Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/18/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste ({0}) - Drucksache 13/7385 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2}) zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({3}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung Multimedia-Mythen, Chancen und Herausforderungen - Drucksachen 13/2475, 13/5163 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Martin Mayer ({4}) Jörg Tauss Dr. Karlheinz Guttmacher c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann ({6}), Manfred Such, Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft III ({7}) - Drucksachen 13/5197, 13/5777, 13/6856 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Martin Mayer ({8}) Jörg Tauss Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Ich finde es gut, daß sich der Deutsche Bundestag an diesem heutigen Freitag schwerpunktmäßig mit dem Thema Multimedia beschäftigt. Multimedia ist ein zentrales Zukunftsprojekt für die Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein zentraler Schlüsselbegriff, eine zentrale Schlüsseltechnologie für den Standort Deutschland; es ist eine zentrale Antwort auf die Notwendigkeit der Sicherung bestehender Arbeitsplätze und der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Deshalb gehört Multimedia auch ins Zentrum der Standortdebatte. Als jemand, der sich wie viele von Ihnen mit diesem Thema seit Monaten intensiv beschäftigt, finde ich es mehr als erstaunlich, wieviel Unkenntnis in der Öffentlichkeit über dieses zentrale Zukunftsthema noch besteht. Es gibt manche, die davon ausgehen, daß Deutschland weit zurückgefallen sei, daß wir im internationalen Wettbewerb gleichsam chanchenlos seien. Mich wundert allerdings besonders, daß es selbst fachkundige Kollegen, die es, wie ich sicher bin, besser wissen, aus politischen Gründen für opportun halten, die Chancen, die wir in Deutschland haben, kleinzureden. Ich sage dies zu Beginn dieser Debatte, weil es der Kollege Mosdorf für richtig befunden hat, heute morgen in einem Artikel genau dieser Strategie zu folgen. ({0}) Mich hat gewundert, daß ihm die SPD-Fraktion, wenn ich richtig informiert bin, heute kein Rederecht erteilt hat. ({1}) Dennoch finde ich es wichtig, weil er ja der Vorsitzende der Enquete-Kommission ist, daß er sich mit diesem Punkt auseinandersetzt. Meine Damen und Herren, es ist eben nicht wahr, wie hier behauptet wird, daß Deutschland dabei sei, den Anschluß gründlich zu verpassen. ({2}) Es ist nicht wahr, daß wir zurückgefallen sind, sondern die Wahrheit ist, daß kaum ein Land in dieser Welt so gut auf das Multimediazeitalter vorbereitet ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Das heißt nicht, daß ich hier sage, wir hätten keine Probleme. Das heißt nicht, daß ich hier sage, wir müßten uns nicht anstrengen. Aber jeder weiß, daß die falsche Einschätzung der eigenen Ausgangsposition zwangsläufig dazu führt, daß die Strategien, die man darauf aufbaut, in die falsche Richtung gehen. Deshalb ist es mir wichtig zu sagen, daß wir in Deutschland in der Informationswirtschaft inzwischen nicht nur 1,4 Millionen Beschäftigte haben, und daß wir wissen, daß wir, wenn wir konsequent auf IuK setzen, bis zur Jahrhundertwende 1,2 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sichern können, die sonst verlorengingen, sondern daß wir darüber hinaus über 200 000 neue Arbeitsplätze in diesem Bereich schaffen können. Wir wissen, daß wir eine der besten Infrastrukturen im Bereich der Telekommunikation und der Informations- und Kommunikationstechnologien haben, die es weltweit gibt. Inzwischen stehen in der Hälfte der deutschen Büros PCs. Bundesweit gibt es 15 Millionen Geräte. 7 Millionen PCs stehen in den Haushalten. Nun sage ich Ihnen, Herr Kollege Mosdorf, wie das mit den Gutachten und den Prognosen so ist. Als ich ins Amt kam, hatten wir, wenn ich es richtig im Kopf habe, von seiten des TAB-Büros des Deutschen Bundestages - das seriös arbeitet, wie wir alle wissen - eine Prognose vorliegen, daß im Jahre 2000 allenfalls 25 Prozent der Haushalte in Deutschland mit PCs und Online-Anschluß ausgestattet wären. Im vergangenen Jahr hatten wir bereits 28 Prozent. Gerade dies zeigt, daß sich die notwendige Dynamik einstellt, wenn in Deutschland ein solcher Trend erst einmal begonnen hat. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund, hier in irgendeiner Form zu negativen Schlüssen zu kommen. Wir wissen, daß wir im Bereich der Infrastruktur auch im internationalen Vergleich hervorragende Voraussetzungen haben: 100 000 Kilometer Glasfaserkabel, in den neuen Bundesländern sogar flächendeckend, 38 Millionen Telefonanschlüsse, 16 Millionen Anschlüsse für das Fernsehkabelnetz, was über 40 Prozent aller Haushalte ausmacht. All dies . zeigt: Die Infrastruktur in Deutschland ist hervorragend. 3 Millionen ISDN-Anschlüsse ergänzen dieses Bild. Meine Damen und Herren, ich sage das deshalb, weil sich erst durch diese Erkenntnis die richtige Strategie ergibt. Es ist wahr: Wir haben einen Fehler gemacht. Dieser Fehler war, daß wir in Deutschland zu lange über die Netze debattiert haben. Das Starren auf die Ausstattung mit Anschlüssen - wie gesagt, unser Ergebnis ist exzellent - hat uns den Blick dafür verstellt, darüber nachzudenken, was in diesen Netzen eigentlich stattfinden wird, konkret ab dem 1. Januar 1998 nach der Liberalisierung der Netze. Damit komme ich zum zweiten Punkt - ich finde ihn neben der Infrastruktur genauso wichtig -, zur Anwendung. Ich gebe zu, hier sieht die Situation schon etwas schwieriger aus. Dort ist sie nicht ganz so rosig wie bei der Infrastruktur. Aber auch da ist die Situation nicht hoffnungslos, sondern eigentlich ganz positiv zu bewerten. Sie ist deshalb positiv zu bewerten, weil wir uns intensiv darum bemühen, noch vorhandene Rückstände in diesem Bereich abzubauen. Nun hat der Kollege Mosdorf kritisiert, daß wir zuwenig Forschungsmittel für diesen Bereich zur Verfügung stellen. ({3}) - Nein. Lieber Herr Kollege Tauss, im Unterschied zu manchen anderen Äußerungen setze ich mich mit den Äußerungen des Kollegen Mosdorf sehr intensiv und ernsthaft auseinander, wie Sie merken. Die Frage der Zurverfügungstellung der Mittel, verehrter Herr Kollege Mosdorf, bitte ich in Ihrer eigenen Fraktion einer genaueren Diskussion und Klärung zu unterwerfen. Im Rahmen der Haushaltsdebatten der letzten Jahre bin ich gerade von Ihrer Fraktion dafür kritisiert worden, daß ich die Mittel sehr stark auf diesen Bereich konzentriert habe. Inzwischen sind es fast 1 Milliarde DM. Sie haben mir vorgeworfen, ich würde andere Bereiche ausbluten. ({4}) Hier gilt: entweder - oder. Ich meine, Sie können sich bis zur nächsten Haushaltsdebatte damit beschäftigen. ({5}) Zurück zum zweiten Punkt, was man im Bereich der Anwendung tun muß und tun kann. Ich weiß, daß es zur Rolle der Opposition gehört, Initiativen zu kritisieren. Aber bei „Schulen ans Netz" habe ich das nicht so gerne, und zwar deshalb, weil man nicht denjenigen beschimpfen sollte, der eine Initiative ergreift, obwohl andere dies schon längst hätten tun müssen. ({6}) Sie haben mit Recht gesagt, „Schulen ans Netz" ist eine gute Sache. Darüber sind wir einer Meinung. Über den Umfang kann man reden. Wenn man ein Drittel anpackt - von den 35 000 Schulen läuft es bei 10 000 an -, dann kann man natürlich sagen: Schöner wären zwei Drittel, am besten wären 100 Prozent. - Einverstanden. Aber der entscheidende Punkt an der ganzen Sache ist, daß nur durch die Aktion „Schulen ans Netz" der Zug überhaupt ins Rollen gekommen ist. ({7}) Die Länder, die eigentlich zuständig sind, haben ihre Aufgabe über Jahre hinweg nicht erfüllt. Wir haben mit dieser Initialzündung erreicht, daß verhindert wird, daß unsere Schulen zu PC-freien Zonen werden. Jetzt sage ich noch eines to whom it may concern, weil wir immer wieder wegen Bürokratismus gescholten werden. Die Aktion „Schulen ans Netz" ist vor etwa einem Jahr gestartet worden. Das heißt, wir haben es geschafft, innerhalb von wenigen Monaten bereits 3500 Schulen in Deutschland entsprechend auszustatten; am Ende des Jahres werden es 6000 von insgesamt 10 000 im Programm sein. Ich finde, daß das eine tolle Leistung ist; das sage ich nicht in meine Richtung, sondern in Richtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das umgesetzt haben. ({8}) Im Bereich der Anwendungen gibt es aber natürlich noch weitere Schritte, die wir unternehmen. Ich will auf unser Hochgeschwindigkeitsnetz, das Deutsche Forschungsnetz, kurz DFN genannt, hinweisen. Wir haben inzwischen in den Netzen eine Übertragungsgeschwindigkeit von 155 Megabit pro Sekunde erreicht. Das entspricht einer monatlichen Datenmenge von 2 Milliarden beschriebener DIN-A4Seiten. Alle unsere 326 Hochschulen und alle Forschungseinrichtungen sind angeschlossen. Im Sommer wird die Übertragungsgeschwindigkeit auf 622 Megabit pro Sekunde gesteigert. Das ist eine technische Mitteilung. Die politische Mitteilung und die Schlußfolgerung, die sich daraus ergibt, lauten kurz zusammengefaßt wie folgt: Andere, wie etwa die amerikanischen Kollegen, reden von solchen Datennetzen, wir haben sie bereits. ({9}) Das ist auch deshalb ein wichtiger Punkt, weil es über die technische Ausstattung hinaus darum geht, daß unsere Wissensfabriken in der Wissensgesellschaft an das Wissen dieser Welt angeschlossen sind. Daneben haben wir noch weitere Aktionen gestartet, etwa im Bereich der Telearbeit, des Teleservice, der globalen Bibliothek und der Telekooperation, das heißt der Anwendung solcher Technologien und Techniken etwa im Zusammenhang mit dem Umzug Bonn-Berlin oder im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Der dritte Punkt neben der Infrastruktur und den Anwendungen - ich fordere Sie auf, darüber einmal gemeinsam nachzudenken - betrifft die Frage nach den unmittelbaren Inhalten. ({10}) - Nachdenken, Kollege Tauss, setzt voraus, daß Sie mir freundlicherweise zuhören. Wenn man redet, muß man vorher immer das Gehirn einschalten. Erst das Gehirn einschalten, dann reden - das ist die Reihenfolge. ({11}) Bei der Frage nach den Inhalten haben wir eine nicht ganz einfache Situation. Es besteht eine ziemlich starke amerikanische Überlegenheit im Bereich des Entertainments, obwohl durch die Oscar-Verleihung auch in Deutschland das eine oder andere ganz kleine positive Signal festzustellen ist. Darüber nachzudenken ist nicht nur eine technische Frage; darüber nachzudenken ist eine kulturelle Frage. Ich bin mehr als skeptisch, ob der französische Weg der gesetzlichen Festlegung von Quoten bei Fernsehübertragungen und ähnliche Maßnahmen der richtige Weg sind. Alle Erfahrungen, die bisher mit solchen Maßnahmen gemacht worden sind, von Minitel angefangen, haben letztlich ein Stück in die Irre geführt. Umgekehrt weiß jeder von uns, daß wir mit staatlichen Mitteln etwa im Bereich der Software überhaupt nicht in der Lage sind zu intervenieren, weil Software eben kein übliches Forschungsprojekt darstellt, sondern ein Endprodukt ist, das wir nicht vom ersten Tag an subventionieren sollten. Das macht das Problem dabei aus. Dennoch glaube ich, daß es richtig und notwendig ist, bestimmte Bereiche zu identifizieren, in denen der Staat teilweise der einzige Kunde ist, etwa den Bereich des Telelearning und alles, was mit Bildung zu tun hat. Wir haben gerade eine Initiative im Rahmen der Europäischen Union gestartet, denn auch hier nützt es nichts, die Sache nur national zu betrachten. Das ist ja nicht nur eine Frage des Willens, sondern häufig auch eine Frage des Marktes. Ich komme zum vierten Punkt - hiermit beschäftigen wir uns heute intensiv in diesem Hohen Hause -: Dabei geht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Informations- und Kommunikationsdienste. Wir haben über diesen Punkt schon verschieBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers dentlich diskutiert. Ich war dankenswerterweise, Herr Kollege Mosdorf, in der Enquete-Kommission eingeladen. Es ist gut zu wissen, daß wir von der Grundauffassung her bei diesem Gesetz in diesem Hause eigentlich übereinstimmen. Das bedeutet nicht, daß wir uns bei den jetzt folgenden Beratungen nicht noch über die eine oder andere Einzelheit unterhalten müßten. Für mich ist aber in diesem Zusammenhang zuerst einmal die Tatsache wichtig, daß dieses Gesetz kommt. Es ist deshalb wichtig, weil es endlich klare Rahmenbedingungen für die Informations- und Kommunikationsdienste in Deutschland schafft. Man kann es noch weiter gefaßt formulieren: Wir sind das erste Land in der Welt, das sich aufmacht, solche Rahmenbedingungen zu formulieren. ({12}) Am Anfang gab es bei den beteiligten Gruppierungen in der Industrie und in der Wissenschaft ein Stück weit Überraschung und auch ein Stück weit ein Abtasten: Was wollen die da? Wir wissen ja, wenn wir so etwas in schnell wachsenden und sich schnell verändernden Bereichen machen, dann vermuten viele, daß wir alles regulieren wollen. Ich bin froh, daß, nachdem es die eine oder andere erste zögerliche Reaktion gab, inzwischen eigentlich alle - von der Wirtschaft bis zur Wissenschaft - diesen Gesetzentwurf positiv kommentiert haben. Ich glaube, das ist eine gute Voraussetzung, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen. ({13}) Wir haben dieses Gesetz ja auch als Beitrag zur Deregulierung angelegt und von Anfang an darauf verzichtet, eine Vielzahl von Detailregelungen zu treffen. Wir haben - das war die große Schwierigkeit - mit den Ländern in umfangreichen Gesprächen und Verhandlungen Abgrenzungen vornehmen müssen. Da will ich Sie doch einmal persönlich ansprechen, verehrter Herr Kollege Tauss. Ich stelle mich auch schriftlich geäußerter Kritik. Natürlich kann man sich hier hinstellen und sagen: Das hättet ihr aber ganz anders machen müssen. ({14}) - Nun hören Sie doch einmal zu, bevor Sie den Mund aufmachen! ({15}) - Ich will ja nicht unterstellen, daß es ein genetischer Defekt ist. ({16}) Natürlich kann man hingehen und sagen, daß man alles noch mehr hätte zusammennehmen müssen, daß man den Föderalismus noch mehr vor der Tür hätte lassen müssen. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, das irgendwo zu schreiben oder zu sagen, ist natürlich eine leichte Sache, wenn man mit den eigenen Parteifreunden auf der anderen Seite sitzt und genau das zu verhindern versucht. Der Grundansatz, den wir gehabt haben, bestand genau darin, möglichst einfache Regelungen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland mit Ausstrahlung darüber hinaus zu finden, um zu verhindern, daß die Landesrundfunkanstalten plötzlich diejenigen Behörden sind, die den Nutzern der Netze sagen, in welchen Antragsverfahren das Ganze abzulaufen hat. Daß wir das geschafft haben, ist doch schon eine Riesenvoraussetzung, selbst wenn es an der einen oder anderen Stelle noch Probleme gibt. ({17}) Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Kompromiß; das ist wohl wahr. Ich weiß auch, daß die eine oder andere Stelle anders hätte gemacht werden können. Ich kenne nämlich meine eigenen Texte, mit denen ich in die Verhandlungen hineingegangen bin. Nur, am Schluß galt es, eine Abwägung zu treffen zwischen jahrelangen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern bis hin zum Bundesverfassungsgericht und einem Kompromiß. Da taucht dann die Frage auf, ob der Kompromiß tragfähig ist oder nicht. Ich sage Ihnen: Ich halte diesen Kompromiß für tragfähig. Ich stelle mich nachdrücklich hinter ihn. Ich halte ihn deshalb für tragfähig, weil er in den zentralen Fragen - Zugangsfreiheit, Grundzüge der Verantwortlichkeit, bereichsspezifischer Datenschutz - wort- und inhaltsgleiche Regelungen sowohl im Gesetz als auch im parallelen Staatsvertrag vorsieht. Daher ist es aus der Optik desjenigen, der später Nutzer oder, anders formuliert, Kunde ist, völlig gleich, ob die Rechtsgrundlage im Gesetz oder im Staatsvertrag steht. Für ihn wird es sich nur im Rubrum irgendeines Verwaltungsaktes darstellen. Die Behörden, die das umsetzen, sind sowieso dieselben. Solange das wort- und inhaltsgleich ist, wird es der Nutzer überhaupt nicht merken. Das ist, glaube ich, die zentrale Kompromißformel gewesen, der Grund dafür, daß wir uns hier haben verständigen können. Klarheit gibt es auch bei den Anwendungsbereichen. Klar ist: Teledienste und Mediendienste sind kein Rundfunk, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Es gibt eine Zugangsfreiheit für die Mediendienste, und es gibt eine Zuordnung der heute bekannten Dienste zum Gesetz oder zum Staatsvertrag. Darüber hinaus haben wir - das ist politisch wichtig - mit den Ländern die Vereinbarung getroffen, daß wir uns, wenn sich technisch etwas ändert - jeder von uns weiß, daß sich technisch fast täglich etwas ändert - und es notwendig ist, zusammensetzen werden, um gemeinsam eine Lösung zu finden und die notwendigen Zuordnungen zu treffen. Ich halte meinen Gesprächspartner, den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck, in dieser Frage für einen Ehrenmann, um das im Klartext zu sagen. Wir haben unser Wort gegeben, und er hat für die Länder sein Wort gegeben. Ich verlasse mich darauf. ({18}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie nervös werden, wenn ich einen Ihrer Parteifreunde lobe. Ich weiß nicht, was Sie nervös macht. ({19}) Das mag Herr Beck mit Ihnen ausmachen; das ist nicht mein Problem. Wir brauchen übrigens auch keine neue Behörde wie die vorgeschlagene Bund-Länder-Agentur. Wir können das anders regeln. Wir werden im Rahmen der Beratungen noch etwas über das Thema Datenschutz diskutieren müssen. Es hat gerade in den letzten Tagen die eine oder andere Anmerkung des Bundesdatenschutzbeauftragten gegeben. Aus diesem Grunde liegt mir daran festzustellen, daß dieser Gesetzentwurf erstens mit den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern abgestimmt ist und zweitens von ihnen unterstützt wird. Wir sollten allerdings - sonst wären die Beratungen hier im Hause gar nicht notwendig - noch über den einen oder anderen Punkt diskutieren, und zwar ganz konkret über das Problem der Weitergabe von personenbezogenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste. Kollege Schmidt-Jortzig wird vermutlich - ich weiß das nicht genau - dazu gleich noch etwas sagen. Der dritte Punkt betrifft das Thema digitale Signaturen. Daß ich diesen Punkt anspreche, obwohl er, so glaube ich, im Gesetzentwurf sehr gelungen geregelt wurde, hat damit zu tun, daß wir damit weltweit Neuland betreten. Wir sind das erste Land, das dies regelt. Mit diesem Signaturgesetz wird technische und administrative Sicherheit geschaffen werden. Auch ich will, wenn ich in Zukunft meine Banküberweisungen per Computer ausstelle, sicher sein, daß nicht irgendein Hacker das Komma auf meiner Banküberweisung eine Stelle weiter rechts setzen kann. Hier müssen wir Sicherheiten schaffen. Wir werden in unserem Gesetzentwurf hierzu erste Schritte unternehmen. Wir werden in einem zweiten Schritt dann prüfen, inwieweit im Zivilrecht, Prozeßrecht und Verwaltungsverfahrensrecht digitale Signaturen verwandt werden können. Mein Appell richtet sich hier in Richtung Bundesrat: Ich halte nichts davon, das Ganze staatlich zu organisieren. Es scheint mir ein falscher Weg zu sein, jetzt wieder staatliche Behörden aufzubauen, die solche digitalen Signaturen verwalten. Das wird innerhalb kürzester Zeit angesichts der explosionsartigen Vermehrung der Anwendungen dazu führen, daß wir hier eine Oberbehörde bekommen. Man sollte das privatrechtlich regeln. Das geht auch, wie wir wissen. Von daher gesehen sollten wir in der weiteren Debatte mit dem Bundesrat dafür sorgen, daß diese Erkenntnis, so wie sie im Entwurf formuliert ist, im Gesetz bleibt. Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung zum Thema Jugendschutz machen. Dies betrifft etwa 1 Prozent der Angebote - nicht 99 Prozent -, die derzeit im Netz anzutreffen sind. Mir ist es wichtig, darauf immer zu Beginn hinzuweisen, damit die öffentliche Debatte keine falsche Schlagseite bekommt. Auf der anderen Seite ist es mir wichtig, daß wir diese Regelungen haben; erstens aus der allgemeinen Erkenntnis heraus, daß jede Technologie Akzeptanz benötigt. Wenn sie keine Akzeptanz erhält, findet sie auch keinen Markt. Von daher ist es notwendig, daß der eine oder andere Vorbehalt, den es mit Recht gegenüber manchem Informationsmüll gibt, im Gesetzentwurf aufgenommen worden ist. Ich finde es zweitens falsch, wenn wir den Versuch machen würden, einen solchen Punkt technisch perfekt - das geht sowieso nicht - und rechtlich umfassend zu regeln. Mir ist etwas anderes sehr viel wichtiger, und zwar, daß festgehalten wird, daß auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist und werden darf. Es darf keine rechtsfreien Räume geben. Denn Recht hat nach unserem gemeinsamen Verständnis vor allen Dingen immer etwas mit dem Schutz von Schwachen zu tun. ({20}) Die Frage, ob ich das überall - zum Beispiel in der Karibik, bei irgendeinem, der etwas in das Internet eingibt - durchsetzen kann, ist nicht so wichtig wie die Tatsache, daß dieses Land, diese Kulturnation, sagt, daß sie nicht bereit ist zu akzeptieren, daß im Internet bestimmte Angebote erscheinen. Die Verbreitung der Auschwitz-Lüge muß verboten bleiben, unabhängig davon, ob sie in Schwarz oder Weiß, in Bits oder Bytes verbreitet wird. Ich glaube, daß wir eine pragmatische Lösung gefunden haben. Es hat zu Beginn der Debatte die eine oder andere kritische Anmerkung von seiten der Industrie gegeben. Sie wissen, daß es uns inzwischen gelungen ist, eine freiwillige Selbstkontrolle mit den Betroffenen zu vereinbaren. Das heißt im Klartext, daß auch sie inzwischen akzeptiert haben, daß es solche Regelungen geben muß. Ich würde mir wünschen, daß es in der nächsten Stufe in der Industrie auch im Bereich der praktischen Angebote - etwa für Eltern - zu Fortschritten kommt. Mein Wunsch wäre, daß jeder dieser Dienste in Zukunft automatisch ohne Mehrkosten mit einem elektronischen Schlüssel versehen ist, mit dem die Benutzer selber Regelungen treffen können, was sie jeweils in ihren vier Wänden zulassen wollen oder nicht. Wir gehen auf jeden Fall jetzt den Weg einer einerseits rechtlich klaren Form, andererseits aber verbunden mit dem Versuch, über freiwillige Selbstkontrolle und internationale Verabredungen ein entsprechendes Regelwerk vorzulegen, das auf Grund dieser Technik unvollkommen sein muß, das aber die Grundsatzposition nicht nur des Deutschen Bundestages aufnimmt, sondern auch derjenigen in Deutschland, die nicht wollen, daß rechtliche FreiBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers räume entstehen, die sich einem wertenden Zugriff durch den Gesetzgeber auf dem Hintergrund unseres Grundgesetzes und der darin festgehaltenen Wertordnung entziehen. Ich bedanke mich sehr herzlich. ({21})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Siegmar Mosdorf. ({0})

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei kritische Anmerkungen von mir sind eben vom Herrn Minister zitiert worden. Der erste Punkt betraf die Frage der Entwicklung in Europa und Deutschland auf der einen und in Amerika auf der anderen Seite. Ich habe in der Tat Sorge, daß wir ökonomische und technologische Vorsprünge weiter verlieren. Sie wissen, daß der Anteil Europas am internationalen Markt der Informationstechnik von 35 auf 28 Prozent zurückgegangen ist, daß die Amerikaner deutlich aufgeholt haben und inzwischen bei einem Anteil von 41 Prozent liegen. Woran liegt das? - Das liegt daran, daß es eine Verlagerung von der. Hardware zur Software gibt, an der Frage, wie man bestimmte Dinge in Richtung auf Dienstleistungen und hinsichtlich der Inhalte organisiert. Ich glaube, daß wir - das hat auch etwas mit Mentalitäten zu tun - in den beiden letzten Punkten, nämlich Dienstleistungen, Services und Inhalte, wirklich erhebliche Nachteile haben und aufholen müssen. Das ist der erste kritische Punkt. Ich glaube auch, daß wir in den letzten Jahren zu technikzentriert waren. Daher müssen wir uns daran orientieren, in diesem Punkt aufzuholen. Der zweite kritische Punkt bezog sich ganz generell auf die Frage: Wie können wir Innovationen in dieser Zeit fundamentaler Veränderungen vorantreiben? Man kann nachvollziehen, daß wir Ihnen immer wieder gesagt haben, wir helfen dem Forschungsminister - ich denke dabei an Frau Odendahl und an Frau Bulmahn -, damit er einen anständigen Haushalt, ein ausreichendes Budget hat. Leider waren Sie nicht ganz so hilfreich wie wir; Sie wissen das selber. Sie wollten viel mehr machen, Sie haben aber nur begrenzte Mittel. Der Forschungsetat ist in den letzten zehn Jahren um real 28 Prozent gesenkt worden. Das ist eine falsche Prioritätensetzung. Ich biete Ihnen an, darüber zu reden, ob wir nicht die jetzt entstehenden Lizenzgebühren von 1,8 Milliarden DM im Telekommunikationssektor für den gesamten Bereich der Innovationen und der Investitionen reservieren. Wenn Ihre Fraktion da mitzöge, wäre es wunderbar. Das wäre für den Fortschritt auf diesem Weg in Deutschland ein wichtiger Beitrag. Ein dritter und letzter Punkt: Die Initiative „Schulen ans Netz" ist richtig, die Richtung stimmt; auch die Tatsache, daß Sie dies angestoßen haben, haben wir nie kritisiert, sondern im Gegenteil begrüßt. Aber Sie wissen genausogut wie ich, daß das ein kleindimensioniertes Programm ist. Gott sei Dank hilft die Telekom, Gott sei Dank helfen inzwischen andere Sponsoren. Das wird auch fortgesetzt werden, und das ist gut so. Aber Sie wissen auch, daß wir noch nicht ein Drittel der Schulen am Netz haben. Die mir vorliegenden Zahlen weisen aus, daß 3 400 von 40 000 Schulen angeschlossen sind. Es geht ja nicht nur um Schulen; es geht auch um Weiterbildung und um viele andere Dinge. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dann müssen wir noch viel mehr tun. Wenn wir Medienkompetenz erreichen wollen, dann lassen Sie uns da ein bißchen mehr Pace machen und diese Aktivitäten nicht parteipolitisch zuordnen! Ich weiß, daß Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern bei der Aufstockung dieses Programms besonders engagiert sind. Das ist die Wahrheit. Wir können darüber reden, in welchen anderen Ländern dies aus welchen Gründen auch immer schwieriger ist. Wir müssen viel mehr tun, und das wollte ich mit meiner Kritik deutlich machen. Ich glaube, das ist nur hilfreich für den weiteren Gang der Dinge. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, möchten Sie darauf erwidern? - Nein. Dann erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Wolfgang Thierse.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Begriff der Informationsgesellschaft wird fast schon wie eine Beschwörungsformel verwendet. Politiker und Publizisten unterscheiden sich meist nur darin, daß der eine den Übergang zur Informationsgesellschaft beschwört, der andere uns an ihrem Beginn sieht und dieser oder jener feststellt, wir seien bereits mittendrin. In Wirklichkeit finden wir einen rasanten Vorgang, bei dem es um die Existenzchancen und um die Lebensweise schon in den allernächsten Jahren geht. Der Vorgang ist nur zu vergleichen mit der industriellen Revolution, die binnen 200 Jahren das gesellschaftliche Leben total veränderte. Jetzt kommt ein solcher Einschnitt wieder vor. Er wird schneller durchschlagen als die Industrialisierung und genauso tief in unsere Lebenswelt eingreifen. „Wir befinden uns mitten in einem Umbruch des geltenden Systems der Wertschöpfung", schreibt Johann Welsch. Das System ist noch gekennzeichnet durch Tätigkeiten wie „Rohstoffe gewinnen, Werkstoffe und Gegenstände verformen, Dinge bearbeiten, materielle Produkte bewegen und transportieren. Unterstützt werden diese Arbeiten durch die Nutzung von Sachkapitalgütern." Das geht zu Ende. Sie werden ersetzt durch „Sammeln, Auswerten, VerWolfgang Thierse ändern, Übertragen und Verteilen von Informationen - das sind Tätigkeiten, die mehr und mehr den Schwerpunkt menschlicher Arbeit bilden und die die unmittelbar fertigungsbezogene Produktionsarbeit aus ihrer bislang vorherrschenden Position verdrängen". So weit das Zitat. Ich überlasse es Ihrer Phantasie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich die Folgen der Revolution auszumalen. Unsere Aufgabe, die Aufgabe des Parlaments, ist es, in diese technische und ökonomische Revolution insoweit einzugreifen, als ihre sozialen Folgen und Begleitumstände erträglich sind und die Regeln, die wir für diese neuartige Gesellschaft benötigen, rechtzeitig zur Verfügung stehen. Bei der Regelung der Informations- und Kommunikationsdienste geht es um unsere zukünftigen Chancen auf Wohlstand im internationalen Wettbewerb. Der Bundesforschungsminister ist nun der Auffassung - so las ich in der „Wirtschaftswoche" -, Deutschland sei auf die Informationsgesellschaft optimal vorbereitet; ({0}) er hat dies hier gerade wieder gesagt. Das Blatt findet, Herr Kollege Rüttgers, Sie dächten gerne positiv, und das ist durchaus ein Lob. Es setzt dann aber nach - ich zitiere -: Da muß der Kanzler-Zögling wohl die falschen Datenbanken angezapft haben. ({1}) Zwar haben wir in der Tat das bestausgebaute ISDN- und Glasfasernetz der Welt, ({2}) aber sonst hinken wir meilenweit hinterher. In den USA kommen auf 100 Einwohner 48 Computer, bei uns sind es 28; der Minister hat gerade dieselbe Zahl genannt. In Japan werden pro Kopf der Bevölkerung 1 100 DM in Investitionstechnik investiert, bei uns sind es nur 900 DM. Das hat auch - Kollege Mosdorf hat gerade darauf hingewiesen - mit dem Forschungsetat zu tun. Wie gern spricht der Minister von der Wissensgesellschaft, die es vorzubereiten gelte. Recht hat er. Das heißt aber vor allem: Wissen vermehren, Wissen anwenden und weitergeben. Dazu bedarf es schon lange auch staatlicher Förderung; denn die Investitionen dafür sind enorm. ({3}) Die Bundesregierung aber senkt die Forschungsaufwendungen - zuletzt sogar um 5,6 Prozent -, statt tatsächlich in die Wissensgesellschaft zu investieren. Der Zukunftsminister sagt dazu, jeder müsse sparen und auch sein Ressort könne und wolle sich dem nicht entziehen. Na, denn gute Nacht! Was wir dagegen tatsächlich brauchen, ist eine gewaltige Anstrengung, so groß, daß sie nur von Staat - Bund, Länder und Gemeinden - und Wirtschaft gemeinsam durchgehalten werden kann. Ich nenne nur ein Beispiel, um die Aufgabe, aber auch die Lage zu illustrieren. Junge Menschen, Schülerinnen und Schüler, unterscheiden sich heute auf eine neue Art voneinander: solche aus Elternhäusern mit PC und InternetAnschluß und solche aus Elternhäusern mit Videorekordern. Das ist eine folgenreichere Unterscheidung als die bisher übliche. Da hatten wir Kinder aus gebildeten Haushalten, an den Umgang mit Buch und Sprache gewöhnt, die größere Chancen auf weiterführende Bildung hatten. An dieser Chancenungleichheit vermochte man einiges zu ändern. Jetzt aber bereiten sich die einen - bisher wenige - intensiv auf die Informationsgesellschaft vor, die doch bereits vorhanden ist, und den vielen anderen bleibt das praktisch vorenthalten. Da werden auf eine Art und Weise Lebenschancen ungleich verteilt, die die Ungleichheiten der letzten Jahrzehnte in den Schatten stellen könnte. Die Antwort der Bundesregierung darauf ist im Prinzip richtig: Schulen ans Netz. Tatsächlich aber ändert sich dadurch noch nicht viel. Das Land Nordrhein-Westfalen, aber auch andere haben zusätzlich eigene Programme aufgelegt, um Schulen mit Internet-Zugängen zu versorgen. Stolz meldet zum Beispiel Düsseldorf, daß in diesem Jahr 60 Prozent aller Schulen über einen Zugang verfügen. Aber wieviel Prozent der Schulen werden insgesamt über Internet-Zugänge verfügen, wenn Ihr Programm in den nächsten Jahren abgeschlossen sein wird? Die Antwort kann nur unbefriedigend sein. Und: Ein Netzzugang bedeutet noch lange nicht, daß jeder Schüler und jede Schülerin ausreichend Kompetenz im Umgang mit der Informationstechnik erwerben kann. Es bleibt also beim Startvorteil der wenigen. Das Programm „Schulen ans Netz" wird rund 60 Millionen DM gekostet haben. Benötigt wird aber mindestens 1 Milliarde DM. Und wir haben nicht viel Zeit zur Vorbereitung; denn die heutige Schülergeneration wird bereits in einer veränderten Gesellschaft, in einer veränderten Arbeitswelt zurechtkommen müssen. Darauf zielt unser Konzept der Bildungspartnerschaft. In diesem Rahmen steht der Entwurf der Bundesregierung für ein Multimediagesetz. Es verhält sich zum Stand der Informationstechnik wie der reitende Bote zum Internet. ({4}) Sie haben angekündigt, Herr Forschungsminister, mit dem heute zur Beratung anstehenden Entwurf für ein Informations- und Kommunikationsdienstegesetz einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für die neuen Dienste zu schaffen und eine Schneise für Multimedia zu schlagen. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß Sie, um die notwendige Vereinbarkeit Ihres Gesetzentwurfs mit dem Mediendienstestaatsvertrag der Länder herzustellen, schwierige Verhandlungen mit verschiedenen Positionen zu führen hatten. Es ist gelungen, Annäherungen zu erreichen. Das ist zu begrüßen. Denn am Regulierungsbedarf der neuen Dienste gibt es keinen ernstzunehmenden Zweifel. Aber zwischen Regulierungsbedarf und Regulierungswut liegen Welten. Im Multimediabericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag findet sich ein Satz, der präzise zum Ausdruck bringt, weshalb Ihr Gesetzentwurf bestenfalls wirkungslos bleiben wird. Dort ist zu lesen -ich zitiere -: Im Kern geht es heute bei Multimedia um die Interaktion mit computerbasierten Anwendungen, in denen unterschiedliche Medientypen integriert sind. Das genau ist das Problem, das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht gelöst wird, ja noch nicht einmal hinreichend erkannt wurde. Die Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Mediendiensten und Telediensten - die einen in Länderzuständigkeiten, die anderen in Bundeszuständigkeit - und die Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation lassen diesen Integrationsaspekt außer acht. Der Online-Dienste-Anbieter Compuserve kommt zu dem Schluß, daß alles und jedes sowohl als Mediendienst als auch als Teledienst einzuordnen ist. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, Herr Dr. Rüttgers, die in Ihrem Hause eingegangenen Stellungnahmen aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften sorgfältig durchzulesen, werden Sie feststellen, daß meine Kritik darin mehrheitlich geteilt wird. Ich verzichte darauf, die Absender dieser kritischen Stellungnahmen aufzuzählen. Es sind sehr viele. ({5}) In der Wirtschaft ist man in großer Sorge, daß die künstliche Trennung von Telediensten und Mediendiensten zu erheblichen Abgrenzungsproblemen mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland führen wird. Dort weiß man sehr wohl, daß diese Unterscheidung praxisfern ist, und befürchtet endlose juristische Auseinandersetzungen zwischen Anbietern und der jeweils zuständigen Regelungsinstanz. Nur, welcher Regelungsinstanz eigentlich? Ich zitiere: Der Gesetzgeber definiert keine einheitliche Regelungsinstanz, stellt keine einheitliche Anspruchsstelle für Verbraucherbelange zur Verfügung, bietet keine Stelle zur Regelung von Zweifelsfragen an und stellt damit keine Regelung bereit, die seine Ausführung sicherstellen. Dieses Zitat aus der Stellungnahme der Deutschen Postgewerkschaft - von der ich hoffe, daß Sie sie gelesen haben, Herr Minister - trifft den Nagel auf den Kopf. Vor diesem Hintergrund fürchte ich, daß sich bereits auf dem Markt tätige Unternehmen bzw. potentielle Anbieter den zu erwartenden langen Verfahren erst gar nicht aussetzen und statt dessen gleich ins benachbarte Ausland abwandern. Ob ein OnlineDienst in Hamburg, Berlin oder München oder in Rom, Prag oder Zürich seinen Sitz nimmt, spielt unter den Bedingungen weltweiter Vernetzung und der Datenübertragung in Echtzeit längst keine Rolle mehr. Ein Grund für die einhellige Skepsis gegenüber Ihrem Entwurf ist, daß Sie die dramatischen Veränderungen in der Medienlandschaft, das Zusammenwachsen von Fernsehgerät, Telefon, Fax und Computer schlicht ignorieren. Die technische Entwicklung ist es, die den Gesetzentwurf schon heute zu einer Art Relikt macht. Wer will denn künftig noch sachgerecht zwischen Medien- und Telediensten unterscheiden, wenn das Internet längst dazu fähig ist, sowohl digitale Informationsdienste jeder Art als auch das klassische Fernsehen zu übertragen? Microsoft fängt in den USA gerade damit an. Wir konnten das vor zwei Tagen lesen. Sie selbst, Herr Minister, mußten eine gewisse Vorahnung gehabt haben, als Sie davon sprachen, daß es Grauzonen gebe, derentwegen man mit den Ländern im Gespräch bleiben müsse. Mir scheint, das ganze Gesetz ist eine Grauzone. Die im Regierungsentwurf vorgenommene Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation ist technisch veraltet. Die Unterscheidung zwischen an die Allgemeinheit gerichteten Mediendiensten und nicht an die Allgemeinheit gerichteten Telediensten ist sachlich falsch und deshalb begrifflich willkürlich. ({6}) Der Gesetzentwurf provoziert ohne Not ein Abgrenzungsproblem, das in der Praxis nicht aufgelöst werden kann, ein Regulierungswirrwarr, das Ihrer eigenen Deregulierungsparole eklatant widerspricht. Eine Medienordnung, die sich auf solchen Irrtümern gründet, wird notgedrungen keinen Bestand haben und die Entwicklung behindern, statt sie zu fördern. ({7}) Ihr Gesetzentwurf verstetigt die Rechtsunsicherheit, die er zu beseitigen vorgibt. In unserem Antrag „Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" haben wir die Weiterentwicklung der bewährten dualen Rundfunkordnung zu einer dualen, einer bundeseinheitlichen Informations- und Medienordnung vorgeschlagen, in der der klassische Rundfunk, das Internet und die noch relativ jungen Online-Dienste geregelt werden. Wir brauchen eine Informations- und Mediengesetzgebung aus einem Guß. Der von Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertretern und zahlreichen Medienexperten wiederholt unterbreitete Vorschlag einer gemeinsamen Bund-Länder-Regulierungsinstanz scheint mir insoweit plausibel zu sein, als er erstens der technischen Entwicklung gerecht werden kann und zweitens der im Grundgesetz festgelegten Verteilung der medienpolitischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern entgegenkommt. ({8}) Wenn Deutschland den Anschluß an die internationale Entwicklung nicht verlieren will, sollte es uns doch gelingen, angemessene Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Übergang in die Informationsgesellschaft zu schaffen. Dazu gehört aber auch, daß Sie, meine Damen und Herren in der Bundesregierung und in den Koalitionsfraktionen, auf GedanWolfgang Thierse kenspielereien über die Beseitigung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, wie sie noch im vergangenen Jahr angestellt wurden, künftig verzichten. ({9}) Die Bestands- und Entwicklungsgarantie für ARD und ZDF ist mit der SPD nicht verhandelbar. Wir haben keine andere Wahl, als den Weg in eine neue Medien- und Informationsordnung gemeinsam zu gehen. Der erste Anlauf ist mit diesem Gesetzentwurf nicht geglückt. Der Wille zur Gemeinsamkeit zeigt sich aber auch darin, daß man solche Provokationen wie in der Frage der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten künftig unterläßt. Die Informationsgesellschaft im anarchischen oder marktradikalen, nur dem totalen Kommerz verpflichteten Selbstlauf erzeugt eine neue soziale Spaltungslinie zwischen „information rich" und ,,information poor". Wir wollen möglichst viele Menschen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft mitnehmen. Wir wollen, daß der Wandel von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft sozial- und demokratieverträglich vonstatten geht, daß neue Arbeit erwächst, daß neue Ideen neue Produkte hervorbringen, daß die Umwelt entlastet und die Menschen überall auf der Welt näher zusammenrücken. Diese Vision möglich zu machen ist die wichtigste Aufgabe politischer Gestaltung. Politik und Wirtschaft sind verpflichtet, die infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Vision Wirklichkeit werden kann. Zu dieser Aufgabe gehört auch eine tragfähige Medien- und Informationsordnung, die die Entwicklung befördert und nicht behindert. Die frühzeitige Vermittlung von Medienkompetenz ist übrigens auch der beste Jugendschutz. ({10}) Eltern und Lehrer müssen die Jugendlichen gemeinsam auf einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet vorbereiten. Der Staat seinerseits muß tätig werden, wiewohl aber auch unmißverständlich klargemacht werden muß, daß es keinen hundertprozentigen Schutz gegen kriminelle Inhalte geben kann. Ja, das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, aber wir müssen ebenfalls wissen, daß nicht alles, was wir wollen, technisch und rechtlich sinnvoll und möglich ist. Kinderpornographie und Rechtsextremismus sind im übrigen keine Erfindungen des Netzes, sondern ein Problem der ganzen Gesellschaft. Es ist durchaus problematisch, wenn die Staatsanwaltschaft gegen seriöse Unternehmen wie Eunet, Microsoft oder Compuserve wegen der Verbreitung pornographischer Inhalte vorgeht, für die die genannten Diensteanbieter überhaupt nicht verantwortlich zeichnen ({11}) und von denen sie insofern noch nicht einmal Kenntnis hatten. Angesichts von gerade einmal 1 Prozent krimineller Inhalte - Herr Minister, Sie haben die Zahl gerade auch genannt -, die man im Netz finden kann, ist die fortwährende Diskreditierung des Netzes fast hysterisch zu nennen. ({12}) Wie gesagt, Jugendschutz beginnt mit der Vermittlung von Medienkompetenz. Zum anderen muß die Bundesregierung initiativ werden, damit rasch gemeinsame Mindeststandards im europäischen Raum und auch auf der Ebene der G-7-Staaten vereinbart werden können. Ich hoffe, Ihren Worten, Herr Minister, folgen Taten. ({13}) Bisher gab es nur Ankündigungen. Die Provider selbst haben im übrigen ein großes Interesse daran, ihre Dienste von kriminellen Angeboten freizuhalten. Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle der Anbieter sind meines Erachtens ein wesentlich wirkungsvollerer Weg als die Ingangsetzung einer behäbigen staatlichen Kontrollmaschinerie. ({14}) Schließlich steht der Staat in der Pflicht, seine Strafverfolgungsorgane personell und materiell, also technisch, so auszustatten, daß eine wirkungsvolle Bekämpfung der Kriminalität im Netz erfolgen kann. Ich erwarte auch hierbei ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern, zum Beispiel mit dem Ziel der Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle beim Bundeskriminalamt. Der allgemeine Ruf nach Zensur verschleiert das Problem und löst es noch nicht einmal im Ansatz. ({15}) Meine Damen und Herren, mit einem erwarteten Wachstum von jährlich zirka 9 Prozent ist die Telekommunikation zu einem Wachstumsmotor der Wirtschaft geworden. Die Wertschöpfung des gesamten informations- und kommunikationstechnischen Bereichs ist heute schon größer als die der Automobilindustrie. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat Anfang April mitgeteilt, daß die Zahl der direkten OnlineAnschlüsse in Deutschland von 1995 bis 1996 um 42 Prozent auf 2,3 Millionen gestiegen ist. Damit liegen wir zwar immer noch 8 Prozent hinter Japan und 22 Prozent hinter den USA; aber eine dynamischere Entwicklung ist unverkennbar. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, daß, wer über die Informationsgesellschaft redet - einschließlich des Multimediagesetzes -, zugleich über Arbeitsplätze und die künftige Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft redet. Nachdem die Informationstechnik in den vergangenen 15 bis 20 Jahren hauptsächlich zu Automatisierungs- und Rationalisierungszwecken eingesetzt wurde, wird die Hauptaufgabe des Informationsmarktes nun darin liegen, die Informationsströme zwischen Menschen produktiver und kreativer zu gestalten. Der Informationssektor in Deutschland ist bis heute von monopolistischen Strukturen geprägt. Durch Einführung wettbewerblicher Strukturen sind erhebliche Kostensenkungspotentiale zu realisieren. Hemmnisse, wie zum Beispiel die unverhältnismäWolfgang Thierse Bige Kostenbelastung der Lizenzen für neue Telekommunikationsdienste, sind zu beseitigen. Der Wachstumsmarkt Informationstechnologie findet seinen eigentlichen Schwerpunkt in seinem Dienstleistungscharakter. Gerade in Deutschland ist der Dienstleistungsanteil aber auch deshalb noch gering, weil die Kosten der elektronischen Übertragung von Informationen zu hoch sind. Der Standort Deutschland würde bei Beibehaltung der Kostenunterschiede, insbesondere im Vergleich mit den USA, nicht am Wachstum der Zukunftsmärkte teilhaben und somit bei gleichzeitigem Verlust traditioneller Massenproduktionsmärkte weiter Arbeitsplätze verlieren. Das gilt es zu verhindern. Die angestrebte Wettbewerbssituation auf dem Telekommunikationsmarkt in Deutschland wird ab 1998 zum einen sinkende Preise für die Informationsübertragung mit sich bringen; zum anderen wird sich die zunehmende Konkurrenz der Anbieter im Idealfall positiv und innovativ auf die Entwicklung neuer Dienste auswirken. Dies setzt allerdings die Schaffung wirksamer Wettbewerbsstrukturen auf dem deutschen Markt voraus. Ich komme zum Schluß. Verfügung über Wissen, das Verarbeiten, Aufbereiten und Verteilen von Informationen werden in Zukunft die Güterproduktion der klassischen Industriegesellschaft in ihrer zentralen ökonomischen Bedeutung nach und nach ablösen und dürfen deshalb nicht durch künstlich errichtete Gesetzeshürden wie dem Multimediagesetz blockiert werden. Meine Damen und Herren, eine sorgfältige, an gemeinsamen Zielen orientierte Beratung dieses Gesetzentwurfs ist nötig. Ich fürchte jedoch, daß wir uns bald an die Arbeit für ein weiteres Gesetz werden machen müssen. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht in der Debatte der Kollege Dr. Martin Mayer.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit Ihnen, Herr Kollege Thierse, was Ihre Analyse der Auswirkungen und auch was manche Ziele betrifft, die Sie hier genannt haben, zum Beispiel Fortschritt durch mehr Wettbewerb, im Grundsatz durchaus überein. Allerdings haben Sie hier auch einige Aussagen gemacht, die nicht unwidersprochen bleiben können. Zum Beispiel haben Sie dem Bundesminister vorgeworfen, er tue zu wenig dafür, daß die Schulen mit Computern ausgestattet werden. Verschwiegen haben Sie, daß dafür die Länder und die Kommunen zuständig sind. ({0}) - Ja, wider besseres Wissen. - Daß der Bund trotzdem eine Initiative ergriffen hat, ist eine zusätzliche Leistung. Wenn Sie das Gesetz madig machen wollen, muß ich Ihnen entgegenhalten: Ich vermisse Ihre eigenen Vorschläge. ({1}) Das, was Sie vorgeschlagen haben, bedeutet mehr Bürokratie, neue Behörden, noch schwerfälligere Regelungen. Das kann doch nicht die Lösung sein. ({2}) Ich möchte Ihnen ein Weiteres nahelegen: Hören Sie auf, einen Türken zu bauen, indem Sie der Union - ich muß schon sagen: böswillig - unterstellen, sie wolle das duale Rundfunksystem in Frage stellen. Ich sage hier noch einmal: Wir stehen zu diesem System, natürlich auch zur Bestandsgarantie des öffentlich- rechtlichen Rundfunks. ({3}) Wir reden viel von der Informationsgesellschaft. Lassen Sie mich deshalb am Beginn der Debatte noch einmal einige Gedanken bewußtmachen und der Frage nachgehen: Was wird anders, und was ist neu? Man muß feststellen, daß es in diesem Bereich, wie kaum woanders, eine Kommunikationslücke gibt. Da gibt es zum einen die Freaks, denen Begriffe wie Homepage, E-mail, Browser - und was es da so alles gibt - ganz locker über die Lippen gehen und die überhaupt nicht verstehen können, daß jemand damit nichts anfangen kann. Aber wenn man mit Kollegen, mit Schulklassen oder mit welcher Gruppe auch immer darüber redet und diese Begriffe verwendet, gibt es zum anderen immer einige, die ganz schüchtern sagen: Ich weiß eigentlich gar nicht, was das ist. Ich meine deshalb, jeder sollte sich einmal eine halbe Stunde Zeit nehmen, um sich mit den Grundbegriffen dieser Technik auseinanderzusetzen. Ausgang dieser Entwicklung ist ja eine rasante technische Entwicklung von Computern und Netzen. Übertragungsleistung, Rechnergeschwindigkeit und Speicherkapazität entwickeln sich mit atemberaubendem Tempo. Die Leistungsfähigkeit der Mikrochips verdoppelt sich alle eineinhalb Jahre. Es ist abzusehen, wann ein Chip mit Daumennagelgröße 1 Milliarde digitale Informationen wird speichern können. Der Gigabit-Chip kommt zur Jahrtausendwende. Mit der rasanten Entwicklung der Geräte nimmt aber ihre relative Bedeutung ab. Zunehmend gewinnt die Software an Bedeutung. Ich möchte hier den Vorstandsvorsitzenden von Siemens zitieren, der gesagt hat, daß im Bereich Telekommunikation Software und Engineering mittlerweile einen Anteil in der Größenordnung von 80 Prozent der Wertschöpfung haben. Also: Die Software, die für den CompuDr. Martin Mayer ({4}) ter übersetzten menschlichen Gedanken und Handlungsanweisungen, verdrängen die faßbaren Produkte auf den zweiten Platz. Angesichts dieser rasanten Entwicklung wird sich auch im Alltag viel verändern, zum Teil unmerklich und zum Teil sprunghaft. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich möchte dafür einige Beispiele bringen. Wem ist denn schon aufgefallen, daß die Darstellung von Magazinen, aber auch Zeitungen immer mehr einem Computerbild ähnelt? Das wird natürlich auch auf andere Bereiche übergehen. Daraus folgt: Das Bild und die Vorgehensweise der Arbeit am Computer werden immer mehr unser Denken und unsere Wahrnehmung beeinflussen. Ein anderes Beispiel: Kürzlich habe ich am Montag abend ein Eckwertepapier aus dem Internet geholt, das mir am Dienstag abend offiziell per Post zugeleitet worden ist. Das bedeutet doch: Der Bürger in Berchtesgaden, Flensburg oder San Francisco ist, wenn er zum richtigen Zeitpunkt zugreift, besser informiert als der Abgeordnete vor Ort, der sich nur der herkömmlichen Mittel bedient. ({5}) Das gilt nicht nur für die Abgeordneten, sondern bedeutet eine Herausforderung für alle Berufe, die sich damit beschäftigen. Wer der Information nicht hinterherhinken will, muß sich umstellen. Weitere Beispiele sind die Browser, die Suchmaschinen - das Suchen im Netz wird sehr viel einfacher -, die Links und die Querverbindungen im World-Wide-Web. Auch wenn das alles noch nicht vollkommen ist, läßt es doch erahnen, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, daß man jede Information, die irgendwo auf der Welt gespeichert ist, zu jeder Tages- und Nachtzeit abrufen kann. An diesen Beispielen wird klar: Es wird sich viel ändern, wir werden viel lernen müssen. Das führt zu gewaltigen kulturellen und politischen Herausforderungen. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß Deutschland diese Herausforderung bestehen kann. Unser Ziel muß es sein, bei den neuen Diensten weltweit in der ersten Liga zu spielen, und zwar möglichst unmittelbar hinter den unangefochten führenden USA auf dem zweiten Platz. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir uns dieses Ziel setzen. ({6}) Für die Verwirklichung dieses Ziels spielt die Gesetzgebung eine entscheidende Rolle. Sie muß auf die raschen Veränderungen eingehen können. Dabei können wir von den Softwareentwicklern in den USA lernen. Wenn diese ein großes Programm entwickeln, gehen sie auch dann auf den Markt, wenn sie noch nicht alle Fehlerquellen ausgetestet haben. Wenn dann ein Fehler auftaucht, sagen sie: Das ist eine Herausforderung. Mit der deutschen Mentalität, die gleich alles hundertprozentig perfekt machen möchte und jeden Fehler als Schande und Skandal empfindet, kann man nicht erfolgreich sein. Das gilt sowohl für große Computerprogramme als auch für die Gesetzgebung in einem Bereich, in dem sich alles schnell ändert. In der Gesetzgebung zur Informationstechnik brauchen wir bei den rechtlichen Regelungen den Mut, der Innovation Spielraum zu lassen. Das tut der vorliegende Gesetzentwurf. Ich möchte aber auch eine kritische Anmerkung zu einem Beispiel machen, zu dem noch Diskussionen notwendig sind. In Art. 2- Teledienstedatenschutzgesetz - § 3 Abs. 3 wird verboten, daß ein Diensteanbieter die Erbringung von Telediensten von einer Einwilligung des Nutzers in eine Verarbeitung und Nutzung seiner Daten für andere Zwecke abhängig macht. Das darf ein Diensteanbieter nicht. Das mag zunächst einleuchtend sein und dem Mißbrauch von Monopolen entgegenwirken. Es könnte aber auch sein, daß man bestimmte Dienste in der Werbung nur unter der Voraussetzung erbringen kann, daß der Nutzer in die Verwendung der Daten für andere Zwecke einwilligt. Wollen wir solche Entwicklungen für ganz bestimmte Dienste in der Werbung in Deutschland von vornherein abschneiden? Ich meine, wir sollten das nicht tun. Wir sollten deshalb nach dem Grundsatz „Lieber eine Vorschrift weglassen und dann, wenn es sich als notwendig erweist, nachbessern" handeln. Dabei könnte natürlich die Frage auftauchen: Warum brauchen wir überhaupt ein Gesetz? Ich meine, es gibt eine Reihe von offenen Fragen, die bei den Anbietern zu Rechtsunsicherheit führen. Rechtssicherheit ist aber eine wichtige Voraussetzung für Investitionen am Standort Deutschland. Sie bereitet den Boden für Arbeitsplätze, die neu entstehen könnten. Jeder weiß, daß durch die neuen Informations- und Teletechniken Arbeitsplätze wegfallen. Um so wichtiger ist es, daß wir neue Dienste dort fördern können, wo neue Arbeitsplätze entstehen. Über diesen Punkt sind sich im übrigen auch Bund und Länder einig. Streitig ist allerdings die Verteilung der Kompetenz und die Regelungsdichte, bei der die Länder zum Teil auf höhere Regelungsdichte setzen. Die Lösung, die jetzt gefunden worden ist - das war ein schwieriger Kompromiß -, lautet: Mediendienstestaatsvertrag der Länder einerseits und Informations- und Kommunikationsdienstegesetz des Bundes andererseits mit inhaltlich weitgehend wortgleichen Regelungen. Diese Lösung ist ein tragfähiger Kompromiß. Sie gewährleistet die Zugangsfreiheit, regelt grundsätzlich die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern und bringt eine Reihe von Klarstellungen. Die Wortgleichheit der Regelungswerke und die Entscheidung der Länder für den Staatsvertrag haben allerdings einen erheblichen Nachteil, nämlich den, daß diese Regelungen insgesamt schwer zu änDr. Martin Mayer ({7}) dern sind. Das ist in einer Welt, die sich schnell verändert, ein erheblicher Nachteil. Sie hat zweitens den Nachteil, daß den Parlamenten in der Gesetzgebung die Hände weitgehend gebunden sind; denn bei einem Staatsvertrag haben die Länderparlamente - anders als bei den Landesgesetzen - nur die Möglichkeit, zu ratifizieren oder nicht zu ratifizieren. Wir stehen vor dem Problem, daß wir möglicherweise vom Mediendienstestaatsvertrag abweichen, wenn wir im Informations- und Kommunikationsdienstegesetz etwas ändern. ({8}) Ich möchte Ihnen für die raschen Veränderungen ein Beispiel nennen: Bis vor eineinhalb Jahren war es für den Normalverbraucher praktisch unmöglich, eine eigene Homepage, das heißt: eine Darstellung von eigenen Inhalten im Netz zu haben. Mittlerweile kann sich jeder, der bei den großen Online-Diensten wie T-Online, Compuserve und AOL ist, ohne Zusatzkosten selber eine Homepage einrichten. Mehrere Zehntausend haben diese Möglichkeit genutzt. Daß diese Homepages ein Angebot an die Allgemeinheit sind, wird wohl keiner abstreiten wollen. Aber daß sie deshalb unter den Multimedia-Staatsvertrag fallen sollen, würde ich doch schwer in Zweifel ziehen. Eine erfolgreiche Entwicklung bei den Informations- und Kommunikationstechniken ist nur privatwirtschaftlich möglich. Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem es sich auf die Regelung von Rahmenbedingungen konzentriert. Im Gegensatz dazu stehen die Anträge der Opposition, die im Grundsatz alle Verantwortlichkeit auf den Staat abladen. Ich könnte jetzt die entsprechenden Passagen aus Anträgen von den Grünen und von der SPD vorlesen, wo das im einzelnen gemacht wird, wo die Verantwortlichkeit immer vollständig auf den Staat abgeladen wird. Ich halte das für völlig falsch. ({9}) In diesem Bereich ist es viel wichtiger, die Rahmenbedingungen richtig zu setzen und der Innovation Spielraum zu lassen, als ständig nach staatlichem Geld zu rufen. Hier muß privates Geld hinein; hier muß letztlich unternehmerischer Mut greifen. ({10}) Der Staat muß sich auf die Festlegung der allgemeinen Spielregeln und ihrer Einhaltung beschränken. Jeder Versuch, den Unternehmen darüber hinaus ins Handwerk zu pfuschen, muß zu Mißerfolgen führen. Herr Thierse, wenn sie vorhin beklagt haben, daß wir zu wenig Wettbewerb haben, dann kann ich nur die Gegenfrage stellen: Wer saß denn eigentlich, als es darum ging, im Bereich der Telekommunikation den Wettbewerb zu liberalisieren, im Bremserhäuschen? Das war doch die SPD. ({11}) Die Spielregeln, die der Staat festlegen muß, beziehen sich auf die Verfolgung strafbarer Handlungen, auf den Jugendschutz, auf den Datenschutz, auf die Gewährleistung der allgemeinen Sicherheit, auf die Regelungen für das Urheberrecht und den Wettbewerb und auf einiges andere mehr. ({12}) Für die strafbaren Inhalte und den Jugendschutz gilt grundsätzlich, daß über das Netz keine anderen Inhalte übermittelt werden als über Band und Diskette. Der Unterschied ist allerdings, daß ich im Fall von Band und Diskette die Information unmittelbar sozusagen körperlich mitnehmen muß, während mir über das Netz die Information unmittelbar ins Wohnzimmer geliefert wird, ohne daß es jemand bemerkt. ({13}) Der Gesetzentwurf hat einige Klarstellungen getroffen, nämlich: Der Diensteanbieter ist nur für eigene Inhalte verantwortlich. Im Falle von fremden Inhalten, zu denen lediglich Zugang vermittelt wird, ist der Diensteanbieter nicht verantwortlich. Allerdings gibt es eine Zone, die sehr schwierig zu fassen ist, nämlich im Fall der fremden Inhalte, die zur Nutzung bereitgehalten werden. Hinsichtlich einer genauen Definition ist noch eine eingehende Diskussion notwendig. Beispielsweise ist der Diensteanbieter im Fall der News-Gruppen nur dann verantwortlich, wenn er von den Inhalten Kenntnis hat und wenn es technisch möglich und zumutbar ist, die Nutzung zu verhindern. ({14}) Wir stellen hier auch einen gewissen Widerspruch fest, ({15}) einen Widerspruch innerhalb der Forderungen der Diensteanbieter. Einerseits wollen sie, daß alles bis ins letzte geregelt ist- sie wollen Sicherheit haben, was gehört zum einen und was zum anderen -, und andererseits erheben sie die Forderung, daß das Gesetz für neue technische Entwicklungen offen sein soll. Da muß man sich für das eine oder andere entscheiden. Ich bin eher dafür, daß wir das Gesetz so formulieren, daß es für neue technische Entwicklungen offen ist, daß wir im Hinblick auf eine dynamiDr. Martin Mayer ({16}) sche Entwicklung die Dinge nur allgemein festschreiben und nicht ins Detail gehen. ({17}) Es ist im übrigen klargestellt worden, daß die elektronische Präsentation der Schrift- und Bildform gleichgestellt wird. Beim Schutz vor strafbaren Handlungen im Internet haben wir mit zwei Problemen im besonderen zu kämpfen. Das eine Problem ist, daß auf der Infobahn auf den gleichen technischen Wegen und technisch nicht unterscheidbar einerseits Informationen, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, und andererseits Informationen transportiert werden, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Das ist gegenwärtig technisch nicht zu trennen, vielleicht später einmal. Das zweite Problem ist, daß das Internet so organisiert ist, daß alle weltweit für die Allgemeinheit verfügbaren Informationen für jedermann, der Zugang zum Internet hat, an jeder Stelle zugänglich sind. Das führt zu dem Ergebnis, daß rechtsradikale Inhalte, die in Kanada eingespeist werden, oder pornographische Inhalte, die in irgendeinem Land der Welt eingespeist werden, in Deutschland abgerufen werden können. ({18}) - Ich erkläre es allen, die zuhören wollen. ({19}) Dies führt dazu, daß Dinge auch in anderen Ländern verbreitet werden. Da das Internet so organisiert ist, daß uneingeschränkt alle weltweit angebotenen Inhalte jedem weltweit zum Abruf zur Verfügung stehen, wird eine Sperrung einzelner Leitungen oder Knoten in Deutschland systemimmanent dazu führen, daß das Ganze auf anderem Wege den Nutzer erreicht. Somit laufen alle Vorschriften, die sich speziell darauf beziehen, ins Leere. Deshalb muß man sich, wenn man absolut verhindern will, daß Inhalte, die strafbar sind, den deutschen Nutzer erreichen, vom Internet abkoppeln. Das wird in Deutschland bei dieser Entwicklung im Ernst wohl niemand wollen. Wir müssen deshalb andere Wege gehen. Die Anstrengungen - das ist schon gesagt worden - um internationale Vereinbarungen müssen verstärkt werden. Das ist angesichts der unterschiedlichen Auffassungen in den einzelnen Kulturräumen der Welt sehr schwierig. Daher sollten wir einen Anfang machen und sollten einmal versuchen, wenigstens in Europa und Nordamerika zu einheitlichen Anforderungen zu kommen, weil damit ein wichtiger Schritt gemacht wird. Außerdem müssen natürlich die technischen Voraussetzungen weiterentwickelt werden, um strafbare und jugendgefährdende Inhalte vom heimischen Computer fernzuhalten. Ich nenne nur das Stichwort „Filtertechnik". Voraussetzung für die Bekämpfung von strafbaren Inhalten im Netz, auch im Inland, ist natürlich das Auffinden dieser Inhalte. Hier sind besonders die Länder gefordert. Herr Thierse, Sie haben Vorwürfe an den Bund gerichtet und haben die Länder vergessen. Aber ich will die Länder hier besonders nennen. Alle Länder sollten nach dem Vorbild Bayerns eigene Polizeieinheiten bilden, die im Netz patrouillieren. Es gibt schon Beispiele dafür, daß das sehr hilfreich ist. Dabei müssen wir auf die Mithilfe der Bürger zählen. Es kommt hinzu, daß mit der Verfeinerung der Suchmaschinen auch die Suche nach strafbaren Inhalten leichter wird. Mit der Pflicht, einen Jugendschutzbeauftragten zu benennen oder einer entsprechenden Organisation beizutreten, wird zusätzlich etwas für den Kinder- und Jugendschutz getan. Selbstverständlich müssen alle Beteiligten bereit sein, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, um im Rahmen des Zumutbaren einen Beitrag zum Jugendschutz zu leisten. Die Verantwortung der Eltern und die Vermittlung von Wertvorstellungen in der Erziehung gewinnen an Bedeutung. Dem Zuwachs an Freiheit durch das Netz muß ein Zuwachs an Verantwortungsbereitschaft gegenüberstehen. Herr Thierse, Sie haben vorhin das Thema Medienkompetenz angesprochen. Es geht doch nicht darum, die Kinder und Jugendlichen zu lehren, wie man mit der Maus umgeht oder wie man ins Internet hineinkommt; das können sie alle schon. Vielmehr geht es darum, denen ein Wertebewußtsein beizubringen. ({20}) Das ist ein wichtiger Punkt, die Erziehung muß hier im Vordergrund stehen. ({21}) Über die Gewährleistung der Datensicherheit ist bereits gesprochen worden. Hier gilt noch mehr als in anderen Bereichen die vorrangige Verantwortung derjenigen, die ein derartiges System den Kunden anbieten: der Banken, der Kreditkartenfirmen, der Versandhäuser und anderer Diensteanbieter. Ein gewisses Regulativ ergibt sich bereits über den Markt und den Kunden. Wenn die Bezahlung über das Netz mit viel größerer Unsicherheit verbunden ist als der Versand eines Verrechnungsschecks, dann werden die Kunden auf diesen schnellen und einfachen Weg schon verzichten, wenn ihnen die Sicherheit wichtiger ist. Aber natürlich ist in dieser Frage auch der Staat gefordert, und zwar in zwei Bereichen: einmal, wenn es um die öffentliche Sicherheit und Ordnung geht, und zum anderen beim Schutz des Schwächeren. ({22}) Mit dem Signaturgesetz wird zusätzlich die Voraussetzung geschaffen, daß in den Fällen, wo die Sicherheit eine entscheidende Rolle spielt, der beDr. Martin Mayer ({23}) treffende Betreiber eine staatliche Garantie erlangen kann. Der Schutz des Schwächeren ist besonders auch im Urheberrecht erforderlich, wo der einzelne im Vergleich zu den großen Anbietern oft nicht in der Lage ist, sein Recht durchzusetzen. Die Enquete-Kommission wird zu dieser Frage einen Bericht vorlegen. Ich meine, der Grundgedanke lautet: Der Gesetzgeber muß sich vom Ziel leiten lassen, dem Urheber, dem Künstler, zu helfen, daß er zumindest finanziell nicht übervorteilt wird. Wir müssen weiterhin dem Gedanken Rechnung tragen, daß die Regelungen des Urheberrechts nicht zu einer Blockade und zu einer unverhältnismäßigen Erschwerung der Verwertung von Inhalten durch einzelne führen dürfen. Wenn man beispielsweise bei. einer digitalen Verwertung von Daten die Zustimmung aller Beteiligten einholen wollte, wäre ein Verkauf entsprechender CD-ROMs nicht möglich. Weltweit nimmt die Bedeutung der Inhalte im Netz zu. Wir Europäer haben so große Reichtümer in der Musik, in der Kunst, in der Malerei, in der Architektur zu bieten. Es ist eine kulturelle Verpflichtung, daß wir es ermöglichen, daß diese künstlerischen Werte der Welt zugänglich gemacht werden. ({24}) Das ist aber nicht nur eine kulturelle Verpflichtung, sondern das hat auch erhebliche wirtschaftliche Bedeutung und Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Es kann doch nicht sein, daß große amerikanische Unternehmen die Inhalte ganzer Museen in Europa aufkaufen. ({25}) Ich meine, da sollten wir uns auf die Füße stellen und selbst ein Bewußtsein entwickeln. Die musischen Fähigkeiten, die Kreativität und die Bereitschaft, auf die Kunden einzugehen, gewinnen immer größere Bedeutung. Das ist auch eine große Chance für Frauen, die bisher im technischen Bereich eigentlich nicht präsent sind. Gehen sie doch einmal in die großen Firmen der Informationstechnik, und schauen Sie sich dort an, wie gering leider der Anteil der Frauen ist. Wenn es um Inhalte, wenn es um musische Fähigkeiten geht, können gerade die Frauen hier ihre Chancen wahrnehmen. Ich glaube, dies sollten wir bei einer solchen Gelegenheit auch einmal aussprechen. ({26}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Art und Weise, wie wir die Info- und Teletechniken, die immer leistungsfähiger werden, in neuen Anwendungen und Diensten umsetzen, wird unsere Zukunft entscheidend prägen. Erfolgreich werden wir nur dann sein, wenn wir Gefahren und Risiken begrenzen, den Beteiligten mehr Rechtssicherheit geben, genügend Freiraum für neue Entwicklungen schaffen, Kreativität und Innovationsbereitschaft fördern und insgesamt die Begeisterung für neue Aufgaben wecken. In diesem Sinne und mit diesem Zielwünsche ich dem Gesetzentwurf gute Beratungen in den Ausschüssen. ({27})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Thomas Krüger.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mayer, Sie haben uns hier wieder die alte Mär von der SPD als Bremser auftischen wollen und haben ein Loblied auf Bayern gesungen. ({0}) Ihnen ist aber sicherlich bekannt, daß sich Herr Stoiber gerade zum Oberbremser in dieser Sache macht, nämlich im Bereich des Jugendschutzes. Uns liegt eine Bundesratsinitiative des Landes Bayern vor, die von allen Unternehmen in dieser Branche und in diesem Bereich als Katastrophe und als Überregulierung empfunden wird. ({1}) Die Bayern sind hier die Oberbremser, Herr Mayer. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das hier so geradewegs ins Gesicht sagen muß. ({2}) Das IuKDG geht in die richtige Richtung, während Bayern und die übrigen Bundesländer mit Ausnahme von Berlin und Sachsen - das will ich ausdrücklich anmerken- hier einen fatalen Weg beschreiten. Sechs Anmerkungen zum IuKDG: Erstens. Dort sind Selbstkontrollen oder die Bestellung von Jugendschutzbeauftragten nach dem GjS vorgesehen. Dieses „oder" halte ich für einen Fehler, weil davon eher große Unternehmen profitieren, die es sich leisten können, Jugendschutzbeauftragte einzustellen. Die Selbstkontrolle wird ein wirksameres Instrument sein. Deshalb sollte man alle an den Selbstkontrollen beteiligen und die Bestellung von Jugendschutzbeauftragten in Ergänzung dazu vorsehen. Wir müssen über einen Änderungsantrag zum IuKDG in diesem Punkt nachdenken. Der zweite Gesichtspunkt: Die Länder unter Führung von Bayern haben vorgeschlagen, auch den Offline-Bereich, also CD-ROM und ähnliche Dinge, zu regeln und sie nach dem JÖSchG durch die FSK prüfen zu lassen. Herr Rüttgers, es wäre sehr gut, wenn Sie diesen Vorstoß kontern würden, indem Sie auf Grund der allgemeinen Bedeutung der Software und der Nichttrennbarkeit zwischen dem Online- und dem Offline-Bereich in absehbarer Zeit den Offline-Bereich adäquat zum Online-Bereich durch Selbstkontrollen regeln würden. Sie haben das in der Stellungnahme zur Bundesratsinitiative ja bereits verlauten lassen. Nun schlagen Sie doch vor, daß auch im GjS eine solche Passage vorgesehen wird, so daß verbindlich wird, daß sich Offline-Anbieter solchen Selbstkontrollen unterwerfen. Der dritte Punkt: Wir brauchen eine Informations- und Aufklärungskampagne in Deutschland. Deshalb, meine ich, macht es Sinn, eine zentrale Informations- und Aufklärungsstelle einzurichten, die erstens über jugendgefährdende Inhalte informiert und zweitens die Medienkompetenz fördert. Der vierte Punkt: Die Bundesprüfstelle hat viel zu lange Verfahren; das wird immer wieder kritisiert. Ein Vorschlag ganz konkreter Art wäre, die Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften für die Bundesprüfstelle zu ändern. Ein Beispiel: Die Bundesprüfstelle hat sich mit einem Spiel oder ähnlichem zu beschäftigen und schreibt den Hersteller, der sehr oft im Ausland sitzt, an. Dieser Hersteller versteht im Regelfall nichts von deutschen Jugendschutzgesetzen, oder er will nichts davon verstehen. Ich finde, es ist unmöglich, daß man, wenn diese Briefe von der Bundesprüfstelle in den Papierkorb wandern, den Indizierungsvorgang nicht auf den Weg bringen kann.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluß!

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme gleich zum Schluß, Frau Präsidentin. Deshalb schlage ich vor, nach drei Wochen, wenn sich dieses Unternehmen dem Anhörungsverfahren nicht gestellt hat, den Indizierungsvorgang automatisch anlaufen zu lassen. Das wäre eine pragmatische Verkürzung der entsprechenden Zeiten. Zwei weitere Vorschläge, die ich ganz kurz fassen will.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, das geht nicht mehr. Sie haben die Zeit längst überschritten, Herr Krüger. Dann muß sie jemand anders gleich vortragen. Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention. Bitte, bringen Sie Ihren Satz zu Ende, und dann ist Schluß!

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will meinen Satz beenden und abschließend darauf verweisen, daß bislang nur die Jugendämter indizieren können. Dies sollten aber auch freie Träger der Jugendhilfe machen können. Es wäre ferner sinnvoll, die Selbstkontrollen zu zertifizieren, weil sich die Kunden darauf verlassen müssen, daß Selbstkontrollen sinnvolle Aufgabenstellungen beinhalten und unter Beachtung von Qualitätsstandards vonstatten gehen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Mayer.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte in aller Kürze antworten. Die Einzelheiten, die Sie angesprochen haben, werden wir in den Ausschüssen beraten. Ich sage grundsätzlich, daß ich - erstens - eher für eine geringere Regelungsdichte in diesem Bereich bin und daß - zweitens - die Verantwortung der Handelnden immer Vorrang haben muß. Drittens wird die Wertehaltung, die für die Medienkompetenz entscheidend ist, nicht dadurch gefördert, daß wir eine Mammutbehörde schaffen, sondern dadurch, daß die Lehrer in der Schule und alle Eltern ihren Kindern diese Wertehaltung vermitteln. Das hat etwas mit Vorbild zu tun. Ein Letztes sage ich Ihnen: Ich lasse es einfach nicht zu, daß der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber von Ihnen in seiner Sorge um den Schutz unserer Jugend diffamiert wird. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Dr. Manuel Kiper.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Bundesminister vertritt die Auffassung, die Gestaltung des Wegs in die Informationsgesellschaft sei eine zentrale Zukunftsaufgabe. Das ist auch das Programm von Info 2000. Ich glaube, diese Ansicht gibt die Meinung des ganzen Hauses wieder, auch die unserer Fraktion, ({0}) was früher nicht unbedingt immer der Fall gewesen ist. ({1}) Herr Minister, Sie sind auch auf den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages eingegangen. Da ist von Mythen, Chancen und Herausforderungen die Rede. Ich hatte den Eindruck, daß Sie hier auch wieder auf Mythen gesetzt haben, insbesondere was Ihre Ausführungen hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt. Sie sprachen davon, 1,2 Millionen Arbeitsplätze würden gesichert, 200 000 neu geschaffen. Sie haben vergessen zu sagen, was diese Rationalisierungstechnologie unter dem Strich für unsere Volkswirtschaft bedeutet, wie viele Arbeitsplätze nämlich in anderen Branchen verlorengehen und was an zusätzlicher Arbeitslosigkeit auf unsere Gesellschaft zukommt. Herr Minister, es geht nicht, daß wir nur auf Euphorie machen, sondern hier muß die nüchterne Analyse her. ({2}) Was tut die Bundesregierung, meine Damen und Herren? Sie verbreitet Euphorie über Arbeitsplätze, steigende Beschäftigung, wirtschaftliches Wachstum. Vor allen Dingen beschäftigt sich die BundesregieDr. Manuel Kiper rung - Herr Mayer hat dafür ein glänzendes Beispiel gegeben - aber ({3}) - und das hat auch die öffentlichen Diskussionen des letzten Jahres sehr stark bestimmt - mit der Furcht; sie ist überwältigt von der Furcht, daß die Mafiosi und die Pornographiosi aller Länder das Internet beherrschen. Die Bundesregierung heizt die Stimmung im Lande auf, als ob hier vorrangig illegale und unmoralische Inhalte den Kern des Internets ausmachen würden und dies das eigentliche Feld der Gestaltung des Internets sei. Sie vergißt darüber, auch ein wenig darüber nachzudenken, wie es zukünftig mit der Eintreibung von Steuern aussieht, wenn wir „electronic commerce" flächendeckend haben. Sie vergißt, was es für den Geldverkehr heißt, wenn nicht mehr die Bundesbank das Geld druckt, sondern verschiedenste andere Stellen. Meine Damen und Herren, es ist inzwischen so, daß einzelne Netzmanager, einzelne Manager von Provider-Firmen auf Grund der angeheizten Stimmung und auf Grund der Verstöße von Staatsanwaltschaften mit einem Bein schon im Gefängnis stehen. Ich erinnere an Compuserve. Die Arbeitsplätze und die Provider werden mit einer solchen Politik eher aus dem Lande vertrieben. ({4}) - Es wäre erfreulich, wenn Sie, Herr Minister, dazu das Wort ergreifen würden. ({5}) Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, für stimmige Rahmenbedingungen zu sorgen. Herr Rüttgers, Ihr IuK-Dienste-Gesetz im Verein mit dem Mediendienste-Staatsvertrag chaotisiert die Rechtslage bei digitalen Medien. Es herrscht nicht nur Rechtschaos, sondern es wird für die Benutzung von Verschlüsselungssystemen und vertraulicher Kommunikation gefährlich, wenn das verwirklicht wird, was als Verschlußsache bereits bei Herrn Kanther in der Schublade liegt. Wenn dieses Krypto-Gesetz nachgeschoben wird, wird eine Kriminalisierung in Gang gesetzt und letztlich erheblicher wirtschaftlicher Schaden angerichtet. Herr Justizminister, ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrer Stellungnahme nachher einem möglichen Krypto-Gesetz im Namen der Bundesregierung eine ganz klare Absage erteilen würden. ({6}) - Genau, denn wir benutzen die Schlüssel. Das Internet wurde entwickelt und aufgebaut, ohne daß vorher gesetzliche Scheuklappen und Fallstricke nötig gewesen wären. In anderen Ländern - Herr Minister Rüttgers, Sie haben das ja auch erwähnt - entwickelt sich das Internet unreguliert und dynamisch weiter. Selbst dem Wohlmeinendsten in diesem Lande ist nicht zu erklären, wieso gerade in Deutschland die Informationsgesellschaft durch das Rüttgersche Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz beflügelt werden müßte oder gar könnte. Die Bundesregierung sagt, der Zweck dieses Gesetzes sei es, einheitliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses selbstgesteckte Ziel, Herr Minister, haben Sie nach unserer Auffassung gründlich verfehlt. Meine Damen und Herren, schafft dieses Gesetz tatsächlich rechtliche Sicherheit? Wir bekommen zwar Definitionen und Regelungen der Verantwortlichkeit für Inhalte, Regelungen zum Daten- und Jugendschutz; wir bekommen Definitionen und Regelungen zur digitalen Signatur und zum Urheberrecht. Aber hat die Bundesregierung mit den Ländern tatsächlich Rechtssicherheit ausgehandelt? Herr Mayer hat auch von seiner Seite - ich fand das erstaunlich - schon auf einige Schwachstellen hingewiesen. ({7}) Wer im World-Wide-Web Seiten anbietet, wird in Zukunft nicht mehr wissen, welches Recht für ihn gilt. Jede Webseite im Internet richtet sich an die Allgemeinheit der weltweit über 50 Millionen Nutzer des Internets. Damit unterliegen diese Angebote dem § 2 des Mediendienste-Staatsvertrages. Dasselbe gilt auch schon für jeden, der nur textbasierte Dienste vertreibt. Jeder noch so kleine Anbieter unterliegt also sowohl dem IuKDG als auch dem Mediendienste-Staatsvertrag. Für ihn gelten zum Teil zumindest unterschiedliche Vorschriften. Ist das die Rechtssicherheit, die die Bundesregierung angestrebt hat? Letztlich wird diese Rechtsunsicherheit vor Gericht geklärt werden müssen. Bis dahin verursachen aber Staatsvertrag und IuKDG erhebliche neue Rechtsunsicherheiten. Dasselbe gilt für die Verantwortung der Provider für Inhalte im Internet. Was wäre selbst unter der Annahme, das IuKDG allein sei ausschlaggebend, dann technisch zumutbar, wie es im Gesetz heißt? Wie müßte eine Sperrung des Zugangs umgesetzt werden? Es kann aber auch sein, daß einzelne Landesmedienanstalten oder Staatsanwaltschaften Provider zur Sperrung von Inhalten verpflichten, obwohl diese nicht für die Inhalte verantwortlich sind. Was passiert schließlich mit den Anbietern, die die Tagesschau oder ein ganzes Fernsehprogramm per Internet verbreiten? Benötigen die eine Lizenz? Überall herrscht Rechtsunsicherheit. Diese Unklarheiten sind nur die Spitze des Eisbergs von rechtlichem Wirrwarr, den die Bundesregierung mit dem IuKDG verursacht. Den vielzitierten jungen Multimedia-Unternehmen, den Internet-Providern und den Informationsdienste-Anbietern helfen Sie, Herr Rüttgers, damit nicht. Diese Unternehmen und ihre Kunden können höchstens die Auflösung des von Ihnen und den Medienexperten der Staatskanzleien angerichteten Wirrwarrs bei den GeDr. Manuel Kiper richten ausfechten. Das werden einzelne kleine Anbieter nicht überleben. Eines wird klar: Sie haben Arbeitsplätze offensichtlich vorrangig bei der Juristenzunft geschaffen. ({8}) Dieses IuKDG ist eine erstklassige ABM-Maßnahme für Juristen. ({9}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie sieht es mit den wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Gesetzes aus? Für die Firmen entstehen neue Kosten durch die Einrichtung von Jugendschutzbeauftragten, durch neue Software zur gesetzestreuen Anzeige der laufenden Kosten und durch gesetzeskonforme Neustrukturierung der Datenströme bei Providern. Das sind alles Kosten, denen kein Nutzenäquivalent im Sinne von Datenschutz und Kundenschutz gegenübersteht. Die Weiterentwicklung zuverlässiger Kryptiersysteme - Herr Minister, Sie haben uns das auf unsere Kleine Anfrage geantwortet - ist für die Förderung seitens des Forschungsministers tabu. Auch die vorgelegten Regelungen zur digitalen Signatur berechtigen nicht zu der Erwartung einer wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung oder Rechtssicherheit auf diesem Felde. Herr Tauss hat schon gesagt, daß wir für das Internet Krypto-Software nutzen: Verschlüsseln und Signieren sind zwei Seiten derselben Medaille, von der die Bundesregierung zur Zeit erst einmal nur die eine Seite regeln will. Noch brauchen wir für das Kryptieren und das digitale Signieren überhaupt kein Gesetz. Mit der zum Gesetz erhobenen komplexen Regelung des digitalen Signierens wird unterbunden, daß auf diesem Sektor erst einmal weiter experimentiert wird. Hier wird eine Technik in Gesetzesform gegossen, die in rapider Entwicklung begriffen ist. Schon in fünf Jahren mag eine mathematische Forschungsarbeit die digitale Signatur in der gesetzlich verbindlich erklärten Form reif für den Mülleimer gemacht haben. Das Gesetz sieht aber weder vor, aus Erfahrungen zu lernen, noch sieht es vor, die technische Dynamik anders aufzufangen, als alle fünf Jahre eine neue digitale Signatur zu erbringen. Nützlich ist das Gesetz zur digitalen Signatur allenfalls, um damit die Infrastruktur von Einrichtungen aufzubauen, die die Vergabe und Verwaltung von Kryptoschlüsseln leisten. Damit würden die Vorschläge für ein Kryptogesetz aus dem Hause Kanther - dies ist ein Schnüffel- bzw. ein Kontrollgesetz - auf einen vorbereiteten Boden fallen. Es wird eine Unsicherheitsarchitektur geschaffen, wenn man dieses digitale Signaturgesetz in Verbindung mit dem geplanten Kryptogesetz betrachtet. Hier soll offensichtlich über das digitale Signaturgesetz zuerst Vertrauen wachsen, bevor in der Internet-Kommunikation dann die Kanthersche Schnüffelei greifen wird. Was sind die Leistungen dieses Gesetzes? Werden Arbeitsplätze geschaffen? Nein, hier wird eher blokkiert. Dieses Gesetz wird dazu führen, daß im Internetbereich eine Reihe von Arbeitsplätzen aus Deutschland ausgelagert wird. ({10}) Wird ein datensicheres, wirtschaftliches Agieren gewährleistet? Nein, statt einer Experimentierphase wird ein einziges Modell von Ihnen, Herr Minister, festgeschrieben. Wird hier von Ihnen, Herr Minister, Kundenschutz etabliert? Nein, auch das ist nicht der Fall. Bei Rechtsstreitigkeiten wird in diesem Lande König Kunde, was das Internet und auch ElektronikCommerce anbelangt, weiter nach Kalifornien fahren müssen. Wird vertrauliche Kommunikation gewährleistet? Nein, statt dessen kommt es auf Grund des Signaturgesetzes zu einer Scheinsicherheit, auf der anderen Seite aber zu drohenden Kryptierverboten durch die Bundesregierung und zu Schnüffelei. Der Hintergrund für diese Entwicklung ist natürlich der Streit zwischen Bund und Ländern um die Medienhoheit. Herr Minister, auch wenn Sie nicht alles so wollten, wie das jetzt in diesem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf niedergelegt ist, und man Ihnen die Schuld daran nicht alleine in die Schuhe schieben kann, so ist dennoch festzustellen: Durch Ihr Vorgehen treiben Sie dieses Land letztlich dahin, Fragen bezüglich des Internets in Karlsruhe klären zu lassen, anstatt mit den Ländern - das wäre Ihre Aufgabe gewesen - zu einer einheitlichen und tragfähigen Regelung zu kommen. Diese Mühe hätten Sie sich machen müssen. Wir haben dazu letztes Jahr einen Antrag eingebracht. Die Koalitionsfraktionen haben in den Ausschußberatungen unsere Vorschläge sowie die der SPD abgelehnt. Erstens. Die Bundesregierung hätte einen einheitlichen rechtlichen Regelungsrahmen schaffen müssen. Digitale Dienste hätten einheitlich reguliert werden müssen. Regelungen zum öffentlichen Informationszugang hätten geschaffen werden müssen. Einen Freedom of Information-Act hätten Sie festschreiben müssen; das Recht auf Akteneinsicht ebenfalls. Zweitens. Die Bundesregierung hätte die Entfaltung selbstbestimmter Nutzung der digitalen Medien sichern müssen. Drittens. Die Bundesregierung hätte vor allen Dingen auch umfassende Regelungen zum Kundenschutz in diesem Bereich des Internets treffen müssen. Die Bundesregierung hätte nicht nur verbal, sondern real Rechtssicherheit bieten müssen. ({11}) Herr Rüttgers, ich komme damit zum Schluß. ({12}) Mit diesem Gesetz blockieren Sie nicht nur den Weg in die interaktive Bürgergesellschaft.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit diesem Gesetz blockieren Sie auch Investitionen in die Zukunft und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Letzter Satz: Herr Rüttgers, mit Ihrer Politik blockieDr. Manuel Kiper ren Sie die selbstbestimmte kommunikative wie wirtschaftliche Nutzung des Internet. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Karl-Hans Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin offensichtlich heute morgen etwas begriffsstutzig. Ich kann nämlich nicht so recht erkennen, wohin diese Debatte eigentlich läuft. Will man eine rechtliche Regelung, oder will man keine rechtliche Regelung, oder will man eine schärfere rechtliche Regelung, als hier vorgeschlagen worden ist? - Ich glaube, hier besteht noch einiger Klärungsbedarf. ({0}) Meine Damen und Herren, wer den schlanken Staat fordert und auf Deregulierung setzt, der ist gegenüber neuen Gesetzen grundsätzlich skeptisch. Ich glaube, das ist auch angebracht. Die F.D.P. hat sich deshalb dem heute eingebrachten Entwurf des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes anfangs nur sehr zögerlich genähert. Ich will das gern zugeben. Die neuen Medien handeln mit alten, bekannten Inhalten, für die es einen umfassenden und funktionierenden Rechtsrahmen gibt - hier sind einige Bereiche genannt worden; ich werde darauf zurückkommen -, der möglichst nicht ausgeweitet werden sollte. An einigen Stellen allerdings entstehen durch die technologische Entwicklung aber derart neue Verwendungsmöglichkeiten, daß zweifellos die Notwendigkeit besteht, das bestehende Recht an diese Entwicklungen anzupassen. Zudem fehlt wohl jedem von uns die notwendige Phantasie, sich vorstellen zu können, wohin denn die Entwicklungen in der Zukunft noch gehen werden. Wir wollen diese Entwicklungen, wir dürfen sie nicht durch zu stringente Gesetze blockieren. Meiner Meinung nach entspricht der neue Gesetzentwurf gerade dieser Forderung. Er läßt, wie von einigen Vorrednern kritisiert wurde, viele Bereiche offen, ohne die Dinge im Detail zu regeln, die wir noch gar nicht im Detail regeln können. Wir brauchen aber bestimmte Rahmenbedingungen, die für die Nutzer, für die Anwender, für die Kunden den rechtlichen Rahmen abstecken, in dem sie sich bewegen können. ({1}) Daher darf und kann es keine ins einzelne gehenden Regelungen geben. Wir müssen in der Lage sein, flexibel auf die jeweiligen Entwicklungen zu reagieren. ({2}) Meine Damen und Herren, Anfang nächsten Jahres fallen die Netzmonopole. Wir werden mit einer Fülle von neuen Dienstleistungen rechnen können. Dabei denken wir wahrscheinlich in den Kategorien der uns heute vertrauten Computerwelt. Wir können uns auch noch vorstellen, was es bedeutet, wenn die Kapazitäten der heutigen PC-Welt zukünftig auf halbem Raum verdoppelt werden. Aber können wir uns auch vorstellen, wie denn der Datentransfer funktioniert, wenn er nicht mehr über Festnetze läuft? - Nach meiner Kenntnis laufen weltweit auf dem Sektor der Datendirektübertragung über Satelliten sechs große Firmenprojekte. Kann sich jemand vorstellen, wie ein DNA-Computer arbeitet, welche Möglichkeiten diese neuen Techniken eröffnen? - 20 Minuten von Bonn entfernt, in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, arbeitet man an einer neuen Computergeneration, die mit den bestehenden Technologien so viel gemein hat wie ein modernes Notebook mit der raumfüllenden Rechenmaschine von Konrad Zuse. ({3}) Wir können nicht erkennen, wie sich die Dinge in der Zukunft entwickeln werden, aber wir müssen gerüstet sein, um das, was dann auf uns zukommt, auch politisch handhaben zu können. Wir sollten es mit dem Philosophen Popper halten: Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, aber wir müssen sie möglich machen und dürfen sie nicht verhindern. - Das ist der Grund, warum dieser Gesetzentwurf vorgelegt worden ist. ({4}) Ich denke, er entspricht dieser politischen Grundforderung. An dieser Stelle möchte ich Herrn Minister Rüttgers, insbesondere aber auch den Mitarbeitern des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, ausdrücklich danken. ({5}) Man muß es einmal anerkennen: Sie haben diese komplexe Materie in sehr kurzer Zeit in den Griff bekommen, das Gesetz initiiert und die Mithilfe vieler Ressorts der Bundesregierung einbezogen, sie integriert. Ich denke, das ist wirklich der Erwähnung wert; denn schließlich befassen wir uns im Parlament und auch im federführenden Ausschuß - die Federführung hat der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie erhalten - nicht so sehr mit Gesetzgebungsprozeduren. Wir haben sicherlich einige Anstrengungen zu unternehmen, um die Beratung dieses Gesetzentwurfes gut über die Runden zu bringen. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir die anderen beteiligten Ausschüsse, insbesondere den Rechts- und den Innenausschuß, in angemessener Form an diesen Beratungen beteiligen und ihre Voten mit einbeziehen. Das Informations- und KommunikationsdiensteGesetz bietet für unser Land und die in diesem Bereich tätigen Unternehmen wirtschaftliche WettbeDr.-Ing. Karl-Hans Laermann werbsvorteile, da Deutschland gegenwärtig das einzige Land mit einer gesetzlichen Gesamtkonzeption hierfür ist. Nun mögen andere das für hinderlich halten. Die zukünftigen Regeln zur Verantwortlichkeit, zum Urheberrecht und zum Datenschutz, aber auch die neugeschaffene digitale Signatur sind schon jetzt Grundlage entsprechender Überlegungen in der Europäischen Union und in weiteren internationalen Gremien. Die OECD, die Arbeitsgruppe ,,Elektronischer Handelsverkehr" der UNO und auch die G-7- Finanzministerkonferenz haben ebenso großes Interesse an unserem Gesetzesvorschlag wie die USA, Japan, Rußland oder China. Sie alle diskutieren internationale Regelungen auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzesvorschlages. Das ist gut so. Daß wir letztlich einen internationalen Rechtsrahmen brauchen, ist wohl jedermann klar und unumstritten. Hier folge ich Herrn Rüttgers: Es darf keinen rechtsfreien Raum geben, auch nicht im Internet. Wir wissen, wie schwierig das ist. Dieser Gesetzentwurf steht im Gegensatz zum Entwurf des Gentechnikgesetzes. Da haben wir in unserer ersten Fassung wohl etwas überzogen; niemand in der Welt ist auf unsere Vorstellungen eingegangen. Heute sieht das etwas anders aus. Ich denke, wir sollten dies zur Kenntnis nehmen und bei unseren Beratungen immer im Blick haben. Besondere Probleme stellen der Datenschutz und die berechtigten Interessen der Menschen am Schutz ihrer Informationen und Inhalte vor unbemerktem Einblick dar. Die Tatsache, daß dieser Gesetzentwurf keinerlei Aussagen zur Kryptographie enthält, wird an mancher Stelle - siehe Herr Kiper - so interpretiert, als solle dies zu einem späteren Zeitpunkt nachgeliefert werden. Meine Damen und Herren, für die F.D.P.-Bundestagsfraktion erkläre ich unmißverständlich, daß es ein Kryptographiegesetz, das zum Ziel hat, die Verschlüsselungsmöglichkeiten der Nutzer zu beschränken oder sogar zu verbieten, mit der F.D.P. nicht geben wird. ({6}) Dies sage ich aus der Erkenntnis, daß das, was hiermit beabsichtigt würde, erstens technologisch nie erreichbar wäre und zweitens eine Preisgabe von Schutzmöglichkeiten privater, wirtschaftlicher und - das sage ich aus eigener, jüngst gemachter schmerzlicher Erfahrung - wissenschaftlicher Daten und Informationen vor unautorisierten, unlauteren oder sogar kriminellen Machenschaften nicht zugelassen werden darf. Die F.D.P. wird dies nicht zulassen. ({7}) - Wir stehen ganz stabil. Im übrigen sollten wir vielleicht eher von Verschlüsselungstechnik reden. Ich habe nämlich einmal nachgesehen, was Kryptographie eigentlich ist. Vielleicht darf ich das zur Erheiterung sagen; es steht im Lexikon. Kryptographie ist „absichtslos entstandene Kritzelzeichnung bei Erwachsenen". ({8}) Betreiben Sie hier also Kryptographie? Die F.D.P. begrüßt die gefundene Aufteilung der Anwendungsbereiche zwischen dem Medienstaatsvertrag und dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz. Angesichts der Notwendigkeit, schnell Rechtsklarheit zu schaffen, war es richtig, eine pragmatische Definition der Anwendungsbereiche einem jahrelangen Verfassungsstreit zwischen Bund und Ländern vorzuziehen. Auch Herrn Thierse muß doch bewußt sein, welche Schwierigkeiten es da gibt. Wir alle wissen, daß die Abgrenzung Mediendienste und Teledienste sehr künstlich ist. Die Bereiche sind miteinander verwachsen, und sie werden in Zukunft noch viel stärker miteinander verwachsen. Das kommt alleine schon durch die technischen Entwicklungen. Dann gibt es kein Fernsehgerät oder einen getrennten Monitor beim PC mehr, sondern das wächst alles zusammen; die Kommunikations-Welt wächst zusammen. Deswegen wird auch das, was nun als Regelungsmöglichkeit auf dem Tisch liegt, irgendwann wieder auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Wir haben im Augenblick keine andere Wahl; wir müssen uns mit der Realität der verfassungsrechtlichen Regelungen auseinandersetzen und diese in unsere Überlegungen und Lösungskonzepte mit einbeziehen. Da hilft alles Wehklagen nichts. Wir müssen die Entwicklungen aber sehr interessiert weiterverfolgen. Ich hätte gerne noch ein Wort zum Signaturgesetz gesagt. Herr Kiper, ich stimme Ihnen nicht zu. Sie vermuten, damit würden die Dinge endgültig festgeschrieben.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Richtig ist: Die Formulierungen sind nicht auf den Punkt gebracht, da die Absicht besteht, weitere Entwicklungen zuzulassen und Experimentierfelder zu eröffnen. Auch hier sage ich ausdrücklich - in Übereinstimmung mit dem, was manche hier schon gesagt haben -: Wir legen besonderen Wert darauf, daß das alles privatrechtlich abgewickelt wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir brauchen hier keine staatlichen Organe, genausowenig - hier folge ich Herrn Krüger - wie wir beim Jugendschutz eine neue Behörde brauchen. Das muß der freiwilligen Selbstkontrolle unterliegen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt.

Wolfgang Bierstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002629, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Mayer, ich möchte Ihnen in einem Punkt Ihrer Ausführungen ausdrücklich recht geben, was Sie sicherlich nicht verwundern wird. Ich beschränke mich auf den Punkt der mangelnden Einbeziehung von Frauen in diesen Prozeß und der mangelnden Chancen, die Frauen in diesem Prozeß haben. Ich mache das sehr polemisch an einem Punkt fest: Schauen Sie sich einmal die Rednerliste für diesen Punkt an: ausschließlich Männer. Ich nehme unsere Partei nicht aus, aber ich wollte Ihnen das wenigstens gesagt haben. ({0}) Gestatten Sie mir zuerst die protokollarisch notwendigen und unser Abstimmungsverhalten erklärenden Bemerkungen zu den heute mit zu beratenden Beschlußempfehlungen und Berichten des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu den in der Tagesordnung weiterhin ausgewiesenen Drucksachen. Die Studie „Multimedia - Mythen, Chancen und Herausforderungen" des Büros für Technikfolgenabschätzung fand - nicht nur, weil sie zu einem höchst aktuellen gesellschaftlichen Problemfeld Stellung nahm - breitesten öffentlichen Zuspruch. Insbesondere die Art und Weise des Herangehens an dieses Problemfeld und eine lobenswerte Objektivität fernab eines gerade in dem Bereich der Zukunftstechnologien schier übermächtigen Lobbyismus erheben diese Studie in den Status eines außerordentlich beachtenswerten Arbeitsmaterials auch der einschlägigen Gremien des Deutschen Bundestages, was sich auch in den Stellungnahmen des Beschlußentwurfes widerspiegelt. In dieser Studie können sich viele gesellschaftliche Gruppierungen in ihrer Klassifizierung als Kritiker und als glühende Verfechter der Informationsgesellschaft in einem zumindest ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt finden. Die Studie hat meiner Auffassung nach bereits in der Phase ihrer Erarbeitung - allein wegen ihrer Fragestellung - und erst recht mit der Veröffentlichung einen notwendigen Beitrag zur Erweiterung des bis dahin weitestgehend technikorientierten oder auch technikverliebten Blickwinkels auf den sogenannten Multimediamarkt geleistet, indem sie die gesamtgesellschaftliche Dimension auch an Hand anschaulicher Fallbeispiele aufgezeigt hat. Zweifelsfrei - da gebe ich Herrn Dr. Rüttgers ausdrücklich recht - gilt der Multimediamarkt beinahe unumstritten als wichtiger „Wachstumsmarkt" . Hier weiche ich ein wenig von Ihren Einschätzungen ab. Und ich denke, es gibt sicherlich sehr unterschiedlich zu bewertende, teilweise sehr hohe Erwartungshaltungen hinsichtlich positiver Arbeitsmarkteffekte. Ich neige da eher der Ansicht zu, die Herr Dr. Kiper zu diesem Thema ausgeführt hat. Ich will das jetzt nicht wiederholen. Weniger strittig ist - darin sind wir uns alle einig, auch wir seitens der PDS -, daß es erhebliche Umsatzerwartungen mit traumhaften Gewinnspannen gibt, was diesen Markt natürlich zusätzlich attraktiv macht. Wenn in der bisherigen Diskussion des Strukturwandels hin zu einer Informationsgesellschaft der technologie- und industriepolitische Aspekt im Vordergrund stand, während die öffentlichen und sozialen Interessen nachgeordnet waren, dann hat zumindest diese Studie einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet, den öffentlichen Diskurs auf eine breitere Betrachtungsweise auszurichten. Dies zu wiederholen ist mir ein Bedürfnis. Ich denke, alles in allem handelt es sich um eine wahrlich gelungene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik, die unsere Zustimmung findet. Meine Damen und Herren, der vorliegenden Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/6856, wonach die Anträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt werden sollen, werden wir nicht zustimmen. Wir stimmen beiden Anträgen ausdrücklich zu, weil wir in beiden Anträgen, zumindest in den betroffenen Teilbereichen, ähnliche grundsätzliche politische Auffassungen vertreten finden, wie sie die Gruppe der PDS in ihrem Antrag auf Drucksache 13/ 2740 formuliert hat. Die ausgewogenen und differenzierten Betrachtungsweisen von Chancen und Risiken der neuen Techniken und Technologien in diesen beiden Anträgen führen durchaus zu auch von der PDS zu unterstützenden Schlußfolgerungen. Ich denke, die Koalitionsfraktionen sollten Größe zeigen und trotz der dosierten kritischen Bemerkungen in Richtung Politik der Bundesregierung, die in diesen beiden Anträgen ihren berechtigten Platz haben, die Gelassenheit entwickeln, die man benötigt, um sinnvollen Anträgen des politischen Gegners oder Konkurrenten auch einmal zuzustimmen. Eine für mich bemerkenswerte Arbeit hat hier der Ausschuß für Gesundheit, den Antrag der SPD betreffend, geleistet. Er hat sich - über parteipolitisch gezogene Grenzen hinweg - den Substanzgehalt zu eigen gemacht und sozusagen eine gesundheitspolitische Ergänzung formuliert, deren Nichtbeachtung durch formale Ablehnung - wenn man auschließlich Parteiegoismen folgen würde - dem Thema zumindest nicht angemessen wäre. Einige Bemerkungen zum Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste, im weiteren kurz Multimediagesetzentwurf genannt. Die Problematik des Art. 1 des Multimediagesetzes, des Teledienstegesetzes, kann - wie es in der bisherigen Diskussion bereits hervorgehoben wurde - nicht ohne den von den Ländern vorgelegten Mediendienste-Staatsvertrag gesehen werden. Beiden Entwürfen gleich ist ihr Anliegen, die - sicherlich notwendigen - einheitlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Mediendienste und die Teledienste schaffen zu wollen. In dieser GemeinsamWolfgang Bierstedt keit liegt auch gleichzeitig ihre Beschränktheit bzw. Unvollkommenheit. Die bisherigen öffentlichen Diskussionen, auch in der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien", haben deutlich gemacht, daß die gesellschaftliche Relevanz der neuen Medien- und Teledienste weit über die wirtschaftlichen Notwendigkeiten hinausreicht. Es bleibt zu hoffen, daß gerade auch die Hinzuziehung externen Sachverstandes und ein breiter öffentlicher Diskurs diese Schwäche des Multimediagesetzes und des MediendiensteStaatsvertrages beseitigen helfen. In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, daß wir seitens der PDS die Bedenken der Kollegen der SPD und ihrer Sachverständigen in der EnqueteKommission „Zukunft der Medien" zu dem jeweiligen § 2 teilen, der den Geltungsbereich betrifft. Wir meinen dabei speziell die Absätze 1 und 2. Die grundsätzliche Unterscheidung in „Dienste, die sich individuell an den einzelnen richten", und in „Angebote und Nutzung von an die Allgemeinheit gerichteten Diensten" und die dann erfolgte Okkupation des Internet durch den einen Gesetzesgeltungsbereich sind während der Erstellung des Gesetzestextes vom Internet-Leben überholt worden. Der vorliegende Text vermag das Internet-Leben nicht einzuholen. Die vorgeschlagenen formalen Zuordnungen in die Kompetenzen von Bund und Ländern mögen ja Machtinteressen berücksichtigen, lassen aber rechtliche Spielräume und auch Grauzonen zu. Aber gerade dieses zu verhindern sollte zumindest nach meinem Verständnis die originäre Aufgabe eines Gesetzes sein. Im Zusammenhang mit der Diskussion über Art. 2 des Multimediagesetzes - das ist das Teledienstedatenschutzgesetz - hält die PDS § 5 Abs. 3 zumindest für überarbeitungswürdig. Abgesehen davon, daß wir dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und ähnlichen Behörden ohnehin ihre Existenzberechtigung absprechen, ist wohl die Formulierung „Diensteanbieter haben Bestandsdaten auf Ersuchen an die zuständigen Stellen zu übermitteln" unangemessen. Irgendwie müßte doch - zumindest in unserem Verständnis - vor den anderen „zuständigen Stellen", an die übermittelt werden soll, wohl noch eine richterliche Instanz vorgeschaltet werden. Aus den butterweichen Formulierungen der Abs. 1 und 2 des § 5 per se eine Einwilligung zur Übermittlung von Daten des Nutzers oder der Nutzerin für die in Abs. 3 aufgeführten Geheimdienste ableiten zu wollen ist schon eine Unverfrorenheit sondergleichen. Sollten unsere Bedenken, wie es natürlich zu vermuten gilt, auf allgemeine Ablehnung stoßen, stellen wir hilfsweise den Antrag, § 7 - Auskunftsrecht des Nutzers - dahin gehend zu erweitern, daß auf Verlangen des Nutzers oder der Nutzerin auch darüber Auskunft erteilt wird, an wen die Bestandsdaten übermittelt wurden, gekoppelt mit dem Recht, diese Daten auch dort, wohin sie übermittelt wurden, einzusehen. Art. 3 - das Signaturgesetz - ist nach heutigem Erkenntnisstand insgesamt als ausgewogen zu betrachten, zumal diesem Ansatz bereits in § 1 Abs. 1 Rechnung getragen wird, und zwar mit der Formulierung: „unter denen diese als sicher gelten ... können". Einem Gesetzgeber, der eigene Unsicherheiten einräumt und der - getragen von der Einsicht in eine immense, zur Zeit nicht überschaubare technische Entwicklung - daraus schlußfolgernd eine Vielzahl von ausbaufähigen Regelungen anbietet, ist zumindest Achtung zu zollen. Hinsichtlich der Art. 4 - Änderung des Strafgesetzbuches - und Art. 5 - Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - sehen wir seitens der PDS keinen prinzipiellen Diskussionsbedarf. Art. 6 - Änderung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften - trägt zum einen der sicherlich überfälligen Ergänzung des bisherigen Gesetzestextes von 1985 um die Begrifflichkeit „neue Medien" und den folgenden Erläuterungen Rechnung, wird aber in einschlägigen Fachkreisen umstritten bleiben. Ich persönlich halte zumindest die Einführung eines Jugendschutzbeauftragten und die Idee einer freiwilligen Selbstkontrolle - über Prioritätensetzung kann man sich sicherlich unterhalten, Herr Kollege Krüger - für nicht ganz unwesentlich. Hinsichtlich der Art. 7 - Änderung des Urheberrechtsgesetzes -, Art. 8 - Änderung des Preisangabengesetzes -, Art. 9 - Änderung der Preisangabenverordnung - und der formalen Artikel sehen wir seitens der PDS keinen Diskussionsbedarf. Besten Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! So wie die neuen Kommunikationstechnologien alle Lebensbereiche erfassen, erfaßt auch dieses Gesetz, zu dem ich sprechen will, natürlich mehrere Ressorts. Herr Kollege Rüttgers hat zu den allgemeinen, den wissenschaftlich-technischen und den wirtschaftlichen Fragestellungen gesprochen. Ich beschränke mich auf die eher rechtspolitischen und juristischen Aspekte, die in mein Ressort fallen, auch wenn hierzu bereits vieles gesagt worden ist. Sie haben die Meßlatte für die Aufmerksamkeit sehr hoch gelegt, Herr Tauss. Ich hoffe, ich werde dem gerecht werden können. Ein mir persönlich wichtiger Punkt - da sind wir bei einem der Punkte, die schon angesprochen wurden - ist die Verantwortung der Diensteanbieter, also der Provider, zum Beispiel im Internet. Deutschland darf kein digitales Entwicklungsland werden, nur weil wir aus Angst vor strafbaren Inhalten und/ oder zivilrechtlichen Schäden als erstes Land einen Cyber-Sheriff installieren. Deshalb enthält dieser Gesetzentwurf einen klaren Rahmen, aber keine zu stringenten Vorschriften. Erstens. Grundsätzlich soll derjenige für Kommunikationsinhalte einstehen, der Straftaten begeht oder durch eigenes Verschulden einen Schaden verursacht. Anbieter, die Inhalte nur transportieren, können für diese fremden Inhalte nicht haftbar gemacht werden. Das ist konsequent; denn wir bestrafen auch die Post nicht, wenn sie Briefe mit Bauanleitungen für Molotowcocktails etc. transportiert. Strafbar sind die Absender - im Internet wie beim Brief.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Professor Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Gerne, selbstverständlich.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wir haben in dieser Frage keinen Dissens. Aber wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise die Auffassung des Generalbundesanwalts, der sagt, eine einfache Mitteilung, daß irgendwo ein rechtswidriger Inhalt sei, genüge, um all die Folgen für die Provider einzuleiten, die wir hier gemeinsam beklagen. Die haben dann nämlich Kenntnis von den Inhalten und sind gehalten, dafür Sorge zu tragen, daß die Inhalte gelöscht werden. Wenn sie es nicht tun, werden sie mit Ordnungsgeld und Strafen belegt. Aber wenn sie es tun, sperren sie gleichzeitig den Zugang zum Surfen in weiten Teilen der Welt. Das ist doch das Problem. Wie beurteilen Sie diese Auffassung der Generalbundesanwaltschaft?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Was dazu genügt, um jemanden bösgläubig zu machen, das will ich überhaupt nicht entscheiden. Da kann ich mir alle möglichen Dinge vorstellen. Aber wenn er denn bösgläubig ist und trotz Kenntnis davon weiter transportiert, dann ist er auch verantwortlich. Das ist das Prinzip, das in der gesamten Rechtsordnung besteht. ({0}) Ob Sie wirklich bösgläubig werden, schlicht und ergreifend dadurch, daß Sie eine Meldung in der Zeitung lesen, Ihnen jemand einen freundlichen Brief schreibt oder ähnliches, das will ich gar nicht entscheiden. An dem Prinzip wird sich jedenfalls nichts ändern. ({1}) Also: Strafbar sind die Absender. Das gilt im Internet wie beim Briefverkehr, auch wenn der mitunter ziemlich lange dauert. Um dies in vollem Umfang zu gewährleisten, präzisiert das vorliegende Gesetz den Schriftenbegriff im Strafgesetzbuch, im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und auch im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Es wird mit Hilfe dieser Passage des neuen Gesetzes sichergestellt, daß auch solche kriminellen Inhalte verfolgt werden, die nur flüchtig im Datenspeicher zugänglich sind. Das ist nach unserem geltenden Strafrecht auch dann der Fall, wenn zum Beispiel kinderpornographische Darstellungen vom Ausland aus in Deutschland verbreitet werden. Ich lege Wert auf die Feststellung, die schon von einigen heute von diesem Platze aus getroffen worden ist, daß nicht ein rechtsfreier Raum besteht, nur weil das Kommunikationsmedium neu ist. Es gelten die allgemeinen Prinzipien auch für das Internet. ({2}) - Völlig richtig. Aber es ist wichtig, das zu unterstreichen, weil es da, wie im übrigen in anderen Richtungen auch, mangels technischer Kenntnisse manche Mißverständnisse gibt. ({3}) Das Problem ist, daß die Strafverfolgungsbehörden - schlagwortartig gesprochen: die Polizei - naturgemäß an Grenzen stoßen. Das Internet und, wenn ich die Zeichen der CeBIT richtig gedeutet habe, in absehbarer Zukunft auch das Cyberspace können nicht dazu dienen, das Aktionsfeld nationaler Polizeien auf die ganze Welt auszudehnen. Daß ein Staatsanwalt alles, auch wenn es von den Fidschiinseln kommt, auf dem Bildschirm kontrolliert, das ist selbstverständlich. Aber ob dann konkrete Ermittlungsmaßnahmen getroffen werden können, ist schon rein technisch eine zweite Frage. Hier müssen wir neue Wege der Zusammenarbeit insgesamt und nicht speziell für die Kommunikationsnetze finden. Das im Aufbau begriffene europäische Polizeiamt Europol weist in die richtige Richtung. Internet, internationaler Drogenhandel oder die weltumspannende Verschiebung von Waffen zeigen deutlich: Wir werden bei der Strafverfolgung in absehbarer Zeit über die nationale und kontinentale Ebene hinaus verläßliche Instrumente für eine globale Zusammenarbeit benötigen. Ich stimme ausdrücklich zu, daß wir in diesem speziellen Bereich - ich bleibe der Anschaulichkeit halber beim Internet - noch vieles mit den „Netiketten", mit freiwilligen Übereinkünften, machen können. Aber bei harter Strafverfolgung wird es dabei nicht sein Bewenden haben können. Meine Damen und Herren, die klare Regelung der Verantwortlichkeit für straf- und zivilrechtliche Inhalte schafft Vertrauen in den Informationsstandort Deutschland. Zum Vertrauen in die neuen Kommunikationsnetze gehört aber auch, daß der einzelne Bürger weiß, mit welchem Anbieter er es eigentlich zu tun hat. Das Gesetz sorgt für die nötige Angebots- und Preistransparenz. Ein weiterer wichtiger Mosaikstein zur Förderung des Vertrauens in die neuen Dienste ist der Schutz der Daten und der Privatsphäre in den Netzen. Auch hier sage ich deutlich, weil ich, anders als Sie, Herr Kollege Thierse, keine Angst davor habe, daß wir noch nichts Abschließendes vorlegen können, da wir uns massiv in dieser galoppierenden Entwicklung befinden, daß das Stichwort Datensicherheit - anBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig ders als das nun sattsam und seit vielen Jahren diskutierte und auch weiter zu diskutierende Stichwort Datenschutz - eine neue Herausforderung bezeichnet, die wir sicherlich nicht schon heute, im ersten Viertel des Jahres 1997, definitiv für die Zukunft festlegen können, bei der wir aber jedenfalls Problematisierung, Sensibilität und Problembewußtsein schaffen können. Vertrauen in den Schutz ihres geistigen Eigentums brauchen auch die Urheber der im Internet verfügbaren Werke. Durch Art. 7 des Gesetzes verstärken wir deshalb den rechtlichen Schutz von Datenbanken ganz wesentlich. Neben den klassischen urheberrechtlichen Schutz tritt ein neuartiges Leistungsschutzrecht für das investive Engagement, das der Anbieter bei der Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der in die Datenbanken eingestellten Elemente erbringt. Dieser durch die Datenbankenrichtlinie der Europäischen Union vorgegebene rechtliche Schutz der Datenbanken ist international gesehen eine beispiellose Innovation. Ohnehin drängt es mich, noch einmal darauf hinzuweisen, daß wir mit diesem Gesetz eine erste Bresche in den Wildwuchs oder in die Ungeregeltheit der dort bisher stattgehabten Entwicklung schlagen und mit dieser Bresche - das kann man in aller Ruhe feststellen - in der Tat in der Reihe der Staaten führend sind, die sich überhaupt schon damit beschäftigen. Zum Thema Vertrauen in die neuen Technologien gehört auch, daß man sich auf die Vertraulichkeit einer Nachricht verlassen können muß. Lieber Herr Laermann, das Kryptogramm, also die Verschlüsselung von Nachrichten, bietet im Idealfall die Gewähr, daß nur Absender und Empfänger die Nachricht verstehen. In der Diskussion ist nach wie vor die Forderung nach einem - nach der „Bösgläubigmachung" durch Sie, lieber Herr Laermann - Kryptographieverbot bzw. nach Hinterlegung aller Schlüssel bei einer zentralen Behörde. Diese Forderung hat die Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf zu Recht nicht aufgegriffen. Warum darf eine Nachricht im Internet nicht ausschließlich für den Empfänger lesbar sein? Briefe darf man doch auch in Geheimschrift verfassen und zukleben. Da man Nachrichten im Internet nicht zukleben kann, hilft hier nur die Verschlüsselung. Sie schafft die technische Voraussetzung dafür, daß die Idee des Postgeheimnisses in die Zukunft übertragen werden kann. Das soll hier in aller Deutlichkeit gesagt werden. Ich möchte mit wenigen persönlichen Gedanken schließen. Die Zukunft gehört den neuen Kommunikationstechnologien; darüber sind wir uns alle einig. Bald wird sich kein Staat der Welt mehr aus dem Internet ausklinken können, ohne den Anschluß zu verlieren. Weltumspannende Netze garantieren im übrigen auch die Informationsfreiheit. Die Informationsfreiheit war schon immer eine Schutzimpfung gegen die Diktatur. Nicht umsonst - ich will es so drastisch sagen, damit wir die Wichtigkeit dieser Dimension voll im Blick haben - hatte schon Goebbels das Hören von Feindsendern unter Strafe gestellt. Wieviel machtloser sind Diktaturen, wenn man und seit man per Mausklick alle Nachrichten, alle Informationen weltweit empfangen kann? Lassen Sie uns gemeinsam dieses Mehr an Informations- und Meinungsfreiheit auch als Ausbau der Bürgerrechte schützen. Danke sehr. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun dem Abgeordneten Franz Thönnes das Wort.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den heutigen Beratungen über das Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste dürfen wir eines nicht vergessen: Die rechtliche Zugangssicherung zu Informationen und gesetzliche Vorschriften über deren Verbreitung und Nutzung gewährleisten allein noch nicht die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der Informationsgesellschaft. ({0}) Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft ist die Ausbildungs- und Fortbildungspolitik von zentraler Bedeutung. Das Bildungswesen hat. die Aufgabe, die Menschen auf ein Leben mit den neuen Techniken vorzubereiten und dem einzelnen Medienkompetenz zu vermitteln, die zu einem aktiven und verantwortungsbewußten Umgang mit der neuen Vielfalt der Informationen und ihrer Herkunft aus vielen unterschiedlichen Kulturen befähigt. Dem Technologierat ist hier zuzustimmen. Angesichts der rasanten Entwicklung der globalen Informationsgesellschaft sehen wir uns allerdings einem dramatischen Handlungsdruck ausgesetzt. Die Halbwertszeit des menschlichen Wissens liegt heute bei zirka fünf Jahren. Das heißt, innerhalb dieses Zeitraumes veralten 50 Prozent von dem, was man gelernt hat. Das technische Wissen über Software erneuert sich nahezu innerhalb eines Jahres. Nach Auffassung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit ist davon auszugehen, daß im Jahre 2000 nur noch ein Drittel aller Beschäftigten ohne PC-Kenntnisse auskommen wird. In ihrem Bericht „Info 2000" zieht die Bundesregierung aus den Herausforderungen die Schlußfolgerung, eine Bildungsoffensive zu starten. Nun stehen wir aber auf der Welt nicht alleine da. Andere Länder sind genauso herausgefordert und reagieren. Wo steht nun die Bundesrepublik Deutschland? Vergleicht man die Zahl der Schülerinnen und Schüler pro PC an den Schulen und nimmt die letzten verwertbaren Erhebungen, so ergibt sich folgendes Ergebnis: 1995 kamen in Großbritannien je nach SchulFranz Thönnes typ 5 bis 18 Schüler auf einen PC, in Schweden waren es 8 bis 19, in den USA im Durchschnitt 9, in Finnland 11 bis 28, in Dänemark 25, in Frankreich 30, und als Schlußlicht kommt Deutschland mit 63 Schülern auf einen PC. Das ist heute die Realität. So ist es denn auch kein Wunder, wenn die Schülerinnen und Schüler ihre Medienkenntnisse bislang weniger in der Schule, sondern eher in der Freizeit erwerben. Damit aber sind die Zugangschancen bereits heute erheblich ungleich verteilt. Der Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Albin Dannhäuser, hat recht, wenn er sagt: Ein Teil verfügt heute zu Hause über Computer und Multimedia. Ein anderer großer Teil - das heißt, aus sozial schwächeren Familien - ist ausschließlich auf die Ausstattung in den Schulen verwiesen. Es muß deshalb verhindert werden, daß unsere Schülerschaft - und damit die Gesellschaft - zerfällt in eine privilegierte und in eine technologisch gebildete Elite und in technologische Analphabeten. Angesichts der momentanen Ausgangslage ist damit die Gefahr einer neuen Privatisierung von Ausbildungskosten gegeben. Wollen wir aber ein Bildungsgefälle verhindern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit sowie die Stabilität der Demokratie nicht gefährden, dann darf es dazu nicht kommen. ({1}) Es geht nämlich nicht nur um das Erlernen, wie man den PC als Textverarbeitungswerkzeug, als Gefährt für die Datenautobahn oder als Spielelement anwendet. Es geht um die Medienkompetenz und damit um den Erwerb einer Reihe von Schlüsselkompetenzen. Dazu gehören die technische Kompetenz, um die Technologien möglichst problemlos anwenden zu können, die Kompetenz zum Wissensmanagement, um zielgerichtet mit Informationen umzugehen, die soziale Kompetenz mit der Fähigkeit zur Kommunikation, zur Kooperation und zur Teamfähigkeit, aber auch die Kompetenz zur persönlichen Entscheidungsfindung, um angesichts der schnellen Veränderungen im Rahmen einer moralischen und gesellschaftlichen Wertvorstellung, die der jeweilige hat, Entscheidungen treffen zu können. Last, but not least geht es auch um die damit verbundene demokratische Kompetenz, die - geprägt von ethischen Wertvorstellungen, Verantwortungsbewußtsein, Solidarität und Toleranz - dazu beiträgt, die demokratische Informationsgesellschaft zu gestalten. Damit endet Lernen in der Informationsgesellschaft nicht mit dem Erwerb des Schulabgangszeugnisses, des Gesellenbriefes oder des Hochschuldiploms. Fakten und Regeln lernen muß zunehmend durch das „Lernen lernen" ersetzt werden. Der einzelne ist gefordert, sein Wissen permanent zu aktualisieren. Leitbild muß das Life-long-learning werden. Damit kommt auf die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen eine ganz besondere Herausforderung zu. Sie erhalten veränderte Aufgaben. Zielvorstellung muß es sein, daß die Lehrenden Moderatoren im Bildungsprozeß und damit Partner des Lernens werden. Hiermit sind wir bei einem der zentralen Zukunftsinvestitionsbereiche in der Informationsgesellschaft; denn ein Konzept der rein materiellen Infrastrukturverbesserung wird den Anforderungen nicht gerecht. Vielmehr kommt es darauf an, in allen Bildungsbereichen die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften zu verstärken. Lehrerinnen und Lehrer werden an den Universitäten immer noch unzureichend auf den Umgang mit den neuen Medien vorbereitet. Von über 4800 Veranstaltungen im Bereich der Erziehungswissenschaften wurden im Wintersemester 1994/95 gerade einmal 4 Prozent mit dem Themenbereich Medien ausgestattet. Nur 3 bis 6 Prozent der deutschen Hochschullehrer nutzten 1995 die neuen Medien für besseres Lehren. In Australien - um nur ein Land zu nennen - lag die Zahl dagegen bei 27 Prozent. 700 000 Lehrerinnen und Lehrer sind in der Bundesrepublik Deutschland ein gigantischer Investitionsfaktor. Allen, die sich diesem wichtigen Aufgabenfeld zuwenden und die den Prozeß pushen wollen, gehört unsere Unterstützung. Aber dies darf nicht nur mit Worten geschehen, sondern es müssen wirklich die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Übrigens, Herr Minister, genau heute vor einem Jahr, am 18. April, wurde die Initiative „Schulen ans Netz" ins Leben gerufen. Viele von uns haben sie vor Ort unterstützt, und sie ist auf breite Akzeptanz gestoßen. Aber wenn Sie darauf verweisen, daß bereits in den 23 Millionen DM aus Ihrem Hause ausreichend Mittel für die Lehrerfortbildung enthalten seien, dann muß ich sagen, daß das schlicht ein Unding ist. ({2}) Natürlich haben die Länder - das ist auch gut so - draufgesattelt. Aber wenn man sieht, daß für Hamburg gerade einmal 37 000 DM und für SchleswigHolstein nur 48 700 DM für diese Initiative zur Verfügung stehen, dann muß ich feststellen, daß das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. ({3}) Die von Ihnen angekündigte Bildungsoffensive wird zu einem lauen Lüftchen und zu mehr nicht. Deswegen muß draufgesattelt werden. Wir haben bei den Haushaltsberatungen für dieses Jahr versucht, 25 Millionen DM für Ausbilderinnen und Ausbilder und für die Lehrerfortbildung zusätzlich einzustellen. Denn es nützt überhaupt nichts, hohe Zahlen an Anschlüssen in den Schulen zu haben, wenn diejenigen, die ausbilden sollen, dazu nicht in der Lage sind und selber dazu nicht befähigt wurden. Deswegen klaffen hier wie in anderen Arbeitsfeldern des Zukunftsministeriums Reden und Taten auseinander. Wir müssen uns sputen; denn die anderen Nationen legen kräftig zu, jeweils mit den unterschiedliFranz Thönnes chen Strukturen, die sie haben. In den USA besteht die Absicht, bis zum Jahre 2000 alle Schulen ans Netz zu bringen. Frankreich hat die gleiche Zielvorstellung. Dänemark, Finnland und Großbritannien wollen ebenfalls dieses Ziel anvisieren. Wenn wir gerade einmal 10 000 Schulen in zwei Jahren ans Netz bringen, dann wissen wir, wo wir im Jahre 2000 stehen. Hier muß gepusht werden; das muß schneller gehen. Da darf der Bund nicht nur anstoßen und appellieren. Da muß man Zukunft gestalten, und zwar aktiv und kooperativ mit den Ländern. ({4}) Wieso sollen wir nicht die Vision entwickeln, zur Jahrtausendwende junge Menschen mit einem Laptop analog einem Schulbuch auszustatten? Wieso soll das nicht ein visionäres Ziel sein, an dem sich alle gemeinsam orientieren? Aber dann haben wir ein Investitionsvolumen in einer Größenordnung von bis zu 2 Milliarden DM. Man muß fragen: Wo bleibt da die Initiative des Zukunftsministers, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, eine Bildungspartnerschaft mit der Wirtschaft, den Gemeinden, den Städten und den Kommunen zu gestalten ({5}) und den Versuch zu machen, diese geballte Nachfrage in den Markt einzubringen, um vernünftige Preisrelationen herbeizuführen? Wir können hier doch nicht darüber reden, daß wir vor einer dritten industriellen Revolution stehen, und dann so tun, als ginge es nur darum, irgendein kleines Netz auszubauen. Der Bund ist hier gefordert - schon allein nach Art. 91 b des Grundgesetzes -, den Versuch zu machen, bei solchen bedeutenden Vorhaben mit den Ländern zusammenzuwirken. Manchmal muß man schon sagen: Das Zukunftsministerium braucht einen stärkeren Treiber. Aber was nützt das, wenn der Chip zu klein ist? ({6}) Es ist notwendig, gezielte Initiativen und intelligente Finanzierungsmodelle für die Bereitstellung der technischen Medien und für die Reduzierung der anfallenden laufenden Kosten in Gang zu bringen, Empfehlungen für die Gestaltung der Lehreraus- und -fortbildung herauszugeben und gemeinsam mit den Ländern abzustimmen sowie curriculare und schulorganisatorische Integration von neuen Medien voranzubringen. Es ist außerdem notwendig, neue innovative Medienprojekte gemeinsam zu initiieren und Begleitforschung zu betreiben. Der Anspruch, Multimedia möglich zu machen, darf sich nicht in Ankündigungen erschöpfen, darf sich nicht auf Anstöße reduzieren und kann nicht nur mit gesetzlichen Regularien und Schönwettererklärungen gestaltet werden. Zukunft gestalten heißt auf die Zukunft zugehen und deren Entwicklung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Zukunft der Informationsgesellschaft gestalten heißt deswegen vorrangig und an erster Stelle, in die Köpfe der Menschen zu investieren. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Hans-Otto Wilhelm das Wort.

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dem Kollegen Thönnes ist in weiten Punkten seiner Ausführungen zuzustimmen, auch in seiner Feststellung, daß Lernen ein lebenslanger Vorgang ist. Das bezieht sich natürlich auch auf die Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. ({0}) Denn, meine Damen und Herren, da hat ja dieser Zukunftsminister schon etwas angerichtet: Da geht er in freiwilliger Selbstverpflichtung hin, um ein Beispiel zu geben für diejenigen, die zuständig sind, aktiviert Drittmittelgelder, um genau das zu erreichen, was Sie hier gefordert haben. Heute aber erwecken sowohl Herr Thierse als auch Sie, Herr Thönnes, in der Öffentlichkeit den Eindruck, als sei die Versorgung der Schulen mit Internet und Internetanschlüssen Sache des Bundeszukunftsministers. Sie müßten es doch besser wissen, daß der Sachkostenmittelträger in dieser Frage die jeweilige Kommune und gegebenenfalls, wenn ich mir einige Beschlüsse von Kabinetten betrachte, die jeweiligen Länderkabinette sind. Nur, auffällig ist, daß beispielsweise die sozialdemokratisch regierten Länder Saarland, RheinlandPfalz und Hessen in dieser Frage überhaupt noch keine Erklärung abgegeben haben. ({1}) Ich würde also empfehlen, Anspruch und Wirklichkeit etwas stärker zu koordinieren. Wirken Sie doch nach diesem freiwilligen Beispiel des Bundesministers auf Ihre Parteifreunde ein, und halten Sie diese Rede, die Sie hier vorgetragen haben, an anderer Stelle zur Befruchtung Ihrer eigenen Parteifreunde! ({2}) Meine Damen und Herren, genau diesen Punkt hat auch Herr Thierse, der die Generallinie der SPD- Fraktion hier dargestellt hat, behandelt. Er hat neben Zustimmendem - was die globale Herausforderung anbelangt, stimmen unsere Auffassungen überein - auch Kritisches gesagt. Kritisch war beispielsweise der Hinweis - dies hat mich in der Tat überrascht -, daß er endlose - so war die Formulierung - Streitigkeiten zwischen Bund und den Ländern in dieser Frage befürchtet und daß er diesen Ansatz für konzeptionell falsch hält. Er hat im Ergebnis eine weitestgehende Bundeszuständigkeit für diese Dienste reklamiert. Welch eine Veränderung der Auffassung der SPD! ({3}) Hans-Otto Wilhelm ({4}) Meine Damen und Herren, haben Herr Thierse und andere nicht mitbekommen, daß Gegenstand des Streites der letzten eineinhalb Jahre war, daß die Länder alle neuen Dienste unter ihrer eigenen Zuständigkeit subsumiert wissen wollten, während der Bund der Auffassung war: Da es sich hier um Individualkommunikation handelt, ist das Zuständigkeit des Bundes? ({5}) -Dadurch werden Ihre Kritik und Ihre neuen Vorschläge nicht besser. Meine Damen und Herren, Sie müssen doch den unmittelbaren Zusammenhang - deswegen ist diese Kritik unseriös und falsch - zwischen dem, was wir heute als Gesetz verabschieden, und dem Mediendienste-Staatsvertrag sehen. Sie wissen doch selbst sehr genau, daß das in Teilbereichen wortgleich ist, als Ergebnis eines Kompromisses, an dem auch die SPD in den Ländern mitgearbeitet hat. ({6}) Genau diesen Punkt greifen Sie als verantwortlicher Politiker der Bundestagsfraktion auf, erwarten daraus Streitereien und tadeln den Bundesminister. So unseriös oberflächlich kann man über diese Fragen nicht reden. Ich hätte überhaupt nichts dagegen gehabt, wenn wir zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt - viele von uns waren dieser Meinung - diese neuen Dienste unter dem Begriff der Individualkommunikation subsumiert hätten. Denn dann wäre die alleinige Zuständigkeit des Bundes gegeben gewesen. Nur, die Länder haben doch - unabhängig von ihrer Farbe - die Frage aufgeworfen, ob dies nicht doch durch den Rundfunkbegriff gedeckt sei. Genau diese Frage, was Rundfunk und was Individualkommunikation ist, hat über viele Monate einen Streit zwischen Bund und Ländern, auch unter SPD-regierten und CDU-regierten Ländern wie auch querbeet herbeigeführt. Jetzt kommen Sie auf einmal mit Ihrem neuen Modell, nachdem diese Probleme im MediendiensteStaatsvertrag Gott sei Dank einigermaßen geregelt sind, und werfen genau diesen Punkt unserem Minister vor. So können Sie doch - Entschuldigung - für jemanden, der aufmerksam diese Diskussion verfolgt, keine seriöse Politik machen. ({7}) Welche Folgen hat denn diese Feststellung, daß das alles falsch sei, obwohl das erst gerade gemacht wurde? Wir beschließen ja diese Gesetze erst noch. Der Mediendienste-Staatsvertrag soll in allen Ländern ratifiziert werden, und Sie stellen heute schon fest, daß das alles nur Anlaß zum Verdruß sei. Haben Sie keine Kommunikation mit Ihren sozialdemokratischen Genossen in diesen Fragen? Macht in einer für unsere industrielle und auch menschliche Entwicklung so bedeutsamen nationalen Frage - das haben Sie ja unterstrichen - jeder, was er will? Ich muß Ihnen sagen: Ich bin überrascht. Wollen Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, nach dem wir jetzt wieder alles anders machen sollen? Reden Sie einmal mit Ihren sozialdemokratischen Länderkollegen, was die von Ihren Vorschlägen halten. Wir haben einen Kompromiß gefunden, der sehr länderfreundlich ist. Herr Minister, ich bin nach wie vor nicht der Meinung, daß beispielsweise „pay per view" oder „video on demand" Rundfunk sind. Wir haben akzeptiert, daß es Rundfunk ist. Wir haben im Bereich des Zugangs einen Kompromiß erzielt. Das hat uns geholfen. Jetzt belassen wir es doch dabei! Versuchen wir doch einmal, auf dieser Basis gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln! Denn wenn wir das nicht gemacht hätten, wäre die Konsequenz gewesen, daß es einen erbitterten Rechtsstreit zwischen der Auffassung des Bundes und der Auffassung der Länder gegeben hätte, der nur vor dem Bundesverfassungsgericht hätte ausgetragen werden können. Stellen Sie sich bitte vor, was es für den Standort Deutschland bedeutet hätte, wenn wir die Frage, was Rundfunk und was Individualkommunikation ist, über mehrere Jahre vor dem Verwaltungsgericht hätten klären lassen wollen. Meinen Sie, damit wäre Verläßlichkeit, Solidität und Vertrauen, was diese Entwicklung anbelangt, in der Unternehmerschaft herbeigeführt worden? Aber genau um dies herbeizuführen, haben wir einen Kompromiß geschlossen, an dem Sie beteiligt waren. Ich erwarte heute, daß Sie bei diesem Kompromiß bleiben und ihn nicht schon vor der Verabschiedung in den Ländern wieder zur Disposition stellen. Sie haben emphatisch gerufen, das Thema Multimedia habe eine Bedeutung wie das Industriezeitalter. Dann helfen Sie durch konstruktives und pragmatisches Handeln, wie es mit dem vorliegenden Gesetz und dem Mediendienste-Staatsvertrag in einigermaßen guter Weise herbeigeführt wurde, mit, daß wir das erreichen. Hier muß also noch ein Stück Verantwortung hinzukommen. Die Aufgabe der Opposition ist es nicht, Kritik an falschen Stellen zu üben. Sie ist vielmehr in wichtiger Zeit auch aufgefordert, Verantwortung mitzutragen. Dieser Verantwortung haben Sie sich heute - so finde ich - deutlich entzogen. Meine Damen und Herren, ich bin auch nicht der Meinung, daß Ihr Vorwurf bezüglich der Verantwortlichkeiten im Internet - ich will nur diesen einen Aspekt herausgreifen - zutreffend ist. Der Geschäftsführer von Compuserve, Felix Somm - man soll immer die richtigen Leute zitieren -, hat dazu gesagt: Endlich wird Klarheit über die Verantwortlichkeit für Inhalte im Internet geschaffen. Er lobt vor allen Dingen den liberalen Ansatz des Gesetzentwurfes, Diensteanbieter sollten nur für eigene Inhalte verantwortlich gemacht werden. ({8}) Hans-Otto Wilhelm ({9}) - Aus der „Wirtschaftswoche" Nr. 10, Seite 111. Herr Tauss, schreiben Sie es sich auf, damit Sie es nicht wieder vergessen! ({10}) In diesem Sinne, meine Damen und Herren, ist der vorliegende Entwurf der erste europäische Versuch, Ordnung in eine stürmische und sich nahezu jeden Tag verändernde Landschaft hineinzubringen. Herr Thierse, Sie haben selbst gesagt, wir haben uns vor zwei Tagen über Microsoft-Entwicklungen informiert. Es gibt natürlich eine riesige Konvergenz, was Fernsehen und was PC anbelangt. Sony geht den Weg, auf dem klassischen Bildschirm zu surfen. Microsoft und NBC gehen den anderen Weg und wollen das im Computer herbeiführen. Das sind Entwicklungen, über deren Plausibilität und Übertragbarkeit in die Technik wir heute noch nichts Abschließendes sagen können. Wenn wir unsere Bereitschaft nicht erhalten, auch gesetzgeberisch flexibel auf diese Veränderungen einzugehen, werden wir die Zukunft verlieren. Aus diesem Grunde bin ich für ein Gesetz, das diese Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet, auch, wenn Sie so wollen, als Modell für vergleichbare andere nationale Gesetzgebung. Im Europäischen Parlament wird beispielsweise ein Signaturgesetz entwickelt, das sich offenkundig eng an das anlehnt, was bei uns im Bundestag entwickelt wurde. Es muß unser Ziel sein, Beispiel zu geben für andere, eine Entwicklung zu begleiten und innerhalb Europas zu Vereinheitlichungen zu kommen. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, bei allem Wenn und Aber, bei aller Notwendigkeit, über das eine und das andere zu reden, sollten wir versuchen, wenn die Länder den MediendiensteStaatsvertrag wirklich zum 1. Juli verabschieden wollen, ebenfalls zu diesem Zeitpunkt unser Gesetz zu verabschieden. Denn nur das macht Sinn. Es gibt diese Konvergenz, die wir alle wollten, zumindest früher. Sie kündigen sie heute offensichtlich auf. Bitte überlegen Sie das noch einmal. Ich glaube, daß dieses Gesetz genug Anreize für internationale Übereinkünfte bietet, sich anzupassen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, Herr Minister, Ihr Ansatz ist richtig. Es ist wert, ihn zu unterstützen und fortzuentwickeln. Ich würde mir wegen der nationalen Bedeutung, die dieses Gesetz hat, wünschen, daß wir endlich einmal in der Lage wären, von vordergründiger Kritik der SPD verschont und von ihrer Mitarbeit überrascht zu sein. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat klar gezeigt, daß bei kaum einem sonstigen Bereich zwischen Wollen und Tun eine solche Lücke klafft wie bei der anstehenden rechtlichen Ausgestaltung der Wissens- und Informationsgesellschaft. Es stellen sich an den Bundesminister drei Fragen. Die erste Frage lautet: Was wollen Sie? Die zweite Frage lautet: Tun Sie das, was Sie wollen? Die dritte Frage wäre: Wollen wir das, was Sie gegenwärtig tun? ({0}) - Wir wissen, was wir wollen; aber die Bundesregierung weiß vermutlich nicht, was sie tut. ({1}) Zur ersten Frage wird sich hier im Hause wahrscheinlich kein Dissens ergeben. Mit der SPD-Fraktion sagt die Bundesregierung, daß der Wandel zur Informationsgesellschaft aktiv gestaltet und die durch die neuen Kommunikationstechnologien gegebenen Chancen für Deutschland genutzt werden müssen. Wir sind uns einig, daß dem tiefgreifenden Wandel der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Bedeutung des Wachstumsmarktes Rechnung getragen werden muß. Wir sind uns weiter einig, daß das Ziel eine verläßliche Grundlage für die Gestaltung der Angebote im Bereich der Dienste sein muß und daß dadurch in Deutschland zukunftssichere und qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden können, ohne daß wir Rationalisierungspotentiale ignorieren. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir über verläßliche Grundlagen sprechen. Aber Sie, Herr Bundesjustizminister - er ist nicht mehr da -, gehen haarscharf am Problem vorbei. Das Problem habe ich vorhin mit meiner Zwischenfrage beleuchtet. Zwischenzeitlich finden wir nämlich auf der CeBIT kaum mehr einen hochrangigen Gesprächspartner, gegen den nicht die abenteuerlichsten Ermittlungen angestellt werden. Herr Kollege Mayer, der Compuserve-Geschäftsführer in Ihrem Wahlkreis ist als Beispiel heute ausdrücklich genannt worden. Vor diesem Hintergrund wäre die Initiative der Bundesregierung, mit einem Gesetz einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für die neuen Dienste zu schaffen, zu begrüßen. Das ist keine Frage. Auch das gemeinsame Handeln von Bund und Ländern wäre wegen der auseinanderfallenden verfassungsrechtlichen Kompetenzen ausdrücklich zu begrüßen. Herr Kollege Wilhelm, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit einem Mißverständnis aufräumen. Wir haben an keiner Stelle gesagt - auch nicht mein Kollege Thierse -, daß wir die Bundeskompetenz für die neuen Medien einfordern. Wir haben den Vorschlag gemacht, ein Instrumentarium zu schaffen, das die Interessen der Länder, die im Rahmen ihres gesellschaftspolitischen und kulturpolitischen Auftrags unbestritten sind, mit dem Anliegen des Bundes in dieser Frage und mit der Tatsache sinnvoll verbindet, daß wir es mit einem globalen Netz zu tun haben, das über die Länder hinausgreifender Regelungen bedarf. Das ist der Punkt, ich denke, Sie sollten nicht versuchen, an dieser Stelle einen falschen Eindruck zu erwecken. Mit der Überlegung, ob wir die Entwürfe als tragfähig betrachten, sind wir bei der zweiten Frage angekommen: Tun Sie das, was Sie wollen oder ankündigen? Hier fällt die Bewertung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs leider etwas anders aus. Herr Minister, wenn Sie sagen, das Gesetz schlage eine Schneise für Multimedia, es schaffe verläßliche rechtliche Grundlagen und es lasse gar Deutschland weltweit zum Schrittmacher in der Zukunftswerkstatt aufsteigen, dann bitte ich Sie einfach, daß Sie die zunehmende Resignation in der betroffenen Wirtschaft, in der Branche, nicht auch noch als Zustimmung werten. Dort herrscht nichts als Resignation über das, was Sie auf den Tisch gelegt haben, weil man das für völlig unzureichend hält. Sie wissen es, denn Sie haben die Stellungnahmen auf dem Tisch. ({2}) Was für eine Arroganz steckt eigentlich hinter Ihrem Anspruch, Schrittmacher in der Zukunftswerkstatt zu sein? Kein wichtiges Industrieland leistet sich eine derart rigide Internet-Regulierung, wie sie uns hier vorliegt. Sie aber jubeln noch darüber. In der Regulierung sind wir Weltmeister; bei der Nutzung sind wir aber tiefste Provinz. Wir liegen, Herr Bundesminister, nach neuesten Zahlen der IBM, die ich mir gestern extra noch einmal habe zufaxen lassen, entgegen Ihrer Aussage hinter solchen Ländern wie USA und Kanada. Vor uns liegen aber auch Australien, Schweden, England, Holland, die Schweiz, Neuseeland und die berühmte Industrienation Island, um nur einige zu nennen. Man könnte diesen Katalog ergänzen. ({3}) Hören Sie doch auf, die Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang zu täuschen! ({4}) Wir wurden unter diesem Datenautobahnverwechselungskanzler zum Internet-Entwicklungsland. Wir laufen Gefahr, daß wir unsere Kompetenz in der Informatik verlieren und unsere besten Köpfe in die USA abwandern. Es sind die Folgen von Ihrer Politik, von 14 Jahren Kohl, daß wir heute in diesen Bereichen mehr Technologie einkaufen müssen, als wir exportieren können. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben, daß wir mehr Technologie einkaufen mußten, als wir exportieren konnten. ({5}) Das sind die Folgen von der Technologiepolitik der letzten 14 Jahre, die von Ihnen im wesentlichen mitzuverantworten ist. ({6}) Entgegen Art. 1 ermöglicht dieses Gesetz Multimedia also nicht, sondern verhindert Multimedia. Es schafft nicht Rechtssicherheit, sondern erzeugt Rechtsunsicherheit. Viele Unternehmen denken bereits über eine Verlagerung ihrer Investitionen ins Ausland nach. Herr Wilhelm, ich halte Ihre Kritik an Teilen des Mediendienste-Staatsvertrages für berechtigt, aber noch sind nicht alle Länder SPD-regiert. Das wäre schön, wenn wir es bald so hätten; dann hätten wir es mit der Koordination einfacher. Gehen Sie doch zum CSU-regierten Bayern; Sie könnten das, was Sie hier beklagen, sehr schnell reparieren. Im übrigen habe ich Herrn Rüttgers genau denselben Brief geschickt wie den Ministerpräsidenten der Länder, - um dies hier klar zu sagen. Noch einige Anmerkungen zu Urheberrecht, Datenschutz und Jugendschutz. Im Rechtsausschuß liegt die Novellierung des Urheberrechts. Ob wir deswegen im IuKDG einen eigenen Art. 7 brauchen, werden wir mit den Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuß klären. Die SPD- Fraktion ist wie üblich jeder vernünftigen Regelung gegenüber aufgeschlossen. Das gilt auch für Regelungen zum Datenschutz. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat in bezug auf das heute zu beratende Gesetz erhebliche Bedenken angemeldet. Wir wollen sie nicht ignorieren, wir werden darüber beraten. Es gibt Abgrenzungsprobleme gegenüber den Datenschutzregelungen der Länder, dem Bundesdatenschutzgesetz und der Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen-Datenschutzverordnung; das Ding heißt wirklich so. Nicht nur der Gesichtspunkt der einheitlichen Behandlung von Tele- und Mediendiensten spricht für die Aufnahme einer Regelung des Datenschutz-Audits, wie es im Mediendienste-Staatsvertrag vorgesehen ist - eine hervorragende Lösung. Hier kann die Chance bestehen, daß Datenschutz international das Qualitätsmerkmal „Made in Germany" bekommt und damit zum Wettbewerbsvorteil wird. Ich kann Sie nur auffordern: Blockieren Sie in diesem Punkte keine von uns vorgeschlagenen vernünftigen Regelungen. ({7}) Als besonders problematisch erweist sich an Ihrer Vorlage - darauf hat der Kollege Krüger hingewiesen - der Art. 6. Es gibt hier niemanden, der nicht in der Sache - ich hoffe, wir sind uns im Hause alle darüber einig - für den unbestritten notwendigen Schutz von Kindern und Jugendlichen ist. Nur, Herr Rüttgers, Sie wollen Handeln vorgaukeln und verlangen von uns als Gesetzgeber symbolische Rechtsgebung. Für Symbolik, Scheinrecht und Täuschung der Öffentlichkeit ist die SPD-Bundestagsfraktion auch bei noch so schönen Paragraphen nicht zu haben. Für diese Abteilungen sind Sie zuständig. Über unsere Vorschläge werden wir gerne mit Ihnen diskutieren, aber sperren Sie sich nicht gegen vernünftige Vorschläge. Noch einige Anmerkungen zum Gesetz zur digitalen Signatur. Die digitale Signatur ist unumgänglich, um die ökonomischen Hoffnungen, die wir für die Wirtschaft und unsere Gesellschaft in die Netze setzen, tatsächlich in die Realität umzusetzen. Aber - mehrere Redner haben darauf hingewiesen -: Es gibt eine Reihe von Problemen, die wir durchaus noch beachten müssen. Wir sehen es als problematisch an, daß die Schlüssel, die den Zugang zu den Dokumenten ermöglichen, in einem TrustCenter liegen sollen und der Gefahr von geheimdienstlichen oder gar terroristischen Angriffen unterliegen können. Demokratischen Kontrollrechten ist auch noch nicht ausreichend Rechnung getragen. Das Trust-Center selber kann zum Beispiel wegen beabsichtigter Wirtschaftsspionage zum Angriffsziel werden. Es ist völlig unklar - ich bitte Sie, das dem Bundesjustizminister auszurichten -, welche Rechtsfolgen sich aus dieser Frage ergeben. Alle Aspekte des Zivil- und des Zivilprozeßrechtes bleiben ausgeklammert. Im übrigen werden die §§ 13 und 14 auch hier wieder einmal den wirklichen Entwicklungen im Netz nicht gerecht. Meine Damen und Herren, trotz dieser vielen vorhandenen Probleme ist das Gesetz zur digitalen Signatur tatsächlich der einzige wirklich innovative Bestandteil des IuKDG. Mit diesem Schritt werden grundlegende Veränderungen unserer Rechtskultur einhergehen. Dies ist ein Punkt, dessen Auswirkungen bis heute noch überhaupt nicht vollständig abschätzbar sind. Gerade ein solches Jahrhundertwerk sollte, Herr Kollege Wilhelm, deshalb nicht im Schweinsgalopp durch die parlamentarischen Beratungen gepeitscht werden. Gleichzeitig darf man die in den Stellungnahmen vorgebrachte Kritik und die wichtigen Vorschläge für eine Verbesserung nicht fahrlässig und leichtfertig von der Hand weisen. Gegebenenfalls bietet es sich ja auch an, Art. 3 dieses Gesetzes einer getrennten Beratung zuzuführen. Wir wären für einen Vorschlag dieser Art offen. Schließlich bleibt noch festzuhalten, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf auch im Bereich der Informationssicherheit viele Fragen offenläßt. Das Problem der Kryptographie ist angesprochen worden. Es ist wirklich interessant, daß sich der Herr Justizminister hier hinstellt und sagt: Wir wenden uns heldenhaft - diese liberalen Kämpfer, nicht wahr - gegen ein Kryptoverbot. Das hat Herr Rexrodt schon anläßlich der CeBIT gesagt. Schon eine Stunde später ist er von der Kritik des Innenpolitikers Zeitlmann der CSU eingeholt worden, der ein Verbot der Kryptographie gefordert hat. Die Bundesregierung sollte sich einmal einigen, was sie hier tut. Das Bundeskanzleramt blamiert sich mit seinem Referenten auf internationalen Tagungen. Es liegen Äußerungen von Herrn Schönbohm, dem Innensenator von Berlin, vor. Es ist doch peinlich, was da stattfindet. Sie fordern im Grunde genommen für ganz Deutschland, für sämtliche Häuser, die Zulassung - in übertragener Form ausgedrückt - von vier Schlössern. Die Schlüssel sind auch noch bei der Polizei zu hinterlegen. Einen solchen Unfug werden Sie mit uns nicht machen können. Das sage ich Ihnen nochmals in aller Klarheit. ({8}) Schönbohm, Zeitlmann und Kanzleramt, was für eine Kombination! Wir wollen aus diesem Grunde keine Hektik. Ich kann das nur noch einmal betonen. Wir können im Interesse des Medienstandortes Deutschland, der Sicherung von Arbeitsplätzen und einer zukunftsgerichteten Medienpolitik auf die Frage, ob wir das unterstützen, was Sie gegenwärtig tun - das war die dritte Frage -, nur mit einem klaren Nein antworten, auch wenn es in Ihrem Gesetzentwurf Punkte gibt, die noch reparabel sind. Kürzlich hatten die Manager einer Firma mir gesagt: Im Grunde genommen ist dieses Gesetz weder akzeptabel noch tolerabel. - Wir werden uns trotzdem bemühen, mit Ihnen zu Lösungen zu kommen. Ich hoffe, Sie entziehen sich dem nicht. Es leuchtet hier ein Signal „Präsident". Herr Präsident, ich denke, das ist der Hinweis, daß meine Zeit abgelaufen ist. ({9}) - Ich wußte doch, daß ich Ihnen damit eine Freude machen kann.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Abgeordneter, Ihre Annahme ist zutreffend. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will mit einem bekannten Satz aus der Telefonbuchwerbung schließen: Vielleicht hätten der Minister und einige Medienreferenten bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes einmal jemanden fragen sollen, der sich hierin auskennt. Wir sind gerne bereit, unseren Sachverstand einzubringen. Ich bedanke mich und wünsche ein schönes Wochenende. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung auf Drucksache 13/ 7385 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung soll beim Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung liegen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Bericht nach § 56 a der Geschäftsordnung über Multimedia. Das sind die Drucksachen 13/2475 und 13/5163. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Dann stelle ich fest, daß die BeschlußVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch empfehlung einstimmig bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Dann lasse ich über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion der SPD „Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" , Drucksache 13/6856 Nr. 1, abstimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5197 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Als nächstes rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Ein ökologischer, sozialer und demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft", Drucksache 13/6856 Nr. 2, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5777 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit stelle ich fest, daß auch diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Sielaff, Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunft der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der EU-Agrarreform, der Osterweiterung und GATT/WTO - Drucksachen 13/4205, 113/5333 Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nächsten fünf Jahre werden für die EU-Agrarpolitik und für unsere landwirtschaftlichen Betriebe in besonderem Maße wegweisend sein. Nicht nur die Entscheidung auf dem Milchmarkt steht an; auch der neue Finanzrahmenplan der Europäischen Union verheißt Spannung. Nicht zuletzt wird die EU im Jahr 1999 in neue internationale Verhandlungen über den Agrarhandel eintreten, die zwangsläufig eine weitere Liberalisierung des Handels zur Folge haben werden, ob wir dies wollen oder nicht. Diese Verhandlungen werden es sein, die mit darüber entscheiden, wie das Gesicht unserer Landwirtschaft, unserer ländlichen Räume und der gewachsenen Kulturlandschaften aussehen wird. Wir werden dann wissen - und dies hoffentlich nicht mit Entsetzen mit ansehen müssen -, welchen Stellenwert die Landwirtschaft für die ländlichen Räume und für die Gesellschaft insgesamt haben werden. Wenn wir nach dem Prinzip „Schauen wir mal" alles einfach auf uns zukommen lassen, dann werden wir, so meine ich, einen furchtbaren Einbruch erleben. Man muß nicht Kassandra sein, um das voraussagen zu können. Statt dessen ist erforderlich, vorausschauend zu planen, frühzeitig tragbare Zukunftsperspektiven zu entwickeln und dabei den Bedarf und die Bedürfnisse der Gesellschaft, der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge zu haben. Die Landwirtschaft selbst hat einen wichtigen Platz darin, aber Lobbypolitik allein für die Landwirtschaft, meine Damen und Herren, ist Schnee von gestern. ({0}) Entscheidend ist, daß wir die flächendeckende Landbewirtschaftung erhalten. Auch ökonomisch vermeintlich ungünstige Agrarstandorte gehören weiter in die standortgerechte Nahrungsmittelproduktion, und die Erzeugung sinnvoller nachwachsender Rohstoffe muß ebenfalls mit einbezogen werden. Damit Landwirte dort ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften können, sprechen wir uns ausdrücklich für die Zahlung produktionsunabhängiger, nach ökologisch bzw. sozial sinnvollen Kriterien gestalteten Finanzhilfen aus. Direkte Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft bleiben daher auch in Zukunft, nach der Entkoppelung der Preis- und Einkommenspolitik durch die Agrarreform, ein notwendiger Bestandteil der gemeinsamen Agrarpolitik. Sie sind außerdem ein allgemeiner Ausgleich für die Umweltauflagen für die Landwirtschaft und ein gesellschaftlich erwünschter Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft. ({1}) Zur dauerhaften und verläßlichen Absicherung dieser Ausgleichszahlungen durch die WTO muß die EU einen für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Katalog entsprechender Leistungen vereinbaren. Die noch vorhandenen Preisausgleichszahlungen, die für die Erlösrückgänge nach der Agrarreform eingeführt wurden, müssen zwar schrittweise, aber bald von der Produktion gelöst werden. Sie müssen unserer Meinung nach in eine ganz neue, einheitliche Form gebracht werden. Die Höhe sollte nicht nur von der Flächenausstattung, sondern auch von einer sinnvollen Arbeitskapazität abhängen, die ein Betrieb auf einer bestimmten Fläche benötigt. So würden die der Landwirtschaft zugedachten Finanzmittel auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum beitragen. In Betrieben mit Veredelung oder mit wenig Chemieeinsatz könnten besonders arbeitsintensive Produktionsverfahren unterstützt werden. ({2}) Dazu braucht es natürlich Mut und Veränderungswillen, meine Damen und Herren. ({3}) Was die Politik der Bundesregierung angeht, Herr Heinrich: Fehlanzeige! Herr Borchert wartet auf Vorgaben aus Brüssel, um dann zu reagieren, anstatt selber aktiv zu sein. Eigene Gestaltungsvorschläge: Fehlanzeige! Wie wollen wir und Sie, Herr Borchert, in Brüssel bestehen, wie wollen Sie unsere Landwirtschaft angemessen unterstützen, wenn Sie dort nichts vorzubringen haben und so tun, als wäre bereits alles in Ordnung? ({4}) Wir haben heute mit unserer Großen Anfrage diese Debatte erzwungen. Ob wir die Bundesregierung damit wirklich aufwecken können, ist fraglich; denn ihre Antwort ist bisher zurückhaltend und weiterhin inhaltslos. ({5}) - Konstruktive Vorschläge sind in den letzten Jahren, lieber Herr von Hammerstein, eigentlich von allen Seiten gekommen. Verbände, Wissenschaftler und andere Institutionen haben stapelweise Vorschläge zu den Themen vorgelegt, die wir heute diskutieren. Ich erinnere zum Beispiel an die weitreichenden Vorschläge der Sachverständigen im Beirat für Umweltfragen. Ich erinnere an die weitreichenden Vorschläge der Sachverständigen im BML. Die Bundesregierung hat sicherlich alles ordnungsgemäß abgelegt. Ob aber irgendwie damit gearbeitet worden ist, ist für die Öffentlichkeit leider nicht zu erkennen. Konstruktive Vorschläge hat im übrigen auch Herr Fischler vorgelegt. Auch er legt ebenfalls großen Wert darauf, daß im Agrarhandel weltweit neue, anspruchsvolle ökologische Standards vereinbart werden. ({6}) Selbst wenn sich die Australier und einige Entwicklungsländer bis jetzt verweigern, muß das Engagement verstärkt werden, meine Damen und Herren. ({7}) Forderungen, die die wirtschaftlichen oder sozialen Interessen der europäischen Landwirte und der ländlichen Umwelt unterminieren, werde die EU nicht akzeptieren können - so, Herr Heinrich, Herr Fischler. ({8}) Ich meine, wir sollten die Kommission in dieser Frage massiv unterstützen, anstatt ständig negativ zu reagieren, wie es durch Ihre Zwischenfragen hier auch wieder deutlich wird. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Angesichts der Zeit und der Tatsache, daß heute Freitag ist, ist das, glaube ich, auch im Interesse aller. Wir werden, meine Damen und Herren, eine weitergehende Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte nicht verhindern können. Sie dürfen aber kein Selbstzweck zur Bedienung wirtschaftlicher Interessen sein, sondern müssen verantwortlich gestaltet werden. Die EU muß bei den WTO-Verhandlungen soziale, ökologische und an solidarischen Prinzipien orientierte Regelungen für den Welthandel durchsetzen, damit in der europäischen und weltweiten Landwirtschaft so nachhaltig gewirtschaftet werden kann, wie es die Gesellschaft, wie ich meine, zu Recht verlangt. ({0}) Ökologische Mindeststandards müssen vor allem für Fragen des Energie-, Rohstoff- und Wassereinsatzes entwickelt werden. Denkbar ist für eine sozial und ökologisch ausgerichtete WTO auch, künftig alle verbleibenden Zollkriterien entsprechend auszurichten und zu überprüfen. Wenn dies nicht gelingt, werden wieder einige wenige profitieren und die meisten verlieren. Der Markt ist kein Naturgesetz, sondern das Werk von Menschen. Deshalb hat die Politik die Pflicht, weltweite Regeln zum sozialen Ausgleich vorzugeben und nicht das freie Spiel der Kräfte als heilige Kuh zu betrachten. Denn ein schrankenloser internationaler Handel wird Probleme bei der Ressourcenverteilung schaffen und zu einem Ökodumping führen. Dies ist für die gesamte Landwirtschaftspolitik schädlich. ({1}) Das Prinzip der Ökologisierung und der sozialen Verantwortung sollte auch im Rahmen der Osterweiterung Eingang finden. Wir werden für mehr EU- Teilnehmer weniger Geld zur Verfügung haben. Darüber sind wir uns alle einig. Es bedarf daher eines ungeheuren Augenmaßes der Politik, um die für die Beitrittskandidaten umwälzenden Veränderungen vorsichtig anzugehen. Wir können zum Beispiel nicht mit dem Rasenmäher hingehen und den Polen vorschreiben: Wenn ihr beitreten wollt, dann entlaßt erst einmal drei Millionen Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft, sonst wird das nichts. - Wo, Herr Borchert, sind da Ihre Alternativen, Ihre Vorstellungen? Sie haben dies wiederholt versteckt so gefordert. In den neuen Ländern haben wir gesehen, wie schwer die Schaffung von anderen Arbeitsplätzen trotz Milliardentransfers an Mitteln ist. Es wäre grob fahrlässig, den hier entstehenden sozialen SprengHorst Sielaff stoff zu ignorieren. Wir fordern vom Landwirtschaftsminister, Initiative zu zeigen und die Interessen der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in der EU bei den anstehenden WTO-Verhandlungen endlich so zu vertreten, daß Landwirte ein ausreichendes Einkommen auch in der Zukunft erzielen können. ({2}) Gleichzeitig darf die Weiterentwicklung der Agrarpolitik nicht im Widerspruch zu den Zielen der Entwicklungsländer stehen. Diese dürfen nicht daran gehindert werden, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten zu stärken und ihre Chancen in Eigenverantwortung mit Nahrungsmitteln wahrzunehmen. ({3}) Wir sind gespannt, Herr Borchert, ob Sie heute in Ihrer Antwort endlich konkret werden und der Öffentlichkeit mitteilen, in welche Richtung Ihre Agrarpolitik in den nächsten Jahren gehen soll und wie Sie die notwendige Fortschreibung der EU-Agrarpolitik in Brüssel unterstützen. Was bisher vorgelegt worden ist, ist zu blaß und stützt sich auf das, was in der Vergangenheit gelaufen ist, hat aber wenig von Zukunftsperspektiven erkennen lassen. Danke schön. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Zukunft erwartet die Landwirtschaft? Wie muß die Agrarpolitik gestaltet sein, damit die Landwirte gute Zukunftsperspektiven haben? Das sind Themen, mit denen sich zur Zeit viele auseinandersetzen. Daß Sie, Herr Kollege Sielaff, und die SPD Ihre Anfrage ebenfalls unter dieses Motto gestellt haben, ließ darauf hoffen, daß die größte Oppositionspartei ein klares Konzept zur agrarpolitischen Diskussion beisteuern würde. Doch wenn man sich Ihre agrarpolitischen Äußerungen der letzten Wochen und Monate und auch heute ansieht, dann kommt man nicht umhin, desillusioniert festzustellen: Diese Hoffnungen haben getrogen. Die SPD hat Wind gemacht und Erwartungen geweckt. Was ist dabei herausgekommen? Nichts, nichts als Scheinlösungen mit der Folge neuer Lasten für Bäuerinnen und Bauern, ein Hin- und Herschwanken zwischen sozialdemokratischer Preissenkungsphilosophie und grünfolkloristischer Fortschrittsfeindlichkeit. ({0}) Da werden auf der einen Seite weitere Liberalisierungsschritte im Weltagrarhandel und eine schrankenlose Öffnung unserer Märkte gefordert, oder es wird die Liberalisierung - wie heute von Ihnen - als unausweichlich dargestellt. ({1}) - Natürlich. Lesen Sie Ihre Rede noch einmal nach. ({2}) Auf der anderen Seite heißt es wieder, das Heil der Landwirtschaft liege im Rückzug auf kleinräumige, regional orientierte Strukturen. Den Landwirten wird vorgegaukelt, mit zusätzlichen Finanzmitteln könne eine Abkoppelung von der Strukturentwicklung in den anderen Mitgliedstaaten der EU erreicht werden. Gleichzeitig plädiert die SPD für eine Reduzierung des Agrarhaushalts. Nein, da braucht man gar nicht zu fragen, wie das zusammenpaßt. Bei so viel Hilflosigkeit kann man nur mit dem Kopf schütteln. Denn offenbar wissen Sie selbst nicht, was Sie nun eigentlich wollen. ({3}) - Nein, ich habe schon die richtige Vorlage. Wir, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien CDU, CSU und F.D.P., wissen, was wir wollen: eine gut strukturierte, leistungsfähige, auf nachhaltige Bewirtschaftung ausgerichtete und damit ökologisch verträgliche Landwirtschaft in unserem Land. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister; gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Ja. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es liegt im Belieben eines jeden Redners, ob er eine Zwischenfrage zuläßt oder nicht. Das haben wir nicht mit einem Unterton zur Kenntnis zu nehmen. Bitte schön.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, damit keine falschen Dinge im Raum stehenbleiben, möchte ich fragen, ob Sie überhört haben, was ich wortwörtlich gesagt habe. Ich bin bewußt sehr nahe am Manuskript geblieben. Sie haben das Problem der Liberalisierung angesprochen. Ich habe gesagt: Und nicht zuletzt wird die EU ... in neue internationale Verhandlungen über den Agrarhandel eintreten, die zwangsläufig eine weitere LiberaliHorst Sielaff sierung des Handels zur Folge haben werden. Ob wir sie wollen oder nicht! Dann habe ich gesagt: Der Markt ist kein Naturgesetz, sondern das Werk von Menschen! Deshalb hat die Politik die Pflicht, weltweite Regeln zum sozialen Ausgleich vorzugeben und nicht das freie Spiel der Kräfte als heilige Kuh zu betrachten. Zu unterstellen, wir wären für eine radikale Liberalisierung, ist Unsinn. Wir meinen, daß es in bezug auf den Agrarmarkt eine klare Liberalisierung aus vielerlei Gründen nicht geben kann. Insofern bitte ich, daß Sie dies zur Kenntnis nehmen und daß Sie das, was Sie gesagt haben, korrigieren. ({0})

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Verehrter Herr Kollege Sielaff, ich habe Ihre Rede vorhin schon zur Kenntnis genommen und habe daraus zitiert, daß Sie gesagt haben, daß eine weitere Liberalisierung unausweichlich ist. ({0}) - Dies haben Sie gesagt; Sie haben es eben nochmals vorgelesen. Sie haben damit das Ergebnis einer WTO-Runde bereits vorweggenommen. Für mich ist das Ergebnis völlig offen. Das Ergebnis, ob und in welchem Umfang es zu einer weiteren Liberalisierung kommt, wird entscheidend davon abhängen, ob wir unsere Position durchsetzen. Im weiteren Verlauf meiner Rede werde ich betonen, daß das Ergebnis der WTO- Runde natürlich entscheidend davon abhängt, mit welchen Forderungen wir in die Runde gehen. Das Ergebnis wird schlechter sein, wenn wir unsere Position, wie Sie es immer fordern, bereits vorher auf geben und sagen, wo wir Zugeständnisse machen wollen. Mir ist nicht bekannt, daß bei Tarifauseinandersetzungen ein Verhandlungspartner vorher erklärt, wo für ihn die Schmerzgrenze liegt, und dann anfängt zu verhandeln. Vielmehr geht jeder Tarifpartner mit seinen Maximalforderungen in die Verhandlungen, um ein für ihn erträgliches Ergebnis zu erzielen. Ihre Aufforderung geht immer dahin, von vornherein zu erklären, welche Zugeständnisse wir akzeptieren, und das, bevor wir überhaupt in Verhandlungen eingetreten sind. ({1}) - Aber natürlich, Herr Sielaff. Dies ist der einzige Streitpunkt. Ich werde hier wie auch überall sonst betonen: Für uns geht es darum, unsere Positionen im Interesse einer bäuerlichen Landwirtschaft in der WTO zu verteidigen und zu vertreten und nicht bereits vorher Positionen zu räumen, die möglicherweise am Ende der Verhandlungen nicht in allen Punkten zu retten sein werden, aber von denen wir möglichst viele verteidigen müssen. Es kann nicht darum gehen, bereits vorher Positionen aufzugeben. ({2}) Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt eine bäuerliche Landwirtschaft; unser Ziel sind bäuerliche Familienbetriebe, die gerade im ländlichen Raum vielen Familien Brot und Arbeit geben. Nur die bäuerliche Landwirtschaft kann auf Dauer die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen auf kurzem Weg sichern, unsere Kulturlandschaft erhalten, eine flächendeckende Landbewirtschaftung sicherstellen und damit die natürlichen Lebensgrundlagen schützen. Deshalb wollen wir unsere Landwirte fit machen für den Wettbewerb, für den Aufbau leistungsfähiger Betriebe, für die Aufgabe, die Landschaft zu erhalten und zu pflegen. Wir wollen aber auch den Landwirten helfen, die für sich keine Perspektive in der Landwirtschaft sehen, indem wir den Strukturwandel durch sozialpolitische Maßnahmen abfedern. Wir wollen jedoch keine unausgegorenen Experimente, die unsere Bäuerinnen und Bauern in eine ungewisse Zukunft treiben würden. Wir halten es für unverantwortlich, daß bei Ihren Aussagen immer wieder anklingt: Versuchen wir es doch einmal mit Weltmarktbedingungen. Wenn wir die Weltmarktbedingungen nicht erfüllen können - und das können wir nicht -, dann gibt es kein Zurück mehr; denn die Mehrzahl der Betriebe würde ein solches Experiment nicht überleben. Deshalb wird sich die Bundesregierung nicht auf solche Utopien einlassen, sondern ihre Politik zur Sicherung des Agrarstandortes Deutschland fortsetzen. Auch wenn derzeit einige gezielt versuchen, unter Hinweis auf die nächste WTO-Runde und die vorgesehene Osterweiterung der Europäischen Union Konzepte einzufordern, die Landwirte zu verunsichern: Es gibt zur Zeit keinen Grund für einen radikalen Wechsel in der Agrarpolitik. Wir können davon ausgehen, daß die beitrittswilligen Länder ihre Beitrittsfähigkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten erreichen werden. Die Beitrittsländer müssen die Grundelemente der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik übernehmen. Wenn wir diesen Weg einer schrittweisen und zeitlich gestaffelten Osterweiterung verfolgen - das ist aus meiner Sicht der einzig gangbare Weg -, dann ergibt sich auch kein unmittelbarer, kurzfristiger Reformbedarf für die europäische Agrarpolitik. Dies gilt auch im Hinblick auf die Fortsetzung der WTO-Verhandlungen, die 1999 in Angriff genommen werden sollen. Auf Grund der geltenden Friedensklausel sind die europäischen Ausgleichszahlungen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ebenso wie die Exportsubventionen bis zum Jahr 2003 abgesichert. Neu auszuhandelnde Verpflichtungen sind voraussichtlich erst nach dem Jahr 2003 zu erwarten. Wie würden wir heute dastehen, wenn wir bereits 1987 oder früher Konsequenzen hinsichtlich möglicher Ergebnisse der GATT-Verhandlungen von 1993 gezogen hätten? Wir müssen sehen: Das Hauptaugenmerk der Verhandlungspartner wird dabei nicht so sehr auf den Ausgleichszahlungen liegen, sondern auf einer Verbesserung des Marktzugangs und einem weiteren Abbau subventionierter Exporte. Ich frage deshalb: Kann es vor dem Hintergrund dieser Zeitperspektive - bis zum Jahr 2003 sind es noch sechs Jahre - unser Anliegen sein, jetzt schon wieder eine neue Agrarpolitik einzuleiten? Ich denke, die Antwort kann nur nein lauten, wenn wir aus der Sicht Europas nicht schon im Vorfeld Verhandlungsspielraum preisgeben wollen. ({3}) Natürlich müssen wir unsere Positionen heute definieren, damit die Europäische Union die Verhandlungen in allen Punkten offensiv führen kann. Dafür haben wir unsere Positionen festgelegt, mit den Bundesländern diskutiert und in Brüssel eingebracht. Es gibt übrigens erstaunlich wenig Differenzen in den konkreten Fragen - auch zu den SPD-regierten Bundesländern. Zu dieser offensiven Strategie gehört für mich auch, dafür einzutreten, daß Umweltstandards und Grundsätze nachhaltigen Wirtschaftens in den künftigen WTO-Abkommen verbindlich festgeschrieben werden. ({4}) - Ich finde es gut, wenn das Ergebnis ist, daß Sie uns in dem Punkt unterstützen. Mit Konsequenzen für die Agrarpolitik müssen wir aber warten, bis wir wissen, in welchem Umfang und in welcher Form Umweltstandards festgeschrieben werden. Unser Ziel muß es doch sein, Umweltstandards und Grundsätze nachhaltigen Wirtschaftens so festzuschreiben, daß bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland auch in Zukunft existieren kann. Erst wenn wir diese Grundsätze festgeschrieben haben, können wir doch, abhängig von diesen Eckpunkten, Agrarpolitik neu orientieren. Wir können nicht schon vorher, im luftleeren Raum, ehe das Ergebnis feststeht, eine neue Agrarpolitik definieren. ({5}) Es gibt, Herr Sielaff, für mich eben Grenzen in der Liberalisierung, nicht nur aus der Sicht der Industrieländer wie Deutschland, sondern auch aus der Sicht der Entwicklungsländer. Auch die Entwicklungsländer brauchen Schutz, wenn sie die Chance haben sollen, eine eigene Agrarproduktion aufzubauen. ({6}) Deswegen müssen wir gemeinsam, Industrieländer und Entwicklungsländer, bei der WTO-Runde unser Ziel, verbindliche Standards zu vereinbaren, durchsetzen. ({7}) Ich bin optimistisch, daß wir in der WTO-Runde Ergebnisse erreichen, mit denen wir unsere Agrarpolitik, die wir in Europa und in Deutschland konzipiert haben, fortsetzen können. Noch wichtiger ist es aber, daß wir agrarpolitische Verhandlungsspielräume behalten, das heißt einen ausreichenden Außenschutz und ein ausreichendes Stützungsniveau mit Ausgleichszahlungen. Es kommt also darauf an, Bewährtes zu verteidigen und dauerhaft abzusichern, es nicht ohne Not in Frage zu stellen. Es kann nicht darum gehen, bereits heute öffentlich Positionen aufzugeben, um damit die Chancen auf ein vernünftiges Ergebnis weiter zu verschlechtern. Niemand kann bestreiten: Die 1992 beschlossene Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik hat Wirkung gezeigt: Die Märkte wurden durch Produktionsrückführung entlastet; der Anstieg der Haushaltsausgaben wurde gebremst; und die Einkommen wurden durch direkte Ausgleichszahlungen stabilisiert. Unbefriedigend ist die Lage der Futterbaubetriebe. Diese Betriebe sind unverschuldet von der BSE-Krise betroffen worden. Zudem leiden sie unter sinkenden Milchpreisen. ({8}) Die akuten Probleme, die den Bäuerinnen und Bauern heute auf den Nägeln brennen, müssen wir vorrangig angehen, und zwar im Rahmen der bestehenden Systeme. Das heißt für die Milch: nicht die Milchquotenregelung über Bord werfen, sondern die vorhandenen Marktinstrumente zur Preis- und Einkommensstabilisierung konsequent nutzen! Ich bin gegen die phantasielose Senkung der Erstattungen, die die Kommission in ihrer Marktpolitik für den Milchsektor betreibt. Nicht die Quote hat versagt, sondern die Handhabung dieses Instrumentes durch die Kommission. ({9}) Die geltenden WTO-Vereinbarungen und der europäische Haushalt bieten ausreichend Spielräume bei der Beihilfen- und Erstattungspolitik, die wir zum Vorteil unserer Milcherzeuger ausschöpfen müssen. Was die mittelfristige Weiterentwicklung der europäischen Milchpolitik angeht, so soll es grundsätzlich bei der Milchquotenregelung bleiben, auch nach dem Jahr 2000. Darin sind sich Bund und Länder einig. Auf Grund der Erfahrungen seit 1984 streben wir weitere Verbesserungen in Detailbereichen an. Dabei muß es vor allem darum gehen, die Position der aktiven Bewirtschafter zu stärken und den Transfer der Quoten zu erleichtern. ({10}) Die Probleme beim Milchpreis sind aber nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Produktion die Nachfrage im Binnenmarkt übersteigt, sondern hängen speziell in Deutschland auch mit strukturellen Defiziten im Verarbeitungs- und Vermarktungsbereich zusammen. Diese Probleme aber kann der Staat nicht lösen; hier muß die Wirtschaft selbst aktiv werden. Wir können sie dabei unterstützen, aber es geht nicht ohne die aktive Mitarbeit der Wirtschaft. Beim Rindfleisch brauchen wir angesichts der anhaltenden Krise Änderungen der Marktordnung. Hier haben wir mit kurzfristigen Maßnahmen geholfen, die Krise zu überwinden. Mittel- und langfristig aber ist es unumgänglich, das Rindfleischangebot den Absatzmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union anzupassen, also ein neues Marktgleichgewicht zu erreichen. Die Kommission hat vom Rat den Auftrag erhalten, geeignete Vorschläge vorzulegen. Die Frist läuft ab; sie hat sie bisher leider noch nicht vorgelegt. Die Bundesregierung wird sich bei den Beratungen dafür einsetzen, daß die erforderliche Produktionsrückführung ausgewogen zwischen den Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der gewachsenen Produktionsstrukturen stattfindet. Das heißt, keinesfalls darf es eine Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Produktionsverfahren geben. Die intensive und extensive Rindermast sind Mastformen, die historisch gewachsen sind, auf die sich Betriebe eingestellt haben und die auch in Zukunft ihre Berechtigung im Rahmen einer europäischen Rindfleischmarktordnung behalten müssen. Beunruhigt sind zur Zeit auch die Getreideanbauer trotz der günstigen Einkommensentwicklung in den vergangenen Jahren. Für diese Unruhe sorgen die Preisvorschläge der Kommission, die eine Kürzung der Flächenprämie beinhalten. Ich habe für diese Vorschläge überhaupt kein Verständnis. Aus meiner Sicht gibt es keine vernünftige Begründung dafür. Mit solchen Vorschlägen erschüttert man das Vertrauen der Landwirte in die Verläßlichkeit der Agrarpolitik. Damit machen wir die Agrarpolitik unglaubwürdig. Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung steht fest: Statt eines radikalen Umbruchs brauchen wir eine Fortentwicklung der Agrarpolitik mit Augenmaß. Dabei werden wir auf dem bisher Erreichten aufbauen, an Bewährtem festhalten und dort, wo es notwendig ist und wo die WTO-Verhandlungen Ergebnisse erfordern, weitere Verbesserungen der Agrarpolitik umsetzen. Ich bin davon überzeugt, daß wir mit unserer Politik Rahmenbedingungen für eine bäuerliche Landwirtschaft schaffen, die es Bäuerinnen und Bauern ermöglichen, sich den Herausforderungen auch nach der Jahrtausendwende zu stellen und sich im europäischen Wettbewerb auch unter veränderten Bedingungen zu behaupten. Vielen Dank. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Borchert! Ich finde die Antwort, die Sie an die SPD gerichtet haben, geradezu aus dem Rahmen fallend, weil die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage wirklich eine Nullantwort ist. ({0}) Es ist immer das gleiche: Auf die berechtigte Anforderung des Parlaments, ein Konzept für die Zukunft in diesem Politikbereich zu erfahren, erhalten wir immer nur die Antwort, daß es doch nicht nötig sei, bereits jetzt von irgendwelchen diffusen Positionen abzugehen, die noch nicht einmal genannt werden. Ich denke, wenn Sie die Unterstützung für eine Politik brauchen, die zukunftsfähig ist, dann muß diese erst einmal im eigenen Parlament durchgesetzt und diskutiert werden. Man kann eine solche Antwort nur geben, wenn man der Auffassung ist - so steht es auch in der Antwort auf die Große Anfrage-, daß die Bundesregierung keinen Bedarf für eine grundlegende Änderung der gemeinsamen Agrarpolitik sieht. Das muß allerdings schon deswegen erstaunen, weil diese Agrarpolitik in der eigenen Bevölkerung wohl keine Mehrheit mehr hat. Angesichts der Lebensmittelskandale, wie beispielsweise des BSE- Skandals, ist das durchaus verständlich. Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Gesichtspunkt, nämlich die Arbeitsmarktpolitik. Wir haben den Verlust einer Viertelmillion Arbeitsplätze EU-weit in der Landwirtschaft zu verzeichnen. Vor einem solchen Hintergrund, angesichts der jetzigen Arbeitsmarktsituation kann doch wohl keiner ernsthaft behaupten, es gäbe keinen Bedarf für irgendwelche Änderungen, ({1}) und das auch noch in einer Antwort auf eine Große Anfrage, zu der der Bundesregierung ausreichend Zeit gegeben wird. Das zweite: Die Ausrichtung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft wird als Zielvorstellung genannt. Wenn sie eine Zielvorstellung ist, dann fehlt auf jeden Fall das Einbeziehen dessen, was sich nun an neuen Anforderungen im internationalen Bereich stellt. Wir müssen dann auch die Wettbewerbsfähigkeit neu definieren; denn sie ist ein dynamischer und kein statischer Begriff. Die Wettbewerbsfähigkeit muß den neuen Bedingungen angepaßt werden. Die Antwort darauf ist die Bundesregierung ebenfalls schuldig geblieben. ({2}) Gleichzeitig beginnt die EU jetzt schon, Preisausgleichszahlungen zu diskutieren, die auf die deutsche Landwirtschaft zukommen werden. Auch hier ist es mindestens geboten, auf die von der EU-Kommission vorgelegte und lange vorangetriebene Diskussion entsprechend Stellung zu nehmen und die Landwirtschaft in Deutschland nicht in der Auffassung zu belassen, daß für sie nichts weiter passiere. Zu dem nächsten Punkt: Ich habe das Gefühl, daß auch die Koalitionsfraktionen das Defizit in der Antwort der Bundesregierung festgestellt haben. Sie bemühen sich nun in dem Entschließungsantrag, ein Konzept zumindest zu umreißen. Aber es läuft hier ähnlich wie bei dem Thema Milchmarkt: Sie haben uns doch tatsächlich in der Tischvorlage für die AusUlrike Höfken schußsitzung ein Konzept für die Milchmarktordnung vorgelegt, nachdem die Bundesregierung es jahrelang versäumt hat, ein vernünftiges Konzept auf den Tisch zu legen und dieses Konzept als eine Tischvorlage der Koalitionsfraktionen für eine Ausschußsitzung zu verwenden. Hier ist wiederum zu bemerken: Auf der einen Seite gibt es eine Weiterführung der Quotenregelung und eine Weiterführung des Mengenbegrenzungssystems; auf der anderen Seite fehlt aber hier ein sehr wichtiger Aspekt, nämlich die regionale Bindung der Milcherzeugung. Ich denke, was Sie mit einem solchen Konzept - wenn es denn eines sein soll - erzeugen, ist die Konzentration der Milcherzeugung in den Gebieten um die großen Seehäfen und jedenfalls nicht dort, wo die Grünlandflächen sind, die es zu bewirtschaften gilt, wie beispielsweise in Bayern. In dem Entschließungsantrag haben Sie einige Kriterien genannt, nicht aber Zielvorstellungen. Genau das sollte aber in die EU- und auch in die WTO-Verhandlungen eingebracht werden. Sie werfen vielmehr im Prinzip Fragen auf, die auch noch widersprüchlich sind. Sie sagen zum Beispiel, es soll in Brüssel ein Konzept vorgelegt werden, das einerseits den Agrarstandort optimal nutzen soll und andererseits den schwierigen strukturellen Bedingungen der Landwirtschaft ausreichend Rechnung trägt. Zumindest stellt sich dabei wie auch bei den anderen Punkten, die sich daran anschließen, die Frage, wie denn das gemeint ist. Es gibt einen gemeinsamen Punkt. Der gemeinsame Punkt liegt tatsächlich - Herr Sielaff hat ihn bereits einmal angesprochen - im Bereich der internationalen Standards. Ich denke, das ist schon ein wichtiger Punkt. Ich glaube, Herr Heinrich, da haben Sie bei der Anhörung vielleicht etwas falsch verstanden: ({3}) Auch die Sachverständigen, die von seiten der Koalition eingeladen worden sind, haben erklärt, daß es durchaus notwendig ist, internationale Standards auf den WTO-Verhandlungen festzulegen. Dafür gibt es entsprechende Ausschüsse, die allerdings den Befürchtungen der Entwicklungsländer Rechnung tragen müssen, daß dies nicht ein Protektionismus ist, den die EU oder einzelne Mitgliedstaaten der EU nutzen wollen, um ihr Forderungen und Politik durchzusetzen. Es soll sich vielmehr um internationale Vereinbarungen handeln, die Standards im Bereich Ökologie und im Bereich der sozialen Rahmenbedingungen festlegen. Herr Borchert, wir haben ja durchaus schon eine weitergehende Diskussion, wie solche Standards aussehen könnten. Man muß doch nicht darauf warten, daß sie irgendwann einmal erarbeitet werden. Hier sind doch die eigenen Vorstellungen von Standards gefordert, die den ökologischen und sozialen Anforderungen in der Bundesrepublik und in der EU entsprechen und die dann entsprechend auf die Welthandelsebene übertragen werden. ({4}) - Dann sind die nicht kaputt. Das soll im Konsens mit den Entwicklungsländern geregelt werden, wie ich es bereits gesagt habe. ({5}) - Die Standards sind bereits genannt worden und in unserem Entschließungsantrag enthalten. Wir haben in unserem Entschließungsantrag eine Reihe von Forderungen aufgestellt, die jetzt in die Überweisung gehen. Als letztes möchte ich noch eines zur künftigen EU-Agrarpolitik und zur Osterweiterung sagen. Ich halte es für unumgänglich, daß in den Ländern Osteuropas vermehrt Priorität darauf gelegt wird, daß die Arbeitsplätze im ländlichen Raum erhalten bleiben und daß alle Förderungsmaßnahmen der EU darauf ausgerichtet werden, daß nicht die gleiche Situation wie in den neuen Bundesländern herbeigeführt wird, nämlich eine Zerschlagung des Arbeitsmarktes im ländlichen Raum und ein ungehemmtes Eindringen der westlichen Verarbeitungs-, Vermarktungsund Handelskonzerne, die sich letztendlich als Nachteil für die Landwirtschaft in Europa erweisen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ulrich Heinrich.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, in den sechs Minuten Redezeit, um im landwirtschaftlichen Bild zu bleiben: im Schweinsgalopp die wichtigen Themen EU-Erweiterung und WTO-Runde zu beleuchten. Welche politischen und ökonomischen Faktoren bestimmen die Zukunft der Landwirtschaft? Das ist hier die Frage. Fangen wir einmal mit dem Positiven an. Als erstes ist die aktuelle Diskussion zum Euro zu nennen. Als Liberaler und praktizierender Landwirt bin ich für die Einführung des Euro und die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. ({0}) Für die exportorientierte Volkswirtschaft, die ihren größten Absatzmarkt innerhalb Europas hat, wird so die volkswirtschaftliche Ausgangsbasis weiter verbessert. Auch das hat etwas mit Standort Deutschland für die Bauern zu tun, Herr Kollege Sielaff. Mit dem Wegfall der Währungs- und Erzeugerpreisschwankungen, die in der Vergangenheit wegen der harten D-Mark und den damit verbundenen WechUlrich Heinrich selkursanpassungen zu erheblichen Verlusten in der deutschen Landwirtschaft geführt haben, entfällt ein schweres Hemmnis. Herr Kollege Sielaff, Sie wissen wohl nicht, wieviel Hunderttausende von D-Mark, die nach Berechnungen des Deutschen Bauernverbands über 1 Milliarde DM hinausgehen, die deutsche Landwirtschaft auf Grund der Wechselkursschwankungen verloren hat. ({1}) Zweitens. Die politisch gewollte Osterweiterung hat großen Einfluß auf die EU-Agrarpolitik und damit auf die Zukunft der heimischen Landwirtschaft. Vor allem durch den Beitritt der MOE-Staaten wird sich der Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft erhöhen. Diese Staaten haben bis jetzt in der Hauptsache Agrarprodukte anzubieten. In diesem Zusammenhang ist es absolut notwendig, daß sich die jetzigen Staaten der Europäischen Union und die Beitrittskandidaten aufeinanderzubewegen. Das heißt, einerseits muß die EU aufnahmefähig sein, andererseits müssen die MOE-Länder die Beitrittsvoraussetzungen von sich aus erfüllen. Dazu gehören entsprechende unter anderem vor allen Dingen auch tierseuchenrechtliche und seuchenpolizeiliche Maßnahmen. Ich wundere mich immer: Kein Mensch redet von diesen elementaren Fragen im Zusammenhang mit der Osterweiterung, obwohl wir wissen, daß gerade Seuchenzüge in den letzten Jahren entscheidend zu der schlechten Situation in der europäischen Landwirtschaft beigetragen haben. Um das obengenannte Ziel zu erreichen, benötigen wir ausreichend Übergangszeiten; das kann nicht von heute auf morgen geschehen. Nur dann ist eine Osterweiterung agrarpolitisch möglich und auch akzeptabel. Drittens ist in Art. 20 des Landwirtschaftsteils des GATT-Vertrages eine weitere Liberalisierung der Agrarmärkte gefordert. Man muß wirklich kein Prophet sein, um vorauszusehen, daß in der anstehenden WTO-Runde für die europäische Landwirtschaft sicherlich nicht gewünschte, aber weitere voraussichtlich schmerzhafte Anpassungen abverlangt werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist entschieden gegen den Versuch der EU-Kommission, die im Rahmen der 1992 verabschiedeten Agrarreform vereinbarten Preisausgleichszahlungen heute schon zu kürzen. Hier muß die Agrarpolitik die versprochene Verläßlichkeit unter Beweis stellen, zumal die Preisausgleichszahlungen durch Art. 13 des WTO-Agrarabkommens bis ins Jahr 2003 durch eine sogenannte Friedensklausel gesichert ist. Herr Minister Borchert hat auf diesen Punkt abgehoben. Ich unterstütze ihn hier nachdrücklich. Die knappen Mittel, die vor allem durch BSE und Schweinepest hervorgerufen wurden, können für die Streichungen sicherlich keine Erklärung sein. Deshalb sollte man hier nicht von einem vorauseilenden Gehorsam ausgehen, im Vorfeld Positionen der Landwirtschaft aufgeben und sie so zusätzlich belasten, zumal die deutschen Landwirte durch die große Steuerreform sehr stark in die Pflicht genommen werden und BSE und Schweinepest bereits zu großen Einkommensverlusten geführt haben. Meine Damen und Herren, das Fazit ist: Unsere Landwirtschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen, die sie nur bestehen kann, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter ausbaut. Eine noch stärkere marktwirtschaftliche und unternehmerische Ausrichtung ist unausweichlich, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Da die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirte innerhalb der EU zudem am unteren Ende rangiert - auch das muß man einmal sagen -, müssen gerade auch die nationalen Wettbewerbshemmnisse noch konsequenter beseitigt werden. Parallel dazu müssen die europäischen Wettbewerbsverzerrungen abgebaut und muß der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten eine größere Bedeutung beigemessen werden. Dazu gehört für uns - ich wiederhole es - ein stabiler Euro. Die Investitionsförderung muß intensiviert werden. Die Agrarpolitik muß die Entwicklungschancen unserer zukunftsfähigen landwirtschaftlichen Betriebe durch marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen tatkräftiger unterstützen. Dazu gehören unter anderem landwirtschaftliche Dienstleistungen, nachwachsende Rohstoffe und auch die Erschließung und Bedienung neuer Märkte. Wenn sich heimische Produzenten ohne staatliche Erstattungen auf dem Weltmarkt behaupten können, darf dies nicht durch Preisdruckpolitik, wie es zum Beispiel die EU-Kommission mit der Getreideexportsteuer betrieb, erschwert und unmöglich gemacht werden. Das konterkariert die Forderungen sowohl von uns als auch von Brüssel, daß wir mehr Marktwirtschaft haben wollen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich meine, mit der 1992 begonnenen EU-Agrarreform sind wir auf dem richtigen Weg, den wir durch mehr Mut zu marktwirtschaftlichen Schritten weiterentwickeln müssen. ({3}) Das heißt, WTO und Osterweiterung bieten keinen Anlaß, heute erneut eine Agrarreform zu fordern, nachdem wir 1992 eine grundlegende Reform durchgeführt haben. Da wir erst Ende dieses Jahrtausends, 1999/2000, in die Verhandlungen eintreten, wäre es töricht und schädlich für die deutsche und die europäische Landwirtschaft, wenn wir jetzt schon so täten, als wüßten wir, was als Ergebnis herauskommt. Frau Kollegin Höfken, Sie haben eben im Zusammenhang mit den Umweltstandards deutlich gezeigt, in welche Richtung Sie tendieren. ({4}) In dem Moment, da Sie deutsche Umweltstandards für eine WTO-Vereinbarung zur Grundlage und Bedingung machen, stehen Sie wirklich jenseits von Gut und Böse, ({5}) und Sie schaden dadurch den Ländern, denen Sie helfen wollen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen Ihre Rede abschließen.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein letzter Satz. - Ich nehme als Beispiel die Erfahrungen, die wir mit den AKP-Ländern haben, die Lomé-Vereinbarungen. Das ist nicht positiv gelaufen. Die Länder waren auf Grund ihrer eigenen Unzulänglichkeiten und ihres Nicht-handeln-Könnens - aus welchen Gründen auch immer - überfordert. Sie konnten den Rahmen nicht ausschöpfen, den wir ihnen gegeben haben. Sie überfordern die Länder, wenn Sie heute Umweltstandards nach unseren Maßstäben in die WTO- Verhandlungen einbringen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die PDS von der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD hält, ist in unserem Entschließungsantrag ausführlich nachzulesen. Auf den Punkt gebracht, lautet unsere Einschätzung: Der aus der Antwort der Bundesregierung erkennbare Kurs für die zukünftige EU- und WTO-Politik wird sowohl für die Bauern als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer Katastrophe führen. In diesem Haus wird so oft von Sachzwängen gesprochen; das ist eines Ihrer Totschlagargumente. Wir sind unbedingt für Sachargumente. Ich denke, sie sollten auch die Grundlage politischer Entscheidungen sein. Voraussetzung dafür ist aber, daß die Sachzwänge richtig benannt werden. Zu den grundlegenden Sachverhalten in der Landwirtschaft gehört vor allem die Tatsache, daß der Boden nur in Deutschland bewirtschaftet und nicht ins Ausland verlagert werden kann, daß die Landwirtschaft nicht nur agrarische Güter produziert, sondern auch Leistungen für den Erhalt der Natur und die Gestaltung der Kulturlandschaft erbringen muß, also Umweltschutz betreibt. In der Diskussion zum Bodenschutz- und Naturschutzgesetz gibt es diese Differenzen; Sie wissen das, und wir sind hier in der Diskussion. Im Unterschied zur Industrie, die unter dem Problem leidet, Käuferinnen und Käufer für ihre zuviel produzierten Produkte zu finden, steht die Landwirtschaft vor der Aufgabe, den Hunger von 800 Millionen Menschen zu beseitigen und - wie die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt - die Produktion in den nächsten Jahrzehnten um 60 Prozent zu steigern. Nicht zuletzt ist es ein nicht zu ignorierender Sachverhalt, daß der reiche Norden von den Feldern des hungernden Südens ißt. Die Fläche, die für die Erzeugung der EU-Nettoimporte von Agrarprodukten verbraucht wird, entspricht jener der fruchtbaren Landflächen von Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Panama und Guyana. Für den Wert eines halben Stündchens Arbeit kaufen wir uns die Arbeit eines Dutzend Kulis, die eine Woche lang schuften, um Radios oder Computer zu bauen, Kleider zu nähen oder Spielzeug zu basteln. Die Bundesregierung setzt nicht nur weiterhin auf die Liberalisierung der Märkte; sie will auch die Agrarproduktion möglichst schnell auf diesen Kurs trimmen. Die Auswirkungen Ihrer Liberalisierungspolitik kennen wir auf allen Feldern dieser Politik, ob beim Arbeitsrecht oder der Stromliberalisierung; es sind immer die gleichen Auswirkungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist inzwischen in Mode gekommen, über Nachhaltigkeit zu reden. Dabei wird immer betont, daß der Begriff aus der Waldwirtschaft kommt. Das ist richtig. Doch das Ziel der nachhaltigen Waldwirtschaft war ein höherer Profit, und das Ergebnis waren Monokulturen, Umweltbelastungen und die Zerstörung der biologischen Vielfalt. Eine zentrale Kategorie der Nachhaltigkeit ist die des Umweltraums. Jeder Mensch dieser Erde hat das gleiche Recht auf den gleichen Umweltraum. Wo ist die Analyse der Bundesregierung, die diese Kategorie für die Bundesrepublik durchgerechnet hat? Wo sind die konkreten Maßnahmen, die sich aus einer solchen Analyse ergeben würden? Statt eine politische Kurskorrektur vorzunehmen, glänzt die Bundesregierung auf internationalen Konferenzen mit Versprechungen über CO2-Reduktionen. Gleichzeitig hofft sie, durch eine Diskussion über den Agrarstandort Deutschland neue internationale Märkte zu erobern, um ein noch größeres Stück von dem kleiner werdenden Kuchen abzubekommen. Es ist das Dilemma der Nachhaltigkeitsdiskussion in Deutschland, daß die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen und Bedingungen ausgeklammert werden. Mit der Wuppertal-Studie läßt sich gut leben. Inzwischen geben die größten Konzerne auch viel Geld für ihr Nachhaltigkeitsimage aus. Am Ende dieser Entwicklung wird es aber mehr reiche und arme, mehr satte und hungernde Menschen und Länder geben. Die Rohstoffe werden weiter von Süden nach Norden strömen. Sie, meine Damen und Herren, werden mehr Waffen brauchen, um diese Stoffströme und die Interessen der Kapitalverwertung zu sichern, die natürlich als Interessen der Wohlstandssicherung verkündet werden. Wem es wirklich um die Zukunft der Menschheit geht, muß sich vorurteilslos allen Tatsachen stellen, der darf das Kosten- und Gewinnkriterium nicht an die Spitze stellen, der muß zuerst danach fragen: Worin bestehen die Interessen der Menschen? Wie werden wir den Lebenshoffnungen künftiger Generationen gerecht? Das Ergebnis würde ein radikaler Wandel der EU-Agrarpolitik sein, der die Bezeichnung „nachhaltig" wirklich verdient und zu mehr Gerechtigkeit auf dieser Erde führt. Danke. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Albert Deß das Wort. ({0})

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarreform von 1992 hatte die Zielsetzung, Agrarüberschüsse abzubauen, um die Agrarmärkte zu entlasten und die Einkommen in der Landwirtschaft bei noch umweltfreundlicherer Produktion zu sichern. Vorübergehend konnten durch die Agrarreform die Interventionsbestände in der EU weitgehend abgebaut werden. Die durch Druck der Franzosen vorgenommene Absenkung der Stillegungsrate hat aber auch wieder zu einem deutlichen Anstieg der Getreideüberschußmengen geführt. Es wäre mit Sicherheit sinnvoller gewesen, die Stillegungsrate bei mindestens 15 Prozent zu belassen. Dadurch wäre eine aktivere Preispolitik bei Getreide möglich gewesen. An der Tatsache, daß der Getreidepreis der Eckpreis für andere Agrarprodukte ist, führt auch heute kein Weg vorbei. Es muß hier aber auch deutlich festgestellt werden, daß sich Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert in Brüssel deutlich gegen eine Absenkung der Flächenstillegungsrate ausgesprochen hat, daß er dabei aber überstimmt wurde. Wir stehen heute vor der Frage: Mit welchem Konzept geht Europa in die WTO-Verhandlungen? Es ist schon ein starkes Stück, Herr Sielaff, wenn die SPD in ihrem Antrag zuerst feststellt: Die Tendenz zur Liberalisierung der Weltmärkte ist für Deutschland als Industrieland notwendig und dann der Bundesregierug ein paar Absätze weiter vorwirft, daß sie eine ungebremste Liberalisierung des Welthandels akzeptiert, was nachweislich falsch ist. ({0}) Es war die SPD-Fraktion, die vor der letzten GATT- Runde in ihrem Antrag vom 12. Dezember 1991 forderte: Von der allgemeinen Zielsetzung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen zu schaffen, darf der EG-Agrarbereich nicht ausgenommen werden. Das ist genau der Punkt, dem ich entschieden widerspreche. Es gibt keinen fairen Weltagrarmarkt. Die Amerikaner fordern liberalisierte Agrarmärkte und nutzen jede Möglichkeit, um Einfuhren in ihr Land zu schikanieren. Wer einer ungebremsten Liberalisierung das Wort redet, gefährdet die Existenz von Millionen Bauern in Europa. ({1}) Ich unterstütze Minister Borchert, wenn er fordert, daß auch bei der nächsten WTO-Runde ein entsprechender Schutz an den EU-Außengrenzen gesichert werden muß. Wer glaubt, daß wir unsere Landwirtschaft in absehbarer Zeit für den Weltmarkt konkurrenzfähig machen können, verkennt die Realitäten. Es ist ein ökonomischer und ökologischer Unsinn, wenn wir auf Dauer Steuergelder verschwenden, um auf dem Weltmarkt Agrarprodukte abzusetzen, bei denen der sogenannte Weltmarktpreis unter unseren Produktionskosten liegt. ({2}) Den Liberalisierungsaposteln erteile ich eine entschiedene Absage. Weltmarktagrarpreise sind weitgehend ein Betrug an den Bauern, bewirken die Ausbeutung von Landarbeitern und sind nicht selten ein Verbrechen an der Umwelt. ({3}) In Brasilien - ich kenne dieses Land sehr gut - sind in den vergangenen Jahren über hundert Kleinbauern ermordet worden, damit Großgrundbesitzer großflächig Agrarproduktion betreiben können. Wir machen uns mitverantwortlich, wenn wir den Weltmarktfetischisten nicht entschieden entgegentreten. ({4}) Ein liberalisierter Weltagrarmarkt nützt nicht den Bauern, er dient dem Wohlergehen des Groß- und Außenhandels und der Transportunternehmen, die ein Interesse daran haben, daß möglichst viele Massengüter hin- und hertransportiert werden, ohne Rücksicht darauf, wieviel Energie dabei vergeudet wird. ({5}) Europa muß das Recht haben, einen eigenen agrarpolitischen Weg im Interesse unserer Gesellschaft zu gehen. Es ist unabdingbar notwendig, daß das Prinzip der Nachhaltigkeit bei künftigen Verhandlungen über den Weltagrarhandel prägende Grundlage und Norm wird. Dies ist im Interesse der gesamten Weltbevölkerung und nicht ein spezielles Interesse der bayerischen, deutschen oder europäischen Landwirtschaft. Die Agrarpolitik muß sich die Grundprinzipien der Konferenz von Rio zu eigen machen ({6}) und sich mit allen daran interessierten gesellschaftlichen Gruppen verbünden. Sie muß einem rein ökonomischen Denken nach dem Prinzip möglichst billiger Produktion von Nahrungsmitteln, und sei es um den Preis des Raubbaus an der Natur, entschieden widerstehen. ({7}) Interessant ist auch die Aussage von Kommissionspräsident Jacques Santer, über die wir nachdenken sollten. Er sagte vor kurzem, es müsse eine echte Revolution in der Auffassung von Ernährung und Landwirtschaft geben und ein intensives Nachdenken über die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik innerhalb der Europäischen Union. Nach Auffassung Santers bestehen erhebliche Zweifel, ob die BSE- Krise wirklich ein Unfall der Natur ist. Ist die BSE- Geschichte nicht vielmehr die Folge eines Landwirtschaftsmodells, das auf Produktivität um jeden Preis ausgerichtet ist?, fragte Santer. ({8}) Die Konsequenzen dieser Produktionsweise zu minimalen Kosten setze die Grundgesetze der Natur außer Kraft und führe letztendlich zu höheren Belastungen für unsere Gesellschaft. Aus übergeordneten ökologischen Gründen ist es auch wichtig, die künftigen Regelungen für den Weltagrarhandel so zu gestalten, daß auch auf ungünstigen Standorten auf Dauer Landwirtschaft betrieben werden kann. Die Umweltstandards, wie sie in der Konferenz von Rio vereinbart wurden, nehmen national und international an Bedeutung drastisch zu. Das Prinzip der Nachhaltigkeit muß dabei zum prägenden Element der Landbewirtschaftung werden. Insbesondere auf Grund der unterschiedlichen Wettbewerbs- und Produktionsbedingungen ist auch weiterhin ein wirksamer Außenschutz notwendig, damit die Qualität der Produkte und die Art der Produktion zur Sicherstellung einer flächendeckenden Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes erhalten werden können. ({9}) Die Stärke des ländlichen Raumes ist in Zukunft auch davon abhängig, ob es uns gelingt, Antworten auf die Herausforderungen immer schnellerer Veränderungen und Entwicklungen zu finden. In einer Zeit, in der uns das Thema Globalisierung täglich aufgedrängt wird, ist es wichtig, daß wir dem im Agrarbereich entgegensteuern und uns auf unsere regionalen Möglichkeiten besinnen. ({10}) Die von vielen zum neuen Glaubensbekenntnis erhobene Globalisierungsstrategie hat bisher weltweit vor allem Schäden hinterlassen. Statt dessen brauchen wir ein Denken in regionalen Kreisläufen, wenn wir dem Würgegriff der Liberalisierungsanbeter entkommen wollen. ({11}) Die Europäer müssen bei den anstehenden Verhandlungen selbstbewußter auftreten. Minister Borchert hat dies angekündigt. In der Region Europa brauchen wir wirkungsvolle Mengensteuerungsinstrumente. Ich bin der Meinung, daß nur mit Mengensteuerungsinstrumenten auch die Osterweiterung ohne große Verwerfungen für unsere Bauern durchgeführt werden kann. Vielen Dank. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerald Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tatsache ist, um das Jahr 2000 werden für die Agrarpolitik beginnend von der GATT-Runde bis hin zur künftigen Milchmarktordnung wichtige Entscheidungen fallen. Vielen ist bewußt, daß das nicht ohne Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sein wird. Angesichts einer derartigen, absehbaren Entwicklung stellt sich natürlich die Frage, mit welchen strategischen Konzepten man auf eine solche Entwicklung reagiert. ({0}) Die eine Möglichkeit besteht darin, sich diesen Herausforderungen bewußt zu stellen und den Versuch zu unternehmen, die Richtung mitzubestimmen. Die andere Strategie besteht darin, Korrekturbedarf zu leugnen und die Hoffnung zu wecken, daß sich nichts ändern werde. Nach den heutigen Beiträgen, aber nicht erst seit heute, habe ich den Eindruck, daß genau das die Strategie der Bundesregierung ist. Herr Minister Borchert, Sie haben 1993 einmal ganz anders angefangen. Als neu ins Amt berufener Landwirtschaftsminister haben Sie Ihre neue Linie als den Weg zukunftsorientierter Agrarpolitik definiert. ({1}) Sie wollten eine stärkere Agrarstrukturförderung; Sie wollten - so damals Ihre Ankündigung - artgerechte, umweltgerechte und landschaftspflegerische Produktionsverfahren stärker fördern; Sie wollten den Verbraucherschutz verbessern und - man höre und staune - die Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte wiederherstellen. Ich darf Sie, Herr Borchert, an den Milchmarkt erinnern: Da müssen Sie ja selber über Ihre Ankündigungen lachen. Sie bringen es fertig, hier darüber zu philosophieren, ob die Milchmarktordnung geeignet ist, eine Mengenbegrenzung herbeizuführen. Ich frage Sie, was haben Sie in den vier Jahren, seit Sie Minister sind, gemacht? Was haben Sie im Agrarrat gemacht, wenn heute eine Diskrepanz von 20 Prozent zwischen Angebot und Nachfrage besteht? ({2}) Sie beschränken sich, Herr Minister Borchert, zunehmend aufs Moderieren. Viele fragen sich, wo denn eigentlich die Ursachen für Ihre Handlungsunfähigkeit liegen. Es ist die Frage zu stellen, ob es vielleicht daran liegt, daß durch den Wechsel an der Spitze des Deutschen Bauernverbandes seit Monaten klare Vorgaben von dort fehlen. Trifft die folgende Feststellung der Wochenzeitung „Das Sonntagsblatt" über den Präsidenten a. D. Heereman zu? Ich zitiere: Manchmal hieß es, die drei Agrarminister, die er erlebt hat ({3}), seien Minister unter ihm gewesen, und da war was dran. Herr Minister, das ist eine Auffassung, die sehr viele im Lande teilen. Die grundsätzliche Frage lautet aber: Ist es in schwierigen Zeiten richtig, Politik an den Interessen der Verbandsspitze zu orientieren, oder ist es nicht besser, Politik an den Interessen der zukunftsorientierten Landwirte zu orientieren? Da sind schon Zweifel angebracht, an wem sich Ihre Politik ausrichtet. ({4}) - Ich hatte mehrfach die Gelegenheit. Ich komme gleich darauf zurück, mein lieber Detlev von Hammerstein. Interessant ist, Herr Borchert, daß entgegen Ihren Ausführungen Kommissar Fischler genau entgegengesetzte Auffassungen hat. Ich habe nach seinen eigenen Aussagen den Eindruck - im Gedächtnis habe ich die letzten GATT-Verhandlungen -, daß er sich eher an den zukünftigen Herausforderungen orientiert und politischen Handlungsspielraum für die EU- Agrarpolitik zurückzugewinnen sucht. Herr Borchert, das wissen Sie genau. Was Sie heute von diesem Pult aus der SPD vorgeworfen haben, müßten Sie Kommissar Fischler und anderen Ministern in den EU-Mitgliedstaaten vorwerfen. Hier ist heute lediglich eine Ersatzhandlung zu besichtigen gewesen. Nicht der SPD, sondern Kommissar Fischler müssen Sie es vorwerfen. Mit Kommissar Fischler sitzen Sie in Brüssel an einem Tisch. Das, was Sie hier an Argumenten vorbringen, würden Sie besser in Brüssel anbringen. ({5}) Herr Minister, eine weitere Feststellung: Sie wollten uns glauben machen, die Liberalisierung würde von der SPD forciert. Was wir wollen, ist nichts anderes, als daß Sie die Bauern auf die Folgen Ihrer Politik aufmerksam machen, damit sich die Bauern auf die Konsequenzen der Politik der Bundesregierung einstellen können. Um nichts anderes geht es. Dazu sind eine ganze Reihe von Argumenten anzuführen. Das erste ist das Argument der Liberalisierung. Ich habe mich heute gefragt: Wer ist es denn in diesem Hause, der Liberalisierung, der Deregulierung fordert? - Es ist Ihre Partei, es ist Ihr Koalitionspartner, die das hier immer wieder im Sinne der klassischen Angebotspolitik fordern. Und Sie wollen uns weismachen, daß ausgerechnet Sie in der Lage wären, das zu verhindern? Ich empfehle Ihnen, Ihre Rede auf der Grünen Woche 1993 nachzulesen. Dort steht in etwa der Satz: Die Landwirtschaft wird im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft keine Ausnahme bilden können. - Hätte ich Ihre heutige Rede schon gekannt, ich hätte Ihnen diese Passage entgegengehalten. ({6}) In einer ganzen Reihe bilateraler Abkommen werden genau die Entscheidungen vorweggenommen, die in der nächsten GATT-Runde fallen. Ich staune über Ihren Realitätsverlust an dieser Stelle. Was hat denn Bundeskanzler Kohl im letzten Jahr in Argentinien vereinbart? Was ist angesichts des Besuchs von Nelson Mandela im letzten Jahr hier vereinbart worden? Es ist der erweiterte Zugang von Agrarprodukten in den europäischen Markt. Und Sie tun so, als wäre das alles keine Realität. Herr Minister, noch eines ist Ihnen entgegenzuhalten. Die Fachleute in Ihrem eigenen Hause haben die klare Aussage gemacht: Mit der letzten GATT-Runde sind die Instrumente und Regelungen schon weit vorweggenommen worden, nach welchem Strickmuster - das sage ich mit meinen eigenen Worten - die nächste GATT-Runde ablaufen wird. Und Sie wollen uns ernsthaft weismachen, daß es keine Vorprägungen gebe, daß alles noch offen sei. Herr Minister Borchert, ich prophezeie Ihnen: Genau das ist nicht der Fall. Wenn man Ihren heutigen Ausführungen gelauscht hat, muß man den Eindruck gewinnen, Sie gingen schon heute davon aus, daß Sie es, wenn das einmal Realität wird, nicht mehr von Ihrem Amt her zu verantworten haben. ({7}) - Nein, mein lieber Detlev von Hammerstein. Ich komme auf deine Bemerkung von vorhin zurück: Ich hatte in der letzten Zeit häufiger die Gelegenheit, mit Milchbauern zu diskutieren - weniger bei mir zu Hause, eher in Bayern und anderswo. Gerade die Milchbauern müssen die Folgen dieser Politik und des Nichtausnutzens der Instrumente, von denen Sie, Herr Minister, gesprochen haben, tragen. Wenn ich mir vorstelle, daß die Milchbauern heute der Debatte und Ihren Ankündigungen lauschen, so kann ich nur sagen: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wenn ich mir den Beschluß der letzten Agrarministerkonferenz zur Milchmarktordnung vergegenwärtige, erinnere ich mich, daß am 31. März 2000 Schluß sein soll. Am 1. April fangen wir wieder an, und all das, was vorher bestand, gilt nicht mehr. Da kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie die Expertisen aus Ihrem eigenen Hause. Ich habe mir die Randnotiz gemacht: frommer Wunsch, sonst nichts. ({8}) - Aber der Minister saß dort mit am Tisch als derjenige, der das in Brüssel zu vertreten hat. Eine letzte Bemerkung: Kommissar Fischler hat 1997 auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Agrar- und Umweltpolitik die Forderung auf den Punkt gebracht, als er sagte: Die europäische Landwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts muß beides sein: umweltverträglich und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich. Im Sinne dieser Forderung haben wir mit unserem Entschließungsantrag eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Ich freue mich angesichts der heutigen Debatte auf die Diskussion über diese Vorschläge im Ausschuß. Vielen Dank. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Streit, der auch heute morgen hier wieder ausgetragen wird, und zwar über eine Große Anfrage der SPD, deren Einbringung ich an sich für sehr vernünftig erachte, macht sich erneut daran fest, daß einige offenbar dann, wenn sie eine Große Anfrage stellen, die Antworten darauf nicht zur Kenntnis nehmen. ({0}) - Herr Sielaff, dann lesen Sie doch bitte einmal die Antworten, die zu den WTO-Verhandlungen von der Bundesregierung gegeben worden sind. ({1}) Die Bundesregierung hat ganz eindeutig erklärt, welche Spielräume es noch immer bei diesen WTO- Verhandlungen gibt. Sie hat erklärt, daß wir diese Spielräume letztlich auch nutzen müssen. Wir können uns in keinen Automatismus hineinbegeben, wenn dieser, so wie er hier immer wieder aufgezeigt wird, durch die GATT-Verhandlungen und den GATT-Abschluß gar nicht vorgegeben ist. Ich gebe Herrn Thalheim recht, wenn er hier sagt, daß die EU-Kommission dazu eine andere Auffassung hat. ({2}) Die deutsche Agrarpolitik darf aber nicht das Vollzugsorgan der agrarpolitischen Vorstellungen des Herrn Fischler werden. ({3}) Sie muß vielmehr eigene Vorstellungen entwickeln. ({4}) Dies hat Herr Borchert immer wieder getan. Nur, Sie von der SPD nehmen dies nicht zur Kenntnis, Sie fordern Herrn Borchert auf, er möge seine Vorstellungen aufgeben, da es Vorstellungen der EU-Kommission gebe. Genau das tut er nicht. Das halten wir von den Koalitionsfraktionen auch für richtig. Sie sagen: Es muß auch bei der EU-Agrarreform Anpassungsprozesse geben; wir müssen immer wieder das Stichwort der flächendeckenden Extensivierung - ich halte es aus der Sicht der deutschen Agrarpolitik für ein falsches Stichwort - auf EU-Ebene anbringen. ({5}) - Sie haben dazu wieder etwas gesagt. Lassen Sie mich nun bitte ausreden. Auch ich habe Sie ausreden lassen! Sie sagen weiter: An der Extensivierung der Landwirtschaft müssen wir auch noch Prämienzahlungen festmachen. Wenn wir das tun würden, dann würden wir anderen Landwirtschaften in der Europäischen Union - zum Beispiel der schottischen und der irischen - nützen, aber nicht der deutschen, ({6}) weil wir uns in einer ganz anderen Situation befinden. Deswegen sollten wir nach meiner Auffassung alles tun, um zusammen mit Jochen Borchert unsere gemeinsame agrarpolitische Vorstellung - häufig sind die Fraktionen dieses Hauses gar nicht soweit voneinander entfernt - immer wieder in Brüssel einzubringen. Er hat das in der Vergangenheit auch sehr erfolgreich getan. Es steht doch fest, daß Jochen Borchert sehr viel zur bürokratischen Vereinfachung der EU-Agrarreform beigetragen hat. Ich selber mußte ja im Rahmen dieser EU-Agrarreform immer wieder Anträge stellen. Dabei habe ich festgestellt, welche Vereinfachung sich dort in den letzten Jahren durchgesetzt hat. Natürlich kann ich mir noch weitere Vereinfachungen vorstellen. ({7}) - Im Gegensatz zu manchen hier betreibe ich noch Landwirtschaft und kenne ein bißchen die Praxis. ({8}) Die kennen ja manche in diesem Hause gar nicht, mein lieber Uli Heinrich. ({9}) Deswegen muß ich ja nachvollziehen können, was hier gemacht wird. Ich kann mich noch an die kritischen Stimmen erinnern, durch die Zweifel in die deutsche Landwirtschaft hineingetragen wurden, als es um die Absicherung des Währungsrisikos bei den Ausgleichszahlungen ging. Da hat er sich durchgesetzt, obwohl vorher so viele Zweifel geäußert haben, immer wieder versucht haben, Zweifel in die Landwirtschaft hineinzutragen. Warten wir doch einmal ab, inwieweit sich Jochen Borchert auch bei anderen Fragen durchsetzen wird! Ich finde es eigenartig, wenn die SPD hier fordert, wir müßten die Wettbewerbsposition der deutschen Landwirtschaft innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verbessern. ({10}) - Ja, das ist richtig, wenn sie diese Forderung stellt, aber ich frage, meine Damen und Herren: Inwieweit unterwerfen sich denn rot-grüne oder rote Landesregierungen dieser agrarpolitischen Aufgabenstellung? Inzwischen existieren innerhalb der Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Wirkens rot-grüner und roter Landesregierungen mehr Wettbewerbsverzerrungen als zwischen uns und den anderen europäischen Partnerländern. Das ist nicht hinnehmbar. ({11}) Wenn Sie etwas zur Verbesserung der Wettbewerbsposition tun wollen, dann tun Sie doch erst einmal etwas in Ihren eigenen Reihen. Das machte Ihre agrarpolitischen Aussagen im Bundestag dann auch glaubwürdiger. ({12}) Herr Thalheim, wenn Sie hier sagen, Sie hörten die Botschaft, aber Ihnen fehle der Glaube, dann muß ich anmerken: Ich höre in dieser Richtung von den SPD-Landesregierungen und den rot-grünen Landesregierungen überhaupt keine oder höchstens eine gegenteilige Botschaft, die im Grunde genommen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft verschlechtert, zumindest in den Bundesländern, in denen solche Landesregierungen bestehen. ({13}) Das ist nicht hinnehmbar. Wenn Sie eine solche Forderung stellen, dann sollten Sie zuerst einmal die eigenen Wirkungsmöglichkeiten ausschöpfen. Das jedenfalls hielte ich für richtig. ({14}) Ich meine also, daß es Spielräume für die WTO- Verhandlungen gibt und daß wir diese Spielräume ({15}) konsequent nutzen müssen, auch in dem Sinne, in dem es Albert Deß hier angesprochen hat. Wir müssen sie konsequent nutzen, weil die deutsche Landwirtschaft, die europäische Landwirtschaft mit Weltmarktpreisen nicht zurechtkommt. Bevor wir immer fordern, andere sollten sofort unsere Standards übernehmen, müssen wir auch noch so weit als möglich Außenschutz in der EU durchsetzen, wenn die anderen nicht sofort bereit sind, unsere Standards zu übernehmen. Und sie werden dazu nicht immer bereit sein. Das heißt, es gibt hier vielfältige Möglichkeiten, aber die Opposition spricht sie manchmal nur einfältig an. Wir sollten nicht zu einfältigen Aussagen, sondern zu Differenzierungen kommen. Das sollten wir uns in diesem Haus leisten. Ich glaube, daß wir nach wie vor - auch wenn wir einiges bei WTO und vieles im Bereich der Europäischen Union tun - ebenso auf die hausgemachten Aufgabenstellungen schauen müssen, auf diejenigen Wettbewerbsverzerrungen, die von den Bundesländern ausgehen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat dazu einen Bericht vorgelegt. Diesen Bericht sollten wir alle in diesem Hause zur Kenntnis nehmen und auch entsprechend aufarbeiten. Im Ergebnis werden sich unsererseits viele Forderungen an die Bundesländer stellen. ({0}) Ich bedanke mich, daß Sie mir zugehört haben. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., Drucksache 13/7428, zu überweisen, und zwar federführend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7431 soll zur federführenden BeVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch ratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind auch diese Überweisungen so beschlossen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/7427, soll zur federführenden Beratung ebenfalls an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Schließlich ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS, Drucksache 13/ 7426, zur federführenden Beratung ebenfalls an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Kleinert ({0}), Norbert Geis, Reinhold Robbe und weiterer Abgeordneter. Rechtschreibung in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/7028 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Franz Peter Basten das Wort.

Franz Peter Basten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002623, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will der Versuchung widerstehen, mich in den Streit darüber einzumischen, ob die neue Rechtschreibung schöner, logischer, gebildeter, zeitgemäßer oder gescheiter ist als das, was bisher gilt. Ob sie allerdings einer von der Sache her gebotenen, unausweichlichen Notwendigkeit entspricht - dafür fehlen mir bis zur Stunde überzeugende Beweise. Sie kommt mir eher schlicht überflüssig vor. Und ich stehe mit diesem Urteil weiß Gott nicht allein. ({0}) Ob man Kuß in Zukunft mit „ss" oder, wie bisher, mit „ß" schreibt, ist vielleicht eher eine Temperamentsfrage, die mit vorrückendem Alter anders entschieden wird als in jungen Jahren. ({1}) Wenn man allerdings Kommuniqué zukünftig „Kommunikee" schreibt, ist damit nach meinem Geschmack ein Verlust an Eleganz verbunden. Die neue Schreibweise kommt mir eher platt und ungebildet vor. Bei einigen Worttrennungen aber schüttelt es mich, zum Beispiel wenn es statt Extrakt Extrakt, statt Infiltration Infiltration, statt Konzentration Konzentration oder statt Sakrament Sak-rament heißen soll. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Geist Gottes weht, wo er will - jedenfalls nicht unbedingt und zu allen Zeiten bei den deutschen Kultusministern. ({3}) Die Reform wurde Anfang Dezember 1995 von den Kultusministern beschlossen und Mitte Dezember 1995 von den Ministerpräsidenten abgesegnet. Bis zur Einspruchsfrist am 5. März 1996 hat kein deutsches Parlament widersprochen, keines der 16 Länderparlamente und auch nicht der Deutsche Bundestag. Die Bundesregierung soll zustimmend genickt haben. Auch das muß um der Wahrheit willen am heutigen Tage deutlich festgestellt werden. ({4}) Nach einer Phase des Tiefschlafs von fast einem Jahr kam dann der Aufstand der deutschen Dichter. Noch länger hat der Bundestag gebraucht bis zu seinem Gruppenantrag vom Februar 1997. Die Länderparlamente ruhen noch immer in Frieden. Kultusminister Zehetmair hat zu Recht festgestellt, daß der Konferenzbeschluß vom Dezember 1995 regele, „wie das deutsche Volk schreibt" . Wie das deutsche Volk schreibt, hat etwas damit zu tun, daß die Sprache, auch die geschriebene, „ein grundlegendes Identitätsmerkmal des gesamten deutschen Volkes" ist, wie Rupert Scholz es zutreffend formuliert. Menschliche Sprache markiert äußerlich den alles entscheidenden qualitativen Sprung von der übrigen Schöpfung zum Menschen. Sprache ist für die Persönlichkeit des Menschen, für sein Wesen, für sein Menschsein schlechthin konstitutiv. Deshalb sind, ob nun zu spät gekommen oder nicht, Verfassungsfragen aufgerufen, die sich mit dem Hinweis auf die Uhr nicht beiseite schieben lassen. Grundrechte sind betroffen. Fragen nach dem Gesetzesvorbehalt für wesentliche Grundentscheidungen, welche die Bevölkerung betreffen, sind aufgeworfen. Dies gilt freilich auch dann, wenn man die Reform für überflüssig hält. Sie entfaltet schließlich wesentliche Wirkungen. Die Verfassung kommt im übrigen nie zu spät. Entweder werden Fehlentscheidungen rechtzeitig durch den Gesetzgeber korrigiert, oder Verfassungs- und Verwaltungsgerichte korrigieren selbst. ({5}) Wenn in dem Zusammenhang Kultusministerien davon sprechen, die verbindliche Regel gelte nur für die Schule, außerhalb der Schule könne jeder schreiben, wie er wolle, also alt oder neu, ({6}) dann ist das eine Lachnummer. ({7}) Denn vor dem Hintergrund der von zahllosen Lehrergenerationen mit Inbrunst gepredigten Schulweisheit, daß wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, stellt sich die Frage nach dem Sinn - oder besser: nach dem Unsinn - dieser Reform nur noch um so schärfer. ({8}) Goethe, der nach Meinung eines renommierten deutschen Germanistikprofessors die Rechtschreibreform ebenfalls für überflüssig halten würde, ({9}) hatte es viel einfacher. Dem jungen Frankfurter Goethe hat dessen Schreiblehrer die für Frankfurt geltende südwestdeutsche Norm beigebracht. Später, in Weimar, hat Goethe geschrieben, wie in Leipzig und Dresden geschrieben wurde. Das Meißenische galt in jener Zeit als vorbildlich. Die Kultusminister können allerdings nicht so tun, als würden sie in Goethes Zeiten leben. Heute ist das Bedürfnis nach einheitlichen Regeln und Verbindlichkeiten unbestritten. Das entspricht den gewandelten Anschauungen, aber auch den völlig veränderten Anforderungen an Funktionen von Sprache, insbesondere der geschriebenen Sprache. Aber das alles entfaltet Rechtswirkungen. Da muß an Grundrechten sowie Rechtsstaats- und Demokratieprinzipien Maß genommen werden. Diese Hürden können auch durch exekutive Omnipotenzgefühle von 16 Kultusministern nicht überwunden werden. Wenn das Bundesverfassungsgericht den Gesetzesvorbehalt bereits für die Einführung des Sexualkundeunterrichts reklamiert hat und wenn das Bundesverwaltungsgericht sogar für die Einführung einer Pflichtfremdsprache in der Orientierungsstufe eine gesetzliche Grundlage verlangt,, dann muß die Frage, wie das Volk schreibt, im Hinblick auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zumindest einer ernsthaften Prüfung unterzogen werden. ({10}) Diese Frage aufgeworfen zu haben ist die verdienstvolle Initiative des Kollegen Kleinert zum Gruppenantrag, dem sich namhafte Kolleginnen und Kollegen angeschlossen haben. ({11}) Damit ist die parlamentarische Debatte eröffnet. Nicht abschließend beantwortet ist allerdings die Frage, ob die Gesetzgebungskompetenz der Länder oder sogar des Bundes gegeben ist. Professor Rupert Scholz vertritt mit beachtlichen Hinweisen die Auffassung, die Frage, wie das Volk schreibe, und die Angelegenheit der mit Sprache verbundenen Identität des Volkes könnten nur von dem für das ganze Volk zuständigen Gesetzgebungsorgan entschieden werden. Das ist der Deutsche Bundestag. Ich habe in diesem Punkte keine abschließende Meinung. Ich bin im Hinblick auf das Vorliegen einer Bundeskompetenz für die gesamte Rechtschreibreform eher skeptisch. Aber ich stelle folgende Überlegung an: Wenn eine Länderkompetenz für die Rechtschreibreform gegeben ist, dann kann sie sich nur aus einer allgemeinen Länderkompetenz für die Sprache ableiten. Besteht aber eine solche, dann können 16 Länderparlamente souverän über Sprache entscheiden. Sie könnten dann -wie sie Sexualkundeunterricht einführen oder nicht - auch unterschiedliche Regelungen für das finden, was an der Sprache richtig oder falsch zu sein hat. Es gibt aber nur eine deutsche Sprache und keine Ländersprachen. Daraus könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß kraft Natur der Sache nur der Bund für die Regeln der deutschen Sprache in Deutschland Gesetzgebungskompetenz besitzt. Die Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache ist zwar in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch als Verfassungsgrundsatz durch das Bundesverfassungsgericht längst anerkannt. Ich nenne einen anderen Ansatzpunkt, der zumindest in einem speziellen Zusammenhang Bundeskompetenz im Hinblick auf deutsche Sprache offenkundig macht. Der Bund besitzt über Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über die Gerichtsverfassung. Von dieser Kompetenz ist durch das Gerichtsverfassungsgesetz Gebrauch gemacht. § 184 GVG lautet: „Die Gerichtssprache ist deutsch." ({12}) Wenn also der Bundesgesetzgeber über die Kompetenz verfügt, die deutsche Sprache als Gerichtssprache anzuordnen, dann schließt das denknotwendig auch die Entscheidungskompetenz darüber mit ein, in welcher Schreibweise und äußerer Darstellungsform die Gerichtssprache Deutsch zuzulassen ist. ({13}) - Warten Sie ab. - Läge die Entscheidungskompetenz über die Gerichtssprache nicht beim Bund, sondern bei den Ländern, so könnte niemand den Sächsischen Landtag daran hindern, zu bestimmen, daß zum Beispiel alle Entscheidungen des sächsischen Verfassungsgerichtshofes in Sächsisch abzufassen seien. Ich könnte mir durchaus Leute vorstellen, die das mit einer konsequenten Fortentwicklung der föderalen Struktur Deutschlands begründen würden. In Rheinland-Pfalz, meinem Heimatland, müßte das Ganze wohl dreisprachig erfolgen: in Moselfränkisch, in Rheinhessisch und in Pfälzisch. Aber Spaß beiseite. Alles, was sich der karikierenden Versuchung so aufdrängt wie diese Rechtschreibereform, sollte eher dreimal gründlich hinterfragt werden. Ich wage keine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung. Eines jedoch wird offenbar: Landesregierungen, Länderparlamente, Bundesregierung und Bundestag sind in ihrem Kompetenzbereich betroffen und müssen zusammenwirken. Denn so, wie sich die Kultusminister in exekutiver Ausschließlichkeit die Regelung vorgestellt haben, kann sie sich wohl nicht vollziehen. Ich rate daher den Landesregierungen dazu, von der Durchsetzung der Beschlüsse einstweilen abzulassen und sich mit der Bundesregierung zusammenzusetzen. Der Bundesregierung gilt mein Rat, auf die Landesregierungen zuzugehen. Die Parlamente müssen sich unterdessen mit der Sache auseinandersetzen. Der Umgang mit der deutschen Sprache gelingt nur im Konsens. Ich bin sicher, daß sich die Ausschußberatungen im Deutschen Bundestag an dieser Leitlinie orientieren werden. Vielen herzlichen Dank. ({14})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Liesel Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte nicht zu den juristischen und schon gar nicht zu den verfassungsrechtlichen Fragen Stellung nehmen. Das werden andere Kollegen tun, die dies besser können. Mein Vorredner hat ja schon einige Bemerkungen dazu gemacht. Ich denke jedoch, daß der interfraktionelle Antrag zur Rechtschreibreform und die heutige Debatte ihren Sinn verfehlen würden, wenn nicht auch zur Sache selbst einiges gesagt werden könnte. Deshalb gleich meine erste Feststellung. Die Bedeutung und die Dimension dieser Reform sind in der Politik und auch in der Öffentlichkeit lange Zeit weit unterschätzt worden. ({0}) Nur so ist es zu erklären, daß sich erst nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz und der Ministerpräsidenten der Länder und zum Teil erst in jüngster Zeit der Protest eine Stimme verschafft hat - der Protest zahlreicher namhafter Schriftsteller, darunter Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, der Widerspruch bekannter Verlage und Printmedien und vor allen Dingen der Protest, der darin seinen Niederschlag findet, daß wir auf unseren Schreibtischen Hunderte von Elternbriefen vorfinden, daß Bürgerinitiativen entstehen und sogar Volksbegehren gefordert werden. Nur so, nämlich aus dieser Unterschätzung heraus, ist es auch zu erklären, daß sich die Kultusministerkonferenz auf den Standpunkt stellen konnte, bei der Neufassung der Rechtschreibung sei eine Regelung durch Verwaltungsvorschriften ausreichend, ähnlich wie bei Richtlinien oder Lehrplänen. Hierin, so meine ich, steckt eine erhebliche Verkennung dessen, was mit dieser Reform geschieht, und sogar ({1}) - ich will noch einen Schritt weitergehen - eine grundsätzliche Verkennung dessen, was Sprache, auch geschriebene Sprache, für unsere Gesellschaft bedeutet. Die Erklärung der KMK vom 27. Februar dieses Jahres bleibt noch ganz auf dieser Linie. Es handle sich, so wird gesagt, nur um eine „maßvolle Anpassung einer Konvention mit dem Ziel einer Bereinigung und der Herstellung einer neuen Übersichtlichkeit". Die Neuregelung berühre nicht die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Der Befassung durch die Parlamente bedürfe es nicht. Ich widerspreche dem nachdrücklich. ({2}) Wenn die Debatte heute eines bewirken kann, dann dies, das Vorhaben der Rechtschreibreform aus dem Klima der Unerheblichkeit herauszuführen, in das es durch das bisherige Verfahren hineinmanövriert worden ist. Wir müssen uns wieder an eine Grundwahrheit erinnern, die lautet: Sprache ist nicht nur das zentrale Kommunikationsmittel zwischen den Menschen, sondern Sprache ist Ausdrucksmittel für Lebensgehalte. Sie ist das Ausdrucksmittel schlechthin, mit dem der Mensch die Welt einzufangen versucht und mit dessen Hilfe er sich mit ihr auseinandersetzt. Von der Sprache als eigenem, lebendigem, historisch gewachsenem Organismus ist in der Erklärung der KMK aber viel zuwenig, fast gar nicht die Rede. Ich bedauere das. In der Sprache, auch im Schriftbild spiegelt sich die Fülle der geographischen, kulturellen und sozialen Verflechtungen, spiegeln sich vor allem auch die vielfältigen Einflußfaktoren unserer Geschichte wider. Es scheint fast, als ob solche Gesichtspunkte völlig außen vor geblieben seien. Ich komme darauf bei dem Stichwort Fremdwörter noch einmal zurück. Mit dem Reformunterfangen, so meine ich, wird der Körper unserer Sprache verändert. Er erleidet Eingriffe. Er wird verformt. Dies soll nicht wichtig sein? Meine zweite Feststellung lautet daher: Die Rechtschreibreform betrifft 100 Prozent unserer Bevölkerung, also über 80 Millionen Menschen. Nimmt man Österreich und den deutschsprachigen Teil der Schweiz hinzu, dann sind es 95 Millionen Menschen. Alle sollen sich nun einfach umstellen, ihren Sprach- und Schreibgebrauch verändern, nach dem Jahre 2005 sogar in die Ecke der Falschschreiber geraten? Und das alles deshalb, weil einige Dutzend Wissenschaftler und Politiker verfügen, daß eine Menge von dem, was bisher allgemeinverbindlich war, anders zu sein habe. Die Argumente für die verordneten Änderungen sind zum großen Teil nicht überzeugend und treffen - glaubt man den Umfragen - bei einem großen Teil der Bevölkerung auf Unverständnis. Das ist nicht verwunderlich. Natürlich muß eingeräumt werden, daß die deutsche Sprache - und auch ihr schriftliches Erscheinungsbild, also die Orthographie - eine Menge Ungereimtheiten enthält. Wer wollte das bestreiten? Ich wiederhole: Sprache ist nun einmal keine abstrakte Konstruktion, die mit mathematischen Formeln vergleichbar wäre. Die KMK sagt, die Reform solle a) Inkonsequenzen beseitigen, b) das Regelwerk transparenter machen, c) das Erlernen des richtigen Schreibens erleichtern. Es verstärkt sich aber der Eindruck, daß diese Ziele auf weiten Strecken nicht erreicht werden können. ({3}) Erstes simples Beispiel. Warum in aller Welt, frage ich, soll aus dem Stengel einer Glockenblume jetzt plötzlich ein „Stängel" werden, als ob irgend jemand an eine Eisen- oder Holzstange dächte, wenn er dieses Wort verwendet? Ich meine, das ist wirklichkeitsfremd, pure Theorie und deshalb schlicht überflüssig. In das sogenannte Stammprinzip sind die Reformer nachgerade verliebt. Deshalb soll aus dem beliebten Quentchen Glück, das wir alle so sehr brauchen, ein „Quäntchen" werden, und zwar in Anlehnung an das Quantum, obwohl die sprachhistorische Ableitung mir sagt, das stimme nicht; denn das Wort kommt nicht von Quantum, sondern von Quent, einer kleinen in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert gebräuchlichen Maßeinheit. ({4}) Zweites Beispiel. Man muß sich wirklich fragen, wozu eine doch recht willkürlich anmutende Verstümmelung von Fremdwörtern eigentlich gut sein soll. Das Känguruh darf sein ,,h" nicht behalten, obwohl jedes Kind weiß, daß es sich um ein exotisches Tier handelt. Der Thunfisch hat mit dem deutschen Wort tun überhaupt nichts zu tun; aber das „h" muß weg. Wieso eigentlich? Gerade heute - jetzt wird es wieder ernst -, im Zeitalter des Massentourismus, der Globalisierung und der offenen Grenzen, wo fast jedes Kind zumindest Englisch lernt, soll die Schreibweise von Fremdwörtern eingedeutscht werden. Gerade heute, wo die enge Vermischung der Kulturen im Zug der Zeit liegt und dies in vielen Bereichen von der Sprache aufgenommen wird, sollen die Spuren in der Rechtschreibung verwischt werden. Das ist für mich schlicht ein Anachronismus. Warum soll man der deutschen Sprache nicht ansehen, daß sie zahllose Wörter beispielsweise in der Sportwelt aus England übernommen hat oder daß sie das Ketchup, den Cocktail und das Okay von den Amerikanern geliehen hat. Ganz zu schweigen von der französischen Sprachinvasion des 17. und 18. Jahrhunderts? Die Kommode, das Menü, das Dessert, den Friseur, das Portemonnaie, das Restaurant - das alles haben uns die Franzosen geliefert, mitsamt der Mode. Das ist doch ein Stück unserer Geschichte. Davon wollen wir uns überhaupt nicht verabschieden. ({5}) - Auch das. Das Wort ist aber nicht aus dem Französischen, soviel ich weiß. Eines der Hauptargumente lautet, die Rechtschreibreform solle das Erlernen des richtigen Schreibens erleichtern. Kann mir jemand sagen, warum es leichter sein soll, das Wort Necessaire jetzt mit vier s und einem ä zu schreiben statt in der gewohnten französischen Schreibweise? Ich weiß es nicht. ({6}) Konsequent bleibt die Reform auch hier nicht. Denn die Schreibweise vieler schwieriger Fremdwörter bleibt erhalten: Chrysantheme, Rhythmus usw. Etwas folgenreicher noch erscheint mir die Reform, wenn es um das totgewünschte „B" und um die Zeichensetzung geht. Daß lange oder kurze Silben große Bedeutungsunterschiede markieren können, wissen wir: „Er trinkt den Wein in Maßen" ist etwas ganz anderes, als wenn es heißt „Er trinkt den Wein in Massen" . ({7}) Das sind sicherlich zwei Paar Stiefel. Aber darum geht es jetzt nicht. Vielmehr geht es darum, daß das „ß" nach der neuen Regelung zwar erhalten bleibt, aber seine Anwendung eher komplizierter wird, nicht einfacher. Eine der größten Fehlerquellen in der deutschen Rechtschreibung hat man beispielsweise darin entdeckt, daß es den Schülern und vielen Erwachsenen schwerfällt -, die Schreibweise des Artikels „das" und der Konjunktion „daß" ordentlich zu unterscheiden. Der erste Versuch war also: Weg damit! Da dies doch nicht sonderlich ratsam erschien, heißt die salomonische Lösung jetzt: Die Konjunktion „daß" wird mit „ss" geschrieben. Das bedeutet aber, daß kein Weg daran vorbeiführt, den Unterschied zwischen einem Artikel und einer einen Nebensatz einleitenden Konjunktion erlernen zu müssen. Wo bleibt da die Erleichterung? Ich habe den Eindruck, unsere Schüler begreifen das. Wir sollten sie doch nicht unterschätzen. Hochproblematisch ist meines Erachtens die Reduzierung der Anzahl der Kommaregeln von 52 auf neun. Das möchte ich doch noch kurz vortragen. Nicht daß hier keine vertretbaren Vereinfachungen möglich wären - die gibt es wohl. Aber wenn man das Kind mit dem Bade ausschüttet, dann entstehen einschneidende Konsequenzen für die gesamte Struktur unserer Sprache und für das Ausdrucksvermögen. Denn die Zeichensetzung markiert ja die geistige Gliederung des Satzes, Überordnungen und Unterordnungen, Einfügungen usw. Je komplexer ein Gedanke ist, desto komplexer werden halt auch die Sätze und desto unverzichtbarer die Satzzeichen zu ihrer Gliederung. Ich frage - danke, Herr Präsident, für die Toleranz; ich bin gleich fertig -: Wie sollte man einen Thomas Mann, einen Heinrich von Kleist oder einen Immanuel Kant verstehen, wenn die Sätze nicht durch Satzzeichen gegliedert wären? Es ist ja eine Verarmung, wenn wir das einfach abschaffen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, trotz Ihrer Begeisterung: Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kurzum: Das radikale Wegstreichen von mehr als drei Vierteln der Kommaregeln führt zu einer schwereren Verständlichkeit der Sprache, vielleicht zu fatalen Mißverständnissen. Es reduziert die Ausdrucksmöglichkeiten. Was das Gravierendste ist - erlauben Sie mir noch, das zu sagen, Herr Präsident -: Simplere Satzkonstruktionen machen letztlich auch das Denken ärmer. Das sollten wir nicht vergessen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich. Die Sprache formt auch die Gesellschaft. Das sollten wir als Fazit festhalten. Sie wird als Muttersprache an die nächsten Generationen weitergegeben. Deshalb ist eine Änderung des Schriftgebrauchs auch eine Änderung des Sprachgebrauchs. Eine Rechtschreibreform kann daher kein bloßer Verwaltungsakt sein, sondern betrifft die Gesellschaft im Kern, auch jeden einzelnen. So gesehen ginge es vielleicht doch um ein Grundrecht. Danke schön. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hartenstein, ich habe mich sehr über Ihre lebendige Sprache gefreut. Aber die Amtssprache in der Begründung des Antrags, den Sie unterstützt haben, können Sie wohl nicht vertreten. Lesen Sie das einmal richtig durch! ({0}) Ich habe in alten Familienbriefen geblättert. Wenn meine Urgroßeltern durch „Thüren" und „Thore" gingen, gingen sie durch ein „Thal" von „Thränen"; denn hinter jedes „t" mußten sie ein „h", das berühmte Dehnungs- „h", setzen. Meine Großeltern durften darauf verzichten, mußten aber den Merkvers lernen: Tränen weint man ohne „h", der Thron steht unbeschädigt da. Denn auf alle „h" s wollte Wilhelm II. gern verzichten, nur beim „Thron", da hörte der Spaß auf. Das kommt mir so ein bißchen vor wie diese Diskussion, in der man sich jetzt zum Souverän über die Sprache erklärt. ({1}) - Sie kriegen noch Ihr Fett weg. Als sich der selige Konrad Duden 1872 daranmachte, eine einheitliche Rechtschreibung zu schaffen - der Einheit des Reiches sollte die Einheit der Rechtschreibung folgen -, ging er von einem löblichen Grundsatz aus: Man solle schreiben, wie man spricht. Auch das ging nicht ganz ohne Ausnahmen. In der Zeit des beweglichen Letternsatzes hatte man für das „st" nur eine schmale Letter. Deshalb mußten wir alle den Merkvers lernen: Trenne niemals „s" vom „t", das tut weh. Deshalb muß sich der bedauernswerte Kollege Heistermann bis heute Heistermann trennen, während sich der progressive Kollege Wiefelspütz immer trennen durfte, wie er sich spricht. Die jetzige Rechtschreibreform hatte ein hehres Ziel: Der letzte große Anachronismus, den es nur noch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt, sollte im Zeitalter der Globalisierung aufgegeben werden: die Großschreibung zugunsten der gemäßigten Kleinschreibung. So ist es in England und überall in der Welt. Aber da kamen den Kultusministern wilhelminische Bedenken. So blieb nur ein kleines Reförmchen übrig. Aber auch das ist es wert, mit den Kultusministern - von Zehetmair, CSU, bis Holzapfel, SPD - verteidigt zu werden; denn es erspart den Lehrern immer noch viel rote Tinte und den Schülern Monate unnötiger Regelpaukerei, in denen sie ihre Intelligenz in einer sich dramatisch verändernden Welt wichtigeren Gegenständen des Lebens zuwenden dürfen. Das ist das Problem, Frau Hartenstein. Wir alle lernen Rechtschreibung im Alter von fünf bis zehn Jahren. Dann denken wir: Das ist das einzig Richtige. Aber die Sprache - Sie sagten es doch - verändert sich, deshalb muß gelegentlich eine Regelvereinfachung her. Das ist das Mühsame. ({2}) - Ja, das denken Sie, weil Sie sich nicht damit beschäftigt haben ({3}) Zwei Beispiele: Kollege Heistermann darf sich endlich auch trennen, wie er sich spricht, und zweitens und viel wichtiger - jetzt komme ich auf Ihr Thema -: Unsere Schüler dürfen endlich das tun, was englische und amerikanische Schüler - ebenso wie Grass, Walser und andere Dichter, die jetzt ebenfalls wilhelminisch lärmen - schon immer taten: Sie dürfen die Kommata nach Sinnzusammenhängen setzen und die Regelpaukerei vom erweiterten und einfachen Infinitiv, vom Infinitiv mit „zu" und „um zu" vergessen. Wie nötig und sinnvoll dies ist, zeigt der vorgelegte Antrag. Ich zitiere aus der Begründung. Da findet sich der ganze Absatz 3 als ein sich über zwölf Zeilen erstreckender Bandwurmsatz. Und wie das dann bei solcher Art von Sätzen ist, ohne entsprechende Kommasetzung ist er kaum verständlich. Also konzentrieren sich die Verfasser so sehr auf die Kommata, daß ihnen der Sinnzusammenhang verlorengeht. So -Herr Hirche, selbst Sie haben es nicht bemerkt - lesen wir dann - auf die tragende Konstruktion des Hauptsatzes verkürzt -: „Der geäußerten Ansicht ... wird dem Zusammenhang ... nicht gerecht". Deutsche Sprach, schwere Sprach, Herr Kollege Kleinert. ({4}) - Verzeihen Sie, Sie haben es immer noch nicht kapiert. Hier wird „Ansicht" mit einem maskulinen Artikel gebraucht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Lippelt, Ihre Redezeit ist abgelaufen. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay. ({0}) Herr Präsident, ich beantrage noch eine Minute Redezeit. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Minute.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Richtig dagegen ist der Artikel des drittletzten Absatzes: Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ... geht davon aus, daß die Benutzer zumindest zweier ... unterschiedlicher Rechtschreibungen ohne Störung des gesellschaftlichen Miteinanders auf mehrere Jahre miteinander leben ... könnten. Gemeint ist die Liberalität, zwei Rechtschreibungen nebeneinander existieren zu lassen. Aber da sagen die Verfasser: „Dieser Ansicht wird nicht gefolgt." Zu Deutsch: Die Gesellschaft bricht unter diesem kleinen Reförmchen zusammen. Nein, diesem Antrag, vor allem aber der verknöcherten Sprache der Begründung, wird in diesem Hause hoffentlich nicht gefolgt. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! So schön wie Frau Hartenstein und Herr Basten kann ich mich zur Sache selbst hier nicht einlassen. Ich bin ja von Herrn Lippelt auch wegen meiner Satzkonstruktionen eben schon gerügt worden. Aber auch in diesem Punkt seien Sie doch so nett und lassen ein bißchen Liberalität walten. Der eine drückt sich eben etwas komplizierter aus und der andere etwas leichter. Nur, Beliebigkeit ist vielleicht der deutschen Sprache doch nicht ganz angemessen. In einigen Nebensätzen klang das bei Ihnen so an: sich wichtigeren Dingen zuwenden; zwei Sprachen über einige Jahre nebeneinander haben. Es handelt sich ja nicht um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Sie hier zitiert haben, sondern um einen Beschluß, mit dem die Klage in dem Zeitpunkt aus den ausgeführten Gründen nicht für zulässig gehalten worden ist. Wir werden einmal sehen, ob wir in diesem Zusammenhang noch zu einem Urteil, das naturgemäß insgesamt gründlicher erarbeitet wird, kommen. Bedauernswert ist es, daß diejenigen- nämlich unsere Kultusminister-, die für die politische Bildung unserer nachwachsenden Generation in besonderer Weise zuständig sind, hier mit einer unbegreiflichen Großzügigkeit an allem vorbeigehen, was schon ganz speziell im Hinblick auf kultusministerielle Aktivitäten vom Verfassungsgericht und von anderen oberen Bundesgerichten gesagt worden ist. Wir haben den Wesentlichkeitsgrundsatz. Den müßte man eigentlich gar nicht so kompliziert als Wesentlichkeitsgrundsatz formulieren. Vielmehr müßte jedem, der in unserer Demokratie großgeworden ist, klar sein, daß Dinge von erheblicher Bedeutung für uns alle - das ist schon dargestellt worden - nicht einfach so mir nichts dir nichts im undurchsichtigen Bereich von Erlassen und Verordnungen der Tätigkeitsfreude von Ministerialbeamten anheimgegeben werden dürfen, sondern daß man zu diesem Zweck die Bürger Vertretungen in den Parlamenten hat wählen lassen, die sich auch mit dieser Frage beschäftigen sollten. Daß das nicht geschehen ist, ist bedauerlich. Aber was heißt hier bedauerlich? Wir tun es ja gerade. Es ist notwendig und auch nicht zu spät. Es ist schon gesagt worden: Für die Verfassung ist es nie zu spät. Wenn ich mich in der Sache selbst mangels ausreichender germanistischer und philologischer Kenntnisse nicht einlasse, dann erkenne ich doch jedenfalls das, was alle Bürger betrifft. Durch eine ganz penible, detaillierte neue Ordnung wird über JahrDetlef Kleinert ({0}) zehnte eine neue Unordnung geschaffen. Das kann doch nicht Sinn der Veranstaltung sein. ({1}) Das kann es nicht sein! Diese Unordnung entsteht so leicht, wenn man in sehr kleinen Kränzchen so eine Reform ausknobelt und nach jahrzehntelangen Konferenzen zum Schluß nicht zugeben möchte - Herr Lippelt, Sie haben ja selbst gesagt, daß einmal Größeres angedacht worden war-, daß das alles vergebens war. Darum hat man dann diesen völlig unzulänglichen Kompromiß beschlossen und will ihn möglichst unauffällig und ohne die notwendige Beteiligung der Volksvertretungen in die Tat umsetzen. Es ist nun einmal das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 und das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in unserer Verfassung festgeschrieben. Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern richtet sich gemäß Art. 28 des Grundgesetzes nach eben diesen Prinzipien. Das sind die Punkte, die uns Veranlassung geben, uns jetzt wirklich in einem transparenten und ordentlichen Verfahren zu unterrichten, wie das alles zustande gekommen ist und wie wir damit zum Wohle aller betroffenen Bürger umgehen sollen. Da soll uns niemand, der 20 Jahre lang an so einer Sorte von Reform herumgearbeitet hat, sagen, wir kämen zu spät, wenn wir jetzt nach den ersten Veröffentlichungen im Herbst letzten Jahres und den ersten sachkundigen Äußerungen dazu die rechtliche Seite der Sache betrachten, weil die Verfasser dies bedauerlicherweise unterlassen haben. Es offenbart schon einen erheblichen Mangel an wünschenswerter Aufrichtigkeit, wenn die gleichen Kultusminister, die genau wissen, was sie hier anrichten, und deshalb möglichst schnell vollendete Tatsachen schaffen möchten, sagen: Wir sind nur für die Schule zuständig, und woanders können die Schüler schreiben, wie sie wollen. - Das ist doch nicht die Lebenswirklichkeit. ({2}) Der liberale Abgeordnete Dr. Stephani hat am 7. April 1880 - es ist erst wenig mehr als hundert Jahre her - im Deutschen Reichstag gesagt: Allerdings sind zur Zeit diese Verordnungen ja beschränkt auf Anordnungen für die Schule, in der Hauptsache wenigstens. Indes wird man doch anerkennen müssen, daß es ganz unmöglich ist, so die Schule vom Leben zu trennen, daß nicht mit diesen Verfügungen die außerhalb der Schule Stehenden ebenso stark in Mitleidenschaft gezogen werden wie die Schulen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

So sprach unser Kollege damals im Reichstag. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist die Wirklichkeit. Deshalb fühlen wir uns dringend veranlaßt, hier unsere Pflicht zu tun zusammen mit all denen, die sich in Initiativen zusammengeschlossen haben, um sich gegen etwas zu wehren, das zu wenig Nutzen bringt, um so viel Aufwand und Milliardenkosten zu rechtfertigen, und dafür zu sorgen, daß wir klarer sehen und zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das vernünftige Ergebnis ist meiner Auffassung nach darin zu sehen, daß sich die deutsche Sprache pfleglich und behutsam im Zusammenwirken aller weiterentwickelt, die sich überhaupt dafür interessieren und damit beschäftigen, so wie das bisher auch ohne Kultusministerbeschlüsse möglich gewesen ist. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Maritta Böttcher das Wort.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem noch 1994 ein breiter gesellschaftlicher Konsens in Deutschland, Österreich und der Schweiz über die Notwendigkeit einer Rechtschreibreform herrschte, ({0}) soll nun der Bundestag über einen Antrag befinden, in dessen Begründung davon ausgegangen wird, daß Regelungen in dieser Frage von so wesentlicher Bedeutung sind, daß sie nicht ohne Mitwirkung der Parlamente entschieden werden können. Für die Amtssprache des Bundes ist demzufolge der Bundestag und für die Amtssprache der Länder sind die Länderparlamente zuständig. Gleichzeitig wird die Auffassung vertreten, daß die Rechtschreibung einer gesetzlichen Regelung nicht bedürfe. Also was denn nun? Worüber sollen wir eigentlich entscheiden? In der Geschichte gibt es jedenfalls kein Beispiel dafür, daß Parlamente Rechtschreibreformen beschlossen oder boykottiert hätten. Seit 1901 gab es ungefähr 100 Rechtschreibreformprogramme und -forderungen, um die unnötig kompliziert gewordene Rechtschreibung zu vereinfachen. 1954 gab der Sprachwissenschaftler Lutz Mackensen ein Rechtschreibwörterbuch heraus, in dem alte Zöpfe abgeschnitten und Neuschreibungen ohne amtliche Legitimierung aufgenommen waren. Daß die vorliegende Reform nur die gröbsten Mißstände beseitigt und ein radikaler Neuanfang vermieden wurde, wird selbst von den Reformern nicht bestritten. Neuerungen wie die gemäßigte Kleinschreibung oder das konsequente Eindeutschen von gängigen Fremdwörtern konnten auch diesmal nicht durchgesetzt werden. Die Probleme, die diesbezüglich aber in der weiteren Entwicklung zu lösen sind, können durch Parlamentsbeschlüsse weder befördert noch verhindert werden. Im Gegensatz zum Regelwerk von 1901, dessen politische Basis das Kaiserreich war, wo Regeln erlassen werden konnten, bei denen von vornherein feststand, daß sie von der Mehrheit nicht beherrscht werden, haben wir es heute mit demokratisch verfaßten Gesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu tun. Hermann Zabel ist in der Auffassung zuzustimmen, daß aus dem Demokratiegebot auch Konsequenzen für die Rechtschreibung folgen: Rechtschreibregeln dürfen und können sich nicht ausschließlich an den Bedürfnissen von Schreibspezialisten orientieren, sondern müssen so strukturiert sein, daß sie nur die bis zum Abschluß der Pflichtschulzeit vermittelten Fähigkeiten voraussetzen. Aufbauend auf diesen Basisregeln müssen Möglichkeiten der differenzierten Rechtschreibung und Zeichensetzung enthalten sein, um den Anforderungen von Schreibprofis Rechnung zu tragen. Dieses Problem wird auch von den Reformern gesehen, weshalb eine zwischenstaatliche Kommission eingerichtet wurde, die die Aufgabe hat, die Umsetzung der Reform in Wörterbüchern und Schulbüchern zu analysieren und sachlich abzuarbeiten. ({1}) Im übrigen - das wurde hier deutlich- wird seit über 20 Jahren über diese Reform diskutiert. Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Kultusministerkonferenz und Bundesinnenministerium sind seit 1950 in Sachen Rechtschreibreform tätig, ohne daß Mitglieder des Bundestages daran Anstoß genommen hätten. In den betroffenen Nachbarländern versteht übrigens kein Mensch den Wirbel, der in Deutschland um die Reform, die ihren Namen nicht verdient, um das „Reförmchen" gemacht wird. Weder Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger noch die deutsche Sprache sind bedroht. Aus linguistischer Sicht - das gebe ich gerne zu - kann man geteilter Meinung sein. Da wäre allerdings mehr Reform besser gewesen. Danke. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine verehrten Kollegen, mir ist gesagt worden, daß ein Antrag auf Verlängerung der Debattenzeit gestellt werden soll. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir die vereinbarte Redezeit durch Hinnehmen von Redezeitüberschreitungen schon um eine Viertelstunde überzogen haben. Nun frage ich, ob Anträge gestellt werden. - Das ist offenbar nicht der Fall. ({0}) - Ich frage noch einmal, ob Anträge gestellt werden. - Ich sehe und höre keinen Antrag. Dann schließe ich die Aussprache. ({1}) - Bitte schön?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich stelle den Antrag auf Verlängerung der Debattenzeit zu diesem Punkt. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Um wieviel Zeit?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zehn Minuten. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gibt es weitere Anträge zur Geschäftsordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Abstimmung ein. Wer dem Antrag auf Verlängerung der Debattenzeit um zehn Minuten zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen. Liegen Wortmeldungen vor? - Herr Kollege Häfner, bitte, Sie haben das Wort.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bedanke ich mich herzlich für die Möglichkeit, nun doch hier zu sprechen. Ich will mich deutlich kürzer fassen, als die jetzt beschlossene zusätzliche Debattenzeit erlauben würde. Ich möchte nur deutlich machen, daß ich in dieser Frage eine völlig andere Auffassung vertrete als mein geschätzter Fraktionskollege Helmut Lippelt, ({0}) dessen Beitrag ich nichtsdestotrotz gerade in sprachlicher, aber auch in gedanklicher Hinsicht sehr goutiert habe. Mir ist vor allen Dingen folgendes wichtig: Die deutsche Sprache hat sich bisher, wenn wir einmal von weit zurückliegenden sprachregulierenden Maßnahmen - etwas im Jahre 1901- absehen, nicht deshalb entwickelt, weil Kommissionen, Minister, Regierungen irgend etwas vorgeschrieben haben. Sprache gehört ihrem Wesen nach nicht Kommissionen, gehört nicht Regierungen, sondern gehört den MenGerald Häfner schen, und sie entwickelt sich ständig mit diesen und durch diese Menschen. ({1}) Sprache verändert sich. Daß ich heute Foto häufig mit „F" schreibe und es noch in meiner Schulzeit mit „Ph" geschrieben hätte, liegt nicht daran, daß mir ein Minister vorgeschrieben hätte, ich solle das künftig anders schreiben. Vielmehr liegt es daran, daß sich die Sprache und auch die Schreibweise verändert haben. Bisher hat der Duden solche Veränderungen beobachtend aufgezeichnet, und ihm war irgendwann zu entnehmen: Jetzt sind zwei Schreibweisen möglich. Irgendwann hieß es dann: Inzwischen ist diese oder jene Schreibweise üblich. Das war alles von einer ministeriellen Vorschrift weit entfernt. Jetzt haben wir den erstmaligen und, wie ich finde, bemerkenswerten Vorgang, daß die Exekutive der Länder glaubt, Sprache bzw. Schrift amtlich regulieren zu müssen. Dazu sage ich ganz deutlich: Das ist noch nicht einmal eine Reform, die irgend etwas verbessert; Beispiele dazu sind vielfach gebracht worden. Es ist vielmehr eine Reform, die vieles verschlimmert, ({2}) weil es doch keinem Menschen einleuchtet, warum ich in Zukunft zum Beispiel „hoch begabt" auseinander, „hochgebildet" aber zusammen, „hoch qualifiziert" wieder auseinander, dafür „hochgelehrt" wieder zusammenschreiben soll. All dies ist vollständig unsinnig und leuchtet keinem Menschen ein. Es leuchtet auch keinem Menschen ein, warum ich bisher „fließen", ,,floß" und „Fluß" jeweils mit scharfem S geschrieben habe, zukünftig aber - der Vereinfachung und der Erleichterung wegen, wie man uns erzählt - „fließen" nach wie vor mit scharfem S, dagegen „floss" mit Doppels und „Fluss" auch mit Doppels schreiben muß. Es fehlt die Logik, es fehlt die Klarheit. Auch beim sogenannten Stammwortprinzip sind die Vorschriften widersinnig. Sie alle kennen das Wort „einbleuen". Niemand wird mich vergewaltigen, dies künftig mit „ä" zu schreiben, wo das Wort doch von „bleuen", also schlagen, kommt, was zum Beispiel noch in dem Wort „Pleuel" als Wortstamm lebt und mit der Farbe blau, wie man uns vormachen will, überhaupt nichts zu tun hat - allenfalls im Ergebnis, aber keinesfalls im Prozeß. - Also, das sind vollständig unsinnige Pseudo-Ref ormen. Es ärgert mich, daß hier nach einer Methode, die wir in der Politik leider oft haben, nämlich nach dem Motto „Augen zu und durch" oder „Kopf in den Sand", ignoriert wird, daß 90 Prozent der Menschen im Land sagen: „Wir wollen das nicht", daß auch die Österreicher sagen: „Wir haben das eigentlich nie wirklich gewollt; wenn Deutschland das nicht macht, machen wir das auch nicht", daß die Schweizer in ähnlicher Richtung diskutieren, daß in immer mehr Bundesländern gegen diese erklärende Reform Volksbegehren laufen und daß nur eine kleinere Kommission und die Minister den Kopf in den Sand stecken und sagen: Watt mut, dat mutt. Ich sage: Das sollten wir nicht zulassen. Ich bin - nebenbei - auch nicht der Meinung, daß der Bundestag über die Rechtschreibung entscheiden sollte. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß es Bereiche gibt, bei denen sich die Politik zurückhalten muß; es gibt drei Bereiche, die die Politik nichts angehen. Dazu gehört unsere Sprache. Die wird sich weiterhin frei entwickeln und verändern, wenn wir Politiker nur die Finger davonlassen. Das setzt aber voraus, daß endlich auch die Kultusminister davon ablassen, und das setzt voraus, daß wir über den Antrag und über unsere Handlungsmöglichkeiten in vernünftiger Weise beraten, weshalb auch wir uns für dessen Überweisung aussprechen. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Irmer das Wort.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich möchte mich nicht zur Sache äußern; ich möchte vielmehr den Antrag stellen, daß der Antrag, der hier eingebracht worden ist, an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse überwiesen wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es liegt ein weiterer Antrag zur Geschäftsordnung vor. Bitte, Herr Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Unter den Geschäftsführungen der Fraktionen und der Gruppe bestand Einmütigkeit, daß als zusätzlicher mitberatender Ausschuß der Haushaltsausschuß des Bundestages vorgesehen werden soll. Ich möchte dies hier beantragen. Dr. Burkhard Hirsch: Gibt es weitere Wortmeldungen oder Anträge? - Das ist erfreulicherweise nicht der Fall. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 13/7028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf Mittwoch, den 23. April 1997, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.