. Wir hatten frühzeitig mit der Bundesbank Verbindung, um die möglichen Konsequenzen und Folgerungen aus den sich abzeichnenden Vorschlägen zur Rechnungslegung zu beraten.
Die Bundesbankreserven sind das Ergebnis der Leistungskraft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft in den letzten 50 Jahren. Sie müssen der deutschen Volkswirtschaft in vollem Umfang erhalten bleiben.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diese Erbguthaben zu einem verantwortbaren Teil zur Senkung der Erblasten des Kommunismus zu verwenden.
({15})
Jetzt hat Deutschland noch die volle und alleinige Verfügungsgewalt über die Reserven. Ein Verlust dieser Werte ist zwar auch nach Eintritt in die Währungsunion ausgeschlossen.
({16})
Aber jede Veränderung und Anpassung wird in einer gemeinsamen Währungsordnung erschwert.
Ein Verkauf von Gold kommt nicht in Betracht. Keine Feinunze Gold kommt auf den Markt.
Mit der Ausschüttung wird 1998 begonnen. Eine zeitlich gestreckte, moderate Ausschüttung in Tranchen ist auch für die Märkte der richtige Weg. So kann die Ausschüttung im Rahmen der Geldmengensteuerung problemlos neutralisiert werden. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre, als ähnliche Volumina zur Ausschüttung anstanden.
Höhere Ausschüttungen der Bundesbank haben keine Inflationswirkung. 1981 betrug die Ausschüttung 2,3 Milliarden DM; die Inflationsrate belief sich auf 6,3 Prozent. 1982 stieg die Ausschüttung auf 10,5 Milliarden DM; die Inflationsrate betrug 5,3 Prozent. 1983 waren es sogar 11 Milliarden DM; die Inflation lag bei 3,4 Prozent. 1985 erreichte die Gewinnablieferung mit 12,9 Milliarden DM einen vorläufigen Höhepunkt. Die Inflation war inzwischen auf 2,2 Prozent gesunken.
Mit der auch von der Bundesbank im Grundsatz akzeptierten Anpassung des Rechnungswesens wird die Unabhängigkeit der Notenbank, ihre Stabilitätsaufgabe oder ihre Glaubwürdigkeit auf den Märkten in keiner Weise beeinträchtigt.
({17})
Das sehen anerkannte Experten der geldpolitischen Theorie und Praxis ebenso. Dafür steht der Name des hochangesehenen niederländischen Zentralbankpräsidenten Duisenberg ebenso wie der von Professor Rüdiger Pohl, dem Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, der am 2. Juni 1997 sagte:
Wenn der Gesetzgeber das Bundesbankgesetz ändert und Reserven neu bewertet, dann ist das kein Eingriff in die Unabhängigkeit der Bundesbank. Die Unabhängigkeit der Bundesbank bezieht sich ausschließlich auf den Einsatz der geldpolitischen Instrumente. Diese werden nicht angetastet.
Ganz anders wäre es mit den alten Rezepten des früheren Arbeitsministers Herbert Ehrenberg geworden. Er fordert sei Jahr und Tag den Verkauf der Goldreserven für fragwürdige kurzfristige Strohfeuer wie Arbeitsbeschaffungsprogramme. Das kommt für uns nicht in Frage.
({18})
- Gut.
Die in langen Jahren erwirtschafteten Goldreserven werden nicht vergeudet. Sie bleiben jedem kurzfristigen Zugriff dauerhaft entzogen.
({19})
Die Anpassung der Rechnungslegung und Bewertung bedeutet: Das Grundkapital der Bundesbank von 290 Millionen DM ist angemessen zu erhöhen. Die gesetzliche Rücklage ist analog der für die Europäische Zentralbank geltenden Regelung auf 100 Prozent des Grundkapitals anzupassen. In weiteren Gesprächen mit der Bundesbank werden wir Schritt für Schritt auch die Bewertung der anderen Reservepositionen entsprechend den EWI-Grundsätzen vorsehen. Andere Länder haben das schon getan.
Ich habe zu keinem Zeitpunkt einen Zusammenhang zwischen der Bewertungsfrage und der Lösung der aktuellen Aufgaben beim Bundeshaushalt hergestellt.
({20})
- Sie können lachen, aber es war so. Das mag Ihre Unterstellung sein, und das hat vielfach fälschlicherweise Eingang in die Berichterstattung gefunden.
({21})
Wahr aber ist: Wir waren von Anfang an entschlossen, jede Mark für den Erblastentilgungsfonds zu verwenden, zur Tilgung dessen, was in 50 Jahren Teilung an deutscher Erblast entstanden ist. Das war unsere Konzeption.
({22})
Jede zusätzliche Gewinnablieferung der Deutschen Bundesbank, egal zu welchem Zeitpunkt sie eingeht, steht ungeschmälert zur Schuldentilgung im Erblastentilgungsfonds zur Verfügung. Das entspricht den gesetzlichen Vorgaben.
Wenn zum Beispiel Frau Ministerpräsidentin Simonis jetzt behauptet, es sei spürbar, daß Waigel die Neubewertung nur wolle, um damit seine HaushaltsBundesminister Dr. Theodor Waigel
löcher zu stopfen, dann ist das falsch und scheinheilig zugleich.
({23})
Denn laut „Handelsblatt" vom 21. Mai 1997 ist die „Kämpferin für Haushaltswahrheit und -klarheit" gerade dabei, ihren erst vor drei Jahren angelegten und hoch gepriesenen Pensionsfonds aus dem Teilverkauf der Landesbank in den notwendigen Nachtragshaushalt als Deckungsmasse einzustellen. Meine Damen und Herren, von Ihnen habe ich diesbezüglich keine Belehrung notwendig.
({24})
Wir haben die Bundesbankgewinnablieferung schon vor vielen Jahren für die Haushaltsgestaltung weitgehend neutralisiert. Das war notwendig; denn vielfach hatte die Bundesbank keine Gewinne. Schon vor der Wiedervereinigung wurden alle Bundesbankgewinnablieferungen, die über 5, später dann über 7 Milliarden DM hinausgingen, zur unmittelbaren Schuldentilgung verwandt.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in bezug auf eiserne Ausgabendisziplin und die dauerhafte Readjustierung der Staatsfinanzen nichts vorzuwerfen: Seit 1990 fließen jährlich mehr als 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt in die neuen Länder. Seit 1990 haben wir im Zuge der Wiedervereinigung 450 Milliarden DM an Erblasten übernommen. Seit 1990 haben wir den Bundeshaushalt insgesamt um 125 Milliarden DM entlastet. Seit 1990 wurden Steuervergünstigungen in Höhe von fast 50 Milliarden DM abgebaut. Die Staatsquote sinkt: von 50,2 Prozent im Jahre 1996 auf 49,5 Prozent 1997 und 48,5 Prozent 1998.
1995 haben wir zum erstenmal nach 1953 die Staatsausgaben nominal gesenkt. Mit knapp 13 Prozent erreicht der Anteil der Bundesausgaben am BIP wieder den niedrigsten Stand seit Mitte der 50er Jahre und liegt damit zugleich auf dem Niveau von 1989. Das heißt, der Bund nimmt die Wirtschaftskraft unseres Landes trotz hoher Arbeitslosigkeit, trotz Wiedervereinigung nicht stärker in Anspruch als Ende der 80er Jahre.
Wenn dennoch in diesem Jahr und auch 1998 erhebliche Anstrengungen zur Begrenzung der Kreditaufnahme erforderlich sind, hat das neben den unverändert hohen Transfers in die neuen Bundesländer und neben den hohen Kosten der Arbeitslosigkeit vor allem einen Grund: Der Bund hat in den letzten acht Jahren in einem nie gekannten Ausmaß Steuereinnahmen verloren. Das ist der Grund dafür, daß die Steuerstruktur durch eine Steuerreform so früh wie möglich verbessert werden muß. Ich lade Sie ein, dabei endlich mitzuwirken.
({25})
1989 betrug der Anteil der Steuereinnahmen des Bundes am Bruttoinlandsprodukt noch 11,1 Prozent. 1997 beläuft sich der entsprechende Anteil nur noch auf 9,6 Prozent. Dieser relative Rückgang der Steuereinnahmen bedeutet für den Bund 1997 einen Einnahmeverlust von rund 55 Milliarden DM.
Wir können diese Entwicklungen nicht ignorieren. Deshalb setzen wir unsere Politik strikter Ausgabendisziplin und dauerhafter Haushaltskonsolidierung fort. Bei der Umsetzung des Haushalts 1997 und beim Regierungsentwurf für den Haushalt 1998 werden wir alles unternehmen, um die hohen Steuerausfälle und die Kosten der Arbeitslosigkeit zumindest ein Stück aufzufangen.
Bei allen Ausgaben über 1 Million DM und bei neuen Verpflichtungen behalte ich mir die Zustimmung vor. Darüber hinaus werden wir zusätzlich die Privatisierungsanstrengungen verstärken. Das ist ordnungspolitisch richtig und bringt weitere Entlastungen für den Haushalt.
({26})
In diesen Bereich fällt auch die Telekom. Die erfreuliche Geschäftsentwicklung rechtfertigt es, den Bundesanteil schneller als geplant zurückzuführen. Dabei werden wir die Rahmenbedingungen einhalten und die Interessen der Aktionäre, insbesondere der kleineren Anleger, berücksichtigen. Alle Schritte zur Vorbereitung einer weiteren Telekom-Privatisierung werden wir in vollständiger Übereinstimmung mit dem Vorstand vollziehen.
Nach dem erfolgreichen Verkauf der Deutschbau muß jetzt auch der Verkauf der Postbank kommen. Weitere Projekte - Autobahn Tank & Rast AG, Flughafenbeteiligungen und andere - folgen. Auch im Liegenschaftsbereich, beispielsweise bei den Bundeswohnungen, sollen die Verkaufsanstrengungen noch einmal erweitert werden.
({27})
- Werfen Sie doch einmal einen Blick in Ihre Länder, auf Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Dort wird ebenfalls privatisiert. Was Sie selber in den Ländern tun, können Sie doch dem Bund nicht vorhalten.
({28})
Die Bundesregierung wird den Kurs einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik unbeirrt fortsetzen.
({29})
Wir werden die Maastricht-Kriterien zur Preis- und Wechselkursstabilität sowie zur Haushaltsdisziplin einhalten.
Es gibt insbesondere bei den Zinsausgaben und im Bereich der Sozialversicherungsträger entlastende Faktoren. Wir werden mit zusätzlichen Anstrengungen alles daran setzen, das Defizitkriterium von 3 Prozent zu erreichen.
Die Europäische Währungsunion ist die notwendige internationale Ergänzung unserer auf Wachstum und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgerichteten Finanzpolitik. In Europa werden wir deshalb auf dem strikten, in Maastricht vereinbarten Stabilitätskurs beharren. Eine Weichwährung in Europa mit dem Euro kommt für uns nicht in Betracht.
({30})
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde in Dublin und Nordwijk verbindlich vereinbart.
Wir setzen auf eine soziale Marktwirtschaft in Deutschland und auf ein prosperierendes Europa im Zeichen einer sich neu ordnenden Weltwirtschaft. Wir setzen auf Frieden, Freiheit und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland und Europa. Dafür werde ich mich auch künftig einsetzen.
Ich danke Ihnen.
({31})
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Abgeordneter Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war die Regierungserklärung eines Mannes, der mit seiner Politik und seinem Latein völlig am Ende ist.
({0})
Wenn sogar durchaus akzeptable Ziele zu Beschwörungsformeln verkommen, wenn der Bundesfinanzminister in einer besonders ernsten Situation nichts zum Haushalt 1997 und nichts zum Haushalt 1998 sagt,
({1})
wenn er nichts zur Schließung der Lücken in diesen Haushalten und nichts zu seiner Politik sagt, sondern nur Beschwörungsformeln, Beschimpfungen der Opposition und Ausflüchte bietet,
({2})
dann gibt es keinen nachdrücklicheren Beweis als diesen dafür, daß diese Politik am Ende ist und Sie, Herr Waigel, aus dem Amt müssen.
({3})
Ihre Finanzpolitik ist unseriös und hektisch. Der Schaden für die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und Investoren, auf den Märkten sowie für die Position Deutschlands in Europa ist erheblich. Die Folgen sind bei der Arbeitslosigkeit und der Steuerpolitik offenkundig. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Diese Regierung ist zu einer schweren Belastung Deutschlands geworden.
({4})
Man kann nicht hinnehmen, daß hier im Deutschen Bundestag erneut der Versuch der Täuschung unternommen wird. Der Bundeskanzler hat sich ja angewöhnt, häufig europäische Regierungschefs zu zitieren - wohl wissend, daß diese weder hier in Debatten eingreifen noch sich aus Gründen der Höflichkeit öffentlich wehren können.
Nie zuvor aber hat ein Bundesfinanzminister es fertiggebracht, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank und diese Institution heute morgen schon zur zweiten Erklärung über die Presse zu veranlassen, was wirklich Inhalt des Gesprächs zwischen Herrn Waigel und Herrn Tietmeyer war. Sie haben gestern den Eindruck erweckt - dafür machen Sie jetzt Journalisten, die Opposition oder andere verantwortlich -, es gäbe eine Einigung mit der Bundesbank. Tatsächlich haben Sie das Volk und das Parlament wieder zu täuschen versucht.
({5})
Wenn Sie wenigstens die Kraft hätten, über Ihre Absichten aufzuklären - zum Beispiel darüber, daß Sie für die Jahre 1997, 1998 und 1999 von der Bundesbank zusätzlich Leistungen in einer Größenordnung von insgesamt 30 bis 35 Milliarden DM erwarten! Niemals zuvor - bei allem, was man sonst kritisch über die Bundesbank sagen kann und wohl auch sagen muß - hat es eine so hektische, aufgeregte und für die internationale Glaubwürdigkeit und die Seriosität der deutschen Finanzpolitik desavouierende Aktivität wie in den letzten Tagen gegeben.
({6})
Man muß sich das einmal vor Augen halten: Vor vier Tagen hat der Zentralbankrat eine Stellungnahme zu einem Vorhaben abgegeben, das Sie ebenfalls vor vier Tagen begründet haben, indem Sie erklärten, daß es verantwortbar sei - ich zitiere die Erklärung der Herren Kohl, Waigel, Gerhardt, Schäuble, Sohns und Glos -, die Neubewertung schon jetzt durchzuführen und mit der vorgesehenen Zuführung der dadurch freiwerdenden Finanzmittel an den Erblastentilgungsfonds bereits 1997 zu beginnen.
Entschuldigung, aber wenn innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen die gesamte Linie einer Finanzpolitik scheitert und das Scheitern erneut offenkundig wird, dann ist zu fragen: Worauf soll man sich bei dieser Regierung eigentlich verlassen, und wie sollen sich Investoren und Wirtschaft auf Ihre Politik noch verlassen können?
({7})
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", hat Erich Kästner gesagt. Nur, was Sie tun, Herr Bundesfinanzminister, und was Sie zulassen, Herr Bundeskanzler, ist unverantwortlich gegenüber dem deutschen Volk angesichts seiner wirtschaftlichen Lage und der Arbeitslosigkeit.
({8})
Was Sie uns hier liefern, ist eine zwar wichtige, aber leider nur eine Etappe in einer Entwicklung, die schon seit längerem anhält. In der „Bild" -Zeitung vom 26. Mai ist zu lesen:
({9})
Rexrodt: Waigel treibt falsches Spiel ... Der Finanzminister wolle ,von eigenen Versäumnissen ablenken'. Waigel habe immer wieder auf eine günstigere Einschätzung der Konjunktur gedrungen, ,um ein höheres Steueraufkommen in die Haushaltsrechnungen einstellen zu können'.
Das heißt, das Mitglied des Verfassungsorganes Bundesregierung, der Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, wirft dem Mitglied desselben Verfassungsorganes, nämlich dem Bundesfinanzminister Waigel, vor, daran mitgewirkt zu haben, den Deutschen Bundestag mit gefälschten Zahlen zu bedienen. Auch deshalb müssen Sie aus dem Amt!
({10})
Wie sollen denn Verläßlichkeit und Klarheit bei einer Politik entstehen, die seit Jahren immer wieder ankündigt, sie wolle die Steuerbelastung senken, sie wolle den Staatsanteil zurückführen, sie wolle die Arbeitslosigkeit bekämpfen usw. usw.? Alles schöne Ziele. Aber was tun Sie wirklich? Im Zusammenhang mit Ihrer Steuerpolitik beispielsweise muß ich Sie leider darauf aufmerksam machen, daß Sie immer wieder davon gesprochen haben, die Steuern sollten sinken. Tatsächlich aber haben Sie nichts anderes getan, als die Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger systematisch, Schritt für Schritt, immer stärker zu erhöhen.
Vor 1990 wurde die Mehrwertsteuer erhöht, und Sie haben 8 Milliarden DM mehr eingenommen, wurde die Kraftfahrzeugsteuer erhöht: 500 Millionen DM, die Versicherungsteuer erhöht: 1,2 Milliarden DM, die Mineralölsteuer um mehrere Milliarden DM erhöht, die Tabaksteuer erhöht usw. usw. Seit 1991 haben Sie dann den Solidaritätszuschlag erhoben, abgeschafft und wieder erhoben, die Mineralölsteuer erneut um rund 14 Milliarden DM erhöht, die Versicherungsteuer wieder um 2 Milliarden DM erhöht, die Tabaksteuer und die Kraftfahrzeugsteuer erneut erhöht, die Umsatzsteuer um rund 12 Milliarden DM erhöht, die Zinsabschlagsteuer und die Versicherungsteuer erneut erhöht, dann noch einmal die Mineralölsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer erhöht, die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlages beschlossen, die Verdoppelung des Vermögensteuersatzes beschlossen, dann die Vermögensteuer abgeschafft usw. usw.
Ihre Finanzpolitik ist ein Ausweis für Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit ohne jede Glaubwürdigkeit, ohne jedes Zielbewußtsein und ohne jede Verläßlichkeit. Ein solcher Finanzminister ist eine schwere Belastung, und der Bundeskanzler, der das zuläßt, ist Gefangener seiner Koalition und handelt nicht mehr - gemäß seiner Verpflichtung - zum Wohle des deutschen Volkes.
({11})
Es ist ja nicht so, daß nicht auch innerhalb Ihrer Koalition Klarheit über diese Entwicklung bestünde. Da sagt doch der frühere Bundeswirtschaftsminister und jetzige F.D.P.-Ehrenvorsitzende, Otto Graf Lambsdorff, in einem Interview am 18. Mai 1997, in diesem Fall mit „Bild am Sonntag":
Schon bei der zweiten und dritten Lesung des Haushalts im September 1996 war klar, daß die zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit vorgesehenen Mittel nicht ausreichen können. Insofern war der Haushalt nicht solide.
Das sagt ein Mitglied der Koalition, nachdem dieselbe Koalition den Realismus der SPD-Bundestagsfraktion und ihrer Finanz- und Haushaltspolitiker als Panikmache und unseriöses Geschwätz gegeißelt hat. Nichts bestätigt deutlicher den Vorwurf, den ich erhebe: Sie haben bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes 1997 das Parlament getäuscht, und Sie wußten, daß Sie das Parlament täuschen.
({12})
Was haben wir jetzt? Was machen Sie denn mit den Goldreserven? Ich habe nichts darüber gehört. Ich habe zwar gelesen, daß Sie noch vor wenigen Tagen gesagt haben, natürlich müsse es zu einer Neubewertung kommen, natürlich müsse die 1997 finanzwirksam werden. Aber jetzt haben Sie kein einziges Wort darüber gesagt - nicht ein einziges Wort!
({13})
Vermutlich steckt dahinter, daß Sie auf eine Neubewertung der Goldreserven verzichten, und zwar nicht nur für das Jahr 1997, weil Sie fürchten müssen, daß die dafür notwendige Änderung des Bundesbankgesetzes in dieser Koalition so umstritten sein wird, daß Sie erneut an den Rand Ihrer Existenzfähigkeit geraten werden, nachdem Sie den Rand Ihrer Politikfähigkeit schon lange überschritten haben.
({14})
Was soll dann 1998 kommen? Offenbar ist das ja in der Koalition auch noch - nicht nur mit Blick auf 1998, sondern auch auf 1997 - heftig umstritten. Da meldet sich wieder Graf Lambsdorff zu Wort - in diesem Fall am 21. April 1997 in der „Lausitzer Rundschau" - mit dem Hinweis, daß die Festlegungen von Herrn Waigel ökonomisch unsinnig seien.
({15})
Die F.D.P. selbst plädiert jetzt - jetzt! - für die Möglichkeit einer höheren Verschuldung im Bundeshaushalt, nachdem sie fast auf den Tag genau vor einem Jahr, nämlich am 20. Mai 1996, an den BundesfinanzRudolf Scharping
minister appelliert hat, alles nur Mögliche zu tun, aber keine höhere Neuverschuldung vorzusehen. Überschrift in der FAZ: „Die F.D.P. lehnt eine höhere Neuverschuldung ab" .
({16})
Ich könnte das noch im einzelnen vorlesen; ich verzichte darauf mit Blick auf die Zeit.
Aber was sollen wir von der Verläßlichkeit, der Geradlinigkeit, der Glaubwürdigkeit einer Politik halten, deren Vertreter den SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine beschimpfen, weil er sagt, man müsse strukturelle Defizite abbauen, um konjunkturelle überhaupt noch beherrschen zu können, deren Vertreter selbst jede höhere Neuverschuldung noch vor einem Jahr ablehnten und sie jetzt ins Visier nehmen, um sich vor der Wahrheit zu drücken, die ihnen immer unangenehmer wird?
({17})
Der Bundesfinanzminister hat dem Deutschen Bundestag noch vor zwei Jahren, im September 1995, gesagt:
Sparen, weniger Neuverschuldung, sinkende Steuer- und Abgabenlast - das ist der richtige Weg ... Die Bürger honorieren unsere Finanzpolitik ... Die Opposition kann gar nichts Besseres tun, als diesen Kurs mitzutragen.
({18})
Moderne Finanzpolitik, made in Germany, ist ein international anerkanntes Gütezeichen, das wir auch in Zukunft pflegen wollen.
Es zeichnet Sie aus, Herr Kollege Waigel, daß Sie diese Sätze nicht mehr sagen.
({19})
Das ist ein - freilich indirektes - Eingeständnis, daß Sie die Realität zur Kenntnis nehmen. Aber ich muß Ihnen sagen: Wer vor anderthalb Jahren mit solch einem pompösen Gedröhne vor den Deutschen Bundestag getreten ist
({20})
und heute einräumen muß, daß er nicht mehr weiter weiß und keines seiner Ziele in der Politik verwirklichen kann, der sollte sein Amt aufgeben, schon um den letzten Rest seiner eigenen Reputation zu retten.
({21})
Ist es nicht so, daß Sie auch bei den Haushaltsberatungen 1996 ähnlich starke Worte gefunden haben?
Mit unserer mittelfristigen Konzeption der Finanz- und Steuerpolitik, dem Jahressteuergesetz 1997, dem Haushalt 1997 und dem Finanzplan verfolgen wir die richtige Strategie. Wir bestätigen das Vertrauen in die stabilitätsorientierte deutsche Finanzpolitik.
Schauen Sie, ich habe einen ganzen Stoß Zeitungen mit allerlei Zitaten mitgebracht.
({22})
- Ich will Ihnen einmal eines sagen: Sie haben sich doch immer des internationalen Ansehens Deutschlands, des Vertrauens, das die Finanzmärkte ihm entgegenbringen, gerühmt.
({23})
Sie haben das im Deutschen Bundestag belegt, indem Sie allerlei Stimmen angeführt haben. Wenn ich jetzt die Folgen Ihrer Politik an Hand von Stimmen der internationalen Finanzmärkte belegen will, dann ist es Ihnen plötzlich peinlich. Entweder Sie rufen die Zeugen immer und in gleicher Weise an, oder Sie setzen sich dem Verdacht aus, immer nur diejenigen Stimmen zu zitieren, die Ihnen gerade in den Kram passen, oder Sie beschimpfen wahlweise jeden anderen und sagen, daß er für das Scheitern Ihrer Politik verantwortlich ist. Diese Art von Schuldzuweisung geht nicht mehr.
({24})
Ich habe hier Zitate aus „Le Figaro", „El Pais", „Le Monde" und aus vielen anderen Blättern. Wenn ich das alles vorlesen wollte, Frau Präsidentin, dann müßte ich eine Verlängerung meiner Redezeit beantragen, und ich müßte Sie herzlich bitten, dafür Verständnis zu haben; denn dann könnte man einen eigenen Gedankengang kaum noch deutlich machen.
Meine Damen und Herren, Sie haben auf eine ganz unverantwortliche Weise in den letzten Tagen das Vertrauen der Märkte, die Unabhängigkeit der Bundesbank und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands beschädigt. Das, was Sie tun, hat mit Politik, mit Gestaltung von Zukunft, mit der Lösung von Aufgaben und mit der Beantwortung von Herausforderungen nichts mehr zu tun. Die politische Substanz Ihrer Koalition ist vollständig verbraucht. Das einzige, was sie zusammenhält, ist der Versuch, noch den Wahltermin zu erreichen.
({25})
Deshalb sage ich hier im Deutschen Bundestag: Herr Bundeskanzler, es wäre ein Akt der Souveränität und eine Befreiung für alle Beteiligten, wenn Sie den Mut hätten, Neuwahlen herbeizuführen.
({26})
Statt dessen - so fürchte ich - wird die Koalition versuchen, sich über die Runden zu retten, und zwar um den Preis, daß es den Deutschen noch schwerer fällt, mit der Zukunft vernünftig umzugehen. Statt dessen
werden Sie vermutlich den Versuch unternehmen, mit der Bundesbank die Neubewertung der Devisenreserven, die im übrigen jedes Jahr vorgenommen werden muß, und zwar ohne Gesetzesänderung, einvernehmlich vorzunehmen.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Abgeordneten der Koalition: Wie weit ist es eigentlich noch mit Ihrer Selbstachtung her?
({27})
Wie weit ist es mit Ihrer Selbstachtung her, daß Sie sich gestern in einer Sitzung vom Bundesfinanzminister mit einem Eindruck bedienen ließen, den er heute - unter dem Druck einer Erklärung des Präsidenten der Bundesbank in Interlaken von gestern abend - gegenüber der deutschen Öffentlichkeit und Ihnen gegenüber korrigieren muß?
({28}) Wie weit ist es mit Ihrer Selbstachtung her,
({29})
daß sich die unübersehbar große Zahl von betretenen Gesichtern angesichts der Erklärung des Bundesfinanzministers am Ende nur noch dann zu entspannen vermag, wenn es um ein paar polemische Kleinigkeiten gegen die Opposition geht?
({30})
Wie weit ist es mit Ihrer Selbstachtung her, daß Sie an dieser Koalition festhalten, obwohl Sie selbst, insbesondere Sie in den Reihen der Union, ganz genau wissen, daß die Strategie des Bundeskanzlers um den Preis einer zunehmend schwächeren Union sich den Koalitionspartner zu erhalten und ihn über 5 Prozent zu heben, zu Ende gekommen ist, oder in Kauf nehmen - das wäre ja wünschenswert -, daß nach der nächsten Bundestagswahl, wann immer sie stattfinden wird, hier 30, 40 Unionsabgeordnete weniger sitzen werden?
({31})
Ich frage auch Sie, Herr Bundeskanzler: Wie lange wollen Sie noch zusehen, daß der Charakter der Union als Volkspartei unter der schamlosen Klientelpolitik leidet, die Sie mitverantworten müssen?
({32})
Wie lange wollen Sie noch zusehen, daß die Seriosität der Finanz- und Wirtschaftspolitik zum Schaden unseres ganzen Landes immer weiter gemindert wird? Wie lange wollen Sie noch zusehen, daß der Bundesfinanzminister Sie und die Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion in immer neue Verlegenheiten stürzt, weil er den Mut - und wohl auch die Kraft - zu einer klaren Bilanz und zu einer wahrhaftigen Politik nicht mehr hat? Wie lange wollen Sie noch zuschauen, daß in Deutschland von Haushalt zu Haushalt immer neue Zahlen, immer neue trickreiche Manöver, immer neue Fälschungsaktionen und immer neue „kreative Buchführung" versucht wird, anstatt
die Finanz- und Wirtschaftspolitik endlich auf einen soliden und seriösen Kurs zu bringen?
({33})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich von der internationalen Dimension dieses Handelns rede, dann muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Herr Bundeskanzler höchstpersönlich - deshalb richte ich meine Fragen an ihn - in einem in Grenzen vergleichbaren Fall, bei der Frage der Behandlung der Goldreserven des Internationalen Währungsfonds, während der damaligen Tagung in Lyon eine ganz und gar fundamental andere Position vertreten hat, als Sie das am 30. Mai in der „FAZ", in dieser zitierten Erklärung, für die deutsche Situation bekanntgegeben haben.
Herr Bundeskanzler, Sie ruinieren das Ansehen einer Politik, die auf manchen Feldern auch Gutes für Deutschland bewirkt hat, wenn ich an die Einheit denke;
({34})
Sie ruinieren das Ansehen Ihrer Politik, soweit es noch vorhanden ist, endgültig, wenn Sie in internationalen Gremien eine andere politische Linie verfolgen als zu Hause und wenn Sie internationale Gremien als Entschuldigung dafür heranziehen, daß Sie zu Hause diese oder jene Politik machen müssen. Beides ist schädlich, beides ist unverantwortlich.
({35})
Was machen Sie mit Blick auf 1997? Wir haben, wie schon in der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Mai, überhaupt nichts dazu gehört, was mit dem Haushalt 1997 wirklich geschieht und ob das, was Sie in vagen Andeutungen verkünden, geeignet ist, um die eklatant großen Löcher im Haushalt zu stopfen. Wir haben nichts darüber gehört, längs welcher ordnungspolitischen Linie Sie den Haushalt 1998 angehen wollen. Ich räume ein, daß man sich innerhalb einer so gearteten Koalition noch ein bißchen streiten und unterhalten muß über die Frage: Macht man das auf diesem oder jenem Weg, mit dieser oder jener Einzelheit? Aber daß der Bundesfinanzminister unfähig ist, dem Deutschen Bundestag heute wenigstens eine ordnungspolitisch klare Linie zu vermitteln, das kennzeichnet erneut: Sie sind fehl am Platze; Sie müssen das Amt verlassen.
({36})
Es ist unverantwortlich: Sie haben zunächst den nach deutschem Recht verbotenen - und vermutlich ja auch gescheiterten - Versuch der Nachbilanzierung für 1997 unternommen. Dann haben Sie hier gesagt, Sie wollten privatisieren. Entschuldigung, Sie wollen im Bereich des Wohnungsbaus und der Grundstücke privatisieren, das heißt in einem Markt, dessen Schwächen sowieso auf der Hand liegen. Sie wollen möglicherweise im Bereich der Telekom priRudolf Scharping
vatisieren. Sie sagen kein Wort über Prospekthaftung.
(
Doch, hat er gesagt!)
Sie sagen kein Wort über das Vertrauen der internationalen Anleger. Sie sagen nichts darüber, mit welchen Abschlägen das möglicherweise verbunden ist.
({0})
Und schon gar nichts sagen Sie über den Charakter des Notverkaufs in Form einer einmaligen Operation zur Deckung struktureller Defizite. Jeder Handwerker, jeder Mittelständler, jeder deutsche Unternehmensvorstand würde seine Finanzverantwortlichen rausschmeißen, wenn sie mit einmaligen Erlösen laufende Ausgaben finanzieren wollten. Das ist eine unseriöse, eine unverantwortliche Politik!
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verantwortung für die Finanzpolitik liegt - deswegen hat er ja in der. Verfassung eine besonders starke Stellung - beim Bundesfinanzminister. Die Verantwortung für die Gesamtpolitik liegt beim Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Diese Verantwortung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland kann in keiner Weise hinter der Unfähigkeit des Bundesfinanzministers versteckt werden.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Herbst 1996 verhindert, daß der Deutsche Bundestag die Voraussetzungen für verfassungskonforme Haushalte schaffen konnte. Sie haben mit Ihrer Stimme dafür gesorgt, daß die Feststellung nach Art. 115 des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag nicht getroffen wurde. Sie haben mit Ihrer Politik, in deren Zentrum der Zusammenhalt der Koalition, nicht aber die Lösung der drängenden Gegenwartsaufgaben, nicht aber die Lösung der Zukunftsaufgaben unseres Landes steht, dafür gesorgt, daß wie nie zuvor eine hohe Steuerbelastung, wachsende Arbeitslosigkeit, wachsende Defizite und wachsendes Mißtrauen gegenüber Ihrer Politik und leider auch gegenüber der Politik insgesamt entstanden sind.
Herr Bundeskanzler, ich fordere Sie auf: Machen Sie den Weg frei für eine neue Entscheidung! Ich fordere Sie auf: Entlassen Sie den Bundesfinanzminister als ein erstes Signal dafür, daß in Deutschland jetzt endlich eine solide, berechenbare und zukunftsfähige Politik gemacht wird!
({2})
Es spricht jetzt der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir,
Herr Kollege Scharping, während Ihrer Rede überlegt, was eigentlich an Ihrem Beitrag unser Land voranbringt.
({0})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen. Falls Sie irgendein Element der Spannung damit verbinden: Wir werden Ihren Antrag ablehnen,
({1})
und wir werden den Bundeskanzler bitten, den Bundesfinanzminister in seiner erfolgreichen Finanzpolitik weiterhin zu unterstützen.
({2})
- Wir haben Sie ungestört reden lassen; jetzt halten Sie wenigstens fünf Minuten den Lärmpegel einmal so niedrig, daß man hier auch reden kann.
Wenn Sie die Unabhängigkeit der Bundesbank verteidigen und wenn man dann noch Ihren Parteivorsitzenden auf der Bundesratsbank sitzen sieht, dann muß ich an Schumpeter denken. Der hat Wurstvorrat und Hund miteinander in Beziehung gebracht. Die Sozialdemokraten zum Hüter der Unabhängigkeit der Bundesbank zu machen, das wäre wirklich so, wie einen Hund zum Wächter über einen Wurstvorrat einzusetzen. Das hat nun wirklich keinen Sinn.
({3})
- Herr Fischer, wir sind immer ganz froh, wenn Sie morgens aufwachen und die Zeitungslektüre einstellen.
({4})
Wir haben am Freitag vor Pfingsten über die Ergebnisse der neuen Steuerschätzung und über die Probleme, die unser Land hat, miteinander gesprochen. Wenn wir die Debatte fortsetzen, dann sollten wir uns den Problemen unseres Landes zuwenden und nicht solche Mätzchen machen, wie wir es jetzt 20 Minuten lang erlebt haben.
({5})
Deswegen sage ich: Der Bundesfinanzminister hat in seiner Regierungserklärung, für die ich ihm danke und die ich unterstütze, sehr klar dargelegt - wir haben auch am Freitag vor Pfingsten darüber gesprochen -, daß wir in unserem Lande natürlich ein Problem haben.
({6})
- Aber ja; das weiß doch jeder. Es wäre viel gescheiter, wir konzentrierten unsere Debatte darauf, was wir tun können, um das Problem zu lösen.
Wir haben eine gesamtwirtschaftlich ordentliche Entwicklung mit einem realen Wachstum von 2,5 Prozent. Wir haben dennoch einen starken Rückgang der Steuereinnahmen, obwohl wir ein Steuersystem - das hat Theo Waigel in seiner Regierungserklärung gesagt - mit gleichbleibenden Sätzen haben; wir haben ja keine Senkungen vorgenommen. - Im übrigen, Herr Scharping: Sie haben heute beklagt, es würden die Steuern erhöht. Bisher haben Sie aber Steuersenkungen abgelehnt. Was wollen Sie eigentlich?
Wir haben ein Steuersystem, das inzwischen wegen zu hoher Sätze im internationalen Vergleich dazu führt, daß der Gesichtspunkt der Steuervermeidung und Steuerverlagerung bei zu vielen wirtschaftlichen Entscheidungen vorrangig ist. Deswegen brauchen wir eine Steuerreform mit niedrigeren Sätzen für alle und weniger Ausnahmen, damit bei niedrigeren Sätzen die Steuereinnahmen wieder steigen. Das ist der Sinn unserer Reform. Sie sollten sie nicht länger blockieren.
({7})
Wir haben auch eine Verkrustung am Arbeitsmarkt, die - das ist das Schlimmste - trotz Wirtschaftswachstums zu einem Rückgang der Beschäftigtenzahlen und zu einer Zunahme der Arbeitslosenzahlen führt.
Wie schlimm das inzwischen bei den Sozialdemokraten ist, habe ich bei der Lektüre von Reden des Kollegen Dreßler - Frau Matthäus-Maier, auch Sie gehören dazu - gesehen. Bis vor kurzem ist uns noch vorgehalten worden - das kann man in den Protokollen der Debatten nachlesen -, daß andere Länder, etwa Amerika, Großbritannien, die Niederlande, eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt hätten, wir aber nicht. Wir haben dann gesagt: Laßt uns doch Konsequenzen daraus ziehen! Laßt uns doch prüfen: Was können wir übernehmen, damit wir bei einer wirtschaftlich vernünftigen Entwicklung mehr Arbeitsplätze bekommen?
Jetzt sind Sie in die Niederlande gefahren - das war schon herzzerreißend -, um festzustellen, daß das dort auch nicht das Wahre sei. Am besten sei es - nach dem, was Sie hinterher berichtet haben - immer noch in Deutschland. Ich sage Ihnen: In Deutschland ist es nicht gut genug. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze; wir brauchen mehr Beweglichkeit, mehr Flexibilität.
({8})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Matthäus-Maier?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß wir bei dieser Fahrt in die Niederlande positiv mitgenommen haben - das wissen wir alle daß die dort eine große Teilzeitinitiative gestartet haben, daß sie aber im Unterschied zu Ihnen ein 610-DM-Arbeitsverhältnis - das überhaupt nicht sozialversichert ist - gar nicht kennen und daß sie höchst erstaunt waren, daß hier millionenfach Arbeitnehmer in diesen Verhältnissen arbeiten, ohne abgesichert zu sein? Wollen Sie nicht endlich zugeben, daß es eine richtige Politik wäre, diese nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse abzuschaffen?
({0})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe Zeitungsberichte gelesen - ich habe sie auf meinem Platz liegen und könnte notfalls darum bitten, sie mir zu bringen, damit ich zitieren kann -, nach denen Ihr Kollege Dreßler gesagt hat: Wenn wir unsere 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse in die Statistik einrechnen würden, hätten wir so viele Teilzeitarbeitsplätze wie die Niederlande. Jetzt interpretieren Sie es andersherum.
({0})
Ich bin bereit, über die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu reden. Möglicherweise haben Sie eine andere Meinung als der Kollege Dreßler. Ich sage noch einmal: Mir und meiner Fraktion genügt die jetzige Lage am deutschen Arbeitsmarkt überhaupt nicht. Ich brauche nicht in die Niederlande zu fahren, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß wir uns mit der jetzigen Lage nicht zufriedengeben können. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, daß es besser wird. Das machen wir.
Jetzt kommen wir zum Problem.
({1})
- Herr Ministerpräsident Lafontaine, erstens sollten Sie von der Bundesratsbank aus keine Zwischenrufe machen.
({2})
Zweitens. Wenn Sie heute das Wort nehmen, bringen Sie bitte zunächst in Ordnung, daß Sie die Parlamentarier dieses Bundestags in einer unerträglichen Weise beleidigt haben.
({3})
Es war ein Kollege der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der gesagt hat, mit dem Stil dieser antiparlamentarischen Äußerung habe es am Ende der Weimarer Republik schon einmal angefangen. Dr. Wolfgang Schäuble
Das wollen wir in Deutschland nicht mehr einreißen lassen!
({4})
Sie können das nachher in Ordnung bringen.
({5})
- Wir wollen hoffen, daß er es nachher in Ordnung bringt. Weil er hier einen Zwischenruf gemacht hat, mußte ich das doch einmal sagen.
Wir haben seit Beginn des vergangenen Jahres, nach den Gesprächen der Bundesregierung mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, das Programm für Wachstum und Beschäftigung Schritt für Schritt umgesetzt. Es dauert länger, als wir uns gewünscht haben, bis wir manche Entscheidungen parlamentarisch zustande bringen, weil der Bundesrat vieles langsamer behandelt, gelegentlich auch blokkiert. Es dauert auch manches länger, bis es in der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit unseres Landes greift. Viele - auch im Arbeitgeberlager - haben im vergangenen Jahr die Hoffnung gehabt, daß es besser wird, wenn wir als Bundestag die Maßnahmen durchsetzen, die wir im Programm für Wachstum und Beschäftigung stehen haben: daß kleine Betriebe - Stichwort: Arbeitsförderungsgesetz - vom Arbeitsamt Lohnkostenzuschüsse bekommen können, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen, daß es mehr Flexibilität durch zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse gibt, daß der Gestaltungsspielraum von Tarifparteien durch die Begrenzung der gesetzlichen Regelung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erweitert wird.
Damals ist gesagt worden: Das rechtfertigt die Zuversicht, daß Hunderttausende zusätzlicher Arbeitsplätze entstehen. - Sie sind noch nicht entstanden, was jeder bedauert. Das zeigt, daß es länger dauert. Trotzdem ist dieser Weg richtig; er ist alternativlos. Wir müssen die Verkrustungen Schritt für Schritt auflösen.
({6})
Die Sozialpartner sind inzwischen viel weiter als die Sozialdemokraten.
({7})
Wenn man das sieht, was der DGB-Vorsitzende Schulte gesagt hat, dann muß man feststellen, daß die Sozialdemokraten die letzten sind, die blockieren.
({8})
Wir brauchen doch nur das Thema Rentenreform zu nehmen. Fällt Ihnen eigentlich nicht auf, daß vom DGB bis zum VdK alle sagen, daß nicht nur umfinanziert werden muß, sondern daß wir auch eine Strukturreform brauchen, die angesichts steigender Lebenserwartung dafür sorgt, daß die Ausgaben der Rentenversicherung nicht in dem bisherigen Tempo
steigen? Die einzigen, die sich dem Konsens verweigern, sind die Sozialdemokraten.
({9})
- Lassen Sie mich meine Ausführungen doch Schritt für Schritt vortragen.
Wir haben alles umgesetzt. Wir werden nächste Woche gegen den Einspruch des Bundesrates das Gesetz zur Krankenversicherungsreform verabschieden. Wir werden das Gesetz zur Rentenreform bis zum Ende des Jahres, wie wir es angekündigt haben, verabschieden. Dies würden wir lieber im Zusammenwirken mit der großen sozialdemokratischen Oppositionspartei tun, notfalls werden wir es aber auch unter ihrer Verweigerung und gegen einen Einspruch des Bundesrates tun.
Wir sind in der Steuerpolitik auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen. Es ist herzzerreißend: Seit zwei Jahren blockieren Sie die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Vor drei Wochen haben Sie ein sogenanntes Steuerreformkonzept vorgelegt, wobei Sie sich aber weigern, es in den Bundestag einzubringen. Dort sagen Sie, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden muß. Aber im Vermittlungsausschuß ist noch immer keine Einigung über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer erzielt worden, obwohl unser Gesetz seit langem verabschiedet ist.
Diese Woche kündigt Herr Voscherau einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer an. Den brauchen wir nicht. Wir brauchen nur die Aufgabe Ihrer Blockade, dann ist die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft.
({10})
Ich unterstütze nachdrücklich das, was der Bundesfinanzminister gesagt hat, nämlich daß die aktuelle Situation, die sich auch auf die Haushalte 1997 und 1998 auswirkt und schwierige Fragen aufwirft, die Notwendigkeit einer Strukturreform unseres Steuersystems noch dringlicher macht. Deswegen habe ich, Herr Ministerpräsident Lafontaine, unmittelbar nachdem Sie Ihre Steuervorschläge vorgestellt haben, bei aller Kritik im einzelnen gesagt: Wenn Sie wollen, daß wir zum 1. Januar 1998 mehr in Kraft setzen, dann geben Sie doch endlich die Blockade auf! Wir sind bereit, die Bemessungsgrundlage bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer soweit wie irgend möglich schon zum 1. Januar 1998 zu verbreitern und die Sätze bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer nachhaltig zu senken. Das geht aber nur, wenn der Bundesrat nicht länger blockiert. Wir sollten die Zeit nutzen; denn es hat keinen Sinn, die Sache erst im Oktober zu machen.
({11})
- Sie müssen die Blockade aufgeben.
({12})
- Herr Kollege Poß, das werden wir machen. Sie diskutieren im Finanzausschuß sogar darüber, ob Ihre angebliche Konzeption überhaupt zum Gegenstand einer Anhörung gemacht werden soll, weil Sie nämlich nicht bereit sind, sie in die Beratungen einzubringen. Ich kenne doch das Spiel. Deswegen habe ich doch gerade in bezug auf die Gewerbekapitalsteuer gesagt: Seit zwei Jahren blockieren Sie. Vor drei Wochen haben Sie gesagt, daß sie abgeschafft werden muß. Jetzt kündigt Herr Voscherau an, man werde einen Gesetzentwurf einbringen. Genau dies ist eine Politik der Verzögerung, die so nicht weitergehen kann, wenn es in unserem Land vorangehen soll.
({13})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, würden Sie bestätigen, daß der Deutsche Bundestag Ihr sogenanntes Steuerreformkonzept erst am 26. Juni in zweiter und dritter Lesung behandeln wird und daß der Bundesrat vorher nichts damit zu tun hat, so daß insoweit von einer Blockade überhaupt nicht gesprochen werden kann? Warum stellen Sie den Sachverhalt gegenüber der Öffentlichkeit falsch dar?
Herr Kollege Poß, wir sollten diese Kindereien wirklich lassen. Ich habe doch gerade das Beispiel der Gewerbekapitalsteuer angeführt. Seit zwei Jahren gibt es das Affentheater der Blockade durch die Bundesratsmehrheit.
({0})
Hinsichtlich der großen Steuerreform haben die Sozialdemokraten gesagt, das könnten wir uns doch alles abschminken. Herr Lafontaine wiederholt ständig: Es läuft alles nicht, wir werden es im Bundesrat blockieren. Angesichts dessen kann man doch. nicht sagen, vor dem 26. Juni brauche man darüber nicht zu reden; das ist doch dummes Zeug.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Jetzt möchte ich wieder einmal ein paar Sätze im Zusammenhang sagen.
({0})
- Bei manchen Ihrer Zwischenrufe hat man die Sorge, Sie hätten nicht ordentlich gefrühstückt.
Jetzt möchte ich zu den Problemen der Haushaltsjahre 1997 und 1998 ein paar Bemerkungen machen. Darüber haben wir schon am Freitag vor Pfingsten im Bundestag debattiert, und seitdem hat sich auch nicht viel geändert. Es wäre mir lieber, wenn die Debatte, die wir über Haushaltsprobleme, führen müssen, und die Entscheidungen, die wir treffen müssen, von Menschen, die notfalls auch populistische Ängste gegen die Europäische Währungsunion und die europäische Einigung schüren, nicht mit der Debatte um die Währungsunion verknüpft würden.
Deswegen habe ich am Freitag vor Pfingsten gesagt: Die Neubewertung der Reserven der Bundesbank ist ja völlig unumstritten. Das ist doch keine Erfindung von irgend jemandem in diesem Hause; das kommt vom Europäischen Währungsinstitut und ist beim Zentralbankrat in Frankfurt zu jedem Zeitpunkt unumstritten gewesen. Auch habe ich Ihnen schon Protokolle vorgelesen, aus denen hervorgeht, daß das schon vor Monaten im Haushaltsausschuß erörtert worden ist. Reden Sie doch den Menschen nicht etwas völlig Falsches ein! Die Frage der Neubewertung der Reserven der Zentralbanken aller Mitgliedsländer der künftigen Europäischen Währungsunion ist doch in Frankfurt, in Bonn und in Europa völlig unumstritten.
({1})
Im übrigen ist auch in der Stellungnahme des Zentralbankrates von Mittwoch vergangener Woche, über die sich ja nicht alle nur gefreut haben - ich gehöre zu denjenigen, die sich nicht über alle Einzelheiten dieser Stellungnahme nur gefreut haben; trotzdem nehmen wir sie ernst und respektieren sie -, klar gesagt worden, es sei richtig, die sich aus der Neubewertung der Reserven ergebenden Überschüsse der Bundesbank in den Erblastentilgungsfonds einzustellen. Auch dies ist völlig außer Streit mit der Bundesbank; lesen Sie doch die Stellungnahme des Zentralbankrates selber nach.
({2})
- Nein, nein; ich habe es ja ausgeführt.
Der einzige Punkt, über den die Meinungen unterschiedlich waren, ist die Frage, ob man damit, wie es die Bundesbank ursprünglich gesagt hatte, erst 1999 beginnt oder ob man damit, wie wir es für richtig und wünschenswert gehalten hätten, schon 1997 anfängt.
({3})
- Wie wir es für richtig und wünschenswert gehalten haben. Damit schon 1997 anzufangen, habe ich ja auch am Freitag vor Pfingsten gesagt.
Die Gespräche vor der Zentralbankratssitzung am vergangenen Mittwoch und seither - bis zu dem Gespräch, das der Bundesfinanzminister mit dem Bundesbankpräsidenten gestern geführt hat - haben offenbar ergeben, daß eine Bereitschaft besteht, mit der Neubewertung in der Jahresschlußbilanz 1997 zu beginnen, daß aber keine Bereitschaft besteht, die Überschüsse schon 1997 in den ErblastentilgungsDr. Wolfgang Schäuble
fonds einzustellen, sondern erst 1998. Weil ein Einvernehmen mit der Bundesbank ein hohes Gut ist, ist das doch ein guter Weg. Ich bin dem Bundesfinanzminister dankbar, daß wir auf diesem Weg gut vorangekommen sind.
Es ist im übrigen auch völlig klar, Herr Scharping, daß der Bundesbankpräsident im Anschluß an ein Gespräch mit dem Bundesfinanzminister natürlich sagen muß, das alles müsse auch noch einmal im Zentralbankrat erörtert werden. Das ist doch das Selbstverständlichste der Welt. Es besteht doch überhaupt kein Widerspruch zwischen dem, was der Bundesfinanzminister gestern gesagt hat, und dem, was er heute gesagt hat. Es ist wortwörtlich das gleiche. Ich bin doch in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion dabeigewesen. Die Lage ist schwierig genug; das ist wahr. Aber deswegen sollte man die Menschen nicht zusätzlich verwirren, indem man völlig falsche Tatsachen behauptet. Das bringt überhaupt nichts.
({4})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Bitte sehr.
Herr Wieczorek.
Herr Schäuble, ich darf Sie noch einmal fragen - ich hatte in der Debatte am Freitag der letzten Sitzungswoche schon einmal Gelegenheit dazu -: Sind Sie wirklich der Ansicht, daß das EWI eine Neubewertung fordert - da stimmen wir überein -, und auch der Meinung ist, diese Gewinne könnten ausgeschüttet werden? Ich zitiere:
Der EWI-Rat billigte 1996 die Rechnungslegung für die Finanzausweise des Europäischen Zentralbanksystems. Gemäß diesen Grundsätzen erfolgt die Bilanzierung zu Marktpreisen. Unrealisierte Gewinne aus Neubewertungen werden jedoch nicht erfolgswirksam vereinnahmt.
Würden Sie mir zustimmen, daß auch der von Herrn Waigel zitierte Präsident der niederländischen Zentralbank und künftige EWI-Präsident, Herr Duisenberg, in seiner Zentralbank selbstverständlich Neubewertungen vorgenommen hat, daß er aber ausdrücklich darauf hinweist, daß diese Neubewertungsgewinne nicht ausgeschüttet werden, und daß er diese Absicht der deutschen Bundesregierung außerordentlich kritisch beurteilt hat?
Herr Kollege Wieczorek, ich habe das schon vorhin gesagt und wiederhole das:
Erstens. Die Neubewertung der Reserven aller Zentralbanken, auch der Bundesbank, ist vom Europäischen Währungsinstitut angeregt.
(
Ja!)
Zweitens. Der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank - das habe ich gesagt - hat in seiner Stellungnahme vom vergangenen Mittwoch gesagt, daß es grundsätzlich richtig und angemessen erscheint, die sich aus der Neubewertung ergebenden höheren Beträge der Bundesbank mit dem Erblastentilgungsfonds zu verrechnen.
(
So ist es!)
Das habe ich gesagt; das können Sie doch nicht bestreiten. Die Stellungnahme des Zentralbankrates der Bundesbank ist Ihnen doch bekannt.
Drittens. Ich kann mir gut vorstellen, daß man im Zentralbankrat der Bundesbank ein größeres Verständnis für die Besonderheiten der Finanzprobleme im so lange geteilten und jetzt wiedervereinten Deutschland als in der niederländischen Zentralbank oder im Europäischen Währungsinstitut hat. Was den Erblastentilgungsfonds angeht, ist mir die Stellungnahme des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank wichtiger.
Im übrigen haben doch Sie fast Krokodilstränen vergossen und gesagt, man solle auf die Deutsche Bundesbank hören. Dann hören wir jetzt auch in diesem Punkt auf die Bundesbank, daß wir die Gewinne in den Erblastentilgungsfonds fließen lassen.
({0})
Ich will noch ein anderes Argument aufgreifen. Sie haben gesagt: Man kann nicht mit einmal wirksamen Maßnahmen laufende Ausgaben decken. Über die Haushaltsprobleme der Jahre 1997 und 1998 reden wir im übrigen besser dann, wenn wir den Entwurf des Haushaltsplans für 1998 kennen.
({1})
Als Sie regierten, haben wir die Bundeshaushalte erst dann verabschiedet, wenn das Haushaltsjahr schon zur Hälfte vorüber war. Seit Helmut Kohl Bundeskanzler ist, haben wir mit den Bundesfinanzministern Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel Jahr für Jahr den Entwurf des Haushaltsplans des nächsten Jahres schon im Juli aufgestellt und im September beraten.
({2})
- Frau Matthäus-Maier, Sie versuchen immer wieder, durch wahrheitswidrige Behauptungen Verwirrung in den Köpfen unserer Mitbürger zu stiften.
Die Steuereinnahmen müssen beim Aufstellen der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in der Höhe eingesetzt werden, wie sie durch das amtliche Verfahren der Steuerschätzung zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bundeshaushaltes festgestellt werden. Das ist doch nicht eine Verfügung der Bundesregierung. Es handelt sich um ein unabhängiges Gremium aus Vertretern von Bund, Ländern, Bundesbank, Sachverständigenrat und Forschungsinstituten.
Ich habe diesen Punkt eben schon angesprochen: Das Problem ist, daß sich die Steuereinnahmen ganz anders als das gesamtwirtschaftliche Wachstum entDr. Wolfgang Schäuble
wickeln. Die Schlußfolgerung daraus ist, daß wir durch eine Steuerreform dafür sorgen müssen, daß wir dieses Problem besser lösen. Wir haben ein Problem für die Jahre 1997 und 1998.
({3})
- Herr Kollege Scharping, ich will auf Ihren Einwand eingehen. Lassen Sie mich Ihre Argumente eins nach dem anderen behandeln! Sie haben doch gesagt, man dürfe nicht Lücken in den Haushalten 1997 und 1998 mit Maßnahmen wie denen der Privatisierung schließen, die nur einmal wirken. Das war doch ein Argument von Ihnen. - Gut, lassen Sie mich jetzt darauf antworten.
({4})
- Ja, das sage ich doch. Ich rede doch davon, daß wir zunächst die strukturellen Defizite beseitigen müssen. Diese Defizite ergeben sich daraus, daß wir eine zu schlechte Entwicklung am Arbeitsmarkt haben. Das gehört zur Abteilung „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, Deregulierung, mehr Flexibilität, auch bei den Tarifpartnern, bis zur Rentenreform". Deswegen sage ich ja: Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf!
({5})
Nur durch mehr Flexibilität, mehr Investitionen, mehr Bewegung am Arbeitsmarkt und die Steuerreform lösen wir das strukturelle Problem.
Dann bleibt trotzdem die Lücke für die Jahre 1997 und 1998. Weil wir aber eine Reform machen, die mittelfristig nachhaltig die strukturellen Probleme löst - durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, durch Maßnahmen im Bereich der Arbeitsförderung und im Kündigungsschutzbereich, durch die Reform unserer gesetzlichen Krankenversicheurng und die Rentenreform, durch eine Begrenzung des Anstiegs des Sozialversicherungsbeitrags -, ist es richtig, die verbleibende Lücke für die Jahre 1997 und 1998 auch durch nur einmal wirksame Maßnahmen wie Privatisierungen zu schließen.
Machten wir diese Reformen nicht, hätten Sie recht. Wir arbeiten aber an Reformen, und wir kämen dabei noch schneller voran, wenn Sie Ihre Blockade aufgäben. Mit einer strengen Haushaltsführung, wie der Bundesfinanzminister gesagt hat - das wird schmerzlich sein; ich höre Sie schon wieder schreien -, können wir unser Ziel erreichen.
Es ist wirklich herzzerreißend. Sie beklagen, daß wir im Bundeshaushalt Finanzierungsprobleme haben. Aber über 11 Milliarden DM an zusätzlichen Einsparungen für Bund, Länder und Gemeinden haben Sie durch Ihre Blockade im Bundesrat verhindert. Wenn Sie die Lücken verursachen, dürfen Sie sie hinterher nicht beklagen.
({6})
Man muß im übrigen auch einmal sagen: Wenn wir das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit einen Moment außer Betracht lassen, weil es quasi automatisch auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt reagiert, fahren wir den Bundeshaushalt seit 1994 Jahr für Jahr mit rückläufigen Ausgaben. Das heißt: Wir haben bei der Konsolidierung durchaus Erfolge. Wir müssen allerdings eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt zustande bringen; das ist das Entscheidende. Das geht nicht mit der Verweigerung, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern. Das geht nicht, wenn Sie verweigern, daß wir mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt bekommen. Das geht nicht, wenn Sie verweigern, daß wir uns auf moderne Technologien konzentrieren. Das Trauerspiel um den Transrapid ist doch typisch für die Art, wie die Sozialdemokraten verhindern, daß wir in unserem Land vorankommen.
({7})
Weil wir dies alles durchsetzen, werden wir vorankommen. Es ginge besser mit Ihrer Mitwirkung, aber es geht notfalls auch ohne sie. Es wird wirken. Wir haben eine gute wirtschaftliche Entwicklung und werden auch eine Trendwende am Arbeitsmarkt erreichen.
({8})
- Je weniger Sie blockieren, desto besser geht es voran.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig, daß wir auf Grund der Privatisierungserlöse und einer strengen Haushaltsführung die Haushaltsprobleme im Jahre 1997 bewältigen. Zur Vorbereitung der Aufstellung des Haushalts 1998 führen wir noch intensive Gespräche. Die Aufstellung des Haushalts durch die Bundesregierung wird im Juli erfolgen, im September werden wir ihn diskutieren. Sie werden sehen: Wir werden auch dabei daran festhalten, daß wir alle Voraussetzungen erfüllen, damit die Finanzpolitik weiterhin einen Beitrag leistet, um die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland positiv zu beeinflussen.
Ich sage es noch einmal: Wir werden alles daransetzen - und wir werden es erreichen -, daß wir in Deutschland die Voraussetzungen für den vertragsgemäßen Beginn der Europäischen Währungsunion erfüllen. Das Schlechteste wäre, wenn die Europäische Währungsunion nicht zustande käme, weil dann wieder die Blockierer und Modernisierungsverweigerer Erfolg hätten, und das darf nicht sein.
({9})
Wir sind in einer Situation ungeheuer schwieriger Veränderungen: durch die Globalisierung, die Veränderungen in unserer Arbeitswelt, technologische Revolutionen, durch den Übergang von der Industriegesellschaft in die Dienstleistungsgesellschaft. Wer glaubt, man könne alles beim alten belassen, verschläft die Zukunft.
Die Union wird auch weiterhin mit Helmut Kohl und Theo Waigel mit aller Tatkraft und Entschiedenheit dafür werben, daß unser Land seine Zukunftschancen nutzt.
({10})
Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Abgeordnete Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Dr. Schäuble, wir haben in dieser Legislaturperiode schon viele Reden von Ihnen gehört. Aber das, was Sie heute abgeliefert haben, war lediglich das bemühte Pflichtplädoyer eines Verteidigers in einem aussichtslosen Fall.
({0})
Im wesentlichen haben Sie dabei die Opposition beschimpft und zur Sache nichts gesagt. Was sollten Sie zur Sache auch sagen - in einer Situation, in der eine Koalitionsrunde ergebnis- und hoffnungslos die nächste jagt; in einer Situation, in der die Grundlage für den Haushalt 1997 weggebrochen ist; in einer Situation, in der der Haushalt 1998 ganz offensichtlich nicht mehr finanziert werden kann, wenn man die beiden Positionen der an der Koalition beteiligten Fraktionen zugrunde legt, nämlich der Steuersenkungspartei F.D.P. und der CDU/CSU.
In dieser Situation verkünden Sie hier: Na ja, wir hatten ein Gespräch mit der Bundesbank. Wir wollten die Goldreserven neu bewerten. Wir hätten es gerne gehabt, die daraus entstehenden Gewinne schon in 1997 auszuschütten. Was ist denn schon dabei? Nun haben wir unsere Meinung geändert. - In einer solchen Situation halten Sie eine Rede, in der Sie zur Zukunft dieses Landes nichts sagen. Daß Sie nichts dazu beizutragen haben, hat seine Ursachen in der Perspektivlosigkeit, in der Erschöpfung der Koalition unter Helmut Kohl.
({1})
Meine Damen und Herren, selbst wenn man in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sehr lange sucht, wird man nichts Vergleichbares zu dem finden, was wir in den letzten drei Wochen erlebt haben. Wir haben Ihnen vieles an Versagen zugetraut. Aber ich sage ganz ehrlich, Herr Bundeskanzler: Das hat meine Phantasie überstiegen. Es ist unfaßbar, daß eine konservative Regierung das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Bundesbank über Nacht zertrümmert hat.
Lesen Sie einmal die internationale Presse dazu! Sie müssen gar nicht auf die Opposition hören. Das können Sie abtun als das übliche Oppositionsritual. Lesen Sie einmal, was Ihnen nahestehende Finanzkreise - und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch international - von dieser Aktion tatsächlich halten! Diese konservative Regierung hat sich europaweit jahrelang als Schulmeister in Sachen Stabilität aufgeführt. Wir haben den obersten Schulmeister im Ohr, der sich hier selbst abgefeiert hat, der von „punktgenauer Erfüllung" sprach. Ich höre es noch: „3,00 sind 3,00". Nun bleibt nur die „00" übrig, wenn ich mir die Leistung dieses Finanzministers anschaue.
({2})
Die punktgenaue Erfüllung der Stabilitätskriterien von Maastricht, das war das Ceterum censeo dieser Regierung, dieses Finanzministers. Jetzt plötzlich geht das Licht an, und man erwischt ihn beim plumpesten aller Tricks, nämlich bei dem Versuch, über die Neubewertung und die Ausschüttung des Bundesbankgewinns 1997 aus seiner selbstgestellten Haushaltsfalle, aus seinem selbstverschuldeten Versagen zu entkommen. Ihnen gebührt, Herr Bundesfinanzminister, nicht das Gold der Bundesbank, wohl aber die Goldmedaille für kreative Buchführung im Kreise Ihrer Kollegen in der EU.
({3})
Bei dieser konservativen Regierung gefriert mir das oppositionelle Lachen.
(
Hm!)
- Da mögen Sie genießerisch knurren, Herr Bundeskanzler. - Wenn ich die Zeitungen, vor allem des europäischen Auslandes, richtig verstanden habe - Sie werden das auch gelesen haben; denn es handelte sich nicht um den „Spiegel" -,
({0})
dann muß ich zu meinem großen Bedauern sagen: Mit Ihrer Aktion - ich weiß, daß Sie den Euro wollen und mit Ihrer ganzen persönlichen Überzeugung hinter dem europäischen Integrationswerk stehen, aber das macht die Sache nur viel schlimmer - haben Sie etwas getan, was die Einführung des Euro massiv gefährdet. Das ist der eigentliche Grund für die Forderung nach Rücktritt dieses Bundesfinanzministers neben all den anderen, die hier noch anzusprechen sind.
({1})
Wenn man sich anschaut, was Sie in den letzten drei Wochen abgeliefert haben, und es bilanziert, dann kann man nur den Schluß ziehen: Der Scherbenhaufen, den eine tanzende Elefantenherde in einem Porzellanladen hinterläßt, ist geringer als der, den Sie angerichtet haben.
({2})
Dazu fällt mir nur noch folgende Überschrift ein: Avanti dilettanti! Diese Überschrift gilt ja bis zu den letzten Erklärungen. Selbst in den Erklärungen gestern abend und heute früh händeln Sie diese ganze Aktion in einer Art und Weise, die für sich genommen beispiellos ist und einen Dilettantismus in fast schon astronomischer Größenordnung darstellt. Die Konsequenz ist allerdings nicht nur ein Scheitern dieser Regierung und dieses Bundesfinanzministers, sondern die Konsequenz ist das Scheitern einer Stabilitätskultur, die über Jahrzehnte gewachsen ist.
Joseph Fischer ({3})
Natürlich kann der Gesetzgeber das Bundesbankgesetz mit einfacher Mehrheit ändern, nur hatte es doch historische Gründe, warum Dinge, die gemacht werden können, nicht gemacht wurden und warum man an der Unabhängigkeit der Bundesbank festhielt, obwohl eine einfachgesetzliche Änderung möglich gewesen wäre. Sie haben das Ganze nun mit einem Fußtritt über die Bordkante befördert; alles nur, um mit Ihrer maroden Koalition irgendwie aus der Falle, die Sie sich bezogen auf die punktgenaue Landung bei den Maastricht-Kriterien selbst gestellt haben, herauszukommen.
Meine Damen und Herren, wir sind jetzt am Ende einer Koalition, am Ende der Ära Kohl. Alles, was wir heute zu begutachten haben, begann 1990, wo Sie einerseits Ihre großartigste Leistung, die Herstellung der deutschen Einheit, vollbracht haben, es aber im selben Augenblick andererseits versäumt haben, die innere Einheit zur Lokomotive der Veränderung dieses Landes zu machen.
({4})
Es begann 1990 mit der Steuerlüge und damit, daß Sie den Menschen damals die Wahrheit nicht zumuten wollten, obwohl sie dazu bereit waren, den Gürtel enger zu schnallen. Wenn Sie die Lasten sozial gerecht verteilt hätten, die Schultern oben stärker belastet hätten, dann wären die unten auch bereit gewesen, das Ihre daran zu tragen. Doch so wie Sie es sich vorgestellt haben, Steuersenkungen vor der Wahl zu versprechen und hinterher die Steuern unter Inkaufnahme einer extremen sozialen Schieflage zu erhöhen, akzeptieren es die Menschen nicht. Ich sage: Zu Recht akzeptieren sie es nicht.
Wer ist denn dafür verantwortlich, daß, wie es der Kollege Schäuble in seiner Rede dargestellt hat, die Bundesrepublik Deutschland verkrustet ist, technologisch zurückgefallen ist und daß die Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr steigt? Nach unserer Verfassung ist nicht die Opposition dafür verantwortlich, sondern die Regierung. Die Regierung muß handeln. Sie, Herr Bundeskanzler, tragen dafür seit 14 Jahren die Verantwortung.
({5})
Nun schauen Sie sich einmal den Haushalt 1997 an. Der Haushalt 1997 ist faktisch gegen die Wand gefahren, ist Makulatur. Wir werden das in den kommenden Wochen erleben. 82 Prozent des Kreditvolumens sind ausgeschöpft. Sie sind am Ende Ihres Lateins. Nun könnte man ja auf unvorhergesehene Entwicklungen verweisen. Aber das Gegenteil war ja der Fall. Schon bei der Aufstellung des Haushaltes 1997 wußten Sie, Herr Bundesfinanzminister, doch ganz genau, daß Ihre Annahmen nicht stimmen. Die Opposition hat es Ihnen hier zu Protokoll gegeben. Sie wußten - damit waren Sie bösgläubig -, daß dieser Haushalt, wenn Sie ihn gemäß den Grundsätzen von Haushaltswahrheit und -klarheit aufstellen, verfassungsrechtlich nicht mehr zu halten ist. Das wußten Sie. Jetzt stehen Sie vor diesem Scherbenhaufen.
Als Sie gleichzeitig feststellen mußten, daß Ihre Landung bei 3,00 Prozent nicht funktioniert, wurden Sie vorn obersten Stabilitätskommissar zum Trickser bei den Euro-Kriterien. Beim Haushalt waren Sie es schon vorher. Dabei sind Sie - das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - der Vorsitzende der CSU, der letzte Vorsitzende der CSU übrigens, der sich, wie ich annehme, für die Überlebensinteressen der F.D.P. opfern wird.
({6})
Ich erspare es mir, Ihre Reden zu zitieren. Ich gebe allen Büttenrednern für die kommende Karnevalssaison die Empfehlung, Theo Waigels Haushaltsreden als wirklich buntes Zitatenschatzkästlein zu benutzen. Man lacht sich schlapp, was dieser Bundesfinanzminister verkündet hat, wenn man es mit der traurigen Realität, vor der wir heute stehen, vergleicht.
Die CSU hat ihrem Vorsitzenden auf dem Parteitag 1997 - ich glaube, der fand in Nürnberg statt - eine Entschließung mitgegeben. Darin heißt es in Punkt 6:
Methoden der „kreativen Buchführung"
- diese Anführungszeichen können Sie in Zukunft weglassen.
zur Einhaltung der Konvergenzkriterien lehnt die CSU strikt ab. Maßnahmen, die nicht zu einem nachhaltig wirksamen Abbau öffentlicher Defizite führen, dürfen bei der Beurteilung des erreichten Konvergenzstandes nicht berücksichtigt werden.
- Man höre und staune! In diesem Sinne müssen die ermittelten Daten der einzelnen Mitgliedstaaten um solche Maßnahmen bereinigt werden, die nicht zu einem nachhaltig wirksamen Abbau öffentlicher Defizite führen.
Also im Klartext: Selbst wenn Sie, Herr Parteivorsitzender, nach CSU-Beschlußlage mit Ihrer Aktion Erfolg gehabt hätten, hätten Sie den Bundesfinanzminister anhalten müssen, das wieder herauszustreichen.
({7})
Ihre Privatisierungserlöse und Einmalaktionen, das war doch das, was Sie immer gegeißelt haben. Ich wiederhole: Sie sitzen in einer doppelten, selbstgestellten Falle. Sie sitzen in der Falle, daß Sie beim Maastricht-Vertrag nachgesattelt haben, weil Sie unter dem Druck der CSU standen und Angst vor Edmund Stoiber und seiner antieuropäischen Kritik hatten.
Nirgendwo steht, daß die Neuverschuldung in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes 3,0 Prozent sein müssen und daß dies ein AusschlußJoseph Fischer ({8})
kriterium ist. Vor allem Sie waren es, der dies in die Welt gesetzt hat und in Europa drauf- und nachgesattelt hat. Jetzt erreichen Sie diese 3,0 Prozent nicht. Im Gegenteil: Der Maastricht-Vertrag sagt klipp und klar - wir haben Ihnen das immer vorgehalten und vorgeworfen -: Es geht um die Konvergenz, um die Nachhaltigkeit einer Konvergenz- und Stabilitätsentwicklung. Das Kriterium der Neuverschuldung in Höhe von 3 Prozent ist kein Ausschlußkriterium und bedeutet nicht 3,0 Prozent.
Sie, Herr Bundeskanzler, sollten endlich von diesem Irrsinn Abstand nehmen. Wenn Sie der Meinung sind, daß Ihnen dann Ihre konservativen Heerscharen in der eigenen Fraktion davonlaufen, dann sollten Sie dazu sagen, daß das Ihr Problem ist. Sie können doch nicht das ganze Projekt gegen die Wand fahren lassen, indem Ihr Finanzminister draufsattelt, weil er seine CSU an diesem Projekt ansonsten nicht mehr festhalten kann. Wir halten dies für einen gravierenden und schlimmen Fehler, der das ganze Projekt Euro gefährdet.
({9})
Die zweite Falle, in der Sie stecken, sind die neuen Steuersenkungsayatollahs, die Fundamentalisten von der F.D.P.
({10})
Steuersenkung als Überlebensprinzip; etwas anderes gibt es nicht mehr.
({11})
Nur, da stimme ich dem Kollegen Scharping völlig zu: Sie wissen ganz genau: Die CSU ist in Bayern eine große Volkspartei mit absoluter Mehrheit und hat Landtagswahlen. Die CDU ist bei aller Kritik die größte Volkspartei. Sie wissen aber ganz genau, was man der Bevölkerung zumuten kann und was nicht. Denn Sie haben es mit der Aufgabe 40 plus x zu tun, während es die F.D.P. vielleicht mit 5 plus x zu tun hat. Das ist der Unterschied.
Diese Koalition war von Anfang an nicht mehr handlungsfähig, weil sich abzeichnete, daß sich die Interessen der großen beiden Volksparteien CDU und CSU und das Überlebensinteresse der Partei des neuen Egoismus, der F.D.P., in diametral entgegengesetzte Richtungen entwickeln. Das ist der eigentliche Grund für den ganzen Schlamassel dieses Landes, nicht die Blockade im Bundesrat oder sonstwo.
({12})
Der eigentliche Grund ist, daß diese Koalition nicht mehr handlungsfähig ist, weil die Partei des neuen Egoismus ansonsten glaubt, sie würde endgültig politisch das Zeitliche segnen.
Meine Damen und Herren, das Schicksal dieses Bundeskanzlers - denn, Herr Gerhardt, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber der heimliche Parteivorsitzende Ihrer Partei heißt sowieso Dr. Helmut Kohl - hängt an dieser Koalition.
({13})
Wenn die Koalition mit dieser Selbstblockade weitermacht - das haben wir jetzt im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Goldreserven der Bundesbank, mit dem Dilettantismus und dem unermeßlichen Schaden erlebt, der dadurch für das Vertrauen in die Stabilitätskultur dieses Landes und für die Einführungschancen des Euro angerichtet wurde; ähnliches erleben wir angesichts steigender Arbeitslosenzahlen, der Blockade der Einführung von Ökosteuern, angesichts eines Steuersenkungsfundamentalismus, angesichts wegbrechender Haushalte 1997, angesichts sich nicht einigender Koalitionsrunden und angesichts der Unfähigkeit, für 1998 einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen; gleichzeitig verkünden Sie eine Steuerreform, durch die weitere Haushaltslöcher im Umfang von 30 Milliarden DM gerissen werden sollen; in Wirklichkeit sind es 50 Milliarden DM -, so ist angesichts all dessen zu fragen: Was hat das noch mit vernünftiger Politik, was hat das mit Allgemeinwohlorientierung zu tun? Das müssen Sie sich einmal überlegen.
({14})
Das alles hat der Bundesfinanzminister, der vom Grundgesetz mit einer besonderen Kompetenz ausgestattet war und ist, persönlich zu verantworten.
Wenn Sie noch eine Begründung hören wollen, rate ich Ihnen, ein Blatt zu lesen, das jenseits allen Verdachtes ist, den Roten oder den Grünen nahezustehen: das „Handelsblatt". Ich nehme an, der Bundeskanzler wird in Zukunft auch das „Handelsblatt" nicht mehr lesen, wenn er den Kommentar von Montag gelesen hat.
({15})
Er war in Interlaken; alle waren in Interlaken.
({16})
- Sie waren nicht da, Herr Westerwelle; das ist schade. Sie wären da umjubelt worden; davon gehe ich fest aus.
({17})
Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
({18})
- Ich lade Sie nicht ein, nein, das tue ich mir nicht an.
({19})
Ich zitiere:
Die seit dem Wochenende zur diesjährigen International Monetary Conference ... in Interlaken versammelten Chefs der rund einhundert größten Banken und wichtigsten internationalen FinanzJoseph Fischer ({20})
institutionen stellen sich im Streit um die Höherbewertung der Goldreserven eindeutig auf die Seite der Deutschen Bundesbank und üben beißende Kritik am „unvorstellbaren Fehlen jeglicher Sensibilität für die Märkte durch Finanzminister Theo Waigel und die Bonner Koalition".
Es geht weiter:
Nach Ansicht des Chefs einer der größten Banken der Welt
- vermutlich ein Rot-Grüner hätte Theo Waigel die Frage der mit Blick auf den Euro „sowieso anstehenden Marktbewertung der Goldreserven der Bundesbank kaum dilettantischer und für das internationale Standing Deutschlands kaum schädlicher organisieren können". Er, für seine Person, verstünde „diesen Mann nicht mehr".
Für den Vertreter einer ... internationalen Finanzinstitution haben die Deutschen mit dem Streit der Bundesregierung und der Bundesbank „das Zeitalter der D-Mark von Regierungsseite zu einem abrupten Ende gebracht". Nun habe währungspolitisch „eine neue Zeitrechnung begonnen". Ohne Grund hätten „konservative Politiker vom Rhein
- auch Sie sind da gemeint, Herr Bundeskanzler die Bundesbank und ihr internationales Vertrauensfundament demontiert" .
({21})
Einem Top-Banker aus den Südländern zufolge hat Waigel den südlichen EWWU-Aspiranten einen großen Gefallen getan: „Nun gehen Bonner und Frankfurter Unterhändler drei Nummern kleiner in die entscheidenden Verhandlungen um den Euro hinein."
Ich könnte diese Zitate endlos fortsetzen. Herr Bundesfinanzminister, Sie wissen ganz genau, daß Sie nicht nur rücktrittsreif sind, sondern eigentlich zurücktreten müssen. Sie treten nicht zurück, weil Sie zugleich Parteivorsitzender der CSU sind und ansonsten diese ganze Koalitionskonstruktion abrupt am Ende wäre und wir Neuwahlen bekämen. Das ist der eigentliche Grund. Von der Sache her sind Sie gescheitert, und deswegen beantragen wir heute Ihre Entlassung.
({22})
Aber diese Koalition und dieser Bundeskanzler sind sich ihrer Mehrheit nicht mehr sicher. Wir haben, weil wir der Meinung waren, daß es sich bei dem, was Sie mit der Bundesbank angestellt haben, nicht um einen So-la-la-Vorgang à la Schäuble handelt, die Erklärung des Zentralbankrats hier zur Abstimmung gestellt. Wir wollten einmal sehen und hätten eigentlich erwartet, daß die Position des Bundesfinanzministers, unterstützt von allen Partei- und Fraktionsvorsitzenden und vom Bundeskanzler persönlich, hier ebenfalls zur Abstimmung gestellt wird, nach der Devise: Wir wollten einmal sehen, ob die Koalition Ihre Position, Herr Bundesfinanzminister, tatsächlich trägt.
({23})
- Was werden Sie denn so unruhig? Sie hören doch sonst immer zu. Ich weiß, warum Sie unruhig werden; denn jetzt greifen Sie mit Ihrer Mehrheit zur Geschäftsordnung und wollen diese Abstimmung verhindern, weil Sie genau wissen, daß Sie, wenn wir hier die Position der Bundesbank zur Abstimmung stellen, für Ihre Position keine Mehrheit mehr haben. Das zeigt, wie sehr Sie am Ende sind.
({24})
Sie können von Glück sagen, wenn Sie den normalen Wahltermin erreichen. Für dieses Land allerdings wird jeder Tag, den diese abgewirtschaftete Koalition noch länger im Amt ist, ein großes Unglück sein.
({25})
Das Wort hat der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich sagen, daß die F.D.P.-Fraktion selbstverständlich den lächerlichen Antrag zur Absetzung von Herrn Waigel geschlossen ablehnen wird. Herr Waigel hat unser Vertrauen.
({0})
Zum zweiten. Es geht hier um die strukturellen Probleme in diesem Land. Wir ringen darum, die schwierige Haushaltssituation zu bereinigen. Da lasse ich mir von Ihnen, Herr Fischer, der Sie Ihre Glaubwürdigkeit gerade erst bei den Kumpeldemonstrationen abgegeben haben, überhaupt keine Vorhaltungen machen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU
Sehr gut! Ja!)
Sie sind abgesprungen als Reformer, und gelandet sind Sie als Oberopportunist dieses Parlamentes. Für ein Zipfelchen der Macht, für ein paar Fernsehbilder
({0})
verkaufen Sie die Seele Ihrer Partei.
({1})
Seit vielen Jahren haben die Grünen dafür gekämpft, daß der Einsatz der Steinkohle aus ökologischen, aber auch aus ökonomischen Gründen zurückgefahren wird. Kaum bietet sich die Chance, in die Reihen
der Kumpel einzutreten und im Fernsehen vorn zu stehen, werden die Grundsätze über Bord geworfen.
({2})
Von so jemandem möchte niemand in Deutschland regiert werden und wird auch niemand in Deutschland regiert werden.
({3})
Meine Damen und Herren, es geht hier um die strukturellen Probleme. Sie, Herr Scharping, haben das völlig richtig angesprochen; nur, Sie haben gar keine Lösungsansätze aufgezeigt.
({4})
Die strukturellen Probleme des Haushalts sind fundamental mit der hohen Arbeitslosigkeit verbunden. Wenn Sie die Haushaltslücken dauerhaft schließen wollen, dann geht das nicht durch Steuererhöhungen, sondern nur dadurch, daß Sie die Gründe der Arbeitslosigkeit beseitigen. Die hohe Steuer- und Abgabenlast ist eben einer der fundamentalen Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Das ist ja nicht nur unsere Meinung, sondern wird vom Sachverständigenrat laufend bestätigt. In seinem Sondergutachten hat Professor Hax gerade darauf hingewiesen, daß es darum geht, die Ausgaben des Staates zu reduzieren, mehr Flexibilität zu erreichen und mehr Privatisierung durchzusetzen, damit der Staat schlanker wird, mehr Arbeitsplätze entstehen können und mehr Investitionen möglich werden. Denn nur so ist die strukturelle Krise der Haushalte - übrigens der Haushalte von Bund und Ländern - zu meistern.
Herr Scharping, nach Ihrer Presseschau von heute morgen kann ich nur sagen: Die aktuelle Presse haben Sie anscheinend nicht gesehen, sondern nur die der letzten Jahre. Schauen Sie sich doch die Presse von heute an, wo steht, wie sich Ihre Kollegen, die Finanzminister aus den verschiedenen SPD-regierten Bundesländern, verhalten. Herr Schleußer schlägt das gleiche vor wie wir, nämlich eine vorübergehende Defizitsituation durch konzentrierte Privatisierungsaktionen auszugleichen. Er schlägt vor - gegen den Widerstand der Grünen selbstverständlich -, die Beteiligungen an den Flughäfen aufzugeben und zu privatisieren. Das gleiche tut der Finanzminister in Hessen, Starzacher. Wenn wir mit diesen Instrumenten möglichst vorübergehend und schonend die Haushaltsprobleme lösen wollen, können Sie uns dies doch nicht vorwerfen, wenn dort, wo Sie in der Verantwortung stehen, genau das gleiche geschieht.
({5})
Wenn Sie uns vorwerfen, daß wir in einer schwierigen Situation zu außergewöhnlichen Mitteln greifen, dann empfehle ich Ihnen die Lektüre der „Lübecker Nachrichten" vom 31. Mai. In dieser Ausgabe wird über den Rechnungshofbericht zum Verhalten der rotgrünen Regierung in Schleswig-Holstein berichtet. Überschrift: „Kiel hat Finanzen nicht mehr im Griff" . Weiter heißt es da, daß der neue Jahresbericht des Rechnungshofs der Regierung unzulässige Buchungstricks bescheinigt.
({6})
Der Regierung in Kiel wird zudem ein Desaster beim Haushaltsvollzug der vergangenen beiden Jahre bescheinigt. Das geht so weiter; ich will Ihnen das ersparen.
Ich sage nur das Folgende: Bundestag und Bundesrat sind die gesetzgebenden Körperschaften in diesem Lande, in der einen hat die Koalition die Mehrheit, in der anderen die SPD-geführten Länder. Nur beide zusammen können eine konsequente Politik zur Bereinigung und Lösung der strukturellen Probleme in Deutschland leisten. Wenn die eine Seite nicht mitspielt, ist die andere Seite natürlich gelähmt. Das ist der Zustand, in dem wir sind. Sie haben in den letzten Jahren durch Ihre Blockadepolitik Haushaltseinsparungen in Höhe von über 11 Milliarden DM verhindert. Heute wären wir in einer ganz anderen Situation, wenn diese Einsparungen zustande gekommen wären; dann bräuchten wir uns über den Haushalt nicht zu beklagen.
({7})
Deshalb ist unsere Politik eine ordnungspolitisch saubere Politik. Wir müssen dafür sorgen, daß in Deutschland mehr investiert wird. Es sollte Ihnen doch ein Warnzeichen sei, daß im letzten Jahr nur noch 1,1 Milliarden DM netto aus dem Ausland in Deutschland investiert worden sind. Im Jahr davor waren es noch 18 Milliarden DM.
Seit Beginn der Bundesrepublik hatten wir immer einen positiven Investitionssaldo in Deutschland. Deshalb müssen Sie doch nachfragen: Warum investieren die jetzt in England, in Holland, in Österreich und in den Vereinigten Staaten und nicht in der Bundesrepublik Deutschland? Sie tun das, weil diese Länder auf dem Weg der sauberen und klar angebotsorientierten Politik vorangegangen sind, weil sie die Angebotsbedingungen für Beschäftigung erleichtert haben, weil sie Steuern und Abgaben gesenkt haben und weil sie ihre Versicherungssysteme reformiert haben. Genau diesen Weg müssen auch wir gehen, dann wird wieder mehr investiert werden und mehr Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
({8})
In dieser Situation - das ist unsere Überzeugung - wären Steuer- und Abgabenerhöhungen Gift für die Arbeitsplätze, Gift für Investitionen und folglich selbstverständlich auch Gift für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Deswegen muß man eine andere Finanzpolitik beschreiten, nicht aus anderen Gründen, die uns vordergründig vorgeworfen werden.
Schließlich einige Bemerkungen zum Vorgehen bei der Neubewertung der stillen Reserven der Deutschen Bundesbank: Das Europäische Währungsinstitut - Herr Waigel hat darauf hingewiesen - hat angeordnet, hat Richtlinien erlassen, die alle
europäischen Zentralbanken verpflichten, ihre stillen Reserven marktnah zu bewerten.
({9})
Das ist der Weg, der gegangen werden muß.
({10})
Eine Nichthöherbewertung würde dazu führen, daß die stillen Reserven - das sind nicht die Reserven der Bundesbank oder des Direktoriums, sondern das sind Reserven, die dem deutschen Volk zustehen, weil sie in den letzten 50 Jahren in Deutschland langsam aufgebaut wurden - abfließen oder nicht mehr der nationalen Kompetenz allein unterstehen würden. Das kann doch keiner in Deutschland wollen.
({11})
Die Reserven müssen vor Eintritt in die Währungsunion und vor Übergabe der Verantwortung an die Europäische Zentralbank der großen deutschen Aufgabe, nämlich der Finanzierung der deutschen Einheit, zur Verfügung gestellt werden.
({12})
Das hat mit Haushaltsfinanzierung überhaupt nichts zu tun. Wer das behauptet, zeigt einfach, daß er die Zusammenhänge nicht kennt oder daß er bewußt die Unwahrheit sagt.
({13})
- Ja, da brauchen Sie nicht zu lachen, Herr Fischer. So ist das.
({14}) Genau das hat die Zentralbank bestätigt.
({15})
Der Zentralbankrat hat gesagt: Es muß höhenbewertet werden, und es kann in den Erblastentilgungsfonds ausgeschüttet werden. Nichts anderes haben die Bundesregierung und die Koalition vorgeschlagen, und genau diesen Weg werden wir gehen.
({16})
Ihr alter Parteifreund, Herbert Ehrenberg, hat im „Tagesspiegel" bestätigt - ich habe das Zitat hier -, daß dies der richtige Weg ist. Er hat im übrigen genauso wie andere Wissenschaftler - Rüdiger Pohl ist bereits genannt worden - gesagt, daß dies kein Eingriff in die Unabhängigkeit der Zentralbank ist; denn sie ist in ihren Aufgaben, in der Geldpolitik, unabhängig, ansonsten selbstverständlich nicht. Sie ist nach dem Bundesbankgesetz aufgefordert, die Politik der Bundesregierung zu unterstützen.
Herr Dr. Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Heyne?
Bitte.
Ich glaube, es ist eine ganz gute Idee, den Text der Bundesbank vorzulegen; denn offenbar haben Sie ihn nicht gelesen. Sie haben soeben dargestellt, daß die Ausschüttung mit den Vorschlägen des EWI konform ist.
Sind Sie mit mir einer Meinung, daß das EWI sehr richtig sagt: Eine Neubewertung muß stattfinden. Eine Neubewertung soll aber nicht der Ausschüttung dienen. Die Bundesbank rügt ausdrücklich, daß die Pläne des Finanzministeriums nicht mit den Plänen der Europäischen Zentralbank übereinstimmen, weil sie die Ausschüttung vorsehen.
Die Bundesbank sagt: Man muß geldpolitisch bewerten, wieviel ausgeschüttet werden kann. Wenn klar ist, daß ausgeschüttet werden kann, dann ist es sinnvoll, Geld in den Erblastentilgungsfonds zu geben.
Gehen Sie mit mir einer Meinung, daß es eine deutliche Differenz zwischen Bundesbank und Bundesregierung in der Frage der Ausschüttung gibt, daß nämlich die Bundesbank davon ausgeht, daß zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Ausschüttung entschieden werden darf?
Ich gehe mit Ihnen in dieser Meinung nicht einig; denn die Bundesbank sagt ausdrücklich, daß die Ausschüttung in den Erblastentilgungsfonds zulässig und vernünftig ist.
({0})
Die Differenz besteht in der Frage, in welchem Jahr das geschehen soll. Was 1999 richtig ist - das ist meine Auffassung -, kann 1997 oder 1998 nicht völlig falsch sein. Das lohnt den Streit nun wirklich nicht.
({1})
Aber wir wollen uns mit der Bundesbank auch gar nicht streiten, sondern wir sind zufrieden, wenn wir mit der Bundesbank eine einvernehmliche, saubere Regelung finden. Diese Regelung wird aber, ob in diesem, im nächsten oder im übernächsten Jahr oder in Stufen, zur Konsequenz haben, daß die stillen Reserven aufgewertet werden und daß ein Teil dieser stillen Reserven ausgeschüttet wird, aber eben nicht in den Bundeshaushalt zur Finanzierung von Ausgaben - da widerspreche ich Herbert Ehrenberg ganz eindeutig -, sondern in den Erblastentilgungsfonds zur Finanzierung der deutschen Einheit. Mit dieser Lösung bin ich und sind die F.D.P. sowie die Koalition voll einverstanden, und dagegen kann man auch keine glaubwürdigen Sachargumente vorbringen.
({2})
Herr Dr. Solms, gestatten Sie weitere Zwischenfragen der Abgeordneten Frau Luft und Poß?
Bitte, nur noch eine.
Dann folgt Frau Luft.
Herr Kollege Dr. Solms, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie vor diesem Hohen Hause den Verdacht ausräumen können, es ginge beim Vorgehen der Bundesregierung, eine Neubewertung der Goldreserven herbeiführen zu lassen, nicht doch darum, daß man die aktuelle Situation auf irgendeine Art zu meistern versucht? Ich will Ihnen aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums vom 30. November 1995 auf eine Anfrage vorlesen, die ich gestellt hatte und die lautete,
({0})
ob man nicht unter anderem im Zusammenhang mit der bevorstehenden europäischen Währungsunion
Bitte, stellen Sie eine Frage.
Meine Frage lautet: Können Sie diesen Verdacht ausräumen? Ich habe die Antwort bekommen: Es besteht im Rahmen einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung ein Ermessensspielraum für einen noch niedrigeren Wertansatz für Goldreserven. Das habe ich am 30. November 1995 erfahren. Ich weiß nicht, warum das, was 1995 falsch gewesen ist, nicht 1997 genauso falsch sein soll.
Es ist gut, wenn man sich an die Fakten hält, Frau Kollegin. Die Fakten sind die: Es wird aufgewertet; es muß aufgewertet werden. Alle anderen europäischen Länder haben es getan. Nur die Goldreserven von Schweden sind noch niedriger bewertet; ihr Umfang ist aber so niedrig, daß das keine große Relevanz hat. Andere Länder - ich denke an Frankreich und Italien - haben sogar schon zum Marktpreis oder über dem Marktpreis bewertet. Es gibt also überhaupt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß das stattfindet, und es gibt auch keine Meinungsunterschiede zwischen Bundesregierung und Bundesbank darüber, daß die aufgedeckten Reserven zu einem Teil in den Erblastentilgungsfonds eingestellt werden sollen. Es geht nur um den Zeitpunkt.
Ich sage hier noch einmal ausdrücklich: Politisch halte ich es für gut und richtig, wenn dies vor 1999 geschieht, weil mit dem Eintritt der europäischen Währungsunion und der Funktionsfähigkeit der Europäischen Zentralbank und der Übernahme der Verantwortung durch sie dann die Entscheidung nicht mehr allein nationalen Körperschaften obliegen würde. Da es sich hier aber um ein Sparvermögen der Bundesbank handelt, das dem deutschen Volk zusteht, finde ich es richtig, daß dieses vorher, soweit möglich und vernünftig, in den Erblastentilgungsfonds eingestellt und der Finanzierung der großen deutschen Aufgabe, der der deutschen Einheit, gewidmet wird. In dieser Überzeugung kann mich niemand erschüttern.
Vielen Dank.
({0})
Als nächster Redner spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte es befürchtet, Herr Bundesfinanzminister, und genauso ist es gekommen: Sie haben in Ihrer Rede, nachdem es ein bißchen um die Schwierigkeiten dieser Bundesregierung ging, sofort wieder auf die Transferleistungen von West nach Ost und auf die Kosten der deutschen Einheit hingewiesen. Ich sage Ihnen eines, Herr Bundesfinanzminister: Die Ostdeutschen haben es inzwischen satt, als Sündenböcke für Ihre verfehlte Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik herhalten zu müssen.
({0})
Ich werde das begründen. Was bezeichnen Sie eigentlich als Transferleistung von West nach Ost? Das ist leider gar nicht bekannt. Ich werde Ihnen ein paar Beispiele nennen.
Wenn ein Bundeswehroffizier aus Baden-Württemberg nach Sachsen versetzt wird, dann zählt ab diesem Tag sein Gehalt einschließlich Buschzulage als Transferleistung von West nach Ost. Das ist doch einfach unerträglich. Das hat doch mit realen Zahlen überhaupt nichts zu tun.
Die Zahlungen von Kindergeld sind im Osten Transferleistungen; im Westen ist das ein gesetzlicher Anspruch. Niemand würde auf die Idee kommen, das Kindergeld für Bremen und Bayern als Transferleistung des Bundes an diese Länder auszuweisen. Hören Sie endlich mit dieser Schimäre auf! Nennen Sie die richtigen Zahlen! Von einer Billion, von der Herr Bohl gesprochen hat, kann als wirkliche Transferleistung von West nach Ost überhaupt keine Rede sein.
({1})
Es geht aber nicht nur um diese Frage. Sie erwähnen in diesem Zusammenhang nie, daß das Geld, das tatsächlich in den Osten geht, in beachtlichem Umfang für Waren und Dienstleistungen in den Westen zurückkehrt.
Sie erwähnen ebenfalls nie die Tatsache, daß in riesigem Umfange Immobilieneigentum und Unternehmenseigentum von Ost- in Westhand geflossen sind. Da hat es doch einen riesigen Vermögenstransfer von Ost nach West gegeben. Auch das muß man in diesem Zusammenhang erwähnen.
({2})
Seit kurzer Zeit gibt es dazu eine konkrete Zahl - weil Sie aus Bayern kommen, möchte ich Ihnen das gerne sagen; denn gerade bayerische Politiker beschweren sich am meisten über die Transferleistungen von West nach Ost -: Bayern hat vom Bund im Jahre 1996 nach Abzug der Steuern, die Bayern an den Bund abgeführt hat, über 4 Milliarden DM an Zuschüssen für die verschiedensten Zwecke erhalten. Sachsen hat im gleichen Jahr nur 3,6 Milliarden DM, also deutlich weniger, an Zuschüssen vom Bund erhalten.
Weshalb, frage ich Sie, sprechen Sie nie von den Transferleistungen des Bundes an Bayern? Weshalb sprechen Sie immer nur von den Transferleistungen des Bundes nach dem Osten? Das will ich hier endlich einmal erklärt haben.
({3})
Ich könnte Ihnen dazu alle Positionen einzeln aufzählen; aber nur ein Beispiel: Für den Naturschutz erhält Bayern vom Bund 14 Millionen DM, Sachsen gerade einmal 0,7 Millionen DM. Ich könnte Ihnen viele andere solcher Zahlen nennen.
Daran ärgern mich besonders zwei Dinge: Erstens taugen die Ostdeutschen für Sie nicht als Ausrede. Zweitens - das ärgert mich genauso - spalten Sie damit in Wirklichkeit die Gesellschaft. Denn Sie stellen nicht die innere Einheit Deutschlands her, sondern Sie vertiefen die Spaltung, indem Sie die Ostdeutschen demütigen und den Westdeutschen einreden, daß es ihnen schlechter gehe, weil die Ostdeutschen hinzugekommen seien. Das ist eine gegen die deutsche Einheit und damit gegen die Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Politik. Das sage ich Ihnen so deutlich!
({4})
Es ist noch etwas anderes ziemlich unerträglich: Unerträglich ist auch, daß Sie die neuen Bundesländer im Grunde genommen wie Ausland behandeln. Sie haben die Einheit im Kopf noch gar nicht vollzogen. Sie kämen doch nie darauf - das habe ich schon gesagt -, Arbeitslosenunterstützung oder Kindergeld - worauf ein gesetzlicher Anspruch besteht - den alten Bundesländern vorzurechnen. Den neuen Bundesländern rechnen Sie es aber als Transfer vor, als wenn Sie das Geld ins Ausland überweisen würden. Ich behaupte: Nicht in meinem Kopf, sondern in Ihrem Kopf hat die deutsche Einheit noch nicht stattgefunden.
({5})
In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Was können denn die Ostdeutschen dafür, daß Sie per 1. Januar 1997 die Vermögensteuer abgeschafft haben? Das haben nicht die Ostdeutschen, sondern Sie entschieden. Dadurch fehlen Ihnen 9 Milliarden DM in Ihrer Haushaltskasse. Hätten Sie die amerikanischen Steuersätze für die Vermögensteuer eingeführt, dann hätten Sie sogar 16 Milliarden DM mehr in Ihrem Haushalt.
Was können die Ostdeutschen dafür, daß Sie die fiktiven Altschulden einfach übernommen, den Privatbanken geschenkt haben und sie jetzt zum Teil selber für diese Altschulden haften müssen? Das ist das Verdienst der Koalition. Dafür können die Ostdeutschen nichts.
Die Ostdeutschen können auch nichts dafür, daß Sie die Unternehmensteuern trotz steigender Gewinne immer weiter gesenkt und dadurch Ihre Haushaltslöcher selbst provoziert haben.
Es sind auch nicht die Ostdeutschen, sondern Sie sind es, die den Spitzensteuersatz senken wollen. Ich weiß jetzt schon, daß Ihnen dann wieder Milliarden fehlen. Dann stellen Sie sich wieder hierher und sagen: Das liegt an den Kosten der deutschen Einheit und an den Transferleistungen von West nach Ost. Diese Ungerechtigkeit muß aufhören.
({6})
Im letzten Jahr ist das Geldvermögen in der Bundesrepublik Deutschland um 10 Prozent gestiegen, obwohl das Geldvermögen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfängerinnen und der Sozialhilfeempfänger gesunken ist. Das heißt, die Reichen in der Gesellschaft haben so viel Geld angehäuft, daß sie diese Verluste durch ihren Reichtum im Durchschnitt wettgemacht haben. Es sind sogar 10 Prozent mehr Geldvermögen vorhanden, nämlich 300 Milliarden DM. Hätten wir Steuergerechtigkeit, würde der Staat daran partizipieren. Wenn das Geldvermögen in der Bundesrepublik um 300 Milliarden DM gewachsen ist, hätten die Einnahmen des Staates um 30 Milliarden DM wachsen müssen. Die Steuerausfälle sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Sie haben ein Steuerrecht geschaffen, das dafür sorgt, daß der private Reichtum ständig wächst und der Staat dabei immer ärmer wird und deshalb seine soziale, kulturelle und ökologische Ausgleichsfunktion nicht mehr wahrnehmen kann.
({7})
Herr Fischer hat hier gesagt, daß Sie die politische Einheit in Deutschland hergestellt haben, Herr Bundeskanzler.
(
Das ist wahr!)
Ich sehe das ein bißchen anders. Sie waren daran beteiligt, zweifellos. Das ist wahr. Aber andere waren auch daran beteiligt, darunter übrigens Millionen von Menschen.
({0})
Geschichte vollzieht sich nicht durch eine einzelne Person, auch wenn das manche in diesem Saal glauben.
({1})
Ich sage Ihnen: Das, was Sie dort möglicherweise geleistet haben, steht in keinem Verhältnis mehr zu Ihrem Versagen bei der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands. Sie erinnern sich an die „blühenden Landschaften", und sie erinnern sich an das, was ich eben gesagt habe. Hören Sie auf damit, den Westdeutschen zu erklären, daß es bergab geht, weil es den Osten gibt, und hören Sie auf damit, die OstDr. Gregor Gysi
deutschen diesbezüglich zu demütigen! Denn der Hauptwiderspruch in dieser Gesellschaft ist nicht der zwischen Ost und West. Arbeitslosigkeit können wir nur gemeinsam bekämpfen, Armut auch. Der Hauptwiderspruch ist der zwischen Reich und Arm, der zwischen oben und unten. Das müssen die Menschen in Ost und West begreifen.
({2})
Ich will noch etwas zu den Goldreserven sagen. Das Problem ist nicht, daß man über eine Neubewertung der Goldreserven nicht nachdenken dürfte. Wir haben dazu Vorschläge in unserem Antrag gemacht. Das Problem ist, wie das geschehen ist. Der Bundesfinanzminister hat das Ganze wie einen Zaubertrick gestaltet. Er hat damit die Reputation in Europa schwer beschädigt, die die Regierung bis dahin - aus mir zum Teil unverständlichen Gründen - hatte.
Wenn es allerdings um die Frage der kreativen Buchführung geht, Joschka Fischer, dann müssen Sie sich ein bißchen zurückhalten. Denn Ihr Parteisprecher Trittin hat in der „Frankfurter Rundschau" vorher erklärt, daß er kreative Buchführung gerade deshalb so gut findet, weil das Ausdruck von politischer Gestaltungskraft ist. Man kann nicht an einem Tag loben, was man den anderen am nächsten Tag vorwirft. Das ist nicht gerecht.
({3})
Wir werden den Antrag auf Entlassung des Bundesfinanzministers unterstützen. Aber ich füge hinzu: Ich finde diesen Antrag nicht ganz ehrlich. Wer Ihre Reden gehört hat, weiß: Sie meinen in Wirklichkeit nicht den Bundesfinanzminister, Sie meinen den Bundeskanzler. Dann hätten Sie auch den Mut haben müssen, den Antrag zu stellen, daß der Kanzler aufgefordert wird, die Vertrauensfrage zu stellen - was wir beantragt haben.
({4})
Herr Bundeskanzler, ich finde, Sie sollten den Mut haben, die Vertrauensfrage von sich aus zu stellen und nicht darauf zu warten, daß der Bundestag das entscheidet. Die alten Grundlagen, auf denen Sie Politik gemacht haben, stimmen einfach nicht mehr. Das müssen Sie akzeptieren. Wenn ich in andere europäische Länder gefahren bin, habe ich mich immer darüber geärgert, daß oft sogar Linke von Ihnen geschwärmt oder zumindest Respekt vor Ihnen zum Ausdruck gebracht
(
Das zeigt, daß sie Verstand haben!)
und gesagt haben: Das ist ein solcher Felsbrocken, der ist nicht einzunehmen.
(
Ja!) - Sie bestätigen das auch noch.
({0})
Es ist immer gefährlich, wenn man sich selbst so sieht, wie man dargestellt wird - und dann auch noch falsch.
({1})
Davon ganz abgesehen, Herr Bundeskanzler: Mein Problem ist ein anderes. Ich sage Ihnen, dieser Ruf ist vorbei, nicht nur durch die Wahlen in Großbritannien und in Frankreich. In den letzten Monaten schütteln alle nur noch den Kopf. Sie verstehen nicht mehr, was diese Regierung macht. Sie waren der Lehrmeister. Sie haben sich als Oberkanzler Europas aufgespielt, und jetzt ist Ihr Ansehen in Europa ganz tief gesunken, weil sich herausgestellt hat: Sie sind auch nur ein Trickser wie alle anderen. Das reicht für einen europäischen Integrationsprozeß nicht aus. Das sage ich ganz deutlich.
({2})
Deshalb brauchen Sie, wenn Sie Ihre Politik ernsthaft fortsetzen wollen, eine neue Vertrauensgrundlage. Wenn Sie die nicht haben, müssen Sie aufhören, die Politik in diesem Lande und damit auch im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses zu gestalten.
Ich habe es schon gesagt: Sie haben auch bei der Herstellung der inneren Einheit versagt. Ich füge hinzu: Sie haben bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit vollständig versagt. Der Sozialabbau, die Steuersenkungen, die Sie für Vermögende und Reiche beschlossen haben, all das hat Arbeitslosigkeit nicht reduziert, sondern im Gegenteil das Problem noch verschärft. Deshalb finde ich, Sie sollten den Mut haben, die Vertrauensfrage selbst zu stellen.
Wenn Ihre Einschätzung Ihrer Politik stimmt, Herr Bundeskanzler, dann können Sie es sich leisten, Neuwahlen herbeizuführen. Denn dann müßten Sie davon überzeugt sein, erneut die Mehrheit zu bekommen. Oder Sie sind selber nicht davon überzeugt, eine Mehrheit zu bekommen, und lehnen deshalb Neuwahlen ab. Dann sind Sie aber nicht mehr berechtigt, zu regieren.
Wer weiß, daß er nicht die Mehrheit der Bevölkerung vertritt, daß er nicht das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung hat, der muß seine Politik ändern, der muß einem Regierungs- und Politikwechsel zustimmen. Deshalb sage ich: Die Kernfrage ist nicht der Bundesfinanzminister, sondern die Kernfrage ist der Bundeskanzler, die Bundesregierung als Ganzes. Deshalb müssen wir über eine Vertrauensabstimmung nach Art. 68 des Grundgesetzes den Weg zur Auflösung des Bundestags und zur Anberaumung von Neuwahlen eröffnen.
Herr Kollege Gysi, Sie müssen zum Schluß kommen.
In diesem Sinne bitte ich Sie zuzustimmen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, unserem Antrag nicht zustimmen, also dem Kanzler heute das Vertrauen ausDr. Gregor Gysi
sprechen sollten, dann sagen Sie mir morgen nicht, daß Sie dem Kanzler nicht vertrauen.
({0})
Ich gebe das Wort dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt eine Reihe von Fragen, die hier gestellt worden sind. Ich will versuchen, der Reihe nach auf diese Fragen einzugehen, wobei ich mir darüber im klaren bin, daß unsere Debatte über die Finanzpolitik und die Finanzprobleme auch vom Zeitmaß her vor allem dann ihr eigenes Gewicht gewinnt, wenn wir einen Nachtragshaushalt vorlegen oder auch nicht
({0})
- hören Sie sich den Satz doch erst einmal an -, wenn wir den Finanzplan und wenn wir den Etatentwurf 1998 vorlegen.
({1}) Ich komme auf das Thema gleich zu sprechen.
Vorweg aber ein Wort zum Bundesfinanzminister. Daß der Bundesfinanzminister im Amt bleibt, wissen Sie - die Frage hätten Sie gar nicht zu stellen brauchen -, und zwar aus vielen guten Gründen. Einen will ich Ihnen vorlesen.
In den vergangenen acht Jahren habe ich Dich - gemeint ist Theo Waigel als zuverlässigen, integren und soliden Kollegen kennengelernt, als einen europäischen Deutschen. Eine der größten Herausforderungen der Gegenwart ist die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Du hast selbst immer wieder betont, daß die vollständige Erfüllung der WWU-Kriterien von größter Bedeutung ist und bleibt. Die teilnehmenden Länder müssen von Anfang an eine perfekte Kondition haben. Mit diesem Ziel vor Augen ist nicht zuletzt dank Deines Einsatzes der Stabilitätspakt geschlossen worden. Laß uns auch weiterhin gemeinsam daran arbeiten, daß wir demnächst einen stabilen und starken Euro haben.
Das, meine Damen und Herren, ist das Urteil eines Mannes, den ich besonders hoch schätze, des niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok.
({2})
Das ist nicht irgend jemand, das ist ein Mann, der durch viele Jahre hindurch den niederländischen Gewerkschaftsbund führte, der ein besonders erfolgreicher Finanzminister war und auch ein besonders erfolgreicher Ministerpräsident ist,
({3})
den wir alle - da kann ich hoffentlich auch in Ihrem Namen sprechen - ganz besonders hoch schätzen, auch wegen seiner Sympathie für unser Land.
({4})
Das ist das Urteil eines Mannes, der Theo Waigel durch viele Jahre hindurch aus der Nähe beobachtet hat, der mit ihm viel zusammen war, mit ihm viel gemeinsam gestaltet hat und der jetzt natürlich nicht in der Wahlkampfarena steht, sondern aus der nüchternen Perspektive eines sachkundigen Beurteilers der Lage seine Meinung sagt. Dies ist eine wesentliche Meinung.
Das, was Sie hier dazu gesagt haben, vor allem der Fraktionsvorsitzende Scharping, ist halt die übliche Polemik. Sie gehört zum Amt eines Fraktionsvorsitzenden; das weiß ich aus leidvoller Erfahrung. Aber sie gewinnt dadurch nicht an Bedeutung, weil sie sich nicht an den Tatsachen orientiert.
({5})
Ich habe Verständnis dafür, daß Sie jede Gelegenheit nutzen, um die Bundesregierung und die Koalition anzugreifen und herabzusetzen. Es ist eine andere Frage, ob das ein guter Stil ist. Ich habe hier wirklich nicht die Interessen des Koalitionspartners zu vertreten. Aber ich empfinde es schon als ziemlich eigenartig, daß Sie jetzt bei jeder Gelegenheit - daß die Damen und Herren von den Grünen es tun, ist klar; sie wollen ja in die Ersatzfunktion des Mehrheitsbeschaffers hineinschlüpfen - die F.D.P. in dieser Form herabsetzen.
Ich war dabei, als Sie 1969 alles in Bewegung setzten, um die F.D.P. in die Koalition zu bekommen. Herr Scharping, es ist erst ein Jahr her, da konnte ich beobachten, wie die Sozialdemokraten in unserem gemeinsamen Heimatland Rheinland-Pfalz wirklich alles getan haben, um die F.D.P. als Partner zu gewinnen. Sie haben ein Superministerium für den F.D.P.-Landesvorsitzenden geschaffen, so daß für andere gar kein Job mehrfrei war.
({6})
Wissen Sie, Herr Scharping, wenn jemand aus einem anderen Bundesland dies gesagt hätte, in dem es keine sozialliberale Koalition gibt, dann hätte ich es noch verstehen können. Aber wenn man aus Lahnstein in Rheinland-Pfalz kommt, wenn man gerade noch Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz war, wenn man alles dafür getan hat, daß sein Nachfolger im Amt bleibt, dann darf man hier doch nicht über die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. in einer so verächtlichen Weise reden. Das ist ziemlich armselig.
({7})
In der deutschen Sozialdemokratie gibt es schließlich genug Leute, die den täglichen Umgang mit den Grünen, wie sie in Nordrhein-Westfalen jedermann beobachten kann, nicht für ein Unternehmen mit
Lustgewinn, sondern für eine Sache halten, die nur schwer zu ertragen ist.
({8})
- Herr Abgeordneter Fischer, ich weiß, daß Sie von dem Traum leben, Ersatz-F.D.P. zu werden. Sie werden es aber nicht, in gar keiner Weise.
({9})
Zurück zum Bundesfinanzminister: Theo Waigel hat in den acht Jahren, in denen er im Amt ist, in einer ganz entscheidenden Weise die deutsche Politik und die europäische Politik geprägt. Im Gegensatz zu vielen, die jetzt ihre Stimme erheben, hat er die Idee der deutschen Einheit ohne Wenn und Aber verfolgt und dafür gearbeitet. Dafür verdient er Dank und Anerkennung.
({10})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Daß wir in diesen Jahren so gewaltige Hilfen geben konnten, die notwendig waren und von uns - jedenfalls in der Koalition - rundum unterstützt wurden, ist auch ein Erfolg seiner Finanzpolitik.
Wenn hier der Vertreter einer Gruppe aus der früheren DDR, die ja im Geist der früheren Machthaber operiert, ausgerechnet zum Thema Erblastentilgungsfonds so spricht, dann muß ich ihm sagen: Es ist nahezu unerträglich, mit welcher Frechheit die historischen Tatsachen verdreht werden.
({0})
Sehen Sie sich die Gesamtbeträge des Transfers von West nach Ost in diesen Jahren an und vergegenwärtigen Sie sich - das gehört in die Rechnung der Hilfen, die die Deutschen insgesamt an andere Länder gegeben haben -, daß wir seit 1989 Hilfen in Höhe von fast 200 Milliarden DM für Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion geleistet haben. Wenn Sie dann sagen, das Ansehen der Bundesrepublik oder ihres Regierungschefs sei dort gesunken, dann erkundigen Sie sich dort doch: Sie finden keinen einzigen, der nicht bei jeder Gelegenheit klar und deutlich sagt, er sei dankbar, daß die Deutschen heute die besten Nachbarn und Partner - auch auf dem Weg in die NATO und in die EU - seien. Das alles hat sehr viel mit der Arbeit von Theo Waigel zu tun.
({1})
Ich sage noch einmal ganz klar: Er ist auch einer der Vorkämpfer für die Wirtschafts- und Währungsunion. An vielen Beispielen läßt sich ganz leicht nachweisen, daß seine Kollegen, die mit ihm im Rahmen des Ecofin einmal im Monat zusammentreffen und mit ihm seit vielen Jahren zusammenarbeiten, seine Kompetenz, seine Zuverlässigkeit und seine Kameradschaft schätzen. Sie können ihn kritisieren; das ist ja in Ordnung. Aber hören Sie auf, einen Mann in der Weise persönlich herabzusetzen, wie das heute hier geschehen ist!
({2})
In diesem Zusammenhang - ich komme gleich auf Ihre Wahlvorstellungen zu sprechen - sollten wir hier die Frage aufwerfen, wer eigentlich in Ihrer Konzeption die Finanzpolitik personalisiert. Sie sind bisher nicht einmal in der Lage, zu sagen, wer Spitzenkandidat wird.
({3})
- Sie sind nicht einmal in der Lage, diese Frage zu beantworten.
Theo Waigel ist ein exzellenter Finanzminister. Er hat selbstverständlich nicht nur das Vertrauen der Koalition, sondern auch mein Vertrauen. Sie können noch viele Anträge stellen. Er ist und bleibt Finanzminister. Das ist das, was zu sagen ist.
({4})
Ich will nun ein Wort zu dem Thema Unabhängigkeit der Bundesbank sagen. Ich bin schon sehr erstaunt über das, was ich jetzt aus Ihren Reihen höre; denn in den vergangenen Jahren habe ich bei bestimmten Zinsentscheidungen der Bundesbank regelmäßig scharfe Kritik auch von hier im Saal Anwesenden gehört. Ich habe mich selbst dann, wenn ich anderer Meinung war - diese Beispiele gab es selbstverständlich -, der entsprechenden Kritik niemals angeschlossen, weil ich der Meinung bin und bleibe, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank für uns ein wichtiges Gut ist. Dies wird erhalten. Es gibt keinen Grund, an diesem Punkt Veränderungen vorzunehmen.
({5})
In den Grundfragen unserer Politik wurde in den jetzt beinahe anderthalb Jahrzehnten meiner Regierungszeit deutlich, daß es keine grundsätzlichen Differenzen gibt. Die Bundesbank genießt uneingeschränkten Respekt. Aber das kann doch nicht bedeuten - das sehen auch Sie in Wahrheit so -, daß wir in Einzelfragen immer übereinstimmen müssen.
Daß es Differenzen in Einzelfragen gibt, ist nicht neu. Wenn Sie die Geschichte der Bundesbank und die Geschichte der Bundesrepublik nachzeichnen, dann werden Sie diesbezüglich viele Beispiele finden. Ich will zwar auf die Details nicht eingehen, aber ich will erwähnen, daß ich mich sehr konkret daran erinnern kann, wie zwischen meinem Amtsvorgänger und der Bundesbank im Zusammenhang mit der Einführung des Europäischen Währungssystems erhebliche Diskussionen aufgekommen sind. Die Geschichte und die Entwicklung haben Helmut Schmidt recht gegeben. Daß wir auf diesem Feld viele Schritte weitergekommen sind, hat aber auch mit der Unabhängigkeit der Bundesbank zu tun.
Ich habe das Jahr 1990 noch in Erinnerung. Damals gab es durchaus unterschiedliche Meinungen. Neben dem Respekt vor der Bundesbank gibt es auch den Respekt vor der politischen Verantwortung der gewählten Gremien unseres Volkes, der Parlamente, des Bundesrates und der Bundesregierung. Deswegen muß es möglich sein - diese Bemerkung stellt keine Beeinträchtigung der Zusammenarbeit dar -, über Probleme auch streitig miteinander zu reden.
Ich will noch ein Wort zu dem sagen, was eben der Sprecher der Grünen gesagt hat. Ich habe an dem Treffen der Banker in Interlaken zum erstenmal teilgenommen und habe über diese Fragen sehr lange - über drei Stunden - intensiv diskutiert. Ich bin von dort nicht mit dem Gefühl weggegangen, daß man dort die Meinung hat, der Weg, den wir für richtig halten, sei nicht vertretbar. Daß unterschiedliche Meinungen bestehen, ist doch ganz klar. Ich muß damit leben, daß Bankiers in Deutschland und auch international anderer Meinung sind. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn unsere Politik immer durch die Bankiers unterstützt würde. Das Thema Volkspartei haben Sie eben zu Recht angesprochen.
Jetzt zu dem gestrigen Tag und dazu, was Sie jetzt daraus zu machen versuchen. Was war? Es gab das Gespräch, das wir verabredet hatten, mit dem Präsidenten der Bundesbank und dem Bundesfinanzminister. Es war doch völlig selbstverständlich, daß der Präsident der Bundesbank, wie übrigens auch der Bundesfinanzminister, ihre Meinungen austauschten. Beide sind aber an die Beschlüsse ihrer Gremien gebunden. Der Bundesfinanzminister ist an das gebunden, was im Kabinett beschlossen worden ist. Der Bundesbankpräsident ist an die Entscheidungen des Zentralbankrats gebunden. Was ist daran jetzt eigentlich das Besondere?
Die beiden haben gesagt - ich zitiere es wörtlich -:
Am Schluß des Gespräches wurde folgende Sprachregelung vereinbart:
({6})
- Was haben Sie an dem Wort auszusetzen?
({7})
Ich würde erst einmal das Ende des Zitats abwarten.
1. Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel und Bundesbankpräsident Dr. Hans Tietmeyer haben heute
-am 3. Juniein Gespräch über die in Aussicht genommene Neuregelung der Bewertung in der Bundesbankbilanz geführt.
2. Es gibt ein ernsthaftes Bemühen um eine einvernehmliche Lösung für eine Neubewertung einzelner Positionen im Jahresabschluß 1997 mit Zahlungswirkung in 1998.
Was die einzelnen Regelungen angeht, finden jetzt Gespräche zwischen dem Bundesministerium der
Finanzen und der Bundesbank statt. Abschließend werden die Ergebnisse in die Ausschußarbeit des Bundestags eingebracht.
Hier kann ich anfügen - was Sie wissen, aber verschwiegen haben -, daß der Bundesbankpräsident und der Bundesfinanzminister in den zuständigen Ausschuß kommen; das ist bereits längst vereinbart. Und das ist genau das, was Theo Waigel der Bundestagsfraktion - und auch der Presse - gesagt hat. Ich habe ein Exemplar der Rede vor mir liegen.
Seit einer Stunde gibt es eine Erklärung der Bundesbank. Darin heißt es:
Meldungen, wonach Bundesbankpräsident Professor Dr. Tietmeyer ein Ergebnis der Gespräche mit Bundesfinanzminister Dr. Waigel dementiert habe, sind unzutreffend. Er hat, wie auch Bundesfinanzminister Dr. Waigel, klargemacht, daß noch keine formelle Einigung vorliegt. Die zuständigen Gremien müssen sich erst noch mit dem Ergebnis der Gespräche befassen.
Nicht mehr und nicht weniger hat Theo Waigel gestern und heute gesagt.
({8})
Meine Damen und Herren, bei dieser Debatte geht es Ihnen aber gar nicht um den Ablauf. Sie wollen vielmehr eine Chance nutzen - unterstützt von diesem oder jenem außerhalb dieses Saales -, den Bundesfinanzminister in seinem Ansehen herabzusetzen und der Bundesregierung zu schaden. Das ist Ihr eigentliches Ziel, nicht mehr und nicht weniger.
({9})
Wir werden die Gespräche mit der Bundesbank so führen, wie es sich gehört: in aller Sachlichkeit und ohne gegenseitige Beschimpfungen. Wir werden ein gutes Ergebnis erzielen; das kann man schon jetzt voraussagen.
Eines ist für mich schon ziemlich erstaunlich: Ich habe in vielen Gesprächen, auch in manchen öffentlichen Darlegungen gehört, wer auch in Ihrem Lager - das mache ich niemandem zum Vorwurf - in den vergangenen Jahren angesichts der erheblichen Probleme der Finanzausstattung der Bundesrepublik für internationale und nationale Verpflichtungen, etwa im Hinblick auf die neuen Länder und den Erblastentilungsfonds, gesagt hat: Kann man nicht dieses oder jenes an Hilfe durch die Bundesbank mobilisieren? Ich habe darauf nie geantwortet, weil ich finde, daß das, was wir tun, möglichst in Gemeinsamkeit mit der Bundesbank geschehen muß.
Da diese ganze Sache das Thema Euro, das Thema Europa berührt, will ich auch hierzu eine kurze Bemerkung machen. Wie jeder weiß, treffen sich die Staats- und Regierungschefs in 14 Tagen, am 16. und 17. Juni, zur nächsten Konferenz in Amsterdam, um den, wie wir das hierzulande nennen, zweiten Maastricht-Vertrag - wie ich hoffe, gemeinsam - zu verabschieden. Dies wäre ein wesentlicher Fortschritt beim Bau des Hauses Europa. Einer der wichtigen Punkte in Amsterdam ist die Vorbereitung der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
Deswegen will ich für die Bundesregierung und die Koalition noch einmal ganz klar sagen: Es gibt für uns überhaupt keinen Zweifel: Wir brauchen die gemeinsame europäische Währung. Das ist die Grundvoraussetzung für Frieden und Freiheit, weil sie eine Grundvoraussetzung für den Bau des Hauses Europa darstellt. Unsere Politik hat sich in nichts verändert. Wir brauchen die gemeinsame Währung, wir brauchen den Euro als eine notwendige Ergänzung zum gemeinsamen Binnenmarkt. Wir brauchen diese Entscheidung auch, um den Standort Europa insgesamt zu festigen.
({10})
Die Idee, die es überall in Europa, auch bei uns in Deutschland, gibt, daß zur Bewältigung der Probleme des nächsten Jahrhunderts, zur Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa eine gehobene Freihandelszone ausreicht, entspricht nicht unserer Meinung. Wir werden auch weiterhin in diesem Sinne für die Vollendung des Ziels der Wirtschafts- und Währungsunion kämpfen.
({11})
Das heißt, wir müssen heute von diesem Platz aus deutlich machen, daß wir auch mit Blick auf die Finanzmärkte alles tun werden, damit der Euro kommt, und zwar als eine gemeinsame europäische Währung, als ein tragender Pfeiler des Hauses Europa.
({12})
Dies ist eine historische Chance. Wer dies nicht begreift, dem ist sowieso nicht zu helfen. Die Chance, die sich jetzt bietet, kommt nicht wieder. Auch das muß man klar und deutlich aussprechen.
({13})
Deswegen wird die Bundesregierung, wird die Koalition und werde vor allem ich selbst alles tun, damit der Zeitplan und die Kriterien eingehalten werden.
Ich will warnend all jene darauf hinweisen, die mit diesem Gedanken spielen: Wenn man den Zeitplan jetzt ändert und diese große Entscheidung verschiebt, werden die Probleme nicht geringer. Das bestreite ich ganz entschieden. Ich will vor allem darauf hinweisen, daß die Deutschen mehr als alle anderen dafür die Zeche zahlen würden. Eine Verschiebung der Währungsunion hätte notwendigerweise enorme Folgen für die Finanzmärkte. Diese Folgen beträfen den Wechselkurs zwischen Dollar und D-Mark und würden vor allem bedeuten, daß der deutsche Export wieder sehr viel teurer wird, als das Gott sei Dank jetzt der Fall ist. Man kann nicht von einem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sprechen, wenn man nicht daran denkt, daß durch eine solche Entwicklung die für uns wichtige Säule, der Export, beschädigt würde. Deswegen gilt beides: Zeitplan und Kriterien für den Euro. Dazu stehen wir, dafür kämpfen wir, und dafür treten wir ein.
({14})
Ich halte überhaupt nichts davon - das habe ich schon an früherer Stelle gesagt -, wenn wir darüber diskutieren, ob andere die Kriterien erfüllen oder nicht. Ich warne davor, daß wir angesichts politischer Veränderungen in unserer Nachbarschaft in jüngster Zeit wieder eine Diskussion beginnen, in der die Frage aufgeworfen wird: Werden die das wollen oder nicht? Ich bin dafür, daß jedes Land für sich seine Entscheidung trifft und man erst zu dem Datum, an dem die Qualifikation der einzelnen Länder geprüft wird - im April oder Mai nächsten Jahres, so wie es vorgesehen ist -, darüber spricht, aber nicht vorher. Das heißt für mich ganz konkret, daß jeder von uns seine Verantwortung wahrnehmen muß. Wir in Deutschland müssen die notwendigen Entscheidungen treffen, um diesen Kriterien zu entsprechen.
({15})
- Das heißt im Klartext, daß alle Voraussetzungen für die zweite Hälfte des jetzt laufenden Haushalts und für den Haushalt 1998 in diesem Sinne geschaffen werden müssen.
({16})
Darüber hinaus müssen wir notwendigerweise auch das Jahr 1999 in die Betrachtungen einbeziehen, denn die Bundesregierung ist fest entschlossen, den Etatentwurf für 1999 im Sommer 1998 ordnungsgemäß vorzulegen.
Das heißt im Klartext, daß wir jetzt über die finanziellen Gegebenheiten zu reden haben. Das wird konkret so geschehen, wie ich es in der letzten Sitzung schon von diesem Pult aus gesagt habe - daran wird nichts geändert -, daß wir im Laufe des Juli, vermutlich in der ersten Julihälfte, den Etatentwurf. 1998 im Kabinett diskutieren und verabschieden. Gleichzeitig werden wir dann über den Finanzplan und ebenfalls - wie ich hier in der letzten Sitzung schon gesagt habe - darüber zu befinden haben, ob sich eine Notwendigkeit für einen Nachtragshaushalt ergibt oder nicht. Diese wichtigen Aufgaben werden wir, wie es die Ordnung gebietet, in diesen Tagen diskutieren und auch miteinander verabschieden.
({17})
- Es zeigt die ganze Absurdität Ihres Denkens, daß Sie, wenn man ein schwerwiegendes Problem miteinander diskutiert und um den besten Weg ringt, von Chaos sprechen. Das zeigt doch, daß Sie eine Politikvorstellung haben, die von der Wirklichkeit meilenweit entfernt ist.
({18})
Es ist mir auch ziemlich gleichgültig, ob Sie diese Meinung vertreten oder nicht. Ich weiß nur eines, daß wir angesichts dieser großen Probleme, die ganz unbestreitbar vorhanden sind, bei den eben genannten Entscheidungen - Nachtragshaushalt ja oder nein, Finanzplan und Etatentwurf 1998 - die Dinge in alle Richtungen abzuwägen haben.
({19})
Ich bin ganz sicher, daß wir die Probleme meistern werden. Die Ausgangslage für die Entwicklung unserer Wirtschaft hat sich wesentlich verbessert. Die im voraus geschätzten Wachstumsraten werden sich erfüllen, das ist inzwischen für jedermann erkennbar. Natürlich werden wir weiterhin das Hauptproblem dieses Jahres angehen müssen: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die größte innenpolitische Herausforderung. Aber Arbeitslosigkeit kann man nur bekämpfen, wenn man die notwendigen Reformvorhaben durchsetzt. Wenn ich mir beispielsweise in bezug auf die Lohnnebenkosten Ihre Haltung zur Rentenreform anschaue, kann ich nur sagen: Es ist absurd, daß Sie Tatsachen leugnen, die nicht politisch geschaffen sind, sondern durch die demographische Entwicklung in Deutschland.
({20})
Vom Deutschen Gewerkschaftsbund bis hin zu den Sachverständigen vieler Verbände sagen nahezu alle, daß wir den demographischen Entwicklungen Rechnung tragen müssen. Sie können leicht sagen, wir brauchen es nicht, weil Sie hier auf der Oppositionsbank sitzen und nicht in der Verantwortung stehen und auch nach dem September 1998 keine Verantwortung übernehmen werden.
({21})
Wir haben - dies ist ganz unbestreitbar - gerade bei der letzten Steuerschätzung erleben müssen, daß die Entwicklung bei den Steuereingängen - das ist ja nicht nur ein Problem des Bundes, sondern gilt auch für alle anderen Bereiche, auch für die Länder - zu erheblichen zusätzlichen Problemen führt. Deswegen ist es mir um so unverständlicher, warum es nicht möglich ist, daß wir uns ungeachtet unterschiedlicher Meinungen zusammensetzen und wenigstens bestimmte Kapitel und Teile aus der Steuerreform vorziehen.
({22})
Es ist ja bis in diese Tage hinein immer wieder der Vorschlag gemacht worden. Wenn ich die Berichte aus der Anhörung im Finanzausschuß über die Vorlagen lese, dann kann ich doch in vielen Bereichen überwiegend positive Reaktionen feststellen.
Natürlich können Sie sagen: Wir warten in dieser Sache ab, bis die Vorlage im Bundesrat ist, und dann werden wir den normalen Weg des Vermittlungsausschusses beschreiten.
Das kann man machen. Denn Sie wissen so gut wie ich - jeder im Saal weiß es -, daß die Steuerreform kommt. Das ist ganz eindeutig und klar absehbar. Es ist auch gar nicht zu vermeiden, daß sie kommt, weil die Interessen der Länder Sie zwingen. Sie können machen, was Sie wollen, Sie können Parteipräsidiumsbeschlüsse fassen, soviel Sie wollen, diese Steuerreform wird kommen. Sie wird nicht so kommen, wie wir sie vorgelegt haben. Auch das ist klar.
Wir werden dabei aber zu Regelungen kommen, von denen ich ganz sicher bin, daß sie dem Land weiter voranhelfen. Die Frage ist nur, ob es Ihre Betrachtungsweise und politische Opportunität ist, dies zu verzögern - Sie sagen doch andauernd, Sie wollten etwas gegen Arbeitslosigkeit tun -, oder ob wir eine schnellere Belebung von wichtigen Wirtschaftsbereichen erreichen, wenn wir in der Sache selbst schneller handeln. Das ist doch die Grundfrage. Die stellt sich an Sie. Das hat Wolfgang Schäuble ja gerade eindeutig bewiesen.
({23})
Sie mögen auch in Ihrer Haltung verharren, daß die Reformen, die überfällig sind, jetzt hinausgezögert werden. Das ist Ihre Sache. Sie haben ja in diesen Tagen oft tief Luft geholt und gesagt: Das ist ein prima Wahlergebnis. - Es sind ja auch prima Wahlergebnisse auf Ihrer Seite - nicht hier, aber anderswo. Sie denken, daraus könnten Sie Nektar gewinnen. Ich kann nur sagen: Wenn Sie sich an modernen Führern von sozialdemokratischen Parteien orientieren, dann müssen Sie selbst modern werden. Davon aber sind Sie weit entfernt.
({24})
Ihre Haltung zu den überfälligen Reformen wird angesichts des Beispiels deutlich, das ich noch einmal nennen möchte und das besonders bedrückend ist, nämlich das Beispiel der Rentenreform, deren Daten Sie genau kennen und die täglich neu in der Bundesrepublik für jedermann erkennbar sind: zum Beispiel die niedrige Geburtenrate, die erfreuliche Entwicklung, daß die Lebenserwartung der Menschen steigt und die Tatsache, daß unser Ausbildungssystem hinterherhinkt. Es ist ein unhaltbarer Zustand, daß junge Akademiker in Deutschland mit 30 und in anderen EU-Ländern mit 25 Jahren von der Universität abgehen. Sie können da nicht sagen, schuld sei die Bundesregierung. Sie haben in der Mehrzahl der Länder der alten Bundesrepublik die Regierungsverantwortung. Tun Sie endlich etwas, bevor Sie hier über solche Themen reden.
({25})
Jetzt noch zu dem Thema, das natürlich auch noch angesprochen werden muß: Die Koalition habe keine Mehrheit. Das höre ich unentwegt. Das höre ich seit der letzten Bundestagswahl, wie ich in diesen Jahren auch unentwegt höre: Ihr seid am Ende; ihr müßt abBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
treten. - Darüber sind jetzt schon beinahe anderthalb Jahrzehnte vergangen. Immer wieder kommt das gleiche.
Es ist ja in Ordnung, daß Sie die Hoffnung nicht aufgeben. Zum Hinweis auf Wahlen kann ich nur sagen: Wir haben doch jetzt einen Wahltermin: Am 27. September 1998 ist Bundestagswahl. Sie sind doch schon mitten dabei - auch das ist in Ordnung -, den Wahlkampf zu strukturieren. Sie versuchen doch schon, die neue Koalition mit dem gemeinsamen Auftreten der Spitzenleute deutlich zu machen.
Wenn Sie in die neuen Länder gehen, dann können Sie doch sehen, wie Ihre örtlichen Mandatschefs den Kontakt zur PDS suchen, damit sie den Rest auch noch finden.
({26})
Hören Sie doch einmal hin, wie Herr Höppner in Sachsen-Anhalt versucht, sogenannte intellektuelle Angebote an die PDS zu machen!
({27})
Das ist doch ganz klar das Szenario. Ich verstehe gar nicht, warum Sie dies nicht zugeben. Sie können doch ganz einfach sagen: Ja, wir wollen, daß diese Koalition, diese Bundesregierung und der Bundeskanzler abtreten. Das ist Ihr gutes Recht.
({28})
- Ich finde es schon eigenartig, daß Sie Ihre eigenen Wünsche beklatschen müssen.
({29})
Das verstehe ich nun überhaupt nicht. Es ist doch nicht wie früher, als Breschnew und andere da waren, wo alle aufgestanden sind und geklatscht haben. Ich muß doch davon ausgehen, daß das, was Sie wollen, für Sie eine Selbstverständlichkeit ist. Daß man sich selbst beklatschen muß, ist mir völlig neu. Aber ich muß jeden Tag dazulernen.
Ich sage es noch einmal: Wir haben jetzt genügend Gründe für kämpferische Auseinandersetzungen. Das ist vor einer Wahl immer so. Wir haben in ein paar Monaten die Wahl in Hamburg. Sie sehen schon, wie sich der Hamburger Bürgermeister in der Steuerdebatte nach vorne rudert, damit die Leute auf der Elb-Chaussee erkennen können, daß auch ein Bürgerlicher ihn wählen kann.
({30})
Wolfgang Schäuble hat das wunderbar dargestellt.
Dann haben wir im nächsten Frühjahr die Wahl in Niedersachsen. Alles ist vorbereitet, damit der Spitzenkandidat vielleicht doch noch zum Zuge kommt - soweit nicht Herr Lafontaine ihm den Weg versperrt.
Auch das gehört zum Alltag der Politik. Das hatten wir auch in unserer Partei schon; deswegen rege ich mich darüber nicht auf.
Dann haben wir die Wahl in Sachsen-Anhalt. Sie sehen, daß der Wahlkampf dort voll im Gang ist. Das, was Herr Höppner tut, ist nichts anderes als eine Absicherung seiner Nichtmehrheit durch die Stimmen der PDS. Dann haben wir die Wahl in Bayern. Sie haben vorhin selbst gesagt, daß die CSU eine mächtige Partei ist. Das wird sie zu ihrer Freude auch bleiben.
({31})
Dann haben wir die Bundestagswahl. Vor der Bundestagswahl werden wir uns im Bund und in den Ländern kämpferisch über alles auseinandersetzen, was ansteht. Herr Ministerpräsident, Sie werden gleich hier sprechen. Wir haben inzwischen eine seltsame Entwicklung: Man muß dasitzen, bis alle gesprochen haben.
({32})
Aber, Herr Ministerpräsident, ich muß Ihnen zwei Dinge sagen. Erstens. Das, was Sie über die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages gesagt haben, sollten Sie heute in Ordnung bringen.
({33})
Zweitens. Ich will das Thema jetzt nicht vertiefen, aber wir müssen auch über das sprechen, was in den einzelnen Bundesländern, in denen die Sozialdemokraten die Verantwortung tragen, geschieht. Besonders in den Ländern, deren Sozialdemokraten auch bundespolitisch hervortreten, gibt es unglaubliche Rechnungslegungen.
({34})
- Ich würde als Niedersachse in bezug auf Bayern und Baden-Württemberg meinen Mund halten. Wenn ich aus Niedersachsen käme, würde ich davon nicht sprechen. Aber das ist Ihre Sache.
Wir haben zwei Dinge zu tun. Erstens: Wir müssen vor allem unserer Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung und für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gerecht werden. Das muß im Vordergrund stehen. Deswegen haben wir unsere Reformen auf den Weg gebracht. Deswegen haben wir viele Gesetze gegen den erbitterten Widerstand von Ihrer Seite durchgesetzt. Sie werden auch ihre Wirksamkeit haben. Es wird vielleicht langsam gehen, aber es wird gehen. Zweitens haben wir dann genug Zeit, uns in der politischen Arena über Ihren und über unseren Weg auseinanderzusetzen.
Dann lassen Sie uns den Abend jenes Septembertages abwarten, um zu sehen, was die Wähler sagen. Ich bin guter Dinge: Ihre Erwartungen werden einmal mehr nicht in Erfüllung gehen, und das ist gut
so.
({35})
Bevor ich das Wort erteile, möchte ich den Mitgliedern des Hauses
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
sagen, daß ich Grund zu der Annahme habe, daß der Ministerpräsident Lafontaine In seiner Rede Bemerkungen zu den Äußerungen machen wird, die Gegenstand einer Beschlußfassung des Ältestenrates waren. Dies wollte ich vorausgeschickt haben.
Ich gebe das Wort dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, als Mitglied des Bundesrates.
({0})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mehrfach aufgefordert worden, mich zu der Tatsache zu äußern - ({2})
- Herr Kollege Schäuble, ich habe Ihre Ausführungen zur Kenntnis genommen. Beruhigen Sie sich; Sie werden meine Stellungnahme hören.
({3})
- Beruhigen Sie sich!
({4})
Ich hatte auf Gewerkschaftskundgebungen zunächst einmal gegen diejenigen polemisiert, die ständig Kohlevereinbarungen brechen, und sie als Flaschen bezeichnet. Ich hatte auf Gewerkschaftskundgebungen gegen diejenigen polemisiert, die gegen Entsenderichtlinien und die Verbindlichkeitserklärung eintreten, und sie als Pfeifen bezeichnet.
({5})
Sie, Herr Kollege Dr. Schäuble, und andere haben daraus unzulässigerweise die Behauptung abgeleitet, ich hätte alle Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages mit diesen Verbalinjurien belegt.
({6})
Es gibt Kollegen in diesem Hause, die nicht dafür sind, Kohlevereinbarungen zu brechen, und es gibt Kollegen in diesem Hause, die für Entsenderichtlinien sind, weil ihnen die Dumping-Praktiken auf Baustellen ein Ärgernis sind.
({7})
Ich habe an dem Tag, an dem mir die Mißbilligung des Ältestenrates telefonisch zur Kenntnis gebracht wurde, nachgelesen, welche Verbalinjurien an diesem Tag hier gegenüber den Kollegen der SPD-Fraktion gebraucht wurden. So hat beispielsweise der Bundeskanzler sie als Schreihälse bezeichnet.
({8})
Ich habe Ihnen, Herr Dr. Schäuble, vorhin zugehört. Sie haben ein Verfassungsorgan, den Bundesrat, mit der Verbalinjurie „Affentheater" bedacht. Das legt zumindest den Schluß nahe, daß damit diejenigen, die in diesem Verfassungsorgan mitwirken, in die Nähe von Affen gerückt werden.
({9})
Dies alles vorausgeschickt, Herr Kollege Dr. Schäuble, stelle ich fest - insbesondere nach Ihren Äußerungen -:
({10})
Es ist unangemessen, einen einzigen hier in diesem Hause als Flasche oder als Pfeife zu bezeichnen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zur Sache.
({12})
Ihr lautes Reden - das Wort „Schreihälse" benutze ich nicht - imponiert mir überhaupt nicht.
({13}) Ich komme jetzt zur Sache.
({14})
Der Bundeskanzler hat vorhin in einer schwierigen Situation der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik eine Rede gehalten und hat zunächst im Hinblick auf den Antrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, den Finanzminister zu entlassen, erklärt, daß er hinter dem Finanzminister steht. Zu diesem Zweck hat er den Ministerpräsidenten der Niederlande, Wim Kok, zitiert.
({15})
Einen Augenblick, meine Kollegen.
({0})
Der Ministerpräsident des Saarlandes hat das verfassungsmäßige Recht, in diesem Hause zu reden. Wir werden ihm dieses Recht zu reden nicht nehmen. Ich bitte also um Ruhe. Ansonsten wäre ich verpflichtet, die Sitzung zu unterbrechen.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes als Mitglied des Bundesrates.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Ich habe festgestellt, daß sich der Bundeskanzler unter Verwendung eines Zitates des niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok schützend vor den Finanzminister gestellt hat. Er wollte damit belegen, daß der Antrag der Oppositionsfraktionen, den Finanzminister zu entlassen, unangemessen sei.
Er hat in diesem Zusammenhang das Wort „Herabsetzung" des Finanzministers gebraucht, und er meinte, es sei der Versuch unternommen worden, den Finanzminister persönlich herabzusetzen. Ich will klarstellen: Wenn der Antrag auf Entlassung eines Ministers gestellt wird, dann geht es nicht um die persönliche Herabsetzung dieses Ministers. Das ist nicht das Ziel eines solchen Antrags.
Der Antrag meint, daß der Minister mit seiner Politik gescheitert ist und daß er dafür die politische Verantwortung übernehmen soll.
({2})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben weiter ausgeführt, daß die Oppositionsparteien alles getan hätten, um das fachliche Ansehen des Finanzministers und das Ansehen der Bundesregierung zu beschädigen. Dazu bedurfte es der Anträge der Oppositionsparteien nun wirklich nicht mehr.
Ich lese Ihnen jetzt drei Stellungnahmen vor. Sie mögen das, was die Oppositionsparteien vortragen, mit einer Handbewegung wegwischen, aber das, was die internationale Öffentlichkeit diskutiert, das dürfen und können Sie in Ihrer Verantwortung als Bundeskanzler nicht einfach mit läppischen Bemerkungen vom Tisch wischen wollen.
({3})
„The Wall Street Journal" schreibt: „Das Geschacher der Regierung Kohl hat Deutschland nahezu jeder moralischen Autorität beraubt". Könnte ein Urteil der Oppositionsfraktionen härter ausfallen?
Die italienische Zeitung „Corriere della Sera" stellt fest: „Die Folgen für die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands, für die gemeinsame europäische Währung und für den gesamten Prozeß der europäischen Integration sind unkalkulierbar".
Eine deutsche Stimme: Unter der Überschrift „Vertrauen zerstört" schreibt das „Handelsblatt": „Deutschland ist auf dem besten Wege, sich weltweit lächerlich zu machen".
Unter der Überschrift „Der Abstieg" heißt es im selben Blatt: „Die deutsche Bundesregierung diskreditiert sich selbst, sie untergräbt das Vertrauen der Finanzmärkte und der Bürger in die künftige Stabilität des Euro".
Sie, Herr Bundeskanzler, haben davon geredet, daß das Ansehen der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers herabgesetzt worden sei. Niemand hat mehr dafür getan als Sie, Ihre Koalition und der Finanzminister selbst, um das Ansehen dieses Landes und der Bundesregierung in der internationalen Diskussion herabzusetzen.
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Sie haben den Euro als eine historische Chance bezeichnet. Ich stimme für die SPD dieser Aussage zu. Ich stimme auch der Aussage zu, daß wir, wenn der Euro scheitert, kaum eine Möglichkeit haben werden, einen neuen Anlauf in überschaubarer Zeit zu machen. Deshalb geht das Ringen in diesem Hause auch darum, welche Politik in Deutschland gemacht werden muß, um das Ziel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen und die europäische Integration voranzubringen.
Dabei gibt es allerdings erhebliche Unterschiede, Herr Bundeskanzler. Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung", in der steht: „Die Deutschen stehen allein". Sie haben sich immer wieder gegenüber der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit der Feststellung gebrüstet, daß Sie in Gesamteuropa auf große Zustimmung aller Parteien, auch der sozialdemokratischen Parteien stoßen, während die SPD in Deutschland isoliert sei.
Nun lesen wir hier: „Die Deutschen stehen allein". Damit ist Ihre Regierung gemeint. Warum? Sie stehen allein, weil Sie ein entscheidendes Ziel der europäischen Politik unfreiwilligerweise auf der Grundlage einer falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik verfehlt haben, nämlich Europa zu einem Europa zu machen, in dem die Bürgerinnen und Bürger Zugang zum Erwerbsleben haben. Wir müssen nicht nur ein Europa der stabilen Konten schaffen, sondern wir brauchen den Zugang zum Erwerbsleben in Europa.
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Wenn ganz Europa ein Beschäftigungskapitel fordert - das tun mittlerweile alle Staaten mit Ausnahme Spaniens - und wenn Sie und der Finanzminister sich hinstellen und sagen: ,,Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause", dann provozieren Sie zunächst Äußerungen aller Kolleginnen und Kollegen in Europa. Wir sehen ja, zu welchem Ergebnis Sie dabei gelangt sind. Aber im Grunde genommen ist das Zynismus gegenüber den anderen europäischen Mitgliedstaaten, der auf Dauer die europäische Einigung gefährden kann.
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Es ist richtig, daß bestimmte Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung nur auf europäischer Ebene vereinbart werden können. Deshalb blockieren Sie nicht ständig das wichtige Beschäftigungskapitel im Europäischen Vertrag!
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Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({8})
Sie haben hier die Bundesbank angesprochen und darauf hingewiesen, daß es internationale Kritik an ihr gab. Sie haben die Kritik in Verbindung gebracht mit der Frage der Unabhängigkeit. Auch hierzu eine Klarstellung: Wer Kritik an den Entscheidungen irgendeines Verfassungsorgans oder irgendeiner Institution übt, stellt nicht deren Rechtsstatus in Frage; Kritik an der Bundesbank und ihrer Geldpolitik ist nach wie vor zulässig, ja teilweise erwünscht. Aber die Unabhängigkeit der Bundesbank ist eine andere Frage. Diese Unabhängigkeit sollte im allgemeinen Interesse gewahrt bleiben.
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Sie haben in der letzten Zeit das Beschäftigungsziel aus dem Europäischen Vertrag vernachlässigt. Sie stehen allein in der Europäischen Gemeinschaft, und Sie gefährden deshalb die europäische Einheit; denn die große Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union möchte nicht nur einen Euro, der im Hinblick auf die Stabilität des Geldwertes konzipiert ist, sondern eine Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene, die die Beschäftigung angesichts von 18 Millionen Arbeitslosen in den Mittelpunkt der europäischen Politik stellt. Dies ist unsere Auffassung; diese Auffassung teilen wir mit der großen Mehrheit der europäischen Regierungen.
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Wir sind nämlich der Meinung: Es ist zwar ein Nachteil für diejenigen, die Geld besitzen, wenn der Geldwert, etwa im Zuge mangelnder Preisstabilität, gefährdet wird; das ist gar keine Frage. Es ist aber ein viel größerer Verlust, wenn man seinen Arbeitsplatz verliert bzw. wenn man als junger Mensch nicht die Gelegenheit hat, überhaupt in das Arbeitsleben einzutreten. Deshalb muß das Beschäftigungskapitel verabschiedet werden, und deshalb muß die Beschäftigungspolitik in den Mittelpunkt der Europäischen Gemeinschaft gestellt werden; anders ist Europa nicht zu bauen.
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Dazu gibt es dann konkrete Schritte. Wir haben in diesem Hause immer wieder gesagt: Eine Steuerharmonisierung auf europäischer Ebene ist die Grundlage für Wohlstand und Beschäftigung in der gesamten Europäischen Gemeinschaft. Denn wir sind der Auffassung, daß es nicht zulässig sein kann, daß sich die Vermögenden durch Wohnsitzverlagerungen, die Geldbesitzer durch Kontoverlagerungen und die Unternehmer durch Sitzverlagerungen der nationalen Besteuerung entziehen können, während die Steuern für die Beschäftigten immer höher werden. Wir wollen ein Europa der sozialen Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer und damit auch eine Besteuerung, bei der Vermögende, Kapitalbesitzer und Unternehmer genauso zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben herangezogen werden wie die Arbeitnehmerschaft in Gesamteuropa.
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Sie haben diesen sachlichen Vorschlag hier zunächst als illusorisch abgetan. Es ist begrüßenswert, daß Sie jetzt, nach einem Jahr, eingesehen und erklärt haben, daß die Steuerharmonisierung ein richtiger Vorschlag ist und daß wir da weiterkommen müssen. Aber dies setzt, wie beim Beschäftigungskapitel, eine Institutionenreform voraus. Wer wie Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, das Einstimmigkeitsprinzip auch bei diesen Entscheidungen hochhält, der will keine Harmonisierung und blockiert an dieser Stelle den Fortgang von Wohlstand und Beschäftigung in der Europäischen Gemeinschaft.
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Wir begrüßen es, daß die Sozialcharta jetzt auch von der britischen Regierung unterzeichnet wird. Der luxemburgische Premierminister Juncker hat mehrfach öffentlich darauf hingewiesen, daß dieses Europa keine Akzeptanz in der Bevölkerung mehr haben würde, wenn ein Wettlauf beim Abbau sozialer Rechte einsetzen würde. Er hat gesagt: Auch beim Kündigungsschutz dürfen wir doch jetzt nicht in einen verhängnisvollen Wettlauf eintreten, um uns zu überbieten, wenn es darum geht, Arbeitnehmerrechte abzubauen. - Auch dies sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben; denn Sie haben in diesem Land den Kündigungschutz abgebaut und damit Mitverantwortung dafür auf sich geladen, daß die Arbeitnehmer in Europa immer mehr zweifeln, ob dieses Europa tatsächlich ein Europa der sozialen Gerechtigkeit wird.
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Sie haben dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß das Bemühen um die europäische Währungsschlange durch die Regierung Schmidt richtig war. Das hat sich schon einmal anders angehört. Es ist sicherlich auch richtig, daß die Bundesbank damals andere Auffassungen vertreten hat.
Deshalb sage ich hier noch einmal: Die Bundesbank soll unabhängig sein. Aber diese Position können wir nur vertreten, wenn wir auch Schritte hin zur Europäischen Zentralbank begründen; denn es ist doch kein Geheimnis, daß die Geldpolitik von der Bundesbank nicht nur für Deutschland, sondern für Gesamteuropa gemacht wird.
Es ist ebenso kein Geheimnis, daß die Geldpolitik große Auswirkungen auf die Beschäftigung hat. Wenn also in einer solchen Situation gesagt wird: Wir machen die Beschäftigungspolitik hier zu Hause, dann mag das in deutschen Ohren noch akzeptabel klingen. Aber im europäischen Kontext ist das im Grunde genommen eine Anmaßung, die man nicht weiter vortragen sollte. Denn die Europäer haben das
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({15})
berechtigte Anliegen, auch an der Geldpolitik mitzuwirken, weil sie für Wachstum und Beschäftigung konstituierend ist.
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Aus diesem Grunde geht es also darum, wie Sie die Bundesbank im Vorfeld der Europäischen Währungsunion behandeln.
Nun haben Sie hier den Eindruck zu erwecken versucht, Sie stünden bei Ihren Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem Europäischen Währungsinstitut. Ich sage noch einmal: Das ist falsch. Sie stehen nicht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Währungsinstitut; denn alle Stabilitätsvereinbarungen auf europäischer Ebene hatten ein einziges Ziel: nicht mit Buchungstricks kurzfristig das Stabilitätsziel zu erreichen, sondern längerfristig die Konsolidierung der Haushalte durchzuführen. Gegen dieses Prinzip verstoßen Sie mit den Vorschlägen, die Sie gemacht haben.
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Das besonders Peinliche ist, daß gerade Sie jahrelang in Europa herumgelaufen sind und gesagt haben: Hütet euch vor Buchungstricks! Sie haben insbesondere gegenüber Italien Bemerkungen gemacht, die im Grunde genommen geeignet waren, das Ehrgefühl der italienischen Regierung zu verletzen - wenn wir schon in diesem Hause heute von Ehrgefühl reden.
Da war es nicht mehr als richtig, wenn Herr Dini Ihre Großmäuligkeit in Sachen Haushaltspolitik mit der Bemerkung zurückgewiesen hat, nun solle auch die Bundesregierung keine Buchungstricks anwenden, um den europäischen Stabilitätspakt zu erfüllen. Das hatten Sie verdient; ich möchte das hier in aller Klarheit feststellen.
Nun ein paar Bemerkungen zu dem, was Sie, Herr Bundeskanzler, zur Situation hier in der Bundesrepublik gesagt haben: Sie haben geglaubt, Sie könnten darüber spotten, daß es bei der SPD noch keine Entscheidung darüber gebe, wer Kanzlerkandidat sei. Ich will Ihnen nur sagen: Hören Sie genau zu, was in Ihrer Partei los ist! Ich meine jetzt nicht nur Herrn Biedenkopf. Ich rate Ihnen, wenn Sie so weitermachen, sich in einigen Monaten selber die Frage zu stellen, ob Sie noch Kanzlerkandidat Ihrer Partei sein werden. Das sage ich hier vor dem Deutschen Bundestag.
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Im Grunde genommen weiß doch jeder, daß die Kritik am Finanzminister letzten Endes auf Sie zielt, nicht nur bei der Opposition, sondern auch in Ihren eigenen Reihen, nicht nur bei Herrn Biedenkopf, sondern bei immer mehr Mitgliedern der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, die bei der Fortsetzung dieser Politik den Verlust ihrer Mandate fürchten und die sich von den selbstgefälligen Äußerungen, die Sie hier wieder gemacht haben, überhaupt nicht in die Irre führen lassen. Wir beobachten das mit großem Interesse.
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Wenn einer Regierung nichts anderes mehr einfällt, als die Opposition anzugreifen, dann ist das ein Ausweis ihrer Schwäche. Wenn Sie beispielsweise sagen, bei der Rentenreform seien wir diejenigen, die irgend etwas verhinderten, dann nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, daß Sie Ihr Gesetz allein verabschieden können. Dann machen Sie es doch, wenn Sie es für richtig halten! Warum tun Sie hier so, als würden wir Ihre hehren Ideen bei der Rentenreform blockieren?
Zur Sache selbst: Offensichtlich haben Sie die Vorschläge überhaupt nicht durchgelesen. Wenn Sie den demographischen Faktor berücksichtigen, Herr Bundeskanzler, dann können Sie auf der einen Seite den Ansatz nehmen, daß bei Beibehaltung des Renteneintrittsalters längerfristig die Rente absinkt. Sie können aber auch - das ist ein Kommissionsvorschlag meiner Partei - bei entsprechender Lage des Arbeitsmarktes das Renteneintrittsalter erhöhen - was Sie bereits bei den Frauen getan haben -, mit dem Ergebnis, daß bei früherem Rentenbezug eine geringere Rente gezahlt wird.
Stellen Sie sich doch nicht hier hin, und tun Sie nicht so, als wären Ihre Vorschläge der Ausdruck völliger Modernität, während alternative Vorschläge von Fachleuten völlig unmodern und nicht diskussionswürdig wären! Es ist diese Arroganz, die Ihnen zum Verhängnis wird, weil Sie einfach nicht bereit sind, über solche Fragen sachbezogen zu diskutieren.
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Das gilt im besonderen für die Steuerpolitik. Da haben Sie keine Mehrheit. Sie versuchen zwar, mit viel Getöse davon abzulenken, aber Sie sind nicht in der Lage, ein Gesetz allein zur Absenkung des Solidaritätszuschlages hier in diesem Hause vorzulegen. Warum? - Weil Sie sich Ihrer Mehrheit nicht sicher sind, weil Sie nicht wissen können, ob Sie alle ostdeutschen Abgeordneten noch dabeihaben werden, wenn abgestimmt wird. Sie können sich dieser Tatsache nicht sicher sein.
Sie wissen ganz genau, daß die Festlegungen Ihrer Koalition nicht aufgehen können. Wenn die F.D.P. sagt „keine Steuererhöhungen", wenn die F.D.P. sagt „in jedem Fall Soli-Absenkung", wenn die F.D.P. auch sagt „Unser altes Versprechen, keine höhere Neuverschuldung, kassieren wir" und gleichzeitig bei Ihnen gesagt wird „3,0 ist 3,0" und „Wir wollen keine höhere Neuverschuldung als die Neuinvestitionen" - auch hier sind Sie dabei, das zu fressen -, dann wissen Sie genau, daß das nicht aufgeht. Richten Sie nicht immer wieder Blockadevorwürfe an die Opposition; setzen Sie sich mit der Selbstblockade
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({21})
Ihrer Koalition auseinander, die am Ende ist. Damit sind auch Sie am Ende, sehr verehrter Herr Bundeskanzler.
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Sie haben hier noch einmal Ihre Steuerpolitik gerechtfertigt. Das ist wirklich abenteuerlich. Es ist fast nicht mehr zu fassen. Vor einigen Monaten haben wir Sie angesichts der zu erwartenden Steuerschätzung gewarnt, Steuersenkungsversprechen in einer Größenordnung von zig Milliarden DM zu machen. Aber Sie waren unbelehrbar. Wir haben Sie an Steuerlügen erinnert, die andere gemacht haben, und an Ihre eigenen. John Major hat vor der Wahl eine Steuerlüge begangen; nach der Wahl mußte er die Steuern erhöhen. Er wurde abgewählt. Chirac hat eine Steuerlüge begangen: Er hat Steuersenkungen versprochen. Nach der Wahl mußte er die Steuern erhöhen. Sie kennen das Ergebnis.
Wie viele Steuerlügen Sie bereits begangen haben, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Das Versprechen, die Steuern um 30 bis 50 Milliarden DM zu senken, ist in der gegenwärtigen Haushaltssituation geradezu absurd. Hören Sie auf, einen solchen Blödsinn hier in diesem Hohen Hause zu verzapfen!
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Sie haben eine solche Politik auch noch als Modernitätsansatz, als moderne Politik bezeichnet. Dazu ein paar Bemerkungen.
Auf europäischer Ebene haben Sie einen Stabilitätspakt zum ersten Ziel Ihrer Politik gemacht, als die monetären Daten der Mitgliedstaaten bereits eine Konvergenz erreicht hatten, die es vorher noch niemals gab: Preisstabilität, Wechselkursstabilität und Höhe des realen und des nominalen Zinsniveaus. Auf der anderen Seite wuchsen die Arbeitslosenzahlen immer weiter. Dennoch haben Sie sich ständig einer beschäftigungspolitischen Initiative widersetzt, beispielsweise auch dem Ausbau der transeuropäischen Netze, der eine Investition in die Zukunft ist für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.
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Zusammengefaßt kann man folgendes sagen: In England und in Frankreich ist eine Politik gescheitert, für die Sie hier seit Jahren stehen, Herr Bundeskanzler. Diese Politik setzt auf Sozialabbau. Ich weiß nicht, wie viele Kürzungspakete wir in diesen Jahren verabschiedet haben. Diese Politik setzt auf ständiges Predigen von Lohnzurückhaltung, obwohl es vernünftig wäre, immer wieder zu sagen: Die Löhne müssen der Produktivität folgen, weil die Nachfrage in der Binnenwirtschaft nicht immer weiter zurückgehen darf. Es ist ein völlig unbefriedigender Zustand, daß die Reallöhne in den letzten Jahren im Schnitt zurückgegangen sind, auch wegen Ihrer verfehlten Steuerpolitik.
Es ist ebenso falsch, immer wieder Unternehmensteuersenkungen zu fordern, wo es doch kein Problem bei den Gewinnen der Unternehmen in diesem Lande gibt. Wenn Sie die Bundesbankberichte lesen, dann können Sie feststellen, daß zur Finanzierung der Investitionen ausreichend Eigenkapitalmittel vorhanden sind. Das steht in jedem Bundesbankbericht. Was fällt Ihnen ein, neue Kürzungen sozialer Leistungen und Lohnzurückhaltung zu fordern und dann auch noch ein Projekt zu diffamieren, das sich die französische Regierung auf die Fahne geschrieben hat, beispielsweise die Arbeitszeitverkürzung?
Wir sagen, Arbeitszeitverkürzungen sind ein geeignetes Mittel, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, aber nicht Arbeitszeitverkürzungen bei nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sondern Arbeitszeitverkürzungen bei Beschäftigungsverhältnissen mit Sozialversicherungspflicht. Das ist das soziale Europa, für das wir - im Gegensatz zu Ihrer Politik - eintreten.
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Es ist keine Modernität, wenn man alles auf ökonomische Kategorien verkürzt. Modernität liegt nicht vor, wenn man meint, Sozialabbau sei besonders modern. Es ist auch keine Modernität, wenn man flexible Arbeitszeiten von der Sozialversicherung und von der Mitbestimmung der Beschäftigten abkoppelt. Das ist nach unserer Auffassung nicht modern. Modern ist es auch nicht, einen sozialen Dumpingwettbewerb der Staaten zu predigen mit dem Ergebnis, daß sich die Reichtums- und die Armutskurve in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft immer weiter auseinanderbewegen.
Unsere Auffassung von Modernität umfaßt auf der einen Seite die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Leben. Das ist noch wichtiger als kurzfristige ökonomische Maßnahmen.
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Auf der anderen Seite sehen wir in einer Wirtschafts- und Finanzpolitik, die systematisch die Binnennachfrage schwächt, die dem Irrglauben huldigt, Export und Preisstabilität seien die Formen, mit denen man in Europa bestehen könne, die eigentliche Ursache für die tiefe Krise, in der wir uns jetzt befinden.
Sie mögen jetzt noch weiterwursteln und dies auch noch mit Selbstlob begleiten; dieses Weiterwursteln wird aber die Arbeitslosigkeit in diesem Lande nicht abbauen. Deshalb sage ich noch einmal: Schauen Sie auf die Arbeitslosenzahlen, dann haben Sie das Urteil über Ihre Politik in den Legislaturperioden, in denen Sie Verantwortung getragen haben.
Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben Sie eklatant versagt, Herr Bundeskanzler. Die Selbstblockade der Koalition ist eine Belastung für die
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({27})
Menschen in diesem Land, die Arbeit haben wollen. Deshalb ist es an der Zeit, daß Sie endlich Konsequenzen ziehen.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hans-Peter Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ,,Was Oskar Lafontaine da gesagt hat, entspricht genau den Äußerungen, wie wir sie 1932 von Nazis -"
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Ich darf wiederholen - zum Mitschreiben, wenn Sie es wünschen -: „Was Oskar Lafontaine da gesagt hat, entspricht genau den Äußerungen, wie wir sie 1932 von Nazis und Kommunisten über den Reichstag und seine Abgeordneten gehört haben."
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Ich darf fortfahren: „Es ist unentschuldbar, daß der Vorsitzende einer großen Volkspartei mit solchen Entgleisungen die parlamentarische Demokratie belastet. " - Diese Aussage hat zur Ehrenrettung der Sozialdemokratischen Partei der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Rappe, zitiert in „Bild am Sonntag" vom 11. Mai, gemacht.
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Er hat damit - wie ich meine - die Ehre der Partei, aber nicht die ihres Vorsitzenden gerettet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Äußerungen, die Herr Ministerpräsident Lafontaine heute morgen zu diesem Thema gemacht hat, haben die Lage eher verschlimmert. Er hat eine große Chance ganz persönlich vertan, er hat aber auch eine Chance zur Wahrung eines Mindestmaßes an parlamentarischem Stil vertan.
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Es ist schon ein einmaliger Vorgang, daß sich der Ältestenrat mit einem solchen Thema befassen und den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes ob seiner Aussagen rügen muß.
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Ich gehe noch einmal auf ein Thema ein, das sowohl Herr Lafontaine als auch Herr Scharping intensiv behandelt haben, nämlich die vermeintlichen Äußerungen aus dem Ausland im Hinblick auf die Ereignisse der letzten Tage und insbesondere im Hinblick auf das Verhalten unseres Finanzministers Theo Waigel.
Es ist interessant, zur Kenntnis zu nehmen, was der luxemburgische Ministerpräsident und Finanzminister Jean-Claude Juncker hierzu heute morgen erklärt hat - ich möchte dies dem Hohen Hause wörtlich vortragen -:
Mir drängt sich eigentlich ein weites Unverständnis auf. Ich kann wirklich nicht erkennen, wieso und weshalb das Gerücht herumgereicht wird, bei dem, was die Bundesregierung in Planung genommen hat, handelt es sich um einen miesen Buchungstrick. Dies ist überhaupt nicht meine Analyse. Ich halte das, was vorgeschlagen wurde und was jetzt auch nach dem Gespräch Waigel/ Tietmeyer entschieden wurde, für einen sehr normalen Vorgang, und ich bin sehr überrascht, daß man Theo Waigel jetzt unterstellt, er hätte hier eine Art obszönen Anschlag auf die Bundesbank verüben wollen.
Jean-Claude Juncker führt weiter aus, in welchem Maße sich gerade der deutsche Finanzminister in den letzten Jahren vor die Bundesbank gestellt hat.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir uns in einer schwierigen finanz- und haushaltspolitischen Lage befinden, wird gar nicht bestritten; das ist auch heute morgen offenbar geworden. Dies hat auch der Finanzminister eingeräumt. Nur ist das, was sowohl der Herr Fraktionsvorsitzende Scharping als auch Herr Fischer hier an Lösungsansätzen beigetragen haben, über Platitüden und billige Polemik nicht hinausgegangen.
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Ich bitte auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, zur Kenntnis zu nehmen, daß nicht der Finanzminister für die Situation, in der wir uns befinden, verantwortlich ist.
Herr Kollege Fischer kommt mit seinen Mätzchen auch nicht weiter. Er braucht sich genausowenig Sorgen wie der sozialdemokratische Parteivorsitzende zu machen, daß es uns an entsprechenden Mehrheiten mangele. Was ist eigentlich sinnvoller, als den Antrag der SPD an den Finanzausschuß zu überweisen, wenn man weiß, daß morgen im zuständigen federführenden Ausschuß die Gesamtproblematik in Anwesenheit des Präsidenten der Bundesbank, Herrn Professor Tietmeyer, behandelt wird? Wir haben keine Sorgen vor mangelnden Mehrheiten, sondern wir haben das einzige Verfahren gewählt, das zielführend und sinnvoll ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen, daß wir an ein paar Grundtatsachen nicht vorbeikommen. Zum einen müssen wir feststellen, daß sich der Abbau der Arbeitslosigkeit im konjunkturellen Aufschwung langsamer als in allen früheren Konjunkturzyklen vollzieht. Dies ist ein Ergebnis, das weder der Bundeskanzler noch die Bundesregierung zu verantworten hat; es ist auch ein Ausfluß der Globalisierung unserer Märkte.
Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Steuereinnahmen spärlicher als erwartet fließen. Aber auch das hat doch nicht der Bundesfinanzminister zu verantworten.
Ich möchte hier noch einmal deutlich ein Problem herausarbeiten, das Herr Kollege Scharping heute morgen angesprochen hat. Auch wenn es schon im „Handelsblatt" gestanden hat, wird es dadurch nicht wahr, und ich bitte Sie darum, mit der Wahrheit etwas sorgfältiger umzugehen. Sie warfen der Koalition im „Handelsblatt" vor, in den vergangenen zehn Jahren bereits fünf verfassungswidrige Haushalte aufgestellt zu haben. Tatsache ist, daß jeder Haushalt, der unter Verantwortung dieses Finanzministers erstellt wurde, ein verfassungsmäßiger Haushalt ist.
Tatsache ist aber auch, daß es im Laufe des Jahres zu bestimmten Veränderungen kam, die nicht die Regierung und nicht der Finanzminister zu verantworten haben, die zu einer höheren Schuldenaufnahme geführt haben, als dies den Neuinvestitionen entsprach. Sie wissen so gut wie ich, daß die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit des Bundeshaushaltes mit der Aufstellung des Haushalts und nicht mit dem Vollzug des Haushaltes geprüft wird. Deshalb sollten Sie in Zukunft unterlassen, diese Unwahrheit auszusprechen.
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Wir wissen ganz genau, daß wir trotz einer sich positiv entwickelnden Konjunktur, die darauf hindeutet, daß sich die Wachstumsprognosen für dieses und das nächste Jahr in Höhe von 2,5 bis 2,75 Prozent bewahrheiten werden, Probleme haben. Andererseits haben wir Preisstabilität, günstige Zinsen, steigende Auftragseingänge, eine zunehmende Kapazitätsauslastung und sinkende Lohnstückkosten. Dies alles ist doch der Nachweis einer guten Politik, wie sie unter der Führung unseres Bundeskanzlers betrieben wird.
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Wenn wir dennoch Probleme haben, gibt es dafür zwei Gründe. Der eine Grund ist struktureller Art, und der andere Grund ist politischer Natur.
Um die strukturellen Gründe anzusprechen: Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß im Zeichen einer globalisierten Weltwirtschaft Arbeitsplätze und Investitionen dorthin gehen, wo die attraktivsten Bedingungen für Investoren sind. Weil wir diese Tatsache zur Kenntnis genommen haben, haben wir mit unserem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung und mit einer Vielzahl von anderen Maßnahmen reagiert. Da hilft keine Sozialromantik; da hilft auch keine vermeintliche oder - wie ich glaube - falsche Solidarität bei Demonstrationen, wo auch immer sie stattfinden.
Die Politik dieser Bundesregierung wird als unsozial qualifiziert. Ich stimme Herrn Lafontaine zu, wenn er die Arbeitslosigkeit als ein großes Problem darstellt. In diesem Punkt sind wir uns alle einig. In diesem Zusammenhang möchte ich unseren Bundespräsidenten zitieren. Er hat vor wenigen Tagen auf einem Kongreß in der Schweiz folgendes gesagt:
Es mag etwas simplifizierend klingen, stimmt aber doch: Ob eine Gesellschaft „sozial" ist
- meine Damen und Herren von der SPD entscheidet sich im Zeitalter der Globalisierung nicht allein am Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit, sondern vor allem am Beschäftigungseffekt. „Sozial" ist im Zeitalter der Globalisierung vor allem, was mehr Arbeitsplätze schafft. Daran werden wir uns wieder gewöhnen müssen.
Im Umkehrschluß gilt: Unsozial ist derjenige, der Strukturanpassungen, die zu neuen Arbeitsplätzen führen, verhindert. Diese Politik betreiben Sie seit Jahren.
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Herr Kollege Scharping, ich halte es schon für ein starkes Stück, wenn Sie heute früh an das Rednerpult treten und einmal mehr beklagen, daß strukturelle Anpassungen ausbleiben. Im Bonner „General-Anzeiger" vom 17. Mai sagen Sie wörtlich:
Die Bundesregierung tut nichts gegen strukturelle Fehlentwicklungen und wird nun von den konjunkturellen Defiziten überrollt.
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Herr Kollege Scharping, Sie haben die Diskussionen in den vergangenen drei Jahren in diesem Hohen Haus verfolgt. Die Bundesregierung und die Koalition haben eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, die bereits beginnen, auf dem Arbeitsmarkt zu wirken. Ich habe schon an das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung erinnert. Ich erinnere an das neue Arbeitszeitgesetz für flexiblere Arbeitszeiten,
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Deregulierung und Entbürokratisierung, Privatisierung von Bundesbahn und Bundespost, 50-PunkteProgramm und Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die bereits jetzt schon für die Wirtschaft und den Mittelstand Kosten in Höhe von 10 Milliarden DM eingespart hat. Das Arbeitsrecht ist modernisiert. Das Kündigungsschutzrecht wird flexibler angewandt. Existenzgründer und junge Unternehmen kommen in den Genuß entsprechender Programme. Ich erinnere an das Maßnahmenpaket zur Verstetigung beschäftigungsfördernder Investitionen, Reform der Arbeitsförderung, Wegfall der Vermögensteuer, die große Steuer-, die Renten- und die Gesundheitsreform.
Weshalb habe ich all diese Dinge noch einmal aufgezählt? Ich habe dies getan, um dem Eindruck, den Sie erwecken, entgegenzuwirken, daß es uns nicht gelungen sein soll, uns mit strukturellen Fragen zu befassen und ganz konkrete Lösungen aufzuzeigen. Wir wissen, daß Ludwig Erhard recht hatte, als er sagte: 50 Prozent der Wirtschaftspolitik sind Psychologie.
Wir sollten jetzt all die Erfolge, die wir haben und die zu greifen, zu wirken beginnen, nicht zerreden. Wir sollten vielmehr mit diesen Erfolgen nach draußen gehen, damit in unserem Lande eine Stimmung
für mehr neue Investitionen und damit für mehr Arbeitsplätze vorherrscht.
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Meine Damen und Herren, Sie haben uns durch Ihre Blockadepolitik im Bundesrat überall da, wo Sie es konnten, nicht nur daran gehindert, noch weitergehende Strukturmaßnahmen umzusetzen. Sie haben auch ganz konkret den Finanzminister daran gehindert, weitere Einsparungen, Konsolidierungen des Haushalts vorzunehmen.
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Allein in den letzten zwei Jahren - Herr Kollege Scharping, ich kann es Ihnen nicht ersparen, sich dies anzuhören - haben Sie durch das Verhalten der SPD-regierten Bundesländer im Bundesrat Einsparungen im Bundeshaushalt von rund 12 Milliarden DM verhindert. Darüber hinaus haben Sie durch dieses Verhalten zusätzliche Ausgaben in Höhe von 3,5 Milliarden DM veranlaßt. Das sind 15 Milliarden DM. Was könnten wir mit diesem Geld alles anfangen! Ich lade Sie ein: Machen Sie mit bei den Strukturveränderungen, brechen Sie mit uns die Strukturen auf!
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Wir sind mitten in der Diskussion zur Steuerreform. Sie beklagen, auch die Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir hätten riesige Haushaltslöcher. Ich erinnere an die Diskussion, die wir in den letzten Wochen an anderem Ort geführt haben. Es ist wichtig, daß wir hier einmal zur Kenntnis nehmen: Überall da, wo es darum geht, im Rahmen von Reformen - auch und gerade bei der Gewerbekapitalsteuer - die Interessen des Bundes, der Länder und der Kommunen gleichgewichtig wahrzunehmen, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion grundsätzlich auf die Seite der Länder und der Kommunen, in erster Linie auf die der Länder, geschlagen. Dies ging immer zu Lasten des Bundes.
Das heißt konkret: All diese Reformmaßnahmen, von denen ich vorhin gesprochen habe, haben wir gegen Ihr Votum im Bundestag und auch gegen Ihr Votum im Bundesrat durchgesetzt. Wir wissen sehr wohl, daß wir jedesmal der Kanzlermehrheit bedurften, um Ihren Einspruch abzulehnen. Wir haben diese Kanzlermehrheit jedesmal erfahren.
Jetzt legen Sie eine Steuerreform vor - ({15})
- Kollege Poß, Sie legen jetzt eine Steuerreform vor, in der die Finanzierung der Ausfälle wieder ausschließlich zu Lasten des Bundes geht. Die Ausfälle, auch die Ausfälle durch die Gewerbekapitalsteuer, gehen nach dem, was Sie bisher vorgetragen haben und was auch Herr Voscherau vorträgt, ausschließlich zu Lasten des Bundes. Föderaler Konsolidierungspakt - man ging bis an den Rand des Möglichen. Man hat den Bund ausgepreßt. Jetzt, wo es darum geht, zwei Prozentpunkte der Mehrwertsteuer, die uns in der heutigen Situation guttäten, dem Bund zurückzugeben, wie es im föderalen Konsolidierungspakt vereinbart war, verweigern Sie diese Rückgabe. Wir hätten viel weniger Probleme, wenn Sie sich nur ein bißchen an Ihre bundespolitische Verantwortung erinnern würden.
({16})
Mich interessiert nicht, was in diesem Zusammenhang der Ministerpräsident eines Bundeslandes sagt. Wir alle gemeinsam, auch die Opposition, tragen eine bundespolitische Verantwortung. Sie sollten dieser Verantwortung, der Sie sich permanent verweigern, nachkommen.
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Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Verhalten mag Ihnen kurzfristig parteipolitische Vorteile bringen. Sie entziehen sich aber einer staatspolitischen Verantwortung. Sie entziehen sich dieser Verantwortung zum Schaden Deutschlands. Täuschen Sie sich nicht: Der Bürger wird Ihnen nicht auf den Leim gehen.
({0})
Ich gebe dem Abgeordneten Karl Diller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Repnik, wie schwach Ihre Argumente sind, zeigt sich daran, daß Sie wieder auf den Blockadevorwurf, an unsere Adresse gerichtet, zurückkommen.
({0})
Ich habe das Bundesfinanzministerium gebeten, einmal darzulegen, wie sich die von Ihnen behauptete Summe von 11 Milliarden DM eigentlich zusammensetzt. Das Bundesfinanzministerium hat uns zum ersten berichtet, daß diese 11 Milliarden DM gar nicht in einem Haushaltsjahr anfallen,
({1})
sondern sich aus der Addition von zwei Haushaltsjahren ergeben. Zum zweiten hat uns das Bundesfinanzministerium berichtet, daß 9 der 11 Milliarden DM überhaupt nicht blockiert werden, weil der Dissens einvernehmlich - das ist Ergebnis des Vermittlungsausschusses, Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates - ausgeräumt ist.
({2})
Ihr Blockadevorwurf, der eine Summe von 11 Milliarden DM betreffen sollte, fällt in sich zusammen. Sie sind mit Ihren Argumenten am Ende, Herr Repnik.
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Sie, Herr Waigel, sollten zurücktreten, weil Ihr panikartiger Angriff auf die Unabhängigkeit der BunKarl Diller
desbank und ihre Goldreserven aller Welt vor Augen geführt hat: Sie sind nicht nur finanziell am Ende.
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Sie sollten zurücktreten, weil Sie dieses Land in ein beispielloses Finanzchaos gestürzt haben. Weil Sie in der Haushaltsfinanzierung - dieses wie auch des nächsten Jahres - nicht mehr ein noch aus wissen, versuchen Sie, diesen Staat auszuschlachten, als sei er Ihr Privateigentum.
({5})
Sie sollten zurücktreten, weil Sie mit Ihrem Angriff auf die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank das Vertrauen der Finanzmärkte und der Bürger in die künftige Stabilität der europäischen Währung nachhaltig untergraben haben.
Wie wenig Respekt Sie vor der Unabhängigkeit der Notenbank haben, hat sich gerade darin gezeigt, daß Ihnen die ablehnende Haltung der Bank zur „Operation Goldfinger" längst bekannt war.
({6})
Was der Präsident der Bundesbank, Herr Dr. Tietmeyer, am 19. März dieses Jahres im Haushaltsausschuß auf Fragen von CDU-Kollegen ausführte, läßt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: Hände weg von den Goldreserven!
({7})
Herr Waigel, Sie sollten zurücktreten, weil Sie erneut die Öffentlichkeit zu täuschen versuchten, indem Sie den Eindruck erweckten, als würden Sie in Übereinstimmung mit den europäischen Prinzipien handeln. Das war und ist nicht der Fall. Dies hat die Deutsche Bundesbank in ihrer Erklärung vom Donnerstag letzter Woche eindeutig klargestellt. Sie verdient deshalb jede Unterstützung des Parlaments gegen den Angriff dieser Bundesregierung.
({8})
Der Angriff auf die Goldreserven zum Stopfen der Haushaltslöcher ist noch nicht abgewehrt. Wenn Sie auf die Neubewertung und Ausschüttung des Bilanzgewinns in 1997 verzichten, dann ist dies keine Politik der Schadensbegrenzung. Vielmehr führen Sie lediglich aller Welt vor, daß das politische Management dieser Regierung ein „management by chaos" ist.
Sie sollten zurücktreten, weil Sie mit Ihrem beispiellosen Akt der Piraterie jetzt auch international den Kredit verspielt haben, den Sie national längst verloren haben.
Sie sollten zurücktreten, weil Sie im März bei der Vorstellung des Konvergenzprogramms Deutschlands in Brüssel Ihre europäischen Kollegen in einer beispiellosen Weise getäuscht haben,
({9})
indem Sie ihnen die mittelfristige Finanzplanung aus dem Jahre 1996 präsentierten. Unglaublich!
({10})
Und Sie haben auf nachhaltige Fragen des Kommissars de Silguy und des italienischen Schatzministers Ciampi, was Deutschland denn machen würde,
({11})
wenn die Strecke wirtschaftlich etwas rauher werden würde, mit keinem Wort erklärt, was Sie bezüglich der deutschen Goldreserven vorhaben.
({12})
Ein deutscher Finanzminister, der seine europäischen Kollegen derart hinters Licht führt, kann das historische Projekt der Europäischen Währungsunion nicht mehr zum Erfolg führen.
({13})
Sie sollten zurücktreten, weil nach dem Scheitern Ihrer „Operation Goldfinger" die Regierung Kohl haushaltspolitisch 1997 vor einem Scherbenhaufen steht. Im November letzten Jahres, bei der Schlußberatung für dieses Haushaltsjahr, haben wir gesagt: In Kürze werden die Haushaltslöcher wieder aufbrechen und das Finanzchaos vergrößern.
Sie sollten zurücktreten, weil Sie damals einen in Einnahmen und Ausgaben gefälschten Haushalt verabschieden ließen. Denn hätten Sie die wahren Zahlen veranschlagt, hätten Sie schon damals eingestehen müssen, daß Sie die verfassungsmäßige Kreditobergrenze des Art. 115 Grundgesetz nicht einhalten können.
Mit Ihrer Absage an eine Politik zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit haben Sie übrigens die Haushaltslöcher in eine fast nicht mehr beherrschbare Dimension gesteigert. In diesem Moment hat Herr Waigel schon 90 Prozent seiner gesamten für das Jahr 1997 eingeräumten Kreditlinie ausgeschöpft. Er wird in wenigen Wochen keinen Kredit mehr haben.
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So weit ist es mit dieser Regierung gekommen.
Sie sollten zurücktreten, weil Sie noch nicht einmal in der Lage waren, die Atempause zwischen der Verabschiedung des Haushaltes und dem Aufbrechen und Offensichtlichwerden Ihrer ganzen Lügereien und Betrügereien
({15})
zu nutzen, um zum Zeitpunkt der Offenbarung Ihrer Luftbuchungen und Fehleinschätzungen mit einem Konzept dazustehen, wie Sie den Bundeshaushalt 1997 retten wollen.
Wir wissen, daß die Einbringung eines Nachtraghaushaltes der einzig richtige Weg ist, Ihnen aber wie ein Gang nach Canossa vorkommt. Ihre tüchtigen Beamten im Finanzministerium haben Ihnen das seit Monaten geraten. Mittlerweile zucken sie nur
noch resigniert mit den Schultern. Aber, Herr Waigel, Sie werden diesen Canossa-Gang nicht vermeiden können, denn Sie werden mit Ihrem Geld nicht zu Rande kommen.
Unseren Antrag auf Feststellung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben Sie bisher beharrlich abgelehnt, aber einzelne in der Koalition kratzen mittlerweile die Kurve. Allerdings: Die Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist kein Freibrief, um mit höheren Schulden ein paar Haushaltslöcher zu stopfen,
({16})
sondern mit diesen neu aufgenommenen Mitteln muß dann eine Politik finanziert werden, die geeignet ist, die wirtschaftliche Stabilität wiederzugewinnen, indem endlich eine aktive Beschäftigungspolitik praktiziert wird. Was wir heute von Ihnen gehört haben, ist nichts anderes als die Ankündigung: Nach Waigel die Sintflut.
Herr Waigel sollte zurücktreten, weil er mittlerweile die letzten Reste des Tafelsilbers an Bundesbeteiligungen notfalls sogar verramschen will.
({17})
Im Herbst 1995, bei der Vorlage des berüchtigten Waigel-Wischs, hat er behauptet, man könne mit dem Verkauf der Deutschbau 3000 Millionen DM allein für den Bundeshaushalt erlösen. Jetzt steht fest, daß es nur 1200 Millionen werden. Entweder hat er damals das Parlament mit einer Luftbuchung getäuscht oder jetzt die Deutschbau verramscht. Wir werden dieser Frage noch sehr intensiv nachgehen, Herr Waigel.
({18})
Der Notverkauf von Bundesunternehmen trägt nicht zur nachhaltigen Haushaltskonsolidierung bei. Im Gegenteil: Ihre neueste Idee mit diesen „Parklösungen", indem Sie zunächst einmal die Lufthansa an die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau verkauft haben, jetzt vielleicht auch noch die Postbank und die Telekomaktien, ist ja nichts anderes als eine verdeckte Kreditaufnahme. Sie mißbrauchen die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau für einen neuen Schattenhaushalt. Um nichts anderes handelt es sich.
({19})
Wie kommen Sie in der Koalition im übrigen auf die Idee, ohne Veranschlagung dieser Einnahmen in einem Nachtragshaushalt Bundesvermögen schlicht unter der Hand zu verkaufen? Sie werden die Telekomaktien nicht verkaufen können, denn das ist nicht Gegenstand dieses Haushaltsgesetzes. Sie brauchen einen Nachtragshaushalt, um sie verkaufen zu können. Wir werden Sie notfalls mit den Mitteln der Verfassung zwingen, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Sie müssen es tun, weil Sie im wahrsten Sinne des Wortes bald finanziell blank sind.
Herr Waigel, Sie sollten zurücktreten; denn Ihre Hinterlassenschaft besteht in einem beispiellosen Finanzchaos, in einer finanziellen Ausplünderung des
Staates, in einer auf Täuschung, Lüge und Chaos aufgebauten Steuerpolitik und schließlich in einem mangelnden Respekt vor dem Deutschen Bundestag und der Verfassung. Der einzig wirkliche Dienst, den Sie dem deutschen Volke noch leisten können, ist Ihr Rücktritt.
({20})
Ich gebe dem Abgeordneten Paul Friedhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach all dem, was wir jetzt hier gehört haben, nach all diesen Nebelkerzen, dieser Verschleierung und, wie ich glaube, nach einer ganzen Menge Wunschträume - allerdings sind auch ein paar ganz klare Worte gefallen; Herr Waigel hat zu den Fakten Stellung bezogen - ist es vielleicht gut, daß wir uns wieder etwas mehr mit Fakten beschäftigen und weniger Wunschträume nach Rücktritt und ähnliches von uns geben.
Was sind die wirklichen Fakten? Die Ergebnisse der Steuerschätzung und die Entwicklungen am Arbeitsmarkt zeigen deutlich, daß der Haushaltsplan dieses Jahres und die Haushaltspläne der nächsten Jahre, die jetzt in den Ansätzen geplant werden, korrigiert werden müssen. Die Steuerschätzung hat zusätzliche Haushaltsdefizite ergeben. Die Annahmen der Auguren waren sehr unterschiedlich, aber jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch.
An diesem Defizit, Herr Diller - Sie können hier alle möglichen Rechnungen aufstellen -, haben natürlich auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, durch Ihre Politik, die Sie im Bundesrat machen, mitgewirkt. Darüber, ob das 11 Milliarden DM in einem Jahr oder in zwei Jahren sind, darüber, was bei einer vernünftigen Politik im Bundesrat alles hätte geschehen können, kann man lange streiten. Ich bin nur ziemlich sicher, daß Sie im Bundesrat nicht sehr hilfreich sind, sondern entgegen Ihrer Verantwortung, die Sie haben, dort vieles blockieren.
({0})
Meine Damen und Herren, bei der Bewältigung der Lage helfen also weder Aufregung noch treuherziges Blinzeln. Da helfen allein nüchterne Analysen und vor allen Dingen Handeln.
Wahr ist, daß in Deutschland jede zweite Mark, die die Bürger dieses Landes erwirtschaften, vom Staat ausgegeben wird. Deutschland krankt nicht an zuwenig, Deutschland ächzt unter zu vielen Staatsausgaben.
({1})
Wahr ist: Die Steuern und Abgaben sind nicht zu niedrig; sie sind zu hoch. Dies ist ein Grund für zuwenig Investitionen und für eine zu hohe Arbeitslosigkeit. Dies kann nicht oft genug gesagt werden.
({2})
Wahr ist: Die konsequente und mühevolle Konsolidierung der Staatsfinanzen ist nicht die Folge eines Maastrichter Diktates, sondern das Gebot einer Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung im Interesse der Arbeitsplätze.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland - ganz einvernehmlich - eine Jobkrise. Diese führt zu einer Finanzkrise. Es ist nicht umgekehrt. Steuererhöhungen jetzt, um Haushaltslöcher zu schließen, sind Gift für die Konjunktur und für unsere Arbeitsplätze. Die zu hohen Steuern und Abgaben sind eine der Ursachen für fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Fehlende Wettbewerbsfähigkeit führt zu weniger Aufträgen, und weniger Aufträge bedeuten weniger Arbeitsplätze. Das sind die Zusammenhänge, die man immer wieder erläutern muß.
({4})
Dies erfahren unsere Unternehmen Tag für Tag. Jeder kann das in der Praxis sehen. Dies bestätigen uns auch alle ernstzunehmenden Sachverständigen.
Die Koalition hat deswegen vor wenigen Wochen - übrigens unter dem Beifall des ökonomischen Sachverstandes - ein Steuerreformkonzept vorgelegt, das eine deutliche Nettoentlastung für Bürger und Unternehmen vorsieht.
({5})
- Ich habe die Protokolle gelesen. Sie brauchen gar keine Sorge zu haben. Wenn Sie sich das genau ansehen, stellen Sie fest: Jeder hat seinen Wirtschaftswissenschaftler. Es wird immer jemanden geben, der das Ganze auch anders darstellt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie die Gutachten lesen und sich die Stellungnahmen der Fünf Weisen und der Institute ansehen, dann wird nach meinem Dafürhalten bei allen deutlich, daß unser Konzept der richtige Weg ist. In denjenigen Ländern, in denen die Krise zumindest zurückgeführt wurde, ist genau dieses Rezept erfolgreich gewesen. Wir lassen uns da von Ihnen nichts vormachen.
({6})
Wir Liberalen stehen zu diesen Beschlüssen. Wir wollen eine Politik der Steuersenkung für mehr Arbeitsplätze in diesem Land.
Was stellt die SPD dem nun gegenüber? Auch das ist heute hier wieder deutlich geworden: Reformen durch Umfinanzierung. Eine Rentenreform, die nur durch Umfinanzierung erfolgt, ist keine Reform, und eine Steuerreform, die nur eine Umfinanzierung durchsetzt, ist keine Reform für mehr Arbeitsplätze. Hier sind die eigentlichen Unterschiede. Wir wollen Reformen, um zu entlasten, Sie wollen Reformen, um umzufinanzieren.
({7})
Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Larcher?
Ja.
Bitte schön, Herr von Larcher.
Herr Kollege Friedhoff, können Sie mir - nach Ihren kräftigen Worten über die Steuerreform - erklären, warum wir im Finanzausschuß in der letzten Sitzungswoche drei Tage lang Beratungen hatten, in denen die Koalitionsfraktionen und der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium die entscheidenden Fragen nach der Grundlage Ihres Steuerreformkonzeptes nicht beantworten konnten? Sie konnten nicht sagen, was mit dem Solidaritätszuschlag wird. Sie konnten nicht sagen, ob das Gesetz in einer Stufe oder in zwei Stufen auf den Weg gebracht wird. Sie konnten nicht sagen, wie die Finanzlücke geschlossen werden soll. Alle Rahmenbedingungen waren völlig unklar, und Ihre Kolleginnen und Kollegen waren völlig hilflos. Können Sie mir das erklären?
Da ich nicht im Finanzausschuß bin, kann ich den Eindruck, den Sie von meinen Kolleginnen und Kollegen hatten, nicht bestätigen. Ich kann Ihnen aber bestätigen, daß diese Koalition dabei ist, eine Steuerreform auf den Weg zu bringen, die zu einer Entlastung auf der Kostenseite führt,
({0})
damit wir die Strukturprobleme lösen können. Sie können ganz sicher sein, daß die Kollegen der Koalition das in ihren ganzen Aktivitäten immer wieder zum Ausdruck bringen werden.
({1})
Wir haben ein Strukturproblem. Die Finanzierung der deutschen Einheit hat zu den hohen Steuern und hohen Abgaben geführt. Es besteht kein Zweifel, daß wir hier große Lasten zu tragen haben. Das hat dazu geführt, daß die Wettbewerbsfähigkeit vielfach verlorengegangen ist. Das ist der Grund für die Arbeitslosigkeit.
Ich habe mir einmal überlegt, wie ein Unternehmer analog gegensteuern würde, wenn er in die Situation käme, daß seine Produkte so teuer würden, daß sie nicht mehr verkauft werden könnten, so daß er an Absatz verlöre und sein Unternehmen den Bach runterginge. Ich bin ziemlich sicher, daß ein solches Unternehmen nicht automatisch die Preise für seine Produkte erhöhen würde, denn dann würden die Kunden noch eher weglaufen. - Genau dies bewirken Sie mit Ihren Steuerplänen. - Dieses Unternehmen würde eher überlegen: Wo kann man sparen? Wir stoßen hier häufig an Grenzen, weil der Bundesrat uns nicht besonders unterstützt. Auch das gibt es analog in UnterPaul K. Friedhoff
nehmen. Wenn in Unternehmen falsche Strukturen sind, dann wird man diese Strukturen dadurch beseitigen können, daß man Werte aktiviert, die nicht im Kerngeschäft des Unternehmens liegen.
Hier haben der Bund, die Länder und die Kommunen, also der Staat, eine ganze Menge Möglichkeiten. Wir nennen das im unternehmerischen Bereich deinvestieren, beim Staat heißt das privatisieren. Das muß der Weg sein, um Strukturen zu verändern, damit Haushaltslöcher gestopft werden können. Die Kollegen in der Koalition wissen sehr wohl, daß dies der Ansatz ist, mit dem wir hier einen Schritt weiterkommen.
({2})
Ganz klar ist, daß ein Unternehmen eine Krise nur so bewältigen kann.
Jetzt höre ich, das sei Verkaufen von Tafelsilber. Auch Sie sind wahrscheinlich einmal auf dem Düsseldorfer Flughafen gelandet, nachdem ein Brand die Abfertigungshallen zerstört hatte. Bevor man in die ersatzweise errichteten Zelte kam, fuhr man durch eine Geisterstadt. Diese Geisterstadt waren militärische Liegenschaften an einer Stelle, die hervorragend geeignet ist, um dort ein Gewerbegebiet zu schaffen. Die Investoren würden sich die Finger danach lecken, wenn sie die Möglichkeit hätten, ganz in der Nähe eines bedeutenden Flughafens wirtschaftliche Aktivitäten zu entwickeln. Dieses Gebiet liegt brach. Das gibt es an vielen Stellen in Deutschland.
Oder denken Sie daran, was alles im Moment im Bereich der logistischen Dienstleistungen passiert. Gegenwärtig gibt es eine Umstrukturierung in der Bundeswehr, bei der auf Grund veränderter Strukturen und einer veränderten Bedrohungslage reihenweise Depots geschlossen werden. Ja, warum sollten wir diese Depots, die frei werden, nicht Privaten zur Verfügung stellen und das daraus zu erlösende Geld dazu verwenden, um unsere Strukturprobleme zu lösen, um eine Steuerreform auf den Weg zu bringen, die dann ihrerseits mehr wirtschaftliche Betätigung in Deutschland ermöglichen könnte? Alles hätte das Ziel, die Strukturen hier zu verändern.
Meine Damen und Herren, es ist wahr, daß wir wirklich an einer Wegkreuzung stehen. Es ist die Frage, wohin es mit dem Standort Deutschland und der Wirtschaft gehen wird. Die F.D.P. will die Politik für mehr Arbeitsplätze in diesem Land fortsetzen. Sie will selbstverständlich auch eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, um die Höhe der Abgaben zu begrenzen. Durch konsequente Fortsetzung der Sparpolitik und durch eine Privatisierungsoffensive, mit der man die entsprechenden Mittel für die notwendigen Strukturveränderungen erwirtschaften könnte, soll das erreicht werden.
Dies - da bin ich ganz sicher - werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner schaffen; dies - da können Sie ganz sicher sein - werden auch die Wähler im nächsten Jahr honorieren.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara Höll. - Meine verehrten Kollegen, das ist die letzte Wortmeldung. Ich bitte Sie, trotz aller Ungeduld Ihre Privatgespräche einzuschränken oder nach draußen zu verlegen.
Frau Dr. Höll, Sie haben das Wort.
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Laut einer ForsaUmfrage glauben 52 Prozent der Bundesbürger und Bundesbürgerinnen, daß Finanzminister Waigel zurücktreten sollte. Personen sind austauschbar. Es ist die Frage: Würde sich die Politik ändern? Herr Waigel würde eine tolle Erbschaft hinterlassen. In jeder Sekunde erhöht sich die Schuldenlast der Bundesrepublik - wenn man alle Ebenen zusammenrechnet - um 3170,98 DM. Das ergibt eine Verschuldung von 2,162 Billionen DM. Das ist die Bilanz eines Finanzministers, der sich inzwischen mit dem Titel schmükken kann, der am längsten amtierende Finanzminister in der Bundesrepublik zu sein. Ich glaube, es ist schon ernüchternd, zu sehen, mit wie wenig Kompetenz und mit wie viel politischem Unvermögen man solch ein Amt so lange ausüben kann.
({0})
Die Ursache für die gegenwärtige Lage liegt aber sicher darin, wie 71 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung glauben, daß diese Bundesregierung ihre Finanz- und Haushaltsprobleme nicht mehr in den Griff bekommen kann. Es ist zu konstatieren: Herr Waigel versuchte einen Buchungstrick, und natürlich versuchte er,
({1})
den Rahmen für die Nettokreditaufnahme zu erweitern. Damit wollte er die schwarzen Waigelschen Haushaltslöcher schließen. Er versuchte, Öffentlichkeit und Plenum zu täuschen. Dies ist eine Bankrotterklärung der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung und eine Bankrotterklärung ihrer Europapolitik.
Entscheidend ist, daß diese Probleme hausgemacht sind. Herr Waigel selber nannte drei Problemkreise. Das erste waren die Steuermindereinnahmen; das ist ein hausgemachtes Problem. Sie haben den Spitzensteuersatz gesenkt; Sie haben völlig undifferenziert die Unternehmensteuern gesenkt; Sie haben die Vermögensteuer abgeschafft. Sie reagieren auf die so entstandene Lage mit Steuererhöhungen für die breite Masse der Bevölkerung.
Zweitens. Die Kosten der Arbeitslosigkeit sind selbstverschuldet, weil sich diese Regierung vollständig von jeder aktiven Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik verabschiedet hat, im Gegenteil: Ihre Antwort darauf - hinter dem Wort „sparen" verschleiert - ist die Kürzung der Leistungen für Arbeitslose, für Arbeitslosenhilfebezieher. Jetzt wollen Sie wieder die Sozialhilfebezieher zur Kasse bitten.
Drittens: die Kosten der Einheit. Ich nenne einmal zwei Zahlen. Zum Stichtag der Währungsunion betrug die Pro-Kopf-Verschuldung der DDR-BevölkeDr. Barbara Höll
rung 13 765 DM; die Pro-Kopf-Verschuldung der Bevölkerung der alten Bundesländer betrug 17 315 DM. Nun frage ich Sie: Wo ist der Erblastentilgungsfonds West, den nämlich auch die Bevölkerung der ehemaligen DDR zu bedienen hat?
({2})
Die gesamte Bevölkerung hat zur Lösung der Probleme der deutschen Einheit beigetragen; alle müssen den Soli-Zuschlag zahlen.
Diese hausgemachten Probleme sind aber nicht mit einer Regierung und mit einer Koalition zu lösen, bei denen die politische Verkalkung rasant zugenommen hat.
Die PDS ist bei der Frage der Goldreserven für eine sachliche Diskussion. Wir werden nicht in ein unkritisches Festhalten an den Kriterien von Maastricht verfallen, weil wir den gesamten MaastrichtProzeß aus unserer eigenen Erfahrung sehr heftig kritisieren.
Es kann nicht angehen, ein gemeinsames Europa anzustreben, welches nur mit einer Währungsunion beginnt. Ein gemeinsames Europa - sozial gerecht und ökologisch ausgerichtet - verlangt, daß zumindest eine Sozialunion an den Anfang gestellt wird.-Nebenbei gesagt: Sie haben die Währungsunion sehr schlampig vorbereitet.
({3})
Wir sind dafür, daß sich die Bundesregierung daranmacht, endlich ihre Hausaufgaben zu erledigen, und daß sachlich diskutiert und eine Vorlage darüber erstellt wird, wie mit den Goldreserven umgegangen wird. Wir sind dafür, daß in Ruhe über die Neubewertung diskutiert wird, deren Erlös dann jedoch nicht in den schwarzen Waigelschen Löchern verschwinden soll,
({4})
sondern zielgerichtet für die Lösung des Problems eingesetzt wird, das Deutschland und Europa bedroht und inzwischen weltweit ein Hauptproblem ist: die Massenarbeitslosigkeit.
({5})
Es geht darum, ein konkretes Programm zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit aufzulegen. Wenn Sie das getan haben, können Sie auf diesem Gebiet eine führende Rolle in Europa spielen.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache.
Meine Damen und Herren Kollegen, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir nach der namentlichen Abstimmung, mit der wir beginnen werden, noch eine Reihe weiterer streitiger Abstimmungen haben, die möglicherweise namentliche sind. Ich teile Ihnen das mit, damit Sie Ihre Anwesenheit entsprechend einrichten können.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Entlassung des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 13/7787. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen dazu namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob das geschehen ist. - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. ({0})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung, und wir warten, bis uns das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen mitteilen, daß nachher noch strittige Abstimmungen stattfinden. Ich bitte die verehrten Kollegen und Kolleginnen, im Raum zu bleiben.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen.
Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Entlassung des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 13/7787 bekannt. Abgegebene Stimmen: 639. Mit Ja haben gestimmt: 311. Mit Nein haben gestimmt: 328. Enthaltungen: keine.
({0})
Damit ist der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Entlassung des Bundesministers der Finanzen abgelehnt.
({1})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 639; davon:
ja: 311
nein: 328
Ja
SPD
Brigitte Adler Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Arne Börnsen ({2}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({3}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Petra Emstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Lothar Fischer ({4}) Gabriele Fograscher Norbert Formanski Dagmar Freitag
Anke Fuchs ({5}) Katrin Fuchs ({6}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({7}) Angelika Graf ({8}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({9}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({12}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({13}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({14})
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({15}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({16}) Jutta Müller ({17}) Christian Müller ({18}) Volker Neumann ({19}) Gerhard Neumann ({20}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({21})
Ulla Schmidt ({22}) Dagmar Schmidt ({23}) Wilhelm Schmidt ({24}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({25})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
({26})
Brigitte Schulte ({27}) Reinhard Schultz
({28}) Volkmar Schultz ({29})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({30}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({31})
Karsten D. Voigt ({32}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({33}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({34}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({35})
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({36})
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({37}) Elisabeth Altmann
({38}) Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({41}) Joseph Fischer ({42}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch ({43}) Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({44}) Wolfgang Schmitt
({45})
Ursula Schönberger
Werner Schulz ({46}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({47}) Margareta Wolf ({48})
PDS
Wollgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({49}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslos
Kurt Neumann ({50})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({51}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({52}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
({53})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({54}) Peter Harry Carstensen
({55})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({56}) Klaus Francke ({57}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({58}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({59}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({60}) Hansgeorg Hauser
({61}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung
Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
({62})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({63}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers ({64}) Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link ({65}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({66})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({67}) Julius Louven Sigrun Löwisch
Dr. Michael Luther Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
({68}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({69})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({70}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({71}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto ({72}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({73}) Klaus Dieter Reichardt
({74})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({75}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({76}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({77}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({78}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({79}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({80})
Andreas Schmidt ({81}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({82})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
({83}) Gerhard Schulz ({84}) Frederick Schulze
({85}) Diethard Schütze ({86}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({87})
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({88}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({89}) Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
({90}) Günther Bredehorn
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({91}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Detlef Kleinert ({92}) Roland Kohn
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({93}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({94})
Dr. Guido Westerwelle
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({95})
Andres, Gerd, SPD
Antretter, Robert, SPD
Behrendt, Wolfgang, SPD Bindig, Rudolf, SPD
Blunck, Lilo, SPD
Bühler ({96}), Klaus, CDU/CSU
Fischer ({97}), Leni,
CDU/CSU
Haack ({98}), KarlHermann, SPD
Horn, Erwin, SPD
Hornung, Siegfried, CDU/CSU Junghanns, Ulrich, CDU/CSU Kriedner, Arnulf, CDU/CSU Dr. Lucyga, Christine, SPD
Lummer, Heinrich, CDU/CSU Maaß ({99}), Erich, CDU/CSU
Marten, Günter, CDU/CSU Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Dr. Scheer, Hermann, SPD Schloten, Dieter, SPD Schluckebier, Günter, SPD von Schmude, Michael,
CDU/CSU
Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD Dr. Wittmann, Fritz,
CDU/CSU
Zierer, Benno, CDU/CSU
Wir setzen jetzt die Beratungen fort.
Der Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zur Neubewertung der Gold- und Devisenreserven der Deutschen Bundesbank auf Drucksache 13/7788 wurde zurückgezogen.
Wir kommen jetzt zum gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Regierungserklärung zu Fragen der Finanzpolitik auf Drucksache 13/7804. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben beantragt, die Vorlage zu überweisen:
({100})
zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß sowie an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlangen hingegen sofortige Abstimmung.
Nach einer Auslegungsentscheidung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung steht den Antragstellern bei Entschließungsanträgen zu einer Regierungserklärung gegen die Überweisung kein Widerspruchsrecht zu. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den Überweisungsvorschlag vor.
({101})
Ich lasse deshalb über den Überweisungsvorschlag abstimmen und bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen wünschen - ({102})
- Es gibt jetzt allerdings eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. Wir sind zwar in der Abstimmung, aber es war vielleicht ein kleiner Fehler von mir. Ich habe nicht hingesehen, wann er sich gemeldet hat. Deswegen erteile ich ihm das Wort.
({103})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihnen, Herr Schäuble, sei gesagt, daß auch Sie hinten noch keine Augen haben. Ich habe mich nämlich schon vor der Abstimmung zur Geschäftsordnung gemeldet. Das konnten Sie offenbar nicht sehen.
({0})
Ich hatte das auch bei der Frau Präsidentin angemeldet. Denn über den Punkt, ob wir über den vorliegenden Entschließungsantrag jetzt abstimmen sollten oder nicht, sind wir strittiger Auffassung. Deswegen möchte ich das nach der Geschäftsordnung kurz begründen.
Ich meine nämlich, wichtiger noch als eine Sprachregelung zur Neubewertung der Gold- und Devisenreserven, Herr Bundesfinanzminister, ist eine klare Position, die der Bundestag beziehen sollte.
({1})
Der Bundestag könnte heute mit einem klaren Votum die Unabhängigkeit der Bundesbank ganz eindeutig unterstreichen. Der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank hat am 28. Mai, also am Mittwoch letzter Woche, in einer unmißverständlichen Stellungnahme und Erklärung deutlich gemacht, was er vom Ansinnen des Finanzministers hält.
({2})
- Ich begründe das ja gerade. Sie hören es doch.
({3})
Wir haben diese Stellungnahme in einen Antrag aufgenommen. Der Antrag ist auch nicht zurückgezogen worden, wie das hier gesagt worden ist, sondern wir haben aus diesem Antrag einen Entschließungsantrag gemacht. Wir möchten, daß jetzt über diesen Entschließungsantrag abgestimmt wird.
({4})
Die Stellungnahme des Zentralbankrats ist bekannt; sie ist in der Öffentlichkeit. Herr Schäuble hat sich heute in seiner Rede positiv darauf bezogen. Auch andere Abgeordnete der Koalition haben sich
Werner Schulz ({5})
positiv darauf bezogen. Es besteht also überhaupt kein Grund, heute einer Entscheidung auszuweichen, es sei denn, Sie wollen Politik durch Geschäftsordnungstricks ersetzen.
({6})
Das ist natürlich etwas anderes. Dann sind Sie nicht nur in der Finanzpolitik auf der Trickserstraße, sondern winden sich auch in dieser Frage.
({7})
Es gibt zu dieser Stellungnahme also keinen weiteren Beratungsbedarf. Es gibt nur die verflixte Notwendigkeit, daß der Deutsche Bundestag, sich die Stellungnahme des Zentralbankrats zu eigen macht. Das ist der Gegenstand des Antrages. Sie sollten sich hier nicht vor einer Entscheidung drücken. Um es unmißverständlich zu sagen: Sie sind in der gleichen Situation wie Oskar Lafontaine, der sich um eine Entschuldigung gedrückt hat. Das haben Sie gerügt. Ich hoffe, Sie drücken sich nicht um eine Entscheidung und Unterstützung der Bundesbank;
({8})
denn mit jeder Flucht vor der Entscheidung werden Sie die Spekulation nähren. Sie werden die Diskussion nicht beenden; im Gegenteil, diese Diskussion wird sich fortsetzen.
Wir haben heute gerade in den Meldungen gehört: Während der Bundesfinanzminister von einem Kompromiß spricht, während er sagt, er habe den goldenen Mittelweg gefunden, läßt der Präsident der Bundesbank feststellen - ich zitiere -, „daß es ernsthafte Bemühungen um eine Einigung gibt" . Es liegt also keine Einigung vor.
Herr Abgeordneter, bitte sprechen Sie zur Geschäftsordnung.
Ich denke, wir sollten heute unmißverständlich Klarheit schaffen und darüber abstimmen, daß die Stellungnahme des Zentralbankrats vom Bundestag akzeptiert wird.
({0})
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten van Essen, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin, ich werde mich zur Geschäftsordnung äußern. - Ich weise den Vorwurf von Bündnis 90/Die Grünen, daß hier getrickst wird, mit allem Nachdruck zurück;
({0})
denn wenn jemand getrickst hat, dann sind es die
Oppositionsparteien gewesen, die einen Antrag zurückgezogen und einen neuen eingebracht haben. Das ist Trickserei; das machen wir selbstverständlich nicht mit.
({1})
Im übrigen hat die Präsidentin schon mit Recht darauf hingewiesen, daß es eine Auslegungsentscheidung des 1. Ausschusses gibt, die gut überlegt ist und
({2})
die wir sorgfältig diskutiert haben, daß nämlich eine Überweisung von Anträgen an Ausschüsse vorgeht. Das macht in diesem Zusammenhang ganz besonders Sinn.
Wir alle wissen, daß es im Augenblick Verhandlungen gibt. Wir sollten diese Verhandlungen nicht stören.
({3})
Es ist in unser aller Interesse, wenn diese Verhandlungen zu einem guten Ergebnis geführt werden.
({4})
Es ist im Interesse unseres Landes, daß wir dies ermöglichen. Deshalb beantragen wir die Überweisung an die Ausschüsse.
({5})
- Herr Fischer, Sie können noch so laut schreien. Wir haben überhaupt keine Sorge, daß wir die notwendigen Mehrheiten nicht bekommen. Die Abstimmung, die wir gerade durchgeführt haben, hat gezeigt, wie die Mehrheiten sind. Deshalb gibt es bei uns keinerlei solche Überlegungen.
({6})
Ich beantrage für die Koalitionsfraktionen, daß es zu einer Überweisung an den federführenden Finanzausschuß und an die anderen genannten Ausschüsse kommt.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gysi, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem, weshalb Sie die Geschäftsordnung auf die vorgeschlagene Art und Weise dehnen, besteht doch nur darin, daß Sie vor beiden Entscheidungen Hemmungen haben. Sie trauen sich nicht, dem Zentralbankrat zuzustimmen. Aber Sie trauen sich auch nicht, ihm hier ausdrücklich zu widersprechen.
({0})
Das ist die Klemme, in der Sie sich befinden. Ansonsten steht in diesem Antrag nichts drin, was man
nicht sofort entscheiden könnte. Die PDS ist deshalb
dafür, daß hier sofort über diesen Entschließungsantrag entschieden wird. Ich füge allerdings hinzu: Wir werden ihm nicht zustimmen - das ist eine andere Frage -, und zwar deshalb nicht, weil wir der Meinung sind, daß die zusätzlichen Bundesbankgewinne, wenn sie denn irgendwann freigesetzt werden, für den Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit und nicht für den Erblastentilgungsfonds einzusetzen sind.
({1})
- Was regen Sie sich auf? Sie würden doch auch dagegen stimmen. Wieso werfen Sie uns vor, was Sie selber treiben?
Entscheidungsverweigerung ist ein Ausdruck von Unkultur, gerade in schwierigen Situationen. Sie haben heute von Ministerpräsident Lafontaine eine Entschuldigung für eine eher harmlose Äußerung verlangt.
({2})
- Moment mal! Sie haben uns diesbezüglich gerade etwas vorzuwerfen! Soll ich einmal die Ausdrücke benennen, mit denen Sie hier schon Abgeordnete dieses Parlaments belegt haben?
({3})
Sie sind nicht diejenigen, die als erste einen Stein werfen dürfen.
Herr Abgeordneter, bitte sprechen Sie zur Geschäftsordnung.
Dr. Gregor Gysi: ({0}): Das hat etwas damit zu tun.
({1})
Darüber ist hier schon gesprochen worden. Das hat etwas mit Kultur und Unkultur zu tun.
Eines sage ich Ihnen - mein letzter Satz, Frau Präsidentin -: Herrn Lafontaine mit Nazis zu vergleichen, das ist eine Unverschämtheit, für die Sie sich noch werden entschuldigen müssen,
({2})
und wenn Sie ihn mit Kommunisten vergleichen, dann tun Sie ihm unrecht.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Struck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß die Koalition sich weigert, heute hier in der Sache abzustimmen, hat zwei Gründe.
Der erste ist: Sie haben Angst davor, daß hier einige von Ihnen eigentlich dieser Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zustimmen müßten, wenn sie noch eine ehrliche Politik machen wollen; das wollen Sie verstecken.
({0})
Der zweite Grund ist: Sie wollen das hier nicht festlegen, weil Sie, wie Herr van Essen gesagt hat, die Gespräche der Bundesregierung mit der Bundesbank nicht „stören" wollen. Was haben Sie eigentlich für ein Verständnis von Parlamentsarbeit? Sollen wir hier überhaupt nichts mehr beschließen dürfen?
({1})
Sollen wir also nur warten, was Herr Waigel mit Herrn Tietmeyer macht? Sie sollten sich Ihr Parlamentsverständnis wirklich sehr überlegen.
Meine Damen und Herren, wir sind der festen Überzeugung, daß das, was die Bundesbank zu dieser Frage erklärt hat, das ist, was man zu dieser Frage im Interesse einer Stabilitätspolitik in Deutschland erklären muß. Deshalb sollte der Deutsche Bundestag jetzt und hier sofort abstimmen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen haben noch einmal ihre Positionen dargelegt.
Nach der ständigen Übung hier im Parlament stimmen wir zuerst über den Überweisungsvorschlag ab.
({0})
Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zustimmen, um ein Handzeichen.
({1})
Wer stimmt dagegen? ({2})
Enthaltungen? - Damit ist der Überweisungsanschlag - ({3})
- Es ist schön, daß man auch nach solch einer Debatte noch lachen kann. - Der Überweisungsvorschlag ist damit angenommen. Wir stimmen damit in der Sache heute nicht ab.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Wir kommen jetzt zum Antrag der Gruppe der PDS zur Vertrauensfrage auf Drucksache 13/7786.
Wie bereits zu Beginn der Aussprache mitgeteilt, hat die PDS beantragt, daß über ihren Antrag namentlich abgestimmt wird. Dafür ist die Unterstützung von mindestens 34 anwesenden Abgeordneten erforderlich. Ich frage deshalb: Wer unterstützt den Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung? - Das erforderliche Quorum ist nicht erreicht. Über den Antrag wird nicht namentlich abgestimmt.
Wer stimmt für den Antrag der PDS auf Drucksache 13/7786? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Antrag der Gruppe der PDS zum Einsatz der Neubewertung der Goldreserven für ein Programm gegen Massenarbeitslosigkeit, Drucksache 13/7791. Die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. haben beantragt, die Vorlage zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß sowie an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen. Die Gruppe der PDS verlangt hingegen sofortige Abstimmung.
Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktionen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Überweisungsvorschlag bei demselben Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Wir stimmen in der Sache nicht mehr ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/7769 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Erler auf:
Welche EU-Vereinbarungen zur Konditionierung der EU- Wirtschaftshilfe an Bulgarien bestehen derzeit, und gehört es zu diesen Konditionierungen, daß die bulgarische Regierung bestimmte Wirtschaftsgruppierungen wie „Multigrup" aus dem Wirtschaftsleben des Landes ausschließt?
Bitte schön.
Herr Kollege Erler, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die EU-Wirtschaftshilfe für Bulgarien erfolgt im Rahmen der Beziehungen, die durch das am 1. Februar 1995 in Kraft getretene Europaabkommen begründet wurden. Dabei wird die EU-Zahlungsbilanzhilfe für Bulgarien zu IWF-Bedingungen gewährt. Zu einer darüber hinausgehenden Konditionierung von Hilfsleistungen, wie in Ihrer Frage angesprochen, mit Blick auf den Ausschluß bestimmter Wirtschaftsgruppierungen in
Bulgarien liegen der Bundesregierung keine weiteren Erkenntnisse vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es weder üblich noch zwischen den Mitgliedstaaten der EU vereinbart ist, Wirtschaftshilfen; wie sie Bulgarien zum gegenwärtigen Zeitpunkt dringend braucht, an bestimmte politische Praktiken in der ökonomischen Innenpolitik zu binden?
Herr Kollege Erler, Ihre Frage zielte ja darauf ab, ob die Gewährleistung von Hilfe davon abhängig gemacht wird, daß ein bestimmtes Unternehmen von dieser Hilfe ausgeschlossen werde. Das ist unüblich, und ich habe Ihnen bestätigt - insofern haben Sie mich richtig verstanden -, daß uns keine Erkenntnisse darüber vorliegen, daß in dieser Richtung Forderungen gestellt worden seien.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die öffentliche Wirkung eine sehr problematische wäre, wenn ein Land wie die Bundesrepublik, die ja bei wirtschaftlichen Hilfen an Bulgarien mit an vorderster Stelle steht, dort durch einen Vertreter der Bundesregierung den Eindruck erweckte, es gebe bestimmte Bedingungen?
Über die öffentliche Wirkung von Äußerungen will ich hier nicht spekulieren. Ich kann nur sagen, daß ein klarer Rahmen für die Beziehungen zwischen Bulgarien und der Europäischen Union gesteckt ist. Ich betone noch einmal: Die Zahlungsbilanzhilfen erfolgen zu IWF-Bedingungen. Darüber hinaus ist nichts vereinbart, und Grund für Spekulationen gibt es an dieser Stelle auch nicht.
Die Frage 2 soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft. Ich bedanke mich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 3 und 4 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Für die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg wurde schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Für die Fragen 6 und 7 des Kollegen Horst Kubatschka wurde schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Bernd Schmidbauer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Gernot Erler auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Staatsminister Bernd Schmidbauer bei einem jüngsten Besuch in Varna Druck auf die bulgarische Regierung ausgeübt hat, die Wirtschaftsgruppierung „Multigrup" aus dem Wirtschaftsleben des Landes zu eliminieren, wie die Nachrichtenagentur Balkan und bulgarische Medien berichtet haben, und welche Äußerungen hat Staatsminister Bernd Schmidbauer in diesem Zusammenhang in Varna tatsächlich gemacht?
Herr Kollege Erler, es trifft nicht zu, daß in der von Ihnen geschilderten Weise Druck auf die bulgarische Regierung ausgeübt wurde. Richtig ist, daß ich bei meinem letzten Besuch in Bulgarien unter anderem auch Fragen der organisierten Kriminalität mit Vertretern der bulgarischen Regierung erörtert habe. Wegen der vereinbarten Vertraulichkeit können nähere Einzelheiten über den Inhalt der Gespräche nicht öffentlich mitgeteilt werden. Das sage ich nur zur Ergänzung. Ich unterstreiche noch einmal den ersten Satz meiner Antwort: Es gab diesen von Ihnen angesprochenen Druck in keiner Weise.
Zum Thema selbst empfehle ich den Ihrer Fraktion übergebenen Bericht „Sonderformen der international organisierten Kriminalität". Auf Seite 28 - ich gebe sie Ihnen nachher, damit es für Sie einfacher ist, den Vorgang nachzuvollziehen - ist nachzulesen, was in der Presse Gegenstand der Spekulationen gewesen sein könnte, was aber mit den Gesprächen, die ich geführt habe, nichts zu tun hatte.
Bitte Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister, die Vertraulichkeit Ihrer Gespräche kann mich nicht von der Rückfrage abhalten, wie Sie sich erklären, daß ein solches vertrauliches Gespräch nun Eingang in die bulgarische Presse und in die bulgarischen Medien gefunden hat und daß es, wie Sie wahrscheinlich wissen, auch zu einem Vorgang bei der deutschen Vertretung in Sofia geführt hat, wo Nachfragen von der betroffenen Seite getätigt worden sind. Damit ist das Gespräch nicht mehr auf der Ebene vertraulicher Unterrichtungen über Wirtschaftskriminalität, sondern es steht im öffentlichen Raum. Ich bitte Sie deswegen noch einmal, dem Hohen Haus zu erklären, wie es zu dieser Irritation kommen konnte.
Da müssen Sie diejenigen fragen, die zu dieser Spekulation neigen, um einen Sachverhalt zu konstruieren. Ich darf einmal aus der bulgarischen Zeitung „Capital", Ausgabe Nr. 19 für den Zeitraum 12. bis 18. Mai dieses Jahres, Seite 1 und 14, zitieren, daß diese Ausführungen nicht in dieser Weise zu verstehen sind. Dort steht:
Das Problem „Multigrup" wurde erstmals, wenn auch nicht offiziell von ausländischer Seite, im Zusammenhang mit der Einführung eines Währungsrates und dem Umfeld ausländischer Investitionen gestellt.
Ich finde, das ist ein guter Satz.
Anschließend wird über meinen Besuch bei dem Präsidenten und dem Innenminister berichtet, es werde verlangt, daß hier bestimmte Regeln beachtet werden. Da ich diese Gruppierung jetzt genannt habe und wir davon ausgegangen sind, daß diese Gruppierung, wie es hier heißt, als „Geldwaschanlage der früheren Kommunistischen Partei Bulgariens" im internationalen Bereich bekannt ist, können solche Spekulationen zwar angestellt werden, nur haben die Inhalte dieser Spekulationen mit meinen Gesprächen nichts zu tun. Sie waren nicht Gegenstand der Gespräche mit dem Präsidenten und dem zuständigen Minister.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ich muß bekennen, daß mir immer noch nicht klar ist, wie ein völlig anderer Gegenstand, den Sie offenbar behandelt haben, in dieser Weise eine solch herausragende Rolle in der bulgarischen Öffentlichkeit spielen konnte. Können Sie uns vielleicht sagen, wie Sie darauf reagiert haben? Sie sind ja sicherlich nicht an einem Schaden in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien interessiert, der aber durchaus durch solche Berichte entstehen kann. Wie haben Sie denn versucht, diesen möglichen Schaden abzuwehren?
Die beteiligten Gesprächspartner wissen, welche Inhalte unsere Gespräche hatten. Im übrigen waren es sehr freundschaftliche Gespräche, die mit dem Gegenstand Ihrer Frage nichts zu tun hatten. Insofern ist überhaupt kein. Schaden eingetreten, es sei denn bei denen, die es vielleicht als Mißerfolg ansehen, wenn bei entsprechenden wirtschaftlichen Verhandlungen genauer hingesehen wird. Aber das ist nicht mein Bier. Es ist auch nicht meine Aufgabe, darüber nachzudenken. Ich sage noch einmal: Die betroffenen Gesprächspartner wissen sehr wohl, welchen Inhalt diese Gespräche hatten.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzleramtes.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Die Fragen 9 und 10 der Kollegin Dr. Elke Leonhard wurden für eine schriftliche Beantwortung vorgesehen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Die .Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Benno Zierer und die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Dietmar Schütz werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 15 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer. - Sie ist, wie ich sehe, nicht da. Nach unseren Regeln entfällt damit die Beantwortung der Fragen 15 und 16.
Auch die Frage 17 des Kollegen Manfred Such wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben sich leider umsonst bemüht.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Günter Graf, die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, die Frage 22 der Abgeordneten Frau Dr. Barbara Höll, die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Karl Diller und die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Manfred Hampel, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 27 und 28 werden auf Grund Nr. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Niese. Auch die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Uwe Göllner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wird als Anlagen abgedruckt.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rudolf Kraus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Frau Dr. Gisela Babel auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der restriktive Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 3. Januar 1997 zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Reformziele des Gesetzgebers, auch den Schritt in die Selbständigkeit stärker zu unterstützen als bisher, deutlich verfehlt, und ist sie bereit, eine Überarbeitung des Erlasses zu veranlassen, die diesem Reformziel gerecht wird?
Frau Dr. Babel, Anlaß zu dem angesprochenen Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit zum Überbrückungsgeld an Arbeitslose, die sich eine selbständige Existenz aufbauen, war die Notwendigkeit, bei den Ausgaben den Rahmen der hierfür verfügbaren Haushaltsmittel einzuhalten. Erlasse sind Ausdruck eigenverantwortlichen Verwaltungshandelns der Bundesanstalt. Eine Überarbeitung könnte die Bundesregierung schon aus diesem Grunde nicht veranlassen.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Babel? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär Kraus, halten Sie es bei dem Bemühen, Arbeitslosen eine Brücke in die Selbständigkeit zu bauen, denn für richtig, als Voraussetzung festzuschreiben, daß sie nachweisen müssen, daß sie einen Kundenstamm mitbringen und abhängig Beschäftigte haben?
Wir sind auf jeden Fall der Meinung, daß Beitragsgelder nur dann ausgegeben werden dürfen, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß das Unternehmen auch einen gewissen Erfolg hat. Dafür muß man bestimmte Kriterien prüfen dürfen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Sie erlauben, daß ich insistiere. Natürlich sollen Sie vernünftig handeln und alles Mögliche prüfen. Halten Sie aber für das Prüfungsziel, daß sie erfolgreich selbständig arbeiten, die Eingangsvoraussetzung, daß sie einen Kundenstamm mitbringen und abhängig Beschäftigte haben, nicht für absolut absurd?
Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich bin der Auffassung, daß das, was jetzt vorgeschrieben ist, durchaus geeignet ist, Erfolgsaussichten hinreichend abschätzen zu können.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann kommen wir zu Frage Nr. 33 des Abgeordneten Franz Thönnes:
Kann die Bundesregierung verbindlich erklären, daß dem Arbeitsamt Bad Oldesloe die erforderlichen Mittel für die Finanzierung von Lehrgängen zur ,,Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen" so rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, daß die Abgängerinnen und Abgänger von Förderschulen sowie Schülerinnen und Schuler in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg spätestens zum 1. September 1997 diese Lehrgänge besuchen können?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Thönnes, grundsätzlich ist folgendes zu bemerken: Bei den Lehrgängen zur „Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen" handelt es sich um berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für Jugendliche, die nicht mehr der Vollzeitschulpflicht unterliegen.
Solche Maßnahmen können von der Bundesanstalt eingerichtet werden, wenn das schulische Angebot an Berufsvorbereitung qualitativ oder quantitativ nicht ausreicht, nicht vorhanden ist oder für den zu fördernden Personenkreis nicht in Betracht kommt. Denn grundsätzlich ist es Aufgabe des schulischen
Bildungswesens und damit der Länder, Jugendliche auf das Berufsleben vorzubereiten.
Die Bundesanstalt engagiert sich aus bildungs-, sozial- und arbeitsmarktpolitischer Verantwortung in diesem Feld, weil die Länder ihrer Verpflichtung nur unzureichend nachkommen. Das Angebot der Bundesanstalt an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen ist Jahr für Jahr mindestens so groß wie das Angebot der Länder. 1995 beispielsweise haben 93 400 Schüler eine schulische Berufsvorbereitung und 96 400 Jugendliche eine vom Arbeitsamt geförderte Maßnahme begonnen.
Das Engagement der Bundesanstalt läßt sich auch in Mark und Pfennig ausdrücken. Während 1991 291 Millionen DM ausgegeben wurden, waren es 1996 bereits 720 Millionen DM.
Es kann daher nicht angehen, sich wegen der Finanzierung berufsvorbereitender Maßnahmen ausschließlich an die Bundesanstalt für Arbeit oder den Bund zu wenden. Es ist deshalb an die Länder zu appellieren, dem großen Engagement der Bundesanstalt folgend, ihrer Verantwortung gegenüber den Jugendlichen bei der schulischen Berufsvorbereitung konsequenter nachzukommen.
Jugendliche, die auf derartige Maßnahmen der Arbeitsämter angewiesen sind und an ihnen teilnehmen, haben unabhängig vom Haushaltsansatz einen Rechtsanspruch auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes. Diese Rechtsansprüche werden erfüllt.
Die Bundesanstalt hat mit Runderlaß vom 2. Juni 1997 die Dienststellen angewiesen, die notwendigen Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt einzurichten. Bei der Einrichtung der Maßnahmen und Bewilligung der Leistungen sind folgende Grundsätze zu beachten: Grundsatz des Vorrangs der Vermittlung in betriebliche Ausbildung; Vorrang schulischer Maßnahmen zur Ausbildungsvorbereitung; gewissenhafte Anwendung der Verdingungsordnung für Leistungen bei der Vergabe der Maßnahmen; Einrichtung und Nutzung wohnortnaher Maßnahmen; die Einrichtung von Internatsmaßnahmen muß wegen der erhöhten Gefahr von Maßnahmeabbrüchen infolge fehlender Heimatbindungen auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
Außerdem ist zu beachten, daß einen Rechtsanspruch auf Förderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz nur der Jugendliche hat, nicht aber der Träger. Im übrigen ist die Durchführung des Arbeitsförderungsgesetzes der Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Dienststellen in Selbstverwaltung übertragen. Die Bundesregierung übt nur die Rechtsaufsicht aus, das heißt, sie kann Weisungen zur Regelung eines Einzelfalles nicht erteilen.
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt -
Herr Staatssekretär, ich muß den Abgeordneten erst einmal fragen, ob er einverstanden ist, daß Sie beide Fragen zusammen beantworten.
({0})
- Sie haben dann vier Zusatzfragen.
Dann muß ich zunächst noch die Frage 34 aufrufen:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die für ca. 490 Jugendliche im Arbeitsamtsbezirk Neumünster bis zum Ende des Jahres zusätzlich notwendigen Finanzmittel zur Durchführung von erforderlichen Maßnahmen der „Berufsausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen" ({1}) und Lehrgängen zur „Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschancen" in Höhe von 3,4 Mio. DM seitens der Bundesanstalt für Arbeit so zur Verfügung gestellt werden, daß diese Maßnahmen in vollem Umfang rechtzeitig eingerichtet werden können?
Dann darf ich also die zweite Frage beantworten: Die Bereitstellung der Finanzmittel für BBE-Lehrgänge und BüE an die Arbeitsämter ist, wie bereits ausgeführt, Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit und der Landesarbeitsämter.
Im übrigen ist es, wie bereits in der Antwort zur ersten Frage ausgeführt, nicht alleinige Aufgabe des Bundes, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen einzurichten. Es muß zunächst darum gehen, daß die Länder ihrerseits Angebote im erforderlichen Umfang bereitstellen, aber auch darum, durch einen verbesserten Schulunterricht dafür zu sorgen, daß der Anteil der Jugendlichen ohne die erforderliche Berufsreife weiter gesenkt ist. Es ist deshalb zu begrüßen, daß sich die Ministerpräsidenten im Juli dieses Jahres mit diesem Thema beschäftigen werden.
Bitte schön, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, heißt - dies unter Bezugnahme auf die Antwort auf meine erste Frage - die Aussage des Staatssekretärs Horst Günther in der Fragestunde vom 19. Februar 1997, daß der in Frage kommende Kreis der Jugendlichen
auch künftig Ermessensleistungen im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel
erhalten wird, wobei diese für 1997 allerdings so bemessen sind,
daß in diesem Bereich auch ohne Rechtsanspruch auf die erforderlichen Leistungen eine sachgerechte Förderung durch die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit möglich ist,
daß die erste Frage eigentlich mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden kann?
Das kann man
ganz sicher im Rahmen der von mir getätigten Aussagen mit Ja beantworten.Zusatzfrage.
Bitte die nächste
Bedeutet das auch, daß auch die zweite Frage vor dem Hintergrund der von Ihnen gemachten Ausführungen und der von mir zitierten Beantwortung vom 19. Februar mit Ja beantwortet werden kann?
Die zweite Frage bezieht sich genauso wie die erste auf ein ganz bestimmtes Arbeitsamt. Ich kann jetzt über die von mir dazu ausgeführten Einzelheiten, warum es so ist, nicht eingehen. Aber es sind derzeit genügend Mittel vorhanden, um alle in Frage kommenden Maßnahmen, die im Rahmen dessen, was ich geschildert habe, möglich sind, ausreichend zu bedienen.
Bitte schön, eine weitere Zusatzfrage.
Bedeutet dies auch, daß man auch bei Ihnen im Zweifelsfall auf das vom Staatssekretär Günther in der Fragestunde vom 19. Februar 1997 unterbreitete Angebot zurückkommen kann, dort im Einzelfall mit Nachdruck behilflich zu sein?
Wir sind selbstverständlich bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten darauf einzuwirken, daß die Dinge sachgerecht erledigt werden.
Danke.
Sie hätten noch eine Zusatzfrage, aber Sie verzichten. Dann rufe ich die Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein auf.
Herr Staatssekretär, der Kollege Thönnes hat die Fragen ja aus einem berechtigten Anlaß gestellt, weil mindestens im Bereich des Arbeitsamtes Bad Oldesloe bei den Absolventen der Förderschule und ihren Eltern und auch bei einigen Hauptschulabsolventen große Verunsicherung darüber entstanden ist, ob denn die Maßnahme zeitgerecht eingerichtet werden kann. Ich stelle die dort erörterte Frage noch einmal ganz konkret: Handelt es sich um eine Pflichtleistung der Bundesanstalt für Arbeit nach § 40 AFG, wie es der Bundesarbeitsminister in einem Schreiben gegenüber der schleswig-holsteinischen Landesregierung bestätigt hat, und haben die Jugendlichen auch einen entsprechenden Rechtsanspruch auf diese Maßnahme, unabhängig davon, wann, wo, wie und bei welchem Träger er eingelöst wird?
Ich beziehe mich auf § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes: Es handelt sich um Rechtsansprüche.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Sie sagten eben, es seien genügend Mittel vorhanden, alle in Frage kommenden Maßnahmen zu bedienen. Allerdings war zumindest im Bereich dieses Arbeitsamtes, aber auch in anderen schleswig-holsteinischen Arbeitsämtern die Frage von JAW-Förderungsmaßnahmen ab Herbst dieses Jahres durchaus in Frage gestellt. Können Sie jetzt versichern, daß ohne eine entsprechende Kürzung bei allen anderen Maßnahmen wie FuU, ABM und Benachteiligtenprogramm die Mittel für diese berufsvorbereitenden Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden?
Ich kann das sogar in Zahlen sagen: Im Haushalt 1997 haben wir 703 Millionen DM für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen zur Verfügung. Im Vorjahr wurden 719 Millionen DM ausgegeben. Ich gehe also davon aus, daß ausreichend Mittel vorhanden sind.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Die Fragen 35 und 36 der Abgeordneten Dr. Konstanze Wegner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich bedanke mich beim Staatssekretär Kraus. Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Die Frage 37 der Abgeordneten Ulrike Höfken sowie die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Heinz Schmitt, die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner und die Frage 42 des Abgeordneten Konrad Kunick werden alle schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg sowie die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen werden alle schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde und am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 1997, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.