Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich einigen Kolleginnen und Kollegen zum Geburtstag gratulieren. Die Kollegin Anni Brandt-Elsweier feierte am 2. März ihren 65. Geburtstag. Ich sage im Namen des Hauses ganz herzlichen Glückwunsch nachträglich.
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Der Kollege Dr. Bodo Teichmann hat am 9. März ebenfalls seinen 65. Geburtstag gefeiert. Auch ihm herzlichsten Glückwunsch.
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Die Kollegin Antje-Marie Steen hat am 11. März ihren 60. Geburtstag gefeiert. Auch ihr sprechen wir die herzlichsten Glückwünsche aus.
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Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen einige Änderungen bei der Besetzung von Gremien vorgenommen werden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für den verstorbenen Kollegen Hans Klein die Kollegin Michaela Geiger als neues ordentliches Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes vor. Weiterhin soll für den aus dem Gemeinsamen Ausschuß ausgeschiedenen Kollegen Dr. Klaus Rose, der dort stellvertretendes Mitglied war, nunmehr der Kollege Kurt Rossmanith Stellvertreter werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann haben wir die Kollegin Michaela Geiger als ordentliches und den Kollegen Kurt Rossmanith als stellvertretendes Mitglied in den Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.
Der Kollege Hartmut Koschyk hat auf seine stellvertretende Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verzichtet. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt den Kollegen Dr. Fritz Wittmann als neues stellvertretendes Mitglied vor. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist er als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern - Drucksache 13/7166 3. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur stärkeren Berücksichtigung der Schadstoffemissionen bei der Besteuerung von Personenkraftwagen ({4}) - Drucksachen 13/4918, 13/5360, 13/6112, 13/6666, 13/7169 4. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung ({6}) - Drucksachen 13/3130, 13/6203, 13/6890, 13/7170 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({7}) zu dem Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({8}) - Drucksachen 13/5963, 13/6505, 13/6889, 13/7171 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({9})
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und zur Änderung anderer Gesetze - Drucksache 13/6900 -
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Fortsetzung der Garantiemengenregelung Milch und Stärkung der Position der milcherzeugenden Betriebe - Drucksache 13/7180 7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Betreuungsrecht - Drucksachen 13/3834, 13/7133 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({10}), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" - Drucksache 13/7120 9. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" - Drucksache 13/7162 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto Schily, Günter Verheugen, Walter Kolbow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" - Drucksache 13/7175 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" - Drucksache 13/7188 12. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({11}) zu dem Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung ({12}) - Drucksachen 13/5676, 13/5730, 13/6845, 13/7051, 13/7173 13. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({13}) zu dem Ersten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({14}) - Drucksachen 13/5724, 13/6103, 13/6670, 13/7172 -
14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Kristin Heyne, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltverträglicher Postverkehr - Drucksache 13/7161 -
15. Vereinbarte Debatte zum Arbeitsmarkt
16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Marina Steindor, Ulrike Höfken, Dr. Manuel Kiper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbot des Klonens von Tieren - Drucksache 13/7160 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, die Sammelübersicht 187 zu Petitionen - das ist Tagesordnungspunkt 171- abzusetzen.
Außerdem mache ich auf eine geänderte Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Bei dem in der 160. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. Februar 1997 überwiesenen nachfolgenden Antrag ändert sich die Überweisung. Nunmehr soll der Antrag dem Haushaltsausschuß federführend und dem Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Die Mitberatung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau entfällt:
Antrag der Abgeordneten Erika Steinbach, Dr. Klaus Dieter Uelhoff, Erwin Marschewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Thomas Krüger, Gunter Weißgerber, Uta Titze-Stecher, Wolfgang Thierse und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Max Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Gemeinschaftliche Finanzierung eines Neubaus des Museums der Bildenden Künste in Leipzig - Drucksache 13/7059 -
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 3 a bis 3j sowie Zusatzpunkt 2 auf:
3. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten
- Drucksache 13/7163 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({15})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({16})
- Drucksache 13/7164 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({17})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({18})
- Drucksache 13/7165 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({19})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel, Ulla Schmidt ({20}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 13/7104 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({21})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Sicherungsverwahrung ({22})
- Drucksache 13/2859 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Strafgesetzbuches und zur Reform der Strafvorschriften gegen Kinderhandel
- Drucksache 13/6038 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({23})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer von Straftaten ({24})
- Drucksache 13/6831 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({25})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
h) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren ({26})
- Drucksache 13/6899 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({27})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({28}), Rita Grießhaber, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt verbessern
- Drucksache 13/7087 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({29})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Schmidt ({30}), Dr. Jürgen Meyer ({31}), Dorle Marx, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
30-Punkte-Programm:
Gesamtkonzept zum Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt
- Drucksache 13/7092 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({32})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft,
Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Heidemarie Lüth, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Zur Prävention sexualisierter Gewalt an Kindern
- Drucksache 13/7166 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({33})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei wichtige, große Gesetzeswerke stehen zur Debatte: das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts und das Zeugenschutzgesetz. Alle drei Gesetze sind umfangreich. Sie sind nach langer Zeit und viel Arbeit auf den Tisch gelegt worden. Schon jetzt möchte ich dem Justizministerium und auch Ihnen, Herr Minister, dafür herzlichen Dank sagen.
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Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten hat eine besondere Dringlichkeit. Es herrscht in der Bevölkerung eine große Erwartungshaltung. Die Menschen blicken gespannt auf den Gesetzgeber, daß er ihnen ein Gesetz anbietet, das wirklich dem Schutz unserer Kinder dient. Aber Gesetze müssen umgesetzt werden, und die Umsetzung erfolgt durch die Polizei, durch die Staatsanwaltschaften, durch die Gerichte und durch die Vollstreckungsanstalten.
Es ist vor allem Aufgabe der Länder, die Gesetze umzusetzen. Mir scheint diese Bemerkung und diese Feststellung am Anfang deshalb wichtig, damit keine falschen Erwartungen geweckt werden und damit die Verantwortlichkeiten klar sind.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern wir das Sexualstrafrecht. Wir erhöhen den Strafrahmen für schwere Kinderschändung von 6 auf 12 Monate und von 10 auf 15 Jahre und qualifizieren diese Tat nunmehr als Verbrechen. Kommt das Kind bei einer solchen Tat leichtfertig zu Tode, dann hat der Täter mit Lebenslänglich zu rechnen, mindestens aber mit 10 Jahren Strafhaft. Die leichten Fälle von Sexualdelikten - falls man hier überhaupt von leichten Fällen reden kann - werden nach wie vor als Vergehen im Sinne des § 176 Strafgesetzbuch bestraft.
Uns wird vorgeworfen, diese Erhöhung des Strafrahmens sei nichts als eine populistische Reaktion auf eine derzeitige Massenpsychose.
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Ich meine, daß diese Abqualifizierung der Ängste der Menschen als Massenpsychose ungeheuerlich ist.
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Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Uns selbst ging es doch so, als wir die Informationen aus der Konferenz in Stockholm im letzten Sommer hörten und als wir die ungeheuerliche Tat, die in Belgien geschehen war, erfuhren. Als in diese Information das Bekanntwerden der Entführung, der Schändung und schließlich der Tötung des kleinen Kindes Natalie aus Epfach hineinplatzte, ging es uns doch selbst so, daß wir zutiefst erschrocken waren. Andere Schreckensnachrichten folgten, und es wurden auch Erinnerungen an frühere solche Straftaten wach.
Wir meinen, daß wir die Sorgen der Menschen ernstzunehmen haben. Auch die Umfrageergebnisse zeigen: 90 Prozent der Deutschen sind der Auffassung, daß die Strafen für Sexualstraftaten zu milde sind. In kürzester Frist hat eine Bürgerinitiative nach dem Tod des Kindes Natalie für die Forderung, den Strafrahmen für Sexualstraftaten drastisch zu verschärfen, über eine Million Unterschriften gesammelt.
Freilich kann - und das ist ja wahr - der Gesetzgeber nicht auf momentane Regungen, nicht auf momentane Ereignisse reagieren, sondern er muß seine Gesetze auf längere Sicht gestalten. Aber dies ist im vorliegenden Fall ja auch so gewesen.
Diese Überlegungen, den Strafrahmen für Sexualstraftaten, für Kinderschändung anzuheben und diese Taten als Verbrechen zu qualifizieren, gab es schon lange vor der Konferenz in Stockholm, auch schon lange vor dem Bekanntwerden der furchtbaren Ereignisse in Belgien. Sie werden schon lange im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorhaben zur Harmonisierung der Strafrahmen diskutiert. Es ist in der Tat gar nicht einzusehen, daß schwere Kinderschändung kein Verbrechen sein soll, während Raub, schwerer Raub und Meineid Verbrechen sind. Dies war schon sehr lange ein Mißverhältnis, und wir gleichen nun dieses Mißverhältnis aus.
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Es ist also nicht so, daß wir nur populistisch reagieren, sondern diese Überlegungen stehen schon lange zur Debatte, und wir kommen heute auf den Punkt. Ich meine, es ist Zeit.
Gegen die Erhöhung des Strafmaßes, insbesondere bei Sexualstraftaten, wird oft auch eingewendet, solche hohen Strafen schreckten die Täter nicht ab. Der Täter schaue - so wird oft gesagt - nicht erst ins Strafgesetzbuch, bevor er seine Tat begeht. Damit werden die härteren Strafen insgesamt in Frage gestellt.
Ich meine, daß dieses Argument die wichtige Stellung des Strafrechtes in unserer Rechtsordnung und in unserer Gesellschaft mißdeutet. Wir müssen natürlich fordern, daß schwere Taten schwer bestraft werden, und müssen dafür sorgen, daß diese Strafen dann auch vollstreckt werden. Es muß unsere Sorge sein, daß die Täter, die schweres Unrecht begehen, auch entsprechend verfolgt werden.
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Wir haben zwar nicht nur ein Vergeltungsstrafrecht. Aber die Sühne spielt in unserem Strafrecht und bei den gerichtlichen Urteilen doch eine entscheidende Rolle.
Aber längst ist neben den Gedanken der Sühne der Gedanke der Resozialisierung getreten. Durch die Strafe soll der Täter dazu angehalten werden, sich wieder in die Gemeinschaft, in die Rechtsordnung einzufügen. Das ist das Ziel der Resozialisierung.
Aber es ist noch ein dritter Gedanke dabei, nämlich der Gedanke der Prävention. Die Gesetze haben eine große Bedeutung für unser gesellschaftliches Zusammenleben.
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Urteile haben ihre Wirkung auch über den konkreten Täter hinweg in die Gesellschaft hinein. Es ist zwar nicht so, daß sich ein Täter vor seiner Tat überlegt, ob er das tun darf oder nicht; natürlich schaut er vorher nicht ins Gesetzbuch. Aber ein Sexualtäter ist nie so triebgesteuert, daß die Ächtung der Gesellschaft, die durch das Strafmaß zum Ausdruck kommt und die durch entsprechende Strafurteile der Gerichte untermauert wird, auf die Meinungsbildung eines Täters im Vorfeld keine Wirkung hätte. Eine höhere Strafe hat ihre Wirkung in die Gesellschaft hinein und vor allen Dingen auf potentielle Täter. Deswegen ist die
Auffassung der Grünen, höhere Strafen hätten für den konkreten Täter keine Bedeutung, falsch. Ich meine, daß sie natürlich ihre Bedeutung haben.
Wir wissen - wir drücken uns auch nicht an dieser Erkenntnis vorbei -, daß es durch die Strafvollziehung bislang nicht gelungen ist, die Straftaten vor allen Dingen von Sexualstraftätern zu reduzieren. Wir haben eine hohe Rückfallquote; sie liegt höher als bei anderen Straftaten. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, daß sie bei über 50 Prozent liegt, und manche sagen, sie liege noch weit drüber. Wir wissen, daß schwere Kinderschändungen oft von Tätern begangen werden, die einschlägig vorbestraft sind. Wir kommen deshalb zu dem Schluß und müssen zu dem Schluß kommen, daß der normale Strafvollzug allein nicht ausreichen kann, um die Rückfallquote zu senken. Deswegen sind wir übereinstimmend der Meinung, daß wir im Strafvollzug Therapiemöglichkeiten anbieten müssen. Diese Überlegung haben wir auch schon im frühen Herbst nach einer Anhörung im Rechtsausschuß angestellt. Wir sind uns darin über die Parteigrenzen hinweg einig.
Natürlich sind wir uns darüber im klaren, daß die Therapie nur eine beschränkte Wirkung haben kann. Wir kennen das Gutachten von Nordrhein-Westfalen, aus dem hervorgeht, daß Therapie insbesondere bei Sexualstraftätern nur eine geringe Wirkung hat. Das ist uns bekannt. Wir verfallen auch nicht insofern in eine Euphorie, als wir meinen, man müsse die Verhältnisse ändern und dann würde sich der Mensch schon bessern. Dieses marxistische Menschenbild ist überholt, und die von mir dargestellten Erkenntnisse sind inzwischen längst Allgemeingut.
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Gewiß ist der Mensch nicht unabhängig von den Verhältnissen und von anderen äußeren Einflüssen. Der Mensch ist aber kein Automat, der auf äußere Verhältnisse automatisch reagiert, der automatisch seine Entscheidungen nach den äußeren Verhältnissen richtet. Die Frage der Schuld entscheidet sich im tiefsten Kern des Menschen, unabhängig von den äußeren Einflüssen. Es gäbe keine Verantwortlichkeit, es gäbe letztendlich keinen Anspruch auf Strafe, wenn jeder nur von äußeren Verhältnissen abhängig wäre.
Eine wichtige Neuregelung haben wir bei der Möglichkeit, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen, vorgesehen. Hier kommen wir zu einer Änderung der bisherigen Praxis. In der Regel sitzen die Täter zwei Drittel der Strafe ab. Dann stellt sich die Frage, ob nicht der Rest auf Bewährung ausgesetzt werden kann.
Hier hat bislang die Frage im Vordergrund gestanden: Was ist für die Täter gut? Wir meinen, daß diese Frage natürlich nicht hintangestellt werden kann. Aber wir wollen, daß die Frage im Vordergrund steht: Ist die Entlassung des Täters in die Freiheit im Interesse der Sicherheit unserer Kinder und der Sicherheit unserer Bevölkerung? Das ist eine Abkehr vom bisherigen Strafvollzug.
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Wir stellen das Interesse der Allgemeinheit wieder mehr in den Vordergrund. Das ist eine Folge der Überlegungen, die wir auf Grund der schweren Taten angestellt haben, von denen wir im Herbst des vergangenen Jahres hören mußten.
Natürlich ist es bei der Entscheidung der Frage, ob ein Täter vorläufig auf Bewährung in die Freiheit entlassen werden kann, notwendig, daß wir Gutachter bestellen. Die Länder sträuben sich dagegen, weil dies natürlich Geld kostet. Es kommt hinzu, daß es auch nicht mehr allzu viele befähigte Gutachter gibt; das ist wahr. Bislang steht im Gesetz nur, daß ein Gutachter heranzuziehen ist, wenn der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe auf Bewährung ausgesetzt werden soll. Wir wollen nun, daß auch beim Sexualstraftäter mit einer nicht lebenslangen Freiheitsstrafe, wenn die Frage auftaucht, ob der Rest seiner Strafe auf Bewährung ausgesetzt werden kann, ein Gutachten eingeholt werden muß.
Es stellt sich die weitere Frage, was geschieht, wenn der Täter seine Strafe voll abgebüßt hat, wenn er eigentlich nichts mehr mit dem Strafvollzug zu tun hat, wenn er wieder ein freier Mann ist. Was machen wir mit einem solchen Täter, wenn der Gutachter und der Therapeut, der ihn während des Strafvollzugs behandelt hat, sagen, daß dieser Täter nach wie vor stark rückfallgefährdet ist, daß nach wie vor schwere Gewalttaten von ihm ausgehen könnten? Hier können wir uns nicht einfach mit verschlossenen Augen abwenden. Vielmehr müssen wir hier zu zwei Instrumenten greifen, die das Gesetz schon jetzt vorsieht, deren Anwendung wir aber mit unserem Gesetzentwurf ausbauen wollen.
Das eine Instrument ist das der Führungsaufsicht. Hiernach besteht die Möglichkeit, den Täter nach Vollverbüßung seiner Strafe dennoch unter Obhut von Vollzugsbeamten zu belassen, unter Obhut vielleicht auch von Sozialarbeitern, unter Obhut vielleicht auch von Therapeuten, indem nämlich während der Führungsaufsicht eine Therapie angeordnet wird. Bei Tätern, bei denen damit zu rechnen ist, daß sie erneut eine schwere Tat begehen, ist die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Es gibt den Vorschlag der PDS, dieses Instrument völlig aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Wir sind im Gegenteil der Auffassung, daß die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erleichtert werden müssen.
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Es ist im Interesse der Öffentlichkeit überhaupt nicht einzusehen, daß wir sehenden Auges einen Täter, von dem wir wissen, daß er rückfällig werden wird, weil uns das Therapeut und Gutachter in ihrer Prognose sagen, in die Freiheit entlassen und damit unsere Kinder im Grunde genommen solchen bestialischen Taten ungeschützt aussetzen. Das kann niemand verantworten.
Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit einer solchen Sicherungsverwahrung nach einer zweiten Tat vor. Wir fragen uns - das müssen wir uns in der Beratung noch einmal vornehmen -, ob es nicht richtig ist, die Sicherungsverwahrung schon nach einer ersten schweren Tat anzuordnen, wenn der Gutachter zu dem Ergebnis kommt, daß der Täter stark rückfallgefährdet ist.
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Der Vorschlag der SPD sieht eine Reihe von Maßnahmen vor. Ich bin sicher, daß dieser Maßnahmenkatalog im Laufe dieser Debatte von unseren Rednern noch behandelt wird. Ich möchte eine Bemerkung zu dem SPD-Antrag machen, in Art. 6 des Grundgesetzes Kindergrundrechte aufzunehmen. Die Grundrechte gelten für ungeborene Kinder, für geborene Kinder, für Erwachsene und für junge Menschen. Sie sind unteilbar. Deswegen ist es nicht erforderlich, das Grundgesetz eigens zu ändern. Alles, was Sie wollen, steht schon jetzt im Grundgesetz. Wir sollten mit Änderungen der Verfassung vorsichtiger sein.
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Wir sind der Meinung, daß eine Änderung nicht notwendig ist.
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Sehr wohl können wir uns natürlich darüber unterhalten, ob Ihr Anliegen nicht unterhalb der Verfassungsebene aufgegriffen werden muß und soll.
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Wir meinen, daß dieser Anspruch auf gewaltfreie Erziehung, den Sie oft auch in anderem Bezug in den Vordergrund stellen, im Zusammenhang mit dem Kindschaftsrecht debattiert werden sollte. Das geschieht ja auch; dort ist der richtige Ort, und dort soll darüber entschieden werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweites großes Gesetzgebungsvorhaben haben wir uns vorgenommen: die Strafrahmenharmonisierung. Die Harmonisierung der Strafrahmen geht von der Überlegung aus, daß wir in unserem Strafgesetzbuch bislang eine zu starke Wertung des Eigentums und der Sachwerte und eine zu geringe Wertung der Persönlichkeitswerte, körperliche Integrität und Freiheit des einzelnen, haben. Hier besteht ein Mißverhältnis, das wir teilweise, aber noch nicht vollständig, bereits im Verbrechenbekämpfungsgesetz ausgeglichen haben. Die Grundüberlegung dieses Entwurfs ist es, dieses Mißverhältnis auszugleichen.
Dabei tauchen natürlich viele Detailfragen auf. Der Bundesrat hat dazu bestimmte Vorstellungen; wir haben dazu bestimmte Vorstellungen. Wir werden uns im Rechtsausschuß darüber zu unterhalten haben. Vom Ansatz her begrüßen wir aber dieses Gesetzgebungsvorhaben und stellen uns voll dahinter.
Ein weiteres wichtiges Gesetz in diesem Zusammenhang steht mit dem Zeugenschutzgesetz zur Debatte. Alle drei Gesetze stehen ja in einem Zusammenhang, allein schon deshalb, weil im Strafrahmengesetz das Strafmaß für die Sexualstraftaten steht. Hier kommt ein weiteres Gesetz hinzu: das ZeugenNorbert Geis
Schutzgesetz. Es geht dabei darum, Zeugen, denen Gewalt angetan worden ist - Frauen, die vergewaltigt worden sind, aber auch Kinder, denen Gewalt widerfahren ist -, nicht der Not auszusetzen, all dies noch einmal gewissermaßen in der Öffentlichkeit vor Gericht erleben und dafür Zeugnis ablegen zu müssen. Deswegen ist es richtig, daß wir hier mit Hilfe von Videoaufzeichnungen und Videodirektaufnahmen eine Möglichkeit vorsehen, die Zeugen nicht direkt dieser Not auszusetzen.
Wir wollen auch den verdeckten Ermittler schützen. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, ob er durch Videoaufnahmen in seiner Identität geschützt wird. Wir wollen ja nicht, daß er bekannt wird; das ist unser Anliegen. Ob dieser Gedanke in dem Gesetzentwurf, der jetzt zur Debatte steht, so ganz aufgenommen ist, können wir noch nicht entscheiden. Wir werden auch dies nach einer Anhörung und nach gründlicher Beratung im Rechtsausschuß zu entscheiden haben.
Ein wichtiger Gedanke im Rahmen des Zeugenschutzes ist noch der des Opferanwaltes. Wir sehen ja den Opferanwalt für Kinder oder Frauen, die vergewaltigt worden sind, vor, damit sie unter Schutz und in Gegenwart ihres Anwaltes aussagen können. Das ist natürlich nur ein geringer Teil der Aufgabe eines Opferanwaltes. Hierzu gab es ja einen Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung, der im Dezember des letzten Jahres im Bundesrat leider gescheitert ist; er sah einen größeren Aufgabenumfang für den Opferanwalt vor. Wir meinen, daß wir in dieser Beratung um den Zeugenschutz uns auch Gedanken über eine Erweiterung des Instrumentes,
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das wir im Augenblick sehr beschränkt für die Einvernahme des Zeugen vorsehen, machen müssen: Ist es nicht notwendig und richtig, die Aufgaben des Opferanwaltes umfangreicher und weiter zu fassen?
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Es sind drei umfängliche Gesetze, die wir zu debattieren haben. Ich hoffe, daß wir in der vernünftigen Atmosphäre des Rechtsausschusses schnell zu Ergebnissen kommen, bald gemeinsam die zweite und dritte Lesung durchführen können und dabei zu einem guten Ergebnis kommen werden.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Dorle Marx.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Menschenwürde von Kindern ist ebenso unantastbar wie die Erwachsener; Art. 1 Grundgesetz gilt von Geburt an. Über die Menschenrechte von Kindern kann daher niemand frei verfügen, weder die Gesellschaft, die Politik noch die Eltern. Auf der Stockholmer Weltkonferenz gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern nahm die Benennung der Ursachen von sexueller Ausbeutung breiten Raum ein.
Die Täter schätzen Kinder als bloßes Objekt der eigenen Bedürfnisse ein und nicht als gleichwertige andere Menschen. Kinder werden zunehmend als attraktive neue Ware im Geschäft mit Sex gehandelt. Sexuelle Ausbeutung von Kindern ist durch das Ausleben der Überlegenheit von Erwachsenen gekennzeichnet. Sexualität wird als reines Macht- und Gewaltinstrument mißverstanden.
Im Bereich der Prostitution steigt die Nachfrage nach Kindern wegen des wachsenden Bedarfs an vermeintlich nicht HIV-infizierten Sexsklaven. Insbesondere im Bereich des sogenannten Sextourismus wird der Mißbrauch von Kindern von vielen leider immer noch als Kavaliersdelikt bewertet.
In Deutschland, hier bei uns vor der Haustür, findet sexualisierte Gewalt gegen Kinder trotz der Zunahme von kommerzieller Ausbeutung etwa im Bereich der Kinderpornographie in ganz überwiegendem Maße im sozialen Nahbereich statt, das heißt: in der Familie, in der Nachbarschaft oder im sozialen Umfeld der Kinder.
Während die durch Fremdtäter verübten Delikte in aller Regel zur Anzeige gelangen, entfallen nach Schätzungen von Kriminologen im Nahbereich auf eine angezeigte Tat etwa 20 bis 30 nicht angezeigte Taten. Wir müssen deshalb in dieser Debatte auch fragen, woran es liegt, daß die Anzeigefrequenz so niedrig ist, obwohl doch die gesellschaftliche Achtung des Mißbrauchs von Kindern so groß ist.
Den Kindern treten die Täter aus dem Nahbereich nicht als Monster gegenüber. Vor Monstern würden Kinder auch ganz schnell davonlaufen. Im Nahbereich wird die Bekanntschaft oder gar Verwandtschaft mit dem Kind ausgenutzt, ein bestehendes oder sogar gezielt aufgebautes Vertrauensverhältnis zu Übergriffen gegenüber dem Schwächeren mißbraucht. Die körperliche und seelische Verletzung des Kindes wird oft spät oder gar nicht erkannt. Ein solches Kind ist tief verunsichert. Es weiß meist nicht, wie und wem es sich anvertrauen soll. Diese Verunsicherung kann den Täter vor der Entdeckung bewahren.
Aber auch wir Erwachsenen haben Probleme mit den Tätern aus dem Nahbereich. Sie entsprechen in ihrer äußeren Erscheinung auch nicht unserer Vorstellung von fremden und bösen Kinderschändern. Wenn dann doch ein Verdacht aufkeimt, ist das Bedürfnis groß, feststellen zu können, daß dies nicht wahr ist. Ich rede hier nicht von irgendwelchen Hirngespinsten. Ich bitte Sie vielmehr, sich einmal die Fälle ins Gedächtnis zu rufen, über die wir alle nicht so häufig und weniger laut reden, weil sie uns allen irgendwie peinlich sind, so etwa über den Priester, der erst ein- oder zweimal mit unverdächtiger Begründung versetzt worden ist, bevor er in der von seinem Vorleben völlig überraschten neuen Gemeinde wegen zahlreichen und fortgesetzten Mißbrauchs verurteilt wird.
Bei solchen Strukturen organisierten Wegschauens verhindern wir durch Erhöhung des Strafmaßes oder verstärkte Rückfallsanktionen keine Tat. Nur auf das Strafrecht und die Täterbehandlung abzielende Gesetzesänderungen setzen voraus, daß ein Täter überhaupt im Gerichtssaal ankommt. Dafür muß zuallererst eine Anzeige erstattet worden sein.
Ich schildere Ihnen hierzu einen weiteren, leider wahren Sachverhalt: Ein fünfjähriges Mädchen klagt über Bauchschmerzen, ständige Übelkeit und weigert sich zu essen. Es kommt schließlich ins Krankenhaus. Dort vertraut das Mädchen seiner Mutter an, daß sich ein Verwandter einer Spielkameradin an ihr vergangen hat. Die Eltern erstatten Strafanzeige. Nach vier Monaten wird der Beschuldigte dem Haftrichter vorgeführt. Der Haftrichter entscheidet, daß die vorliegenden Beweise für eine Inhaftierung nicht ausreichen, weil zu den Angaben des Kindes noch kein Glaubwürdigkeitsgutachten erstellt worden ist.
Auf Druck der Eltern wird das Glaubwürdigkeitsgutachten nach weiteren vier Monaten in Auftrag gegeben. Nach weiteren fünf Monaten wird das Mädchen durch eine Gutachterin befragt. Seit Erstattung der Anzeige sind nun 13 Monate vergangen. In dieser Zeit halten die Krankheitssymptome des Mädchens an; es wird wiederholt stationär behandelt. Mit der ganz offensichtlich dringend notwendigen Therapie darf in diesen 13 Monaten aber nicht begonnen werden, da vor Erstellung des Glaubwürdigkeitsgutachtens niemand mit der inzwischen Sechsjährigen das Vorgefallene aufarbeiten darf.
Die Eltern erhalten erst Akteneinsicht, nachdem sie auf ihre Kosten einen Anwalt beauftragt haben. Der Täter hat Anspruch auf kostenlose Pflichtverteidigung.
In all diesen Monaten kann das Mädchen an seinem Wohnort jederzeit dem Beschuldigten über den Weg laufen. Es leidet inzwischen Tag und Nacht auch unter Angstzuständen. Daß das die Eltern ebenfalls krank macht, wird jeder verstehen, der selbst Kinder hat. Vielleicht noch schlimmer für unsere Debatte heute morgen ist aber die Schlußfolgerung, die die Eltern am Schluß ihres Briefes an mich aus diesem Ablauf gezogen haben. Da steht der Satz - ich zitiere -: „Eines ist sicher: Wir würden nicht wieder Anzeige erstatten."
Die Verstärkung des Opferschutzes ist deshalb unverzichtbarer Bestandteil eines umfassenden Schutzprogrammes für unsere Kinder.
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Ich bitte Sie daher dringend, auch die im Antrag der SPD außerhalb des Sanktionenkatalogs enthaltenen Vorschläge wie die Garantie des Opferanwaltes und eines Therapieanspruches für die Opfer - das finden Sie in Ziffer 13 unseres Antrags - zu übernehmen.
Mit der Zulassung der Verwendung von Videoaufzeichnungen der Vernehmung des Opfers in der Hauptverhandlung allein ist für den Opferschutz längst nicht alles Erforderliche und Mögliche getan. Wir sind übrigens in unseren Gesprächen mit Sachverständigen darauf hingewiesen worden, daß nicht in jedem Fall eine Videoaufzeichnung zur Entlastung des Kindes nötig und erforderlich sei. Es kann für ein psychisch stabiles Kind sogar wichtig sein, in einer Gerichtsverhandlung zu erleben, daß seiner Darstellung geglaubt wird und daß das Handeln des Täters Konsequenzen hat. Das Kind muß also nicht im verborgenen, heimlich vernommen werden.
Es kann übrigens das zusätzliche Problem entstehen, wenn es um Verfahren im Zusammenhang mit Filmaufnahmen kinderpornographischen Inhalts geht, daß hier sozusagen das Tatwerkzeug noch einmal verwendet werden würde, wenn das Kind erneut gefilmt wird - wenn auch nur zu Aussagezwecken.
Wir bitten Sie um Unterstützung der ersten Hälfte unseres 30-Punkte-Katalogs, der ausschließlich der Frage gewidmet ist, was wir dazu beitragen können, daß es erst gar nicht dazu kommt, daß Kinder Opfer werden.
Die Weltkonferenz in Stockholm endete mit einer einstimmig angenommenen Abschlußerklärung. Alle teilnehmenden Staaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, haben sich verpflichtet, in nationalen Aktionsplänen mit konkreten Zeitvorgaben Informations- und Aufklärungskampagnen zu verstärken. Dabei geht es nicht bloß um Broschüren oder um Modellprojekte, die wir sicherlich brauchen. Die Forderungen in unserem Antrag zur breiten Verwirklichung von Kinderrechten betreffen alle Politikbereiche.
Gesellschaftliche Prävention bedeutet, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten stärker als bisher zu achten und zu unterstützen. Dazu gehört die Ächtung aller Formen von Gewalt gegenüber Kindern.
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Längst überfällig ist die eindeutige Verpflichtung zur Gewaltfreiheit auch in der Erziehung. Wenn inzwischen allgemein akzeptiert ist, daß unter Erwachsenen keine Ohrfeigen verteilt werden, warum sollen sie dann ausgerechnet gegenüber dem Schwächeren, also dem Kind, immer noch berechtigt oder gar nötig sein?
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Anders gefragt: Warum ist der Satz „Eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet" nur im Zusammenhang mit Kindern salonfähig? Man kann damit hübsch verschleiern, daß man Kinder offenbar als Personen minderen Rechts ansieht, an denen man einen Zornausbruch einmal ausleben darf. Die Einfügung des Verbots elterlicher Züchtigung ins Bürgerliche Gesetzbuch ist mehr als überfällig. Ich freue mich sehr über das Signal von Herrn Geis, der hier heute erstmals mitgeteilt hat, daß auch seine Fraktion der Meinung ist, daß im Rahmen der Neuregelung des Kindschaftsrechtes dafür die Möglichkeit besteht. DarDorle Marx
über freuen wir uns; darauf werden wir gerne zurückkommen.
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Auch in anderen Bereichen nehmen wir Kinderrechte gerne nur dann ernst, wenn es gerade einmal paßt. Wir orientieren Grenzwerte im Gesundheitsschutz munter am 70 Kilogramm schweren männlichen Erwachsenen. Das Recht von Kindern an der Beteiligung aller sie betreffenden Angelegenheiten muß etwa bei der Neuregelung des Kindschaftsrechts im Umgangsrecht noch erkämpft werden. Bisher machen Eltern bei Nichtehelichkeit oder nach Scheidung ganz selbstverständlich unter sich aus, wen das Kind wann sehen darf. Im Streit um die Notwendigkeit eines Nichtraucherschutzgesetzes kommen Kinder, für die Passivrauchen mit Abstand die Gesundheitsgefährdung Nummer eins ist, bisher selten oder gar nicht vor. In der Anhörung der Kinderkommission zum Thema „Kinder und Verkehr" führte ein Sachverständiger aus, ein empfindliches Bußgeld für das Nichtanschnallen von Kindern im Auto sei nicht angemessen, weil Selbstschädigungen auch sonst nur als einfache Ordnungswidrigkeit geahndet würden. Er meinte also: Eltern, die Kinder nicht anschnallen, schädigen nur sich selbst und keine dritten Verkehrsteilnehmer.
Was sollen diese Beispiele im Zusammenhang mit unserem Thema heute vormittag? Alle Beispiele stammen aus der Parlamentsarbeit der letzten Monate und haben gemeinsam, daß die vollwertige, eigene Rechtspersönlichkeit des Kindes nicht berücksichtigt, sondern ganz selbstverständlich übersehen wird. Deshalb sind wir auch bei der Beratung dieses sensiblen Themas heute morgen aufgefordert, besonders darauf zu achten, wie die Achtung von Kinderrechten insgesamt verbessert werden kann. Eine bloße Objektstellung von Kindern dürfen wir in keinem Politikbereich länger durchgehen lassen.
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Auch das gehört zur Wahrung der Symmetrie unserer Rechtsordnung.
Die Verwirklichung eines umfassenden Schutzes unserer Kinder vor sexueller Gewalt wird natürlich finanziell sicherlich nicht zum Nulltarif zu haben sein; so ehrlich sollten wir hier auch sein. Genau vor zwei Wochen fielen an dieser Stelle, an diesem Rednerpult, folgende Worte:
Wenn diese Wand eine Wand aus Gewalt ist, dann muß diese durchbrochen werden, notfalls auch mit 30 000 Polizisten, notfalls für 100 Millionen DM und notfalls alle drei Monate.
Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle: Beifall bei der CDU/CSU. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihr Beifall galt Ihrem Fraktionskollegen Michael Teiser. Sein Thema war der Schutz des Transportes von Atommüll. Es sollte doch eigentlich möglich sein, personelle und materielle Reserven
diesen Umfangs auch für den Schutz unserer Kinder vor den vielfältigen Formen und Auswirkungen sexueller Gewalt einzusetzen.
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Bitte qualifizieren Sie dies nicht vorschnell als Polemik ab! Auch hier geht es um die Symmetrie rechtsstaatlicher Ordnung, also um unser Signal zur Wertigkeit von durch uns zu verteidigenden Rechten.
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Als nächster spricht der Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kinder sollen in Geborgenheit und Sicherheit aufwachsen. Dies zu gewährleisten muß unser gemeinsames Ziel sein. Die seelischen und körperlichen Folgen sexualisierter Gewalt sind für Kinder verheerend; sie haben Auswirkungen auf ihr gesamtes weiteres Leben. Frauenbewegung und grüne Politiker und Politikerinnen haben in den 80er Jahren das Problem des sexuellen Mißbrauchs, der sexualisierten Gewalt gegen Kinder zum Thema gemacht. Das hat auch die Medien sensibilisiert; die Berichterstattung konzentriert sich jedoch auf spektakuläre, besonders schwerwiegende Mißbrauchsfälle bis hin zum Kindesmord. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik hier aber endlich einen Rückgang. 1981 hatten wir noch 81 Sexualmorde zu beklagen; 1995 waren es 24. Demgegenüber wird dem Umstand, daß 80 Prozent der sexuellen Übergriffe auf Kinder im gesellschaftlichen Nahbereich, in Familie und Nachbarschaft, stattfinden, zu wenig Beachtung geschenkt. Das Wegschauen der Umgebung, fehlende Hilfsangebote und mangelnder Opferschutz sind das zentrale Problem.
Bündnis 90/Die Grünen haben als erste Fraktion ein Gesamtkonzept zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt vorgelegt. Intervention, Prävention und Opferschutz stehen bei uns im Vordergrund. Wir brauchen den Opferanwalt in Verfahren wegen Straftaten gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, und wir müssen unnötige Belastungen von Kindern im Strafprozeß vermeiden. Mehrfachvernehmungen führen immer wieder zu zusätzlichen Traumatisierungen der Kinder. Durch eine Video- Simultanvernehmung in der Hauptverhandlung lassen sich Mehrfachvernehmungen aber nicht wirklich reduzieren. Wir streben daher eine richterliche Videovernehmung von Kindern als Zeugen schon im Ermittlungsverfahren an. Diese Vernehmung soll aufgezeichnet werden und an Stelle einer weiteren persönlichen Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Ohne Bruch mit tragenden Grundsätzen der Strafprozeßordnung läßt sich ein solches Verfahren aber nur bei Kindern rechtfertigen. Kein Kind kann nach unserer Strafprozeßordnung in die prozeßrechtliche Rolle des Zeugen
Volker Beck ({0})
gezwungen werden. Will ein Kind im Prozeß nicht aussagen, kommt nur eine kommissarische Vernehmung durch einen beauftragten Richter und dessen spätere Vernehmung im Hauptverfahren in Betracht. Ein Videoband ist da ein zeitnäheres und besseres Beweismittel.
Das Vorhaben der Koalition, im Windschatten der Diskussion um die Verbesserung der Situation kindlicher Opferzeugen zugleich die Videovernehmung verdeckter Ermittler mit zu regeln, ist an Zynismus kaum noch zu überbieten.
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Ihr Vorschlag orientiert sich deshalb auch nicht an den Schutzbedürfnissen der Kinder, er vermeidet auch nicht in ausreichender Weise die für Kinder oftmals traumatisierende Mehrfachvernehmung.
Beim sexuellen Mißbrauch gibt es keine Strafbarkeitslücken. Aber die besonders schweren Fälle des Mißbrauchs von Kindern durch Erwachsene müssen als eigenständiger Verbrechenstatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Hiermit soll der besondere Unrechtsgehalt dieser Taten betont werden. Wir begrüßen ausdrücklich, daß die Koalition unseren Vorschlag aufgegriffen und von ihrer ursprünglichen - sehr problematischen - Forderung nach Erhöhung der Mindeststrafe beim Grundtatbestand abgesehen hat.
Durch unseren Vorschlag, der in wesentlichen Punkten Bestandteil der Neufassung des § 176 StGB wurde, wird dem Umstand Rechnung getragen, daß dieser Paragraph ganz verschiedene Situationen umfaßt: sexuelle Übergriffe von Erwachsenen oder Jugendlichen gegenüber Kindern, aber auch die Liebesbeziehung zwischen einem vierzehneinhalbjährigen Jungen und seiner dreizehneinhalbjährigen Freundin. Die Justiz muß die Möglichkeit behalten, den sehr unterschiedlichen Unrechtsgehalt solcher Situationen zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber schützt Kinder, Personen unter 14 Jahren, mit einem strafrechtlichen Sexualtabu. Das ist richtig so; aber das darf nicht dazu führen, daß Liebesbeziehungen unter nahezu Gleichaltrigen zum Fall für den Staatsanwalt werden. Ich bin froh, daß dies abgewendet wurde.
Frau Nolte hat diese Woche - entgegen der Ausführung des Justizministers - wieder behauptet: Strafverschärfungen für Sexualtäter verbessern den Schutz unserer Kinder. - Herr Geis, Sie haben das wiederholt. Ich meine, das ist ein Grundirrtum. Durch Erhöhung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre wird nicht ein einziger sexueller Mißbrauch verhindert.
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Aber Sie verschleiern durch die Erhöhung der Strafrahmen die Untätigkeit im Bereich von Prävention und Intervention. Prävention kostet Geld; eine Erhöhung der Strafrahmen kostet den Bund zunächst einmal nur die Druckerschwärze im Bundesgesetzblatt. Es ist leichtfertig, der Öffentlichkeit Versprechungen zu machen, die wir alle nicht halten können. Sie untergraben damit das Vertrauen in den Rechtsstaat
und in die Justiz. Das ist ein Spiel mit dem Feuer, meine Damen und Herren.
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Eine zentrale Rolle in der Debatte über Maßnahmen für einen besseren Schutz vor Sexualstraftätern hat die Vermeidung von Rückfalltaten gespielt. Im Zentrum unserer Überlegungen steht dabei, die Therapiemöglichkeiten zu verbessern. Die Besserung der Täter durch Therapie ist der beste Schutz für die Öffentlichkeit.
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900 Haftplätze in der Sozialtherapie für 2 600 Sexualstraftäter im Bereich des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und von Vergewaltigung zeigen die Dramatik der Situation im Strafvollzug. Wir wollen die Länder im Strafvollzugsgesetz gesetzlich dazu verpflichten, ein ausreichendes und qualifiziertes Therapieangebot bereitzustellen. Das muß uns der Schutz der Kinder wert sein.
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Meine Damen und Herren, Ihre Maßnahmen setzen einseitig auf Repression und Strafrecht. Maßnahmen der Prävention und des Opferschutzes, wie die Opposition sie vorgeschlagen hat, kommen bei Ihnen zu kurz. Sei es beim Sexualstrafrecht, bei der Drogenproblematik oder der Korruption - seit Jahren reagiert die Bundesregierung mit stupidem Automatismus auf fast jede unerwünschte gesellschaftliche Entwicklung mit Forderungen nach mehr Strafrecht und härteren Strafen. Die Ursachen für Kriminalität werden demgegenüber zunehmend außer acht gelassen. Wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen werden nicht einmal entwickelt. Das Strafrecht wird als Allheilmittel für gesellschaftliche Konflikte verkauft. Mit diesem Anspruch muß es aber notwendigerweise versagen.
Auch wir Bündnisgrüne wollen nicht auf das Strafrecht verzichten. Wir wollen aber, daß der Einsatz des Strafrechts endlich wieder auf eine rationale Grundlage gestellt wird. Die von Ihnen, Herr Schmidt-Jortzig, vorgelegte Reform des Strafgesetzbuches wird diesem Anspruch leider nicht gerecht. Sie ist ein phantasieloses Verschärfungsprojekt; und sie läßt jegliche liberale Handschrift vermissen.
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Beifall verdient dieser Entwurf lediglich in seinem Ausgangspunkt. Die Wertvorstellungen des Strafrechts stehen Kopf, wenn es Geld und Vermögen höherwertig einstuft als Leben und körperliche Unversehrtheit. Es ist nicht so, daß Gewaltdelikte im Verhältnis zu Eigentums- und Vermögensdelikten zu gering bestraft werden - nein, wenn es um Geld und Eigentum geht, wird zu hoch bestraft. Die Konsequenz der Koalition lautet, Strafrahmen für Gewaltdelikte fast ausnahmslos zu erhöhen, statt die Höchststrafen im Eigentums- und Vermögensbereich zu senken.
Volker Beck ({7})
Innovative und mutige Reformschritte sucht man in Ihrem Entwurf vergebens. Die Koalition hat es versäumt, an die rechtspolitischen Reformdebatten der 70er Jahre anzuknüpfen. Sinn und Zweck von Strafe werden überhaupt nicht erst thematisiert. Ein genereller Abschreckungseffekt wird stillschweigend vorausgesetzt.
In ihren Bestrebungen nach größtmöglicher „Harmonie" macht die Koalition darüber hinaus auch Strafbarkeitslücken aus, die sie pflichtschuldigst zu beseitigen versucht. Sie verfährt nach bekanntem Muster. Selbst Sachbeschädigungen mit geringem Schaden oder Diebstahl geringwertiger Sachen - so wird beklagt - seien im Versuchsstadium bereits strafbar, Körperverletzung nicht. Wie löst man das auf? Man stellt künftig auch die versuchte Körperverletzung unter Strafe, statt einmal darüber nachzudenken, ob wenigstens bei geringen Rechtsgüterverletzungen der Versuch künftig straflos sein soll.
Eine weitere interessante Strafbarkeitslücke hat Herr Schmidt-Jortzig bei den Kriegerdenkmälern entdeckt. Hier will er den „beschimpfenden Unfug" bestrafen. Nach dem gescheiterten Soldatenehre-Gesetz ist das der zweite rechtspolitische Schildbürgerstreich des liberalen Justizministers.
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Eine Umsetzung Ihres Entwurfs wird in der Praxis eine Ausweitung der Freiheitsentziehung nach sich ziehen. Wie der ohnehin schon hoffnungslos überfüllte Strafvollzug damit fertig werden soll und wie man unter dem Umstand, mehr Strafen vollziehen zu müssen, gleichzeitig die geforderten Therapieplätze in den Vollzugsanstalten finanzieren will, bleibt in der Tat das Geheimnis der Koalition und der Verfasser dieses Entwurfs.
Die Reformdebatte sollte zum Anlaß genommen werden, eine umfassende Absenkung der Strafrahmen vorzunehmen. Innerhalb der neu festzusetzenden Mindest- und Höchststrafen müssen auch die einzelnen Delikte neu ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. Am Ende einer wirklichen Reform steht für Bündnis 90/Die Grünen weniger statt mehr Strafrecht.
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Das erfordert auch die Rücknahme des staatlichen Strafanspruchs dort, wo es gleichwertige oder sogar bessere Konfliktlösungsmechanismen gibt. Wir fordern Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und staatlich kontrollierte Abgabe harter Drogen sowie die Entkriminalisierung bestimmter Bagatelldelikte.
Eine Reform des strafrechtlichen Sanktionenrechts und eine Reform der Systematik der Freiheitsstrafen stehen auf der Tagesordnung einer modernen und zivilen Kriminalpolitik. Die inhumane lebenslange Freiheitsstrafe ist durch eine hohe Zeitstrafe zu ersetzen.
Freiheitsstrafen sind durch Ausweitung der Bewährungsmöglichkeiten und eine Vollstreckungsklausel, durch Fahrverbot als selbständige Hauptstrafe, durch Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs zurückzudrängen. Gerichte können so auf den Täter einwirken, ohne daß der negative, desintegrierende Effekt des Strafvollzugs auf den Täter zum Tragen kommt und mehr Schaden angerichtet wird, insbesondere bei der Kleinkriminalität, als Nutzen im Bereich der Resozialisierung zu erwarten ist.
Zum Schluß: Strafrecht ist in einem liberalen Rechtsstaat letztes Mittel der Politik. Eine integrative soziale Politik, die den Menschen wieder eine Perspektive gibt, kann die Wurzeln von Kriminalität und sozialer Desintegration angehen.
Diese Koalition versucht, durch Markieren des starken Staates von ihrem Versagen im Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik abzulenken. Hier ist grundsätzliches Umsteuern längst überfällig.
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In der Debatte spricht jetzt der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt kaum eine Straftat, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger so aufrüttelt wie der sexuelle Mißbrauch von und der Mord an Kindern. Auch wenn es gerade in diesen Tagen eine besondere Häufung solcher Taten gegeben hat, warne ich davor, die Vergangenheit zu beschönigen. Bereits vor 20 Jahren habe ich als Staatsanwalt dicke, gedruckte Hefte beschlagnahmt, in denen Eltern ihre Kinder - vom sechsmonatigen Säugling bis zur 13jährigen Tochter -, zum Teil mit Bild, zum sexuellen Mißbrauch gegen Entgelt angeboten haben.
Nach einer solchen Tat wird sehr schnell - weil besonders populär - der Ruf nach schärferen Strafen laut. Aber es gehört zu den unbequemen Wahrheiten, daß insbesondere Täter, die von ihrem Trieb gesteuert, von ihm getrieben werden, vor ihrer Tat nur wenig davon zu beeindrucken sind, welche Strafe sie danach zu erwarten haben. Trotzdem kann einer solchen Forderung eine Berechtigung nicht völlig abgesprochen werden. Wer hinter Gittern sitzt, stellt während dieser Zeit keine Gefahr für die Kinder dar.
Die Diskussionen der 70er Jahre haben im Strafrecht zu vielen positiven Ergebnissen geführt. Ich unterstreiche das nachdrücklich. Aber sie haben auch Schattenseiten hervorgebracht; sie haben nämlich hinsichtlich der Vielgestaltigkeit der Zwecke, denen die Strafe dienen soll, einen in die Ecke gestellt, der hier besondere Bedeutung hat: der Schutz der Allgemeinheit, insbesondere der Kinder, vor neuen Straftaten.
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Diesem Anliegen werden die heute zu beratenden Entwürfe der Koalitionsfraktionen in doppelter Weise gerecht: einerseits durch die im Wege der Strafrahmenharmonisierung durchzuführende Anhebung der Höchststrafe bei sexuellem Mißbrauch von Kindern, andererseits durch den ausdrücklich in die Strafprozeßordnung aufgenommenen Hinweis, daß bei einer Strafaussetzung zur Bewährung die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zu berücksichtigen sind.
Dem dienen auch die Verpflichtung, vor einer Strafaussetzung zur Bewährung in bestimmten Fällen ein Gutachten einzuholen, und die erweiterte Möglichkeit zu Sicherungsmaßnahmen bei rückfälligen Tätern. Doch dem Interesse der öffentlichen Sicherheit wird am wirksamsten gedient, wenn der Straftäter aus eigener Stärke keine neuen Straftaten begeht.
Ich begrüße daher mit Nachdruck, daß ein verurteilter Sexualstraftäter auch zwangsweise zu einer Therapie gebracht werden kann. Ich übersehe nicht: Eine wirksame Therapie setzt immer eine Mitwirkung des Patienten voraus. Zwang erscheint hier auf den ersten Blick kontraproduktiv. Doch weiß ich aus meiner beruflichen Erfahrung, daß zum Beispiel im Drogenbereich auch die als bloßer Ausweg vor der Strafe gewählte Therapie dem erfahrenen Therapeuten die Möglichkeit eröffnet, den Straftäter für eine Therapie und für eine Mitwirkung daran zu öffnen. Diese Chance darf zugunsten der Kinder nicht vertan werden.
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Auf Druck der Länder ist die Möglichkeit, daß schon das verurteilende Gericht in eine Therapie einweist, zugunsten einer Vollzugslösung geändert worden. Die Landesjustizminister werden sicher die Gründe dafür erläutern. Es bleibt jedoch dabei: Wir alle sind in der Verpflichtung, alles zu unterlassen, was einen bestmöglichen Schutz der Kinder vor Schwerverbrechen verhindert.
Zu den bereits erwähnten Schieflagen der strafrechtlichen Diskussion aus den 70er Jahren zählt auch, daß das Opfer von Straftaten schlicht übersehen wird. Man beschäftigte sich lieber mit dem Täter. Da man ihn als das eigentliche Opfer sah - als Opfer der schlimmen Verhältnisse und des noch böseren Staates -,
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blieb für einen Blick auf das wirkliche Opfer keine Aufmerksamkeit. Wer Bürgerrechte ernst nimmt, für den steht das wirkliche Opfer im Mittelpunkt der Überlegungen.
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Ich freue mich daher sehr, daß das Zeugenschutzgesetz hier deutliche Fortschritte bringt. Wer erlebt hat, wie bei einer schwierigen Beweislage, die bei Sexualstraftaten sehr häufig ist, Zeugen von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung intensiv und kritisch befragt wurden, muß nachdrücklich Verständnis für den Wunsch dieser Zeugen aufbringen, nicht allein in der Verhandlung zu sein, sondern eine Vertrauensperson, einen Opferanwalt, als Schutz zu haben. Es ist ein überaus erfreulicher Schritt - ich kann mir wie der Kollege Geis noch weitere Schritte vorstellen -, daß nun ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann, der die Interessen der Zeugen vertritt. Ich danke dem Weißen Ring für sein stetes Bemühen, das nun von einem ersten Erfolg gekrönt ist.
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Es ist ein weiterer wesentlicher Fortschritt, daß zum Schutz insbesondere von kindlichen Zeugen in Zukunft Vernehmungen auch unter Ausnutzung von Videotechnik für die Zeugen erträglicher gestaltet werden können. Ich bin der Auffassung, daß die Übernahme des britischen Modells ein besonders guter Weg ist, der zwei Ziele in einer abgewogenen Weise miteinander verbindet: Er ermöglicht die größtmögliche Schonung insbesondere der kindlichen Zeugen; aber er läßt es auch zu, daß alle Verfahrensbeteiligten auf die Befragung kritisch einwirken können. Letzteres ist deshalb besonders wichtig, weil auch ein Angeklagter eine faire Chance vor Gericht haben muß. Gerade mehrere scheinbar spektakuläre Fälle von Kindesmißbrauch wie in Münster und in Mainz haben einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Angeklagte sind freigesprochen worden. Auch diese Tatsache darf in einer Debatte wie heute nicht unterschlagen werden.
Auch andere Fraktionen haben überlegte Vorschläge vorgelegt. Wir werden im Rechtsausschuß sorgfältig prüfen, was der beste Weg zum Schutz unserer Kinder, aber auch zur Wahrung der Gerechtigkeit ist.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat den Anschein, daß die Sexualmorde, die in der letzten Zeit in den Medien eine Rolle gespielt haben, nun endlich Anlaß gewesen sind, das Problem der sexualisierten Gewalt gegen Kinder aufzugreifen und sowohl präventiv als auch bezüglich des Umgangs mit Straftätern und bezüglich der Verfahrensfragen Reformen in Angriff zu nehmen.
Sieht man sich jetzt jedoch die Vorschläge der Koalition genauer an, wird an den zentralen Punkten deutlich, daß das eigentliche Problem nicht erfaßt worden ist. Mit keinem Wort wird auf die Ursachen der sexualisierten Gewalt gegen Kinder eingegangen. Daher erschöpfen sich folgerichtig die Vorschläge zur Prävention auf die Verhinderung von Wiederholungstaten und erfassen die Entstehungsbedingungen für solche Straftaten nicht.
Jährlich werden 16 000 bis 17 000 Fälle angezeigt, und die Dunkelzifferschätzungen gehen davon aus, daß die Zahl sexuell mißbrauchter Mädchen und Jungen diese Zahlen um ein Vielfaches übersteigt. Die meisten dieser Taten werden im familialen Nahbereich begangen. Es ist eben nicht so, wie in den Medien oft dargestellt wird, daß sexualisierte Gewalt typischerweise von Kranken, von Monstern, überwiegend etwa von Außenseitern verübt wird.
Meine Damen und Herren, Expertinnen und Experten, die bei der Analyse des Problems nicht nur die individualpsychologische Betrachtung des Täters im Blick haben, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen, die ja den Hintergrund solcher StraftaChristina Schenk
ten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern bilden, haben immer wieder dargelegt, daß sexueller Mißbrauch oder, genauer gesagt, sexualisierte Gewalt an Kindern ihre tieferen Ursachen in den Strukturen des sozialen Nahbereichs hat. Diese beruhen sehr oft noch auf Hierarchien sowohl zwischen den Geschlechtern, also zwischen Männern und Frauen, als auch zwischen den Generationen, also zwischen Erwachsenen und Kindern. Es ist kein Zufall, daß 1995 75,4 Prozent der Opfer Mädchen waren und die Täter zu 95 Prozent männliche Erwachsene.
Sexualisierte Gewalt ist in erster Linie Machtmißbrauch, bei dem Sexualität zum Vehikel gemacht wird. Die Tatsache, daß die Opfer in der Regel Mädchen, die Täter in der Regel Männer sind, ist durchaus nicht verwunderlich. Wer wirklich Prävention will, muß etwas gegen die Machtstrukturen zwischen Männern und Frauen tun, gegen die Hierarchie, gegen die Abhängigkeiten und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.
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Ein wesentlicher Punkt dabei ist, daß die Sozialisation von Jungen dringend humanisiert werden muß. Männliche Sozialisation geht in der Regel mit dem Erlernen der Abwehr von Gefühlen einher. Gewaltausübung ist auch eine Form der Angstabwehr, ist sehr oft der Versuch, Schwäche mit der Demonstration von Macht und Überlegenheit zu kompensieren. Jungen müssen lernen, Ängste und auch Schwächen zuzulassen, Empathie zu empfinden, bei der Realisierung eigener Interessen die anderer zu berücksichtigen und sich gegebenenfalls auch selbst zurückzunehmen.
Auch die Generationenfrage spielt eine Rolle. Es ist leider immer noch weit verbreitet, Kinder eher als Besitz der Eltern wahrzunehmen denn als Persönlichkeiten mit einem eigenen Recht auf Schutz der Integrität. „Mit meiner Tochter kann ich machen, was ich will; da hat sich niemand einzumischen", sagen manche der Väter, die ihre Töchter sexuell mißbraucht haben.
Nun zu den konkreten Vorschlägen: Zur Änderung des § 176 StGB meinen wir, daß eine Ausweitung des Strafrahmens nach oben, die an den deutschen Stammtischen und wohl auch in der CSU sehr nachdrücklich gefordert wird, kein Beitrag zur Eindämmung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist. Eine Strafrahmenharmonisierung ist überfällig - das ist klar -, aber sie sollte nicht ausschließlich in der Weise erfolgen, daß nach oben angeglichen wird. Sie selbst, Herr Bundesjustizminister, haben das oft genug so formuliert. Bei der Anhörung im Rechtsausschuß zu Sexualstraftätern und -taten ist von allen Experten einhellig betont worden, daß eine Erhöhung der Höchststrafe keine Lösung sei und vor allem nicht präventiv wirke.
Statt dessen hätte ein anderes eindeutiges Signal gesetzt werden müssen, nämlich daß die Mindeststrafe für sexuellen Mißbrauch an Kindern auf ein Jahr erhöht und diese Tat somit nicht mehr nur als Vergehen, sondern als Verbrechen verfolgt wird, und zwar nicht nur wegen der Signalwirkung - ich weiß, daß die Signalwirkung sehr umstritten ist und ihre Bedeutung zum Teil als gering eingeschätzt wird -, sondern insbesondere auch wegen der erweiterten Möglichkeiten der Ermittlung und in bezug auf die strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten bei Versuch, Anstiftung und Verabredung zum sexuellen Mißbrauch.
Abschließend möchte ich sagen: Wir haben unsere Forderungen, das, was wir für eine wirksame Bekämpfung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder, für einen Schutz der Kinder für notwendig halten, in unserem Antrag dargelegt. Ich denke, daß die kommenden Ausschußberatungen noch einige Diskussionen mit sich bringen werden.
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Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister der Justiz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ein Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei von der Koalition vorgelegten Gesetzentwürfe. Das ist der bessere Schutz unserer Kinder. Sie sind die schwächsten Glieder der Gesellschaft und deshalb besonders auf unseren Schutz angewiesen. Die Kinder sind es aber auch, die den Fortgang dieser unserer Gesellschaft tragen, das kulturelle Erbe fortsetzen, künftige Renten bezahlen, unsere Pflege und Betreuung übernehmen sollen, schlicht also: die Perspektive unserer rechtsstaatlichen Demokratie darstellen. Man kann es schlagwortartig zusammenfassen: Kinderlärm ist Zukunftsmusik.
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Wem wir so viele Erwartungen aufbürden, dem müssen wir auch mehr Rechte, mehr Fürsorge, mehr Schutz geben, und dies nicht nur im Strafrecht, sondern auch in allen anderen Rechtsbereichen. Ich verweise exemplarisch insoweit nur auf die von mir eingebrachte Reform des Kindschaftsrechts, auf das Erbrechtsgleichstellungsgesetz, auf das Kindesunterhaltsgesetz und auf das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz.
Meine Damen und Herren, der Schutz unserer Kinder ist der Leitgedanke des Ihnen vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten. Er hat zwei Hauptansatzpunkte.
Zum einen werden die gesetzlichen Regelungen im repressiven Bereich, etwa bei der Sicherungsverwahrung, verschärft. Zum anderen werden therapeutische Möglichkeiten im präventiven Bereich verstärkt vorgesehen. Einige Punkte des Entwurfs möchte ich hervorheben.
Erstens. Durch neue Regelungen im Strafvollzugsgesetz wird eine gesetzliche Pflicht der Vollzugsbehörde geschaffen, geeignete, das heißt therapiefähige Sexualstraftäter in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen. Dadurch sollen die Länder veranlaßt werden, weitere Therapieplätze zu schaffen,
damit möglichst alle dafür geeigneten Verurteilten in eine Sozialtherapie verlegt werden können. Denn Tätertherapie ist die beste Rückfallprophylaxe.
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Insofern geht es hier um den Schutz der potentiellen Opfer.
Außerdem - zweitens - werden die Voraussetzungen für die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung klarer gefaßt. Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und das Gewicht des vom Rückfall bedrohten Rechtsgutes werden im Gesetz ausdrücklich erwähnt.
Darüber hinaus können - drittens - die Gerichte künftig im Zuge einer Entscheidung über die Strafoder Strafrestaussetzung zur Bewährung anordnen, daß sich der Verurteilte einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen muß. Entsprechendes gilt bei Verurteilten, die ihre Strafe voll verbüßen müssen und nach der Strafverbüßung unter Führungsaufsicht gestellt werden.
Viertens schließlich können einschlägig rückfällige Sexualstraftäter schon nach dem ersten Rückfall in Sicherungsverwahrung genommen werden. Daß dies ein besonders kritischer Punkt ist, den wir sehenden Auges in voller Überzeugung so und damit schärfer als bisher gefaßt haben, kann ruhig noch einmal betont werden.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesamtkonzept werden wir, soweit das mit den Mitteln des Strafrechts möglich ist, den Schutz unserer Kinder wirksam verbessern. Diese Feststellung schließt freilich nicht aus, daß über den einen oder anderen Punkt im Rechtsausschuß noch intensiv beraten wird. Es ist kein Geheimnis, daß dort unter anderem auch die Frage thematisiert werden wird, ob man nicht im Bereich der Therapie noch mehr für die Rückfallprophylaxe tun könnte.
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Denkbar wäre eine sogenannte Anordnungslösung, bei der schon das erkennende Gericht mit dem Urteil den Täter entweder in die Psychiatrie oder auch in die therapeutische Behandlung einweisen könnte.
Bei den Vorberatungen zu dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf haben wir uns allerdings mit den Ländern dahin gehend verständigt, daß der Gesetzentwurf mit einer Vollzugslösung eingebracht wird. Das Gesetz ist ja immerhin zustimmungsbedürftig. Ohnehin können Reformen nicht gegen diejenigen gemacht werden, die sie dann auch umsetzen müssen und diese Last zu tragen haben, nämlich die Länder.
Mit der Ihnen jetzt vorgelegten Lösung wird es insbesondere den Vollzugsanstalten überantwortet, die Verurteilten in die geeigneten Anstalten bzw. Behandlungen, also auch in die Sozialtherapie, einzuweisen. Gerade die Länder tragen an diesem Punkt eine große Verantwortung.
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Eine noch stärkere Ächtung von Sexualstraftaten gegen Kinder ist eines der Elemente des 6. Strafrechtsreformgesetzes. Der Entwurf zu diesem Gesetz schafft für schwere Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern einen neuen Verbrechenstatbestand mit einem Strafrahmen von einem bis zu 15 Jahren. Wenn der Täter leichtfertig den Tod des Kindes herbeiführt, soll in Zukunft auch eine Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe erfolgen können. Darauf haben Sie, Herr Kollege Geis, zu Recht schon hingewiesen.
Auch die Strafe für die Verbreitung pornographischer Schriften wird verschärft. Diese Verstärkung von Schutz und Achtung unserer Kinder fügt sich in den großen Reformansatz des 6. Strafrechtsreformgesetzes ein. Das ist - auch darauf will ich zu sprechen kommen - die umfassende Strafrahmenharmonisierung. Der Ausgangspunkt, der Ansatz, der Grund dafür ist bekannt: Das Strafgesetzbuch atmet in seinen Grundansätzen verschiedentlich noch den Geist des letzten Jahrhunderts, indem es den Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter gegenüber dem materieller Positionen unterbewertet. Deshalb werden die Strafrahmen bei Straftaten gegen Leib und Leben, aber auch gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen andere immaterielle höchstpersönliche Rechtsgüter - Persönlichkeitsrechte, physische und psychische Integrität - zum Teil deutlich angehoben.
Bei den Körperverletzungsdelikten etwa werden die Strafrahmen sowohl im Bereich der einfachen und der schweren Körperverletzung als auch der Körperverletzung mit Todesfolge partiell angehoben. Zu einer stärkeren Pönalisierung führt auch, daß die gefährliche Körperverletzung von einem Privat- zu einem Offizialdelikt hochgestuft werden wird. Außerdem stellen wir - ich betone: erstmals - auch den Versuch der Körperverletzung und der Freiheitsberaubung unter Strafe. Darüber hinaus enthält der Entwurf auch Strafschärfungen bei einzelnen Vermögensdelikten. So wird etwa beim Einbruchsdiebstahl in Wohnungen die Mindeststrafe von drei auf sechs Monate angehoben.
Um gravierende Wertungswidersprüche im Gesamtgefüge des Strafrechts abzubauen und somit wirklich zu einem Strafrecht aus einem Guß zu kommen, war es in einzelnen Fällen aber auch nötig, die Strafrahmen moderat abzusenken.
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Es ist heute nicht mehr zu rechtfertigen, daß der Strafrahmen für schwere Fälle der Urkundenfälschung bis zum Höchstmaß zeitiger Freiheitsstrafe, also 15 Jahre, reicht. Will der Gesetzgeber deutlich machen, daß er zum Beispiel in dem sexuellen Mißbrauch von Kindern ein größeres Unrecht als in einer Urkundenfälschung sieht, so muß er in diesen Bereichen zur Korrektur nach unten bereit sein.
Bei dem - um ein zweites Beispiel zu nennen - heftig diskutierten Fall des schweren Raubes geht es allerdings nicht darum, den Strafrahmen abzusenken, sondern darum, eine Fehlentwicklung in der Rechtsprechung aufzufangen. Zu diesem Tatbestand hat es bereits eine breite öffentliche Diskussion gegeben, in der aber, wie ich finde, die bisherige gerichtliche
Spruchpraxis häufig nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Bisher werden nämlich 75 bis 80 Prozent der Fälle schweren Raubes von den Gerichten zu sogenannten minderschweren Fällen - eigentlich muß man das einem Nicht-Juristen erst einmal erklären: minderschwere Fälle schweren Raubes - herabgestuft, um mit einem Strafrahmen von nur einem bis fünf Jahren auszukommen und damit die als zu hoch empfundene Mindeststrafe von fünf Jahren zu umgehen.
Deshalb tritt an die Stelle der starren Mindeststrafe von fünf Jahren jetzt ein neues, dreistufiges System mit - abhängig von der Schwere des Delikts - zwei, drei und fünf Jahren Mindeststrafe. Damit wird den Gerichten ein differenziertes Instrumentarium an die Hand gegeben, das in der Praxis auch tatsächlich angewendet werden kann.
Die in der Öffentlichkeit - zu Recht - auf Unverständnis gestoßenen Einzelfälle, in denen die Gerichte zum Beispiel für die gewaltsame Entwendung eines Zeltes zu einem deutlich höheren Strafausspruch kamen als für die Vergewaltigung des darin kampierenden Mädchens, werden damit der Vergangenheit angehören.
Meine Damen und Herren, mehr Schutz für unsere Kinder ist auch einer der Kerngedanken unseres dritten heute zur Beratung vorliegenden Gesetzentwurfes, nämlich des Zeugen- und Opferschutzgesetzes. Es zielt darauf ab, durch Nutzung audiovisueller Medien die Belastungen, denen Opfer von Straftaten bei ihrer Vernehmung ausgesetzt sind, weiter abzubauen.
Der Entwurf sieht zwei Möglichkeiten des Videoeinsatzes vor: Zum einen wird die Videovernehmung von Zeugen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung eingeführt. Zum anderen kann in besonderen Fällen eine Videoaufzeichnung einer etwa im Ermittlungsverfahren oder in einer früheren Hauptverhandlung durchgeführten Vernehmung eines Zeugen abgespielt und verwertet werden.
Der Entwurf nimmt zwar keine Beschränkung auf Zeugen bestimmten Alters oder auf Opfer bestimmter Straftaten vor. Dennoch werden gerade Kinder, die Opfer von Sexualstraftaten werden, in besonderem Maße von diesem Gesetz in ihrer Entwicklung Nutzen ziehen können.
Mit den drei Gesetzentwürfen der Koalition und damit der größten Strafrechtsreform seit über 20 Jahren beweist diese Koalition auch und gerade in der Rechtspolitik ihre Handlungsfähigkeit.
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Ich hoffe, die parlamentarischen Beratungen gestalten sich gerade in einer Zeit, in der viele andere Reformansätze blockiert sind, so eingehend und zügig, daß die Gesetzentwürfe noch in dieser Legislaturperiode in das Gesetzblatt gelangen können. Denn es gibt hier wirklichen Handlungsbedarf.
Vielen Dank.
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Ich rufe jetzt unseren Kollegen Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzentwürfe, die wir heute einbringen, sind rechtspolitisch von erheblichem Gewicht, weil wir damit nicht nur kurzfristig auf die scheußlichsten aller Verbrechen - den sexuellen Mißbrauch, das sexuelle Quälen und das sadistische Töten von Kindern und Jugendlichen - schnell und wirksam reagieren, sondern weil zugleich überfällige Korrekturen des Strafrechts durchgeführt werden, die zusammen mit den zeitgleich behandelten Gesetzentwürfen gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität mit der Möglichkeit der elektronischen Täterüberwachung Deutschland sicherer machen und damit den Menschen das Gefühl geben, daß der Staat sie nicht im Stich läßt, und die - das ist ganz wesentlich - potentielle Verbrecher und organisierte Verbrecherbanden verunsichern und hoffentlich auch abschrecken werden.
Die Gesetze sollen auch signalisieren, daß es mit uns - auch das zum Schutz von Kindern und Jugendlichen - keine Freigabe von sogenannten weichen Drogen, kein Heroin auf Krankenschein gibt, sondern daß wir Dealern mit allen rechtsstaatlichen Mitteln das Handwerk legen wollen. Denn sie sind potentielle Mörder mit einer Erfolgsquote von fast 2 000 Toten und 100 000 geschundenen Kindern und Familien.
Besonders wichtige Gesetzesbestimmungen werden beim bisher vernachlässigten Zeugenschutz von Opfern durch Anwendung von Technik vorgesehen. Dabei ist es richtig, daß dieser Zeugenschutz - ich möchte eher das Wort Zeugenschonung verwenden - allen Opfern dienen soll, die der Gefahr der Einschüchterung, der Rache oder auch der öffentlichen Scham ausgesetzt sind oder sich dem ausgesetzt fühlen. Sie werden dadurch unbefangener und ehrlicher aussagen, weniger die Aussage verweigern, und die erkennenden Richter können bei einer Fremdvernehmung, die ich auch ausdrücklich begrüße, einen wesentlich besseren Eindruck gewinnen als bei der Verlesung eines trokkenen Vernehmungsprotokolls.
Der Zeugenschutz ist auch Opferschutz, der dringend den Verletzten und Gedemütigten, insbesondere bei sexuellem Mißbrauch, Vergewaltigung und körperlicher Mißhandlung, gewährt werden muß. Dazu gehört auch die Frage eines Opferanwaltes oder - ich möchte es anders ausdrücken - eines Opferbeistandes, der bisher an Geldfragen gescheitert ist, weil die meisten Verbrecher mittellos sind und den Opfern diese Kosten nicht ersetzen können.
Aber ich bin der Meinung, wenn wir aus rechtsstaatlichen Gründen - das zu Recht - auch dem schlimmsten Verbrecher auf Kosten des Staates - das sind oft mehrere zehntausend DM - einen Verteidiger stellen, dann darf es an einigen tausend DM
Mehrkosten nicht scheitern, daß die Opfer einen Beistand erhalten.
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Insoweit kann ich dem Weißen Ring nur zustimmen, der fordert: „Die Opfer müssen vor den Tätern geschützt und nicht die Täter vor den Opfern und ihren Beiständen geschützt werden." Dadurch kann erreicht werden, daß besonders im Bereich des sexuellen Mißbrauchs von Kindern und von Kindesmißhandlung oder Gewalt in der Ehe das oft völlig unverständliche Schweigen des Umfeldes und sogar von nächsten Familienangehörigen wegen der damit verbundenen Schande aufgeweicht wird.
Meine Damen und Herren, der Sprecher der CDU/ CSU, Norbert Geis, und Herr Justizminister SchmidtJortzig haben ausführlich Einzelheiten gebracht. Wir werden über alles reden, weil uns daran liegt, daß ein breiter Konsens im Bundestag und Bundesrat über die geplante Strafrechtsreform herrscht.
Ich bedanke mich auch bei dem Koalitionspartner und der SPD - soweit sie zustimmt -, daß damit Irrwege der Reform des Strafrechts in den 70er Jahren, als es zur Aufweichung im Strafrecht und insbesondere im Strafverfahrensrecht gekommen ist, bei Sexual- und Gewaltdelikten korrigiert werden. Herr van Essen hat darauf hingewiesen.
Viele Opfer kamen sich verhöhnt vor. Viele Opfer von Sexualstraftaten oder körperlicher Mißhandlung auch im engeren Familienbereich haben schamhaft geschwiegen, um nicht bloßgestellt zu werden, oder weil sie Angst hatten, daß Täter, wenn überhaupt, mit milden oder mildesten Strafen davonkommen und bald wieder in Freiheit sind. Der Staat als Rechtshüter der Ordnung wurde teilweise nicht mehr ernst genommen und damit das Unrechtsbewußtsein eingeschränkt und teilweise aufgehoben.
Herr Beck, Sie irren sich schon sehr, wenn Sie sagen, die Grünen waren die ersten, die gegen sexuelle Handlungen an Kindern vorgegangen sind. Sie waren früher noch mit einem Teil Ihrer Grünen dabei, dieses Unrechtsbewußtsein zu schmälern, als Sie damals zum Teil Straffreiheit gefordert haben.
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- So war es, Herr Beck. Jetzt sagen Sie nicht, daß Sie die ersten waren.
Kritiker werden sagen, daß höhere Strafrahmen nichts bringen. Ich könnte dem zustimmen, wenn die Gerichte die jetzigen Gesetze in ihrer vollen Schärfe anwenden würden. Aber merkwürdigerweise finden Richter immer wieder einen Grund zur Milderung bei Straftätern und vergessen dabei oft die Leiden, Qualen und Schmerzen der Opfer.
Ich war selbst zehn Jahre Richter und weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, daß mancher Kollege eine falsche Denkweise hat. Gerecht urteilen heißt gegebenenfalls streng und gerecht urteilen.
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Deswegen haben wir verschiedene Strafrahmen deutlich erhöht, damit diese Richter wissen, daß der Gesetzgeber drastische Strafen zur Abschreckung, aber auch als Genugtuungsfunktion für die Opfer fordert, insbesondere bei sexuellem Mißbrauch von Kindern, aber auch bei Gewaltanwendung jeder Art.
Die Würde des Menschen, meine Damen und Herren, ist garantiert, auch die der Straftäter. Wer aber so scheußliche Verbrechen begeht, hat mindestens einen Teil dieser Würde verwirkt, und der Schutz der Kinder vor solchen, außerhalb jeder Norm handelnden Menschen - fast möchte ich sagen: menschlichen Bestien - ist bei der Abwägung der Rechtsgüter höher zu stellen. Die Unverletzlichkeit, die Gesundheit, die Ehre der geschundenen, zum Teil für ihr Leben verkorksten und verdorbenen Kinder - sofern sie es überhaupt überleben -, aber auch das seelische Leid und der ohnmächtige Schmerz der Mütter, der Väter, der Geschwister fordern, daß hier keine Gnade und Milde für derartige Triebverbrecher gegeben wird.
Meine Damen und Herren, Mord darf nicht kalkulierbar sein. Lebenslängliche Freiheitsstrafe muß lebenslänglich sein. Der Täter darf nicht nach 15 oder 18 Jahren auf Bewährung freigelassen werden. Sonst kalkulieren Täter das ein und ermorden ein Opfer als potentiellen Zeugen, weil das Risiko einer höheren Strafe mit dem geringeren Risiko der Entdeckung leicht ausgeglichen wird. Auch hier irren Sie, Herr Beck: Nicht die lebenslange Strafe ist inhuman, sondern der sexuelle Kindermörder ist inhuman.
Gefährliche Triebtäter dürfen weder zur Bewährung noch nach Ende der Strafe ohne Therapie und positive Prognose zur zukünftigen Straffreiheit entlassen werden. Ein unverbesserlicher Verbrecher muß lebenslang in Sicherheitsverwahrung gehalten werden. Wenn er krank und nicht heilbar ist, muß er lebenslang in eine psychiatrische Anstalt. Dies sind harte Maßnahmen, aber der einzige Schutz vor solchen Menschen. Diese Maßnahmen dürfen bei schweren Fällen auch nicht auf Wiederholungstäter beschränkt werden; denn die Wiederholung bedeutet mindestens unendlich viel Leid eines oder mehrerer Opfer oder sogar ihren Tod.
Wenn nicht genügend Therapeuten, Therapieplätze und Sicherungsverwahrungsanstalten vorhanden sind, müssen sie ausgebildet bzw. gebaut werden. Dies kann auch nicht eine Geldfrage sein und darf deswegen auch nicht zu einer Streitfrage zwischen Bund und Ländern werden. Ansonsten müßten wir über eine fundamentale Frage des Föderalismus nachdenken und gegebenenfalls solche Einrichtungen in Bundeskompetenz beim Innenministerium ansiedeln, wenn ich das so kritisch und so ketzerisch an Ihre Adresse sagen darf. Sie sind der einzige Ländervertreter, Herr Kollege Leeb.
Zwangsweise Kastration würde wenig Erfolg haben, sagt die Mehrheit der Gutachter. Einige Juristen sagen, dies dürfe wegen der Verletzung des PersönDr. Wolfgang Freiherr von Stetten
lichkeitsrechts nicht geschehen, ebensowenig wie zwangsweise Impfung oder Einnahme von triebausschließenden Medikamenten. Beides würde die Grundrechte eines Täters zu sehr beeinträchtigen. Das gleiche gilt für die in den USA mit Erfolg angewendeten elektronischen Aufenthaltssperren, das heißt elektronische Mikrosender am Körper des Betroffenen, die über Funk oder Satellit den jeweiligen Aufenthaltsort orten können. Ich glaube aber, daß alle drei Maßnahmen geringfügigere Eingriffe in die Grundrechte und das Persönlichkeitsrecht des Triebtäters bedeuten als die andere, ansonsten einzige Alternative, das lebenslange „Wegsperren". Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken.
Völlig unverständlich ist, daß Datenschutzbestimmungen den Austausch von Erkenntnissen behindern. Auch das muß geändert werden. Nur Verbrecher fürchten zum Beispiel eine Gendatenbank oder die Aufhebung der Bestimmung zur Löschung von früheren sexuellen Straftaten.
Der Rechtsstaat nimmt nicht Schaden, wenn Täter strenger, schärfer be- und verurteilt werden, sondern wenn der Bürger seinen Glauben an die Rechtsstaatlichkeit verliert, weil der Staat ihn nicht vor Verbrechern und Unrecht schützt. Entscheiden wir uns für den Bürger und hier insbesondere für Kinder und Schwache und gegen die Triebtäter und Gewaltverbrecher.
Danke schön.
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Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß sich gerade bei dem Thema, über das wir heute reden, eine große Einigkeit in diesem Haus abzeichnet. Ich glaube, man kann sagen: Wir sind alle darin einig, daß alles Erdenkliche und Menschenmögliche geschehen muß, um Kinder vor Verbrechen zu schützen. Aber lassen Sie mich darauf noch ein bißchen näher auch mit einigen Fragen eingehen.
Als im letzten Jahr die kleine Natalie in Bayern Opfer eines Sexualmordes wurde, gab es niemanden in diesem Haus, der nicht mit Entsetzen und mit Schreck nach Epfach geschaut und sehr gut verstanden hat, daß die Eltern vor Schmerz betäubt waren und sich die Nachbarn und Mitschülerinnen alle gefragt haben: Wie kann so etwas überhaupt sein? In jenen Tagen haben, nehme ich an, alle von uns gehofft, daß später das gleiche wie bei der kleinen Kim eintreten möge, daß man das Kind, das verschwunden war, lebendig wiederfinden und den Eltern zurückbringen könne. Als dann klar war, daß dies nicht möglich war, wünschte man, wenigstens schnell den Täter zu fassen, damit die Angst vor weiteren Opfern ein Ende haben könnte.
Als dann der Täter gefaßt war und deutlich wurde, daß es sich - und zwar in den beiden erwähnten Fällen -, jeweils um einen Mann handelt, der als Sexualstraftäter schon bekannt war, schon verurteilt gewesen ist und schon im Gefängnis gesessen hat, hat jeder von uns die gleichen Fragen gestellt, wie wir sie damals von den Eltern, aus der Presse und aus der Öffentlichkeit gehört haben: Wie ist so etwas möglich? Es steht ganz eindeutig im Gesetz, daß schon im ersten Strafprozeß nicht nur klargestellt werden muß, ob ein Täter schuldfähig ist, sondern auch, ob er krank ist, ob eine - wie man das technisch ausdrückt - sexuelle Deviation vorliegt, ob er auf Dauer gefährlich sein kann, so daß er behandelt werden muß und, wenn er nicht im Strafvollzug ist oder dort nicht therapiert werden kann, in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden muß, aus der er nicht mehr herausdarf. Wie ist es eigentlich möglich, daß jemand vorzeitig auf Bewährung entlassen wurde, sowohl nach Strafverfahren in Bayern wie auch solchen in anderen Ländern, obwohl doch jeder weiß, daß unser Gesetz Regelungen vorsieht, wonach eine Strafvollstreckungskammer dieses nur anordnen darf, wenn es verantwortbar ist. Hierbei sind der Schutz möglicher späterer Opfer oder der Schutz der Gesellschaft und die Gefährlichkeit des Täters doch ebenfalls stark zu berücksichtigen.
Ich bin auch sehr froh, meine Damen und Herren, daß alle in diesem Haus, mit denen ich gesprochen habe, die Fragen der Eltern und der Öffentlichkeit sehr ernst genommen haben, übrigens auch dann, als diese sich in Demonstrationen und in Protesten geäußert haben.
Wir sprechen über die Frage, was wir hier tun können, um zu hellen, um zu verändern, um den Schutz zu verbessern, nicht unter dem Druck der Straße. Wir tun es in dieser Frage genausowenig, wie wir es tun, wenn Bergarbeiter aus Angst um ihre Arbeitsplätze in Bonn demonstrieren oder wenn dies Bauarbeiter in Berlin tun. Wir sprechen über diese Fragen vielmehr deshalb, weil es unsere Aufgabe ist, die Sorgen ernst zu nehmen, weil wir die gleichen Fragen stellen und die gleichen Sorgen haben müssen.
Ich bin übrigens auch sehr froh, daß eigentlich niemand in diesem Haus kaltschnäuzig das Wort Restrisiko in den Mund genommen hat, ebenso darüber, daß solche uninformierten Scheinangebote wie chemische Zwangskastration oder ähnliches relativ schnell aus dem Forderungskatalog verschwunden sind. Ein Blick auf die USA zeigt sehr schnell, daß damit an Stelle von Hilfe nur symbolische, populistische Äußerungen angeboten werden. Damit können die Eltern, damit können die Geschwister, damit können auch die Mitschülerinnen und Mitschüler und ebenso die Öffentlichkeit nichts anfangen. Die Öffentlichkeit fragt zu Recht nach mehr Schutz,
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aber doch nicht nach Aktivitätsnachweisen oder nach schnellen Äußerungen einer Ministerin oder eines Ministers, die oder der in die Presse kommen will.
Meine Damen und Herren, die Einigkeit hat sich auch im Rechtsausschuß fortgesetzt. Ich habe mich sehr gefreut, daß wir mit unserer Anregung, eine Anhörung durchzuführen, sehr schnell auf die Zustimmung aller Fraktionen getroffen sind. Der Zweck dieDr. Herta Däubler-Gmelin
ser Anhörung im Rechtsausschuß war, die Schwachstellen in jedem Bereich zu überprüfen.
Die erste Frage war, ob es Gesetze gibt, die wir verändern müssen. Eine weitere Frage bezog sich darauf, ob es in irgendeinem Stadium des Verfahrens - ganz egal, in welchem - Schwachstellen gibt, die wir beseitigen müssen.
Wissen Sie, was mich bei diesem Anhörungsverfahren am meisten erstaunt hat? - Das war die Tatsache, daß diese Schwachstellenanalyse nicht längst vorgenommen worden war. Das ist eine der erschrekkenden Erkenntnisse, die wir gewinnen mußten. Ich bin sehr froh, daß die Bitte, eine solche Schwachstellenanalyse jetzt im Rückblick vorzunehmen, aufgegriffen wurde. Ich hoffe, wir werden sehr schnell die Ergebnisse erhalten.
Wir haben fünf wesentliche Schwachpunkte festgestellt. Einer davon ist, daß in der Tat viel zuwenig auf das Opfer und viel zuviel allein auf den Täter gesehen wird.
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Rechtsstaat bedeutet - darüber sind wir uns wohl alle einig - nicht allein, daß wir rechtsstaatliche Verfahren nicht preisgeben, sondern verlangt doch ganz klar auch, daß die Opfer und die möglichen Opfer sicher sein müssen: Jeder in diesem Staat, unabhängig davon, wo er oder sie tätig ist, achtet zunächst einmal darauf, daß denjenigen, die Opfer einer Straftat geworden sind, unsere Sorge gehört.
Herr van Essen, Staatsanwälte hätten sich schon in den 70er und auch in den 80er Jahren viel mehr um Opfer kümmern können.
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Unsere Gesetze haben das nie verboten. Die Schwierigkeit besteht nur darin, daß der Blick auf die Opfer in vielen Fällen durch den Blick auf die Täter in weiten Bereichen verstellt war. Das ist der Fehler. Eine Gesetzesänderung werden wir in diesem Punkt gar nicht brauchen, weil es nicht um weniger Rechtsstaat geht, sondern darum, daß wir den Rechtsstaat aus der Sicht der Opfer betrachten und ihn auch aus deren Sicht gestalten.
Der Weiße Ring und die vielen anderen Opferhilfsorganisationen, die uns das gesagt haben, haben recht. Es ist an der Zeit, daß wir diese Schwachstelle jetzt endlich, und zwar umfassend, beheben. Das wird eines der Kriterien sein, mit denen wir auch an Gesetzesänderungen herangehen.
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Das zweite ist: Wir haben festgestellt - das hat mich sehr erstaunt -, daß manche Strafvollstrekkungskammer ganz offensichtlich nicht immer wußte, was sie tat. Das heißt, hier wurden Gutachten nicht von den richtigen Leuten eingeholt, es wurden nicht die richtigen Fragen gestellt, die Gutachten wurden nicht ausreichend erörtert und auch nicht durchdiskutiert. Manchmal hat man sich gefragt, warum sie überhaupt angefordert wurden, wenn hinterher dennoch zum Beispiel die Entscheidung ausgesprochen wurde, schwerste Sexualverbrecher vorzeitig auf Bewährung zu entlassen.
Auch hier müssen Änderungen her, Änderungen im Verfahren und Änderungen in der Qualität der Strafvollstreckungskammern, wo es erforderlich ist. Meine Bitte ist, daß auch bei den Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte sehr viel mehr Rücksicht auf solche Fragen genommen wird.
Zum dritten haben wir festgestellt: Es gibt zuwenig Therapieplätze für Sexualverbrecher mit Krankheitswert. Das betrifft längst nicht alle, aber einige betrifft es. Diese brauchen Therapieplätze, wenn die Möglichkeit für eine Behandlung besteht. Wir fordern das übrigens nicht deswegen, weil wir den Blick wieder einseitig auf die Täter richteten, sondern weil eine erfolgreiche Therapie Opferschutz bedeutet. Das heißt, gerade unter dem Blickpunkt des Opferschutzes ist dies dringend erforderlich.
Der vierte Punkt ist: Wir haben zuwenig Gutachter, das heißt zuwenig Therapeuten, die in dieser außerordentlich schwierigen Situation der Begutachtung von Sexualverbrechern, gerade von Sexualschwerstverbrechern, wirklich etwas sagen können. Hier sind zu wenige ausgebildet worden. Hier müssen mehr ausgebildet werden. Das kostet mehr Geld. Aber das darf nicht nur das Geld der Länder kosten. Hier sind alle gefordert. Es geht nicht an, daß wir hier wieder ein Schwarzer-Peter-Spiel der Verantwortungszuweisung von Bund auf Länder oder von Ländern auf Bund betreiben, bei dem jeder auf jeden wartet und zum Schluß nichts passiert. Das wird nicht gehen.
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Der fünfte Punkt: Wir haben festgestellt - auch das hat mich sehr erschreckt -, daß die Instrumente, die wir heute im Strafvollzug oder auch im Strafrecht haben, häufig viel zuwenig eingesetzt werden. Ich meine zum Beispiel die Führungsaufsicht und Bewährungsauflagen. Jeder von uns, der mit der Praxis zu tun hat, wird sich ausrechnen können, weshalb das so ist: Es ist lästig, es dauert lang, man muß es kontrollieren, und es ist personalaufwendig. Aber wer wirklich Schutz von Kindern vor Verbrechen, vor sexueller Gewalt will, muß anders an die Verfahren herangehen und das alles intensivieren.
Ich möchte noch einbringen, daß wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, ein weiteres, breites Anhörungsverfahren gemacht haben. Warum? Wir, und zwar die Frauen, die Mütter, unsere Kinderbeauftragte, die Juristen, alle gemeinsam, haben das deswegen gemacht, weil wir der Auffassung sind, daß es nicht allein um die einzelnen Stationen des Strafverfahrens und des Strafvollzugs, daß es nicht nur um Sexualmörder geht. Wir sind der Meinung, daß in unserer Gesellschaft, in unserer Öffentlichkeit und in unserer Einschätzung eine Menge an Änderungen eintreten muß, wenn wir dem Anspruch, alles Menschenmögliche, alles Erdenkliche zu tun, um Kinder besser zu schützen, wirklich gerecht werden wollen. Ich will Ihnen auch hier wieder vier Bereiche nennen.
Erstens. Wir wissen, daß im Nahbereich sehr viel mehr an sexuellem Kindesmißbrauch und an sexueller Gewalt vorhanden ist, als sich viele in diesem Haus eingestehen wollen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen. Ich freue mich sehr, daß diese Mahnungen langsam, aber sicher auf Aufmerksamkeit stoßen. Wir müssen jetzt aber etwas dagegen tun, und zwar mit wirklich wirksamen Methoden.
Zweitens. Seit Mitte der 70er Jahre werbe ich zum Beispiel dafür, daß man etwas gegen Sex- und Prostitutionstourismus, bei dem Kinder die Opfer sind, unternimmt. Ich kann mich sehr wohl an die Zeiten erinnern, in denen man in den Reihen der Union die eine oder andere Kollegin gefunden hat, die dem zustimmte. Aber der größte Teil der Kollegen in diesem Haus war der Meinung, es handele sich hier um Kavaliersdelikte, die man hinnehmen müsse, zumal die Tourismusindustrie eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung habe. Aber daß hier ausgesprochen wurde, um was es geht, nämlich um sexuellen Mißbrauch von Kindern, nur eben nicht hier, nicht mit deutschen Kindern, sondern im Ausland, in den Entwicklungsländern, und daß das genauso eine Straftat ist, wie wenn sie hier begangen würde, war erst in den letzten Jahren der Fall. Aber jetzt müssen wir die Konsequenzen ziehen.
Was sind die Konsequenzen? Wir brauchen die Möglichkeit, solche Straftäter, Deutsche, die ins Ausland fahren, um dort Prostitution mit Kindern zu betreiben oder Kinder zu vermieten oder zu verkaufen, sie als Sexsklaven zu behandeln, hier zu bestrafen. Unsere bisherigen Strafbestimmungen auch im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches reichen noch nicht aus. Wir werden darauf bestehen, daß die Möglichkeit der Bestrafung hier in Deutschland tatsächlich geschaffen wird.
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- Bisher noch nicht; aber wenn Sie bei uns mitmachen, bin ich sehr damit einverstanden.
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Ich höre, daß Sie das jetzt wollen; wir wollen es jetzt durchsetzen.
Der dritte Punkt. Bei der Bekämpfung der Kinderpornographie müssen wir weitermachen.
Der vierte Punkt. Wir werden im Bereich der Polizei sehr viel mehr an Information und Ausbildung sicherstellen müssen, damit man weiß, was eigentlich zu geschehen hat, wenn eine Mutter, eine Verwandte oder auch ein Kind allein kommt und sagt, es habe Fälle des sexuellen Mißbrauchs gegeben. Hier wird das gleiche Maß an Behutsamkeit gefunden werden müssen, das in den letzten zehn Jahren bei Fällen von Vergewaltigung von Frauen in sehr vielen Bereichen von Polizei und Gerichtsbarkeit gefunden wurde.
Frau DäublerGmelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?
Ja, bitte schön, Herr Eylmann.
Frau Kollegin Dr. Däubler-Gmelin, zum Stichwort Sextourismus: Ihnen ist doch sicherlich bekannt, daß wir schon vor geraumer Zeit die Möglichkeit geschaffen haben, Deutsche, die im Ausland ausländische Kinder mißbrauchen, auch in Deutschland zu bestrafen. Sie werden mir sicherlich auch recht geben, daß das entscheidende Problem darin besteht, diese Täter zu ermitteln, und daß wir das in den allermeisten Fällen nur mit Hilfe der dortigen Polizei können. Aber nachdem wir uns im Rechtsausschuß auch gerade im Ausland mit diesem Problem beschäftigt haben, werden Sie mir doch auch recht geben, daß das Problem darin besteht, daß ein Großteil der Polizisten dort nicht bereit ist, hier mitzuarbeiten, sich bestechen läßt, und daß ihnen zum Teil gar nichts anderes übrigbleibt, weil ihr Salär nicht ausreicht, um die Familie davon zu ernähren. Das ist ein trauriger Zustand, der uns sehr belastet. Aber wir sollten nicht den Eindruck erwecken,
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daß wir das durch weitere Gesetzesänderungen im Inland beseitigen könnten.
Herr Eylmann, ich habe die Frage gut verstanden. Natürlich brauchen wir auch die Hilfe des Außenministeriums, um die Probleme, von denen Sie gesprochen haben, leichter zu bewältigen. Aber die Punkte, über die ich gesprochen habe, sind etwas anderes. Auch bei solchen Fällen, auch bei solchen Verbrechern, die wir kennen, wo alle diese Schwierigkeiten im Ausland überwunden wurden, von denen Sie gesprochen haben, stoßen wir heute im Inland häufig auf enorme Schwierigkeiten, sie vor Gericht zu stellen. Warum? Weil solche Täter ihren Lebensmittelpunkt dann nicht in die Bundesrepublik verlegen, obwohl sie deutsche Staatsangehörige sind - in den Fällen, über die wir gesprochen haben, gingen sie in die Schweiz oder in andere Länder -, und schon damit der deutschen Gerichtsbarkeit entgehen. Worum ich Sie bitte, ist, mit uns sicherzustellen, daß auch in dem formalen Strafverfahrensrecht die Hindernisse, solche Verbrecher hier vor Gericht zu stellen, endlich abgebaut werden. Ich glaube, das ist in Ihrem und in unserem Interesse.
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Lassen Sie mich jetzt noch einmal sehr deutlich machen, worum es uns geht. Wir werden im Strafverfahren, im Strafvollzug und auch dann, wenn nach Strafverbüßung Freiheit für solche ehemaligen Sexualverbrecher in Betracht kommt, sehr sorgfältig prüfen müssen, wie wir die Sicherheit der möglichen Opfer erhöhen können und wie wir alle Instrumente, die wir haben, einsetzen können, um die Schwachstellen wirklich zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, wir werden gleichzeitig - das ist einer der Punkte, auf die wir immer wieder zurückkommen werden - darauf dringen, daß in unserer Gesellschaft die Ächtung von Kinderpornographie, die Ächtung von Sextourismus mit Kindern, auch die Ächtung der Gewaltanwendung im Fernsehen wieder als gemeinsame Werte durchgesetzt werden können. Dafür möchten wir Ihre Unterstützung haben.
Wir werden mit Ihnen über all Ihre Vorschläge bezüglich Gesetzesänderungen sprechen. Wir werden das in großer Ruhe und unter Berücksichtigung jedes Details tun. In unseren Anträgen haben wir unsere Vorschläge eingebracht; wir setzen das gleiche bei Ihnen voraus. Das heißt: Hier muß es gelingen, die Einigkeit auf Grund des Entsetzens, das am Anfang dieser Bemühungen stand, auch in die Gesetzesberatungen einzubringen, damit wir dann, sobald es irgendwie geht, wirklich sagen können: Jawohl, wir haben alles Menschenmögliche und alles Erdenkliche getan, um Opfer zu schützen und Kindern zu helfen, möglichst nicht Opfer eines Verbrechens zu werden.
Ganz herzlichen Dank.
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Es setzt fort die Kollegin Rita Grießhaber.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute im Rahmen einer Debatte zur Rechtspolitik. Es ist unbestritten, daß auf dem Gebiet des Straf- und Prozeßrechtes sehr viel passieren kann und muß, um den Schutz von Kindern zu verbessern. Aber höhere Strafandrohungen allein werden die Opfer nicht besser schützen und die Täter nicht abschrecken.
Strafe ist, wie übrigens alle anderen Vorschläge für sich genommen, kein Wundermittel gegen sexualisierte Gewalt. Sexuelle Übergriffe auf Kinder geben dem Täter für kurze Zeit ein Machtgefühl. Täter werden nicht einfach von ihren Trieben überwältigt; sie bereiten die Übergriffe meist sehr sorgfältig vor und wollen sich auf Kosten Schwächerer stark fühlen. Deshalb sprechen wir von sexualisierter Gewalt.
Mir geht es in dieser Debatte in allererster Linie darum, was wir für die Kinder tun können und tun müssen. Denn wer Kinder besser schützen und dafür sorgen will, daß es keine nachteiligen Folgen für sie hat, wenn Täter angeklagt werden, muß nach meiner Ansicht vor allen Dingen in drei Bereichen aktiv werden:
Zuallererst brauchen wir bessere Präventionskonzepte.
Zweitens brauchen wir Erleichterungen für die Kinder in Ermittlungs- und Strafverfahren.
Drittens brauchen wir Verbesserungen bei der Hilfe für die Opfer.
Ein wirksames Präventions- und Schutzkonzept muß bei den Bedingungen für die Entstehung von Gewalt ansetzen.
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Sexualisierte Gewalt findet in einer Gesellschaft statt, die auf ungleicher Machtverteilung zwischen Männern und Frauen beruht und in der das sexuelle Selbstbestimmungsrecht für Frauen immer noch nicht verwirklicht ist. Ich erinnere hier nur an die leidigen Diskussionen, die wir schon seit Jahren zum Thema Vergewaltigung in der Ehe in diesem Hause führen.
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In der berechtigten Empörung über die brutalen Verbrechen an Kindern geht ein Bereich fast unter, in dem Prävention wirklich ansetzen und etwas bewirken kann: Das ist der soziale Nahbereich. Ein Großteil sexualisierter Gewalt findet nämlich in diesem Bereich statt. Das heißt: Es ist der Nachbar, der Onkel, vielleicht der Stiefvater oder gar der Vater, der eine Bedrohung für das Kind darstellt. Die Familie - das wissen wir alle - ist aber der Ort, in dem ein Kind auf Schutz und Geborgenheit angewiesen ist. Da wiegt es um so schwerer, wenn dort Gewalt und Verrat erfahren wird.
Im Gegensatz zu Verbrechen durch Fremdtäter schaut die Öffentlichkeit bei Gewalt, die sie im Nahbereich mitbekommt, oft weg. Kaum jemand fühlt sich verantwortlich. Viele Menschen sind auch hilflos und haben Angst davor, sich unberechtigterweise in fremde Angelegenheiten einzumischen. Hier ist Aufklärung dringend nötig, damit Hilfe nicht an Unsicherheit scheitert.
Hilfs- und Aufklärungsangebote werden aber zur Zeit immer weniger statt mehr. Die öffentlichen Haushalte werden vom Rotstift regiert und die dringend notwendigen Mittel für Prävention und Hilfe immer mehr zusammengestrichen. Es gibt doch wahrhaft Bereiche, in denen Sparen besser angebracht ist als gerade hier.
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Einrichtungen wie Zartbitter und andere, die seit Jahren wichtige und oft ehrenamtliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit leisten, kämpfen ums Überleben. Das Arbeitsförderungsgesetz sieht Kürzungen vor, die Beratungseinrichtungen und Treffpunkte für Kinder in ihrer Existenz gefährden, weil sie sich ohne Förderungsmittel nicht tragen können. Hier sind Ansatzpunkte, um sexualisierte Gewalt zu bekämpfen; denn Politik kann und muß mehr tun, als längere Strafen zu beschließen.
Längere Strafen und Sicherungsverwahrung kosten Geld. Dieses in Prävention und, wo immer mögRita Grießhaber
lich, in Therapie für Täter zu investieren steht dem Rechtsstaat gut an.
Dabei mache ich mir keine Illusionen über die positiven Wirkungen von Therapie. Ich weiß, daß nicht jeder Täter therapierbar ist. Wir müssen aber wenigstens ein ausreichendes Angebot zur Verfügung stellen. Herr Justizminister, ich glaube, es ist besser, Täter da zu motivieren und zu unterstützen, anstatt sie zu zwingen. Wir sollten uns dringend an dem Modell der Niederlande orientieren. Dieses Land hat hier sehr viel größere Fortschritte gemacht als wir.
Im Präventionsbereich gibt es viele Aufgaben, zum Beispiel die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Kindern.
Wir diskutieren zur Zeit die Reform des Kindschaftsrechtes. Herr Geis, diese Frage gehört auch hierher. Wir verfolgen nicht das Kästchendenken: hier die Strafrechtsreform, dort die Kindschaftsrechtsreform; beides müssen wir getrennt diskutieren.
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Es gibt so gute Argumente, Herr Justizminister, endlich das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern. Was macht Ihnen denn solche Angst, daß Sie das nicht wollen?
Was den Antrag der SPD zur Änderung des Grundgesetzes betrifft, kann ich nur sagen: Wir wären schon außerordentlich froh, wenn es gelänge, die nötige Mehrheit für eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches zusammenzubekommen. Sollte danach noch eine Grundgesetzänderung angestrebt werden, wird sie an uns garantiert nicht scheitern.
Wer starke Kinder will, muß ihnen Beteiligungsrechte in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld geben. Sie müssen lernen, Entscheidungen zu treffen. Sie müssen natürlich auch lernen, nein zu sagen. Wenn wir Kinder als eigenständige Persönlichkeiten ernst nehmen, müssen wir ihnen alle Informationen zukommen lassen, die es ihnen ermöglichen, Hilfe zu holen.
Weiß denn ein Kind, daß es sich ans Jugendamt wenden kann, wenn es in Not ist? Auch hier ist Aufklärung angesagt. Bei all diesen Vorschlägen muß völlig klar sein, daß Prävention nicht heißen darf, die Verantwortung auf die Kinder abzuschieben.
Wir brauchen neben gezielter Prävention dringend Verbesserungen im Ermittlungs- und Strafverfahren. Opfer von sexualisierter Gewalt, die die Belastungen einer Anklage und eines Strafverfahrens auf sich nehmen, müssen Bedingungen vorfinden, die gewährleisten, daß sie nicht ein zweites Mal zum Opfer werden.
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Rasche und sensibel vorgenommene Videovernehmungen gehören ebenso dazu wie die kindgerechte
Ausstattung der Räume und die Qualifikation der zuständigen Personen.
Es ist schon heute möglich, Kinder besser vor Gewalt zu schützen. Die sogenannte „Go"-Order erlaubt es, zum Schutz der Kinder Umgangsverbote oder Kontaktsperren zu verhängen. Wir brauchen zuverlässige Informationen darüber, welche Erfahrungen und Schwierigkeiten es mit diesen Regelungen gibt, um sie gegebenenfalls zu verbessern.
Meine Damen und Herren, ebenso große Zurückhaltung von Regierungsseite wie beim Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung begegnet uns bei der Frage, ob ein Verfahrenspfleger, der sogenannte Anwalt des Kindes, eingeführt werden soll. Gerade in Verfahren um das Sorgerecht, in denen einer Trennung der Eltern vielleicht ein sexueller Übergriff auf das Kind vorausging, brauchen Kinder eine Person, die wirklich und ausschließlich nur ihre Interessen vertritt.
Wir haben eine Verantwortung auch für die Bereitstellung von Hilfen nach einer Gewalttat. Wer in seiner Kindheit mißhandelt und erniedrigt wurde, braucht die Chance, diese Traumata mit qualifiziertem Beistand aufzuarbeiten. Es muß uns doch zu denken geben, daß viele Täter früher selbst Opfer waren. Deshalb brauchen wir den Ausbau und nicht die Kürzung von Beratungs- und Therapieangeboten für die Opfer sexualisierter Gewalt.
Ebenso dringend brauchen wir niedrigschwellige Angebote wie Notruftelefone.
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Es gibt in dieser Richtung schon hervorragende Bemühungen, die ausbaubar sind. Das Sorgentelefon ist ein guter Ansatz. Ein Notruftelefon aber muß wirklich zu jeder Zeit kostenlos und von jedem Ort aus mit derselben Nummer erreichbar sein. Und Kinder müssen wissen, daß es existiert, und die Nummer kennen.
Bei aller Wut und Empörung über die bekanntgewordenen Verbrechen der letzten Zeit müssen wir uns unser Unterscheidungsvermögen bewahren. Das massenhafte private Elend des Kindesmißbrauchs im sozialen Umfeld erfordert andere Maßnahmen als kommerzielle Verbrechen.
Aber auch hier müssen wir handeln. In den letzten Jahren wurden zum Beispiel immer mehr Fälle bekannt, in denen Kinder von ihren leiblichen Eltern wie Handelsware zum Kauf angeboten wurden. Wer ein Kind wie eine Ware kauft oder verkauft, verletzt eklatant die Menschenwürde des Kindes. Deshalb ist es höchste Zeit, daß dem Kinderhandel endlich wirksamer begegnet wird.
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Der Ruf nach längeren Strafen, auf die die Bundesregierung setzt, bringt uns nicht weiter. Es muß sich viel Grundsätzlicheres ändern. Wir brauchen ein Bewußtsein dafür, daß Kinder nicht Sachen sind, über die Erwachsene beliebig verfügen können. Wir tragen mit die Verantwortung dafür, daß wir alle in einer Gesellschaft leben, die Kindern Rechte zugesteht
und die ihre Würde respektiert. Diese Verantwortung reicht weit über das Strafrecht hinaus.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im Vordergrund der heutigen Aussprache steht zu Recht die Bekämpfung der furchtbaren und erschütternden Taten, die in letzter Zeit wieder - aber auch nur wieder - Aufsehen erregt haben. Ich habe hier von niemandem gehört, daß er allein auf strafrechtliche Maßnahmen setzen will.
Wir sind mit dem, was Frau Grießhaber soeben in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt hat, sehr einverstanden. Es gehört zu der umfassenden Sicht all dessen, was zum Schutz der Kinder zu geschehen hat, daß man keineswegs nur auf das Strafrecht, auf Strafverschärfungen und vielleicht auf die ein oder andere Maßnahme im Strafverfahren setzt, sondern daß man die Gesamtheit der gesellschaftlichen Bedingungen ins Auge faßt.
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Das wird überhaupt nicht verkannt. Dazu haben sich andere, auch einige meiner Kollegen im engeren Sinne, geäußert oder werden das noch tun.
Ich möchte aber im Bereich des Strafrechts dem entgegentreten, was Frau Grießhaber zu meiner Freude als „Kästchendenken" bezeichnet hat. Wir sind ja auf vielen Gebieten nicht frei davon, daß jeder die Dinge aus der Sicht seines Fachbereichs - gelegentlich auch aus der Sicht eines einzelnen Gesetzes oder gar Tatbestandes - beurteilt, statt auf die Zusammenhänge und Querverbindungen zu achten und dadurch nicht nur dem Recht, sondern dem Wertgefühl der Gesellschaft insgesamt einen besseren Halt zu geben.
Deshalb begrüßen wir es in besonderer Weise, daß heute nicht nur die speziellen Gesetzentwürfe zur besseren Bekämpfung der Sexualkriminalität, insbesondere bei den Verbrechen gegenüber Kindern, vorgelegt worden sind, sondern daß im gleichen Zusammenhang die längere Zeit gereiften Änderungen im Rahmen des sogenannten Strafrechtsrahmengesetzes vorgelegt worden sind. Diese sollen dazu beitragen - insofern besteht ein durchaus enger Zusammenhang zu unserem Vorhaben -, das Verständnis in den Bereichen, in denen es sich der einzelne Bürger erarbeiten will und in denen es ihm durch eine Presse, die sich dieser Aufgabe stellt, nähergebracht wird, zu wecken und die Ungereimtheiten, von denen hier schon die Rede gewesen ist, zu beseitigen: zum Beispiel beim Recht auf körperliche Unversehrtheit und seinem strafrechtlichen Schutz im Verhältnis zu den Eigentumsdelikten.
Daß dies alles in eine vernünftigere Beziehung zueinander gesetzt wird - im übrigen ohne großen Widerstand von irgendeiner Seite dieses Hauses; dieses Thema eignet sich auch gar nicht dafür; wir suchen ja gemeinsam nach Lösungen -, ist ein Beitrag dazu, die Wertordnung an sich zu festigen. Niemand von uns glaubt, daß eine Erhöhung des Strafrahmens, zum Beispiel im Bereich der Sexualdelikte, wie sie jetzt vorgesehen ist, den einzelnen Täter von seiner Tat abhalten kann. Ich persönlich glaube daran überhaupt nicht. Das soll uns aber nicht daran hindern, diesen Rahmen so festzulegen, daß in unserer Wertordnung die besondere Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts deutlich wird. Das geschieht hier.
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Damit verbinden wir keine falschen Hoffnungen. Wir haben nur die Hoffnung, daß das Rechtssystem insgesamt in bezug auf seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Wirklichkeit überschaubarer und einsehbarer wird.
Wir sind natürlich wie Sie, Herr Beck, der Meinung, daß Therapie da, wo sie Wirkung zeitigen kann und Wirkung gezeitigt hat, einen besonders guten Schutz bietet. Aber auch in bezug darauf darf man keine übertriebenen Hoffnungen haben oder sie gar bei anderen erwecken. Man muß das Äußerste versuchen, und man sollte nicht stur auf Strafe ausgehen. Dabei darf man aber nicht an Wunder glauben.
Dennoch müssen die diesbezüglichen Möglichkeiten verbessert werden. Frau Däubler-Gmelin hat in diesem Zusammenhang zu Recht von mehreren Problemen gesprochen. Wir haben im Vorfeld dieser Beratungen - das ist ja alles nicht geheim; es wird auch nie geheim bleiben - natürlich mit den Bundesländern gesprochen. Einige der Herren oder Damen Justizminister werden ja vielleicht noch dazu Stellung nehmen. Wir haben Schwierigkeiten mit unserem Vorschlag gehabt - wenn er angenommen worden wäre, wäre uns das sehr sympathisch gewesen -, das erkennende Gericht unter dem Gesamteindruck der Hauptverhandlung und der Sachverständigenäußerungen auch über Maßnahmen der Therapie entscheiden zu lassen.
Wir haben uns anhören müssen, daß die Verantwortung für solche Maßnahmen nun einmal bei den Ländern liegt - das ist richtig -, daß die Einrichtungen dort zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir haben deshalb auf den Vorschlag verzichtet, das erkennende Gericht entscheiden zu lassen, weil wir das weitere Schicksal des Gesetzes im Interesse seiner Verabschiedung - auch im Hinblick auf den Bundesrat und die Behandlung dort - schon im voraus legitimerweise ins Auge fassen müssen.
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Wir haben deshalb gesagt: Diejenigen, die es zu verantworten und die Last zu tragen haben, sollen dann auch über ihre für den Strafvollzug zuständigen Organe und die dafür zuständigen Spezialgerichte die notwendigen Anordnungen treffen. Aber wegen der besonderen Bedeutung dieser Prävention werden
Detlef Kleinert ({3})
wir mit Sicherheit darauf zu achten haben, ob sich die Aufrechterhaltung dieser Arbeitsteilung auch in Zukunft bewährt und ob sie zu einer besseren und wirkungsvolleren Handhabung der Therapiemöglichkeiten führt, als wir sie bisher haben. Da beziehe ich auch alle Ergänzungen in bezug auf die Ausbildung und die Zurverfügungstellung geeigneter Sachverständiger ein.
Ich möchte abschließend noch ein Wort zu einem Punkt sagen, der von einigen als Wundermittel angesehen wird, der völlige Zustimmung erfährt und mit übertriebenen Hoffnungen begleitet wird, dem aber von anderen mit völliger Ablehnung begegnet wird; es handelt sich um die sogenannte Gendatei. Bei jeder Art von Strafverfahren ist zunächst einmal eine möglichst schnelle, gute und sichere Aufklärung der erforderliche Ausgangspunkt. Wenn dazu eine auf diesen speziellen Zweck ausgerichtete besondere Datei einen Nutzen bringt, dann müssen wir diese Möglichkeiten bereitstellen, um zu sichereren Urteilen in bezug auf die Täterfrage zu kommen, um zu schnellerer Aufklärung zu kommen und um insbesondere dafür zu sorgen, daß sich nur möglichst selten Wiederholungstaten ereignen.
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Deshalb kennen wir in dieser Beziehung kein Tabu. Wir lassen uns auch nicht durch das allgegenwärtige und schwer zu greifende Gespenst des Datenschutzes - er darf kein Täterschutz sein - davon abhalten, dieses Ziel zu verfolgen.
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Das heißt gleichzeitig, daß wir natürlich -
Herr Kleinert, Ihre Redezeit ist beendet.
Frau Präsidentin, das heißt natürlich gleichzeitig, daß wir bei dieser Gelegenheit nichts, was für diesen speziellen Zweck nicht unbedingt erforderlich ist, durch die Hintertür im Sinne eines gläsernen Menschen einführen wollen.
Herzlichen Dank.
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Als nächste spricht die Kollegin Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der heutigen Debatte ganz bewußt als Frau Stellung nehmen, die seit vielen Jahren im Strafvollzug arbeitet, aber auch als eine Betroffene, die in ihrer Jugend sexuelle Gewalt und sexuellen Mißbrauch erfahren mußte.
Ich meine nicht - wie es von den Koalitionsfraktionen gefordert wird -, daß es eine Hilfe sein wird, den Strafrahmen für Sexualstraftäter zu erhöhen. Schauen wir uns doch einmal an, was in den Gefängnissen gegenwärtig tatsächlich passiert. Wer verurteilt wird, wird weggeschlossen. Das ist so banal wie erschreckend. Sie sitzen ihre Zeit ab. In der Regel passiert mit ihnen nichts.
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Ich möchte daran erinnern, daß Richter Sexualstraftätern schon heute in das Urteil hineinschreiben, daß sie Therapieauflagen befolgen müssen. Trotzdem fehlen im Strafvollzug Therapeuten, sind Therapeuten durch entsprechende Maßnahmen eingespart worden, sind nicht einmal die Qualifikationen für solche Therapien vorhanden.
Frau Däubler-Gmelin hat schon darauf hingewiesen, daß wir uns vor allen Dingen den Tätern zuwenden müssen. Im heutigen Strafvollzug - das sage ich hier ganz besonders als Frau - werden Sexualstraftäter nicht besser. Der Strafvollzug hat eine besonders frauenfeindliche Umgebung. Wer weiß, wie es in geschlossenen Anstalten aussieht, der weiß auch, daß 80 Prozent der dort einsitzenden Männer keine sozialen Kontakte nach außen mehr haben und daß die Männer, die aus langjähriger Haft entlassen werden, in der Regel eher rückfällig werden als die Männer, die therapiert werden bzw. Hilfestellung bekommen. Was nützt die Verschärfung von Sanktionssystemen, wenn dadurch - wie Gefangene selber sagen -„menschliche Zeitbomben" produziert werden?
Gerade vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen möchte ich heute nochmals zu unserem Antrag zur Abschaffung der Sicherungsverwahrung Stellung nehmen. Herr Geis und Herr Schmidt-Jortzig selber haben diese Abschaffung als problematisch bezeichnet. Ich meine, Sexualstraftäter werden im Strafvollzug auf die Sicherheitsverwahrung vorbereitet. Wenn Sie sich einmal genauer anschauen würden, wie die Situation in den Gefängnissen ist, dann wüßten Sie, daß mit Leuten, die Sicherheitsverwahrung haben, deren Haftstrafe in letzter Konsequenz zehn Jahre verlängert werden kann, im Strafvollzug überhaupt nichts veranstaltet wird, weil sie für das Personal Leute sind, die eh lange sitzen werden, die man lange wegschließt.
Es dürfte Ihnen auch bekannt sein, daß Straftäter in dem Moment, in dem sie in Sicherheitsverwahrung kommen, nicht mehr im normalen Strafvollzug sind, sondern in gesonderten Anstalten untergebracht werden. Ich weiß nicht, ob das die geeignete Form ist, jemandem wirklich ein anderes Frauenoder Kinderbild zu vermitteln. Sexualstraftaten sind ein gesellschaftliches Problem. Das ist hier heute schon mehrfach gesagt worden. Repressive Lösungen, wie sie von den Koalitionsfraktionen gefordert werden, wären, meine ich, in dem gesamten Bereich eine verfehlte Kriminalpolitik.
Es gibt kriminologische Untersuchungen, die in Anhörungen von Parteien, aber auch in Anhörungen vom Bundestag dargestellt wurden - sie sind nachlesbar - und besagen, daß die Sicherheitsverwahrung letztendlich zur Desintegration, zur Persönlichkeitszerstörung führt und, wie gesagt, den Sexualstraftäter keineswegs verändert.
Ganz nebenbei möchte ich darauf hinweisen, daß interessanterweise zwei Tätergruppen in Sicherheitsverwahrung genommen werden. Das sind einmal Täter, die Eigentumsdelikte begehen, und zum anderen die Rückfalltäter bei Sexualstraftaten. Es gibt keinen einzigen Fall von Tätern, die im Bereich Umweltschutz, bei Wirtschaftskriminalität oder Steuerhinterziehung Sicherheitsverwahrung bekommen haben, obwohl in diesem Bereich zumindest materiell ein sehr viel größerer Schaden als bei den Eigentumsdelikten entsteht.
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien versuchen mit den von ihnen vorgelegten Gesetzentwürfen, das gesellschaftliche Problem des frauenbedrohenden Männlichkeitswahns mit primär repressiven Mitteln zu lösen. Wer die im männlichen Teil der Bevölkerung weitverbreitete Frauenverachtung nicht als das zu therapierende zentrale Problem begreift, der kann Menschen noch so lange in Sicherheitsverwahrung verschließen und noch so viele Gutachten erstellen, er wird den Mythos einer überlegenen Männlichkeit nicht im Gefängnis kurieren. Das ist meine feste Auffassung.
Herr Schmidt-Jortzig, Sie wollen zum Schluß ein Gutachten erstellen lassen. Wenn wir davon ausgehen - so wird das vielfach gesehen -, daß Sexualstraftäter nicht per se krankhaft sind, sondern überall in unserer Gesellschaft zu finden sind, dann sage ich Ihnen aus meiner Erfahrung: Sexualstraftäter können sich sehr gut verstellen. Ein Gutachten wird überhaupt nichts bringen, wenn nicht kontinuierlich eine Therapie stattgefunden hat.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sexualverbrechen an Kindern sind besonders scheußlich und rufen bei allen Menschen Abscheu und Empörung hervor, in besonderem Maße dann, wenn es sich um Rückfalltaten handelt. In der Bevölkerung besteht weithin der Eindruck, die Zahl dieser Straftaten hätte zugenommen; man verlangt lebenslange Haft ohne Begnadigungsmöglichkeit, Sicherheitsverwahrung und Kastration. Die Zahl der Befürworter der Todesstrafe ist binnen eines Jahres von 27 Prozent auf 37 Prozent gestiegen.
Zu einer verantwortungsvollen Rechtspolitik gehört in einer solchen Situation, daß man einen klaren Kopf behält, kriminologische Fakten und Erfahrungen berücksichtigt und nicht auf Stimmungen setzt, sondern gesetzgeberisch das tut, von dem man sich guten Gewissens auch Wirkungen versprechen kann. Dazu gestatten Sie mir jetzt einige Bemerkungen.
Daß die Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern in signifikanter Weise zugenommen haben, läßt sich der Kriminalstatistik im langfristigen Vergleich nicht entnehmen. 1970 hatten wir 27 Fälle pro
100 000 Einwohner, seit den 80er Jahren pendelt diese Zahl zwischen 19 und 21. Mal steigt sie, mal fällt sie.
Diese quantitative Stagnation kann sicherlich weder die verängstigten Eltern noch den Gesetzgeber beruhigen; denn jede Tat ist eine zuviel. Sie sollte aber immerhin zur Kenntnis genommen werden, um nicht schon bei der kriminologischen Ursachenerforschung zu Fehlschlüssen zu kommen.
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Ich habe gerade wieder einmal gehört, daß die Gesellschaft für diese Taten verantwortlich gemacht wird. Das ist eine Simplifizierung, die weit von der Realität entfernt ist.
Im Antrag der SPD habe ich gelesen, seit den 80er Jahren werde in Deutschland über sexuelle Gewalt diskutiert. Ich wundere mich: Ist Ihnen der schlimme Fall Bartsch verborgen geblieben, der die deutsche Öffentlichkeit Ende der 60er Jahre aufgeregt hat?
In der Bevölkerung besteht der verbreitete Eindruck, die Strafen seien zu milde. Ich bin sehr vorsichtig, ein einziges Urteil zu kritisieren, wenn ich den Sachverhalt nicht vollständig kenne, und in der Regel kenne ich ihn nicht. Aber immerhin will ich sagen, daß mir dieser Vorwurf nicht ganz unberechtigt zu sein scheint.
Adressat der Vorwürfe, es werde gegen Sexualstraftäter zu milde vorgegangen, sollte die Strafjustiz und nicht der Gesetzgeber sein. Ich kenne kein Urteil, in dem der jetzt vorhandene Strafrahmen voll ausgeschöpft worden ist.
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Ich kenne auch kein Urteil, in dem die Richter gesagt hätten: Wir hätten gerne schärfer geurteilt, aber das Gesetz ließ es nicht zu.
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Was wir mit der Erhöhung der Strafrahmen tun können, ist nur ein Signal an die Justiz. Ich hoffe sehr, daß die Justiz dieses Signal aufnimmt. Sie muß berücksichtigen, daß das ihr entgegengebrachte Vertrauen geringer geworden ist. Es wird weiter abnehmen, wenn sich die Rechtsprechung von den Gerechtigkeitserwartungen der Bevölkerung weiter entfernt.
Meine Damen und Herren, wir sollten, wenn wir seriöse Rechtspolitik betreiben wollen, der Öffentlichkeit allerdings nicht verschweigen, daß der Abschreckungseffekt höherer Strafen gerade bei Triebtätern gering ist. Das gehört zum kriminologischen Allgemeinwissen. Die generalpräventive Wirkung hält sich in engen Grenzen. Was die Spezialprävention angeht, so tendiert sie beim bloßen Verwahrvollzug gegen Null. Eher wirkt eine erhöhte Verfolgungsintensität abschreckend. Deshalb steht im Gesetzentwurf völlig zu Recht im Vordergrund der Strafvollzug, nämlich die Frage: Was machen wir mit dem Häftling während der Haftzeit?
Damit sind wir beim Stichwort Therapie. Wir hatten in den 60er und 70er Jahren eine Therapieeuphorie. Inzwischen ist eine Ernüchterung eingetreten. Wir wissen, es gibt sozialfeindliche Persönlichkeitsstrukturen, die sich als außerordentlich resistent gegen therapeutische Bemühungen erweisen. Aber auf der anderen Seite dürfen wir nun auch nicht den gegenteiligen Fehler begehen und meinen, Therapie sei nutzlos. Es gibt unterschwellig nämlich die verbreitete Meinung, das sei unnütz ausgegebenes Geld.
Wir können, obwohl die Forschung noch im argen liegt, immerhin die Feststellung wagen, daß mit Therapie die Rückfallgefahr geringer ist. Wenn das so ist, dann ist Therapie nicht Menschenfreundlichkeit, nicht die Verteilung von Streicheleinheiten, sondern Opferschutz.
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Damit sind wir nun allerdings bei den Versäumnissen der letzten 30 Jahre. Wir haben zur Zeit weniger als 900 Haftplätze in sozialtherapeutischen Einrichtungen und 2 600 Personen, die wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern oder wegen Vergewaltigung inhaftiert sind. Selbst therapiewillige Straftäter müssen länger als ein Jahr auf einen Therapieplatz warten.
Bereits 1969 hat der Gesetzgeber die Einrichtung von sozialtherapeutischen Anstalten vorgesehen. Die Länder haben sich massiv dagegen gewehrt und haben immer wieder das Inkrafttreten des § 65 des Strafgesetzbuches verhindert. Schließlich haben sie durchgesetzt, daß dieser Paragraph tatsächlich nicht in Kraft trat. Das Ganze wurde ins Strafvollzugsgesetz verlegt. Seitdem sind keine neuen Therapieplätze geschaffen worden. Die Länder haben 1977 gesagt: Wir brauchen 6 000 Therapieplätze. Heute haben wir 900 - nach nahezu 30 Jahren. Meine Damen und Herren, das ist ein Trauerspiel.
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Das ist nicht die Verteilung des Schwarzen Peters. Wir haben keine Bundesgefängnisse, Frau DäublerGmelin. Die Strafvollzugsanstalten sind Länderanstalten. Ich mache den Justizministern keinen Vorwurf. Sie bemühen sich. Aber wir müssen den Landeskabinetten und auch den Landtagen sagen, daß hier etwas geschehen muß.
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Es ist unpopulär, etwas für Gefängnisse und Therapieanstalten zu tun; das weiß ich. Aber trotzdem muß es geschehen. Jede dritte Stelle in den Länderhaushalten ist weniger wichtig als dieses Geld zur Sicherheit unserer Kinder.
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Was machen wir mit den Nichttherapiefähigen? Wir müssen die Öffentlichkeit vor diesen Tätern schützen. Deshalb müssen und wollen wir die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung erweitern. Aber auch hier stehen wir vor der ungeheuer schwierigen Aufgabe - es gibt kaum eine Aufgabe, die schwieriger ist -, zu unterscheiden: Wen schicke ich lebenslang hinter Gitter, und bei wem kann ich es verantworten, ihn zu entlassen?
Dazu brauchen wir Sachverständige. Wir haben aber zuwenig Sachverständige.
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Wir brauchen 120 qualifizierte Sachverständige, und wir haben nur 40. Wir haben in der Bundesrepublik nur drei Lehrstühle für forensische Psychiatrie. Wenn ich mir anschaue, für was es an den deutschen Universitäten Lehrstühle gibt, dann muß ich das für einen Skandal halten.
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Die Forschung wird bei uns vernachlässigt; auch hier muß etwas geschehen.
Ich bin mir bewußt, meine Damen und Herren, daß ich mit diesen Bemerkungen etwas Wasser in den Wein der guten Vor- und Ansätze gegossen habe. Wir in der Koalition - ich glaube, wir werden hier auch fraktionsübergreifend zu Ergebnissen kommen - werden das tun, was wir tun können und tun müssen.
Wenn die neuen gesetzlichen Regelungen dann im Bundesgesetzblatt stehen, ist im Grunde noch nichts oder nur der erste Schritt getan. Sie müssen dann umgesetzt werden. Das aber kostet Geld; das belastet auch die Länderhaushalte. Wir dürfen nicht müde werden, darauf hinzuweisen und es auch anzuprangern, daß dieses Geld vorhanden sein muß, insbesondere wenn ich bedenke, daß netto nur 1 bis 2 Prozent der Länderhaushalte für die Justiz ausgegeben werden.
Vielen Dank.
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Für den Bundesrat erhält nun der Justizminister des Landes BadenWürttemberg, Dr. Ulrich Goll, das Wort.
Minister Dr. Ulrich Goll ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nie war der Ruf nach dem Strafgesetzgeber verständlicher als nach den fürchterlichen Delikten an Kindern, die passiert sind und die die Menschen bewegt haben. Aber nie war es deswegen auch wichtiger, den Sinn für die Möglichkeiten und Grenzen des Strafrechts im Auge zu behalten.
Es ist die Aufgabe der ganzen Gesellschaft und jedes einzelnen, sexuellem Mißbrauch von Kindern entgegenzutreten. Das heißt zum Beispiel sachliche
Minister Dr. Ulrich Goll ({1})
Aufklärung der Kinder ohne Panikmache. Das heißt auch, ein offenes Auge und ein offenes Ohr dafür zu haben, was in der Umgebung vorgeht. Man muß den Mut zum Einschreiten haben, wo es nötig ist. Das heißt auch die gesellschaftliche Ächtung von allem, was mit dem Mißbrauch von Kindern zu tun hat: die Ächtung von Kinderpornographie, auch in Form sogenannter FKK-Hefte, von Sextourismus und anderen Formen der Ausbeutung.
Auch das Strafrecht kann natürlich einen wichtigen Beitrag leisten. Die strafrechtliche Einstufung eines Rechtsguts bringt seinen Stellenwert in der Gesellschaft zum Ausdruck, auch wenn wir nicht davon ausgehen dürfen, daß ein zum sexuellen Mißbrauch Entschlossener vorher in das Strafgesetzbuch schaut.
Strafrecht wirkt vor allem dann abschreckend, wenn der Täter die naheliegende Gefahr vor Augen hat, erwischt zu werden. Gerade in diesem Bereich ist noch viel zu tun. Ich will mich nicht an Spekulationen zur Dunkelziffer beteiligen; aber sie ist sicher viel zu hoch. Das muß geändert werden.
Kinder müssen befähigt werden, ihren Eltern noch mehr Vertrauen entgegenzubringen. Sie müssen Vertrauen bekommen, damit sie sich äußern. Verwandte, Nachbarn, Erzieher müssen Signale von Kindern, die auf sexuellen Mißbrauch hindeuten, ernst nehmen. Kinderärzte, aber auch Vertreter sozialer Berufe sollten ihr Wissen nicht für sich behalten, sondern sie sollten es im Rahmen der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten weitergeben durch Information anderer Stellen, auch der Strafverfolgungsbehörden.
Mir ist klar, daß es umgekehrt an uns liegt, das Strafverfahren so zu gestalten - gerade auch durch den Schutz der Zeugen und der Opfer -, daß bei den Opfern nicht weitere Schäden im Strafverfahren entstehen können und daß die Zeugen so behandelt werden, daß sie auch im Wiederholungsfall - das ist der Maßstab - wieder zur Verfügung stehen und nicht, wenn sie einmal an einem Strafverfahren teilgenommen haben, sagen: Einmal und nie wieder!
Die strafrechtliche Reaktion steht auf zwei Beinen: Repression und Prävention. Nur zu leicht verengt sich der Blick auf die Repression. Ich verstehe es auch, wie gesagt, daß so schwere Taten, wie sie Auslöser der öffentlichen Diskussionen waren, den Ruf nach Vergeltung und den Ruf nach Rache aufkommen lassen.
Sicher muß dem Schuldausgleich durch eine gerechte Strafe Genüge getan werden. Für die potentiellen Opfer ist es aber wichtiger, daß der Täter, der bei leichteren Taten in aller Regel irgendwann wieder in Freiheit kommt, keine Straftaten mehr begeht. Daß dafür die abschreckende Wirkung einer Freiheitsentziehung - so wichtig sie ist - nicht ausreicht, lehrt die Erfahrung. Das ist auch von den Vorrednerinnen und Vorrednern entsprechend betont worden.
Viel wichtiger ist das, was mit den Tätern im Strafvollzug geschieht. Sie müssen dazu gebracht werden, nach der Entlassung ein straffreies Leben zu führen. Als sehr wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Resozialisierung hat sich eine angemessene psychologische Betreuung oder auch eine therapeutische Behandlung erwiesen. Hier hat der Vollzug in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Es ist aber sicher noch nicht genug geschehen.
Vor allem - das sehe auch ich so - müssen die Möglichkeiten der Sozialtherapie im Vollzug ausgebaut werden. Wir dürfen dabei vor den leeren Kassen nicht vorschnell kapitulieren. Unsere Kinder, Herr Abgeordneter Eylmann, müssen uns das wert sein. Das wird jeder genauso sehen.
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In Baden-Württemberg ist es in jüngster Zeit als Anfang immerhin gelungen, sechs neue Therapeutenstellen zur Verfügung zu stellen; übrigens durch Stellenverzicht anderer Ressorts.
Ich halte es für ein ganz wichtiges Anliegen, daß man nun einen Verurteilten auch ohne seine Zustimmung vorübergehend in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegen kann. Wir wissen zwar, daß eine Therapie, der sich der Proband dauerhaft widersetzt, auf Dauer natürlich keinen Erfolg haben kann. Es macht aber durchaus Sinn, einen unwilligen, aber therapiebedürftigen Täter zunächst zu veranlassen, sich einer Behandlung erst einmal zu stellen, und auf diese Weise die erforderliche Motivation zu schaffen.
Bei der Entscheidung über die Einweisung in die Sozialtherapie sollten wir allerdings das Wissen und die Erkenntnisse des Strafvollzugs aus 20 Jahren berücksichtigen. Diese Erkenntnisse des Strafvollzugs können nur eingebracht werden, wenn vorher überhaupt Gelegenheit bestanden hat, den Betroffenen im Regelvollzug ein Stück weit zu begutachten. Das war der Grund, weshalb wir uns gegen die Entscheidung des erkennenden Gerichts ausgesprochen haben, und nicht, weil wir uns gegen mehr Therapie wehren wollen, egal, auf welchem Weg sie nun auf uns zukommt. Uns geht es vielmehr darum, daß, nachdem der Strafvollzug 20 Jahre lang Erfahrungen mit der Sozialtherapie gesammelt hat, diese Erkenntnisse auch berücksichtigt werden, wenn es darum geht, die auszuwählen, die für eine Therapie geeignet sind.
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- Vielen Dank, Herr Geis. Wir sind uns ja in wesentlichen Punkten dieses Gesetzentwurfs wirklich einig.
Wir sind uns auch darin einig, daß die Therapie eine Möglichkeit bietet, daß sie aber Grenzen hat. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus jüngster Zeit belegen, daß die Rückfallgefahr Gott sei Dank vermindert werden kann. Sie kann in vielen Fällen aber nicht ganz beseitigt werden. Trotz intensiver therapeutischer Behandlung wird ein Teil der Behandelten rückfällig. Eine Reihe von Tätern ist von vornherein nicht therapierbar, so daß bei ihnen die Rückfallgefahr noch größer ist. Hier gilt es, die gefährlichen Täter möglichst lange im Strafvollzug zu lassen, insMinister Dr. Ulrich Goll ({4})
besondere keine Vollzugslockerung zuzulassen und in Fällen, in denen entsprechende Gefahren drohen, Strafreste eben nicht zur Bewährung auszusetzen.
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Wie sollen wir die wirklich gefährlichen Täter erkennen? Das ist wahrscheinlich die heikelste Frage in dieser Debatte. In Baden-Württemberg ist schon vor geraumer Zeit ohne eine entsprechende gesetzliche Anordnung durch das Justizministerium bestimmt worden, daß bei Sexualtätern Lockerungen grundsätzlich erst nach der Einholung zumindest eines internen Gutachtens zur Flucht- und Mißbrauchsgefahr gewährt werden. Bei höheren Straftaten ist obligatorisch ein externer Gutachter einzuschalten.
Wir begrüßen natürlich, daß jetzt die Begutachtung der Rückfallgefahr vor der Reststrafenaussetzung gesetzlich verankert werden soll. Gerade aus unseren Erfahrungen heraus muß ich allerdings auch sagen: Externe Gutachten sind auch in zeitlicher Hinsicht sehr aufwendig. Vor allem sind im Moment kompetente Gutachter sehr selten, und nur kompetente sollten wir aussuchen. Deswegen gilt es auch hier, die Kapazität für die wirklich gewichtigen Fälle zu schonen und dort zu konzentrieren und nicht durch einen Schrotschuß auf alle möglichen Fälle zu vergeuden.
Schließlich - ich habe es angedeutet - müssen wir sehen, daß es einige höchst gefährliche Täter gibt, für die weder lange Strafen genügend Abschrekkungswirkung bringen noch Therapien die Rückfallgefahr entscheidend mindern können. Solche müssen wir möglichst lange von der Gesellschaft fernhalten. Dazu ist die Sicherungsverwahrung kein schönes, aber das einzige Mittel. Es ist dringend erforderlich, bereits beim ersten Rückfall eines Sexualstraftäters diesen Notanker zum Schutz vor höchst gefährlichen Kriminellen einsetzen zu können. Außerdem ist es geboten, schon die erste Sicherungsverwahrung ausnahmsweise unbefristet zu vollziehen, wenn sich trotz zehnjähriger Verwahrung nach der Strafe zeigt, daß mit aller Wahrscheinlichkeit weitere Sexualstraftaten zu befürchten sind.
Meine Damen und Herren, der Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs von Kindern wird in wesentlichen Teilen zu einem Verbrechen heraufgestuft. Damit werden all die abscheulichen Handlungen zu Verbrechen gemacht, an die man in der Öffentlichkeit im Zweifel denkt, wenn die Forderung nach Rufstufung des Mißbrauchs von Kindern zum Verbrechen erhoben wird. Darüber hinausgehende Forderungen, alle Tathandlungen zu Verbrechen zu machen, sind gut gemeint. Aber wie es eben so oft ist, ist gut gemeint das Gegenteil von gut.
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Wir wollen den Zungenkuß des 15jährigen mit der 13jährigen - das Beispiel ist nun oft genug zitiert worden - nicht zum Verbrechen machen. Wir wollen uns auch nicht den Weg des Strafbefehlsverfahrens ganz abschneiden, das in leichteren Fällen dem Opfer die Hauptverhandlung ganz ersparen kann. Auch das ist nämlich ein Stück Opferschutz.
Der Entwurf, der heute eingebracht wird, schöpft an dieser Stelle und generell die Möglichkeiten des Strafrechts sinnvoll aus. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren muß die Verbesserung der staatlichen Maßnahmen gegen Sexualdelikte rasch kommen. Wir sind es den Opfern schuldig.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir debattieren, lernen Kinder in der Schule, spielen im Kindergarten oder erfahren Wärme und Liebe durch ihre Eltern. Aber genau jetzt erfahren Kinder auch körperliche und sexuelle Gewalt, fühlen sich Kinder ausgeliefert, allein gelassen, schutzlos. Sie brauchen unsere Parteinahme und Hilfe. Deshalb glaube ich, daß es endlich Zeit wird, das Opfer in den Mittelpunkt zu rücken und nicht immer den Täter.
({0})
Es wird mir in der aktuellen öffentlichen Diskussion zu viel über die Täter und zu wenig über die Opfer geredet.
Herr Minister Schmidt-Jortzig, von vielen wurde heute angesprochen, daß wir die Opfer in den Mittelpunkt rücken müssen. Aber allein die Tatsache, daß sich Ihre Vorschläge auf das Strafrecht beschränken, fördert geradezu, daß wir - auch in der heutigen Debatte - immer wieder über Strafrecht und Täter sprechen, aber sehr wenig über das, was wir tun müssen, um die Opfer im präventiven Bereich zu schützen.
({1})
Deswegen müssen wir weitergehende Fragen stellen. Wir müssen fragen: Was muß eigentlich getan werden, um weitere Opfer zu vermeiden? Was muß geschehen, um potentielle Täter zu verhindern? Wo müssen wir ansetzen, um den Kreislauf der Gewalt endlich zu durchbrechen?
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Allein an diesen Fragen wird deutlich: Mit dem Strafrecht zu drohen, Herr Schmidt-Jortzig, hat relativ wenig Sinn.
Wir sind uns zwar in der Einschätzung einig, daß die Heraufsetzung der Freiheitsstrafe Straftaten nicht verhindert, aber ein notwendiges Signal für die Gesellschaft ist, daß wir diese Verbrechen ächten und verurteilen werden. Jedoch trifft der Maßnahmenkatalog, den Sie heute vorgelegt haben, immer nur eine kleine Minderheit: die Inhaftierten und die Angezeigten. Das ist nicht die Masse der Täter. Die Masse der Täter wird nicht angezeigt und wird niemals einen Gerichtssaal betreten, wenn alles so bleibt, wie es ist.
Ulla Schmidt ({3})
Herr Kollege Eylmann, Sie haben eben von der Diskussion in den 80er Jahren gesprochen. Dabei meinen wir gerade diese Masse der Täter. Erst in den 80er Jahren hat eine Enttabuisierung der sexuellen Gewalt im familiären Nahbereich stattgefunden. Fälle wie Jürgen Bartsch waren nie eine Frage in dieser Gesellschaft. Jürgen Bartsch ist ein Sexualmörder gewesen, und Sexualmörder sind immer öffentlich angeprangert und verurteilt worden. Die Gesellschaft ist ganz eindeutig damit umgegangen: Diese Verbrechen wurden nicht geduldet. Aber lange Zeit wurden die Augen davor verschlossen, daß sexuelle Gewalt in ganz anderen Bereichen stattfindet: Nicht der „böse Onkel" - vor dem würden die Kinder weglaufen -, sondern der „gute Onkel" war und ist es, der Kinder für sexuelle Gewalt so anfällig macht.
Deshalb werden wir sexuelle Gewalt langfristig nur bekämpfen können, wenn wir in der öffentlichen Diskussion, in der heutigen Debatte im Bundestag und auch bei dem, was wir letztendlich an Maßnahmen beschließen, den präventiven, also vorbeugenden Bereich sowie den Schutz und die Rechtsansprüche der Opfer und ihrer Familien genauso wichtig nehmen wie die Verfolgung, Bestrafung und Therapie der Täter. Das haben wir mit unserem 30-PunkteProgramm versucht.
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Wir müssen das Kind, seine eigenständigen Persönlichkeitsrechte, seine Würde und seinen Anspruch auf umfassenden Schutz durch die Gesellschaft zum Ausgangspunkt unseres gesetzgeberischen Handelns machen. Erfolgreiche Prävention, verstanden im wahrsten Sinne des Wortes als ,,praevenire" - das heißt: zuvorkommen -, bedeutet in der Praxis, Bedingungen dafür zu schaffen, daß Gewalt erst gar nicht entstehen kann.
Weil dies heute manchmal etwas zu kurz kommt, möchte ich einige Bereiche exemplarisch aufführen, in denen wir tätig werden können:
Erstens. Wir alle haben meines Erachtens eine ganz große Verantwortung und Verpflichtung, die wir als Bundestagsabgeordnete durch das wahrnehmen können, was wir nach außen tragen. Wir sind im Interesse unserer Kinder aufgefordert, breit darüber zu debattieren, wie wir einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Bewußtseinswandel herbeiführen können, damit Kinder in unserer Gesellschaft ihrer Würde entsprechend behandelt und respektiert werden.
Zweitens. Herr Minister Goll, ich stimme Ihnen zu: Das gesamte Umfeld - nicht nur Eltern, Kindergärten und Schulen, sondern auch Ärztinnen und Ärzte, Vereine, Kirchen und Sozialdienste - hat die Pflicht zum Einschreiten. Niemand darf Augen und Ohren verschließen, wenn Erwachsene die Inzest- und Generationenschranke durchbrechen.
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Drittens. Jeder und jede sollten sich ihrer Verantwortung bewußt sein. In diesem Zusammenhang spreche ich auch einmal die Vertreterinnen und Vertreter der Medien an. Weite Teile der Berichterstattung über sexualisierte Gewalt sind oft von Sensationseffekten bestimmt. Jeder Journalist und jede Journalistin müssen wissen: Mit der Auswahl der Bilder werden Entscheidungen darüber getroffen, ob Kinder bloßgestellt werden oder nicht und ob diese Bilder als Anregung für potentielle Täter dienen oder nicht. Die mittlerweile alltägliche Darstellung von Gewalt und Sex in weiten Teilen der Berichterstattung, der Werbung, in Filmen und im Internet trägt mit dazu bei, daß die Hemmschwelle immer weiter sinkt, eine zunehmende Entgrenzung zwischen Erwachsenen und Kindern stattfindet und dadurch unsere Kinder schutzlos werden.
Viertens. Wir brauchen Modelle der Gewaltprävention. Ein Beispiel hierfür ist die Sozialisierung von Jungen. Es sind vor allen Dingen Jungen, die in jugendlichem Alter in der Phase der männlichen Identitätsgewinnung mit sexuellen Mißhandlungen beginnen und diese bis in das hohe Lebensalter praktizieren.
Hier anzusetzen ist ein ganz wichtiger Bereich der Täterprävention. Jungen müssen bei der Entwicklung einer männlichen Identität und bei dem Erlernen eines Verhaltens, das ohne Gewalt auskommt, unterstützt werden. Wer auf eine emanzipierte und partnerschaftliche Erziehung zurückgreifen kann, braucht keine gewalttätigen Vorbilder wie Rambo oder den Terminator.
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Fünftens. Es ist mittlerweile bekannt: Zwischen körperlicher und sexueller Gewalt in den Familien besteht ein enger Zusammenhang. Erwachsene, die heute angeben, sie seien Opfer sexueller Gewalt geworden, haben deutlich öfter ein konfliktbelastetes Familienleben erlebt. Sie haben Gewalt erfahren und deutlich weniger emotionale Zuwendung erhalten. Genau hier ist die Stelle, an der die Täter anknüpfen. Die Täter suggerieren den Kindern emotionale Zuwendung, wissen sie einzuschüchtern, um sie dann zu instrumentalisieren. So werden Opfer geschaffen, aber auch neue Täter.
Sechstens. Hier zu handeln ist nicht allein Aufgabe der Familie. Wir alle sind aufgefordert, Familie als bewußt gelebte Lebensgemeinschaft zu begreifen und auch zu fördern, eine Familie, in der Kinder mit Vertrauen, Selbstvertrauen, Liebe und Wissen ausgestattet und gewaltfrei erzogen werden. Erst dann haben Kinder die besten Chancen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß genauso wie Sie: Einen hundertprozentigen Schutz wird es nie geben. Allein das Strafrecht greift mit Sicherheit zu kurz. Es setzt erst dann ein, wenn Täter und damit neue Opfer wieder vorhanden sind. Wir müssen früher ansetzen. Der Bereich der Prävention ist mit Sicherheit der schwierigere Teil. Herr Minister Schmidt-Jortzig, ich glaube, er umfaßt auch mehr als Tätertherapie und Senkung der Rückfallquote. Er muß am Entstehen der Gewalt ansetzen und nicht am Ende der Kette von Gewalt. Deshalb halten wir die Verankerung von Kinderrechten in unserer VerUlla Schmidt ({7})
Fassung und das Gebot der gewaltfreien Erziehung für einen wichtigen Schritt, die Gesellschaft zu sensibilisieren und den Kreislauf von Gewalt zu durchbrechen.
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Wenn heute morgen Herr Kollege Geis gesagt hat, daß Grundrechte ungeteilt sind und deshalb auch keine Veränderung brauchen, dann erinnere ich Sie daran, Herr Kollege Geis, daß die Menschenrechte für uns unteilbar sind. Trotzdem müssen wir uns immer noch darüber unterhalten, ob diese Unteilbarkeit von Menschenrechten auch für Frauen gilt - auch in unserem Lande, nicht nur in fernen Ländern.
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Kinder werden oft als Eigentum von Eltern und Erwachsenen betrachtet. Erinnern Sie sich einmal daran: Wie oft gehen wir hin und tätscheln ein Kind an der Wange, wenn es im Kinderwagen liegt. Es lacht uns ja so nett an, und es ist ja so lustig. Deshalb machen wir das.
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Überlegen Sie einmal, Sie stehen im Aufzug, kommen hier ins Plenum, und wir kommen immer und sagen: Ach, was sind Sie ein netter Kerl.
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Das geht noch bei Bekannten. Aber es zeigt, Herr Kollege, wo die Grenze überschritten wird, was eigentlich an eigenständigen Rechten respektiert werden müßte.
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Prävention beginnt im Kopf. Das Verhalten von Menschen zueinander, das Verhalten von Erwachsenen zu Kindern muß sich in Richtung gleichberechtigter Partnerschaft ändern. Wir alle können mit unserem Einfluß und unseren Chancen, in die Medien zu kommen, dazu beitragen. Wir müssen nur mutig genug sein, die Dinge beim Namen zu nennen und auch Dinge zu fordern.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Mitglieder der Kinderkommission des Deutschen Bundestages nehmen heute zu diesem Thema Stellung. Das macht deutlich, daß die Behandlung des Themas „Kindesmißbrauch" eine zentrale Aufgabe aller in diesem Haus versammelten Parteien ist. Deshalb sehen wir es als gemeinsame Aufgabe an, auch die richtigen Lösungen zu finden.
Wir haben heute eine Regierungsvorlage, die naturgemäß nur die Antwort auf gestellte Fragen aus der Sicht des Strafrechts bieten kann. Natürlich greift diese Antwort zu kurz. Wir wissen, daß die strafrechtliche Antwort nur ein Teil der Lösung des gesamten Problems sein kann.
Ich möchte einige Fragen stellen, die uns meines Erachtens weit über den heutigen Tag hinaus betreffen werden, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, wenn wir dem Gesamtproblem gerecht werden wollen. Ich sage Ihnen eines, Frau Schmidt und Frau Däubler-Gmelin: Der Hinweis darauf, daß wir uns jetzt viel mit Tätern beschäftigen, heißt doch keineswegs, daß wir nicht an die Opfer denken. Ganz im Gegenteil. Wenn wir potentielle Opfer, nämlich die Kinder, schützen wollen, dann müssen wir uns mit den Menschen beschäftigen, die potentielle Täter sein können. Das ist doch sonnenklar.
({0})
Deswegen lassen Sie mich Ihnen erst einmal die Fragen nahebringen, die meines Erachtens wichtig sind. Gerade das Beispiel Flachslanden - dieser kleine Ort in Mittelfranken, wo ein erheblicher Teil der dörflichen Bevölkerung an unglaublichen Verbrechen gegenüber Kindern teilgenommen hat, wo über Jahre nichts bekannt wurde - zeigt uns doch mehr als deutlich: Warum schweigen Väter, Mütter, Tanten, Onkel, wenn sie von sexuellem Mißbrauch im familiären Umfeld erfahren? Wir hörten heute, 80 Prozent der Fälle - so schätzt man - geschehen im familiären Umfeld. Fehlt es an der Zivilcourage? Fehlt es nicht vielleicht auch an der Einsicht in die grauenvollen Auswirkungen derartigen Fehlverhaltens auf die Kinder?
Zweite Frage: Wie groß ist denn der Bevölkerungsanteil derer, die durch ihre sexuelle Orientierung überhaupt als Täter in Frage kommen?
Drittens. Wie entsteht diese sexuelle Orientierung, und inwieweit ist sie tatsächlich therapierbar?
Viertens. Wie schaut es denn mit der Rückfallswahrscheinlichkeit bei den verschiedenen Tätergruppen aus, mit denen wir es hier zu tun haben?
Vielleicht auch fünftens: Woran liegt es, daß in den 50er und 60er Jahren sehr viel mehr Fälle von sexuellem Mißbrauch bekannt wurden, die auch zu Verurteilungen führten? Könnte es sein - das müssen wir ganz offen diskutieren -, daß die größere sexuelle Freizügigkeit in unserer Gesellschaft, aber auch in den Medien hier eine positive Auswirkung gehabt hat?
Ich muß Ihnen mitteilen, daß die Universität Kiel ein Forschungsprojekt zur Beantwortung all dieser Fragen vorhatte und daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft dieses Projekt abgelehnt hat, weil es angeblich zu teuer sei. Ich glaube, hier wurde am falschen Ende gespart; denn jeder, der sich in den letzten Wochen ernsthaft mit dieser Thematik beschäftigt hat, weiß, wie viele der Fragen eben noch nicht gelöst sind, die aber dringend angesprochen werden müssen.
Wir können schon jetzt sagen: Es gibt Menschen mit einer sogenannten pädophilen Hauptströmung. Das sind Menschen, die nur mit Kindern Sex erleben
Hildebrecht Braun ({1})
können, weil ihre Orientierung eine andere Befriedigung nicht zuläßt. Nach einer Untersuchung von Professor Wille aus Kiel ist hier eine Rückfallquote von über 85 Prozent gegeben. Er meint, daß eine Therapierbarkeit im Sinne einer Umlenkung des Sexualtriebs auf andere Erfüllungsmuster nicht möglich sei. Genau diese Frage gilt es aber dringend und umfassend zu untersuchen.
Es gibt eine weitere Gruppe, der eine pädophile Nebenströmung attestiert wird. Es handelt sich hier um Männer, die zwar grundsätzlich auf gleichaltrige Sexualpartner hin orientiert sind, die aber in krisenhaften Situationen auch durch Kinder sexuell erregbar sind. Bei ihnen ist die Rückfallquote niedriger. Sie sind wohl am ehesten einer Therapie zugänglich; denn für sie ist das sexuelle Erlebnis mit dem Kind quasi etwas, was aus der sonstigen Sexualität herausragt: man könnte sagen - ich bitte, mich hier nicht mißzuverstehen -, ein Highlight, das aber nicht sein muß, da eben andere Möglichkeiten der sexuellen Erfüllung gegeben sind. Hier mag auch die hohe Strafdrohung eine gewisse Wirkung haben.
Schließlich gibt es - das ist mir besonders wichtig, dies hier anzusprechen - die Gruppe der pädophilen Ersatztäter. Hierbei handelt es sich meist um jüngere, sexuell unerfahrene Menschen, die zwar Sexualität mit gleichaltrigen Partnern meist des anderen Geschlechts anstreben, aber auf Grund einer Entwicklungsstörung oder auch auf Grund von Kontaktschwierigkeiten sexuellen Erfolg bei Gleichaltrigen nicht erlangen können und daher ersatzweise auf Kinder ausweichen. Ich erwähne diese Gruppe deshalb, weil sie eine äußerst geringe Rückfallquote von unter 5 Prozent aufweist. Ich betone, daß dies schon in großen Untersuchungen in den 60er Jahren zutage getreten ist. Professor Wille hat jetzt wieder Untersuchungen unternommen, die zum selben Ergebnis führen.
Da ich zum Schluß meiner Redezeit komme, möchte ich mit aller Deutlichkeit dafür werben, daß wir jugendliche Täter nicht mit denen in einen Topf werfen, die auf Grund ihrer eindeutigen sexuellen Orientierung langfristig eine wirkliche Gefahr für die Kinder darstellen. Jugendlichen müssen wir eine sehr viel größere Chance zur Therapie, aber auch zu einer andersgearteten Reaktion des Staates lassen, sonst machen wir einen großen Fehler, auch zu Lasten unserer Kinder.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege Braun, Frau Kollegin Wolf wollte eine Frage an Sie richten. Würden Sie diese noch beantworten?
Ja.
Herr Kollege Braun, ich habe jetzt noch eine Frage, weil Sie so ausführlich auf den Bereich der pädophilen Gewalt eingegangen sind, als wenn das praktisch etwas wäre, was man nicht abstellen könnte. Ich hätte noch gerne
Auskunft über einen Punkt. Ist Ihnen nicht bekannt, daß Sexualität dieser Art hauptsächlich ein Ausagieren von Macht ist und nicht eine Sexualität, die man ausleben muß? Das ist doch jedesmal die Mär, die hier verbreitet wird, daß es eine Sexualität ist. Im Grunde weiß man: Es hat mit Sexualität fast nichts zu tun, sondern es ist sexualisierte Gewalt. Das ist auch bei den Pädophilen der Fall. Diese verfügen anscheinend über noch weniger Verantwortungsgefühl oder eine Sperre, um zu erkennen, wo Grenzen sind.
Würden Sie das noch einmal erklären, oder glauben Sie, daß das wirklich eine normale Sexualität ist?
Es kommt sicherlich nicht in Frage, hierbei von normaler Sexualität zu sprechen, sondern es handelt sich um eine Sonderform der Sexualität mit ganz besonders gefährlichen Auswirkungen. Darüber sind wir uns sicher einig.
Es kann aber nicht angehen, Sexualität ausschließlich auf die Ausübung von Macht, von Gewalt zu reduzieren. Es ist sehr viel mehr dabei, Sexualität ist ein sehr viel umfassenderer Begriff, der es ganz schlicht nicht verträgt, in dieser Form simplifiziert zu werden.
({0})
Es ist offensichtlich unter den Sexualwissenschaftlern keine Frage, daß der von Ihnen in die Diskussion gebrachte Aspekt einen Teil ausmacht, aber Sexualität im Sinne von erlebter sexueller Erfüllung ist zweifellos das eigentlich im Vordergrund Stehende. Der von Ihnen angesprochene Aspekt muß natürlich ebenso berücksichtigt werden. Wir sollten ihn nur nicht als den alleinigen Gesichtspunkt sehen.
Möchten Sie noch eine zweite Zwischenfrage beantworten? - Aber dann müssen wir diesen Dialog beenden.
Würden Sie bestätigen können, daß erst in allerjüngster Zeit auch auf Grund dieser öffentlichen Diskussion folgendes offensichtlich wird? - Bei diesem Phänomen der Pädophilen - dieser Name ist ohnehin schon absurd, denn das ist keine Liebe zu Kindern, sondern Zerstörung von Kindern - handelt es sich einerseits eben doch um kriminelle Taten, was wir in der Gesellschaft sehr, sehr lange tabuisiert haben, und andererseits hatten pädophile Täter - auch von der Wissenschaft gestützt - beträchtliche Freiräume.
Nein, Frau Wolf, auch hierin kann ich Ihnen nicht zustimmen.
Es ist sicherlich richtig, daß der Sachverhalt, der mit der Bezeichnung Pädophilie umschrieben wird, in den Kulturen - auch in den Kulturen lange Zeit vor Christi Geburt - längst bekannt war und dort teilweise auch als Bestandteil der Kultur gesehen wurde. Daß wir sie aber heute selbstverständlich als einen Ausdruck extremster Form von Kriminalität sehen und sehen müssen, ist sonnenklar.
Hildebrecht Braun ({0})
Ich glaube, darüber sind wir uns hier alle einig, und deswegen sollten wir das vielleicht nicht weiter vertiefen.
Als nächste hat die Kollegin Rosel Neuhäuser das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte kurz noch einmal auf die Rolle der Kinder in diesem Gesetzgebungsverfahren eingehen.
Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Verbesserung der Rechtsstellung der Kinder im Grundgesetz läßt sich natürlich in diese Debatte einordnen, jedoch bedaure ich das fast. Ich denke, die Intentionen dieser Grundgesetzänderung gehen weit über den Problemkreis von Sexualstraftaten und Gewalt an Kindern hinaus.
Der Ausschuß der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes hatte die Bundesrepublik Deutschland Ende 1995 zu weiteren Bemühungen um einen verfassungsmäßigen Status der Kinderrechte ermuntert. Gut anderthalb Jahre später ist die Bundesregierung offiziell der Meinung, die Prämissen der UN-Kinderrechtskonvention weitgehend umgesetzt zu haben. Aus unserer Sicht besteht zur Zufriedenheit jedoch kein Anlaß, im Gegenteil.
Ich betrachte hier nur einmal die Antwort des Familienministeriums auf die Frage nach den haushaltspolitischen Schwerpunktsetzungen der Bundesregierung für die Umsetzung der Verpflichtungen, die aus der UN-Kinderrechtskonvention erwachsen. Die Auskünfte sind symptomatisch, realitätsfern und borniert. Den nachweislich völlig unzureichend reformierten Familienleistungsausgleich kann eine Familienministerin in der Tat nur dann als Paradepferd vorführen lassen, wenn sie die Augen vor der Wirklichkeit ganz fest verschließt.
Meine Damen und Herren, Kinder sind ein Armutsrisiko. Diese Einschätzung kommt nicht aus linken Revoluzzerkreisen, sondern von der Bundesbank, aber offensichtlich ist die Bundesregierung immer noch nicht gewillt, ihren politischen Schwerpunkt anders zu setzen.
Es geht um die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen in unserem Land, um Gewalt und Straftaten zu vermeiden. Darauf haben schon einige meiner Vorredner hingewiesen. Daher erscheint es mir durchaus als vernünftiger Ansatz, die bisher als Individualrechte nicht einklagbaren Vereinbarungen im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention rechtlich so zu fixieren - sei es in der Verfassung oder im Bürgerlichen Gesetzbuch -, daß Sonntagsreden und schöne Versprechungen allein nicht mehr dazu ausreichen, von einer wirklichen Umsetzung dieser Forderungen zu sprechen.
Der vorliegende Antrag der SPD ist also ein Schritt in die richtige Richtung, ein erster Schritt, der Kinder als eigenständige Menschen mit einklagbaren Rechten im Grundgesetz verankert. Es wäre schon viel gewonnen, wenn dies gelingen würde. Es muß alles getan werden, um die alten paternalistischen Denkmuster von der allgewaltigen Verfügungsmacht der Erziehungsberechtigten über Kinder aufzubrechen, die sich immer wieder selbst in die gutgemeinten Diskussionen über das Kindeswohl einschleichen. Der Weg zur wirklichen Veränderung im gesellschaftlichen Bewußtsein ist noch immer sehr mühsam. Aber auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.
In diesem Sinn ist auch die Forderung nach der verfassungsmäßigen Festschreibung einer gewaltfreien Erziehung zu verstehen. Sicher unterbindet eine derartige Gesetzesänderung weder physische noch psychische Gewalt gegen Kinder. Aber sie kann die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt als Erziehungsmittel mindern. Auf längere Sicht muß es aber auch darum gehen, Gewalt innerhalb der Gesellschaft zu mindern und zu verbannen. Die Ursachen von Gewalt müssen benannt werden, und Gewalt muß in allen Erscheinungsformen erfaßt werden. Speziell dem Problem materieller Gewalt muß erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden. An dieser Stelle stehen wir jedoch noch am Anfang eines langen Weges.
Danke.
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Das Wort hat jetzt der Staatsminister der Justiz des Freistaates Bayern, Hermann Leeb.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorhaben zu einem 6. Strafrechtsreformgesetz und zur Bekämpfung gefährlicher Straftaten beinhalten zusammengefaßt wohl die wichtigsten Umwälzungen des materiellen Strafrechtes seit der Strafrechtsreform. Bei beiden Vorhaben sind wir uns in der Zielrichtung einig, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Es muß etwas zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern, vor allem vor Sexualstraftätern, geschehen, und es muß etwas zur Stärkung von höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leib, Leben oder sexueller Selbstbestimmung im Strafrecht geschehen.
Allerdings sehe ich in der Dringlichkeit der beiden Vorhaben gewisse Unterschiede. Die Verbesserungen bei den Strafrahmen sind zweifellos ein wichtiges Vorhaben. Aber man kann dieses komplexe Thema nicht übers Knie brechen; da ist die Materie zu umfangreich, und es ist eine schwierige Sache, die Strafdrohungen des Strafgesetzbuches in ein rechtes Verhältnis zueinander zu bringen.
Im Zusammenhang mit der Stärkung höchstpersönlicher Rechtsgüter steht eine auf bayerischen Antrag hin gefaßte Entschließung des Bundesrates von Anfang 1993. Ich nenne aus dem gleichen Jahr außerdem eine Entschließung der SPD-Bundestagsfraktion. Darin werden Wertungswidersprüche zwischen der Einstufung sogenannter materieller Rechtsgüter im Strafgesetzbuch einerseits und höchstpersönlicher Rechtsgüter andererseits angeprangert.
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Staatsminister Hermann Leeb ({2})
Nur, dieser Entschließungsantrag greift zum Teil Wertungswidersprüche auf, die die damalige Regierungskoalition bei der Strafrechtsreform der 70er Jahre selbst verschuldet hat. So waren Kindesmißbrauch, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung mit Todesfolge damals genauso mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, wie das der Raub mit Todesfolge noch heute ist.
Verschwiegen sollte auch nicht werden, daß der Kindesmißbrauch bis zur Reform als Verbrechen eingestuft war. Wir sind der Auffassung, daß er erneut als das Verbrechen gekennzeichnet werden muß, das er nach dem Verständnis der Bevölkerung immer war.
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Wenn der Koalitionsentwurf die Stärkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes verfolgt, kann er auf die Unterstützung der Bayerischen Staatsregierung rechnen. Er enthält dazu Schritte in die richtige Richtung. Ich nenne beispielhaft die Anhebung des Strafrahmens bei der herkömmlichen gefährlichen Körperverletzung, für den minder schweren Fall des Totschlags und, entsprechend unseren Vorschlägen, Strafverschärfungen beim Wohnungseinbruch. Im Grundsatz zu begrüßen sind weiterhin die Vorschläge zur Kindesentziehung unter Einbeziehung des Kinderhandels sowie die Änderungen beim Scheckkartenmißbrauch und anderes mehr.
Ich verhehle natürlich andererseits nicht, daß es eine ganze Reihe von Punkten gibt, die sich nach unserer Auffassung im Bundesgesetzblatt so nicht wiederfinden sollten. Das gilt vor allem für den schweren Raub. Mir leuchtet nicht ein, warum man die Qualifikation des bewaffneten Raubes, die auf den Schutz von Leib und Leben abzielt, im Strafrahmen drastisch abmildern sollte. Wenn man Wertungswidersprüche beseitigen will, läge es doch sehr viel näher, entsprechende Qualifikationen unter anderem gegen den Vergewaltiger, der mit Waffengewalt vorgeht, zu normieren. Hier und in vielen anderen Fragen besteht wohl in der Zukunft in den Ausschüssen noch erheblicher Diskussionsbedarf. Ich bin der Auffassung, man sollte die noch nicht abschließend durchgeführte Praxisanhörung hier nicht außer acht lassen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bereich der Sexualstraftaten muß vordringlich angegangen werden. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, daß rasch ein Schutzkonzept vorgelegt wird. Der Koalitionsentwurf enthält Vorschläge, die mit unseren Vorstellungen übereinstimmen, aber es gibt auch einige Differenzen.
Ich nenne nur das Stichwort Sicherungsverwahrung. Zwar soll - das finde ich richtig - die Maßregel bereits bei der ersten Wiederholungstat angeordnet werden können; es soll jedoch ein Sonderstrafrecht für Sexualtäter geschaffen werden. Dies stellt einen krassen Systembruch im Gefüge des Strafgesetzbuches dar; auch darüber sollte man noch einmal einige
Worte verlieren. Andere gefährliche Täter, vom Menschenhändler über den Geiselnehmer bis hin zum Bankräuber, blendet man einfach aus. Das kann schon deswegen nicht richtig sein, weil sich der Hang zu Gewalttaten mit Sexualbezug nicht spezifisch äußern muß.
Auch in ihrer Ausgestaltung ist die Regelung zu eng. Wie will man beispielsweise erklären, daß Sicherungsverwahrung ausscheiden soll, wenn der erkannt gefährliche Täter sofort nach Vollverbüßung einer Strafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Kindesmißbrauchs erneut ein Kind brutal vergewaltigt?
In der bisherigen Diskussion - auch heute ist das wieder zum Ausdruck gekommen - haben die Aspekte der Sicherung einerseits und der Therapie andererseits eine entscheidene Rolle gespielt. Dabei ist versucht worden, Gegensätze zu konstruieren oder auch Luftgebäude in der Weise aufzurichten, daß man einerseits die Therapie des Täters als das Mittel der Wahl propagiert und andererseits Strafe und Sicherungsverwahrung als bloßes „Wegsperren" abqualifiziert, das gegenüber der Therapie keinen Sinn machen würde. Ich vermag beides nicht recht nachzuvollziehen. So schließen sich Strafe und Sicherungsverwahrung sowie Therapie nicht gegenseitig aus. Therapie im Vollzug kann in geeigneten Fällen helfen, und sie wird auch praktiziert; die Betonung liegt aber sehr wohl auf dem Wort „geeignet".
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Wenn sie kurz ausfällt, im Hinblick auf meine begrenzte Redezeit, gerne.
({1})
Wir stoppen hier immer die Zeit. Das ist bei uns so.
Der Bundestag ist großzügig; es wird Ihnen, glaube ich, nichts abgezogen.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade etwas zum Bereich der Therapie gesagt. Ich habe eine Frage: Glauben Sie an die Möglichkeit, daß Therapie etwas nützt? Sie wird - das wurde heute eindeutig gesagt - als Opferschutz empfunden. Es gibt in Bayern bis jetzt 16 Therapieplätze. Ist das ein Ausdruck dessen, daß Sie nicht sehr auf dieses Instrument bauen? Und wenn Therapie doch als Opferschutz anerkannt wird: Wie werden Sie in Zukunft in Bayern dieses Thema der Therapiemöglichkeiten behandeln? Bayern ist Schlußlicht in dem Bereich der Therapieplätze.
({0})
Staatsminister Hermann Leeb ({1}): Ich muß ganz entschieden in Abrede stellen, daß Bayern auf diesem Felde Schlußlicht sei.
Um eines klarzustellen, damit ich nicht mißverstanden werde: Auch ich halte ebenso wie die Bayerische Staatsregierung insgesamt die Therapie für ein wichtiges Mittel, das es in geeigneten Fällen ermöglicht, Rückfälle zu vermeiden. Deswegen kann man auf Therapie zweifellos nicht verzichten. Aber genauso deutlich muß man sagen, daß Therapie nicht das Allheilmittel sein kann, von dem man sich allen und jeden Erfolg verspricht. Es ist Tatsache, daß es viele therapieresistente Leute gibt. Es ist Tatsache, daß viele nicht therapiefähig und nicht therapiewillig sind. Es ist auch Tatsache, daß zwar in gewissem Umfang die Rückfallgefahr reduziert wird; aber dieser Umfang ist nicht so groß, daß man nun alles auf eine Karte setzen sollte.
({2})
Wenn Sie, Frau Wolf, nun Defizite in Bayern anmahnen, möchte ich Ihnen folgendes entgegenhalten: Wir haben in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim 16 Therapieplätze für Sexualtherapie. Wir haben eine eigene Sozialtherapeutische Anstalt in Erlangen mit 41 Plätzen. Wir bauen heuer eine weitere Sexualtherapie in Würzburg mit zusätzlichen zehn Planstellen, die mir bewilligt wurden, und dem entsprechenden Geld auf. Wir praktizieren überall dort, wo wir keine eigenen Abteilungen installiert haben oder installieren können, Therapie mit Hilfe externer Therapeuten und geben dafür sehr viel Geld aus. Ich darf beispielsweise daran erinnern, daß sich in räumlicher Verbindung mit den Justizvollzugsanstalten Straubing und Bayreuth Nervenkrankenhäuser befinden, aus denen wir die Therapeuten in die Justizvollzugsanstalten hereinholen, um jeden Ansatz wahrnehmen zu können, der aus der Sicht des Vollzuges erforderlich ist.
({3})
Gestatten Sie, Herr Minister, noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Braun?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Bitte sehr.
Herr Staatsminister Leeb, stimmt die Bemerkung in der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung", daß die 41 Therapieplätze in Erlangen ausdrücklich nicht für Sexualstraftäter vorgesehen sind?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Das, Herr Abgeordneter Braun, ist richtig. Dabei muß ich darauf hinweisen,
({1})
daß das Strafvollzugsgesetz Sozialtherapie eben nicht nur für Sexualstraftäter, sonder für alle Tätergruppen vorsieht. Obwohl wir in Erlangen keine Sexualstraftäter therapieren, sehe ich keine Defizite, weil wir uns an den Standorten der größeren Justizvollzugsanstalten auf externe Therapeuten stützen können und es auch tun; entsprechende Geldmittel sind vorhanden; daran liegt es nicht.
({2})
Der Kollege Braun wollte noch eine Frage stellen. Sie müssen sie nicht zulassen, Herr Staatsminister.
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Bitte sehr.
Herr Minister Leeb, würden Sie mir zustimmen, daß gegenwärtig nur 16 Therapieplätze in Bayern angesichts 67 solcher Plätze in Rheinland-Pfalz oder 116 in Nordrhein-Westfalen oder gar 160 in Berlin doch erschreckend wenige sind? Ich erkenne wohlgemerkt sehr wohl, daß es populärere Dinge gibt, die leichter im Landtag durchsetzbar sind, als sehr teure Therapieplätze zu schaffen. Darf ich aber davon ausgehen, daß das Projekt Würzburg nicht das einzige sein wird, mit dem wir in Bayern versuchen, uns an das in anderen Ländern schon bestehende Versorgungsniveau heranzutasten?
Staatsminister Hermann Leeb ({0}): Herr Abgeordneter Braun, zunächst einmal ist für mich die „Süddeutsche Zeitung" mit ihrem missionarischen Eifer in bestimmte Richtungen nicht der geeignete Kronzeuge - das vorweg.
Zum zweiten sagte ich Ihnen gerade: Wir haben mehr als 16 Therapieplätze. Zwar haben wir 16 in einer eigenen Abteilung in Stadelheim, wir praktizieren aber Einzel- und Gruppentherapie in Verbindung mit benachbarten Nervenkrankenhäusern auch an etlichen anderen Orten.
({1})
- Jetzt regen Sie sich aber nicht so auf! Es heißt Bezirkskrankenhaus, wenn Sie es genau nehmen wollen. Aber das ist ja Beckmesserei, Herr Kollege.
Nun will ich Ihnen, Herr Braun, aber folgendes sagen: Es kommt nicht so sehr darauf an, ob sie Therapieplätze räumlich vorhalten, sondern es kommt darauf an, ob sie Therapiemöglichkeiten anbieten. Das geschieht doch in ganz entscheidendem Umfang, so daß das Zahlenspiel, das Herr Holzhaider gestern in der „Süddeutschen Zeitung" zelebriert hat, wohl mit etwas mehr Zurückhaltung zu genießen ist.
Nun möchte ich noch zu einem Punkt kommen, den Herr Abgeordneter Eylmann angesprochen hat. Es geht um die Frage, wer in die sozialtherapeutische Anstalt einweisen soll. Soll das, wie er es angedacht hat, schon der Tatrichter tun, oder soll das, wie es derzeit das Gesetz vorsieht, im Vollzug geschehen? Ich bin eindeutig dafür, dieses im Rahmen des Strafvollzuges vorzunehmen, einfach deshalb, weil der Vollzug länger Zeit hat, um die Therapieeignung und -bedürftigkeit eines Straftäters zu beobachten. Dagegen bekommt der Tatrichter ja nur einen relativ flüchtigen Eindruck von dem zu Verurteilenden.
Staatsminister Hermann Leeb ({2})
Auch der Sachverständige, auf den er sich stützen muß, kann natürlich ebenfalls nur innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums überblicken, wie es mit der Gefährlichkeit auf der einen Seite und der Bedürftigkeit für eine Therapie auf der anderen Seite steht.
Es gibt noch einen Grund, warum man nicht mehr oder weniger schon automatisch durch den Tatrichter eine Einweisung vornehmen lassen sollte. Therapie ist zugegebenermaßen eine sehr teure Angelegenheit. Wir müssen mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, die wir noch ausbauen wollen, natürlich sehr sorgfältig umgehen. Mit Rücksicht darauf würde ich es ungern sehen, wenn es häufig auf Grund unzureichender Begutachtung zu Fehleinweisungen käme, die falschen Leute an der falschen Stelle säßen und unter Umständen Therapiebedürftige nicht zum Zuge kommen würden.
Von Herrn Kollegen Eylmann war natürlich sein Ceterum censeo über die angeblich zu geringe finanzielle Ausstattung der Justiz der Länder zu erwarten. Ich bin natürlich dankbar, daß man sich darüber Sorgen macht. Ich würde mich auch über zusätzliche Mittel freuen. Eines muß ich aber doch sagen: Die Umsetzung der Vorstellungen, die das Land Bayern im Bundesrat eingebracht hat - morgen wird das abschließend beraten -, kostet natürlich sehr viel Geld. Ein Stichwort ist der Ausbau der Führungsaufsicht. Hier brauchen wir mehr Leute. Auch die Erweiterung der Gutachterpflichten etwa im Rahmen der Entscheidung über Haftlockerungen oder bedingte Entlassungen kostet Geld. Der Ausbau der Sicherungsverwahrung kostet Geld, natürlich auch der weitere Ausbau und die Vervollständigung der Therapieplätze. Es gibt, wie gesagt, in diesem Jahr eine neue Abteilung in Würzburg mit immerhin zehn Planstellen. Man muß mit einem Personalschlüssel von fast 1 : 1 rechnen. Das wird sicherlich nicht die letzte Entscheidung in dieser Richtung sein.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz zum Schluß noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, das heute auch auf der Tagesordnung steht. Unter all den schwierigen Themen, die Sie heute beraten, befindet sich eine zivilrechtliche Perle, auf die ich aufmerksam machen möchte.
Der Bundesrat hat über Parteigrenzen hinweg am 19. Dezember letzten Jahres einstimmig den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer von Straftaten beschlossen. Der Entwurf, der auf eine bayerische Initiative zurückgeht, will eine erkannte Schutz- und Gerechtigkeitslücke des geltenden Rechtes schließen.
Kriminalitätsopfer sind in zunehmendem Maße ohnmächtig mit der Situation konfrontiert, daß ihre Schädiger die Tathandlung öffentlichkeitswirksam gegen Entgelt darstellen, die Erlöse aber nicht zur Begleichung des angerichteten Schadens herangezogen werden können, weil sie vorher an den Verteidiger oder sonstwen abgetreten worden sind.
Hier wollen wir ansetzen. Wir wollen erreichen, daß an den Honoraransprüchen der Täter, die ihre Story vermarkten, ab der Sekunde des Entstehens des Anspruches ein gesetzliches Forderungspfandrecht klebt, das den Opfern und ihren Angehörigen zugute kommen soll.
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Ich meine, hier ist es notwendig zu handeln. Ich wäre dankbar, wenn sich auch der Deutsche Bundestag diesem Anliegen annehmen würde.
Eine 'allerletzte Bemerkung: Vielleicht würde eine derartige Regelung bei gewissen Gazetten in gewissem Umfang zur Wiederherstellung der guten Sitten bei der Berichterstattung beitragen.
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Das Wort hat jetzt die Justizministerin des Landes Niedersachsen, die Kollegin Heidi Alm-Merk.
Ministerin Heidrun Alm-Merk ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe heute der Diskussion sehr aufmerksam zugehört.
({1})
- Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich Ihnen ein Lob erteilen möchte. Vielleicht wollen Sie es aber gar nicht hören. Das kann ja sein.
Ich konnte folgendes feststellen: Alle bemühen sich, zu der Frage des Reaktiven, nämlich der Frage der Verfolgung des Täters, Stellung zu nehmen und dabei auch die entsprechenden Patentrezepte zu finden. Wir sind uns in dieser Debatte alle einig gewesen: Ganz zu finden sind sie nicht. Die Frage „Was muß vorher alles geschehen, damit nachher nicht so diskutiert werden muß, wie wir diskutiert haben?" ist dabei aber immer noch zu kurz gekommen.
({2})
Deshalb möchte ich dankbar darauf hinweisen, daß der Ansatz, der in dem SPD-Papier enthalten ist und gerade von der Fraktion der SPD heute hier vorgebracht wurde, die Justizminister der Länder, die das Ganze umzusetzen haben, ganz dringend beschäftigen muß. Wir wissen alle - das haben wir heute gehört -: Das, was wir jetzt beschließen werden, ist sehr, sehr teuer. Wir sagen: Das ist es uns wert. Aber wir müssen wissen: Es ist sehr teuer und belastet die Haushalte in ganz erheblichem Maße. Das bezieht sich nicht nur darauf, daß man, wenn man einen Therapeuten gefunden hat, diesen auch bezahlen muß, sondern auch darauf, daß gar nicht genügend Haftplätze vorhanden sind. Auch das bitte ich zu bedenken.
Dennoch werde ich mich der heutigen Aufgabe widmen, zu einigen der Gesetze Stellung zu nehMinisterin Heidrun Alm-Merk ({3})
men. Ich will insbesondere das Thema hervorheben, das so häufig verniedlichend als Kinderhandel bezeichnet wird. Meine Damen und Herren, das ist tatsächlich dramatisch. Es ist eine Art der Sklaverei, und es ist unerträglich zu hören, daß wir von Kauf oder Miete sprechen. Und doch ist es Realität: Kinder werden „verkauft", „gekauft", „vermietet" und „gemietet", und zwar nicht nur außerhalb Europas, sondern gerade auch bei uns.
Ich sage es hier sehr deutlich: Da gibt es nur eins, eine sehr unnachsichtige Härte gegenüber den Tätern und damit eine harte Reaktion des Strafgesetzgebers.
({4})
Fassungslos erfährt man in diesem Zusammenhang von Fällen, in denen Kinder zu Sexobjekten erniedrigt, im Internet und einschlägigen Anzeigenblättern wie Handelsware angeboten und so zu Opfern fürchterlicher Praktiken werden. Sie alle werden solche Zeitschriften kennen. Selbst die eigenen Eltern verkaufen oder vermieten ihre Kinder an Sexualstraftäter. Andere Täter brüsten sich damit, Kinder aus dem Ausland beschaffen zu können, und bieten sogar offen an, daß die Kinder dabei auch zu Tode gequält werden können, wenn der perverse Sexualtäter nur einen genügenden Aufpreis bezahlt.
Das ist nicht bloß eine Vermutung. Die Vorbereitungsarbeiten zum Stockholmer Weltkongreß gegen die kommerzielle, sexuelle Ausbeutung von Kindern haben aufgezeigt, daß Täter, die bei uns oft so angepaßt leben, in das Ausland reisen, um dort Kinder hemmungslos zu schänden. Daß diesem Sextourismus kommerzielle Bedeutung zukommt, ist bereits gesagt worden. Auch hier sage ich: kein Pardon für solche Täter. Wenn wir davor weichen, weitet sich diese Art des Sextourismus weiter aus.
Wer von Ihnen hätte sich vorstellen können, daß Kinder im Ausland deshalb adoptiert werden, damit man sie anschließend hier bei uns - verborgen hinter der Fassade scheinheiliger Elternliebe - ungestört fortlaufend sexuell mißbrauchen kann? Wir hatten gerade so einen Fall zur Aburteilung in Niedersachsen. Ich hatte es nicht für möglich gehalten.
Wer sich mit diesem Problem befaßt, weiß: Hier jagen die Medien nicht hinter geschmacklosen Phantastereien her. Die mühsame tägliche Arbeit unserer Staatsanwaltschaften und Gerichte zeigt: Das ist die Realität. Sie muß eingedämmt werden und dem dienen, so meine ich, die Gesetzentwürfe, die wir heute diskutieren.
Wenn wir jetzt handeln wollen, so muß aber auch klar sein, daß der Opferschutz beschleunigt durchgezogen werden muß.
({5})
Ich hätte mir gewünscht, daß dieses Haus schon länger darüber nachgedacht hätte. Ich wende mich jetzt an Herrn Geis.
({6})
Wir beide, lieber Herr Kollege Geis, haben über die Verfassung sehr lange diskutiert, als wir nach der deutsch-deutschen Einigung so gute Chancen für Veränderungen hatten.
({7})
Wir hatten die große Hoffnung - ich betone diese Hoffnung in diesem Hause immer wieder, genauso wie im Bundesrat -, daß wir uns zu einem so einfachen Satz verständigen wie: Kinder sind gewaltfrei zu erziehen.
({8})
Wer sich dazu in einer Verfassung oder im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht bekennen kann, der verpaßt damit die Chance, daß gewaltfrei erzogen wird, daß sich die Spirale der Gewalt nicht weiter verstärkt und daß wir nicht als Endprodukt die Täter haben, über die wir heute reden. Sie können das nicht verschweigen; Sie können in dieser Gesellschaft, die in das nächste Jahrtausend geht, nicht hinnehmen, daß Kinder immer noch in vielen Bereichen gewaltsam erzogen werden.
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Am Ende dieses Jahrhunderts muß damit Schluß sein. Sie müssen zur Würde des Kindes in dieser Form Stellung nehmen. Denn, was man als Erwachsener nicht will, das ist heute klar gesagt worden, will man auch nicht als Kind.
({10})
- Ich habe Ihnen gut zugehört, Herr Geis; ich hoffe, auch Sie hören mir zu.
({11})
Wenn man sich über meine Ausführungen in dieser Weise erregt, scheint man doch etwas Wahres daran zu finden. Das ist meine Auffassung dazu.
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Der Bundesrat hat Ihnen mit dem Entwurf - und so komme ich zum Zweiten Opferschutzgesetz - zur Bereinigung des Strafgesetzbuches und zur Reform der Strafvorschriften gegen Kinderhandel aufgezeigt, an welcher Stelle aus Sicht der Länder noch gehandelt werden muß und vor allen Dingen, wie gehandelt werden kann. Im herkömmlichen Werteverständnis der Bevölkerung liegt der Gedanke, die eigenen Kinder wie eine Ware zu verkaufen so fern, daß bislang - ich hatte das nicht für möglich gehalten - eine Strafvorschrift gegen eine solche Untat nicht für erforderlich gehalten wurde.
Ministerin Heidrun Alm-Merk ({13})
Als der Gesetzgeber mit § 14 a des Adoptionsvermittlungsgesetzes eine Strafvorschrift gegen den Kinderhandel schuf, hatte er als Tätergruppe lediglich die gewerblichen Adoptionsvermittler im Auge, die die Not von Eltern in den Entwicklungsländern ausnutzten und adoptionswilligen Personen in Deutschland gegen zum Teil erhebliche Geldbeträge Kinder vermittelten. Hier muß jetzt der Riegel vorgeschoben werden. Meinte der Gesetzgeber damals noch, auf eine Strafdrohung gegen die leiblichen Eltern und die Personen, die das Kind in Deutschland bei sich aufnehmen wollten, verzichten zu können, hat die jetzt bekannt gewordene Realität dies als Fehleinschätzung offenbart. Hier müssen wir korrigieren.
Der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind Fälle bekannt geworden, in denen Eltern ihre Kinder gegen Geldsummen zwischen 10 000 und 20 000 DM oder auch Sachleistungen wie zum Beispiel Fernseher, Videorecorder, Autos oder Wohnungen geradezu verhökert haben oder dabei waren, dies zu tun. Die heimliche Tatausführung belegt aber auch die kriminologische Erfahrung, daß es ein erhebliches Dunkelfeld in diesem Bereich gibt, das es zu durchleuchten gilt.
Wer sein Kind als Ware in die Hände skrupelloser Täter verkauft oder wer Kinder kauft, hat Strafe verdient. Wer so etwas tut, verletzt auf widerwärtigste Weise die Menschenwürde des Kindes, degradiert es zu einem verfügbaren Opfer, macht die Schwächsten der Schwachen zu Opfern. Kinder, die sich dagegen selbst nicht wehren können, bedürfen unseres besonderen Schutzes. Ich will sagen, wie wir ihn erhöhen wollen.
Erstens. Durch die Herausnahme der Strafvorschrift aus dem Nebenstrafrecht soll die Bedeutung der Norm verdeutlicht werden. Durch die Aufnahme in das Kernstrafrecht zeigt der Staat endlich Flagge und verdeutlicht den hohen Stellenwert des Kindeswohls.
Zweitens. Der Handel mit Kindern soll zukünftig härter bestraft werden und für leibliche Eltern und „Kaufeltern" nicht länger straflos bleiben. Illegale Adoptionsvermittler sollen ein höheres Risiko laufen, wenn sie ihre Dienste für derartige Geschäfte anbieten. Dies ist übrigens eine der Maßnahmen, die in der „Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft über Bekämpfung des Sextourismus und des Kindermißbrauchs" vorgeschlagen werden.
Die Bundesratsinitiative unterstützt zugleich entsprechende Bestrebungen der internationalen Staatengemeinschaft, indem sie die Verfahrensregeln über die legale Auslandsadoption absichert, die im Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption schon vereinbart worden sind.
Im Prozeßrecht sieht der Entwurf vor, unseren Ermittlungsbehörden die Verfolgung und Überführung der Straftäter dadurch zu erleichtern, daß für die qualifizierten Formen des Kinderhandels die Möglichkeit der Telefonüberwachung geschaffen wird. Außerdem wird die Stellung der Opfer des Menschenhandels dadurch verbessert, daß ihnen die Nebenklagebefugnis eingeräumt wird.
Zum Schutz der Kinder spielt selbstverständlich auch das Verfahrensrecht eine Rolle. Lassen Sie mich kurz zu der Frage Stellung nehmen, die auch Sie sehr beschäftigt, nämlich zu der Einführung eines Videoverfahrens. Ich habe gestern ein solches Vernehmungszimmer in Niedersachsen einrichten lassen, und es ist mit der Arbeit bereits begonnen worden. Aber ich habe mir von allen Praktikern sagen lassen müssen, daß sie sehr ungeübt bei der Arbeit mit der Videokamera sind, daß sie Angst vor der Videokamera haben; denn alle ihre Reaktionen während der Befragung des jeweiligen Opfers und damit des Zeugen sind ebenfalls festgehalten. Unsere Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind nicht geübt genug, so etwas zu leisten. Sie sind nicht geübt, in feinfühliger Art zu befragen; sie sind nicht geübt genug, mit neuen Technologien umzugehen. Die Universitäten werden ihnen das auch zukünftig nicht beibringen. Infolgedessen haben wir diese Frage nicht nur rechtlich zu lösen, sondern wir müssen vor allen Dingen diese Menschen darauf vorbereiten, so daß das, was wir wollen, unter dem Strich dabei auch herauskommt. Auch dies ist eine ganz wichtige Aufgabe.
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Lassen Sie mich noch eines hervorheben, das mir sehr am Herzen liegt. Sie alle haben seinerzeit das Adhäsionsverfahren geschaffen, nämlich die Möglichkeit, innerhalb des Strafprozesses auch die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche zur Geltung zu bringen. Sie haben alle erkennen müssen: Es wird so gut wie nicht davon Gebrauch gemacht. Der Strafrichter hat mit dem Zivilrecht nicht mehr so viel im Sinn; er ist nicht mehr sehr geübt.
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- Das ist der Fehler, aber es ist so. Deshalb müssen wir da etwas ändern.
Unsere Überzeugung ist, daß wir das dadurch machen können, daß mindestens dem Grunde nach über diesen Schadenersatzanspruch und über das Schmerzensgeld entschieden wird. Würde über das Gesamte entschieden, würde es sehr lange dauern, was dem Strafprozeß wiederum nicht förderlich ist.
Ich denke, wir haben dazu sehr wohl gute Vorschläge gemacht. Diese Möglichkeiten bitte ich auch entsprechend wahrzunehmen.
Lassen Sie mich zum Schluß eines sagen: Ich glaube, daß der Versuch, der von allen Seiten gemacht worden ist, nämlich hier und heute auch an die Öffentlichkeit Signale auszusenden, daß wir empfindsamer geworden sind, Ihnen im Parlament heute gelungen ist. Ich hoffe, daß uns das morgen im Bundesrat ebenso gelingt. Ich hoffe, daß die Anträge und Beschlüsse, die der Bundesrat gemacht hat, sich in das Ganze fügen, damit wir der Bevölkerung saMinisterin Heidrun Alm-Merk ({16})
gen können: Was wir verabsäumt haben - wir müssen bekennen, daß das so ist -, wollen wir jetzt wieder wettmachen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der PDS
Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gehört zu den traurigen Wahrheiten, daß Kinder sexuell mißbraucht werden. Diese Taten lösen bei allen Abscheu und Entsetzen aus. Die öffentlichen Diskussionen über die tragischen Fälle von Kindesmord in den letzten Monaten haben dazu beigetragen, dieses Problem stärker ins Bewußtsein zu rücken. Dies war wichtig und notwendig.
Kinder sind wehrlose Opfer. Daher muß unmißverständlich klargemacht werden, daß Erwachsene, die meinen, daß Kinder für sie frei verfügbar sind, hart bestraft werden. Nicht zuletzt die Initiative der CSU- Landesgruppe im vergangenen Herbst hat alle Fraktionen dazu veranlaßt, sich ganz gezielt mit den Forderungen nach Gesetzesänderungen auseinanderzusetzen. Es ist in relativ kurzer Zeit gelungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Heute geht es um Strafverschärfung, erweiterte Therapiemaßnahmen und die Verbesserung des Opferschutzes. Mit den neuen Vorschriften wird der Schutz der Kinder vor den Tätern in das richtige Verhältnis zu den Straftaten und zur Strafzumessung gebracht. Es darf nicht wieder vorkommen, daß ein Kind Opfer eines Sexualverbrechers wird, der bereits wegen einer gleichen Tat verurteilt, aber ohne Therapie in die Freiheit entlassen worden ist.
Ich halte es für richtig und notwendig, daß das Strafmaß bei sexuellem Mißbrauch deutlich erhöht wird. Die Abschreckungswirkung des Strafrechts wird jedoch nur dann erreicht, wenn wir nicht nur die Buchstaben des Gesetzes ändern,
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sondern wenn die Gerichte den Strafrahmen bei den Verurteilungen auch tatsächlich ausschöpfen.
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Die vorgesehenen Maßnahmen für den Strafvollzug werden die bestehenden gesetzlichen Lücken schließen. Für die Wirksamkeit in der Praxis wird es aber auch maßgeblich auf die Bundesländer ankommen, alles daranzusetzen, die Vorgaben konsequent umzusetzen.
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Trotz der angespannten Haushaltslage müssen die hierfür notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Es geht um das Leben von Kindern. Es geht darum, daß Sexualstraftäter nicht wieder neue Taten begehen können.
Für uns Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker ist es ein besonderes Anliegen, daß der Opferschutz verbessert wird. Die Kinder sind im Strafverfahren unverzichtbar. Sie sind die wichtigsten Zeugen, um die Täter tatsächlich überführen zu können. Sie dürfen bei der Vernehmung im Gerichtssaal jedoch nicht unnötigen Qualen ausgesetzt werden. Es ist deshalb richtig, die Videovernehmung für schutzbedürftige Zeugen im Strafprozeß einzuführen. Damit kann dem Kind das nochmalige Zusammentreffen mit dem Täter erspart und so das Aufreißen alter Wunden verhindert werden.
Die derzeit vorgesehene Unterstützung durch einen Zeugenbeistand in der Vernehmung ist ein richtiger Ansatz; doch er reicht nicht aus. Ich halte es deswegen für wichtig, daß wir uns im Laufe der weiteren Beratungen noch intensiv mit der Einführung eines Opferanwalts befassen. Viele Interessenverbände fordern das. Bayern hat im Bundesrat schon eine entsprechende Initiative eingebracht.
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Es geht nicht an, das Opfer auch noch mit finanziellen Risiken zu belasten, wenn es einen Rechtsanwalt hinzuzieht.
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Strafrecht, Strafprozeßrecht und Strafvollzugsrecht sind wichtige Instrumente zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor Sexualstraftätern. Aber genauso wichtig sind Prävention, Stärkung der Rechte von Kindern in unserer Gesellschaft und verbesserter Jugendschutz.
Wir müssen sehr viel stärker nach den Ursachen von Gewalt gegen Kinder fragen. Was bringt Männer dazu, Kleinkinder zum Spielball für sexuelle Perversitäten zu machen? Wohin entwickelt sich eine Gesellschaft, in der Kleinkinder für Videoaufnahmen zur Kinderpornographie mißbraucht werden und diese Aufzeichnungen höchsten Absatz finden? Wohin entwickelt sich eine Gesellschaft, in der Gewaltfilme im Fernsehen selbstverständlich sind? Deswegen wiederhole ich heute an dieser Stelle die Forderung, daß indizierte Filme im Fernsehen nichts zu suchen haben, auch nicht zwischen 23 Uhr und 6 Uhr.
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Es ist die besondere Aufgabe der Familie, gleichzeitig aber auch der Gesellschaft insgesamt, den Schutz von Kindern zu sichern und ein kinderfreundliches Klima zu schaffen. Die UN-Kinderrechtskonvention ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Leitfaden. Dies zeigt sich auch sehr deutlich bei der Reform des Kindschaftsrechts, wo die Verbesserungen der Rechte des Kindes im Mittelpunkt stehen.
Meine Damen und Herren, die meisten Dramen sexuellen Mißbrauchs finden in den Familien bzw. im engsten sozialen Umfeld statt. Daher ist es dringend
notwendig, die Beratungsmöglichkeiten für die Kinder und die betroffenen Familien zu verbessern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern für dieses Aufgabengebiet besser zu qualifizieren; denn Kinder und Eltern brauchen zur Bewältigung der Probleme vertrauenswürdige Gesprächspartner und Ratgeber.
Sich einzumischen ist gerade auch für Pädagogen oft eine Gratwanderung; denn wird der Verdacht auf Mißbrauch erst einmal in Umlauf gebracht, kann in dieser Familie viel kaputtgemacht werden, wenn er unbegründet ist. Daher müssen Betreuungspersonen und Lehrkräfte in Kindergarten und Schule für Anzeichen von Kindesmißhandlung sensibilisiert und besser qualifiziert sein, damit sie ihrer besonderen Verantwortung gerecht werden können.
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Zum umfassenden Schutz von Kindern vor Sexualstraftätern gehört aber auch, daß wir uns verstärkt mit dem Jugendschutz in den neuen Medien auseinandersetzen. Der Flut von kinderpornographischen Darstellungen und sonstigen Gewaltbildern muß ein Riegel vorgeschoben werden.
Wer Kinderpornos im Internet verschickt, mißbraucht Kinder. Wir haben dieses Problem bei einer Anhörung aufgegriffen. Die Kolleginnen und Kollegen und ich waren von den Bildern erschüttert, die uns dort von sexuell mißbrauchten und mißhandelten Kindern gezeigt wurden.
Deswegen besteht zwischen dem heute auf den Weg gebrachten Gesetz und dem Entwurf eines Multimediagesetzes, über den demnächst im Bundestag beraten wird, ein enger Zusammenhang; denn dort wird es unter anderem darum gehen, den Schriftenbegriff im Strafgesetzbuch auf die Datenspeicher zu erweitern. Damit kann zukünftig auch die Verbreitung pornographischer Darstellungen im Internet unter Strafe gestellt werden.
Da das Internet keine Grenzen kennt, können nationale Regelungen natürlich und leider nur eingeschränkt wirken. Dennoch muß der Anfang gemacht werden, um auch auf europäischer und internationaler Ebene zu wirksamen Maßnahmen und Schutzvorschriften zu kommen.
Meine Damen und Herren, durch den Tod von Kim und Natalie wurde die Bevölkerung wachgerüttelt, wurden Familien verunsichert. Als Familienpolitikerin ist es mir deswegen besonders wichtig, daß die Gesetzentwürfe jetzt schnell verabschiedet werden. Ich bitte Sie alle, dazu beizutragen.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer den Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt verbessern will, darf nicht nur und nicht in erster Linie auf das Strafrecht setzen. Es ist eine kriminologische Binsenweisheit, daß sich Triebtäter nicht durch die Höhe der Strafdrohung von ihrem Tun abschrecken lassen.
Deshalb hat die 'SPD-Fraktion mit ihrem 30Punkte-Progamm ein Gesamtkonzept vorgelegt, das den Vorrang der Prävention vor der Repression betont.
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Meine Kollegin Ulla Schmidt und die Ministerin Alm-Merk haben dazu vorhin einiges ausgeführt. Wir sagen: Prävention beginnt in der Familie, aber sie endet nicht dort. Kinder brauchen eine Gesellschaft, die ihre Würde respektiert und ihnen ihre Rechte zugesteht.
Dennoch können wir der Frage nicht ausweichen, was zu geschehen hat, wenn alle Bemühungen um Prävention nichts geholfen haben und ein Kind trotz dieser Bemühungen Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Unser erster Gedanke hat dann dem Opfer zu gelten. Hilfen für das kindliche Opfer und seine Familie sind nicht weniger wichtig als die Durchführung des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten.
Das Opfer hat einen Anspruch auf Therapie. Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche dürfen nicht durch zu kurze Verjährungsfristen leerlaufen. Vor allem aber darf das unvermeidliche Strafverfahren nicht zu neuen und unzumutbaren Belastungen für den kindlichen Opferzeugen führen. Deshalb haben wir durch unseren Gesetzentwurf vom November 1995 den Einsatz von Videogeräten bei Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung gefordert. Ziel ist die Vermeidung von unzumutbar belastenden Vernehmungen und von Vielfachvernehmungen der Kinder.
Wir begrüßen es, daß die Koalition jetzt endlich, mehr als ein Jahr nach der ersten Lesung unseres Entwurfes, einen ähnlichen Entwurf vorlegt.
Was den von uns geforderten Opferanwalt angeht, greift der Vorschlag der Koalition allerdings zu kurz. Sie wollen den häufig kindlichen Zeugen, die ersichtlich außerstande sind, ihre Befugnisse bei der Vernehmung selber wahrzunehmen, nur für den Zeitraum der Vernehmung einen Zeugenbeistand auf Staatskosten gewähren.
Wie wollen Sie eigentlich rechtfertigen, daß der Beschuldigte, der sich nicht selbst verteidigen kann, für die Dauer des gesamten Prozesses einen Pflichtverteidiger erhält, das Opfer einen Beistand aber nur für den Zeitraum der Vernehmung? Soll das Opfer keine Hilfe bei der Vorbereitung der Vernehmung, bei der Stellung von Beweisanträgen, bei der Einlegung von Rechtsmitteln und bei der Durchsetzung seiner Restitutionsansprüche erhalten?
Die folgende Forderung, Herr Kollege Geis, richtet sich ausdrücklich auch an einige Bundesländer.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Sofort. - Geben Sie Ihre Kleinlichkeit auf, und erkennen Sie endlich, daß
Dr. Jürgen Meyer ({0})
der Schutz der Opfer in einem modernen Strafrecht nicht weniger wichtig ist als die Verurteilung des Täters!
Bitte schön, Herr Kollege Geis.
Herr Kollege Meyer, ist Ihnen bekannt, daß eine entsprechende Initiative des Landes Bayern, die eine solche Ausweitung des Opferanwaltes vorsah, an der Mehrheit der Länder im Bundesrat im Dezember des Jahres 1996 gescheitert ist, und zwar vor allen Dingen an der SPD-Mehrheit?
Herr Kollege Geis, mir ist bekannt, daß der Entwurf aus Bayern, der ein wesentliches Element unseres Gesetzentwurfes von 1995 übernommen hat, im Bundesrat zunächst gescheitert ist. Aber ich appelliere an Sie, unser Gesamtkonzept, in dem der Opferanwalt nun wieder vorgesehen ist, zu unterstützen. Dann sollten wir in Richtung der Länder, in denen Sie eine Mehrheit bzw. wir eine Mehrheit haben, gemeinsam überzeugend wirken, so daß wir diesmal mit dem Opferanwalt zum Zuge kommen.
({0})
Übrigens läßt sich auch ohne neue Gesetze die Belastung von kindlichen Opfern im Strafverfahren mindern. Wir denken an die Schaffung kindgerechter Vernehmungsräume und Vernehmungssituationen. Dazu gehört aber auch - das ist schon mehrfach betont worden - eine verbesserte Aus- und Weiterbildung von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern, die bei der Aufklärung von Sexualstraftaten an Kindern mitwirken. Auch bei der Gewinnung und Auswahl von Sachverständigen ist, wie wir gehört haben, vieles zu verbessern. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der Justizministerkonferenz dafür einzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenden wir uns nach den Opfern nunmehr den Tätern zu. Warum fordert auch die SPD, die Mindeststrafe für schweren sexuellen Mißbrauch von Kindern auf ein Jahr Freiheitsstrafe zu erhöhen? Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kritisiert das und meint, durch höhere Strafen werde nicht ein einziger sexueller Mißbrauch verhindert. Das mag sogar richtig sein; aber der Einwand verkennt die beiden maßgeblichen Gründe für unseren Vorschlag.
Erstens wird der sexuelle Mißbrauch von Kindern durch die Erhöhung der Mindeststrafe künftig statt als bloßes Vergehen nunmehr als Verbrechen eingestuft. Das hat höchst praktische Konsequenzen für die Verbesserung des Schutzes unserer Kinder vor sexueller Gewalt. Nach § 30 Strafgesetzbuch wird nämlich der Strafrechtsschutz bei Verbrechen in den Bereich der Vorbereitungshandlungen vorverlagert. Das bedeutet, daß künftig auch die bloße Verabredung zu derartigen Taten etwa in internationalen Datennetzen, zum Beispiel im Internet, bestraft werden kann.
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Wer den Mißbrauch von Datennetzen als Gefahr erkennt, muß unseren Vorschlag unterstützen.
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Oder soll die Polizei mit ihrem Zugriff abwarten, bis die Partner der schändlichen Verabredung zur Tat geschritten sind?
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Zweitens ist die Aufstufung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern zum Verbrechen eine Folge der von uns seit vielen Jahren geforderten Reform der Strafrahmen. Es geht darum, daß im Unterschied zur Auffassung vergangener Jahrhunderte und des Gesetzgebers des Reichsstrafgesetzbuches die höchstpersönlichen Rechtsgüter, wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, ein deutlich größeres Gewicht erhalten müssen als die materiellen Rechtsgüter.
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Wir begrüßen es, daß die Koalition nunmehr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Wir werden diesen Entwurf, dessen Grundtendenz unseren Forderungen entspricht, einer genauen Prüfung unterziehen. Nachdem Sie, Herr Minister, die insbesondere von meinem Kollegen Bachmaier vorgeschlagene Expertenkommission nicht eingesetzt haben, wird eine eingehende Sachverständigenanhörung durch den Rechtsausschuß unvermeidbar sein.
Aber lassen Sie mich an dieser Stelle eines hinzufügen: Für die Praxis weitaus wichtiger als die notwendige Harmonisierung der Strafrahmen ist eine Reform des Systems der Strafarten. Was meine ich damit?
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Ich meine damit unseren Gesetzentwurf, den Sie kennen, nämlich die Zurückdrängung der Freiheitsstrafe dort, wo sie mehr Schaden als Nutzen stiftet.
Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, etwa bei geringfügigen Vermögensdelikten statt der Freiheitsstrafe vermehrt die Anordnung gemeinnütziger Arbeit, die auch Schadenswiedergutmachung ermöglicht, oder bei Verkehrsdelikten das Fahrverbot als Hauptstrafe oder bei anderen Straftaten, die ohne Gewalt begangen worden sind, einen obligatorischen Täter-Opfer-Ausgleich vorzusehen. Lassen Sie uns kriminalpolitische Phantasie entwickeln und nicht immer nur auf den alten Gleisen fortschreiten!
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit noch vier der strafrechtlichen Vorschläge unseres 30-PunkteProgramms nennen.
Dr. Jürgen Meyer ({7})
Erstens. Wir beobachten mit Sorge die offenbar zunehmende Zahl von Fällen - Frau Alm-Merk hat eben darüber gesprochen -, in denen Kinder, oft durch die eigenen Eltern, an Dritte „vermittelt" werden. Nach geltendem Recht ist ein derartiges Handeln lediglich als Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch und deshalb mit obligatorisch milderer Strafe bedroht.
Wir werden zu prüfen haben, ob für diese Fälle nicht - etwa entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates - ein besonderer Tatbestand mit deutlich erhöhter Strafdrohung geschaffen werden sollte.
Zweitens. Bekanntlich sind die Opfer von Sexualdelikten häufig erst als Erwachsene in der Lage, über das Tatgeschehen zu sprechen. Deshalb haben wir in der letzten Legislaturperiode durch eine fraktionsübergreifende Initiative - übrigens gegen den hinhaltenden Widerstand der F.D.P. - bei bestimmten Delikten das Ruhen der Verfolgungsverjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers beschlossen.
Wir fordern nunmehr, diese Regelung auch auf die Delikte des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen, der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger und des sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen zu erstrecken.
Drittens. Der vor einigen Monaten im Plenum erörterte Fall des Dr. L., der sich an ausländischen Kindern vergangen hatte, sich aber der deutschen Strafjustiz entziehen konnte, weil er bei fortbestehender deutscher Staatsangehörigkeit seinen Wohnsitz rechtzeitig ins Ausland verlegt hatte, hat eine Lücke des internationalen Strafrechts offengelegt.
Wir fordern, zu prüfen, ob es nicht künftig für die Anwendung des deutschen Strafrechts und die Bejahung der deutschen Strafgewalt genügen sollte, wenn der Täter in derartigen Fällen entweder deutscher Staatsangehöriger ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat.
Viertens - da bitte ich, daß wir das gemeinsam überlegen -: Wir stimmen mit der Koalition darin überein, daß man Menschen, die eine akute Gefahr für unsere Kinder sind, nicht frei herumlaufen lassen sollte. Ob aber die Vorschläge der Koalition für eine erleichterte Anordnung der Sicherungsverwahrung ohne Therapieangebote der richtige Weg sind, bedarf noch näherer Prüfung.
Ich verweise dazu auf eine im Freiburger MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht durchgeführte und soeben veröffentlichte empirische und rechtsvergleichende Untersuchung von Jörg Kinzig. Darin wird auf die Einebnung der Unterschiede zwischen schuldgebundener Strafe und schuldunabhängiger Sicherungsverwahrung in der Strafvollzugspraxis als Problem hingewiesen und auf einen deutlichen internationalen Trend, Sicherungsaspekten entweder durch längere bestimmte Freiheitsstrafen oder durch therapeutisch orientierte Maßregeln Rechnung zu tragen. Eine vornehmlich der Sicherung dienende Maßregel ohne Therapieangebote gibt es danach in anderen vergleichbaren Staaten kaum noch.
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Ein Grund liegt darin, daß die von Ihnen, Herr Kollege Geis, vorgesehene Entscheidung des Richters, daß ein Verurteilter nicht mehr therapiefähig, nicht mehr behandelbar ist, außerordentlich schwierig ist und dem Strafrichter ein sehr hohes und schwer zu tragendes Maß an Verantwortung auferlegen würde.
Wir schlagen vor, diese Erkenntnisse gründlich zu prüfen und in die Prüfung auch die Möglichkeiten des geltenden Unterbringungsrechts einzubeziehen, das bekanntlich schon heute sogar ohne eine einschlägige Verurteilung die Einweisung nicht steuerungsfähiger Personen, die eine Gefahr für ihre Umwelt sind, in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Anstalt ermöglicht. Wir sollten uns also zunächst das geltende Recht genau anschauen, ehe wir gemeinsam überlegen, welche Reformen notwendig sind.
Damit komme ich in einer abschließenden Bemerkung zu den Vorschlägen der Koalition, soweit sie verstärkt auf Therapie setzen. Auch wir sind der Auffassung, daß die Gefahr von Wiederholungstaten auf diese Weise deutlich reduziert werden kann. Aber was nützen die besten Gesetze, solange wir nicht genügend qualifizierte Therapeuten haben? Diese Frage ist hier schon mehrfach gestellt worden. Die Sorge um das Wohl und die Sicherheit unserer Kinder sollte uns und die zuständigen Landesregierungen motivieren, die notwendigen Schritte zum Besseren zu tun.
Setzen wir uns also gemeinsam dafür ein, die Therapiemöglichkeiten und -angebote zu verbessern und auszubauen. Dabei sollten wir nicht übersehen, daß eine therapeutische Betreuung von Sexualstraftätern auch nach Verbüßung der Haftstrafe notwendig sein kann.
Herr Kollege, denken Sie an das Ende Ihrer Redezeit, bitte.
Mein letzter Satz: Therapie ist kein Allheilmittel; aber wenn es uns mit der Verbesserung des Schutzes unserer Kinder vor sexueller Gewalt ernst ist, dann sollten wir diesen Weg künftig gemeinsam verstärkt beschreiten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mütter und Väter erwarten, daß auf die jüngsten spektaJohannes Singhammer
kulären Fälle von Kindesmißbrauch reagiert wird. Deshalb bin ich froh, daß es in kurzer Zeit gelungen ist, ein Maßnahmepaket zur Änderung von strafrechtlichen Vorschriften vorzuschlagen. Längeres Zuwarten wäre auch nicht verantwortbar. Zumindest soweit die Möglichkeiten der Gesetzgebung reichen, muß alles getan werden, um ähnliche Fälle für künftige Zeit auszuschließen.
({0})
Die vorgelegten Ergänzungen des Strafgesetzbuches haben ein klares Ziel: Kinderschutz vor Täterschutz. Vor allem geht es darum, Kinder vor rückfälligen Sexualtätern zu schützen. Zu Recht wollen Eltern in Deutschland nicht mehr hinnehmen, wenn Straftäter, die sich gegen die sexuelle Integrität von Kindern vergangen haben, milde bestraft, vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden oder ihnen ein falsches Verständnis entgegengebracht wird.
Ich stimme Ihnen zu, Frau Schmidt, wenn Sie gesagt haben, daß wir den Blick mehr auf die Opfer richten müssen. Denn wer den Blick bevorzugt auf den Täter richtet, seine Vorgeschichte und seine Biographie in den Vordergrund rückt und das Leben der geschädigten Kinder und auch das Leid der Angehörigen vergißt, handelt nicht human, auch wenn er das verspricht.
Mißbrauch von Kindern ist im übrigen nicht nur ein mit sozialen Bedingungen erklärbares Phänomen, sondern - das gehört ebenfalls dazu - vor allem auch Teil einer persönlichen Schuld, die ein Täter auf sich geladen hat.
Den Änderungen des Strafrechts kommt vor allem aber eine bewußtseinsbildende Kraft zu; denn wichtiger als die Verfolgung bleibt die Verhinderung einer Straftat.
({1})
Es darf nicht in den Köpfen von manchen Erwachsenen der Eindruck entstehen, man könne sich der Kinder wie einer Ware, wie eines verfügbaren Konsumartikels bedienen.
Mit großer Sorge beobachten wir in diesem Zusammenhang das boomende Geschäft mit der menschenverachtenden Wachstumsbranche Kindersex. Experten schätzen derzeit hier einen Umsatz von 500 Millionen DM im Jahr mit wachsender Tendenz.
Neue Techniken, verantwortungslos angewandt, begünstigen den Mißbrauch von Kindern; das ist heute schon erwähnt worden. Wenn etwa das Internet als anonymer elektronischer Kontakthof zur Anbahnung von Kinderprostitution benutzt wird und der Kinderschänder sich, zurückgelehnt im Ohrensessel und Kaugummi kauend, über internationale Datennetze Kinder quasi aus einem Warenkatalog heraussucht, dann darf das nicht hingenommen werden.
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Daß diese Bilder keine Hirngespinste sind, zeigt der schreckliche Fall aus Rosenheim vor wenigen
Wochen. Im Internet machte ein Rosenheimer Ehepaar gegen 12 000 DM das Angebot, zehn- bis 14jährige Mädchen zu „grenzenlosen sadistischen Handlungen" zur Verfügung zu stellen. Gegen Aufpreis wurde auch das Töten der Kinder inklusive „Entsorgung des Leichnams" offeriert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solch schreckliche Verirrungen sind bereits festzustellen.
Der nächste Schritt muß deshalb sein, alles zu tun, um zu verhindern, daß diese internationalen Datennetze zu verbrecherischen Zwecken eingesetzt werden. Kinder bei uns wie in aller Welt haben Anspruch auf Schutz. Bei allen unterschiedlichen Wertvorstellungen etwa von Menschen auf der saudiarabischen Halbinsel oder in Amsterdam denke ich, daß es zu einer Verständigung über alle Grenzen hinweg kommen kann, die scheußlichen Verbrechen des Kindermißbrauchs zu verhindern. Geben wir den Kindern Zuwendung, Freundlichkeit, Liebe und vor allem Schutz, damit sie wachsen können!
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Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate sind die grausamen Sexualverbrechen an Kindern Gegenstand einer Debatte, die heute nach meinem Eindruck sehr sachlich und mit großen Übereinstimmungen zwischen den Fraktionen geführt worden ist.
Sexuelle Gewalt an Kindern ist das Abscheulichste, was man sich vorstellen kann. Selbst dort, wo das Kind nicht zu Tode kommt, ist es ein Mord an Kinderseelen. Ich fühle mit den betroffenen Eltern und verstehe ihre Trauer und ihre Wut und weiß mich mit Millionen von Bürgerinnen und Bürgern einig, die dies mit der Forderung verbinden: Schützt die Kinder vor diesen Grausamkeiten!
Die Betroffenheit und die Reaktion der Bevölkerung sind sehr groß, was ein Ausdruck dafür ist, daß das öffentliche Bewußtsein für die Verwerflichkeit solcher Taten enorm stark ist. Daß es in den letzten Jahren so gewachsen ist, ist vor allen Dingen der Aktivität von vielen Bürgerinitiativen und Vereinen zu verdanken. Dadurch ist eine hohe Sensibilisierung in unserem Land entstanden. Ich möchte für das Engagement dieser Initiativen sehr herzlich danken.
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Ihr Wirken hat auch stark die Kampagne der Bundesregierung „Keine Gewalt gegen Kinder" unterstützt, die wir in den Jahren 1992 bis 1994 durchgeführt haben. Nicht zuletzt die erste Weltkonferenz gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung in Stockholm im vergangenen Jahr hat die Öffentlichkeit aufgerüttelt.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten aber nicht nur Worte der Betroffenheit, sondern sie wollen Taten. Sie wollen, daß der Gesetzgeber reagiert,
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und das zu Recht. Deshalb sind für mich die vorliegenden Gesetzentwürfe auch so wichtig. Ich unterstütze ausdrücklich die vorgesehenen Strafverschärfungen durch die Anhebung der Mindest- und Höchststrafen. Es ist doch nicht einzusehen und vollkommen unakzeptabel, daß Delikte gegen das Eigentum strafrechtlich höher bewertet werden als Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit. Hier besteht ein krasses Mißverhältnis.
Bei diesen Gesetzentwürfen geht es um mehr als Abschreckung. Wir wollen vor allem Wiederholungstaten verhindern. Deshalb wird die Therapiepflicht vorgesehen. Deshalb sollen Freigang und vorzeitige Haftentlassung nur dann möglich sein, wenn Rückfälle ausgeschlossen werden können. Deshalb soll die Anordnung von Sicherungsverwahrung leichter möglich sein.
Ich verbinde mit diesen Gesetzentwürfen die Erwartung, daß nun auch eine konsequente Strafverfolgung stattfindet. Die Gesetzesvorhaben sind ein deutlicher Ausdruck dafür, daß der Gesetzgeber solche Verbrechen nicht akzeptiert. Das bedeutet, daß Richter und Staatsanwälte das Strafmaß ausschöpfen und sich intensiv um solche Strafprozesse kümmern müssen und daß die Länder den Strafvollzug sowie die notwendigen Therapien ermöglichen. Vieles Wichtige ist dazu schon gesagt worden. Ich denke, daß die Länder entsprechend sensibilisiert und handlungsbereit sind.
Wir haben - die Zahlen sind schon genannt worden - in deutschen Haftanstalten insgesamt 2 600 Sexualstraftäter einsitzen, aber nur 900 Therapieplätze. Dieses Mißverhältnis muß korrigiert werden. Auch wenn uns allen klar ist, daß Therapie keine hundertprozentige Sicherheit gibt, so ist ebenso klar, daß der Verzicht auf Therapien bedeutet, Wiederholungstaten ganz bewußt in Kauf zu nehmen. Das kann nicht unser Ziel sein.
Was für Täter möglich gemacht wird, muß erst recht für Opfer zur Verfügung stehen. Gerade kindliche Opfer brauchen Therapien. Sie werden benötigt, um Folgeschäden zu verringern und um zu verhindern, daß aus Opfern später vielleicht selber Täter werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß Sexualmorde nur die Spitze des Eisberges sind. Der Handel mit Kindern, Kinderpornos auf Videos und im Internet sind hier ebenso zu nennen wie die Mißbrauchsfälle im sozialen Nahbereich. Monat für Monat werden in unserem Land etwa 1 300 Fälle von sexuellem Mißbrauch angezeigt. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. Gerade wenn die Täter Verwandte, Bekannte oder vermeintliche Freunde sind, wird das Vertrauen des Kindes zutiefst zerstört. Wir wissen, welche katastrophalen Folgen dies für das gesamte Leben des Opfers haben kann.
Unser primäres Ziel muß es also sein, sexuelle Kindesmißhandlungen von Anfang an zu vereiteln. Dazu benötigen wir die Aufklärung von Eltern, Schulungen von verantwortlichen Erziehern, Lehrern und Ärzten, aber auch die erhöhte Aufmerksamkeit von uns Erwachsenen gegenüber Hilfesignalen von Kindern. Prävention bedeutet, Kinder so stark zu machen, daß sie bei unangenehmen Berührungen nein sagen können und daß sie negative Geheimnisse nicht für sich behalten müssen. Unsere Kinder brauchen Vorbilder und Identifikationsmuster - gerade auch Jungen, die dies oft aus dem Fernsehen beziehen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Niehuis?
Ja, bitte.
Ich habe die Debatte den ganzen Morgen über verfolgt. Ich höre jetzt Ihren Appell bezüglich der Prävention. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage: Sie wissen ja, daß die SPD-Bundestagsfraktion hierzu den Vorschlag für eine Grundgesetzänderung vorgelegt hat, der einerseits die Stärkung der Rechte der Kinder und andererseits die gewaltfreie Erziehung fordert. Nun habe ich von Ihren Kollegen heute gehört, daß die Grundgesetzänderung abgelehnt wird.
Sie als Bundesregierung haben die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet. Sie mußten im November 1995 in Genf dem Ausschuß „Rechte für die Kinder" mitteilen, was Deutschland hinsichtlich der UN-Kinderrechtskonvention tut. Hierzu möchte ich aus dem Prüfungsbericht zitieren, und zwar aus dem Teil, der sich auf die Unterhaltung mit Vertretern der Bundesrepublik Deutschland bezieht.
({0})
- Die kommt jetzt. Ich muß ja darstellen, was ich fragen will.
Ich möchte wissen, ob Sie das, was in diesem Prüfungsbericht steht, bestätigen und was Sie damit meinen. Wortwörtlich steht dort:
Der Ausschuß begrüßt wärmstens die Information seitens des Vertragsstaates
- das ist Deutschland dahin gehend, daß die Aufnahme des Übereinkommens über die Rechte des Kindes in die deutsche Verfassung erwogen wird, und ermuntert in diesem Sinne den Vertragsstaat, seine fortgesetzten Bemühungen hin auf einen verfassungsmäßigen Status des Übereinkommens aufrechtzuerhalten.
Daraus schließe ich: Die Bundesregierung hat, vertreten durch Ihr Ministerium, in Genf der UN versprochen, die Rechte der Kinder in unsere Verfassung aufzunehmen. Würden Sie dies bestätigen oder nicht?
Das ist in meinen Augen eine weitreichende Interpretation, auch in der Wiedergabe dieses Protokolls. Denn die Bundesregierung kann sich nicht dem Sachverhalt verschließen, daß wir vor einigen Jahren eine sehr ausführliche Grundgesetzdebatte in diesem Hohen Hause geführt haben und sich der Gesetzgeber dagegen entschieden hat, die Verfassungsänderung vorzunehmen, weil er der Überzeugung ist - das können Sie doch dem Hohen Hause nicht absprechen -, daß in unserer Verfassung die Rechte von Kindern, die Unversehrtheit der Würde eben auch von Kindern ausdrücklich verankert sind.
({0})
Es widerspricht dem nicht, daß die Bundesregierung sich nach wie vor in der Verpflichtung sieht, Verfassungswirklichkeit und Verfassungstext immer wieder einer Prüfung zu unterziehen. Ich sehe aber im Moment keinen aktuellen Änderungsbedarf.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mascher?
Bitte schön.
Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, die Unversehrtheit der Würde der Kinder stünde ausdrücklich in der Verfassung - ausdrücklich.
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- Lassen Sie mich den Satz doch zu Ende bringen. Sie haben gesagt: ausdrücklich. Ich verstehe das so, daß Kinder als Grundrechtsubjekte ausdrücklich in der Verfassung erwähnt werden. Es würde mich einmal interessieren, in welchem Grundgesetzartikel ich das finden kann. Leider ist es eben nicht gelungen, Kinder in Art. 6 ausdrücklich als Grundrechtsubjekte aufzunehmen.
Liebe Frau Mascher, ich wehre mich in der Tat dagegen, zwischen verschiedenen Sorten von Menschen zu unterscheiden. Kinder sind Menschen.
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Das steht ausdrücklich in Art. 2, der so auch Kinder mit umfaßt.
Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
Das ist dann die letzte, damit wir die Diskussion nicht unendlich weit ausdehnen. Wir haben heute vormittag, denke ich, schon sehr intensiv diskutiert. Aber ich werde die Zwischenfrage zulassen, damit wir das danach nicht noch vertiefen und verlängern müssen. Bitte.
Ich frage folgendes, damit wir wissen, worüber wir reden, Frau Ministerin. Meine Kollegin Edith Niehuis spricht von einem Dokument vom Ende des Jahres 1995. Ich frage Sie noch einmal: Was hat die Bundesregierung getan, um jenen Passus umzusetzen, der da heißt, daß der Ausschuß es begrüßt, daß die Aufnahme des Übereinkommens über die Rechte des Kindes in die deutsche Verfassung erwogen wird, und daß er dazu ermuntert? Sie fühlten sich also ermuntert, diese Dinge in die Verfassung hineinzunehmen.
Die alte, sehr unerfreuliche Debatte in der Gemeinsamen Verfassungskommission über die Änderung des Grundgesetzes kann Sie doch nicht davon abhalten, nun zu sagen: Jetzt, auf der neuen Grundlage dessen, was ich im internationalen Konzert zugesagt habe, bemühe ich mich als Ministerin, die Rechte des Kindes in der Verfassung zu verankern.
Stehen Sie zu Ihren internationalen Aussagen, oder machen Sie draußen eine Show, die Sie hier dann nicht umsetzen können? Das würde mich doch einmal interessieren.
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Liebe Kollegin Fuchs, ich finde es redlich, in einer Anhörung, gerade vor einem so wichtigen Ausschuß - dieses Erwägen und Prüfen ist uns als Ausschuß als Auftrag mitgegeben worden -, diesen Auftrag anzunehmen und zu sagen: Natürlich, wir erwägen und prüfen das auch noch einmal. Ich muß es aber im Lichte der kurz vorher abgeschlossenen Debatte über die Grundgesetzänderung tun und kann nicht ein Jahr später einen anderen Handlungsspielraum für mich definieren, als er ein Jahr vorher bei der Verabschiedung der Grundgesetzänderung gegeben war.
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- Ich würde gern fortfahren.
Ich denke, eine wichtige Hilfe für Kinder, für Jugendliche, für betroffene Eltern stellen die vielen Beratungsstellen dar, die als Ansprechpartner Eltern, Kindern und Pädagogen zur Verfügung stehen. Sie sind auch in Zukunft auf Förderung angewiesen. Das dafür notwendige Geld brauchen Länder und Kommunen auch künftig.
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Mein Ministerium bemüht sich dabei besonders um die Qualifikation von Multiplikatoren und um Aufklärungsmaterial. Zudem finanziert es seit 1996 den Aufbau eines flächendeckenden Netzes von KrisenBundesministerin Claudia Nolte
telefonen für Kinder und Jugendliche in den neuen Bundesländern, da das Angebot dieser wichtigen Beratungsmöglichkeit dort völlig unzureichend war.
Aufklärung und Erfassung - das sind auch die Aufgaben der von meinem Haus seit 1993 mit 1 Million DM geförderten bundesweiten Informations- und Dokumentationsstelle zu Kindesmißhandlung und Kindesvernachlässigung in Münster. Wir wissen, daß wir in diesem Bereich noch Wissensdefizite haben. Ich bin davon überzeugt, daß diese Einrichtung, die als zentraler Sammlungsort für Fachinformationen und als Informationsstelle für die Fachöffentlichkeit über Konzeptanalysen, Intervention, Therapien, Prävention und wissenschaftliche Auswertung fungiert diese Wissensdefizite beheben kann.
In die gleiche Richtung geht das seit 1994 von meinem Haus geförderte Forschungsvorhaben zu den Entstehungsbedingungen von Pädophilie. Wir wollen damit Ansätze entwickeln, die der Pädophilie entgegenwirken können; denn wir wissen, daß diese eine der Ursachen für den Bedarf und damit für die Nachfrage und Produktion von Kinderpornographie ist. Wir müssen das Übel also an der Wurzel anpakken.
Ich setze auf langfristige Strategien, den sexuellen Mißbrauch zu verhindern. Das ist für mich auch der Maßstab für die nationale Umsetzung der Forderungen von Stockholm.
Ich fordere uns alle auf, die vorliegenden Gesetzentwürfe zügig zu beraten. Lassen Sie uns alle aufmerksamer sein beim Hören von stummen Hilferufen von Kindern.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der in der Tagesordnung aufgeführten Vorlagen an die dort genannten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, Drucksache 13/7163, zur Reform des Strafrechts, Drucksache 13/7164, und zur Änderung der Strafprozeßordnung, Drucksache 13/7165, sollen zur Mitberatung zusätzlich dem Innenausschuß und dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Sind sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Gerd Andres, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Entwicklung der Vermögen und ihrer Verteilung
- Drucksachen 13/2406, 13/3885 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Hans-Eberhard Urbaniak, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Offensive zur Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen
- Drucksache 13/4373 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans Urbaniak, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wird seit vielen Jahrzehnten erörtert. In der Sache ist man, was die Konzentrierung der Verteilung des Produktivvermögens angeht, nicht entscheidend vorangekommen. Es ist eine sehr bedenkliche Situation, daß sich 80 Prozent des Produktivvermögens auf 3 Prozent der Bevölkerung konzentrieren. Dies ist äußerst ungesund, schafft Machtstrukturen und politischen Einfluß, der der Demokratie in unserem Lande nicht förderlich ist. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungszeit seit 1982 auf diesem Gebiet völlig unzureichend gehandelt. Das muß geändert werden!
({0})
Wir haben daher in unserer Großen Anfrage auf die vielen Mißstände hingewiesen und verlangen, da diese Anfrage völlig unzureichend beantwortet ist und auch keine Perspektive aufweist, daß Maßnahmen ergriffen werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, nach einem bestimmten Tableau, das wir ihr vorschlagen, einen Gesetzentwurf für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu erarbeiten.
Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung dies auch noch in dieser Legislaturperiode tut, denn sie selber hat im Jahreswirtschaftsbericht 1996 angekündigt, ganz bestimmte Tatbestände in der Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand voranbringen zu wollen. Im Jahreswirtschaftsbericht 1997 findet man davon überhaupt nichts mehr. Muß man davon ausgehen, daß Sie diesen wichtigen politischen Gedanken der Umverteilung des Produktivvermögens tatsächlich aufgegeben haben, oder wie handhabt die Bundesregierung dieses Thema überhaupt? - Dazu müssen Sie hier eine klare Antwort geben; das verlangen wir von Ihnen.
({1})
Sehen wir uns nun die Situation bei den Geldvermögen an, so stellen wir fest: 31 Prozent der privaten Geldvermögen sind auf 5,6 Prozent der bundesdeutschen Haushalte konzentriert, 50 Prozent dieser VerHans-Eberhard Urbaniak
mögen konzentrieren sich auf 10 Prozent der deutschen Haushalte, und die letzten 2,5 Prozent des Geldvermögens konzentrieren sich auf 50 Prozent der Bevölkerung. Nach entsprechenden Erhebungen fließen 32 Prozent der Dividenden und Zinsen in 2 Prozent der Haushalte.
Daraus können Sie ganz klar erkennen, wie katastrophal die Entwicklung ist, denn diese Geldvermögen werden ja aus dem Bestand des Produktivvermögens gespeist. Wenn Sie das nicht ändern, wird die Kopflastigkeit natürlich immer größer, und wir kommen nicht zu einer sinnvollen Verteilung. Darum fordern wir Sie auf, endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der uns in dieser Frage weiterbringt.
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Sieht man sich aber die Belastung der Arbeitseinkommen und die Nettolohnentwicklung an, so haben wir hierbei einen Zuwachs von 41,8 Prozent zu verzeichnen, in demselben Zeitraum aber einen Zuwachs der Erträge aus Produktivvermögen von 125 Prozent. Dies ist ein Skandal! Das müssen Sie doch bestätigen.
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Wir schlagen daher - erstens - eine Erhöhung der materiellen Anreize, einen Förderhöchstbetrag von 1 200 DM vor. Die Arbeitnehmersparzulage muß erhöht werden, der Steuerfreibetrag nach § 19a des Einkommensteuergesetzes ist auszuweiten.
Zweitens. Für uns spielt eine ganz besondere Rolle - das haben wir in den zurückliegenden Jahren immer wieder betont -, die Handlungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien für vermögenspolitische Vereinbarungen klarzustellen und abzusichern. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen auch des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nämlich Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen und Vermögensbildungsfonds abzuschließen. Dieses ist möglich, nur muß die Bundesregierung dazu eine klare Aussage treffen und eine klare rechtliche Absicherung vornehmen. Dieses Instrument würde uns über die Tarifpolitik ganz entscheidend nach vorn bringen. Darum weisen wir besonders auf diesen Punkt hin.
Der dritte, von uns besonders herausgearbeitete Punkt ist die Sicherung des Mitarbeiterkapitals bei Insolvenzen und der Schutz vor Verlusten, denn die Zahl der Insolvenzen hat in dieser Republik bei der ach so tollen Wirtschaftspolitik von Herrn Rexrodt tatsächlich einen Rekord erreicht. Die Leute verlieren dabei ihr Eigentum und ihr Vermögen mit einer Schnelligkeit, mit der das Wasser nicht durch den Rhein fließen kann.
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Der vierte Punkt ist eine Nutzung der öffentlichen Förderung privater Investitionen, die wir auch in vermögenspolitischer Hinsicht unterstützen können und unterstützen wollen. Dies geht aus der schriftlichen Begründung unseres Antrages ganz deutlich hervor. Das Papier der Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" hält Ihnen vor, daß Sie besonders bei der Vermögensentwicklung in den neuen Ländern versagt haben. Denn 80 Prozent der Privatisierung, die in den neuen Ländern durch die Treuhandanstalt stattgefunden haben, haben sich auf Westdeutsche bezogen. Dies ist eine ganz schlimme Entwicklung, weil Sie damit die Grundlagen für eine breite Vermögensentwicklung, eine Beteiligung der Arbeitnehmer im Bereich der neuen Länder am Privatvermögen, nicht gelegt haben. Sie haben auch unsere Anträge aus 1992 und 1993 abgelehnt. Sie haben also nicht die Chance wahrgenommen, bei dem Neuanfang in den neuen Ländern eine sozial gerechte Grundlage auf diesem Gebiet zu schaffen. Daher haben wir gerade in den neuen Ländern eine sehr ausgeprägte Kopflastigkeit bei der Produktivitätsstatistik. Dies muß natürlich geändert werden. Daran sollten Sie mit uns gemeinsam arbeiten.
({5})
In unserem Lande wird - das ist Skandal genug - in vielen Bereichen von Armutsberichten - die Bundesregierung ist auch dazu aufgefordert -, aber auch von Reichtumsberichten gesprochen. Beides gehört zusammen; darüber muß berichtet werden. Sie scheuen sich jedoch davor, weil damit die Kluft, die sich auf diesem Gebiete aufgetan hat, besonders deutlich wird. Daher werden wir immer wieder fordern, solche Berichte vorzulegen und hier klares statistisches Material für die weitere Entwicklung einer gerechten Lösung in Arbeitnehmerhand aufzubereiten.
Wenn Sie keine gerechte Vermögensverteilung schaffen und die Chancen der Entwicklung in Industrie, Bankgewerbe und allen anderen Bereichen, in denen Vermögen geschaffen wird, nicht nutzen, dann werden die Zahlen für die betroffenen Arbeitnehmer noch viel ungünstiger werden. Darum verlangen wir, insbesondere mit Blick auf die Chancen der Gewerkschaften hinsichtlich der Bildung von Tariffonds endlich Klarheit zu schaffen, um für breite Schichten der Arbeitnehmerschaft und der Bevölkerung die Voraussetzungen für eine Umsteuerung zu schaffen, so wie es „Schorsch" Leber bei der IG Bau gemacht hat und wie es bei der IG Chemie gemacht worden ist, wo wir sehr gute Erfolge haben. Aber es reicht natürlich überhaupt nicht aus, dies allein auf die Betriebe zu beziehen.
Schon die Dominikaner sagen: Ein Misthaufen, auf einem großen Feld aufgeworfen, bringt nichts. Dieser Dünger auf dem Lande schön verteilt, schafft eine gute Ernte. Daher sage ich zum Schluß: Das Produktivvermögen, gut verteilt, stabilisiert nicht nur Demokratie, sondern schafft auch Gerechtigkeit für die Menschen, die das Produktivvermögen überhaupt erst schaffen. Das sind die Arbeitnehmer, und die haben Sie in dieser Frage im Stich gelassen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Vogt, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zentrum der Aussprache steht, wie die Beteiligung der ArbeitnehWolfgang Vogt ({0})
mer am Produktivkapital gefördert werden kann. Deshalb möchte ich zunächst einem Mißverständnis vorbeugen. Die Frage lautet nicht, ob das Bausparen oder das Beteiligungssparen gefördert werden soll. Ich möchte, daß möglichst viele Bürger am Produktivkapital beteiligt sind. Genauso möchte ich, daß möglichst viele Menschen Wohneigentum besitzen.
Ohne Zweifel ist Wohneigentum für viele ein erstrebenswertes Gut. Für viele Bürger steht es in der Dringlichkeitsskala ganz oben.
Unsere Anstrengungen, den Erwerb von Wohneigentum zu unterstützen, haben gute Frucht gebracht. 1962 hatten in den alten Bundesländern erst 38 Prozent der privaten Haushalte Wohneigentum; 1993 waren es 50 Prozent. 1962 hatten nur 31 Prozent der Arbeitnehmerhaushalte Wohneigentum; 1993 waren es schon 52 Prozent. Die neuen Länder hinken natürlich hinterher. Wie könnte das anders sein? Die PDS läßt grüßen. 1993 verfügten dort nur 28 Prozent der privaten Haushalte über Grundvermögen. Aber der Aufholprozeß hat begonnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser beachtlichen Erfolge haben CDU/CSU und F.D.P. nicht die Hände in den Schoß gelegt. Die Einkommensgrenzen, die für die Gewährung der Wohnungsbauprämie maßgeblich sind, wurden auf 50 000 DM bzw. 100 000 DM erhöht, wenn die vermögenswirksamen Leistungen zum Bausparen verwandt werden. Die Umstellung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums auf eine Eigenheimzulage mit einer Zusatzförderung je Kind wird von den Bürgern lebhaft angenommen. Nach Auskunft der Länder ist die soziale Wirkung dieser Förderung positiv. Bürger mit niedrigem Einkommen haben mehr Chancen zum Eigentumserwerb. Deshalb betone ich: Vermögenswirksame Leistungen und Bausparen müssen auch künftig zusammenbleiben.
Was ich mit Blick auf die Entwicklung des Wohneigentums gesagt habe, kann ich so für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital nicht sagen. Sie steckt in den Kinderschuhen. Aber eine Meine Warnung an den Kollegen Urbaniak, der wieder mit - zumindest im Tonfall - starken Worten geredet hat: Was in der Zeit zwischen 1970 und 1982 von Ihnen auf dem Gebiet der Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand geschaffen worden ist, war kläglich.
({1})
1970 wurde das Vermögensbildungsgesetz erweitert, nach Grundsätzen, die in der Ara Kiesinger vereinbart worden waren, nämlich daß der Betrag verdoppelt wird und daß an die Stelle der steuerlichen Förderung eine Förderung durch die ArbeitnehmerSparzulage tritt.
({2})
- Liebe Frau Fuchs, dann wurde 1974 mit einem großen Paukenschlag das Vermögensbeteiligungsgesetz angekündigt. Ich weiß noch, wie im alten Plenarsaal Philip Rosenthal und Werner Maihofer zum Zeugen
der Zukunftsentwicklung ausgerufen wurden. Aber die beiden verhedderten sich im Gestrüpp: statt eines großen Aufbruchs eine große Pleite, als Ergebnis: nichts.
({3})
Wir haben nach 1982 die Förderung vermögenswirksamer Leistungen auf das Bausparen und die Kapitalbeteiligung konzentriert, und das mit Erfolg. Flossen 1982, am Ende der Regierungszeit der SPD, nur etwa 2 Prozent in die Kapitalbeteiligung, so sind es jetzt wenigstens 10 Prozent.
({4})
Bei Investmentgesellschaften gab es Ende 1994 rund 2,1 Millionen Depots mit Aktienfondsanteilen aus der Anlage von vermögenswirksamen Leistungen. 1994 gab es mehr als 740 000 Belegschaftsaktionäre. 2 Millionen Arbeitnehmer sind in rund 2 000 Unternehmen mit knapp 20 Milliarden DM an diesen Unternehmen beteiligt. Das ist unbestreitbar mehr als nichts, aber ich sage auch: keineswegs genug. Vielleicht besteht darin Übereinstimmung.
Die Probleme fangen erst nach dieser Feststellung an. Um sie zu lösen, hilft die Erfahrung. Das erste 312-DM-Gesetz blieb zunächst ein Mauerblümchen. Es blühte erst auf, als 1965 tarifvertraglich vereinbarte Leistungen in die Förderung nach diesem Gesetz einbezogen wurden und solche Tarifverträge auch tatsächlich abgeschlossen wurden. Ich finde es erfreulich, daß das Mitglied der IG Metall, Urbaniak, heute die Initiative von Georg Leber lobt. Damals setzte allerdings die IG Metall dem Georg Leber entgegen: Barlohn statt Sparlohn. Aber diese Parole war nicht zukunftsfähig, wie sich herausgestellt hat.
({5})
Im übrigen hatte damals auch die BDA nicht ganz recht, daß nämlich die tarifvertragliche Vereinbarung vermögenswirksamer Leistungen gegen Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft verstoßen würde. Die soziale Marktwirtschaft ist seit Mitte der 60er Jahre nicht zusammengebrochen.
Die Erfahrung lehrt dreierlei: Erstens. Weder der Staat noch die Tarifpartner schaffen für sich allein Eigentum in Arbeitnehmerhand. Sie müssen zusammenwirken. Zweitens. Der Gesetzgeber muß den Tarifpartnern den Weg für vermögenswirksame Leistungen zum Zwecke der Kapitalbeteiligung, also zum Investivlohn, ebnen. Drittens. Die Tarifpartner müssen sich selbst auf den Weg machen.
Es geht, wie gesagt, besser mit den Tarifpartnern, nicht über die Betriebspartner. Tatsache ist nämlich, daß der Kapitalbeteiligung im arbeitgebenden Unternehmen aus guten Gründen enge Grenzen gesetzt sind. Die Arbeitnehmer scheuen, neben dem Arbeitsplatzrisiko zugleich das Kapitalrisiko einzugehen. Die Arbeitgeber ihrerseits scheuen Miteigentümer, denen auf Grund der Art ihrer Beteiligung Mitspracherechte nicht verweigert werden können. Darüber hinaus steht die von den Arbeitnehmern erwartete
Wolfgang Vogt ({6})
Mobilität im Arbeitsleben in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis zur betrieblichen Kapitalbeteiligung. Für Beschäftigte im öffentlichen Dienst wie für freiberufliche Arbeitnehmer ist die betriebliche Kapitalbeteiligung so gut wie ausgeschlossen.
Dies festzustellen heißt nicht, daß es keine Beispiele für betriebliche Kapitalbeteiligung gäbe, die gelungen sind. Sie gibt es durchaus. Der Forschungsbericht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung „Praktisch erprobte betriebliche Vereinbarungen zur Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer" belegt das eindrucksvoll. Der Forschungsbericht ist zum Studium empfohlen.
Da aber der betrieblichen Kapitalbeteiligung enge Grenzen gesetzt sind, muß jeder, der den tariflichen Investivlohn bejaht, zugleich außerbetriebliche Anlageformen akzeptieren. Die Vorteile einer außerbetrieblichen Anlage liegen auf der Hand. Solche Anlageformen existieren seit langem in der Gestalt von Investmentfonds nach dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften. Die Fonds haben sich bewährt; sie sind problemlos in das marktwirtschaftliche System eingefügt; sie unterliegen der Kontrolle des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen. Die Anlage investiver Lohnbestandteile in Investmentfonds bietet zwei entscheidende Vorteile: Erstens. Die Fonds sind verpflichtet, renditeorientiert zu wirtschaften. Die dem Fonds zufließenden Investivlöhne dürfen nicht zu branchen- oder strukturpolitischen Zwecken verwendet werden. Zweitens. Die gesetzlich verankerte Risikostreuung und die Ertragssicherheit durch ein professionelles Management beugen der Gefahr einer Risikokumulation von Arbeitsplatz und Kapitalanlage vor. Die Frage nach einer Insolvenzsicherung stellt sich nicht.
Nun teile ich zwar die Auffassung, von der ich annehme, daß der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther sie gleich darlegen wird - das steht in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD; deshalb ist das kein vorauseilendes Wissen -, daß die Tarifpartner schon jetzt in eigener Verantwortung nicht nur die Höhe des Entgelts festlegen können, sondern auch bestimmen können, ob Lohnanteile für eine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer eingesetzt werden sollen. Der rechtliche Rahmen für tarifvertragliche Vereinbarungen über investive Lohnbestandteile ist gegeben. Die Tarifpartner können nach geltendem Recht außerbetriebliche Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer vereinbaren. Diese Auffassung aber wird bestritten. Deshalb ist aus meiner Sicht eine rechtlich verbindliche Klarstellung über die Regelungsbefugnis der Tarifpartner erforderlich.
Von der rechtlichen Klarstellung, was die Tarifpartner vereinbaren dürfen, ist aber zu unterscheiden, unter welchen Bedingungen der Staat vermögenswirksame Leistungen zu fördern bereit ist. In diesem Punkt - das sage ich ganz offen - müssen einzelne Fäden noch miteinander verknüpft werden.
Ich nenne zunächst: Es ist das Recht des Arbeitnehmers, selbst zu entscheiden, in welcher Form einer Kapitalbeteiligung er die vermögenswirksamen Leistungen anlegt.
({7})
Die Anlage kann selbstverständlich auch in Form von Anteilen an Investmentfonds erfolgen, mit denen die Tarifpartner kooperieren oder die sie unter Nutzung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften schaffen, wenn sie dies wollen.
Nicht abgedeckt durch das geltende Recht ist die Forderung der SPD, Tariffonds auch dann uneingeschränkt zu fördern, wenn die Tarifvertragsparteien die obligatorische Anlage der vermögenswirksamen Leistungen in solchen Fonds verbindlich festlegen. In diesem Punkt sollte die Rechtslage meines Erachtens nicht verändert werden.
({8})
Weiter nenne ich: Wenn der Tarifvertrag lediglich den Erwerb von Produktivkapitalbeteiligungen vorsieht, dem Arbeitnehmer also den Zugang zum Bausparen prinzipiell verbaut, dann muß er dem einzelnen Arbeitnehmer durch eine Öffnungsklausel ermöglichen, die vermögenswirksamen Leistungen für das Bausparen begünstigt zu verwenden.
({9})
Umgekehrt muß die Klausel auch für den Fall gelten, daß in einem Tarifvertrag vereinbart wird, die vermögenswirksamen Leistungen ausschließlich zum Zwecke des Bausparens zu verwenden.
Schließlich frage ich, ob es nicht sinnvoll wäre, den Investivlohn grundsätzlich genauso zu fördern, wie dies bei Zuwendungen an eine Pensionskasse nach § 40b EStG der Fall ist. Diese Zuwendungen unterliegen - das sind jetzt nebensächliche Punkte - der Lohnsteuer mit einem Pauschalsatz von 20 Prozent und sind sozialabgabenfrei, sofern sie 3 408 DM im Jahr nicht übersteigen. Und: Eine Kündigung der Anlage vor dem 60. Lebensjahr des Arbeitnehmers ist ausgeschlossen. Das ist für mich in diesem Zusammenhang der springende Punkt.
Genügt eigentlich eine siebenjährige Festlegungsfrist, um aus vermögenswirksamen Leistungen ein vererbbares Vermögen zu machen? Ich meine, daß nur im Falle einer langfristigen Anlage sichergestellt ist, daß ein individueller Kapitalstock aufgebaut wird und der angelegte Investivlohn tatsächlich nachhaltig zur Bildung von Vermögen führt.
Noch ein Wort zum Förderrahmen. Ich meine, vor dem Hintergrund der beabsichtigten grundlegenden Reform des Einkommensteuerrechts kommt niemand, auch die SPD nicht, daran vorbei, die Vorschläge zu überdenken, wie der Förderrahmen ausgeweitet werden soll. Auch fiskalische Gründe werden Sie dazu bringen, Ihren Förderkatalog zu überprüfen. Aus meiner Sicht besteht aber in einem Punkt Handlungsbedarf: Die Einkommensgrenzen müssen auch für den Fall von 50 000 auf 100 000 DM angehoben werden, wenn die vermögenswirksame Leistung zum Erwerb einer Kapitalbeteiligung dient.
Wolfgang Vogt ({10})
Noch eine Bemerkung. Aus dem SPD-Antrag habe ich entnommen, daß der begünstigte Betrag nach § 19 a des Einkommensteuergesetzes auf 1 000 DM angehoben werden soll. Das reißt mich vom Stuhl, Herr Kollege Urbaniak. Es geht doch nicht an, daß Frau Matthäus-Maier in jeder Debatte die steuerliche Wirkung des Kinderfreibetrags lautstark - das kann sie ja - anprangert, aber Sie den begünstigten Betrag nach § 19a EStG, der ja auch wieder von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen wird, auf 1 000 DM anheben wollen. Das paßt nicht zusammen. Ich bitte Sie: Schaffen Sie zunächst Ordnung in Ihren Reihen und fangen Sie bei den Köpfen an!
({11})
- Das paßt halt nicht zusammen. Mit Ihrem Antrag können Sie uns überhaupt nicht imponieren. Man muß in den Grundlagen der Politik, wie sie uns von der SPD vorgelegt werden, schon ein bißchen konsequent sein.
({12})
Der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther wird die Gründe darlegen, die für eine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer sprechen. Ich stelle mir manchmal vor, wir wären schon früher dazu gekommen, daß die Arbeitnehmer neben dem Arbeitseinkommen und dem Einkommen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Sparguthaben auch am Kapital und an den Erträgen der Wirtschaft beteiligt wären. Wie anders würde sich das tarifpolitische Bild in der Bundesrepublik darstellen! Aber das ist so eine Sache mit dem „würde". Horst Günther wird die gewichtigen Gründe, die für die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer sprechen, darstellen. Ich habe dazu keine Zeit; ich stimme ihm aber zu.
Ich bin sehr zuversichtlich, daß die Fäden, die ich hier aufgezeigt habe, bald so verknüpft werden, daß es zu einem tragfähigen Konzept kommen wird, das wir in dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages noch verabschieden werden.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Million Vermögensmillionäre gibt es in unserem Land, so berichtet die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage.
({0})
1,2 Prozent der Bevölkerung liegen jenseits der Schwelle, die wir vermutlich alle miteinander in diesem Hause unstreitig als reich bezeichnen würden. Ist das jetzt viel oder wenig? Ist das ein Skandalon, oder ist das der Ausdruck der Normalität unseres
Wirtschaftssystems? Wieviel Ungleichheit finden wir tolerabel? Was genau ist eine ausgewogene Vermögensverteilung oder gar eine gerechte?
Die Maßstäbe für die Beantwortung dieser Fragen verändern sich im Laufe der Zeit. Eine Gesellschaft verständigt sich über ihre Leitbilder immer wieder neu. Man kann aber schon sagen, daß die Bundesrepublik zwar ein Gesellschaftssystem hat, das sehr auf sozialen Ausgleich bedacht ist, das aber nicht von einem egalitären Leitbild geprägt ist. In der Bundesrepublik ist Ungleichheit im hohen Maße akzeptiert und Gleichmacherei eher verpönt. Das sieht man unter anderem an der breiten Ablehnung des Grundrentenmodells.
Wenn das aber so ist, wie kommt es dann, daß die Frage der Vermögensverteilung in den letzten Jahren viel mehr Menschen umgetrieben hat als lange Zeit zuvor? Warum gibt es eine wachsende Empörung über ungleiche Verteilung? Sie von der Bundesregierung denunzieren das immer als Sozialneid. Aber ich glaube, so einfach dürfen Sie sich das nicht machen. Sie haben in den letzten Jahren zu oft das elementare Gerechtigkeitsgefühl verletzt; Sie haben die Glaubwürdigkeit verspielt, indem Sie die Sparoperationen höchst ungleich angesetzt haben, aber die möglichen Quellen für Steuereinnahmen bei Wohlhabenden systematisch nicht genutzt haben.
Mit schöner Offenheit räumen Sie in Ihrer Antwort ein, daß in der Vermögensteuerstatistik die Zahl der Millionäre systematisch untererfaßt ist, weil diese viele Tatbestände zur Steuerminderung geltend machen können. Vielleicht ist das in Wahrheit der Grund für die Abschaffung der Vermögensteuer gewesen: Sie konnten es nicht mehr ansehen, wie sich Millionäre der Besteuerung entzogen. Da haben Sie sie lieber gleich ganz abgeschafft.
({1})
Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Mir geht es hier nicht um irgendeine Form von völliger Gleichheit, sondern um eine angemessene Beteiligung aller an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit. Das ist es, was auch durch die Steuerreform endlich wieder erreicht werden muß.
Die Beteiligung an der Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben ist nur die eine Seite dessen, um was es hier geht. Die andere ist die Frage, ob - unabhängig vom Problem der Vermögensmillionäre - viele Menschen die Chance haben, ein Vermögen aufzubauen. Als Ziel ist dies - das nehme ich schon an, und das haben die vorherigen Reden gezeigt - in diesem Haus unstrittig. Ich will mich nicht an der Geschichtsschreibung beteiligen, mit der man herauszufinden versucht, mit welchen verschiedenen Instrumenten und mit welchem Erfolg das in den letzten Jahren gelungen ist.
Der Aufbau eines eigenen Vermögens dient der Sicherheit und dem eigenen Wohlstand. Die Beteiligung am Produktivvermögen ist eine Form der individuellen Vermögensbildung. Dabei geht es dann um mehr als um Sicherheit und Wohlstand; hier geht
Andrea Fischer ({2})
es auch um eine Demokratisierung des Wirtschaftslebens und um Teilhabe an der ökonomischen Basis unseres Wohlstands.
In der Untersuchung über die betriebliche Vermögensbeteiligung von Arbeitnehmern, auf die der Kollege Vogt schon hingewiesen hat, vermeldet der Minister stolz, daß jedem 17. in diesem Land ein Stück seines Betriebes gehöre. Mich macht es eher nachdenklich, daß es nur so wenige Unternehmen, nämlich ganze 2000 an der Zahl, gibt, die solche Modelle entwickelt haben und die erkannt haben, daß es ein interessanter Aspekt der Unternehmensentwicklung sein kann, die Mitarbeiter zu beteiligen. Dabei liegt es doch auf der Hand, daß eine Beteiligung eine starke Auswirkung auf die Haltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber ihrem Betrieb hat und die Motivation positiv beeinflußt.
Auch wenn diese interessante Studie viele Faktoren aufzählt, die die Betriebe bei der Entwicklung von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen hindern - über diese Hemmnisse hinaus scheint mir allerdings die Zurückhaltung der Betriebe auch einer Entwicklung geschuldet, die dazu führte, daß Unternehmen in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit meinen, nichts mehr im Interesse ihrer Belegschaften tun zu müssen und die Motivation ihrer Mitarbeiter ergebe sich allein schon auf Grund des Arbeitsmarktdrucks. Diese Untersuchung über die Beteiligungsmodelle fördert eine Vielzahl interessanter Hinweise zutage, wie solche Modelle paßgenau auf den jeweiligen Betrieb zugeschnitten werden können.
Ein Hinweis zum Beispiel hat mich sehr nachdenklich gemacht, nämlich der, wonach die staatliche Sparförderung wegen ihres hohen bürokratischen Aufwands nicht nur nicht unterstützend, sondern oft sogar regelrecht hemmend wirkt. Das heißt, hier müssen wir offensichtlich ein altes Instrument, an das wir uns gewöhnt haben, noch einmal dahin gehend überprüfen, ob es dem dient, was wir erreichen wollen.
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Aus der Studie können wir ebenfalls lernen, daß es in der Regel eine oft genug sogar sehr lukrative finanzielle Beteiligung gibt, aber oft in Anlageformen, die keinerlei Mitsprache ermöglichen, so zum Beispiel stille Beteiligungen oder Genußrechte. Dies scheint mir noch ein Denken von gestern widerzuspiegeln. Denn moderne Betriebe brauchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mitdenken, mitplanen und selbständig arbeiten können. Dann darf man sie eben nicht nur finanziell beteiligen wollen und von der Mitsprache über das Schicksal des Gesamtbetriebes ausschließen.
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Es wäre eine Aufgabe für eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik, Modelle für eine Mitarbeiterbeteiligung zu entwickeln, die nicht nur Teilhabe am Betriebsvermögen, sondern auch die Teilhabe an den Betriebsentscheidungen ermöglichen.
Über die Beteiligung am Produktivvermögen hinaus geht es in der Großen Anfrage überhaupt um die
Frage, wie den Menschen eine größere Spartätigkeit ermöglicht werden kann. Die SPD schlägt vor, die steuerliche Förderung auszubauen, das heißt, den Kreis der Begünstigten auszuweiten. Ich bezweifle, ob wir damit zum Ziel kommen, und ich bezweifle, ob wir weiterhin Lenkungseffekte in bezug auf das persönliche Konsum- und Sparverhalten über das Einkommensteuerrecht anstreben sollten. Gerade weil über Jahrzehnte hinweg alles, was gestützt und gefördert werden sollte, ins Einkommensteuergesetz gepackt worden ist, ist es zu einem Monstrum geworden, was alle beklagen, allerdings immer nur so lange, bis ihnen selber eine Vergünstigung gestrichen werden soll.
({5})
Warum müssen wir den Menschen erst über die Besteuerung das Geld wegnehmen, um danach über steuerliche Vergünstigungen ein bestimmtes gewünschtes Verhalten zu belohnen?
({6})
Ich setze statt dessen darauf, eine allgemeine Entlastung von niedrigen Einkommen - meine Damen und Herren von der F.D.P., hören Sie zu! ({7})
über ein erhöhtes Existenzminimum, die Freistellung von Vorsorgeaufwendungen und gesenkte Steuersätze zu erreichen und es dann den Menschen selber zu überlassen, was sie mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld machen. Es ist nämlich in unserer Gesellschaft auch legitim, nicht zu sparen.
Letzter Punkt. Wir sollten uns auch im Zusammenhang mit den demographischen Veränderungen dringend Gedanken über eine Revitalisierung der betrieblichen Altersvorsorge machen. Wir brauchen eine neue Gestaltung von Pensionsfonds, die betriebsferner gestaltet werden müssen, weil die Arbeitsverhältnisse flexibler werden, und wir brauchen kürzere Mindestanwartschaftszeiten, damit man Anwartschaften auch mitnehmen kann.
({8})
Wir müssen uns überlegen, wie diese Fonds für Unternehmen attraktiv gemacht werden können, und zwar gerade für die kleineren und mittleren Unternehmen, die zur Zeit fast keine betriebliche Altersversorgung anbieten.
Vielleicht macht es auch Sinn, die bisherige Sparförderung in die Förderung der Beteiligung von Arbeitnehmern an einer gründlich reformierten betrieblichen Altersvorsorge umzuwidmen.
Erwerbsleben, Beschäftigungsstruktur, individuelle Haltungen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen haben sich dramatisch verändert. Deswegen müssen wir nach neuen passenden Formen der BeAndrea Fischer ({9})
teiligung von vielen Menschen am gesellschaftlichen Wohlstand suchen.
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Das Wort hat die Kollegin Professor Gisela Frick, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Fischer, ich möchte Ihnen zu Teilen Ihrer Rede gratulieren. Sie enthielt sehr viele Gedanken, die auch die F.D.P. zur Vermögensbildung hat.
Nun zu dem Antrag der SPD. Es ist leider ein typischer SPD-Antrag, muß ich sagen.
({0})
- Ich sage „leider", weil Sie hier, soweit ich weiß, noch immer Fraktionsstärke haben und deshalb auch einen Gesetzesvorschlag, eine Gesetzesinitiative einbringen könnten. Aber ein Antrag enthebt Sie der Kostenfestlegung, die in einem Gesetzentwurf immer enthalten sein muß.
({1})
Insofern finde ich es ganz typisch, daß Sie hier nur einen Antrag stellen. Darin umschreiben Sie eigentlich schon relativ präzise, was Sie wollen. Aber damit nicht klar wird, was das alles kostet, belassen Sie es bei einem Antrag.
Dieses Verhalten zeigen Sie leider sehr häufig. Sie wollen die Renten möglichst noch erhöhen, aber die Beiträge zur Rentenversicherung senken.
({2})
Das geht irgendwo nicht auf. Sie wehren sich gegen die Zuzahlungen im Krankheitsfall, wollen die Beiträge zur Krankenversicherung aber senken.
({3})
Das geht irgendwo nicht auf. Sie wollen die Lohnzusatzkosten senken, wehren sich aber gegen eine Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das geht irgendwo nicht auf.
({4})
Ich kann Ihnen das nur immer wieder sagen: Sie versuchen die Quadratur des Kreises und sagen natürlich nichts zu den Kosten.
Sie wollen unsere Steuerreform jedenfalls nicht - aber zum 1. Januar 1998. Sie wollen Steuersenkungen, aber aufkommensneutral. Sie wehren sich gegen den auf 39 Prozent abgesenkten Spitzensteuersatz, wie wir ihn vorschlagen, und lamentieren,
({5})
das sei ein Steuergeschenk von 120 000 DM pro Reichen. Vor einem halben Jahr haben Sie aber noch gesagt: Die Einkommensmillionäre zahlen wegen der vielen Schlupflöcher überhaupt keine Steuern. Das geht irgendwo nicht auf.
({6})
Sie wenden sich gegen Subventionen, sagen Sie. Aber sobald wir irgendeine Subvention einschränken wollen, wehren Sie sich mit Händen und Füßen dagegen, wie wir gerade erst gesehen haben. Irgendwann müssen Sie doch auch einmal erkennen, daß das, was Sie vorschlagen, nicht aufgeht.
Frau Kollegin Frick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Catenhusen?
Ja.
Ich bedanke mich und frage Sie folgendes: Sollten wir uns nach Ihrer Auffassung doch lieber die Strategie der F.D.P. zum Vorbild nehmen, die Steuersenkungen verspricht und gleichzeitig eine Lücke von 45 Milliarden DM reißt? Ist das Ihre Alternative?
({0})
Nicht 45 Milliarden DM, sondern 30 Milliarden DM stehen im Moment im Raum. Daß ich mich freuen würde, wenn Sie sich der Strategie der F.D.P. anschlössen, ist doch wohl selbstverständlich. Da kann ich nur aus vollem Herzen ja sagen. Es sollten sich noch mehr dieser Strategie anschließen.
({0})
Zu Ihren Anträgen im einzelnen. Erstens. Die Einkommensgrenzen denen beim Bausparen anzupassen macht Sinn. Das sehe ich ein. Aber auch hier stellt sich natürlich die Frage der Finanzierung. Die ist ein bißchen schwierig. Das Bundesfinanzministerium spricht von 1 Milliarde DM.
({1})
Zweitens. Sie wollen § 19a Einkommensteuergesetz ausweiten. Dazu hat der Kollege Voigt eben schon etwas gesagt. Ich nenne aber noch einen anderen Gesichtspunkt. Ich möchte gern Professor Bareis zitieren, der gesagt hat, er sei die allerabartigste Geschichte überhaupt im Einkommensteuerrecht, weil mit rund 2 000 Wörtern - ich habe das nachzählen lassen, es sind 2 397 Wörter, wenn man die Fußnoten hinzunimmt, und 23 Verweisungen - eine Steuerwirkung im Gegenwert von einer Schachtel Zigaretten pro Monat für einen Arbeitnehmer erreicht wird. Das ist absurd. Diese Vorschrift wird natürlich im Rahmen
der Steuerreform abgeschafft und nicht noch ausgeweitet. Das ist doch ganz selbstverständlich.
({2})
Tariffonds lehnen wir ab, und zwar strikt. Darin sind wir überhaupt nicht verhandlungsbereit; denn es ist uns ganz wichtig, die Freiwilligkeit und die Wahlmöglichkeiten zu erhalten.
Sie sagen in Ihrem dritten Punkt: Das ist eine Beteiligung am Betriebskapital, aber es darf natürlich kein Risiko dabeisein. Dazu muß ich sagen: Es ist gerade das Wesen von Betriebskapital, daß es risikobehaftet ist. Hierzu Netz und doppelten Boden zu fordern ist ein wenig problematisch.
Die Frage lautet: Was stellen wir uns vor? Das ist nicht besonders überraschend. Auch wir sind nicht mit der derzeitigen Verteilung des Vermögens zufrieden.
({3})
- Nein, auch wir nicht.
Wir sehen aber andere Möglichkeiten, das zu verbessern. Ich möchte an das erinnern, was die Kollegin Fischer bereits ausgeführt hat. Für uns ist es ganz wichtig, daß wir eine ordentliche Steuerreform mit dem Ziel umsetzen, daß den Leuten mehr Geld für die eigene Verwendung bleibt - das ist ganz wichtig - und es nicht abgeschöpft wird, um es in irgendwelche Kollektivsysteme zu geben.
({4})
- Das ist die vernünftigste Politik.
Ich habe letztens zum gleichen Thema, zum Antrag der PDS betreffend Reichtumsbericht, reden müssen. Ich ärgere mich ein wenig, daß ich nach drei Wochen zum gleichen Thema noch einmal reden muß. Damals habe ich gesagt: Dieses System bietet für alle Menschen immer noch die besten Chancen. Das ist historisch nachgewiesen, und das können Sie 1997 nicht widerlegen.
Neben der Steuerreform brauchen wir - das gestehe ich Ihnen, Frau Fischer, zu - auch eine Aktienrechtsreform. Um Beteiligungen am Produktivkapital zu bekommen, brauchen wir Mitarbeiterbeteiligungen. Diese sind zum Teil etwas schwierig; dazu hat der Kollege Vogt bereits etwas gesagt. Insbesondere bei kleineren und mittleren Betrieben sind sie kaum durchzuführen.
Deshalb haben wir sehr große Sympathien für die neuen pfiffigen Modelle Pensionssondervermögen und Pensionsfonds, die auch das Risikoproblem weitgehend lösen, weil sie außerbetrieblich und kaum risikobelastet sind und eine ganz breite Streuung haben.
Wir haben ein Konzept, und das ist vernünftig, weil es auf marktwirtschaftlichen Lösungen beruht. Insofern erteilen wir Ihrem Antrag natürlich eine Absage.
Danke.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.
({0})
Wir haben doch gestern schon im Ausschuß besprochen, was wir mit Vermögensbildung zu tun haben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung unternimmt alle Anstrengungen, die bedrückende Schieflage bei der Vermögensverteilung in diesem Land zu leugnen. Es ist Ihnen offensichtlich völlig Wurscht, daß die reichsten 5 Prozent in diesem Land über 31 Prozent des Bruttogeldvermögens verfügen und das untere Viertel lediglich über 1 Prozent. Offensichtlich beunruhigt Sie das überhaupt nicht.
Genausowenig beunruhigt Sie, daß das zu einer weiteren Vertiefung der sozialen Spaltung führt, insbesondere zwischen Ost und West. Es ist bereits ausgeführt worden: Die neuen Bundesländer sind bei der Vermögensentwicklung völlig draußen.
Wie seit Jahren die wachsende Armut negiert und kleingeredet wird, so wird nun auch die sozial und ökonomisch fatale Reichtumskonzentration in wenigen Händen verharmlost. Die in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD dafür aufgeführten Belege sind wahrlich satirereif. Da heißt es, daß die Verteilung der Vermögen besonders in den letzten Jahren gleichmäßiger geworden sei. Als Beweis wird angeführt, daß in Westdeutschland neun von zehn Haushalten mindestens ein Sparbuch haben, daß sieben von zehn Haushalten eine Lebensversicherung besitzen und seit Ende der 70er Jahre gar vier von zehn Haushalten über ein Bausparguthaben verfügen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts von 4,6 Billionen DM an privatem Geldvermögen sind solche Maßstäbe wirklich geradezu lächerlich.
Private Vermögensbildung, so die Bundesregierung weiter, diene der Daseinsvorsorge der privaten Haushalte. Das ist ja wohl wahr, und dagegen wird auch niemand etwas haben. Die Frage ist nur: Warum haben nur wenige die Chance, für ihr Dasein vorzusorgen, und zwar mit riesigen Vermögen, während auf der anderen Seite immer weniger Menschen wissen, wie sie hier und heute ihre Lebensgrundlagen sichern sollen? Gegen diese Ungerechtigkeit haben wir allerdings etwas. Diese Ungerechtigkeit ist der eigentliche Skandal, um den es hier geht.
({0})
Es gibt heute keine drastischere Gegenüberstellung als die von explodierendem Reichtum auf der einen und wachsender Armut auf der anderen Seite.
Nichts ist ernüchternder als die einfache Feststellung, daß der Aktienindex mit den Arbeitslosenzahlen und die privaten Vermögen mit der öffentlichen Verschuldung um die Wette klettern. Das übermäßige Anwachsen der privaten Geldvermögen und die steigenden Arbeitslosenzahlen sind zwei Seiten einer Medaille. Dies wirft in der Tat die Frage nach der Zukunftsfähigkeit einer Politik auf, die sich außerstande sieht, die unproduktive Anhäufung von immer größerem Geldvermögen zu beenden und den Reichtum in Investitionen zu verwandeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, staatliche Reichtumspflege schafft keine Arbeitsplätze, sie vernichtet Arbeitsplätze.
({1})
Ein immer größerer Teil der hierzulande erwirtschafteten Werte fließt eben nicht in die Wirtschaft zurück, weder als Investition noch als Nachfrage, sondern verlegt sich auf Finanzgeschäfte. Nun wissen wir, daß die Bundesregierung nicht müde wird, uns die hartnäckigen Investitionsverweigerungen der Unternehmen durch zu hohe Löhne, zu hohe Lohnnebenkosten und zu hohe Steuern zu erklären.
({2})
Die nackten Zahlen sprechen dagegen. Ich will nur ein paar Überschriften aus der gestrigen Presse nennen: Bayer: bestes Ergebnis der Firmengeschichte, Adidas: höchster Umsatz aller Zeiten, Telekom voll auf Wachstumskurs. - Das ist die Realität, und trotzdem wird nicht investiert.
({3})
Die Wirtschaftsabteilung des DGB kommt zu dem Schluß, daß die Nettogewinne der Unternehmen preisbereinigt um 116 Prozent in den letzten 15 Jahren gestiegen sind, während die Nettolöhne der Arbeitnehmer um lediglich 1,4 Prozent gestiegen sind.
Das Schlimme ist, daß diese ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen eben nicht nur ein sozialer Skandal ist, sondern auch ein ökonomischer Irrwitz, weil in gleichem Maße Arbeitsplätze vernichtet werden, wie der Reichtum sich vor allem auf den Finanzmärkten tummelt. Dies bewirkt eine ungesunde Entwicklung.
Natürlich bleiben die Gewinne nicht in den Unternehmen, sondern fließen in die Taschen des oberen Viertels dieser Gesellschaft. Es verfügt, wie ich bereits gesagt habe, über fast 70 Prozent der privaten Geldvermögen. Diese Vermögen schaffen keine Nachfrage, und sie schaffen auch keine neuen Arbeitsplätze, sondern sie blähen die überschüssigen Geldbestände in diesem Land auf, die dann auf den Finanzmärkten herumvagabundieren.
({4})
Die Bundesregierung hat diese Entwicklung durch ihre Entscheidungen zugunsten der großen Unternehmen und der Vermögenden in den letzten Jahren massiv begünstigt. Ihre Reichtumspflege und Ihre Steuergeschenke sind dafür verantwortlich, daß die Steuereinnahmen aus Unternehmertätigkeit massiv gesunken und die öffentlichen Haushalte pleite sind. Damit sind Sie nicht mehr in der Lage, den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht zu werden.
Heute müßte es wirklich darum gehen, sich darüber zu unterhalten, wie mit Instrumenten der Politik der Reichtum in Nachfrage und Arbeitsplätze umgewandelt werden könnte. Darum geht es heute. Dazu brauchen wir unter anderem einen Reichtumsbericht mit aktuellen Zahlen. Sie haben diesen Reichtumsbericht abgelehnt, weil Sie die Veröffentlichung von wachsender Vermögenskonzentration und die zunehmende Zahl der Einkommensmillionäre nicht interessiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist gänzlich unklar, warum Sie sich bei unserem Antrag enthalten haben.
Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!
Ich komme sofort zum Schluß.
({0})
Ich denke, es ist notwendig, diesen Trend zu durchbrechen. Im Grundgesetz heißt es doch so schön: „Eigentum verpflichtet." In dieser Beziehung sollten Sie das gemeinsame Kirchenwort durchaus ernst nehmen.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.
({0})
Seien Sie nicht so vorlaut, Kollege Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die soziale Marktwirtschaft verlangt die möglichst breite Beteiligung der Arbeitnehmer am Vermögen im allgemeinen und am Produktivvermögen im besonderen. Insoweit teile ich die Aussage im SPD-Antrag.
Erstens. Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der sozialen Partnerschaft. Soziale Partnerschaft ist um so fundierter, je mehr es gelingt, das alte Konfliktschema von Kapital und Arbeit zu überwinden. Eigentumsstreuung bedeutet auch, den sozialen Frieden auf festere Fundamente zu stellen. Mit anderen Worten: Die Beteiligung möglichst vieler Menschen am Produktivkapital der Wirtschaft stärkt die innere Stabilität der sozialen Marktwirtschaft.
Zweitens fördert materielle Beteiligung, gepaart mit partnerschaftlichen Managementstrategien, die Motivation und Mitverantwortung der Arbeitnehmer, steigert hierdurch Produktivität und Rentabilität des Unternehmens und mindert so seine Krisenanfälligkeit. Das hat auch eine Untersuchung des Prognos-Instituts im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums ergeben, die soeben erschienen ist.
Drittens fördert die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft und ist damit ein Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen, und zwar ohne daß verteilungspolitische Schieflagen entstehen. Die Schaffung von mehr Beschäftigung ist ohne erhebliches zusätzliches Sparen für eine längere Dauer gerade auch bei den Arbeitnehmern nicht möglich. Die Frage dabei ist aber, ob dies über bloße Lohnzurückhaltung geschehen soll oder ob der Arbeitnehmer für seinen Konsumverzicht in Form von Vermögensbildung und Teilhabe an den Vermögenserträgen entschädigt wird.
Viertens dient die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand in zweifacher Weise der sozialen Sicherung: Zum einen setzt solidarische Sicherung Arbeit voraus. Produktivvermögensbildung bei den Arbeitnehmern erleichtert die Schaffung von Arbeitsplätzen. Zum anderen sind Vermögen und Vermögenserträge eine der drei Säulen unseres Systems der Altersvorsorge.
Wer die gesetzliche Alterssicherung entlasten will, sollte an einer möglichst breiten Streuung des privaten Eigentums interessiert sein. Eigentum in Arbeitnehmerhand kann daher ein Entlastungsprogramm für die solidarischen Sicherungssysteme sein. - Ich hoffe, Kollege Vogt, daß ich die insoweit eingeforderte Begründung nicht schuldig geblieben bin.
Aus all diesen Gründen besteht ein hohes gesellschaftspolitisches Interesse an einer möglichst ausgewogenen Vermögensverteilung. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht.
Die untere Hälfte der privaten Haushalte besaß 1993 nur rund 4 Prozent des gesamten Privatvermögens, was durchschnittlich rund 20 000 DM entsprach. Demgegenüber betrug das Vermögen im Durchschnitt aller Haushalte rund 230 000 DM.
Belegschaftsaktien oder andere Aktien besaßen 1993 in Westdeutschland nur 11 Prozent der Arbeiterhaushalte und 18 Prozent der Angestelltenhaushalte. Depots mit Aktienfondsanteilen aus der Anlage vermögenswirksamer Leistungen bei Investmentgesellschaften haben erst 6 Prozent der Arbeitnehmer. Ebenfalls 6 Prozent der Arbeitnehmer sind heute am arbeitgebenden Betrieb beteiligt.
Sowenig zufrieden wir damit sein können, so sollte aber nicht übersehen werden, daß die Vermögensverteilung gerade in jüngerer Vergangenheit wieder gleichmäßiger geworden ist. Die Bundesregierung hat dazu ausführliches statistisches Zahlenmaterial in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion vorgelegt.
Ich möchte hier lediglich an folgende Fakten erinnern: Grundvermögen hatten 1962 erst 38 Prozent der westdeutschen Haushalte. 1978 waren es schon 44 Prozent und 1993 50 Prozent. Dabei blieb der Anteil der selbständigen Haushalte mit Grundvermögen konstant: Er lag 1993 bei 74 Prozent und war damit genauso hoch wie 1962.
Demgegenüber ist aber der Anteil der Arbeitnehmer- und Nichterwerbstätigenhaushalte mit Grundvermögen relativ kräftig gestiegen, von jeweils 31 Prozent in 1962 auf 52 Prozent bzw. 45 Prozent in 1993.
Auch die Verbreitung der einzelnen Geldvermögensformen hat zugenommen. 1993 hatte fast die Hälfte der privaten Haushalte Wertpapiere einschließlich Sparbriefe. Immerhin ein Fünftel hatte Termingeldanlagen.
Dies alles hätte ohne die Vermögensbildung breiter Schichten der Bevölkerung nicht zustande kommen können. Aber auch die Vermögenspolitik der Bundesregierung hat ihren Teil dazu beigetragen. Neben Maßnahmen, die allgemein die Vermögensbildung breiter Schichten unterstützen, hat die Bundesregierung 1983 eine neue Richtung in der Vermögenspolitik eingeschlagen. Seither zielt sie auf eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen.
Diese Strategie war durchaus erfolgreich. Der in Beteiligungen angelegte Anteil der vermögenswirksamen Leistungen ist von rund 2 Prozent in 1983 auf 10 Prozent in 1995 angestiegen. Die Zahl der Depots mit Aktienfondsanteilen aus der Anlage vermögenswirksamer Leistungen bei Investmentgesellschaften ist von 8 600 Ende 1983 auf rund 2 Millionen 1995 gestiegen. Beteiligungen am arbeitgebenden Unternehmen haben 1995 etwa 1 Million Arbeitnehmer im Wert von einer dreiviertel Milliarde erworben. Insgesamt waren etwa 2 Millionen Mitarbeiter mit 20 Milliarden DM in rund 2 000 arbeitgebenden Unternehmen beteiligt.
Sosehr man sich über diese Fortschritte freuen kann, das Ziel einer möglichst breiten Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen haben wir noch nicht in dem gewünschten Umfang erreicht. Deshalb bin auch ich für eine Offensive zur Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen. Jetzt geht es uns allen - ich hoffe, der Koalition wie der SPD - vorrangig um eine umfassende Steuerreform mit einer starken Absenkung der Tarife, einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und einer erheblichen Nettoentlastung der Bürger. Eine massive steuerliche Entlastung der Arbeitnehmer erhöht bekanntlich deren Sparfähigkeit.
Vor dem Hintergrund der großen Steuerreform sollte auch noch einmal geprüft werden, inwieweit Verbesserungen der materiellen Anreize finanzpolitisch möglich und vermögenspolitisch angezeigt sind.
Eine breite Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen bringt allen Vorteile: dem einzelnen Unternehmen, seinen Mitarbeitern, der Arbeitnehmerschaft als Ganzem und den Arbeitgebern. Wenn
dies richtig ist, dann ist es aber nicht in erster Linie Aufgabe des Staates, meine Kolleginnen und Kollegen, mit Förderanreizen in der Vermögenspolitik offensiv zu werden, sondern Aufgabe der Sozialpartner, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen voranzutreiben. Sie können in eigener Verantwortung nicht nur die Höhe des Entgelts festlegen, sondern auch bestimmen, ob Lohnteile für Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer eingesetzt werden.
Der rechtliche Rahmen für tarifvertragliche Vereinbarungen über investive Lohnbestandteile ist gegeben. Schon nach geltendem Recht können die Tarifpartner außerbetriebliche Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer vereinbaren. Durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarungen über die Zuwendung von Lohn als Kapitalbeteiligung können sie der Mitarbeiterbeteiligung den Weg ebnen. Auch das hat der Kollege Wolfgang Vogt eben eingefordert. Ich habe es bestätigt.
Ich appelliere deshalb an die Tarifvertragspartner, die Beteiligung der Arbeitnehmer in die Lohnpolitik einzubeziehen. Wir brauchen wieder Pioniere, wie sie die eben schon genannte IG Bau und die Bauwirtschaft in den 60er Jahren waren, Pioniere, die konkret vor Ort das für richtig Erkannte mit den bereits vorhandenen Möglichkeiten voranbringen. Die Tarifparteien und nicht der Gesetzgeber müssen die Zugpferde einer partnerschaftlichen, Arbeitgebern wie Arbeitnehmern nützenden und mehr Verteilungsgerechtigkeit schaffenden Vermögenspolitik sein.
({0})
Was die IG Bau geschafft hat, meine Kolleginnen und Kollegen, das sollten auch andere Gewerkschaften schaffen. Man muß allerdings fragen, ob hier und da nicht ideologische Schranken vorhanden sind.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Staatssekretär Günther hat gerade noch einmal aus der Antwort auf unsere Große Anfrage zur Vermögensverteilung zitiert und festgestellt, daß die Verteilung des Privatvermögens in Deutschland „in jüngerer Zeit" gleichmäßiger geworden sei. Das wird für einen Zeitraum von 30 Jahren festgestellt. Demgegenüber ist aber, Herr Staatssekretär, gerade in jüngerer Zeit etwas geschehen, was die Vermögensverteilung insbesondere für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, für Rentner und Rentnerinnen und für Kranke schlechter darstellt. Das, was Ihre Mehrheit am 13. September beschlossen hat, führt dazu, daß die Sparbücher, die eventuell bei Rentnerinnen und Rentnern sowie bei Kranken vorhanden sind, angegriffen werden müssen. Von daher stellt sich die Vermögensverteilung in jüngerer Zeit nicht besser dar. Dies hätten Sie der Ehrlichkeit halber auch anführen sollen.
Ich weise ganz einfach noch einmal darauf hin, daß 3 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Produktivvermögens besitzen. Das ist ganz einfach ein Skandal; man kann es nicht oft genug wiederholen.
({0})
Angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit und immerhin ja 4,7 Millionen registrierter Arbeitsloser ist es wichtig, daß in unserem Land die Entwicklung der Vermögensverteilung beraten, ja, aufgedeckt wird.
Die Sparwut der Koalition bei Arbeitnehmern, Rentnern und Kranken kennt keine Grenzen. Das haben die Menschen infolge des 13. September 1996 hautnah erfahren, und weiteres Ungemach schwebt ja über den Kranken. Die SPD-Fraktion wird sich nicht mit der bestehenden Verteilungsschieflage abfinden, auch nicht mit dem steigenden Wohlstand weniger und der gleichzeitigen dramatischen Zunahme der Zahl von Sozialhilfebedürftigen. Wer Armut bekämpfen will, muß den realen Reichtum benennen, der ja auch Macht bedeutet.
Diesem Ziel diente unsere Große Anfrage vom September 1995. Die Bundesregierung hat sich mit der Beantwortung nicht gerade beeilt. Es scheint ihr Mühe gemacht zu haben, unsere These der wachsenden Ungleichheit der Vermögensverteilung zu widerlegen. In ihrer Antwort will sie dies einmal mit der wachsenden Teilhabe der privaten Haushalte an den verschiedenen Vermögensformen belegen. Ich muß schon sagen, das ist ein bißchen dünn. Warum schlüsselt sie die privaten Haushalte nicht nach sozialer Stellung auf? Das wäre doch allemal aussagekräftiger. Daß zum Beispiel die Zahl der Sparguthaben zugenommen hat, sagt doch gar nichts über die Verteilung dieser Sparguthaben aus.
({1})
Wenn die große Zahl der Arbeitnehmerhaushalte, der Alleinerziehenden nur geringe Sparguthaben, also einen Notgroschen, die oberen Vermögensklassen dagegen große Guthaben besitzen, wäre doch gerade eine solche Aufschlüsselung zur Beurteilung der Vermögensverteilung wichtig. Doch hierzu schweigt sich die Bundesregierung aus. Sie wollen dies nicht dokumentieren. Daraus kann jeder seine Schlüsse ziehen.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zum Grundvermögen machen. Sicherlich hat hier in den letzten 30 Jahren eine bessere Verteilung stattgefunden. Berücksichtigt man dabei aber die Hypothekenbelastungen und kommt damit zu einer Nettobetrachtung des Besitzes - also ohne Schulden -, dann stelle ich fest, daß sich auch beim Grundvermögen die Vermögenskonzentration verstärkt hat.
Herr Kollege Vogt, ich möchte Sie hier einmal direkt ansprechen. Sie haben zum Thema Grundvermögen und Vermögensverteilung den Blick sehr weit in die Vergangenheit gerichtet. Ich habe vorhin in
unserem Handbuch nachgesehen, seit wann Sie Mitglied des Deutschen Bundestages sind: seit 1969.
({2})
Nachdem Sie ja nun 14 Jahre Mitglied der Regierungskoalition sind, ist es doch einfach nicht mehr angebracht, nach hinten noch bis in die Zeiten der Großen Koalition zu blicken und die damalige Vermögensverteilung anzusprechen. Ich gehöre dem Bundestag seit zwei Jahren an. Ich denke, wir sollten darüber diskutieren, was Ihre Politik bewirkt hat. Wir sollten in die Zukunft blicken und für Veränderungen sorgen.
({3})
- Die Vermögensverteilung der letzten Jahre ist doch das Thema der Diskussion, die wir hier heute führen. Sie haben in Ihrer Antwort auf die von uns klar gestellten Fragen ganz schön mit Nebel geschmissen.
Die Bundesregierung behauptet auch: Die Verteilung des Privatvermögens ist in Westdeutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten gleichmäßiger geworden. Hier scheint die Bundesregierung ihre eigenen Daten nicht gelesen zu haben. Denn bei der Darstellung der Entwicklung des Geldvermögens und des Einkommens von selbständigen Haushalten und Arbeiterhaushalten zwischen 1980 und 1993 kommt sie nicht umhin, einzuräumen, daß sich die Vermögenseinkommen der Arbeiterhaushalte nur uni 113 Prozent, die der Selbständigenhaushalte dagegen um 152 Prozent erhöht haben.
Die Bundesregierung bestätigt noch einmal die großen Vermögen von Privathaushalten. In ganz Deutschland gibt es rund 1 Million Vermögensmillionäre. Bei der Berechnung dieses Besitzes ist das Gebrauchsvermögen, zum Beispiel Autos oder das Betriebsvermögen, noch nicht einmal berücksichtigt. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Lohnsteuer brav zahlen, ist es meines Erachtens auch wichtig, zu wissen, daß die Vermögensteuerstatistik in 1989 von den Vermögensmillionären nur rund 120 000 Steuerpflichtige erfaßt hatte. Das waren also diejenigen, die Steuern bezahlt haben.
Es ist schlicht ein Skandal, daß Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, die Vermögensteuer abzuschaffen.
({4})
Diese großen Vermögen sind doch in Kapitalanlagen investiert und haben eine durchschnittliche Rendite von zirka 6 Prozent. Da ist doch eine Vermögensteuer von einem halben Prozent zumutbar. Hohe Vermögen erzielen ja in der Regel eine noch höhere Rendite.
Ich will auch noch einmal feststellen, daß in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage die großen Lücken in der Vermögensstatistik bestätigt werden. Mir drängt sich der Eindruck auf: Der große Reichtum weniger und die krasse Ungerechtigkeit sollen besser nicht dokumentiert werden. Warum sind zum Beispiel Haushalte mit einem Monatseinkommen von mehr als 25 000 DM gar nicht in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe enthalten? Denn damit wäre doch die ungleiche Vermögensbildung von vornherein systematisch belegt. Das aber wollen Sie nicht.
Ich beziehe mich in dieser Hinsicht auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Auch dieses kommt zu der Auffassung, daß die Einkommens- und Verbrauchsstichproben ein falsches Bild darüber geben, wie die Vermögensverteilung in unserem Land wirklich ist.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt 1996 in einem Wochenbericht zur Vermögensverteilung in der Bundesrepublik fest, daß 8,93 Prozent der Haushalte ein Gesamtvermögen von 500 000 DM und mehr besitzen. Das macht zusammen etwa 44,76 Prozent des Anteils am Gesamtvermögen aller privaten Haushalte aus. Weniger als 10 Prozent der privaten Haushalte besitzen also fast die Hälfte des Gesamtvermögens.
Ich stelle noch einmal fest, daß Sie von der Koalition die Vermögensteuer abgeschafft haben und daß Sie von der Koalition im Rahmen der geplanten Steuerreform Spitzenverdiener entlasten und gleichzeitig die Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge für Arbeitnehmer besteuern wollen. Ich stelle fest, daß Sie von der Koalition das Rentenniveau absenken und Kranke mit höheren Zuzahlungen belasten wollen.
Frau Kollegin Professor Frick, Sie hatten vorhin gesagt: Das, was die SPD vorschlägt, geht nicht auf. Ich denke, es geht auf. Das bedeutet allerdings, daß man Ihre Klientel nicht verschont, sondern sich an gesamtgesellschaftlichen Aufgaben beteiligen läßt.
({5})
Wenn Sie sagen, es geht nicht auf, dann bedeutet das, daß Sie Ihre Klientel weiter schonen wollen.
({6})
Ich sage auch noch einmal: Sie von der Koalition bestrafen mit dem sogenannten ArbeitsförderungsReformgesetz Arbeitslose und wollen keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr betreiben. Sie schonen die Vermögenden. Sie haben die Umverteilung von unten nach oben betrieben. Machen Sie endlich Schluß damit. Verschließen Sie nicht länger die Augen vor den Folgen Ihrer Politik. Sorgen Sie dafür, daß die Arbeitnehmer stärker an den Dingen beteiligt werden, die sie letztendlich mit erarbeitet haben!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege Urbaniak.
Herr Kollege Vogt, ich bedauere außerordentlich, daß sich die Pläne von
Philipp Rosenthal und „Schorsch" Leber nicht in der Breite durchgesetzt haben, wie wir das alle wünschten. Aber heute machen wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen neuen Anfang.
Sie selber haben im Wirtschaftsbericht 1996 dargelegt, was die Bundesregierung an Finanzierungsvorschlägen erarbeiten will, um zu einer besseren Ausgangslage in der Vermögensbildung zu kommen. Nun ist das über ein Jahr her. Sie müssen jetzt einmal langsam dem Parlament diese Finanzierungsvorschläge vorlegen. Wenn das nicht geschieht, dann ist das wiederum eine Ankündigung, die wir als heiße Luft bezeichnen müssen. Das würde der Sache abträglich sein.
Einen Punkt muß ich aber richtigstellen. Ich bin nie Mitglied der IG Metall,
({0})
sondern immer Mitglied der IG Bergbau und Energie gewesen. Ich bin ganz stolz darauf, was die Kameraden in diesen Tagen in Bonn erzielt haben. Das will ich einmal hier feststellen.
({1})
Um das zu beweisen, werde ich Ihnen in der nächsten Woche meinen Knappen- und Hauerbrief sowie mein Gewerkschaftsbuch vorlegen. Dann werden Sie endlich schnallen: Er ist Mitglied der IG Bergbau und Energie.
({2})
Eine Erwiderung ist nicht gewünscht. Dann schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4373 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Neuordnung des Zivilschutzes
({1})
- Drucksachen 13/4980, 13/6101, 13/6669, 13/ 7074 Berichterstattung: Abgeordneter Otto Schily
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Erklärungen? - Dann kommen wir zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7074? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur stärkeren Berücksichtigung der Schadstoffemissionen bei der Besteuerung von Personenkraftwagen ({3})
- Drucksachen 13/4918, 13/5360, 13/6112, 13/ 6666, 13/7169 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Peter Repnik
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mir liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung der Kollegin Homburger schriftlich vor. Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß diese Erklärung zu Protokoll genommen wird. *)
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung wiederum gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt also für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7169? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist sie mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Kollegin Homburger bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung ({5})
- Drucksachen 13/3130, 13/6203, 13/6890, 13/ 7170 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Lattmann
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Sonstige Erklärungen? -
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat wiederum gemäß seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7170? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
*) Anlage 2
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
({6}) zu dem Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({7})
- Drucksachen 13/5963, 13/6505, 13/6889, 13/ 7171 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Berichterstattung und Erklärungen finden nicht statt.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7171? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen der Fraktionen des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zusatzpunkt 6 auf:
16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten
- Drucksache 13/6912 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({8})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes
- Drucksache 13/7038 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/7142 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({10}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bankund wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/7143 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({11}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Antje-Marie Steen, Klaus Kirschner, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Ergotherapeut/Ergotherapeutin - Drucksache 13/7082 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({12})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({13}), Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reformbedarf der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit
- Drucksache 13/7088 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwickung ({14})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Günter Verheugen, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Priorität für eine Politik der zivilen Krisenprävention und Konfliktregelung
- Drucksache 13/6999 Überweisungsvorschlag :
Auswärtiger Ausschuß ({15}) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Veräußerung des ehemaligen NATO-Flugplatzes Lahr an die Stadt Lahr und die Gemeinde Friesenheim
- Drucksache 13/7032 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({16})
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer unter der naVizepräsident Hans-Ulrich Klose
tionalsozialistischen Gewaltherrschaft und zur Änderung anderer Gesetze
- Drucksache 13/6900 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({17})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Fortsetzung der Garantiemengenregelung Milch und Stärkung der Position der milcherzeugenden Betriebe
- Drucksache 13/7180 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({18})
Ausschuß für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der Fraktion der SPD, Priorität für eine Politik der zivilen Krisenprävention und Konfliktregelung, Drucksache 13/6999 - das ist der Tagesordnungspunkt 16 g -, soll zusätzlich an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17k auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen eine Aussprache nicht vorgesehen ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 17 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juni 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen und dem Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen über den Sitz des Sekretariats des Übereinkommens
- Drucksache 13/6917 - ({19})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20})
- Drucksache 13/7107 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Michael Müller ({21})
Birgit Homburger
Michaele Hustedt
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 17 b:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({22}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Margareta Wolf und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Freigabe und zivile Nutzung von ehemals militärisch genutzten Waldflächen im Viernheim-Lampertheimer-Käfertaler Wald
- Drucksachen 13/1932, 13/4051 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Georg Pfannenstein
Dr. Jürgen Rochlitz
Dr. Rainer Ortleb
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1932 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe Punkt 17 c der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({23})
Haushaltsvereinbarkeitsprüfung bei Unionsvorlagen
- Drucksache 13/7048 Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner Wilhelm Schmidt ({24})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei geringer Beteiligung einstimmig angenommen.
({25})
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 d auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Raumordnung,
Bauwesen und Städtebau ({26}) zu
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
der Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht über Schäden an Gebäuden
- Drucksachen 13/3593, 13/3930 Nr. 3, 13/ 6592 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Iwersen Jürgen Sikora
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 17 e der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Dagmar Enkelmann, Wolfgang Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Keine Fahrpreiserhöhung der DB AG in Ostdeutschland
- Drucksache 13/6829 Dazu liegt eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten des Kollegen Dr. Winfried Wolf und - wenn ich das richtig verstehe - der gesamten Gruppe der PDS vor.
({27})
- Nein? - Aber hier steht das so.
({28})
- Eine persönliche Erklärung nur des Kollegen Dr. Winfried Wolf. Das korrigieren wir also hier in diesem Text. Wir nehmen auch diese Erklärung schriftlich zu Protokoll.*) - Sie sind damit einverstanden.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Die Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe Punkt 17 f der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({29}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament
Finanzierung der neuen Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel und Straßburg
- Drucksachen 13/6454 Nr. 1.21, 13/7018 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Wilfried Seibel
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
*) Anlage 3 Ich rufe den Punkt 17 g der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({30}) zu dem Antrag der Abgeordneten Robert Antretter, Karsten D. Voigt ({31}), Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gemeinsame Delegation der Vertreter des Deutschen Bundestages für die Parlamentarische Versammlung des Europarates und für die Versammlung der Westeuropäischen Union
- Drucksachen 13/6503, 13/7030 Berichterstattung:
Abgeordnete Heinrich Lummer Robert Antretter
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6503 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe den Punkt 17 h der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({32}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch über ein Numerierungskonzept für
Telekommunikationsdienste in Europa
- Drucksachen 13/6861 Nr. 2.4, 13/7052 Berichterstattung:
Abgeordnete Elmar Müller ({33})
Hans Martin Bury
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen bei Stimmenthaltungen der Mitglieder der Gruppe der PDS angenommen.
Ich rufe Punkt 17i bis k der Tagesordnung auf:
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 184 zu Petitionen
- Drucksache 13/7076 -
j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({35}) Sammelübersicht 185 zu Petitionen
- Drucksache 13/7077 -
k) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 186 zu Petitionen
- Drucksache 13/7078 Wir kommen zur Abstimmung über die Sammelübersicht 184, Drucksache 13/7076. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Sammelübersicht 184 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Sammelübersicht 185, Drucksache 13/7077. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 185 ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie die vorherige Sammelübersicht angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Sammelübersicht 186, Drucksache 13/7078. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 186 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften
({37})
- Drucksache 13/7158 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({38})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Herta DäublerGmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Betreuungsrecht
- Drucksachen 13/3834, 13/7133 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Betreuungsrecht ist ein junges Recht. Der Bundestag hat das Betreuungsgesetz am 12. September 1990 verabschiedet. Am 1. Januar 1992 ist es dann in Kraft getreten.
Das Betreuungsrecht ist auch ein gutes Recht. Es hat an die Stelle der Vormundschaft über Volljährige sowie der Gebrechlichkeitspflegschaft - beide häufig als Entrechtung der Betroffenen empfunden - die Betreuung gesetzt. Bei der Handhabung des Betreuungsrechts in der Praxis haben sich jedoch Schwierigkeiten ergeben. Das ist bei einem neuen Gesetz auch kein Wunder.
Einzelne Verfahrensregelungen werden als unnötige Belastung aller Verfahrensbeteiligten angesehen. Zusätzliche Probleme ergeben sich daraus, daß die Zahl der Betreuungsverfahren und die Belastung der Gerichte rapide ansteigen. Dies ist zum Teil auch ein Erfolg des neuen Rechts: Eine Betreuung wird, weil schonender für den Betroffenen, eher angeordnet, als nach altem Recht entmündigt wurde.
In den ansteigenden Fallzahlen spiegelt sich aber auch die demographische Entwicklung. Zudem müssen die Länderjustizhaushalte bei Mittellosigkeit der Betroffenen die Betreuungskosten tragen.
Als ich 1990 als Abgeordneter und als Berichterstatter das Betreuungsrecht vor diesem Hohen Hause vorstellen durfte, konnte die Justiz noch auf erhebliche finanzielle Ressourcen zurückgreifen. Mittlerweile gebieten auch Rechtspflegeentlastung und Knappheit der zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel eine Änderung des bisherigen Betreuungsrechts.
All dem trägt der Regierungsentwurf Rechnung. In ihm werden die Korrekturen vorgeschlagen, die vorgenommen werden müssen, um das Betreuungsrecht in der Praxis funktionsfähig zu halten und damit in seinem Besitzstand auf Dauer zu sichern. Wichtig ist auch, daß in dem Entwurf erstmals konkret der Umfang bestimmt wird, in dem die Betroffenen selbst zu den Kosten ihrer Betreuung beizutragen haben. Dies hat im Bundesrat ebenso Zustimmung gefunden wie die Entscheidung, der Staatskasse einen Regreß wegen der von ihr verauslagten Betreuungskosten zu ermöglichen.
Es werden aber nicht nur von den Betroffenen und ihren Erben gewisse Einschränkungen verlangt, sondern auch von den Berufsbetreuern hinsichtlich ihrer Vergütung. Es ist kein Wunder, daß es aus diesem Bereich Proteste gibt. Wir müssen uns mit den Betroffenen insoweit auseinandersetzen.
Schließlich soll mit dem Entwurf im materiellen Betreuungsrecht der Schutz des Betroffenen bei Erteilung einer Vorsorgevollmacht verbessert werden.
Lassen Sie mich zusammenfassend hervorheben, daß die Stellungnahme des Bundesrates die Grundzüge des Regierungsentwurfs nicht in Frage stellt und daß darüber hinaus die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung einer Vielzahl der Vorschläge des Bundesrates zugestimmt hat. Bund und Länder teilen damit offenbar nicht nur die Überzeugung, daß das Betreuungsrecht zur Sicherung seines Bestandes einer ebenso behutsamen wie konsequenten Korrektur bedarf, sondern sie sind auch in der Bewertung der zur Wahl stehenden Korrekturmöglichkeiten weitgehend einig. Ich bin deshalb zuversichtlich, daß wir auch in diesem Haus rasch Einigkeit erzielen und damit der Praxis bald die von ihr geforderte und für den Bestand des Betreuungsrechts erforderliche Hilfe zuteil werden lassen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege von Stetten, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Betreuungsgesetz, das am 1. Januar 1992 in Kraft trat, galt als der große Wurf zur Beendigung von starren vormundschaftlichen Regelungen. Insbesondere sollten aus „Entmündigten und Entrechteten" betreute Bürger werden und starre bürokratische Regelungen durch eine persönliche Betreuung ersetzt bzw. ergänzt werden. Im wesentlichen sind diese Vorstellungen des Gesetzgebers - Herr Funke hat es eben schon gesagt - gelungen.
Zum Teil haben sich aber in der Praxis, insbesondere beim Verfahren, doch erhebliche Mängel herausgestellt, die sich durch unnötige Begutachtung, unnötige Anhörungen, unnötige schwierige Zustellungen etc. ergeben. Hier werden Vereinfachungen vorgeschlagen, die wir mit den Fachleuten im Beratungsverfahren diskutieren und die - das ist der Grundsatz - zum Wohle der Betreuten - nur darum geht es - verändert werden sollen. Nicht mehr, sondern weniger Bürokratie ist das Ziel - und damit gegebenenfalls auch die Entlastung der Vormundschaftsgerichte, die in der Tat zum Teil übermäßig belastet wurden.
Viel Streit und Unruhe hat es darüber gegeben, wie Betreuungen zu behandeln sind. Der Grundsatz ist die ehrenamtliche Betreuung und damit die kostenlose Betreuung. Das heißt, nur der Aufwand - nicht der Zeitaufwand - ist zu ersetzen. Dies entspricht auch der Tradition des Vormundschaftswesens. Um die ehrenamtliche Tätigkeit zu erleichtern, werden Betreuungsvereine gefördert, für deren personelle und sachliche Verwaltung Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen und auch werden: im Bundesgebiet immerhin fast 30 Millionen DM. Dadurch soll ermöglicht werden, daß eine hauptamtliche Kraft die Verwaltungstätigkeiten und schwierige Erledigungsfragen für die im Verein tätigen ehrenamtlichen Kräfte übernimmt. Bei größeren Vereinen empfiehlt es sich sicher auch, den einen oder anderen Berufsbetreuer einzusetzen.
Die Praxis hat sich aber anders entwickelt. Es gibt mehr und mehr Berufsbetreuer und immer weniger ehrenamtliche Helfer. Dadurch sind die Kosten, die die Länder zu tragen haben, in unverantwortlicher Weise gestiegen, so daß die Zahlungen der Stundenvergütungen aus der Staatskasse gemäß § 1836 BGB zum Beispiel in Schleswig-Holstein in vier Jahren von 6 Millionen auf 16 Millionen DM, in Sachsen von wenigen tausend auf 6 Millionen DM, in RheinlandPfalz von wenigen hunderttausend auf 4 Millionen DM gestiegen sind. Dabei bewegen sich die Vergütungssätze zwischen 20 und 125 DM pro Stunde und Betreuer. Bei manchen hat sich dies, wie von den Ländern zu hören ist, zu einem gewinnträchtigen Geschäft entwickelt.
Um die Uneinheitlichkeit in der Rechtsprechung und auch die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, muß im Gesetz deutlich und klar darauf abgestellt werden, daß die Betreuung vom Grundsatz her ehrenamtlich, das heißt kostenlos ist und höchstens mit einer Aufwendungspauschale oder dem Ersatz von Auslagen verbunden sein kann.
Zum anderen muß klargestellt werden, daß die Aufgabe der Betreuer, die in § 1896 BGB klar definiert ist, auch von den Betreuern so gesehen wird:
Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht ... einen Betreuer . . .
Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist.
Entscheidend ist:
Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten
- den dieser selber stellt oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.
Nicht zu den Aufgaben des Betreuers nach dem Betreuungsgesetz - es ist das Wort „betreuen", das hier falsch verstanden wird - gehören Einkaufshilfen, Versorgen des Haushaltes, Spazierengehen, Vorlesen, Kaffeetrinken, Begleitung zu Kulturveranstaltungen oder ähnliches, da diese Hilfen durch andere Institutionen zu besorgen sind: entweder durch die Heime, in denen die Betreuten leben, durch ambulante Pflege, Nachbarschaftshilfe oder karitative Einrichtungen. Wenn der Betreuer, auch der Berufsbetreuer, solche Aufgaben übernimmt, ist es eine zu begrüßende menschliche Geste; sie kann aber nicht als Stundenentgelt zu Lasten des Staates oder des Betreuten abgerechnet werden.
Um das ehrenamtliche und damit kostenlose Element - abgesehen vom Aufwendungsersatz - zu fördern, sollte die Ehrenamtlichkeit zur Grundregel erhoben werden, wie dies der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 31. Januar 1997 vorschlägt. Die Vergütung soll ausdrücklich die Ausnahme sein, die Regel hat das Ehrenamt zu sein.
In den Beratungen sollte auch ernsthaft geprüft werden, ob nicht § 1897 Abs. 5 BGB dahin gehend geändert wird, daß in der Regel für altersgebrechliche Menschen die Anerkennung des Ehegatten bzw. der Kinder als Betreuer festgelegt wird, ebenso wie für zu betreuende junge Erwachsene deren Eltern bzw. deren Geschwister, sofern keine ernstlichen Bedenken bestehen. Daß dafür von Eltern oder Kindern eine pauschale Vergütung verlangt wird, erstaunt mich insbesondere mit Blick auf die gesetzliche Verpflichtung im BGB, gemäß der Verwandte in gerader Linie einander Hilfe zu gewähren haben. Dies zeigt aber leider auch die Einstellung der Menschen von heute und ihre Versorgungsmentalität, nach der der Staat für alles und jedes aufzukommen habe, auch wenn dieser schon für die Heimkosten des eigenen Kindes oder der eigenen Mutter mehrere tausend Mark monatlich aufbringt, ohne die Angehörigen damit zu belasten.
Den Betreuungsvereinen könnte man in § 1908 f BGB konkreter aufgeben, ein deutliches Verhältnis von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Betreuern vorzuhalten. Ob dieses 1 : 6 oder 1 : 8 beträgt, kann dahingestellt bleiben. Damit reichen aber die Stundensätze, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind. So sind für eine unausgebildete Kraft - wobei dies manchmal problematisch ist, wenn diese die rechtliche Vertretung eines Betreuten für sein Leben übernehmen soll - 35 DM vorgesehen; das sind bei einer 38,5-Stunden-Woche immerhin 5 900 DM, nach Abzug der allgemeinen Kosten immerhin noch ein Bruttomonatsverdienst von 4 000 DM. Bei einer gelernten Kraft sind es 8 000 DM mit einem umgerechneten Bruttoverdienst von 5 500 DM, bei einer Kraft mit Hochschulstudium werden rund 10 000 DM kassiert; das entspricht einem Bruttolohn von 7 000 DM. Das sind doch ganz beachtliche Einkommen, die diese Damen oder Herren bekommen. Ich verstehe nicht, daß mehr verlangt wird. Der Verein bekommt zusätzlich ja auch noch nach § 1835 BGB Kosten teilweise ersetzt.
Bei Berufsbetreuern muß durch eine jährliche Stundenabrechnungspflicht die Tätigkeit nachgewiesen werden, weil es nicht sein darf - wie aus Ländern berichtet wird -, daß einzelne Betreuer zusammengerechnet fast 24 Stunden pro Tag bei verschiedenen Vormundschaftsgerichten und Sozialämtern abrechnen. Sicher sind das Ausnahmen und Fälle von Mißbrauch, die aber verhindert werden sollten. Dies gilt zum Schutz von Betreuten, die eigenes Vermögen haben, aber auch zum Schutz der Länder, die diese Kosten aufzubringen haben, weil für sogenannte Mittellose die Kosten vom Staat übernommen werden.
Deswegen müssen auch die Vorschriften des Sozialhilferechts gelten, das heißt sowohl für die Frage der Mittellosigkeit als auch für die Frage des Ersatzes durch Erben oder Angehörige. Die Kritiker solcher Maßnahmen verkennen, daß die gesetzliche Betreuung zwar eine Maßnahme staatlicher Rechtsfürsorge ist, aber vom Gesetz als ehrenamtliche Aufgabe von Angehörigen und auch anderen Bürgern im Rahmen ihrer Bürgerpflicht und letztlich der Nächstenliebe vorgesehen ist.
Wir versuchen in allen Bereichen viel zu sehr, die Verantwortlichkeit, insbesondere die finanzielle Verantwortlichkeit, auf den Staat abzuwälzen. Dies kann und darf auf Dauer nicht so sein. Deswegen werden Betreuungskosten vom Staat sozusagen als Vorauszahlung oder als Darlehen gegeben, wenn die Mittel vom Betreuten nicht zu erbringen sind. Dabei ist es selbstverständlich - wie bei Sozialhilfe überhaupt -, daß der Betreute, wenn er dazu - aus welchem Grund auch immer - in der Lage ist, diese zurückzuzahlen hat oder Angehörige direkter Linie auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen zu Ersatz verpflichtet sind.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, daran mitzuwirken, daß das seinerzeit von allen Parteien verabschiedete Betreuungsgesetz durch die vorgeschlagene Verbesserung zu dem wird, was damals Allgemeingut war: eine Verbesserung der Situation der Betreuten, ein vermehrtes Engagement zu ehrenamtlicher Betreuung und damit Übernahme staatlich vorgesehener Nachbarschaftshilfe und keine weitere Belastung der Haushalte der Länder.
Ich würde gerne im Rahmen dieser Beratungen auch über den Entschließungsantrag der SPD diskutieren, den ich vom Grundsatz her für richtig halte. Ich hoffe, daß wir dieses Änderungsgesetz dann gemeinsam beschließen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Margot von Renesse, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich werden wir an dieser Novelle mitarbeiten, auch wenn wir uns eine Reform gewünscht hätten. Aber zu einer Reform waren Ihre Mitarbeiter, das Fachteam im BMJ, angesichts der politischen Vorgaben nicht befugt.
Trotzdem ist Ihnen einiges Intelligentes gelungen. Das, was Sie bemängeln, Herr von Stetten, finde ich gerade richtig, nämlich daß Unterhaltsansprüche bei der Aufwandsentschädigung aus der Familie stammender ehrenamtlicher Betreuer nicht angerechnet werden können. Wir können uns doch freuen, daß sie es überhaupt tun.
({0})
Es ist bitter für die betroffenen Betreuer, wenn sie denn aus der Familie kommen, daß ihnen bei der Aufwandsentschädigung für ihre Arbeit der Unterhaltsanspruch angerechnet werden kann.
Herr von Stetten, Sie sagen: Es ist nun einmal ein Verlust der Liebe unter den Menschen zu verzeichnen.
({1})
Ich sage Ihnen: Eine Familie, die einen betreuungsbedürftigen Menschen in ihrer Mitte pflegen und betreuen muß, ist schon schwer genug gebeutelt.
Sie sprachen auch von den bürokratischen Hürden, die Betreuer angesichts der gegenwärtigen und auch der zukünftigen Rechtslage zu nehmen haben. Das ist ein Hürdenlauf eigener Art.
Ich freue mich, daß ich Ihren Mitarbeitern für diese intelligente Arbeit zunächst einmal ein Lob aussprechen kann. Das muß ich sagen, bevor Zorn und Bitterkeit mich hinreißen.
({2})
- Jawohl, das ist so. - Denn erstens, Herr von Stetten, reden wir nicht über eine Randgruppe. 1 Prozent aller erwachsenen Bürger und Bürgerinnen in unserem Lande - das gibt die Antwort auf die Große Anfrage
her - sind der Betreuung bedürftig. Die Tendenz ist steigend.
Wir wissen außerdem: Es handelt sich keineswegs nur um ältere Menschen. Es handelt sich bei einem knappen Drittel um Leute unter 40 Jahren. Wir müssen darüber nachdenken, woher das kommt.
Das heißt, dies ist ein wichtiger Bereich. Hinzu kommen noch die Betreuer; sie sind ebenfalls betroffen. Es ist keine verschwindende Minderheit.
Aber die Antwort auf die Große Anfrage - erlauben Sie mir, daß ich diese kurz würdige - ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus. Die Bundesregierung begibt sich an eine Novelle, und ihre Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, daß sie eigentlich nur eines sagen kann: Wir wissen, daß wir nichts wissen. Nichts Genaues weiß man nicht - mit der schönen Formulierung: Die Länder machen uns dazu keine Angaben.
({3})
Wir beide wissen doch ganz genau, Herr von Stetten - wir sind beide Richter gewesen -, was die Zählkarten hergeben. Forschung ist notwendig, und zwar breite Forschung, durch Aktenstudium und Befragung der Betroffenen. Keine Zählkarte kann dies widerspiegeln. Ich kann Ihnen bei jeder Frage, die Sie nicht beantworten können, dartun, warum sie ein Schlaglicht auf die Wirklichkeit und die Wirksamkeit des Betreuungsrechts wirft.
Jetzt komme ich zur Novelle; denn auch hierzu kann man der Antwort auf die Große Anfrage etwas entnehmen. Was würden Sie von einem karitativen Unternehmen halten, das etwa 51 Prozent seines verfügbaren Geldes für Verwaltung, Kontrolle, Buchhaltung und das Nachhalten der verwaltungsrechtlichen Abläufe ausgibt,
({4})
und dann, wenn die Öffentlichkeit sagt: „So geht das nicht, betreibt einmal ein bißchen Reorganisation!", reagiert, indem es verlauten läßt: Ihr habt alle recht, wir müssen unsere karitativen Projekte einschränken? Sie würden doch sagen: Die haben eine Meise. Oder?
({5})
Genau das wird mit der Novelle gemacht. Wenn Sie alles zusammenrechnen, was die Länder im Jahr an Vergütungen und Aufwandsentschädigungen für die Betreuung selbst ausgeben, kommen Sie auf ungefähr 141 Millionen DM. Bei einer überschlägigen Rechnung ergeben sich ungefähr 147 Millionen DM für Richter, Rechtspfleger, Kanzleien und Geschäftsstellen.
({6}) Das ist doch unglaublich.
Und was macht die Bundesregierung mit der Novelle? Sie schränkt den Bereich der Vergütungen und Aufwandsentschädigungen ein. Es geht nämlich nicht nur um die Vereinheitlichung der Rechtsprechung wegen der einen oder anderen verkorksten Formulierung im Gesetz. Es geht um Sparen, und zwar zu Lasten des eigentlichen Bereichs, nämlich zu Lasten der Betreuer und der Betreuten.
({7})
Das ist das Schlimmste, was man machen kann.
({8})
Herr von Stetten, ich sprach davon, daß wir über keine Randgruppe reden. Wir alle können betroffen sein. Wir alle können gebrechlich und hinfällig werden. Ich kann nur sagen: Der Himmel gebe uns Menschen, die uns lieben und uns damit Schutz vor der Schwäche und der Gebrechlichkeit geben! Denn das allein ist die Gewährleistung von Menschenwürde.
({9})
- Das Problem, Herr von Stetten, ist - das wird auch aus der Anfrage deutlich -, daß wir Ehrenamtliche weitgehend nur noch in den Familien finden.
Vor vielen Jahren wurde übrigens das Betreuungsrecht von der sozialliberalen Koalition auf Kiel gelegt, weil nach wie vor der Paradigmenwechsel, der strategische Wechsel vom alten Sanktions- und Ordnungsrecht hin zu einem sozialen Hilferecht, richtig war. Dieser Ansatz wurde besprochen, viel diskutiert und für richtig befunden. Damals erklärte mir ein Mitarbeiter aus dem Bundesjustizministerium, er wolle die Vereinsvormundschaften - diese bürokratischen Massenerscheinungen, die wir heute noch haben; nach Ihrer Antwort bis zu 127 Betreuungsfälle für einen Betreuer - abschaffen. Das ist nicht gelungen.
Der Mitarbeiter sagte damals weiterhin, es könne doch nicht sein, daß wir so viele bürokratische Vormundschaften hätten. Ich fragte ihn, wie er sich das vorstelle: Wenn er die Vereinsvormundschaften abschaffen würde, würden bei den Vormundschaftsgerichten die Menschen in Schlangen anstehen und fragen: Woher bekommen wir endlich eine ehrenamtliche Vormundschaft oder Betreuung? Dieser sehr liebe Mensch hat mir geantwortet: Eine Betreuung ist nicht mehr möglich, nicht einmal mehr in der Familie. Sie wissen, wie die Familien heute aussehen: ein Enkelkind und vier lebende Großeltern; der eine lebt in München und der andere in Hamburg. Diese Betreuungsarbeit können wir in Zukunft von den Familien nicht mehr erwarten. Aber die ehrenamtlichen Betreuer kommen zumeist aus den Familien.
Wir müssen also die Berufsbetreuer stützen. Die Tätigkeit, von der Sie sagten, sie sei menschlicher Anstand, ist für die Betreuer Beruf. Der Aufbau eines
Vertrauensverhältnisses, aus dem eine Betreuung überhaupt erst möglich ist, wie wir sie uns vorstellen, gehört zum Beruf. Wenn die Betreuer dies nicht tun, dann gnade uns Gott, wenn wir schwach werden und in deren Hände fallen. Ich möchte das nicht.
Ich weiß, daß es viele ähnliche Berufe gibt. Sie können sagen, auch die Pflege von Kranken sollte keines Lohnes wert sein; Gotteslohn ist genug.
({10})
Warum kriegen die Krankenschwestern und die Krankenpfleger überhaupt Geld? Sie sollten sich freuen, daß sie ein dankbares Wort von den Patienten bekommen. So können wir in einer Gesellschaft wie der unseren nicht handeln. Wir haben alle unsere Berufe geliebt, aber keiner hat von uns - von Ihnen und von mir - erwartet, daß wir noch Geld dazutun. Oder?
Ein letzter Punkt. Das Betreuungsrecht - das ist ein Problem - ist ein justizlastiges Gesetz, gemacht von Juristen, die davon ausgehen, daß wir einen Volljuristen brauchen, um Probleme zu lösen, die in der Gesellschaft auftauchen.
({11})
Viel zuviel Justiz nach dem Motto: Der Richter stellt die Liebe zwischen den Menschen her. Ich habe den Richterberuf nie so verstanden. Der Gesetzgeber schafft das übrigens auch nicht, Herr von Stetten,
({12})
schon gar nicht mit Einschränkungen in der Aufwandsentschädigung.
({13})
Was wir brauchen, ist das, was wir im Kindschaftsrecht kennen, nämlich eine Teilung der Gesetzgebungsmaterien. Dieser Bereich hat eine zivilrechtliche, aber vor allem eine sozialrechtliche Komponente, in die wir etwas über Qualifikation von Betreuern, über Netzwerke, über Betreuungshilfepläne, über Einzelvorstellungen, was man zum Beispiel mit einem jungen Betreuten machen und wie man ihn rehabilitieren kann, schreiben können. Dies alles kennen wir aus dem Kindschaftsrecht.
Ich möchte nichts anderes, als daß wir in einer großen Reform diese Idee umsetzen: wenig Justiz; denn der Richter, vor allem der typische Vormundschaftsrichter im Leutnantsalter, ist nicht derjenige, der den betreuten Alzheimer-Patienten, 90 Jahre alt, im Altenheim besucht, so daß er sich ernstgenommen fühlt. Nein, dieser Patient hat Angst, und der junge 35jährige versteht nicht, wie er an ihn herankommt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Motto „mehr Justiz" ist nicht gut.
({14})
Es muß mehr Sozialstationen, Versorgungseinrichtungen und karitativ ausgebildete Leute geben, die in diesem Bereich tätig sind. Genau diese Konstruktion kennen wir aus dem Kindschaftsrecht: Zivil- und Sozialrecht Hand in Hand. So kann vielleicht etwas daraus werden.
Ich hoffe, daß wir eine solche Reform einmal auf Stapel legen. Wie gesagt, an dieser Aufgabe werden wir mitarbeiten. Aber wir werden uns der Kostendämpfung um jeden Preis, und zwar um jeden Preis bei den Betreuten, verweigern. Das machen wir nicht mit.
Danke sehr.
({15})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß immerhin 600 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger vorübergehend oder dauerhaft auf eine Betreuung angewiesen sind, scheint die Bundesregierung nach wie vor vor allem unter monetären Aspekten zu interessieren. Die Rechte der Betroffenen, der Betreuten, bleiben deshalb auch in dem Entwurf weitgehend auf der Strecke. Ich will in der Kürze der Zeit hier nur auf zwei Aspekte eingehen.
Im Regierungsentwurf schafft sich der Staat zum erstenmal - das ist ein echtes Novum - eine Regreßmöglichkeit, einen Rückgriffsanspruch gegen die Betreuten. Hat der Betreute während der Dauer seiner Betreuung kein Geld für die Bezahlung seines Helfers, trägt der Staat die Kosten. So weit, so gut. Neu ist, daß er die Kosten 10 Jahre lang vom Betreuten oder seinen Erben zurückverlangen kann. Voraussetzung ist, daß sich die finanziellen Verhältnisse des Betreuten verbessert haben. Dies ist ein politischer Skandal; diese Regelung muß unverzüglich aus dem Entwurf gestrichen werden. Im gesamten bundesdeutschen Recht ist das Recht auf Regreß an irgendeine Art von Verschulden geknüpft.
({0})
Ich weiß nicht, worin das Verschulden des Betreuten bestehen soll, wenn sich die finanzielle Situation nachträglich geändert hat.
({1})
Volker Beck ({2})
- Sie müssen doch nicht Sozialhilfe zurückzahlen, wenn Sie drei Jahre nach dem Bezug auf einmal wieder Geld verdienen.
({3})
- Rückwirkend?
({4})
- I wo! Nur wenn Sie damals mehr Geld verdient haben, als Sie im Antrag angegeben haben.
({5})
- Selbst dann gilt bisher noch der Grundsatz der sogenannten Verwirkung, daß nämlich das Recht auf Rückforderung einer zeitlichen Begrenzung unterliegt. Und sie liegt in der Regel bei drei bis vier Jahren und nicht bei zehn Jahren wie hier im Betreuungsrecht. Ich meine, das ist ein Mißbrauch von Macht zu Lasten derjenigen, die sich meistens nicht selbst wehren können. Ein solches Verhalten der Bundesregierung ist auch durch leere Kassen nicht zu rechtfertigen. Das Problem der leeren Kassen wird auf dem Buckel der Schwächsten und der Schwachen gelöst.
({6})
Es gibt auch einige Änderungen im Verfahrensrecht, die eine Beschneidung der Rechte der Betreuten darstellen. Das werden wir en détail im Ausschuß zu diskutieren haben. Ich meine, da zeichnet sich eine problematische Entwicklung ab.
Wie sieht die Reform der Bundesregierung für die Betreuer aus? Man wird den Eindruck nicht los, daß es sich allein um ein Kostendämpfungsgesetz handelt. Die gesetzlich verordneten Stundensätze für Berufsbetreuer sind zu niedrig, so daß Betreuungsvereinen - das haben sie uns erklärt - der Konkurs droht. Dies wurde zwar von den Verbänden im Vorfeld bereits unmißverständlich klargemacht; das hat die Bundesregierung offensichtlich nicht beeindruckt.
Man fragt sich sowieso, ob die Regierung die Zielsetzung ihres eigenen Entwurfs umsetzen kann. Danach geht es nämlich um die Überarbeitung des Betreuungsgesetzes von 1992 an Hand der praktischen Erfahrungen. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD bekennt die Bundesregierung freimütig, sie wisse in bezug auf weite Bereiche nichts.
({7})
Wie man dann an Hand der praktischen Erfahrungen ein Gesetz machen kann, wenn man im BMJ nicht über wahrsagerische Fähigkeiten verfügt oder Kristallkugeln auf den Schreibtischen stehen hat, weiß ich eigentlich nicht.
Nicht von ungefähr mutet der Entwurf wie Flickwerk an, und das trotz des bekannten Umstandes - das räumt selbst die Bundesregierung ein -, daß die
Bedeutung der Betreuung in Zukunft zunehmen wird. Die Gesellschaft wird älter. Von einer Reform, die der zunehmenden Bedeutung dieser Frage Rechnung tragen würde, kann hier leider nicht die Rede sein. Ich hoffe, daß wir an Hand des Entschließungsantrages der SPD, über den wir ja hier diskutieren werden, weiterkommen.
Ich wünsche mir, daß wir sowohl die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage als auch den Gesetzentwurf zum Betreuungsrecht mit Vertretern der Verbände der Berufsbetreuer und der Lebenshilfe wenigstens in einer gemeinsamen Berichterstatterbesprechung diskutieren können, daß wir diese vielen Detailfragen qualifiziert regeln können und daß wir, solange uns keine Forschungsergebnisse zur Verfügung stehen, wenigstens mit den Praktikern einen Austausch pflegen können. Dadurch könnten wir die Betroffenen in ihren Rechten besser schützen und der Sachlage wesentlich näher kommen, als dieser etwas unzureichende Entwurf der Regierung das getan hat.
({8})
Das Wort hat der Kollege Hildebrecht Braun, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Betreuungsrechts ist es Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Die Folge der Bilanz, die regierungsintern gezogen wurde, ist der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt.
Ich räume ein: Die Bilanz ist nur vor dem Hintergrund nachvollziehbar, daß das Justizministerium die Informationen zur Kenntnis nimmt, die es von Gerichten bekommt. Das heißt, es geht um die Überprüfung dessen, was sich in fünf Jahren in den Fällen ereignet hat, die irgendwo gerichtsmäßig geworden sind. Erstaunlicherweise haben mir Richter, die in diesem Bereich tätig sind, bestätigt, daß die Gerichte fast ausschließlich wegen Klagen hinsichtlich der Honorierung derer, die in diesem Bereich tätig waren, angerufen wurden.
Für mich stellt sich aber sehr wohl die Frage, ob wir nicht fünf Jahre nach Inkrafttreten eines neuen Betreuungsrechts auch inhaltlich darüber diskutieren müssen, ob das neue Betreuungsrecht seine zentrale Aufgabe auch zu leisten vermochte, nämlich daß die Betreuten mehr und bessere Betreuung bekommen, als sie vordem hatten.
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Wir alle kennen die Probleme aus alter Zeit, als Anwälte bis zu 400 Mündel hatten, die sie eigentlich nur noch verwalten konnten, und eine Betreuung, die diesen Begriff verdient hätte, nicht angedacht war und erst recht nicht möglich gewesen wäre.
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Hildebrecht Braun ({2})
Für mich wäre es also wichtig gewesen, zu erfahren: Hat sich das neue Betreuungsrecht bewährt? Sind die Menschen, die in ganz erheblichem Maße von der Qualität des Betreuers oder der Betreuerin abhängen - in ihrer Lebensgestaltung, in ihrer Selbstverwirklichung und damit in ihrer persönlichen Freiheit -, durch das Betreuungsrecht jetzt bessergestellt, als sie es früher waren?
Je nachdem, wie die Antwort ausfällt: Gibt es weitere Verbesserungsmöglichkeiten, die finanziell machbar sind und die insbesondere dem Anspruch der betroffenen Menschen auf die Wahrung ihrer Menschenrechte gerecht würden? Dazu erfahren wir in diesem Gesetzentwurf nichts. Ich glaube, wir müssen diese Arbeit doch noch hier im Parlament leisten.
Eines stellt sich klar heraus, wenn man sich mit der Materie befaßt: Die Tendenz zum hauptberuflichen Betreuer ist ganz stark gestiegen.
({3}) Ich muß sagen: Ich bedauere das sehr.
Frau von Renesse, Sie mögen recht haben, daß das ehrenamtliche Element in allen Bereichen der Gesellschaft zurückzugehen droht und daß wir auch und gerade in diesem Bereich, in dem auch menschliche Zuwendung und nicht nur juristische Verwaltung eines Vermögens gefragt ist, die Möglichkeit der Umkehr einer gesellschaftlichen Tendenz anzupeilen haben - hin zu mehr ehrenamtlichem Engagement und zu Lasten des Herausbildens eines neuen Berufsstandes, nämlich des Betreuers.
Wir haben das Problem, daß mit dem Gesetzentwurf versucht wird, die Leistung der Betreuer an ihrer Vorbildung festzumachen, und zwar entsprechend dem Konzept des öffentlichen Dienstes. Da gibt es den einfachen Dienst, den mittleren Dienst, den gehobenen Dienst und den höheren Dienst. Das muß sich dann jeweils in den Stundensätzen niederschlagen. Das ist ein denkbarer Ansatz; er steht jetzt im Gesetz. Wenn uns nichts Besseres einfällt, werden wir ihn mittragen. Ich räume aber ein: Er erfreut mich nur wenig; denn die Leistung eines Menschen hat oft nur sehr wenig mit seiner ursprünglichen Vorbildung zu tun. Ich wünschte mir, wir fänden hier andere Kriterien.
Es muß aber auch eine machbare Lösung gefunden werden. Das, was wir in diesem Bereich haben - vielfältigste Leistungen, die ganz schlecht pauschaliert werden können, sehr unterschiedlichen Zeitaufwand, sehr unterschiedliche Aufgabenstellungen -, läßt sich schlecht in das Konzept eines Honorargesetzes - wenn ich es mal so nennen darf - hineinpressen.
Mit anderen Worten: Ich verstehe die gedanklichen Ansätze des Gesetzentwurfs, bin aber noch nicht ganz glücklich über das, was er beinhaltet. Vielleicht schaffen wir es bei den Parlamentsberatungen, einen Schritt hinter die jetzt vorgeschlagenen Regelungen zurückzugehen und uns damit zu befassen, ob das neue Betreuungsrecht seine Aufgabe wirklich gelöst hat.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidemarie Lüth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zielsetzung des Gesetzentwurfs hört sich gar nicht schlecht an. Ich darf zitieren:
Die praktischen Erfahrungen mit dem zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Betreuungsrecht lassen dessen Überarbeitung angezeigt erscheinen.
Wir bestätigen noch mal sehr gern: Die Antwort auf die Große Anfrage der SPD belegt etwas ganz anderes. Sie verdeutlicht, daß - wie im Entschließungsantrag der SPD festgestellt - über Wirklichkeit und Wirkungsweise des Betreuungsrechts zu wenig bekannt ist, um ein Gesetz überhaupt ändern zu können.
In diesem Sinne wurde die Regierung ertappt, so ganz auf die Schnelle Kosten zu sparen, und dies auf dem Rücken derjenigen, die Betreuung benötigen und die psychisch und physisch nicht in der Lage sind, Widerstand entgegenzusetzen. Das sind - wie bereits festgestellt - über eine halbe Million Menschen in unserem Land.
Gleichfalls will sie Kosten gegenüber jenen sparen, die Betreuung leisten. Das ist im Grunde genommen nichts anderes als eine neue Form des Sozialabbaus in Form von Lohnkürzungen.
Deutlich wird das in der Aussage des Bundesvorsitzenden der Lebenshilfe. Ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren:
Die Lebenshilfe empfiehlt deshalb, den Regierungsentwurf in der vorgelegten Fassung nicht weiter zu verfolgen. Er ist ungeeignet, die angestrebten Einspareffekte zu erzielen, und wird statt dessen die ohnehin in Ansätzen steckengebliebene praktische Umsetzung der großen rechtspolitischen Errungenschaften des Betreuungsrechts zum Erliegen bringen.
Die überflüssige Betonung, daß die Betreuungsangelegenheiten der Betreuten rechtlich zu besorgen sind, wird vor allem zu einer Vernachlässigung der persönlichen Zuwendung als Grundlage für das soziale Verhältnis zwischen Betreuten und Betreuern führen. Ohne ein persönliches Gespräch - das ist sicherlich jedem klar - kann eine Betreuungsaufgabe nicht erfüllt werden.
Wir wollen deshalb, daß die Veränderungen im Gesetz folgendes beinhalten: Die Rechte der kranken und behinderten Menschen sind verfassungsrechtlich in vollem Umfang zu sichern. Die Existenz der Betreuungsvereine ist zu garantieren, und auch die ehrenamtliche Betreuung, die sowohl professionelle Begleitung als auch Qualifizierung braucht, ist zu gewährleisten. Vergütungssätze müssen die Existenz und den Bestandschutz garantieren.
Herr von Stetten, auch Sie wissen sicherlich - Sie haben es nur nicht erwähnt -, daß in den Bruttobeträgen, die Sie für die Betreuer genannt haben, natürlich auch die Ausgaben für die Büros und die Aufga14690
ben - sie machen etwa 20 Prozent aus - enthalten sind, die überhaupt nicht stundenmäßig geleistet werden können, sondern zur Vorbereitung dienen.
Schließlich noch etwas, worauf der Kollege Braun bereits hinwies: Favorisiert wird im Entwurf die Qualifikation des Betreuers als Sozialarbeiter. Da diese Qualifikation in der DDR nicht erworben werden konnte, muß gewährleistet werden, daß vorhandene Qualifikationen - zuzüglich der in Lehrgängen erworbenen Kenntnisse und der in der Tätigkeit angeeigneten praktischen Erfahrungen - Anerkennung finden.
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Die gesetzliche Betreuung als Maßnahme staatlicher Rechtsfürsorge muß gegeben sein, und die örtlichen Betreuungsorgane der Kommunen dürfen nicht zur finanziellen Ausgleichsquelle für die Betreuungsvereine werden; denn eines ist eindeutig: Wenn es bei dieser Regelung der Vergütungssätze bleibt, werden die geringen Betreuungen nicht mehr von den Betreuern durchgeführt werden, und statt dessen werden die Kommunen gefordert.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.
Ein letzter Satz: Eine einzelfallbezogene Ermittlung der Mittellosigkeit möchten wir gern anstreben - so ähnlich hat es bereits Herr Beck gesagt -, damit es keine Regreßansprüche geben wird.
Danke.
({0})
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/7158 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/7176 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und an den Innenausschuß zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 e auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller ({0}), Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Situation der Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland
- Drucksachen 13/2990, 13/5065 - Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Visumspflicht für Kinder und Jugendliche aus den früheren Anwerbeländern zurücknehmen
- Drucksache 13/6930 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({3})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Rücknahme der Visums- und Aufenthaltsgenehmigungspflicht für hier lebende Kinder und Jugendliche aus den ehemaligen Anwerbestaaten Türkei, Marokko, Tunesien und den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens
- Drucksache 13/7036 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Keine neuen bürokratischen Hürden für jugendliche Ausländer - Einbürgerung endlich erleichtern
- Drucksache 13/7090 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({5})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der Gruppe der PDS
Abschiebestopp und Bleiberecht für afghanische Flüchtlinge
- Drucksache 13/6554 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({6}) Auswärtiger Ausschuß
Zur Großen Anfrage liegen Entschließungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Cem Özdemir.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Antwort des Bundesinnenministers auf unsere Große Anfrage anschaut, fällt einem vor allem eines auf, nämlich die völlige Unkenntnis über die Situation des Einwanderungslandes Deutschland.
„Angaben ... liegen der Bundesregierung nicht vor", heißt es da, „keine ausreichenden Anhaltspunkte" haben Sie dort, und schließlich: Dies „ist der Bundesregierung nicht bekannt", und zu jenem ,,liegen ... keine Erkenntnisse vor" .
Ihre permanente Weigerung, sich der gesellschaftlichen Realität zu stellen und anzuerkennen, daß dieses Land faktisch längst ein Einwanderungsland ist, macht Sie unfähig für eine gestaltende Einwanderungs- und Integrationspolitik, die diesen Namen tatsächlich auch verdient.
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Was wir in Deutschland endlich brauchen, sind keine ideologischen Scheuklappen aus dem Innenministerium, sondern ist eine umfassende Gesamtkonzeption, die endlich beispielsweise mit einem Einwanderungsgesetz beginnt, das die Zuwanderung und Integration in unserer Gesellschaft regelt.
Bündnis 90/Die Grünen haben ihren Entwurf vorgestellt. Wir werden in Kürze unseren Gesetzentwurf einbringen. Ich freue mich darüber, daß aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz ebenfalls ein entsprechender Entwurf angekündigt worden ist. Auch wenn wir die Zielsetzungen nicht in allen Punkten teilen, so ist das doch ein Fortschritt. Ich denke, daß es die Diskussion beleben wird.
Auch das gegenwärtige Ausländerrecht ist in dieser Form mit Sicherheit nicht reformierbar. Deshalb werden wir zu diesem Punkt demnächst unseren eigenständigen Gesetzentwurf einbringen, der im Rahmen eines Niederlassungsrechts nach fünfjährigem Aufenthalt eine umfassende rechtliche Gleichstellung von Einwanderern vorsieht und damit der Situation nach 40 Jahren Migration nach Deutschland gerecht wird.
Wir reden in diesen Tagen auch über die Europäische Währungsunion und über die wirtschaftliche Zukunft in Deutschland. Vielleicht sollte sich unser Kanzler einmal Gedanken über das Standortrisiko im Innenministerium namens Manfred Kanther machen. Im Innenministerium sitzt ein Law-and-order-Dirigent, der kleinen Kindern angst macht, aber mit Sicherheit kein Europäer ist.
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„Dirty Manfred" - der Clint Eastwood aus Hanau - sieht sich gerne als einsamen Kämpfer gegen Illegale und Schlepperbanden, die die Grundfesten unserer Republik erschüttern. So verkündete er zu Beginn dieses Jahres - quasi als Willkommensgruß für das Europäische Jahr gegen Rassismus - den Visumszwang und die Aufenthaltsgenehmigungspflicht per Eilverordnung für Kinder unter 16 Jahren aus Jugoslawien, aus der Türkei, aus Tunesien und aus Marokko.
Ich habe ja bereits gesagt, daß im Innenministerium kein Europäer sitzt. Darum verwundert es wahrscheinlich auch nicht, daß der kräftige Rüffel des Europäischen Parlaments, das in seiner Entschließung zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dazu aufgefordert hat, diese Unsinnsverordnung aufzuheben, Sie nicht besonders beeindruckt hat. Aber selbst
Ihre eigene Fraktion, die Fraktion der CDU/CSU, konnte sich in ihrem Entschließungsantrag, wie wir heute in der Presse lesen durften, nicht dazu durchringen, Ihre Verordnung zu begrüßen, und mahnt Änderungen an. Offensichtlich mußte man sehr viel Überzeugungskraft - welcher Art auch immer - aufwenden, damit Ihre Fraktion nicht noch einen Schritt weiter ging, was ursprünglich wohl beabsichtigt war, und auf klare Distanz zu dem ging, was Herr Kanther in diesem Hause vor einigen Wochen - wir erinnern uns alle noch daran - vorgestellt hat.
({2})
- Ich nehme Sie ausdrücklich davon aus. Ich weiß von vielen Kollegen in der Union, die nach der damaligen Debatte zu mir gekommen sind und gesagt haben, daß sie über das, was in dieser Verordnung im einzelnen steht, nicht informiert waren. Nur, das macht es nicht besser.
Ich denke, ein klares Zeichen wäre gefordert. Wir werden Ihnen die Gelegenheit dazu geben. Wir haben das, was die jungen Abgeordneten der CDU/ CSU nach der Debatte beim letzten Mal in Form einer Presseerklärung gesagt haben, in unserem Entschließungsantrag schriftlich formuliert. Sie alle haben die Gelegenheit, ihr Heldentum tatkräftig unter Beweis zu stellen.
Wir sind sehr gespannt darauf, wie sie heute über unseren Entschließungsantrag abstimmen werden, der zum Ziel hat, den zweiten Teil der Visumsverordnung, der sich mit den dauerhaft hier lebenden Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren beschäftigt, außer Kraft zu setzen. Da können sie zeigen, wie ernst es ihnen ist. Selbstverständlich sind wir insgesamt gegen die Visumsverordnung; auch dazu haben wir einen Antrag formuliert. Uns ist klar, daß dieser Antrag hier keine Mehrheit finden wird. Aber zumindest in bezug auf den zweiten Teil könnten Sie über Ihren Schatten springen und hier mit einer gemeinsamen Mehrheit klarmachen, daß dieses Parlament die Verordnung von Kanther in dieser Form nicht möchte.
Für Herrn Kanther - ich habe das bereits in meiner letzten Rede gesagt - sind und bleiben diese Kinder und Jugendlichen, von denen zwei Drittel bereits in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind, Ausländer. Er sieht keinen Bedarf, daran etwas zu ändern.
Sie können nur von Glück sagen, daß sich jetzt in der SPD noch einige Damen und Herren gefunden haben, die Ihre Verordnung zumindest in Teilen im Bundesrat durchbringen wollen. Offensichtlich möchte ein Innenminister dem anderen kein Auge ausstechen. Wir halten das für einen faulen Kompromiß.
Wir halten das, was Sie von der SPD mit Ihrem Antrag in den Bundestag einbringen, für einen sinnvolleren Weg. Auch wenn wir dem ersten Teil Ihres Antrags nicht zustimmen, so sind wir uns doch im zweiten Teil einig, daß nämlich die Regelung, was die hier lebenden Kinder anbetrifft, außer Kraft gesetzt werden muß.
Ich würde mir wünschen, daß Ihre Innenminister in den Bundesländern morgen im Bundesrat diese Position durchhalten und hier keinen faulen Kompromiß mit Herrn Kanther eingehen.
({3})
Es ist nicht Ihre Aufgabe, Herrn Kanthers Probleme zu lösen. Herr Kanther hat folgendes Problem: Er hat weder in diesem Hause noch im Bundesrat eine Mehrheit. Wir wissen, wie die meisten Kolleginnen und Kollegen denken. Sie sollten ihm hier nicht aus der Patsche helfen.
({4})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einen anderen Punkt hinweisen, der gestern in der ZDF-Fernsehsendung „Was nun?" zur Sprache kam. Herr Scharping hat da im Zusammenhang mit den Kohlekumpeln folgendes gesagt: „Wollen wir, daß in den Ruhr- und in den saarländischen Revieren Kumpel mit 32 oder 35 Jahren entlassen werden müssen, ihre türkischen Kollegen in den Zechen bleiben?"
Herr Schäuble - man höre und staune - hat dies korrigiert. Er hat gesagt, man solle doch bei dieser Frage vernünftig bleiben, und er erklärte, daß er diesen Unterton nicht ganz verstehen könne.
Ich bitte Sie wirklich in aller Eindringlichkeit, nicht auf dieses Niveau herabzusinken. Ich glaube, das gehört sich nicht für die sozialdemokratische Fraktion.
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- Es mag sein, daß das ein Mißverständnis ist; ich hoffe, daß es so ist. - Die SPD ist eine Partei, die mit Abstand die meisten Menschen nichtdeutscher Herkunft hat, gerade bei den Kohlekumpeln. Sie haben eine Tradition und sind als Partei bekannt, die sich für Solidarität einsetzt. Deshalb meine Bitte an Sie: Verfallen Sie nicht auf das, was andere Parteien besser können!
({6})
Ein anderer Punkt, der uns im Europäischen Jahr gegen Rassismus sehr wichtig ist: Wir brauchen in Deutschland dringend ein Antidiskriminierungsgesetz, das diesen Namen verdient. Denn wir sehen im alltäglichen Bereich, daß die bestehenden Gesetze nicht ausreichen.
Ich möchte Ihnen auch dazu ein aktuelles Beispiel vortragen: Das Bochumer Amtsgericht spricht in einem Urteil vom 25. September 1996 von folgendem: Die Ablehnung von „Zigeunern" als Nachmieter wird damit begründet, daß - ich zitiere - „diese Bevölkerungsgruppe traditionsgemäß nicht seßhaft ist" und daher „offensichtlich nicht zu den durchschnittlich geeigneten Mietern mit zutreffender Zukunftsprognose" gehöre. Deshalb müsse ein Vermieter nicht „Zigeuner" als Nachmieter akzeptieren.
Ich halte das für eine Ungeheuerlichkeit.
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Gott sei Dank haben sich alle Betreffenden mittlerweile davon distanziert. Aber das macht doch die Notwendigkeit deutlich, warum wir in Deutschland mit den bestehenden Gesetzen offensichtlich nicht weiterkommen.
Es gibt, glaube ich, sehr viel an wissenschaftlicher Vorarbeit für ein solches Gesetz; ich bitte Sie, daß man sich einmal unabhängig vom Parteienstreit darüber Gedanken macht. Es gibt auf europäischer Ebene sehr viel an Vorarbeit, zum Beispiel von der ILO - Sie kennen das, Frau Schmalz-Jacobsen; andere kennen das auch. Wir müssen uns einmal Gedanken machen, wie wir jenseits des Parteienstreites zu einer vernünftigen Regelung kommen, wie solche Gruppen vor solchen Urteilen, vor ungerechter Behandlung, vor dem Vorenthalten von Informationen etc. besser geschützt werden können.
Dazu paßt auch das Zitat des CDU-Landesvorsitzenden und -Fraktionsvorsitzenden von Berlin, Herrn Landowsky. Auch das muß man, glaube ich, bei dieser Gelegenheit zurechtrücken. Er hat im Zusammenhang mit Ausländern aus Rußland, Rumänien, Libanon, China und Vietnam von „kriminellem Abschaum" gesprochen. Er sagte weiter: „Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel. " Diese Äußerungen müssen durch den Deutschen Bundestag mit aller Entschlossenheit zurückgewiesen werden.
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Auch die CDU als eine große Volkspartei darf nicht den Eindruck erwecken, als ob diese Äußerungen repräsentativ für sie wären.
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Ich weiß, daß das für viele von Ihnen nicht repräsentativ ist. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, im Rahmen der Debatte dazu Stellung zu beziehen.
Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben immer gesagt: Wir sind bereit, unseren Teil zu einer vernünftigen Lösung beizutragen. Wir sehen, daß es in der Bevölkerung Ängste gibt, daß es durchaus berechtigte Ängste gibt vor dem, was an Zukunftsaufgaben, an Integrationsaufgaben, an Zuwanderungsaufgaben auf uns zukommt.
Wir wollen eine einvernehmliche Lösung. Es gibt in diesem Hause die Bereitschaft beispielsweise für eine einvernehmliche Lösung in der Frage des Staatsangehörigkeitsrechts. Es sind mehrere Anträge dazu präsentiert worden, in denen man sich darum bemüht. Ich entnehme Ihrem Entschließungsantrag, daß sich offensichtlich auch bei Ihnen der Teil durchzusetzen scheint, der sagt: Man muß noch in dieser Legislaturperiode dringend etwas ändern; denn wir können uns kein weiteres Jahr mehr leiCem Özdemir
sten, in dem wir mit dieser Staatsangehörigkeit Staat machen. Mit diesem geltenden Staatsangehörigkeitsrecht ist kein Staat mehr zu machen.
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Wir brauchen endlich ein europäisches Staatsangehörigkeitsrecht, das Deutschland, einem Land in der Mitte Europas, gerecht wird.
Wir wollen das bisherige Recht nicht wie das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschütten. Wir wollen einen vernünftigen Kompromiß, das heißt eine Zusammenfassung von Territorial- und Abstammungsprinzip. Kinder, die hier geboren sind, müssen Bürger erster Klasse werden. Es kann nicht angehen, daß man 15 Jahre warten muß, bevor man einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft hat. Auch hier, glaube ich, muß ein Kompromiß möglich sein, mit dem die Mehrheit leben kann.
Ich weiß, die Mehrheit in diesem Hause ist dazu bereit. Ich weiß aber auch, wo die Fundamentalisten sitzen. Sie sitzen im Innenausschuß, und sie sitzen zum Teil in Bayern. Unser Land braucht einen Innenminister, der das Gefühl erweckt, daß er alle Menschen in diesem Land vertritt.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Erwin Marschewski.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Özdemir, Ihr Debatteneinstieg zeigt, daß die Ausländerpolitik in Deutschland offensichtlich von Mythen durchwoben ist. Diesen Eindruck habe ich. Denkblockaden, die bei Ihnen bedauerlicherweise da sind, verhindern eine ehrliche Diskussion. Wenn ich mir die Diskussion im linken Spektrum ansehe, dann komme ich zu der Auffassung, daß der Begriff der Ausländerfeindlichkeit inzwischen zu einer Allzweckwaffe im Streit um die richtige Politik gegenüber Ausländern geworden ist. Was wir auch regeln, etwa das Aufenthaltsrecht: Jede Kritik an Ausländern, auch wenn sie berechtigt ist, wird tabuisiert und wird unter den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit, ja, unter den Verdacht der Ausländerfeindlichkeit gestellt.
Ich frage mich, ob das nur gedankliche Verirrungen sind, verbale Fehlleistungen, oder sogar bewußte politische Kampfbegriffe. Ersteres wäre schlimm, letzteres ist unerträglich.
Ich will zitieren, was Sie in der Aktuellen Stunde am 17. Januar so alles von sich gegeben haben. Da sagte Kollege Özdemir, der Wegfall der Visumsprivilegierung sei „ein Fausthieb ins Gesicht all derer, die sich in unserer Gesellschaft für Toleranz und Verständigung einsetzen".
({0})
Herr Kollege, dies ist sehr intolerant, dies ist sachlich falsch.
({1})
Wie ist der Sachverhalt? Wir haben vom 1. Juli 1998 an, in anderthalb Jahren, die Verpflichtung, daß alle Ausländer - also auch die unter 16jährigen - ein Visum beantragen müssen, das acht Jahre gültig ist, das von Amts wegen erteilt wird, wie es in allen Ländern der Erde üblich ist.
Sie haben vorhin den Herrn Innenminister als Mann von Law and order bezeichnet. Wenn es darum geht, Recht und Gesetz zu achten und Verbrecher zu bekämpfen, bin ich an erster Stelle ein Mann von Law and order. Das sage ich Ihnen. Das gilt genauso für den verehrten Herrn Bundesinnenminister.
({2})
- Ich nenne Ihnen weitere Beispiele, lieber Kollege Schlauch. Hören Sie einmal zu. Frau Beer sagte in dieser Debatte, es handele sich um ein „Startsignal für eine erneute Kampagne gegen Ausländer und Ausländerinnen", „ein neues Kapitel ausländerfeindlicher Politik".
({3})
Meine verehrte Kollegin Frau Wolgast führt aus, was wir da gemacht haben - wir sprechen gleich darüber -, seien „neue und dumpfe Feindseligkeiten" gegenüber Ausländern.
({4})
Ich hoffe, das paßt noch in die Kategorie „verbale Fehlleistungen".
({5})
- Ich zitiere ja nur. Ich kann weiter zitieren. Ich habe eine ganze Seite aufgeschrieben.
Wenn ich solche Äußerungen nachlese, komme ich zu einem schlimmen Ergebnis. Wissen Sie, was Sie machen? Sie stellen dem Mythos der Ultrarechten grundlos und verfehlt einen linken Alternativmythos gegenüber. Das ist das Problem.
({6})
Sie antworten mit einem Tabu, dem Tabu, überhaupt von Ausländern, von deren und unseren Problemen zu reden.
({7})
Sie begnügen sich fatalerweise - auch Sie, Herr Schlauch - mit einer zu simplen Umkehrung ultrarechter Konzepte. Mehr machen Sie nicht.
({8})
Wird bei den Rechten die Immigration unsinnigerweise als Bedrohung und Katastrophe empfunden, so sehen Sie offensichtlich in jedem Zuzug undifferenziert einen Beitrag zu größter Humanität, zur Lösung aller Problemfelder der Ausländer und der Deutschen.
Tatsache ist: Zuwanderung bringt Chancen, sie kann bereichern. Das ist wahr. Sie führt aber auch zu Belastungen. Das ist genauso wahr. Sie ist im übrigen in der Geschichte nie ohne Friktionen erfolgt. Auch das sind Erfahrungen und Tatsachen, die wir zu berücksichtigen haben. Deshalb ist es eben das Gebot der Stunde, Denkblockaden und Denkverbote - wir sprechen bei Ihrer Großen Anfrage ja über viele Dinge - zu überwinden und zu differenzieren.
Ich bitte Sie, bei der Visumpflicht diesen ganzen Bereich differenziert zu betrachten. Wenn Sie das tun, wird Ihnen deutlich: Was wir verlangen, tun alle Staaten der Erde. Jeder Ausländer benötigt zum Aufenthalt in einem anderen Land ein Visum oder hier eben eine Aufenthaltsgenehmigung, ob er dort lebt oder zuzieht, wie Sie und ich einen Paß brauchen, den wir alle zehn Jahre neu beantragen müssen. Ist dies unzumutbar?
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Ist dies bürgerfeindlich? Ist dies ausländerfeindlich? Meine Damen und Herren, worüber reden wir denn eigentlich?
Es ist doch vielmehr begründet: Erstens. Ein Vierteljahrhundert nach dem Anwerbestopp gibt es keinen Grund, privilegierte Sonderregelungen zu schaffen. Warum denn eigentlich eine Andersbehandlung als bei Kindern aus allen anderen Ländern, auch von deutschen Kindern, die im Ausland wohnen?
Zweitens haben wir uns gegenüber den SchengenStaaten zu einer einheitlichen Visapolitik verpflichtet; wir müssen dies also tun.
Drittens. Sie wissen, auch die SPD-Innenminister haben zumindest im Innenausschuß des Bundesrates diese Lösung akzeptiert. Ich hoffe, meine Damen und Herren, der Bundesrat wird sich unserem Anliegen nicht verweigern. Es geht darum, zu verhindern, daß Kinder von Schleppern mißbraucht werden, daß sie als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden und daß sie vielleicht - ausschließlich zum schäbigen Gewinn von Schlepperbanden - der Prostitution zugeführt werden. Ich hoffe, der Bundesrat wird unserem Anliegen entsprechen.
Ich möchte Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen. Im Januar sind 485 Kinder insbesondere durch Schlepperbanden nach Deutschland gebracht worden. Dann kam diese Regelung, die ich begrüße. Im Februar waren es 25 Kinder, und bis zum heutigen Tag gab es im März keinen einzigen Fall. Meine Damen und Herren, diese Regelung zeigt bereits Erfolge: von fast 500 auf Null. Das müssen Sie doch akzeptieren.
({10})
Zu den türkischen Kindern: Sie bekommen ein Visum. Das gilt bis zu drei Monaten im Ausland. Sie können visumsfrei nach Frankreich oder nach Spanien fahren. Das, was wir mit der Kinderstaatsangehörigkeit oder -zugehörigkeit - wie auch immer - regeln wollten, wird jetzt durch diese Regelung als positiver Nebeneffekt erreicht. Ich kann das doch nur begrüßen.
Zum weiteren Teil der Debatte über die Große Anfrage der Grünen einschließlich der Behauptung, Deutschland sei ein Einwanderungsland,
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möchte ich einen Blick zurückwerfen, um auch einmal die Kontinuität oder, wenn ich die SPD sehe, die Diskontinuität Ihrer Politik aufzuzeigen. Im August letzten Jahres hat die SPD sogenannte Eckwerte für ein Zuwanderungsgesetz vorgelegt. Kurz zuvor haben die Grünen den Entwurf eines Einwanderungsund Niederlassungsgesetzes beschlossen. Beide Parteien behaupten darin, die demographische Entwicklung führe zu unlösbaren Problemen für Arbeitsmarkt und Alterssicherung. Deswegen forderte man damals eine aktive Einwanderungspolitik, also mehr Zuzug. Das ist ein paar Monate her.
({12}) - Nein, ein paar Monate.
Dann wechselte die SPD innerhalb von Wochen ihre Auffassung. Unter fast gleicher Überschrift sollten nunmehr Einwanderungsquoten den Zuzug begrenzen, obwohl SPD und Grüne zeitgleich - es waren meist dieselben Personen - die Ausländerzahl in Deutschland durch erweiterte Zuzugsmöglichkeiten, durch immer neue Altfallregelungen, durch eine Unterminierung des Asylkompromisses, wie im Vermittlungsausschuß neulich angeboten, und insbesondere dadurch erhöhen wollen, daß bis zum heutigen Tag keine umfassende Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erfolgt. Ich werfe dies den Ländern vor, meine Damen und Herren.
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Aber Ihr Zuwanderungsquotengesetz ist eine Mogelpackung: Erstens. Wir wollen keine zusätzliche Einwanderung ermöglichen. Wir brauchen sie auch nicht. Dies haben wir immer gesagt. Dies sagen wir insbesondere heute. Wer bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen mehr Einwanderung fordert, handelt fatal. Wir haben 500 000 ausländische Arbeitslose und 700 000 ausländische Sozialhilfeempfänger.
Zweitens. Wir können die Zuwanderung auch gar nicht begrenzen. Dies geht rechtlich nicht. Sie wissen dies doch. Wir haben pro Jahr ungefähr 120 000 bis 130 000 Asylbewerber. Wollen Sie Art. 16a des Grundgesetzes, das subjektive Grundrecht auf Asyl, abschaffen? Das geht doch gar nicht. Sie müssen die Leute aufnehmen. Wollen Sie die Regelungen des Ausländerrechts - 100 000 Familienangehörige kommen zu uns - verändern? Das geht doch gar nicht. Wollen Sie Art. 116 des Grundgesetzes ändern und die Aussiedlerzahl weiter beschränken? Dazu müssen Sie das Grundgesetz ändern. Wollen Sie es ablehnen, daß wir in Deutschland aus humanitären Gründen 300 000 oder 400 000 Bürger aus Jugoslawien aufnehmen? Das sind 800 000 Flüchtlinge mehr, als ganz Westeuropa aufgenommen hat. Es bleiben ungefähr 500 000 Flüchtlinge hier. Das sind mehr als in ganz Europa. Das sind die Regelungen. Dies ist doch gar nicht anders regelbar. Dies verstieße auch gegen die europäische Garantie der Freizügigkeit.
Deswegen geht die von Ihnen geforderte Einwanderungsquote völlig ins Leere. Beantworten Sie doch einmal die Frage, nach welchen Kriterien Sie diese Quote festlegen wollen: Nach dem Bedarf des Arbeitsmarktes, nach dem Alter der Bewerber, nach den Herkunftsländern oder nach der Qualifikation? Wollen Sie, daß die dringend im Ausland - in Afrika oder wo auch immer - benötigte Elite nach Deutschland abwandert?
Mit uns - das sage ich Ihnen - ist eine solche Politik auf jeden Fall nicht zu machen. Unser Ziel ist und bleibt es, eine vernünftige Integration - deswegen haben wir das Ausländergesetz vorgelegt - der hier in Deutschland lebenden Ausländer zu erreichen. Hierzu darf ich Ihnen etwas zitieren, was für die SPD vielleicht nicht völlig uninteressant ist. Zur Integration von Ausländern hat die SPD/F.D.P.-Bundesregierung nach 1982 folgendes beschlossen - ich zitiere -:
Nur durch eine konsequente Politik zur Begrenzung des Zuzugs läßt sich die unverzichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Ausländerintegration sichern.
Und weiter heißt es, so der damalige Beschluß der SPD/F.D.P.-Bundesregierung:
Dies ist zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens unerläßlich.
Meine Damen und Herren, damals hatten wir 4 Millionen Ausländer. Heute haben wir fast 7,5 Millionen Ausländer. Wie gesagt, es handelt sich um einen Beschluß von SPD und F.D.P. aus dem Jahre 1982.
Diesem Ziel wollen wir folgen. Ich denke, daß unsere Vorschläge zur Integration der Ausländer und dazu, das Ausländerrecht zu novellieren - für die Menschen, die hier wohnen, wollen wir mehr Rechte; die Gewalttäter aber wollen wir nach Hause schikken, abschieben und einer Bestrafung unterziehen -, die richtige Politik sind.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mag auch in dieser Frage in einigen Köpfen der Koalitionspolitiker Einsicht und Selbstkritik reifen, im Kopf des Kollegen Marschewski offenbar nicht.
Seit zwei Monaten bestehen nun die Auseinandersetzungen über dieses Thema, über die Visums- und Aufenthaltsgenehmigungspflicht. Ich frage Sie von der Koalition und den Bundesinnenminister: Sind Sie angesichts der anhaltenden Proteste und der bis in Ihre eigenen Reihen hinein gemachten bitteren Kommentare zu Ihren Absichten nicht ins Grübeln geraten? Merken Sie nicht endlich, was Sie mit diesem unsensiblen und überflüssigen Rundumschlag angerichtet haben?
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Ich muß es Ihnen leider sagen: Sie haben das ohnehin brüchige Vertrauen der hier lebenden und verwurzelten Migranten weiter erschüttert. Sie haben diese Menschen in dem Eindruck bestärkt, daß sie hier eher lästig als erwünscht seien. Sie bauen bürokratische Hürden auf, anstatt die Kluft zwischen Deutschen und Nichtdeutschen zu überbrücken.
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Sie üben sich in einem Akt unfreundlicher und zudem noch familienfeindlicher Abwehr. Selten ist via Eilverordnung so viel politisches Porzellan zerschlagen worden.
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Herr Marschewski, Sie sprechen doch, wie soeben auch in Ihrer Rede, so oft von dem Ziel der Integration. Begreifen Sie doch endlich, daß Sie andauernd diesem Anspruch kraß zuwiderhandeln.
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Wir brauchen doch mehr als einen Beleg dafür, daß sich nichts verschlechtert. Wir brauchen ein Zeichen für eine Besserung, das heißt, ein positives Signal für die Bereitschaft dieses Staates, sich nach vier Jahrzehnten Einwanderung in Fairneß und Partnerschaft auf diejenigen einzulassen, die hier herkamen, hier blieben und in zweiter und dritter Generation heimisch geworden sind. Das ist Integration.
Deswegen setzt die SPD-Bundestagsfraktion heute den Hebel an zwei Punkten an. Erstens. Der Teil der Verordnung, der die 600 000 bis 800 000 hier lebenden Kinder und Jugendlichen betrifft, muß vom Tisch, meine Damen und Herren. Die Aufenthaltsgenehmigungspflicht spricht allen Bemühungen Hohn, diesen jungen Menschen zu zeigen, daß sie selbstverständlich, rechtlich und in der Tat, zu unserem Gemeinwesen gehören.
Zweitens. Wir rügen die Bundesregierung und die Koalitionsparteien wegen ihrer jahrelangen Blockade der längst überfälligen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
({4})
Wir müssen offenbar noch einmal daran erinnern, daß nicht erst in dieser, sondern bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode der Bundeskanzler höchstpersönlich die Dringlichkeit dieses Vorhabens angemahnt hat. Aber das war noch unter dem schokkierenden Eindruck des Brandanschlages von Solingen. Derlei Absichtserklärungen erweisen sich - zynisch ausgedrückt - offenbar als Schall und Rauch, wenn erst einmal genügend Zeit verstrichen ist.
Uns hilft auch wenig die Erkenntnis, daß das gesamte Unterfangen wegen anhaltender Meinungsunterschiede zwischen F.D.P. und sogenannten „jungen Wilden" aus der CDU einerseits sowie den hartgesottenen Verfechtern des Status quo andererseits in der Sackgasse steckt.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, möglicherweise sind Sie - mehr hoffe ich gar nicht - wenigstens dazu imstande, bei der Gesamtreform des Staatsangehörigkeitsrechts jenen Teil vorzuziehen, der die hier geborenen Kinder aus der nachwachsenden Ausländergeneration betrifft. Sie sollen künftig kraft Gesetz mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben können, und zwar unabhängig davon, ob sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Begreifen Sie endlich, meine Damen und Herren: Für die jungen, hier geborenen Ausländerinnen und Ausländer ist die Einbürgerungsurkunde das richtige und passende Dokument in dieser ganzen Angelegenheit.
({5})
Auch wir wollen das Schlepperunwesen eindämmen. Wir wissen, daß es neben echter Flüchtlingsnot auch weniger ehrenhafte Gründe gibt, Kinder allein nach Deutschland zu schicken. Es ist bekannt, daß sie für bestimmte Dinge mißbraucht werden. Das ist nicht zu verharmlosen. Deshalb sind wir bereit, für die erstmals hier einreisenden Kinder und Jugendlichen ohne Bezugspunkt in der Bundesrepublik die Visumspflicht zu akzeptieren, weil vielleicht damit Einreisen, für die ein Motiv oder Zweck nicht plausibel und auch nicht im Interesse der Jugendlichen selbst ist, eingedämmt werden können.
Ich mache zugleich einen Hinweis auf eine höchst lesenswerte Expertise des Hamburger Ausländerbeauftragten und ehemaligen Senators Günter Apel. In Hamburg haben sich im vergangenen Jahr aus allen Ländern 912 allein eingereiste Minderjährige gemeldet und erklärt, sie wollten Asyl beantragen. Das Interessante ist nun, fast zwei Drittel kamen aber aus Ländern, in denen schon jetzt ein Visum erforderlich ist. Ich sage das nur deshalb, um allzu hohe Erwartungen in die Wirksamkeit der jetzt geplanten Regelungen zu dämpfen.
Herr Bundesinnenminister, im Januar sprachen Sie mit warnendem Unterton von einem starken Anstieg der Zahl einreisender Kinder auf insgesamt 2 068. Damit haben Sie allerdings den Eindruck erweckt, daß es sich bei praktisch jedem Grenzübertritt solcher Jugendlicher um einen Mißbrauch handelt. Was berechtigt Sie eigentlich dazu?
Die Hamburger Behörde, von der ich eben sprach, kommt zu dem Ergebnis, daß etwa die Hälfte dieser Kinder und Jugendlichen aus - ich zitiere - „nicht zu beanstandenden Gründen" eingereist sei. Das heißt, Sie machen den vermeintlichen oder tatsächlichen Mißbrauch durch eine relativ kleine Zahl von Menschen zum Knüppel, der zugleich eine viel größere Zahl anderer Menschen trifft. Das ist unverhältnismäßig und muß von den vielen, die hier ganz rechtmäßig leben, die in die Schule oder in die Lehre gehen, als reine Schikane empfunden worden sein. Entsprechend war auch das Echo.
({6})
Auch das Argument, hier würde nur ein überflüssig gewordenes Privileg für Menschen aus den ehemaligen Gastarbeiterländern abgeschafft, überzeugt mich nicht. Es handelt sich einfach um eine andere Tradition und Kultur der Einwanderung als gegenüber anderen Ländern. Ich meine, die Bundesrepublik, die vor 40 Jahren auf der Suche nach billigen und willigen Arbeitskräften diesen Migrationsprozeß eingeleitet hat, trägt gegenüber den Menschen aus diesen Ländern einfach eine besondere Verantwortung.
({7})
- Ja, gerade auch nach 40 Jahren, Herr Zeitlmann.
Wir wollen zugleich der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit unserem Entschließungsantrag neue Schubkraft geben. Weil uns, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in dieser Frage Ihr Antrag, den wir ansonsten in der Tendenz unterstützen, zu kurz greift, werden wir uns der Stimme enthalten. Der Antrag der Koalition enthält nun wirklich nichts als unverbindliche Absichtserklärungen, und daß Sie ihn jetzt auch noch unter dem Etikett „Koalition pfeift Innenminister zurück" verkaufen, finde ich schon ziemlich dreist. Diesen Antrag werden wir ablehnen.
Stillstand und Starrsinn in der Einwanderungspolitik, finde ich, sind schon schlimm genug. Wenn jetzt noch der integrationspolitische Rückwärtsgang eingelegt werden soll, dann machen wir das nicht mit.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Altmaier das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, es ist richtig, daß ich mit einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen
aus dieser Fraktion den zweiten Teil der Verordnung öffentlich kritisiert habe.
({0})
Ich bin auch nach wie vor der Auffassung, daß es möglich gewesen wäre, das Schlepperunwesen wirksam zu bekämpfen, ohne gleichzeitig eine Aufenthaltsgenehmigungspflicht für diejenigen, die in Deutschland geboren wurden und hier aufgewachsen sind, einzuführen.
({1})
Wir hätten uns auf diese Weise auch einiges an Verunsicherung sogar bei solchen, die bereits die deutsche Staatsangehörigkeit haben und gar nicht mehr betroffen sind, sparen können.
({2})
Aber wir waren mit dieser Position in unserer eigenen Fraktion und auch in der Koalition nicht mehrheitsfähig. Ich füge hinzu, daß dies offenbar auch der Fall bei den SPD-geführten Ländern im Bundesrat war. Ich finde das, was an Unklarheit, an Herumgeeiere von den SPD-geführten Bundesländern und ihren Innenministern in dieser Frage seit Wochen praktiziert wird, wenig überzeugend.
({3})
Ich hätte mir ein klares Bekenntnis in die eine oder andere Richtung gewünscht. Aber dies ist kein Beispiel, wie wir diskutieren sollen.
({4})
Ich meine, wenn wir vor diesem Hintergrund den Antrag der Koalitionsfraktionen einmal vorurteilslos betrachten, dann werden Sie feststellen, daß dieser Antrag ganz wesentliche Klarstellungen und Verbesserungen bringt. Der Antrag enthält das unmißverständliche Bekenntnis zur Integration der hier lebenden ausländischen Jugendlichen. Wir machen damit gegen den vorgeblichen Zeitgeist deutlich, daß wir das Rad weder zurückdrehen können noch wollen.
Der Antrag enthält eindeutige Klarstellungen im Hinblick darauf, daß die Anwendung dieser Verordnung so gehandhabt werden muß, daß das Integrationsziel nicht gefährdet wird. Dadurch, daß von Amts wegen diese Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird, haben wir zwar nicht alle Probleme aus der Welt geschafft, aber wir haben klargemacht, daß mit dieser Verordnung kein gegen die Integration gerichtetes Signal gesetzt werden soll.
Wir haben ein Zweites getan.
({5})
Wir haben in dieser Resolution eindeutig das Bekenntnis der Koalition zu einer umfassenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts noch für diese Legislaturperiode erneuert.
({6})
Dieses Bekenntnis ist wichtig. Ich füge hinzu: Es ist eine Verantwortung der Regierungsfraktionen und ihrer Mehrheit, aber darüber hinaus auch eine Verantwortung des gesamten Hauses, der wir uns nicht entziehen dürfen.
Wenn Sie dies alles zusammennehmen, dann meine ich: Dieser Entschließungsantrag ist geeignet, viel von dem, was in den letzten Wochen unbeabsichtigt an Verunsicherung entstanden ist, wieder aus dem Weg zu räumen. Er ist ein richtiges und positives Signal. Das wird auch in der Presse so gesehen.
Deshalb auch an Sie mein Appell: Stimmen Sie diesem Entschließungsantrag zu!
({7})
Machen Sie damit deutlich, daß es ein Anliegen des gesamten Hauses ist, die Integration der hier lebenden ausländischen Jugendlichen voranzubringen!
({8})
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, auch der Abgeordnete Otto Schily will noch eine Kurzintervention machen. - Sie können dann zusammen auf beide antworten. - Bitte.
({0})
Meine Antwort wird sehr kurz. Herr Kollege, es ist sicherlich richtig, daß es auch innerhalb der SPD bei Bund und Ländern einen schwierigen Meinungsbildungsprozeß gegeben hat. Das ist völlig unbestritten. Bitte vergessen Sie aber nicht, wer der eigentliche Verursacher der Verunsicherung ist. Der sitzt drüben, es ist nämlich der Ihnen zugehörige Bundesinnenminister.
({0})
Das war die erste Bemerkung.
Die zweite ist: Sie haben lebhaft plädiert für einen Antrag aus Ihren Reihen, der ziemlich vage ist und viel offenlässt. Wir haben einen besseren Antrag formuliert, der Ihre Überzeugungen voll trifft. Sie haben nachher bei der namentlichen Abstimmung über beide Anträge die gute Möglichkeit, diesem konkreteren und präziseren, Ihre Interessen vertretenden Antrag zuzustimmen. Bitte schön, tun Sie das.
({1})
Der Kollege Schily hat jetzt das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Meine Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast hat ja sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß der Entschließungsantrag, der heute in der Debatte vorliegt, nach dem, was wir aus den verschiedenen Fraktionen hören, eigentlich eine Mehrheit haben müßte. Das Erstaunliche ist - und da
stellt sich die Frage, wer hier wo „eiert" -, daß offenbar nicht die Möglichkeit besteht, diese Mehrheit hier auch zu artikulieren. Alle Innenminister sämtlicher sozialdemokratisch geführten Bundesländer haben einhellig erklärt, daß eine erleichterte Einbürgerung und die Verbesserung des Staatsangehörigkeitsrechtes vorrangig sind.
Herr Minister Bökel ist heute hier anwesend. Ich hoffe, er nimmt das Wort und wird das deutlich zum Ausdruck bringen. Er hat es auch dadurch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das Land Hessen schon einen Gesetzentwurf vorbereitet hat. Da frage ich mich schon: Wo ist denn die Courage derjenigen, die immer am Sonntag und in Kurzinterventionen schön reden, dann, wenn es darauf ankommt, eine solche Politik im Bundestag durchzusetzen, die Mehrheit auf den Tisch zu bringen? Das ist das Entscheidende. Daran mißt sich dann die Frage: Wie ernst ist es denjenigen, die diese Worte im Munde führen?
({0})
Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich schreie weder wie der Schreiner noch wie der Schily, noch wie sonst jemand, weil ich das nämlich gar nicht kann.
({0})
Ich hätte große Lust, über Einwanderungsregelungen zu sprechen, weil mir scheint, daß hier erhebliche Mißverständnisse vorhanden sind. Aber meine Redezeit erlaubt das nicht. Deswegen möchte ich zur Visumspflicht sprechen und nochmals erklären, auch gegenüber der Öffentlichkeit - weil das ja so schwierig zu sein scheint -: Was die Einreise für nicht hier lebende unter 16jährige aus vier Ländern betrifft, handelt es sich um etwas, was für Kinder aus allen anderen Ländern längst Gesetz ist, also um nichts neues. Nirgendwo gibt es ein ähnliches Privileg für eine Gruppe. Ich denke, 23 Jahre nach dem Anwerbestopp ist es möglich, diesen Teil eins der Verordnung umzusetzen. Wie ich höre, gibt es dazu inzwischen ja auch viel Zustimmung. Die damit zwingend zusammenhängende Aufenthaltserlaubnis für die Hiesigen ist doch das eigentliche Problem. Sie einfach abzuschneiden und weg vom Tisch zu haben, führt uns überhaupt nicht weiter, weil diese Kinder und Jugendlichen damit Schwierigkeiten beim Reisen hätten.
Nun kann man das Ganze sehr nüchtern betrachten, wie die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, die gesagt hat: Es passiert gar nichts; die Visapflicht ist nur eine Unbequemlichkeit. Was sonst mit 16 Jahren notwendig ist, nämlich eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen, wird jetzt schon früher notwendig, wie bei allen anderen Jugendlichen auch.
Nur, der Pferdefuß liegt genau darin, daß wir das in Wirklichkeit nicht nüchtern betrachten können. Denn die Politik, die häufig auch mit Signalen arbeitet, hat hier das falsche Signal gesendet.
({1})
Es ist einfach ärgerlich, weil das, was mit der Verordnung geschieht, nicht zu Ende gedacht wurde.
Es geht hier um keinen Mythos. Ich sage das mit allem Ernst: Wer unter uns Kontakt mit den Leuten vor Ort hat, der weiß doch, daß die Stimmungslage in der jetzigen Situation nicht ganz einfach ist. Es gibt Arbeitslosigkeit, es gibt die Suche nach Sündenbökken, und es grummelt. Mehr möchte ich nicht sagen. Darum muß man ganz besonders vorsichtig sein, was man für Signale aussendet; denn die Nichtdeutschen unter uns spüren das als erste und sind besorgt.
({2})
Tatsache ist doch: Man nimmt den Leuten etwas; da nützt doch kein Drumherumreden. Das Versprechen - was auch in der Begründung zu der Verordnung dargelegt worden ist -, daß die hier Lebenden keine rechtlichen Nachteile haben sollen, ist zwei Monate nach Inkrafttreten der Verordnung inhaltlich noch immer nicht auf dem Tisch. Das halte ich für ein sehr großes Defizit. Ich sage das deutlich: Es war nicht nur ein Fehler, das nicht auszuführen und zu Ende zu denken, sondern das ist auch keine nachvollziehbare Politik.
({3})
Vor zwei Wochen - ich will auch von mir aus darauf hinweisen - hat die deutsche Eröffnungsveranstaltung für das Europäische Jahr gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Berlin stattgefunden. Dort sind viele schöne Worte gefallen. Aber denjenigen, die sagen, das waren einmal wieder hohle Worte, kann ich nicht aus vollem Herzen widersprechen. Es tut mir leid.
({4})
Ich finde es schade, daß die Opposition in ihren Anträgen zum großen Teil den Zustand, wie er vorher war - ich nehme die SPD hier aus -, wiederhaben will. Das ist nicht unsere Position, und das ist unterm Strich auch ziemlich phantasielos. Auch das ist keine konzise Politik.
({5})
Ich finde es sehr schade, daß der Vorschlag, den ich gemacht habe, der von Anfang an auf dem Tisch lag und den sich meine Fraktion, die F.D.P., zu eigen gemacht hat, nicht aufgenommen worden ist - damit hätten Sie es uns mit der Abstimmung schwerer gemacht -, nämlich diejenigen, die von draußen kommen, und die, die schon hier leben, zu unterscheiden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann ihnen entweder eine Aufenthaltserlaubnis geben, die befristet ist - von Amts wegen im übrigen, was ein Fortschritt wäre; dazu braucht man keine Gesetzesänderung, das kann man per Verordnung machen -, oder
man kann - das ist der Vorschlag der F.D.P. - den Kindern, die hier geboren sind und deren Eltern ein unbefristetes Aufenthaltsrecht haben, schon sofort und nicht erst ab 16 Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis geben und sie damit in den gleichen Stand versetzen wie ihre Eltern. Dazu allerdings braucht es eine Gesetzesänderung. Wir werden das im Vermittlungsausschuß, wo das Ausländergesetz auf dem Tisch liegt, einbringen. Wenn man will, kann man das sehr rasch machen.
Ich möchte alle die beruhigen, die Angst haben, daß, wenn sie den kleinen Finger geben, nicht nur die ganze Hand genommen wird, sondern daß sie direkt am Genick gepackt werden, und die Mißbrauch wittern: Das kann nicht geschehen; denn weiterhin wird es so sein: Wer länger als sechs Monate das Land verläßt, verliert seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Nebenbei bemerkt: Wer wird denn von uns vor Kindern unter 16 Jahren Angst haben, die hier geboren sind und unter uns leben? Das ist doch lächerlich.
({6})
Im übrigen führt natürlich kein Weg an einer umfassenden Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vorbei. Um das klar zu sagen: Es gehört mehr dazu als eine bloße Verkürzung der Wartefristen.
({7})
Daß das noch in dieser Legislaturperiode geschehen muß, das spricht unser Antrag aus.
Jeder weiß, daß es eine klare Mehrheit in diesem Hause gibt. Diese klare Mehrheit wird sich eines baldigen Tages ihr Abstimmungsverhalten suchen.
({8})
Die Verzögerungsspiele habe ich satt. Wir werden nach Ostern wieder neu beginnen.
Ehrlich gesagt, meine Kolleginnen und Kollegen: Ich empfinde diese Blockade langsam als einen Angriff auf die Glaubwürdigkeit dieses ganzen Hauses.
Vielen Dank.
({9})
Jetzt hat die Abgeordnete Ulla Jelpke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Land ist ein Einwanderungsland. Das geht aus der hier zur Diskussion stehenden Antwort auf die Große Anfrage eindeutig hervor.
({0})
Wer dies wie Herr Kanther und auch Herr Marschewski weiter leugnet, leugnet meiner Meinung nach die Realität.
Herr Kanther, Sie und Ihre übrige Bundesregierung halten an einem stockkonservativen Bild von einem ethnisch homogenen Staat fest. Wer nicht deutscher Herkunft ist, gilt Ihnen als anders, als fremd, und wird folglich ausgegrenzt.
({1})
Sie unterscheiden die da draußen, die Fremden, und uns hier drinnen, die Deutschen, und das seit Jahren, ohne daß in Ihrer Programmatik irgendein Fortschritt erkennbar wäre. Im Gegenteil - der Kollege Özdemir hat es hier eben schon zitiert -: Ende letzten Monats erklärt Ihr Parteifreund, der Vorsitzende der CDU- Fraktion in Berlin, Landowsky, Ausländerinnen und Ausländer zu „Abschaum" und „Gesindel".
({2})
Vor über 14 Jahren verkündete der Bundeskanzler, es gebe gar kein Problem der Ausländer im allgemeinen. Es gebe ein „Problem der großen Zahl, der zu großen Zahl von türkischen Mitbürgern in Deutschland". Das hat der Kanzler am 3. Oktober 1982 im ZDF verkündet.
Der Ehrenvorsitzende der Unionsfraktion, Herr Dregger, wurde schon damals noch deutlicher:
Ausländer deutscher Sprache und Kultur sind uns besonders willkommen, Ausländer aus dem christlich-europäischen Kulturkreis sind ohne Schwierigkeiten zu integrieren. Anders ist es mit den Ausländern, die aus fremden Kulturkeisen kommen, z. B. aus der islamischen Hochkultur. Das gilt für die Türken.
Das ist ebenfalls ein Zitat von 1982.
({3})
Menschen türkischer Herkunft und Staatsangehörigkeit stellen die bei weitem größte Migrantengruppe in der Bundesrepublik dar. Sie, ihre Eltern und Großeltern wurden wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den Anwerbestaaten von deutschen Unternehmen geholt, um die hiesige Wirtschaft anzukurbeln. Die gesellschaftliche Teilhabe aber hat man ihnen bis heute verwehrt.
Die Kinder türkischer und jugoslawischer, marokkanischer und tunesischer Eltern haben das ganz aktuell zu spüren bekommen. Sie dürfen nur noch mit Visum zu ihrer Familie kommen. Diejenigen, die hier leben, müssen sich amtlicherseits ihre Existenz genehmigen lassen. Herr Minister Kanther, Ihre Eilverordnung ist schändlich gegenüber diesen Kindern und Jugendlichen.
({4})
Besser kann man ihnen nicht vorführen, daß man sie
nicht als einen Teil dieser Gesellschaft anerkennen
will. Tatsächlich gehören sie aber dazu. Sie gehören zu uns, zur Gesellschaft der Bundesrepublik.
In den letzten Tagen demonstrierten wenige Meter von hier Tausende von Bergleuten, unter ihnen viele türkischer oder jugoslawischer Herkunft. Wie ihre deutschstämmigen Kollegen riefen sie „Der Dicke muß weg!" und „Wir wollen Arbeit!".
({5})
Sie gehören dazu. Es wird Zeit, daß sie die gleichen Rechte wie die deutschen Kollegen bekommen, zum Beispiel was das Recht zu wählen angeht. Es wird Zeit, daß sie einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie sich hier dauerhaft niedergelassen haben, ohne daß sie ihren Paß dabei zurückgeben müssen. Es wird Zeit, daß ihre hier geborenen und aufgewachsenen Kinder automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es genügt nicht, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben, eine Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts zu fordern, gleichzeitig aber an der weiteren Ausgrenzung, wie wir morgen im Bundesrat sehen werden, beteiligt zu sein. Ihr Antrag ist ebensowenig wie die Beschlußempfehlung des Bundesrats und des Innenausschusses geeignet, das verheerende Signal zurückzunehmen, das Herr Kanther den 600 000 bis 800 000 Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern zumutet. Die Visaverordnung muß unserer Meinung nach insgesamt zurückgezogen werden, nicht nur in Teilen. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über die Anträge der Stimme enthalten.
Danke.
({6})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister, Manfred Kanther.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sind hier zwei Teile angesprochen. Zum einen betrifft es die allgemeine ausländerpolitische Debatte, die nur einen sehr knappen Raum eingenommen hat, die man auch in der Kürze der Zeit nicht zu Ende führen kann. Deshalb widerspreche ich den Rednern der Opposition nur dahin gehend, wie es auch mein Kollege Marschewski getan hat: Deutschland ist kein Einwanderungsland und Deutschland wird auch kein Einwanderungsland, jedenfalls nicht unter dieser Bundesregierung und mit dieser Koalition.
({0})
Wer will, daß Deutschland ein Einwanderungsland wird, der soll es den Wählern vor der nächsten Wahl sagen und damit um Mehrheiten werben. Dann wollen wir sehen, wie sich die Wähler entscheiden. Das ist eine klare Ansage.
({1})
Daraus folgen bestimmte Dinge: Ein Einwanderungsgesetz ist entweder ein Fehler oder ein Etikettenschwindel. Solange jedenfalls das geltende Asylrecht mit dem Anspruch auf Asyl besteht, ist jedes Einwanderungsgesetz, auch das gerade vorgelegte von Rheinland-Pfalz, ein ganz besonderer Etikettenschwindel.
({2})
Vielleicht ist es sogar mehr: Wenn man es zu Ende denkt, ist es zynisch, den Leuten vorzumachen, man könne auf diese Weise Probleme lösen, obwohl jeder weiß, daß es nicht geht.
In den Zusammenhang, daß Deutschland kein Einwanderungsland ist und deshalb eine unbegrenzte und illegale Zuwanderung nicht stattfinden darf,
({3})
gehört die Notwendigkeit, mit der Visumsverordnung den durch Schlepper bewirkten Zustrom von Minderjährigen und Kindern einzudämmen.
({4})
Daß man ihn eindämmen kann, beweisen die Zahlen, die der Abgeordnete Marschewski vorgetragen hat.
({5})
Die Schlepper können praktisch auf Knopfdruck den Strom ihrer getäuschten und betrogenen Kunden an- und abstellen. Wenn es je einen Beweis dafür gegeben hat, daß diese Verordnung notwendig war,
({6})
dann ist es die Tatsache, daß in der ersten Januarhälfte sehr viele und im März schließlich gar keine mehr gekommen sind. Hoffentlich bleiben die Zahlen insgesamt weiter unten.
({7})
Das ist nicht die erste Erfahrung dieser Art, sondern im Zusammenhang mit der Beseitigung des Visummißbrauchs durch Bürger aus Togo beispielsweise, sind entsprechende Erfahrungen bereits gemacht worden.
Eine Visumverordnung, die den Mißbrauch des Zugangsrechts nach Deutschland eindämmt, ist notwendig. Es gehört schon zu den Besonderheiten oppositionellen Lebens, daß man sich im eigenen Antrag ein Bekenntnis zur Notwendigkeit der Visumverordnung abringt und anschließend jede Antwort auf die Frage verweigert, was mit den Kindern geschehen soll, die im Land sind und sich dafür ausweisen können müssen, daß sie nicht nach dem 15. Januar gekommen sind. Diesen Teil der im InterBundesminister Manfred Kanther
esse der Kinder notwendigen Lösung verweigert die SPD ganz schlicht und verlangt die Aufhebung des zweiten Teils der Verordnung. Das ist völlig falsch. Die der SPD angehörenden Innenminister der Länder haben erkannt, daß das falsch sein muß, weil sie tägliche Erfahrungen mit dem Ausländerrecht haben und deshalb wissen, daß diese Nachweispflicht im Rahmen des Bleiberechts notwendig ist.
Die Vierteljahresfrist bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung dient ausdrücklich dem Finden einer geeigneten bundesweit einheitlichen administrativen Regelung. Ich sage Ihnen freimütig: Bei allen administrativen Überlegungen ist mir die einfachste und unbürokratischste Lösung immer die liebste. Diese ist mit den Ländern im Innenausschuß des Bundesrates gefunden worden.
Mich interessiert bei der Nachweispflicht der hier lebenden Kinder der zweite Teil, der sich auf Reisen aus Deutschland hinaus und wieder hinein bezieht, so gut wie nicht. Mich interessiert, daß der Mißbrauch des Hineinschleppens von Minderjährigen aufhört. Das ist der Punkt.
({8})
- Der zweite Teil dient dem Nachweis des Aufenthaltsrechts der hier lebenden Kinder. - Es ist richtig, dies administrativ so einfach wie möglich zu gestalten.
Wenn der Vorschlag lautet, die Frist von einem Jahr, die ich vorgesehen habe, auf anderthalb Jahre zu verlängern, dann ist das ebenso möglich wie auch entbehrlich. Man kann es machen oder lassen. Da es nach § 69 des Ausländergesetzes auf den Antrag ankommt und nicht auf die Entscheidung der Ausländerbehörde, ist diese Frage von nebensächlicher Bedeutung.
Ich hoffe, daß wir morgen auf Grund eines sehr viel größeren Maßes an Sachlichkeit und Problembewußtsein darüber, worum es wirklich geht, nämlich nicht um oppositionelle Sprechblasen, sondern um die Regelung eines schwierigen ausländerrechtlichen Sachverhalts, ein besseres Einvernehmen finden werden. Wenn das gelingt, dann müssen sich viele hier im Raum fragen lassen, welche Legitimation ihre harten und die Debatte in der Öffentlichkeit erst verhärtenden Töne in der politischen Arena gehabt haben. Ich denke, darüber wäre dann morgen weiter zu sprechen.
({9})
Für den Bundesrat erteile ich nun dem Innenminister des Landes Hessen, Herrn Gerhard Bökel, das Wort.
Staatsminister Gerhard Bökel ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kanther, wer die Frage stellt, wer hier für harte Töne verantwortlich ist, der verwechselt Ursache und Wirkung.
({1})
Wenn es in dieser Republik in den letzten Jahren eines Beispiels bedurft hätte, wie Politik und Verwaltung mit betroffenen Menschen nicht umgehen dürfen, dann ist es die Eilverordnung bezogen auf die Jugendlichen, die in diesem Land leben.
({2})
Wer Knall auf Fall ohne jede Absprache mit den Ländern, die diese umsetzen müssen, eine Verordnung auf den Weg bringt, 800 000 Jugendliche verunsichert und nicht nur die, sondern auch die Familienangehörigen, die deutschen Freunde, auch im Verein, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, alle, die sich mit diesen Menschen verbunden fühlen, handelt unverantwortlich, wenn die Vorlage nicht nachvollziehbar ist, meine Damen und Herren.
({3})
Wir, Bund und Länder, waren auf der Arbeitsebene im Gespräch. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß diese Eilverordnung ohne jede Ankündigung, selbst ohne Anruf beim Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, in Kraft gesetzt worden ist. Das ist ein Mißbrauch des Vertrauens zwischen den Ländern und dem Bund.
({4})
Natürlich - wer will das leugnen - müssen wir die Kinder und Jugendlichen, die hier keine Angehörigen haben, die durch Schlepperbanden, Familienangehörige oder wen auch immer einfach hereingeschleust werden, schützen. Das ist doch gar keine Frage. Wir hätten über einen vernünftigen Weg reden können.
Frau Schmalz-Jacobsen hat es gesagt: Hier geht es nicht nur um Recht und Verordnung, hier geht es auch um Psychologie. Die Eilverordnung war und ist der falsche Schritt, das falsche Signal.
({5})
Meine Damen und Herren, mir ist in den letzten Tagen deutlicher geworden als in den Wochen zuvor: Wir kriegen das administrativ nicht hin, auch nicht in dem Bereich, wo ich dazu neigte, zu sagen: Wir versuchen, es sozusagen von Amts wegen hinzubekommen. Die Ausländerbehörden, völlig unvorbereitet damit konfrontiert, schaffen es nicht.
Wir haben im Moment auch noch das Problem der Rückführung der bosnischen Flüchtlinge. Das wird nicht auf einmal zu lösen sein. Was ist die Realität? - Völlig überlastete Ausländerbehörden auch in Hessen, auch dort, wo Frau Roth Oberbürgermeisterin ist. Heute steht in der „Frankfurter Rundschau": Nachtsprechstunden für Flüchtlinge. Nachtsprechstunden von 23 Uhr bis 7 Uhr, weil 4 500 Menschen Schlange stehen, um ihre Anträge bearbeitet zu bekommen. Wir vergeben in den Ausländerbehörden, insbesondere in Frankfurt, Termine für Sprechstunden bis in den Oktober hinein. Mir soll einmal jeStaatsminister Gerhard Bökel ({6})
mand sagen, wie wir dann noch die Visumsproblematik der hier lebenden Jugendlichen lösen sollen. Wir packen es nicht!
({7})
Deswegen sage ich: Wer so etwas ohne jegliche Sensibilität durchpeitscht, darf sich nicht wundern, daß es bei einem möglicherweise berechtigten Anliegen solche Widerstände nicht nur bei den Betroffenen, sondern quer durch Kirchen, Gewerkschaften und viele Institutionen, die das staatliche Handeln nicht mehr verstehen, gibt.
({8})
Wir dürfen diesen jungen Menschen, die hier geboren sind, nicht das Signal geben: Ihr gehört nicht dazu. Nein, das ist die falsche Antwort. Wir müssen ihnen das Signal geben, daß sie hier dazugehören. Das hat die Bundesregierung erkannt. Ich habe gelesen, was die Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD geantwortet hat: „Diese Gruppe der zweiten und dritten Ausländergeneration hat ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland und ist den Verhältnissen des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, weitgehend entfremdet. Hier besteht ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung."
Ich habe gedacht, diese Antwort sei von der Regierung Helmut Schmidt. Nein, diese Antwort stammt aus dem Jahre 1984. Zu dieser Zeit war Helmut Kohl schon Bundeskanzler. Das war vor vielen Jahren. Diese Erkenntnis muß in praktische Politik umgesetzt werden.
({9})
Ich höre die Botschaft, verehrte Frau Schmalz-Jacobsen und liebe Kollegen und Kolleginnen von der F.D.P., sehr wohl - auch in den Gesprächen über die Gesetze, über die wir jetzt im Vermittlungsausschuß beraten -, daß die Koalition, Herr Marschewski, gewillt ist, in diesem Bereich - auch was die Einbürgerung betrifft - ein Zeichen zu setzen. Wenn ich aber dann Ihre Reaktion, die Hast und das unvorbereitete Handeln sehe, bin ich skeptisch.
Deshalb habe ich der hessischen Landesregierung vorgeschlagen, daß wir offensiv werden, daß wir im Bundesrat einen Gesetzentwurf vorlegen. Ich habe diesen Gesetzentwurf bereits eingebracht, welcher regelt, daß die Kinder, deren Eltern oder ein Elternteil bereits hier geboren sind, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.
({10})
Für Kinder, die schon fünf Jahre hier leben und deren Eltern ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben, muß das gleiche gelten. Da sind wir uns völlig einig mit der F.D.P., mit Herrn Altmaier und vielen anderen.
Ich habe diesen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, weil ich hoffe, daß wir sehr schnell eine große Mehrheit im Bundesrat bekommen und die
Bundesregierung dann gezwungen ist, hier im Bundestag Farbe zu bekennen und nicht nur etwas anzukündigen.
({11})
Ich schließe damit die Aussprache.
Ich bitte um etwas Ruhe, weil wir jetzt in die Abstimmung eintreten.
Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/7195 ab. Die Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat?
Ich schließe die Abstimmung.
Ich weise darauf hin, daß wir noch zwei namentliche Abstimmungen haben.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Wir setzen die Beratung fort.
Ich muß Sie bitten, die Gänge ein bißchen frei zu machen, weil wir jetzt eine einfache Abstimmung haben, für die ich den Überblick haben muß.
Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7177. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt getrennte Abstimmung.
Wir stimmen deshalb zunächst über die Nr. I des Entschließungsantrags der SPD ab. Wer stimmt für diese Nr. I? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. I ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der SPD ohne Enthaltung abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Nr. II des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7177. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. **)
*) Seite 14703 B * *) Seite 14705 C
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7121. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung.
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/6930, 13/7036, 13/7090 und 13/6554 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
({0})
- Ich bitte um etwas Ruhe, da ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/7195 bekanntgeben möchte. Abgegebene Stimmen: 623. Mit Ja haben gestimmt: 322. Mit Nein haben gestimmt: 299. Zwei Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist damit angenommen worden.
*) Seite 14728C
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 624 davon:
ja: 322
nein: 300
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
({2})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({3}) Peter Harry Carstensen
({4})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({5})
Leni Fischer ({6})
Klaus Francke ({7}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({8}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
({9}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({10}) Hansgeorg Hauser
({11}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({12}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler ({13})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({14}) Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({15})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link ({16}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({17})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({18}) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({19}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
({20}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({21})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({22}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({23}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({24}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({25}) Klaus Dieter Reichardt
({26})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({27}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer Hannelore Rönsch
({28}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({29})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({30}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({31}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({32})
Andreas Schmidt ({33}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({34}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({35}) Gerhard Schulz ({36}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({37}) Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt ({38}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({39}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({40}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({41})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({42}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({43}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({44}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({45})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt
Hans Büttner ({46}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer ({47}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({48}) Katrin Fuchs ({49}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({50}) Angelika Graf ({51}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({52}) Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({53}) Frank Hofmann ({54}) Ingrid Holzhüter
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({55}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner
Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Volker Kröning
Thomas Krüger
Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick
Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({56}) Christa Lörcher
Dieter Maaß ({57}) Winfried Mante
Ulrike Mascher
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({58}) Ursula Mogg
Michael Müller ({59}) Jutta Müller ({60}) Christian Müller ({61}) Volker Neumann ({62}) Gerhard Neumann ({63}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
({64})
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Horst Schild
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({65})
Ulla Schmidt ({66}) Dagmar Schmidt ({67}) Wilhelm Schmidt ({68}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({69}) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({70})
Brigitte Schulte ({71}) Volkmar Schultz ({72}) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({73}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt ({74}) Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({75}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({76}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek ({77}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({78}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({79}) Elisabeth Altmann
({80}) Marieluise Beck ({81}) Volker Beck ({82})
Angelika Beer Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({83}) Joseph Fischer ({84}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger Kerstin Müller ({85}) Winfried Nachtwei
Egbert Nitsch ({86}) Cem Özdemir
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({87}) Wolfgang Schmitt
({88}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz ({89}) Marina Steindor Christian Sterzing
Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({90}) Margareta Wolf ({91})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Roll Kutzmutz Heidemarie Lüth Manfred Müller ({92}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann ({93})
Enthalten
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Inzwischen liegt mir auch das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7171 vor. Abgegebene Stimmen: 623. Mit Ja haben gestimmt: 275. Mit Nein haben gestimmt: 321. 27 Enthaltungen gab es. Dieser Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 623 davon:
ja: 275
nein: 321
enthalten: 27
Ja
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudoll Bindig
Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Büttner ({94}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({95})
Gabriele Fograscher Iris Follak
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({96}) Katrin Fuchs ({97}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({98}) Angelika Graf ({99}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({100}) Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({101}) Frank Hofmann ({102}) Ingrid Holzhüter
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({103}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner
Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Volker Kröning
Thomas Krüger
Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick
Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({104}) Christa Lörcher
Dieter Maaß ({105}) Winfried Mante
Ulrike Mascher
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({106}) Ursula Mogg
Michael Müller ({107}) Jutta Müller ({108}) Christian Müller ({109}) Volker Neumann ({110}) Gerhard Neumann ({111}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe ({112})
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({113})
Ulla Schmidt ({114}) Dagmar Schmidt ({115}) Wilhelm Schmidt ({116}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({117})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({118})
Brigitte Schulte ({119}) Volkmar Schultz ({120})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({121}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Horst Sielaff Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt ({122})
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({123}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({124}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({125}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({126})
Heidi Wright Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({127}) Elisabeth Altmann
({128}) Marieluise Beck ({129}) Volker Beck ({130}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({131}) Joseph Fischer ({132}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({133}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({134}) Cem Özdemir
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({135}) Wolfgang Schmitt
({136})
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({137}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({138}) Margareta Wolf ({139})
PDS
Manfred Müller ({140}) Dr. Uwe-Jens Rössel
Fraktionslose
Kurt Neumann ({141})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({142}) Wolfgang Bosbach
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
({143})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({144}) Peter Harry Carstensen
({145})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({146})
Leni Fischer ({147})
Klaus Francke ({148}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({149}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({150}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({151}) Hansgeorg Hauser
({152}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({153}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler ({154})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({155}) Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({156})
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link ({157}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({158})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({159}) Julius Louven
Sigrun Löwisch
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({160}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
({161}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({162})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({163}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({164}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({165})
Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({166}) Klaus Dieter Reichardt
({167})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({168}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
({169}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({170})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({171}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({172}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({173})
Andreas Schmidt ({174}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({175})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
({176}) Gerhard Schulz ({177}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({178}) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters
Johannes Selle Bernd Siebert
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt ({179})
Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({180}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({181}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({182})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({183})
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({184}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({185}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({186})
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch Sabine LeutheusserSchnarrenberger
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Heidemarie Lüth Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Gerhard Zwerenz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dann rufe ich die Zusatzpunkte 8 bis 11 auf:
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({187}), Gerald Häfner, Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944"
- Drucksache 13/7120 ZP9 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944"
- Drucksache 13/7162 ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto Schily, Günter Verheugen, Walter Kolbow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944"
- Drucksache 13/7175 ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard Zwerenz, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944"
- Drucksache 13/7188 - ({188})
- Bevor wir in der Beratung fortfahren können, muß ich erst einmal um Ruhe bitten.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über die drei Anträge der Fraktionen jeweils wiederum namentlich abstimmen werden. Die Gruppe der PDS hat beantragt, daß auch über ihren Antrag namentlich abgestimmt wird. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von mindestens 34 Abgeordneten verlangt werden. Ob der Antrag der PDS das erforderliche Quorum erreicht, werde ich vor der Abstimmung feststellen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache, die jetzt folgt, eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerald Häfner.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der heutigen Debatte geht es um unsere Haltung zu der schlimmsten und entscheidenden Phase unserer eigenen deutschen Geschichte, und es geht darum, wie wir heute dazu beitragen können, daß sich die planmäßige Vernichtung von Menschen, von ganzen Völkern lediglich auf Grund ihrer Rasse oder ihrer Überzeugungen nie wiederholt.
Es gab in diesem Hause und in dieser Republik lange Zeit einen Konsens zwischen den demokratischen Parteien, daß man die Rechtsextremen, die
Ultrarechten, die Neonazis keinen Fuß mehr auf den Boden dieser Republik stellen oder in die Tür dieser Republik stemmen läßt. Dieser Konsens ist in den letzten Wochen aufgekündigt worden, und zwar von einer Partei, die in diesem Hause sitzt und diese Bundesregierung mitträgt: von der CSU. Ich meine, daß ein klares Wort der Verantwortlichen in der Christlich-Sozialen Union und ein klares Wort dieser Bundesregierung dazu nötig ist.
Wie ist es dazu gekommen? Die Ursache ist eine Ausstellung, die bereits in 15 deutschen Städten gezeigt worden ist - sie ist gegenwärtig in München zu sehen -, eine Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Diese Ausstellung ist keine Pauschalverurteilung aller Wehrmachtsangehörigen. Sie wissen, daß, wenn man die gesamte Zeit des Zweiten Weltkrieges betrachtet, 18 Millionen Deutsche in der Wehrmacht gedient haben. Darunter sind viele, die dies aus Überzeugung taten, sicher aber auch viele, die ihren Wehrdienst wider eigenen Willen erfüllt haben und die Taten mitgemacht oder sich verweigert haben, wenn sie diese selbst nicht billigen konnten und nicht richtig fanden.
Es geht also nicht um eine pauschale Verurteilung. Vielmehr geht es darum, mit der Lüge aufzuhören, daß für alle schlimmen Taten nur die SS verantwortlich gewesen sei und daß die Wehrmacht im Osten einen sauberen, einen hehren, einen tapferen Feldzug geführt habe, der nichts mit den brutalen, nichts mit den rassistischen Ideen Hitlers und nichts mit den Greueltaten dieses Krieges zu tun hatte.
Die Wahrheit ist, daß die Wehrmacht gerade im Osten einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg geführt hat und daß in diesem Krieg unter der Verantwortung der Wehrmacht Millionen von Zivilisten, Frauen und Kinder, grundlos hingemordet worden sind. Wer zu dieser Wahrheit schweigt, wer sie verdrängen will, wer unsere eigene Geschichte verfälscht, der trägt dazu bei, daß die Geschichtsklitterung in diesem Land um sich greift, der trägt dazu bei, daß rechte Mythenbildung wieder fröhliche Urständ feiert. Genau das passiert gegenwärtig in München.
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Die Attacken auf den Initiator dieser Ausstellung, Jan Philipp Reemtsma, der Versuch, die Toten durch Zigarettenrauch mehr zu dramatisieren als die Toten im Zweiten Weltkrieg, der Versuch, Reemtsma sogar damit zu diskreditieren, daß er im letzten Jahr Opfer einer Entführung geworden ist, der Versuch, die Nürnberger Prozesse - während wir alle uns gegenwärtig um einen internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien und Ruanda einsetzen, damit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das Völkerrecht, gegen das Menschenrecht in Zukunft endlich abgeurteilt werden können - als „Siegerjustiz" und die Ausstellung als Teil eines ,,moralischen Vernichtungsfeldzuges gegen das deutsche Volk" zu bezeichnen, wie das der „Bayernkurier" auf seiner Titelseite gemacht hat, das alles ist schlimGerlad Häfner
mer als die schlimmste Propaganda von rechts, die wir in diesem Lande bisher erdulden mußten.
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Deshalb war es nur folgerichtig, daß die NPD Peter Gauweiler aufgefordert hat, die Hauptrede bei dem gespenstischen Aufmarsch der Ultrarechten in München zu halten und ihn darüber hinaus zur Mitgliedschaft in der NPD eingeladen hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albert Schmidt?
Bitte schön.
Herr Kollege Häfner, sehen Sie den CSU- Vorsitzenden und Abgeordneten Dr. Theo Waigel im Saal? Falls nicht, welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
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Lieber Kollege Schmidt, ich glaube, daß der eigentliche Skandal - so schrieb es z. B. „La Repubblica" in Italien, und so schreiben es viele andere internationale Zeitungen - gar nicht die Äußerungen von Gauweiler sind, sondern der eigentliche Skandal ist das Schweigen der CSU und der Bundesregierung zu diesen Vorgängen.
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Was mich, lieber Kollege Schmidt, empört, ist, daß
Theo Waigel, der Vorsitzende der CSU, der übrigens
einmal Außenminister in diesem Land werden wollte
- dabei hat kaum ein Politiker in den letzten Jahren diesem Land so schweren außenpolitischen Schaden zugefügt wie Gauweiler und seine politischen Freunde -, nicht nur dazu schweigt, sondern offensichtlich auch noch vor der Auseinandersetzung in diesem Hause flieht.
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- Da kommt er ja doch noch. Ich hoffe, lieber Kollege Waigel, daß Sie Gelegenheit ergreifen werden, heute zurechtzurücken, was Ihre Partei gegenwärtig in Bayern aufführt. Wenn die Pressemeldungen, die ich gelesen habe, stimmen, dann haben Sie das, was Gauweiler und der „Bayernkurier" gesagt haben, als im Spektrum der CSU und „im Spektrum einer legitimen Kritik liegend" bezeichnet. Ihr Sprecher, der Sprecher des CSU-Landesvorstandes, Herr Schöberl, hat gesagt, Gauweilers Äußerungen lägen voll und ganz „auf der Linie der Bayerischen Staatsregierung und der CSU."
Ich lese Ihnen ein kurzes Zitat vor:
Rechtsextremistische Positionen ergeben sich weniger aus dem Parteiprogramm denn aus Begründungen und Verhaltensweisen von Funktionären, Gremien und Mitgliedern sowie aus den Publikationsorganen.
Was ist das für ein Zitat? Es ist die Einleitung zum Kapitel „Die Republikaner" im Bundesverfassungsschutzbericht aus dem vergangenen Jahr. Es folgt eine Reihe von Zitaten, in denen die Republikaner zum Beispiel die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz bezeichnen - genau wie der „Bayernkurier" das vor wenigen Wochen getan hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese ,,Braune-Socken-Politik" der CSU, dieses Taktieren mit dem ultrarechten Sumpf unserer Republik, dieser Versuch, die Opfer von Folter und Vernichtung zu verdrängen und kein Mitleid für sie aufzubringen, dafür aber um so mehr diejenigen anzuprangern, die heute die Wahrheit über die historische Vergangenheit feststellen wollen, und ihnen vorzuwerfen, sie führten einen „moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk", das ist etwas, was diese Republik nicht ertragen will, was sie nicht dulden kann und was sie zurückweisen muß.
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Deshalb haben wir dem Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, von dem ich hoffe, daß er in diesem Hause die Spreu vom Weizen scheiden wird. Denn ich habe immer noch die Hoffnung, daß auch in der Union, in der CDU und in der CSU, genügend Menschen - ich habe in den letzten Tagen mit vielen gesprochen - von dieser Politik und von diesen Äußerungen angewidert sind - übrigens nicht nur von Gauweiler und der CSU in München, sondern auch von den Äußerungen von Frau Steinbach in Frankfurt und von vielen anderen, die sich in diese rechte Dreckwerferei einreihen.
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Ich habe also immer noch die Hoffnung, daß es in Ihren Reihen noch genügend Menschen gibt, die bereit sind, sich davon zu distanzieren und die Worte zu finden, die jetzt notwendig sind. Ich bin insbesondere gespannt darauf, wie sich der Bundesminister der Finanzen und Vorsitzende der CSU, Theo Waigel und der Bundeskanzler zu dieser Frage äußern werden. Denn ich bin der Meinung: Nach all dem, was in diesem Land an Schaden angerichtet worden ist, wäre Schweigen zu diesem Thema nicht länger hinnehmbar.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Alfred Dregger.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen zur Ausstellung und dann einige Gedanken zum historischen und politischen Teil des Problems. Zuvor, Herr Kollege Häfner: Ihre Rede hat zum Konsens in diesem Hause nicht beigetragen.
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Es waren undifferenzierte Vorwürfe; sie waren niederträchtig und zum großen Teil gemein. Ich weise sie zurück.
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Meine Damen und Herren, zu der Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" ist zunächst festzustellen, daß sie eine Privatveranstaltung ist. Es sind zwei Männer, die mit Hilfe dieser Ausstellung ihre Ansichten in Deutschland und Österreich propagieren wollen. Dagegen ist nichts zu sagen.
Friedrich Karl Fromme merkt in der „FAZ" an, daß diese Ausstellung inhaltlich nichts Neues bringe, daß sie nicht einmal der kleinen Minderheit der absolut Uneinsichtigen einen aufklärerischen Beitrag leiste. Das führt zu der Frage, was diese Ausstellung soll, was sie leistet, was sie nicht leistet. Dazu gehört auch die Frage, ob die Aussteller Heer und Reemtsma wissenschaftlich und moralisch legitimiert sind,
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Millionen von Menschen, die sie nicht kennen, ihrem Urteil zu unterwerfen und sie in dieser Weise zu verletzen, ohne einen auf die Person bezogenen Wahrheitsbeweis führen zu können.
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Nun einige Gedanken zu dem historischen und politischen Teil des Problems: Auf den Beginn des Krieges und die Art der Kriegsführung hatten die über 18 Millionen Soldaten der Wehrmacht nicht den geringsten Einfluß, was übrigens in gleicher Weise für die Soldaten der ehemaligen Kriegsgegner gilt. Soldaten waren immer die Opfer des Krieges.
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Bedeutende Entscheidungen wurden nicht von den Soldaten, sondern von den großen Kriegsherren getroffen, die allein die politische Macht und die Befehlsgewalt hatten. Die meisten der deutschen Soldaten, die Leib und Leben für ihr Land riskierten und unendliches Elend ertragen mußten, können zu Recht darauf hinweisen, daß sie selbst an Hitlers
Kriegsverbrechen nicht beteiligt gewesen seien und sich auch nicht sonstiger Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. - „Die meisten", sage ich; das gilt nicht für jeden.
Fest steht, daß das deutsche Volk diesen Krieg ebenso wenig wie das russische Volk und andere Völker gewollt hat, die in ihn hineingezogen worden sind.
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Anläßlich der Verabschiedung der letzten russischen Soldaten aus Deutschland am 31. August 1994 erklärte der russische Präsident Jelzin in Berlin, das deutsche Volk sei an diesem Krieg nicht schuld gewesen, man habe in Moskau immer zwischen dem großen deutschen Volk und der verbrecherischen Clique, die sich seiner bemächtigt habe, zu unterscheiden gewußt. Diese noble Feststellung ist richtig. Auch wir Deutsche unterscheiden selbstverständlich zwischen dem großen russischen Volk, dem wir in vielfacher Weise verbunden sind, und seiner verbrecherischen Führung unter Stalin. Es ist interessant, daß der Generalstaatsanwalt Rußlands zur Zeit Zehntausende von ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, die damals von sowjetischen Militärtribunalen zu Unrecht verurteilt wurden, rehabilitieren läßt, womit er eine Absprache zwischen Präsident Jelzin und Bundeskanzler Helmut Kohl realisiert.
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Meine Damen und Herren, es geht dabei nicht nur um einzelne, sondern um uns alle. Wie ein Volk nach einem verlorenen Krieg mit seinen Soldaten umgeht, das sagt viel aus über seine moralische Substanz, über seine Würde und seine innere Stärke - oder Schwäche.
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Ich kann jeden Deutschen - auch die Abgeordneten dieses Hauses - nur bitten, sein Verhalten an diesen Maßstäben auszurichten.
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Wie man Vergangenheit fruchtbar aufarbeiten kann, hat uns der frühere französische Staatspräsident Mitterrand am 8. Mai 1995 in Berlin in beeindruckender Weise gezeigt. Er hat damals aus Anlaß des 50jährigen Endes des Zweiten Weltkrieges gesagt - ich zitiere -:
Ich bin nicht gekommen, um den Sieg zu feiern, über den ich mich 1945 für mein Land gefreut habe. Ich bin nicht gekommen, um die Niederlage der Deutschen zu unterstreichen, weil ich die Kraft, die im deutschen Volk ruht, kenne, seine Tugenden, seinen Mut. Und wenig bedeuten mir in diesem Zusammenhang die Uniformen und selbst die Ideen, die in den Köpfen der Soldaten damals gewohnt haben, die in so großer Zahl gestorben sind. Sie waren mutig. Sie nahmen den
Verlust ihres Lebens hin für eine schlechte Sache. Aber ihre Haltung hatte damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland. Es ist notwendig, daß uns das klar wird. Europa, das bauen wir. Aber unsere Vaterländer lieben wir. Bleiben wir uns selbst treu!
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- Ich zitiere jetzt den französischen Staatspräsidenten. Das sollten auch Sie sich anhören. Da können Sie viel lernen.
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Verbinden wir die Vergangenheit mit der Zukunft, und wir werden in Frieden den Geist dieses Zeugnisses an jene weitergeben können, die uns nachfolgen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?
Nein, Frau Präsidentin.
Mitterrand war ein französischer Patriot - Gott sei Dank. Aber er hat mehr Einfühlungsvermögen und eine größere Bereitschaft, sich in die Lage des deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu versetzen, bewiesen, als es in Deutschland die große Mehrheit der sogenannten politischen Klasse zu tun bereit ist.
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Meine Damen und Herren, wir haben uns nicht nur mit einem verlorenen Krieg auseinanderzusetzen, sondern auch mit deutscher Schuld und mit Verbrechen, die von Deutschen verübt wurden. Niemand außer ein paar verwirrten Idioten leugnet das. Dennoch sage ich in aller Klarheit: Diejenigen, die versuchen, die deutsche Wehrmacht pauschal als verbrecherische Organisation darzustellen,
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sagen nicht die Wahrheit. Sie hetzen und verleumden. Dem müssen wir entgegentreten.
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Die Kritiker der Wehrmacht sollten bedenken, daß nicht einmal das Nürnberger Siegergericht die Wehrmacht verurteilt hat und daß unsere ehemaligen Kriegsgegner ihr zum Teil hervorragende Zeugnisse ausgestellt haben. Ich nenne General de Gaulle, General Eisenhower, Marschall Schukow und den bedeutenden britischen Militärschriftsteller Liddel Hart.
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Als nach dem Krieg die Lage für den Westen angesichts der beginnenden Auseinandersetzung mit der
Sowjetunion schwieriger wurde, hat sich der Westen bei Bundeskanzler Adenauer um die Neuaufstellung deutscher Streitkräfte bemüht. Diese Neuaufstellung wurde zu einer grundlegenden Militärreform genutzt. So entstand im Auftrage Konrad Adenauers und seiner Koalition, von erfahrenen Wehrmachtoffizieren herangebildet, unsere Bundeswehr, auf die wir stolz sind.
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Auf eine weitere Tatsache muß hingewiesen werden: Bei den Soldaten des Zweiten Weltkrieges und ihren Angehörigen geht es nicht um eine kleine, abgrenzbare Gruppe unseres Volkes, sondern um die gesamte Bevölkerung der damaligen Zeit. Fast alle Männer waren eingezogen. Natürlich waren auch die Mütter, die Schwestern, die Töchter, die Freundinnen und Ehefrauen der Soldaten mitbetroffen. Es geht in dieser Frage also um unser Verhältnis zu einer ganzen Generation unseres Volkes. Wer versucht - diese Versuche gibt es -, die gesamte Kriegsgeneration pauschal als Angehörige und Helfershelfer einer Verbrecherbande abzustempeln,
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der will Deutschland ins Mark treffen. Dagegen wehren wir uns.
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Das können wir nicht dulden; denn aus solchem Selbsthaß kann nichts Gutes entstehen: kein rationales, berechenbares Verhalten in der Politik und keine wirkliche Versöhnung. Dieser Selbsthaß führt weg von dem, was eigentlich das Wichtigste ist und im Zentrum stehen sollte: von der wirklich tief empfundenen Trauer um die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft; von der Einsicht in das menschliche Leid, das damals grundgelegt wurde und bis heute nachwirkt,
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und - um ein Beispiel heranzuziehen - von dem unendlichen Verlust, den die Nazis durch die Vernichtung der deutschen Juden vor allem auch Deutschland zugefügt haben. Die Vernichtung der deutschen Juden war ein Verlust für Deutschland.
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Wer weiß, was die deutschen Juden in der deutschen Wissenschaft, in der deutschen Wirtschaft und in der deutschen Kultur geleistet haben, der wird mir vielleicht zustimmen.
Noch eines sollten wir nicht vergessen: Die Vertriebenen- und die Soldatenverbände haben als erste - zunächst mit unseren ehemaligen Kriegsgegnern im Westen, dann auch mit unseren ehemaligen Kriegsgegnern im Osten - zur Versöhnung aktiv beigetraDr. Alfred Dregger
gen. Das alles gehört zu den Friedenswerken, die Europa braucht, um den Frieden tief in den Herzen der Menschen zu verankern.
Wenn die Ausstellung wenigstens ein Stückchen eines Beitrages dazu geleistet hätte, hätte sie noch einen Sinn haben können.
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Aber das ist nach meinem Eindruck nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Ausstellung versöhnt nicht, sie spaltet. Sie empört durch die Art ihrer Darstellung die Generation der Großväter und Väter und verwirrt die Generation der Söhne und Enkel.
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Wer auf diese Weise einen Keil zwischen die Generationen - - Halten Sie doch einmal die Klappe, Herr Fischer! Daß Sie laut schreien können, wissen wir auch so.
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Herr Kollege Dregger, ich muß Sie jetzt darauf hinweisen, daß die angemeldete Redezeit weit überschritten ist.
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Frau Präsidentin, ich habe meine Rede gehalten, ohne auf das schlechte Benehmen einiger Kollegen hinzuweisen.
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Herr Fischer, so wie Sie sich heute hier verhalten haben, verhält sich kein Parlamentarier.
Ich danke Ihnen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir wußten alle, als dieses Thema aufgerufen wurde, daß es eine sehr schwierige Debatte werden würde. Ich denke, wir sollten das berücksichtigen.
Zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Abgeordnete Volker Beck das Wort.
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Herr Kollege Dregger, ich fand die Rede, die Sie hier gehalten haben, wirklich bestürzend. Sie haben in Ihrer Rede die Verantwortung der Deutschen für die grauenhaften Verbrechen im Zweiten Weltkrieg und im Dritten Reich zurückgewiesen. Sie haben die Propagandalüge von der Pauschalverurteilung der Wehrmachtsdeserteure wiederholt. Mit dieser These versucht man Raum zu schaffen für die Äußerungen von Gauweiler, von Frau Steinbach und ihren Freunden in den rechtsextremistischen Parteien.
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Auf der ersten Tafel am Eingang der Ausstellung - wenn Sie sie denn einmal ansehen würden -, wird ausdrücklich erwähnt, daß ihr Ziel keine Pauschalverurteilung aller Wehrmachtssoldaten ist. Diese Ausstellung bricht allerdings unwiderruflich mit der Mär, der Legende - die in diesem Volk, in dieser Republik lange en vogue war - von der sauberen Wehrmacht, von dem sauberen Krieg an der Ostfront. Sie zeigt, daß der Befehlsebene klar war - das belegen Anweisungen an die Militärgerichtsbarkeit im Rahmen des Barbarossa-Feldzuges und der Kommissarbefehl -, daß systematisch internationales Kriegsrecht gebrochen werden sollte.
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Die Deutschen haben Hitler an die Macht verholfen. Die Nazis kamen nicht wie braune Marsmenschen vom Himmel. Wir haben hier als Volk Verantwortung und Schuld auf uns geladen, zu der man sich auch bekennen muß.
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- Ich setze mich hier nicht, solange ich das Wort habe.
Sie können auch nicht leugnen, daß die deutsche Wehrmacht einen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg im Osten geführt hat und daß objektiv der deutsche Wehrmachtssoldat auf der falschen Seite gekämpft hat.
Ich finde es eine Schande, daß diejenigen, die die Waffen weggeworfen haben, die desertiert sind und diesen schmutzigen Krieg nicht mehr mit geführt haben, rechtlich immer noch als Kriminelle behandelt werden.
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Volker Beck ({4})
Damit muß endlich Schluß sein. Sie wehren sich auch dabei mit dem absurden Argument, eine eindeutige Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure käme einer Pauschalverurteilung aller Wehrmachtssoldaten gleich.
Man kann nicht leugnen, daß Einheiten der Wehrmacht auf obersten Befehl an massenhaften Verbrechen im Osten beteiligt waren. Millionen von Menschen mußten außerhalb von kriegerischen Handlungen sterben, weil die Wehrmacht Zivilbevölkerung erschossen, sich selbst am Judenmord beteiligt hat, Kriegsgefangene verhungern ließ und feige ermordet hat.
Zu all diesen Verbrechen haben Sie in Ihrer Rede geschwiegen und die Verantwortung und die Schuld in dieser historischen Epoche kleingeredet. Deshalb finde ich diese Rede eine Schande für dieses Parlament.
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Ich frage zunächst ganz formell: Wird Gegenrede gewünscht, Herr Kollege Dregger?
Nein.
Ich habe jetzt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, noch zwei weitere Anmeldungen für Kurzinterventionen. Ich werde sie aber erst am Ende der ersten Runde zulassen, weil ich finde, es ist angemessener, wenn zunächst einmal alle Fraktionen zu Wort kommen.
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Das betrifft jetzt den Kollegen Duve und die Kollegin Christa Nickels. Ich bitte um Verständnis, daß Sie erst am Ende der ersten Runde sprechen können.
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Schily, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das Thema, das wir heute diskutieren, eignet sich nicht für Polemik. Aus diesem Grunde werde ich mich zu Herrn Gauweiler nicht mehr äußern. Heiner Geißler hat dazu alles Notwendige in seinem Artikel in der „Bild am Sonntag" gesagt.
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Notwendig ist unsere heutige Aussprache als Teil einer Vergegenwärtigung unserer Geschichte, die noch Jahrzehnte andauern wird. Es geht um den Unwillen und die Unfähigkeit vieler Menschen, sich auf die historische Wahrheit, was die Untaten der Schreckenszeit der Naziherrschaft angeht, einzulassen. Es ist das hochanzuerkennende Verdienst des von Jan Philipp Reemtsma gegründeten Instituts für Sozialforschung und der von ihm erarbeiteten Wehrmachtsausstellung, daß sie sich mit der Rolle der Wehrmacht im Gefüge der Naziherrschaft auseinandersetzen.
Ganz am Anfang des Katalogs zu dieser Ausstellung findet sich eine einleitende Bemerkung, die Volker Beck schon zitiert hat, die die Zielrichtung der Ausstellung deutlich werden läßt. Ich zitiere:
Die Ausstellung will kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen. Sie will eine Debatte eröffnen über das - neben Auschwitz - barbarischste Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht 1941 bis 1944.
Den beschämenden Versuchen rechtsradikaler Kreise in der CSU und anderer Gruppierungen,
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die Ausstellung zu diffamieren, müssen alle mit Entschiedenheit entgegentreten.
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Es ist beunruhigend, nein, es ist empörend, mit welcher Dreistigkeit die übelsten nazistischen Parolen in Umlauf gesetzt werden in dem Bestreben, die Wahrheit über die Schrecken der Naziherrschaft und die Rolle der Wehrmacht aus dem historischen Bewußtsein zu verdrängen.
Fast schlimmer ist die Tatsache, daß der bayerische Ministerpräsident und der CSU-Parteivorsitzende sich in Schweigen hüllen, anstatt sich an die Seite der Kritiker in ihren eigenen Reihen, an die Seite der beiden CSU-Stadträte in München zu stellen.
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Kann es die deutsche Öffentlichkeit hinnehmen, daß gegen eine Wehrmachtsausstellung, zu der der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dankenswerterweise eine Eröffnungsrede am 13. April halten wird, zu der der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Andrzej Szczypiorski, eine Eröffnungsrede gehalten hat, von Angehörigen einer traditionsreichen demokratischen Partei die dumpfesten neonazistischen Ressentiments mobilisiert werden?
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Wer diesem Treiben nicht entschlossen entgegentritt, handelt verantwortungslos. Er setzt das Ansehen Deutschlands aufs Spiel und gefährdet den demokratischen Grundkonsens unserer Bundesrepublik.
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Ich rechne es Heiner Geißler und Volker Rühe hoch an, daß sie in dieser Richtung nie Undeutlichkeiten haben aufkommen lassen.
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Die Debatte über die Rolle der Wehrmacht ist schwierig und schmerzhaft, gewiß. Aber sie ist unausweichlich. Die Grammatik der politischen Sprache bevorzugt leider häufig in der historischen Retrospektive die Passivform: es wurde, es passierte, es ereignete sich, es fand statt. Hinter diesen Wortgeweben verschwinden das Subjekt, das Individuum, die Schuld und die Verantwortung.
Die Debatte kann uns aber auch in die Versuchung bringen - wer wollte das nicht eingestehen -, sie im Stil einer selbstgefälligen Moral zu führen. Davor ist niemand gefeit; davor sollten wir uns alle hüten. Wenn wir ehrlich mit uns umgehen, wird jeder einzelne von uns sich fragen müssen, wie er selbst in einer Extremsituation gehandelt hätte. Wer von uns könnte ohne weiteres behaupten, daß er zum Beispiel den Mut eines deutschen Soldaten aufgebracht hätte, der sich der Exekution von wehrlosen Zivilisten verweigerte und sich schweigend in ihre Reihe stellte, um den Tod mit ihnen zu teilen?
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Gestatten Sie mir an dieser Stelle einige persönliche Bemerkungen. Mein Onkel Fritz Schily, ein Mann von lauterem Charakter, war Oberst der Luftwaffe.
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- Entschuldigung. - Zum Ende des Krieges war er Kommandeur eines Fliegerhorstes in der Nähe von Ulm. Er suchte in Verzweiflung über die Verbrechen des Hitler-Regimes bei einem Tieffliegerbeschuß den Tod.
Mein ältester Bruder Peter Schily verweigerte sich der Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend und versuchte zunächst ins Ausland zu fliehen. Da ihm das nicht gelang, meldete er sich freiwillig an die Front. Er wurde nach kurzer Ausbildung als Pionier im Rußlandfeldzug eingesetzt, erlitt schwere Verwundungen und verlor ein Auge sowie die Bewegungsfähigkeit eines Armes.
Mein Vater, eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit, dem ich unendlich viel für mein Leben verdanke, war ein erklärter Gegner des Nazi-Regimes, empfand es aber als Reserveoffizier des Ersten Weltkrieges als tiefe Demütigung, daß er auf Grund seiner Mitgliedschaft in der von den Nazis verbotenen anthroposophischen Gesellschaft nicht zum Wehrdienst eingezogen wurde. Erst später hat er die Verrücktheit - ich verwende seine eigenen Worte - seiner damaligen Einstellung erkannt.
Der Vater meiner Frau, Jindrich Chajmovic, ein ungewöhnlich mutiger und opferbereiter Mensch, hat als jüdischer Partisan in Rußland gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft.
Nun sage ich einen Satz, der in seiner Härte und Klarheit von mir und uns allen angenommen werden muß: Der einzige von allen vier genannten Personen - der einzige! -, der für eine gerechte Sache sein Leben eingesetzt hat, war Jindrich Chajmovic. Denn er kämpfte gegen eine Armee, in deren Rücken sich die Gaskammern befanden, in denen seine Eltern und seine gesamte Familie ermordet wurden. Er kämpfte gegen eine Armee, die einen Ausrottungs- und Vernichtungskrieg führte, die die Massenmorde der berüchtigten Einsatztruppen unterstützte oder diese jedenfalls gewähren ließ. Er kämpfte, damit nicht weiter Tausende von Frauen, Kindern und Greisen auf brutalste Weise umgebracht wurden. Er kämpfte gegen eine deutsche Wehrmacht, die sich zum Vollstrecker des Rassenwahns, der Unmenschlichkeit des Hitler-Regimes erniedrigt und damit ihre Ehre verloren hatte.
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Was glauben Sie, wie auf einen, der als Partisan für eine gerechte Sache gekämpft hat, folgender Kommentar in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. Februar 1997 zu der Wehrmachtsausstellung wirken würde? Ich zitiere:
Gewiß wirkt erschreckend, wenn zu sehen ist, wie ein nach der Uniform unverkennbarer Wehrmachtssoldat jemandem den Strick um den Hals legt. Aber es verschwindet unter der scheinbar dokumentarischen Suggestivkraft des Bildes, ob es sich um eine Hinrichtung von Partisanen handelt - bis heute gerechtfertigt vom Kriegsvölkerrecht, das das Recht zum Töten den „Kombattanten" vorbehält, also den von ihrem Staat in die Pflicht des Tötens genommenen Soldaten. Selbst der NS-Staat hat, als er Ende 1944 das letzte Aufgebot, den „Volkssturm", aus halben Kindern und gebrechlichen älteren Männern aufstellte, darauf Bedacht genommen, die Reste der Uniformvorräte zusammenzukratzen, damit die Volkssturm-Männer als Kombattanten anerkannt würden.
Verstehen Sie, was in dieser eiskalten, trüben Logik zum Ausdruck kommt? Gerechtfertigt war es, einen Menschen, der für eine gerechte Sache kämpfte, zu erhängen. Es war ganz selbstverständlich, daß die Soldaten vom NS-Staat zum Töten in die Pflicht genommen wurden. Der NS-Staat findet eine Huldigung, weil er in seiner verbrecherischen Energie immer noch so penibel ordnungsliebend blieb, daß er die Kinder und Greise, die er am Schluß des Krieges in das Granatfeuer geschickt hat, mit Uniformen ausstattete.
Meine Damen und Herren, das ist eine erbärmliche Logik, die in der starren Welt formalistischer Begriffe nicht mehr die Wirklichkeit zu erreichen vermag.
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Wer sich aus dieser Starrheit nicht befreien kann, macht sich blind dafür, was in jenen Schreckensjahren wirklich vor sich gegangen ist.
Zu den Starrsinnigen gehören - ich kann Ihnen das nicht ersparen, Herr Kollege Dr. Dregger - leider immer noch Sie. Ich sage Ihnen, Herr Dr. Dregger: Wir haben hier im Hause festgestellt, daß Sie im Laufe der Jahre zu einigen sehr beachtlichen Einsichten gelangt sind, für die Sie den Beifall des ganzen Hauses erhalten haben. Aber wenn Sie, Herr Dr. Dregger, äußern, die Wehrmachtsausstellung verdiene - ich zitiere Sie wörtlich - „nur Verachtung, besser noch Nichtbeachtung",
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schmähen Sie damit nicht auch Ignatz Bubis, Andrzej Szczypiorski, Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, und viele andere bedeutende Persönlichkeiten, die Eröffnungsreden für diese Wehrmachtsausstellung gehalten haben?
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Schlimmer aber ist, daß Sie - Sie haben das heute wieder getan - immer noch an Ihrer These vom verlorenen Zweiten Weltkrieg festhalten. Sie sollten sich endlich zu der Einsicht durchringen, daß Deutschland nur dadurch zur Demokratie geworden ist, daß Nazi-Deutschland den Krieg verloren hat. Das ist die Wahrheit.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren, es sind noch viele Aufräumungsarbeiten im Bewußtsein unseres Volkes zu leisten. Wir dürfen unsere Augen nicht von den Bildern des Schreckens abwenden, weil wir nicht nur die Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft zu verantworten haben.
Die Wehrmachtsausstellung ist ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung. Sie verleiht den Opfern eine Stimme und hoffentlich auch unserem Gewissen. Dann können wir auch die Mahnung von Jan Philipp Reemtsma annehmen, die er in folgende Worte gefaßt hat, mit denen ich schließen möchte:
Auch wenn wir am Ende dieses Jahrhunderts, angesichts seiner Destruktivität, seiner Schrecken innewerdend und mit nichts in der Hand dastehen als einer Buchführung über Verbrechen, Fehler, Versagen und skeptische Vorschläge zur Ergänzung internationaler Abmachungen, ist es doch nicht statthaft, alles untergehen zu lassen in einem summarischen „Jahrhundert der Barbarei" . Ein Verbrechen hat Ort, Zeit, Täter, Opfer, - und man sollte sich nicht einem Sprachgebrauch, der die forensische Präzision der Wörter „Täter" und „Opfer" zu rhetorischen Passepartouts verkommen läßt, überlassen. Der Hinweis auf Rechtsnormen ist so wenig schal, wie das Ethos der Sozialwissenschaften: die Welt zur Kenntnis zu nehmen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Graf Lambsdorff, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine Fraktion hat mich darum gebeten, in dieser Debatte zu sprechen, weil ich vom Mai 1944 bis Kriegsende Angehöriger der deutschen Wehrmacht war. Ihr Hinweis, Herr Schily, Selbstgerechtigkeit zu vermeiden, ist nur zu berechtigt. Ich habe mich in den vergangenen Jahren oft genug gefragt: Wie hättest du wohl als 18jähriger reagiert, wenn dir ein solcher Befehl erteilt worden wäre? Eine Antwort auf diese Frage habe ich nie gewagt.
Ich war allerdings zu jung, um noch am Kriege in Rußland teilzunehmen. Deshalb geht es mir ähnlich, wie es Andrzej Szczypiorski in seiner Eröffnungsrede zur Münchner Ausstellung gesagt hat:
Ich kann nur meine persönliche Auffassung zu diesem Thema äußern. Diese Auffassung wird aber subjektiv sein und auf keinen konkreten Fakten beruhen.
Kann man überhaupt anders als subjektiv und sehr persönlich zu den hier angesprochenen Problemen Stellung nehmen? Kann es hier etwa Partei- oder Fraktionsmeinungen geben? Sicherlich nicht für einen Liberalen, eine liberale Partei, eine liberale Fraktion.
Aus solchen Gründen erscheint mir das amtliche Verdikt des bayerischen Kultusministers, die Ausstellung sei „nicht empfehlenswert", falsch.
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Es wird offensichtlich nicht befolgt. Der Andrang in München ist groß. Als ich gestern da war, war die Zusammensetzung der Besucher auffallend: sehr viele junge Menschen, viele ältere Besucher - offensichtlich Kriegsteilnehmer -, wenige, die vom Alter her dazwischen sind. Die Ausstellungsleitung bestätigte mir, daß dies gestern keine Momentaufnahme gewesen ist. Es hat mich beeindruckt, mit welchem Ernst, mit welcher Stille sich die Besucher verhielten. Die Stimmung erinnerte mich ein wenig an die Gedenkstätten des Holocaust in Jerusalem oder in Washington.
Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Ausstellung gut ist. Sie ist es nicht. Sie ist nicht differenziert genug. Sie vermeidet nicht den Eindruck des Pauschalurteils über alle Angehörigen der Wehrmacht,
trotz des schriftlichen Hinweises zu Beginn des Kataloges, Herr Schily; das ist zu wenig. Sie hat inhaltliche und historische Defizite. „Sie lügt nicht, und sie lügt doch", schreibt Renate Schostack in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" .
Trotz berechtigter Kritik sage ich aber: Die Ausstellung ist notwendig. Es ist richtig, daß es sie gibt.
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Die schmerzliche Vergangenheit der jüngsten deutschen Geschichte wird uns immer wieder einholen. Es gehört zur Wahrheit dieser Vergangenheit, daß auch Teile der Wehrmacht, ganze Einheiten, einzelne Offiziere und Soldaten Kriegsverbrechen begangen haben. Noch einmal Andrzej Szczypiorski:
Dieser Krieg konnte nicht ehrlich geführt werden, selbst wenn man es wollte. Denn dieser Krieg war auf die Vernichtung von ganzen Völkern und auf die Umwandlung von anderen Völkern in Sklaven des tausendjährigen Reiches ausgerichtet und kalkuliert.
Ebenso wahr ist aber auch, daß sich der größte Teil der deutschen Soldaten nicht schuldig gemacht hat. Sie haben ihre Pflicht getan. Viele haben in dem Konflikt gelebt, ihrer Eidespflicht genügen zu wollen oder zu müssen, obwohl sie die Natur der verbrecherischen Staatsführung erkannten oder ahnten.
Diesen Konflikt macht die Ausstellung nicht sichtbar. Dadurch erweckt sie den Eindruck von Einseitigkeit. Das beginnt mit ihrem Titel „Verbrechen der Wehrmacht".
Die Ausstellung läßt zuviel aus. Ich denke da weniger an das Thema „Verbrechen der Roten Armee"; auch das ist diskutiert worden. Das muß nicht Gegenstand dieser Dokumentation sein. Aber ich denke an die Rolle des militärischen Widerstandes gegen Adolf Hitler.
Es ist zumindest ein erheblicher Mangel, daß die Ausstellung nirgendwo sagt, was sie ausläßt, was sie aus dem Geschehen der Jahre 1941 bis 1944 nicht zeigt - kein einziger Hinweis im Ausstellungsraum, nichts im Katalog. Das verstärkt den Eindruck der Einseitigkeit. Ich frage die Ausstellungsleitung: Diese Kritik hat es schon Anfang 1996 gegeben. Warum wurde bisher nichts verbessert?
Zu den methodischen Mängeln. Die schrecklichen Bilder sprechen eine gänzlich unmißverständliche Sprache. Der aufmerksame Beobachter aber muß sich fragen: Wie viele davon sind authentisch? Er muß sich fragen, wie sie im tatsächlichen Zusammenhang mit den beschriebenen Ereignissen stehen. Ich fand es gestern bemerkenswert, wie intensiv die Besucher die vielen Texte studierten. Sie vermitteln nämlich einen stärkeren Eindruck als die Fotografien - auch in unserer Zeit, die wohl mehr in Bildern als in Buchstaben sieht und denkt.
Man könne bei einer komplizierten Materie nicht differenzieren, sonst bringe man sie um ihre Wirkung, meint Rudolf Augstein im „Spiegel". Das Gegenteil ist richtig: Differenzierung, bessere historische Zuordnung würde die Ausstellung nur überzeugender machen. Die Fakten sind leider so eindrucksvoll, daß eine sorgfältige Aufbereitung sie wahrlich nicht beeinträchtigen könnte.
In einer Fernsehdiskussion hat Heribert Prantl vor einer unnützen Kragenspiegel-Diskussion gewarnt. Wie wichtig diese aber ist, zeigt das Titelbild des „Spiegel" in dieser Woche. Rudolf Augstein schreibt dazu, es handele sich um zwei Offiziere des Regiments Groß-Deutschland. Das ist offensichtlich falsch. Es handelt sich um einen schießenden Wehrmachtsoffizier und einen hohen Offizier der WaffenSS.
Es ist keine Haarspalterei, daß ich das hier sage. Es zeigt, worauf uns Eugen Kogon kurz nach dem Kriege in seinem Buch „Der SS-Staat" aufmerksam gemacht hat: die vom NS-Regime gezielt herbeigeführte Verstrickung der verschiedensten Organisationen. Dieser Verstrickung haben sich viele Befehlshaber der Wehrmacht nicht entzogen.
Der militärische Widerstand wird nicht erwähnt. Schlimmer noch: Im sogenannten Forschungsband zur Ausstellung wird der führende Kopf des letzten auf das Attentat gerichteten Zeitabschnitts, Henning von Tresckow, in die Nähe der Mittäter der Kriegsverbrechen gerückt, weil er Lageberichte aus dem rückständigen Heeresgebiet abgezeichnet, also gekannt habe. Das ist bösartig; es ist verwerflich. Es waren gerade die Verbrechen des Krieges in Rußland, die die Attentäter zu ihrem Entschluß brachten, den schlimmsten aller Verbrecher zu töten. Wer das verschweigt oder gar verneint - das tut die Ausstellung leider -, entläßt die jugendlichen Besucher ohne Hoffnung.
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Der letzte Versuch der Offiziere um Stauffenberg, der Versuch von Leber, Leuschner, Goerdeler und vielen anderen, aber war es, der für Deutschland und seine Geschichte so wichtig ist. Er entschuldigt keine einzige Greueltat, aber er läßt Hoffnung für unsere Zukunft.
Ich sage es noch einmal mit den Worten Szczypiorskis in München:
Der ritterliche Glanz der Wehrmacht ist eine Legende, die Widerstandsbewegung in Deutschland ist aber keine. Sie war nicht stark, nicht zahlreich, nicht wirksam. Aber es gab sie.
Diese Menschen soll man nie vergessen. Denn sie waren Vertreter und Befürworter des wahren Deutschlands, das Achtung und Sympathie der Welt verdiente.
Oder mit den Worten von Tresckows, als er am Abend des 20. oder 21. Juli in den gesuchten Tod in den vorderen Linien ging:
Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, daß Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird.
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Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, es scheint Ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß es eine Widerstandsausstellung und ein Widerstandsmuseum gibt. Es ist nichts dagegen zu sagen, diese Ausstellungen zusammenzubringen und weiterhin zu vervollständigen. Aber so zu tun, als müsse nun diese Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht, die es ein halbes Jahrhundert eben nicht gegeben hat, alle anderen Ausstellungen in sich aufnehmen, hieße, diese beiden Ausstellungen zu überfordern.
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Ich darf Sie, Herr Kollege Lambsdorff, noch auf den folgenden Punkt hinweisen: Man kann natürlich darüber streiten, wie das Kapitel in dem Buch zur Ausstellung über die Blutschuld der späteren Widerständler und Attentäter zu bewerten ist. Aber Sie können doch wohl nicht abstreiten, daß ein großer Teil dieser Attentäter mit eigenem Blut die Blutschuld, deren sie vorher schuldig geworden sind, abwaschen wollte.
Ich muß Ihnen sagen: Der Widerstand ist sehr spät gekommen. Wenn wir nur ganz bestimmte Generäle nehmen, zum Beispiel den durchaus couragierten Pariser Stadtkommandanten General Stülpnagel, und andererseits sehen, was er für eine ungeheure Blutschuld auf sich geladen hat, bevor er Widerständler geworden ist, dann können wir doch jetzt nicht so tun, als wäre das alles nicht wahr.
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Aber darüber wollte ich gar nicht sprechen.
Was mich aufrichtig erzürnt, ist, daß es zwei gestanzte Formeln gibt, nämlich erstens von der Wehrmacht, die in Kriegsverbrechen verstrickt gewesen sei, und zweitens, daß die Wehrmachtsausstellung eine pauschale Verurteilung aller 18 Millionen deutscher Soldaten sei. Das redet einer dem anderen nach. Denkt vielleicht wenigstens einer daran, was gewesen wäre, wenn diese 18 Millionen Soldaten ausgerufen hätten: „Wir sind das Volk! Nie wieder Krieg! Mit uns nicht!"? Wenn diese Soldaten dann nach Hause gegangen wären, wäre der Krieg aus gewesen. Ohne diese Wehrmacht hätte es keinen Holocaust, keinen Genozid, keinen Zweiten Weltkrieg und nicht seine 50 Millionen Toten gegeben. Darüber sollte man einmal nachdenken. Das ist doch eine Alternative gewesen.
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So haben einige Soldaten gehandelt. Sie sind allerdings mit dem Tode bestraft worden.
Es hat außerdem Widerständler der ersten Stunde gegeben, die schon 1933 gesagt haben: Hitler, das ist der Krieg. Aber das waren in der Hauptsache Kommunisten und nur ganz wenige Pazifisten und Katholiken. Deswegen spricht man nicht so gern darüber. Man spricht erst über die Widerständler vom 20. Juli 1944. Auch das ist noch zu bewerten. Ich muß fragen: Wie ist es dazu gekommen, daß wir - jetzt spreche auch ich als Frontsoldat, als Infanterist - nach dem 20. Juli 1944 in eine ganz tiefe Verzweiflung gestürzt worden sind? Das waren sehr viele; da gebe ich Ihnen recht, Herr Dr. Dregger. Da war uns klar, wie dieser Krieg enden würde.
Wir müssen uns auch daran erinnern, daß in diesem letzten Kriegsjahr mehr Menschen zu Tode gekommen sind als in den gesamten Kriegsjahren zuvor. Man muß also sagen: Diejenigen, die diesen Krieg beenden wollten - eingeschlossen die Deserteure, aber nicht nur sie -, haben doch wohl das Richtige getan. Sie können sich aber nicht einmal jetzt dazu durchringen, das zuzugeben.
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Der Antrag von CDU/CSU und F.D.P. beginnt mit großen Worten im Wagnerschen Opernton. Ich zitiere:
Der Zweite Weltkrieg gehört zu den furchtbarsten Tragödien der deutschen und europäischen Geschichte. Ihr fielen Millionen auch deutscher Soldaten und Zivilisten zum Opfer.
Das ist bezeichnend, meine Damen und Herren. Bevor Sie auch nur ein einziges jüdisches, polnisches, russisches Opfer des deutschen Vernichtungskrieges genannt haben, denken Sie sofort an die deutschen Opfer. Täter gibt es in Deutschland offensichtlich nicht. Dabei handelt es sich wohl nur um ganz wenige; sie werden nicht mehr beim Namen genannt.
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Das ist eine winzige Minderheit.
Reden wir also nicht von „Verstrickung"; reden wir vom geplanten Genozid. Er ist eben nicht nur von Hitler und von den Leuten, die um ihn herum waren, geplant worden. In den ersten sieben Monaten des Rußlandkrieges sind 3,9 Millionen russische Gefangene gemacht worden. Davon sind 2 Millionen verhungert - sie hat man verhungern lassen -, und 600 000 russische Gefangene hat man erschossen. Dies ist geschehen, obwohl Sie von der CDU/CSU doch fortwährend herbeten, daß so viele Generäle und Armeekommandeure den Kommissarbefehl nicht an die Truppe weitergeben haben. Ja, wer hat
denn dann die 600 000 Russen erschossen? Das war doch nicht ausschließlich die SS; so viele SS-Leute gab es doch gar nicht.
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Daß man versucht, sich um diese furchtbaren Wahrheiten herumzuschwindeln, das ist der eigentliche Skandal unserer Zeit.
Ich sehe, daß ich am Ende meiner Redezeit von fünf Minuten angekommen bin.
Ich möchte schließen. Ich möchte Sie bitten: Bedenken Sie, daß selbst ein Mann, der eine solch stählerne Feder führt wie Friedrich Karl Fromme, in der „FAZ" am 26. Februar 1997 vom „jüdischen Bolschewismus" geschrieben hat, in dem die beiden Hauptfeindbilder der Nazis, das jüdische und das bolschewistische, zusammengeflossen seien. Das Resultat dessen, daß diese beiden Feindbilder in eins zusammengefallen sind, zeigt diese Wehrmachtsausstellung. Sie bringt deswegen etwas Neues, weil sie bewirkt, daß dieses ungeheuerliche, beschämende Gefühl von Schuld unausweichlich jeden trifft, ob er nun selbst subjektiv schuldig ist oder nicht. Dem muß man sich stellen, und das kann man nicht mit solchen Floskeln tun, wie sie jetzt fortwährend fallen.
Wenn diese Ausstellung schon nicht, wie mein Freund Graf von Einsiedel und ich angeregt haben - es war nicht die PDS -, im Foyer des Deutschen Bundestages gezeigt werden darf, dann sind wir wenigstens dafür, daß die Präsidentin des Deutschen Bundestages diese Ausstellung, wenn sie in Bonn gezeigt werden wird, als Schirmherrin eröffnet. Dann hat der Bundestag dieser Ausstellung wenigstens noch seine Reverenz erwiesen.
Ich danke Ihnen.
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Ich werde an dieser Stelle der Debatte drei angemeldete Kurzinterventionen zum Zuge kommen lassen. Danach gehen wir in die zweite Runde. Zu einer Kurzintervention haben sich gemeldet: die Kollegin Nickels, die Kollegin Steinbach und der Kollege Duve. Ich werde die Reihenfolge etwas durchmischen, indem ich zuerst dem Kollegen Duve, dann der Kollegin Steinbach und danach der Kollegin Nickels das Wort gebe.
Herr Kollege Duve, bitte.
Herr Dr. Dregger, ich habe mich während Ihrer Rede gemeldet. Dieser Krieg läßt uns alle nicht los - diejenigen nicht, die ihn als Soldaten oder als Kinder erlebt haben, und diejenigen nicht, die nach seiner Beendigung geboren wurden. Ich habe mich gemeldet, als Sie die Formulierung „die Militärreform, die dann in der Bundesrepublik Deutschland gemacht wurde" gebraucht haben. Dagegen sage ich: Es hat keine Militärreform gegeben.
Vielmehr hat es die Neugründung einer demokratisch legitimierten Armee gegeben.
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Herr Dr. Dregger, hieran kann man doch das dramatische Mißverständnis der Kritiker der Ausstellung und auch derjenigen, die diese Ausstellung für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen, festmachen. Jeder Soldat der Wehrmacht war auf einen Verbrecher vereidigt. Jeder Soldat mußte im Laufe des Krieges merken - das wissen wir aus den Briefen der inhaftierten Leute des 20. Juli -, daß der persönliche Eid ein Eid auf einen Verbrecher war. Das war auch die Tragödie vieler Soldaten.
Nach dem Krieg hat es keine Reform gegeben - weder war das Amt Blank eine Reform, noch war es die neue Bundeswehr. Vielmehr gab es zum erstenmal in der Geschichte des Deutschen Militärs, das auf eine demokratische Verfassung vereidigt war. Das ist ein wesentlicher, ein qualitativer und grundsätzlicher Unterschied. Deshalb kritisieren wir auch all diejenigen, die Emotionen in der Bundeswehr schüren wollen, indem sie sagen: Ihr müßt euch jetzt beleidigt fühlen. Das zeigt, daß die Zäsur und dieser Bruch von denen, die so etwas sagen und entsprechend handeln - nicht alle -, nicht gesehen werden.
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Das, Herr Dr. Dregger, wäre Ihre große Aufgabe gewesen als ein Soldat der Hitler-Armee, der Wehrmacht, der hier - manchmal sehr ergreifend - berichtet hat, was er erlebt hat und was er empfinden mußte, als er mit den Flüchtlingen zurückgetrieben wurde und versuchte, Flüchtlinge zu schützen. Ich habe sehr wohl im Ohr, was Sie dazu gesagt haben.
Aber diesen Unterschied zwischen Soldaten, die auf ein solches System und auf einen solchen Mann vereidigt waren, und einer demokratischen Bundeswehr, der eine Verfassung den Rahmen und das Recht gibt, dürfen wir keine Sekunde vergessen.
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Lassen Sie mich, Graf Lambsdorff, noch eine zweite Sache ansprechen. Wir haben Kollegen hier im Bundestag - in unserer Fraktion und auch in anderen Fraktionen - gehabt, die als 17jährige, als 18jährige in die Waffen-SS gezogen wurden. Ich spreche von konkreten Kollegen. Sie haben ihr Leben lang darunter gelitten, daß selbst sie, die 1944 dorthin gezogen wurden, immer zu der Gruppe gehörten, von der pauschal alle sagen: Ihr wart ja SS; wir waren ja die Soldaten.
Auch aus diesem Grunde ist diese Ausstellung von besonderer Bedeutung. Die Pauschalierung ist weg. Auch diese Ausstellung pauschaliert Schuld nicht, sondern sie weist auf etwas hin.
Eine dritte Bemerkung zu Otto Schily. Ich war letzte Woche in der merkwürdigen Situation, daß ich
das Haus in Osijek fand, in dem meine jüdische Großmutter abgeholt wurde. Nie hätte ich gedacht - diese 60 Jahre, die ich lebe -, daß ich eine Frau sprechen würde, die das gesehen hat. Wir dachten nicht, daß noch irgend jemand lebt.
Ich habe mit dieser Frau gesprochen. Sie hat mir genau beschrieben, wie das passiert ist: unter dem Schutz auch deutscher Soldaten. Aber es waren kroatische Ustaschas, die die alte Frau, die beinbehindert war, auf einen Lastwagen geschmissen haben. Wir wissen nicht, ob sie in Auschwitz oder in einem anderen Lager umgekommen ist.
Aber ich habe auch zwei Brüder meiner Mutter, die in der Wehrmacht, die in Rußland waren. Beide Soldaten hat dieser Krieg bis zu ihrem Tod nicht verlassen.
Ich glaube, Herr Dr. Dregger, Herr Dr. Lambsdorff und viele von uns, uns alle wird dieser Krieg bis zu unserem Tod nicht verlassen. Deshalb sollten wir sehr behutsam und sehr sorgsam mit ihm umgehen - so, wie es der Kollege Schily gemacht hat.
Danke schön.
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Ich unterstelle, daß Gegenrede nicht gewünscht wird. Deshalb jetzt die Kollegin Steinbach, bitte.
Herr Kollege Schily, Sie haben sehr eindrucksvoll und eindringlich die Geschicke in Ihrer eigenen Familie dargestellt. Wir können sicherlich gemeinsam feststellen, daß fast jeder in seiner Familie bedrückende Schicksale hat.
Ich möchte nur daran erinnern: Mein eigener Großvater saß im KZ und ist an den Folgen dieses Aufenthaltes verstorben. Mein Großonkel ist der Euthanasie zum Opfer gefallen. Vor diesem Hintergrund gibt es sicherlich die große gemeinsame Auffassung, daß wir unsere zwölf Jahre bitterer Geschichte sehr sorgfältig zu durchleuchten haben. Das ist in unser aller Interesse, auch im Interesse der Opfer aus unseren Familien und auch im Interesse derer, die sich nicht mehr zur Wehr setzen können.
Ich bin aber der festen Überzeugung, daß die Ausstellung, über die wir heute reden - ob sie hier im Deutschen Bundestag, ob sie, wie ich das bei mir in Frankfurt sehe, in der Frankfurter Paulskirche gezeigt werden soll -, eine Scheuklappenausstellung ist. Sie ist einseitig; und sie verletzt diejenigen, die sich nicht zur Wehr setzen können.
Überlegen Sie: Ein junger Soldat, der 1944 im Alter von 18 Jahren gefallen ist, war zur Zeit der Machtergreifung Hitlers sieben Jahre alt. Er hat diesem Regime nicht auf die Beine geholfen. Er war schlicht Opfer dieses Regimes.
Überlegen Sie: Ein junger Hauptmann, der 1944 im Alter von 25 Jahren gefallen ist, war 1933 noch nicht einmal wahlberechtigt und hat diesem Regime nicht auf die Beine geholfen. Auch dieser Soldat war zunächst einmal Opfer und kein Täter.
All das wird in dieser Ausstellung nicht behandelt. Diese Ausstellung hat etwas Infames an sich. Sie will diskreditieren; davon bin ich fest überzeugt.
Eines möchte ich hinzufügen: Die Töne, die die Redner aus der Sozialdemokratischen Partei angeschlagen haben, waren sehr differenziert und abgewogen, aber zu dem, was aus der Ecke der Grünen kam, kann ich nur eines sagen: Mich ekelt die Überheblichkeit an, mit der Sie über Ihre eigenen Väter und Vorväter sprechen. Das ist unserer Geschichte insgesamt nicht angemessen.
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Herr Kollege Dregger, ich schlage vor, wir hören die Kollegin Nikkels an, und dann frage ich generell.
Die Kollegin Nickels, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kurzintervention schließt sich richtig an Ihre Kurzintervention, Frau Kollegin, an. Ich möchte sagen, daß mein Vater nicht jung war, als er in den Krieg ging. Er wurde 1908 geboren und ist 1991 gestorben.
Er war nicht Parteimitglied. Er wurde zurückgestellt, weil er Bauer war. Später wurde er eingezogen. Meine Mutter hat mir erzählt, daß mein Vater in den 50er Jahren - er war ein gestandener Mann, der sein ganzes Leben lang schwer gearbeitet hat - keine Nacht bei offenem Fenster geschlafen und jede Nacht im Schlaf furchtbar von Feuer und Kindern geschrien hat. Sie sagte, daß es einfach grauenhaft war.
Ich habe meinen Vater natürlich sehr geliebt. Er hat nie erzählt, wie es war, wenn man zum erstenmal auf einen Menschen schießt. Heute wundert mich das. Allenfalls haben die Männer, wenn sie auf einer Familienfeier betrunken waren, die Geschichte erzählt, daß sie zur damaligen Zeit ins Ausland kamen, aber niemand hat gesagt, wie es war, wenn man zum erstenmal auf jemanden schießen mußte. Darüber hat keiner gesprochen.
In den letzten Jahren habe ich manchmal Menschen, die mir sehr nahestehen und das erlebt haben, danach gefragt. Sie können immer noch nicht darüber reden.
Vor einigen Jahren reichten sich unser Bundeskanzler und Präsident Reagan auf einem Friedhof in Bitburg die Hand. Dabei ist mir zum erstenmal aufgefallen, daß mein Vater auf dem einzigen Foto, das es aus dieser Zeit von ihm gibt, eine Uniform trägt, die schwarz ist und auf der Totenköpfe sind. Damals war ich schon für die Grünen im Bundestag und habe es nicht gewagt, meinen Vater zu fragen; denn es fiel mir unendlich schwer. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ich konnte das nicht.
1989 bin ich mit unserer bündnisgrünen Bundestagsfraktion nach Warschau gefahren. 50 Jahre nach dem Überfall auf Polen sind wir in Majdanek gewesen. Ich weiß nur, daß Papa im Krieg in Frankreich, in Rußland und in Polen gewesen ist. Ich weiß, daß er in Lemberg in Gefangenschaft geraten ist.
Ich war im KZ in Majdanek und sage Ihnen: Eines Nachts bin ich regelrecht zusammengebrochen, weil ich furchtbar über das erschüttert war, was in Majdanek passiert war, aber genauso über das, was man mit den Männern, zu denen auch mein Vater gehört hat, gemacht hat.
Es waren überwiegend Männer, die das Leben und Kinder liebten. Es ist furchtbar, zu was man diese Männer in diesem verbrecherischen Krieg gemacht hat. Die meisten von ihnen hatten nicht die Kraft, sich dem zu entziehen. Sie alle haben unendliche entsetzliche Schuld auf sich geladen. Die Männer, Frauen und Kinder - ich bin die Tochter eines solchen Soldaten - sind bis heute davon geprägt.
Herr Dregger, es stimmt doch nicht, daß man dann, wenn man die Wunden ungeschminkt zeigt und anfängt, darüber zu reden, die Betroffenen mit Schmutz überschüttet oder in eine Ecke stellt. Im Gegenteil, ich glaube, das Beste, das uns passieren könnte, wäre, wenn wir ein Klima in Deutschland bekämen, in dem die Väter und Mütter und ihre Kinder - ich bin ein Nachkriegskind und mittlerweile 45 Jahre alt - endlich einmal in aller Ruhe miteinander darüber reden könnten, was mit ihnen passiert ist und warum das so gekommen ist.
Ich bin Mutter, ich habe Kinder. Ich sage Ihnen eines: Für mich steht außer Frage, daß ich, wenn ich jemals einem Deserteur helfen kann, weil er sich weigert, einen anderen Menschen zu erschießen, das tun werde. Ich glaube, wenn es wirklich etwas zu verteidigen gibt, was das eigene Leben wert ist, daß man es freiwillig tut, dann wird das ein Mensch in schwerster Not vielleicht auch tun. Aber man sollte Menschen nicht dazu abkommandieren. Ich glaube nicht, daß man ein Land lieben kann, wenn man nicht zuallererst gelernt hat, das Leben der anderen Menschen und auch sein eigenes zu lieben. Das ist mir wichtig zu sagen.
Die Debatte beeindruckt mich. Ich habe mir sehr überlegt, ob ich das alles sagen soll, weil vielleicht jemand fragen könnte: Wie kannst du denn so etwas machen? Er ist doch dein Vater gewesen. - Aber ich empfinde das, was ich gesagt habe, nicht als Nestbeschmutzung, weil jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich meine Eltern - auch meinen Vater - liebe und geliebt habe.
Wenn diese Debatte vielleicht stilbildend war, dann dadurch, daß man ansatzweise die politische Reflexion und die eigene Geschichte ehrlich, ungeschminkt, in einfachen, wenn auch schrecklichen Bildern dargestellt hat. Das würde ich mir wünschen.
Ich glaube, daß diese Wehrmachtsausstellung genau das in Gang setzen kann, wenn man nicht anfängt, die Wunden zuzukleistern, billigen Trost zu geben, der im Prinzip nicht Brot, sondern Steine ist, indem man denjenigen, die darin verwoben waren, im nachhinein sagt: Es soll dich nicht mehr schmerzen, weil du gezwungen worden bist. - Das hilft überhaupt nicht weiter.
Danke schön.
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Herr Dr. Dregger, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich kurz fassen und bekunden, daß die Kritik, die an mir geübt worden ist, von mir geprüft werden wird, daß ich sie nicht schlankweg zurückweisen werde.
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Ich freue mich, daß auf den ersten Teil der Debatte der zweite gefolgt ist. Im ersten Teil mußte ich sprechen. Ich spreche nicht gerne laut. Aber ich habe etwas lauter gesprochen, als ich es gerne tue, um überhaupt durchzudringen. Das hat mich etwas verzweifelt gemacht: Ist denn das deutscher Parlamentarismus heute? Ist es denn in diesem Hause nicht möglich, daß jeder seine Meinung sagt und daß er angehört wird, aber nicht so, daß er das Gefühl haben muß, er wird als ein leibhaftiger Teufel betrachtet, gegen den man vorgehen muß?
Ich will hinzufügen, Herr Duve, daß ich Ihnen sehr dankbar dafür bin, daß Sie eine Überleitung vom ersten zum zweiten Teil unserer Debatte gefunden haben und daß Sie sich in einer Weise mit mir auseinandergesetzt haben, die durchaus tiefgehend war, aber auch nicht in einem einzigen Moment beleidigend oder den Kollegen ausschließend. Ich glaube, das ist ein Beispiel für Parlamentarismus.
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Ich will einen weiteren Punkt aufnehmen, den Sie genannt haben und der in der Sache wichtig ist. Mir liegt es fern, zwischen der Bundeswehr und der nationalsozialistischen Wehrmacht, wie Sie sagen, eine ungebremste Verbindung herzustellen. Aber jetzt lassen Sie mich etwas hinzufügen: Ich selbst war Soldat, bin viermal verwundet worden und bin zurückgekommen, weil ich Glück hatte, nicht, weil ich besser wäre als andere. Ich kenne viele Landser, die neben mir gefallen sind. Mich schmerzt es, wenn man alle diese Landser als Vertreter der Nazi-Wehrmacht anklagt. Ich behaupte nicht, daß Sie das tun; aber das geschieht doch. Das dürfen wir nicht tun.
Ich spreche inzwischen von den „großen Kriegsherren" . Der Unterschied war nicht zwischen Generälen und Gefreiten, sondern zwischen den großen Kriegsherren, die die politische Macht und außerdem die Befehlsgewalt hatten und die im Grunde alles entschieden haben, und den Soldaten, die nichts entschieden haben; sie hatten nur zu gehorchen.
Ich möchte nicht gerne, daß diese Kameraden, die dieses schreckliche Schicksal erlitten hatten und zum Teil noch leben, das Gefühl haben, sie würden von uns allen mißachtet, ausgegrenzt und ausgestoßen.
Meine Damen und Herren, wir sollten irgendwann einmal - vielleicht könnte Herr Duve die Anregung geben - ein Gespräch führen, mit dem Ziel, Mißverständnisse - soweit es Mißverständnisse sind - auszuräumen. Ich würde es sehr gut finden, wenn unser Parlamentarismus so liefe, daß wir offen und anständig miteinander reden können, wie es jetzt in diesem Teil der Debatte war. Allen denjenigen, die dazu beigetragen haben, möchte ich herzlich danken.
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Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch 52 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist es nicht einfach, über die Rolle der Wehrmacht zu sprechen. Es ist aber, glaube ich, für uns alle sehr bewegend, wie der Deutsche Bundestag darüber spricht.
Name und Handeln der Wehrmacht sind mit einer einzigartigen politischen und moralischen Katastrophe verbunden: mit der Diktatur des Nationalsozialismus, der Ungeheuerlichkeit seiner Verbrechen, mit millionenfachem Leiden und Sterben, mit dem Zusammenbruch Deutschlands und allen seinen Folgen.
Aber ebenso ist der Name der Wehrmacht mit dem Widerstand gegen Hitler und mit dem Attentat auf den Tyrannen verbunden, mit dem Einsatz des Lebens für Freiheit, Recht und Würde. - Mich hat sehr bewegt, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Denn mir als jungem Mann hat das Studium des Widerstands sehr viel Hoffnung gegeben. Deswegen ist es richtig, was Sie gesagt haben, daß der jungen Generation dieses Stück Hoffnung verweigert wird, indem das nicht angesprochen wird.
Insgesamt 18 Millionen Deutsche haben als Soldaten in der Wehrmacht gedient. Viele von ihnen haben Unvorstellbares erleben müssen, Schreckliches erlitten oder sind eines grausamen Todes gestorben. Viele sind in der Gefangenschaft umgekommen. Die Überlebenden - und das ist das Verdienst von Dr. Dregger und anderen - haben an maßgeblicher Stelle geholfen, dieses Land wieder aufzubauen.
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Die Erfahrungen der Wehrmachtssoldaten sind die Erfahrungen der Generation unserer Väter. - Ich darf sagen: Mich hat auch sehr bewegt, wie die Frau Kollegin Nickels über ihren Vater gesprochen hat. Das erfordert schon viel Kraft und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. - Diese Erfahrungen wirken in vielen Familien bis heute nach. Unsere Verantwortung verlangt, daß wir uns kritisch mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen, um die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Heroisierung und unkritische Rechtfertigung verbieten sich ebenso wie eine pauschale Verurteilung. Das Gebot heißt Aufrichtigkeit, Nachdenklichkeit und Differenzierung. Alles andere ist nicht nur unhistorisch, sondern auch unmenschlich und unredlich.
Wenn es um die Wehrmacht geht, haben wir nur die Möglichkeit, der ganzen Wahrheit ins Auge zu sehen. Der Glaube, die Wehrmacht sei der weitgehend unbefleckte Hort von Anstand und Ehre inmitten der nationalsozialistischen Barbarei gewesen, diese These ist durch die historische Forschung der letzten Jahre widerlegt.
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Ich habe auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr 1995 in München über das Verhältnis Wehrmacht-Bundeswehr folgendes gesagt - jedes Wort gilt bis heute -: Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen.
Ich sagte dann weiter: Nicht die Wehrmacht, aber einzelne Soldaten können traditionsbildend sein, wie die Offiziere des 20. Juli, aber auch wie viele Soldaten im Einsatz an der Front. Wir können diejenigen, die tapfer, aufopferungsvoll und persönlich ehrenhaft gehandelt haben, aus heutiger Sicht nicht pauschal verurteilen. Aber wir dürfen uns nicht auf rein militärische Haltungen und Leistungen beschränken. Entscheidend sind Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten.
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Die Wehrmacht war die Armee einer Diktatur. Objektiv war sie das Instrument Hitlers zur Führung eines verbrecherischen Angriffskrieges. Ihre militärischen Erfolge waren - vor allem im Osten - die Voraussetzung für Unrecht und Vernichtung. Die Wehrmacht hat großes Leid gebracht; ihre Soldaten selbst haben großes Leid erlitten.
Es greift aber zu kurz, nur von „der" Wehrmacht zu sprechen - auch Graf Lambsdorff hat das angesprochen -, so als ob sie ein verantwortlicher Akteur gewesen sei. Diese Redeweise führt zu falschen Schuldzuweisungen. Schuld ist aber immer persönlich. Kollektivurteile über das Handeln der Wehrmacht sind genauso haltlos wie die Rede von der Kollektivschuld der Deutschen. Historische und moralische Wahrhaftigkeit fängt mit einer genauen Betrachtung und präziser Sprache an. Die Wehrmacht bestand im Laufe der Jahre aus Millionen von einzelnen Deutschen - jeder mit eigenen, unverwechselbaren Erfahrungen, eigenen Hoffnungen und Idealen, eigenen Wünschen und Ängsten, jeder mit eigener Würde.
Wahr ist auch, was der Widerstandskämpfer Axel von dem Bussche gesagt hat: „Ein Großteil der Treue gegenüber dem obersten Kriegsherrn ist bona fide
geleistet worden" - in gutem Glauben, nach bestem Wissen und Gewissen. Daß der subjektiv ehrenhafte und tapfere Dienst objektiv mit dem Einsatz für ein verbrecherisches System einherging, das macht die Tragik soldatischen Pflichtbewußtseins im Zweiten Weltkrieg aus.
Zur Wahrheit über die Wehrmacht gehört aber auch der militärische Widerstand gegen Hitler. Die Frauen und Männer und die handelnden Offiziere im Widerstand folgten ihrem Gewissen. Sie stellten die Würde des Menschen über den bedingungslosen Gehorsam, die Treue zu ihrem Land über die Gefolgschaft zu einem Diktator; sie traten dafür mit ihrem Leben ein. Mancher fand erst spät zum Widerstand. Aber wer von uns hätte heute das Recht, darüber zu richten?
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Der Versuch, die Nazidiktatur zu beseitigen, scheiterte tragisch. Aber das Opfer war nicht umsonst. Es hat Deutschland die Ehre und Würde wiedergegeben, die die Naziverbrecher unserem Land geraubt hatten. Alle aus meiner Generation, die die Chance hatten, in dieser Demokratie groß zu werden, schulden diesen Männern unendlich viel. Wir hätten es viel schwerer gehabt, wieder in die Gemeinschaft der gesitteten Nationen aufgenommen zu werden, wenn es nicht diesen Versuch gegeben hätte, die Ehre Deutschlands wiederherzustellen. Unendlich viel verdanken wir ihnen!
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Die Werte, für die die Frauen und Männer des Widerstands litten und starben, gehören heute zu den ideellen Grundlagen unserer Nation und zum moralischen Fundament der Bundeswehr. Es ist kein Zufall, daß der Bundesverteidigungsminister seinen Dienstsitz im Bendlerblock in Berlin genommen hat.
Viele ehemalige Wehrmachtssoldaten haben die Bundeswehr mit aufgebaut. General de Maizière, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, hat sehr eindrucksvoll berichtet, welch lange innere Prüfung seiner Entscheidung vorausging, 1955 wieder Soldat zu werden. Besonders kostbar sind ihm - das darf ich, auch nach dem, was Freimut Duve gesagt hat, noch einmal sagen - die zentralen Elemente unserer Wehrverfassung: der Primat der Politik, die parlamentarische Kontrolle, die institutionelle, rechtliche, geistige und soziale Verankerung der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft und die Bindung von Befehl und Gehorsam an Recht und Gesetz.
Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur, mit dem Zweiten Weltkrieg und mit der Wehrmacht ist ein unerläßlicher Bestandteil staatsbürgerlicher Bildung. Die gegenwärtige Diskussion zeigt, daß noch viel sachliche und differenzierte Aufklärung not tut. Zahlreiche ausgewiesene Fachhistoriker haben teilweise erhebliche Kritik an der Zielsetzung, an der inhaltlichen Ausgestaltung und am wissenschaftsmethodischen Ansatz der Ausstellung, über die wir reden, geübt.
Die Behauptung, daß erst mit der Ausstellung die Diskussion über die Rolle der Wehrmacht begonnen habe, ist schlicht falsch. Die historische Wissenschaft ist längst viel weiter. Besonders das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr hat sich bei der Aufarbeitung der Geschichte des Deutschen Reiches verdient gemacht und in der internationalen Wissenschaft große Anerkennung erworben.
Die Bundeswehr hat sich von Anfang an der ganzen deutschen Geschichte gestellt, mit ihren Höhen und Tiefen. Tradition - das muß auch noch einmal festgehalten werden - ist aber nicht gleich Geschichte. Tradition ist die bewußte Auswahl von Ereignissen und Menschen, von Haltungen und Taten, die beispielgebend sind. Die Werteordnung des Grundgesetzes ist dafür Orientierungsrahmen. Ein solches Verständnis läßt Raum, vorbildliche soldatische Haltung und hervorragende militärische Leistungen aus allen Epochen der deutschen Militärgeschichte in die Tradition der Bundeswehr zu übernehmen.
Die Bundeswehr stützt sich auf die freiheitlichen Werte der deutschen Militärgeschichte. Im übrigen hat sie inzwischen auch eine eigene, wie ich finde, sehr eindrucksvolle Tradition entwickelt:
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als erste Wehrpflichtarmee in der Demokratie, geprägt vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, integriert und geachtet in der Nordatlantischen Allianz, als Vorreiter der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Osten, bewährt beim Aufbau der Armee der Einheit und vor allem im internationalen Einsatz für den Frieden und für Menschen in Not.
Ich danke Ihnen.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ehe ich dem nächsten Redner das Wort gebe, begrüße ich auf der Besuchertribüne den Präsidenten der Nationalversammlung der Islamischen Republik Mauretanien mit einer größeren Delegation.
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Wir freuen uns, Herr Präsident, über Ihren Besuch auch hier im Plenum und hoffen, daß er dazu beiträgt, die traditionell guten Beziehungen zwischen unseren Ländern weiter zu vertiefen. Seien Sie uns herzlich willkommen!
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Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Kolbow, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unser früherer Kollege und Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel, hat recht: Der Streit über die sogenannte Wehrmachtsausstellung hat Formen angenommen, die den demokratischen Grundkonsens in München - und nicht nur dort - in Frage gestellt haWalter Kolbow
ben. Ich hatte gehofft - sicherlich mit vielen hier im Saale -, daß die heutige Debatte dazu beiträgt, den Grundkonsens in der Bewältigung des nationalsozialistischen Verbrechensregimes zu bewahren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion war in der Vorbereitung auf diese Debatte - bei Zustimmung zum Antrag der Grünen-Fraktion - der Meinung, sich beim Antrag der Regierungskoalition wegen der letzten Passage enthalten zu sollen. Die Rede des Herrn Kollegen Dregger allerdings - ich muß das objektiv hier vortragen - hat viele Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion in dieser Haltung wanken lassen.
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Sie werden sicherlich ihren Schluß auch aus dem Fortlauf der Debatte ziehen. Im übrigen ist durch den zweiten Beitrag von Ihnen, Herr Kollege Dregger, Ihre erste Einlassung relativiert worden; ich will das konstatieren.
Ich bin aber beklommen - ich sage dies auch sehr persönlich -, mich hier gar zum Zensor oder zum Beurteilenden des Kollegen Dregger oder anderer aufschwingen zu wollen, weil die Abarbeitung unserer Vergangenheit nach der Weise „Ignorieren oder Aufarbeiten" immer wieder von uns allen mit all den Unzulänglichkeiten versucht wird, die in uns selbst stekken.
Wenn erst jetzt über den Heydrich-Stellvertreter Werner Best eine vorzügliche Biographie erschienen ist, die aufarbeitet, welche Verbrechen die Angehörigen des Reichsicherheitshauptamtes begangen haben, dann weist das darauf hin, auf welchem Weg wir uns noch immer befinden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Wehrmacht.
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Im Resümee dessen, was viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner gerade aus meiner Fraktion - Kollege Schily und Kollege Duve, aber auch andere - beeindruckend geschildert haben, müssen wir sagen, daß Joachim Fest recht hat, wenn er in seinem Buch „Staatsstreich" über das Verhalten der Wehrmachtsführung im Rußlandfeldzug feststellt:
Jetzt war es Hitler im ersten Anlauf gelungen, die selbst in Polen noch gewahrte Trennung zwischen der herkömmlichen Kriegsführung und dem Mordgeschäft der Einsatzgruppen auf zugeben und das eine mit dem anderen zum Gesamtbild eines einzigen, alle Waffenträger kriminalisierenden Vernichtungskrieges zu verklammern. Von jener 'Verstrickung' wider Willen und Wissen,
- so schreibt er die in den Apologien der Beteiligten so oft beschworen worden ist, konnte seither keine Rede mehr sein.
Dies stellt unter Einräumung von Unzulänglichkeiten, die das Ergebnis nicht in Frage stellen, auch diese in Rede stehende sogenannte Wehrmachtsausstellung fest, zwar selektiv, aber objektiv an drei Beispielen aus dem Zweiten Weltkrieg: am Partisanenkrieg, den Geschehnissen in Serbien und am Vorgehen der 6. Armee in Weißrußland.
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Entschuldigung, Herr Kollege Kolbow. Ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen.
Wir haben bisher eine sehr gute und sehr ruhige Debatte geführt.
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Ich finde es angemessen, daß wir den Rednern, die jetzt noch zu sprechen haben, die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie bisher. Ich möchte ganz generell sagen: Ich mag es nicht, wenn in den ersten Reihen den Rednern der Rücken zugewendet wird. Ich finde das nicht in Ordnung.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Diese Ausstellung bietet uns, die wir - ich bin 1944 geboren - im Krieg oder später geboren wurden, keinen Anlaß zu moralischer Überheblichkeit. Ich wünsche mir, daß ich zu den Mutigen - auch Sie, Herr Kollege Lambsdorff, haben davon gesprochen; Sie sind auf Grund Ihres Lebensalters und Ihres Lebensschicksals viel betroffener, als ich es sein kann - gehört hätte. Ich sage aber ganz offen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Mut zum Beispiel der Geschwister Scholl oder den eines Soldaten gehabt hätte, der sich schützend vor Juden gestellt hat.
Diese Ausstellung ist also nicht das, wozu sie ihre Gegner machen wollen. Sie ist eben keine Verurteilung, sondern Anlaß, sich an erster Stelle mit sich selber und unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
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Diese Ausstellung zeigt nicht den Widerstand, den es auch gab. Sie zeigt lediglich in einem Fall die menschliche Größe eines deutschen Offiziers, wie er versuchte, jüdische Kinder vor ihrem Schicksal zu bewahren. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes hat in diesem Zusammenhang den interessanten Vorschlag gemacht, die in Rede stehende Wehrmachtsausstellung mit der Ausstellung „Hitler und der Widerstand: Aufstand des Gewissens" zu kombinieren.
Unabhängig davon muß es möglich sein - Kollege Hirsch hat mit dieser Initiative recht; viele werden sich anschließen können -, diese Ausstellung auch in Bonn zu zeigen, und zwar im Haus der Geschichte.
({1})
In der sehr öffentlich geführten Diskussion fragen sich und uns hier im Parlament und in den Wahlkreisen - in Leserbriefen, in Anrufen und auch in Rededuellen mit uns - nicht wenige: Muß diese Ausstellung überhaupt sein: Bilder des Grauens, die Alpträume oder Schuldgefühle wachrütteln, über ein
halbes Jahrhundert danach? Fragen und Einsichten, die quälend sind und überdies die Erinnerungen überschatten können, auch an Tote und Menschen, die wir gekannt, gemocht, geliebt haben, die lediglich ihrer Wehrpflicht gefolgt sind. Ich sage den Menschen, wenn sie mich fragen: Ja, diese Ausstellung muß sein.
({2})
Deshalb hat auch der zivilcouragierte Oberbürgermeister von München recht, wenn er die Frage, ob die Ausstellung auch in München zu sehen sein soll, folgendermaßen beantwortet: Sie soll sein. Er hat auch gesagt - auch das bitte ich einzubeziehen -: Eine Zensur findet nicht statt, und hier schon gar nicht.
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Dadurch sind vor Ort und auch in anderen Teilen unseres Landes Sturm und Böen entstanden. Dabei denken wir nicht so sehr an die Böen rechtsextremistischer Splitterparteien und unverbesserlicher Neonazis. Sie sind ärgerlich genug. Sie werden am besten mit der richtigen Mischung behandelt - wie Hans-Jochen Vogel es formuliert hat - aus still schweigender Verachtung, deutlichem Widerspruch und klugem Einsatz rechtsstaatlicher Mittel.
({4})
Aber in München drohte eine Gefahr für den Grundkonsens. Auch das kann man nicht ersparen: Herr Gauweiler, der „Bayernkurier" und die NPD säten Sturm. Es ging nicht mehr um die Wehrmachtsausstellung, sondern darum, den politischen Gegner zu verteufeln und auf Grund von Mißbrauch nationaler Empfindungen zumindest Unfrieden gegen diejenigen zu säen, die auch dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte nicht ausweichen, sondern den Verbrechen während der NS-Gewaltherrschaft und den Ursachen, die zur Katastrophe geführt haben, auf den Grund gehen wollen.
Es ging ab sofort um den Mißbrauch der Wehrmachtsausstellung zu parteipolitischen Zwecken, um sich im rechtesten Lager besser zu positionieren. In diesem Zusammenhang ist das bei der Aufarbeitung unserer Geschichte nicht nur unredlich, sondern undemokratisch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Ja, wir wollen differenzieren - das sage ich dem Kollegen Lambsdorff und anderen, die dies einfordern -, weil es für den Erhalt des Grundkonsenses wichtig ist. Ich hoffe, dabei auch einen persönlichen Beitrag zu leisten. Aber diese Einsicht herrscht nicht überall vor.
Wenn ich einen Leserbrief aus dem „General-Anzeiger" , der am 11. März 1997 erschienen ist, zitieren darf, dann wegen der Bedeutung des Amtes, das der Verfasser ausgeübt hat. Ein gewisser Heinz Trettner schrieb:
Es dürfte heute erwiesen sein, daß der Krieg gegen die Sowjetunion - anders als die Umerziehungspropaganda behauptet - in erster Linie ein nur schweren Herzens begonnener, aufgezwungener Präventivkrieg war.
Dieser Herr Trettner ist nicht irgend jemand, sondern ein Vier-Sterne-General der Bundeswehr außer Dienst, der von 1964 bis 1966 Generalinspekteur der Bundeswehr war.
Ein völlig anderes Beispiel für die Aufarbeitung von Geschichte bietet dagegen der erst vor kurzem 85 Jahre alt gewordene ehemalige Generalinspekteur, General de Maizière, dessen Erkenntnis „Auch Unterlassen kann schuldig machen" eine tiefe Wahrheit in griffige Worte faßt.
Wahr ist aber auch, daß beide Offiziere der Bundeswehr gedient und diese mit aufgebaut haben, wie im übrigen auch viele Offiziere aus der Wehrmacht, ohne deren Bereitschaft, wieder als Soldat zur Verfügung zu stehen, die Aufstellung der Bundeswehr gar nicht möglich gewesen wäre.
Das moralische Dilemma wird deutlich in den persönlichen Schicksalen. Es wird auch deutlich in dem, was Kollege Dregger hier zuerst gesagt hat.
Ich will abschließend feststellen, daß es den Ausstellungsgegnern nicht gelingen kann, Angehörigen der Bundeswehr das Gefühl zu geben, diese Ausstellung kränke auch sie. Zum einen ist die Bundeswehr selbstbewußt genug, diese Ausstellung zu besuchen. Hohe Offiziere mit Soldaten aller Dienstgradgruppen haben dies getan. Dies verdient Anerkennung, obwohl es normal sein muß.
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Zum anderen besteht der schwerwiegende Unterschied zum Dritten Reich aus den gezogenen Konsequenzen für Eid bzw. feierliches Gelöbnis. Ich darf unterstreichen, was der Kollege Duve hierzu gesagt hat. Aber auch hier, Kolleginnen und Kollegen, ist die Schlußfolgerung im Soldatengesetz für die Bundeswehr gezogen worden; denn die Bundeswehr jedenfalls schränkt Befehl und Gehorsam auf gesetzlicher Grundlage ein und mißt den Befehl an Recht und Gewissen. Wenn dies im Dritten Reich möglich gewesen wäre - da stimme ich dem Kollegen Zwerenz zu -, dann hätten wir vieles vermeiden können.
Weder der bayrische Ministerpräsident noch der CSU-Vorsitzende haben sich von den Äußerungen von Herrn Gauweiler distanziert. Der Reporter der „Süddeutschen Zeitung", Herr Stiller, hat in dieser Woche bedauert, daß Sie mit der CSU-Landesvorstandssitzung, Herr Kollege Waigel, die letzte Gelegenheit versäumt hätten, die Sache Gauweiler und den „Bayernkurier" in Ordnung zu bringen.
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Ich bitte Sie, ja ich fordere Sie auf: Tun Sie dies heute im Interesse des Freistaates Bayern, im Interesse auch unseres Landes, aber auch der politischen Kultur in unserem Lande! Heute besteht diese Gelegenheit.
Mir geht bei den haßerfüllten Tiraden in München der Satz von Adorno durch den Kopf, daß das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie potentiell bedrohlicher ist als das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Herr Waigel, tun Sie als Demokrat Ihre Pflicht!
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Auf der Tribüne hat ebenfalls der Präsident der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums Luxemburg mit einer Delegation Platz genommen.
({0})
Herr Präsident, es ist, vermute ich, eher ein Zufall, daß Sie dem Plenum des Deutschen Bundestages während dieser Debatte einen Besuch abstatten. Aber vielleicht trägt dieser Zufall dazu bei, daß Sie die demokratischen Abgeordneten des demokratischen Parlaments der Bundesrepublik Deutschland ein bißchen besser verstehen als vorher. Das würde zur Vertiefung unserer Beziehungen wesentlich beitragen. Ich freue mich sehr, daß Sie da sind.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heiner Geißler, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der überwiegende Teil der Diskussion heute nachmittag hat gezeigt, daß wir uns mit Grund und mit Ernsthaftigkeit in diesem Parlament nicht über eine Äußerung, die jemand getan hat, oder über die Ausstellung und ihre Mängel oder auch Vorzüge auseinandersetzen. Das ist nicht der eigentliche Grund. Vielmehr habe ich aus einigen Reden die drängende Frage herausgespürt, die auch Frau Nickels aufgeworfen hat: Warum konnte das eigentlich geschehen?
Ich finde, diese Frage ist deswegen von so großer Bedeutung, weil unsere Väter und Großväter das miterlebt haben. Mein Vater war noch Leutnant im Ersten Weltkrieg. Auf dieser „voie sacreé" von Bar le Duc nach Verdun - Bar le Duc war der letzte Bahnhof, auf dem die französischen Soldaten ausgeladen worden waren - fuhr man 40 Kilometer. Bei jedem Kilometer wurde der Lärm der Kanonen stärker und stärker, und die Soldaten wußten, daß sie alle in ein unglaubliches Verhängnis hineingingen. Das Ergebnis waren 600 000 tote junge Franzosen und Deutsche - vergast, erstickt, erstochen, verbrannt, erschossen. Heute stellt sich jedermann die Frage: Warum konnte so etwas passieren? Wir verstehen das gar nicht mehr.
Dann waren die Menschen mehr oder weniger froh, als dieser Erste Weltkrieg vorbei war, und hatten gedacht, so etwas passiert nie mehr wieder. Und dann wurde all dieses Entsetzliche noch einmal hundertfach und tausendfach übertroffen durch eine tödliche Kriegsmaschinerie, geleitet von einer verbrecherischen Staatsführung. Dann dachten wir doch: Jetzt hat die Menschheit wirklich erkannt, daß so etwas nicht mehr stattfinden kann. Und jetzt sehen wir: Es geht weiter, während wir hier sind. In den letzten Jahren geschahen wieder Kriegsverbrechen wie Mord und Totschlag und Vergewaltigung und Abschlachten.
Jetzt muß man sich doch einmal die Frage stellen: Wo liegen denn die Gründe dafür? Das scheint mir schon sehr wichtig zu sein. Ich habe es auf einem Parteitag meiner Partei schon einmal gesagt; bitte nehmen Sie mir das Zitat nicht übel. Karl Marx hat in einer seiner frühen Schriften sinngemäß gesagt: Der Mensch, wie er geht und steht, ist nicht der eigentliche Mensch, sondern er muß das richtige gesellschaftliche Bewußtsein haben und der richtigen Klasse angehören. Die Nazis haben gesagt: Er muß der richtigen Rasse angehören. Die Nationalisten sagen: Er muß dem richtigen Volk angehören. Heute sagen die Fundamentalisten: Er muß der richtigen Religion angehören.
Überlegen Sie einmal, was da eigentlich los war: Die falschen Menschenbilder waren die Ursache für die schlimmsten Verbrechen in diesem Jahrhundert.
({0})
- Ich darf meine Meinung sagen. - Je nachdem, ob die Menschen der falschen Klasse oder der falschen Rasse oder dem falschen Volk oder der falschen Religion angehörten, wurden sie deportiert, vergast, in die Luft gesprengt, aufgehängt und erschossen. Das ist die Wahrheit.
({1})
Die Kriegsverbrechen der Wehrmacht, die Herr Schily und viele andere geschildert haben, haben sich vor allem konzentriert auf Rußland, auf Osteuropa und waren im Grunde genommen Bestandteile auch der Vernichtung des jüdischen Volkes. Daran haben sich Teile der Wehrmacht beteiligt. Die Deutschen waren aber keine Rassisten, die deutschen Soldaten auch nicht. Aber sie waren Nationalisten als Folge des Versailler Vertrages und von vielem, was in der Weimarer Republik auf die Menschen hereingebrochen war. Sie waren nicht die einzigen Nationalisten, aber Hitler hat die Deutschen mit dem Nationalismus verführt, insbesondere auch die Führung der deutschen Wehrmacht. Da kam plötzlich eine Teilidentität zusammen.
Deswegen ist es wichtig, daß wir uns über diese Ursachen, nämlich die falschen Menschenbilder, unterhalten. Dazu gehört eigentlich, daß wir uns alle
miteinander - das sage ich jedem, der diese Ausstellung kritisiert, und jedem, der sie für richtig hält - auf das richtige Menschenbild besinnen,
({2})
daß nämlich der Mensch so, wie er ist, der eigentliche Mensch ist, in seiner Würde unteilbar. Das gilt für heute, und das gilt für morgen, unabhängig davon, ob er jung oder alt, Mann oder Frau ist, aber eben auch - das sage ich überall, das sage ich zu meiner Partei, und das sage ich zu jedermann - unabhängig davon, ob jemand Deutscher oder Ausländer, Schwarzer oder Weißer, Christ, Jude oder Muslim ist.
Das Erinnern an die Verbrechen, an die Kriegsverbrechen auch in unserem eigenen Land, an die Kriegsverbrechen, an denen Teile der Wehrmacht beteiligt waren - so steht es in unserem Antrag -, hat doch den Sinn, daß wir die Zukunft richtig gestalten. Deswegen ist diese Auseinandersetzung wichtig.
Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, egal von wem sie begangen werden, ob von deutschen Soldaten, von der SS oder von anderen. Das ist im Moment unser Thema. Nur, das eine muß man auch sagen: Der Vorwurf der persönlichen Beteiligung und der Verstrickung gilt sicher für weite Teile der Generalität, gilt aber nicht für die überwiegende Mehrheit der deutschen Soldaten. Das haben wir auch übereinstimmend festgestellt, und das scheint mir wichtig zu sein.
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Viele, längst nicht die meisten, sind dieser Verführung zum Opfer gefallen, von der ich gerade geredet habe. Wie sollten sie es angesichts der Erziehung, die sie gehabt haben, und angesichts der Bildungseinrichtungen und der Universitäten auch anders wissen? Man denke an das, was deutsche Professoren zum Thema Nationalismus über lange Jahre gesagt haben. Diese Menschen fielen auch der Repression des Machtapparates zum Opfer und wurden so selber Täter.
Aber die überwiegende Anzahl waren eben nicht Verbrecher, auch mein Bruder nicht, der im November 1944 gefallen ist, und ebenso mein Vater nicht. Die Trauer um diese beiden und viele andere Soldaten galt keinen Verbrechern, sondern den Opfern einer von Politgangstern angezettelten Weltkriegsorgie, die . das muß man jetzt wieder hinzufügen - auch mittels der Wehrmacht ein apokalyptisches Ende nahm: 55 Millionen Tote, darunter auch 4 Millionen deutsche Soldaten, aber 20 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger, 5 Millionen in den Arbeitslagern verhungerte und totgeschlagene Polen sowie 6 Millionen vergaste Juden - das war das Ergebnis dieser verbrecherischen Kriegsführung.
Angesichts dieser Tatsachen verbietet sich jede Mystifikation eines angeblich sauberen Krieges.
({4})
Es gibt aber auch kein jüngstes Gericht für Kollektive - das auch nicht! -,
({5})
sondern es gibt wie überall die persönliche Verantwortung. Bewältigen können wir die Vergangenheit ohnehin nicht. Dazu hat Richard von Weizsäcker in seiner großen Rede am 8. Mai 1985 gesagt: Wir können sie nicht ungeschehen machen, aber wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt und sich an die Unmenschlichkeit nicht mehr erinnern will, der - so sagte er sinngemäß - wird blind für die Gegenwart und auch für die Zukunft.
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Zukunft und Gegenwart sind beklemmend genug; ich habe es gerade geschildert.
Jeder hat da seine eigene Meinung. Ich stimme nach dem, was ich gehört und in Bildern gesehen habe, weitgehend dem zu, was Graf Lambsdorff gesagt hat. Man kann die Frage stellen, ob es richtig ist, die Kritik an dieser Ausstellung mit Demonstrationen, hin und her, zu begleiten, mit der ungewollten Folge - es ist ja wahr; das muß man auch einmal sagen -, daß sich auch Links- und Rechtsradikale beteiligen.
({7})
- Ich sage meine Meinung. Ich finde, wir haben in den Phasen der Debatte gut diskutiert, wo wir die parteipolitische Polemik herausgelassen haben.
({8})
Lassen Sie doch mich diesen Gedanken in aller Ruhe ausführen. Warum bin ich dieser Meinung? Weil diese Leute durch das Aufputschen von Emotionen
({9})
die mehr oder weniger berechtigte Kritik mißbrauchen. Daran beteilige ich mich in diesem Parlament eben nicht, weil wir über etwas anderes reden. Wir sprechen über die Gegenwart und die Zukunft im Erinnern an die Vergangenheit. Deswegen plädiere ich dafür, eine solche Ausstellung, Bücher über die Vergangenheit, über die Verbrechen, die auch die Wehrmacht begangen hat, einfach hinzunehmen, ich würde sagen: demütig hinzunehmen,
({10})
im Sinne des Wortes von Ignatius, der gesagt hat: Wahrhaftigkeit gegen uns selber, das ist Demut.
({11})
Wir sollten das wahrhaftig gegen uns selber hinnehmen, in Erinnerung an diese 55 Millionen Toten, an die Frauen, an die Mütter, an die Soldaten, die ZiDr. Heiner Geißler
vilisten vor allem, alle diejenigen, die ich aufgezählt habe, die Opfer dieser nationalsozialistischen Aggression. Wir sollten daran erinnern, damit unsere jungen Leute sehen können, wozu der Mensch fähig ist, wozu falsche Menschenbilder die Menschen verführen können, damit unsere Kinder fähig werden und bereit sind, in der Zukunft Vorurteile, Feindschaften und Haß zwischen den Völkern zu überwinden.
({12})
Wir müssen uns versöhnen, auch mit unserer eigenen Vergangenheit. Wir müssen unser Volk versöhnen. Wir müssen unsere Nachbarn mit uns versöhnen. Dies erreicht man nicht durch Vergessen und durch Verdrängen. Vielmehr gilt das große jüdische Sprichwort: Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Daran sollten wir uns alle halten und dies als eine gemeinsame Basis für die Diskussion unserer Vergangenheit nehmen.
({13})
Es tut mir leid, Frau Kollegin Beer. Es ist manchmal schwierig, in einer solchen Debatte den Redner zu unterbrechen, wenn er gerade dabei ist, einen ganzen Gedanken vorzutragen.
({0})
Sie hatten nach der Geschäftsordnung das Recht, daß ich dazwischengehe; aber es ist mir einfach schwergefallen. Ich bitte um Nachsicht dafür.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Waigel, CDU/ CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich bei der Debatte nur zuhören. Doch diese Debatte und die Wortmeldungen auf beiden Seiten haben mich tief berührt und natürlich auch aufgewühlt.
Es ist die Freiheit, die diesem Staat, dieser Demokratie zu eigen ist, eine solche Ausstellung durchzuführen. Das ist völlig unbestritten. Es gibt auch die Freiheit, diese Ausstellung zu kritisieren. Ich bin kein Zensor dieser Kritik. Ich vertrete hier meine Auffassung und bin zutiefst überzeugt, daß es auch die Auffassung meiner Partei ist, obwohl ich diese Rede nicht konzipiert und vorbereitet habe, sondern nur aus ein paar Stichworten heraus gestalten will.
Ich stamme aus Ursberg. Die, die es kennen, wissen, daß es dort eines der größten Behindertenzentren in Deutschland gibt. Dort wurden mehrere hundert Behinderte umgebracht. Darüber hat man uns nach dem Krieg nichts oder fast nichts gesagt. Ich habe das als schlimm empfunden und immer wieder danach gefragt. Es gab nur wenige, die auch damals den Mut hatten - mutige Klosterfrauen, mutige Priester -, dagegen zu protestieren. Der Superior Huber war einer von denen, die immer wieder gefordert haben, dagegen müsse öffentlich etwas getan werden. Die damaligen Proteste von Kardinal Galen haben zu einem Stillstand geführt, aber nicht verhindern können, was zuvor passiert war.
1944 war in diesem Ursberg, wo noch viele Hunderte Behinderte lebten, zufällig der General der Wehrmacht Oskar Blümm. Seine Frau war ausgebombt und dorthin verschlagen worden. Dann kam die Nachricht, die SS wolle Ursberg besetzen. Was das für Ursberg und für seine Behinderten bedeutet hätte, kann sich jeder ausmalen. Dieser General der Reichswehr hatte den Mut, Ursberg für die Wehrmacht zu beschlagnahmen und die SS hinauszuwerfen. Ich kenne das vorherige Leben des Mannes nicht. Für mich ist er aber ein Held, weil er in dieser Sekunde als Vertreter der Wehrmacht mutig, ungeschützt, unter Gefahr für sein Leben Hunderte von Menschen, vor allen Dingen Behinderte, gerettet hat.
Mein Vater, 1895 geboren, hat den ganzen Ersten Weltkrieg mitgemacht. Im Zweiten Weltkrieg wurde er wieder eingezogen. Als er 1939 von meinem damals 13jährigen Bruder zum Bahnhof gebracht wurde - mein Vater hat mir das später oft erzählt -, hoffte er, daß dieser Bub nicht auch noch eingezogen würde. Mit 17 Jahren wurde er eingezogen, mit 18 Jahren fiel er in Lothringen. Vor drei Jahren fand ich - es war verwechselt worden - sein Grab in Niederbronn im Elsaß - er war in Lothringen gefallen - auf einem Friedhof mit 35 000 anderen deutschen Soldaten.
Als ich dort das erste Mal war, wollte es der Zufall oder das Schicksal, daß der Minister für Veteranenangelegenheiten der Französischen Republik, Mestre, dort war und die Einweihung einer deutschfranzösischen Jugendbegegnungsstätte vornahm. Er lud mich ein, an dieser Zeremonie teilzunehmen. Dann sagte dort der Mann, der natürlich auch gegen Deutschland gekämpft hatte, in seiner Rede: Ich verneige mich vor den deutschen Soldaten, die ihr Vaterland verteidigen mußten. - Auch das gehört zur Geschichte. Ein Franzose kann ein solches Wort vielleicht leichter aussprechen als wir.
Es gehört zu den großen kulturellen Leistungen der Zivilisation, daß ein Volk mit seinen Toten versöhnt ist. Zu diesen Toten gehören auch die deutschen Soldaten. Mir fehlt da die Differenzierung; mir fehlt das geschichtliche Gesamtbild - Graf Lambsdorff, Sie haben das auch erwähnt -; mir fehlt die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit gegenüber Millionen, gegenüber den Opfern, aber auch gegenüber den Millionen von Soldaten. Viele konnten nur in der Wehrmacht überleben. Aus dem kleinen Dorf, aus dem ich stamme, stammte der Reichstagsabgeordnete Fridolin Rothermel, der an der letzten freien Sitzung des Reichstages teilnahm. Wäre er im Juli 1944 nicht bei der Wehrmacht gewesen - ich weiß das noch von seiner Tochter -, dann wäre er wahrscheinlich abgeholt und umgebracht worden.
Die Partei, deren Vorsitzender ich bin, wurde 1945/ 46 von Widerstandskämpfern gebildet und konstituBundesminister Dr. Theodor Waigel
iert, von Josef Müller, Alois Hundhammer und vielen anderen, aber auch von den heimgekehrte Soldaten und Offizieren, von untadeligen Männern und natürlich auch von Frauen. Ich denke an heimgekehrte Soldaten und Offiziere und nenne nur Franz Josef Strauß, Franz Heubl, Fritz Zimmermann, Richard Jaeger, Männer, die gerade auch beim Aufbau der Bundeswehr nach dem Krieg eine wichtige Rolle spielten.
Der künftige Sitz des Bundesfinanzministeriums in Berlin wird das Gebäude sein, das früher das Reichsluftfahrtministerium beherbergte. Als ich dieses Gebäude einmal besuchte, fand ich in einer Ecke eine Ausstellung über einen Mann, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, Harro Schulze-Boysen. Er wurde hingerichtet. In den Mauern des Kerkers hat er ein Gedicht versteckt, das erst nach seinem Tode gefunden wurde. Es lautet:
Die letzten Erdendinge
sind Strang und Fallbeil nicht, und unsre heutgen Richter noch nicht das Weltgericht.
Er war Offizier, er war Widerstandskämpfer, mit der Roten Kapelle in Zusammenarbeit, und er war Christ. Sonst hätte er diese Sätze wohl so nicht formulieren können.
Oberst Stauffenbergs letzte Sätze waren:
Wir haben uns vor Gott und dem Gewissen geprüft. Es muß sein.
Das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit, auf die wir auch stolz sein können.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist inzwischen vereinbart worden, über die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS nicht abzustimmen,
({0})
sondern sie federführend an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch zu diesen Überweisungsvorschlägen. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Cem Ozdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin Müller ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin Müller ({2}), Volker Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/2990 und 13/5065, Situation der Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland, bekannt; es handelte sich um die Drucksache 13/7121. Abgegebene Stimmen: 620. Mit Ja haben gestimmt: 50. Mit Nein haben gestimmt: 326. Enthaltungen: 244. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 620; davon
ja: 50
nein: 326
enthalten: 244
Ja
SPD
Ute Vogt ({4}) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann
({5}) Marieluise Beck ({6}) Volker Beck ({7}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({8}) Joseph Fischer ({9}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Oswald Metzger Kerstin Müller ({10}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({11}) Cem Özdemir
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({12}) Wolfgang Schmitt
({13})
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({14}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({15}) Margareta Wolf ({16})
PDS
Manfred Müller ({17}) Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick
Fraktionslose
Kurt Neumann ({18})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede
Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({19}) Wolfgang Bosbach
Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
({20})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({21}) Peter Harry Carstensen
({22})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Dirk Fischer ({23}) Leni Fischer ({24})
Klaus Francke ({25}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({26}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({27}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({28}) Hansgeorg Hauser
({29}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({30}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler ({31})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({32}) Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({33})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann
Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link ({34}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({35})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
({36}) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({37}) Dr. Dietrich Mahlo
Dr. Martin Mayer ({38})
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({39})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({40}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({41}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald
Norbert Otto ({42})
Dr. Gerhard Päselt
Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({43}) Klaus Dieter Reichardt
({44})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({45}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer Hannelore Rönsch
({46}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({47})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({48}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({49}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({50})
Andreas Schmidt ({51}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({52}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({53}) Gerhard Schulz ({54}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({55}) Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt ({56}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({57}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({58}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Dr. Rolf Niese Rudolf Purps Hermann Rappe
({59}) Reinhold Robbe Dieter Schanz
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
({60}) Günther Bredehorn
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({61})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({62}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({63}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
({64})
Dr. Guido Westerwelle
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Enthalten
CDU/CSU
Vera Lengsfeld
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt
Hans Büttner ({65}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer ({66}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({67}) Katrin Fuchs ({68}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({69}) Angelika Graf ({70}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({71}) Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz Frank Hofmann ({72}) Ingrid Holzhüter
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({73}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lennartz
Klaus Lohmann ({74}) Christa Lörcher
Dieter Maaß ({75}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({76}) Ursula Mogg
Michael Müller ({77}) Jutta Müller ({78}) Christian Müller ({79}) Volker Neumann ({80}) Gerhard Neumann ({81}) Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({82})
Ulla Schmidt ({83}) Dagmar Schmidt ({84}) Wilhelm Schmidt ({85}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({86}) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({87})
Brigitte Schulte ({88}) Reinhard Schultz ({89})
Volkmar Schultz ({90}) Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({91}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({92}) Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({93}) Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek ({94}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({95}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch Sabine LeutheusserSchnarrenberger
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Heidemarie Lüth Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({96}) zu dem Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung ({97})
- Drucksachen 13/5676, 13/5730, 13/6845, 13/ 7051, 13/7173 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Vogt ({98})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Gibt es sonstige Erklärungen? - Auch nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Diese kann ich aber nur durchführen, wenn Sie Platz nehmen. Sonst kann ich den Saal nicht übersehen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt unter Aufhebung des Gesetzbeschlusses vom 31. Januar 1997, den Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/7173? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 13. Es handelt sich um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Ersten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Interfraktionell ist vereinbart, diese Vorlage von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze ({99})
- Drucksache 13/7144 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, werde ich die Aussprache eröffnen. Darf ich diejenigen, die an der Debatte nicht teilnehmen wollen, bitten, den Saal zu verlassen. So kann ich im Augenblick die Beratung nicht fortsetzen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt mehrere Ziele: Zunächst soll das Wahlrecht für die Sozialversicherungswahlen, die 1999 stattfinden, verbessert werden. Die Änderungen müssen jetzt erfolgen; denn nach den gesetzlichen Vorgaben laufen Ende dieses Jahres die Vorbereitungen für die 9. allgemeinen Sozialversicherungswahlen an. Die notwendigen Änderungen müssen also bis dahin verwirklicht sein.
Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz wurden Veränderungen in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen. Diese führen auch zu Neuregelungen bei den Vorschriften über die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen. Es sind Gesetzeslücken bei der Stellvertretung der Mitglieder des Verwaltungsrates der Krankenkassen entstanden. Diese sollen geschlossen werden, indem die persönliche Stellvertretung zugelassen wird. Damit gelten die gleichen Regelungen wie im Bereich der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung.
Außerdem wird sichergestellt, daß sich auch Organisationen, die nach dem Zusammenschluß nicht mehr im Verwaltungsrat vertreten sind, an der nächsten Wahl beteiligen können. Für die Zusammensetzung des Verwaltungsrates von Betriebskrankenkassen wird eine Regelung vorgeschlagen, die sicherstellt, daß nach einer Vereinigung mehrerer Betriebskrankenkassen die Arbeitgeber jedes Trägerunternehmens im Verwaltungsrat vertreten sein können.
Verbessert werden soll die Information der Wählerinnen und Wähler über Zweck und Ablauf der Sozialversicherungswahlen und über die Organisationen, die sich an der Wahl beteiligen. Die höhere Transparenz des Wahlverfahrens ist notwendig, damit die Aufgaben, die von der Selbstverwaltung in der Renten-, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung wahrgenommen werden, den Versicherten stärker bewußt werden. Sie haben durch die Wahlen die Möglichkeit, die Zusammensetzung der Selbstverwaltung und damit deren Aufgabenerfüllung zu beeinflussen.
Ferner wird klargestellt, daß sich eine Wahlanfechtung auf die Gültigkeit der Beschlüsse eines Selbstverwaltungsorgans nicht auswirkt. Diese Regelung erfolgt in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Gültigkeit von Beschlüssen der Landtage, Gemeinderäte und Kreistage, deren Wahl erfolgreich angefochten wird. Auf diese Weise wird vermieden, daß beispielsweise einem Haushaltsplan nachträglich die Wirksamkeit entzogen wird.
Im Siebten Buch Sozialgesetzbuch sollen redaktionelle Änderungen erfolgen, mit denen das neue Recht an weitere, zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen angepaßt wird.
Wichtig sind auch Regelungen über den Umgang mit den Daten des Gesundheitswesens Wismut. Das Archiv der medizinischen Daten Wismut ist am 1. Oktober 1996 in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Die Daten sind für die medizinische Forschung sehr wichtig und von großer Bedeutung. Sie sollen daher in ihrem Bestand gesichert und den Stellen zugänglich gemacht werden, die sie zu Forschungszwecken benötigen, wie das Bundesamt für Strahlenschutz. So können Strahlenwirkungen mit dem Ziel erforscht werden, Risikofaktoren und Schwellendosierungen zu bestimmen. Personenbezogene Daten sind dabei so früh wie möglich zu anonymisieren. Ist dies wegen des öffentlichen Interesses eines Forschungsvorhabens nicht von Anfang an möglich, werden strenge Voraussetzungen an die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten gestellt. Auf jeden Fall sind sie gegen Kenntnisnahme durch unbefugte Dritte gesichert.
Insgesamt handelt es sich um Regelungen, die auf einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und der ebenfalls grundgesetzlich geschützten Freiheit von Wissenschaft und Forschung beruhen. Auch im Interesse Einzelner sollen die Daten zugänglich sein, damit über die Sozialleistungsansprüche ehemaliger Beschäftigter der Wismut entschieden werden kann. Die Daten können zu diesem Zweck an die Sozialleistungsträger wie auch an die Gerichte übermittelt werden. Daneben können die Betroffenen über ihre Daten verfügen, indem sie beispielsweise einwilligen, daß diese an ihren behandelnden Arzt übermittelt werden. Dieser kann die hieraus gewonnenen Erkenntnisse in die Behandlung eventueller Gesundheitsschäden einbeziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, den Gesetzentwurf in den Ausschüssen zügig zu beraten - Frau Vorsitzende, Sie nicken schon fast -, damit das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mascher, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. Auch wenn ich jetzt die Gelegenheit hätte, zehn Minuten lang über diese Wundertüte, die Herr Staatssekretär Günther uns geöffnet hat, zu sprechen, möchte ich gern darauf verzichten. Ich bin ganz sicher: Wir werden im Ausschuß zügig beraten. Ich hoffe, daß eine Regelung über die Pflegeversicherung, über die wir uns im Ausschuß schon verständigt haben, jetzt noch in dieses Gesetzespaket aufgenommen wird und daß wir dann möglichst rasch zur zweiten und dritten Lesung kommen. Vielleicht müssen wir die Debatten dann gar nicht so ausführlich führen, wie die heutige geplant war.
Danke.
({0})
Der Kollege Helmut Heiderich von der CDU/CSU-Fraktion gibt seine Rede zu Protokoll*). Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
Jetzt hat das Wort die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch für meine Fraktion kann ich erklären, daß wir uns diesem bahnbrechenden Reformwerk nicht verweigern werden und uns sehr für einen zügigen Abschluß der Beratungen einsetzen.
({0})
*) Anlage 4
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife gern die Gelegenheit, mich voll dem anzuschließen, was meine Vorrednerinnen gesagt haben. Es gibt Gesetze, mit deren Behandlung man das Plenum verschonen sollte. Dies ist eines davon.
({0})
Wir werden es da beraten, wo die Beratung hingehört.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Auch meinem Beitrag liegt eine ähnliche Intention wie denen meiner Vorrednerinnen zugrunde. Ich denke, die Tatsache, daß eine solche Debatte angesetzt werden konnte, ist ein Beispiel dafür, wie notwendig eine Parlamentsreform ist. Wir sollten solche Anträge oder Gesetzentwürfe wirklich primär in den Ausschüssen behandeln. Auch ich plädiere für ein sehr schnelles parlamentarisches Verfahren.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/7144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Jetzt muß ich mit Blick auf die Damen und Herren Geschäftsführer fragen: Sind wir in der Lage, den nächsten Punkt aufzurufen?
({0})
- Ich mache den Vorschlag zur Güte, daß wir die Sitzung für fünf Minuten unterbrechen. Vielleicht läßt sich in fünf Minuten manches klären. Einverstanden? - Dann unterbreche ich die Sitzung für fünf Minuten.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich höre gerade, die Geschäftsführer hätten sich geeinigt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, Gert Weisskirchen ({1}), Josef Vosen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung unabhängiger Medien in Bosnien-Herzegowina
- Drucksachen 13/4083, 13/6786 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Schwarz-Schilling Freimut Duve
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. Wortmeldungen habe ich zwar noch keine, aber nachdem Herr Duve offensichtlich in den Startlöchern steht, erteile ich ihm jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mich aufgerufen haben. Ich entschuldige mich bei den Kollegen, daß ich wie bei kurzen Reden üblich nichts schriftlich vorbereitet habe, und die nichtvorbereitete Rede kann nicht zu Protokoll gegeben werden, deshalb muß ich jetzt ein paar Worte sagen.
Ich glaube, es war eine sehr gute Leistung, daß die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und andere versucht haben, den Medien zu helfen, die nicht wiederholen wollten, was während des Krieges und noch heute von den staatlichen Medien und den machtkontrollierten Medien gemacht wird, nämlich den Krieg im Hörfunk und im Fernsehen mit anderen Mitteln fortzuführen.
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Radiostationen und Zeitungen - die gab es auch während des Krieges -, die sich um den Frieden zwischen den Gruppen bemühen. Dies ist mit Hilfe der Bundesrepublik, mit Hilfe anderer Staaten und mit Hilfe der EU erreicht worden. Meine Kritik an der EU, die ich heute gerne loswerden will, ist, daß die Mittel, die dafür eigentlich gedacht waren, immer noch nicht freigegeben worden sind, so daß zwar das Auswärtige Amt über 1 Million DM für dieses Radiosystem gegeben hat und die EU-Mittel - angekündigt waren 2 Millionen DM - immer noch nicht frei sind.
Ich will es hier sehr kurz machen, weil wir das vorher so abgesprochen haben. Ich hoffe sehr, daß es uns gelingt, nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch in Serbien und Kroatien von außen zu helfen, daß unabhängige Medien den Frieden und die Stabilisierung der Demokratie organisieren können. Die Schaffung unabhängiger Medien war eines der großen Ziele der Demonstranten in Belgrad.
Die Schaffung unabhängiger, nicht staatlich kontrollierter Medien ist eines der Ziele der Wähler in Zagreb, Split und Rijeka, die Herrn Tudjman die Mehrheit verweigert haben. Er hat die Mehrheit in den Kommunalwahlen verloren. Unabhängige Medien sind die Voraussetzung für den Frieden.
Das haben wir in unserem heute genau einem Jahr alten Antrag - am 13. März 1996 haben wir den Antrag eingebracht - zum Ausdruck gebracht. Ich danke den Mitarbeitern im Auswärtigen Amt, aber auch den Mitarbeitern in Sarajevo dafür, daß sie sich auch im Zusammenhang mit den Wahlen viel Mühe gegeben haben, dieses voranzubringen.
Eine letzte Bemerkung: Ich habe mich sehr bemüht, ein Informationsblatt in bosnischer Sprache für die Flüchtlinge zu organisieren. Das ist mir im ersten Anlauf nicht gelungen, obwohl wir schon einen Entwurf hatten. Inzwischen sind vom Innenministerium und vom UNHCR so viele Informationsblätter für die Flüchtlinge herausgegeben worden, daß die Informationen für die Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland über die Lage zu Hause gegeben sind. Dafür mein Dank an das Innenministerium.
Danke schön.
({0})
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! In der Tat wurde am 13. März 1996 der Antrag, der dem jetzt zur Beschlußfassung vorliegenden Bericht des Auswärtigen Ausschusses mit einer von allen Fraktionen getragenen Formulierung zugrunde liegt, gestellt. Nicht nur dieser Antrag währt etwas zu lange in der Umsetzung, das nehme ich gern selbstkritisch für unsere Steuerung der Beratungen im Ausschuß auf.
Wir haben 15 Monate nach Abschluß des DaytonVertrages in Bosnien-Herzegowina noch immer eine sehr kritische Lage. Beim Aufbau demokratischer Strukturen werden nur langsam Fortschritte erzielt. In weiten Teilen des Landes herrschen weiterhin lokale Fürsten, Diadochen, die mit mafiösen Methoden fundamentale Menschenrechte verletzen. Fraktionskollege Christian Schwarz-Schilling, der als Berichterstatter eigentlich an dieser Stelle stehen sollte, aber verhindert ist, hat eine Reihe von sehr beeindruckenden Erlebnissen in diesem Land gehabt und hierüber ausführlich berichtet. Deswegen ist es mein Anliegen, daß heute darauf hingewiesen wird, wie gefährlich und schwierig die nationalistische Entwicklung in allen drei Volksgruppen zum Teil in Verbindung mit ihren jeweiligen religiösen Institutionen ist, die die ohnehin angespannte Situation zusätzlich emotionalisieren. Zentrifugalkräfte treten in letzter Zeit verstärkt auf, weil die alten Kriegsziele von verschiedenen Gruppen offensichtlich nicht aufgegeben worden sind.
Auch die meisten Kriegsverbrecher laufen weiterhin unbehelligt herum. Alleine in Prijedor werden etwa 20 von ihnen vermutet, und zwar solche sehr großen Kalibers. Hier sei nur ein Vergleich erwähnt: 15 Monate nach dem 8. Mai 1945 - wir hatten gerade eine Debatte, die sich mit diesem Zeitabschnitt deutscher Geschichte beschäftigt hat - war die Frage der
Christian Schmidt ({0})
Kriegsverbrecher in Deutschland im wesentlichen gelöst, weil das Nürnberger Tribunal die führenden Kriegstreiber zur Verantwortung gezogen hatte. Dies eröffnete den Weg zur Versöhnung, machte den Weg frei für den Aufbau demokratischer Strukturen und schaffte so die Grundlage auch für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands. Die gegenwärtige Lage in Bosnien-Herzegowina unterscheidet sich daher deutlich von der Situation in Deutschland 1945. Fast alle Kriegsverbrecher laufen noch frei herum.
Der Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina wird vom Faktor Zeit erheblich bestimmt. Vor kurzem hat der neue amerikanische Verteidigungsminister Cohen deutlich gemacht, daß die USA ihre Truppen bis Juni 1998 abziehen werden. Verteidigungsminister Rühe hat sich im gleichen Sinne geäußert. Dies bedeutet, daß wir nur noch 15 Monate Zeit haben, um Dayton so zu stabilisieren, daß das Fundament trägt. Ich glaube, wir sollten schon sagen, daß sich nicht ohne weiteres - so wie Ifor als Nachfolge Sfor hatte - für die nächsten 20 Jahre Pfor, die Permanent Force, in Bosnien-Herzegowina als internationale Friedenstruppe etablieren wird. Nein, wir müssen davon ausgehen, daß das Datum Juni 1998 einen Endpunkt markiert. Wenn ich mir anschaue, wie lange der Aufbauprozeß vonstatten geht, habe ich erhebliche Sorge, ob die verbleibende Zeit ausreichen wird. Wir müssen deswegen nicht nur die Beratung unserer Anträge, sondern auch die Umsetzung des Friedensprozesses beschleunigen. Er ist schwierig genug, weil sich die Protagonisten mehr und mehr davon entfernen und deshalb die gutmütigen Kräfte im Lande noch stärker unterstützt werden müssen.
Ich teile die Kritik, Kollege Duve, die Sie im Hinblick auf die schleppende Umsetzung in der Europäischen Union, auf die fehlende Auszahlung der zugesagten Gelder, auf die vielen bürokratischen Hemmnisse haben, die den Aufbauprozeß in unverantwortlicher Weise verzögern, während die Uhr abläuft.
({1})
In 15 Monaten muß eine gewisse Stabilisierung eingetreten sein.
Ein wesentliches Element für den Erhalt der Demokratie sind die freien Medien. Sie sind in allen Ländern Mittel- und Osteuropas, auch in Bosnien-Herzegowina, entscheidender Wegbegleiter für einen politischen Wandel. Die Bedeutung freier Medien haben auch die Londoner Konferenz vom 4. und 5. Dezember 1996 sowie der Europarat in einer Entschließung Ende 1996 noch einmal festgestellt.
Ich darf bei dieser Gelegenheit sagen: Wenn wir auf den Balkan schauen und die Frage der freien Medien ansprechen, sollten wir heute ein Wort zu Albanien verlieren. Es ist wichtig, zu unterstreichen, daß alle diejenigen, die in Albanien Verantwortung getragen haben, tragen und in Zukunft tragen werden, sich bewußt sind, daß freie Berichterstattung, freie Information und freie Medien ein wesentlicher Punkt für eine Stabilisierung dort und darüber hinaus für die Bereitschaft des Westens sein werden, sich im Sinne einer Wiedergenesung dieses Landes zu organisieren.
Es gibt dort heute 115 Zeitungen und Zeitschriften, 56 Radiosender, 22 Fernsehstationen und 5 Nachrichtenagenturen, die meisten davon in den bosnischen Landesteilen. In der Republika Srpska existieren 25 Zeitungen und Zeitschriften, 36 Radiosender, 7 Fernsehstationen und eine Nachrichtenagentur. Hierbei handelt es sich überwiegend um Medien, die nach Beendigung des Krieges entstanden sind.
Trotz dieser scheinbaren Vielfalt und erheblicher finanzieller Anstrengungen muß festgestellt werden, daß die Medienwelt dreigeteilt ist. In der Republika Srpska, in dem kroatisch kontrollierten Teil der Föderation und in den bosniakisch kontrollierten Landesteilen bestehen eigene Medienstrukturen, die durch mehr oder weniger einseitige Berichterstattung zugunsten der eigenen Volksgruppe keine Meinungsvielfalt zulassen. Insbesondere das Fernsehen als die wichtigste Informationsquelle der Menschen in Bosnien-Herzegowina wird von den serbischen und kroatischen, aber auch von den bosniakischen Nationalisten als Propagandamittel genutzt.
Medienvertreter anderer Volksgruppen werden von den jeweiligen Herrschern nicht geduldet. So konnte neulich ein Team des bosnischen Fernsehens BHTV nur unter dem Schutz des deutschen Botschafters nach Srebenica reisen und dort erstmals seit den schlimmen Vorkommnissen im Juli 1995 Aufnahmen von der Stadt machen.
Seit den nationalen Wahlen im September 1996 hat sich der Druck auf unabhängige Medien, vor allem auf Printmedien in der Republika Srpska, erheblich verschärft. Hier müssen wir Alternativen aufbauen.
Jede Alternative muß einen langfristigen Ansatz haben. Es reicht nicht aus, kurzfristig mit hohem Mitteleinsatz für die Wahlen einen Sender aufzubauen, der anschließend nicht lebensfähig ist.
({2})
Ob ein Sender erfolgreich ist, entscheidet sich erst bei langfristiger Betrachtungsweise.
Das von dem Hohen Repräsentanten und der Open Society erarbeitete Konzept des TV-IN verfolgt diesen richtigen Ansatz. Es gibt zwei Phasen: Phase 1, die mit den Wahlen den Abschluß gefunden hat und mit zirka 11 Millionen Dollar unterstützt wurde, und eine zweite Phase, die nun die langfristige Ausstrahlung und Qualität des Programms sichern soll.
Trotz der richtigen Idee hat TV-IN viele Mängel aufgezeigt: Zum einen erreicht es nur überwiegend bosniakisch kontrollierte Gebiete. Das hängt auch damit zusammen, daß das im wesentlichen ein Zusammenschluß von lokalen Sendern ist und die Kapazitäten nicht ausreichen. Nur ein Sfor-Sender in Banja Luka trägt die Informationen auch in den serbisch kontrollierten Teil.
Die Wirkung der Sender in Hinsicht auf die Wahlen blieb gering. Organisatorische Verbesserungen sind unerläßlich.
Das von der Schweizer Regierung unterstützte Fernsehen FERN ist über ethnische Grenzen hinweg zu empfangen. Ich hoffe, daß der Sender mit einem
Christian Schmidt ({3})
hohen Anteil einheimischer Journalisten für gesunde Strukturen sorgt.
BBC World Service, Radio France International, Radio Free Europe, Voice of America und vor allem die Deutsche Welle haben einen wichtigen Beitrag geleistet. Das tägliche Programm mit dem Suchdienst für Flüchtlinge dient vielen Bosniern, vor allem den Flüchtlingen in Deutschland, als wichtigste Informationsquelle für die Geschehnisse in ihrem Heimatland.
Der Aufbau ist noch längst nicht abgeschlossen. Nicht alle Medien sind überlebensfähig, sondern nur einige wenige. Die Deutsche Welle muß bei ihrem Programm für Bosnien-Herzegowina deswegen weiter unterstützt werden. Ich würde es begrüßen, wenn wir ihr Programm für Bosnien-Herzegowina noch ausbauen könnten, weil zuverlässige Informationen für die Bevölkerung gerade in einer Zeit, in der sich die staatlichen Institutionen noch im Aufbau befinden, besondere Bedeutung haben. Noch braucht insbesondere Bosnien-Herzegowina diese Unterstützung.
Der Antrag gibt vieles von diesen Überlegungen wieder. Ich bitte Sie deswegen, dem Antrag so, wie er auf Drucksache 13/6786 vorliegt, zuzustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen alle, daß der zivile Aufbau eines demokratischen und aus eigener Kraft lebensfähigen BosnienHerzegowina nach wie vor große Defizite aufweist. Es gibt kaum funktionierende Verwaltung, kaum eine demokratische Kontrolle der Machtstrukturen. Überall dominieren die nationalistischen Parteien. Gruppen und Initiativen, die sich um Demokratisierung bemühen, und neue demokratische Parteien sind nicht gerade einflußreicher geworden. Wir sind von dem in Dayton formulierten Ziel eines demokratischen einheitlichen und zivilen Bosnien-Herzegowina nach wie vor weit entfernt.
In diesem Zusammenhang haben natürlich die unabhängigen Medien eine große Bedeutung. Ohne sie, die oft so genannte vierte Gewalt, kann öffentliche Kontrolle der Macht nicht funktionieren. Das setzt allerdings voraus, daß die Medien wirklich unabhängig sind. Werden sie dagegen von den Herrschenden kontrolliert, schlägt die Wirkung ins Gegenteil um. Wir kennen das aus den früheren kommunistischen Staaten. Inzwischen entwickeln sich diese Staaten zu Demokratien. Sie haben als erstes neue Staatswappen und Hymnen geschaffen, dann auch Verfassungen geschrieben. In der Realität sind sie aber im allgemeinen von einer öffentlichen demokratischen Kontrolle - insbesondere durch die unabhängigen Medien - weit entfernt. Deshalb ist die Förderung unabhängiger Medien eine vorrangige Aufgabe.
Ich bedauere, daß wir diesen Antrag mit einjähriger Verspätung behandeln, auch wenn er in einer aktualisierten Fassung vorliegt. Wir sind immer noch verpflichtet, in diesem Bereich weiteres zu tun. Die Wahlen, für die die Medienfrage ursprünglich besonders angesprochen wurde, sind immer noch nicht abgeschlossen; die Kommunalwahlen stehen nach wie vor aus. Es wird das Problem der Medien also auch bei der Vorbereitung der kommenden Kommunalwahlen immer noch geben. Die Notwendigkeit der kritischen Information gilt sowohl für die Printmedien als auch für den Rundfunk und insbesondere für das Fernsehen, was zwar die größte Breitenwirkung hat, aber am unterentwickeltsten ist.
Ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß die ökonomische Unabhängigkeit der Medien ein wesentliches Element ist. Deshalb begrüße ich die in der Beschlußfassung geforderte Aufhebung des staatlichen Druckmonopols in der Republik Srpska. Auch in der Föderation muß in dieser Richtung noch weiteres getan, gesichert und erweitert werden. Die Rundfunk- und Fernsehstationen müssen mit entsprechend starken Sendern ausgestattet werden, und der Zugang zu ausreichenden Frequenzen muß gesichert sein. Es sollte endlich mit dem Gießkannenprinzip, nach dem die Zuwendungen verteilt werden, aufgehört werden. Die Zuweisung ausländischer Mittel sollte vielmehr kontrollfähige Kriterien voraussetzen, die dann auch durchgesetzt werden müssen. Ein solches Kriterium für Zuwendungen sollte in jedem Fall die Verpflichtung, für die Verständigung zwischen den verschiedenen Nationalitäten zu werben, sein.
Herr Schmidt hat vorhin auf die Vielzahl von Medien hingewiesen, die neu entstanden sind. Aber nur die wenigsten von ihnen sind wirklich unabhängig. Als positive Beispiele nenne ich einmal „Radio ZID", „Studio 99" und die Zeitschrift „Deni". Das sind Medien, die eine Förderung wirklich verdienen, weil sie ihre Unabhängigkeit bewahrt haben. Wenn wir das nicht tun, wird das Ziel von Dayton in immer weitere Ferne rücken. Dagegen müssen wir etwas tun, denn wir werden auch weiterhin davon betroffen sein, was in Bosnien-Herzegowina passiert. Ohne die öffentliche Kontrolle der Macht durch unabhängige Medien wird es die zivile Gesellschaft, die wir wünschen, nicht geben - weder in Bosnien-Herzegowina noch sonst irgendwo.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Prof. Dr. Karl-Hans Laermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich an den Anfang meiner kurzen Ausführungen zu dem jetzt anstehenden Thema sagen, daß wohl die generelle Feststellung gilt: Ohne freie Medien ist der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft nicht denkbar. Die Geschichte hat gerade uns Deutschen immer wieder vorgeführt, welche große Bedeutung unabhängige Medien für den
Aufbau und die Stärkung von Demokratie besitzen. Die liberalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts wären ohne das damals aufblühende Zeitungswesen nicht denkbar gewesen.
Andererseits bewiesen die Zensur der damaligen konservativen Regierungen ebenso wie die Gleichschaltung der Medien im Nationalsozialismus, wie groß die Furcht vor der Wirkung unabhängiger Medien sein kann. Im Deutschland der Nachkriegszeit wurden neue Medien auf lokaler, regionaler und schließlich bundesweiter Ebene von den westlichen Alliierten vor allem deshalb so engagiert gefördert, weil sie aus eigener Tradition um die Bedeutung der vierten Gewalt für die Stärkung der Demokratie wissen.
In den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens zeigt sich nun zweierlei: der Mißbrauch von Medien durch autoritäre Regierungen und die positive Wirkung von unabhängigen Medien dort, wo es sie gibt. In Serbien und Kroatien haben in den vergangenen fünf Jahren gleichgeschaltete Medien den Friedensprozeß boykottiert und die Politik der ethnischen Trennung unterstützt. In Belgrad sind unabhängige Medien jetzt eine der Hauptforderungen der Opposition. In Mazedonien und Slowenien hingegen hilft eine hoffnungsvolle Medienlandschaft diesen Ländern auf ihrem Weg zu Demokratie und damit auf ihrem Weg nach Europa.
In der Frage der Förderung unabhängiger Medien in Bosnien und Herzegowina sind sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages einig. Ich begrüße deswegen auch im Namen meiner Fraktion besonders die sehr konkreten Vorschläge, die der vorliegende Antrag enthält.
Im Unterschied zu anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens verfügen nun Bosnien und Herzegowina über eine Reihe freier Medien, die trotz aller Behinderungen für eine multiethnische Politik eintreten. Neben anderen Maßnahmen müssen gerade diese Medien in ihrer Wirkung verstärkt werden.
Der Frieden in Bosnien und Herzegowina ist noch sehr brüchig. Deshalb möchte ich einen Kernsatz des vorliegenden Antrags nachdrücklich unterstreichen:
Die freie Berichterstattung, die zivile Kontrolle der Macht durch freie Medien, ist stets ein wesentliches Element für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft.
({0})
Meine Damen und Herren, hier zählt aber jeder Tag. Die Abhaltung der Kommunalwahlen ist für den September dieses Jahres vorgesehen. Die Förderung unabhängiger Medien in Bosnien und Herzegowina besitzt deshalb hohe Dringlichkeit.
Der Aufbau freier Medien kommt voran, wenn auch nur langsam. Inzwischen existieren zwar über 160 verschiedene Presseorgane und Rundfunksender - wir haben vom Kollegen Schmidt eben eine komplette Aufzählung erfahren - dank der aktiven Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Viele dieser Medienorgane stehen aber noch auf schwachen Beinen.
Es ist weiterhin Hilfe, materielle wie ideelle Hilfe, über das hinaus dringend notwendig, was zum Beispiel die Bundesregierung, das Presse- und Informationsamt des Bundes, die „Deutsche Welle" und alle politischen Stiftungen bisher schon an Hilfe geleistet haben. Privates Engagement, meine Damen und Herren, sollten wir aber auch nicht vergessen. Ich teile die kritischen Anmerkungen meiner Vorredner über das zögerliche Handeln europäischer Institutionen.
Der vorliegende Antrag fordert die Bundesregierung auf, die Entwicklung freier Medienstrukturen in Bosnien und Herzegowina weiterhin zu fördern und zu unterstützen und fordert einige gezielte Maßnahmen. Das ist richtig und wichtig. Diese Forderungen werden seitens meiner Fraktion im vollen Umfang unterstützt. Aber, meine Damen und Herren, vergessen wir nicht, daß auch in anderen Ländern ähnliche Aufgaben zu erfüllen sind. Vergessen wir auch nicht, die Zusammenarbeit mit den Ländern fortzusetzen, in denen freie Medien auf hoffnungsvollem Wege sind. Sie brauchen zur Konsolidierung weiterhin unsere Unterstützung. Schließlich: Ermutigen wir auch zu mehr privatem Engagement.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS-Bundestagsgruppe kann grundsätzlich der vorliegenden Beschlußempfehlung des federführenden Auswärtigen Ausschusses zustimmen. Gestatten Sie mir dennoch einige wenige Bemerkungen, da wir einige weiterführende bzw. in Teilbereichen leicht abweichende Auffassungen über den Prozeß vertreten, der dann ablaufen wird, wenn dieser Antrag durch den Bundestag angenommen sein wird und die Bundesregierung letztendlich hinsichtlich der Umsetzung Verantwortung auf sich nehmen wird. Vielleicht laufe ich ausnahmsweise auch einmal offene Türen ein.
Ich beginne mit dem letzten Fakt des Textes der Beschlußempfehlung, der sich mit der Rolle der Deutschen Welle beschäftigt. Natürlich ist das Anliegen, für die Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina und für die große Zahl von Flüchtlingen Informationssendungen über die Situation und den Stand des Aufbaus im Land zu gestalten, zu unterstützen.
Warum aber sollten wir uns nicht folgende Beschränkungen auferlegen: Die Deutsche Welle stellt ausschließlich ihre technische Infrastruktur zur Verfügung und die Bundesregierung darüber hinaus die finanziellen Mittel, damit diese Sendungen von einer Redaktion gestaltet werden können, die in ihrer politischen, weltanschaulichen und ethnischen Zusammensetzung wenigstens ein annäherndes Bild der
gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in Bosnien-Herzegowina widerspiegelt.
Das heißt, um auch nicht den leisesten Verdacht hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Einmischung von außen in einem so sensiblen Feld wie der Informations- und Meinungsfreiheit aufkommen zu lassen, sollten die Menschen dieser Redaktion ihren jetzigen bzw. ihren früheren Lebensmittelpunkt in Bosnien-Herzegowina gehabt haben bzw. haben.
Im weiteren verweist der Antrag richtigerweise auf die deutschen Nachkriegserfahrungen auch im Zusammenhang mit der Rolle der Medien beim Aufbau einer pluralistischen Demokratie. Nun läßt sich 1945 schwerlich mit 1989 vergleichen. Aber eine Erfahrung aus der Zeit unmittelbar nach 1989 sollte in unsere Überlegungen einfließen. In dieser Zeit entstand auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eine inhaltlich reiche und lebendige Alternativpresse, die aus keinem anderen Grund als dem der erdrückenden Übermacht der Großen im ökonomischen Konkurrenzkampf verschwand.
Hier haben wir eine wohl schwerlich wiederholbare gesellschaftliche Chance verspielt. Aus dieser Erfahrung heraus sollten wir unsere Hilfe in der Art anbieten, daß neben dem sich fast zwangsläufig entwickelnden dualen Mediensystem in Bosnien-Herzegowina eine finanziell abgesicherte Nische entsteht bzw. entstehen kann, in der sich ein Medienteil entwickelt, wo sich Bürgerbewegungen, Vereinigungen, ethnische und soziale Minderheiten sowie andere artikulieren können. Ich denke, damit wird Hilfe auch mit Würde annehmbar.
Danke.
({0})
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Freimut Duve zu einer Kurzintervention das Wort.
Herr Kollege, wenn man sich sehr viele Jahre mit dem Aufbau der Medien nach 1945 befaßt hat, was ich beruflich tun mußte, und in den letzten drei Jahren auch durch viele Besuche mit den Vorgängen in Bosnien konfrontiert wurde, dann will ich Ihnen sagen, daß die Vorstellung, erst eine Gruppe von Menschen, die ideologisch, ethnisch usw. genau zusammenpassen, damit nichts passiert, garantieren zu müssen, um dann helfen zu können, an der Realität der letzten Jahre vorbeigeht.
Nach 1945 entstand unser öffentlich-rechtliches Mediensystem, im wesentlichen durch die Briten geschaffen. Ich denke, wir sollten in Bosnien ein öffentlich-rechtlich geführtes Radio fördern. Zur Zeit aber gibt es Medien, auch freie Medien, zum Beispiel „Slobodna" und „Vreme" in Belgrad, die die ganze Zeit über hervorragend berichtet haben und sich diesen Ausgewogenheitsbedingungen nicht zu unterstellen brauchten, die Sie soeben gefordert haben. Das waren fabelhafte mutige junge Leute, die mitten im Krieg etwas anderes sagten und schrieben, als man ihnen eigentlich gestattet hätte, wenn sie sich seinerzeit solchen Kontrollmechanismen unterworfen hätten.
Das heißt, wir helfen ohnehin nur von außen. Denn wir haben in dieser Region unendlich viele hochbegabte Journalisten. Es sind gerade die Journalisten, die am ehesten wissen, daß sie nur zu Europa gehören können, wenn sie den gesamten Bereich des ethnischen Kampfes und der Fortführung des Krieges hinter sich lassen. Es sind gerade die Journalisten, die das abwehren.
Wenn wir jetzt sehr früh diese Kontrollmechanismen einführen würden, die Sie gefordert haben, also erst einmal sozusagen architektonisch alles ganz besonders gut schaffen, bevor die Journalisten überhaupt Geld erhalten, dann besteht sofort eine lokale Machtkontrolle im Sender und in der Zeitung. Das wissen wir aus der bitteren Erfahrung gerade der letzten Monate.
Herr Abgeordneter Bierstedt, Sie haben das Recht zu einer Antwort.
Herr Kollege Duve, ich schätze Ihre Erfahrungen sehr. Ich denke, wir haben überhaupt keinen Dissens.
Es ging ganz einfach um die Frage der Deutschen Welle. Ich würde es mir wünschen, wenn wir die jungen Menschen, von denen Sie gesprochen haben, hierherholen und ihnen die technische Infrastruktur der Deutsche Welle vorbehaltlos zur Verfügung stellen würden. Das war mein Ansehen. Wir sollten wenigstens den Versuch unternehmen, mehr nicht.
Danke.
Ich erteile jetzt Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zu diesem Thema seitens der Bundesregierung sagen, daß wir natürlich mit Ihnen völlig übereinstimmen, wenn hier sehr deutlich gesagt wird, ohne freie Medien läßt sich weder das Abkommen von Dayton umsetzen noch der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in Bosnien bewerkstelligen.
Das ist bei den Septemberwahlen 1996 deutlich geworden. Damals war ein Schwachpunkt der Wahlen das zu Recht kritisierte erdrückende Übergewicht der staatlichen Medien, die den Oppositionsparteien die Selbstdarstellung nur ganz ungenügend ermöglichten. Hier ist - besonders im Hinblick auf die Kommunalwahlen im kommenden September - weiterhin Druck der internationalen Gemeinschaft notwendig.
Aber es gibt auch Fortschritte. Sie haben das ja alles schon herausgestellt. Trotz der bestehenden Probleme kommt der Aufbau freier Medien langsam voran. Mittlerweile existiert bereits eine beachtliche Medienvielfalt. Es gibt 165 verschiedene PresseorStaatsminister Helmut Schäfer
gane und Rundfunksender für eine Bevölkerung von nur vier Millionen Menschen.
Diese Vielfalt wäre ohne die aktive Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nicht möglich gewesen.
({0})
Aber wir sind uns auch darüber im klaren, daß viele unabhängige Medien - das haben die Kollegen Laermann und Duve sowie andere bereits gesagt - wirtschaftlich auf äußerst schwachen Beinen stehen und weiter dieser internationalen Unterstützung bedürfen. Deutschland hat in der Vergangenheit in erheblichem Umfang solche Unterstützung geleistet und wird es auch weiter tun.
Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen. Die Bundesregierung unterstützt die im SPD-Antrag genannten unabhängigen Fernsehstationen „Open Broadcast Network/TV IN" . Hierbei handelt es sich um ein Netzwerk aus unabhängigen Fernsehstationen, die sich gemeinsam für eine pluralistische Medienlandschaft einsetzen.
Dieses Fernsehprogramm kann nun nach der kürzlich erfolgten Eröffnung einer Station in Banja Luka sowohl in der Föderation als auch in der Republik Srpska empfangen werden. Das Projekt wurde 1996 vom Auswärtigen Amt mit einer Million US-Dollar aus Mitteln der Demokratisierungshilfe gefördert.
Der Intendant der Deutschen Welle, die hier mehrfach zitiert wurde, hat mir gerade in einem Schreiben mitgeteilt, daß er jetzt den Abschluß eines Vertrages mit diesem Sender getätigt hat, der der Deutschen Welle eine landesweite Fernsehpräsenz sichert. Das heißt, der Privatsender „Open Broadcast Network/ TV IN" in Sarajevo wird in Zukunft sieben Stunden pro Woche des Programms der Deutschen Welle mit bosnischer Untertitelung übernehmen. Insofern ist das, glaube ich, schon ein wertvoller Beitrag auch für die neutrale Information, die für die Menschen dort notwendig ist.
Die Deutsche Welle plant ebenfalls, ihre gegenwärtig täglich halbstündige Informationssendung für Bosnien und Herzegowina sowie für die bosnischen Flüchtlinge in Deutschland ab Mai oder Juni dieses Jahres auf eine volle Stunde auszudehnen.
Das Bundespresseamt hat im vergangenen Jahr sieben Rundfunk- und Fernsehanstalten mit Ausstattungshilfen im Gesamtwert von 212 000 DM unterstützt. Es ermöglicht ferner Hospitanzen für junge Journalisten aus Bosnien bei der Deutschen Welle und führt Quotenreisen für bosnische Journalisten durch.
Daß alle politischen Stiftungen im Medienbereich in Bosnien aktiv sind, ist außergewöhnlich gut: von der Friedrich-Ebert-Stiftung über die KonradAdenauer-Stiftung bis hin zur Friedrich-NaumannStiftung sowie auch die Heinrich-Böll-Stiftung. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis. Hier wird geholfen, daß die Menschen in Bosnien in Zukunft Medien aufbauen können. Das ist dringend erforderlich.
Daneben arbeitet natürlich eine Vielzahl internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen im Medienbereich, insbesondere die OSZE, die EU - wir müssen selbstverständlich darüber sprechen, woran es liegt, wenn Mittel nicht abfließen oder nicht abgerufen werden; ich halte das für einen wichtigen Hinweis -, das Büro des Hohen Repräsentanten, der Europarat und die UNESCO.
Die Vielfalt all dieser Aktivitäten zeigt: Im Medienbereich ebenso wie beim Wiederaufbau bedarf die von öffentlichen und privaten Gebern gewährte Unterstützung der Koordinierung.
Viele erfahrene Journalisten sind im Krieg umgekommen oder haben Bosnien verlassen. Nun heißt es insbesondere, eine neue Generation von Journalisten beim Aufbau einer pluralistischen Medienlandschaft zu unterstützen, auch in der Republik Srpska. Letztlich muß sich jedoch die Meinungsvielfalt nach der Beseitigung rechtlicher und technischer Hürden aus dem Lande selbst entwickeln. Die internationale Gemeinschaft kann hierzu nur Anschub und Hilfestellung leisten.
Auf unser Bestreben hin hat der letzte OSZE-Gipfel in Lissabon das Mandat zur Einsetzung eines OSZE-Medienbeauftragten bis Ende dieses Jahres beschlossen. Er soll dazu beitragen, daß die Medien in Zukunft in Krisenregionen nicht wieder, wie es in Bosnien der Fall war, durch das Schüren von Haß und Gewalt die Eskalation von Krisensituationen vorantreiben. Ich hoffe sehr, daß der Medienbeauftragte wirkungsvoll arbeitet, damit - Herr Kollege Schmidt, Sie haben völlig recht - die Fristen für die Präsenz ausländischer Truppen eingehalten werden können. Dieses Land muß zu sich kommen und sich dann von innen heraus zu einem demokratischen Staat entwikkeln, in dem alle Menschen miteinander leben können. Ich sage das in Fortsetzung der Debatte, die wir vorhin geführt haben.
Vielen Dank.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung unabhängiger Medien in Bosnien-Herzegowina, Drucksache 13/6786. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4083 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Susanne Kastner, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Förderung eines Modellprojekts für Umwelt und Verkehr im Tourismus
- Drucksachen 13/3554, 13/5519 Berichterstattung:
Abgeordnete Halo Saibold Klaus Brähmig
Dr. Olaf Feldmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Bruni Irber.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bereits vor gut einem Jahr haben wir uns über den Antrag unterhalten. Inhaltlich waren wir uns auch in den Ausschußberatungen ziemlich einig. Es ist sogar vom Vorsitzenden des Verkehrsausschusses Lob für diesen Antrag bekundet worden.
({0})
Allerdings haben Sie im letzten Jahr diesem Antrag nicht zugestimmt, weil einige von Ihnen befürchtet hatten, ich könnte diesen Antrag als Wahlkampfmunition im Landratswahlkampf verwenden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dies habe ich nicht getan. Ich würde es auch nicht tun,
({1})
weil es mir um die Arbeit und das Gehirnschmalz viel zu schade wäre, die unsere Fraktion auf diesen Antrag verwendet hat.
Es geht um ein ernsthaftes Problem, nämlich um die Zunahme des Freizeit- und Urlaubsverkehrs in den nächsten Jahren. Laut einer DIW-Studie ist beim Autoverkehr mit einer Zunahme von 23 Prozent zu rechnen. Bei der Fahrleistung geht es sogar um 45 Prozent. Das Auto nimmt beim Freizeitverkehr mit 60 Prozent Anteil eine Spitzenstellung ein. Im Berufs- und Güterverkehr gibt es bereits Konzepte zur Vernetzung und Verlagerung von der Straße auf die Schiene. Im Freizeitverkehr scheint man sich diesen Bestrebungen zu entziehen.
Deshalb kann man die Formelgleichung ansetzen: Freizeitverkehr = Autoverkehr = individuelle Mobilität. Es gilt jedoch, angesichts der dramatischen Zunahme des Verkehrs umweltverträglichere Formen des Tourismusverkehrs anzustreben. Allerdings hat es auch wenig Sinn, den völligen Verzicht auf das Auto zu predigen. Wer möchte schon im Urlaub gerne auf etwas verzichten?
({2})
- Auf Arbeit im Urlaub verzichte auch ich gerne. Auch Autofahren ist Arbeit und nicht Entspannung.
Unser Antrag zielt darauf ab, einen attraktiven Urlaub ohne Auto möglich zu machen. Dies muß eine Verbindung von Tourismus, Natur und Mobilität sein. Sie ist ein Gewinn an Lebensqualität für alle Beteiligten: für Urlauber, Einheimische und die Natur.
({3})
Anhand einer Modellregion ließe sich die Durchführbarkeit einer solchen Verkehrskonzeption exemplarisch aufzeigen. Wichtig ist es, ein umfassendes Gesamtkonzept zu erstellen, das eine großräumige Vernetzung bestehender und zu schaffender Schienen- und Busverbindungen und des Fern- und Nahverkehrs beinhaltet, und gerade darum geht es mir.
Bisher gibt es Ansätze kleinräumiger Art, landkreisweise oder sogar nur städteweise. Dies ist meiner Meinung nach unsinnig und bedarf einer Vernetzung für eine gesamte Region, wenn dies dann auch auf andere Urlaubsgebiete übertragbar sein soll. Die Eckpunkte hierfür sind bekannt: Abgestimmte Verbindungen, enge Taktfrequenzen - gerade auch an Wochenenden -, attraktive Preisgestaltung usw.
Es gibt bereits lobenswerte Modellversuche in einzelnen Städten und Orten. Der Luftkurort Bodenmais hat hierfür sogar einen Preis bekommen.
({4})
- Herr Dr. Feldmann, ich zeige nur auf, welche lokalen Initiativen es schon gibt,
({5})
die aber der Einbindung in ein Gesamtkonzept bedürfen, und darum geht es.
({6})
- Lassen Sie mich fortfahren; ich komme schon noch darauf zu sprechen.
Warum ist gerade der Nationalpark Bayerischer Wald als Fallbeispiel günstig?
({7})
- Das ist nicht einmal mein Wahlkreis, nur ein Teil dessen. Herr Dr. Feldmann, bitte schön, wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen Sie das in Ihrer Rede, oder geben Sie es zu Protokoll, wenn Sie das tun wollen.
({8})
- Das nehme ich zur Kenntnis, aber jetzt bitte ich Sie, mich ausreden zu lassen.
({9})
Die Eignung des Nationalparkes Bayerischer Wald als Fallbeispiel beruht darauf, daß es hier bereits Vorarbeiten, Gutachten für einzelne Teile und positive Ansätze gibt, zum Beispiel die Einführung eines umweltfreundlichen Nationalparkbusses, die Sperrung
von Straßen im Park für den Individualverkehr und andere Initiativen. Allerdings sind diese auf kleine Räume beschränkt,
({10})
und das ist der Punkt: Dies muß zusammengeführt und überregional - vor allem mit einer grenzüberschreitenden Verkehrskonzeption - verbunden werden.
({11})
- Das ist auch eine nationale Aufgabe, denn immerhin ist die Grenze zwischen Tschechien und der Bundesrepublik Deutschland noch eine nationale Grenze. Hier gibt es noch keine EU-interne Grenze.
Ich möchte Ihnen am Fallbeispiel Bayerisch Eisenstein aufzeigen, was passiert, wenn es eine solche Konzeption nicht gibt. 25 000 bis 30 000 PKWs schlängeln sich täglich durch den Ort. Es gibt stundenlange Staus, und das Resultat ist, daß der älteste Luftkurort im Bayerischen Wald dabei ist, sein Prädikat zu verlieren. Wovon soll diese Region dann leben, und womit soll sie werben? Vielleicht mit dem Slogan „Besichtigen Sie Deutschlands längsten Dauerstau!"?
Anstatt den Ausbau des ÖPNV vorzunehmen, gibt es nun Stillegungspläne der Bahn. Gerade die Strecke Zwiesel-Grafenau-Bayerisch Eisenstein gehört zu den 82 Streckenabschnitten in Bayern,
({12})
die entgegen bisherigen Beteuerungen der Bahn mittelfristig stillgelegt werden sollen.
({13})
- Wir können uns noch darüber unterhalten, ob das lächerlich ist.
Auf der Streichliste der Bahn stehen außerdem zahlreiche Strecken, die seit 1996 in den neu eingeführten Bayerntakt eingebunden und deswegen gerade erst modernisiert oder ausgebaut wurden. Ihre Stillegung ist verkehrs-, umweit- und tourismuspolitisch völlig widersinnig.
({14})
Über die Notwendigkeit einer umweltfreundlicheren Alternative für den touristischen Verkehr gibt es keinen Streit - das haben Sie auch im Ausschuß zugegeben -, wohl aber über die Zuständigkeit des Bundes.
Jetzt komme ich darauf zu sprechen, warum der Bund zuständig ist.
({15})
Erstens ist der Bund zuständig, weil dies Modellcharakter für andere Urlaubsregionen hat und die Ergebnisse übertragbar sind.
({16})
Zweitens ist er zuständig, weil die Herstellung eines grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehrs die Zuständigkeit des Bundes berührt, auch wenn Sie das immer wieder bestreiten.
({17})
Drittens ist der Bund zuständig, weil er bei der Umsetzung des Modellprojekts auch als Verantwortlicher für den Schienenwegeausbau berührt ist.
({18})
Viertens, Herr Dr. Feldmann, würde diese Maßnahme auch Arbeitsplätze schaffen.
({19})
Um noch eins draufzusetzen: Die vielzitierte Freundschaft zwischen der Tschechischen Republik und unserem Lande könnte damit mit Leben erfüllt werden. Wenn die Tschechen auf der anderen Seite bis an die Grenze heranbauen, dann wäre es eine vornehme Pflicht für den Bund, auch auf unserer Seite die Schiene an die Grenze heranzubauen und beide Strecken miteinander zu vernetzen.
({20})
Es ist in den letzten Wochen hier in diesem Hause viel von leeren Haushaltskassen und von der Notwendigkeit der Einsparungen die Rede gewesen. Das ist richtig. Aber gerade gestern oder heute - ich weiß nicht mehr genau, wann ich das gehört habe - hat der Herr Bundeskanzler verkündet, daß er ein 25-Milliarden-DM-Konjunkturprogramm auflegen möchte. Ich kann Sie nur auffordern: Stimmen Sie dem, was wir hier vorschlagen, zu. Dann können wir Arbeitsplätze schaffen und Arbeitsplätze sichern, auch in strukturschwachen Regionen. Wir können damit auch eine umweltfreundliche Verkehrslandschaft schaffen sowie Tourismus, Verkehr und Natur in Harmonie bringen.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der heutigen Debatte, die auf den ersten Blick etwas Reizvolles an sich hat, nämlich die Förderung eines ModellprojekKlaus Brähmig
tes für Umwelt und Verkehr im Tourismus, sehe ich nicht so recht die Zuständigkeit des Bundes für den vorliegenden Antrag der SPD gegeben.
({0})
Voranzustellen ist auch, daß es in diesem Bereich wahrlich schon genug Pilotprojekte gibt.
Herr Abgeordneter, Entschuldigung, daß ich Sie schon so früh störe, aber es wird eine Zwischenfrage gewünscht.
Ja.
Herr Kollege Brähmig, ist Ihnen bekannt, daß es in früheren Jahren bei einem Verkehrsminister Warnke ein Modellprojekt zum öffentlichen Personennahverkehr im nördlichen Bayern, in Wunsiedel, gegeben hat, das seine Ausstrahlungen auf alle anderen Bundesländer haben sollte und das einzig und allein mit Bundesgeldern finanziert wurde?
({0})
Das ist mir wohl bekannt, liebe Frau Kastner, aber das spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.
Für mich stellt sich sofort die Frage, wieso der Bund hier Finanzmittel zur Verfügung stellen soll, obwohl es sich doch eindeutig um eine regionale Angelegenheit handelt. Die Eigenständigkeit der Länder und Kommunen wird ansonsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont und angemahnt. Wenn jedoch Geld benötigt wird, ist auf wundersame Weise der Bund zuständig und soll bezahlen.
({0})
Dies ist offensichtlich der Hauptgrund, ein sogenanntes Modellprojekt zu fordern. So geht es doch nun wirklich nicht, liebe Kollegin Irber.
({1})
Ihr Antrag gehört daher in den Land- und Kreistag, wobei Sie allerdings auch dort berücksichtigen sollten, daß mit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ab 1. Januar 1996 im Zuge der auch von der SPD mit verabschiedeten Bahnreform den Zuständigen vor Ort die Kompetenzen und finanziellen Mittel für die Lösung der regionalen Verkehrsprobleme in die Hand gegeben worden sind.
Der Nationalpark Bayerischer Wald, der seit 25 Jahren besteht, ist der älteste Nationalpark von nunmehr zwölf in der Bundesrepublik Deutschland und gleichzeitig der Partner des Nationalparks Sächsische Schweiz, der zufälligerweise auch Zentrum meines Bundestagswahlkreises ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie bitte eine zweite Zwischenfrage, diesmal von Frau Irber?
Bitte schön.
Herr Kollege Brähmig, geben Sie mir recht, daß ein Gebiet, das etwa acht Landkreise umfaßt und darüber hinaus sogar ein bißchen über den Regierungsbezirk hinaus und auf die tschechische Seite hinüberreicht, nicht im Kreistag und auch nicht im Bayerischen Landtag abzuhandeln ist? Ich kann Ihnen sagen, daß sich die Bayerische Staatsregierung gleichwohl bemüht, Verbesserungen einzuführen, aber lediglich auf gewissen Streckenabschnitten, nun zum Beispiel auf der Strecke FreyungJandelsbrunn. Glauben Sie, daß das genügt?
Liebe Frau Kollegin Irber, ich sage Ihnen da ganz klar und offen, wie ich es auch im Ausschuß gemacht habe: Wo ein Wille, da ist auch ein Weg, um diese Koordinierung hinzubekommen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehrfach habe ich in den letzten Jahren den Bayerischen Wald besucht. Ich unterstütze ausdrücklich das Anliegen der Erweiterung des Nationalparks, gerade auch aus touristischer Sicht. Nationalparke und Großschutzgebiete sind längst zu Wirtschaftsfaktoren für diese strukturschwachen Räume geworden. Eine Zahl soll dies verdeutlichen: Allein im Jahre 1994 haben zirka 9 Millionen Menschen die fünf Nationalparke der neuen Bundesländer besucht.
Allerdings wird weder in der Deutschlandwerbung noch im Ausland diesem Imagefaktor genügend Rechnung getragen. Frau Schörcher hat mir, wie Sie wissen, auf der ITB in diesem Jahr zugesagt, diese Produktnische durch ein innovatives Angebot auszufüllen.
({1})
Hier genau liegt die Chance, auch Steuerungs- und Lenkungsmaßnahmen für Besucher umzusetzen.
({2})
Liebe Frau Kastner, Sie wissen ganz genau - ich habe das auch schon mehrfach im Ausschuß dargestellt -: 1993 habe ich für die Sächsische Schweiz das erste Tourismusleitbild initiiert,
({3})
welches für eine deutsche Ferienregion unter der
Moderation der Münchener Firma Futour im März
1995 erstellt, in der zweiten Stufe durch den TourisKlaus Brähmig
musverband Sächsische Schweiz weiterentwickelt und im März 1996 auf der ITB in Berlin vorgestellt worden ist.
({4})
Heute ist das Leitbild längst zum allgemeinen Fachbegriff geworden und wird von allen Parteien und Institutionen anerkannt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Kastner, ein wichtiger Punkt sind dabei Verkehrslenkungs- und -beruhigungsmaßnahmen für die ganze Nationalparkregion.
({6})
Ich bin sicher, es wird uns gelingen, für die Region Sächsische Schweiz auch ein Verkehrsleitbild zu entwickeln und dies nicht für die Ablage vorzusehen. Warum sollte das nicht auch für den Bayerischen Wald gelingen?
({7})
Die Lösung der Verkehrsfragen gehört zu den wichtigsten Problemstellungen in den touristischen Regionen. Ich will Ihnen, Frau Irber, noch einmal meine Empfehlung geben, solches auch für den Bayerischen Wald zu initiieren und allerdings selbst zu finanzieren, das heißt, durch die Region.
Lassen Sie mich noch einige Zahlen nennen. Der Bayerische Wald zieht jährlich etwa 1,5 Millionen Besucher in seinen Bann. Allein in der Sächsischen Schweiz sind im vergangenen Jahr etwa 1,8 Millionen Übernachtungen gezählt worden.
({8})
Dazu kommen noch einmal zirka 12 Millionen Tagesausflügler aus dem Großraum Dresden. Vordringlich ist bei diesen letztgenannten Zahlen, die im Bayerischen Wald ähnlich sein dürften, eine enge Zusammenarbeit mit allen Verkehrsträgern zu berücksichtigen. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die Nationalparkverwaltung, den Landkreis, die Politik, den regionalen Tourismusverband, die Deutsche Bahn AG sowie öffentliche und private Verkehrsträger.
({9})
Dem Anliegen des SPD-Antrages könnten wir durchaus zustimmen.
({10})
Nur hat die Realität hier Ihre Forderungen längst eingeholt. Erinnern möchte ich nur an die vor wenigen Tagen hier in Bonn vorgestellten Projekte des Bundeswettbewerbes „Umweltfreundliche Fremdenverkehrsorte in Deutschland 1996". Dort wird in Kapitel 4 besonders auf innovative Verkehrslenkungsund -beruhigungsmaßnahmen hingewiesen; entsprechende Projekte werden vorgestellt, so zum Beispiel auch aus Bodenmais im Bayerischen Wald. Ich darf hier ganz besonders auf die Modellregion Oberstdorf im Allgäu bei meinem Kollegen Gerd Müller hinweisen. Das ist eine durchaus bemerkenswerte Sache.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für effektiv, eine Synopse aller deutschen Nationalparke nach vorher zu bestimmenden Kriterien wie beispielsweise Intensität des Nah- und Fernverkehrs, des ruhenden, des fließenden Verkehrs, der Tagesbesucher, Investitionen und Fremdenverkehrsintensität anfertigen zu lassen. Erst dann kann gegebenenfalls gemeinsam in Abstimmung mit dem zuständigen Bundesland ein weiteres Vorgehen überlegt werden.
Zum Abschluß ein Wort zur Expo 2000 in Hannover. Ich bin der festen Überzeugung: Hier wird ebenfalls eine Vielzahl von innovativen Verkehrsmanagement- und -lenkungsmaßnahmen in Projekten vorgestellt werden. Wir sollten in unserem Ausschuß auch die touristisch relevanten Ansätze dieser Projekte betrachten und in der weiteren Arbeit diskutieren.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Halo Saibold.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte zeigt zum wiederholten Male die Doppelzüngigkeit der Politik der Koalitionsparteien:
({0})
Auf der einen Seite geben Sie im Tourismusausschuß zu, daß der ständig steigende Autoverkehr im Freizeitbereich die Grundlagen für Erholung und Urlaub untergräbt. Sie wissen, daß Befragungen von Touristen und Touristinnen ergeben haben, daß der Autoverkehr die Beschwerdelisten anführt. Sie wissen, daß 60 Prozent aller schädlichen Autoabgase aus dem Urlaubs- und Freizeitverkehr stammen. Auf der anderen Seite blockieren Sie aber jeden noch so kleinen konstruktiven Vorschlag, der zu einer Entspannung der Verkehrslage in einer touristisch und ökologisch wertvollen Region beitragen könnte und gleichzeitig ein Signal für andere Regionen darstellen würde.
({1})
Es gibt hier zwar schon viele Bemühungen, aber es darf nicht bei einzelnen lokalen Ansätzen bleiben.
({2})
Eine ganze Urlaubsregion muß mit dem öffentlichen Verkehr so vernetzt werden, daß die Urlauber und Urlauberinnen von vornherein nicht auf das Auto angewiesen sind.
({3})
Das beginnt bei der Anreise, geht über den Gepäcktransport vom Bahnhof zur Unterkunft und betrifft dann vor allen Dingen die autofreie Mobilität am Urlaubsort. Auch im Bayerischen Wald gibt es hierzu bereits eine Menge positiver Ansätze, die aber zu wenig vernetzt sind, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
({4})
Mit einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Land und Kommunen könnte hier der Durchbruch geschafft werden und auch dem Ferienticket der DB, das für diese Region angeboten wird, zum Erfolg verholfen werden.
({5})
Wir sollten hier aber nicht nur über den Bayerischen Wald reden, sondern auch die anderen Urlaubsregionen sehen. Es macht mich wütend, wenn ich mitverfolgen muß, wie derzeit in Brandenburg und in anderen neuen Bundesländern Jahr für Jahr Bahnstrecken stillgelegt werden, die für den Tourismus und für die Bevölkerung unverzichtbar sind. Auch in Bayern drohen uns weitere Streckenstillegungen, denn die Bahn hat schon angekündigt, daß sie in Zukunft nur noch nach wirtschaftlichem Kalkül vorgehen wird.
({6})
Ich bin der Meinung, es darf nicht so lange gewartet werden, bis auch noch die einzige in Betrieb befindliche Bahnstrecke im Bayerischen Wald stillgelegt wird, weil sie angeblich unrentabel ist.
({7})
Dieses Modellprojekt könnte genau diese Entwicklung stoppen. Ich begrüße deshalb auch Initiativen wie die der Arbeitsgemeinschaft Unterer Bayerischer Wald, die sich mit großem Engagement der örtlichen Bürgermeister und Landräte für die Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke von Passau nach Haidmühle - und damit zur tschechischen Grenze - einsetzt. Diese Bahnstrecke würde nicht nur die direkte Fahrt in den Nationalpark Bayerischer Wald ermöglichen, sie wäre außerdem noch ein Beitrag zur grenzüberschreitenden Kooperation mit Tschechien.
({8})
Das „grüne Dach Europas" hört ja nicht an der Grenze auf, sondern soll zusammenwachsen.
Wegweisend könnte das Modellprojekt Tourismus und Verkehr im Bayerischen Wald gerade auch beim
Marketing für die Bahnanreise und für den Umweltverbund vor Ort sein. Schon bei der Urlaubsplanung muß den potentiellen Urlaubsgästen schmackhaft gemacht werden, wie flexibel, bequem und erlebnisreich sie die Gegend mit dem Bus, mit dem Fahrrad, mit dem Zug oder beim Wandern erkunden können. Für ein solch erfolgreiches Marketing müssen aber auch die entsprechenden Angebote vorhanden sein.
Zum Schluß möchte ich noch einen Satz sagen: Auf der ITB stellte sich die CDU grüner als grün dar; aber der Parlamentsalltag zeigt schon drei Tage später ein tiefes Schwarz.
Danke.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Abgeordnete Olaf Feldmann will seine Rede eigentlich zu Protokoll geben, trotzdem aber einen Satz sprechen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lassen wir dies durchgehen. Aber es darf dann wirklich nur ein Satz sein.
({0})
- Dann dürfen nur vier Minuten zu Protokoll gegeben werden.*)
So ist es richtig, verehrte Frau Präsidentin. Vielen Dank für die Belehrung. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD enthält viel Nettes, Interessantes, Wünschens- und Liebenswertes. Er geht jedoch an die falsche Adresse. Er läuft letzten Endes auf eine Verkehrserschließung des Bayerischen Waldes auf Kosten des Bundes hinaus. Doch auch unter dem Mäntelchen des Modellversuches ist dies keine Bundesangelegenheit. Das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen. Es handelt sich ganz klar um eine Aufgabe der Kommunen und des Landes, um regionale Angelegenheiten. Eigentlich muß man sich fragen, wie eine solche Sache überhaupt auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages kommen konnte.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Debatte zur Rolle der Wehrmacht, die wir vorhin hier im Deutschen Bundestag geführt haben - solche Debatten ehren den Deutschen Bundestag und das Plenum -, bin ich persönlich nicht bereit, vor einem fast leeren Plenum anderer Leute Zeit zu stehlen. Dieses Thema kann in den Ausschüssen behandelt werden; da gehört es hin.
Ich verzichte daher auf meinen fünfminütigen Beitrag und gebe meine Rede zu Protokoll. Diese Sache gehört in die kommunalen Parlamente, in die Kreistage. Von mir aus kann sich damit koordinierend
*) Anlage 5
auch der Bayerische Landtag befassen. Ich beantrage Überweisung an den Bayerischen Landtag.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.
({0})
- Ich habe allerdings vorher gefragt, ob das Plenum einverstanden ist, wenn wir so verfahren.
({1}) - Gut, einen Satz.
Können sich die Geschäftsführer vielleicht einig werden, ob diese Rede zu Protokoll gegeben werden kann oder nicht, und mir das Ergebnis mitteilen? Ich werde es dann verkünden.
Jetzt hat die Abgeordnete Christina Schenk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorschläge für einen umweltverträglichen Tourismus liegen seit langem vor. Es ist eigentlich ein Trauerspiel, daß man erst ein Modellprojekt vorschlagen muß, um die Umsetzung dieser Vorschläge auf den Weg zu bringen. Ich meine aber, daß der Antrag der SPD richtigerweise auf das immer größer werdende Problem des Individualverkehrs in Erholungsgebieten hinweist. Die erholungsuchenden Autofahrer und Autofahrerinnen zerstören das, was sie eigentlich suchen, nämlich saubere Luft, Ruhe und unberührte Landschaft.
Es wäre aber zu kurz gegriffen, wenn man den einzelnen die alleinige Schuld zuweisen würde. Solange es keine vernünftige Anbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln gibt, es also auch am Urlaubsort praktisch unmöglich ist, sich mit Bus und Bahn fortzubewegen, finde ich es durchaus verständlich, daß so viele Menschen das Auto benutzen.
Das Problem ist aber meines Erachtens nicht der Tourismus, sondern die generelle Verkehrspolitik in diesem Lande. Das Zurückschrauben des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs statt seines Ausbaus, die Überteuerung und die schlechten Abstimmungen zwischen regionalen und überregionalen Verkehrsmitteln fördern natürlich den motorisierten Individualverkehr. Es ist doch keine Seltenheit - wer öffentliche Verkehrsmittel benutzt, der weiß das -, daß Sie in einem mittelgroßen Ort mit der Bahn ankommen und der Bus Ihnen gerade vor der Nase wegfährt. Solange es also noch immer viel einfacher und bequemer ist, mit dem Auto in den Urlaub zu fahren, und die Bundesregierung meint, daß die Politik da nicht eingreifen müsse, wird sich an der Gesamtsituation nichts ändern.
Im Gegenteil: Wie die Diskussion in den vergangenen Tagen gezeigt hat, sollen sogar 30 Prozent des Schienennetzes gefährdet sein. Noch dementiert zwar das Bundesverkehrsministerium, aber das interne Papier der Bahn AG sagt etwas anderes. Danach sollen zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern fast zwei Drittel der Schienenwege stillgelegt werden. Gerade dieses Bundesland ist auf den Tourismus besonders angewiesen. Hier werden neue Verkehrsprobleme geradezu produziert.
Das Modellprojekt Bayerischer Nationalpark, das heute hier zur Diskussion steht, ist sicher keine Lösung für die gesamte desolate Verkehrssituation, es wäre aber, so meinen wir, ein Zeichen für Alternativen. Außerdem könnte dieses Modellprojekt Vorbild für andere Urlaubsregionen sein; denn katastrophale Verkehrszustände sind in einigen Urlaubsgebieten durchaus nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, zumindest an sonnigen Wochenenden. Zum Beispiel kommt es auf Rügen und auf den Wegen nach Rügen regelmäßig zu Staus. Aber auch in anderen Regionen wäre ein geringeres Verkehrsaufkommen eine Wohltat für Mensch und Umwelt.
({0})
Möglicherweise würden Touristinnen und Touristen ihre positiven Erfahrungen, wenn dieses Modellprojekt umgesetzt würde, mit nach Hause nehmen und dann vielleicht auch dort häufiger mit Bahn, Bus oder auch mit dem Fahrrad fahren. Sie würden vielleicht auch für den politischen Druck sorgen, damit ähnliches in ihrer Heimatregion geschieht. Nicht zuletzt würden auch die Anwohnerinnen und Anwohner im Nationalpark Bayerischer Wald von der verbesserten Verkehrssituation profitieren.
Die PDS unterstützt deshalb den Antrag der SPD. Er ist zumindest ein Tropfen auf den heißen Stein.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Irber ist eine der sympathischsten Kolleginnen, und der Bayerische Wald ist eine der schönsten deutschen Fremdenverkehrsregionen. Deshalb darf man auch einmal ein paar Minuten hier miteinander darüber diskutieren.
Ich halte die in Ihrem Katalog angestoßenen Maßnahmen durchaus für sinnvoll. Diese kann man sicherlich unterstützen.
({0})
Ein Modellprojekt Bayerischer Wald zu entwickeln - auch das kann man durchaus unterstützen, obwohl wir solche Modellprojekte schon hatten. Herr Kollege Brähmig hat dankenswerterweise auf das Allgäu, auf
das autofreie Oberstdorf hingewiesen. Ich darf auf die Sächsische Schweiz, ein herausgehobenes Modell, hinweisen.
({1})
Auch lohnt es sich, einmal einen Urlaub in der Ostseeregion zu machen, zum Beispiel in Zingst.
Jetzt komme ich zum Ernst der Dinge. Herr Kollege Feldmann, ich gebe Ihnen in der Beurteilung vollkommen recht: Man muß die Dinge natürlich dort regeln, wo sie zuständigkeitshalber zu regeln sind. Die Zuständigkeit ist eindeutig beim Land, bei den Kreisen und Regionen anzusiedeln.
({2})
Frau Kollegin Irber, Sie wissen im Hinblick auf all die Dinge, die Sie in Richtung Bahn fordern, sehr genau, daß die Bahn privatisiert ist. Also müssen Sie sich mit all diesen Fragen an den Bahnvorstand richten.
Unabhängig davon habe ich mich heute sachkundig gemacht und bei der Naturparkverwaltung Bayerischer Wald angerufen. Siehe da, es herrscht große Zufriedenheit über den gegenwärtigen Zustand. Sie regen an, es müsse mehr auf den Bus umgestiegen werden. Ich zitiere einmal aus der Nationalparkbroschüre:
Bundesweit einzigartig ist im Nationalpark der Überlandeinsatz von Erdgasbussen mit stark reduzierten Schadstoffemissionen.
({3})
Bundesweit einmalig ist auch der Service, den die Deutsche Bahn AG seit 1996 anbietet.
({4})
Mehr Züge und günstige Angebote der Deutschen Bahn machen die Urlaubsanreise 1997 noch attraktiver: mit dem ICE bis Plattling oder Zwiesel - direkter Anschluß.
Liebe Kollegin Irber, dies ist also längst alles umgesetzt. Ich habe den leisen Verdacht, daß Sie die letzten zwei Jahre nicht mehr im Nationalpark Bayerischer Wald waren.
({5})
Sie wecken vielleicht sogar in anderen Fremdenverkehrsregionen schlafende Hunde. Ich habe mir einmal eine Liste geben lassen, was in den letzten Monaten und in den letzten zwei Jahren an finanziellen Mitteln in diese Region geflossen ist.
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich stören muß. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Halo Saibold?
Sehr gerne.
Herr Müller, da Sie der Meinung sind, daß der Bayerische Wald es wert ist, über ihn einige Minuten zu reden, habe ich die folgende Frage: Ist Ihnen bekannt, daß der Bayerische Wald etwas größer ist und nicht nur die Bahnstrecke von Plattling nach Zwiesel umfaßt, sondern bis an die österreichisch-tschechische Grenze reicht,
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und daß es deswegen notwendig ist, in dieser Region wesentlich mehr zu tun und insbesondere die Vernetzung zu organisieren? Sie als erfahrener Kommunalpolitiker wissen sicherlich, daß Ausarbeitungen und Umsetzungen über Grenzen von Regionen hinweg nicht einfach so passieren. Es wäre daher sehr wohl notwendig, daß der Bund ein Modellprojekt gerade in Anbetracht der Anbindung an Tschechien unterstützt. Ich bitte Sie, sich Ihren Beschluß noch einmal zu überlegen.
Frau Kollegin Saibold, danke für die Zwischenfrage. Ich würde sogar mitmachen, wenn der Tourismusausschuß seine nächste Dienstreise nicht auf eine ferne Insel in dieser Welt macht, sondern einen Besuch im Nationalpark durchführt.
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Noch einmal zur Sache: Ihnen ist offensichtlich nicht bekannt - auch Ihnen nicht, Frau Irber, weil dies brandneu ist -, daß die Bayerische Eisenbahngesellschaft im Januar ein Gutachten zu den Reaktivierungsmöglichkeiten genau dieser grenzüberschreitenden Bahnstrecken in Auftrag gegeben hat. Ist Ihnen bekannt, daß das Land Bayern in drei Monaten mit den Ergebnissen eines Verkehrsgutachtens genau zur Lösung dieser Fragen aufwartet?
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- Es gibt schon wieder den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Frau Abgeordnete Irber, ich bin etwas irritiert. Sie hatten sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Jetzt wollen Sie noch eine Zwischenfrage stellen?
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- Bitte.
Herr Dr. Müller, ist Ihnen bekannt, daß sich das Gutachten, das Sie eben zitiert haben und das die Bayerische Staatsregierung ausgeschrieben hat, lediglich auf den Streckenabschnitt Passau-Haidmühle und auf die Strecke zwischen Eging und Vilshofen bezieht, aber nicht auf die Strecke zwischen Plattling, Bayerisch Eisenstein und Pilsen? In diese Richtung zielt unser Antrag. Weil das Problem grenzüberschreitend ist, meinen wir, daß auch eine Zuständigkeit des Bundes gegeben ist.
Das nehme ich gern auf. Das sollten wir am besten bei einer Vor-Ort-Besichtigung mit den örtlichen Bürgermeistern und Kreisräten weiter besprechen.
Ich möchte zum Schluß kommen. Wir wollen hier ja keine Provinzposse aufführen.
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Ich komme noch einmal auf den Kern der Sache: Der Bund ist hier nicht zuständig. Das Land engagiert sich sehr differenziert. Die Bayerische Staatsregierung hat gerade beschlossen, Privatisierungserlöse in Höhe von 25 Millionen DM in die Umsetzung dieser Konzepte zu stecken. Also lassen wir die Zuständigkeiten dort, wo sie hingehören: beim Land und bei der Region. Wir lehnen deshalb Ihren Antrag ab.
Danke schön.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Bruni Irber.
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Frau Präsidentin, danke schön. - Meine Kurzintervention bezieht sich auf die nicht zu Protokoll gegebene - also gehaltene - Rede von Herrn Dr. Feldmann. Herr Dr. Feldmann, ich muß schon sagen: Ich bin von Ihnen sehr schwer enttäuscht, und zwar deshalb, weil Sie mit Arroganz und Ignoranz ein für weite Teile der Bevölkerung drängendes Problem einfach negieren. Wir haben bisher, glaube ich, im Tourismusausschuß gut zusammengearbeitet, auch wenn wir unterschiedlichen Fraktionen angehören. Aber sich hier hinzustellen und zu sagen, es wäre nicht eine Debatte im Deutschen Bundestag wert, wenn man sich für eine Verbesserung von Umwelt- und Naturschutz und der Verkehrssituation einsetzt, das halte ich für unbotmäßig.
({0})
Herr Dr. Feldmann, möchten Sie antworten?
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Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich das Thema zwar für sehr wichtig halte, aber in erster Linie darauf abgestellt habe, daß es nicht in den Deutschen Bundestag gehört, weil diese Fragen nicht von der Bundesregierung erledigt werden können? Alle von Ihnen angesprochenen Themen und Probleme sind auf der kommunalen, auf der regionalen und auf der Landesebene zu lösen. Sie selbst haben der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn zugestimmt.
Dann können Sie sich aber jetzt hier nicht hinstellen und sagen, der Bund möge alles bezahlen. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis!
Vielen Dank.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Parlamentarische Staatssekretär Kolb hat seine Rede zu Protokoll gegeben *).
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung eines Modellprojekts für Umwelt und Verkehr im Tourismus, Drucksache 13/5519. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 3554 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11a und 11 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manna Steindor, Annelie Buntenbach, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Deregulierung der EU-Systemrichtlinie 90/219/EWG
- Drucksache 13/6586 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz
- Drucksache 13/6538 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({2})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zu dem Bericht der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
*) Anlage 5
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll.
Die Abgeordneten Sigrun Löwisch, Gudrun Schaich-Walch, Professor Karl-Hans Laermann und Wolfgang Bierstedt sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl haben ihre Reden zu Protokoll gegeben *).
Ich erteile das Wort jetzt der Abgeordneten Marina Steindor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 1990 haben wir ein Gentechnikgesetz. Hauptzweck war damals, Investitionssicherheit für die Betreiber und eine Grundsatzentscheidung für die Gentechnologie herbeizuführen.
Das absurde Konstrukt aus Förderungs- und Schutzgesetz konnte niemals seinen Schutzcharakter entfalten. Es diente und dient nur der Akzeptanz. Schon damals haben die Umweltverbände deutlich gemacht, daß weder das EU-Recht noch das Gentechnikgesetz dem Vorsorgeprinzip genügt und den Risiken der Gentechnologie gerecht wird. Es ist eine rechtliche Fehlkonstruktion, diese Risikotechnologie mit derartig laschen Regelungen in die Marktwirtschaft zu entlassen.
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All die Bemühungen, Gentechnik einerseits als Schlüsseltechnologie zu einem Mythos hochzustilisieren und sie andererseits in ihren Risikodimensionen zu banalisieren und zu normalisieren, können nicht aus der Welt schaffen, daß sie kommerziell und wissenschaftlich nur entwickelt werden kann durch die systematische Verdrängung der ökologisch-stofflichen, gesundheitlichen und evolutiven Risiken, der Frage ihrer grundsätzlichen Legitimität und Verantwortbarkeit und des Führens einer öffentlichen Debatte über soziale und kulturelle Risiken. Das machen wir nicht mit.
({1})
Deregulierungen im Gentechnikrecht entsprechen - entgegen den Beteuerungen der Bundesregierung - nicht dem Stand der Wissenschaft, sondern nur der Auffassung derer, die die Gentechnik um jeden Preis betreiben wollen. In der letzten Zeit gewonnene Erkenntnisse über das Überleben gentechnisch veränderter Mikroorganismen in der Umwelt und die Stabilität freier DNA rechtfertigen eine Standardanhebung über den Status quo hinaus und eine strikte Regulationspraxis, aber keine Deregulierung.
({2})
*) Anlage 6
Durch Abwasser und Abfälle kommt es derzeit zu Massenfreisetzungen gentechnisch veränderter Bakterien und DNA aus angeblich geschlossenen Systemen. Die unkalkulierte Freisetzung von Genkonstrukten ist ein ökologischer Schaden; sie ist eine gentechnische Umweltverschmutzung.
Wir fordern eine gesetzliche Reregulierung statt Deregulierung.
({3})
Wir fordern die Bundesregierung zu einem politischen Kurswechsel auf - und das sowohl innerhalb der EU als auch bei den Verhandlungen über ein weltweites Protokoll für die biologische Sicherheit.
({4})
Sicherheitsstandards müssen weltweit auf dem höchstmöglichen Niveau angesiedelt werden.
Derzeit fungiert die Bundesregierung aber als Motor weltweiter Deregulierung des Gentechnikrechts. Innerhalb der EU weicht sie die Systemrichtlinie und die Freisetzungsrichtlinie auf. International hintertreibt sie gerade in den letzten Wochen einen konstruktiven Beitrag der EU zu den Verhandlungen über ein Protokoll für die biologische Sicherheit. Sie scheut dabei nicht davor zurück, andere EU-Staaten vor den Kopf zu stoßen.
Der Vorschlag zur Systemrichtlinie ist abzulehnen. Das Europäische Parlament hat das heute nacht in der ersten Lesung schon getan, im übrigen mit den Stimmen der konservativen Partei.
({5})
Sie ist abzulehnen, weil damit insgesamt der schutzund präventivrechtliche Charakter der Systemrichtlinie, so unzureichend er auch ist, in Frage gestellt wird, wegen der gravierenden Absenkung der Sicherheitsstandards, der Einschränkung der behördlichen Kontrollmöglichkeiten, der Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung und besonders deshalb abzulehnen, weil sich die Parlamente selbst entmachten würden. Denn die Bürokratie darf nach dieser Richtlinie selbst entscheiden, welche gentechnisch veränderten Mikroorganismen in den Regelungsbereich dieser Richtlinie fallen.
Wir fordern Reregulierung statt Deregulierung - auch im bundesdeutschen Gentechnikgesetz. Wir fordern eine Erweiterung des Regelungsumfangs um freie gentechnisch veränderte DNA, eine Anhebung des Sicherheitsniveaus, eine Gesetzeskonstruktion ohne Genehmigungsautomatismus, statt dessen ein Versagensermessen, die Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung, eine tatsächliche Deckungsvorsorge und ein Haftungsrecht, die umfassende Kennzeichnung aller gentechnischen Produkte, eine sozio-ökonomische Technikfolgenabschätzung inklusive Bedarfs- und Alternativenprüfung.
Abschließend fordern wir auch, daß die Bundesregierung den genmanipulierten Mais der Firma CibaGeigy hier nicht einführt.
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Wir möchten, daß sie sich dem Beispiel Luxemburgs und Österreichs anschließt, weil es sonst zu unkalkulierten Risiken für Mensch, Tier und Umwelt kommt: durch die Verbreitung der Ampicillin-Resistenz und die Resistenzentwicklung von Raupen gegen bestimmte Bakterien, wie das Wissenschaftsmagazin „New Scientist" in dieser Woche schreibt.
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- Das ist kein polemisches Journal, wie Sie sehr wohl wissen.
Für uns sind die Voraussetzungen für das Einfuhrverbot und die Überprüfung der Zulassung gegeben. Selbst das Antragstellerland Frankreich hat den Gen-Mais bis heute nicht freigegeben, weil er nicht gekennzeichnet ist. Sie aber nehmen die Risiken billigend in Kauf und stellen kommerzielle Interessen über alles.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 13/6586 und 13/6538 sowie die Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/7178 und 13/7196 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Otto Schily, Hans Berger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erhalt der Buchpreisbindung
- Drucksache 13/6061 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({0})
Innenausschuß
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wurde vereinbart, alle Reden zu Protokoll zu geben. Das sind die Reden der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({1}), Freimut Duve, Antje Vollmer, Jürgen Türk, Norbert Lammert und Gerhard Zwerenz. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. *)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/6061 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 14 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Wolfgang Bierstedt, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Postverkehr auf Schienen abwickeln
- Drucksache 13/6827 ZP14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Kristin Heyne, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umweltverträglicher Postverkehr
- Drucksache 13/7161 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({2}) Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell ist vereinbart worden, für die Aussprache eine halbe Stunde vorzusehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll.
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Renate Blank, Paul Laufs, Siegfried Scheffler, Albert Schmidt ({3}) und Horst Friedrich. **) Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Winfried Wolf das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wie so oft am Donnerstagabend, daß unser einziger Punkt in der Woche als letzter aufgerufen wird. Deswegen möchte ich meine Rede nicht zu Protokoll geben. Mich hätte schon interessiert, was zum Beispiel die Gründe der Grünen und der SPD sind, möglicherweise nicht für unseren Antrag zu stimmen.
({0})
- Ja, aber ich hätte es gern hier gehört.
Am 31. Mai 1997 soll der gesamte - verbliebene - Postversand von Briefen im Schienenverkehr eingestellt und auf die Straße und in die Luft verlagert werden. Dieses Segment bringt der Bahn jährlich noch 40 Millionen DM ein. Hinzu kommen die Frachtpost - Pakete und Päckchen, die noch in einem Volumen von 30 bis 40 Millionen DM mit der Deutschen Bahn
*) Anlage 7
**) Anlage 8
AG befördert werden. Auch diese Frachtpost wird systematisch auf die Straße und in die Luft verlagert.
In Arbeitsplätzen gerechnet sind mit dem Weggang der Briefpost weitere 400 Stellen bei der Bahn bedroht. Insgesamt dürfte der Umsatz der Post bei der Bahn im Jahre 1996 noch 900 Arbeitsplätze gesichert haben.
Bei dem Antrag, den wir stellen, geht es bereits um eine Notbremse. Daher forderten wir auch Abstimmung mit der heutigen Debatte und damit in der ersten Lesung.
Ursprünglich setzte die Post bei der Bahn jährlich 400 Millionen DM um, sechsmal mehr als heute. Der Abmarsch auf die Straße und in die Luft ist in vollem Gange.
Wir verlangen mit unserem Antrag zwei sehr bescheidene Dinge: Erstens. Die Bundesregierung muß ihren eigenen Postulaten gerecht werden; ihr kommt eine Vorbildfunktion zu. Laut Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages und laut dem offiziellen - gestern im Verkehrsausschuß erörterten - „Umweltbericht 1996" tragen die Emissionen des Straßen- und Luftverkehrs „wesentlich ... zur Veränderung des globalen Klimas bei."
Zweitens. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „in ihrer Eigenschaft als hundertprozentige Eignerin der Deutschen Post AG und der Deutschen Bahn AG darauf hinzuwirken, daß ein Maximum des technisch realisierbaren Postverkehrs auf Schienen ... abgewickelt wird."
Bei den Castor-Transporten nahm diese Regierung massiv Einfluß auf die Bahn, um ihre umweltzerstörerische Energiepolitik abzusichern. Die dadurch entstandenen Schäden für die Bahn AG sind hinsichtlich der Finanzen und des Images erheblich.
Der hier vorliegende Antrag fordert das Umgekehrte: eine Einflußnahme des Bundes auf Bahn und Post, um eine umweltfreundliche Verkehrspolitik durchzusetzen. Die Folgen wären für beide Unternehmen eindeutig positiv.
({1})
Es ist ja das Bahnmanagement selbst, das der Post ein „schienenfeindliches Logistikkonzept" zuspricht und erklärt, die Bahn könne den Anforderungen der Post durchaus gerecht werden.
Daß Briefpost überwiegend auf Schienen technisch funktioniert und daß dabei ihr auch die Post-Formel „E plus 1" - Zustellung am Tag nach der Einlieferung - realisierbar ist, haben wir im Antrag mit aktuellen Beispielen belegt. Vor allem aber belegen dies historische Erfahrungen: Es waren Reichspost und Reichsbahn, die für ein weit größeres Gebiet und ohne Elektronik einen weitgehend perfekten Postverkehr realisierten. Mit Post auf Schienen ließe sich für große Regionen, Herr Friedrich, sogar „E plus 1/2" realisieren.
Hören Sie das folgende Zitat:
„Und nun, Fritz", so waren Woldemars letzte Worte, „sieh nach dem Rechten. Schicke mir nichts nach; Zeitungen wirf weg. Und die drei Briefe hier, wenn ich fort bin, die tue sofort in den Kasten ... Ist die Droschke schon da?"
„Zu Befehl, Herr Rittmeister."
„Na, dann mit Gott. Und jeden Tag lüften. Und paß auf die Pferde."
Damit verabschiedete sich Woldemar.
Von den drei Briefen war einer nach Stechlin hin adressiert. Er traf, weil er noch mit dem ersten Zuge fort konnte, gleich nach Tische bei dem Alten ein . . .
Das Zitat stammt - Herr Friedrich, Sie haben mich nicht unterbrochen; schade - aus Theodor Fontanes Roman „Der Stechlin".
Der Offizier Woldemar Stechlin ist kurzfristig zu einem Truppenbesuch nach England beordert worden. Vertrauend auf „E plus 1/2" berichtet er dies seinem Vater. Der Brief wird frühmorgens in Berlin aufgegeben. Er erreicht den Vater am selben Tag „nach Tische" 100 Kilometer entfernt auf Schloß Stechlin, bei Rheinsberg.
Was Theodor Fontane Ende des letzten Jahrhunderts, 1898, wie eine Selbstverständlichkeit im 23. Kapitel erwähnte, sollte auch heute möglich sein: eine schnelle, effiziente Post, die überwiegend die Schienenwege nutzt. Eine solche Schienenpost würde auch einen Beitrag dazu darstellen, daß Bahnstrecken nicht, wie jetzt in großem Umfang vorgesehen, abgebaut werden. Genau dies ist - Christina Schenk hat dies schon erwähnt - unter anderem für die bei Fontane erwähnte Region mit den seit zwei Tagen im Detail vorliegenden Plänen für Streckenstillegungen vorgesehen. Auch die 38 Kilometer lange Strecke Löwenberg-Rheinsberg ist dort als für eine Stillegung „zu untersuchen" aufgeführt. Geht es nach der Deutschen Bahn AG, so könnte also demnächst Fontanes Stechlin oder Tucholskys Rheinsberg für den Bahnreisenden unerreichbar sein.
Wir fordern alle Freundinnen und Freunde von Bahn, Post, Umwelt und Theodor Fontane dazu auf, unserem Antrag zuzustimmen.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Gruppe der PDS zur Abwicklung des Postverkehrs auf Drucksache 13/6827. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und den Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/7161 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 14. März 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.