Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CDU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Steuerreformgesetzes ({0}) 1999
- Drucksache 13/7480 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({1})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Bundesminister Theodor Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Industrieländer müssen im Zeichen der zunehmenden Globalisierung ihre Standortbedingungen auf das 21. Jahrhundert ausrichten. Darin sind sich alle nationalen und internationalen Experten mit uns einig. Gleiches gilt für die führenden Sozialdemokraten in anderen Ländern wie Viktor Klima, Wim Kok, Göran Persson oder Tony Blair. Konsolidierung, Senkung von Steuern und Lohnnebenkosten sowie Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im System der sozialen Sicherheit, das ist das Gebot der Stunde.
Mit ihrer wahltaktischen Weigerung, an einer zügigen Umsetzung der Steuerreform 1998/99 mitzuwirken, ignoriert die SPD die erfolgreichen Beispiele anderer Länder.
({0})
In den Niederlanden zum Beispiel hat man sich zusammengesetzt und einen Konsens gefunden - einen Konsens, der von jedem etwas verlangt hat, einen Konsens, zu dem die dort in der Opposition stehenden Christdemokraten das Ihre beigetragen haben, um dem Gemeinwohl ihres Landes zu dienen. Dies erwartet man auch von jedem von uns in Deutschland.
({1})
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hätten hier ein Ausrufezeichen für die Verantwortung der Opposition setzen können. Statt dessen haben Sie sich Ihrer Verantwortung entzogen.
Die Forschungsinstitute schreiben klipp und klar: Jetzt muß schnell Klarheit über die Steuerreform kommen. Wir brauchen den Stimmungsumschwung. Allein die Signalwirkung der großen Steuerreform wäre immens und würde die Investitionen, aber auch den Verbrauch beflügeln. Nur, Sie wollen blockieren und bremsen. Das bedeutet Unklarheit und Unsicherheit für Investoren und Verbraucher. Unsicherheit bremst den Aufschwung und schwächt das Wachstum. Die Arbeitslosigkeit hält an.
Dieses bedrückende Szenario am Standort Deutschland wollen Sie eiskalt als Wahlkampfmunition gebrauchen - nicht alle von Ihnen, aber jedenfalls scheint dies die Taktik Ihrer Führung zu sein.
({2})
Aber ich bin sicher: Die Taktik Ihres Parteivorsitzenden geht nicht auf. Ihre Strategien, ausgetragen auf dem Rücken der Arbeitslosen, der Wirtschaft und aller Arbeitnehmer am Standort Deutschland, werden vom Wähler nicht honoriert.
Wir werden heute das Steuerreformgesetz 1999 in erster Lesung beraten, um uns - wahrscheinlich - im Vermittlungsausschuß wiederzusehen. Wir werden Sie für jeden Monat, in dem Sie den entscheidenden Ruck für den Standort Deutschland und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindern, verantwortlich machen.
Trotz völlig veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen setzen Sie auf alte politische Hüte, nämlich auf Nachfragepolitik, auf Steigerung der Kaufkraft, auf Umverteilung und Abschottung im internationalen Wettbewerb. Doch Deutschland hat kein Nachfrage-, sondern ein Kostenproblem.
({3})
In einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds vom Sommer des letzten Jahres steht: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist zu 80 Prozent strukturell bedingt. Die Europäische Union und nationale Experten kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Diese strukturelle Arbeitslosigkeit resultiert aus zu hohen Steuern, zu hohen Lohn- und Lohnzusatzkosten, zu starren Tarifverträgen, ausufernden Rechtsnormen mit langen Verfahren, einem mißbräuchlichen Ausbeuten der Sozialsysteme und Schwarzarbeit auf Kosten der Steuerzahler und der wirklich Bedürftigen, Steuervermeidungsstrategien und Steuerhinterziehung wegen drückender Steuersätze bei der Einkommensbesteuerung und einem komplizierten Steuersystem mit vielen Schlupflöchern.
Der Sachverständigenrat schreibt in seinem Jahresgutachten 1996/1997:
Die Investitionstätigkeit kommt nicht in Fahrt. Die deutschen Unternehmen investieren im Ausland. Deutschland konnte aber nicht an den weltweiten Direktinvestitionen anderer Länder partizipieren.
Daraus folgert der Sachverständigenrat:
Die verschärfte Lage am Arbeitsmarkt beruhte vor allem auf der andauernden Investitionsschwäche und der ungünstigen Entwicklung der Arbeitskosten.
({4})
Zum gleichen Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Dort steht:
Letztendlich sind es weniger vergangene Kostenentwicklungen als vielmehr die Erwartungen über zukünftige Trends, die die internationale Allokation von Risikokapital beeinflussen. Die Tatsache, daß ausländische Investoren Deutschland gemieden und auch inländische Investoren sich verstärkt an anderen Standorten engagiert haben, deutet darauf hin, daß die Perspektiven für den Standort Deutschland relativ ungünstig eingeschätzt werden.
({5})
Das International Institute of Management Development in der Schweiz veröffentlicht jedes Jahr einen Wettbewerbsbericht. Hier ist Deutschland jetzt auf Platz 14 abgerutscht. Das Institut schreibt, Deutschland verliere zuviel Zeit beim Umsetzen wichtiger Reformen.
Meine Damen und Herren, dagegen helfen keine Steigerung der Massenkaufkraft
({6})
und auch keine Steuerreform, die sich allein auf eine Steigerung des Konsums ausrichtet und die Investitionsbedingungen außen vor läßt.
Professor Peffekoven vom Sachverständigenrat sagte am 18. April dieses Jahres in „Die Woche" auf die Frage, ob die Entlastung der unteren Einkommen über eine Anregung des Konsums Investitionen fördere:
Nein, in den letzten Jahren mußten wir immer wieder feststellen, daß die Entlastung der unteren Einkommen nicht den gewünschten Nachfrageschub bringt. Wer wenig verdient, spart derzeit lieber, aus Angst um den Arbeitsplatz.
Was nützt es, wenn die gestiegene Kaufkraft in ausländische High-Tech-Produkte fließt, die in Deutschland wegen der hohen Kosten nicht mehr konkurrenzfähig produziert werden?
Dabei ist es nicht so, daß wir keine Rücksicht auf die Nachfrage und die Entlastung der unteren Einkommen und der Familien nehmen. Im Gegenteil: Die steuerliche Entlastung der Arbeitskräfte wurde schon 1996 in erheblichem Umfang vollzogen. Ich erinnere an die Erhöhung des Grundfreibetrags und die weiter verbesserten Familienleistungen durch die neue Kindergeldregelung.
Heute gilt: Eine gute Angebotspolitik, die den Märkten Zuversicht und stabile Erwartung gibt, Investitionen nach Deutschland bringt und Arbeitsplätze schafft, ist auch die beste Nachfragepolitik.
({7})
Dies ist das Ziel der großen Steuerreform 1998/1999.
Zur Zukunftssicherung gehört aber nicht nur eine große Steuerreform. Wir brauchen auch ein Gesamtkonzept. Dieses Gesamtkonzept ist die symmetrische Finanzpolitik.
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Das bedeutet: Abbau der Staatsquote, Konsolidierung, wachstumsfördernde Steuerpolitik und Strukturreformen.
({9})
Dazu gehört die Abschaffung der ertragsunabhängigen Steuern: Das steht bei der Gewerbekapitalsteuer noch aus. Das umfaßt die Reform der Renten- und Krankenversicherung. Dazu gehört die Senkung der beschäftigungsfeindlichen hohen Lohnzusatzkosten. Das bedeutet eine beschäftigungsfreundliche Flexibilisierung des Arbeitsrechts und eine Reform unserer Sozialsysteme. Alle Vorhaben greifen ineinander. Keines kann das andere ersetzen.
Wir können über die Umfinanzierung bei den Sozialbeiträgen reden. Es wäre aber ein abwegiger
Vorschlag, jetzt nur die Senkung der Lohnnebenkosten ohne eine begleitende Strukturreform zu regeln und auf eine wirkliche Steuerreform zu verzichten. Das kann den Durchbruch am Arbeitsmarkt nicht bringen.
({10})
Eine Wachstums- und beschäftigungsfreundliche Steuerreform ist jetzt genauso wichtig wie die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge in Verbindung mit kostensenkenden Strukturreformen.
Die SPD hat sich von der für die Gespräche zur Steuerreform vereinbarten Geschäftsgrundlage entfernt. Der Ausgangspunkt war, über eine umfassende wachstumsstärkende Steuerreform zu reden. Die Koalition war in diesem Zusammenhang bereit, auch über eine Reform der sozialen Sicherungssysteme unter Einschluß einer Umfinanzierung zu reden.
({11})
Eine Einigung schien durchaus möglich. Dann hat die SPD die für den 8. März geplanten Gespräche unter einem offenkundigen Vorwand abgesagt. Danach hat sie Bedingungen für die Wiederaufnahme gestellt und Forderungen nachgeschoben. Schließlich war sie nur noch bereit, über eine Umfinanzierung bei der Sozialversicherung mit uns zu reden.
({12})
Wer diesen Ablauf gemäß der genauen Fakten - an diesen kann es überhaupt keinen Zweifel geben - verfolgt, weiß ganz genau, daß Sie Ihre Taktik entweder geändert haben oder von Anfang an nicht bereit waren, über eine wirkliche Steuerreform zu sprechen.
({13})
Die Petersberger Beschlüsse sind ein Durchbruch zu einem neuen Steuersystem. Die Grundprinzipien sind: niedrige Steuersätze, breite Bemessungsgrundlage, weniger Ausnahmen. Unsere Steuersätze werden künftig im Vergleich mit denen aller großen Industrieländer wettbewerbsfähig sein. Die verbliebenen Standortvorteile Deutschlands und die guten wirtschaftlichen Fundamentaldaten, nämlich niedrige Preise, niedrige Zinsen und gute Erträge, können dann endlich ihre volle Wirkung entfalten und zu Investitionen und Arbeitsplätzen führen.
Die Petersberger Beschlüsse beruhen auf den bewährten Grundprinzipien der Besteuerung: die Besteuerung nach dem individuellen Leistungsprinzip; das objektive Nettoprinzip- das heißt: Erwerbsaufwendungen bleiben grundsätzlich absetzbar-; das subjektive Nettoprinzip, die Existenzsicherung ist von der Besteuerung freigestellt; der Verlustausgleich über alle Einkunftsarten bleibt weiter möglich, und der Anknüpfungspunkt für den Einkommensbegriff bleibt das am Markt erzielte Einkommen. Für Unternehmen muß gelten: Rechtsformneutralität und Finanzierungsneutralität.
Das Steuerreformgesetz 1998 mit der Senkung des Solidaritätszuschlages und einer Senkung der Körperschaftsteuersätze und der Einkommensteuersätze für gewerbliche Einkünfte haben wir bereits im Parlament eingebracht. Es soll und kann durch Vorzieheffekte schon kurzfristig wichtige Impulse geben.
Mit dem Steuerreformgesetz 1999 wollen wir das Gesamtkonzept der Petersberger Steuervorschläge auf den Weg der parlamentarischen Beratung bringen. Das gibt den Märkten Sicherheit auf lange Sicht.
({14})
In Papieren der SPD zur Steuerreform sucht man leider vergeblich nach Ansätzen und Vorschlägen, wie der Standortkonkurrenz in der Steuerpolitik offensiv begegnet werden soll. Statt dessen wird defensiv auf internationale Absprachen gesetzt.
Wir wenden uns entschieden gegen unfairen Steuerwettbewerb. Dafür ist auf meine Initiative auf EU- Ebene eine Arbeitsgruppe gegründet worden. Es ist aber ein Irrglaube, man könne den Steuerwettbewerb insgesamt ausschalten. Wir wollen das auch nicht. Wettbewerb ist ein Element der wachstumsfördernden Dynamik in Europa, die letztlich allen zugute kommt.
Doch der SPD sind diese Tatsachen egal. Ein Beispiel: Die SPD spricht sich gegen eine Absenkung des Ausschüttungssatzes bei der Körperschaftsteuer aus. Dabei wäre gerade die geplante Absenkung des Satzes der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Gewinne von 30 auf 25 Prozent eines der wichtigen Signale an ausländische Investoren für bessere steuerliche Rahmenbedingungen in Deutschland.
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Die SPD springt auch zu kurz, wenn sie sich auf eine Absenkung der Höchststeuersätze für einbehaltene Gewinne beschränken will. Zunächst einmal kann man das nicht auf Kapitalgesellschaften beschränken. Neun von zehn Unternehmen in Deutschland sind Personenunternehmen. Und, meine Damen und Herren, wie kommen wir eigentlich dazu, dem Handwerker, dem mittelständischen Unternehmer, der in seiner Rechtsform mit seinem gesamten Privatvermögen die volle Verantwortung und Haftung trägt, schlechter als Körperschaften und Aktiengesellschaften zu stellen? - Ich halte das nicht für gerecht.
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Generell gilt: Das wäre ein Hemmnis für den Produktivitätsfortschritt und den Strukturwandel, denn Kapitalbewegungen zwischen den Unternehmen und damit der Kapitalfluß zu rentableren Investitionen würden behindert. Außerdem würde die Unterscheidung zwischen nicht entnommenen und entnommenen Gewinnen komplizierte Regelungen zur Mißbrauchsverhütung und zusätzliche behördliche Kontrollen erfordern.
Wir wollen den Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte von 47 Prozent auf 35 Prozent senken. Das
stärkt die Eigenkapital- und damit die Ertragsbasis aller Unternehmen, insbesondere derjenigen des Mittelstandes. Es stärkt die Liquiditätsbasis der Betriebe und erhöht damit die Investitions- und Innovationskraft.
Der Zukunftstarif 1999 ist wachstumsfördernd und im Standortwettbewerb konkurrenzfähig. Er entlastet nahezu alle Steuerzahler. Der Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer in Höhe von künftig 15 Prozent findet ungeteilte Zustimmung.
({17})
Der Durchschnittssteuersatz beträgt bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 30 000 DM nach der Splittingtabelle 1999 nur noch 1,9 Prozent. Bei einem Bruttojahreslohn von 40000 DM beträgt die Entlastung einschließlich des Solidaritätszuschlags bei einem Alleinstehenden 1617 DM oder 20,4 Prozent, bei einem Verheirateten sogar 51,1 Prozent.
({18})
- Lesen Sie es doch nach, bedienen Sie sich des Internets, dann kommen Sie selbst darauf.
({19})
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 DM würde der Durchschnittssteuersatz bei Anwendung der Splittingtabelle mit 9,5 Prozent immer noch unter der 10-Prozent-Marke liegen. Ein alleinstehender Facharbeiter mit einem Bruttojahresverdienst von 70 000 DM wird um 2537 DM oder 14,9 Prozent entlastet.
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 200 000 DM erhalten Verheiratete eine Entlastung von 12,9 Prozent, und trotzdem zahlt diese Familie immer noch 53 532 DM an Steuern. Hat diese Familie aber bisher alle möglichen Steuerschlupflöcher genutzt, dann kann auch eine Mehrbelastung daraus resultieren, und genau das wollen wir.
({20})
Derjenige, der bisher nur die Schlupflöcher und die Vergünstigungen ausgenutzt hat, soll künftig mehr Steuern zahlen.
Es ist bei allen Experten völlig unstrittig: Die hohen Spitzensteuersätze sind leistungsfeindlich und abschreckend für Investoren. Das gilt für alle Einkunftsarten. Wir wollen daher nicht nur den Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte weiter senken; wir wollen und wir müssen auch den Höchststeuersatz für alle Einkunftsarten herabsetzen, nämlich von 53 auf 39 Prozent.
Bei den Beratungen zum Standortsicherungsgesetz vor einigen Jahren haben die Herren Poß und Schleußer auf die rechtliche Problematik einer zu großen Spreizung der Steuersätze für einzelne Einkunftsarten hingewiesen.
({21})
Nachdem die Chefideologen und Strategen der SPD
das heute nicht mehr für opportun halten, gilt dies offenbar als nie gesagt. Ich erinnere mich noch an den Satz, einer solchen Spreizung sei die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben. Das ist damals von der Linken gekommen, und heute will man davon nichts mehr wissen.
({22})
Wir bleiben dabei: Allein wegen der zusätzlichen Gewerbesteuerbelastung ist eine gewisse Spreizung für längere Zeit ökonomisch und verfassungsrechtlich vertretbar.
Die SPD ist bezüglich ihrer Stellungnahmen zu den Spitzensteuersätzen völlig unglaubwürdig. Einerseits kritisiert sie die Steuerentlastung höherer Einkommen; andererseits vermutet Herr Voscherau seit langem, daß Einkommensmillionäre wegen der Schlupflöcher keinen Pfennig Steuern zahlen. Meine Damen und Herren, nur eines von beidem kann richtig sein.
Das von Ihnen gern benutzte Argument, ein Ingenieur mit 90000 DM Einkommen zahle gleich viel Steuern wie ein Rechtsanwalt mit 250 000 DM Einkommen, ist Unsinn. Statt brutto und netto verwechseln Sie jetzt Grenz- und Durchschnittsbesteuerung.
({23})
Bei einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 DM beträgt die Durchschnittsbelastung rund 25 Prozent, bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 250000 DM fast 39 Prozent. Das ist der Unterschied.
({24}) - Das sehen einige in Ihrer Partei anders.
Das Mitglied des Sachverständigenrates Professor Peffekoven legt im „Handelsblatt" vom 16. April 1997 korrekt und überzeugend dar: Bei der Progression der Einkommensteuer sieht niemand ein Problem darin, Beziehern hoher Einkommen eine höhere Steuerlast zuzumuten. Bei der Absenkung des Tarifs muß dann logischerweise das gleiche gelten. Die absoluten Entlastungen sind bei hohen Einkommen zwangsläufig höher als bei niedrigen Einkommen. Das Fazit von Professor Peffekoven ist richtig:
Wer das nicht akzeptieren will, müßte eigentlich gegen die Progression in der Einkommensteuer votieren.
({25})
Übrigens vermutet Professor Peffekoven, daß die Millionäre die eigentlichen Verlierer der Reform sein werden. Wer also die Reform verhindert, ist im Grunde der Protektionist der Millionäre. Das sind Sie von der SPD.
({26})
- Das hat gesessen.
({27})
Das mußte einmal gesagt werden. Aber Sie haben gleich wieder die Möglichkeit, sich lärmend zu betätigen, wenn ich den Finanzminister von NordrheinWestfalen zitiere.
Im Sommer 1996 äußerte Schleußer - ({28}) - Das ist schon lange her, ruft da drüben einer.
({29})
Kurzzeitgedächtnis in Lafontaineschen Formeln: in immer kürzeren Abständen die Strategie ändern.
({30})
Also, Schleußer, Sommer 1996:
Eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, muß mit einer deutlichen Senkung sowohl des Eingangs- als auch des Spitzensteuersatzes verbunden sein.
({31})
- Moment noch, es kommt noch besser. Alles wörtlich:
Steuersätze wie derzeit diskutiert von 20 Prozent und 40 Prozent sind dabei anstrebenswert.
Hat der Mann recht oder nicht? Versteht er etwas von seinem Fach oder nicht? Kann die SPD noch zu dem Finanzminister stehen oder nicht? Wenn das nicht mehr stimmt und die Kritik stimmt, dann müssen Sie ihm sagen, er solle seinen Hut nehmen, dann kann er doch nicht mehr als Finanzminister des bevölkerungsreichsten Landes in Deutschland agieren. Das müssen Sie sich einmal fragen lassen.
({32})
Aber es kommt noch besser. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Scharping, im Deutschlandfunk am 24. Januar 1997:
({33})
Eine Festlegung des Spitzensteuersatzes scheint mir in der gegenwärtigen Situation nicht nötig.
Und dann der wichtige Satz:
Es ist mir übrigens auch gleichgültig, ob der bei 38 oder bei 40 Prozent liegt.
({34})
Jetzt nehmen wir mal die für Sie bessere Version: 40 Prozent. Ja, meine Damen und Herren, auf der Basis hätten wir eine Lösung finden können. Warum haben Sie sich dann von den Verhandlungen verabschiedet?
({35})
Und ganz neu: Ihr und mein Freund - wenn ich das so sagen darf - Hans Apel in der „Wirtschaftswoche" vom 21. April 1997,
({36})
also ganz aktuell:
Voraussetzung für Steuergerechtigkeit sind niedrigere Steuersätze.
Und nochmals wörtlich:
Diese Forderungen erfüllen Theo Waigels Vorschläge.
Meine Damen und Herren, warum hat nicht auch Hans Apel recht, wenn er so etwas zum Ausdruck bringt?
Und der Vizepräsident des Bundestages Hans-Ulrich Klose am 17. April 1997:
Aus psychologischen Gründen ist dazu auch eine Senkung des Spitzensteuersatzes erforderlich. Wenn das dazu führt, daß Großverdiener auch wirklich Steuern zahlen und nicht ihr Einkommen durch Abschreibungen auf null herunterbringen, bringt das mehr Steuern in die Kasse, als es Einnahmeausfälle bringt.
({37})
Wann endlich, meine Damen und Herren von der SPD, folgen Sie denen, die hier, wie ich meine, das Richtige und Notwendige sachkundig zum Ausdruck gebracht haben? Hier zeigt sich Ihre Zerrissenheit. Sie folgen nicht dem Sachverstand, sondern wollen die ideologische populistische Auseinandersetzung gegen das Gemeinwohl Deutschlands!
({38})
Meine Damen und Herren, niedrige Tarife und eine breite Bemessungsgrundlage gehören zusammen. Bei allen Diskussionen im einzelnen, das eine ist ohne das andere nicht zu bekommen. Deshalb ist es ganz wichtig, immer wieder auf die Wirkung des Gesamtpaketes zu schauen. Es ist nicht zu bestreiten, die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind sauer verdientes Geld.
({39})
Über eine Übergangsregelung kann man reden.
({40})
- Das haben wir im ersten Sondierungsgespräch zwischen uns bereits zum Ausdruck gebracht, im ersten Sondierungsgespräch!
({41})
Doch viele Steuerzahler, alle Selbständigen zum Beispiel, erhalten trotz Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit keine Zuschläge. Es wird allen Steuerzahlern eine Last aufgebürdet, die eigentlich Sache der Tarifvertragsparteien ist, nämlich für Arbeit unter erschwerten Bedingungen einen fairen Lohn zu zahlen.
In jedem Falle gilt: Trotz der geplanten Einschränkung wird beispielsweise eine Krankenschwester mit einem Einkommen von etwa 53 000 DM inklusive bisher steuerfreier Zuschläge von ca. 2 500 DM 1999 noch um etwa 500 DM entlastet.
({42})
Und auch für die Einführung einer Entfernungspauschale von 40 Pfennig pro Kilometer ab dem 16. Kilometer zusätzlich zur Werbungskostenpauschale gilt: Ein Feinmechaniker, verheiratet, Jahresbruttolohn 63 000 DM, der 50 Kilometer Anfahrt zur Arbeitsstelle hat, würde noch immer 1 164 DM mehr im Portemonnaie haben.
Die hälftige Einbeziehung der Lohnersatzleistungen in die steuerliche Bemessungsgrundlage bei Wegfall des Progressionsvorbehalts bringt oft eine Entlastung. Die vorgesehene Besteuerung der Lohnersatzleistungen bringt insgesamt Steuermindereinnahmen von rund 250 Millionen DM.
Ein Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von 60 000 DM, der sechs Monate arbeitslos war, würde bei der vorgesehenen Besteuerung der Lohnersatzleistungen trotzdem um 753 DM entlastet.
Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich ändert nichts an der deutlichen Entlastungswirkung unter dem Strich. Ein kleiner Familienbetrieb mit einem Gewinn von 150 000 DM würde um etwa 2 300 DM entlastet. Ein mittelständisches Einzelunternehmen mit einem Gewinn von 450 000 DM würde auch bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 50 000 DM um etwa 19 000 DM real entlastet. Eine Aktiengesellschaft mit einem Gewinn von 2 Millionen DM würde bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 250 000 DM zum Beispiel wegen der Absenkung der degressiven Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter um rund 42000 DM entlastet.
({43})
Auch die heute ungleichäßige Besteuerung von Renten, Pensionen und Erwerbseinkommen bedarf dringend einer Klärung. Im Standardfall - Ertragsanteil in Höhe von 27 Prozent- sind Renten bei Alleinstehenden heute bis zu 65 000 DM steuerfrei. Ein Arbeitnehmer mit vergleichbarem Einkommen zahlt nach geltendem Recht in diesem Fall bereits etwa 14 800 DM Steuern im Jahr. Diese Zahlen sprechen für sich. Daher sollen die Renten künftig mit 30 bzw. 50 Prozent in die steuerliche Bemessungsgrundlage eingehen, unabhängig davon, ob Rentenansprüche allein aus eigenen Beiträgen stammen oder auch aus steuerfreien Arbeitgeberanteilen.
Im ersten Fall soll von je 1 000 DM ein Betrag von 300 DM und im zweiten Fall von je 1 000 DM ein Betrag von 500 DM in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Dennoch bleibt die Rente eines Alleinstehenden ab 1999 bis zu 31 511 DM - das sind 2 600 DM im Monat - steuerfrei, wenn er kein weiteres steuerpflichtiges Einkommen erzielt. Bei Verheirateten bleiben Jahresrenten bis zu 62 549 DM - das sind 5 200 DM monatlich - steuerfrei. Im Ergebnis erreicht die Besteuerung der Renten das Niveau, das es vor der Erhöhung der Grundfreibeträge durch das Jahressteuergesetz 1996 im Jahr 1995 hatte.
Als ich diese ganze Systematik in verfassungsrechtlicher und steuerrechtlicher Hinsicht und in ihrer Auswirkung einem sachkundigen Sozialdemokraten erklärt habe, hat er gesagt: Alles, was Sie sagen, ist richtig; aber dagegen stehen Parteibeschlüsse.
({44})
Ich frage Sie: Müssen wir das tun, was richtig ist, oder sind wir an Parteibeschlüsse gebunden, die der Realität nicht ins Auge sehen?
({45})
Bei der vorgesehenen Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen gilt: Versicherungsrenten werden in der Ansparphase wie Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung behandelt: Die Beiträge werden steuerlich nicht erfaßt. Bei den Kapitallebensversicherungen steht der Gedanke der Alters- und Hinterbliebenenversorgung dagegen in vielen Fällen nicht im Vordergrund. Wir halten eine Abgeltungssteuer von 10 Prozent auf die jährlich gutgeschriebenen Zinsen für angemessen. Alternativ kann die Besteuerung mit dem individuellen Steuersatz beim Zufluß der angesammelten Zinserträge gewählt werden. Eine echte Rückwirkung ist nicht vorgesehen. Es sollen nur Zinserträge erfaßt werden, die nach dem Jahr 2001 gutgeschrieben werden. Der Sonderausgabenabzug der Beiträge zur Kapitallebensversicherung wird auch künftig möglich sein. Die besondere Rolle der Lebensversicherungen als Alters- und Hinterbliebenenvorsorge wird nicht in Frage gestellt.
Meine Damen und Herren, wie hält es die SPD mit der Bemessungsgrundlage? Von dieser Stelle aus bin ich in den letzen beiden Jahren von Herrn Scharping und vor allen Dingen von Herrn Lafontaine immer wieder aufgefordert worden, ich solle endlich die Vorschläge von Professor Bareis aus der Schublade nehmen und sie aufgreifen und umsetzen.
Wir haben Sie immer wieder gefragt: Sind Sie bereit, die Dinge mitzutragen? Jetzt haben wir das getan. Professor Bareis sagt: Jawohl, das ist ein großer Wurf. Und genau jetzt drehen Sie sich, genau jetzt wenden Sie sich von dem Gesagten und Geforderten aus opportunistischen Gründen wieder ab. Das, meine Damen und Herren, nenne ich politische Verlogenheit.
({46})
Ein wichtiger Punkt der Reform ist die Höhe des Finanzvolumens. Das Gesamtvolumen der Tarifentlastung beträgt rund 84 Milliarden DM im Entstehungsjahr. Der wesentliche Teil der Gegenfinanzierung sind die Mehreinnahmen aus der Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Sie betragen rund 45 Milliarden DM im Entstehungsjahr.
Ein weiterer Finanzierungsbeitrag muß durch Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern kommen. Wir halten eine Nettoentlastung von rund 30 Milliarden DM für notwendig und fiskalisch vertretbar, wenn man sie entsprechend auf die Ebenen aufteilt.
Die kassenmäßigen Auswirkungen der Steuerreform einschließlich der Rückführung des Solidaritätszuschlags betragen 1999 etwa 56 Milliarden DM. Für den Wegfall des allein den Bund betreffenden Solidaritätszuschlags haben wir in der Finanzplanung Vorsorge getroffen.
Danach belaufen sich die kassenmäßigen Ausfälle 1999 auf rund 49 Milliarden DM. Von den 49 Milliarden DM ist nun die gewollte, noch nicht konkret festgelegte Umschichtung - das wird im Laufe der Beratungen noch erfolgen - von den direkten zu den indirekten Steuern abzuziehen.
Zusätzlich ist ein Selbstfinanzierungseffekt der Reform durch Wachstumseffekte zu erwarten. Das RWI in Essen erwartet eine Wachstumssteigerung um reichlich ein halbes Prozent im Jahr 1999 - eine Selbstfinanzierung von knapp 30 Prozent. Und eine aktuelle Studie der OECD kommt zu dem Ergebnis: Länder mit niedrigen Grenzsteuersätzen haben ein höheres Wirtschaftswachstum als Länder mit höheren Grenzsteuersätzen.
Erfahrungen in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien bestätigen: Die Reformen führten zu Mehreinnahmen. Der niedrigere Steuerdruck führte dazu, daß weniger in Steuersparmodelle als in Zukunftsprojekte investiert wurde. Länder wie die USA oder Großbritannien haben heute trotz niedrigerer Tarife einen etwa gleich großen Anteil des Einkommensteueraufkommens am BIP wie Deutschland.
Auch in Skandinavien hat man den Mut zu Reformmaßnahmen, wie wir sie nun planen, gehabt. Diese Länder haben nach den Steuerreformen in den 90er Jahren eine deutlich sinkende Arbeitslosigkeit zu verzeichnen.
Vor diesem Hintergrund ist die Nettoentlastung für die Gebietskörperschaften vertretbar. Wenn wir den Konsolidierungskurs unvermindert fortsetzen, kann dieses Reformwerk in die Finanzplanungen eingepaßt werden.
Wer jetzt allerdings nur kurzfristig denkt und, wie die SPD, keine oder fast keine Nettoentlastung will und damit die Initialzündung für Wachstum und Beschäftigung kaputtmacht, schneidet sich schon bald ins eigene Fleisch.
Die öffentlichen Kassen sind nur die Kostgänger einer florierenden Wirtschaft und gut verdienender Steuerzahler. Die Steuerreform sichert gerade mit ihrer Nettoentlastung die öffentlichen Kassen auf längere Sicht.
Wir dürfen nicht statisch denken. Wenn wir nichts tun, wird die Steuerstruktur zu einem immer größeren Wachstumshemmnis.
({47})
Die Ergiebigkeit des Steuersystems wird noch zurückgehen. Andere Länder schaffen attraktive steuerliche Rahmenbedingungen, die Global players auf den Weltmärkten werden immer findiger, ihre globale Steuerlast zu optimieren.
Meine Damen und Herren, die SPD macht sich hier wieder einmal unglaubwürdig, wenn sie gleichzeitig wichtige Elemente der notwendigen Gegenfinanzierung ablehnt, zum Beispiel eine Einschränkung der degressiven AfA, die Streichung der Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, die Einführung der geplanten Entfernungspauschale sowie die gleichmäßigere Belastung von Löhnen, Lohnersatzleistungen und Renten.
Zusätzlich allerdings fordert sie, den Grundfreibetrag schon 1998 auf 14 000 DM zu erhöhen und das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 30 DM anzuheben. Allein die Zusatzforderungen der SPD addieren sich auf etwa 20 Milliarden DM. Eine angebliche Lücke bei uns zu beklagen und 20 Milliarden DM draufzusetzen, um den Familien und anderen vorzugaukeln, man könne ihnen mehr geben, ist eine unglaubwürdige Politik.
({48})
Das steuerfreie Existenzminimum und der Familienleistungsausgleich sind durch das Jahressteuergesetz 1996 bis einschließlich 1999 auf eine gute und solide Basis gestellt. Meine Damen und Herren, es wäre zwar schön, wünschenswert und ich würde es jedem von Herzen gönnen, wenn man jetzt einer Familie für jedes Kind 30 DM mehr geben könnte. Nur: Der Arbeitsplatz für den Vater und die Mutter und künftig für das Kind ist im Moment wichtiger als die Erhöhung des Kindergeldes.
({49})
1997 erreicht die Entlastung der Familien voraussichtlich ein Volumen von 74,5 Milliarden DM; im Jahr 1982 waren es 27,5 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, das Steuerreformgesetz 1999 ist der entscheidende Auslöser für Investitionen und Arbeitsplätze am Standort Deutschland. Mit der großen Steuerreform geben wir die wichtigen Signale für die Märkte. Wir geben das Signal, daß wir für das 21. Jahrhundert gerüstet sind. Jetzt müssen wir unsere Reformfähigkeit in Deutschland beweisen und die großen Reformen verabschieden. Das bringt Zuversicht, Optimismus und Aufbruchstimmung.
Im Interesse Deutschlands fordere ich die SPD auf, endlich aus dem Bremserhäuschen des Standortzuges herauszukommen. Nehmen Sie die Verantwortung für das Gemeinwohl wahr. Lassen Sie es nicht zu, daß Sie auch noch bei der Steuerpolitik von den Grünen überholt werden.
({50})
Richtig ist, was gestern oder vorgestern einige Zeitungen schrieben: Die Bürger sind die taktischen Mätzchen längst leid.
({51})
Verhandeln Sie ernsthaft mit uns, konstruktiv, offen und ohne ideologische oder wahltaktische Scheuklappen. Die Menschen in Deutschland erwarten, daß wir uns zusammensetzen und endlich gemeinsam unsere Pflicht tun. Unsere Einladung an Sie
bleibt bestehen. Unser Entwurf steht, unsere Konzeption ist richtig, und sie wird sich durchsetzen.
Vielen Dank.
({52})
Es spricht in der Debatte jetzt der Kollege Joachim Poß.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, Herr Bundesfinanzminister, ein gewisses Verständnis für Ihre Rundumschläge gegen die SPD nach den vergangenen schweren Jahren in Ihrem Amt als Bundesfinanzminister. Wenn ich an die vergangenen, schweren Wochen in Ihrem Amt als CSU-Vorsitzender denke, habe ich schon ein gewisses Verständnis dafür, daß Sie gelegentlich nicht nur die Übersicht, sondern auch noch die Contenance verlieren.
({0})
Das haben Sie hier eindrucksvoll demonstriert.
Sie sagen, Sie hätten mit einem sachkundigen Sozialdemokraten gesprochen;
({1})
ich habe kürzlich auf NTV den CSU-Parteitag beobachtet und die Rede von Herrn Stoiber, Ihrem bayerischen Parteifreund, zum Beispiel zu dem Problem Besteuerung von Zuschlägen und Renten gehört. Da hat er in der Sache den Sozialdemokraten recht gegeben. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit Ihrem bayerischen Parteifreund Stoiber zusammensetzen und nicht nur mit von Ihnen nicht namentlich genannten sachkundigen Sozialdemokraten, Herr Bundesfinanzminister!
({2})
Sie haben von der Weigerung der SPD gesprochen, die Steuerreform zügig umzusetzen. Das ist das Gegenteil der Wahrheit. Sie haben doch erst am Dienstag im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen den Jumbo beschlossen. Heute findet mit unserer Zustimmung schon die erste Lesung statt. Im Finanzausschuß haben wir einstimmig einen Zeitplan verabredet, der Sondersitzungen des Finanzausschusses im Mai und im Juni vorsieht. Wenn Wochen verloren gegangen sind, liegt das doch an der Regierung und nicht an der SPD.
({3}) Verdrehen Sie also bitte nicht die Fakten.
Wenn ich dann noch lese, daß Herr Schäuble die gesamte Reform auf 1999 verschieben will, kann ich doch wohl davon ausgehen, daß wir Beratungszeit haben. Oder ist jetzt etwa Herr Schäuble der Verzögerer? Dabei hat doch die F.D.P. schon plakatiert: Wer zu spät senkt, den bestraft das Leben.
({4})
Wir bekommen heute einen Gesetzentwurf mit einem Finanzierungsloch von 57 Milliarden DM vorgelegt. Man muß sich das einmal vorstellen: 57 Milliarden DM! Noch keine Bundesregierung hat es bisher gewagt, einen solchen Gesetzentwurf im Bundestag vorzulegen. Für jeden Vorgänger von Herrn Waigel wäre dies ein Anlaß gewesen zurückzutreten.
({5})
Aber der Finanzminister selbst schlägt einen solchen Gesetzentwurf mit einem riesigen Loch vor. Man müßte Herrn Waigel dieses selbst dann vorwerfen, wenn er als Kassenwart in eine volle Kasse gegriffen hätte. Aber die Kasse ist längst leer. Herr Waigel macht schon lange zu Lasten Dritter Schulden. Das sind nicht die Schulden dieser Generation, das sind Schulden unserer Kinder! Dies ist der Skandal.
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Sie haben es gerade nötig, in diesem Zusammenhang von Kostgängern zu reden. Wenn einer der teuerste Kostgänger dieser Nation zu Lasten der Bürger ist, dann sind es doch Sie, Herr Waigel.
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Die Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist von Grund auf unseriös. Immer wieder redet sie anders, als sie handelt - und das immer gleichzeitig.
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Jahrelang haben Sie zum Beispiel die Forderungen der SPD nach gezielten Investitionsprogrammen zur Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in ideologischer Verbohrtheit als keynesianisches Teufelszeug abgetan. Erst wenige Wochen ist es her, daß Kanzler Kohl ein Investitionsförderprogramm verkündet, das in dieser Form von der SPD gefordert wurde. Für die Wirtschaft und für die Arbeitsplätze wäre es besser gewesen, Sie wären unserem Vorschlag schon eher gefolgt.
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In ihren Sonntagsreden sprechen CDU/CSU und F.D.P. gleichermaßen davon, daß sie bereit sind, sich den umweltpolitischen Herausforderungen zu stellen und die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft voranzubringen. Wenn es dann darum geht, wirklich etwas zu tun, lehnen Sie im Deutschen Bundestag jeden konkreten Vorschlag der SPD oder auch der Grünen rigoros ab. CDU/CSU und F.D.P. reden davon, daß die Verschuldung nicht weiter steigen darf, legen aber einen Steuerreformentwurf vor, der zwangsläufig zur Folge hat, daß die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden sprunghaft in die Höhe getrieben wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie reden ständig davon, daß unsere Wirtschaft verläßliche Rahmenbedingungen braucht. Das ist auch richtig. Ihre Steuer- und Finanzpolitik leistet hierzu jedoch nicht den geringsten Beitrag.
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Im Gegenteil. Denken Sie doch nur an das Hin und Her um die Rückführung des Solidaritätszuschlags. Der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Herr Sohns, hatte, wie Sie sich erinnern, seinen Schnauzer verwettet, daß der Solidaritätszuschlag bereits 1997 in einem ersten Schritt zurückgeführt wird. Wie Sie alle wissen, wurde daraus nichts. Der Soli ist noch in voller Stärke da und der Schnauzer von Henn Solms, wie Sie alle sehen können, auch noch.
Bundeskanzler Kohl hat im Sommer vergangenen Jahres versprochen, bis Ende 1999 sei der Solidaritätszuschlag endgültig weg.
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Herr Kohl hat nicht gewettet. Er weiß, warum. Wir alle wissen: Den Solidaritätszuschlag wird es noch viele Jahre geben. Sie kündigen ständig Dinge an, die nicht geschehen. Kein Wunder, daß die Wirtschaft und die Bevölkerung Ihre Politik nicht mehr ernst nehmen.
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Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf setzen Sie diese unseriöse Ankündigungspolitik fort. Bei der Anhörung zum ersten Teil der Steuerreform in der letzten Woche haben sich die Sachverständigen zu den Beschäftigungswirkungen der Steuerreform geäußert. Mit der vorgezogenen ersten Stufe wollen Sie kurzfristig Arbeitsplätze schaffen. Die Sachverständigen haben übereinstimmend festgestellt, daß dieses Ziel glatt verfehlt wird. Herr Professor Walter von der Deutschen Bank hat sogar von einer Mogelpackung gesprochen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung schätzt den „Impuls" für das Wirtschaftswachstum auf nicht mehr als 0,1 Prozent.
Damit steht fest: Wertvolle Zeit wird nutzlos für eine Reform vertan, die diesen Namen nicht verdient. Vertane Chancen können aber auch nicht mit dem zweiten Teil des Steuerpakets wettgemacht werden. Statt dessen hat sich das RWI dafür ausgesprochen, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze vor allem eine Senkung von Sozialbeiträgen vorzunehmen. Die Reduzierung der Sozialbeiträge sei beschäftigungspolitisch effizienter und würde das Entlastungsprofil stärker zugunsten unterer und mittlerer Einkommensgruppen verschieben, also zugunsten der Gruppen, die durch die deutsche Einheit, in Zahlen nachgewiesen, besonders belastet werden. Die Reduzierung der Sozialbeiträge ist genau das, was die SPD will, und zwar zum 1. Juli 1997.
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Dies haben wir auch in den Gesprächen mit Ihnen
gefordert. Der Bundeskanzler hatte bereits angekündigt, daß er ebenfalls zu einer Senkung der Lohnnebenkosten bereit sei. Darüber hätten wir reden können und reden sollen.
Ich halte es für unverantwortlich, daß Sie den Konsens in zentralen Fragen der Steuer- und Finanzpolitik jetzt verweigern. Sie sind zur Kooperation auch dort nicht bereit, wo wir uns schnell einigen könnten. Ich nenne in diesem Zusammenhang neben den Lohnnebenkosten die Senkung des Eingangssteuersatzes. Wir wollen eine deutliche Senkung, und Sie wollen eine. Dennoch sind Sie nicht bereit, mit uns gemeinsam in diesem Punkt eine Lösung zu suchen. Die Senkung des Eingangssteuersatzes ist ein zentrales Element für einen neuen, leistungsorientierten Steuertarif. Warum waren Sie nicht bereit, im Kanzleramt mit uns über diesen Punkt zu sprechen?
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Wir Sozialdemokraten wollen den Grundfreibetrag auf 14 000 DM für Ledige und 28 000 DM für Verheiratete erhöhen. Damit wird das Existenzminimum eines Erwachsenen im Jahre 1999 zweifelsfrei und verfassungsfest steuerfrei gestellt. Darüber soll kein Konsens möglich sein? Sie verweigern sich an dieser Stelle, meine Damen und Herren von der Koalition. Sie sind nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Wer nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen, erreicht gar nichts.
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Weil der Bundeskanzler offensichtlich keine Verhandlungsvollmacht von der F.D.P. bekam, war Ihre Koalition zu einem Konsens nicht bereit. Sie sind wegen Ihrer inneren Zerissenheit zu einem Konsens nicht einmal fähig.
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Fähig und einig sind Sie in der Koalition nur, wenn es darum geht, großspurig Steuersenkungen zu versprechen und nach den jeweiligen Wahlen beim Steuerzahler zu kassieren.
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Dies ist die Kontinuität der Bundesregierung in der Steuerpolitik: Steuersenkungsversprechen und Steuerlügen als Mittel der Politik.
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Die Beschäftigungspolitik war und ist Ihnen immer weniger wert als die Absicht, die Wähler mit Steuersenkungen vor der Wahl zu täuschen, um hinterher die Steuern zu erhöhen. Nicht umsonst sind Steuerlügen das Markenzeichen dieser Koalition und dieses Bundeskanzlers.
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Und jetzt ist zu lesen, daß Herr Schäuble überlegt, die gesamte Steuerreform auf das Jahr 1999 zu verschieben. Unsere Bemühungen waren darauf gerichtet, eine Steuerreform schon zum 1. Januar 1998 wirksam werden zu lassen und nicht bis zum Jahre 1999 zu warten. Uns ging und geht es darum, Attentismus zu vermeiden und die Wirkung der Steuerreform, nämlich Klarheit über die Rahmenbedingungen, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und niedrigere Steuersätze für die Wirtschaft, für ArJoachim Poß
beitnehmer und Familien, so früh wie möglich herzustellen.
Wir Sozialdemokraten haben darauf gesetzt, daß der Bundeskanzler ein Verhandlungsmandat für die Koalition bekommen würde. Dies war ein Irrtum. Wir sind davon ausgegangen, daß der Bundeskanzler die Zustimmung seiner Koalition für wirksame und sinnvolle Maßnahmen bekommen würde. Wir haben allerdings auch die Rolle des Fraktionsvorsitzenden Schäuble unterschätzt, der von Anfang an in mehreren Interviews gesagt hat, daß für die Bezieher der kleinen Einkommen diesmal nichts drin sei.
Die Tatsache, daß der Bundeskanzler bei dem letzten Gespräch schon um 9.05 Uhr feststellte - „Lassen Sie uns heute feststellen, was festzustellen ist", sagte er-, daß aus seiner Sicht die Gespräche gescheitert seien, und die Tatsache, daß Sie die Presseerklärung über das Scheitern schon vorher geschrieben haben, beweisen, daß Sie keinen Konsens wollten, und zwar aus parteitaktischen Gründen.
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Meine Damen und Herren, eine Steuerreform, die nicht solide finanziert ist, ist keine Steuerreform. Ihr Gesetzentwurf macht unser Steuerrecht nicht einfacher und nicht gerechter. Statt dessen reißen Sie in die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden neue, riesige Finanzlöcher.
Sie sprechen immer von 30 Milliarden DM Nettoentlastung. Tatsächlich aber fehlen nach Ihren eigenen Angaben im Jahre 1999 57 Milliarden DM. Dazu kommt noch, Herr Minister, daß die bisherigen Steuereinnahmen dieses Jahres erkennen lassen, daß nach der anstehenden Mai-Schätzung für die Jahre 1997 bis 2001 schon für das laufende Jahr etwa 20 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden fehlen werden. Diese Steuerausfälle werden in den folgenden Jahren sogar noch höher sein.
Bei dieser dramatischen Haushaltslage sind 30 Milliarden DM Nettoentlastung und damit 30 Milliarden DM höhere Schulden für Bund, Länder und Gemeinden unverantwortlich.
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Sie wissen ganz genau, Herr Waigel, daß Ihr bayerischer Parteifreund, Ministerpräsident Stoiber, das in keinem Fall mitmachen wird.
Sie rechtfertigen die im Gesetzentwurf vorgesehene Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM mit dem sogenannten Selbstfinanzierungseffekt. In diesem Zusammenhang verweisen Sie, wie heute morgen, gern auf US-Erfahrungen unter Reagan.
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- Herr Huber hat sich vorsichtshalber schon verflüchtigt.
Noch vor einem Jahr waren Sie ganz anderer Meinung. Mit Blick auf die Steuervorschläge Ihres Kollegen Uldall stellten Sie damals kurz und knapp fest, daß eine genaue Analyse der brachialen Steuersenkungspolitik, mit der einst Reagan in den USA fiskalischen Schiffbruch erlitten habe, Uldall von vornherein hätte davon abhalten müssen, ausgerechnet in Deutschland einen neuen Aufguß der gescheiterten US-Steuerreform zu propagieren.
Ich möchte dem Waigel '96 ausnahmsweise ausdrücklich zustimmen und dem Waigel '97 sagen, daß seine Selbstfinanzierungsvorstellungen schon des - halb nicht aufgehen können, weil von der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung mit einem Volumen von 15 bis 16 Milliarden DM dämpfende Effekte auf Konjunktur und Wachstum ausgehen,
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die einen möglichen Selbstfinanzierungseffekt wieder weitgehend zunichte machen.
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Bezeichnend ist allerdings, daß die Bundesregierung diese Mehrwertsteuererhöhung nicht in ihren Gesetzentwurf aufgenommen, sondern in einer Fußnote versteckt hat.
Meine Damen und Herren, unter dem Deckmantel der Steuersystematik hat die Koalition offenbar nur Belastungen für Arbeitnehmer im Visier. Das zeigt insbesondere die Besteuerung der Lohnzuschläge. Sie wird in der Gesetzesbegründung neben der Systematik auch damit gerechtfertigt - man höre -, daß die Steuerfreistellung der Lohnzuschläge die Lohnabrechnungen durch den Arbeitgeber verkompliziere und für den betroffenen Arbeitnehmer offenbar nicht mehr durchschaubar sei. Die Bundesregierung als Wahrer von Arbeitnehmerinteressen - einfach grotesk!
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Mit der vorgesehenen Besteuerung der Zuschläge sowie der drastischen Reduzierung der Kilometerpauschale wird Kohls Steuerpaket für viele Arbeitnehmer unter dem Strich keine Steuerentlastung, sondern ganz erhebliche Mehrbelastungen bringen.
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Ausgerechnet die Leistungsträger, die Männer und Frauen, die jeden Tag ins Büro oder in die Fabrik gehen, werden so nicht nur nichts von der Steuerreform haben, sondern sie müssen statt dessen sogar ganz kräftig draufzahlen.
Das, was ich jetzt vortrage, orientiert sich an Ihren Zahlen sowie an der Auswertung von Fragen und Antworten. Ein verheirateter Chemiefacharbeiter mit zwei Kindern, einem Bruttolohn von 55 000 DM im Jahr plus Schichtzuschlägen von 9 000 DM im Jahr sowie einer Entfernung zum Arbeitsplatz von 30 Kilometern müßte unter dem Strich jährlich 3 253 DM mehr Steuern und Sozialabgaben zahlen. Ein lediger Facharbeiter in der Druckindustrie mit einem Bruttolohn von 75 000 DM im Jahr plus Schichtzuschlägen von 10 000 DM im Jahr sowie einer Entfernung zum Arbeitsplatz von 40 Kilometern hätte sogar eine Mehrbelastung von 3 854 DM zu tragen. Dabei sind die Belastungen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei einem Haushalt mit einem verheirateten Paar und zwei Kindern in Höhe von 300 bis 400 DM
Joachim Poll
im Jahr noch gar nicht mitberücksichtigt. Das sind immense Mehrbelastungen für Arbeitnehmer, die wichtige Leistungsträger unserer Gesellschaft sind.
Hat denn dann Herr Stoiber nicht recht, wenn er in diesem Zusammenhang die Frage stellt, ob diese und andere Vorschläge mit dem Charakter einer Volkspartei noch zu vereinbaren sind?
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Insgesamt fällt die Bilanz der Gesetzentwürfe der Koalition zur Steuerreform daher vernichtend aus:
Erstens. Es gibt keine zusätzlichen Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven.
Zweitens. Die Bezieher hoher Einkommen werden massiv begünstigt.
Drittens. Ihr Konzept treibt die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in eine unverantwortliche Verschuldung.
Wir Sozialdemokraten wollen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Sozialabgaben schon zum 1. Juli dieses Jahres senken. Wir wollen eine Steuer- und Abgabenreform aus einem Guß. Wir haben ein Reformkonzept, das für mehr Arbeitsplätze sorgt, das sozial gerecht ist und das solide finanzierbar ist.
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Wir setzen dabei an zwei wirtschaftspolitisch entscheidenden Punkten an. Durch jahrelange Reallohnverluste und durch die Rekordbelastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben hat die Bundesregierung mit ihrer falschen Politik die Binnenkonjunktur geschwächt. Die SPD will deshalb die Kaufkraft durch Steuersenkungen für Arbeitnehmer und Familien stärken. Nur wenn die Nachfrage steigt, werden die Unternehmen in neue Arbeitsplätze investieren. Allererste Priorität haben deshalb für uns die Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages, die spürbare Senkung des Eingangssteuersatzes auf unter 20 Prozent und die Verbesserung des Familienleistungsausgleichs durch eine Anhebung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind um 30 DM.
Das bringt für eine Familie mit zwei Kindern jährlich eine Entlastung von 1700 DM. Deswegen merken Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition: Eine sozial gerechte Steuerreform ist die wachstumsfreundlichste Steuerreform.
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Die steigenden Sozialbeiträge verteuern die Arbeit und vernichten Arbeitsplätze. Deshalb will die SPD eine Senkung der Sozialabgaben im Rahmen einer ökologischen Steuerreform. Die Beitragssenkung entlastet Arbeitnehmer und Unternehmen, stärkt die Kaufkraft und verringert die Arbeitskosten. Wie lange wollen sich eigentlich die Volksparteien CDU und CSU von der Klientelpartei F.D.P. vorführen lassen?
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Solange sie das weiter machen, wird es in den zentralen Fragen der Finanzpolitik im Vorfeld keinen Konsens geben können.
Ich will es ganz deutlich sagen: Es sind nicht Klientelparteien, die für die Akzeptanz politischer Entscheidungen in der Bevölkerung zu sorgen haben.
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In einer Situation mit erheblichen strukturellen Veränderungen in dieser Gesellschaft, die unausweichlich sind, ist es Aufgabe von Volksparteien, Innovationen zu fördern, die Modernisierung voranzutreiben und gleichzeitig die soziale Symmetrie zu wahren.
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Das, meine Damen und Herren von der Koalition, empfinden jedenfalls wir Sozialdemokraten als Volkspartei als unseren Auftrag.
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Das Wort hat der Kollege Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn deine Sache zu schlecht ist, rufe die Partei zur Hilfe; ist die Partei zu schlecht, rufe die Sache zur Hilfe; sind beide zu schlecht, dann verwunde den Gegner.
Dies ist ein Ausspruch des Schatzkanzlers in Irland im 18. Jahrhundert gewesen. Er scheint schon damals den Kollegen Poß gekannt zu haben, sonst hätte er das nicht gesagt.
({0})
Er fährt dann fort:
Bist du im Unrecht, verwende allgemeine und mehrdeutige Ausdrücke und häufe Unterscheidungen und Unterteilungen ohne Ende.
Herr Kollege Poß, was, glauben Sie, denken die vielen Zuschauer auf der Tribüne, die vielen Zuschauer am Fernsehen und vor allen Dingen diejenigen, die die Bundesrepublik Deutschland etwas nüchtern und kritisch von außen betrachten, über diese Woche in Bonn?
({1})
Was, glauben Sie, denken diejenigen über die Bundesrepublik Deutschland, die nicht nur die Schreihälse dahinten hören, sondern die im Rahmen des internationalen Standortwettbewerbs in Deutschland oder in einem anderen Land auf dieser Welt
({2})
Investitionsentscheidungen zu treffen, wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze zu ermöglichen haben?
({3})
Meine Damen und Herren, für die internationalen Investoren ist die Woche in Bonn nicht besonders attraktiv gewesen.
({4})
Ihr Beitrag, Herr Poß, hat dem leider auch nicht entgegengewirkt.
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Nun lassen Sie uns, auch wenn der nächste Wahlkampf offensichtlich seine Schatten vorauswirft, hier als Parlamentarier, als Verantwortungsträger in der Bundesrepublik Deutschland die Frage stellen, welche Möglichkeiten wir haben, um den 4,5 oder 4,6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland - auch von denen wird der eine oder andere heute morgen am Bildschirm sitzen und sich diese Debatte ansehen - eine Perspektive zu verschaffen, innerhalb der nächsten Monate in Deutschland wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Meine Damen und Herren, die Ausführungen darüber, wer durch die Steuerreform höher oder wer geringer belastet wird, hilft nicht weiter.
Herr Kollege Poß, ich zitiere aus einer Zeitung, die wirklich nicht in dem Verdacht steht, ein offizielles Organ der Bundesregierung oder dieser Koalition zu sein. Haben Sie eigentlich den „Spiegel" dieser Woche gelesen? Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß schon auf seinem Titelblatt eine Reihe von Staaten dieser Welt - wenn ich es richtig in Erinnerung habe, waren das Großbritannien, die Niederlande und die Vereinigten Staaten von Amerika - zitiert worden sind: „Alle schaffen Arbeitsplätze"? Darunter war eine Deutschlandfahne abgebildet, unter der stand: „Wir nicht." Ist Ihnen das eigentlich aufgefallen, Herr Poß?
({6})
- Herr Kollege Poß, auch dazu sage ich gleich noch etwas.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, Herr Kollege Poß: Ich habe Ihrer Rede die ganze Zeit zugehört. Jetzt lassen Sie uns doch wenigstens einmal den Versuch unternehmen, ein paar Argumente auszutauschen, die dazu dienen können, die schwierige Lage unseres Landes ein klein wenig mit Hoffnung zu versehen.
({7})
Hören Sie doch mit dieser unerträglichen Herumkrakeelerei auf! Das will doch in Deutschland keiner mehr hören. Die Menschen warten darauf, daß wir ihnen eine Perspektive geben. Wir sollten nicht in
einen Wettlauf eintreten, wer hier im Parlament am lautesten schreien kann.
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Nun lassen Sie uns doch bitte einmal die Gelegenheit nutzen, nach geeigneten Wegen zu suchen.
Meine Damen und Herren, alle diese Staaten, die in der „Spiegel"-Titelgeschichte diese Woche zitiert worden sind - haben Sie das eigentlich gemerkt, oder haben Sie das heute morgen bewußt unerwähnt gelassen? -, haben die Angebotsbedingungen ihrer Volkswirtschaften verbessert.
({9})
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß kein Industrieland dieser Welt, das sich in den letzten Jahren den Reformerfordernissen gestellt hat, allein von der Nachfrageseite her die Lösung gesucht hat? Fällt Ihnen eigentlich auf, daß Sie mittlerweile die einzigen auf der Welt sind, die zwar auf ihren Parteitagen noch die Internationale und „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" singen, aber sonst provinziell eine reine Nachfragepolitik fordern? Fällt es Ihnen eigentlich nicht auf, daß Sie selbst in der sozialdemokratischen Internationale keinen mehr finden, der diesen ökonomischen Weg mit Ihnen gehen will?
({10})
- Nein, Herr Kollege Poß, ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen.
({11})
Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland, wie in anderen Staaten auch, die Angebotsbedingungen unserer Volkswirtschaft verbessern. Das bedeutet, daß wir so wie die Holländer in der Lage sein müssen, die Lohnstückkosten zu senken - Holland hat sie gesenkt -,
({12})
daß wir so wie die Briten und Amerikaner in der Lage sein müssen, die Flexibilität der Arbeitsmärkte ein Stück zu erhöhen. Wir müssen wohl auch in der Lage sein, die Kosten der Arbeit zu senken.
Herr Poß, es hilft natürlich überhaupt nicht weiter, so wie Sie den Vorschlag zu machen, jetzt die Sozialbeiträge zu senken und dies alles mit einer ökologischen Steuerreform zu finanzieren. Einem Arbeitnehmer ist es relativ egal, warum seine Abgaben so hoch sind. Auch einem Arbeitgeber, der in Deutschland investieren will, ist es relativ egal, warum die Abgaben so hoch sind. Wenn sich die Summe der Abgaben
nicht reduziert, dann wird es nicht zu neuen Investitionen in Deutschland kommen.
({13})
Deswegen verschließen wir uns nicht dem Weg, auch die Sozialbeiträge zu senken; aber eine reine Umfinanzierung zwischen Steuern und Sozialbeiträgen hilft uns überhaupt nicht weiter.
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Lassen Sie mich mit einem Argument auseinandersetzen, das uns - ich gebe zu, auch in den eigenen Reihen - einige Schwierigkeiten macht bei dem Bestreben, die Steuersätze insgesamt senken zu wollen. Dem DGB ist eingefallen, zu der Steuerreform eine Stellungnahme abzugeben, die überschrieben war mit „Maßgeschneidert für Millionäre".
({15})
Meine Damen und Herren, jeder weiß doch, daß unser Steuersystem in Deutschland eben keine strikte Trennung vornimmt zwischen den reinen Unternehmenseinkünften und den Privateinkünften, sondern daß beide Bereiche zusammenwirken. Der überwiegende Teil der Unternehmen in Deutschland wird nach dem Einkommensteuergesetz besteuert, weil - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen - der große Teil der Unternehmen eben Personengesellschaften sind. Weil es hier einen Zusammenhang gibt, können wir nicht einseitig die Steuersätze für Unternehmen senken und die Steuersätze für Privateinkommen davon unberührt lassen. Offensichtlich kennen Sie diesen Zusammenhang. Aber Sie machen sich Parolen zu eigen, um die Steuerreform insgesamt zu einer reinen Gerechtigkeitsdebatte verkommen zu lassen.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen schon einmal etwas über den Zaun blicken und darauf achten, warum andere Staaten in der Lage gewesen sind, die Steuerbelastung ihrer Betriebe und ihrer Arbeitsplätze zu senken.
Herr Kollege Poß, Sie kommen ja wie ich aus Nordrhein-Westfalen. Ist Ihnen eigentlich völlig entgangen, daß Ihr bzw. unser Landeswirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten zunehmend darüber klagt, daß Unternehmen ihren Sitz von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel in die Niederlande verlegen, weil sie dort auf bessere steuerliche Rahmenbedingungen stoßen?
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Ist Ihnen eigentlich entgangen, daß mittlerweile eine zweistellige Zahl von Unternehmen pro Monat die Bundesrepublik Deutschland verläßt, weil sie in Holland bessere Bedingungen vorfinden als in Nordrhein-Westfalen? Entgeht Ihnen das alles? Wenn Ihnen das nicht entgeht, warum versuchen Sie nicht, darauf wenigstens in der Steuerpolitik eine Antwort zu geben?
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Sie haben hier nun auch den Haushalt angesprochen. Richtig ist, daß wir in allen Gebietskörperschaften - bei Bund, Ländern und Gemeinden - große Schwierigkeiten mit dem Ausgleich unserer öffentlichen Kassen haben. Ist denn aber die rein fiskalische Betrachtung der öffentlichen Haushaltslage eine Antwort darauf, wie die Angebotsbedingungen für Arbeitsplätze in einer sich immer schneller verändernden Welt gestaltet werden müssen?
Ist das die einzige Antwort, die wir denjenigen geben können, die internationale Investitionsentscheidungen treffen? Glauben Sie, daß es irgend jemanden auf dieser Welt interessiert, wie wir unsere Haushalte in Deutschland ausgleichen, wenn er vor der Frage steht, ob er in Österreich, Holland, Großbritannien, USA oder Deutschland investieren soll? Ist das die einzige Antwort, die wir darauf geben können?
Wir werden uns hier wohl etwas mehr anstrengen müssen. Wenn Sie uns das schon nicht glauben, dann sage ich Ihnen folgendes: Ich habe beim Jahreswechsel noch einmal nachgelesen, wie das in anderen Staaten gemacht worden ist. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan, der mit der ersten großen Reform vor fast 20 Jahren angefangen hat, hat sich nicht etwa auf neuere Erkenntnisse dieser Zeit berufen, sondern auf einen Philosophen aus dem 14. Jahrhundert, der einmal gesagt hat
({18})
- nun hören Sie doch wenigstens einmal einen Augenblick zu -: Am Anfang einer Dynastie stehen niedrige Steuersätze und hohe Steuereinnahmen. Am Ende einer Dynastie stehen hohe Steuersätze und niedrige Steuereinnahmen.
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- Ich habe mir gedacht, daß Sie jetzt mit dieser billigen Antwort kommen und glauben, daß wir uns am Ende einer Dynastie befinden. Darauf ist zu antworten: Erst einmal gibt es in einer Demokratie keine Dynastie, und zweitens sollten Sie akzeptieren, daß es einen ökonomischen Zusammenhang zwischen niedrigen Steuersätzen und hohen Steuereinnahmen gibt. Offensichtlich sind Sie aber zu diesen Fundamentalerkenntnissen überhaupt nicht mehr in der Lage.
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Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin froh, daß die Gespräche, die auf der Ebene der Spitzen der Regierung und der Opposition stattgefunden haben, in dieser Woche beendet worden sind. Es tut dem Land nicht gut, wenn hinter verschlossenen Türen an den Parlamenten vorbei versucht wird, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Es hat sich jetzt ausgegipfelt.
Jetzt können wir im Parlament ein ordnungsgemäßes Verfahren beginnen. Wir tun das mit dem heutigen Tag. Wir tun das verantwortungsbewußt und mit Lösungsvorschlägen, die ohne Zweifel verbesserungsfähig sind. Niemand von uns bildet sich ein, die letzte Weisheit gefunden zu haben.
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Aber wir tun das in der Verantwortung für die vielen Millionen, die in Deutschland Arbeit haben wollen und ihren Arbeitsplatz behalten wollen. Wir tun das vor allen Dingen in unserer parlamentarischen Verantwortung und in der Hoffnung, daß Sie, Herr Kollege Poß und andere, sich dieser Diskussion und Auseinandersetzung in den Gremien des Parlaments und auch hier im Deutschen Bundestag stellen.
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Deutschland hat in dieser schwierigen Lage, in der wir uns befinden, mehr verdient als eine kleinkarierte Auseinandersetzung um die Frage, ob die Stelle hinter dem Komma stimmt.
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Wir in der Bundesrepublik Deutschland brauchen jetzt trotz des beginnenden Bundestagswahlkampfes und angesichts einer sich drastisch verändernden ökonomischen Lage in einer globalisierten Welt ein paar Grundentscheidungen. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann glauben Sie es doch wenigstens Ökonomen wie Professor Dornbusch vom MIT in den USA, der die Industrienationen vor die Alternative gestellt hat,
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entweder ein tatkräftiges Umbauprogramm anzugehen oder ein allmähliches Abgleiten in steinzeitliche Zustände zu riskieren.
Meine Damen und Herren, wir sind auch vor dem Hintergrund des beginnenden Bundestagswahlkampfes bereit, ein tatkräftiges Umbauprogramm zu beginnen. Die Steuerreform in den beiden Bereichen für 1998 und 1999 ist ein Teil davon. Wir sind zu dieser Auseinandersetzung bereit und fordern Sie auf, Ihre parlamentarische und auch Ihre staatsbürgerliche Verpflichtung wahrzunehmen.
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Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß sich Deutschland in der Krise befindet, wird von niemandem mehr bestritten, in einer der schwersten Krisen seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland,
({0})
in einer Krise, die ein doppeltes Vorgehen notwendig
macht: Es handelt sich um die Notwendigkeit, die innere Einheit herzustellen, die Lasten gerecht zu verteilen und die Entwicklung in Ostdeutschland voranzubringen, so daß wir wirklich von einer Vereinigung sprechen können. Es handelt sich um die Notwendigkeit, die strukturellen Anpassungen, die über Jahre hinweg verschlafen und ausgesessen wurden, an die Bedingungen einer sich rapide verändernden Weltwirtschaft vorzunehmen.
Massenarbeitslosigkeit und Reformunfähigkeit kennzeichnen die gegenwärtige Situation. Die F.D.P. nickt dazu. Sie sind einer der Hauptverantwortlichen, denn Sie regieren dieses Land. Es ist nicht die Opposition, die dieses Land regiert. Bei aller Bedeutung, die Sie der Opposition zumessen, wollen wir das nicht vergessen.
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4,5 Millionen ausgewiesene - real über 6 Millionen; Tendenz: eher ansteigend - Arbeitslose sind die bittere Realität. Ich frage Sie: Was geschieht in diesem Lande wirklich? Der Widerspruch zwischen Handlungsnotwendigkeit - das hat diese Debatte heute morgen wieder auf beschämende Art und Weise klargemacht - und Handlungsunfähigkeit seitens der Verantwortlichen, seitens der Regierung und der Koalition verstärkt sich. Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren - das habe ich mich heute morgen angesichts dieser Debatte und auch der Steuergespräche gefragt -, daß Sie dabei sind, eine substantielle, tiefgehende Krise das Vertrauens in die Funktionsweise unseres demokratischen Systems auszulösen, wenn Sie weiter so vorgehen?
({2})
Angesichts dieser deprimierenden Wirklichkeit, die hier von niemandem mehr bestritten wird, haben wir in den letzten Wochen ein Stück aus dem Bonner Tollhaus mit dem Titel „Steuergespräche" erlebt. Wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man über das, was da passiert ist, fast ins Lachen geraten. Es gab de facto eine große Koalition: Ein gewaltiger Berg kreißte, und am Ende kam nicht einmal mehr ein fiepsendes Mäuschen heraus. Das war die Realität dieser Steuergespräche ({3})
trotz des Schocks auf Grund der Arbeitslosenzahlen im Januar, trotz der Strukturkrise, in der wir stecken, und trotz einer dramatisch wachsenden strukturellen Verwerfung und Massenarbeitslosigkeit.
Heute erleben wir die Debatte über die Schuldfrage. Ich fürchte, daß wir jetzt bis zur Bundestagswahl auf Hintze-Niveau die Debatte erleben werden, wer schuld daran ist, daß in der Bundesrepublik Deutschland nichts vorangeht. Sie mögen die SPD in diesem Punkt kritisieren. Ich habe zwar nicht für die SPD zu sprechen, aber trotzdem frage ich - der Bundeskanzler ist nicht da - Herrn Schäuble: Glauben Sie denn allen Ernstes, daß eine Rechnung aufgehen kann, die die Steuerentlastung mit der Klientelpartei F.D.P. macht und die dann die aufgerissenen Löcher
Joseph Fischer ({4})
durch Steuerbelastungen und Steuererhöhungen mit der Oppositionspartei SPD stopft?
({5})
Daß diese Rechnung nicht aufgehen konnte, war mir von Anfang an klar.
Im Blick auf den Bundesfinanzminister muß man folgende Frage stellen: Will er eigentlich diese Steuerreform, für die er so lautstark kämpft? Wenn man nach dem Scheitern der Steuergespräche in die Union hineinhört, dann stellt man fest, daß viele hinter vorgehaltener Hand sagen: Dem Theo ist das gar nicht so unrecht, denn er weiß ganz genau, daß die Steuersenkungen, die er vorträgt, nicht gegenfinanziert sind.
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Er weiß ganz genau, daß er eine Deckungslücke von 56 Milliarden DM nicht gegenfinanziert hat. Über den Vorwand „Die SPD ist schuld, daß die Steuerreform scheitert" landet er im Grunde genommen wieder da, wo er schon einmal im Zusammenhang mit dem Bareis-Gutachten und den darin formulierten Vorschlägen war: bei der Ablehnung eines von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens zur großen Steuerreform.
({7})
Meine Damen und Herren, wenn man sich Ihre große Steuerreform anschaut und die langen Litaneien, die Herr Waigel hier vorträgt, anhört, dann stellt man fest, daß Ihre Vorschläge über den entscheidenden Punkt nicht hinwegkommen und daher nichts nützen.
Wenn man sich Ihre Steuerreform anschaut, dann stellt man fest, daß sie erstens sozial ungerecht ist. Sie haben vor allen Dingen bei den hohen Einkommen - teilweise auch bei den unteren - eine Entlastung vorgesehen, aber die hohe Belastung, die Tarifnähe zwischen altem und neuem Tarif besteht vor allem im mittleren Bereich. Das Ganze wird erst zu einem Schuh unter dem Gesichtspunkt der sozialen Schieflage.
Wenn Sie Ihre Gegenfinanzierungsvorschläge zum Decken des Haushaltslochs von 56 Milliarden DM hinzunehmen, nämlich die Mehrwertsteuererhöhung, dann wird aus Ihrer Steuerentlastung, Herr Waigel, eine sozial ungerechte Steuerreform zu Lasten von abhängig Beschäftigten, zu Lasten von unteren und mittleren Einkommen, die über die Mehrwertsteuererhöhung, über die Abschöpfung von Massenkaufkraft die Zeche bezahlen sollen, damit Spitzensteuersätze auf die Einkommen der F.D.P.-Klientel und anderer gesenkt werden können. Das ist die Realität.
({8})
Ich möchte von Ihnen, Herr Waigel, da Sie schon so
schön mit Zahlen jongliert haben, heute einmal klipp
und klar wissen, was Sie jetzt beabsichtigen, um diese 56 Milliarden DM gegenzufinanzieren.
Sie sprechen von 82 Milliarden DM Steuerausfällen durch die Reform. Sie sagen, Sie haben durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage 38 Milliarden DM gegenfinanziert.
({9})
Damit fehlen 44 Milliarden DM. Hinzu kommt dann noch die Absenkung des Solidaritätszuschlags, so daß sich eine Lücke von insgesamt 56 Milliarden DM ergibt.
Ich sage Ihnen: Eine Steuerreform vorzulegen, bei der der entscheidende Punkt, nämlich die Aussage darüber, wie sie finanziert wird, offenbleibt, ist keine Steuerreform, sondern ein Prinzip Hoffnung. Wenn Sie sich zum Prinzip Hoffnung bekennen, dann rate ich den Bürgerinnen und Bürgern, dem kleinen Mann und der kleinen Frau, gut auf ihr Portemonnaie achtzugeben,
({10})
denn dieses Prinzip Hoffnung heißt bei Ihnen in Wirklichkeit Steuererhöhung. Wo kommen die fehlenden 56 Milliarden DM her? Wer soll bezahlen? - Das sollten Sie hier und heute einmal klipp und klar sagen.
({11})
In dem Gesetzentwurf, den Sie uns hier vorgelegt haben, ist das ja richtig süß. Der entscheidende Punkt kommt auf Seite 2 sozusagen verhuscht im Text vor. Da heißt es dann unter „B. Lösung":
Spürbare Nettoentlastung von Steuerbürgern und Unternehmen bei der Einkommensbesteuerung im Umfang von bis zu 30 Mrd. DM und teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts
({12})
und durch Verringerung des Anteils der leistungsfeindlichen direkten Steuern an den Steuereinnahmen zu Lasten der konsumabhängigen indirekten Steuern.
({13})
Mein lieber Herr Dr. Waigel, dann reden wir nicht mehr über Steuerentlastung, sondern über Steuererhöhungen. Dann kommen Sie hierher und sagen das auch dem deutschen Volk, daß Ihre Steuerreform an diesem Punkt auf Steuererhöhungen hinausläuft!
({14})
Nein, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Wir reden hier in Wirklichkeit über Steuererhöhungen, die vor allem bei den unteren und mittleren Einkommen zu Buche schlagen werden. Das ist die
Joseph Fischer ({15})
ganze Wahrheit Ihrer Steuerreform, und insofern sollten Sie sich auch offen zu dem Umverteilungscharakter dieses Werkes bekennen.
Das hat nichts mit altertümlicher Klassenkampfrhetorik zu tun, sondern man muß nur eins und eins zusammenzählen - dabei kommt zwei heraus, nämlich Entlastung oben und Belastung unten, vor allem, wenn man Ihre Steuererhöhungsabsichten mit einbezieht.
({16})
Mich, Herr Waigel ({17})
Hallo! ({18})
Mich, Herr Waigel, würde heute klipp und klar Ihre Haltung zur Mehrwertsteuererhöhung interessieren. Sie als Mitglied der Bundesregierung haben jederzeit Rederecht. Wollen Sie eine Mehrwertsteuererhöhung? Wieviel Prozentpunkte soll diese betragen? Wann soll sie gegebenenfalls kommen?
Das ist das eine, damit diese Posse um die Mehrwertsteuer endlich beendet wird.
Als zweites würde mich die Beantwortung folgender Frage interessieren: Wollen Sie eine Erhöhung der Mineralölsteuer, um die jetzt aufreißenden neuen Löcher Ihres Haushaltes decken zu können? - Diesbezüglich hört man ja Unterschiedliches. Sie sprechen sich für die Erhöhung der Mineralölsteuer aus, Herr Stoiber spricht sich dagegen aus, der Bundeskanzler weist das zurück, nachdem er in der „Bild"-Zeitung mit einer mächtigen Schlagzeile konfrontiert wird, wonach er schon um das Dahinschwinden der Stimmen seiner Wählerinnen und Wähler fürchtet, obwohl ich sicher bin, daß ihr darüber gesprochen habt und diese Absicht verfolgt.
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Der Bundestag ist das geeignete Forum, in dem Sie Klarheit schaffen können, Herr Bundesfinanzminister. Wie sieht es mit einer Mineralölsteuererhöhung aus? - Kommen Sie ans Rednerpult, sagen Sie klar Ihre Haltung, schenken Sie uns hier reinen Wein oder meinetwegen auch reines Mineralöl ein, vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern!
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Machen Sie klar, welche Belastungen auf uns zukommen, und verstecken Sie sich nicht weiter hinter irgendwelchen nebulösen Formulierungen!
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Wer was bezahlt, das ist die erste zentrale Frage, die erste Wahrheitsfrage, die man an dieses Reformwerk richten muß.
Die zweite wichtige Frage: Wann wird denn diese Steuerreform kommen? Der Termin ist keine Nebensächlichkeit. Ob sie 1998 oder 1999 kommt, scheint nur auf den ersten Blick eine Nebensächlichkeit zu sein; denn wir haben 1998 eine klitzekleine Kleinigkeit zu erledigen: Das deutsche Volk, der deutsche Souverän, hat einen neuen Bundestag zu wählen. Mit diesem Steuerreformkonzept, unterstützt von Helmut Kohl und Theo Waigel, für die Erhöhung der Mehrwertsteuer, für die Erhöhung der Mineralölsteuer, für eine höhere Belastung der unteren und mittleren Einkommen wird es ein schöner Wahlkampf. Da wird selbst Pfarrer Hintze mit seiner RoteSocken-Kampagne überfordert sein.
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Ergo kommt man zu der Konsequenz, daß 1999 ja auch noch ein Jahr sei. Warum machen wir also die Erhöhung nicht 1999? Nun war die geniale Idee des Wirtschaftspolitikers Theo Waigel, es gebe einen Vorzieheffekt, wenn man die Unternehmensteuern vorher senke. Gestern lasen wir allerdings etwas anderes - so zumindest meldet es „Reuter":
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, hat Änderungen am Zeitplan der Koalition für die Senkung von Steuern und Sozialbeiträgen ins Gespräch gebracht. Ein Sprecher der Fraktion hat dies bestätigt.
Schäuble möchte alles zusammen 1999 verwirklichen, also nicht mehr den Unternehmensteil 1998 vorziehen:
Schäuble möchte insgesamt 1999 das ganze Reformwerk angehen. Schäuble begründet die Verschiebung der Steuersenkung für Unternehmen damit, daß bei der Expertenanhörung zu dem Gesetz die Hoffnungen auf erhebliche Effekte für die Wirtschaft nicht bestätigt worden seien.
Meine Damen und Herren, in dieser Meldung stekken zwei Nachrichten: Erstens ist die Hoffnung auf eine positive Wirkung auf die Wirtschaft durch das Reformwerk Waigels nicht gegeben. Das ist eine sehr wichtige Tatsache, die Herr Schäuble hier ausspricht. Dazu würde mich auch Ihre Haltung hier interessieren. Auch die Arbeitsplatzeffekte - das hat die Anhörung ebenfalls gezeigt - sind minimal. Daher können wir auch nicht davon reden, daß dieses Reformwerk ein energischer Ansatz sei, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
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Joseph Fischer ({24})
- Herr Kollege Schäuble, Sie hätten vorhin Zeit gehabt, direkt auf die Opposition zu antworten. Das hätte ich erwartet. Deswegen lasse ich die Zwischenfrage, obwohl ich sonst mit Ihnen gerne diskutiere, nicht zu. Ich bin mit der Debattenstruktur heute morgen nicht einverstanden.
Herr Abgeordneter Fischer, ich hatte Sie noch gar nicht gefragt.
Ich habe trotzdem meine Meinung gesagt.
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Meine Damen und Herren, das zweite ist der Termin. Dieser Termin ist ein politischer Termin. Deswegen rate ich den Bürgerinnen und Bürgern, sehr genau darauf zu achten, was tatsächlich geschieht. Wenn die Steuerreform das hält, was Theo Waigel verspricht, das hält, was Helmut Kohl verspricht, das hält, was die F.D.P. ihrer Klientel verspricht, dann fordere ich Sie auf, mit dieser Steuerreform in den Wahlkampf zu gehen. Das heißt aber, sie vorher per Gesetz in Kraft zu setzen. Das ist der entscheidende Punkt. Haben Sie den Mut dazu, die Termine nicht auf 1999 zu verschieben, sondern kämpfen Sie darum, sie 1998 durchzubekommen! Wenn es ein so großartiges Werk ist, dann muß das ja eine nachhaltige Unterstützung für Ihren Wahlkampf sein. Nur fürchte ich, es wird das Gegenteil werden.
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Die dritte Wahrheit ist die Nettoentlastung, Herr Waigel. Ich weiß nicht, warum Sie nicht ähnlichen Mut wie die Sachverständigen haben. Die Sachverständigen haben auf der Pressekonferenz bei der Vorlage ihres Frühjahrsgutachtens darauf hingewiesen, daß die Spielräume für eine Nettoentlastung gegenwärtig minimal seien. Dieser Meinung sind wir nachdrücklich. Wir halten nichts davon, jetzt im Vorwahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern - dazu ist die Lage zu verfahren, dazu ist der Karren schon zu sehr im Dreck - zu erklären: Wir können euch mit Steuergeschenken überhäufen, wenn ihr uns wählt. Wir sehen keinen Spielraum für eine Nettoentlastung. Die Kosten der deutschen Einheit - ({2})
- Herr Westerwelle, auf Ihren Zwischenruf habe ich gerade gewartet. Die ganze Zeit über wird verkündet, daß die nachfrageorientierte Politik falsch sei.
Da wird die ganze Zeit von Ihrer Seite verkündet, daß die angebotsorientierte Politik richtig ist. Und nun der Solidaritätszuschlag! Jeder weiß um die Zustände, um die dramatisch schlechte Lage Ostdeutschlands. Auch das Frühjahrsgutachten macht wieder klar: Arbeitsplatzzuwächse, wenn es so etwas wie Aufschwung gibt, werden im wesentlichen um
Ostdeutschland herumgehen. Und da sage ich Ihnen: Da kommen Sie ausgerechnet mit dem Soli-Zuschlag, und zwar nur aus einem Grund, weil die F.D.P. damit ein Wahlversprechen eingegangen ist, das Sie im übrigen aber schon gebrochen haben. Die Senkung des Soli-Zuschlags oder gar seine Abschaffung - das weiß der Bundesfinanzminister, das weiß der Bundeskanzler, das weiß Herr Schäuble, das weiß jeder in der Unions-Fraktion - ist schlichtweg ökonomischer Unsinn.
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Das heißt, die Leute für dumm zu verkaufen, wenn man das hier verkündet.
Nein, meine Damen und Herren, Deutschland steckt in einem gewaltigen Reformstau, in einem Reformstau, den diese Regierung jahrelang ausgesessen hat. Die Probleme bei der Rentenreform sind doch nicht über Nacht und erst jetzt entstanden, die sind seit 20 Jahren zu sehen. Das Konzept, das der Bundesarbeitsminister vorgelegt und die Koalition beschlossen hat, wird - das prophezeie ich Ihnen - knapp den Wahltag überdauern. Die Grundlagen, von denen Sie ausgehen, werden nicht belastbar sein, werden nicht tragen. Sie werden einen dramatischen Einbruch auf der Beitragszahlerinnen- und Beitragszahlerseite haben.
Schauen Sie sich doch die oft zitierte Entwicklung in anderen Ländern an! Überall dort erleben Sie, daß vor allen Dingen Teilzeitarbeitsplätze und nicht versicherungspflichtige Arbeitsplätze die Antwort auf den Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen sind. Das heißt, was wir befürchten, ist, daß wir - wenn es mit diesen Illusionen so weitergeht - am Ende bei einer Grundrente knapp über Sozialhilfeniveau nach Biedenkopf landen werden, nur weil Sie sich nicht trauen, der eigenen Bevölkerung endlich reinen Wein einzuschenken
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und solidarische Vorschläge für eine neue Rentenfinanzierungsstruktur zu machen und dann auch tatsächlich vorzulegen, die die kommenden zwei Generationen trägt. Sie wissen nur zu gut, daß Sie dann in einen Konflikt mit vielen Interessen kommen, den Sie nicht haben wollen.
Biedenkopfs Position unterstütze ich zwar nicht, aber vom Ergebnis her wird er leider recht behalten. Ich betone: leider. Eine beitragsfinanzierte Grundrente wird am Ende Ihrer rentenpolitischen Illusionen stehen.
Beim Energierecht ist halbherzig, was Sie anpakken.
Dann zum deutschen Bankensystem! Ja, warum greifen Sie nicht endlich eine fundamentale Bankenreform an?
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Joseph Fischer ({6})
Was muß denn noch passieren? Thyssen und Krupp-Henschel, war das nicht Signal genug? Diese Regierung hätte schon längst handeln können.
Und dann immer wieder der Hinweis auf Holland! Es erbost mich nachgerade. Holland hatte der Bundeskanzler mit dem Bündnis für Arbeit im Bundeskanzleramt. Und es war doch niemand anderes als Herr Kohl und Herr Schäuble, die den Gewerkschaften in der Frage der Lohnfortzahlung den Stuhl vor die Tür gestellt haben. Wir könnten doch heute schon wesentlich weiter sein, wenn Staatsklugheit und Vernunft regiert hätten und nicht Parteitaktik nach einer gewonnenen Landtagswahl, meine Damen und Herren.
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Wozu eine große Steuerreform, die wir für geboten und notwendig halten? Sinn und Zweck müssen nicht Steuergeschenke sein, sondern wir brauchen endlich Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung. Schluß muß sein mit Schlupflöchern, die es ermöglichen, daß man hier in Deutschland verdientes Geld, das wir allen gönnen, legal um die Steuer herumführt, ohne daß es zu einer entsprechenden Besteuerung kommt.
Wir sind nachdrücklich dafür: Es muß Schluß damit sein, daß sich Reiche armrechnen können. Was nützt uns ein 53 Prozent hoher Spitzensteuersatz, der bei einem klug angelegten Vermögen dazu führt, daß sich am Ende jemand armrechnen kann. Auch damit muß Schluß sein, und wir müssen den Steuerdschungel lichten.
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Ich werde Ihnen gleich unsere Vorschläge machen, meine Damen und Herren. Gedulden Sie sich noch eine Sekunde.
Wir wollen die gleiche Besteuerung aller Einkommensarten. Wir wollen die Verbreiterung der Bemessensgrundlage der zu versteuernden Einkommen, um mit Streichen von Steuersubventionen Schlupflöcher zu beseitigen. Wir wollen durch diese Reform die Zukunftsfähigkeit für die kommenden Generationen - das größte Problem - durch die Förderung des Lebens mit Kindern erreichen.
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Wir wollen soziale Gerechtigkeit durch Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und erst dann - erst dann - eine Anpassung der nominalen an die realen Steuertarife nach Maßgabe auch einer aufkommensneutralen Finanzierung. Das ist es, was wir uns unter einer großen Steuerreform vorstellen.
({10}) Dazu machen wir Ihnen unsere Vorschläge.
Unter Aufbietung aller Kräfte - es wird nicht einfach werden, es bedüfte in der Tat eines Konsenses - halten wir es für möglich, auf der Grundlage der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine aufkommensneutrale Gegenfinanzierung zu machen, das Existenzminimum auf 15 000 für Ledige, auf 30 000 für Verheiratete anzuheben, wenn wir wirklich die Bemessensgrundlage entsprechend verbreitern, das heißt aber auch, wesentlich weitergehen als das, was der Bundesfinanzminister vorgelegt hat. Wir müssen also wesentlich über das hinausgehen, was der Bundesfinanzminister vorgelegt hat.
Wir halten ein einheitliches Kindergeld von 300 DM, eine Steuerfreistellung der Vorsorgeleistungen, eine Senkung des Eingangssteuersatzes auf 18,5 Prozent und des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent und einen einheitlichen Körperschaftsteuersatz - ich betone: einen einheitlichen - von 35 Prozent für möglich.
Die Lohnersatzleistungen möchte ich noch gesondert erwähnen. Ich glaube, kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin hätte etwas gegen das steuersystematische Argument, daß die Lohnersatzleistungen wie alle anderen Einkommensarten besteuert werden sollen. Aber wogegen sie und auch ich entschieden etwas haben, ist, daß diese steuersystematische Reform, über Nacht kommend, dann zu Reallohnkürzungen führen könnte. Wenn es eine entsprechende Erhöhung der Bruttoentgelte gibt - das gilt für Lohnersatzleistungen genauso wie für die Zuschläge -, so daß am Ende netto - das interessiert die Menschen - dasselbe in der Lohntüte drinbleibt, dann, behaupte ich, werden Sie bei den lohnabhängig Beschäftigten, bei all denen, die diese Leistungen beziehen, volle Zustimmung ernten. Nur, was ich nicht nachvollziehen kann und wogegen ich energisch bin, ist, daß Sie hier Reallohnkürzungen mit steuersystematischen Argumenten betreiben.
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Lassen Sie mich zusammenfassen: Der entscheidende Punkt, um den es hier geht, der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, bedarf noch eines zweiten Ansatzes. Wir müssen runter mit den Kosten der Arbeit. Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung ist die erste große finanzpolitische Reform. Die zweite, parallel damit vorzunehmende große finanzpolitische Reform ist eine Senkung der Arbeitskosten durch eine Senkung der Lohnnebenkosten. Wenn Sie da nicht wieder unseriös werden wollen, müssen Sie den Menschen sagen, daß wir die Senkung der Lohnnebenkosten gegenfinanzieren müssen. Wir müssen die Lohnnebenkosten aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit senken, damit Arbeit wieder rentierlich wird und in diesem Land wieder nachgefragt wird. Das ist die beste Investitionsvoraussetzung, die wir schaffen können. Ich halte nichts von einer Mehrwertsteuererhöhung, weil sie keine neuen Märkte öffnen und keine neuen Arbeitsplätze schaffen, sondern nur Massenkaufkraft abschöpfen wird. Wir können die Senkung der Lohnnebenkosten nur gegenfinanzieren, indem wir endlich eine Öko- bzw. eine Energiesteuer einführen.
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Joseph Fischer ({13})
Aber dazu sage ich in Richtung aller hier: Eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist kein Einstieg in die Ökosteuer; auch das muß klar sein.
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Meine Damen und Herren, deswegen lassen Sie uns doch endlich die beiden großen Reformwerke anpacken, damit Deutschland aus der tiefen Krise herauskommt: Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung im Einkommensteuerrecht und Einführung einer Ökosteuer zur Öffnung neuer Märkte, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Gegenfinanzierung der dringend notwendigen Senkung der Lohnnebenkosten.
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Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Otto Solms.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann der Aussage des Kollegen Fischer nicht zustimmen, daß es gut sei, daß die Steuergespräche ohne Ergebnis zu Ende gegangen seien. Ich bin darüber enttäuscht.
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Ich hatte ernsthaft gehofft, daß die Vorlagen eine gemeinsame Grundlage für eine Steuerreform sein würden. Dies ist nun vorerst gescheitert. Ich glaube nicht, daß die Menschen in Deutschland dafür Verständnis haben. Ich glaube vielmehr, daß die gegenseitigen Vorwürfe und Schuldzuweisungen niemandem helfen.
Der Kollege Fischer hat hier lautstark, wie immer, seine und die Vorstellungen seiner Freunde vorgetragen. Wir hatten einige ermutigende Signale vernommen. Allerdings ist zwei Tage später die Hälfte schon wieder zurückgenommen worden.
Ich möchte mich gerne mit zwei Argumenten befassen, erstens mit der Behauptung, wir seien eine Klientelpartei, und mit der Frage, wer begünstigt wird. Wir haben bei den Steuerreformvorschlägen ohne Ansehen der Betroffenen die Subventionen im Steuerrecht zur Streichung vorgeschlagen, und zwar für alle: für Arbeitnehmer, für Unternehmer, für freie Berufe, für alle, die diese Vorteile genutzt haben. Das ist eben genau das Gegenteil von Klientelpolitik. Das bedeutet mehr Steuergerechtigkeit.
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Aber Sie haben, genauso wie die SPD, sehr schnell, obwohl Sie Herrn Bareis und seinem Gutachten immer zugestimmt haben, die Dinge, die Ihre Klientel betreffen, nämlich die Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, die Kilometerpauschale und die Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte, in Frage gestellt und abgelehnt.
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Das ist Klientelpolitik im reinsten Sinne.
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- Der § 34 ist zur Streichung im Konzept vorgeschlagen. Sie müssen nur in den Steuergesetzentwurf hineinschauen.
Ich will das ganz nüchtern zum Vergleich vorstellen. Die Steuerreform, die wir vorgeschlagen haben, soll mehr Arbeitsplätze schaffen, soll Steuerentlastungen bringen, soll mehr Steuergerechtigkeit bringen und das Steuerrecht auch ein wenig vereinfachen. Diese Zielsetzungen werden mit dem vorgelegten Steuerreformentwurf verfolgt und, wenn sie umgesetzt werden, auch erfüllt. Es nützt nichts, darum herumzureden.
Wenn Herr Fischer meint, eine Steuersenkung wäre ein Steuergeschenk, so zeigt das eine völlig falsche Grundauffassung über das, was Steuern sind. Denn Steuern sind das Geld der Arbeitnehmer und der Unternehmer und nicht das Geld des Staates.
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Wenn wir Steuern senken, belassen wir mehr von dem hart verdienten Einkommen, das die Menschen verdient haben, in deren Händen und in deren Portemonnaie.
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Das ist kein Steuergeschenk. Der Staat muß sich mit seinen Ausgaben eben bescheiden und darf den Steuerzahler nicht so stark belasten, daß die Leistungskraft sinkt und in Deutschland nicht mehr ausreichend investiert wird.
Meine Damen und Herren, heute gibt es in der Presse zwei sehr interessante Artikel, und zwar in der „FAZ" und im „Handelsblatt". In der „FAZ" findet sich ein Gespräch mit Herrn Lafontaine, dem Vorsitzenden der SPD, der dort sagt, seine Argumente seien hinreichend bekannt, er brauche nicht mehr in den Deutschen Bundestag zu kommen.
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Eine interessante Auffassung über die Rolle, die er in diesem demokratischen System spielt.
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- Sie können das nachlesen, er hat es genauso gesagt.
Im „Handelsblatt" gibt es einen Artikel von Herrn Spöri - hochinteressant, ich könnte ihn als meine Rede vorlesen. Ich stimme mit allem überein, was er dort sagt. Ich will nur ein kleines Zitat bringen: Grundorientierung müsse dabei sein, daß man nicht nur auf Nachfrage und Verteilungseffekte schiele, sondern die Verbesserung der Standortqualität gleichrangig sehe.
Dr. Hermann Otto Sohns
Damit sind wir sofort bei dem Thema Angebots- und Nachfragepolitik.
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Diese Koalition hat ja nie eine reine, eine pure Angebotspolitik gemacht. Das war immer ein Mix. Aber eine Nachfragesteigerung ohne Verbesserung der Angebotsbedingungen führt doch offensichtlich ins Leere und belastet nur die öffentlichen Haushalte, schlußendlich also wieder die Steuerzahler.
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An anderer Stelle sagt Herr Spöri, andererseits sei mit einer Nettoentlastung von unter 10 Milliarden DM kein nennenswerter ökonomischer Anschub zu erreichen. Recht hat der Mann, meine Damen und Herren. Mit einer Steuerreform muß jedenfalls nach unserer Auffassung eine deutliche Steuersenkung verbunden sein, sonst erreichen Sie keine Akzeptanz in der Bevölkerung. Sie müssen sich doch nur die Lohnzettel der Arbeitnehmer anschauen, um zu sehen, wie weit Brutto- und Nettolohn auseinanderklaffen. Dann sehen Sie doch die Probleme.
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Die Arbeitnehmer erwarten eben von uns Steuerentlastung und Kostenentlastung, das heißt Beitragsentlastung, und nur beides zusammen macht Sinn. Eine reine Umverteilungspolitik, wie sie hier insbesondere von der SPD vorgeschlagen und von Herrn Fischer soeben bestätigt worden ist, führt nicht zu den notwendigen Anstößen zu mehr Wachstum und schließlich auch zu mehr Investitionen und Beschäftigung.
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Das alles - darauf hat Kollege Merz ja hingewiesen - wird in dem „Spiegel"-Artikel dieser Woche ja ausgezeichnet dargestellt. Er zeigt nämlich, wie in anderen Ländern verfahren wird.
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Er meint, daß wir nur den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in anderen Ländern folgen müßten. Wenn wir die gleiche Politik machen würden, würden wir auch die gleichen Ergebnisse erzielen.
Wir wollen ja diese Politik machen, nur werden wir da, wo der Bundesrat mitzureden hat, daran gehindert. Das ist unser Problem.
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Ich will nur ein Zitat aus dem „Spiegel"-Artikel bringen:
Radikal haben die Regierenden in den USA, in England, den Niederlanden, aber auch in Dänemark, Schweden und Neuseeland in den vergangenen Jahren ihre Steuer- und Sozialsysteme modernisiert. Nun ernten sie die Früchte. Als hätte sich eine gigantische Jobmaschine in Betrieb gesetzt, sinken anderorts die Arbeitslosenquoten, nach OECD-Statistik auf 5,3 Prozent in den USA,
auf 6,4 Prozent in Holland, auf 7,3 Prozent in Großbritannien. Wir verharren hier bei knapp unter 10 Prozent.
Und das ist der Unterschied, weil diese die Reformen rechtzeitig und entschlossen eingeleitet haben, und zwar die Reformen, die wir hier im letzten Jahr ausgiebig diskutiert haben. Ich erinnere an die verschiedenen Programme für Wachstum und Beschäftigung, an die Reform des Gesundheitssystems, an die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes, an die jetzt eingeleitete Steuerreform, an die geplante Reform der Rentenversicherung und vieles andere mehr.
Diese Politik ist genau die, die wir betreiben müssen, um zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen. Ich sage Ihnen: Eine Politik, die mehr Arbeitsplätze bewirkt, ist die sozialste Politik, die wir überhaupt betreiben können.
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Meine Damen und Herren, ich will noch auf eine Äußerung von Herrn Lafontaine in der heutigen „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zurückkommen. Er sagt: „Ich gehe an die Reform nicht nur steuersystematisch heran, auch die ökonomischen und sozialen Wirkungen müssen berücksichtigt werden. " Ja, neppig, meine Damen und Herren. Worum geht es denn? Es geht doch um die sozialen und ökonomischen Wirkungen, es geht um die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt. Dafür machen wir die Reform.
Herr Abgeordneter Dr. Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?
Bitte schön.
Herr Kollege Solms, Sie waren lange Jahre Mitglied im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages und haben dort auch manche Änderung des Steuerrechts bewirkt. Von daher kann es sein, daß Sie die Arbeit dieses Ausschusses noch weiter intensiv verfolgen. Wir hatten am letzten Donnerstag eine Anhörung, in der sich verschiedene Sachverständige zu den Beschäftigungswirkungen, und zwar nicht nur zum ersten Schritt, sondern zu den Gesamtwirkungen Ihrer Steuerreformpläne, geäußert haben. Haben Sie diese Ergebnisse, die quasi - jedenfalls kurzfristig - auf einen Beschäftigungseffekt Null hinauslaufen, denn überhaupt zur Kenntnis genommen?
Meine Damen und Herren, ich habe zur Kenntnis genommen, was beispielsweise das Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, und zwar aller sechs gemeinsam, zum Ausdruck bringt. Ich zitiere gerne:
Mit einer Senkung der Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verfolgt die Bundesregierung eine Strategie, die auch in anderen Ländern schon umgesetzt wurde. Bei dieser Strategie bestehen gute Chancen,
- merken Sie sich: gute Chancen die Leistungsanreize zu verbessern und die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen ökonomischen Aktivitäten zu verringern, so daß die Allokation der Ressourcen durch das Steuersystem weniger verzerrt wird. Die Steuerreformpläne sind insgesamt gesehen positiv zu beurteilen.
({0})
Die Institute sind der Meinung, daß wegen der Verbesserung der Leistungsanreize generell positive Wirkungen auf den Arbeitsmarkt zu erwarten sind.
({1})
Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Äußerung der sechs Institute. Ich kann sie durch ein Zitat des Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Professor Peffekoven, ergänzen. Ich zitiere: „Würde das jetzt vorliegende Reformmodell verwirklicht, kann mit mehr Investitionen, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung gerechnet werden. "
({2}) Genau darum geht es uns, um nichts anderes.
({3})
Wir wollen mit der Steuerreform mehr Arbeitsplätze und weniger Sozialkosten haben, weil mehr Menschen durch eigene Arbeit und eigene Leistungen ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das ist unser Ziel, und ich glaube, das ist ein soziales und gerechtes Ziel. Ich glaube auch, daß die meisten Sachverständigen in der Sozialdemokratischen Partei im Grunde genommen gar nicht viel anders denken. Herr Poß, da Sie an den Gesprächen nicht teilnehmen konnten - Herr Fischer zu seinem Bedauern ja leider auch nicht -, darf ich nur sagen: Ich hatte, als ich die kategorische Ablehnung der Tarifreform durch den Parteivorsitzenden der SPD hörte, das Gefühl, daß die anderen mit Bauchgrimmen danebensaßen
({4})
und das schlucken mußten. Der Bundesfinanzminister hat vorhin die vielfältigen Zitate angeführt, die die Meinung von Kollegen - von Ihnen persönlich ja auch -, von Herrn Scharping, von Herrn Schleußer und von Herrn Voscherau belegen, die sehr wohl der Meinung sind, daß wir die Tarifreform auf den Gesamttarif und nicht nur auf den Eingangssteuersatz anlegen müssen. Das ist ja auch bei allen Sachverständigen völlig unbestritten.
({5})
Deswegen will ich noch ein paar Bemerkungen zum Tarif machen. Wir schlagen einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent - das ist eine deutliche Absenkung gegenüber heute - und einen Spitzensteuersatz von 39 Prozent vor, und zwar auch das nicht aus Willkür oder aus dem Wunsch, bestimmte Gruppen zu begünstigen, sondern im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Auch die Vereinigten Staaten haben einen Spitzensteuersatz von präzise 39,6 Prozent, und in Großbritannien liegt er bei 40 Prozent. Sie sehen also, daß wir hier nicht außerhalb der Welt sind.
Die Diskussion über die sogenannten privaten Einkünfte ärgert micht schon seit langem. Es gibt neben den gewerblichen Einkünften sechs weitere Einkunftsarten, die sehr wohl auch etwas mit den Arbeitsplätzen zu tun haben.
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Die Besteuerung der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit belasten eben die Freiberufler. Bei Freiberuflern sind rund 2 Millionen Menschen beschäftigt. Die Abgaben der Land- und Forstwirtschaft belasten die in diesem Bereich Tätigen; das betrifft auch über 1 Million Menschen. Die Steuern auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betreffen die Investoren, die die Voraussetzungen für den Wohnungsbau schaffen. Wenn Sie sie stärker zur Kasse bitten wollen, werden weniger Wohnungen gebaut werden. Der Zusammenhang ist sehr eng. Das trifft auch für die anderen Einkunftsarten zu. Zu glauben, man müsse sich nur auf die gewerblichen Einkünfte konzentrieren, ist von daher schon ein Grundfehler.
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Der krasseste Fehler aber wäre, zu meinen - mir ist der Atem stehengeblieben, als Herr Lafontaine es gesagt hat -, die Körperschaftsteuer für thesaurierte Gewinne könne auf 35 Prozent gesenkt werden, aber alles andere müsse so bleiben. Wissen Sie denn, was das bedeutet? Nahezu 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Personengesellschaften. Das hieße, daß die international agierenden Großunternehmen wie Daimler-Benz oder Siemens, die heute schon auf Grund ihrer Internationalität Steuergestaltungsspielräume haben, die die kleinen nicht haben, zusätzlich begünstigt würden, während die kleinen die Zeche bezahlen müßten. Das ist völlig undenkbar. Fragen Sie einmal das Handwerk, was es dazu sagt!
({8})
Wenn die Steuersätze - dieser Zusammenhang ist einfach zwingend - bei den Körperschaften auf internationalem Niveau liegen sollen - mit 35 Prozent liegen wir in etwa dort -, dann ergeben sich die Steuer- und Spitzensätze der anderen Tarifbereiche auf Grund der Verfassungsrechtsprechung genauso wie auf Grund der ökonomischen Auswirkungen völlig automatisch. Sie müssen dann auch den Grenzsteuersatz für gewerbliche Einkünfte aus Personengesellschaften herabsetzen, damit es keine Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Unternehmensektors gibt, und können den Spitzensteuersatz für andere Einkünfte nicht weit darüber festsetzen. Die Spreizungsmöglichkeit ist verfassungsrechtlich begrenzt. Sie liegt heute bei 6 Prozent. Das scheint mir die äußerste Grenze für eine solche Spreizung zu sein. Darüber kann man diskutieren, aber der Spielraum ist nicht viel größer. Mir liegen auch eine Reihe von Zitaten von Herrn Ministerpräsident Schröder und
anderen aus den Reihen von Sozialdemokraten vor, die das bestätigen.
Wenn solche Fakten vorliegen, an denen man nicht vorbeikommt, muß man doch irgendwann bereit sein, die Diskussion auf der Basis harter Fakten zu führen, statt Scheingefechte auszulösen, die dann nur noch zu Neidkampagnen führen, den Standort Deutschland weiter belasten, keinen Anschub erreichen, keine Investitionen anziehen und dazu führen, daß die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt weiter in die bisherige Richtung geht; genau das wollen wir umkehren.
Zum Abschluß: Die F.D.P. tritt für diese Steuerreform ein; sie hält sie für gerecht und ausgewogen. Sie ist der Meinung, daß sie mit einer Nettosteuersenkung und -entlastung verbunden sein muß. Ich meine, daß sich die öffentlichen Haushalte aller Gebietskörperschaften auf allen Gebieten auf diese Situation einstellen müssen. Denn das ist die zentrale Voraussetzung dafür, daß wir mehr Investitionen und Arbeitsplätze bekommen. Das führt dann automatisch wieder zu höheren Steuereinnahmen und wird die Haushalte aller Gebietskörperschaften entlasten.
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Ich sehe bis heute zu dieser Strategie keine Alternative.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Solms, Sie sind natürlich eine Antwort in Ihrem langen Vortrag schuldig geblieben, den Sie ja mit einer bestimmten Logik aufzubauen versucht haben. Das ist die Antwort auf die Frage, wie die Differenz von 56 Milliarden DM bezahlt werden soll. Sie ist gestellt worden. Ich finde, die Regierungskoalition darf nicht darum herumkommen, diese Frage heute der Bevölkerung zu beantworten, damit die Menschen wissen, welche Belastung letztlich auf sie zukommt.
({0})
Aber das Entscheidende bei jeder Steuerreform besteht natürlich in den Zielen dieser Steuerreform. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, die einmal deutlich ausgesprochen werden müssen. In Anbetracht der Realitäten in unserer Gesellschaft muß das erste Ziel einer Steuerreform in der Bekämpfung von Armut bestehen, was nur funktionieren wird, wenn Reichtum begrenzt wird. Wer nicht bereit ist, Reichtum zu begrenzen, kann auch nicht wirksam Armut bekämpfen, weil alles nur einmal verteilt werden kann.
({1})
Wenn ich mir Ihre Steuerreform und Ihre gesamte Politik ansehe, dann ist für mich ganz offenkundig, daß an einen Abbau von Armut überhaupt nicht zu denken ist. Im Gegenteil, es gibt schon wieder neue Vorschläge, die Sozialhilfe weiter zu kürzen. Sie wollen Lohnersatzleistungen besteuern und andere Maßnahmen gerade in diesem Bereich durchführen, die zu einer Vergrößerung der Armut führen würden. Auf der anderen Seite haben Sie per 1. Januar 1997 die Vermögensteuer abgeschafft, und Sie wollen den Spitzensteuersatz ganz erheblich senken - alles Maßnahmen, um Reichtum weiter zu befördern. Das heißt, während wir Armut bekämpfen wollen und deshalb - nicht aus irgendwelchen ideologischen Gründen - Reichtum begrenzen müssen und wollen, wollen Sie umgekehrt die Armut erweitern und dafür den Reichtum fließen lassen.
Ein zweites Ziel einer Steuerreform muß in der Herstellung sozialer Gerechtigkeit bestehen. Wir haben in dieser Bundesrepublik Deutschland inzwischen soziale Unterschiede, die jeder Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit hohnsprechen. Die Differenzen in den Einkommen nehmen immer stärker zu, die Spitzengehälter wachsen, und die Steuerentlastung, die Sie bei Ihrer Reform allein für die Bundestagsabgeordneten vorsehen, wird niemand von uns draußen in der Bevölkerung erklären können. So sehen die Realitäten Ihrer Vorstellungen aus.
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Es ist übrigens auch grob ungerecht, wenn Sie den Spitzensteuersatz bei einem Jahreseinkommen von 90 000 DM ansetzen wollen und damit so tun, als ob das die Spitzenverdiener in dieser Gesellschaft seien, obwohl es in Wirklichkeit Hunderttausende gibt, die weit darüber verdienen und einen höheren Prozentsatz durchaus verkraften könnten.
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- Sie zahlen natürlich beim gleichen Prozentsatz mehr, wenn sie mehr verdienen. Aber sie haben den gleichen Prozentsatz, und das ist nicht gerechtfertigt.
Ein drittes Ziel muß darin bestehen, die Einnahmen des Staates zu sichern; denn der Staat hat nun einmal eine soziale, eine kulturelle und eine ökologische Ausgleichsfunktion. Sie sorgen dafür, daß der Staat immer ärmer wird, um das dann als Argument zu benutzen, zum Beispiel die Leistungen in den neuen Bundesländern zu kürzen und Armut nicht bekämpfen zu können. Deshalb sage ich Ihnen, daß das eine völlig verfehlte Politik ist.
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Das vierte und ganz entscheidende Ziel in unserer Zeit müßte darin bestehen, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das haben Sie auch alle erklärt. Aber es gibt keinen einzigen Vorschlag in diesem Steuerreformwerk, durch den Arbeitslosigkeit wirklich wirksam bekämpft würde. Ich setze mich mit zwei Thesen von Ihnen auseinander. Das eine ist: Sie sagen immer, der Reichtum müsse wachsen und die Unternehmensteuern müßten gesenkt werden, damit mehr investiert werde und dadurch Arbeitsplätze geschafDr. Gregor Gysi
fen würden. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß das eine Politik ist, die Sie seit über 14 Jahren betreiben und die bisher nicht zum Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern nur zur Zunahme von Massenarbeitslosigkeit geführt hat.
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War das nicht schon Ihr Argument beim Sparpaket im Jahre 1996? Welcher Arbeitsplatz ist durch dieses Sparpaket entstanden? Kein einziger. War das nicht Ihr Argument bei der Abschaffung der Vermögensteuer per 1. Januar 1997? Gibt es dadurch irgendwelche nennenswerten Investitionen der Vermögenden, die diese Vermögensteuer sparen? Kein einziger Arbeitsplatz ist dadurch geschaffen worden. Das ist eine offenkundig verfehlte Politik.
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Dann haben Sie immer noch ein zweites Argument, nämlich daß die Steuerlast in Deutschland besonders hoch sei, gerade für Unternehmen, und in anderen Ländern viel günstiger sei. Dadurch würden dort auch viel günstigere Ergebnisse bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit erzielt. Nun haben aber die Bundesregierung und das Bundesfinanzministerium auf eine Kleine Anfrage der PDS-Gruppe eine interessante Antwort zur Steuerquote in ausgewählten EU-Mitgliedsländern gegeben. Danach stellt sich folgendes heraus: 1995 lag die Steuerquote in Deutschland bei 23,7 Prozent, in den Niederlanden bei 25,6 Prozent, in Großbritannien bei 29,0 Prozent, in Irland bei 30,3 Prozent, in Belgien bei 30,5 Prozent und in Dänemark bei 50,1 Prozent. Wir hatten die niedrigste Steuerquote, lagen aber bei der Arbeitslosigkeit auf Platz 3. Das ist die Realität.
({7})
Deshalb besteht der von Ihnen ständig behauptete Zusammenhang überhaupt nicht.
Wenn Sie wirklich Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen, müssen Sie ganz andere Reformen angehen. Nicht nur, daß wir dann als Staat Geld brauchen, um eine Anschubfinanzierung im Rahmen eines öffentlichen Beschäftigungssektors durchzuführen. Sie müssen die Kaufkraft stärken.
Sie, Herr Dr. Solms, sagen, Sie würden beide Seiten sehen, Sie würden ein Mix von Angebots- und Nachfrageseite machen. Da frage ich Sie: Wann in den letzten Jahren ist je die Kaufkraft erhöht worden, außer bei den ganz Reichen und bei den ganz Vermögenden? Bei allen anderen Schichten der Bevölkerung ist die Kaufkraft nur reduziert worden, mit eklatanten Auswirkungen auf Dienstleistung und Einzelhandel und damit auf Arbeitsplätze. So sieht es aus.
({8})
Sie wissen ganz genau: Wenn die Kaufkraft von uns beiden erhöht wird, kaufen wir doch nicht mehr; wir sparen höchstens mehr. Wenn Sie den sozial Schwächeren etwas mehr Geld geben, kaufen sie auch mehr. Nur so können Sie in der Gesellschaft die Kaufkraft effektiv erhöhen.
({9})
- Aber hören Sie mal: Es wird doch nur investiert, wenn es einen Markt gibt. Wenn die Nachfrage ständig zurückgeht, wird auch nicht investiert. Das, was Sie hier ständig verbreiten, ist doch eine absurde Vorstellung.
({10})
Wir bräuchten andere Reformen. Hier wird immer von Lohnnebenkosten geredet. Glauben Sie denn wirklich, Sie kriegen das mit „einem Prozentpunkt runter oder einem halben Prozentpunkt hoch" in den Griff? Wir brauchen ein anderes System, ein anderes Denken auf diesem Gebiet.
Seit ewigen Zeiten schlagen wir vor, die Arbeitgeberanteile bei der Einzahlung in die Versicherungssysteme nicht länger in erster Linie nach der Bruttolohnsumme und nach der Zahl der Beschäftigten zu berechnen, sondern nach dem Gewinn, das heißt: nach dem Betriebsergebnis, und die Unternehmen damit flexibler zu machen. Zudem würden dann nicht mehr die Unternehmen besonders bestraft, die arbeitsintensiv produzieren, sondern jene, die mit hoher Technologie bei wenig Beschäftigten hohe Gewinne machen. Sie müssen zur Solidarität stärker bei diesen Kassen herangezogen werden. Das wäre einmal eine Reform.
({11})
Nicht nur „ein Prozentpünktchen hoch oder runter" - das bringt hier gar nichts.
Ein weiteres Ziel einer solchen Steuerreform müßte darin bestehen, kleine und mittelständische Unternehmen zu entlasten, große Konzerne mit hohen Gewinnen aber anders zur Kasse zu bitten, als das heute der Fall ist, insbesondere übrigens Banken und Versicherungen. Nichts sieht Ihre Reform diesbezüglich vor.
Sie beklagen hier, daß die Alleininhaber von Firmen, also Handwerker und Gewerbetreibende, heute viel benachteiligter sind. Das aber ist doch das Ergebnis Ihrer Politik. Sie hätten das seit Jahren korrigieren können -das wird auch seit Jahren gefordert -, aber Sie waren nie dazu bereit. Sie, gerade die F.D.P., nennen sich immer Mittelstandspartei. Diese Klientel aber vergessen Sie bei den Ansätzen Ihrer Politik am meisten. Das gilt bis heute.
({12})
Ein weiteres Ziel einer solchen Politik müßte natürlich auch in der Vereinfachung bestehen. Eine Vereinfachung aber erreichen Sie nicht, indem Sie ein paar Vorschriften streichen und dafür andere einfügen. Eine Vereinfachung erreichen Sie nur, wenn Sie über die gesamte Steuersystematik nachdenken, darüber, ob nicht vieles vereinheitlicht werden könnte, ob es wirklich so viele verschiedene Steuern geben muß und anderes mehr. Aber es gibt keine Vorschläge in dieser Richtung.
Nun sage ich noch etwas zum Spitzensteuersatz. Ich bin ganz entschieden dagegen, den Spitzensteuersatz zu senken, zumindest für Einkommen ab 120 000 DM, also bei denen, die richtig Geld verdienen. Ich kann die Logik der Argumentation weder von Ihnen, von der Koalition, noch von Ihnen, Kollege Fischer, verstehen.
Ich finde es ziemlich abenteuerlich, zu erklären: Weil sie alle Schlupflöcher suchen und nicht bereit sind, Steuern zu zahlen, müssen wir die Steuersätze senken, das heißt: ihnen entgegenkommen.
({13})
- Zu Ihrem Argument komme ich noch. So aber hat es die Koalition formuliert. - Ich kann nur sagen: Wer Kriminellen erklärt, daß man ihnen schrittweise entgegenkommt, bis sie bereit sind, freiwillig ihre Steuern zu zahlen, der kann die Steuern gleich abschaffen, der wird das nämlich nie erreichen.
({14})
- Aber selbstverständlich. Wenn Sie die Entnahme von Waren im Kaufhaus dulden, dann haben Sie keinen Diebstahl mehr. Das ist eine ganz einfache Variante.
Jetzt sage ich Ihnen folgendes: Wenn Sie mehr Geld haben wollen, dann reduzieren Sie doch legale Abschreibungen bei der Steuer. Sie müssen aber nicht den Steuersatz senken. Genau dadurch bekämen Sie mehr Geld in die Kassen und könnten sozial, kulturell und ökologisch ausgleichend wirken - wenn Sie das vorhätten.
({15})
Lassen Sie mich noch etwas zum Zeitpunkt sagen. Es ist nicht wahr, Herr Fischer, daß vorgeschlagen wird, erst 1999 das Gesetz zu verabschieden. Nein, nein, das Gesetz will die Koalition schon im Jahre 1998 machen.
({16})
Mit dem Gesetz will sie natürlich in den Wahlkampf gehen. Aber sie will auch, daß die Leute die Wirkung noch nicht kennen. Deshalb soll das Gesetz erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten.
({17})
Sie will erst nach der Wahl die Steuerbelastungen beschließen. Das geht nämlich ganz schnell, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer. Das kann sie sich 1998 natürlich nicht leisten. Deshalb will sie bis 1999 warten. Eine andere vernünftige Erklärung gibt es dafür nicht, Herr Schäuble, und Sie haben auch noch keine andere Begründung dafür genannt.
Wir haben eine Tradition der Steuerlügen seit 1990. Sie sind in den Wahlkampf 1990 gezogen und haben gesagt: Es wird wegen der Einheit keine Steuererhöhungen geben. Die kamen dann ganz dicke. Dann haben Sie vor den Landtagswahlen im März 1996 ein Gesetz zur Senkung des Solidaritätszuschlages beschlossen, haben damit die Wahlen gewonnen und haben nach den Wahlen dieses Gesetz zurückgenommen. Sie haben nicht einmal Hemmungen, geltendes Recht zu verändern, wenn Wahlen vorbei sind, um das zu korrigieren, mit dem Sie vorher eine Wahl gewonnen haben.
({18})
Deshalb sage ich Ihnen: Hören Sie auf mit dieser Tradition! Was Sie hier vorlegen, solange Sie nicht erklären, wovon Sie die 56 Milliarden DM bezahlen wollen, ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik der Steuerlüge.
({19})
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik in dieser Lage hat nur eine einzige Aufgabe, nämlich die Situation unseres Landes zu verbessern.
({0})
Das, was Sie vorschlagen, wird die Lage unseres Landes nicht verbessern.
({1})
Es ist eine unselige Fortsetzung dessen, was Sie gemacht haben.
Sie haben unser Land in die höchste Arbeitslosigkeit, in die höchste Verschuldung und zugleich in die höchste Steuerbelastung geführt. Wenn der Finanzminister wie heute erneut das Wort von der symmetrischen Finanzpolitik in den Mund nimmt, dann läuft es mir und den Menschen in Deutschland immer stärker kalt den Rücken herunter.
({2})
Denn die Kombination enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten mit einer tiefen sozialen Unsicherheit - zum Teil einer Spaltung unseres Landes - hatten wir in dieser Form noch nie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Lage des Landes verbessern will, der muß wirtschaftliche Belebung ermöglichen, der muß soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt stärken, der muß beides auf eine finanziell solide Weise erreichen. Allen drei Zielen wird Ihr Vorhaben nicht gerecht. Es stärkt weder die wirtschaftliche Belebung, noch ist es gerecht, und schon gar nicht ist es finanziell solide.
({3})
Wir haben im Laufe der öffentlichen Debatte und auch der parlamentarischen Beratungen eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Sie beziehen sich zunächst auf die Frage der wirtschaftlichen Belebung. Wenn die Wirtschaft in Deutschland sichere und verläßliche Rahmenbedingungen haben will - sie
braucht sie dringend -, dann muß mit diesem chaotischen Hin und Her der Finanz-, der Wirtschafts- und der Haushaltspolitik ein Ende gemacht werden.
({4})
Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie vor jeder Bundestagswahl Steuersenkungen versprechen und nach jeder Bundestagswahl die Steuern erhöhen.
({5})
Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie Abschreibungsbedingungen mal verbessern und mal verschlechtern. Es muß ein Ende damit gemacht werden, daß Sie durch Ihre Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik ständig Verunsicherung in die Wirtschaft tragen, anstatt Sicherheit für Investitionen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen.
({6})
Ich schlage Ihnen erneut vor, in einem ersten Schritt zum 1. Juli 1997 die Lohnnebenkosten um zirka 30 Milliarden DM zu senken. Ich schlage Ihnen erneut vor, dafür gesetzlich präzise zu regeln, daß die Auffüllbeträge für die Renten in Ostdeutschland, die Beträge für die Fremdrenten und die Beträge zur Beseitigung des SED-Unrechtes aus der Beitragsfinanzierung in der Rentenversicherung herausgenommen werden und die Rentenversicherung damit um zirka 15 Milliarden DM entlastet wird. Ich schlage Ihnen vor, daß diese Finanzierung in einem fairen, gemeinsamen Lastenausgleich in Deutschland geregelt wird und nicht mehr zu Lasten der Arbeitsplätze, was nicht akzeptabel ist.
({7})
Ich schlage Ihnen erneut vor, in der Arbeitslosenversicherung schon zum 1. Juli dieses Jahres Teile des Bereichs Fortbildung und Umschulung, der eine große Gemeinschaftsaufgabe für die zukünftige Qualifikation der Arbeitnehmer, für die zukünftige Erhaltung von Arbeitsplätzen ist, gemeinsam und fair zu finanzieren und nicht mehr allein aus den Beitragsgroschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer Arbeitgeber.
Wenn Sie wollen, daß in Mittelstand und Handwerk, daß in den deutschen Unternehmen Arbeitsplätze entstehen, Ausbildungsplätze reklamiert und geschaffen werden können, dann müssen Sie diesen Schritt jetzt tun und endlich korrigieren, was Sie den Beitragszahlern nach 1990 aus Feigheit vor dem Steuerzahler zum Schaden unserer Arbeitsplätze und zum Schaden der wirtschaftlichen Entwicklung aufgebürdet haben.
({8})
Ich schlage Ihnen erneut vor, so rasch wie möglich eine gesetzgeberische Entscheidung zu treffen, die die Arbeitsmarktpolitik flexibel gestaltet und lokal verankert, sie der Mitbestimmung und Mitwirkung der Gemeinden und der Tarifpartner, also der Gewerkschaften und der Unternehmen, öffnet und eine Möglichkeit schafft, daß die Gemeinden nicht mehr der Lastesel Ihrer Politik bleiben,
({9})
nicht mehr alles mit der Sozialhilfe bezahlen müssen, nicht mehr alles an Leistungen, an Qualität für die Bürger kürzen müssen, sondern mit einer aktiven und flexiblen Arbeitsmarktpolitik vor Ort gemeinsam Verantwortung wahrnehmen können; denn vor Ort ist noch möglich, was Sie in der Bundespolitik verweigern: gemeinsam Verantwortung wahrzunehmen.
({10})
Ich schlage Ihnen erneut vor, noch in diesem Jahr Entscheidungen zu treffen, mit denen die umfangreiche staatliche Bürokratie abgebaut werden kann. Ein großer Teil der Lasten, die den Bürgern und den Unternehmen zugemutet werden und dem wirtschaftlichen Fortschritt schaden, ergibt sich aus der überbordenden Bürokratie, deren Anwachsen wir seit 14 Jahren beklagen müssen.
Ich schlage Ihnen erneut vor, das öffentliche Dienstrecht so zu modernisieren, daß die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter dort aufgenommen und weiterentwickelt werden kann.
({11})
Ich habe noch nie erlebt, daß eine Bundesregierung nach mittlerweile gut 14 Jahren Amtszeit angesichts der erschreckenden, belastenden, schwierigen Ergebnisse ihrer Politik am Ende zwei Linien verfolgt. Zum einen sagt sie: Weiter so. Zum anderen sagt sie: Für die Folgen sind die Menschen in Deutschland, ist im Zweifelsfall die Opposition, sind alle anderen verantwortlich. Dabei ist das Vorgehen dieser Regierung organisierte Verantwortungsverweigerung.
({12})
Ich schlage Ihnen erneut vor, daß Sie den Bundesinnenminister endlich davon überzeugen, daß das Dienstrecht, daß die Bürokratie, daß vieles andere verändert werden müssen, damit der öffentliche Dienst das sein kann, was er nach dem Willen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein will, nämlich ein effizienter, leistungsstarker Partner der Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Lohnnebenkosten, für eine flexible Arbeitsmarktpolitik und für die Bürokratie
({13})
wäre eine gute Ergänzung dessen, was wir heute hier besprechen. Die Frage ist: Wie sehen die steuerlichen Rahmenbedingungen aus?
({14})
Da will ich Ihnen einiges im Zusammenhang mit Ihrem Gesetzentwurf sagen. Der Kollege Fischer hat schon darauf hingewiesen. Wenn Schule werden soll, daß Fraktionen Gesetzentwürfe dieser Machart einbringen, mit dem Hinweis, daß im Rechnungsjahr nach ihren eigenen Entwürfen zusätzliche finanzielle Löcher in Höhe von 57,1 Milliarden DM entstehen, wobei die Finanzierung mit einem Satz beschrieben wird, der in seiner allgemeinen Düsternis und Unklarheit jede Interpretation zuläßt, nämlich „teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts", frage ich Sie: Wie kommen Sie sich eigentlich vor? Sie schlagen Dutzende von Paragraphen vor. Aber da, wo es um die spannende Frage geht „Wer zahlt am Ende?", sagen Sie: teilweise Gegenfinanzierung durch Umschichtung innerhalb des Steuerrechts.
Den Anteil der direkten Steuern an den Steuereinnahmen wollen Sie zu Lasten der konsumabhängigen offenkundig vermindern. Sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern doch wenigstens ehrlich, was Sie ja intern zu erkennen gegeben haben: Sie wollen die Mehrwertsteuer erhöhen, damit die Senkung der Spitzensteuersätze bezahlt werden kann. Das werden wir nicht mitmachen.
({15})
Schon bei der ersten Beratung Ihres Gesetzentwurfes zur Unternehmensteuerreform habe ich auf den objektiven, nicht zu bestreitenden Zielkonflikt hingewiesen zwischen der Attraktion des Wirtschaftsstandortes Deutschland für ausländische Investoren auf der einen Seite - sie ziehen diesbezüglich die Konsequenz, sie müsse gesteigert werden, indem man die Steuersätze auf ausgeschüttete Gewinne deutlich herunterfährt - und den Investitionsbedingungen für die kontinuierlich investierende, also insbesondere die mittelständische Wirtschaft in Deutschland auf der anderen Seite.
In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Kollege Sohns, aus dem Gutachten zitiert, das ich hier vor mir liegen habe. Weil wir ja in der Lage sein sollten, wenigstens ein bißchen auf Argumente, auch wenn sie nur Scheinargumente sind, einzugehen, frage ich Sie, warum Sie nicht erwähnt haben, daß da auch folgendes steht:
Tatsächlich dürften sich die effektiven Grenzsteuersätze der Investitionen in vielen Fällen sogar erhöhen .. .
({16})
Da aber bei der weitgehend aufkommensneutralen Unternehmensteuerreform vor allem die Unternehmen, die nicht oder wenig investieren, entlastet werden,
({17})
während die Belastung derjenigen, die viel investieren, steigt,
({18})
ist nicht zu erwarten, daß durch diese Maßnahmen die Investitionsneigung größer wird.
({19})
Vielmehr dürfte es zu Vorzieheffekten kommen, also zu vermehrten Investitionen, bevor die neuen Regelungen greifen.
({20})
Nach diesen Vorzieheffekten wird es wohl eine Dämpfung der Investitionstätigkeit geben.
Ich beschreibe das zunächst als einen objektiven Zielkonflikt. Denn es kann ja niemand bestreiten, daß Deutschland seine Attraktion für ausländische Investoren erhöhen könnte und müßte. Ich füge aber hinzu: Der Weg, den Sie gehen, nämlich diese Attraktion zu erkaufen durch eine Verschlechterung der Investitionsbedingungen in Deutschland, zu Lasten der kontinuierlichen Modernisierung des Produktionsstockes, zu Lasten der kontinuierlichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von schon vorhandenen Arbeitsplätzen, zu Lasten des Mittelstandes usw., rechtfertigt das Ziel der Verbesserung der Investitionsbedingungen für Ausländer in keiner Weise. Sie beschädigen die wirtschaftlichen Interessen in Deutschland.
({21})
Mich hat sehr verblüfft, daß es nicht möglich ist, auf der Grundlage dieses Jahresgutachtens in vernünftigen Gesprächen - hier sind sie offenkundig eher möglich als dort - zu solchen Zielkonflikten etwas zu sagen. Das war ja auch der Grund für den Vorschlag der Sozialdemokratie - ich wiederhole ihn hier; es bleibt auch dabei -: Die Steuersätze für thesaurierte Gewinne der Unternehmen werden bei 35 Prozent festgeschrieben, mit all den Folgen, die das für andere hat.
Jetzt will ich Ihnen etwas zu den anderen Steuersätzen sagen, insbesondere zu dem Eingangssteuersatz, der ja in Ihrem Paket ebenfalls eine große Rolle spielt. Sie sagen immer, es entlaste die unteren Einkommen, es erhöhe die Verteilungsgerechtigkeit der ist, wie auch immer politisch schöner -, wenn der Eingangssteuersatz sinkt. Sie verschwigen den Bürgerinnen und Bürgern, daß mit der Absenkung der Eingangssteuersätze und der Erhöhung des Grundfreibetrages alle Steuerzahler gleichmäßig entlastet werden.
({22})
- Wenn Sie jetzt zugeben, verehrte Frau Kollegin, daß das im System angelegt ist, dann muß ich Sie fragen, warum Sie diese gleichmäßige Entlastung aller Steuerzahler noch unbedingt um eine Senkung des
Spitzensteuersatzes ergänzen wollen, die den Staat mehr als 20 Milliarden DM kosten wird.
({23})
Wenn Sie darauf antworten, das sei wegen der besonderen Unternehmenskultur in Deutschland - dem hohen Anteil von Personengesellschaften - unbedingt notwendig, dann, so füge ich hinzu, lassen Sie uns doch gemeinsam einen Weg beschreiten, den alle anderen Wettbewerberländer gegangen sind, nämlich auch die Bedingungen für in Personengesellschaften erzielte und wiederinvestierte - thesaurierte - Gewinne zu verbessern.
Dieses Problem können wir im Interesse von Handwerk und Mittelstand lösen. Aber Sie dürfen eine solche Operation doch nicht dem Verdacht aussetzen bzw. tatsächlich dafür sorgen, daß am Ende nur eine unzulässige und wirtschaftlich schädliche Bereicherung von Spitzenverdienern steht, nicht aber die Stärkung der Unternehmen selbst.
({24})
Ich habe in den letzten Tagen darüber - ich spreche damit keine Vertraulichkeiten aus - mit vielen Unternehmern in Deutschland diskutiert. Die verstehen diese Argumentationen.
Sie hier haben in der Frage der Vermögensteuer und in der Frage der Spitzensteuersätze eine dogmatische Position.
({25})
Sie sind zu pragmatischen Schritten gar nicht in der Lage.
({26})
Sie haben in den Steuerverhandlungen - es waren ja gar keine Verhandlungen, sondern ein Meinungsaustausch - folgende Voraussetzung aufgestellt, die mich - das muß ich Ihnen ehrlich sagen - nicht mehr sonderlich gewundert hat - denn das Ergebnis war ja klar und das war die Ursache meiner Skepsis -: Sie haben Unterwerfung erwartet, anstatt Kooperation zu ermöglichen.
({27})
Wenn jemand schreibt, Voraussetzung für Gespräche sei - das ist hier schon gesagt worden -, daß man diese auf der Grundlage der vorgelegten Entwürfe führe, dann fordert das doch wohl Unterwerfung.
({28})
Nun muß ich zu diesem Thema noch etwas sagen; ich komme dann gleich zu den anderen Themen bezüglich der Steuern zurück. Wir, Oskar Lafontaine und ich, hatten Ihnen im Januar 1996 geschrieben, wir seien bereit, alle Entscheidungen mit Ihnen gemeinsam zu treffen, was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeht. Das hat der Bundeskanzler hier im Februar 1996 freundlich mit einer allgemeinen Bemerkung beantwortet. Danach hat er dies zu den Akten gelegt. Die Gewerkschaften waren zu Gesprächen bereit. Der Vorsitzende des DGB ist im Rahmen einer Pressekonferenz sogar soweit gegangen, die Absenkung sozialer Leistungen anzukündigen. Sie haben diese Chance zum Bündnis für Arbeit zerschlagen.
Sie haben jetzt die Chance zerstört, nicht für raschere Entscheidungen, aber rasch für Orientierung zu sorgen. Der Attentismus, der möglicherweise daraus entsteht, geht voll zu Ihren Lasten.
({29})
Denn wenn Sie noch nicht einmal in der Lage sind, objektive Zielkonflikte sachkundig zu erörtern und dann nach einem guten Weg zu suchen, um beiden Zielen gerecht zu werden, dann ist das sehr erstaunlich.
Sie bleiben ja sogar hinter dem zurück, was christdemokratische Finanzminister zu dem Thema sagen. Ich komme nachher noch auf die Finanzierungslöcher zurück. Wenn ich mir aber vorstelle, was Finanzminister Mayer-Vorfelder schon vor langer Zeit als Lösung dieses Zielkonfliktes festgehalten hat, dann frage ich mich: Warum bringen Sie es denn nicht fertig, darüber sachkundig zu sprechen und die dort genannten Möglichkeiten zu eröffnen?
Wenn Ihre Politik aber dazu führt, daß wirtschaftliche Rahmenbedingungen noch weiter verunsichert und verunklart, Investitionen in Deutschland verteuert werden und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen und die Chance, Ausbildungsplätze zu schaffen, vernichtet wird, und wenn Ihre Politik dazu führt, daß die soziale Kluft in Deutschland tiefer wird, dann können Sie nicht erwarten, daß man das mitmacht - jedenfalls nicht von der Sozialdemokratie.
Wir wollen erreichen - ich schlage auch das erneut vor -, zum 1. Januar 1998 alles Erforderliche zu tun, damit die Kaufkraft in Deutschland verbessert wird. Das bedeutet, den Familien zu helfen, die Rentnerinnen und Rentner nicht zu bestrafen und die Arbeitnehmer nicht zur Kasse zu bitten, die mit ihrer Arbeitsleistung im Grunde erst dafür sorgen, daß die Unternehmen Gewinne machen können, und die mit ihrer Kaufkraft für die Nachfrage in Deutschland sorgen.
({30})
Meine Damen und Herren, ich muß Sie leider doch noch einmal darauf hinweisen, daß nach einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes - nicht von mir, nicht von der SPD - die Steuerbelastung nach Einkommensgruppen in der Kategorie der besonderen Großverdiener, nämlich derjenigen, die über 10 Millionen DM verdienen, im Jahre 1989 33,2 Prozent betrug. Wenn man die seit der deutschen Einheit hinzukommenden Möglichkeiten der legalen Steuerverkürzung hinzufügt, muß man davon ausgeRudolf Scharping
hen, daß wir eine sehr große Zahl von Menschen haben, die außerordentlich hohe Einkommen mit außerordentlich niedriger Steuerleistung verbinden.
Ich stelle mit Blick auf das, was die Kirchen, die Gewerkschaften und viele andere sagen, fest: Dieser Zustand muß geändert werden. Er wird aber durch Ihre Politik nicht geändert. Sie lassen ihn so. Sie maskieren ihn nur besser. Der erste Schritt zu dieser Maskerade war die Abschaffung der Besteuerung privater Vermögen zugunsten derjenigen, die diese Art der Begünstigung nun wirklich nicht mehr benötigen.
({31})
Zu dem Aspekt im Zusammenhang mit der Frage verläßlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen einer Steuerreform, die die Wirtschaftskraft in Deutschland stärkt und Nachfrage stimuliert, sage ich Ihnen: Hier müssen sich wirtschaftliche Erwägungen und Erwägungen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit auf eine kluge und zukunftsträchtige Weise verbinden.
Drittens der finanzielle Aspekt. Was bedeutet Ihre sogenannte Steuerreform für den Zustand des Staates und seiner Kasse, für seine Fähigkeit, eigene Beiträge zu einer vernünftigen Entwicklung zu leisten und die Lage der Menschen in Deutschland zu verbessern? Ich möchte einmal erleben, was passiert, wenn irgendein Mitglied der Sozialdemokratie sagen würde: Paßt einmal auf, ich habe einen guten Vorschlag; er kostet 60 Milliarden DM, die Finanzierung erfolgt später. Ich möchte das einmal erleben.
({32})
Eine ähnliche Situation hatten wir schon einmal: Ende des Jahres 1995 hat der SPD-Parteivorsitzende davon gesprochen, man müsse in bestimmten Situationen konjunkturell bedingte Defizite in Kauf nehmen und seine Kraft darauf konzentrieren, strukturell, also durch langfristig gewachsene Fehlentwicklungen, bedingte Defizite abzubauen. Daraufhin haben Sie Polemik - „da haben wir es wieder: Keynes, altes Denken, die typische Verschuldungspolitik der Sozialdemokratie" - ins Land hinausgeschleudert. Wenn diese Vorwürfe gestimmt hätten,
({33})
dann müßte ich sagen: Auf den vielen Seiten Ihres Gesetzentwurfs überbieten Sie alles, was Sie den Sozialdemokraten bisher in polemischer Weise unterstellt haben. Ihr Vorgehen ist unsolide und unseriös.
({34})
Lieber Herr Kollege Waigel, da Sie heute so viel zitiert haben, möchte ich Ihnen sagen: Sie haben das Bareis-Gutachten in den Papierkorb geworfen. Ich kann nicht bestreiten, daß Sie sich jetzt vor den Papierkorb gekniet haben und einiges wieder herausgeholt haben. Das kann ich nicht bestreiten. Aber das Beste, was Sie jetzt machen könnten, wäre, den
Entwurf Ihres Steuerreformgesetzes 1999 in den Papierkorb zu schmeißen. Das wäre wirklich das beste.
({35})
Nach Ihren Vorschlägen und nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung haben wir folgenden Zustand: Die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland, das Defizit des Bundeshaushaltes, ist am 31. März schon bei rund 40 Milliarden DM angekommen. Allein für dieses Jahr! Sie hatten in Ihrem Haushalt - er ist auch noch nicht so lange verabschiedet - gerade einmal 53 Milliarden DM für das ganze Jahr eingeplant.
Sie verweigern jede Auskunft darüber, wie Sie mit dieser Lücke umgehen wollen. Sie sagen uns dagegen, daß die mittelfristige Finanzplanung für das Jahr 1999 ein Defizit von 50 Milliarden DM ausweist. Hinzu kommen das Defizit der Gebietskörperschaften und das zusätzliche Defizit auf Grund Ihres Gesetzentwurfes. Es ist unverantwortlich, ein staatliches Defizit von weit über 100 Milliarden DM einzuplanen. Das ist unverantwortlich.
({36})
Wir sind nicht bereit, diese neuerliche Belastung der öffentlichen Haushalte, diese neuerliche Ruine einer Finanzpolitik, und vor allen Dingen den neuerlichen Betrug an den künftigen Generationen mitzumachen, die alles das bezahlen müssen, was Sie heute durch Ihre fehlerhafte Finanzpolitik verschulden.
({37})
Wenn Ihre Politik wenigstens dazu dienen würde, die Situation hinsichtlich der Arbeitsplätze, Infrastruktur, Ausbildung und Bildung zu verbessern, dann könnte man ja beginnen, darüber zu streiten. Aber die öffentliche Kasse zu ruinieren, um einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe, der ich Leistung attestiere und deren Leistungsvergütung ich akzeptiere, Steuersenkungen zugute kommen zu lassen, ist unvertretbar.
Vor diesem Hintergrund erinnere ich Sie an eines: Seien Sie bitte sorgfältig mit dem, was die Idee des sozialen Ausgleichs und des sozialen Friedens in Deutschland angeht. Sie haben diese Idee in der Vergangenheit schon extrem stark belastet und beschädigt. Sie sind dabei, das erneut zu tun. So, wie Karl Schiller früher einmal recht hatte mit dem Hinweis darauf, man solle die Tassen im Schrank lassen und müsse nicht jede Belastungsgrenze erproben, sagen wir Ihnen: Hören Sie endlich auf, jede denkbare Belastungsgrenze des sozialen Friedens erproben zu wollen! Es könnte sein, daß uns allen das Ergebnis dessen um die Ohren fliegt.
({38})
Nun habe ich interessiert gesehen, daß Kollege Schäuble Wert darauf legt, nach mir sprechen zu
können. Da geht es immer etwas hin und her; das ist auch in Ordnung. Aber ich habe einen Wunsch, wenn ich ihn äußern darf
({39})
- Verehrter Herr Kollege Schäuble, jetzt passen Sie auf! Sie haben da eine etwas schwierige Position.
Ich habe die Bitte, daß Sie uns die Frage beantworten: Wie finanzieren Sie ganz konkret die Lücke zwischen 30 und 57 Milliarden DM? Ich habe die Bitte, daß Sie uns einmal ganz konkret sagen, was Sie wirklich wollen - Inkrafttreten des gesamten Paketes zum 1. Januar 1999 oder die Teilung, wie sie jetzt vorgesehen ist. Ich bitte darum, daß Sie uns einmal ganz konkret sagen, wie Sie es rechtfertigen, daß der ledige oder verheiratete Facharbeiter mit mittlerem Einkommen um 3000 bis 4000 DM belastet wird,
({40})
während andere sehr stark entlastet werden.
Es war schon eine ziemliche Zumutung, hier am 22. April 1997 einen Gesetzentwurf einzubringen und dann zu erwarten, daß das Parlament in einer ersten Lesung darüber verantwortungsbewußt diskutiert, und es war mehr als ein technisches Detail, daß wir der Fristverkürzung zugestimmt haben.
({41})
Die SPD war bereit und wird auch bereit bleiben - das biete ich Ihnen ausdrücklich an -, alles ihr Mögliche zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen.
Ich verbinde das mit einer Gegenfrage danach, ob Sie denn wenigstens in den parlamentarischen Beratungen bereit sind, auf das einzugehen, was wir Ihnen seit mehreren Wochen öffentlich wie in Gesprächen
({42})
wie in parlamentarischen Beratungen an Vorschlägen machen. Ich bin diesbezüglich sehr gespannt; denn wenn Sie sagen, mit dem Ende dieser Gespräche sei kein Zeitverlust verbunden, dann interessiert mich eine andere Frage noch viel mehr, nämlich ob die Koalition jetzt wenigstens in den parlamentarischen Beratungen bereit ist, das zu tun, was für Deutschland dringend notwendig ist: seine wirtschaftliche Kraft zu stärken, den sozialen Frieden neu zu befestigen und das alles auf eine finanziell solide und zuverlässige Weise umzusetzen - für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft, für die Arbeits- und die Ausbildungsplätze.
({43})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, nur damit es da nicht noch Legenden gibt: Gestern ist gesagt worden, von Ihrer Seite würden in der Debatte Herr Lafontaine, Herr Scharping und Herr Poß reden. Herr Lafontaine ist heute nicht gekommen.
({0})
Deswegen haben wir unsere Rednerreihenfolge auch ein bißchen umgestellt. Ich sage es nur, damit Sie da nicht etwas hineininterpretieren; es interessiert im übrigen außerhalb dieses Saales kaum jemanden.
Aus Gründen, über die man lange reden kann, die aber auch kaum noch interessieren, ist es nicht gelungen, in Gesprächen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden vor Beginn der parlamentarischen Beratungen eine Einigung über Grundfragen zu erzielen. Eine solche Einigung hätte natürlich den Vorteil gehabt, daß diejenigen, die auf die Steuerreform dringend warten, früher gewußt hätten, wohin es geht, weil wir ja die Zustimmung des Bundesrates brauchen. Wir haben es nicht zustande gebracht. Hinsichtlich der Gründe kann man die Schuld hin und her schieben, was am Ende aber an 4,5 Millionen Arbeitslosen nichts ändert.
Ich bleibe dabei - das ist mein erster Punkt, und das haben wir immer gesagt -: Es wird keine Verzögerung geben. Wir haben im Januar die Grundzüge unserer Steuerreform nach intensiven Vorarbeiten der Öffentlichkeit vorgestellt. In unserer Steuerreformkommission waren übrigens die Finanzminister der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, die Kollegen Mayer-Vorfelder, Huber und Milbradt, vertreten. Sie haben intensiv mitgewirkt und all diese Ergebnisse mitgetragen.
Herr Kollege Scharping, eines sollten Sie, glaube ich, wirklich nicht machen. Man kann über viele Einzelfragen unterschiedlicher Meinung sein. Aber diesen Gesetzentwurf, der die Ergebnisse unserer Kommission drei Monate später mit Punkt und Komma umsetzt, so zu behandeln, daß Sie sagen, man solle ihn am besten gleich in den Papierkorb werfen, ist dem Anliegen, der Bedeutung und der Qualität dieses Gesetzentwurfes, aber auch dem Urteil der gesamten fachorientierten Öffentlichkeit überhaupt nicht angemessen.
({1})
Wenn auch Ihnen an einer seriösen Beratung und an einem Austausch von Argumenten liegt, dann können Sie diese Konzeption so nicht würdigen; das hat keinen Sinn.
({2})
- Herr Kollege Meyer, ich habe es Ihnen schon vor Monaten von diesem Pult aus gesagt: Wir alle miteinander, auch Sie, haben im Jahr 1994 auf die Vorschläge der Bareis-Kommission zunächst einmal ein wenig erschreckt reagiert und gesagt, so weitgehende Änderungen würden wir möglicherweise politisch nicht zustande bringen. Lassen Sie es uns deshalb aufgeben, in den alten Schützengräben zu verharren, derweil die Arbeitslosigkeit nicht sinkt.
({3})
- Entschuldigung, das habe ich Ihnen vor Monaten hier schon gesagt.
Inzwischen haben wir alle miteinander begriffen, daß man die Schwierigkeiten unseres Arbeitsmarktes und die tiefgreifenden Veränderungen doch nicht so einfach mit Schuldzuweisungen lösen kann. Die Welt verändert sich, die Globalisierung bringt veränderte Rahmenbedingungen, in jeder Woche wandert eine zweistellige Zahl von Betrieben aus Deutschland ab und nimmt die Arbeitsplätze mit. Die Investitionen und Arbeitsplätze kommen nicht hierher, wenn wir die Rahmenbedingungen nicht verbessern.
({4})
Das haben wir alle miteinander begriffen; ich glaube, Sie haben es in Wahrheit auch begriffen. Ich habe hier eine Dokumentation dessen, was Sozialdemokraten alles zur Steuerreform gesagt haben. Soweit sie sich zur Sache äußern, sind sie alle viel näher bei den Vorschlägen dieses Gesetzentwurfes als bei ihrer eigenen offiziellen Propaganda.
({5})
Deswegen sind wir im Januar letzten Jahres, Herr Kollege Meyer, zu dem Ergebnis gekommen - es waren die Bundesregierung, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, und selbst die SPD hat damals so geredet, woran Herr Scharping eben erinnert hat -, daß man doch einen grundlegenderen Reformansatz benötige, weil wir sonst die Erstarrung auf dem Arbeitsmarkt und in der wirtschaftlichen Entwicklung sowie unsere geringer werdende Wettbewerbsfähigkeit nicht verändern könnten. Dann haben wir uns auf den Weg gemacht. Jetzt setzen wir das alles um.
Nun können Sie uns sagen, das hätten wir schon vor zwei Jahren machen können. Aber Sie können uns doch, wenn Sie halbwegs seriös argumentieren wollen, nicht vorwerfen - vor einem halben Jahr hielten Sie uns ja vor, daß wir es nicht getan hätten -, daß wir nichts machten, und zugleich mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat verhindern, daß es zustande kommt. Das ist unseriös und macht keinen Sinn. Außerdem ist es unverantwortlich.
({6})
Ehe ich zu den tragenden Punkten unserer Konzeption in ein paar Grundzügen zu sprechen komme
- es ist ja alles vom Bundesfinanzminister, dem Kollegen Friedrich Merz und dem Kollegen Sohns in ihren hervorragenden Redebeiträgen dargelegt worden -,
({7})
möchte ich auf das eingehen, was inzwischen aus den vielen Beiträgen von Sozialdemokraten zu sozialdemokratischer Alternative geronnen ist. Herr Scharping, Sie haben heute auch nichts anderes als das vorgetragen - das hat mir für Sie ein bißchen leid getan -, was Herr Lafontaine am 22. April dem Bundeskanzler geschrieben hat.
Ich habe die Vorschläge der SPD bei mir. Sie sind erstens bereit, zum 1. Juli 1997 die Sozialversicherungsbeiträge dadurch zu senken, daß die Verbrauchsteuern entsprechend erhöht werden. Sie sind zweitens bereit, den Eingangssteuersatz und den steuerlichen Grundfreibetrag zu senken, das Kindergeld zu erhöhen und den Körperschaftsteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne von 45 auf 35 Prozent zu senken. Das ist Ihre Alternative. Ich sage Ihnen: Diese Alternative reicht auch im Ansatz nicht zur Lösung der Probleme unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und der zu hohen Arbeitslosigkeit aus.
({8})
Ich möchte Ihnen gern sagen, warum nicht. Eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge lediglich durch Erhöhung des verbrauchsteuerfinanzierten Bundeszuschusses - das ist die Wahrheit, anders geht es nicht - löst das Problem der Ausgabendynamik in den Sozialversicherungen nicht. Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Rentenversicherung eine Ausgabendynamik, die viele Ursachen hat; in der Krankenversicherung medizinische Fortschritte etc. etc. Aber die wichtigste ist - die kann man nicht bestreiten; sie ist übrigens eine höchst erfreuliche -, daß wir eine steigende Lebenserwartung haben. Die meisten Menschen leben im Durchschnitt länger als früher. Die Menschen sind heute doppelt so lange in Rente wie noch vor einer Generation.
Es geht nicht darum, daß die Renten sinken. Sie sollen gerade nicht sinken, sie sollen sicher bleiben. Nur können sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht mehr in dem Tempo steigen wie in den zurückliegenden Jahrzehnten, sondern der Anstieg muß langsamer erfolgen. Wenn wir diese Ausgabendynamik nicht durch eine Strukturreform in den gesetzlichen Sozialversicherungen - in der Krankenversicherung wie in der Rentenversicherung - bremsen, wird jede Verbrauchsteuererhöhung zur Senkung des Sozialversicherungsbeitrages in zwei Jahren schon wieder ohne Wirkung sein. Dann haben Sie zwar die Verbrauchsteuer erhöht, aber die Beiträge sind schon wieder gestiegen.
({9})
- Sie fragen nach dem Inkrafttreten. Darüber können wir jetzt reden. Unsere Antwort in den Gesprächen war und ist auch jetzt - ich will auf Ihre Fragen eingehen -: Wir sind dazu bereit. Aber wir sind nicht dazu bereit, den Zusammenhang von Strukturreform und Umfinanzierung aufzulösen. Nur auf der Grundlage einer Strukturreform macht auch eine Beitragssatzsenkung durch Umfinanzierung Sinn.
Wir sind bereit, das in einem Gesetz so schnell wie irgend möglich zu verabschieden. Wir haben Sie ja
gefragt: Machen Sie mit? Die Antwort war ausweichend. Sie war auch kein definitives Nein, Gott sei Dank nicht; aber es war auch kein Ja. Wir sind bereit, den Gesetzentwurf zur Rentenreform gemeinsam oder als Koalition so rechtzeitig vorzulegen, daß wir noch vor der Sommerpause die erste Lesung machen können, daß wir das Gesetz in diesem Jahr verabschieden können. Im Rahmen dieses Gesetzes können wir dann gemeinsam oder notfalls auch ohne Sie auf der Grundlage einer Strukturreform einen weiteren Schritt zur dauerhaften Beitragssenkung durchsetzen. Aber das eine reicht ohne das andere nicht aus.
({10})
Der Bundesfinanzminister hat schon von begrenzten Haushaltsspielräumen gesprochen. Das ist ja gar keine Frage. Auch da sollten wir die Öffentlichkeit nicht durch zu viel Getöse zu täuschen versuchen. Das gelingt uns ja auch gar nicht mehr; die Leute erkennen ja, daß manches nicht mehr geht.
Natürlich ist die gegebene Finanzsituation aller öffentlichen Haushalte angespannt, übrigens auch die der gesetzlichen Sozialversicherungen. Alle zusammen bilden übrigens die berühmte Staatsquote. Die Staatsquote von rund 50 Prozent setzt sich ja aus den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden und den gesetzlichen Sozialversicherungen zusammen. Sie ist zu hoch. Das sagen alle Sachverständigen, das haben Wirtschaft und Gewerkschaften schon vor einem Jahr gemeinsam mit der Bundesregierung gesagt. Sie muß sinken. Sie kann aber nur sinken, wenn die Ausgaben langsamer ansteigen. Durch Umfinanzierung sinkt sie nicht.
Bei der gegebenen angespannten Finanzsituation muß man natürlich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden darüber reden, welche Verringerungen von Steuereinnahmen in welchem Zeitraum möglich sind. Wir haben in den Gesprächen, im Kanzleramt, auch in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung und im Finanzministerium, gesagt, wir sind ja bereit, darüber zu reden, was zu welchem Zeitpunkt für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden an Einnahmeverkürzungen möglich ist und was nicht. Ihre Position aber war null.
Ich sage Ihnen: Ohne eine Steuerentlastung kann die Steuerreform keinen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten. Deswegen müssen wir uns über eine Steuerentlastung verständigen. Das ist auch richtig.
Wir haben gesagt, wir können die Steuerentlastung auch vorziehen. Ursprünglich haben wir ja gesagt: Alles 1999 in einem Schritt mit einer Nettoentlastung von 30 Milliarden DM.
Das halte ich auch heute noch für möglich und für richtig. Wenn wir ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von real jeweils 2,5 Prozent in den Jahren 1997 und 1998 und von nominal jeweils 4,5 Prozent in den Jahren 1997 und 1998 haben, dann können wir für die Haushalte von Bund und Ländern bei einer entsprechenden Verstärkung der Dynamik von Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung 1999 eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM schaffen. Das halte ich für ehrgeizig, aber für notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({11})
Soll die Steuerreform früher in Kraft gesetzt werden, wird das Volumen wahrscheinlich nur geringer sein können. Deswegen hängen Inkrafttreten und Volumen notwendigerweise ein wenig zusammen. Aber in jedem Fall ist der Spielraum begrenzt; denn auch eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM ist wenig im Vergleich zu den Problemen, die wir in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt haben.
Da wir nur einen begrenzten Spielraum für Steuerentlastungen haben, ist unserer Meinung nach Ihr Ansatz falsch, jetzt den Grundfreibetrag und das Kindergeld zu erhöhen. Das ist zwar familienpolitisch wünschenswert; aber Theo Waigel hat gesagt: Im Moment ist es wichtiger, daß Vater und Mutter einen Arbeitsplatz haben, als daß das Kindergeld erhöht wird.
({12})
Wir müssen doch die Frage beantworten: Was hat Vorrang? Die Mittel sind immer knapp. Deswegen muß man Prioritäten setzen. Wir, CDU/CSU und F.D.P, die Koalition und die Regierung, haben uns dafür entschieden, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in dieser Lage den Vorrang zu geben. Das ist das Prinzip unserer Steuerreform.
({13})
- Sie haben bisher niemanden gefunden - ({14})
- Dazu sage ich gleich etwas. Herr Kollege von Larcher, Sie äußern sich heute, jedenfalls bei meiner Rede, ganz anders als bisher. Lassen Sie mich versuchen, ein Argument nach dem anderen darzulegen.
Sie haben wirklich niemanden gefunden - im übrigen auch in Ihren eigenen Reihen nicht -,
({15})
der meint, daß die Erhöhung von Grundfreibetrag und Kindergeld im Vergleich zu einer Änderung der Steuerstruktur der bessere Weg sei, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das vertreten Sie selber nicht im Ernst.
({16})
- Ach was. Herr Kollege Poß, wir haben doch das Gemeinschaftsgutachten aller Forschungsinstitute. Auch ich habe es da. Sie haben natürlich nur einen Teil vorgelesen.
({17})
- Man kann das Ganze nicht vorlesen. Sie haben es selektiv vorgelesen.
Sie können nicht bestreiten, daß es in dem Gemeinschaftsgutachten heißt, unsere Konzeption der Steuerreform sei ein richtiger Beitrag zur Lösung der Probleme von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Das können Sie nicht bestreiten.
({18})
Jetzt kommt der entscheidende Punkt - Sie haben ihn absichtsvoll verwischt; andere waren vielleicht nicht so genau informiert; wenn man zuviel Zeitung liest, dann weiß man halt nicht alles so genau, Herr Kollege Fischer, aber das führt uns zu der Diskussion -: Die Anhörung beschäftigte sich mit dem Teil der Steuerreform, der nach dem vorgezogenen Gesetz 1998 in Kraft treten soll.
({19})
- Aber, Herr Kollege Poß, ganz gewiß.
({20})
- Die Gesamtwirkung wurde durch das Frühjahrsgutachten aller wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute beurteilt. In der Anhörung - Sie haben hier in der Debatte genauso argumentiert - haben Sie die Argumente gegen einen aufkommensneutralen Schritt in der Unternehmensbesteuerung gehört. Es wurde gesagt, daß eine aufkommensneutrale Veränderung in der Unternehmensbesteuerung kurzfristig nicht dieselben Wirkungen wie eine große Steuerreform hat. Deswegen brauchen wir eine Nettoentlastung. Über die Nettoentlastung besteht ja überhaupt kein Streit.
({21})
Herr Abgeordneter Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Larcher?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die Anhörung thematisch auf das erste Gesetz bezog, daß wir aber die Sachverständigen nach dem ersten Schritt und nach dem Gesamtzusammenhang gefragt haben und daß sie darauf auch geantwortet haben? Sie können im Protokoll der Anhörung nachlesen, daß die übereinstimmende Meinung lautete, es gebe minimale Auswirkungen.
({0})
- Nein, wir werden das im Finanzausschuß noch vorlegen; das werden wir noch schriftlich bekommen.
Die Sachverständigen sagten, es gebe nur geringfügige Auswirkungen, und zwar wenn überhaupt, dann nur langfristig und nicht kurzfristig. Ich spreche von Sachverständigen und nicht von Lobbyverbänden wie dem DIHT. Damit sind Sie ja nachher im Ausschuß gekommen.
Herr Kollege von Larcher, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie das aus der Anhörung berichten. Aber ich füge noch zwei Bemerkungen hinzu.
Erstens. Es zeigt sich, daß es gut ist, daß die Ausschüsse des Bundestages Anhörungen immer zu den Gesetzen machen, die ihnen schon überwiesen sind. Zu diesem Gesetzentwurf konnten sie noch keine Anhörung durchführen, denn er wird ihnen heute erst am Schluß dieser Beratung überwiesen.
({0})
Zweitens. Ich kann nicht an den Sitzungen des Finanzausschusses teilnehmen, aber ich kann Ihnen aus dem Gemeinschaftsgutachten aller wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute im Frühjahr 1997 so lange, wie immer Sie wollen, vorlesen. Es ist vom 17. April 1997.
Darin steht - der Satz ist schon vorgelesen worden -:
({1})
Mit der Senkung der Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verfolgt die Bundesregierung eine Strategie, die auch in anderen Ländern schon umgesetzt wurde. Bei dieser Strategie bestehen gute Chancen, die Leistungsanreize zu verbessern und die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen ökonomischen Aktivitäten zu verringern, so daß die Allokation der Ressourcen durch das Steuersystem weniger verzerrt wird.
Dann geht es weiter, und es wird in der Tat gesagt: Kurzfristig hat es nicht so viel Wirkung.
Das ist übrigens etwas, was wir Ihnen immer zu erklären versucht haben. Der Gesetzgeber kann in der sozialen Marktwirtschaft kurzfristig gar nicht soviel verbessern. Aber was er kann, ist, Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß wir langfristig die Chancen für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze verbessern. Darum geht es.
({2})
Im übrigen, Herr Kollege Scharping, endet die Passage, aus der Sie Teile selektiv vorgelesen haben, damit:
Der aufkommensneutrale Umbau des Steuersystems im Unternehmensbereich hin zu niedrigeren Steuersätzen und weniger großzügigen Abschreibungsbedingungen begünstigt die weniger kapitalintensiven Wirtschaftszweige, also insbesondere die Dienstleistungen, so daß diese durch die Steuerreform zusätzliche Impulse erhalten.
Meine Damen und Herren, darüber haben wir noch gar nicht diskutiert. In Wahrheit ist es doch so: Wenn uns der Arbeitsmarkt vorrangig beschäftigt und wir wissen, daß uns - nicht wegen angeblicher Fehler der Koalition, sondern wegen der Veränderungen in der Weltwirtschaft und in der technologischen Entwicklung - durch die Rationalisierung in der industriellen Produktion immer mehr ArbeitsDr. Wolfgang Schäuble
plätze verlorengehen, müssen wir doch alles daransetzen, daß wir im Dienstleistungsbereich zusätzliche Arbeitsplätze bekommen. Das zeigt, daß auch von daher unser Steuerreformansatz richtig ist, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({3})
Deswegen sage ich Ihnen: Ich weiß schon, warum Sie die Debatte zur Sache weder im Kanzleramt noch hier im Bundestag bisher wirklich geführt haben.
({4})
- Das zeigen alle Äußerungen, die Sie selbst getan haben. - Sie selbst wissen, daß die meisten von Ihnen die Konzeption, das Kindergeld zu erhöhen - dieses übrigens aufkommensneutral zu finanzieren, indem man die Unternehmensteuer weiter erhöht; denn Ihr Vorschlag läuft auf eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung hinaus -, im Ernst selbst nicht vertreten können. Das ist die Wahrheit.
({5})
Deswegen sollten wir die Debatte lassen. Sie wissen doch, Sie haben alle das Gegenteil gesagt.
Es ist daher vielleicht auch richtig, daß wir den Versuch, vorab zwischen den Parteien eine Einigung zu erzielen, aufgegeben haben und sagen, daß wir jetzt diskutieren. Die Gespräche sind ja nicht beendet; heute ist die erste Lesung in der Öffentlichkeit. Jeder steht unter einem Argumentationszwang.
Ich will Ihnen noch etwas sagen. Ich habe das genau verfolgt: Seit zweieinhalb Jahren bemühen wir uns ja, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, weil sie eine der Steuern ist, die ursächlich dafür sind, daß wir in Deutschland zuwenig Investitionen und damit zuviel Arbeitsplatzverluste haben.
Heute mußte der Bundesrat zum erstenmal über die Gewerbekapitalsteuer abstimmen. Bisher sind wir damit ja nie in den Bundesrat gekommen, weil wir eine Grundgesetzänderung damit verbinden müssen. Damit sind wir immer schon hier gescheitert.
Jetzt haben wir gesagt: Wir möchten einmal sehen, wie es ist, wenn die Herren nicht mehr nur als Parteipolitiker reden und Interviews geben, sondern verantwortlich Position beziehen müssen. Sie haben den Wegfall dieser Steuer zwar heute abgelehnt - wir werden den Vermittlungsausschuß anrufen müssen, und das wird auch geschehen -, aber ich habe gestern mit großem Interesse eine Agenturmeldung gelesen, wonach Herr Voscherau angekündigt hat, er werde einen Kompromißvorschlag vorlegen, mit dem man kurzfristig die Gewerbekapitalsteuer abschaffen könnte.
({6}) - Das ist ja wunderbar.
({7})
- Das überrascht mich gar nicht. Herr von Larcher, ich schicke Ihnen die gesammelten Protokolle der Sitzungen des Deutschen Bundestages.
({8})
Sie haben schon mit dem Argument Vermögensteuer, Herr Lafontaine mit dem Argument, man dürfe nicht Abschreibungssätze in Zusammenhang mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer bringen, argumentiert. Sie haben bisher jede Ausrede wie die Maus ein Loch gesucht, um die Gewerbekapitalsteuer zu blockieren.
({9})
Deswegen sage ich Ihnen: Wir setzen darauf, daß wir im Rahmen der von der Verfassung vorgesehenen parlamentarischen Beratung die Verantwortung eines jeden einfordern, und zwar unter der Kontrolle und Beobachtung der Öffentlichkeit.
Wir werden im übrigen dort, wo wir selbst handeln können, Schritt für Schritt vorangehen. Es ist ja nicht so, daß in diesem Lande durch die Blockadestrategie der SPD im Bundesrat Stillstand herrscht. Wir haben im vergangenen Jahr eine Menge der Punkte, die schon zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften im Januar verabredet waren, Schritt für Schritt umgesetzt. Wir sind bei der Gesundheitsreform im ersten Anlauf an der Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Wir haben sie geändert, und sie wird jetzt, notfalls auch gegen einen Einspruch des Bundesrats, durchgesetzt. Wir werden die Rentenstrukturreform und anschließend eine Beitragssenkung durch Umfinanzierung zustande bringen - lieber im Konsens mit Ihnen, notfalls auch ohne Sie.
({10})
- Verzeihen Sie, Herr Kollege Poß, die Verfassung schreibt genau vor, wofür die Zustimmung des Bundesrats notwendig ist und wofür nicht. Herr Lafontaine hat im übrigen - Sie waren nicht dabei, deswegen ist es gut, daß wir hier darüber diskutieren - am Mittwoch auf die Frage der Koalition „Machen Sie die Rentenreform gemeinsam?" gesagt: „Die können Sie auch allein machen, die braucht nicht die Zustimmung. "
({11})
-Entschuldigung, das war die Antwort von Herrn Lafontaine, das ist Ihr Parteivorsitzender. Deswegen sage ich Ihnen: Wir möchten es lieber im Konsens machen, lieber mit Ihnen zusammen, aber wenn Sie es im Konsens nicht machen, weil Sie es blockieren wollen, sind wir bereit und in der Lage, es notfalls auch allein zu machen.
({12})
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir wollen alles daran setzen, daß jetzt endlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird. Ich glaube nach den Äußerungen von Herrn Voscherau und anderen, daß dazu ein Kompromiß im Vermittlungsausschuß auch möglich werden wird.
Ich sage Ihnen auch auf Ihre Frage: Wir sind bereit, darüber zu reden, was man von der Steuerreform auf 1998 vorziehen kann. Ich habe ja nicht gesagt, daß wir das nicht wollen, sondern ich habe gesagt: Wenn Sie uns 1998 blockieren, dann lassen Sie es uns zusammenfügen, dann lassen Sie uns die Auseinandersetzung über ein Gesetz. Wenn Sie sagen, es bestehe eine Verständigungschance, man könne einen Schritt - einen größeren oder einen anderen, wie auch immer -, der Wirtschaft und Arbeitsmarkt hilft, vorziehen auf 1998: Herzlich gerne, das Gesetz ist nicht zurückgezogen, das können wir jederzeit machen.
({13})
Herr Abgeordneter Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharping?
Ja, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Schäuble, ich will den Streit über die Vergangenheit nicht weiterführen, sonst müßte ich Ihnen sagen, daß wir uns immer für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer
({0})
- unter umstrittenen Bedingungen, die nicht erfüllt wurden - ausgesprochen haben.
({1})
Darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, sich wenigstens zu der Frage zu äußern, die der von mir begrüßte Gesetzentwurf des Kollegen Voscherau ja ausdrücklich beinhaltet, daß nämlich die Erhebung der Gewerbeertragsteuer grundgesetzlich so garantiert wird, daß man in Artikel 28 festschreibt, daß es sie gibt. Der Punkt war umstritten.
Entschuldigung, wenn ich das zur Erläuterung sagen darf, aber dann wird auch das Gelächter etwas deutlicher: In Ihrer Koalition besteht ein Streit darüber, daß der eine Teil die Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt erreichen will und andere offenkundig dem nicht so zustimmen.
Ich frage, ob Sie bereit sind, sich auf diese Überlegung einzustellen und die grundgesetzliche Garantie für die Existenz der Gewerbeertragsteuer mitzutragen. Dann können wir die Gewerbekapitalsteuer sofort abschaffen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann ja manchmal sein, daß man selbst am Freitag einer Sitzungswoche einen
Millimeter vorankommt. Lassen Sie uns doch mal gucken, ob es geht!
({0})
-Ich rede im Moment zu den Kollegen der Koalition.
Wir hatten schon andere Debatten über die Frage der Gewerbekapitalsteuer. Ich habe da schon ganz andere Begründungen gehört. Aber gut, nun zu Ihrer Frage, Herr Kollege Scharping: Bis heute - ich kenne nur die Ankündigung des Gesetzentwurfes von Herrn Voscherau aus der Agenturmeldung von gestern - war mir die Diskussion in der Form bekannt, daß viele befürchten, daß bei einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die Gewerbeertragsteuer verfassungsmäßig nicht mehr zu halten sei, weil eine reine Gewerbeertragsteuer keine Substanzsteuer sei. Deswegen habe der Wunsch bestanden, durch eine verfassungsrechtliche Regelung sicherzustellen, daß die Gewerbeertragsteuer auch in Zukunft erhoben werden kann. Darüber haben wir uns unterhalten. Es besteht in der Koalition Bereitschaft, diese zu sichern. Wenn das die Bedingung für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist, können wir ihre Abschaffung jetzt gleich vereinbaren.
({1})
Es interessiert außerhalb dieses Saales fast niemand mehr die Art, wie wir uns manche alten Dinge hin und her schieben. Deswegen begrüße ich Ihre Frage und antworte darauf: Bisher hatten Sie nach unserem Eindruck die Notwendigkeit Ihrer Zustimmung für eine Grundgesetzänderung dazu benutzt, mit wechselnden Begründungen zu verhindern, daß ein Gesetz zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zustande kommt.
({2})
- Einverstanden. Das ist ja wunderbar.
({3})
Damit haben wir eine gute Chance, Herr Bundesfinanzminister, den verehrten Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland, die sich um ihren Arbeitsplatz sorgen oder nicht wissen, ob sie einen bekommen, zu verkünden: Es besteht eine bessere Chance als in den letzten zwei Monaten, daß die arbeitsplatzfeindliche Gewerbekapitalsteuer in den nächsten Wochen abgeschafft wird. Das ist ein gutes Ergebnis dieser Debatte.
({4})
Herr Abgeordneter Dr. Schäuble, es liegen Wünsche für eine Zwischenfrage vom Abgeordneten Glos und vom Abgeordneten Scharping vor.
Herr Kollege Glos.
Herr Kollege Schäuble, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der
Bundesrat vorhin wiederum die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer abgelehnt hat? Die Abstimmung ist inzwischen vorbei.
({0})
- Das ist leider in dem Chaos hier an mir vorbeigegangen. Jedenfalls geht es immer darum, was man da, wo man direkt handelt, erreichen kann. Wenn es heute möglich gewesen wäre, wäre das ein positives Signal für die Wirtschaft gewesen.
Herr Kollege Glos, ich bedanke mich für Ihren Hinweis. Ich nehme es gerne zur Kenntnis. Ich bin der Meinung, daß wir bei diesem Stand der Gespräche, der sich jetzt aus der Zwischenfrage von Herrn Scharping und aus der öffentlichen Ankündigung von Herrn Voscherau gestern erschließt - was er heute im Bundesrat gesagt hat, konnte ich nicht zur Kenntnis nehmen, weil ich aufmerksam an dieser Debatte teilgenommen habe -, sofort den Vermittlungsausschuß anrufen sollten, um möglichst innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen die Gewerbekapitalsteuer abschaffen zu können.
({0})
Herr Kollege Schäuble, da ich den vom Kollegen Voscherau angekündigten Gesetzentwurf kenne und ihn für einen klugen Vorschlag halte, frage ich noch einmal: Kann ich Ihren Sätzen entnehmen, daß Sie einer Absicherung der Gewerbeertragsteuer in Artikel 28 des Grundgesetzes zustimmen?
({0})
Herr Kollege Scharping, ich habe bewußt präzise geantwortet. Ich verstehe schon, daß Sie einen zusätzlichen Akzent hineinbringen wollen. Damit überfordern Sie mich im Moment.
({0})
- Ihre Bedingungen waren unterschiedlichster Art. Ich möchte den Gesetzentwurf sehen. Außerdem müssen wir das im Vermittlungsausschuß machen. Meine Privatmeinung nützt Ihnen nur wenig. Wir müssen vernünftig miteinander umgehen.
Es besteht die Sorge, daß die Gewerbeertragsteuer bei einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht mehr erhoben werden könne, weil sie dann keine verfassungsrechtliche Grundlage mehr habe. Auf Ihre Anfrage, ob wir bereit wären, das abzusichern, kann ich Ihnen versichern, daß wir dazu bereit sind; das kann ich sogar für die ganze Koalition erklären. Wenn Sie allerdings fragen, ob wir bei dieser Gelegenheit eine Ewigkeitsgarantie für die Gewerbeertragsteuer geben können, kann ich nur sagen: Lassen Sie uns darüber vernünftig ein paar Argumente austauschen.
Im übrigen möchte ich, wenn wir uns dieser Frage nähern - dazu gebe ich Ihnen heute aber keine verbindliche Antwort -, auch gerne wissen: Wie ist eigentlich in der Europäischen Union der Stand der Harmonisierung von Ertragsteuern? Denn ich bin noch immer der Meinung, außer Luxemburg hat niemand eine besondere Gewerbeertragsteuer. Ich glaube, wir brauchen eine Kommunalfinanzreform.
({1})
- Ja, gut, wir können nicht alles an einem Tag machen. Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden. Wenn Sie jetzt Ihre Blockadeposition aufgeben, sehe ich auch eine verbesserte Chance, daß wir bald zu einer Gemeindefinanzreform kommen.
({2})
Dann lassen Sie uns zunächst über die Gemeindefinanzreform und erst später darüber reden, ob wir eine Ewigkeitsgarantie für die Gewerbeertragsteuer geben können.
({3})
Aber die Zusage, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Gewerbeertragsteuer beseitigt, gebe ich Ihnen für die Koalition. Deswegen sollten wir dabei bleiben, daß wir jetzt die Botschaft aussenden: Die Gewerbekapitalsteuer wird abgeschafft.
Das könnte ein gemeinsames Interesse von uns allen sein.
({4})
Unsere Gespräche sind in dieser Woche zu Ende gegangen. Der Gesetzentwurf wird heute, drei Monate nach der ersten Vorstellung, gelesen. Herr Bundesfinanzminister, Ihnen, aber auch den Mitarbeitern Ihres Hauses sollten wir Dank und Respekt dafür übermitteln, daß in so kurzer Zeit ein Gesetzentwurf erstellt werden konnte.
({5})
Aber von vielen Bürgern ist die Botschaft verstanden worden: Die bekommen nichts zustande. Wir hatten ein wenig die Sorge, daß Sie sogar das Gefühl von Stillstand vermitteln wollten. Wenn jetzt die Botschaft ausgesendet wird, es gibt keinen Stillstand, die Gewerbekapitalsteuer wird abgeschafft, die gesetzliche Krankenversicherung ist reformiert, die Rentenreform kommt, so oder so, und auch in der Steuerreform werden wir, wenn wir spätestens im Bundesrat verantwortlich darüber reden, ein Stück vorankommen, dann besteht eine bessere Chance.
({6})
Es wird doch niemand ein Interesse daran haben, daß wir etwa die gute konjunkturelle Entwicklung in diesem Land, die wir gerade im Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute diagnostiziert bekommen haben, aufs Spiel setzen.
({7})
- Herr von Larcher, Sie sollten wirklich nicht lachen. Sie sollten bei viereinhalb Millionen Arbeitslosen den Verdacht vermeiden, Sie würden sich freuen.
({8})
- Mir ist das Lachen im Zusammenhang mit den strukturellen Verwerfungen auf unserem Arbeitsmarkt lange vergangen, und ich hoffe, Ihnen auch.
Deswegen freut mich die Botschaft, daß es mit der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Lande wieder aufwärtsgeht und daß wir bessere Chancen haben, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Darauf kommt es an. Dazu brauchen wir neben der Abschaffung der Substanzsteuern, die wir neben der Reform unserer sozialen Sicherungssysteme und neben einer Beitragssenkung in der Sozialversicherung hoffentlich bald erreichen, auch eine Strukturreform unseres Einkommen- und Ertragsteuersystems, wie es der Bundesfinanzminister heute hier vorgetragen und eingebracht hat. Das alleine löst zwar nicht die Probleme, aber ohne eine Steuerreform sind die Chancen für weniger Arbeitslosigkeit geringer. Deswegen muß sie zustande kommen.
({9})
Wir müssen dabei auch daran denken, daß wir die Standortvorteile, die wir in Deutschland haben - wir haben nicht nur Standortvorteile -, erhalten. Deswegen geht es nicht, die begrenzten Mittel nur auf das Kindergeld zu konzentrieren. Auch der Ansatz, nur den Thesaurierungssatz bei der Körperschaftsteuer zu senken und dadurch die mittelständische Struktur unserer Wirtschaft durch eine nicht mehr neutrale Besteuerung zu zerschlagen, geht nicht.
({10})
Wenn Sie bei der Körperschaftsteuer akzeptiert haben - das hat offenbar sogar Herr Lafontaine akzeptiert-, daß wir auf die Rahmenbedingungen in den anderen europäischen Ländern Rücksicht nehmen müssen, wissen Sie, daß wir einen Thesaurierungssatz von 35 Prozent brauchen.
Übrigens muß man dann den Ausschüttungssatz senken; glauben Sie mir. Jeder, der etwas von der Körperschaftsteuer versteht, weiß das. Ich war dabei, als die sozialliberale Regierung damals den Gesetzentwurf für die Körperschaftsteuerreform gemacht hat. Ich war nicht nur Mitglied im Finanzausschuß, sondern auch im Unterausschuß für die Körperschaftsteuerreform. Bei unserem modernen System, das die Doppelbesteuerung durch die Anrechnung vermeidet, muß man, wenn man um Investitionen international wettbewerbsfähig werden und bleiben will, den Ausschüttungssatz entsprechend senken.
Noch wichtiger aber ist: Unsere Wirtschaft hat eine viel breitere mittelständische Struktur als beispielsweise die unseres Nachbarn Frankreich. Wir wären sehr töricht, wenn wir durch ein Steuerrecht, das einseitig die Kapitalgesellschaften begünstigt und die Personengesellschaften benachteiligt, diese mittelständische Struktur zerschlagen würden. Das wollen wir nicht.
({11})
Deswegen müssen wir, wenn wir darüber reden wollen, wie man via Steuerrecht Beiträge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten kann, nicht nur den Thesaurierungssatz bei der Körperschaftsteuer senken, sondern ebenso den Steuersatz für Einkünfte aus Gewerbebetrieben. Wenn Sie den Steuersatz für Einkünfte aus Gewerbebetrieben senken, dann können Sie den Steuersatz für andere Einkunftsarten nicht bei 53 Prozent lassen. Ansonsten schaffen Sie nämlich genau die Schlupflöcher, über die Sie selber wieder geklagt haben. Das geht nicht; und das wissen auch Sie.
Deswegen haben Sie, Herr Scharping, auch gesagt, ob der Spitzensteuersatz 40 oder 38 Prozent betrüge, sei Ihnen letzten Endes egal. Einigen wir uns auf die Mitte! Einigen wir uns auf 39 Prozent! Dann haben wir doch eine ganz gute Reform.
({12})
- Nein, 40 bis 38 Prozent.
({13})
Wir haben Ihnen immer gesagt - der Bundeskanzler hat es am Montag noch einmal Herrn Lafontaine geschrieben -: Wir können über alle Einzelfragen reden, wenn das Prinzip klar ist. Es muß eine wirkliche, nachhaltige Senkung aller Steuersätze geben. Unser Steuerrecht, das Körperschaftsteuer- und Einkommensteuerrecht, muß wettbewerbsfähig sein, damit wir mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze bekommen. Dann können wir über die Einzelfragen reden. Diese Debatte haben Sie aber bisher verweigert.
Was ich hier versuche, ist, Sie dafür zu gewinnen, daß Sie sich dieser Debatte nicht mehr verweigern. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist mir das ja schon gelungen. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir auf diesem Weg weitergehen, dann haben wir eine Chance, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Dr. Barbara Höll, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Waigel und Herr Schäuble haben heute wieder viel versprochen. Nichts werden sie einhalten können. Sie werden insbesondere die Erwartungen der Einkommensteuerpflichtigen nicht erfüllen. Nach Umfragen sind Sie schon jetzt mächtig im Minusbereich. Über die Hälfte der Bevölkerung erwartet nicht mehr, daß sie nach einer Reform mehr
im Portemonnaie haben werden, sondern bedeutend weniger.
Herr Waigel, ich glaube, manchmal tut es ganz gut, wenn man sich ab und zu ein paar Standardwerke zu Gemüte führt. Ich möchte einmal etwas zitieren:
Nach st. Rspr, des BVerfG fordert der im allgemeinen Gleichheitssatz ({0}) verankerte Grundsatz der Steuergerechtigkeit, daß die Steuerlasten auf die Steuerpflichtigen im Verhältnis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verteilt werden; dies gelte insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt sei.
Nun fragt sich: Haben Sie das überhaupt noch in Ihrem Kopf? Ansonsten hätte ein solches Steuerkonzept, wie Sie es mit Ihrem Gesetz vorlegen, nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen.
({1})
So, wie Sie das machen, täuschen Sie auch noch die Öffentlichkeit. Sie verkünden einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und verschweigen wohlweislich, daß bereits ab 18 000 DM der Steuersatz auf 22,5 Prozent springt. Damit haben wir hier keinen linear-progressiven Tarifverlauf.
Auf meine Frage am Mittwoch, warum dies so sei, wurde mir geantwortet: Jeder Prozentpunkt kostet 8 Milliarden DM mehr Geld. - Gut, es kostet mehr Geld. Aber ich habe diese Begründung bei der Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 39 Prozent noch nie gehört.
({2})
Noch nie ist hierbei die Frage der Finanzierbarkeit aufgetaucht. Das entlarvt ziemlich eindeutig, wohin Sie marschieren wollen.
Das gleiche gilt für die Tatsache, daß jemand schon ab 90 000 DM Einkommen Spitzenverdiener ist. Es ist egal, ob jemand 1 Million DM, 10 Millionen DM oder 140 000 DM verdient. Das kann es doch wohl nicht sein.
Aus diesem Grunde - das möchte ich hier noch sagen - wird die PDS ein durchgerechnetes Konzept vorlegen, in dem das Entscheidende, nämlich die durchschnittliche Steuerbelastung, klar wird, mit einem Eingangssteuersatz von 19 Prozent, aber einem steuerfreien Existenzminimum von 17 000 DM pro Jahr.
Ich sage Ihnen - Sie werden das kaum glauben -: Selbst bei Beibehaltung des Spitzensteuersatzes von 53 Prozent haben wir bei unserem Konzept auch bei einem Jahreseinkommen von 150 000 DM noch immer eine Entlastung der direkten Besteuerung um 3000 DM gegenüber dem heutigen Zustand. Es ist also kein Konzept, das nur bei den höheren Einkommen greift. Es hat allerdings den Ansatz einer anderen Verteilung, um die unteren Einkommen zu entlasten; denn da ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geringer.
Herr Schäuble hat die Globalisierung angesprochen. Das möchte ich aufgreifen und auf ein Problem
der Globalisierung, nämlich das der Harmonisierung des Steuerrechtes im europäischen Rahmen, eingehen. Man hätte erwartet - es gibt eine entsprechende EU-Richtlinie von 1988 -, daß die Bundesregierung endlich ein modernes Konzept, ein individualisiertes Steuerrecht, vorstellt. Das hieße, jeder Steuerpflichtige würde einzeln veranlagt. Das würde die Aufhebung einer Privilegierung im deutschen Steuerrecht bedeuten, nämlich die Frage des Ehegattensplittings.
Der Trauschein privilegiert gegenüber Menschen, die ohne Trauschein zusammenleben. Auch Verheiratete mit Kindern werden benachteiligt. Es werden ferner Menschen, die alleine leben, benachteiligt. Es gibt auch eine Reihe von Menschen, die Sie ausschließen, indem Sie ihnen das Heiratsrecht verweigern. Ich will dieses Recht nicht unbedingt. Wenn Schwule und Lesben heiraten wollten, könnten sie dies ja nicht einmal tun.
Eine solche Form des Ehegattensplittings gibt es nur noch in Irland. Dieser Vergleich spricht doch schon für sich, wenn Sie dies wie das aus familienpolitischer Sicht rückständigste Land in Europa regeln.
Wir wollen das ändern. Wir wollen eine Individualisierung. Das heißt natürlich auch, man braucht einen Ausgleich. Bündnis 90/Die Grünen haben eine Unterhaltsvariante vorgeschlagen. Das ist aber keine konsequente Form. Wir sind dafür, mit der Streichung des Ehegattensplittings anzufangen und auch im Sozialrecht endlich zu einer modernen Ausgestaltung zu kommen, in dem jede Person das Recht auf einen eigenen Anspruch hat, das heißt Anspruch auf Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, ohne daß der Ehegatte diese Leistungen wieder zurückerstatten muß.
Damit kann man einerseits tatsächlich Geld einnehmen. Andererseits steht man sich bis zu einem mittleren Familieneinkommen von 75 000 DM nach unserer Variante noch immer besser als bei dem, was heute gilt. Jede Person sollte einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen haben, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig ist oder nicht. Dies ist gegenwärtig aus äußerst verschiedenen Gründen möglich, zum Beispiel auch auf Grund der Massenarbeitslosigkeit, die Herr Waigel am Mittwoch einfach zur Seite geschoben hat.
Wir treten für eine Erhöhung des Kindergeldes, für eine tatsächliche Familienförderung ein. Hier kann der Maßstab für uns im Gegensatz zu den Vorschlägen der anderen Oppositionsparteien nur zumindest der Sozialhilferegelsatz für Kinder sein. Wir dürfen uns nichts vormachen: Solange das Kindergeld nicht mindestens 350 DM beträgt, werden die Kinder und Jugendlichen, die von Sozialhilfe leben müssen - sie können ja nichts dafür -, von jeglicher Kindergelderhöhung nichts haben. Das Geld für eine Kindergelderhöhung ist da. Sie brauchten nur wirklich konsequent zu streichen. Sie könnten Ihr System umgestalten und tatsächlich mit solchen einfachen Dingen wie Kampf gegen Steuerhinterziehung beginnen.
Ich bedanke mich.
({3})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Kolb gratulieren: Er ist Vater eines Sohnes geworden.
({0})
Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Professor Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erkläre für die F.D.P. natürlich, daß wir den Reformentwurf 1999 unterstützen und uns gern auf das beschleunigte parlamentarische Verfahren eingelassen hätten.
Ich erkläre gleichzeitig aber auch, daß es der F.D.P. lieber gewesen wäre, wir hätten im Vorfeld dieses parlamentarischen Verfahrens in Gesprächen mit der SPD Eckpunkte vorgeben können, die ein entsprechendes Signal gesetzt hätten. Das wäre ein ganz entscheidender Vorteil gewesen: ein sehr frühzeitiges Signal an die Wirtschaft, daß wir in unserem Lande überhaupt noch reformfähig sind und eine Lösung für die Beschäftigungsprobleme finden können. Dieses Signal ist durch den Abbruch der Gespräche leider ausgeblieben.
Wir hätten mit Ihnen gern Vereinbarungen auf dem Weg hin zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit getroffen, die uns in der zweiten Runde des parlamentarischen Verfahrens, insbesondere im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß, die Arbeit erleichtert hätten. Leider haben Sie da nicht mitgemacht. Leider müssen wir jetzt den normalen parlamentarischen Weg einhalten.
Unsere Konzeption wird von den Gutachtern - im Gegensatz zu Ihrer Darstellung - im wesentlichen unterstützt. Es stimmt gar nicht, daß sie in der entsprechenden Anhörung des Finanzausschusses abgelehnt worden ist. Das einzige, was stimmt, ist, daß keine unmittelbaren, sofort feststellbaren Beschäftigungseffekte nachzuweisen sind.
({0}) Ein einziger Sachverständiger hat das gesagt.
Im großen und ganzen haben alle Sachverständigen in der Anhörung gesagt: Die Konzeption ist richtig; sie geht in die richtige Richtung. Sie sollte noch weitergehen, haben wir im Gegenteil immer wieder gehört, wir seien noch zuwenig mutig an die ganze Geschichte herangegangen. Das ist uns vorgeworfen worden, aber keineswegs, daß das der falsche Weg sei.
Daß wir von unserer angebotsbestimmten Politik auf Ihre nachfragebestimmte Politik umsteigen sollten, hat uns kein einziger empfohlen - wenn wir die Gewerkschaften mal ausschließen, die sich dieser Meinung eher angeschlossen haben. Das dürfen Sie hier nicht falsch darstellen.
({1})
Ein gewisses Problem für die Gespräche war natürlich auch der Vorwurf - das kam eben bei Ihnen, Herr Scharping, zum Ausdruck -, wir hätten eine Unterwerfung verlangt, indem wir eine Diskussion auf der Grundlage unserer Entwürfe vorgeschlagen hätten. Ja, die waren eben da.
({2})
Was war denn bei Ihnen vorhanden? Wir warten ja auf eine Gegenkonzeption.
Da muß man auch mal die Grünen loben, die tatsächlich eine Gegenkonzeption vorgelegt haben, die in sich schlüssig ist. Sie von der SPD haben allenfalls kleine Bruchstücke in die Diskussion geworfen, zudem vor jedem Gespräch andere Bruchstücke. Sie haben Junktims hergestellt, die inhaltlich und sachlich überhaupt nichts miteinander zu tun hatten, und die Hürden dadurch immer höher gesetzt. Das kann kein Ausgangspunkt für Gespräche sein.
Uwe Vorkötter schreibt in einem Leitartikel für die „Stuttgarter Zeitung", das Konzept der Koalition habe den Vorteil gehabt, daß es überhaupt da gewesen sei. Die SPD habe kein Konzept gehabt. Möglicherweise habe sie heimlich eines oder sogar mehrere gehabt. Aber sie habe öffentlich keinen Gebrauch davon gemacht.
({3})
Das ist eine wunderschöne Kommentierung zu Ihrer Haltung.
Welches hätte man als Grundlage für die Gespräche und für eine mögliche Einigung im Vorfeld nehmen können, wenn nicht unser Konzept?
({4})
Unser Konzept ist in sich schlüssig. Es ist, wie gesagt, von der Wissenschaft im großen und ganzen als ein Schritt in die richtige Richtung beurteilt worden. Es sind eher noch mutigere Schritte verlangt worden.
Ich brauche auf das, was der Kollege Schäuble zu Ihren einzelnen Punkten gesagt hat, überhaupt nicht einzugehen. Ich stelle nur fest, daß wir uns in der heutigen Debatte - ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß Ministerpräsident Lafontaine im Moment wohl noch im Bundesrat festgehalten wird oder aus anderen Gründen nicht hier sein kann - schon wieder ein ganzes Stück nähergekommen sind, als der Abbruch der Gespräche das vermuten ließ.
({5})
Insofern hoffe ich, daß wir uns in dem weiteren parlamentarischen Verfahren, auf das Sie sich Gott sei Dank eingelassen haben, sehr viel näherkommen. Daher wollen wir, was nachher das Verfahren im Vermittlungsausschuß angeht, die Hoffnung nicht aufgeben. Zwar finde ich es nicht gut, daß ein Projekt wie diese große Steuerreform letztendlich im Vermittlungsverfahren endet,
({6})
aber es ist nun leider nicht anders zu machen. Es ist ja auch der vom Grundgesetz vorgesehene Weg.
Insofern noch einmal meine Aufforderung an Sie: Bitte machen Sie mit! Wagen Sie noch mehr als die ersten Ansätze, die wir bei der Debatte hier heute feststellen konnten! Dann bekommen wir vielleicht doch noch etwas hin.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Matthäus-Maier, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es bei den Spitzengesprächen nicht zu einer grundsätzlichen Einigung gekommen ist, bedauern wir außerordentlich. Wir bleiben bis heute der Ansicht, wir hätten uns über mindestens fünf Punkte einigen können - fünf Punkte, die ganz sicher der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gedient hätten: erstens die dringend notwendige Senkung der Lohnnebenkosten schon zum 1. Juli dieses Jahres,
({0})
zweitens die Absenkung des Eingangssteuersatzes bei der Lohn- und Einkommensteuer zum 1. Januar 1998, drittens die Verbesserung des steuerlichen Existenzminimums durch Erhöhung des Grundfreibetrages, viertens die Senkung der Steuersätze für die Betriebe und fünftens das Stopfen von Steuerschlupflöchern und den Abbau von Steuervergünstigungen.
({1})
Mit diesen Maßnahmen hätten wir sowohl die Unternehmen von Kosten entlastet - also: Angebotsseite - als auch eine Verbesserung der Massenkaufkraft - also: Nachfrageseite - herbeigeführt. Es wäre gut gewesen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Wir bedauern, daß der Bundeskanzler die Sitzung dieses letzten Spitzengesprächs sinngemäß mit dem Satz eröffnete: „Festzustellen ist, daß ich nach dem jetzigen Stand keine Möglichkeit einer Einigung sehe."
({2})
Deswegen ginge man in das normale Verfahren und träfe sich im Vermittlungsausschuß wieder.
Sowohl in dieser Sitzung - wir erinnern uns gut - als auch später haben Sie nicht den Versuch unternommen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, sondern waren nur bestrebt, Sozialdemokraten zu entzweien.
({3})
Wenn Sie nur einen Teil der Energie, mit der Sie uns Sozialdemokraten zu entzweien versuchen, darauf verwenden würden, mit uns gemeinsam zu einer schnellen Lösung dieser Probleme und insbesondere
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu kommen, dann ginge es in diesem Lande besser voran.
({4})
Landauf, landab hören wir von Ihnen das Lied von der Blockade. Wissen Sie, ich habe in der Finanzpolitik hier im Bundestag über die Jahre hinweg gelernt: Wenn wir bereit sind, mit Ihnen über die Probleme zu sprechen, dann stimmen Sie sofort zu. Aber wenn wir dann unsere eigenen Vorstellungen einbringen, wenn wir nicht alles übernehmen wollen, was Sie sagen, dann ist das „Blockade".
Sie haben die Mehrheit im Bundestag, wir haben die Mehrheit im Bundesrat. Deswegen muß es Kompromisse auf allen Seiten geben. Das haben Sie bei dem Gipfelgespräch vertan, meine Damen und Herren.
({5})
Herr Schäuble - jetzt spreche ich Sie ganz persönlich an -,
({6})
wollen Sie denn bestreiten, daß wir in diesem Gespräch alle gemeinsam der Ansicht waren, die Sozialversicherungen müßten von den versicherungsfremden Leistungen entlastet werden? Wir haben konkret vorgeschlagen - Herr Scharping hat das getan, Herr Poß ist darauf eingegangen -, wie das aussehen könnte. Sie haben das gar nicht bestritten. Denn alle sind wir der Ansicht: Versicherungsfremde Leistungen müssen aus der Sozialversicherung raus!
Die Arbeit in Deutschland ist nicht deshalb zu teuer, weil die Nettolöhne zu hoch sind, sondern weil Sie Kosten der deutschen Einheit systemwidrig in die Sozialversicherungssysteme hineingeschoben haben. Als wir vorgeschlagen haben, sie herauszunehmen - gegenfinanziert über eine Ökosteuer -, haben Sie dem nicht widersprochen, aber erwidert, erst müßten wir Sozialdemokraten bei Ihrer Rentenstrukturreform mitmachen. Jetzt frage ich Sie: Wenn man weiß, die Finanzierungsseite bedarf einer Neuregelung genauso wie die Leistungsseite, warum kann man dann nicht mit dem ersten Schritt anfangen? Sie wollten uns Sozialdemokraten zu Ihrer Reform bezüglich der Absenkung des Rentenniveaus auf 64 Prozent zwingen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß Sie unsere Zustimmung dazu erhalten, das Rentenniveau auf 64 Prozent zu senken, nur damit Sie dann sagen können: Die Sozialdemokraten saßen mit im Boot.
({7})
Daß die Senkung der Lohnnebenkosten, also die Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen und die Verbilligung der Arbeit, finanziert durch eine ökologische Steuerreform, der Kern der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, bestreitet doch niemand.
Nehmen Sie einmal das Beispiel einer ledigen Angestellten: Angenommen, sie hat ein Bruttoeinkommen von 5 400 DM. Sie bekommt 2 900 DM netto. Ihr Arbeitgeber hat Aufwendungen in Höhe von
6 550 DM. Dabei beträgt in diesem Fall die Lohnsteuer 1 360 DM, was schon zuviel ist. Aber die Sozialabgaben, die beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zahlen, betragen 2 300 DM.
({8})
Auch die Wirtschaft weiß doch längst, daß die Senkung der Lohnnebenkosten viel wichtiger für sie ist etwa als die Senkung der Unternehmensteuern.
({9})
Die neuesten Zahlen der letzten Jahre, die wir heute morgen beim Statistischen Bundesamt noch einmal abgefragt haben, über einen Vergleich, wie hoch ungefähr auf der einen Seite die gezahlten Unternehmensteuern und wie hoch auf der anderen Seite die geleisteten Sozialabgaben waren, lauten: In den Jahren 1994 bis 1996 pendelten sich die Unternehmensteuern etwa in einer Höhe von 80 bis 90 Milliarden DM pro Jahr ein. Wissen Sie, wie hoch die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlten Sozialversicherungsbeiträge - nur die gesetzlichen - waren? In 1 994 509 Milliarden DM, in 1 995 533 Milliarden DM und in 1 996 552 Milliarden DM.
Da sage ich Ihnen: Wer die Situation in den Betrieben einigermaßen kennt, der weiß: Der erste wichtige Schritt ist die Senkung der Lohnnebenkosten. Diese Gelegenheit haben Sie verpaßt.
({10})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Bitte schön.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die von Ihrer Seite häufig genannten Zahlen zur Höhe der Steuern der Unternehmen wahrscheinlich aus der OECD-Statistik stammen und sich nur auf die Steuerlast der Kapitalgesellschaften gründen? Auch der Staatssekretär im Finanzministerium von RheinlandPfalz, Sarrazin, der ja Ihrer Partei angehört,
({0})
hat das immer wieder ausgeführt. In dieser Statistik sind die Steuern, die die Personengesellschaften leisten, nicht enthalten.
Wenn Sie die dazurechnen, kommen Sie nach meiner Erinnerung - ich kann den Gesamtbetrag jetzt nicht exakt nennen - für das Jahr 1994 etwa auf das Doppelte, auf rund 150 Milliarden DM Steuern, die die Unternehmen insgesamt zahlen. Dies ist also eine deutlich andere Zahl. Auch prozentual, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegt dies etwa zwischen 4 und 5 Prozent und nicht bei 2,2 Prozent, wie es in der OECD-Statistik steht.
Herr Solms, ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen. Mir liegen aufgeschlüsselte Zahlen für 1995 vor. Wenn Sie die Gewerbesteuer, die Körperschaftsteuer, die nicht veranlagte Steuer vom Ertrag und die veranlagte Einkommensteuer zusammenzählen, dann kommen Sie auf die Größenordnung, die ich hier genannt habe.
Die OECD zählt andere Dinge dazu, wie zum Beispiel die Grunderwerbsteuer. All die Häuslebauer und die Käufer, die Grunderwerbsteuer zahlen müssen, werden aber verstehen, daß wir die nicht zu den Unternehmensteuern hinzuaddieren. Die Zahlen sind so, wie ich sie genannt habe.
({0}) - Ja, das will ich gleich sagen.
Ich darf übrigens noch hinzufügen: In den Zahlen für das Jahr 1995, die ich hier vorliegen habe, war immerhin noch die betriebliche Vermögensteuer mit einbezogen, die Sie abgeschafft haben.
({1})
Das heißt, diese Zahl wird in diesem Jahr sogar noch abgezogen werden müssen.
Selbst wenn aber die Zahlen so wären, wie Sie sie vorgetragen haben - das ist aber nicht der Fall-, bleibt doch festzuhalten, daß die menschliche Arbeit und das Einstellen von Menschen dadurch belastet wird, daß die Lohnnebenkosten in diesem Lande viel zu hoch sind und daß Sie vorgestern die Chance verpaßt haben, zusammen mit uns hier eine Senkung herbeizuführen.
({2})
Nun komme ich zu der Steuerreform im engeren Sinne, also zu den „reinen" Steuern. Bis jetzt ging es in erster Linie um die Sozialabgaben. Sie sagen, Sie hätten ein Konzept. Das liegt hier auf dem Tisch: ein Gesetzentwurf mit einem Haushaltsloch von fast 57 Milliarden DM. Das Geschrei hätte ich hören mögen, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister gewagt hätte, ein Papier mit einem Loch von 57 Milliarden DM als Konzept zu bezeichnen.
Sie haben bis heute in diesem Land Schulden aufeinander gehäuft, die unvorstellbar hoch sind: über 2 Billionen DM, davon 1,4 Billionen DM beim Bund. Allein im Bundeshaushalt dieses Jahres zahlen wir 92 Milliarden DM Zinsen, also siebzigmal mehr, als Sie in Ihrem Umweltetat haben. Und jetzt sollen solche neuen Löcher dazukommen?
Was sagen Sie zu den Steuerausfällen bei Ländern und Gemeinden?
({3})
Alle Länder wären doch pleite, wenn Sie Ihre Steuerreform durchsetzen könnten.
({4})
Jeder weiß doch, daß Herr Stoiber und Herr Teufel anderer Ansicht sind als Sie.
Wie ist die Situation bei den Gemeinden? 85 Prozent aller öffentlichen Investitionen werden von den Gemeinden getätigt. Die Handwerksbetriebe sind doch jetzt schon zu recht sauer, weil wegen der knappen Kassen die öffentlichen Körperschaften ihre Rechnungen nicht rechtzeitig bezahlen können. Das ist wirklich eine Sauerei. Aber den Gemeinden jetzt noch zusätzlich Geld wegzunehmen, die dann den Handwerksbetrieben erst recht keine Aufträge mehr erteilen können, ist auch ökonomisch, nicht nur finanzpolitisch dummes Zeug.
({5})
Wir brauchen eine Erhöhung des Grundfreibetrages. Das steuerliche Existenzminimum liegt heute bei 12 000 DM im Jahr. Jedes Kind weiß doch, daß man mit 12 000 DM im Jahr nicht sein Existenzminimum bestreiten kann. Auch der Grundfreibetrag von 13 000 DM, den wir schon vereinbart haben, reicht auf Dauer nicht. Wir sind der Ansicht, daß wir einen Grundfreibetrag von 14 000 DM bzw. von 28 000 DM bei Verheirateten brauchen, was immer noch außerordentlich wenig ist.
Wir halten diese Erhöhung nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch wegen der Wahrung des Lohnabstandsgebots für geboten. Sie sind es doch, die dauernd jammern, daß der Unterschied zwischen geringen Löhnen einerseits und der Sozialhilfe - insbesondere bei Vorhandensein mehrerer Kinder - andererseits zu gering sei. Das liegt aber doch nicht daran, daß in diesem Lande die Sozialhilfe zu üppig wäre. Das liegt daran, daß Sie die Menschen so mit Steuern und Abgaben belasten, daß danach die niedrigen Einkommen in die Nähe der Sozialhilfe rutschen. Das müssen wir ändern.
({6})
Wir brauchen eine Erhöhung des Kindergeldes. Sie sagen, das hätte Sie überrascht, das wäre ein Draufsatteln. Dazu sage ich: Mit unserer Forderung von 250 DM Kindergeld sind wir schon in den Bundestagswahlkampf gegangen. Überraschend und neu kann das ja für Sie nicht sein.
({7})
Die Erhöhung des Kindesgeldes gehört auch in ein Steuerpaket, denn in Deutschland ist das Kindergeld als Abzug von der Steuerschuld Teil der Steuerpolitik. Um es einmal zugespitzt zu sagen: Die Verbesserung des Existenzminimums für Kinder wird in Deutschland technisch über die Erhöhung des Kindergeldes gemacht.
({8})
-Herr Repnik, stellen Sie ruhig eine Zwischenfrage, wenn Ihnen das nicht paßt.
Sie wissen genau - die Kirchen und die Familienverbände sagen das ebenfalls -: Wer nicht nur das Existenzminimum der Erwachsenen steuerfrei stellen will, sondern auch das Existenzminimum der Kinder, kommt an einer deutlichen Erhöhung des Kindergeldes nicht vorbei.
({9})
Aber heute morgen sagen Sie, wichtiger als ein höheres Kindergeld sei, daß Vater und Mutter Arbeit hätten. Mir kommt das so vor, jemand würde sagen, donnerstags ist es kälter als draußen.
({10})
Die beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun. Wenn die Fabrik, in der Vater oder Mutter arbeiten, ihre Produkte nicht mehr absetzen kann, weil die Bezieher niedriger Einkommen in Deutschland zuwenig Geld in der Tasche haben, um diese Produkte zu kaufen, dann brauchen wir sowohl die Senkung der Steuern als auch die Verbesserung des Kindergeldes, weil es ökonomisch gut ist und Vater und Mutter hilft, ihren Arbeitsplatz zumindest zu behalten.
({11})
Dann sagen Sie, das könnten wir nicht bezahlen;
({12})
es würde etwa 4,5 Milliarden DM kosten.
({13})
Wir könnten es sogar locker bezahlen, wenn Sie nicht die private Vermögensteuer abgeschafft hätten.
({14})
Sie hoffen immer auf die Vergeßlichkeit der Menschen. Im letzten Dezember wurde die Vermögensteuer abgeschafft; heute spricht keiner mehr darüber.
Dies war ein verteilungspolitischer Skandal, und wer heute sagt, er habe nicht das Geld für die Verbesserung der Situation der Familien, während er das Geld zur Abschaffung der Vermögensteuer hatte, der soll besser den Mund halten.
({15})
Haben Sie denn nicht, wenn Sie uns schon nicht glauben, das Sozialpapier der beiden großen Kirchen gelesen? - Darin steht viel über Reichtum und Armut in Deutschland. Der Reichtum nimmt zu, und die Armut nimmt zu. Dort steht unter anderem:
Der zutreffende Grundsatz, daß Leistung sich im
wirtschaftlichen Bereich lohnen muß, darf nicht
dazu führen, daß die Bezieher hoher Einkommen einseitig von ihren Beiträgen zum sozialen Ausgleich entlastet werden. Leistungsfähigkeit für die solidarische Finanzierung des sozialen Ausgleichs bestimmt sich im übrigen nicht nur nach dem laufenden Einkommen, sondern auch nach dem Vermögen. Wird im Blick auf das Vermögen die Substanz- und Besitzstandswahrung für unantastbar erklärt, dann ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in einer wichtigen Beziehung drastisch eingeschränkt oder sogar aufgehoben.
Das ist nicht nur ein klares Wort hinsichtlich Ihrer wirtschafts- und sozialpolitisch falschen Entscheidung zur Abschaffung der Vermögensteuer, sondern daraus kann man auch bezüglich der Höhe der Steuersätze, die Sie jetzt drastisch senken wollen, etwas ableiten.
Meine Partei ist im Bundestag und im Bundesrat bereit, bei den betrieblichen Steuersätzen deutlich herunterzugehen.
Da Sie immer auf das Ausland verweisen, darf ich einmal darauf aufmerksam machen, wie es sich mit den Spitzensteuersätzen auf private Einkünfte im Ausland verhält. In Belgien beträgt dieser Steuersatz 55 Prozent, in Frankreich 54 Prozent, in Italien 51 Prozent, in den hier dauernd zitierten Niederlanden 60 Prozent - diese Zahlen habe ich aus den Mitteilungen Ihres Bundesfinanzministers -, in Österreich beträgt er 50 Prozent, in Schweden 56 Prozent, in Japan 65 Prozent usw.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wissen, daß man dieses System einer solch enormen Spaltung zwischen Körperschaftsteuersatz und Spitzensteuersatz in Deutschland nicht einfach übernehmen könnte, weil - ({16})
- Ja, das sagen Sie doch überall. Meinen Sie, wir haben weniger Ahnung von Steuern als Sie? - Sie benutzen aber die Unkenntnis der Menschen über diese Zahlen, um den Spitzensteuersatz auf private Einkünfte drastisch zu senken.
({17})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?
Gern, aber lassen Sie mich noch einen Satz sagen.
Wenn Sie immer vom Ausland reden, dann müssen Sie sich auch schon einmal gefallen lassen, daß man andere Dinge aus dem Ausland zitiert, Dinge, die Ihnen nicht gefallen.
({0})
- Das ist erledigt, ja? Das kann ich mir wohl denken. Das ist auch besser so, meine Damen und Herren.
Wir sind bereit, den Körperschaftsteuersatz zu senken und auch eine entsprechende Regelung zu finden - Kollege Scharping hat es vorgetragen -, daß nicht etwa das Handwerk in die Körperschaftsteuer hineingedrängt wird; das wissen wir alles.
Aber da Sie daraus eine Senkung des Spitzensteuersatzes ableiten, will ich aus Ihrer Tabelle nur noch zwei Zahlen vorlegen: Ein Lediger ohne Kinder mit einem Jahresbruttolohn von 300 000 DM kriegt 30 000 DM Steuersenkung.
({1})
Wenn wir zuviel Geld in den Kassen hätten, dann könnte man ja mit mir über alles reden - wir würden das lieber in den Grundfreibetrag fließen lassen -, aber angesichts der Situation des Staatshaushaltes
({2})
und weil die Bezieher niedriger Einkommen oft nicht wissen, wie sie das kaufen sollen, was sie brauchen, ist eine Steuersenkung von 30 000 DM für einen Ledigen
({3})
mit einem Bruttoeinkommen von 300 000 DM Ausdruck dafür, daß Sie, meine Damen und Herren, gar nicht mehr wissen, was in den Portemonnaies der Menschen los ist.
({4})
Oder aber ein anderes Beispiel, das ich auch nur aus den von Herrn Waigel herausgegebenen Übersichten zitiere: Für den Bezieher von 200 000 DM Jahresbruttolohn ist eine Senkung der Steuer um 19 000 DM im Jahr vorgesehen.
Meine Damen und Herren, wir können das heute nicht alles auseinanderdividieren, aber eines müssen Sie zur Kenntnis nehmen:
({5})
Wir Sozialdemokraten werden immer auf den Dreiklang - Modernisierung der Wirtschaft, ökologische Weiterentwicklung der Industriegesellschaft, aber eben auch soziale Gerechtigkeit - achten. Wer einen Stein aus diesem Dreiklang herausbrechen will, der kann mit uns nicht zu einem Ergebnis kommen. Deswegen wollen wir alle drei Bestandteile umsetzen und machen das auch bezüglich der Steuern und Abgaben so.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/7480 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Der Haushaltsausschuß soll den Gesetzentwurf zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung erhalten. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({0}), Monika Knoche, Volker Beck ({1}), Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Humanisierung der Drogenpolitik ({2})
- Legalisierung von Cannabis - Drucksache 13/4480 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({3})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
- Drucksache 13/4982 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({4})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen, wovon die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vielen Politikfeldern ist in den letzten Jahren ideologisch abgerüstet worden. Das ist aus meiner Sicht auch gut so. In der Drogenpolitik ist leider das Gegenteil der Fall. Hier werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Erfahrungen der Praktiker aus Medizin und Sozialarbeit von konservativer Seite schlichtweg ignoriert. Wenn die CDU dann aber selbst die Forderungen einer ständig wachsenden Zahl von Polizeipräsidenten und Polizeipraktikern nach einer Kurskorrektur ignoriert, dann ist dies für mich ein schlagender Beweis dafür, daß es Ihnen nicht um die Sache, nicht um die Betroffenen, nicht um die Lösung eines gesellschaftlich drängenden Problems, sondern um Ideologie geht.
({0})
Mit Ihrem Beharren auf der Politik der Repression befreien Sie keinen Süchtigen aus seiner Zwangslage. Nein, Sie treiben die Drogenabhängigen in die menschliche, in die medizinische und in die soziale Verelendung. Mit dieser Politik halten Sie niemanden vom Einstieg in den Drogenkonsum ab. Vielmehr wird diese ideologisch motivierte Repressionspolitik mehr und mehr zu einem gigantischen Wirtschaftsförderungsprogramm für das organisierte Verbrechen.
({1})
Ihre Drogenbilanz, Herr Lintner, besonders der Anstieg um fast 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf jetzt 1712 Drogentote im Jahre 1996, ist ein eindeutiger und trauriger Beleg für das Scheitern dieser Politik.
Unsere beiden Initiativen zur ärztlichen Heroinverschreibung und zu den sogenannten Rückzugsräumen als Bausteine einer humanen Drogenpolitik sind bereits in den Ausschüssen zur Beratung. Ich beschränke mich heute auf die Frage des CannabisKonsums.
Die Ausgangslage dabei ist, daß bis zu 6 Millionen meist jüngere Menschen Haschisch und Marihuana trotz Strafandrohung konsumieren. Diese hohe Zahl ist seit Beginn der 80er Jahre im wesentlichen gleich geblieben. Erfreulicherweise hören 90 bis 95 Prozent dieser Menschen nach einer Probierphase wieder auf. Dies wissen wir nicht zuletzt dank der Studie „Cannabis-Konsum in der Bundesrepublik Deutschland", die Professor Dieter Kleiber im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums angefertigt hat.
Bei der von uns geforderten neuen humanen Drogenpolitik geht es um zweierlei. Erstens wollen wir alles tun, um die Gefahr einer körperlichen oder psychischen Drogenabhängigkeit zu verhindern. Zweitens wollen wir, daß die Menschen, die Drogen konsumieren, vor gesundheitlichen Risiken geschützt werden und daß den Abhängigen ein Überleben und ein Leben in Würde ermöglicht wird.
({2})
Beim Cannabis-Konsum kommt ein weiterer rechtsstaatlicher Gesichtspunkt hinzu, Herr Kollege Singer. Die geltende Strafandrohung ist nicht dazu geeignet, Drogenkonsum zu verhindern. In fast 50 000 Fällen ermittelte die Polizei im Jahre 1995 wegen des Konsums, nicht wegen Handels oder Einfuhr von Cannabis. Tausende Haschischkonsumenten werden alljährlich verurteilt, trotz der Intention des Bundesverfassungsgericht und gegen sie. Was ein solches Strafverfahren für den einzelnen persönlich und beruflich bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu erklären.
Wir stehen mit unserer Position, die Strafandrohung für den Besitz von Cannabis aufzuheben, in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht, das nämlich dem Gesetzgeber die Entscheidung überläßt - und jetzt zitiere ich wörtlich -, „ob eine Verminderung des Cannabiskonsums eher durch die ... Wirkung des Strafrechts oder aber durch die Freigabe von Cannabis ... erreicht wird".
Die Einwendungen gegen die Liberalisierung von Cannabis-Konsum sind Legion, und ich kann und will sie hier an wenigen Punkten widerlegen.
Cannabis ist weit weniger gesundheitsschädlich als Alkohol. Lediglich zwei Prozent aller Nutzer, so
diese Studie aus dem Bundesgesundheitsministerium, sind abhängig vom Drogenkonsum. Die Gründe für den Umstieg auf andere Drogen liegen nicht in der Sucht, sondern vor allem im Zwang zur Illegalität.
Es ist auch falsch, daß die Legalisierung die Verfügbarkeit der Droge erhöhe - das ist Ihr Argument, wenn ich es recht weiß - und einen Dammbruch bei Jugendlichen auslösen werde. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat festgestellt, daß „die strafrechtliche Sanktionsandrohung nur bei einem geringen Teil der Jugendlichen wirksam ist".
Gegen die Legalisierung wird eingewendet, daß die Trennung der Märkte für weiche und harte Drogen nicht erreicht und damit die Gefahr, auch an Heroin oder Kokain zu gelangen, nicht reduziert werden könnte. Es ist aber altbekannt, daß der Dealer auf dem Schwarzmarkt in der linken Tasche das Haschisch und in der rechten Tasche die härteren Stoffe hat, mit denen er mehr Geld verdienen kann, weshalb er sie eben auch in den Handel bringt.
({3})
Und dann schließlich noch ein weiteres Argument: Ich habe noch nicht gehört und auch noch keine Schlagzeile gelesen, daß beispielsweise bekiffte Jugendliche Gewaltüberfälle gegen Ausländer oder sonstige Gewalttaten begehen,
({4})
sondern - und jetzt hören Sie bitte gut zu! - 29000 Gewaltdelikte im Jahre 1995, davon 2300 Totschlagsfälle und 1400 Vergewaltigungen, sind unter Alkoholeinfluß begangen worden. Und an diesem Punkt, spätestens an diesem Punkt wird es doch nicht mehr nachvollziehbar, warum die eine Droge erlaubt ist, gefördert wird, Reklame und Werbung für sie nicht verboten werden und die andere verboten wird.
({5})
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie auch Zuschriften von betroffenen Drogenkonsumenten, Eltern usw. bekommenen. Ich zitiere aus dem Brief der Mutter eines Jugendlichen:
Ist es verantwortbar, weiterhin jugendliche Haschischkonsumenten zu verfolgen, zu bestrafen und soziale Folgeprobleme
- Stichwort Arbeitsplatz, Stichwort Führerschein, was alles dazugehört mit weit höherem Schaden zu schaffen, als sie der meist unproblematische Konsum von Haschisch und Marihuana verursacht?
Ich meine, der Deutsche Bundestag ist in der Pflicht, die Voraussetzungen für eine neue präventive Drogenpolitik zu verbessern und zur Kenntnis zu
nehmen, daß der alte Weg der Kriminalisierung und der Repression nachhaltig gescheitert ist.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hubert Hüppe, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute vorliegenden Anträge und auch die Rede von Herrn Schlauch zur Änderung des BtMG sind ein erneuter Beleg des heillosen Durcheinanders rot-grüner Drogenpolitik. Alle paar Monate werden neue Liberalisierungsvorschläge auf den Tisch dieses Hauses gelegt. Ich darf auch daran erinnern, daß es noch Anfang dieses Jahres diesen Schnellschuß der SPD-Fraktion gab, wonach der Besitz aller möglichen Drogen zum Eigengebrauch in Höhe einer gewöhnlichen Wochenration straffrei gestellt werden sollte.
Auf der einen Seite fordert die sozialdemokratische Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, Frau Heide Moser, ein Werbeverbot für Alkohol und Zigaretten, wofür es aus meiner Sicht sicherlich gute Gründe gibt. Auf der anderen Seite wollte die SPD- Fraktion mit ihrem Antrag das Werben für Heroin und Kokain freigeben. Es folgte dann der etwas unelegante Rückzieher nach massivem Protest aus der Bevölkerung, aber auch aus den eigenen Reihen.
({0})
Heute ist es wieder soweit. Insbesondere der Antrag der Grünen zu Cannabis und Ecstasy macht deutlich, welche Gefahren gerade für Jugendliche in Deutschland entstehen würden, hätte Rot-Grün in der Drogenpolitik das Sagen. So fordern die Grünen heute wieder einmal die Freigabe von Haschisch und Marihuana. Die Grünen wollen immerhin - das muß man zugeben - verbieten, daß Cannabis an Kinder und Jugendliche verkauft wird. Dabei müßte aber auch Ihnen bekannt sein, daß diese Vorschrift bei den legalen Drogen leider nicht dazu geführt hat, daß Kinder diese Drogen nicht bekommen.
Zwar wollen die Grünen die Werbung für Cannabis-Produkte verbieten. Doch wenn Sie das wirklich ernst meinen, Herr Schlauch, dann müßten zuallererst Ihre Begründung und auch Ihre Rede unter dieses Verbot fallen; denn deutlicher als in Ihrem Antrag und in Ihrer Rede kann man Haschisch gar nicht verharmlosen. Sie stellen Cannabis als harmloses Mittel zur Entspannung dar und schreiben, Cannabis rege eher zur Selbstreflexion und Innenschau an. Doch Cannabis ist nicht ungefährlich, und schon gar nicht, wenn es 16jährige nehmen.
Herr Kollege Hüppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlauch?
Ja.
Herr Kollege Hüppe, finden Sie Alkohol - dasselbe gilt für Nikotin - angesichts Zigtausender von Alkoholtoten im Jahr, angesichts des Elends in den Familien, die mit Alkoholabhängigen zu tun haben, wirklich so harmlos? Denken Sie nicht, daß Sie mit einer solchen Feststellung die Droge Alkohol in einem vollkommen unzulässigen Maß bagatellisieren und auf der anderen Seite Cannabis als etwas dämonisieren, was die deutsche Volksgesundheit nachhaltig erschüttert? Ich glaube, das paßt nicht zusammen.
({0})
Ich weiß jetzt nicht, ob das eine Feststellung oder eine Frage war.
({0})
Es ist überhaupt keine Frage, daß Alkohol eine gefährliche Droge ist. Ich habe noch letzte Woche dafür gesorgt, daß die Selbsthilfeverbände Unterschriften zur Bekämpfung von Alkohol an den Gesundheitsminister übergeben konnten.
({1})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden, Herr Singer. - Dabei hat Herr Seehofer deutlich gemacht, daß er sich zum Beispiel für eine Rückführung der Alkoholwerbung im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen einsetzen wird. Da sind wir uns einig. Wir müssen auch den Mißbrauch von Alkohol bekämpfen. Aber Sie können doch nicht, wie Sie es gerade getan haben, sagen: Weil die eine Droge gefährlich ist, müssen wir die andere auch noch zulassen. Das aber tun Sie.
Lassen Sie mich einige Gründe aufzählen, warum weder eine Freigabe von Haschisch noch die von anderen illegalen Drogen anzustreben ist. Die gängige Verharmlosung von Cannabis als weiche Droge ist irreführend und angesichts der pharmakologischen und medizinischen Wirkungen verantwortungslos. Cannabis ist ein variables Gemisch von psychotropen, toxischen und in ihrer Wirkung und Interaktion zum Teil völlig unerforschten Komponenten. Der Wirkstoff THC verweilt wochenlang im Körper, was unter anderem dazu führt, daß auch Gelegenheitskonsumenten lange Zeit nicht drogenfrei sind. Cannabis schädigt vor allem das zentrale Nervensystem, die Lunge und das Immunsystem. Bei Schwangeren wird auch der Fötus mitbetroffen. Vor diesen individuellen körperlichen Schäden kann nicht nachdrücklich genug gewarnt werden. - Diese richtigen Feststellungen stammen nicht von mir, sondern sie stammen von Herrn Singer in der Ausgabe „Drogen-Report" von vor einem Jahr. Herr Singer, ich frage Sie: Warum haben Sie diese gefährlichen Nebenwirkungen und Wirkungen von Cannabis nicht bei der Diskussion, bei der es um Hasch in Apotheken ging, genannt? Das ist keine ehrliche Politik.
In bezug auf die schleswig-holsteinischen Haschischpläne kann man nur noch feststellen: Der Prophet bleibt ungehört im eigenen Lager.
Meine Damen und Herren, da gerade noch einmal die Gefahr von Alkohol angesprochen worden ist
- Sie sprechen ja von leicht halluzinogener Wirkung und entspannender Wirkung -, frage ich Sie, Herr Schlauch: Wissen Sie denn, was es bedeutet, wenn ein leicht entspannter Fahrer, von halluzinogener Wirkung beeinträchtigt, Auto fährt? Wollen Sie zu den Gefahren, die Sie ja mit Recht genannt haben, diese Gefahren im Straßenverkehr zusätzlich haben?
- Mit uns nicht!
Weil Sie es eben nicht angesprochen haben - Sie werden schon Ihre Gründe dafür haben -, will ich noch auf den zweiten Punkt Ihres Antrags eingehen. Da geht es nämlich um den Bereich Ecstasy. Sie fordern sogenannte Schnelltests, wovon man sich nach Ihrem Antrag verspricht, Gefährdungen auszuschließen.
Dabei verschweigen die Grünen aber, daß solche Tests nur bekannte Substanzen aufspüren können. Die illegal hergestellten Tabletten enthalten jedoch eine Vielzahl ständig wechselnder Beimischungen, so daß eine vollständige Analyse gar nicht möglich ist.
Außerdem - das steht fest - kann ein Schnelltest lediglich das Vorhandensein, aber nicht die Konzentration eines Stoffes feststellen. Zudem hängt auch die Wirkung jedes Stoffes immer von der Tagesform und vom psychischen und physischen Gesundheitszustand des Konsumenten ab.
Von einer Schadensreduzierung durch solche Tests kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich habe aber auch den Eindruck, es geht gar nicht mehr um Schadensreduzierung, sondern immer mehr um Schadensbegleitung, leider auf immer höherem Niveau.
Es ist einfach falsch, wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, daß die Gefahren von Ecstasy nur in der Überhitzung oder im Kreislaufversagen liegen. Fast die Hälfte der Todesfälle im Jahre 1995 waren auf Selbstmorde zurückzuführen. Das hat mit der Reinheit von Ecstasy überhaupt nichts zu tun, denn die Wirkung von reinem MDMA ist: Was beim Alkohol der Kater ist, ist bei Ecstasy die Depression. Das ist eine der gefährlichen Komponenten von reinem Ecstasy. Deswegen müssen wir es bekämpfen.
Ich würde Ihnen ja noch einiges zugute halten, wenn Sie es nicht selbst besser wissen müßten. Sie hatten selbst eine Tagung, ein Hearing, zum Teil mit denselben Referenten, die wir auch in unserer Fraktion beim Hearing hatten. Diese Experten haben Sie darauf hingewiesen, daß die schlimmste Wirkung von Ecstasy voraussichtlich in den Langzeitschädigungen des Hirns liegt.
Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Meine Damen und Herren, wir wissen, daß auch reines MDMA Psychosen hervorrufen kann, die das ganze Leben hindurch nicht mehr geheilt werden können. Wir wissen, daß Ecstasy längst nicht mehr nur auf bestimmten Partys genommen wird, wie in Ihrem AnHubert Hüppe
trag behauptet wird, sondern inzwischen den Weg auf die Straße gefunden hat.
Wir wissen, daß fast alle Dauerkonsumenten von Ecstasy zusätzlich LSD und/oder reines Amphetamin zu sich nehmen, weil die gewünschte Wirkung nach einer Weile nachläßt. Wir wissen, daß zusätzlich im Chill-out fast immer Cannabis und leider Gottes auch immer häufiger Heroin geraucht wird, um vom E- Film wieder herunterzukommen.
Wir wissen, daß die Erstkonsumenten immer jünger werden und inzwischen auch Zwölf- bis Dreizehnjährige zu den Pillen greifen.
Obwohl Ihnen dies alles hinreichend bekannt sein müßte, bezeichnen Sie in Ihrem Antrag Ecstasy als weiche Droge. Das ist unehrliche Politik und vor allen Dingen gefährliche Politik, meine Damen und Herren.
Wenn Sie, Herr Schlauch, und Frau Knoche dann noch sagen - das haben Sie vor zwei Wochen getan, zumindest liegt mir eine Agenturmeldung darüber vor -, so etwas sollte in Coffee-Shops und Apotheken verteilt werden, was ist denn das überhaupt für eine Politik?
Bei jedem Stoff, bei jedem Medikament, bei jedem Lebensmittel, bei jeder Chemikalie sind Sie für ein Verbot, wenn nur der leiseste Verdacht einer Gesundheitsschädigung aufkommt. Aber bei dieser Droge meinen Sie, man könne sie über Apotheken und Coffee-Shops verkaufen. Das kann ich nicht mehr nachvollziehen. So eine Politik macht die CDU/ CSU auch nicht mit.
Als letztes darf ich noch einige Worte zu dem Antrag sagen, der uns heute außerdem vorliegt, nämlich zu der Initiative des Bundesrates. Dabei muß ich sagen: Dieser hat schon eine andere Qualität, und zwar deshalb, weil man bewußt - so steht es zumindest in dem Antrag - auf die Bezeichnungen „Gesundheitsraum" und „Fixerraum" verzichtet hat.
Dazu scheint die Tatsache geführt zu haben, daß inzwischen auch SPD-regierte Länder wissen, daß die Akzeptierung des Gebrauchs von Heroin zum Beispiel nichts mit Gesundheit zu tun hat.
Trotzdem muß man sagen: Auch hier wird die Unehrlichkeit der Antragsteller deutlich; denn als im Bundesrat im Mai darüber debattiert wurde, hat die hier anwesende SPD-Senatorin von Hamburg gleich am Anfang folgenden Satz gesagt:
Ziel ist es, klarzustellen, daß der Betrieb und die Nutzung sogenannter Gesundheits- oder Fixer-räume in Zukunft strafrechtlich freigestellt werden.
({2})
Wenn Sie das wollen, dann schreiben Sie es auch in Ihren Antrag. Aber zu schreiben, Sie wollen es nicht, und in der Begründung zu sagen, Sie wollen es doch, das zeigt Ihr Durcheinander, das zeigt die Qualität Ihrer Politik, die nicht mehr weiß, was sie überhaupt will. Das ist deutlich geworden; mehr Beweise kann es gar nicht geben.
Sie schreiben weiter, mit diesen Räumen wollen Sie Betroffenen zur Nichtabhängigkeit verhelfen. Es gibt keinen bekannt gewordenen Fall, daß der Nutzer eines Fixerraums drogenfrei geworden ist. Lesen Sie die Indro-Studie über Frankfurt, die von der Stadt selbst in Auftrag gegeben worden ist und die überhaupt nicht im Verdacht steht, unserer Politik Handreichungen zu geben. In der Studie ist kein derartiger Fall genannt, obwohl auch damals in Frankfurt gesagt wurde, das sei Ziel dieser Fixerräume. Das ist nicht geschafft worden.
Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Unser Ziel ist nicht die Akzeptanz von Drogen. Wir müssen die Drogen bekämpfen, auch die legalen Drogen. Da werden Sie auch in mir einen Mitstreiter finden. In jeder Fraktion gibt es widerstreitende Meinungen; die Meinungen sind übrigens auch in der SPD-Fraktion unterschiedlich.
Wir setzen weiterhin auf differenzierte Hilfe, wir wollen Wege aus der Sucht finden. Dem dient unser Modellprogramm, mit dem wir versuchen, auch für langjährig Abhängige einen Weg aufzuzeigen, indem man die individuelle Situation berücksichtigt. Aber eine Politik, der es nur darum geht, ordnungspolitisch zu handeln, damit man die Süchtigen von den schönen Schaufenstern wegbekommt, und diese Politik dann noch human zu nennen, meine Damen und Herren, machen wir nicht mit. Wir gehen den Weg der Hilfe und nicht den der Akzeptanz.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Frau Senatorin Helgrit Fischer-Menzel, Hamburg.
Senatorin Heigrit Fischer-Menzel ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat beantragt mit der Ihnen vorliegenden Drucksache eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes mit dem Ziel, Träger und Mitarbeiter von Drogenhilfeeinrichtungen nicht strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie ihren Mienten dort den Konsum von mitgebrachten Drogen gestatten.
Nach bisheriger Rechtslage ist der Betrieb dieser sogenannten Konsum- und Fixerräume zumindest strittig. Herr Hüppe, Sie erwähnten die Wortwahl. Wir haben hier inzwischen ein ganzes Spektrum von Begriffen: Konsum-, Gesundheits- oder Fixerräume. Gemeint ist damit, daß in Drogenhilfestellen für diese legal eine mitgebrachte Droge auch konsumiert werden kann. Daß dieses strittig ist, zeigt sich in der unterschiedlichen Handhabung in der Bundesrepublik. Auf das Beispiel Frankfurt haben Sie selber hingewiesen. Insofern bedarf es also hier dringend einer gesetzlichen Klarstellung, die gemäß § 29 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes vorgenommen werden soll.
In der Sache selbst geht es um eine Verbesserung der hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen, unter denen Drogenabhängige ihre Drogen konsumieren. Dabei sind sich wohl alle - davon gehe ich erst einmal aus - einig, daß die Aufnahme einer
Senatorin Heigrit Fischer-Menzel ({1})
Abstinenztherapie oder der Beginn einer Methadonbehandlung der beste Weg des Gesundheitsschutzes und der Verbesserung der hygienischen und psychosozialen Situation von Abhängigen ist. Darüber müssen Sie mit mir und mit uns jedenfalls nicht streiten.
Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus. Es gibt viele drogenabhängige, drogenkranke Menschen, denen derzeit die Kraft und vielleicht auch die Chance fehlt, diesen Weg zu gehen. Sie nehmen Drogen, und sie tun dies oft unter den miserabelsten Bedingungen - in Parkanlagen, im Gebüsch, in Hauseingängen, in öffentlichen Toiletten und auf öffentlichen Spielplätzen. Sie riskieren ihre Gesundheit nicht allein durch die Drogen, die sie konsumieren, sondern zugleich auch durch die unhygienischen Bedingungen, unter denen sie sich die Drogen applizieren.
Wenn Sie in Hamburg sehen, daß sich ein Drogensüchtiger Wasser aus einer Pfütze oder aus einer Toilette holt, dann müssen eigentlich auch Sie erkennen, daß dieses nicht länger hingenommen werden kann und daß wir dieses eigentlich auch politisch nicht akzeptieren dürfen.
({2})
Die Drogenabhängigen tragen zu einer vor allem in vielen Großstädten oft kaum mehr in den Griff zu bekommenden Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung bei. Sie beängstigen und verunsichern Passanten, Anwohner, Geschäftsleute und gegebenenfalls sogar spielende Kinder. Die gebrauchte Spritze auf dem Spielplatz ist eine Gefahr für die Gesundheit.
Der Versuch, dies ordnungspolitisch und mit repressiven Maßnahmen zu bekämpfen, ist doch gescheitert. Weshalb - Herr Schlauch hat darauf hingewiesen - fordern denn immer mehr Polizeipräsidenten die Politik auf, ihre Drogenpolitik zu ändern und einen neuen Weg zu gehen? Warum schlägt denn inzwischen in Großstädten auch die CDU diesen Weg, den die Sozialdemokraten gegangen sind, ein? Das hängt damit zusammen, daß wir dieses ordnungspolitisch nicht in den Griff bekommen, sondern den Drogenkonsumenten helfen müssen. Sie brauchen unsere Hilfe.
({3})
Diese Hilfe können fachlich betreute Einrichtungen bieten: warme Mahlzeiten, Spritzentausch, Dusch- und Waschmöglichkeiten, fachliche Beratung in sozialen und suchtbezogenen Fragen sowie schließlich kontinuierliche Betreuung und Begleitung während der Zeit, in der die Drogenkonsumenten zum Absprung aus der Drogensucht noch nicht bereit sind. Nur weil sie noch nicht soweit sind, dürfen wir der stark verelendeten Klientel dieser Einrichtungen doch nicht die notwendige Hilfe verweigern und diejenigen, die sich helfend engagieren, dem Risiko der Strafverfolgung aussetzen.
Ein weiterer Punkt ist nämlich, daß die Sozialarbeiter, die dieses in den Drogenhilfeeinrichtungen zulassen, mit einem Bein im Knast stehen und Hilfe zur Zeit überhaupt nur durch Wegsehen, durch das Schaffen eines Graubereiches möglich ist. Diesen Graubereich müssen wir durch eine vernünftige Drogenpolitik beseitigen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber hatte, als er 1972 das Verschaffen und Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Drogengebrauch unter Strafe stellte, keine Drogenhilfeeinrichtungen im Auge, sondern Orte, an denen sich vor allen Dingen jungen Leuten Gelegenheiten zum illegalen Drogenkonsum bieten. Wer öffentlich und unkontrolliert Drogenhandel und -konsum duldet und ermöglicht, gegen den muß die Strafjustiz auch künftig mit aller gebotenen Härte vorgehen. Auch das gehört zu einem neuen drogenpolitischen Weg.
Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, welch spürbare Entlastung die Hilfseinrichtungen für die Allgemeinheit bringen.
({5})
Ich habe gehört, der Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestags werde in den nächsten Wochen nach Zürich fahren. Ich hoffe, daß Sie sich nicht nur den Heroinversuch, sondern auch die sogenannten Konsumstübli anschauen, damit Sie sehen, wie man so etwas auch in Deutschland vernünftig machen könnte. In dieser Form wollen wir es auch; dort erfährt es breite Unterstützung. Ich hoffe, daß wir in unseren Städten nicht eine noch stärkere Verelendung hinnehmen müssen, um endlich so einen Weg einschlagen zu können. Nehmen wir doch Zürich als Vorbild. Ich hoffe, daß es Sie so beeindruckt, daß Sie anschließend sagen können: Ja, das wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland auch.
Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hüppe?
Senatorin Helgrit Fischer-Menzel ({0}): Ja.
Frau Senatorin, wissen Sie, daß nach der Studie aus Zürich, die ich über dieses Modellprojekt gelesen habe - Sie kennen sie ja wahrscheinlich auch -,
({0})
- aber Herr Schily! - 60 Prozent der Teilnehmer, die in das Heroinabgabeprogramm einbezogen wurden, vorher in einem Methadonprogramm waren und aus diesem Projekt herausgeholt worden sind? Würden Sie diesen Weg auch in Hamburg gehen wollen?
Senatorin Helgrit Fischer-Menzel ({1}): Herr Hüppe, das ist doch falsch, was Sie hier sagen.
({2})
- Nein, das steht nicht in dem Bericht. Den Bericht habe ich auch gelesen. In das Heroinprogramm einbezogen sind nur Personen, die Heroin nehmen. Daß einige von ihnen sich illegal auch Methadon besorgt und dieses zusätzlich genommen haben, ist die Wahrheit. Aber deshalb kann man doch Menschen nicht aus dem Heroinprogramm herausnehmen, die genau in dieses Programm hineingehören.
Die Hilfseinrichtungen bieten den Junkies bei Bedarf lebensrettende Soforthilfe. 1500 bis 2000 Drogentote pro Jahr in Deutschland und der Umstand, daß rund drei Viertel dieser Todesfälle ihre Ursache in versehentlichen Überdosierungen haben, unterstreichen ebenso wie die Tatsache, daß rund ein Viertel aller Drogentoten im öffentlichen Raum verstarben, die Notwendigkeit und Bedeutung eines solchen Angebots der individuellen, fachlich betreuten Überlebenssicherung. Schließlich können wir nur diejenigen zum Ausstieg aus der Sucht motivieren, die noch leben. Den Toten können wir nicht mehr helfen.
Der Bundesrat bittet Sie deshalb, dem vorliegenden Gesetzesantrag zuzustimmen. Schaffen Sie für die Länder, die diesen Weg gehen wollen, Handlungsspielräume! Gehen Sie über diese Hürde! Hamburg jedenfalls braucht diesen Weg, um in der Drogenpolitik eine neue Qualität zu gewinnen, damit den Drogensüchtigen und denjenigen, die sie betreuen, geholfen werden kann.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutigen Beratung liegen im wesentlichen zwei Aspekte der Drogenpolitik zugrunde; es sind keine neuen Gesichtspunkte. Der eine ist die Legalisierung von Cannabis, ein Dauerthema der Drogenpolitik, und der andere ist die rechtliche Absicherung von sogenannten Gesundheitsräumen. Ich begrüße die heutige Debatte, denn - das sage ich ganz deutlich - die Drogenpolitik in Deutschland braucht neue Ansätze und Impulse.
({0})
Ein Blick in die Rauschgiftbilanz 1996 macht das deutlich; denn die Zahl der Drogentoten ist erstmals seit 1991 gestiegen; die Zahl der Erstkonsumenten harter Drogen, die von der Polizei aufgegriffen wurden, steigt; und gerade der Konsum von Ecstasy bei
Erstkonsumenten verzeichnet einen Anstieg um 29 Prozent, also zirka ein Drittel.
Diese Rauschgiftbilanz zeigt zweierlei: Die bisher von der Bundesregierung verfolgten Konzepte haben nicht in dem gewünschten Umfang Ergebnisse gezeigt, und eine Säule des Regierungskonzeptes im Kampf gegen die Drogensucht, nämlich die Prävention durch Aufklärung, wirkt bisher nicht ausreichend, wofür nicht nur der Anstieg bei den Erstkonsumenten harter Drogen spricht, sondern gerade der Anstieg bei den Erstkonsumenten weicher Drogen und der besorgniserregende Anstieg des Verbrauchs von Ecstasy.
Deshalb müssen wir auch über Änderungen in der Drogenpolitik reden; denn niemand hier im Haus wird die Auffassung vertreten, daß eine Prävention durch Aufklärung entfallen könnte, im Gegenteil. Wir brauchen deshalb neue Aufklärungskonzepte und mit Sicherheit eine bessere Erforschung der Gründe, warum Jugendliche zunehmend zu Ecstasy, aber auch zu den verschiedensten Amphetaminpräparaten greifen.
Auch ist nicht ausreichend geklärt, ob es sich bei dem Konsumverhalten nur um eine jugendbedingte Erscheinung handelt, die mit zunehmendem Alter kaum oder keine Rolle mehr spielen wird, oder um eine Erscheinung, die Konsumenten möglicherweise auch im Alter begleitet. Auch wenn viele Untersuchungen darauf hindeuten, daß der Konsum weicher Drogen nicht den Charakter eines Einstiegs in den Konsum harter Drogen hat, ist dennoch der Konsum dieser Drogen, aber auch gerade von Ecstasy - das ist unbestritten - gefährlich genug, um alle Anstrengungen zu unternehmen, ihn zu reduzieren.
({1})
Wir wollen nicht mehr, sondern wir wollen weniger Drogen. Als stereotype Reaktion reicht es nun nicht aus, immer wieder die Legalisierung von Cannabis zu fordern; denn auch wir wissen um Nachteile und Gefährdungen, die damit verbunden sind.
({2})
Das führt immer zu Glaubensbekenntnissen, die es erschweren, über vernünftige drogenpolitische Ansätze nachzudenken und sie zu diskutieren. Natürlich darf es auch keinerlei Dämonisierung geben.
Eine andere Frage ist, ob statt der Legalisierung nicht eine Entpönalisierung eine drogenpolitisch sinnvolle Maßnahme wäre. Zumindest könnte sie der Polizei Spielräume eröffnen, dort konsequent durchzugreifen, wo mit Drogenhandel Geschäfte betrieben
({3})
und bisher drogenfreie Jugendliche zum Drogenkonsum angeregt und verleitet werden.
Deshalb müssen sich die Länderjustizminister endlich darauf einigen, wann Drogenbesitz im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von vor mehreren Jahren nicht unbedingt strafrechtlich zu verfolSabine Leutheusser-Schnarrenberger
gen ist, da es sich um den Besitz von weichen Drogen zum Eigenkonsum handelt. Nach wie vor besteht hier in den südlichen und den nördlichen Bundesländern eine sehr unterschiedliche Praxis, und damit ist die Unsicherheit der Jugendlichen groß, welche Maßnahmen der Strafverfolgung die Polizei praktiziert. Ich denke nicht, daß man damit gerade den Jugendlichen hilft.
({4})
Generell ist die F.D.P. der Auffassung, daß unser Betäubungsmittelgesetz daraufhin überprüft werden sollte, ob als drogenpolitisch sinnvoll angesehene Maßnahmen nicht schon daran scheitern, daß der Besitz und die Abgabe, auch die in bestimmten Projekten kontrollierte Abgabe durch den Staat für die zum Eigenkonsum bestimmten Drogen generell strafbar ist bzw. immer bestraft werden muß. Mit anderen Worten: Wir dürfen uns nicht durch das starre Festhalten am Prinzip des Bestrafens zweckmäßige Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Linderung der Drogenabhängigkeit und ihrer gesundheitlichen und psychischen Folgen verbauen.
Die Einrichtung von sogenannten Hygieneräumen sollte deshalb auch nicht von vornherein und pauschal abgelehnt werden. Wir wissen von der rechtlichen Unsicherheit der derzeitigen Zulässigkeit der Einrichtung solcher Drogenberatungs- und -hilfestellen. Deshalb lohnt es sich sehr wohl, darüber nachzudenken, unter welchen Voraussetzungen man diesem Gedanken nähertreten kann.
({5})
Wir müssen die Hilferufe vieler Polizeipräsidenten aus Ballungsräumen ernst nehmen, die mit den geltenden rechtlichen Regelungen in zunehmendem Maße nicht mehr zurecht kommen, um den Problemen in ihrem Zuständigkeitsbereich Rechnung zu tragen.
({6})
Ich glaube, das muß uns alle aufrütteln und für uns
ein Anreiz sein, nach vernünftigen Wegen zu suchen.
Das gilt auch für die ärztlich kontrollierte und sozialbetreute Abgabe harter Drogen an Schwerstabhängige, an diejenigen Menschen, die verelenden, an die man mit anderen Programmen nicht herankommt.
Wir sind deshalb der Meinung, daß der Modellversuch, der derzeit in der Schweiz betrieben wird, von uns sehr intensiv begleitet und, wenn die endgültigen Ergebnisse und auch eine Bewertung der Weltgesundheitsorganisation vorliegen, beraten werden muß. Ich könnte mir gut vorstellen - dazu gibt es schon verschiedene Vorschläge -, daß wir dann doch dem Ansatz nähertreten können und solche Modellvorhaben unter strengen Vorgaben und strenger ärztlicher Kontrolle und Sozialbetreuung durchführen werden.
Was wollen wir denn tun, um diese Gruppe von Menschen zu erreichen? Ich verstehe es als einen Grundsatz der Drogenpolitik der Koalition, daß man
überlegt: Wie kann man Schwerstabhängigen Hilfe leisten?
({7})
Ich werbe deshalb dafür, auch weil jetzt viel in Bewegung ist, daß wir uns heute nicht davor verschließen, über andere und neue Ansätze in der Drogenpolitik nachzudenken. Ich darf hier für die F.D.P. ankündigen, daß wir uns auf einem drogenpolitischen Kongreß Anfang Juni mit all diesen Fragen, unterstützt durch Experten - aus dem Ausland -, beschäftigen werden. Wir hoffen, damit einen sinnvollen Beitrag zu einer vernünftigen Beratung und zu einer vorsichtigen Weiterentwicklung in der Drogenpolitik leisten zu können.
Vielen Dank.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS unterstützt das Anliegen in dem Antrag der Grünen, Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz zu streichen. Das entspricht in etwa den Anträgen, die wir bereits in der letzten, aber auch in dieser Legislaturperiode eingebracht haben und die abgelehnt worden sind. Denn die Legalisierung von Cannabis - sowohl von Anbau als auch von Gebrauch- halten wir für ausdrücklich notwendig.
({0})
In der Wissenschaft besteht weitgehende Übereinstimmung, daß der Konsum von Cannabis keine körperlichen Abhängigkeiten hervorruft.
({1})
Aus heutiger Sicht sind die von Cannabis ausgehenden Gesundheitsgefahren - auch die psychischen -, Herr Hüppe, als gering zu bewerten. Diese Feststellungen stammen nicht von mir, sondern vom Bundesverfassungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich auch zu der Frage der Trennung des Marktes von „harten" und „weichen" Drogen. Im Urteil heißt es:
Nur 2,5 Prozent der Haschischkonsumenten gebrauchen auch andere unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Drogen.
Nur 2,5 Prozent, Herr Hüppe!
({2})
Zum sogenannten Umsteigeeffekt stellte das Karlsruher Gericht fest, daß die „Einheitlichkeit des Marktes" für Heroin und Cannabis Folge der herrschenden Kriminalisierungspolitik ist.
Einen letzten Gedanken aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil möchte ich den Antidrogenideologen der Union gerne ins Stammbuch schreiben: Das Verfassungsgericht fragt nämlich, ob die negativen psychischen Erscheinungen, die Sie den Cannabis-Konsumenten so gerne andichten, nicht viel eher gesellschaftliche Ursachen haben, daß sie also dem ersten Joint vorausgehen. Ich glaube, Sie sollten das Urteil genau hinterfragen und genauestens interpretieren.
({3})
Die Herangehensweise an die Ecstasy-Frage, wie sie in dem Grünen-Antrag beschrieben ist, ist meiner Meinung nach nicht besonders gut gelungen. Richtig ist, daß Ecstasy und andere Designerdrogen im Betäubungsmittelgesetz nichts zu suchen haben. Das Konzept von behördlichen „Analysen" des Stoffs auf freiwilliger Basis erscheint mir jedoch der Realität nicht angemessen. Ich meine, daß ein in sich geschlossenes Konzept die beste Lösung wäre, die wir in unserem damaligen Antrag dargelegt haben: eine Abgabe sauberer Substanzen über kontrollierte Stellen, verbunden mit einer Aufklärung, die -übrigens eine andere Aufklärung als die in Form alberner Hochglanzbroschüren, wie sie der Bundesdrogenbeauftragte, Herr Lintner, herausgibt - tatsächlich in der Lage ist, das Zielpublikum zu erreichen.
Im übrigen begrüßen wir den Antrag des Bundesrates. Mit großem Interesse stellen wir fest, daß die SPD konzeptionelle Veränderungsprozesse durchmacht. Die Abkehr von einer bornierten Verbotspolitik, an die sich die Bundesregierung klammert wie Ertrinkende an einen Strohhalm, ist wirklich erfreulich, auch wenn mancher in der SPD-Fraktion - nicht wahr, Herr Singer? - beim Vorstoß von Frau SchaichWalch letzten Oktober doch Muffensausen hatte.
Fixerstuben sind notwendig, auch wenn der Bundesrat das mit entsprechenden Begriffen geschickt bemäntelt. Die Senatorin Fischer-Menzel hat hier bereits erläutert, was damit gemeint ist.
Ich rate den Verbotsideologen und Ihnen, Herr Hüppe: Verlassen Sie doch einmal Ihre gepolsterten Abgeordnetensessel, und gehen Sie wirklich einmal nach St. Georg in Hamburg, wo ich nämlich herkomme.
({4})
Schauen Sie sich einmal an, unter welchen Bedingungen Junkies dort gezwungen sind, sich die von ihnen benötigten Substanzen zu verabreichen. Die Senatorin hat hier schon einige Beispiele dafür genannt, wie die Bedingungen sind. Wenn Sie in St. Georg mit den Betroffenen wirklich einmal reden sollten, dann werden Sie feststellen: Sie finden es keineswegs lustig, daß sie ständig Angst vor der Polizei haben müssen und sich unter stressigen Bedingungen mit verdreckten Nadeln in inzwischen vereiterte Venen auf der Straße die Spritze setzen müssen.
Ich kann von meinem Arbeitszimmer zu Hause aus beobachten, wie auf einem kleinen Parkplatz, der vor einem Spielplatz liegt, Drogenabhängige jeden Tag
drücken, weil sie offensichtlich keine anderen Ecken finden. Das ist beispielsweise in Hamburg-Altona so.
Diese Leute, die Betroffenen, die sozial und gesundheitlich Verelendeten, kommen bei Herrn Lintner, aber leider auch in Ihrem Beitrag, Herr Hüppe, überhaupt nicht mehr vor.
({5})
Aus der Gegenäußerung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates wird im Gegenteil deutlich, daß Ihnen selbst die Verringerung des Gesundheitsrisikos beim Drogenkonsum gleichgültig ist.
Herr Lintner und Herr Hüppe, ich schlage Ihnen vor: Sagen Sie den Betroffenen dochmal offen ins Gesicht, daß Sie diese Menschen eigentlich abgeschrieben haben und daß Ihnen das Schicksal dieser Menschen völlig schnuppe ist!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Erfreuliche an der heutigen Debatte ist, daß wir über das Thema Drogenpolitik dort diskutieren, wo es hingehört, nämlich im Deutschen Bundestag. Die Drogenpolitik der Bundesregierung stützt sich auf das Betäubungsmittelgesetz und damit zugleich auf die internationalen Suchtstoffübereinkommen und die Programme der weltweiten Drogenkontrolle. Deshalb ist das Parlament der Ort, an dem über diese Fragen entschieden werden muß.
Es kann nicht sein, daß einzelne Länder oder Städte mit den gesetzlichen Grundlagen der Drogenpolitik nach ihren unterschiedlichen Vorstellungen umgehen, wie dies mit den Fixerstuben in Frankfurt leider geschieht
({0})
oder wie dies mit dem Vorschlag der Freigabe von Cannabis in einem Modellprojekt von SchleswigHolstein zur Zeit versucht wird.
({1}) Das Betäubungsmittelgesetz gibt das nicht her.
Wir debattieren heute über zwei Vorlagen, deren Umsetzung eine Abkehr von der bisherigen Drogenpolitik der Bundesregierung bedeuten würde. Im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, eine Gesetzesinitiative für die Legalisierung von Cannabisprodukten und für den straffreien Umgang mit Ecstasy für Konsumzwecke zu ergreifen.
Die Bundesregierung, Herr Schlauch, wird das schon deshalb nicht tun, weil sie damit allen internationalen Übereinkommen zur Drogenpolitik widersprechen würde. Für eine Legalisierung wäre die Kündigung dieser Verträge erforderlich. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das zu tun - ich glaube, ganz im Gegenteil.
Deutschland wäre in der Drogenpolitik völlig isoliert; denn keiner der immerhin 150 Vertragsstaaten ist diesen Weg bisher gegangen. Wir wären sicherlich nicht gut beraten, wenn wir im In- und Ausland den Eindruck erwecken würden, Vorreiter für einen Ausstieg aus diesem weltweiten Konsens zu sein.
Auch der gern gebrauchte Hinweis auf die Niederlande hilft hier nicht weiter. Auch dort ist weder der Besitz von Cannabis noch der von Ecstasy legal. Die Niederlande sind mit ihrem Versuch, in den Suchtstoffübereinkommen eine Ausnahmeregelung für Cannabis zu erreichen, gescheitert.
Ein Blick zu unserem Nachbarn zeigt vor allem, daß die dort praktizierte Duldungspolitik für Cannabis gescheitert ist. Auf Druck der Bevölkerung und nach entsprechenden Beschlüssen des Parlaments will die Regierung die Zahl der Coffee-Shops gerade deshalb drastisch reduzieren, die Kontrollen verschärfen und die Abgabemenge pro Tag auf 5 Gramm begrenzen, weil in diesen Shops und in ihrer unmittelbaren Nähe mit Ecstasy, Heroin und anderen harten Drogen gedealt worden ist.
Im übrigen, Herr Schlauch: Schauen Sie sich doch einmal die Umfragen in der Bevölkerung an. Auch sie will keine Freigabe. Haben Sie sich von den Bürgern schon so weit entfernt, daß Sie das nicht mehr wahrnehmen?
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlauch?
Ja.
Bitte.
Über Umfragen zu streiten, halte ich für ziemlich müßig. Ist es Ihnen entgangen, daß beispielsweise in Kalifornien, einem der konservativsten Staaten der USA, eine Liberalisierung von Haschischkonsum, also Marihuanaprodukten, per Bürgerentscheid mit weit über 50 Prozent durchgesetzt worden ist? Sie können sich auf Ihre These, daß das nicht akzeptiert ist, für meine Begriffe nur sehr schwer berufen.
({0})
Herr Schlauch, ich könnte mich damit herausreden, daß Amerika sehr weit von uns entfernt ist. Es verwundert mich
aber schon, daß man gerade in Amerika, wo man ganz rigoros und restriktiv gegen Raucher vorgeht, Haschisch freigibt. Das halte ich für abenteuerlich.
({0})
Meine Damen und Herren, fest steht, daß die Niederlande zu einem Hauptumschlagsplatz für Ecstasy in ganz Europa geworden sind. Fest steht auch, daß aus Cannabis-Konsumenten neue Ecstasy-Konsumenten geworden sind. Dies ist nur eine mögliche Folge einer Freigabe von Cannabis.
Der wesentliche Grund, warum alle Staaten Cannabis weiterhin als illegale Droge einstufen, ist die in mehreren Gutachten aus jüngster Zeit erneut bestätigte gesundheitsschädigende Wirkung seiner Inhaltsstoffe. Es ist deshalb Schlichtweg falsch, wenn in dem Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen behauptet wird, daß - ich zitiere - „selbst bei einem Langzeitgebrauch von Cannabis ... kaum psychische oder physische Gesundheitsschäden beobachtet worden" seien.
Schon in dem oft, auch heute zitierten HaschischBeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom März 1994 werden auf Grund einer umfassenden Literaturauswertung zahlreiche Gesundheitsschäden und das Auftreten einer psychischen Abhängigkeit von Cannabis, insbesondere bei Langzeitgebrauch, genannt. Selbst das dem Antrag von Schleswig-Holstein zur Legalisierung von Cannabis beigefügte Gutachten räumt unter anderem - das scheint Frau FischerMenzel nicht wahrgenommen zu haben - „gesicherte Schäden", „akute toxische Psychosen" und „Lungenschäden" ein.
Es ist mir deshalb ein völliges Rätsel, wie man vor diesem Hintergrund die Legalisierung von Cannabis auch noch unter das Firmenschild „Humanisierung" stellen kann. Was ist das eigentlich für ein Verständnis von Humanisierung, wenn Gesundheitsgefahren verschwiegen werden? Wer Drogen legalisieren will, stiehlt sich aus der Verantwortung, auch aus der Verantwortung für die Gesundheit der Menschen.
({1})
- Sie dürfen nicht immer nur das lesen, was Sie lesen und glauben wollen, sondern sollten auch einmal das lesen, was etwas anderes aussagt.
Verharmlosend sind auch die Aussagen zu den Wirkungen von Ecstasy. Ich hoffe, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, daß Sie sich von der traurigen Bilanz von 20 Todesfällen nach Ecstasy-Konsum und einem Vielfachen an klinischen Zwischenfällen im Jahre 1996 eines Besseren haben belehren lassen und diese Aussagen so nicht mehr vertreten. Alles andere wäre aus meiner Sicht unverantwortlich.
({2})
Die Zahlen belegen, daß nicht nur der - ich zitiere „unsachgemäße Umgang" und die „unerkannten
Beimengungen", sondern in erster Linie die Toxizität
von Ecstasy selbst, gerade in reinster Form, ein lebensgefährliches Schadenspotential besitzt.
Meine Damen und Herren, auch die zweite Vorlage, der Entwurf des Bundesrates zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, mit dem die Einrichtung sogenannter Konsumräume für Heroinabhängige legalisiert werden soll, wird von der Bundesregierung abgelehnt. Die bloße Streichung einer Strafvorschrift, die die Ausbreitung der Drogensucht verhindern soll, ist aus meiner Sicht unsinnig.
Ziel der Drogenpolitik muß es statt dessen sein, Drogenabhängigen die Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Heroinkonsum anzubieten,
({3})
nicht aber, ihnen den bisherigen Drogenkonsum zu erleichtern und dadurch ihre Verbindung mit der Drogenszene zu verlängern und zu verfestigen. Genau das sieht aus meiner Sicht der Gesetzentwurf des Bundesrates nicht vor.
({4})
Ich gebe Frau Leutheusser-Schnarrenberger recht: Wir müssen über neue Wege nachdenken.
({5})
Wir müssen überprüfen, ob die Präventionsprogramme greifen. Dazu sind wir ja auch bereit. Aber nun den Umkehrschluß zu ziehen, zu kapitulieren und die Leute einfach konsumieren zu lassen, ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg.
({6})
Meine Damen und Herren, auch Maßnahmen zur Verhinderung des illegalen Drogenhandels in den Konsumräumen oder ihrer Umgebung sind nicht geplant. Der Entwurf unterscheidet noch nicht einmal zwischen sogenannten Schwerstabhängigen, also Drogenkonsumenten, die mit Hilfsangeboten nur noch sehr schwer zu erreichen sind, und anderen, die möglicherweise bereits gute Kontakte zur Drogenhilfe haben und auf dem Weg zum Ausstieg sind. Selbstverständlich ist auch keine Rede davon, daß solche Konsumräume einen Rückfall in die Drogenabhängigkeit provozieren könnten oder andere in ihrem Drogenkonsum bestärken.
Die Bundesregierung lehnt deshalb beide Anträge ab, weil sie im Ergebnis nur dazu führen, die Verfügbarkeit von illegalen Drogen zu vergrößern. Mit einer Präventionspolitik hat das nichts mehr zu tun. Prävention heißt, Sucht und Abhängigkeit der Menschen zu verhindern und denen, die dennoch erkrankt sind, optimale Hilfe für ihre Heilung und Wiedereingliederung zu leisten.
Hierfür ist es aber notwendig, sowohl die Nachfrage als auch das Angebot von Drogen so zu kontrollieren, daß sie ausschließlich für zugelassene medizinische und wissenschaftliche Zwecke verwendet werden und jeder Mißbrauch verhindert wird. Eine Abkehr von dieser Politik würde den Betroffenen
und der Gesellschaft einen nicht kalkulierbaren hohen Schaden zufügen.
Danke.
({7})
Als nächster spricht der Kollege Johannes Singer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wird Sie nicht überraschen, daß ich meine Rede damit einleite, daß ich sage: Ich bin nach wie vor gegen eine Legalisierung und gegen eine Freigabe auch von Cannabis und Cannabis-Produkten.
({0})
- Herr Schlauch, ich will versuchen, das noch einmal ganz kurz zu begründen, weil einige Widerlegungsargumente, so glaube ich, zu kurz gekommen sind.
Ich befinde mich insofern in Übereinstimmung mit dem Fachverband „Drogen und Rauschmittel", der am Montag vor einer Woche seinen 20. Bundesdrogenkongreß abgehalten hat. Diesen Verband - das möchte ich hier einmal feststellen - besuche ich als einziger Bundestagsabgeordneter seit vielen Jahren regelmäßig. Ich habe dort noch nie irgendeinen der sogenannten Drogenexperten der anderen Parteien getroffen. Da sind Drogenberater, Praktiker, Psychotherapeuten, also Leute versammelt, die jeden Tag unmittelbar mit Drogenkonsumenten und -abhängigen zu tun haben. Das ist der zentrale Verband, der den gesamten Sachverstand in der Bundesrepublik in dieser Frage bündelt.
Dort ist man mit der Politik der Bundesregierung sehr unzufrieden, zum Beispiel mit der Einschränkung der Therapiezeiten und der schlechten Präventionspolitik. Was die Freigabe- oder die Legalisierungsdiskussion angeht, sagt man jedoch: Macht als Gesetzgeber nichts, was die Verfügbarkeit und den Zugang zu Rauschmitteln verkürzt oder erleichtert! Das heißt nicht, daß man Konsumenten weiterhin bestrafen bzw. kriminalisieren muß.
Ich habe mich oft genug mit Ministern der amtierenden niederländischen Regierung über die Drogenpolitik unterhalten, so daß ich weiß, daß sie heftig widersprechen würden, wenn man den Niederländern vorwerfen würde, sie hätten mit ihren Coffee-Shops eine Entscheidung für die Legalisierung oder Freigabe getroffen. Das ist ganz und gar nicht der Fall.
Frau Bergmann-Pohl hat recht: In den Niederlanden ist alles genauso illegal wie bei uns. Man geht nur - anders als wir - mit Entscheidungen wie dem diesbezüglichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts sachgerechter und vernünftiger um. Man sagt: Der Besitz geringer Mengen muß strafrechtlich nicht verfolgt werden. Um noch einen Schritt weiterzugehen: Das Bundesverfassungsgericht sagt ja, den Besitz geringer Mengen zu bestrafen verstoße gegen das Grundgesetz, sei unverhältnismäßig.
Herr Schlauch, an einer Stelle muß ich Sie korrigieren. Um das noch einmal klarzumachen: Der reine Konsum von Rauschmitteln war in Deutschland noch nie strafbar. In den meisten Fällen geht dem Konsum aber natürlich der Besitz voraus. Deswegen fällt diese Tatsache nicht so auf.
({1})
- Herr Schlauch, wenn ohne Besitz konsumiert wird, ist dies nicht strafbar. Das wissen Sie ganz genau. Deswegen sprechen Sie nicht vom Konsum.
({2})
- Herr Schlauch, hören Sie doch bitte einmal zu. Eben haben Sie sich mit Recht beklagt, daß Herr Hüppe während Ihrer Rede telefoniert hat; jetzt drehen Sie sich zu Ihren besser aussehenden Banknachbarinnen um.
({3})
Die Präventionspolitik der Bundesregierung ist nach wie vor suchtstoffspezifisch ausgerichtet. Die Kampagne „Keine Macht den Drogen" wird vom Institut für Therapieforschung in München heftig kritisiert bzw. als millionenschwere Vergeudung bezeichnet. Experten fordern seit langem eine suchtstoffunspezifische Präventionspolitik, also eine Präventionspolitik, die auch die legalen Suchtmittel und Drogen einbezieht.
({4})
- Sie machen es eben nicht. Es wird Ihnen doch immer vorgeworfen, daß sich in Sachen Präventionsforschung bisher nichts getan habe und keine wirklichen Fortschritte zu erkennen seien.
({5})
- Wenn Sie, Herr Hüppe, auf die Präventionspolitik der Bundesregierung oder die beklagenswerten Zahlen der Alkoholkranken, derjenigen, die Medikamentenmißbrauch betreiben, und der Nikotinraucher
- diese sind noch gar nicht angeführt worden ({6})
- natürlich bin ich ein Beispiel dafür - verweisen und wenn Herr Hirsch hier im Bundestag von 80 000 Nikotintoten und 40 000 Alkoholtoten pro Jahr spricht, dann sollten wir - so beklagenswert jeder der 1712 Drogentoten ist, uns doch einmal bemühen, die Gewichte wieder richtig einzuordnen. Wir sollten nicht nur Kampagnen fahren, die sich ausschließlich gegen illegale Drogen richten. Es wird nichts gegen Tabakwerbung am Nürburgring und JägermeisterWerbung in den deutschen Fußballstadien unternommen.
({7})
- „Medikamentenwerbung" wirft Frau SchmidtZadel zu Recht ein. - In dem Bereich der Bekämpfung legaler Drogen ist von der Bundesregierung so gut wie nichts unternommen worden. Zu diesem Punkt können Sie kaum etwas sagen.
Die Vorschläge des Bundesrates befassen sich damit, das Elend und die Not von Suchtkranken zu beseitigen. Das hat überhaupt nichts mit Legalisierung oder Freigabe zu tun. Die Vorschläge wollen vielmehr nur das umsetzen, was auch von der CDU angehörenden Polizeipräsidenten gefordert wird: die Heroinabgabe an Schwerstabhängige und die Einrichtung von Gesundheitsräumen. Dem, was von konservativ regierten Ländern wie der Schweiz praktiziert und erprobt wird - ich sage gar nicht, daß der Versuch unbedingt erfolgreich sein muß -, kann man sich nicht verschließen. Wenn ich erlebe, daß die Vorschläge mit unzutreffenden Bezeichnungen diffamiert werden, dann muß ich feststellen, daß wir noch nicht sehr weit gekommen sind.
Ich appelliere an die Grünen und die, die unsere Position nicht ganz teilen, daß wir uns darauf konzentrieren sollten, eine vernünftige Präventionspolitik zu machen. Insofern sollten wir den Beharrenden in diesem Parlament Beine machen, anstatt mit einer Legalisierungsforderung anzutreten, die tatsächlich von einer überwältigenden Mehrheit in der Bevölkerung abgelehnt wird. Mit dieser Forderung erreichen wir nicht viel und lenken nur von dem wahren Problem ab.
Wir sollten uns darum kümmern, daß Therapiezeiten nicht verkürzt werden. Wir sollten Vorschlägen wie dem von Herrn Lintner über eine zwangsweise Beratung und Therapie entgegentreten. Dieser Vorschlag paßt „prima" mit der Verkürzung der Therapiezeiten zusammen: Die Kliniken für Entgiftung haben weniger Platz und weniger Zeit, um sich um die Suchtkranken zu kümmern. Gleichzeitig wird von der Bundesregierung gefordert: Wir müssen eine zwangsweise Beratung und Therapie haben. Wie das funktionieren kann und zusammenpaßt, begreife ich nicht.
Im übrigen sollten wir aufhören, uns in den Parteien unterschiedliche Positionen in der Drogenpolitik vorzuhalten. Unterschiedliche Positionen gibt es in jeder Partei. Die gibt es auch bei Ihnen, Herr Hüppe. Ich will nicht nur Frau Petra Roth, sondern auch den Oberbürgermeister von Karlsruhe erwähnen. Auf der CDU angehörende Polizeipräsidenten habe ich schon Bezug genommen. Unterschiedliche Positionen werden überall vertreten.
Ich weigere mich, die Freigabe oder Legalisierung als eine besonders linke oder progressive Position darzustellen. Einer der prominentesten Befürworter der Freigabe ist Herr Milton Friedmann. Es paßt zur konservativen Ideologie, wenn man sagt: Laßt diejenigen, die Drogen nehmen, doch kaputtgehen! Wieso hat sich der Staat überhaupt um diese zu kümmern? Was interessiert uns das?
Herr Singer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlauch?
Ja gerne, so bekomme ich ein bißchen mehr Redezeit.
Herr Kollege Singer, das Argument, daß die größere Verfügbarkeit von Drogen ein Anreiz für erhöhten Konsum ist, ist ein sehr ernstes Argument.
Sie wissen genauso gut wie ich, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Haschisch bis jetzt noch nicht überall von Bayern bis SchleswigHolstein umgesetzt ist. Soweit ich weiß, hat Schleswig-Holstein eine Obergrenze für den Besitz von 30 Gramm festgelegt. Im Vergleich zu anderen Ländern ist dies eine ziemlich hohe Freigrenze.
Nach der Logik des Arguments „größere Verfügbarkeit gleich mehr Konsum" müßte es in diesem Land mehr Konsumenten geben. Das ist aber nicht der Fall. Trotz dieser Freigrenze von 30 Gramm ist dort ein Anstieg des Haschischkonsums nicht zu verzeichnen.
War das eine Frage oder eine Kurzintervention?
({0})
Lieber Herr Kollege Schlauch, es gibt leider keine Erhebungen darüber, wie hoch der Konsum in einzelnen Bundesländern in diesem Bereich ist. Andernfalls könnte man dem Argument nachgehen.
Ich will Ihnen Ihre Frage durch einen anderen Hinweis beantworten: Zum Beispiel haben die Niederländer, für deren Drogenpolitik ich sehr viel Sympathie empfinde, im vergangenen Sommer einige kleinere Korrekturen ihrer Drogenpolitik vorgenommen. Dazu gehört eine stärkere Kontrolle der CoffeeShops. Die Niederländer sagen nämlich: Die Trennung der Märkte ist uns nicht ganz gelungen. Dort, wo Haschisch konsumiert wird, wird immer auch mit Heroin gehandelt. Die beiden Märkte können wir nur auseinanderhalten, wenn wir stärker kontrollieren. Trotzdem bleiben sie bei ihren Coffee-Shops. Sie haben aber die Zahl der Coffee-Shops etwas reduziert. Jetzt kommt der entscheidende Gesichtspunkt: Sie sind mit der strafrechtlich nicht verfolgten Menge von bei sich geführtem Haschisch auf 5 Gramm heruntergegangen.
Das wäre genau die Menge, die ich von SchleswigHolstein bis Passau auch für die richtige halten würde, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und auch der tatsächlichen Lage in der Praxis Rechnung trüge.
Damit ist der nächste Gesichtspunkt angesprochen. Wir machen uns eine Illusion. Sie haben auf die Zahl von 4 Millionen gelegentlicher oder ständiger Haschischkonsumenten hingewiesen. Ich habe auch immer wieder betont, daß es mir fernliegt, Haschisch zu dämonisieren. Es ist nicht ganz so ungefährlich wie Alkohol, aber auch nicht so wahnsinnig gefährlich, wie einige vorgeben, denn sonst müßten aus diesen 4 Millionen Haschischkonsumenten 4 Millionen Abhängige von harten Drogen werden, und das passiert ja Gott sei Dank nicht. Es sind eben nur das sind natürlich immer noch zu viele - 150 000 bis 200 000 Schwerstabhängige.
Die 4 Millionen Konsumenten von Haschisch zeigen, daß es bei uns völlig problemlos ist, an jeder Straßenecke an Hasch heranzukommen, und die Preise dermaßen niedrig sind, daß jeder Schüler sie vom Taschengeld bezahlen kann.
Im Bereich des Besitzes geringer Mengen von Haschisch haben wir praktisch die Situation der Straffreiheit. Ich möchte erreichen, daß die Polizei nicht wie bisher in jedem Fall eines Aufgriffs eine Akte anlegen und diese der Staatsanwaltschaft schicken muß, die dann das Verfahren nach § 31 a BTMG einstellt. Da passiert doch nichts; es wird doch nicht angeklagt. Außer vielleicht in einigen ländlichen Gebieten von Bayern wird nirgendwo in der Republik mehr angeklagt oder bestraft. In diesem Bereich des Besitzes zum eigenen Verbrauch passiert eben nichts mehr, und deshalb sollte man auch so konsequent und so ehrlich sein zu sagen, wir entlasten unsere Polizei- und Justizbehörden
({0})
und konzentrieren deren Verfolgungskapazitäten auf die großen Händlerorganisationen, wobei zu sagen ist, daß durch Verweigerung von Lauschangriffen und Beweislastumkehr alles blockiert, alles zurückgefahren wird und auf diese Weise Deutschland zu einem Paradies der Drogenbarone und der internationalen Geldwäscherkriminalität gemacht wird.
Herzlichen Dank.
({1})
Letzter Redner in der Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will, um die Debatte nicht zu verlängern, lediglich einige Stichworte aufgreifen; denn auch die heutige Debatte hat gezeigt, daß es eine Tendenz gibt, vorhandene Fakten beharrlich einfach nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, Herr Schlauch.
({0})
Wenn man sich hier immer wieder auf die Schweiz oder auf die Niederlande oder weiß Gott welche Beispiele beruft, dann muß ich Ihnen sagen: Ihnen stehen nur die gleichen Unterlagen wie uns zur Verfügung, und sogar unter wirklich kritischer Selbstkontrolle bin ich nicht in der Lage, in einem dieser Länder hinsichtlich der Belastung durch Drogensüchtige eine bessere Bilanz als in der Bundesrepublik Deutschland zu erkennen.
({1})
Weil wir dem eigenen Urteil nicht glauben sollen, haben wir das heute hier bereits genannte Institut für Therapieforschung beauftragt, einmal zu bewerten, wie sich die Erfolge der deutschen Drogenpolitik international einordnen.
Meine Damen und Herren, wir stehen, was die Belastung durch Drogen angeht, an drittletzter Stelle. Besser ist es also nur noch in Schweden und in Norwegen. Ich glaube, das ist ein Vergleich, der berechtigt ist und der zeigt, daß wir uns in der Drogenpolitik gar nicht so schlecht darstellen, wie es hier immer wieder behauptet wird, ganz abgesehen davon, daß natürlich jeder Drogentote beklagenswert ist und möglichst vermieden werden sollte.
Es ist ja mittlerweile glücklicherweise geklärt - auch durch das, was Herr Singer hier gesagt hat -, daß natürlich jede Erleichterung des Zugriffs zu solchen Substanzen die Zahl der Konsumenten vermehrt, den Konsum intensiviert und es auch denjenigen, die mittlerweile in der Sucht verhaftet sind, deutlich schwerer macht, sich wieder aus der Sucht herauszuarbeiten.
Mich wundert nur, wie inkonsequent die Gedankengänge dazu sind. Ich denke etwa an Frau Moser aus Schleswig-Holstein, die einerseits auf dem Wege der Abgabe von Haschisch über Apotheken den Zugriff erleichtern will, gleichzeitig aber an einem Beschluß mitgewirkt hat, Zigarettenautomaten um Schulen herum abzubauen, weil sie hier den Verführungseffekt bejaht. Das paßt doch alles nicht zueinander.
Vielmehr gibt es von der Lebenserfahrung her eigentlich nur die richtige Erkenntnis: Natürlich macht Gelegenheit Diebe. Das stellen wir überall fest. Deshalb haben die Holländer mit ihren Coffee-Shops auch eine mehr als doppelt so hohe Belastung mit Haschischkonsumenten wie die Bundesrepublik. Sie liegt bei uns bei etwa 2,5 Prozent, in Holland bei 4,5 Prozent.
Auch hinsichtlich der Gefährlichkeit gibt es in Holland eigentlich keine Zweifel mehr. In der „Süddeutschen Zeitung" ist einer der ganz großen holländischen Experten dieser Tage zu Wort gekommen. Er sagt, von der Schimäre, daß Haschisch harmlos sei, habe sich die niederländische Diskussion längst verabschiedet. Man stellt nämlich fest, daß mehr und mehr Haschischkonsumenten Beratung in den Suchtberatungsstellen suchen; der Anteil derjenigen, die nach langem Haschischkonsum dort um Hilfe nachsuchen, hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. - Soviel zu dem, was man international zur Einschätzung unserer eigenen Situation gewinnen kann.
Meine Damen und Herren, im übrigen wissen wir alle, daß die sogenannte Trennung der Märkte nicht funktioniert. Das war ein Grund dafür, daß in Holland die Zahl der Coffee-Shops so drastisch reduziert worden ist.
Lassen Sie mich auch noch ein Argument aufgreifen, das ja immer dem Bürger angeboten wird und das eine gewisse Attraktivität hat - das sehe ich auch -, daß nämlich die Kriminalität ausgetrocknet würde.
Da kann man in der Tat schon jetzt auf die Schweizer Verhältnisse zurückgreifen. Immerhin hat der Bericht der Polizei des Kantons Zürich - dort ist ja der Schwerpunkt sowohl der Methadonabgabe als auch der Heroinversuche - einen drastischen Anstieg der Einbruchsdelikte und einen fast 30 prozentigen Anstieg der Rauschgiftdelikte für 1996 ergeben. Ich möchte jetzt gar keine weitergehenden Folgerungen daran knüpfen. Aber wenn das, was uns von Ihnen dauernd verkündet und empfohlen wird, richtig wäre, dann hätte es 1996 diesen Anstieg nicht geben dürfen.
Auch wird behauptet, daß sich die sogenannten Verelendeten, die sonst nicht mehr erreicht würden, dieser Einrichtungen bedienten. Frau Senatorin, wenn Sie den zweiten Zwischenbericht gelesen haben, dann wird Ihnen aufgefallen sein, daß genau diese noch nicht einmal die persönliche Strukturierung aufweisen, um an dem Programm teilnehmen zu können. An dem Programm haben in der Tat vor allem jene teilgenommen, die sich noch in einigermaßen geordneten Verhältnissen befinden, also überhaupt fähig sind, sich beispielsweise an Zeitvorgaben zu orientieren. Deshalb haben die Schweizer festgestellt, daß die sogenannten Schwerstverelendeten, mit denen Sie dauernd für Ihre Ideen werben, von dem Versuch, den Sie hier wiederholen wollen, nicht erreicht worden sind.
Im übrigen bitte ich Sie, einmal darauf zu warten, wie sich die objektiven Ergebnisse in der Schweiz letztlich darstellen; da kann ich der Frau Kollegin nur recht geben. Wir werden uns die Schweizer Ergebnisse kritisch, aber objektiv ansehen. Denn niemand anderes als wir, meine Damen und Herren, ist mehr daran interessiert, alles, was sich als besser als unsere Drogenpolitik in der Welt erweist, hier in Deutschland einzuführen. Nur haben wir dafür bisher noch nichts Verantwortbares gefunden.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4480 und 13/4982 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/4982 soll zusätzlich dem Rechtsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zum Verkauf von fünf ausgemusterten U-Booten der Bundesmarine an Indonesien
Die erste Rednerin ist die Kollegin Angelika Beer.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Keine zwei Wochen ist es her, daß der Urteilsspruch im Mykonos-Prozeß erfolgte. Nun müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung vier einsatzfähige ausgemusterte U-Boote und dazu gleich noch ein Ersatzteillager, nämlich ein fünftes ausgemustertes U- Boot, an das autoritäre Regime des Kanzlerfreundes Suharto liefern will. Die deutschen Außen- und Militärpolitiker haben also ihre Büßergewänder wieder abgelegt und in den Schrank gehängt, der Geschäftsalltag ist zurückgekehrt, das deutsche „Business as usual" mit den Diktaturen und autoritären Regimen in der Welt beginnt von neuem.
Es ist uns inzwischen fast schon peinlich, daß wir die Bundesregierung darauf hinweisen müssen, daß tagtäglich Menschenrechtsverletzungen über die Medien und über Menschenrechtsorganisationen bekannt werden. Gestern meldete dpa zum Beispiel, daß ein weiterer indonesischer Oppositioneller wegen angeblich subversiver Tätigkeiten zu einer vierjährigen Haft verurteilt wurde. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 1996 an einer friedlichen Demonstration gegen die Regierung Suharto teilgenommen zu haben. Erinnern Sie sich? Das waren jene Demonstrationen, die stattfanden, als das indonesische Militär den Einsatzbefehl bekam, gegen friedliche Bürgerinnen und Bürger Indonesiens zu marschieren.
Im Vorfeld des am kommenden Sonnabend beginnenden Wahlkampfes drohte der Sprecher der Sicherheitspolizei - ein Brigadegeneral - bereits damit, zu schießen, wenn es zu weiteren Protestveranstaltungen kommen sollte. Das Demokratieverständnis der liberalen Partei offenbarte der Kollege Westerwelle auf die ihm eigene brillante Art und Weise, als er sich von den friedlich demonstrierenden Kumpels vor der F.D.P.-Parteizentrale in Bonn bedroht fühlte.
Ich möchte einige Tatsachen in Erinnerung rufen, die Sie nur allzu gerne vergessen, sobald die Industrie ihr Interesse daran anmeldet, daß die Bundesregierung eine ihrer geschätzten „Profitbutterfahrten" organisiert.
Es ist bekannt, daß die demokratische Opposition in Indonesien verfolgt und bedroht wird, daß die Demonstrationen mit militärischer Unterstützung aufgelöst und niedergeschlagen werden, daß die indonesische Regierung Ost-Timor völkerrechtswidrig seit Jahren besetzt hält, daß seitdem etwa 200 000 Menschenleben zu beklagen sind - meine Damen und Herren, das ist nicht irgendein Spaß, sondern genau das, was das Bundesverteidigungsministerium ignoriert, wenn es darum geht, neue Waffengeschäfte einzufädeln - und daß die Bundesregierung das Militärregime trotz allem immer weiter unterstützt.
Der Bundesregierung scheint aber nicht bekannt zu sein, daß die UNO-Menschenrechtskommission Indonesien auf Grund der anhaltenden massiven Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor in der letzten Woche verurteilt hat.
({0})
Ebenso scheint sie es zu ignorieren, daß die Kandidatur der Oppositionsführerin Megawati verhindert wurde; sie darf bei den am 29. Mai 1997 bevorstehenden Wahlen nicht kandidieren.
Der Friedensnobelpreisträger und indonesische Oppositionelle José Ramos-Horta hat die Europäische Union aufgefordert, sich aktiv für einen Friedensprozeß in Indonesien einzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung Rechenschaft, ob sie die Vorschläge für eine friedliche Lösung unterstützen will und, falls ja, wie es damit zu vereinbaren ist, daß der Bundessicherheitsrat - es ist peinlich, daß das Auswärtige Amt heute nicht hier vertreten ist ({1})
durch die Legitimierung von weiteren Kriegswaffengeschäften eine aktive Unterstützung des SuhartoRegimes betreibt.
Zum Schluß. Wir befürchten, daß der neue Rüstungsdeal mit diesem diktatorischen Regime ein weiteres Indiz dafür ist, daß zukünftig die bisherige Floskel der sogenannten Sorge um die Menschenrechtssituation in China, im Iran, in der Türkei oder in Indonesien ad acta gelegt wird, um sich offen zu einer von wirtschaftlichen Interessen diktierten Außenpolitik zu bekennen.
Wir fordern Sie auf: Stoppen Sie jegliche Art der Rüstungskooperation mit Indonesien! Beschränken Sie sich nicht auf das Angeln des Kanzlers mit dem Diktator, um neue Geschäfte einzufädeln! Setzen Sie sich für eine Demokratisierung und die Zulassung von Frau Megawati ein! Beenden Sie diesen unkritischen Dialog mit einem Diktator, der Anfang März ankündigte, er werde allen das Genick brechen, die ihn vom Thron stürzen wollen! Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist für dieses Haus nicht tragbar. Die Bundesregierung muß ihre Politik ändern und jede Art der Rüstungskooperation beenden.
Vielen Dank.
({2})
Als nächster spricht der Kollege Erich Fritz.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Beer, das war jetzt sozusagen das Hochamt. Nach diesem Hochamt der feierlichen Deklamation und Appellation kehren wir zur Analyse des Sachverhalts zurück und müssen dann leider die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. In der Wirklichkeit ist es wie immer so, daß sich manches nicht miteinander verträgt und wir es dennoch miteinander in Einklang bringen müssen. Diktatoren leben Gott sei dank nicht ewig, Diktaturen auch nicht.
Wenn wir uns fragen - das haben wir verschiedentlich getan -, wo unsere Sympathien liegen: bei Suharto, Carlos Belo oder José Ramos-Horta, dann ist die Frage entschieden.
Wenn Sie sich die Landkarte anschauen, dann stellen Sie fest: Indonesien ist eine wichtige Region in Asien. Sie ist in einem Gravitationsfeld mit großen Veränderungen. Wenn Sie sich anschauen, was dort im Rüstungsbereich passiert, dann können Sie der Bundesregierung nicht vorwerfen, daß sie sich an dieser massiven Aufrüstung in der Region beteiligt. Im Gegenteil ist die alte, seit Jahren bewährte Politik der Zurückhaltung und der genauen Prüfung eingehalten worden.
Das gilt auch für die U-Boote, von denen jetzt die Rede ist. Es gibt für Indonesien legitime Sicherheitsinteressen. Es gibt bis jetzt noch kein landgängiges U-Boot. Wir sind uns mit Ihrer Beurteilung der Menschenrechtssituation zum größten Teil zwar einig, aber ich glaube doch, daß Sie zugestehen müssen, daß noch nie U-Boote zur Bekämpfung im Inneren und zu menschenrechtsverletzenden Akten beigetragen haben.
Übrigens befinden wir uns dabei in bester Tradition von Regierungen, die von anderer Seite des Hauses geleitet wurden, wo das Motto hieß: Was schwimmt, das geht, und was fährt, geht nicht. Von daher ist die Abwägung der Bundesregierung zu unterstützen. Wir stehen hinter dieser Entscheidung, was überhaupt nichts daran ändert, daß wir die Menschenrechtsverletzungen in Indonesien beklagen und anklagen.
({0})
- Ich sage Ihnen, daß auch im internationalen Rahmen die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage überhaupt nicht in Zweifel steht, wie sich in diesen Tagen noch einmal belegen läßt.
Diese fünf U-Boote ergänzen das, was die Indonesier bisher haben. Es handelt sich um ganze zwei Boote. Sie können also auch nicht von einer Bedrohung in der Region sprechen. Im übrigen gibt es kein Land, das sich von Indonesien bedroht fühlt. Es gibt keine aggressive Außenpolitik dieses Landes. Von daher halten wir dieses Vorgehen für verträglich; ganz abgesehen davon, daß Ihnen auch die Betriebsräte und Belegschaften - ich will das als Argument nicht überbetonen - sagen werden, daß sie zufrieden sind, daß es dort an diesen Booten Arbeiten gibt, bis sie überhaupt exportfähig sind.
Ich glaube, daß dies eine sehr altbekannte Debatte ist und daß wir eigentlich aus den Protokollen vergangener Aktueller Stunden Beiträge der Grünen hätten entnehmen können. Es ist immer der gleiche Zweck und immer wieder der gleiche Ritus. Ich glaube nicht, daß diese Form der Debatten ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung der Menschenrechtssituation in Indonesien ist.
Vielen Dank.
({1})
Herr Kollege Weisskirchen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Fritz, wenn es so ist, daß wir uns einig sind, daß die Menschenrechtssituation in Indonesien nach wie vor äußerst prekär ist und daß, wie wir alle wissen, es Menschen gibt, die gefoltert werden, daß staatliche Aufträge vergeben werden zu morden, daß die politische Opposition unterdrückt wird, daß jedenfalls Teile der Militärs in diesem Unterdrückungsapparat eine leider sehr unrühmliche Rolle spielen, wenn die Bundesregierung dem Beschluß zugestimmt hat, daß die Menschenrechtskommission in Genf am 16. April 1997 einen klaren Beschluß gefaßt hat, wenn das alles stimmt, lieber Kollege Fritz und meine Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, dann müßten Sie im Grunde genommen ganz klar sagen: Dann dürfen wir mit diesem Land und mit diesen Militärs nicht so kooperieren, daß wir ihnen auch noch fünf U-Boote zuschicken.
({0})
Das gilt besonders deswegen, Herr Fritz, weil, wie Sie wissen, am 29. Mai eine Wahlentscheidung ansteht. Wir wissen doch alle, was Wahlkämpfe bedeuten. Wenn sich die Opposition auf friedliche, auf zivile Mittel stützt - wir unterstützen beide -, wie kann es denn dann einen Sinn machen, daß Herr Suharto von der Bundesrepublik Deutschland ein solch deutliches und positives Signal zur Unterstützung seiner eigenen Herrschaft bekommt und daß Sie in dieser Situation die Herrschaft von Herrn Suharto politisch geradezu auch noch unterstützen? Das paßt doch überhaupt nicht zusammen.
({1})
Der europäische Ministerrat verständigt sich seit 1991 darauf - Herr Hoyer kommt gerade herein, er kann das bestätigen -,
({2})
wie es zu einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportpolitik kommen kann. Wir müssen uns auf europäischer Ebene darauf verständigen, einige entscheidende Kriterien immer anzuwenden.
Das erste Kriterium ist: Wie wirken Rüstungsexporte in der externen und regionalen Situation des Käuferlandes? Das mag man teilweise marginalisieren; denn U-Boote - das muß man deutlich sagen - können nicht gegen die demokratische Opposition eingesetzt werden.
Zweitens - das ist das wichtigste Kriterium -: Wie werden in diesem Land die Menschenrechte geachtet? Das allerdings - da sind wir uns einig - ist ein ganz zentrales Kriterium. Wenn Sie wirklich alles verfolgen, was in diesem Lande vorgeht, und wenn Sie Herrn Bischof Belo zuhören würden, dann würden Sie doch ganz eindeutig zu dem Ergebnis kommen müssen: Das, was wir von der Bundesrepublik Deutschland nach Indonesien ausgehen lassen, ist das falsche Signal, nämlich das Herrschaftsinstrument des Militärs von Herrn Suharto zu unterstützen.
Gert Weisskirchen ({3})
Was er von Menschenrechten hält, das haben wir ja in seiner Rede gehört, die er im vorletzten Jahr auf der Hannover-Messe gehalten hat. Er hat davon gesprochen, daß das erste und wichtigste Ziel ist, daß die wirtschaftliche Entwicklung vorankomme, erst danach kämen die bürgerlichen und demokratischen Rechte. Das paßt nicht zusammen. Diese Politik ist verfehlt.
Aus diesem Grunde sage ich: Wer die Menschenrechte so mit Füßen tritt, wie Herr Suharto das macht, und wer die Militärs und sein Herrschaftssystem dabei unterstützt, der - es tut mir leid, das sagen zu müssen - macht in diesem Punkt die falsche Politik. Denn er beteiligt sich daran, daß die Menschenrechte dort verletzt werden.
({4})
Herr Kollege Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik beabsichtigt, fünf ausgemusterte Unterseeboote nach Indonesien abzugeben. Die Grünen haben dies zum Anlaß genommen, für heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Ich kann feststellen, daß die Thematik nicht neu ist, und möchte darauf verweisen, daß wir zu Beginn dieser Legislaturperiode schon in einem ähnlichen Fall hier eine Debatte hatten,
({0})
und zwar auf Grund einer Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Ich will auch feststellen, daß sich seitdem die Sachlage nicht wesentlich verändert hat und daß die Argumente, die heute vor allen Dingen von Frau Kollegin Beer vorgetragen wurden, überhaupt nicht neu, sondern zum Teil abstrus und auch falsch waren.
({1})
Herr Kollege Weisskirchen, wir stimmen ja darin überein, daß die Menschenrechtssituation in Indonesien bzw. in Ost-Timor und auch in anderen Regionen nach wie vor nicht befriedigend ist. Ich weiß, auch die Bundesregierung ist sich dessen bewußt. Aber die Bundesregierung - das müssen Sie ihr doch auch zugestehen - wird weiterhin auf allen Ebenen mit unserer Unterstützung und doch auch mit Ihrer Unterstützung darauf hinwirken, Verbesserungen herbeizuführen.
Der Bundessicherheitsrat - auch das muß man doch zur Kenntnis nehmen - hat im vorliegenden Fall auf der Basis einer gründlichen Einzelfallprüfung der Lieferung der ausgemusterten U-Boote zugestimmt. Auf Grund dieser Einzelfallprüfung kann der Entscheidung zugestimmt werden; denn angesichts der von mir angesprochenen Konfliktherde wird zum Beispiel der Export von Handwaffen und Munition nicht genehmigt, von Waffen also, die auch zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung bzw. von Oppositionsgruppen unterschiedlicher Art benutzt werden könnten. Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, Herr Kollege Weisskirchen: U-Boote können im Gegensatz zu den eben angesprochenen Handwaffen nicht zu Unterdrückungsmaßnahmen im Land eingesetzt werden. Ihre Einsatzmöglichkeiten - das möchte ich hier ausdrücklich betonen, weil Sie, Herr Kollege Weisskirchen, das nicht erwähnt haben - beschränken sich auf die Wahrnehmung legitimer maritimer Interessen, die wir auch einem Land zugestehen müssen, dem wir in anderen Bereichen wahrlich kritisch gegenüberstehen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß die Sicherheit der pazifischen Seewege, der Schutz vor Terrorismus und Piraterie und die Eindämmung des Drogenhandels über See auch in unserem Interesse und auch im Interesse der Staatengemeinschaft insgesamt sind. Beim Kampf gegen das internationale Verbrechen muß hier notwendigerweise kooperiert werden. Von daher ist es auch richtig, daß hier entsprechende Mittel zur Verfügung stehen. Dies entspricht im übrigen auch der Intention des Asienkonzepts der Bundesregierung.
Ich will auch, weil das bisher hier noch nicht angesprochen wurde, darauf hinweisen: Die Schwerpunkte internationaler Piraterie liegen in indonesischen Gewässern. Dort hat es seit Beginn der neunziger Jahre über 100 Akte der Piraterie gegeben. Die Dunkelziffer - das wissen wir - liegt wahrscheinlich noch bedeutend höher. Auch das muß heute angesprochen und zur Kenntnis genommen werden.
({2})
Ich weise weiter darauf hin, daß die von der Bundesregierung bzw. von Außenminister Kinkel verfolgte Politik der Zurückhaltung durch die getroffene Entscheidung nicht verletzt wird. Konkret bedeutet dies, daß die Achtung der Menschenrechte weiterhin gefördert und auch gefordert wird. Im Sinne einer erfolgsorientierten Politik in diesem Bereich, die Sie auch unterstützen, muß man doch festhalten, daß man mit den Ländern, mit denen man im Bereich der Menschenrechte wahrlich nicht einverstanden ist, auch bezüglich anderer Themen im Gespräch bleiben muß, um überhaupt Einfluß nehmen zu können.
Ich will abschließend festhalten, daß die Abgabe von Rüstungsgütern auf einer rechtlich und politisch einwandfreien Grundlage mit dem Artikel 26 des Grundgesetzes, dem Kriegswaffenkontrollgesetz, dem Außenwirtschaftsgesetz sowie den politischen Grundsätzen der Bundesregierung steht.
({3})
Ich weise insofern vor allem die Kritik, die hier von seiten der Grünen gekommen ist, für die FDP-Bundestagsfraktion eindeutig zurück.
Vielen Dank.
({4})
Es redet jetzt der Abgeordnete Steffen Tippach.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nolting, U- Boote gegen Piraten, das ist, glaube ich, ein Witz, den Sie selber nicht völlig ernst meinen können.
({0})
Ich möchte mich auf Helmut Kohl berufen. Helmut Kohl war am Mittwoch voriger Woche im Auswärtigen Ausschuß und hat dort auf meine Frage zu Rüstungsexporten nach Indonesien in seiner unnachahmlichen Art gesagt: Welche Rüstungsexporte außer den DDR-Waffen? Wir haben keine Rüstungsexporte nach Indonesien auf der Tagesordnung, noch haben wir sie auf der Tagesordnung gehabt.
Nach dieser hohntriefenden Antwort habe ich mir gesagt: Steffen, jetzt sammle mal, was es dank der Kollegin Beer und einiger anderer in den letzten Monaten in diesem Haus an Drucksachen zu Waffenexporten nach Indonesien gegeben hat. Wenn wir da anfangen, haben wir zunächst eine Lieferung von MSG-90-Gewehren. Herr Nolting, mit MSG-90-Gewehren kann man auf Menschen schießen. Bingo! Die sind zwar nicht für die Aufstandsbekämpfung konzipiert, steht drin, was man aber damit macht, ist eine andere Frage.
Dann weiter - Zitat vom 4. April 1996 -: „Die Bundesregierung hat der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung für den Export von sieben Kleinpanzern Wiesel nach Indonesien zugestimmt."
({1})
- Hier steht, daß sie dem Export zugestimmt hat, unterschrieben von Staatssekretär Dr. Norbert Lammert.
({2})
Der Kollege Fritz hat vorhin gesagt: Nur alles, was fährt, das geht nicht.
Weiter haben wir hier Torpedo-Lieferungen - Firma AEG, SDN-AE, Materialpakete. Auch das ist bekannt, das ist sogar von 1997. Aber die Bundesregierung hat nichts exportiert, - bis zu dieser U-BootKomponente.
Ich habe bereits im Januar nach diesen U-Booten gefragt. Von der Bundesregierung bekommt man ja im Regelfalle leider keine vernünftigen Antworten.
({3})
Es kommt dann der Standardsatz, die Menschenrechtsfrage sei unter den allgemeinen politischen Grundsätzen ein Faktor. Daraufhin habe ich die Bundesregierung gefragt, wie groß denn Menschenrechtsverletzungen sein müßten, damit keine Rüstungsexporte mehr nach Indonesien stattfinden. Darauf hieß es, das sei eine Entscheidung von Fall zu Fall. Na, Klasse!
Vorige Woche hat sich der Kanzler hingestellt und gesagt, es gebe keine Rüstungsexporte nach Indonesien. Tage später darauf meldet der ,,Spiegel", am Wochenende habe ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums die Lieferung der U-Boote bestätigt. Da muß ich feststellen: Der Kanzler hat den Ausschuß belogen; es ist eine skandalöse Angelegenheit, wenn ein Ausschuß dieses Hauses vom Bundeskanzler so unverfroren belogen wird.
({4})
Jetzt komme ich zu dem Thema, über das wir hier reden. Amnesty International meldet in seinem Jahresbericht 1996, daß in Indonesien mehrere hundert Menschen vorübergehend ohne Gerichtsverfahren in Gewahrsam genommen wurden, Folterungen an Gefangenen, auch an jugendlichen Gefangenen weit verbreitet waren und in einigen Fällen den Tod der Opfer zur Folge hatten und zahlreiche Menschen extralegalen Hinrichtungen zum Opfer gefallen sind. So sieht die Situation in einem Land aus, in das Sie systematisch Waffen exportieren. In den letzten zehn Jahren gab es 680 Ausfuhrgenehmigungen für Waffen und Rüstungsgüter. Dies ist eine Aussage der Bundesregierung, die Sie in einer Drucksache nachprüfen können. Diese 680 Ausfuhrgenehmigungen sprechen Bände für das moralische Defizit einer Regierung, die hier an der Macht ist.
Wir reden von einer Regierung, die von vitalen Interessen in Indonesien spricht. Welche vitalen Interessen hat die Bundesrepublik in Indonesien? Laut Wörterbuch von 1991 heißt vital: lebenskräftig, frisch oder munter. Daß die Interessen in Indonesien frisch oder munter sind, glaube ich Ihnen unbesehen. Aber wenn schon in Indonesien vitale Sicherheitsinteressen vorherrschen, frage ich Sie: Wo herrschen sie auf dieser Welt nicht vor, und welchem Diktator würden Sie, wenn Bedarf besteht, nicht auch noch Waffen hinterherwerfen, weil Sie dort Sicherheitsinteressen haben?
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Erst am Freitag haben die Indonesier laut „afp" den Vorschlag des UN-Menschenrechtskommissars José Ayala Lasso abgelehnt, einen UN-Menschenrechtsbeobachter aus Timor ins Land zu lassen; er werde niemals umgesetzt. Solch ein rotzfreches Verhalten wird von Ihnen prompt mit U-Booten belohnt.
Die Staatsanwaltschaft in Indonesien hat verboten, bei den anstehenden Wahlen die Regierung zu kritisieren. Können Sie mir verraten, wie da eine Opposition Wahlkampf machen soll? Es wird unter diesen Voraussetzungen zumindest etwas schwieriger. Aber auch all das hält Sie genauso wenig wie Aussagen
von Friedensnobelpreisträgern von Rüstungsexporten ab. Ich zitiere eine Meldung von „Reuter":
Es sei völlig inakzeptabel, daß dieselben großen westlichen Demokratien, die lautstark Verstöße gegen die Menschenrechte in Ost-Timor anprangerten, die größten Waffenlieferanten Indonesiens seien, sagte Ramos-Horta bei einer Pressekonferenz im belgischen Parlament in Brüssel.
Dort darf er wenigstens noch sprechen.
Die Redezeit ist beendet.
Ich bin beim letzten Satz. - Diese Fakten widersprechen allen moralischen und menschenrechtlichen Grundsätzen, die Sie hier verkünden.
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Es spricht jetzt der Staatssekretär Dr. Klaus Rose.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ein Asienkonzept. Im Rahmen dieses Konzepts findet auch die Förderung und Ausgestaltung der Beziehungen zu Indonesien statt. Indonesien hat mit 200 Millionen Einwohnern die zweieinhalbfache Größe Deutschlands - damit man das auch richtig einordnen kann -, hat als viertgrößtes Land der Erde mit enormem Rohstoffreichtum und einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung ein großes Gewicht und nimmt einen herausgehobenen Platz ein.
Es liegt in unserem strategischen Interesse, die guten Beziehungen auszubauen und Indonesien besonders dort zu helfen, wo positive Wirkungen auf die gesamte Region ausstrahlen. Die deutsch-indonesischen Beziehungen sind gut und substantiell; unser politischer Dialog ist eng und vertrauensvoll. Deutschland ist auf Grund des Ansehens seiner kulturellen Traditionen und seiner wirtschaftlichen Beziehungen zu Indonesien ein herausgehobenes Partnerland.
Indonesien fällt im Seegebiet zwischen Indien und China eine herausragende Rolle für die regionale Stabilität zu. Die indonesische Marine ist mit umfassenden Überwachungsaufgaben in den weiten Seeräumen des Archipels betraut. Darin sind vor allem auch nichtmilitärische Herausforderungen in der Region eingeschlossen, insbesondere - wie schon erwähnt - Piraterie, Schmuggel und Raubfischerei. Dazu muß Indonesien über angemessene und ausgewogene maritime Fähigkeiten verfügen.
Für eine wirksamere Aufgabenerfüllung in diesen Seegebieten sind hochseefähige und zugleich wetterunabhängige Schiffe und Boote erforderlich. Aus diesem Grund hat Indonesien im November vergangenen Jahres sein Interesse am Kauf auszumusternder deutscher U-Boote bekundet. Die deutsche Marine wird zwischen März 1997 und Juni 1998 vier U-Boote der Klasse 206 außer Dienst stellen; ein U- Boot ist bereits ausgemustert.
Die ASEAN-Staaten, zu denen auch Indonesien gehört, sind nach dem Beschluß des Bundessicherheitsrates von 1985 bei Rüstungsexporten wie NATO-gleichgestellte Staaten zu behandeln.
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Dennoch gilt auch hier, daß jeder Fall einzeln geprüft und entschieden wird.
({1})
Dabei werden die aktuelle politische Lage und Entwicklungen im Empfängerland in die Gesamtbewertung einbezogen.
({2})
Auch die Kriterien und Prinzipien der Europäischen Union und der OSZE zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen finden die gebotene Berücksichtigung.
({3})
Nach sorgfältiger Abwägung aller Fakten hat die Bundesregierung im Februar 1997 dem Verkauf der fünf U-Boote an Indonesien zugestimmt.
({4})
Sie hat sich dabei insbesondere von fünf Gründen leiten lassen.
Erstens. Es liegt in unserem Interesse, daß Indonesien seinen wichtigen Aufgaben als maritimer regionaler Stabilitätsfaktor wirkungsvoll nachkommen kann.
Zweitens. Militärische Konflikte Indonesiens mit Nachbarstaaten sind aus heutiger Sicht nicht zu befürchten.
({5})
Drittens. Die Bundesregierung hat schon in der Vergangenheit Exportgenehmigungen erteilt, aus guten Gründen vornehmlich für Material der Marine.
({6})
Viertens. Vor diesem Hintergrund und angesichts der guten Beziehungen zu Indonesien gibt es keinen Grund, von der bisherigen Genehmigungspolitik abzuweichen.
Fünftens. Indonesien beabsichtigt, die U-Boote voraussichtlich in Deutschland überholen und instand setzen zu lassen. Dies ist nicht nur ein Gewinn für die Auftragslage unserer Weilten, sondern gibt auch wichtige Impulse zum Erhalt der sicherheitspoParl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose
litisch bedeutsamen Fähigkeiten unserer Schiffbauindustrie.
Wenn man das Thema nüchtern betrachtet, wird man die Entscheidung der Bundesregierung und des Bundessicherheitsrats nicht kritisieren können.
({7})
Herr Tippach, das geht so nicht. Inzwischen ist aus Ihrem „wenn, dann" geworden: „Warum lügt der Kanzler im Ausschuß?" Das ist eine Tatsachenbehauptung, die Sie auch belegen müßten. Es geht nicht, daß Sie sich im Parlament zu persönlicher Beleidigung und Unterstellungen hinreißen lassen.
({0})
- Das kann jetzt nicht geklärt werden.
Ich muß hier klarstellen, daß Herr Tippach behauptet hat, der Kanzler habe vor dem Ausschuß gelogen. Das ist nicht irgendein Tatbestand.
({1})
Herr Schmitt, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nolting hat eben behauptet, die Entscheidung, die fünf U-Boote an Indonesien zu liefern, sei nach gewissenhafter Prüfung getroffen worden. Ich konnte der Presse entnehmen - das ist wohl auch in den zuständigen Ausschüssen nicht dementiert worden -, daß diese Entscheidung im Rahmen eines Umlaufverfahrens getroffen worden ist. Es scheint offenbar der Stil dieser Regierung zu sein, so mit außenpolitisch bedeutsamen Fragestellungen umzugehen.
({0})
Ich kann nur sagen: Ich bin entsetzt, wenn die Außenpolitik dieses Landes hier in Bonn nach Bürokratenmanier entschieden wird.
({1})
Ich möchte es mir nicht so einfach machen. Es wird Sie nicht wundem, wenn ich als jemand, der der Partei Bündnis 90/Die Grünen angehört, sage, daß wir prinzipielle Einwände gegen Rüstungsexporte haben. Aber selbst wenn man diese prinzipiellen Einwände nicht hat - ich will mich insofern auf Ihre Ebene einlassen -, kann man doch einmal die Frage stellen, ob der hier ins Auge gefaßte Export der fünf U-Boote den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland entspricht.
Die Bundesregierung hat an verschiedenen Stellen ausgeführt, daß es ihr bei der Außenpolitik um Stabilitätssicherung in globaler, regionaler und nationaler Hinsicht geht, auch um die Sicherung von Menschenrechten und Demokratie; das ist eben noch einmal bestätigt worden. Ökonomische Interessen und Entwicklungsverträglichkeiten werden gelegentlich ins Feld geführt.
Was man nicht vergessen darf, meine Damen und Herren: Wir streben alle danach, die Außenpolitik der Mitglieder der Europäischen Union kohärenter zu gestalten. Deshalb ist es eine wichtige Frage, inwieweit sich dieser Export mit der Außenwirtschafts-
und der Rüstungsexportpolitik unserer Partner in der Europäischen Union harmonisieren läßt.
Noch ein Hinweis: Es wurde immer wieder darauf verwiesen, daß diese U-Boote nicht dazu dienen können, innenpolitische Konflikte zu lösen, demokratische Bewegungen in Indonesien zu unterdrücken. Das ist nachvollziehbar. Dann stelle ich aber an Sie die Frage, warum Sie nicht längst für eine Aufhebung des totalen Rüstungsembargos gegen die Volksrepublik China eintreten.
({2})
Denn als Reaktion auf das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens hat man mitnichten beschlossen, daß nur die Waffen nicht mehr exportiert werden dürfen, die zur Unterdrückung von Demokratiebewegungen geeignet sind. Es wurde vielmehr mit Recht beschlossen - ich finde, diese Berechtigung besteht nach wie vor -, sämtliche Kriegswaffen auf die Embargoliste zu setzen.
({3})
Offenbar mißt dort die Bundesregierung mit zweierlei Maß.
Über die Menschenrechtssituation ist schon einiges gesagt worden. Ich kann Ihnen von hier aus nur noch mitteilen, daß der Wahlkampfleiter, sinnigerweise der Vorsitzende des „Komitees zum Gewinn der bevorstehenden Wahlen" - so heißt diese Körperschaft der regierenden GOLKAR-Partei offiziell -, das Ergebnis der Parlamentswahl bereits vorhergesagt hat, und zwar bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma: 70,02 Prozent für die GOLKAR-Partei wird das Ergebnis sein; so war es dem „Far Eastern Economic Review" zu entnehmen. Ich bin der Meinung, dies ist erneut ein Beweis dafür, daß es mit den demokratischen Errungenschaften in Indonesien nicht gerade zum besten bestellt ist.
({4})
Noch ein Hinweis auf die Region: Eben ist behauptet worden, es gebe keinerlei Spannungsmomente in der Umgebung Indonesiens. Ich kann mir vorstellen, der Bundesregierung ist entgangen, daß sich Indonesien sowohl mit Malaysia als auch mit Vietnam in territorialen Auseinandersetzungen befindet - zwar nicht auf hohem Niveau, jedoch sind in beiden Fällen im maritimen Raum Inselgruppen bzw. Gebiete auf
Wolfgang Schmitt ({5})
dem Festlandsockel Vietnams zwischen den Nationen umstritten.
({6})
Der Glaube, daß man durch eine ausgewogene Rüstungsexportpolitik in einer Region zur Stabilität beitragen kann, hat sich wohl zuletzt im Zusammenhang mit dem ersten Golfkrieg eindeutig als falsch erwiesen. Denn auch da hat man geglaubt, daß es zur Stabilität in der Region beiträgt, wenn man den Iran und den Irak aufrüstet.
({7})
Meine Damen und Herren, zum Thema Europa. Das schwedische Parlament hat für U-Boot-Technologie ein totales Verbot des Exports nach Indonesien beschlossen. Auch das Europäische Parlament hat in einer Resolution vom Juni 1996 die Mitgliedstaaten aufgefordert, von Rüstungsexporten nach Indonesien abzusehen. Ich denke, es stünde der Bundesregierung gut an, dieser Aufforderung des Europäischen Parlaments zu entsprechen.
Wenn wir dies nicht tun, könnten wir die Überweisung von 150 Millionen DM an Entwicklungshilfe, die Indonesien für das Jahr 1997 aus der Bundesrepublik Deutschland erhält, unterlassen, das Geld hierbehalten und die U-Boote kostenlos nach Jakarta liefern. Das wäre sozusagen ein eindeutiger und klarer Beweis dafür, welche Prioritäten diese Bundesregierung setzt: Der Export von Rüstungsgütern steht vor den Entwicklungserfordernissen unserer Partnerländer in der Dritten Welt.
Herzlichen Dank.
({8})
Es spricht der Kollege Andreas Krautscheid.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe im Laufe der Debatte doch verstärkt das Gefühl bekommen, daß dies eine Alibi-Debatte zur Wahrung von Gewissensbissen der Grünen ist.
({0})
Herr Kollege Nolting hat zu Recht gesagt: Wir diskutieren jetzt in kürzester Zeit das Thema zum zweitenmal. Die Argumente werden nicht besser; aber die Zahl der anwesenden Grünen ist geringer geworden. Kollege Fischer hat eben einmal den Kopf zur Tür hereingesteckt. Es ist ja ein wichtiges Thema in einer von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde. Aber Kollege Fischer hat gehört, daß es um U-Boote geht, und hat sich fürs Abtauchen entschieden.
({1})
Drei Argumente, warum ich mich ärgere, daß hier über die Thematik Menschenrechte in einer Weise gesprochen wird, wie ich sie für unangemessen halte, möchte ich nennen. Es gibt für den Schutz der Menschenrechte wenig Unerfreulicheres, als dieses Thema zu instrumentalisieren.
({2})
Ich glaube, daß hier Dinge verknüpft werden, die nicht zusammengehören. Ich will die drei Argumente nennen.
Das eine Argument ist: U-Boote und die Lieferung von Rüstungsgütern werden in Zusammenhang mit der internen Situation in Indonesien gebracht. Es ist zwischen allen Parteien unstreitig, daß wir bei den Menschenrechten in Indonesien eine katastrophale Lage haben. Es ist unstreitig, daß das Regime in Jakarta die Menschenrechte mit Füßen tritt. Aber mir hat bis jetzt niemand erklärt, wie die U-Boote zum Schutz etwa der Religionsfreiheit und der Freunde von Bischof Belo verwendet werden sollen.
({3})
Es ist also ziemlich absurd, dies zusammenzubringen.
Das zweite Argument. Sie sagen, das hat nichts mit den Menschenrechten unmittelbar zu tun
({4})
- ich habe offenbar getroffen, sonst wäre die Erregung nicht verständlich -; aber ihr stabilisiert letztlich das System. Das heißt, die Stabilität dieses Regimes, die wir alle erschüttern wollen, hängt vom Haben oder Nicht-Haben von vier U-Booten ab.
({5})
Das ist ja die logische Konsequenz.
U-Boote dienen der äußeren Sicherheit. Ich frage Sie, wie Sie die äußere Sicherheit, die Politik, sich gegen Aggressoren oder andere Mächte von außen zu wehren, mit der inneren Stabilität des Systems zusammenbringen. Das heißt, daß Sie das Zusammenbrechen des Systems von außen erwarten; denn anders können die U-Boote keine Funktion erringen. Es ist also wiederum unlogisch, diese Aspekte zu verknüpfen.
({6})
- Das ist eine Frage der Logik. Wenn Sie sagen: „U- Boote haben eine Konsequenz", dann muß das damit zu tun haben, daß Sie sagen: Diese U-Boote haben unmittelbaren Einfluß auf die Stabilität des Systems. Ich habe Ihnen gerade gesagt: Es ist unlogisch, dies miteinander zu verbinden.
Drittes Argument. Angenommen, es wäre mit den Menschenrechten in Indonesien besser bestellt: Wären Sie dann auch gegen den Export dieser U-Boote? Offensichtlich sagen Sie: Auch dann dürfen wir nicht exportieren. Also hat Ihre Haltung nichts mit den Menschenrechten zu tun. Sie können über die Stabilität in der Region reden. Damit bin ich sehr einverstanden. Dann muß man über Schutzinteressen gegenüber anderen Ländern reden. Dann muß man fragen: Wie ist es mit der Kräftebalance in der Region? Wer hat das Recht, sich gegen eine Aufrüstung in China zu schützen usw.?
Ich bin sehr dafür, daß über alle diese Themen diskutiert wird. Aber dann muß man ehrlicherweise sagen: Die U-Boote haben nichts mit den Menschenrechten oder mit Religionsfreiheit zu tun, sondern wir diskutieren über Rüstungsexport und Politik sowie darüber, welche Argumente dafür oder dagegen in einer bestimmten Region sprechen. Denn sonst, so meine ich, werden die Menschenrechte im Zusammenhang mit U-Booten instrumentalisiert. Das hat nichts mit der Frage der Menschenrechte zu tun. Deswegen ist der Aspekt in dieser Frage völlig zu Unrecht betont worden.
Danke schön.
({7})
Frau Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen des Kollegen Krautscheid geben mir Gelegenheit, das zu sagen, was ich ohnehin sagen wollte.
Es wäre doch sehr nützlich, wenn wir uns über die Kriterien, die beim Rüstungsexport angelegt werden, verständigten. Denn das ist - das haben wir in der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses schon gemerkt - ein Thema, das uns auch in der zukünftigen Zeit beschäftigen wird. Wenn man Kriterien hat, dann muß man sie an jeden Rüstungsexport anlegen, nicht nur an U-Boote, weil sie halt schwimmen und nicht beißen und deshalb in inneren Konflikten keine Rolle spielen.
Wir haben für diese Kriterien zwei Grundlagen. Die eine Grundlage sind unsere eigenen politischen Grundsätze, und die andere Grundlage sind die Grundsätze der OSZE. Erstes Gebot unserer politischen Grundsätze ist: An NATO-Länder wird geliefert, es sei denn, es stehen ganz schwierige politische Aspekte dagegen. Das ist in meiner gesamten politischen Tätigkeit noch nie vorgekommen.
({0})
Zweites Gebot: An Nicht-NATO-Staaten wird nicht geliefert, es sei denn, es ist in unserem eigenen politischen Interesse und besondere politische Gründe sprechen dafür. Es kommt häufig vor, daß offensichtlich besondere politische Gründe dafür sprechen; denn solche Ausfuhrgenehmigungen werden reichlich erteilt.
Es gibt neben den NATO-Staaten und den Staaten außerhalb der NATO, in die nicht geliefert wird, noch die NATO-gleichgestellten Staaten, an die offensichtlich ganz üppig und ziemlich problemfrei geliefert wird; als Beispiel nenne ich Indonesien. Ich möchte den Vertreter der Regierung, der hier anwesend ist, Herrn Staatsminister Dr. Hoyer, dringlich fragen: Welche Kriterien werden bei diesen NATO- gleichgestellten Staaten angelegt?
Klar ist, daß auf keinen Fall in Spannungsgebiete geliefert werden soll. Klar ist auch - gemäß Nummer 12 der politischen Grundsätze -, daß nicht dorthin geliefert werden soll, wo die innere Lage dem entgegensteht und Spannungen erhöht werden. Ich denke, das alles trifft - das haben wir hier heute unwidersprochen gehört - auch auf Indonesien zu.
Der nächste Punkt. Es war hier auch immer von den Menschenrechten die Rede. Ich erinnere an die OSZE-Grundsätze. Sie sind in dem neuesten Abrüstungsbericht auf Seite 15 aufgeführt. Die Bundesregierung beruft sich immer ganz stolz darauf. Auch dazu möchte ich Herrn Dr. Hoyer fragen: Wie bringen Sie das mit den Lieferungen an Indonesien zusammen, und zwar nicht nur auf die vier U-Boote, die nicht beißen, bezogen, sondern insgesamt auf die Wiesel-Panzer und die anderen 680 Lieferungen zwischen 1986 und 1996?
In diesen Grundsätzen steht nämlich, daß bei bekannten Menschenrechtsverletzungen - das ist ja bekannt; das steht auch im Länderbericht -, drohender mißbräuchlicher Verwendung sowie zu erwartenden destabilisierenden oder konfliktverschärfenden Auswirkungen Transfers vermieden werden sollen.
({1})
Es wird darauf hingewiesen, daß zum Beispiel im Falle Indonesiens die Indonesier hoch und heilig - ({2})
- Ich habe nichts mit Herrn Opel abgesprochen. Herr Opel spricht für sich, ich spreche für mich. Ich glaube nicht, daß wir bei den grundsätzlichen Kriterien so unterschiedlicher Meinung sind, Herr Nolting. Das können Sie mit einem solchen Zwischenruf nicht unterstellen.
Ich will noch auf eines hinweisen, was Ihnen im Eifer des Gefechts vielleicht entgangen ist - ich beziehe mich weiterhin auf die Grundsätze -: In Indonesien ist die Armee sowohl für die innere als auch die äußere Sicherheit zuständig. Da, denke ich, sind einige der Waffenlieferungen - vielleicht die U- Boote, die nicht beißen, mal wieder ausgenommen - doch von höchster Problematik.
({3})
Lassen Sie mich jetzt ganz allgemein ein Wort zu den Kriterien sagen, und zwar zukunftsgerichtet. Meine Beobachtung ist, daß diese Kriterien schon immer sehr locker angewendet wurden und sehr dehnUta Zapf
bar sind. Sie werden bis zum äußersten strapaziert. Es gibt eine Tendenz unter industriepolitischen Gesichtspunkten und unter dem Stichwort „europäische Harmonisierung", alles auszuhebeln, was in diesen politischen Grundsätzen steht. Ich sage Ihnen: Die SPD wird sich dagegenstellen.
Es kann nicht sein, daß wir, nur weil wir jammern, daß unsere Industrie nicht dabei ist, die Golfregion, Brasilien oder andere, auch Indonesien nicht, mit Ausrüstungsgütern ausstatten. Das mag unter gewissen Aspekten wirtschaftlicher Art zwar ein Riesenjammer sein; aber ich weise darauf hin, daß zwei Dinge noch immer in unseren Grundsätzen stehen. Erstens. Der Export von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern darf nicht zum Aufbau zusätzlicher exportspezifischer Kapazitäten führen. Zweitens. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.
Ich glaube, das sollten wir in der Tat beibehalten, so schwierig das in finanzpolitisch engen Zeiten und angesichts knapper Kassen auch ist.
Frau Zapf, die Redezeit ist zu Ende.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß.
Es ist ein Unterschied, ob ich zum Beispiel Socken oder Kraftfahrzeuge verkaufe oder ob ich Rüstungsgüter verkaufe.
Ich glaube, bei den bisher gewählten Grundsätzen sollten wir keine Abstriche machen. Ich bitte auch in dieser Diskussion darum, dies immer im Hinterkopf zu behalten, egal ob mit U-Booten Menschenrechtsverletzungen begangen werden können oder nicht.
({0})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Dietrich Mahlo.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist klar, daß der Sachverhalt, über den wir reden, im wesentlichen unstrittig ist. Aber wir sprechen über ihn gewissermaßen unter Verzicht auf rationale Erfassungsversuche. Herr Krautscheid hat das schon an Hand einiger Beispiele dargelegt.
Nur um es noch einmal zu sagen: In dem deutschindonesischen Verhältnis, das von Sympathie und sogar einer gewissen Freundschaft getragen ist, wird die Frage der verletzten Menschenrechte so lange ein Konfliktpunkt bleiben, wie diese Rechte in Indonesien gröblichst verletzt werden.
({0})
Das ist der Fall bezüglich der Verfolgung einzelner Oppositioneller. Das gilt für die ganze Atmosphäre sublimer Repression, die wir dort feststellen und auch persönlich erlebt haben. Und es gilt, wie die ganze Welt weiß, natürlich für Ost-Timor, wo in der zweiten Hälfte der 70er Jahre rund 200 000 Menschen, das heißt ein Drittel der Bevölkerung, eliminiert worden ist und wo die systematische Einschüchterung, verbunden mit einer staatlich forcierten Überfremdungspolitik, ekelhafterweise andauert.
Aber so zweifelsfrei, wie wir verpflichtet sind, auf diesen Sachverhalt mit dem Finger zu zeigen, lehne ich es ab, den ganzen Tatbestand Indonesien - dieses sich im Umbruch befindende Land mit seinen 200 Millionen Menschen, mit seinen 17 000 Inseln, die sich über eine Entfernung, vergleichbar mit der von Island bis Konstantinopel, erstrecken - nur unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung von Menschenrechten zu betrachten.
({1})
Allein der Versuch einer ganzheitlichen Sicht wird ein einigermaßen objektives Urteil erlauben.
Ich nenne Ihnen nur eine Zahl: Während einer politischen Generation, nämlich einer Zeit von 30 Jahren, ist der Prozentsatz der Menschen, die in diesem Land unterhalb der Armutsgrenze leben, von 65 auf 15 Prozent gesunken. Auch das gehört zum Gesamtbild dieses Landes. Das ist eine große humane Leistung.
({2})
- Zu dem Thema komme ich gleich.
Nun behauptet also die deutsche Opposition, daß Indonesien ein Schwerpunktgebiet der deutschen Rüstungsexporte sei. Es geht im wesentlichen um den Kauf von 39 NVA-Schiffen, teilweise demilitarisiert - ihr Einsatz liegt schon etwas zurück -, und um insgesamt vier gebrauchte konventionelle U-Boote.
Ich erkläre hier freimütig, daß ich an dem Verkauf dieser gebrauchten Schiffe an Indonesien nichts auszusetzen habe. Solche Schiffe sind kein Instrument für zivile Unterdrückung. Die Verschrottung dieses Materials hier hätte viel Geld gekostet,
({3})
während es in Indonesien noch Dienst tun kann und dort viel Geld spart.
Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß ein Land mit 80 000 Kilometer Küste ein paar alte Kriegsschiffe kauft angesichts der Tatsache, daß es sich bekanntlich der bestorganisierten und brutalsten Piratenmafia der Welt erwehren muß. Wissen Sie, die tragen keine Totenkopffahne, sondern Schnellfeuerwaffen, und fahren nicht alte Dschunken,
({4})
sondern modernste Schnellboote. Die machen gar nicht erst Gefangene, sondern ermorden einfach alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Das ist Realität im heutigen Indonesien. Zudem ist das ja, wenn man sich auf die deutschen Lieferungen bezieht, nur ein Schiff für 20 000 Kilometer Küste.
Wir wissen, daß wichtige internationale Seewege durch indonesische Gewässer führen. Wir wissen, daß einige unmißverständliche hegemoniale Gesten Chinas Südostasien tief beunruhigen. Wir beobachten einen massiven Ausbau der Offensivfähigkeit der chinesischen See- und Luftstreitkräfte, den unverblümten Anspruch, Taiwan gegebenenfalls auch gewaltsam zu annektieren, und eine ganze Menge anderer territorialer Ansprüche Chinas, die sich auf das gesamte Südchinesische Meer, bis 100 Kilometer vor die Küste der übrigen Anrainer, erstrecken.
Es gibt also einige Gründe, denen zu glauben, daß sie vier alte U-Boote dort möglicherweise gebrauchen können.
({5})
Dadurch, daß wir auf der entgegengesetzten Seite der Weltkugel unser Bein heben und den Bundeskanzler benässen, auf die Bundesregierung insgesamt prügeln oder hier einen Wutanfall inszenieren, um unsere gute Gesinnung vorzeigen, ändert sich realistischerweise gar nichts.
Wir haben zwei Möglichkeiten, unserem gemeinsamen Ziel zu dienen.
Herr Dr. Mahlo, kommen Sie zum Schluß. Die Redezeit ist beendet.
Die eine ist, zu der politischen Führung in Indonesien ein Verhältnis aufzubauen, das es uns erlaubt, möglicherweise auch einmal mit einer kritischen Bemerkung gehört zu werden. Die zweite Möglichkeit ist, uns an der Entwicklung dieses Landes zu beteiligen. Entwicklung bedeutet Wohlstand. Wohlstand bedeutet eine Chance für Freiheit und Demokratie.
Das sind die einzigen Möglichkeiten, die wir überhaupt haben. In diesem Sinne bin ich der Auffassung, daß Ihr Angriff auf diese vier U-Boote ins Leere geht.
Vielen Dank.
({0})
Als nächster spricht der Kollege Herbert Meißner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Mahlo, wenn der Sachverhalt denn so klar wäre, dann bräuchten wir diese Aktuelle Stunde eigentlich nicht abzuhalten.
({0})
Sie werden uns doch hoffentlich auch darin zustimmen können, daß die Opposition diesbezüglich andere Meinungen haben darf und muß.
Der Verkauf von U-Booten - mehrmals wurde die Zahl von vier oder fünf genannt - der Klasse 206 nach Indonesien ist durch den Bundessicherheitsrat
im Umlaufverfahren mit wenig Fingerspitzengefühl und mit noch weniger politischer Sensibilität genehmigt worden. Ein Umlaufverfahren ist in diesem Fall sicherlich für das Abwägen des Für und Wider und im Zusammenhang mit der Menschenrechtssituation in Indonesien ein ungeeignetes Mittel, um über den Verkauf von Militärtechnik zu entscheiden.
Die Auswirkungen im Inland und die besonderen Wirkungen auf die Wirtschaft werden bedenklich sein. Das Signal, das von dieser Entscheidung ausgeht, wird weit über den Bereich des Exports von Rüstungsgütern hinausgehen. Es wirkt direkt auf den Export von anderen sensiblen Gütern und auf den gesamten Bereich der Dual-use-Produkte unserer Wirtschaft.
Wenn der Bereich der Wirtschaft hier immer wieder erwähnt wurde - das ist Ihrerseits mehrmals geschehen -, dann ist das ja wohl ordentlich zu bedenken.
({1})
Wenn die Regierung ohne ordentliche Abwägung, also verhältnismäßig leichtfertig - nicht ganz so ordentlich, Herr Rossmanith -, entscheidet, dann signalisiert sie der Wirtschaft, wie ernst sie selber die Rüstungsexportkontrolle nimmt. Das ist nicht angemessen. Das Signal wird überall so verstanden werden.
Wir haben zwar einerseits von der Gesetzeslage, der Kriegswaffenkontrollgesetze und des Außenwirtschaftsgesetzes, her strengste Gesetze. Doch wir stellen fest, daß, wenn man es nur will und wenn es politisch opportun ist, trotz der hervorragenden Gesetze alles möglich ist. Ein solches Signal ist nicht geeignet für den Export von militärischen Gütern.
Besonders problematisch an diesem Signal ist, daß es sich nicht um einen Einzelfall handelt und daß der Verkauf an Indonesien auf Grund der dortigen Menschenrechtsverletzungen doch erhebliche Bedenken hervorruft, obwohl, wie hier gesagt wurde, „U-Boote nicht beißen". Ich glaube aber, man muß den Aspekt der politischen Sensibilität beachten.
({2})
- Man kann damit sicherlich auch andere Dinge machen.
Das gewählte Umlaufverfahren - quasi mit leichter und schneller Hand Entscheidungen treffen - ist angesichts der Wirkung dieser Exportpolitik im Bereich der Rüstungsgüter nicht nur unangemessen, sondern angesichts der Menschenrechtsverletzungen auch verantwortungslos. Mehr Ernsthaftigkeit, mehr Sensibilität und letztlich mehr Zurückhaltung wäre in diesem Fall angemessen.
Danke schön.
({3})
Herr Kollege Feilcke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem Zeitpunkt am Freitagnachmittag, zu dem die Zahl der Stenographen doppelt so hoch ist wie die Zahl der Antragsteller,
({0})
ist alles zu diesem Thema gesagt worden. Deswegen müssen die Stenographen aber nicht den Raum verlassen.
({1})
Ich möchte noch fünf Bemerkungen anfügen. Einiges ist sicherlich noch nicht gesagt worden; einiges ist auf jeden Fall noch nicht so gesagt worden, wie ich es jetzt vortragen werde.
Erste Bemerkung. Es gibt die Alternative Verkauf oder Verschrottung. Die Verschrottung bringt etwa 10 000 DM; der Verkauf bringt ein paar Millionen DM. Dies ist ein Gesichtspunkt, den man bedenken muß.
({2})
Es gibt noch weitere Gesichtspunkte, die für den Verkauf sprechen: Die Ersatzteilversorgung, die Ausbildung des Instandsetzungspersonals, die sogenannte Tropicalisierung - auf deutsch: das Herstellen der Tropentauglichkeit - und die Modernisierungsmaßnahmen werden von deutscher Seite vorgenommen. Das geschieht übrigens auch im Fall der Schiffe der früheren NVA und im Fall der älteren U-Boote, die wir schon einmal geliefert haben. Frau Schulte, Sie werden sich vielleicht daran erinnern.
({3})
- Frau Kollegin Beer, da Sie die Aktuelle Stunde beantragt haben, müssen Sie doch einmal Informationen zur Kenntnis nehmen.
Zweite Bemerkung. Wenn wir nicht verkaufen, verkaufen die Schweden.
({4})
Die Schweden haben uns jetzt schon beim Deal mit Singapur den Rang abgelaufen. Wenn es um solche Fragen geht, sollten wir auch daran denken, daß wir eine nationale Aufgabe haben.
({5})
Dritte Bemerkung. Es stellt sich doch die Frage, ob man den legitimen Wunsch eines bisher verläßlichen Partners nicht erfüllen sollte. Vor zwanzig Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Regierung unter einem Bundeskanzler Helmut Schmidt. Wenn ich mich nicht irre, war er kein Christdemokrat, obwohl er manchmal sehr vernünftig war. Er hat nämlich den Verkauf von fabrikneuen U-Booten nach Indonesien gestattet. Zum damaligen Zeitpunkt war der seit mittlerweile dreißig Jahren vom Militär gestützte Suharto bereits in Amt und
Würden. Ich frage mich deshalb, was das für eine Schizophrenie in diesem Hause ist.
({6})
- Frau Zapf, ich weiß, Ihr Geschwätz von gestern schert Sie nicht. Trotzdem sollten Sie dazu stehen.
Vierte Bemerkung. ASEAN-Staaten sind denen der NATO gleichgestellt. Sie unterscheiden sich aber dadurch, daß es dort eind Einzelfallprüfung gibt. Es ist geostrategisch und auch ökonomisch vonnöten, daß wir diesen Raum der Welt gut, aber auf jeden Fall fair behandeln und daß wir uns und unsere Wirtschaft auf keinen Fall abnabeln; es sei denn, es gäbe gravierende Gegenargumente. Die sind heute aber nicht genannt worden.
({7})
- Die Toten sind nicht von den U-Booten verursacht worden, Frau Beer. Sie lieben doch unsere Demokratie nicht. Machen Sie sich doch nicht zum Wächter der Demokratie in Indonesien! Das ist doch geradezu pervers, was Sie hier vorführen.
({8})
Sie haben doch eben erzählt, die Bundesrepublik Deutschland sei keine Demokratie. Sind Sie vielleicht der Tugendwächter? Sind Sie vielleicht der betroffenheitspolitische Sprecher in diesem Hause? Nein, Ihre Haltung ist falsch, schizophren und unglaubwürdig.
({9})
Fünfte und letzte Bemerkung. Gerade wenn wir politische Zweifel haben, sollte man alles versuchen, mit einem solchen Regime im Gespräch zu bleiben. Wir sollten mit ihm kooperieren, denn nur so können wir auch beeinflussen. Andere Nato-Partner sind da sehr viel offener.
Ich bin übrigens der festen Überzeugung, daß das Umlaufverfahren das gründlichste Verfahren ist. Man kann eine solche Frage nicht durch Diskussion am Kabinettstisch lösen.
Wir sollten davon ausgehen: Die Bundesregierung handelt überlegt und mit Absicht, selbst wenn es zum Vorteil der deutschen Wirtschaft ist.
({10})
Als letzte in der Aktuellen Stunde spricht die Kollegin Brigitte Schulte.
({0})
Herr Vorsitzender!
Das bin ich noch nicht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Auf den komme ich gleich zu sprechen.
Es ist schon unglücklich, daß wir uns am Freitagnachmittag hier zusammensetzen und über diese Dinge diskutieren müssen, aber schuld ist die Bundesregierung. Ich finde, es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, daß das deutsche Parlament
({0})
in seiner Mehrheit und die Öffentlichkeit wieder auf das Nachrichtenmagazin „Spiegel" angewiesen sind und nicht etwa die Bundesregierung die Rechte des Parlamentes ernst nimmt und uns informiert.
({1})
- Ach, Herr Nolting, Sie sind mir einfach etwas zu töricht, als daß ich darauf eingehen wollte. Ich komme auf die Frage zurück.
({2})
- Ja, ich komme auf die Frage zurück. Hören Sie lieber einmal zu, nutzen Sie Ihre Rechte als Parlamentarier, statt immer den Claqueur zu spielen.
({3})
Das ist doch eine Peinlichkeit.
Ich habe wirklich ein anderes Staatsverständnis als Sie. Wenn ich an den Vorgänger des jetzigen Ausschußvorsitzenden und den jetzigen Aussschußvorsitzenden denke, aber auch an den Kollegen Hoyer, dann habe ich das Gefühl, daß Sie auch ein anderes Staatsverständnis haben.
Sie hätten sich diese Veranstaltung am heutigen Nachmittag sparen können, wenn wir vorher in den zuständigen Ausschüssen über die Frage geredet hätten.
Seit 1993, so habe ich gesehen, vergeht kein Jahr, Herr Staatssekretär, in dem nicht im Deutschen Bundestag über die Fragwürdigkeit von Rüstungsverkäufen nach Indonesien diskutiert wird.
({4})
Und dann lesen wir, wenn wir unsere Aufgabe ernst nehmen, Herr Nolting, in der Zeitung, daß eine ausführliche Diskussion im Bundessicherheitsrat nicht stattgefunden hat, sondern daß dies im Umlaufverfahren beschlossen worden ist. Eine größere Blamage Ihrer Kontrollfähigkeit als Regierungspartei hätte ich mir nicht vorstellen können.
Die Bundeswehr stellt außerdem hier, Herr Kollege Rose, sechs U-Boote außer Dienst, und sie hätte uns als dem zuständigen Ausschuß auch berichten können, daß sie vorhat, diese gleich und so schnell wie möglich nach Indonesien weiterzuverkaufen. Deswegen waren der Bundestag und ganz besonders der
Verteidigungsausschuß betroffen, aber Ihre Absicht war das nicht.
Ich muß Sie wirklich fragen: Sollte die Lieferung der U-Boote wirklich anders als andere Waffenverkäufe eingeschätzt werden? - Das ist ja hier behauptet worden. Ich behaupte, nein.
Aber könnte es nicht doch sein, daß Sie am Ende kommen und den Deutschen Bundestag noch mit Hermes-Bürgschaften belasten, denn es geht nicht nur um den Verkauf dieser Boote? Sie wissen ganz genau, daran hängen Aufträge mit einem Umfang von rund 500 Millionen DM, weil die Boote umgerüstet werden sollen und jedes dieser fünf Boote für etwa 100 Millionen DM ein neues Feuerleitsystem, eine Klimaanlage - die brauchte man natürlich für U- Boote in den kalten Gewässern des Nordens nicht, aber die braucht man dort - und eine andere Elektronik haben sollte.
Sie wissen übrigens auch - das haben Sie uns natürlich verschwiegen -, daß die Indonesier viel lieber neue U-Boote des Typs 209 haben wollten. Das genau ist das U-Boot, das wir 1977, allerdings nicht ohne Krach und nach Diskussionen in unseren Fraktionen - das war der Unterschied - geliefert haben. Sowohl der Kollege Genscher wie der Bundeskanzler Helmut Schmidt mußten sich schon mit ihren Bundestagsfraktionen auseinandersetzen, ob tatsächlich diese U-Boote dorthin geliefert werden sollen.
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- Nein, wir wurden vorher unterrichtet. Sie haben immer den Nachteil, daß Sie es einfach nicht begreifen. Auch damals ist das selbstverständlich diskutiert worden, und wenn ich richtig unterrichtet bin,
({6})
hätte Indonesien auch sehr gern - ach, schreien Sie doch nicht immer so - wieder neue U-Boote des Typs 209 haben wollen.
Es ging doch wohl nur, Herr Staatsminister, um die Tatsache, daß sie günstige Konditionen haben wollten, und die Bundesregierung hat uns noch nicht erzählt, inwiefern diese Konditionen günstiger sind als die Hermes-Bürgschaften, mit denen sie todsicher noch auf das Parlament zukommen wird.
Schwierig wird es für dieses Parlament natürlich - dazu bekenne ich mich, Herr Nolting -, Rüstungsverkäufe grundsätzlich abzulehnen, weil in der Tat natürlich die Industrie darauf angewiesen ist, nicht nur der Bundeswehr zuzuliefern. Wenn sie modern und leistungsfähig sein will, dann muß sie über die Beschaffung der Bundeswehr hinaus auch an andere verkaufen.
Aber ich sage Ihnen folgendes: Die Bundesrepublik hat im Gegensatz zu anderen NATO-Staaten - wenn Sie an England, Frankreich und Italien denken
- die Werften privatisiert, und das finde ich auch vernünftig. Diese Werften haben sich im Wettbewerb sehr gut behauptet. Gerade die Tatsache - denken
Brigitte Schulte ({7})
Sie auch einmal an die U-Boote, die von Frankreich nach Chile geliefert wurden -, daß die Bundeswehr nicht all das mitgemacht hat, was andere Staaten machen, hat dazu geführt, daß diese Werften leistungsfähig sind. Ihre Verkäufer sollen sich gefälligst darum kümmern, daß an demokratische Rechtsstaaten geliefert wird. Sie haben das in der Vergangenheit übrigens auch getan und damit ganz gut gelebt.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wären besser beraten gewesen, wenn Sie im Parlament über Ihre Absichten vorher gesprochen hätten, wenn wir danach noch einmal gemeinsam über die Lage in Indonesien diskutiert hätten und wenn am Ende eine ehrliche Abstimmung stattgefunden hätte. So haben Sie es uns erleichtert, unsensibel, wie Sie sind, einem solchen Rüstungsexport auf keinen Fall zuzustimmen. Sie haben sich selbst und der
Bedeutung des Parlaments einen Bärendienst geleistet.
Ich danke Ihnen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Mai 1997, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.