Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform sowie um die Beratung der Vorlagen zur Reform der Gemeindefinanzen zu erweitern. Die Vorlagen sollen jetzt gleich mit einer Debattenzeit von einer Stunde behandelt werden. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Herr Poß?
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- Bitte, Herr Kollege Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich, daß ich als erster das Wort erhalte. Ich möchte den Antrag der Koalition gerne für meine Fraktion begründen. Wir stellen den Antrag, die Unternehmensteuerreform heute früh als ersten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir alle wissen: Die Koalition hat bereits im Jahressteuergesetz 1996 die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die mittelstandsfreundliche Absenkung der Gewerbeertragsteuer begehrt. Wir alle wissen, daß gerade die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ein weiterer wichtiger Standortvorteil für die Bundesrepublik Deutschland ist. Wir wissen, daß diese Steuer kapitalverzehrend ist. Wir wissen, daß sie investitions- und innovationsfeindlich und damit auch arbeitsplatzfeindlich ist. Wir haben dafür Sorge getragen, daß diese Steuer in den neuen Bundesländem ausgesetzt wird, daß sie nicht erhoben wird, weil sie dort insbesondere den Mittelstand belasten würde.
Wir sind mit diesem Begehren bisher nicht mehrheitsfähig gewesen, weil sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat dieses Ansinnen abgelehnt wurde. Auch die verfassungsändernde Mehrheit war bisher nicht zu erreichen, die dadurch notwendig wird, daß wir die Kommunen für den Ausfall dieser Steuer an der Umsatzsteuer beteiligen wollen.
Wir haben seit der vergangenen Woche eine neue Diskussionslage. In den Beratungen des Finanzausschusses in der vergangenen Woche ist erstmals deutlich geworden, daß im Grunde genommen alle Fraktionen unser Anliegen teilen. Wir meinen deshalb, wir sollten jetzt die Zeit nutzen, dieses Gesetz zum Tragen zu bringen.
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In diesen Tagen hat nicht zuletzt der Kollege Poß von der SPD deutlich gemacht, daß diese unserem Begehren nicht zustimmen kann, weil es verfassungswidrig sei, weil die Grundgesetzänderung noch nicht erfolgt sei. Herr Kollege Poß, ich möchte mich ganz persönlich an Sie wenden. Sie haben bisher damit argumentiert, Sie könnten der Verfassungsänderung nicht zustimmen, weil Sie nicht wüßten, was wir materiellgesetzlich regeln wollten. Jetzt folgen wir exakt Ihrer Argumentation, das heißt, wir legen das materirellechtliche Gesetz vor.
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Sie wissen also, was wir wollen und daß wir anschließend die dafür erforderliche Grundgesetzänderung nachreichen wollen. Ich glaube daher, daß Sie dieses Argument so nicht länger aufrechterhalten können. Ich bitte Sie deshalb, der Aufsetzung und der Beratung zuzustimmen.
Ich bedauere außerordentlich, daß Sie - ich behaupte einfach einmal, wider besseres Wissen; denn auch Sie haben sich, vermute ich doch, mit der Verfassungslage auseinandergesetzt - auch und gerade in diesen Tagen wieder behauptet haben, daß dieses Vorgehen verfassungswidrig sei. Sie wissen, Herr Kollege Poß, daß sich das Bundesverfassungsgericht mit vergleichbaren Sachverhalten zweimal höchstrichterlich auseinandergesetzt und dazu auch Entscheidungen getroffen hat.
Ich darf dem Hohen Hause eine einschlägige Begründung aus einem der beiden Urteile zur Kenntnis bringen. Es heißt dort unter anderem, daß dies - das Verfahren, das wir vorgeschlagen haben - für den Fall zugelassen ist, „in dem die gesetzgebenden Körperschaften sich klar und einig darüber sind, daß zwar äußerlich betrachtet zwei verschiedene GesetzHans-Peter Repnik
gebungsverfahren behandelt werden, aber der innere Zusammenhang deutlich macht, daß sie beide in bezug aufeinander betrieben werden und daß" - jetzt kommt es - „das Ergebnis verfassungsgemäß sein soll, daß also im Augenblick der Verkündung des einfachen Gesetzes die entsprechende Verfassungsänderung in Geltung steht, die es verfassungsrechtlich sanktioniert."
Hier haben wir exakt auf diesen Fall bezogen eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, so daß ich Sie bitten würde, die Behauptung, die Koalition würde mit diesem Vorgehen ein verfassungswidriges Verhalten an den Tag legen, so nicht mehr zu erheben.
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Konkret und zum Schluß: Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie uns also unsere Energie ab sofort nicht für eine vorgeschobene Verfassungsdiskussion in einem Fall verschwenden, der vom Gericht bereits eindeutig entschieden ist, sondern suchen wir gemeinsam eine Lösung in der Sachfrage. Wir bitten, dies in der kommenden Beratung zu tun. Es ist wichtig für den Standort, es ist wichtig zur Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Herzlichen Dank.
({3})
Herr Kollege Poß, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Koalitionsfraktionen auf, ihren heutigen Aufsetzungsantrag zurückzuziehen. Ersparen Sie bitte dem Deutschen Bundestag, über einen Gesetzentwurf abzustimmen, der trotz Ihrer Ausführungen, Herr Repnik, jedenfalls nach meiner Auffassung eindeutig verfassungswidrig ist.
({0})
Selbst wenn er nicht verfassungswidrig wäre, widerspräche dieses Vorgehen doch jeder Gesetzgebungshygiene, um das einmal so zu umschreiben.
({1})
- Ich weiß ja nicht, was Sie sonst von Hygiene halten.
In diesem Gesetz soll eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer festgeschrieben werden, obwohl der Gesetzgeber hierfür gar keine Ermächtigung im Grundgesetz hat. Das Grundgesetz weist in Art. 106 die Umsatzsteuer ausschließlich dem Bund und den Ländern zu. Um die Gemeinden an der Umsatzsteuer zu beteiligen, müßte vorher das Grundgesetz geändert werden.
({2})
Davon sehen Sie aber ab, weil Sie hierfür im Deutschen Bundestag keine Mehrheit haben. Denn Sie
können - da kommt der materiellrechtliche Zusammenhang - immer noch keinen Konsens mit Ländern und Gemeinden in der Frage der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer vorweisen.
Das Argument aus dem Bundesfinanzministerium oder von Herrn Repnik, das Gesetz könne vom Bundespräsidenten natürlich erst unterzeichnet werden und in Kraft treten, wenn vorher das Grundgesetz geändert worden ist, bestätigt gerade, daß der heute von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf verfassungswidrig ist.
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Sie wollen, daß der Deutsche Bundestag heute ein verfassungswidriges Gesetz beschließt.
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Anschließend soll dieses verfassungswidrige Gesetz dem Bundesrat zugeleitet werden. Dies lehnen wir ab. Sie mögen sich zwar heute durchsetzen, weil Sie die Mehrheit haben. Aber welches Selbstverständnis haben Sie eigentlich vom Deutschen Bundestag als rechtsstaatlichem Gesetzgebungsorgan?
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Ihre rein taktische Absicht, im Bundesrat eine Mehrheit zu erhalten, urn anschließend Druck auf uns auszuüben, Ihren unzureichenden Grundgesetzänderungen zuzustimmen, wird nicht gelingen. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden damit im Bundesrat scheitern.
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Es wäre völlig ausreichend, kurzfristig eine weitere Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern für 1997 zu beschließen. Hier hätten Sie unsere Zustimmung und unser Einverständnis heute. Da Sie die Gewerbekapitalsteuer ohnehin erst zum 1. Januar 1998 abschaffen wollen, besteht überhaupt kein Zeitdruck. Sie könnten in Ruhe Ihre Gesetzesvorlage einschließlich der Grundgesetzänderung, die sich stark von dem ursprünglichen Entwurf aus dem Jahr 1995 unterscheidet, noch einmal in einem ordentlichen Verfahren zunächst im Bundesrat und dann hier im Bundestag einbringen. Wir könnten zu klären versuchen, ob ein Konsens möglich ist, und dann ordnungsgemäß zunächst über die Grundgesetzänderung abstimmen. Ersparen Sie dem Bundestag heute dieses unsägliche Verfahren!
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Wir haben uns bereits in der letzen Woche damit beschäftigt, und dazu noch eine Anmerkung: Der Vorsitzende des Finanzausschusses, Herr Thiele, hatte vor einer Woche und Herr Repnik hat vorhin erklärt, im Finanzausschuß habe Einigkeit bestanden, daß die Gewerbekapitalsteuer jetzt abgeschafft werden könne. Herr Thiele ist damit seiner Verantwortung als Ausschußvorsitzender nicht nachgekommen, wahrheitsgemäß über die Beratung zu berichten.
Tatsache ist: Die SPD-Bundestagsfraktion hat das Verfahren kritisiert. Sie hat erneut darauf hingewiesen, daß immer noch kein Konsens mit Ländern und Kommunen vorgewiesen werden kann, daß deren Bedingungen immer noch nicht erfüllt sind und daß deshalb die SPD-Bundestagsfraktion einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmen kann. So steht es auch klipp und klar, Herr Repnik, im vorliegenden Ausschußbericht und ist dort nachzulesen.
Wenn Herr Thiele hier in der letzten Woche gesagt hat - ich zitiere - „Übereinstimmend wurde erklärt, die Gewerbekapitalsteuer ist ein Fossil und muß weg", dann hat er entweder die Diskussion im Finanzausschuß nicht verstanden, oder er hat ein befremdliches Verhältnis zur Wahrheit. Ich muß Ihnen sagen, mit den Amtsvorgängern von Herrn Thiele hat es solche Probleme bei allen Unterschieden in der politischen Sachauseinandersetzung nicht gegeben. Ich bedaure dieses Verhalten sehr.
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Herr Kollege Schulz, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können uns in einem Punkt ganz schnell einig werden: Die heutige Geschäftsordnungsdebatte ist mißlich und überflüssig.
Wir sind es leid, daß dieses Parlament im Rhythmus der koalitionsinternen Zuckungen oder der fraktionsinternen Querelen nacharbeiten soll. Das ganze Hickhack um die Unternehmensteuerreform zeigt doch deutlich die Handlungsunfähigkeit dieser Koalitionsregierung.
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Daran ändert auch nichts die plötzliche Eile, mit der Sie sich jetzt auf die Suche nach der verlorenen Zeit und der verschwommenen Idee machen. Anstelle einer umständlichen Erklärung, Herr Repnik, warum heute die Unternehmensteuerreform oder die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, hätten Sie vielleicht erst einmal eine schlüssige Erklärung anbieten sollen, warum Sie denn dieses Werk letzte Woche so kurzerhand von der Tagesordnung abgesetzt haben.
({1})
Einerseits prahlen Sie damit, daß Sie ausgereifte Reformkonzepte hätten, und andererseits werden diese Meisterwerke dann buchstäblich in letzter Minute zurückgezogen, um schwerwiegende Konstruktionsfehler auszumerzen. Sie sollten sich wirklich Zeit für die interne Klärung lassen; denn wenn ich Herrn Linssen, den CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen, richtig verstanden habe, dann bestreitet er überhaupt die Berechtigung einer KfW-Kompensation. Er meint, daß hier die Kommunen der neuen Länder Ansprüche erheben würden für Einnahmen, die sie bisher überhaupt nicht gehabt hätten, und daß diese Kompensation ein Verschiebebahnhof wäre. Nein, ich glaube, Sie haben selbst großen Klärungsbedarf.
Für eines habe ich allerdings Verständnis: Daß die ostdeutschen CDU-Abgeordneten, die sich in einem mühsamen Kraftakt aus der Bauchlage in die Hocke bewegt haben, jetzt nicht länger auf den Knien rutschen wollen, um das Erreichte hinter die Ziellinie zu bringen, kann ich gut nachvollziehen. Ich glaube, da ist wirklich Eile angebracht.
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Wenn aber die Fraktionen von Sozialdemokratie und Bündnisgrünen hier schwerwiegende Bedenken anmelden, dann ist es, wie ich finde, einfach nur fair, daß Sie uns die gleiche Zeit einräumen, die Sie den Zweiflern oder dem Protest in den eigenen Reihen eingeräumt haben. Also wozu diese große Eile? Ich hätte noch Verständnis für eine Vorlage, die am 1. Januar 1997 in Kraft tritt. Aber dieses Gesetz soll doch erst am 1. Januar 1998 in Kraft treten.
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Das ist ein klassischer Vorratsbeschluß, obwohl Sie behaupten, es würde hier große Eile bestehen. Gar nichts davon stimmt! Es wird in der Unterschriftsmappe des Bundespräsidenten liegen bleiben, bis die entsprechende Grundgesetzänderung nachgereicht ist. Das ist der Fall.
Die kommunalen Spitzenverbände, Sie wissen es genau, bestehen darauf, daß beides im Zusammenhang behandelt werden soll. Ich bitte Sie also darum: Behandeln wir doch beides gemeinsam in der nächsten Sitzungswoche. Oder wollen Sie unbedingt den laufenden Gesprächen zur großen Koalition noch Verhandlungsmasse nachschieben?
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Herr van Essen, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beiträge von SPD und Grünen zeigen, daß diese Parteien die Zeichen der Zeit immer noch nicht verstanden haben: Sie wollen verschieben, verzögern, abwarten.
({0})
Die Gewerbekapitalsteuer ist investitionsfeindlich. Sie ist arbeitsplatzfeindlich.
({1})
Sie gehört schnellstmöglich abgeschafft. Deshalb wollen wir die Debatte heute.
Als Rechtspolitiker kann ich sagen: Auch die notwendige Grundgesetzänderung wird beim Inkrafttreten des Gesetzes bewerkstelligt sein.
({2})
Von daher gibt es überhaupt keine Veranlassung, die dringend notwendige Debatte, die wir auch in der letzten Woche schon geführt hätten, heute zu führen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung dazu.
({3})
Frau Dr. Höll, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sagen ebenfalls heute: Diese Debatte ist fehl am Platze.
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Das, was Sie liefern, meine Damen und Herren von der Koalition, ist eine sehr gefährliche Mischung aus politischer Unfähigkeit, politischer Untätigkeit und Versuchen von massiver Erpressung. Alles das soll geschehen unter scheinbarer Beteiligung des Parlamentes.
Es geht hier um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Sie mag eine Notwendigkeit sein oder auch nicht. Aber Sie haben es bisher nicht geschafft, die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit in diesem Plenum zu erreichen. Sie sind wirklich unfähig, mit Ihren Argumenten, die Sie bisher vorgebracht haben, uns zu überzeugen.
({1})
Es hat sein gutes Recht, daß das bisher nicht gelungen ist. Die Abschaffung, die Sie vorgeschlagen haben, erfolgte bisher unter Voraussetzungen, die absolut unzumutbar für die Kommunen in Ost- und Westdeutschland sind. Eine grundgesetzliche Absicherung ist notwendig.
Es ist aber auch politische Untätigkeit, die Sie jetzt durch Aktionismus zu verdecken suchen. Die Nichterhebung der Gewerbekapitalsteuer, in den neuen Bundesländern eine absolute Notwendigkeit, führt dort zu zunehmenden Ausfällen für die Kommunen. Das ist ein Zeichen dafür, daß das gesamte System der Kommunalfinanzierung reformbedürftig ist. Wir haben dazu schon seit langem einen Antrag im Parlament.
({2})
Den ostdeutschen CDU-Abgeordneten ist es zum Glück aufgefallen, allerdings nicht 1995, nicht 1996, sondern erst Mitte Februar 1997 - wirklich eine tolle Glanzleistung. Es ist einfach Untätigkeit, die Sie hier demonstrieren.
({3})
Sie haben sich des weiteren auf den Kompromiß einer Ausgleichsfinanzierung über eine Erweiterung des Kreditrahmens eingelassen - einen Vorschlag, den man zumindest im Finanzausschuß und dann auch hier ordentlich diskutieren und nicht einfach uns unterzuschieben versuchen sollte. Außerdem sind wir der Meinung: Es geht darum, den ostdeutschen Kommunen Geld zu Verfügung zu stellen und nicht einfach nur Kredite.
({4}) - Das ist ja ein wesentlicher Unterschied.
Drittens fordere ich Sie hiermit auf, Ihre erpresserische Politik zu beenden. Sie versuchen hier, einen Vorratsbeschluß zu fassen, und denken, daß es dann im Bundesrat eventuell funktionieren könnte, weil Sie andererseits die Kommunen durch Ihre verfehlte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in immer weitere finanzielle Nöte bringen. Genau dadurch, denken Sie, könnte es dann gelingen, daß der Druck so hoch ist, daß hier noch eine Änderung erfolgt.
Eine solche Politik machen wir nicht mit. Wir verlangen, daß ein ordentlicher parlamentarischer Gang der Diskussion erfolgt, daß hier in diesem Parlament und im Finanzausschuß die Vorlagen diskutiert werden und daß Sie sich bemühen, solche Rahmenbedingungen, also Voraussetzungen für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, vorzulegen, daß tatsächlich die Mehrheit des Hauses zustimmen kann. Deshalb sind wir gegen die Aufsetzung heute.
Ich danke.
({5})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Damit rufe ich die soeben aufgesetzen Zusatzpunkte auf:
ZP12 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes ({0}) 1996 ({1})
- Drucksache 13/901 - ({2})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
a) Zweite Beschlußempfehlung und Zweiter Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 13/7000 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz Dr. Barbara Hendricks
Gisela Frick
b) Zweiter Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/7001 ({5}) Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Georg Wagner
Oswald Metzger Dankward Buwitt Dr. Wolfgang Weng ({6})
ZP13 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7})
- zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrat
Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. UweJens Rössel, Dr. Christa Luft, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Maßnahmen für die grundlegende Verbesserung der Einnahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Oswald Metzger, Christine Scheel, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einstieg in eine umfassende Gemeindefinanz- und Unternehmensteuerreform
- Drucksachen 13/5776 ({9}), 13/5760, 13/ 4597, 13/4870, 13/7000 Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz Dr. Barbara Hendricks
Gisela Frick
Zum Gesetzentwurf liegen Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor.
Ich weise schon jetzt vorsorglich darauf hin, daß wir im Anschluß an diese Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Ich erinnere daran, daß wir für die Aussprache eine Debattenzeit von einer Stunde beschlossen haben.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Waigel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hohe Arbeitslosigkeit ist das drängendste Problem unserer Zeit. Erst in der letzten Woche haben wir in diesem Haus über die richtigen Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit diskutiert. Heute beraten wir - es ist gut so, daß dies heute erfolgt - abschließend über einen Gesetzentwurf, der den Menschen wieder Arbeit bringen kann. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Die Unternehmensteuerreform muß endlich fortgesetzt werden. Wir hätten die Gewerbekapitalsteuer längst abschaffen können,
({1})
wenn sich die Damen und Herren von der SPD dem nicht verweigert hätten. Dann könnten Tausende von Menschen schon heute wieder Beschäftigung haben.
({2}) Das ist das Entscheidende in dieser Zeit.
({3})
Substanzsteuern sind Arbeitsplatzvernichtungssteuern. Die deutsche Gewerbekapitalsteuer ist international ein beinahe einmaliges Fossil. Sie gehört in das Steuermuseum.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Herr Kollege Poß, bitte schön.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie dem Hohen Haus bestätigen, daß Sie Ihre Vorlage erst Ende 1996 erneut eingebracht haben und daß Sie bis in den Januar hinein versucht haben, mit den kommunalen Spitzenverbänden einen Konsens zu erzielen?
Herr Kollege Poß, selbstverständlich haben wir uns bemüht, mit allen Beteiligten ein möglichst großes Einvernehmen zu finden. Nur, wenn Sie in allen Punkten bis zum letzten Komma ausschließlich auf Einvernehmen setzen würden, kämen Sie nie zu Lösungen.
({0})
Insofern müssen wir uns jetzt zu einer Lösung entscheiden, die pragmatisch und akzeptabel ist, die schon damals im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hätte entsprechend gestaltet werden und die wir natürlich schon im letzten Jahr hätten verabschieden können.
Herr Kollege Poß, was übrigens das Verfassungsrecht anbelangt, ist es immer gut, wenn man sich an das erinnert, was man einmal gesagt hat. Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen auch über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Spreizung von Steuersätzen sprechen. Da kann ich mich erinBundesminister Dr. Theodor Waigel
nern - Sie haben sich ja heute zum Verfassungsrecht geäußert -, daß es in einer früheren Debatte eine Wortmeldung des Abgeordneten Poß gab, in der er eine Spreizung der Steuersätze zwischen gewerblichen Einkünften und sonstigen Einkünften als sehr problematisch bezeichnet hat.
({1})
- Sehr gut. Das ist ein guter Beginn für die Spitzengespräche im Anschluß.
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Ihr Parteifreund, der nordrhein-westfälische Finanzminister, hat gesagt, einer solchen Spreizung sei die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben.
({3})
Wenn Sie sich dazu erklären, daß wir den Steuersatz auf die gewerblichen Einkünfte und den Körperschaftsteuersatz auf 35 Prozent reduzieren - das ist für die Investitionen in Deutschland sehr wichtig -, dann nehme ich an, daß für eine andere Differenzierung und Spreizung nur noch ein begrenzter Spielraum zur Verfügung steht.
({4})
Insofern bin ich Ihnen, Herr Kollege Poß, dankbar für diesen damaligen Hinweis, weil man auf die Dauer verfassungstreu und verfassungskonform sein muß und soll. Wenn das, was Sie und Herr Schleußer damals gesagt haben, heute noch Gültigkeit hat, dann, so glaube ich, könnten wir auch in diesem schwierigen Feld, das in Ihren Reihen bisher eher durch Ideologie und Polemik geprägt worden ist, zu einem befriedigenden, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wichtigen Erfolg kommen.
({5})
Insofern sehen Sie, Herr Kollege Poß, wie wichtig wir nicht nur Ihre steuersystematischen, sondern auch Ihre verfassungsrechtlichen Argumente nehmen.
Aber nun zum Thema zurück: Ertragsunabhängige Steuern gefährden in wirtschaftlichen Schwächephasen auch gesunde Unternehmen. Sie verhindern die Schaffung neuer innovativer Produktionsanlagen. Sie erschweren die Eigenkapitalbildung, und sie verhindern Existenzgründungen. Es wäre wirklich ein Unding, die von der Zeit überholte Gewerbekapitalsteuer auch noch in den neuen Ländern einzuführen. Das würde dort der Wirtschaft und den Betrieben den noch dünnen Boden unter den Füßen wegziehen.
({6})
- Zum Beispiel die Finanzministerin von Brandenburg will das. Sie will die Gewerbekapitalsteuer einführen.
({7})
- Sie muß nicht, sondern sie will. Es gibt natürlich auch andere, die das wollen.
Es ist doch wirklich der größte wirtschaftspolitische Unsinn, auf der einen Seite die Betriebe in Ostdeutschland zu fördern und ihnen auf der anderen Seite mit einer Vernichtungssteuer wieder Schaden zuzufügen.
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Das kann doch nicht unsere Politik sein!
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rössel?
Ja.
Bitte.
Herr Bundesfinanzminister, können Sie bestätigen, daß das Vorgehen der Finanzministerin von Brandenburg, Frau Wilma Simon, auf einem Beschluß basiert, den der Deutsche Bundestag am 12. Dezember 1996 mit der parlamentarischen Mehrheit der Koalition gefaßt hat, wonach die Gewerbekapitalsteuer für das Jahr 1997 in Ostdeutschland formal eingeführt wurde, obwohl die Koalition und die Regierung wissen, daß es dafür keine verwaltungsmäßigen Voraussetzungen gegeben hat?
Ich wüßte gar nicht, warum Sie sich verpflichtet fühlen, die Finanzministerin von Brandenburg hier zu verteidigen. Im übrigen wissen Sie - so hoffe ich jedenfalls - genauso wie die Finanzministerin von Brandenburg,
({0})
daß es unser erklärtes Ziel war, alles daranzusetzen, die Erhebung nicht notwendigerweise erfolgen zu lassen
({1})
und sie, wenn dies nicht möglich gewesen wäre, durch eine Aussetzung im Interesse der Wirtschaft und im Interesse der Betriebe in den östlichen Bundesländern im Einvernehmen mit der EU-Kommission auch 1997 nicht durchführen lassen zu müssen. Das wissen Sie sehr genau.
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Die Erhebung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern wäre Gift für Wachstum und Beschäftigung. Als Zeitpunkt des Inkrafttretens der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist der 1. Januar 1998 vorgesehen. Ich habe Verständnis für die Kommunen in den neuen Ländern, die 1997 mit
500 Millionen DM Mehreinnahmen gerechnet haben.
Aber alle sollten wissen: Für die Verschiebung sind nicht wir verantwortlich.
({3})
Das hätte 1996 anders gelöst werden können. Dennoch: Der Bund wird über die Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Kommunen in den neuen Bundesländern zusätzliche Kredite von insgesamt 1 Milliarde DM zu einem Zinssatz von nur 3,85 Prozent zur Verfügung stellen. Damit stehen zusammen mit den bereits verfügbaren 2 Milliarden DM insgesamt 3 Milliarden DM zu äußerst günstigen Konditionen bereit.
Diese Mittel im Rahmen des KfW-Infrastrukturprogramms sind für alle wichtigen Kommunalinvestitionen wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Baulanderschließung, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhäuser, Kindergärten und Sanierungsvorhaben an kommunalen Einrichtungen einsetzbar. Die Kreditkonditionen sind auf kommunale Finanzierungsaufgaben zugeschnitten: Zinsbindung bis 10 Jahre, Laufzeit bis 30 Jahre, bis zu fünf tilgungsfreie Anlaufjahre, Auszahlung 100 Prozent, Finanzierung bis zu 50 Prozent des Investitionsvolumens, und auch kommunale Eigenbetriebe sind antragsberechtigt.
Mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist eine große Gemeindefinanzreform verbunden. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer bringt einen Quantensprung für die Finanzausstattung der Gemeinden, und zwar quantitativ und qualitativ. Im Gegensatz zur Gewerbesteuer wird das Aufkommen der Umsatzsteuer nicht sinken. Die Gemeinden erhalten eine gut kalkulierbare und stetig wachsende Einnahmequelle. Dies wird ihre Finanzplanung erleichtern und ihr Investitionsverhalten stärken und verstetigen. Die Wirtschaft vor Ort wird davon profitieren.
Die Gemeindefinanzreform kommt den Wünschen der Kommunen entgegen. Erst am Mittwoch hatte ich ein längeres Gespräch mit Kommunalvertretern. Das Meinungsbild war deutlich: Die Kommunen verstehen dieses Vorhaben als eine historische Chance.
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Der Präsident des Deutschen Städtetages hat mehrfach beklagt, daß die Gemeindefinanzreform noch nicht umgesetzt ist.
Die Bundesregierung hat die Grundkonzeption aus dem Jahr 1995 fortentwickelt und auch im Detail mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt. So soll die Verteilung des Umsatzsteueranteils zu 70 Prozent nach dem bisherigen Gewerbesteueraufkommen und zu 30 Prozent nach der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfolgen.
Zur Vermeidung von zu großen Umverteilungswirkungen zwischen einzelnen Gemeinden ist im Gesetzentwurf eine Härtefallregelung vorgesehen. Danach werden 80 Prozent des Ausgleichsvolumens nach dem vorgesehenen Schlüssel verteilt. 20 Prozent werden von den Ländern nach Maßgabe landesgesetzlicher Regelungen für Härtefälle reserviert. Diese Mittel fließen den Kommunen ungeschmälert außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs zu.
({5})
Es ist ganz wichtig, daß diese Mittel nicht der Disposition der Länder unterstehen, sondern auf Mark und Pfennig den Kommunen zukommen.
({6})
Bei der Höhe des Kompensationsvolumens sind wir mit unserem neuen Angebot einer Umsatzsteuerbeteiligung in Höhe von 2,1 Prozent an die Grenze des finanziell Machbaren gegangen. Allein durch die Erhöhung von 1,9 Prozent auf 2,1 Prozent ergeben sich für die Kommunen Mehreinnahmen von fast einer halben Milliarde DM.
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Bei der Berechnung des notwendigen Kompensationsvolumens hat die Bundesregierung den von kommunaler Seite angenommenen Gewerbekapitalsteueranteil von 15 Prozent aufgenommen. Durch den Umsatzsteueranteil von 2,1 Prozent und unter Berücksichtigung der Mehreinnahmen der Gemeinden durch die Gegenfinanzierung bei der Einkommensteuer wird die von kommunaler Seite geforderte Kompensation von 5,6 Milliarden DM erreicht.
Ich habe natürlich Verständnis dafür, daß die kommunale Seite gerne mehr hätte. Wenn wir im Überfluß schwimmen würden, könnten wir auch über einen Anteil von 2,3 Prozent reden. Dem ist aber nicht so.
Ich habe auch Verständnis dafür, daß die kommunalen Spitzenverbände jeder einzelnen Stadt, jeder einzelnen Gemeinde Gerechtigkeit willfahren lassen wollen und keine einzige Gemeinde zu den Verlierern gehören will. Bei der gegenwärtigen Situation können wir allerdings nur einen vollen Ausgleich anbieten. Und dies ist meines Erachtens, auch unter Bezugnahme auf die Entwicklung der Umsatzsteuer, nicht nur vertretbar, sondern in den nächsten vier Jahren für die Kommunen und Städte wesentlich günstiger, als wenn es beim bisherigen Zustand mit der Gewerbekapitalsteuer bliebe.
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Zur Fixierung des endgültigen Verteilungsschlüssels des Umsatzsteueraufkommens ab dem Jahr 2000 muß der Gesetzgeber im Jahre 1999 erneut tätig werden. Zwei Erfordernisse sind dann zu erfüllen: Das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen muß erhalten bleiben, und interkommunale Disparitäten müssen überdacht werden. Die Bundesregierung wird auch hier Einvernehmen mit den Kommunen herstellen.
Ich lege auch Wert auf die Tatsache, daß die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände in der Vergangenheit noch nie in den Prozeß der Willensbildung so einbezogen wurden, wie das in den letzten zwei Jahren erfolgt ist.
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Auch wenn die für die Umsatzsteuerbeteiligung notwendige Grundgesetzänderung heute nicht zur Debatte steht: Die kommunalen Spitzenverbände haben die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen des Art. 106 GG akzeptiert. Hierzu gehören die Umsatzsteuerbeteiligung sowie die Absicherung der Ertragshoheit der Gemeinden an der verbleibenden Gewerbeertragsteuer.
Diese Grundgesetzänderung muß rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen. Der entsprechende Vorschlag liegt in den Ausschüssen zur Beratung vor.
Der vorgeschaltete Beschluß über das einfache Gesetz ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da die zeitliche Abfolge der Verkündung der beschlossenen Änderungen entscheidend ist. Solche Fragen sollten Sie zunächst von Ihren Rechtsexperten prüfen lassen, Herr Kollege Poß, bevor Sie an die Öffentlichkeit treten.
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Meine Damen und Herren, heute mittag gehen die Gespräche über die Steuerreform im kleinen Kreise weiter. Ein weiterer Streit - auch das will ich von dieser Stelle aus sagen - um die richtigen Zahlen ist nicht dienlich.
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Alle Zahlen müssen selbstverständlich transparent und jederzeit überprüfbar sein. Bisher sind die Zahlen des Finanzministeriums nicht entkräftet worden.
({12})
Es wäre gut, wenn wir diese der Sache nicht dienliche Diskussion und damit die Verunsicherung beenden würden.
({13})
Es geht jetzt nämlich nicht um taktische Manöver, für die die Menschen kein Verständnis haben, sondern um das ehrliche Bemühen, aufeinander zuzugehen und überzeugende Lösungen zu finden.
Mit einem Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte und für Körperschaftsteuer von 35 Prozent und einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent gibt es wichtige Übereinstimmungen. Diese sollten die Kristallisationspunkte für die Lösung der strittigen Punkte sein. Wenn man unser Steuersystem als Ganzes betrachtet und die Hinweise des Bundesverfassungsgerichtes ernst nimmt, ergibt sich beispielsweise ein vernünftiger Spitzensteuersatz fast automatisch.
Unser Leitgedanke sollte sein, was die Menschen von der Politik erwarten. Sie erwarten die schnelle und entschiedene Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
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Sie wollen klare Signale, ein überzeugendes Konzept, keine zermürbende Hängepartie und kein endloses Feilschen.
Die Unternehmen brauchen jetzt Klarheit. Dann werden sie nämlich Investitionen vorziehen, heute von den günstigen Abschreibungssätzen und ab 1998/99 von den günstigeren Steuersätzen profitieren. Damit werden Arbeitsplätze geschaffen.
({15})
Meine Damen und Herren, machen Sie den Weg für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer frei. Trotz des begrenzten Finanzrahmens haben wir einen Vorschlag unterbreitet, der die Wirtschaft entlastet, Arbeitsplätze schafft und die Finanzsituation der Gemeinden nachhaltig stärkt. Im Interesse der vielen Arbeitsuchenden in Deutschland: Stimmen Sie unserem Gesetzesvorschlag zu!
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Hendricks, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unbezweifelbar richtig, daß sich dieses ganze Haus in der Frage einig ist, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das vorrangige Ziel der Politik sein muß. Ich will aber darauf aufmerksam machen, daß es geradezu üblich geworden ist - Herr Bundesfinanzminister, so haben Sie es heute wieder zu Beginn und zum Ende Ihrer Rede getan -, jede Maßnahme, die Sie von der Koalition vorschlagen, mit dem Arbeitsplatzargument zu begründen. Der Kollege Möllemann hat es gestern in geradezu triefender Weise im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform getan.
({0})
Sie verbinden es jetzt mit der Gewerbekapitalsteuer. Bei jeder dieser Maßnahmen versprechen Sie den Bürgerinnen und Bürgern, dadurch würden Arbeitsplätze geschaffen. Dies ist leider nicht der Fall.
({1})
Ich erkläre hier für die SPD-Fraktion: Wir sind gleichwohl damit einverstanden, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, wenn unsere Bedingungen erfüllt werden. Dies erklären wir seit zwei Jahren. Aber wir versprechen nicht, daß dadurch in nennenswertem Umfange Arbeitsplätze geschaffen werden. Sie machen Versprechungen, die Sie nicht halten können,
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und wir wollen uns für diese Versprechungen nicht vereinnahmen lassen.
({3})
Die Gewerbekapitalsteuer hat einen Umfang von 0,8 Prozent am gesamten Steueraufkommen; das sind netto 4 Milliarden DM.
({4})
Da kann sich jeder Mensch ausrechnen, welche Bedeutung das haben kann,
({5}) nämlich eine allenfalls sehr marginale.
Gleichwohl sind wir damit einverstanden, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Aber wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern doch bitte nicht falsche Versprechungen machen. Diese marginale Wirkung wird nicht so eintreten, wie Sie es heute wieder vollmundig versprochen haben.
({6})
Ich komme noch einmal kurz zu den unterschiedlichen Zahlen, die Ihr Haus, Herr Bundesfinanzminister, und die der Landesfinanzminister Schleußer im Zusammenhang mit der sogenannten großen Steuerreform vorgelegt haben. Die Experten haben sich am Dienstag zusammengesetzt. Ich vermute, sie haben sich angenähert. Wie man den Zeitungen entnehmen konnte, stammen Ihre Zahlen von 1989, die von Nordrhein-Westfalen von 1994.
Man hat sich mittlerweile darauf verständigt, auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu warten, die im März kommen sollen. Es ist vernünftig, auf einer gemeinsamen Datenbasis zu arbeiten. Wie man hört, hat Bayern eine noch andere Datenbasis.
Natürlich sind es schwierige Voraussetzungen, wenn man auf drei unterschiedlichen Datenbasen rechnet. Insofern ist es richtig - wir sollten damit unspektakulär umgehen -, auf die neuen Daten von März zu warten.
Aber eines wollen wir hier auch festhalten, Herr Bundesfinanzminister: Ihre Zahlen, welche Sie auch vorgelegt haben, waren bisher immer geschönt. Mißtrauen ist immer angebracht.
({7})
Herr Bundesfinanzminister, Sie wären froh, wenn Sie nur die Differenz zwischen den von Ihnen geschätzten Steuereinnahmeausfällen
({8})
nach dem Standortsicherungsgesetz und den tatsächlich eingetretenen Steuereinnahmeausfällen nach dem Standortsicherungsgesetz zur Verfügung hätten.
({9})
Mit der Differenz könnte man heute eine Menge anfangen.
({10})
Jetzt werde ich mich dem heutigen Thema im engeren Sinne zuwenden. Was wir hier heute erleben, meine Damen und Herren, ist die Fortsetzung eines Stückes aus dem Tollhaus. Gewöhnlich nennen wir dieses Tollhaus Regierungskoalition.
({11})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Michelbach.
Bitte schön.
Frau Dr. Hendricks, ist Ihnen bekannt, wer die Steuerschätzungen bei uns durchführt? Ist es nicht so, daß Bund, Länder und Kommunen in dieser Steuerschätzungskommission gleichermaßen zusammenarbeiten? Können Sie dazu einmal etwas sagen, statt hier einseitige Vorwürfe zu machen?
Herr Kollege Michelbach, ich will Ihnen das gerne erläutern. Die Steuerschätzung findet im Rahmen eines Bund-Länder-Arbeitskreises statt, in dem der Bundesfinanzminister und alle Länder vertreten sind.
({0})
Die Steuerschätzung findet auf der Basis von Daten statt, die vom Bundeswirtschaftsminister geliefert werden,
({1})
die natürlich auch politische Daten sind.
Im übrigen habe ich mich nicht auf die jährlich wiederkehrende Steuerschätzung bezogen, also auf die einmal im Jahr stattfindende große Steuerschätzung und die im Herbst nachgeschobene ergänzende, sondern ich habe mich auf das Standortsicherungsgesetz bezogen. Dieses Gesetz ist ein Bundesgesetz, das vom Bundesfinanzminister im Entwurf vorgelegt worden ist. Der Bundesfinanzminister muß schon im Gesetzentwurf mitteilen, welche Steuereinnahmeausfälle er erwartet. Daran sind die Länder nicht beteiligt.
({2})
Was wir hier heute erleben, ist in der Tat die Fortsetzung eines Stückes aus dem Tollhaus. Ich will es wiederholen: Dieses Tollhaus nennen wir normalerweise Regierungskoalition.
Vor neun Tagen, am Mittwoch vergangener Woche, bezeichneten sowohl der Regierungssprecher Hausmann als auch der CSU-Landesgruppenchef Glos - ({3})
- Sie haben - vor neun Tagen war es im „Handelsblatt" zu lesen, Herr Glos - ebenso wie der Regierungssprecher Hausmann das Abstimmungsverhalten der SPD für die vor einer Woche angesetzte Abstimmung als „Nagelprobe" bezeichnet.
({4}) Sie wollten uns Sozialdemokraten vorführen.
Statt dessen haben Sie es geschafft, der gesamten deutschen Öffentlichkeit in eindrucksvoller Weise Ihre eigene Unfähigkeit erneut vorzuführen.
({5})
Jeder weiß, daß die ostdeutschen CDU-Abgeordneten die Koalition in der letzten Woche daran gehindert haben, den vorgelegten Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zu beraten. Erstmals waren die ostdeutschen CDU-Kollegen keine Papiertiger. Erstmals konnte oder - was mindestens ebenso wahrscheinlich ist - erstmals wollte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende die Kollegen nicht bändigen. Ich vermute, auch der Bundeskanzler macht sich über diesen Umstand Gedanken.
Sie, die Kollegen aus den ostdeutschen Bundesländern, haben sich dann mit der im übrigen berechtigten Forderung nach einem Ausgleich für die ostdeutschen Kommunen durchgesetzt. Das Ergebnis kommentiert die „FAZ" folgendermaßen, Herr Bundesfinanzminister:
In die Enge getrieben muß sich nun der Bundesfinanzminister den europäischen Kreditmoglern beigesellen. Sein Notangebot eines Kommunalprogramms über die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist nichts anderes als das Verstecken eines Teils des staatlichen Defizits.
Soviel zu Ihrer Seriosität, Herr Bundesminister.
In der Sache hat sich seit der vergangenen Woche nichts geändert. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen legen dem Deutschen Bundestag heute ein Gesetz zur Beschlußfassung vor, das schlicht verfassungswidrig ist.
({6})
In diesem Gesetz soll eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer festgelegt werden, obwohl das Grundgesetz eine solche Beteiligung nicht vorsieht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, was Sie sich heute gegenüber dem Parlament herausnehmen und mit Ihrer Mehrheit durchpeitschen wollen,
verstößt gegen ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, gegen Rechtsstaatlichkeit und gegen die Grundprinzipien parlamentarisch-demokratischer Verfahren.
({7})
Sie wollen auf diese Art und Weise Druck auf die SPD ausüben. Dabei können Sie seit zwei Jahren keinen Konsens mit den Ländern und Gemeinden vorweisen. Über Wochen und Monate hinweg haben wir im Finanzausschuß das gleiche Spiel erlebt: Regelmäßig mußten Sie Ihre Gewerbesteuerpläne von der Tagesordnung absetzen oder den Abschluß vertagen.
In der Öffentlichkeit haben Sie immer wieder behauptet, daß nur wir von der SPD-Fraktion Ihre Vorschläge ablehnten. Tatsache ist, daß auch die kommunalen Spitzenverbände Ihre Pläne ablehnen. Auch das, was heute von Ihnen zur Abstimmung vorgelegt wird, wird vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städte- und Gemeindebund abgelehnt.
Wir von der SPD haben - ich sagte das bereits - schon 1995, also vor zwei Jahren, erklärt, daß wir unter bestimmten Bedingungen bereit sind, einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zuzustimmen. Diese Bedingungen sind im übrigen mit den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände identisch und nach wie vor nicht erfüllt.
Ganz wesentlich ist nämlich die verfassungsfeste Absicherung der verbleibenden Gewerbeertragsteuer. Auch die kommunalen Spitzenverbände fordern seit zwei Jahren eine solche Absicherung. Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben diese Forderung noch einmal durch Präsidiumsbeschlüsse Ende Januar bestätigt.
Wir haben Ihnen im Finanzausschuß eine Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 28 vorgeschlagen. Diese Ergänzung des Art. 28 Grundgesetz hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund in einem Brief an Sie, Herr Bundesfinanzminister, vom 17. Januar gefordert. Wir wollen damit den Bestand der verbleibenden Gewerbesteuer für die Gemeinden im Grundgesetz absichern. Sie haben das abgelehnt, Sie blockieren das und arbeiten nicht im Sinne der Gemeinden.
Die Gemeinden brauchen verläßliche finanzielle Sicherheit und Eigenverantwortung. Sie von der Koalition wollen genau das Gegenteil.
({8})
In Ihrer Koalitionsvereinbarung vom November 1994 haben Sie klipp und klar festgelegt, daß Sie die gesamte Gewerbesteuer abschaffen wollen. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer soll nur ein erster Schritt in Richtung Abschaffung der Gewerbesteuer insgesamt sein.
({9})
Auch im Deutschen Bundestag haben Sie das wiederholt erklärt, deshalb ist es ungeheuer wichtig, daß wir Ihrem Treiben einen Riegel vorschieben.
({10})
Art. 28 des Grundgesetzes ist 1994 ergänzt worden, um die finanzielle Eigenverantwortung der kommunalen Ebene zu stärken und die Finanzautonomie der Gemeinden zu sichern. Nach unseren Vorstellungen gehört dazu eine wirtschaftsbezogene originäre Steuerquelle der Gemeinden. Wenn eine solche Steuerquelle bundesgesetzlich geregelt ist - dafür spricht vieles -, dann muß es einen kommunalen Hebesatz geben. Das Band zwischen Gemeinde und Wirtschaft darf nicht zerschnitten werden. Deshalb darf es auch keine Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer geben. Einen Einstieg in den Ausstieg aus der gesamten Gewerbesteuer lehnen wir ab und werden ihn niemals mitmachen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem eine gemeinsame Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt werden soll. Dieser Antrag ist inhaltsgleich mit einem Antrag, der mehrheitlich im Bundesrat beschlossen worden ist. Auch diesen lehnen Sie ab.
Warum, meine Damen und Herren von der Koalition, blockieren Sie eine Reform der Gemeindefinanzen insgesamt? Verantwortliche Politik würde für die Verknüpfung der berechtigten Interessen der Kommunen und der Wirtschaft sorgen. Eine leistungsfähige kommunale Infrastruktur ist doch ein unbezweifelbares Interesse der Wirtschaft.
Sie wollen also im nur vordergründigen Interesse der Wirtschaft die gesamte Gewerbesteuer abschaffen und dafür die kommunale Eigenverantwortung und die Selbständigkeit der Gemeinden zur Disposition stellen. Daß die F.D.P. diese unsägliche Politik betreibt, ist nicht verwunderlich; denn sie hat auf der kommunalen Ebene ohnehin keine Bedeutung. Aber Sie von der CDU/CSU-Fraktion müßten doch ein Ohr für das Anliegen der Gemeinden haben.
({11})
Sie müßten die Interessen der Gemeinden gemeinsam mit uns vertreten und bereit sein, die verbleibende Gewerbeertragsteuer zu sichern.
Halten Sie sich heute an ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren. Jetzt haben Sie noch die Chance, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Erst die Grundgesetzänderungen, dann die einfachgesetzlichen Änderungen. Halten Sie sich an Recht und Ordnung; die Zukunft unserer Gemeinden und das Selbstverständnis unseres Parlaments sind zu wichtig, um sie kurzfristigen und rein machttaktischen Überlegungen zu opfern.
({12})
Für eine Kurzintervention hat der Kollege Wilhelm Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle aufs schärfste kritisieren, daß der Bundesfinanzminister von der Regierungsbank aus Zwischenrufe macht.
({0})
- Das war nur das Vorwort, Herr Waigel.
Ich will darüber hinaus zur Kenntnis geben, daß Sie, als ich mich eben zu dem Stuhl des Präsidenten bewegt habe, der Rednerin der SPD gegenüber das Wort „Schwätzerin" gebraucht haben. Ich fordere Sie auf, das zurückzunehmen.
({1})
Herr Minister.
Ich bin gern bereit, das vor mich hingemurmelte Wort „Schwätzerin" mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns zurückzunehmen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn auf die schwerwiegenden Vorwürfe, die von der SPD-Bundestagsfraktion gegen das Gesetzgebungsverfahren erhoben werden, eingehen. Herr Poß, Sie haben gesagt, es sei eindeutig verfassungswidrig. Frau Hendricks, Sie haben gesagt, wir verstießen hiermit gegen elementare Prinzipien eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens.
Mit solchen Bewertungen soll man vorsichtig sein. Aber wenn Sie sich schon darauf verständigt haben, sie heute morgen so zum Ausdruck zu bringen, dann möchte ich Sie auffordern, unmittelbar nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens von einem Recht Gebrauch zu machen, das Sie als Fraktion des Deutschen Bundestages haben: Sie können heute unmittelbar nach der Abstimmung eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben und gegen dieses Verfahren klagen. Aber, Herr Poß, Sie werden das natürlich nicht machen, weil Sie genau wissen, daß Sie sich dann bis auf die Knochen blamieren würden.
({0})
Der Kollege Stoltenberg hat in der letzten Woche in der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht darauf hingewiesen, daß wir in Deutschland viele Entscheidungen - auch politische - spät und manche zu spät treffen. Es ist wohl wahr: Auch bei diesem Gesetz haben wir eine zweijährige Debatte in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages geführt. Alle Argumente sind ausgetauscht; Neues ist nicht zu erwarten. Wir können die Sache heute entscheiden.
Meine Damen und Herren von der SPD, es ist Ihr gutes Recht zu sagen, daß Sie Bedingungen erfüllt sehen wollen. Zu den Bedingungen, die die kommunalen Spitzenverbände immer wieder erhoben haben, möchte ich sagen: Die Erfüllung von Bedingungen, die Verbände - auch kommunale Spitzenverbände - stellen, ist kein konstitutives Merkmal für die Gesetzgebung im Deutschen Bundestag.
({1})
Wenn Sie sich hinter diesen Bedingungen verstekken, ohne daß Sie eigene Konzeptionen vorgeschlagen haben, wie man ein solches Problem lösen kann, dann ist das Ihre Sache. Interessant ist aber zu hören - oder besser: nicht zu hören -, welche Bedingungen in der SPD sonst noch formuliert werden. Bis jetzt hat in dieser Debatte kein Redner der SPD darauf hingewiesen, daß das Präsidium Ihrer Partei in der vorletzten Woche noch eine weitere Bedingung erhoben hat, nämlich die Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer. Ich frage Sie: Was ist denn mit dieser Bedingung? Halten Sie die aufrecht, oder halten Sie die nicht aufrecht?
Gestatten Sie, Herr Kollege Merz, eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Merz, nachdem Sie so heftig zurückweisen, daß Sie mit Ihrem Gesetzentwurf gegen die Verfassung verstoßen, frage ich Sie einfach einmal sehr konkret: In dem Art. 6 des Gesetzentwurfes, den wir heute verabschieden sollen, steht, daß vom Aufkommen der Umsatzsteuer den Gemeinden ein bestimmter Prozentsatz zustehen soll. Gleichzeitig steht in Art. 106 unserer Verfassung, daß Ländern und Bund die Umsatzsteuer zusteht. Den Gemeinden steht sie also nicht zu.
Möchten Sie mir nicht bitte zustimmen, daß Sie dann ohne eine Grundgesetzänderung das heutige Gesetz nicht verabschieden können - ob Sie das nun verfassungswidrig nennen oder nicht -, daß Sie mit Ihrem Gesetz schlicht und einfach gegen unsere Verfassung verstoßen?
({0})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich widerspreche Ihnen, daß wir ein
verfassungswidriges Gesetz planen. Das Gesetzgebungsverfahren wird am heutigen Tag nicht abgeschlossen, sondern Sie wissen, daß der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen und anschließend der Bundespräsident das Gesetz ausfertigen muß. Auf dem Weg dorthin wird es eine Verfassungsänderung geben. Wenn es diese Verfassungsänderung nicht gibt, dann wird es kein Gesetz geben. So einfach ist der Zusammenhang.
Frau Kollegin, Sie sind in Ihrer Formulierung etwas vorsichtiger gewesen. Trotzdem halten offensichtlich auch Sie, wie der Kollege Poß, dieses Verfahren für verfassungswidrig. Ich habe noch einmal die Bitte: Lassen Sie uns an dieser Stelle den Streit - wir müssen auch noch etwas über die Sache sagen - beenden. Ich bin voller Spannung auf Ihre Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht.
({0})
Wenn Sie dies hier so eindeutig erklären, dann müssen Sie dies auch machen. Machen Sie es nächste Woche. Dann werden wir sehen, was dabei herauskommt. Ich sage Ihnen nämlich: Sie werden es nicht um tun, weil Sie wissen, daß Sie sich blamieren werden.
({1})
Nein, in Wahrheit geht es der SPD gar nicht um die Verabschiedung dieses Gesetzes. Auch geht es ihr nicht um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Ihr geht es nicht um die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern. Man weiß gar nicht, worum es Ihnen geht. Wenn die Gewerbekapitalsteuer so schlecht ist: Warum sind Sie dann gegen die Abschaffung in Westdeutschland? Wenn sie so gut ist: Warum sind Sie gegen die Einführung in Ostdeutschland? Sie wissen in Wahrheit gar nicht, was Sie selber wollen.
({2})
Herr Kollege Merz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Nein, Herr Kollege Poß, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen.
({0})
Das Strickmuster ist ganz einfach. Die Bedingungen werden jede Woche einen Zentimeter höher geschraubt, das Stöckchen wird jede Woche ein Stückchen höher gehalten, und dann wird der Versuch gemacht: Mal sehen, wie hoch sie springen.
Nein, diese Methode machen wir jetzt nicht mehr, vor allem deshalb nicht, weil es natürlich Methode hat, daß Sie hier im Haus alles verzögern, verwässern und zerreden. Dann gehen Sie hinaus in die Versammlungen und sagen: Die Koalition ist zu keiner
Entscheidung mehr fähig. Das machen wir jetzt nicht mehr. Heute kann die Sache entschieden werden.
({1})
Jetzt lassen Sie mich als letzten Punkt noch etwas zu den verfassungsrechtlichen Bestimmungen sagen. Frau Kollegin Dr. Hendricks, Sie haben noch einmal auf den Art. 28 des Grundgesetzes hingewiesen, wohl wissend, daß Sie weder im Finanzausschuß noch hier im Plenum des Deutschen Bundestages einen Textvorschlag unterbreitet haben.
({2})
- Der Art. 28 des Grundgesetzes stand nicht dabei. Sie haben eine Formulierung gewählt, bei dem der Art. 28 gar nicht genannt war. Sie wissen natürlich, warum Sie das machen, nämlich weil es nicht nur in Ihren eigenen Reihen ernstzunehmende Kritiker daran gibt, daß der Art. 28 dafür gar nicht die richtige Rechtsgrundlage ist.
({3})
Nein, ich will es noch einmal erklären, damit es für die kommunalen Spitzenverbände und auch für die Kommunen klar ist: Wir sind bereit, die Absicherung einer verbleibenden Gewerbeertragsteuer im Grundgesetz aufzuführen. Dafür ist der Art. 106 die richtige Grundgesetzbestimmung. Es wird mit uns eine Garantie der Gewerbeertragsteuer im Art. 28 des Grundgesetzes nicht geben.
Ich will Ihnen auch sagen, warum dies so ist. Zunächst einmal gibt es in der Verfassung keine einzige Bestimmung, die eine bestimmte Steuerart mit einer institutionellen Garantie verbindet. Das gibt es nicht. Das wird es auch bei der Gewerbesteuer nicht geben.
({4})
Zum zweiten haben wir überhaupt keine Veranlassung, von unserer Koalitionsvereinbarung Abstand zu nehmen oder sie sogar zu widerrufen. Wir halten an dem Ziel fest, auch die Gewerbeertragsteuer langfristig abzuschaffen.
({5})
Ich will mich ausdrücklich dazu bekennen, daß dies unser Ziel bleibt. Das wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingen.
({6})
Aber wir wollen die Gewerbeertragsteuer abschaffen.
Da wir, die CDU und die CSU, nun zumindest genauso wie die SPD eine Kommunalpartei sind, will ich den Gemeinden von dieser Stelle aus noch einmal sagen: Wenn es zu einer Abschaffung der Gewerbeertragsteuer kommen wird - es wird eines Tages dazu kommen, davon bin ich fest überzeugt -, dann haben die Gemeinden schon heute auf Grund
der Bestimmung im Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes einen Anspruch darauf, für die Ausfälle entschädigt zu werden. Dort steht: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung" - gemeint ist die kommunale Selbstverwaltung - „umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung."
Auf dieser Grundlage können die Gemeinden völlig beruhigt sein, daß es nicht nur für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, sondern später auch für die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer einen entsprechenden Ausgleich für die Kommunen geben wird.
({7})
Meine Damen und Herren, ich fühlte mich bei den Beiträgen der SPD an einen Ausspruch von Helmut Schmidt erinnert, der einmal zur SPD sagte: Die SPD ist zum Vorkämpfer des Stillstandes geworden. Recht hat er. Aber heute wird der Stillstand beendet.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Kann ich jetzt anfangen?
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Herr Finanzminister Waigel ja jede Situation nutzt, um auf die aktuelle Steuerdiskussion, das heißt, auf den sogenannten Jahrhundertentwurf, einzugehen, möchte ich hier vorab einige Bemerkungen machen.
Das Gespräch am Montag, aber auch die Verhandlungen der Fachreferenten am Dienstag haben gezeigt, daß die Grundlage, die Finanzminister Waigel gelegt hat, sehr unsolide ist.
({0})
- Es war in der Presse nachzulesen; es ist nicht dementiert worden. Es ist vollkommen zutreffend, daß hier Grundlagen erarbeitet wurden, die zum Teil auf Schätzungen beruhen. Das haben wir immer verurteilt und gesagt: Wir wollen einen sauberen Tarif, eine solide Gegenfinanzierung und kein Finanzloch von 44 Milliarden DM und, wie Schleußer sagt, noch 30 Milliarden DM mehr. Man wird sich auf Grund der neuen Daten irgendwo in der Mitte treffen. Dann werden wir sehen, wie dies zu beurteilen ist.
Zum heutigen Thema: Wir sollten bei der Wahrheit bleiben. Ihre Behauptung, Herr Finanzminister Waigel, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sei für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Situation der kommunalen Finanzen immens wichtig, stellt natürlich einen Teil der Wahrheit dar. Der andere Teil der Wahrheit aber ist, daß es im Jahr 1995 in diesem Hause keine Vorlage gegeben hat, aus der hervorgegangen wäre, wie denn die Absicherung der Kommunen im Detail und eine verfassungsgemäße Lösung auszusehen hätte.
({1})
Das ist die Wahrheit. Man kann ganz klar sagen, die Koalition hat das Thema zum Teil verschlafen und zum Teil verschleppt. Vor allen Dingen hat man sich aber in einem Eiertanz innerhalb der Koalition gegenseitig die Zeit gestohlen.
({2})
Die Konsequenz war, daß wir im November 1996 eine Vorlage bekommen haben, die im Entwurf zum Teil mit den kommunalen Spitzenverbänden besprochen war, obwohl alle Seiten wußten, daß die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände nach einer sauberen und korrekten Gegenfinanzierung ihres Einnahmeausfalls durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer nicht ganz erfüllt waren. Auch an dieser Stelle konnte sich die Koalition nicht einigen; so hat es 1996 keinen Kabinettsbeschluß zur aktuellen Vorlage gegeben. Auf Grund dieses fehlenden Kabinettsbeschlusses vom Jahr 1996 ist es heute - das heißt, im Jahr 1997 - nicht möglich, rückwirkend die Gewerbekapitalsteuer auch in den alten Bundesländern abzuschaffen.
Das ist die Wahrheit, die Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, zu verantworten haben.
({3})
Es ist vollkommen klar, daß wir im Zusammenhang mit der Finanzausstattung der Kommunen nicht nur die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, wie Sie wissen, einfordern und immer eingefordert haben,
({4})
sondern auch in bezug auf den kommunalen Finanzausgleich einen immensen Reformstau feststellen. Ich bedauere es sehr, daß der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen von vor zwei Jahren, eine Kommission oder einen Unterausschuß einzusetzen, um zu überlegen, wie wir die Finanzen der Kommunen zukunftssicher gestalten und einen zukunftsfähigen kommunalen Finanzausgleich unter Berücksichtigung der Finanzautonomie der Kommunen schaffen können, von der Koalition abgelehnt worden ist.
({5})
Wenn wir das damals gemacht hätten, hätten wir heute ein sauberes und umfassendes Reformwerk und nicht nur einen Bruchstein, der heute auf der Tagesordnung steht. Es geht uns darum, das gesamte Gemeindefinanzsystem zukunftsfähig zu machen und nicht nur einen Baustein zu verändern. Das aber ist genau Ihre Politik: Da ein bißchen ändern, dort ein bißchen ändern. Unter dem Strich passen die Veränderungen in der Regel nicht zusammen, weil sie unsystematisch durchgeführt werden und weil nur Minimallösungen vorgelegt werden.
Wir leben heute in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten, daß es umfangreiche Reformen gibt und daß es in diesem Land zu Veränderungen kommt. Dazu gehört auch die Veränderung des Gemeindefinanzsystems. Die Kommunen haben das - verdammt nochmal - sehr verdient, denn die Aufgaben, die den Kommunen zugewiesen wurden, wurden in den letzten Jahren immer zahlreicher; die Finanzausstattung wird aber immer schlechter. So kann es nicht weitergehen.
Nach dem neuesten Bericht des Deutschen Städtetages wissen wir, daß gerade im kulturellen Bereich, im Bereich der Jugendarbeit und im Sozialbereich von den Kommunen Kürzungen vorgenommen werden müssen, weil sie schlicht kein Geld mehr haben, um ihre Aufgaben zu finanzieren. Das liegt in der Verantwortung der Bundesregierung.
({6})
- Herr Thiele, weil Sie sagen, stimmen Sie dem Gesetz gleich zu, sage ich Ihnen, was wir haben wollen: Wir wollen eine strukturelle und quantitative Verbesserung der Gemeindefinanzen; wir wollen, daß die Einnahmequellen für die Kommunen auch in der Zukunft kalkulierbar sind; wir wollen die Sicherung der kommunalen Finanzautonomie; wir wollen, daß die Gewerbeertragsteuer erhalten bleibt und nicht abgeschafft wird, wie die F.D.P. es in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben hat. Eine Abschaffung würde nämlich bedeuten, daß die Kommunen noch einmal 44 Milliarden DM gegenfinanziert bekommen müssen. Wer wie die F.D.P. immer nur von Steuersenkungen redet, aber nie davon, wie die Steuersenkungen kompensiert werden sollen, kann die Frage nicht beantworten, wer das bezahlen soll.
({7})
Wir wollen außerdem, daß die neuen Bundesländer nicht auf den alten Gaul Gewerbekapitalsteuer gesetzt werden. Wir wollen vielmehr, daß die neuen Bundesländer eine Kompensation erhalten. Wir mußten leider sehen - das sagen wir auch als Bündnis 90/ Die Grünen -, wie unsauber in der Koalition mit den Kollegen und Kolleginnen aus den neuen Bundesländern umgegangen wird. Wenn es um die Kohle geht, ist es selbstverständlich, daß mit Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen gesprochen wird. Aber wenn es um die Finanzausstattung der neuen Bundesländer geht, müssen die Kollegen und Kolleginnen ihren Gesprächspartnern hinterherlaufen.
Herr Merz, abschließend möchte ich sagen: Wir verstecken uns nicht hinter den Forderungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und hinter
den Forderungen des Deutschen Städtetages. Die Forderungen, die diese Verbände aufgestellt haben, sind gegengerechnet und solide. Wir haben auf Grund der Mindereinnahmen entsprechend der Vorlage heute ein Minus von 500 Millionen DM für die Kommunen. Dies finden wir nicht akzeptabel. Es muß eine saubere und ausgeglichene Be- und Entlastungssituation geben. Aus diesem Grunde brauchen wir für die Kommunen in West und Ost eine Beteiligung an der Umsatzsteuer in Höhe von 2,3 Prozentpunkten. Anderenfalls geben Sie den Kommunen zu wenig Geld zurück, wenn die Gewerbekapitalsteuer entfällt,
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
- und bringen sie weiter in die fatale Situation, daß sie immer weniger Einnahmen haben und immer mehr Aufgaben zu bewältigen haben. Dies ist in der heutigen Zeit unzumutbar.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.
Sehr geehrte Frau Kollegin Scheel! Ich habe mich schon vor einiger Zeit darüber gefreut, daß sich auch die Grünen offen zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer bekannt haben.
({0})
Ich verstehe aber jetzt nicht, daß wir in einer Situation, in der wir konkret handeln können, von Ihnen wieder nur hören: Nein, diese und jene Bedingung ist nicht erfüllt, deshalb können wir heute nicht zustimmen.
Das ist aber genau der Punkt, den Sie kritisiert haben und den ich genauso sehe: Die Bürger wollen Ergebnisse; sie wollen Entscheidungen, die wir heute treffen wollen. Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie: Stimmen Sie dem Gesetz zu, damit eine Substanzsteuer, die Arbeitsplätze gefährdet, endlich abgeschafft werden kann!
({1})
Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scheel?
Gerne.
({0})
Ich habe nicht verstanden, was der Herr von links gesagt hat, aber ich glaube, es war nicht sehr freundlich.
Herr Kollege Thiele, haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, daß wir als Bündnis 90/Die Grünen im Juni letzten Jahres einen Antrag zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer vorgelegt haben, mit einem sauberen Forderungskatalog versehen, der mit all den Forderungen, wie wir sie im Finanzausschuß diskutiert haben, kompatibel gewesen ist und der auch sauber gegengerechnet war?
Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, daß wir zu dem Gesetzentwurf heute einen Entschließungsantrag eingebracht haben, der genau das beinhaltet, was von seiten der kommunalen Spitzenverbände gefordert wird? Ich würde nicht sagen, daß die kommunalen Spitzenverbände reine Interessenorganisationen sind, die wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber nicht akzeptieren sollten. Eine Lösung ist nur im Verbund mit den Kommunen möglich. Die Kommunen haben, wie Sie wissen, keine Chance, im Bundesrat selber mitzureden. Es ist ganz wichtig, daß wir die Überlegungen der Kommunen hier mit einbauen können.
Frage!
Stimmen Sie mir zu, daß die Grünen diese Arbeit geleistet und rechtzeitig Vorlagen gemacht haben und daß es letztendlich an der Koalition liegt, daß wir in die fatale Situation geraten sind, heute über dieses Thema zu beraten, und daß dieses Hickhack überhaupt verursacht wurde?
Sie müssen bitte stehenbleiben, Frau Kollegin Scheel.
Frau Kollegin Scheel, meine Antwort. Ich habe mich - das war in einer Haushaltsdebatte, als ich den Kollegen Metzger im Bundestag dazu gefragt habe - seinerzeit sehr darüber gefreut, daß zunächst ein Abgeordneter der Grünen sich der Argumentation der Koalition angeschlossen hat, daß nämlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden muß, und daß dies inzwischen die Beschlußlage Ihrer Fraktion ist. Das habe ich gewürdigt, das habe ich anerkannt. Ich finde es gut, daß Sie die Argumente, die in der Sache zutreffend sind, genauso bewerten wie wir.
Ich finde es auch gut, daß dadurch ein erhöhter Druck auf die SPD entstanden ist, die strukturkonservativ ist und alles in unserem Land beibehalten will, auch wenn es unsinnig ist, und insofern mehr Bewegung in die Debatte gekommen ist.
({0})
Bei einem Punkt stimme ich allerdings nicht zu: Man kann nicht jeden Kompromiß auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners schließen - ich werde darauf gleich noch zu sprechen kommen -, sondern man muß versuchen, Beschlüsse im Deutschen Bundestag in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden so zu gestalten, daß sie von diesen mitgetragen werden und daß wir tatsächlich zu einem Gesetz kommen. Deshalb begrüße ich es, daß wir heute im Deutschen Bundestag an dieser Stelle zu einem Gesetz kommen.
({1})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit in unserem Lande belastet uns alle. Die größte Beschränkung der Freiheit für Millionen Bürger unseres Landes besteht darin, daß sie keine Arbeit haben. Deshalb stellt die Lösung dieses Problemes auch gerade für uns als Freie Demokratische Partei die größte Herausforderung der Gegenwart dar. Dieses Problem können wir nur lösen, wenn wir unsere derzeitige Situation analysieren sowie Standortbedingungen und Wettbewerbsnachteile so verändern, daß wir mehr Investitionen in Deutschland schaffen, weil nur durch Investitionen Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden können.
({2})
Wir alle wissen, daß die Gewerbekapitalsteuer als Substanzsteuer jeden Arbeitsplatz belastet, auch wenn die Betriebe Verluste erwirtschaften. Die Gewerbekapitalsteuer zehrt die Eigenkapitalbasis der Betriebe aus. Insbesondere in den neuen Bundesländern, in denen sie jetzt nicht erhoben wird, würde sie die Betriebe und die Arbeitsplätze in einer äußerst schwierigen Situation zusätzlich belasten.
Es kann doch nicht richtig sein, daß wir auf der einen Seite Investitionshilfen für Betriebe und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern geben und auf der anderen Seite diese Hilfen, diese Kredite - diese Kredite sind Bemessungsgrundlage für die Gewerbekapitalsteuer -, als Maßstab dafür nehmen, die Betriebe und Arbeitsplätze zusätzlich zu belasten. Wer den Aufschwung in den neuen Bundesländern will, der muß der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer in den alten Ländern und der Nichteinführung dieser Steuer in den neuen Bundesländern zustimmen, wie wir dies heute hier vorschlagen.
({3})
In der Debatte in der letzten Woche hat der Kollege und Fraktionsvorsitzende Scharping seitens der SPD hier erklärt, daß wir - Zitat - „verläßliche, klare Orientierung für die Schritte benötigen, die in die Zukunft gegangen werden müssen". Genau dies wollen wir heute schaffen. Deshalb sagen wir: Die Gewerbekapitalsteuer muß weg. Sie stellt eine Zusatzsteuer auf jeden Arbeitsplatz dar. Unsere Mitbewerberländer kennen sie nicht. Sie muß abgeschafft werden.
({4})
Ungeachtet der rhetorischen Frontstellung hier im Deutschen Bundestag halte ich es aber für ein gutes Zeichen - das möchte ich in der heutigen Debatte wiederholen -, daß in der Sitzung des Finanzausschusses in der letzten Woche überparteilich, auch von der Opposition, die grundsätzliche Bereitschaft zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer erklärt wurde. Sogar seitens der PDS wurde geäußert, daß sie der Gewerbekapitalsteuer wegen des Charakters dieser Steuer als Substanzsteuer kritisch gegenüberstehe.
({5})
Das ist im Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages auch für die Opposition jederzeit nachlesbar.
Wir als F.D.P., wie auch die gesamte Koalition, sind allerdings der Auffassung, daß jetzt nicht mehr über das eine oder andere Detail geredet und ins Endlose hinaus diskutiert werden sollte oder die ganzen Überlegungen an eine Kommission überwiesen werden sollten - nach dem Motto: Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis. Das hilft den Arbeitslosen in unserem Lande nicht.
({6})
Die Bürger, die Arbeitslosen sind das ewige Gerede satt. Sie wollen Ergebnisse. Deshalb muß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer heute vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden.
Die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände sind inzwischen, nach langer Überzeugungsarbeit, zu der Auffassung gekommen, daß sie an der Umsatzsteuer an Stelle der Gewerbekapitalsteuer beteiligt werden sollten. In den letzten 20 Jahren ist das Aufkommen aus der Gewerbekapitalsteuer um 120 Prozent gestiegen, das Aufkommen aus der Umsatzsteuer um 320 Prozent. Wer als Kommunalpolitiker weiß, wie konjunkturzyklisch gerade die Gewerbekapitalsteuer ist, der hat doch Verständnis dafür, daß die Kommunen sagen: Gebt uns einmal eine verläßliche Steuerbasis; schadet uns nicht dadurch, daß die Gewerbekapitalsteuer gerade in schlechten Zeiten regelmäßig einbricht und uns die finanzielle Grundlage entzieht.
Dem wollen wir nachkommen. Daher frage ich mich: Warum hindern wir die Kommunen daran? Warum geben wir ihnen nicht die Chance der Beteiligung an der Umsatzsteuer? Warum gehen wir nicht endlich auf die berechtigten Anliegen der Kommunen ein?
In langen und ausführlichen Verhandlungen und Beratungen im Finanzausschuß - in Anhörungen, in Gesprächen mit den kommunalen SpitzenverbänCarl-Ludwig Thiele
den - wurde dieses Thema erörtert. Wir haben die konkreten Vorstellungen zur Verteilung der Umsatzsteuer im wesentlichen von den kommunalen Spitzenverbänden übernommen. Das heißt, sie haben konstruktiv gearbeitet. Wir als Gesetzgeber haben die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände übernommen. Der Punkt, um den es ging, ist, ob die Kommunen mit 1,9, 2,1 oder 2,3 Prozent an der Umsatzsteuer beteiligt werden. Darüber kann man diskutieren, das haben wir erklärt. Den Kompromiß, den wir vorschlagen - 2,1 Prozent - halte ich für durchaus machbar.
Eines müssen wir natürlich auch sehen: Der Bund kann einen solchen Kompromiß nicht allein anbieten; denn es geht um die Umsatzsteuer, die zur Hälfte den Ländern zusteht. Da sind auch die Länder gefragt. Wir wollen eine Diskussion mit den Ländern. In diese Diskussion kommen wir aber nur, wenn das Gesetz verabschiedet wird. Erst dann kann das Gespräch im Bundesrat stattfinden.
Herr Kollege Thiele, bevor Sie Ihren letzten Satz sprechen - ich habe das Gefühl, Sie steuern darauf zu -, muß ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher zulassen. Sonst ist es keine Zwischenfrage mehr.
Gerne.
Bitte.
Herr Vorsitzender des Finanzausschusses Thiele, würden Sie bitte dem Plenum aus dem Bericht des Finanzausschusses den ersten Absatz der Seite 46 vorlesen, damit Sie sich selbst widerlegen, wenn Sie behaupten, die SPD sei gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Wir haben darüber eine kontroverse Diskussion im Ausschuß gehabt. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie solche Behauptungen sein, oder lesen Sie jetzt aus dem Bericht die Zustimmung der SPD vor.
Herr Kollege Thiele, darf ich Sie gleich fragen: Es gibt eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Frau Dr. Luft. Wollen Sie die gleich dazunehmen?
Ich würde mich gerne zuerst mit dem Kollegen von Larcher auseinandersetzen, weil Frau Luft nicht im Finanzausschuß war und die Frage von Herrn Larcher spezifisch dorthin gerichtet ist.
Ich möchte gerne aus Seite 46 zitieren - ich habe sie extra mitgebracht, Herr von Larcher -, wobei es mir natürlich noch leichter fällt, Ihre Kollegin Frau Dr. Hendricks zu zitieren, die heute ebenfalls ausführte, daß die SPD grundsätzlich - nichts anderes habe ich doch gesagt, Herr Poß - bereit ist, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen.
Ich zitiere aus dem Protokoll, und zwar den letzten Satz des ersten Absatzes auf Seite 46, Herr von Larcher:
Gleichwohl sei die Fraktion der SPD zu einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer bereit, wenn die von ihr genannten Bedingungen dafür erfüllt seien.
Insofern habe ich korrekt zitiert, wenn ich gesagt habe, daß Sie grundsätzlich zustimmen. Sie stellen allerdings Bedingungen. Das ändert aber nichts daran, daß Sie grundsätzlich für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind.
Damit habe ich aus meiner Sicht, Herr Präsident, die Frage beantwortet.
Sind Sie jetzt bereit, die Frage der Kollegin Frau Dr. Luft zu beantworten?
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Thiele, es ist doch zu vermuten, daß uns sehr viele der fast 5 Millionen Arbeitslosen heute morgen zuschauen oder zuhören. Sie haben wiederholt, was schon oft gesagt worden ist, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ganz wesentlich davon abhänge, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird. Was würden Sie den Millionen Arbeitslosen, die jetzt zuhören und zuschauen, sagen: Woher nehmen Sie die Gewißheit, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer den Unternehmen einen solchen Freiraum gibt, daß sie mehr produzieren und folglich Arbeitskräfte einstellen? Wenn ich mich mit Unternehmern unterhalte, dann sagen sie immer, nicht in erster Linie die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, sondern eine bessere Auftragslage sei es, die sie zu neuer Beschäftigung anregen würde.
Die zweite Frage: Woher nehmen Sie die Gewißheit, daß die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und damit die Entlastung der Unternehmen wirklich dazu führt, Arbeitsplätze zu schaffen, und daß dieses Geld, das vor allen Dingen bei Banken und Großunternehmen - denn um die geht es dort - in den neuen Bundesländern frei werden würde, nicht ins Ausland transferiert oder für andere Zwecke verwendet, sondern tatsächlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt werden würde?
Frau Kollegin Luft, ich stimme mit Ihnen vollkommen darüber überein, daß wir uns hier in einem Bereich der Steuergesetzgebung über einen Teil der Probleme unterhalten, die wir lösen müssen, um die Voraussetzungen für mehr Investitionen in Deutschland zu schaffen.
Ich wohne in der Nähe der niederländischen Grenze. Wenn ich mit Niederländern spreche, dann muß ich denen immer erst einmal erklären, was eine Gewerbesteuer überhaupt ist. Die ist dort unbeCarl-Ludwig Thiele
kannt. Wenn sich ein Unternehmen überlegt, im Grenzgebiet in Deutschland oder in den Niederlanden zu investieren - Sie können diese Debatte auch mit Wirtschaftsminister Clement aus NordrheinWestfalen führen, er wird mir zustimmen -, dann stellt es fest, daß es im steuerlichen Bereich sehr viele Gründe gibt, eher in den Niederlanden als in der Bundesrepublik Deutschland zu investieren. Das möchte ich nicht. Ich möchte, daß in Deutschland investiert wird.
Deshalb möchte ich, daß diese deutsche Sondersteuer auf Arbeitsplätze verschwindet. Denn wir lösen unsere Probleme nicht dadurch, daß wir die Arbeitsplätze mit immer neuen zusätzlichen Steuern und Abgaben belasten. Die schlimmsten Steuern sind die Substanzsteuern. Sie müssen auch von den Betrieben gezahlt werden, die überhaupt keinen Ertrag erwirtschaften. Wenn Betriebe Verluste erwirtschaften, muß gleichwohl diese Steuer gezahlt werden. Das halten wir für falsch.
({0})
Wir haben nie behauptet, daß die Gewerbekapitalsteuer das alleinige Standortproblem in Deutschland ist. Wir haben eine Summe von Standortproblemen. Wir haben nach wie vor das Standortproblem, daß wir die Substanzsteuer Vermögensteuer zwar endlich so gestaltet haben, daß sie nicht mehr erhoben werden kann; im Sinne von Planungssicherheit für die Zukunft wäre es aber besser, wenn sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages darüber einig wären, diese Substanzsteuer abzuschaffen, damit Gewißheit bestände, daß nicht bei einer anderen Regierung im nächsten Jahr im Vermittlungsausschuß diese zusätzlich belastende Steuer wieder eingeführt und dann erneut erhoben würde.
({1})
Jeder Investor muß doch die langfristige Perspektive seiner Investition im Auge haben. Deshalb muß er langfristig Klarheit haben. Wir wollen sie schaffen. Wir würden begrüßen, wenn Sie uns hierbei unterstützen.
Ich bin froh darüber, daß in dieser Debatte seitens der SPD die nicht sachgerechte Verknüpfung der Beibehaltung der Vermögensteuer mit der Gewerbekapitalsteuer nicht mehr erfolgte. Das hat nichts miteinander zu tun. Das ist eine sachfremde Überlegung. Wer etwas für den Standort Deutschland tun will, sollte nicht solche Popanzbedingungen aufbauen, sondern sollte sich konkret damit auseinandersetzen, wie wir die Rahmenbedingungen in Deutschland verbessern können.
({2})
Wer den Reformstau in Deutschland beklagt, wer der Auffassung ist, daß über Veränderungen nicht nur geredet werden soll, sondern diese auch beschlossen werden sollen, und wer endlich Ergebnisse im Interesse deutscher Arbeitsplätze und unserer Kommunen haben will, sollte diesem Gesetz zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn auch einzelne Abgeordnete der Opposition dieses heute täten.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In brüskierender Weise hat heute die Regierungskoalition die zweite und dritte Lesung ihres Gesetzentwurfes auf die Tagesordnung gepeitscht; eines Gesetzentwurfes, der von seiner rechtlichen Ausgestaltung her die Mütter und Väter des Grundgesetzes bestimmt nicht hätte ruhig schlafen lassen.
Wer wie CDU und F.D.P. so etwas tut, muß schon lange den Blick für Rechtssicherheit und politische Kultur verloren haben. Die Koalition, Herr Merz, hat Stillstand. Ihr geht offenbar immer mehr der politische Atem aus. Die PDS hingegen tritt in ihrem alternativen Programm für eine soziale und ökologische Reform von Steuern und Abgaben konsequent für eine Veränderung der derzeitigen Praxis in der Kommunalfinanzierung und in der Unternehmensbesteuerung ein. Danach darf eben nicht - Herr Thiele hat es löblicherweise erwähnt -, so ist unsere Position, in erster Linie die Substanz eines Unternehmens, sondern muß vor allem sein Ertrag einer angemessenen Besteuerung unterliegen.
({0})
Wir brauchen jetzt Vorschläge im Rahmen der großen Einkommensteuerreform, wie es auf diesem Gebiet langfristig weitergehen kann. Da in die Berechnung der Gewerbekapitalsteuer Dauerschulden und Dauerschuldzinsen in angemessener Weise mit eingehen, ist es aus Sicht der PDS nicht zu verantworten, wenn die noch verbliebenen gewerblichen Unternehmen in Ostdeutschland mit ihrer geringen Eigenkapitaldecke und ihrer hohen Kreditbelastung auch noch Gewerbekapitalsteuer entrichten sollen, so wie es in einigen Bundesländern vorgesehen ist.
Aber, Herr Bundesfinanzminister, ich wiederhole es nochmals: Sie haben die rechtlichen Grundlagen für dieses kontraproduktive Vorgehen in Sachsen und Brandenburg gelegt. Die Koalition hat in chaotischer Weise am 12. Dezember den Beschluß durchgesetzt, formal die Gewerbekapitalsteuer 1997 in Ostdeutschland einzuführen, wohlwissend, daß es dafür keine politischen und keine rechtlichen Voraussetzungen gibt.
({1})
Ungeachtet unserer kritischen Position zu Substanzsteuern können wir einer bundesweiten Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nur dann zustimmen, wenn die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen auch tatsächlich geschaffen werden. Das ist im Gesetzentwurf aber nicht der Fall.
({2})
Unsere Forderungen lauten folgendermaßen. Erstens. Im Grundgesetz muß eine Bestandsgarantie für die nach Versenkung der Kapitalsteuer noch ver-
I bleibende Ertragsteuer verankert werden. Die Koalition lehnt dies ausdrücklich ab und beharrt auf ihrer Koalitionsvereinbarung, wonach die Abschaffung der Kapitalsteuer der Einstieg in den völligen Ausstieg aus der Gewerbesteuer ist. Distanzieren Sie sich öffentlich von dieser Koalitionsvereinbarung! Das wäre eine Verhandlungsgrundlage.
Zweitens. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sollte endlich fester Bestandteil einer dringend notwendigen Reform der Kommunalfinanzen sein. Die Kommunalfinanzen in Deutschland müssen vom Kopf, auf dem sie jetzt stehen, endlich auf die Füße gestellt werden. Anderenfalls droht dem Gemeinwesen höchste Gefahr. Die PDS hat konkrete Reformvorschläge auf den Tisch des Hohen Hauses gebracht, über die Sie heute zustimmend entscheiden können.
Wir verlangen vor allem eine deutliche Anhebung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer - sie beträgt derzeitig 15 Prozent - bis auf 20 Prozent. Das ist hochaktuell, weil die sogenannten Reformabsichten von Theo Waigel davon ausgehen, daß das Aufkommen, das den Gemeinden aus der Einkommensteuer verbleiben soll, in den nächsten Jahren um 5 bis 6 Milliarden DM zurückgeht. Das ist unverantwortlich in Anbetracht der derzeitigen Lage.
In einer Mischung von Unwilligkeit und Unfähigkeit verweigert sich die Koalition einer umfassenden Reform der Kommunalfinanzierung und lehnt sogar eine gemeinsame Kommission von Bundesrat und Bundestag zur Vorbereitung eines solchen Projektes
) ab, wie es von der PDS initiiert und von der SPD aufgegriffen worden ist.
Drittens brauchen die ostdeutschen Gemeinden, denen aus der Nichterhebung der Gewerbekapitalsteuer seit 1991 2,1 Milliarden DM an Einnahmen vorenthalten worden sind, endlich einen angemessenen Ausgleich dafür. Die Ostkommunen brauchen zur Verbesserung ihrer Infrastruktur aber nicht, wie Herr Waigel es möchte, neue Schulden, neue Kredite. Sie brauchen Bargeld, das sie eigenverantwortlich zur Finanzierung ihrer angeschlagenen Infrastruktur einsetzen können.
({3})
Das ist der einhellige Vorschlag aller ostdeutschen kommunalen Verbände.
Am besten geeignet für ein solches Infrastrukturprogramm zum Ausgleich der Verluste ist das von der PDS seit 1994 im Bundestag wiederholt beantragte Verfahren zur Einführung einer kommunalen Investitionspauschale für die ostdeutschen Gemeinden, die vom Bund direkt ohne Bürokratie, ohne Bevormundung an die 6 000 ostdeutschen Städte und Gemeinden weitergeleitet wird.
({4})
Wir bitten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie Vernunft vor Ideologie walten, und stimmen auch Sie diesen Projekten zu!
({5})
Das Wort hat der Kollege Gerhard Schulz, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Diskussion ist ein Paradebeispiel für die Reformunfähigkeit der Sozialdemokratie in unserem Lande.
({0})
Sie ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, wie auf Kosten von Unternehmen und Arbeitsplätzen eine Verweigerungspolitik gemacht wird, die im Resultat die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem internationalen Markt nachhaltig schwächt, dem Investitionsstandort Deutschland mit Sicherheit schadet und vor allem ostdeutsche Betriebe ruiniert.
Seit Ende 1995 weigert sich die SPD notorisch, der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zuzustimmen, obwohl sie weiß, daß sie dann in den neuen Ländern eingeführt werden muß.
({1})
Nun ist sie seit Januar dieses Jahres eingeführt, für mich eine unerträgliche Situation. Noch im Dezember 1996 hörten wir von der SPD, die Unternehmen in den neuen Ländern würden durch diese Steuer überhaupt nicht belastet,
({2})
sie werde nur die Großbetriebe treffen,
({3})
und das, obwohl die SPD-Finanzministerin aus Brandenburg, Frau Wilma Simon, im Gespräch mit dem „Handelsblatt" bereits im Oktober 1996 die Zahl der gewerbekapitalsteuerpflichtigen Betriebe allein im Land Brandenburg mit 10 000 bis 12 000 angab.
({4})
Wenn man sich vor Augen führt, daß es in Brandenburg nur ganze 36 Großbetriebe gibt, werden zwei Dinge klar: Erstens. Die Gewerbekapitalsteuer trifft voll den Mittelstand. Zweitens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weiß nicht, wovon sie redet.
({5})
Wir wissen, daß mehr als 50 000 ostdeutsche Unternehmen mit etwa 800 Millionen DM durch diese Gewerbekapitalsteuer belastet werden. Die ostdeutsche Industrie erwirtschaftet aber keine Gewinne, sondern fährt, bezogen auf den Umsatz, im Durchschnitt 5 Prozent Verlust ein.
Herr Kollege Schulz, darf ich Sie einmal unterbrechen und fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ilte zu beantworten bereit sind?
Aber ja.
Es wäre übrigens aus meiner Sicht sehr nett, wenn jedenfalls die meisten sitzen würden, weil ich sonst gar nicht feststellen kann, ob jemand eine Zwischenfrage stellen will oder nicht. - Bitte.
Herr Kollege Schulz, auch Sie sind ja Unternehmer. Es gibt Unternehmer in Ostdeutschland, die sich das Finanztableau, das dem Gesetz angeheftet war, angeschaut und nachgerechnet haben. Deswegen frage ich Sie, ob der Eindruck, den manche Unternehmen aus der Finanzierung gewinnen, richtig ist, nämlich daß die - laut Angaben des BMF - netto 400 Millionen DM, die die Nichteinführung der Gewerbekapitalsteuer in Ostdeutschland den Unternehmen bringen würde, die also nicht erhoben würden, in den nächsten zwei bis zwölf Jahren mit netto 1 Milliarde DM durch Verschlechterung der degressiven AfA bezahlt werden? Ist der Eindruck richtig, daß die Unternehmen in Ostdeutschland das Gefühl haben, mit netto 600 Millionen DM die Kommunen im Westen zu finanzieren, und daß sie dafür einen Ausgleich von 20 Millionen DM Zinsvorteil bekommen sollen?
({0})
Die Rechnung und die Zahlen, die Sie vorlegen, will ich weder kommentieren noch überprüfen. Es geht um das Prinzip, daß die Unternehmen in Deutschland im Zusammenhang mit der Reform der Einkommensteuer sagen: Wir machen dies alles mit, weil uns am langen Ende der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer und bei der Reform der Einkommensteuer die Absenkung der Steuersätze mehr bringt, als wenn wir an dem festhalten, was wir jetzt haben.
({0})
Da die Betriebe in Ostdeutschland im Durchschnitt also Verlust erwirtschaften, wird deutlich, daß die überwiegende Zahl dieser Firmen die Gewerbekapitalsteuer aus ihrer Substanz bezahlen muß. Wer das nicht sieht, muß ein mit Brettern zugenagelter Ignorant sein.
Ein typisches Beispiel aus Leipzig: Bei einem Firmenvermögen von rund 200 Millionen DM, bestehend aus Gebäuden und Maschinen, die voll auf Kreditbasis finanziert sind - das ist die Regel -, muß das Unternehmen, obwohl es 50 000 DM Verlust verzeichnet, 12 000 DM Gewerbekapitalsteuer zahlen.
Versetzen wir uns einmal in die Lage eines ostdeutschen Handwerksmeisters, der nach der Wiedervereinigung mühsam seinen Betrieb aufgebaut hat und nun bis zur Halskrause in Schulden steckt. Dieser Handwerksmeister bangt jeden Tag um die Existenz seiner Firma, damit um die Existenz seiner Beschäftigten und nicht zuletzt auch um seine eigene Existenz.
({1})
Denn geht seine Firma pleite, bleibt für ihn nur noch die Sozialhilfe übrig. Er haftet mit seinem Privatvermögen, sofern er eines hat. Wenn dieser Unternehmer dann einen Steuerbescheid in Händen hält und schwarz auf weiß sieht, daß er auf seine Schulden Steuern zahlen muß, dann kann ich verstehen, daß er sich fragt: Warum mache ich das hier eigentlich? Warum setze ich ständig meine Existenz aufs Spiel? Warum beschäftige ich Menschen? Warum bilde ich Lehrlinge aus?
Die Gewerbekapitalsteuer ist für jeden Unternehmer nicht nur eine Belastung, sie ist eine Bestrafung.
({2})
- Im mittelständischen Bereich bezahlt die Gewerbekapitalsteuer zum Beispiel jeder größere ostdeutsche Baubetrieb, der sich mit hohen Krediten einen großen Maschinenpark angeschafft hat.
({3})
Wir dürfen in dieser Diskussion nicht die Fakten verdrehen. Die SPD verweigert seit Ende 1995 die Abschaffung dieser Steuer. Sie verweigert damit die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer. Dafür soll der Bundesfinanzminister einen Ausgleich leisten. Warum eigentlich?
Die westdeutsch dominierten kommunalen Spitzenverbände verweigern ebenfalls ihre Zustimmung und streiten über eine Beteiligung an der Umsatzsteuer in Höhe von 2,1 oder 2,3 Prozent, obwohl intern zugegeben wird, mit einer Beteiligung in Höhe von 2,1 Prozent könne man zurechtkommen. Dafür, daß dabei die ostdeutschen Kommunen hinten runterfallen und Einnahmeverluste hinnehmen müssen, soll der Finanzminister aufkommen. Warum?
Ich bin froh, daß wir Ostabgeordneten zusammen mit dem Finanzminister auf einem anderen Weg eine Teilentlastung der ostdeutschen Kommunen erreichen konnten, nachdem es nicht möglich war, eine rückwirkende Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer in diesem Jahr zu ermöglichen.
({4})
Mit der Aufstockung des Infrastrukturprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau von 2 auf 3 Milliarden DM werden die ostdeutschen Städte und Gemeinden wichtige Investitionen ihrer Infrastruktur finanzieren können. Wir haben ebenfalls vereinbart, daß diese Mittel auch für Sanierungen und nicht nur, wie bisher, für Neubauten Verwendung finden können.
({5})
Die Sanierung - das muß man wissen - schafft Aufträge direkt für den heimischen Mittelstand und sichert Arbeitsplätze. Ich weiß, wie schwierig es war,
Gerhard Schulz ({6})
diese Lösung zu finden. Ich weiß, Herr Finanzminister, Sie bzw. der Bundeshaushalt sind weder für die Verzögerung bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer noch für die daraus entstehenden Notlagen der ostdeutschen Kommunen verantwortlich zu machen, um das einmal ganz deutlich zu sagen.
Ich bin mir aber auch bewußt, daß es sich bei der Verbesserung der Kreditfinanzierung nicht um eine vollständige Kompensation handelt. Krediterleichterungen in Höhe von 150 bis 200 Millionen DM sind etwas anderes als direkte Einnahmen in Höhe von 500 Millionen DM. Das gebe ich zu. Wenn sich nun aber die Länder im Bundesrat bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß darauf verständigen könnten, daß sie aus ihren Mitteln eine zusätzliche Kompensation für die ostdeutschen Kommunen bereitstellen, wäre das ein toller Akt der Solidarität.
({7})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal an die Abgeordneten der SPD zu appellieren: Helfen Sie uns, viele existenzgefährdete ostdeutsche Unternehmen vor der Pleite zu retten! Helfen Sie uns, ostdeutsche Arbeitsplätze zu sichern!
({8})
Helfen Sie uns, daß die betriebs- und arbeitsplatzvernichtende Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern nicht erhoben werden muß und in Gesamtdeutschland abgeschafft wird!
({9})
Schon ab Mai können wir in Ostdeutschland mit einem zusätzlichen Anstieg von Unternehmenszusammenbrüchen und Arbeitslosigkeit rechnen; denn wir wissen aus Verlautbarungen, daß sich einige Länderfinanzminister an das geltende Gesetz halten werden und die Gewerbekapitalsteuer erheben werden. Der sächsische Finanzminister sagt, er könne dieses Verfahren bestenfalls bis Juni aufhalten.
Es ist also ganz deutlich, daß wir dieses Gesetz heute beschließen müssen, daß wir es rasch durch den Bundesrat und durch den Vermittlungsausschuß bringen müssen und daß wir dann rasch die Verfassungsänderung bewerkstelligen müssen. Damit würden Sie uns allen einen großen Dienst tun.
Recht schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was die Koalitionsredner hier geboten haben, war schon ein schändliches Spiel mit der Arbeitslosigkeit.
({0})
Es ist pure Demagogie, ein drittrangiges Steuerproblem - mehr ist nämlich die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, isoliert betrachtet, nicht ({1})
zum zentralen Standortproblem der Bundesrepublik Deutschland aufzublasen.
({2})
Wer so argumentiert, verfügt weder über Wirtschafts- noch über Finanz-, noch über andere Kompetenz. Er zeigt nur: Diese Regierung hat abgewirtschaftet. Das ist ein deutlicher Beleg hierfür.
({3})
Es ist zynisch, die steigenden Arbeitslosenzahlen in Ost und West mit dieser Steuer zu begründen. Sie wollen von Ihrer von Grund auf verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik ablenken. Das gelingt Ihnen nicht mehr; damit kommen Sie nicht mehr durch.
({4})
Auch die taktische Raffinesse, mit der die Kollegen Schäuble, Merz und andere dachten, die SPD hier vorführen zu können, verfängt nicht mehr. Herr Kollege Merz, warum empfehlen Sie uns denn eine Organklage gegen ein noch gar nicht beschlossenes Gesetz? Herr Kollege Repnik, warum zitieren Sie den Ausnahmecharakter eines Verfassungsgerichtsurteils und nennen nicht die Grundlage dieses Urteils, die nämlich verlangt, daß das Ende der Gesetzgebung klar ist, bevor man klagen kann?
({5})
Wenn das so ist, müßten Sie gleichzeitig die Verfassungsänderung und die einfachgesetzliche Änderung zur Abstimmung stellen und dürften das nicht voneinander trennen, wie Sie das gemacht haben.
({6})
Wir haben schon 1995 erklärt, daß wir mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer unter bestimmten Bedingungen einverstanden sind. Diese Bedingungen haben wir immer wieder im Einvernehmen mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände genannt. Fakt ist der - davon können Sie, Herr Thiele, noch so wortreich nicht ablenken -: Bis heute gibt es keine Zustimmung der Kommunen und der Länder. Deswegen stimmen auch wir nicht zu.
({7})
Die kommunalen Spitzenverbände haben dies noch am 29. Januar bzw. 30. Januar verlangt. So heißt es in den Beschlüssen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes wörtlich:
Die verbleibende Gewerbesteuer und die Beteiligung an der Umsatzsteuer sind im Grundgesetz wirksam abzusichern.
Der Deutsche Städtetag sagt:
Unverzichbar ist für die Städte die verfassungsmäßige Absicherung der verbleibenden Gewerbeertragsteuer.
Warum stimmen Sie dann nicht unserem Vorschlag zu, den Gemeinden in Art. 28 GG eine mit kommunalem Hebesatzrecht ausgestaltete Gewerbesteuer als Bestandteil ihrer finanziellen Eigenverantwortung zuzugestehen? Warum machen Sie das nicht?
({8})
Ich hoffe - ich wende mich an die Kommunalpolitiker in der CDU/CSU -, daß Sie heute genau zugehört haben, als der Kollege Merz bekräftigt hat: Wir wollen die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer. Das hat Herr Merz für die Koalition erklärt.
({9})
Mit dieser Botschaft gehen Sie einmal in die Kommunen und sagen Sie, welche Finanzperspektive sie angesichts des Umstandes haben,
({10})
daß täglich Jugendheime und andere freiwillige Einrichtungen geschlossen werden müssen. Auch das ist doch blanker Zynismus im Umgang mit den Anforderungen dieser gemeindlichen Ebene: ihnen keine Perspektive zu geben, ihnen diese Perspektive zu versagen. Das haben heute Herr Merz und auch Herr Thiele hier gemacht.
Ich freue mich darüber. Jetzt ist endlich Klarheit. Jetzt können alle meine Freundinnen und Freunde in den Kommunen die CDU-Kommunalpolitiker fragen: Wie haltet ihr es mit der Zukunft der Gewerbesteuer insgesamt?
({11})
Da werden sich alle Kommunalpolitiker in Hessen freuen, daß diese Botschaft heute morgen so deutlich übergekommen ist.
({12})
Wir haben gesagt: Wir stimmen zu, wenn ein Ausgleich erfolgt. Dieser Ausgleich ist bisher weder für westdeutsche noch für ostdeutsche Kommunen hergestellt worden. Der Zinsvorteil von 20 Millionen DM über das KfW-Programm kann doch wohl nicht der Ausgleich für die ostdeutschen Kommunen sein. Mit diesem Ergebnis können sich die CDU-Bundestagsabgeordneten in Ostdeutschland nicht sehen lassen.
({13})
Erinnern Sie sich eigentlich noch an die Zusicherung des Bundeskanzlers, daß Änderungen bei der Gewerbesteuer nur im Konsens mit den Gemeinden erfolgen sollen? Wo ist denn dieser Konsens? Die Garantieerklärung dieses Bundeskanzlers ist nichts wert. Sie ist genausowenig wert wie viele andere
Kanzlerworte auch - zur Rente, zur Arbeitslosigkeit, zur Abschaffung des Solidaritätszuschlages.
({14})
Heute geht es um wesentlich mehr als nur um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer; das müssen alle wissen. Es geht um die Abschaffung der gesamten Gewerbesteuer. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer soll nur ein erster Schritt sein. Es geht also gar nicht um den Wegfall von 8 Milliarden DM an originären Steuereinnahmen der Gemeinden und um einen Ausgleich über die Umsatzsteuer. Nein, meine Damen und Herren, es geht um die Gewerbesteuer insgesamt und damit um ein Volumen von 50 Milliarden DM.
({15})
Sie haben beschlossen, den Kommunen 50 Milliarden DM originärer Steuerkraft wegzunehmen, ohne auch nur anzudeuten, welchen Ausgleich die Gemeinden in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhalten sollen. Herr Merz hat gesagt, es erfolge ein angemessener Ausgleich. Was ist das denn in einer Zeit, in der die Finanzdecke bei den Kommunen, bei den Ländern, beim Bund so knapp ist?
({16})
Auf den Unternehmensbereich bezogen heißt das: Wir reden heute nicht nur über die Abschaffung einer Substanzsteuer. Wir reden über die Abschaffung einer Ertragsteuer mit dem sechsfachen Aufkommen dieser Substanzsteuer.
({17})
- Wer Ihrer heutigen Forderung, dem ersten Schritt, folgt, der stimmt auch dem zweiten Schritt zu. Das ist das Problem.
({18})
- Heute nicht. Aber heute wollen Sie die Grundlage für die Abschaffung des Steueraufkommens von 50 Milliarden DM für die Kommunen schaffen.
({19})
Nach den Plänen der Koalition gibt es für die Gemeindefinanzen keine Zukunft. Das Gegenteil aber ist notwendig: Wir müssen nach Wegen suchen, die Finanzautonomie der Gemeinden zu stärken, um deren finanzielle Eigenverantwortung abzusichern.
({20})
Deshalb ist es wichtig, daß auch in Ihren eigenen Reihen Klarheit über die Tragweite Ihrer Pläne herrscht. Wenn Sie in Art. 106 GG nur die bestehende Ertragskompetenz der Gewerbesteuer zugunsten der Kommunen klarstellen wollen, dann ist das keine Sicherheit für die Kommunen.
Sie wollen keine Gemeindefinanzreform, wie sie auch der Städtetag fordert. Sie lehnen unseren Antrag zur Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Gemeindefinanzreform ab, obwohl dies die Mehrheit des Bundesrates so beschlossen hat. Was soll dann die Aussage von Herrn Merz im Finanzausschuß: Auch wir wollen eine Gemeindefinanzreform!, wenn hier und heute im Deutschen Bundestag bei diesem Antrag keine Konsequenzen folgen?
({21})
Ihnen geht es nur darum, die Interessen der 5-Prozent-Partei F.D.P. durchzusetzen.
({22})
Bei dieser Klientelpartei wundert mich die kommunalfeindliche Haltung nicht. Ich frage mich nur, wie die Volkspartei CDU/CSU mit einer solchen Haltung leben kann. Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.
({23})
Einerseits bekennen Sie sich mit hehren Worten zur kommunalen Selbstverwaltung, andererseits beseitigen Sie mit Ihrer konkreten Politik die bewährten finanziellen Grundlagen der Selbstverwaltung.
({24})
Statt Perspektiven aufzuzeigen, zerstören Sie Vertrauen und nehmen den Kommunen die noch bestehende Hoffnung auf eine sichere finanzielle Zukunft.
Wir stimmen der Verlängerung der Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern ausdrücklich zu. Darauf hätten wir uns heute beschränken können, meine Damen und Herren.
Zu einer Bilanz der finanziellen Auswirkungen der Gewerbesteuerpläne in den neuen Ländern gehört auch, die Wirkungen der Absenkung bei der degressiven Abschreibung einzubeziehen. Nach den vom Bundesfinanzministerium vorgelegten Übersichten ergibt sich in der Summe, daß die Unternehmen in den neuen Ländern bei Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer kräftig draufzahlen. Sie müssen nämlich in vollem Umfang zur Gegenfinanzierung über die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen beitragen. Im Saldo ergibt sich eine jährliche Verschlechterung von über 600 Millionen DM im Jahre 1999,
({25})
die bis zum Jahre 2000 auf über 1 Milliarde DM ansteigt. Die von der Koalition immer wieder behauptete Entlastung der Unternehmen findet also tatsächlich gar nicht statt.
({26})
Wir haben gesagt, daß wir einer Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im Konsens mit Ländern und
Gemeinden zustimmen können. Ein solcher Konsens liegt hier nicht vor. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
({27})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Merz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Poß, Sie haben mich in Ihrer Rede, die ja ein permanenter Anschlag auf Ihre eigene Gesundheit war, mehrfach und auch im Hinblick auf die Koalitionsvereinbarung zitiert. Damit aus dieser Debatte nicht ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich nur klarstellen: Es gibt für uns keinen Grund, an der Aussage in der Koalitionsvereinbarung herumzudeuteln, daß wir langfristig auch die Abschaffung der Gewerbeertragsteuer für richtig halten.
({0})
Zweitens. Ich habe unter Hinweis auf die Verfassungsbestimmung in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 festgestellt, daß sich bereits aus der Verfassung, so wie sie heute geschrieben ist, ein Anspruch der Gemeinden ergibt, für den Ausfall an Gewerbekapitalsteuer und insbesondere für den Ausfall an Gewerbeertragsteuer - wenn sie denn abgeschafft werden sollte, wofür ich plädiert habe - einen vollständigen Ausgleich zu bekommen.
({1})
Ich will noch ergänzen: Es gibt eine interessante Bestimmung in unserem Grundgesetz, die einen Hinweis darauf gibt, wie man so etwas machen könnte. In Art. 106 Abs. 5 Satz 3 steht, daß den Gemeinden durch einfaches Bundesgesetz ein Hebesatzrecht am kommunalen Anteil der Einkommensteuer eingeräumt werden kann.
({2})
Dies scheint uns ein gangbarer Weg zu sein. Wir wollen darüber reden. Wir wollen darüber in aller Ruhe reden. Vor allen Dingen wollen wir so darüber reden, daß es Ihre Gesundheit, Herr Poß, nicht weiter beschädigt.
Herzlichen Dank.
({3})
Herr Kollege Poß, Gegenrede.
Zunächst bedanke ich mich herzlich, Herr Kollege Merz, daß Sie sich solche Sorgen um meine Gesundheit machen. Es ist vor solchen Abstimmungen immer etwas schwierig, sich hier durchzusetzen. Man redet immer mit der Angst, sich nicht durchsetzen zu können, und wird dadurch etJoachim Poß
was lauter. Ich bitte um Verzeihung, falls ich den einen oder anderen etwas gestört haben sollte.
Als zweites stelle ich fest, daß Sie mit Ihrer Feststellung, die Gewerbeertragsteuer solle fallen, den Kommunen jede konkrete Perspektive genommen haben.
({0})
Sie haben mit der Verkündung des alten SchäublePlanes, die Kommunen eventuell an der Einkommensteuer mit eigenem Hebesatzrecht zu beteiligen, einen Plan geäußert. Das ist lange keine Perspektive. Ich empfehle Ihnen die Lektüre der vielen einschlägigen Vermerke, die Sie im Bundesfinanzministerium und woanders zu diesem komplizierten Thema lesen können und aus denen hervorgeht, daß es viele Gewinner und Verlierer bei den Kommunen geben wird. Sie haben hier einen Luftballon in die Welt gesetzt, der mit einer Perspektive für die Kommunen überhaupt nichts zu tun hat.
({1})
Von daher stelle ich zusammenfassend, auch im Blick auf den kommenden Sonntag in Hessen, fest:
({2})
Die CDU/CSU hat sich heute morgen im Deutschen Bundestag endgültig als kommunalfeindliche Partei entlarvt.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996. Das ist die Drucksache 13/901.
Bevor Sie sich für die namentliche Abstimmung zu den Urnen begeben, möchte ich Ihnen sagen: Es gibt eine Reihe von Einzelabstimmungen. Ich werde nicht abstimmen lassen, wenn ich nicht übersehen kann, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Also bitte ich Sie, Platz zu nehmen. -
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 7000 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen und ihm den Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform" zu geben.
Die Fraktion der SPD verlangt zu einer Einzelvorschrift getrennte Abstimmung. Ich rufe deshalb zunächst Art. 2 Nr. 13 in der Ausschußfassung auf. Es handelt sich um die Änderung des § 37 des Gewerbesteuergesetzes. Ich bitte diejenigen, die der aufgerufenen Vorschrift zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 2 Nr. 13 ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt alle übrigen Vorschriften des Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU und die der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, jetzt die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht in die Urne geworfen hat? - Darf ich noch einmal fragen: Sind alle Stimmkarten in den Urnen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben. *)
Wir setzen die Beratung jetzt fort. Dazu bitte ich allerdings, wenigstens den Innenraum hier freizumachen. - Herr Minister, Herr Kollege Schlauch, ich ich darf Sie bitten, den Innenraum freizumachen. Herr Michelbach, ich darf auch Sie bitten. ({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7075. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf hinweisen, daß nach dieser namentlichen Abstimmung noch weitere Abstimmungen stattfinden werden. -
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen erst später bekanntgegeben. **)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich darf Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. - Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996, Drucksachen 13/901 und 13/7000 - bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 623. Mit Ja haben gestimmt: 330. Mit Nein haben gestimmt: 293. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
*) Seite 14529A **) Seite 14536 B
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 623 davon
ja: 330
nein: 293
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({1}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Hartmut Büttner
({3})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({4}) Peter Harry Carstensen
({5})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer ({6})
Leni Fischer ({7})
Klaus Francke ({8}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Gröbl
Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({9}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
({10}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({11}) Hansgeorg Hauser
({12}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({13}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({14})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({15}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({16})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Walter Link ({17}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({18})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({19})
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({20}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({21}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({22}) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({23}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({24}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({25}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({26}) Klaus Dieter Reichardt
({27})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({28})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({29})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({30}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({31})
Dr. -Ing. Joachim Schmidt
({32})
Andreas Schmidt ({33}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({34}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({35}) Gerhard Schulz ({36}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({37}) Clemens Schwalbe
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({38})
Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({39})
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({40})
Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
({41})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({42}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({43}) Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({44})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Robert Antretter
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen ({45}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({46}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({47}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({48})
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf ({49}) Angelika Graf ({50}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack ({51})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({52}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({53}) Frank Hofmann ({54}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung ({55}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({56}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({57}) Winfried Mante Dorle Marx
Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({58}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({59}) Jutta Müller ({60}) Volker Neumann ({61}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler
Horst Schild Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({62})
Ulla Schmidt ({63}) Dagmar Schmidt ({64}) Wilhelm Schmidt ({65}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({66})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Richard Schuhmann
({67})
Brigitte Schulte ({68}) Reinhard Schultz
({69}) Volkmar Schultz ({70})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({71}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Horst Sielaff Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Ute Vogt ({72})
Karsten D. Voigt ({73}) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({74}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({75}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westlich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({76}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({77})
Heidi Wright
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({78}) Elisabeth Altmann ({79})
Marieluise Beck ({80}) Angelika Beer
Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer ({81}) Joseph Fischer ({82}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner Antje Hermenau Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Oswald Metzger Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch ({83}) Cem Özdemir
Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({84})
Wolfgang Schmitt
({85})
Werner Schulz ({86}) Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({87}) Margareta Wolf ({88})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({89}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der PDS auf Drucksache 13/7002. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/7095. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7095? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Reform der Kommunalfinanzierung, Drucksache 13/7000 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4597 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Einstieg in eine umfassende Gemeindefinanz- und Unternehmensteuerreform, Drucksache 13/7000
Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4870 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der Stimmen der SPD und der Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesrat mit dem Vorschlag zur Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen, Drucksachen 13/5760 und 13/7000 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Vorschlag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen, Drucksache 13/7000 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5776 ({90}) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit demselben Mehrheitsverhältnis angenommen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 12a bis 12d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Francke ({91}), Karl Lamers und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann, Dr. Helmut Haussmann, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.
Entwicklung der Reformprozesse in den MOE-Staaten und den Neuen Unabhängigen Staaten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion seit Anfang 1994
- Drucksachen 13/4033, 13/5601 -
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 24. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits
- Drucksache 13/6201 - ({92})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({93})
- Drucksache 13/6870 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Francke ({94}) Karsten D. Voigt ({95})
Ulrich Irmer
Vizepräsidentin Michaela Geiger
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({96})
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Freimut Duve, Karsten D. Voigt ({97}), Günter Verheugen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Erklärung der Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zu der Erklärung der Bundesregierung
Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa
- Drucksachen 13/1566, 13/1539, 13/1567, 13/1536, 13/4912 Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Schmidt ({98}) Freimut Duve
Waltraud Schoppe
Steffen Tippach
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({99}) zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger, Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige und umweltfreundliche Energiepolitik in Osteuropa
- Drucksachen 13/1321, 13/5161 Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({100})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile unserem Kollegen Klaus Francke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In seinem neuesten Buch schreibt der Essayist Wolf Jobst Siedler den Satz: „Der Osten wird Westen sein, oder er wird gar nicht sein!" Er fährt fort:
Das ist die tiefere Bedeutung der Ereignisse, die Europa und mit ihm Deutschland im Jubiläumsjahr der Französischen Revolution noch einmal umstürzen.
Mehr als 50 Jahre lang wurden die Länder und Völker Mittel- und Osteuropas gewaltsam gezwungen, ihre historisch gewachsenen Verbindungen zu
Westeuropa zu leugnen und ihren Blick nach Osten zu richten. Diese erzwungene Positionsveränderung ist nach einer ganzen Epoche der Unterdrückung jämmerlich gescheitert. Unsere eigene Kultur- und Geistesgeschichte ist ohne ihre Wurzeln in Budapest, Prag oder Warschau nicht nachzuvollziehen.
Der Raum zwischen Moldau, Donau und Weichsel ist europäisches Herzland. Aus diesen Fakten der Vergangenheit speisen sich unser Wille und unsere Verpflichtung, diesen Völkern bei ihren Bemühungen behilflich zu sein, das Joch der vergangenen 50 Jahre endgültig abzulegen. Es liegt in unserem eigenen Interesse, das Zusammenwachsen Europas und die Einbindung der Staaten in Mittel- und Osteuropa in den europäischen Integrationsprozeß nachhaltig zu unterstützen.
({0})
Es war das Anliegen der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen, die deutsche Politik gegenüber den Reformstaaten in Mittel- und Osteuropa, aber auch auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion umfassend darzustellen. Zwei weitere Gesichtspunkte sprachen darüber hinaus für das Einbringen der Großen Anfrage:
Erstens. Der Vergleich mit den Antworten auf unsere Große Anfrage von 1993 zum gleichen Thema gibt uns, aber auch den angesprochenen Ländern die Möglichkeit, festzustellen was bis heute erreicht werden konnte und welche Wegstrecke noch vor uns liegt.
Zweitens. Jede Mark und jede personelle Unterstützung für den Transformationsprozeß sind eine Investition in die Zukunft der deutschen Partner und in die Zukunft Europas. Diese Ausgaben gegenüber dem deutschen Steuerzahler zu begründen und ihm die Bedeutung der Unterstützung zu verdeutlichen ist ebenfalls unser Anliegen. Der Erfolg rechtfertigt den hohen personellen und finanziellen Aufwand.
Jetzt muß auf der Basis dieser umfassenden Bestandsaufnahme die Richtung der zukünftigen deutschen Politik benannt werden, um dem fundamentalen deutschen Interesse an Stabilität der östlichen Nachbarn und damit ganz Europas auch in Zukunft zu entsprechen.
Die Erfolge der Vorreiter unter den Reformstaaten, ihr wirtschaftliches Wachstum und die Verankerung der demokratischen Prinzipien im Bewußtsein der Bevölkerung, sind deren eigenes Verdienst. Sie zeigen aber auch, daß die Unterstützung der Bundesregierung und der Europäischen Union in die richtige Richtung gewiesen hat. Die Reformprozesse in diesen Staaten haben diejenige Eigendynamik gewonnen, die weitere Erfolge für die Zukunft verspricht.
Es bleibt dabei, daß unsere Hilfe eine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Die Reformstaaten müssen weiterhin selbst und konsequent an den ihnen bekannten Voraussetzungen zur Aufnahme in die europäischen Strukturen bzw. deren Vertiefung arbeiten. Das Weißbuch der EU zur Angleichung der Strukturen ist hier eine gute Richtschnur für notwendiges Handeln.
Klaus Francke ({1})
Diesen von den MOE-Staaten selbst eingeschlagenen deutlichen Kurs nach Europa müssen wir auch dadurch aktiv unterstützen, daß wir umgehend die Voraussetzungen für institutionelle Reformen der EU für die Neuaufnahmen schaffen. Wenn sich der Aufnahmeprozeß zu sehr verzögert, drohen Enttäuschung und Verbitterung. Das gilt besonders für die baltischen Staaten, die einer besonders engen Anbindung an europäische Strukturen bedürfen.
Während sich bei den Reformvorreitern eine positive Entwicklung abzeichnet, zahlen umgekehrt einige Reformstaaten heute noch den Preis dafür, daß sie die notwendigen Reformen nicht zügig genug angegangen sind. Diese Kluft, die sich in der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zwischen den einzelnen Reformstaaten auftut, empfinde ich zunehmend als besorgniserregend. Unsere Unterstützung muß sich mit der Überwindung dieser Kluft befassen; sonst drohen neue Gräben mitten in Europa, die nur zu Instabilität führen können.
Ich blicke hier besonders nach Rumänien und Bulgarien. Nach den Wahlen der Präsidenten Constantinescu in Rumänien und Stojanov in Bulgarien sind die politischen Rahmenbedingungen für einen zukünftigen erfolgreichen Wirtschaftskurs gesetzt. Gerade für Rumänien konnten die Zahlen der Bundesregierung, die bekanntlich aus dem vergangenen Jahr stammen, jetzt schon positiv korrigiert werden. Trotzdem bleibt noch manches zu tun, was von unserer Seite tatkräftige Unterstützung erfordert. Dies gibt mir die Gelegenheit, Herr Minister Kinkel, Ihnen für Ihre klare Positionsbestimmung in Ihrem Brief an den bulgarischen Außenminister vom 27. dieses Monats zu danken.
({2})
Um in Südosteuropa, aber auch in den übrigen Reformstaaten weiterhin zu helfen, wird es nach meiner Überzeugung in Zukunft noch stärker auf personelle Unterstützung als auf finanzielle Hilfe durch uns ankommen. Hierzu nur ein Hinweis: Die EU-Bewerberländer aus Ost- und Mitteleuropa müssen auch ihre Steuersysteme den westeuropäischen Standards und Regeln anpassen, bevor sie in die Europäische Union aufgenommen werden können. Auch hierbei können wir durch versierte westliche Experten wertvolle Hilfestellung leisten.
Stabilität und Sicherheit in Europa werden zukünftig immer mehr davon abhängen, ob wir die Kluft unterschiedlicher Entwicklung und unterschiedlicher Lebensstandards in Europa überwinden. Wir wollen aber nicht nur die politische und wirtschaftliche Einbindung dieser Staaten, sondern wir sind auch entschlossen, eine substantielle Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage nach ihrer Teilhabe an der zukünftigen europäischen Sicherheitsarchitektur zu geben. Dazu gehört wesentlich die Bereitschaft der NATO, sich für neue Mitglieder nach Osten zu öffnen.
Die aktuelle Diskussion rankt sich auch um die Frage, welche Kosten bei einer Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO entstehen, die in einer aktuellen US-Studie mit etwa 27 bis 35 Milliarden Dollar angegeben werden. Mich beschleicht bei dieser Diskussion immer der Verdacht, daß hier mit der Veröffentlichung von abschreckend hohen Zahlen - von denen noch nicht geklärt ist, ob sie auf die NATO-Mitglieder oder nicht vielmehr auf die Beitrittskandidaten selbst zukommen - die Neuaufnahmen hinausgeschoben werden sollen.
({3})
Es ist aber doch so, daß es sich hier zuallererst um eine politische Entscheidung handelt, wie sie es auch in anderen Fällen in der Vergangenheit gewesen ist. Das politische Interesse sagt, daß wir es uns nicht leisten können, die Reformstaaten weiterhin vor den Türen der NATO zu lassen und gegebene Zusagen nicht einzuhalten. Damit riskieren wir mehr, als manche bei den Neuaufnahmen an Problemen für die Allianz befürchten.
({4})
Wir alle wissen, daß der russische Widerstand gegen die NATO-Öffnung trotz der gezeigten Verhandlungsbereitschaft Rußlands bleibt. Die erfolgreiche Einbindung Rußlands in die europäische Sicherheitsarchitektur ist aber die zentrale Voraussetzung dafür, daß diese Bestand hat. Gleichzeitig soll Rußland kein Vetorecht in der Frage der NATO-Öffnung zugestanden werden. Diese beiden Faktoren miteinander zu versöhnen könnte nach meiner Überzeugung Gegenstand der Tagesordnung des beabsichtigten NATO-Rußland-Rates sein. Es muß nur klar sein, daß die NATO das Recht behält, auch bei bleibendem Dissens in diesem Rat über ihre Öffnung und deren Einzelheiten selbständig zu entscheiden. Die Erfüllung der Erwartungen der Beitrittskandidaten und die Einhaltung der Zusagen der NATO haben hier Vorrang. Das sollten wir auch gegenüber den Beitrittskandidaten deutlich machen.
Von
„Wenn wir nicht den Osten stabilisieren, destabilisiert der Osten uns." Es ist daher nach meiner Überzeugung eine historische Aufgabe, die vor uns liegt. Die weitere Sicherung von Frieden und Freiheit hängt von dem Erfolg unserer gemeinsamen europäischen Bemühungen ab. Dazu gehört auch, daß wir bei allen noch vorhandenen Unterschieden die erste Verhandlungsrunde zur Aufnahme neuer Mitglieder mit allen Bewerbern gleichzeitig führen, auch wenn klar ist, daß es differenzierte Bedingungen und Fristen für jeden Kandidaten geben wird.
({0})
Die Menschen in den MOE-Staaten und darüber hinaus wollen, wie wir wissen, mit uns gemeinsam das europäische Haus bauen. Ich meine, es ist des Schweißes der Edlen wert, daß wir ihnen dabei helfen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Meckel.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bis heute, sieben Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, erlebe ich es immer wieder, daß von Europa gesprochen wird und dabei nur die Europäische Union gemeint ist.
({0})
In der heutigen Debatte geht es um Europa, aber ohne diese Einschränkung.
Wir haben heute die historische Chance, Europa friedlich und auf der Grundlage gemeinsamer Wertorientierungen zu gestalten. In der Charta von Paris aus dem Jahre 1990 sind diese Grundlagen beschrieben. Alle Staaten Europas haben sich dazu bekannt.
Eine getrennte Entwicklung in Europa ist heute nicht mehr möglich. Herr Francke, Sie haben dies soeben schon gesagt. Ohne Stabilisierung und Gelingen der Transformationsprozesse im Osten Europas wird es im Westen keine dauerhafte wirtschaftliche und politische Stabilität geben. Europa ist zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden.
Sicherheit und Stabilität sind dauerhaft nur im gesamteuropäischen Rahmen zu gewährleisten. Die Grundbegriffe europäischer Politik sind deshalb Kooperation und Integration: die möglichst intensive und verbindliche Kooperation der Europäischen Union und der NATO mit Rußland sowie der Ukraine einerseits und die Integration der Staaten Ostmitteleuropas in die westlichen Strukturen andererseits.
Die Entwicklungen in Rußland und in der Ukraine sind für Europa von lebenswichtigem Interesse. Das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der EU und Rußland, das heute auf der Tagesordnung steht, ist ein wichtiger Schritt, die Kooperation mit Rußland auf allen Gebieten zu intensivieren und zu gestalten. Wir alle wissen, mit welchen Unsicherheiten und Risiken die Entwicklung in Rußland behaftet ist.
So wichtig der russische Präsident für die Zukunft Rußlands ist, so dürfen wir trotzdem nicht der Gefahr erliegen, nur auf den Mann an der Spitze zu starren. Wir brauchen eine breitere Kommunikation nach Rußland und in Rußland und auch in die sogenannte Provinz; denn Rußland ist deutlich mehr als Moskau. Wir sollten vielfältige zentrale Kooperationsstrukturen schaffen und den Kontakt zu den wirklichen Demokraten nicht abreißen lassen, auch dann nicht, wenn sie nicht gleich Mehrheiten mobilisieren können.
({1})
- Ich danke Ihnen.
Vergleichbares gilt für die Ukraine, die allzuoft im Schatten der Beziehungen zu Rußland steht. Dabei sollten wir größtes Interesse haben, den ausgeprägten Willen der Ukraine nach westlichen Bindungen zu unterstützen.
Die Europäische Union hat für die Gestaltung Europas eine Schlüsselrolle. Auf sie richten sich alle Hoffnungen der Völker Mittel- und Osteuropas. Mit der Europäischen Union gestalteten die westlichen Staaten unter dem Druck des Kalten Krieges ein in der Geschichte unübertroffenes Werk, ein Zukunftswerk. Durch Integration gelang es, Wohlstand zu fördern, alte Konflikte durch rechtlich geregelten Interessenausgleich zu überwinden und Demokratie zu stärken. Die Staaten Ostmitteleuropas, Südosteuropas und die baltischen Staaten waren ein halbes Jahrhundert von dieser Entwicklung abgeschnitten. Ihrer Tradition und Kultur nach sowie entsprechend ihrem Willen und ihrem Selbstverständnis gehören sie jedoch dazu.
So geht es bei dem Prozeß der Erweiterung der Europäischen Union im eigentlichen Sinne nicht um eine Erweiterung, sondern um die endlich möglich gewordene Öffnung. Man könnte mit Willy Brandt sagen: Es wächst zusammen, was zusammengehört. - Jedenfalls gibt es diese Chance, und wir müssen sie ergreifen.
In Zeiten des Kalten Krieges hatte man sich angewöhnt, in allen Fragen, die Ostmitteleuropa angehen, den Schlüssel in Moskau zu suchen. Das war damals auch nicht ganz falsch. Es hatte gewissermaßen eine Tradition. In Polen aber steckt die leidvolle Erfahrung tief, zwischen Rußland und Deutschland zu liegen und gewissermaßen in der eigenen Existenz zu einer Funktion des russisch-deutschen Verhältnisses zu werden.
Nach der Charta von Paris muß nun für alle Zukunft klar sein: Die Gestalt Europas gründet sich auf die Selbstbestimmung der Staaten und Völker. Die Staaten Ostmitteleuropas sowie die baltischen Staaten sind heute selbst Subjekte europäischer Politik. Die Beziehung des Westens zu ihnen darf nicht eine Funktion der Beziehungen zu Rußland sein. Diese Staaten müssen das Recht haben, sich so zu orientieren, wie es ihrer Tradition und ihrem Willen entspricht.
Für die zehn heute mit der Europäischen Union assoziierten Staaten ist der Transformationsprozeß nach dem Jahr 1990 eng mit der Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union verbunden. Den Europa-Abkommen kommt hierbei große Bedeutung zu.
Betrachtet man die letzten sieben Jahre, so stellt man fest, daß sich in diesen Ländern eine rasante Entwicklung vollzogen hat. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zeichnet davon ein beeindruckendes Bild. Es zeigt sich, wie sehr politische Reformen, die Entwicklung demokratischer Strukturen sowie der Aufbau handlungsfähiger und effektiver Verwaltungen einerseits und ökonomische Reformen andererseits in enger Beziehung zueinander stehen. Wo in der Gesellschaft über die Parteigrenzen hinweg ein breiter Grundkonsens über die Notwendigkeit auch schmerzhafter ökonomischer Reformschritte vorhanden war, sind erstaunlich schnelle Erfolge nicht ausgeblieben.
Die Vorreiter dieses Prozesses sind Polen, die Tschechische Republik und Ungarn, aber auch Estland, das deutlich weiter ist als seine baltischen Nachbarn, oder Slowenien, das allzu oft vergessen wird, weil es als frühere Republik Jugoslawiens im Schatten des Krieges und seiner Folgen steht. Dabei sollten die großen Unterschiede zu Serbien und Kroatien durchaus gewürdigt werden. Deshalb glauben wir auch, daß es richtig und wichtig wäre, bei den anstehenden Entscheidungen der NATO und der Europäischen Union auch Slowenien mit einzubeziehen. Wir wären sehr froh darüber, wenn auch der deutsche Verteidigungsminister seinen Widerstand dagegen aufgeben würde.
Wer heute Ost- und Mitteleuropa betrachtet, wird natürlich viele Gemeinsamkeiten und Probleme erkennen, haben doch alle diese Staaten eine vergleichbare Vergangenheit in kommunistischer Zeit, deren Folgen lange nachwirken. Doch werden auch die beträchtlichen Unterschiede zwischen ihnen deutlich. Neben den genannten erfolgreichen Staaten gibt es auch solche, wo die Transformation in vielen Bereichen noch nicht vollzogen ist. Ich nenne Weißrußland, das in diktatorische Verhältnisse zurückzufallen droht, oder auch Bulgarien, das sich in einer tiefen Krise befindet und wo wir dem neuen Präsidenten Stojanow weiterhin eine glückliche Hand wünschen, um in einer gemeinsamen Anstrengung aller reformwilligen Kräfte das Land aus der Krise zu führen, wobei internationale Hilfe dringend notwendig ist.
({2})
Auch die Slowakei wird ihre demokratischen Defizite noch beheben müssen, um den gewünschten Weg in die Europäische Union und die NATO zu finden. Wir haben daran großes Interesse.
Ost- und Mitteleuropa haben zwar eine gemeinsame Geschichte, doch sind sie heute kein einheitliches Gebilde mehr. Die Differenzierungen zwischen diesen Ländern sind sehr groß. Deshalb müssen wir auch in den Beziehungen zu diesen Staaten differenzieren, um ihnen gerecht zu werden. Es gibt keinen Ostblock mehr.
Das gilt es auch bei den anstehenden Entscheidungen über die Erweiterung der Europäischen Union zu berücksichtigen. Anfang nächsten Jahres werden nach den Stellungnahmen der Kommission zum jeweiligen Entwicklungsstand eines Landes die ersten Verhandlungen beginnen. Die zentrale politische Aufgabe sehe ich heute darin, sich Gedanken darüber zu machen und zu entscheiden, was wir für die Länder tun können, die in ihren inneren Entwicklungen noch nicht so weit fortgeschritten sind, daß eine Mitgliedschaft in greifbare Nähe rückt. Mit den Festlegungen über den Verhandlungsbeginn brauchen wir eine politische Entscheidung über ein Bündel von Maßnahmen, welches diesen Ländern überzeugend deutlich macht, daß auch ihre Integrationsperspektive glaubwürdig und verbindlich ist.
Die Perspektive für die Integration in die Europäische Union ist für die Fortführung des notwendigen
Reformprozesses und für die Stabilität in diesen Ländern von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig wird man jedoch auch feststellen müssen, daß großen Teilen der Bevölkerung noch nicht wirklich deutlich geworden ist, ein wie tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel damit verbunden ist. Hier braucht es intensive öffentliche Aufklärung und Diskussion. Es ist zum Beispiel heute noch überhaupt nicht ausgemacht, wie man etwa in den Grenzgebieten Ungarns oder der Slowakei reagieren wird, wenn finanzkräftige Wiener ausschwärmen, um sich dort billigere Häuser in schöner Umgebung zu kaufen. Gleiches könnte man von Berlinern in der deutsch-polnischen Region oder natürlich von Dresdnern, Görlitzern oder anderen sagen.
Das gegenseitige Kennenlernen der Menschen in Europa steckt noch immer in den Anfängen. Im Westen ist die Gleichgültigkeit gegenüber den Ländern und Bevölkerungen in Ost- und Mitteleuropa groß. Wie sehr sie zu unseren eigenen Entwicklungsbedingungen der Zukunft gehören, ist vielen Menschen bei uns noch nicht bewußt. Allzu viele denken noch, es könne im Westen einfach alles so weitergehen. Dabei ist deutlich, daß auch im Westen Europas noch viel getan werden muß, um den aktuellen Herausforderungen in Europa gerecht werden zu können. Nirgendwo ist dies deutlicher als bei der Regierungskonferenz der Europäischen Union.
Die Gesellschaften der östlichen Länder sind in den letzten Jahren sehr in Bewegung gekommen. Die internen Veränderungen sind groß, ebenso der Wille, sich nach Westen zu orientieren. Das gilt insbesondere für die Jugend. Ein wichtiger Gradmesser für die demokratische Entwicklung in einem Land ist das Verhältnis zu Minderheiten. Die ethnischen Minderheiten in den verschiedenen Ländern - es gibt fast überall mehrere - haben ein neues Selbstbewußtsein entwickelt, und sie streiten um ihre Rechte. In einigen Ländern, wie in Polen oder Ungarn, sind die Minderheitenfragen politisch als gelöst zu betrachten, auch wenn es in der Gesellschaft immer wieder unangenehme Vorfälle gibt, aber die haben wir auch in Westeuropa.
Insgesamt aber ist die Lage in diesen Ländern trotz mancher Fortschritte noch instabil. Das zeigt gerade das positive Beispiel Rumänien. Da, wo sich durch einen Regierungswechsel wie jetzt in Rumänien die Lage der Minderheiten deutlich verbessert hat, muß man sich fragen, was durch einen umgedrehten Regierungswechsel in solchen Ländern dann auch wieder passieren kann. Das heißt, hier brauchen wir einfach gefestigtere Strukturen.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat bei diesen Entwicklungen unserer östlichen und südöstlichen Nachbarstaaten sowohl durch die nicht zu unterschätzenden deutschen Aktivitäten in den internationalen Organisationen, der Europäischen Union und der NATO, aber auch in einer Fülle bilateraler Beziehungen eine wichtige Rolle gespielt. Es wäre von vielem zu reden, nicht nur von wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit, sondern auch von einer Fülle gesellschaftlicher und kultureller KonMarkus Meckel
takte. Natürlich gibt es hier noch viele Probleme. Doch ich denke, wir sind auf einem guten Weg.
Auf uns Deutschen liegen, fast möchte man manchmal sagen: Lasten, große Erwartungen aus dem ganzen östlichen Europa, wo man Deutschland als Fürsprecher kennt und achtet. Es macht dieses deutsche Engagement nicht unglaubwürdiger, sondern verläßlicher, wenn wir deutlich machen, daß wir ein eigenes, besonderes Interesse an einer stabilen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa haben und deshalb für die Integration unserer Nachbarn und die verbindliche Kooperation mit Rußland und der Ukraine eintreten.
Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, daß wir Deutschen in diesem Jahrhundert viel Leid und Schrecken über unsere Nachbarn gebracht haben, ist das neu gewachsene Vertrauen im Verhältnis zu ihnen ein Grund zur Freude und zugleich eine Verantwortung, die die Parteien des Deutschen Bundestages wie auch die Bundesregierung entschlossen wahrnehmen. Es ist für unsere Nachbarn von zentraler Bedeutung, daß sie wissen, daß es in diesen Fragen bei uns einen breiten Konsens gibt, auf den sie sich verlassen können.
Vielen Dank.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, inzwischen liegt uns das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung vor. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7075 bekannt. Abgegebene Stimmen: 617; mit Ja haben gestimmt: 282; mit Nein haben gestimmt: 327; Enthaltungen: 8. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 617 davon
ja: 282
nein: 327
enthalten: 8
Ja
SPD
Brigitte Adler Robert Antretter Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bert!
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen ({0}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({1}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({2}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({3}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Iris Gleicke
Günter Gloser Uwe Göllner
Günter Graf ({4}) Angelika Graf ({5}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({6})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({7}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({8}) Frank Hofmann ({9}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung ({10}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Klaus Lohmann ({11}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({12})
Winfried Mante Dorle Marx
Christoph Matschie
Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({13}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({14}) Jutta Müller ({15}) Volker Neumann ({16}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer ({17})
Ulla Schmidt ({18}) Dagmar Schmidt ({19}) Wilhelm Schmidt ({20}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({21})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Richard Schuhmann
({22})
Reinhard Schultz ({23}) Volkmar Schultz ({24})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({25}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Joachim Tappe
Jörg Tauss
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({26})
Karsten D. Voigt ({27}) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({28}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({29}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({30}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({31}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({32}) Elisabeth Altmann
({33}) Marieluise Beck ({34}) Angelika Beer
Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer ({35}) Joseph Fischer ({36}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({37}) Cem Özdemir
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({38}) Wolfgang Schmitt
({39})
Werner Schulz ({40}) Christian Sterzing
Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({41}) Margareta Wolf ({42})
PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({43}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({44}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({45}) Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({46}) Hartmut Büttner
({47})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({48}) Peter Harry Carstensen
({49}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer ({50})
Leni Fischer ({51})
Klaus Francke ({52}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({53}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({54})
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({55}) Hansgeorg Hauser
({56}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({57}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Hans-Ulrich Köhler ({58})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({59}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr. -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({60})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Christian Lenzer
Peter Letzgus
Walter Link ({61}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({62})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({63})
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({64}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({65}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({66}) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({67}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({68}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({69}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Dr. Hermann Pohler
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner
Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Rolf Rau
Helmut Rauber Otto Regenspurger
Christa Reichard ({70}) Klaus Dieter Reichardt
({71})
Dr. Bertold Reinartz
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik
Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
({72}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({73})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({74}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({75}) Dr. -Ing. Joachim Schmidt
({76})
Andreas Schmidt ({77}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({78}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({79}) Gerhard Schulz ({80}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({81}) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({82})
Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({83}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({84}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({85})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({86}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({87}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({88})
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Gerd Andres Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Volker Kröning Rudolf Purps Gerhard Rübenkönig Horst Schild
Brigitte Schulte ({89})
Wir fahren in unserer Aussprache fort. Das Wort hat unser Kollege Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Monaten wird die Debatte über das Verhältnis zu den Staaten Mittel- und Osteuropas von einem Thema dominiert: der gewünschten und geplanten und auch umstrittenen Erweiterung der NATO. Außenminister, Präsidenten und Kanzler, Generalsekretäre, Verteidigungsminister reden allesamt miteinander und gegenüber der Öffentlichkeit über kein anderes Thema so häufig wie über dieses. Dieser Umstand verdeutlicht meines Erachtens verzerrte Prioritäten in der außenpolitischen Debatte.
Ich denke, für manche Staaten ist die NATO-Mitgliedschaft ein Hauptziel der Integrationsbestrebungen, weil sie meinen, der Spatz - NATO - in der Hand sei besser, als jahrelang auf die Taube - EU - zu warten. Ich glaube, daß im Westen die Debatte über die NATO-Frage mitunter als Ersatz für die eigentliche Integrationsdebatte genommen wird, als wolle man damit von den Schwierigkeiten der EU-Erweiterung ablenken.
Deshalb erscheint es mir nötig, die Debatte über die anzustrebende gesamteuropäische Integration wieder auf jene Aspekte zu lenken, die dafür am wichtigsten sind.
({0})
Natürlich ist auch die Sicherheit wichtig, und der Anspruch der ost- und mitteleuropäischen Staaten, in europäische Sicherheitssysteme integriert zu werden, ist völlig legitim.
Ich will aber wenigstens beiläufig anmerken, daß in Sicherheitsfragen die westliche Politik Versäumnisse aufweist und daß sie neue Möglichkeiten kooperativer Sicherheit durch die Stärkung der OSZE bis heute vernachlässigt hat. Das Wichtigste aber, die Grundlage all dessen, was gegebenenfalls verteidigungswert wäre, ist eine stabile demokratische und ökonomische Entwicklung in ganz Europa.
({1})
- Und eine ökologische. Das brauche ich bei unserer Partei nicht besonders zu betonen.
Sie gilt es zu fördern. Dies ist die bedeutendste und zugleich schwierigste Aufgabe, der sich die Staaten
Europas zu stellen haben. Ich sage ausdrücklich: die Staaten Europas; denn diese Aufgabe kann nicht alleine von den integrationswilligen Staaten Mittel- und Osteuropas bewältigt werden. Ihre Lösung hat eine historische Dimension. Sie könnte ein Glücksfall in der europäischen Geschichte werden. Nicht zuletzt liegt sie auch im deutschen Interesse.
Das wichtigste Instrument zur Erfüllung dieser Aufgabe ist die Europäische Union. Sie ist die politische und ökonomische Basis der erfolgreichen westeuropäischen Integration. Sie ist das Ziel der mittel- und osteuropäischen Staaten. Zu Recht wird mitunter gesagt, daß viele der Aufnahmekandidaten noch lange nicht reif für eine Mitgliedschaft sind. Aber ebenso muß gesagt werden, daß auch die EU bisher nicht reif für die Aufnahme einer ganzen Reihe neuer Mitglieder ist.
({2})
Um diese Reife zu erlangen, sollte sich die EU verstärkt jenen Staaten in Mittel- und Osteuropa zuwenden, die wie Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien oder sogar Estland bereits heute die Aufnahmekriterien mindestens in vergleichbarer Weise wie einige derzeitige EU-Mitgliedstaaten erfüllen könnten. Jene Staaten sollten als gleichberechtigte Subjekte mindestens in die politischen Entscheidungsprozesse der EU mit einbezogen werden, um endlich die dort notwendigen Reformprozesse in Gang zu setzen.
({3})
Denn das Modernisierungsdefizit der Europäischen Union ist eines der größten Hindernisse für die gesamteuropäische Integration.
Ich will auf die heute hier zu behandelnden Vorlagen eingehen. In ihnen findet sich leider über diese Themen wenig. Sie geben aber immerhin die Möglichkeit, nach monatelangem Schweigen des Deutschen Bundestages über die Situation in der östlichen Hälfte unseres Kontinentes zu sprechen sowie auch über die Unzulänglichkeit, mit der der Westen die dortigen zum Teil dramatischen Ereignisse reflektiert.
Ich will durchaus die respektablen Leistungen der Bundesregierung oder der Bundesrepublik Deutschland insgesamt für Mittel- und Osteuropa würdigen. Aber ich sehe auch einiges problematischer und widerspruchsvoller als meine Vorredner und will das einfach einmal an der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen illustrieren. Diese Antwort ist sicherlich eine Fleißarbeit. Aber was den politischen Gehalt angeht, erscheint sie mir reichlich uninspiriert.
Am auffälligsten an dieser Antwort finde ich den abgehobenen und bürokratischen Stil der Beurteilung. Wie Schüler werden die einzelnen Länder nach formalen Kriterien abgehandelt und in Schubladen einsortiert. Die unendlichen Mühen, die die notwendigen Reformen selbst in relativ erfolgreichen Ländern wie Polen oder Ungarn für den Großteil der Menschen dort bedeuten, kommen in diesem Raster nicht vor. Deshalb will ich an dieser Stelle wenigstens sagen, daß die vielen von Armut, Hunger, Entwurzelung, Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen unser Mitgefühl und die vielen, die diesen mühsamen Transformationsprozeß tragen, unsere ganze Hochachtung verdienen.
({4})
Zugleich verfehlt die Methode dieser buchhalterischen Beurteilung in vielen Einzelfällen die Realität des Reformprozesses. Ich will auch dafür Beispiele nennen.
Bulgarien und Albanien etwa werden als im Prinzip auf dem richtigen Weg geschildert. Sehr zurückhaltend wird für die bulgarische Wirtschaft die Gefahr einer „krisenhaften Entwicklung" genannt. Aber angesichts der jetzigen Hungerrevolte muß man sich wirklich fragen, ob die Verfasser es zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Antwort nicht hätten besser wissen können oder ob sie mit dieser Antwort nur die Fragesteller beschwichtigen wollen. Für letztere Vermutung spricht, daß der Bericht einen Durchschnittslohn für Bulgarien in Höhe von 80 DM im Monat feststellt. Im Unterschied dazu hat UNDP in den letzten Tagen für 1996 ausgerechnet, daß „die große Mehrheit der bulgarischen Bevölkerung mit monatlich zwischen 8 und 17 DM auskommen muß". Nach Angaben des bulgarischen Sozialministeriums lag der Anteil derer, die schon 1995 unterhalb der osteuropäischen Armutsgrenze lebten, bei 90 Prozent.
Ich zitiere wiederum aus der Antwort der Bundesregierung. Dort wird „die insgesamt positive Entwicklung" in Albanien angesprochen. Sie führte immerhin zu den international festgestellten Wahlfälschungen und kulminierte in den jetzt zu erlebenden Straßenschlachten.
Die innenpolitische Lage in autoritär regierten Ländern wird in der Antwort der Bundesregierung fast durchweg als „stabil" bezeichnet. Beispiel: die Beschreibung der Lage in Usbekistan in der Antwort der Bundesregierung. Sie sei „nach wie vor stabil", heißt es da.
({5})
Anschließend wird festgestellt, daß die Oppositionsparteien verboten sind, daß es keine freien Wahlen und keine freie Meinungsäußerung gibt. Was, so frage ich die Bundesregierung, haben Sie eigentlich für einen Begriff von Stabilität?
({6})
Ist es nicht gerade die Erfahrung von 1989/90, die uns sagt, daß das Fehlen von Marktwirtschaft, das Fehlen von Demokratie nicht Stabilität zur Folge hat, sondern im Gegenteil zu äußerst instabilen Verhältnissen führt? Wird das nicht gerade auch durch die jüngste Entwicklung in Staaten wie Belarus, Tadschikistan oder, wie erwähnt, Albanien und Bulgarien belegt? Werden hier nicht einmal mehr, wie es Ihnen mit dem sowjetischen System früher schon einmal
passiert ist, Ruhe und Frieden mit Friedhofsruhe verwechselt?
({7})
- Ich wundere mich nicht, daß Sie darauf keine Antworten haben.
Je mehr man diese Einschätzungen liest, desto stärker wird der Eindruck, daß Stabilität beschworen wird, damit man selbst nicht allzuviel verändern muß.
Nun könnte man sagen: Die Antwort stammt vom September vorigen Jahres; sie ist nicht mehr aktuell; zwangsläufig kann sie deshalb einige aktuelle Entwicklungen nicht berücksichtigen.
({8})
Das trifft sicherlich zu. Vielleicht gibt es ja auch politische Entwicklungen, die Anlaß zur Hoffnung geben; Rumänien wurde schon von meinen Vorrednern genannt. Aber auch diese verspätete Behandlung ist natürlich ein Teil des Problems,
({9})
die zu seltene Befassung der deutschen Politik mit diesem Thema.
Jedoch ist das Hauptproblem für mich nicht die verspätete Debatte. Vielmehr besteht es für mich darin, daß die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa ausschließlich aus dem Blickwinkel westlicher Verhältnisse und Befindlichkeiten betrachtet und deswegen nur zum Teil verstanden wird.
({10})
Dazu paßt die Überheblichkeit, mit der immer von Geber- und Empfängerländern die Rede ist. Ich nenne auch das Problem, daß es bei der Fülle von Institutionen und Organisationen, die Hilfe für Mittel- und Osteuropa leisten, keine Erfolgskontrolle gibt. Es wird nicht erkennbar, wieviel Geld real in der Bundesrepublik verbleibt und wieviel tatsächlich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Man erfährt nicht, wer in Deutschland selber von dieser Hilfe profitiert und in welchem Umfang. Das gilt noch stärker für den Handel mit den Staaten Mittel- und Osteuropas. Die Firmen, überwiegend aus den alten Bundesländern, haben davon mindestens soviel profitiert wie die sogenannten Empfängerländer.
Meine Damen und Herren, die Realität in den Reformstaaten und ihre Auswirkung auf uns wird sehr deutlich, wenn wir uns den konkreten Dingen zuwenden, beispielsweise den zweifelhaften Methoden zum Schutz der polnischen Grenze, der Problematik der Flüchtlinge und Asylsuchenden, der Problematik von Kriminalität und Prostitution wie an jeder Wohlstandsgrenze in der Welt usw.
Wir müssen uns deshalb natürlich vor allem diesen konkreten Dingen zuwenden, zum Beispiel der Frage der Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Billiglohnland Polen oder umgekehrt auch der Verlagerung von billigen Arbeitskräften von Polen nach Deutschland. Dies alles sind Probleme, die wir jetzt angehen müssen, und Herausforderungen für die westeuropäische und deutsche Politik, auf die meines Erachtens bisher nicht in dem erforderlichen Umfang reagiert wurde.
Dazu gehört nicht nur die Tatsache, daß qualifizierte Arbeit bei unseren östlichen Nachbarn billiger ist als hierzulande. Die Globalisierung wird sehr konkret und nimmt eine nicht mehr mit Allgemeinplätzen abzuhandelnde Gestalt an. Es geht um die nächsten Jahre deutsch-polnischer, deutsch-tschechischer, deutsch-ungarischer usw. Zusammenarbeit, die bald ebenso bedeutsam und normal sein wird wie die deutsch-niederländische oder die deutsch-österreichische Zusammenarbeit.
Es wird immer wieder gefragt, wie sich denn die mittel- und osteuropäischen Staaten auf die EU-Mitgliedschaft vorbereiten. Die Fragen aber, wie sich Deutschland vorbereitet und ob unsere derzeitigen Normen für die Zukunft überhaupt brauchbar sind, werden nicht gestellt. Ebensowenig wird die Frage gestellt, wie wir die Kreativität der Gesellschaften in den betrachteten Ländern und die dortige Bereitschaft zu Veränderungen für uns produktiv nutzen und daraus lernen können. Diese Chancen, die sich auch für uns aus dem Integrationsprozeß ergeben, müssen endlich wahrgenommen werden.
({11})
Das Wort hat jetzt unser Kollege Uli Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Kollege Gerd Poppe spricht, habe ich immer das Problem, daß er zwar ziemlich vernünftige Sachen sagt, ich aber nicht weiß, ob er für die Mehrheit seiner Fraktion spricht. Das müßte in jedem Fall immer identifiziert werden.
({0})
- Sehen Sie, ich habe gewußt, ich muß hier ein bißchen Stimmung hineinbringen. Das war ja bisher schrecklich langweilig.
({1})
Jetzt spreche ich einfach einmal ein paar Dinge an, die dem einen oder anderen vielleicht nicht gefallen.
Wenn der weniger radikale Teil der Opposition im Deutschen Bundestag, verkörpert durch den im Vergleich zu seiner Fraktion weniger radikalen Gerd Poppe, nichts anderes an der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU und der F.D.P. zu kritisieren hat als einen gewissen Mangel an Inspiration,
({2})
als eine gewisse „Anmonatung" - „Anjahrung" kann man ja gar nicht sagen -, eine gewisse Verstaubtheit
({3})
und eine gewisse bürokratische Sprache,
({4})
dann muß ich feststellen: Ich bedanke mich, Gerd Poppe, für dieses Riesenloblied auf die Politik der Bundesregierung.
({5})
Denn wenn es nichts anderes zu kritisieren gibt, dann würde ich das gerne akzeptieren, wenn ich die Bundesregierung wäre.
Wir haben hier natürlich das kleine Problem, daß es, wenn ein Bericht, der als Antwort auf unsere detaillierten Fragen - deshalb ist dieser Bericht so detailliert - im Jahre 1996 geschrieben worden ist, Monate später diskutiert wird, dann in der Natur der Sache liegt, daß ein paar Dinge nicht mehr ganz aktuell sein können.
Lieber Kollege Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poppe?
Aber bitte sehr.
Nachdem ich mich erst einmal für die Blumen, die ich vom Kollegen Irmer erhalten habe, bedankt habe, möchte ich Ihnen die Frage stellen, ob Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, daß ich in meinen Ausführungen gesagt habe: Dieser Bericht ist aus einem falschen Blickwinkel geschrieben, indem er die Lagebeschreibung des Ostens einseitig und nur unter dem Aspekt unserer westeuropäischen Befindlichkeiten vornimmt, und kommt deshalb zwangsläufig zu falschen Ergebnissen. Wenn das ein Lob für die Bundesregierung war, dann bin ich für die Bescheidenheit der Bundesregierung sehr dankbar.
({0})
Lieber Kollege Poppe, wenn einem Bericht, der ersichtlich - notwendigerweise, zwangsläufig und richtigerweise - von Beamten verfaßt wurde, eine gewisse Inspiration fehlt, dann halte ich das für normal.
({0})
Es wäre erschreckend, wenn es anders wäre. Es ist jetzt an uns hier, das nötige Maß an Inspiration hineinzubringen, und das werde ich jetzt versuchen.
({1})
Wir haben hier ein ernsthaftes Problem. Meine Partei hat sich sehr frühzeitig und sehr intensiv und leidenschaftlich dafür eingesetzt, und zwar von Anfang an, seit dem Umbruch 1989/90, daß wir unsere bewährten westlichen Institutionen für die neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas öffnen. Das haben die Koalition und auch die Bundesregierung mit größter Beharrlichkeit betrieben, übrigens dankenswerterweise von der Opposition vehement unterstützt. Das will ich hier anerkennend feststellen.
({2})
- Von der SPD immer und von Bündnis 90/Die Grünen in Teilen, die ich vorhin schon charakterisiert habe.
Aber wenn wir jetzt in die akute Phase treten, in der konkrete Beitrittsverhandlungen beginnen können, dann sollten wir - da nehme ich sehr ernst, was Markus Meckel hier gesagt hat - natürlich nicht vergessen, daß dies allenfalls ein sehr unzulänglicher Zwischenschritt in der Gesamtentwicklung ist, die wir anstreben. Diese Gesamtentwicklung muß sein, daß wir gesamteuropäische Strukturen schaffen, daß wir eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur aufbauen, daß wir gesamteuropäische Wirtschafts- und Sozialstrukturen finden und daß wir damit nachhaltig zu Stabilität auf dem gesamten Kontinent beitragen.
Wer heute meint - das ist eine gewisse Gefahr bei der Konzentration der Debatte allein auf die Beitrittsverhandlungen -, mit der Aufnahme einiger ausgewählter Länder in die NATO und auch in die Europäische Union seien die Probleme mehr oder weniger erledigt, und wir könnten uns dann zurücklehnen und sagen: „Was sind wir doch großartig, und was haben wir alles geschafft", der irrt natürlich. Ich sehe zwei große Probleme, denen wir uns widmen müssen, und ich meine auch mehr, als wir das bisher getan haben. Wir müssen die Vorbehalte, die Rußland uns tagtäglich entgegenhält, ernst nehmen. Ich plädiere auf keinen Fall dafür, von unserer klaren Position abzugehen, daß niemand ein Vetorecht hat, wenn Staaten von ihrem in der Charta von Paris verbrieften Recht Gebrauch machen, daß sie über die Zugehörigkeit zu einem Bündnis nach ihrer Wahl selbst bestimmen. Da gibt es kein Veto, da gibt es kein Wackeln, da gibt es kein Vertun. Aber wenn die Folge sein könnte, daß das in anderen Bereichen zu weniger Stabilität führt, dann muß das ernstgenommen und in den Beitrittsverhandlungen sowie bei der Durchführung dieses Projekts bedacht werden.
Übrigens gilt das, wie ich fürchte, nicht nur in Richtung Rußland. Ich halte die Gründe, die die Russen vortragen, für wenig überzeugend. Die Russen wissen ganz genau, daß die NATO keine Aggressionen ihnen gegenüber entwickelt, weder in dem Zustand, in dem sie heute ist, noch nach einer etwaigen Öffnung, nach dem Beitritt weiterer Mitglieder. Die NATO ist nie aggressiv gewesen. Sie ist es heute weniger denn je, und sie wird es in Zukunft noch weniger sein. Im übrigen ist sie weit mehr als ein militärisches Bündnis; sie ist eine Stabilitätsgemeinschaft und auch eine Wertegemeinschaft.
Nein, ich sehe die größere Gefahr darin, daß diejenigen Länder, die in der ersten Runde, und zwar was beide Beitritte betrifft, aus objektiven Gründen nicht dabeisein können, in einer Weise reagieren könnten, die dem gesamteuropäischen Zusammenhalt abträglich wäre. Es besteht die große Gefahr, daß sie sich zurückgesetzt und zurückgestoßen fühlen. Deshalb müssen wir sehr darauf achten - das ist auch eine Frage der Psychologie -, daß wir nicht diejenigen, die in der ersten Runde nicht dabei sind oder die in absehbarer Zeit, in den nächsten Jahren, nicht beitreten können, von Anfang an zu den Outs erklären. Es muß vermieden werden, daß sich diese Länder als ausgestoßen, als nicht zugehörig fühlen. Sonst schaffen wir nämlich mehr Probleme, als wir vielleicht durch die Integration der wenigen „erwählten" Länder lösen.
Deshalb - hier ist, glaube ich, von keiner Seite des Hauses schon ausreichend nachgedacht worden, wir müssen uns wirklich anstrengen, Möglichkeiten wie Überleitungsbestimmungen und Zwischenschritte zu einer Mitgliedschaft zu finden - und weniger des Prestiges halber, das da immer beschworen wird, halte ich es für so wichtig, daß die erste Runde der Beitrittsverhandlungen - ich rede jetzt von der Europäischen Union - von allen gleichzeitig wahrgenommen werden kann, daß alle, die einen Antrag gestellt haben, nach der Eröffnung dieser Konferenz mit am Tisch sitzen und daß dann gesagt wird: Es gibt objektive Gründe, weshalb ihr in der ersten konkreten Verhandlungsrunde über Einzelheiten nicht dabei seid. Wir wollen euch aber ermutigen. Wir wollen euch dabei helfen, dafür zu sorgen, daß die Voraussetzungen, die heute noch fehlen, so bald wie möglich geschaffen werden.
Noch etwas: Wir sollten bei den Ländern, die bereits so weit sind oder die kurz davor stehen, nicht den Fehler machen, zu sagen: Ja, aber es gibt noch ungelöste Probleme. Deshalb kommt die Vollmitgliedschaft erst einmal nicht in Frage. - Wenn es ungelöste Probleme gibt - ich erwähne hier beispielsweise die Landwirtschaft -, dann müssen wir sagen: Diesen geben wir eine möglicherweise langjährige Überleitungsfrist. Der politische Wille aber muß klar sein - dies ist hier schon erwähnt worden -: die politische Mitwirkung, wo immer sie möglich ist. Das wird uns auch bei den dringend notwendigen Reformen innerhalb unserer Europäischen Union weiterhelfen.
Lassen Sie mich am Schluß noch eines sagen: Europa ist mehr als Sicherheit, mehr als Außenpolitik, mehr als Wirtschaft. Ein Thema, dem wir uns ebenfalls widmen sollten: Durch die jetzt mögliche Öffnung haben wir die Chance, an das anzuknüpfen, was in früheren Jahrhunderten einmal Bestand hatte und von blutrünstigen Diktatoren, von den Nazis und den Stalinisten, kaputtgeschlagen worden ist: an die gesamteuropäische Kultur. Wir müssen uns mehr um die kulturelle Dimension des gesamteuropäischen Einigungsprozesses kümmern, damit wir aus der Vielfalt all derer, die dazu beisteuern, die kulturelle und damit auch die seelische Kraft schöpfen können, die Europa braucht, um seine Probleme zu bewältigen.
Danke schön.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Gysi.
Frau Präsidentin! Liebe wenige Kolleginnen und viele Kollegen! Herr Kollege Irmer, ich finde es ein bißchen einfach, den Beamten, die einen solchen Text schreiben müssen, Inspirationslosigkeit vorzuwerfen.
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Überlegen Sie doch einmal, woran das liegt - vielleicht an der Politik der Bundesregierung, die Ihnen kaum ermöglicht, ihre Inspirationen und ihre Ideen in die Tat umzusetzen.
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Ich finde die Bestandsaufnahme in den Antworten auf die Große Anfrage einigermaßen informativ und interessant. Nachdem hier ewig und drei Tage die Bundesregierung und verschiedenste Gremien Westeuropas gelobt wurden,
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möchte ich an dieser Stelle eigentlich nur eines feststellen: Wenn man die Antworten gelesen hat, wäre es angebracht, einmal festzustellen, daß die Leistungen, die die Völker der Staaten Mittel- und Osteuropas in diesen Reform- und Transformationsprozessen zu erbringen haben und erbringen, gigantisch sind
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- dies nicht, weil es eingeimpft oder vorgeschrieben wäre, sondern weil sie mit unwahrscheinlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die unter anderem mit der Politik der EU, der NATO und der Bundesregierung zusammenhängen.
Einen Teil der Antworten finde ich allerdings eher peinlich, und zwar den, wo begonnen wird, eine Art Erfolgsstory der Bundesregierung zusammentragen zu lassen. „Maßgeschneidert für den jeweiligen Entwicklungsstand" habe man die Perspektive einer Mitgliedschaft in den Integrationsstrukturen eröffnet, so steht es original in der Antwort.
Wenn man sich das Eingangszitat vom Kollegen Francke, der jetzt leider nicht mehr hier ist, noch einmal in Erinnerung ruft, zeigt das eines: Die Strategie ist nicht etwas Maßgeschneidertes, sondern ein ziemlich langweiliger westlicher Einheitsschnitt, der im Grunde genommen einen wirklichen Spielraum in der Entwicklungsstrategie dieser Länder kaum eröffAndrea Gysi
net, der vorgibt, das zu akzeptieren, was vom Westen in diese Länder sozusagen verpflanzt werden soll.
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- Das, glaube ich, ist eine arrogante Feststellung: Die Länder wollen die Verwestlichung. Ich glaube kaum, daß Sie in Gesprächen mit Ihren osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen sagen: Ihr wollt doch die Verwestlichung! Also freßt oder sterbt! - Das nämlich ist die Devise, die daraus resultiert.
Die Beitrittsstaaten sollen allein für die Anpassung an die vorgegebenen Bedingungen verantwortlich gemacht werden. Die Weichen der Annäherung wurden auf eine Art politische Union mit militärpolitischen Kompetenzen gestellt, ohne tatsächlich Entscheidungsspielraum zu lassen.
Es ist aber kontraproduktiv, den Beitrittskandidaten aus dem westeuropäischen Erfahrungshorizont politische und ökonomische Entscheidungen vorschreiben zu wollen. Die Völker wollen ihr Schicksal selbst bestimmen.
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Ein stabiles Nachbarschaftsverhältnis funktioniert bekanntlich nur bei gegenseitiger Anerkennung der Verantwortungshoheit, ganz abgesehen davon, daß man wieder einmal die Chance vertut, die Kooperation, die Annäherung und das Zusammenleben von über 100 Millionen Menschen mit eigener Geschichte, eigenen Erfahrungen und eigener politischer Willensbildung für einen Neuansatz auch der Politik in Westeuropa zu nutzen.
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Die Art und Weise der Herstellung der deutschen Einheit sollte eigentlich Lehre genug sein.
Diese Staaten brauchen nicht nur eine klare Beitrittsperspektive bezüglich EU mit ausreichenden Übergangsfristen usw., sondern maximale Mitspracherechte bei der Ausgestaltung ihrer in der Tat nicht einfachen Heranführung an die EU.
Drei Grundpfeiler sind aus unserer Sicht entscheidend:
Erstens sollten alle Staaten, die es wollen, konsultative Mitglieder der EU werden und in dieser Eigenschaft an den Diskussionen innerhalb der EU gleichberechtigt teilnehmen können. Das gilt selbstverständlich auch für die Regierungskonferenz zu Maastricht II.
Zweitens sollten die Seiten in einem wirklich gemeinsamen Arbeitsgremium Festlegungen treffen können, die für die EU- wie die Beitrittsstaaten verbindlich sind. Es sollte ein hochrangiges Gremium zur praktischen Gestaltung der Zusammenarbeit sein. Dann würden beispielsweise bereitgestellte EU-Fördergelder wirklich für Investitionen eingesetzt werden und nicht in erster Linie wie bisher in westliche Beratungsunternehmen zurückfließen.
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Bislang fehlt es an einem Gesamtkonzept für die Außenwirtschaftsförderung, übrigens auch aus Sicht der deutschen Industrie. Das gilt nicht so sehr für die Großkonzerne, sondern vor allem für den Mittelstand, der seit langem darauf wartet, Transparenz bei außenwirtschaftlichen Trägern, Programmen und Fördermöglichkeiten zu erlangen.
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Drittens sollten die MOE-Staaten schrittweise ihre Vollmitgliedschaft erreichen, indem sie in allen Bereichen, in denen dies möglich ist, Teilmitglieder werden können.
Ich möchte noch ein weiteres Problem nennen, das meines Erachtens auf die osteuropäischen Beitrittsstaaten zukommt. Wenn 1999 tatsächlich die Währungsunion eingeführt werden sollte, dann werden mit Sicherheit jene Fragen in den Vordergrund treten, die sich aus der Heranführung derjenigen EU- Mitglieder ergeben, die nicht von Anfang an der Geldunion angehören. Man braucht kein Prophet zu sein, um abzusehen, daß angesichts der dann auftretenden Probleme in Westeuropa die Zusammenarbeit mit den ost- und südosteuropäischen Staaten stark in den Hintergrund treten wird. Die Leidtragenden werden die Menschen in diesen Ländern sein, die massiven sozialen Verwerfungen ausgesetzt sein werden.
Die letzten Minuten, die mir von meiner ohnehin knappen Redezeit verbleiben, möchte ich mich mit dem Thema NATO-Ostausdehnung befassen. Eine solche Gewichtung ließen übrigens die Kolleginnen und Kollegen vermissen. Auch empfinde ich es als etwas arrogant, den osteuropäischen Staaten, insbesondere Rußland, vorzuwerfen, sie seien so auf die Diskussion um die NATO-Ostausdehnung fixiert. Es ist der Westen, es sind die NATO-Staaten, die diese Fixierung hervorgerufen und erzwungen haben. Bei der NATO-Ostausdehnung ist eine Art Testfeld für die politische und wirtschaftliche Kooperation initiiert worden.
Die Integrationskandidaten haben ohnehin enorme ökonomische und soziale Umbrüche zu bewältigen, von den ökologischen gar nicht zu reden. Tatsächlich aber werden sie gezwungen, mit diesen Problemen möglichst alleine fertigzuwerden. Außerdem werden sie dem Konflikt mit Rußland ziemlich alleine ausgeliefert. Einen großen Teil der auf sie zukommenden finanziellen Lasten für die Um- und Aufrüstung in ihren Ländern, für die Herstellung der Kompatibilität mit NATO-Armeen etc., werden die Beitrittsstaaten selbst tragen müssen. Ich möchte einmal wissen, wie Sie die Frage danach, wie das bezahlt werden soll, eigentlich beantworten wollen.
Fest steht, die Osterweiterung der NATO wird durchgeführt; die Termine sind gesetzt. Es geht für Sie hier gar nicht mehr um das Ob, sondern bestenAndrea Gysi
falls um das Wie. Klar ist: Egal, wie das Wie aussieht, Sie wollen es durchziehen.
Die ständigen Beteuerungen, die Osterweiterung richte sich nicht gegen Rußland, die russischen Befürchtungen seien gänzlich unbegründet, werden durch die führenden NATO-Staaten selbst laufend ad absurdum geführt. Auch in der Antwort auf die Große Anfrage wird dankenswert offen die Strategie - übrigens auch hinsichtlich der WEU - angesprochen, die dazu führen soll, Europa militärisch handlungsfähig und die NATO zum Militärbündnis Nummer eins in der Welt zu machen. Das alles ist in der Antwort auf die Große Anfrage wunderbar dargestellt. All das muß aber dazu führen, daß die Befürchtungen nicht nur in Rußland, sondern auch in osteuropäischen und westeuropäischen Staaten aufkommen.
Das sogenannte Angebotspaket an Rußland kann in der Tat nur dann als ein Zugeständnispaket angesehen werden - so, wie Sie es auch verkaufen wollen -, wenn man Rußland nicht als wirklich befreundeten Staat akzeptieren will. Denn wenn man seitens der Bundesregierung tatsächlich ein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland pflegen will, dann werden in diesem Angebotspaket nur regelrechte Selbstverständlichkeiten zu finden sein.
Deshalb ist das, was der Westen zur Besänftigung der russischen Diskussion um die NATO-Ostausdehnung vorschlägt, eigentlich kein Zugeständnispaket, sondern ein ziemlich dreister Versuch, den sauren Apfel, in den Rußland beißen soll, schmackhaft zu machen und Rußland über diesen Konflikt in irgendeiner Form hinwegzuhelfen. Dabei ist gleichzeitig klar, daß man sich ohnehin durchsetzen wird.
Aus unserer Sicht kann es nur eine Möglichkeit geben, diesen Konflikt mit Rußland beizulegen: auf die NATO-Ostausdehnung zu verzichten und endlich eine Kehrtwende in der europäischen Sicherheitspolitik einzuläuten, das heißt, die OSZE zur Grundlage zu machen, um den Ausbau eines solchen militärischen Bündnisses zu verhindern und abzurüsten, abzurüsten und nochmals abzurüsten.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, daß diese nicht ganz unwichtige Debatte zu einer solch ungünstigen Zeit am Freitagmittag stattfindet. Ich glaube, sie hätte etwas mehr Aufmerksamkeit verdient.
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Liebe Frau Kollegin Gysi, ich darf am Anfang einen Punkt aufgreifen. Wenn man Sie hört, hat man den Eindruck, daß die NATO von Anfang an eigentlich nichts anderes vorhatte, als den Umbruchländern die Erweiterung sozusagen aufzudrängen. Darf ich Sie daran erinnern, daß es eher umgekehrt war?
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Die Lage war doch wohl so, daß die Umbruchländer ihr Sicherheitsbedürfnis befriedigt sehen wollten und wollen. Das tun sie nun einmal in der NATO. Es war nicht so, daß wir angetreten sind und gesagt haben: Nun kommt alle zu uns, die ihr euer Sicherheitsbedürfnis nirgendwo befriedigt seht! Vielmehr war es umgekehrt. Deshalb glaube ich, daß der Grundansatz falsch ist.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1997 ist in Europa und für Europa ganz zweifellos ein Jahr wichtiger Entscheidungen. Auf dem Europäischen Rat im Juni in Amsterdam und drei Wochen später auf dem NATO-Gipfel in Madrid werden für die künftige Architektur dieses Europa, unseres Kontinents, ganz wichtige Weichen gestellt.
Wie sich die EU im Innern reformiert und stärkt, wird für das gemeinsame Haus Europa von genauso großer Bedeutung sein wie die Öffnung der NATO für die neuen Mitgliedstaaten und die Schaffung dieser neuen Sicherheitsarchitektur, und zwar zusammen mit Rußland.
Noch nie waren wir - das sollte man bei einer solchen Debatte auch nicht vergessen -, trotz aller noch vor uns liegenden Hürden, der Einheit Europas, der Demokratie, der gemeinsamen Rechtsstaatlichkeit, der Marktwirtschaft in diesem riesigen Raum zwischen Prag und Wladiwostok so nahe. Natürlich sind die Reformen nicht überall gleich vorangekommen. Aber viele der mittel- und osteuropäischen Staaten sind aus der wirtschaftlichen Talsohle heraus. Das kann man nun wirklich sagen.
Man kann, glaube ich, auch sagen, daß die politischen Reformkräfte ganz zweifellos insgesamt an Boden gewinnen.
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Ganz schwierig, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt natürlich die Lage in Südosteuropa.
Daß die Dinge in Rußland weiter gut vorangehen - ich glaube, daß es dafür gute Chancen gibt -, ist von ganz besonderer Bedeutung. Das ist mir bei meinem Besuch in Moskau in der letzten Woche wieder überdeutlich geworden.
Deutschland hat - das darf man, glaube ich, mit einer gewissen Genugtuung sagen - für die Reformschritte in den Umbruchländern finanziell und auch personell mehr getan als alle anderen. Wir haben das übrigens auch deshalb getan, Frau Gysi - Sie haben das angesprochen -, weil wir unsere eigenen Erfahrungen damit haben und in besonderer Weise wissen, wie schwierig diese Umbruchprozesse von der Diktatur zu rechtsstaatlichen Strukturen, von der Kommandowirtschaft zu marktwirtschaftlichen Strukturen sind. Das haben wir aber wirklich nicht großkotzig getan. Wir haben es getan, um in all dieBundesminister Dr. Klaus Kinkel
sen Ländern Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Da brauchen wir unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.
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Richtig ist, daß wir auch Interessenpolitik betreiben, weil wir davon nicht unwesentlich profitieren. Der deutsche Osthandel wächst mit Steigerungsraten von über 20 Prozent. Das muß man einmal deutlich sagen. Das Volumen ist heute bereits größer als das unseres Handels mit den Vereinigten Staaten.
Allerdings: Die wichtigste Unterstützung, die wir den Ländern geben können, ist natürlich die Perspektive des EU-Beitritts. Wir haben aus der Vergangenheit zwei besondere Verpflichtungen. Wir waren diejenigen, die den Menschen in diesen Ländern im Zweiten Weltkrieg einiges angetan haben, und im Gegensatz zu uns, die wir uno actu in die Europäische Union und die NATO hineingekommen sind, sind diese Länder, die uns durch Ihren Freiheitswillen bei der Erlangung der Wiedervereinigung geholfen haben, draußen vor der Tür. Deutschland ist als glücklichstes Land aus den Umbrüchen der letzten Jahre ins Herz Europas gerückt. Deshalb haben wir eine ganz besondere Verpflichtung diesen Ländern gegenüber.
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Das haben wir versprochen, und das werden wir einhalten.
Dabei müssen wir die verschiedenen Anstrengungen würdigen. Da haben Sie völlig recht. Niemand muß befürchten, daß er am Ende vor verschlossenen Türen steht. Das heißt, wir müssen so verfahren, wie wir es jetzt tun. Wir müssen differenzieren und dürfen nicht diskriminieren. Das muß unsere Linie sein.
Ich bin immer mehl der Überzeugung, daß wir in der Tat Ende dieses Jahres/Anfang des nächsten Jahres eine Art Konferenz einrichten sollten, bei der wir mit allen verhandeln und entsprechend der Evaluierung durch die Kommission entscheiden, mit den einen wird es sofort funktionieren und für die anderen bleibt die Tür offen. Diese Konferenz ist ein Anfang, und jene Länder wissen, daß sie in absehbarer Zeit dazugehören werden. Das muß unsere Linie sein.
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Ich habe vor, in den nächsten Wochen in einer Reihe von Begegnungen mit mittel- und osteuropäischen Kollegen genau diese Themen zu besprechen. Die Gespräche mit der Slowakei werden schwierig; es macht keinen Sinn, das Problem irgendwie wegzudrücken. Aber gerade dort müssen wir zeigen, daß wir diese Republik dabeihaben wollen.
Ganz schwierig wird die Verhandlung mit den baltischen Staaten, weil dort die Erwartungshaltung berechtigterweise besonders hoch ist. Wir fühlen uns als Deutsche diesen drei Ländern gegenüber aus historischen und kulturellen Gründen in besonderer Weise politisch verbunden. Sie sollen wissen, daß wir ihr Anwalt sind.
Ich bin aber dagegen, daß herumgereist wird und in diesen Ländern ebenso wie bei Begegnungen, die in anderen Ländern stattfinden, Erwartungen geweckt werden, die nicht eingehalten werden können. Ich bin dafür, daß man sich für diese Länder einsetzt, aber das muß realistisch erfolgen. Wir müssen natürlich die Kombination von NATO-Beitritt der ersten Gruppe und EU-Beitritt der ersten Gruppe sehen und berücksichtigen.
Die baltischen Staaten sollen wissen, daß sie vom europäischen Zug nicht abgehängt und nicht abgekoppelt werden.
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Auch was die Sicherheitsarchitektur - ohne Zusagen machen zu wollen - anbelangt, sollten wir ihnen deutlich sagen: Wenn wir die neue europäische Sicherheitsarchitektur schaffen, dann nicht, indem wir neue Grauzonen zulassen oder indem wir eine Sicherheitsarchitektur schaffen, die zu Lasten der drei baltischen Staaten geht.
Ich möchte deutlich sagen: Ich halte die von Präsident Chirac in die Welt gesetzte Idee einer Charta mit Rußland und der Ukraine für gar nicht so schlecht. Wir müssen darüber nachdenken, in welcher Gruppe die baltischen Staaten bei der NATOErweiterung dabeisein sollen, ob additiv oder kumulativ oder um andere Elemente angereichert. Um es deutlich zu sagen: Entscheidungen sind bisher nicht gefallen.
Ganz wichtig ist natürlich das Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn. Ich glaube, daß durch das, was wir gemeinsam hier mit großer Mehrheit beschlossen haben und das Gott sei Dank mit großer Mehrheit im tschechischen Parlament abgesegnet wurde, ein Schritt nach vorn getan worden ist.
Ich habe am letzten Wochenende ganz bewußt den tschechischen Außenminister mit seiner Frau an die Grenze nach Sachsen eingeladen. Wir haben dort symbolisch die Brücken überschritten, um deutlich zu machen, daß wir nicht nur Papiere produzieren, sondern daß wir sie auch mit Leben füllen wollen. Ich bitte Sie sehr herzlich, daß der Deutsche Bundestag genauso, wie er die Regierung bei der Erklärung ungeheuer unterstützt hat, das jetzt auch bei der praktischen Ausfüllung tut. Dafür wäre ich ganz besonders dankbar.
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Ich sagte bereits: Die Lage in Südosteuropa, besonders in Bulgarien, ist schwierig und ernst. Das Land ist auf Soforthilfe angewiesen. Ich habe mich am Montag im Außenministerrat massiv für die Soforthilfe eingesetzt. Ich habe lange mit dem Interimsaußenminister - er wird das bis April sein -, dem bisherigen Botschafter in Deutschland, telefoniert.
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Wir haben 20 Millionen ECU aus PHARE-Mitteln beschlossen. Ich habe darauf hingewiesen und darauf gedrängt, daß Hans van den Broek, der zuständige Kommissar, einen Zuschuß aus den humanitären Mitteln der Europäischen Union gibt. Ich habe - wenn ich das sagen darf - heute morgen beschlossen, daß wir aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes mehrere hunderttausend Mark für Soforthilfe humanitärer Art zur Verfügung stellen, damit wir beweisen, daß es uns mit der Hilfe ernst ist.
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Belgrad. Die friedlichen Demonstrationen, die wir von dieser Stelle aus unterstützt haben, haben Enormes erreicht. Ich kann nur sagen: Daß Herr Djindjić jetzt Oberbürgermeister von Belgrad ist, ist ein Fortschritt. Aber natürlich muß man Herrn Miloševič und allen anderen zurufen: Das war nur ein erster Schritt. Jetzt muß der Dialog mit der Opposition folgen.
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Jetzt muß die Pressefreiheit kommen. Wir Deutschen rufen ihnen mit besonderem Nachdruck zu: Jetzt müssen sich die Verhältnisse in Kosovo ändern.
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Denn nach wie vor kommen im Monat Tausende in die Bundesrepublik Deutschland. Mit unserem Rückführungsabkommen können wir überhaupt nicht beginnen, weil die Zahl von 120 000 Asylbewerbern inzwischen auf weit über 130 000 angestiegen ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Eine Sekunde, dann gern. Ich möchte gern noch diesen Gedanken beenden. - Herr Milošević, was Sie bisher getan haben, reicht also nicht. Wir als der Deutsche Bundestag rufen Ihnen zu: Wenn die Serben ihren Platz in Europa wieder zurückgewinnen wollen - nach unserer Meinung sollen sie ihn zurückgewinnen -, dann müssen Sie, als der derjenige, der dort die Verantwortung trägt, ein klein wenig mehr tun - auch mit dem Ihnen möglichen Einfluß auf die Republik Srpska, wo sich leider Gottes die meisten Gegenstimmen und Gegenstimmungen kundtun.
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Jetzt Sie, Herr Gysi, bitte.
Bitte, Herr Gysi.
Herr Außenminister, meine Frage kommt jetzt eine Idee zu spät, dennoch möchte ich sie stellen. Zu Bulgarien interessiert mich eines: In der Antwort der Bundesregierung wurde gewürdigt, daß Bulgarien versucht, den Weg der rechtlichen Angleichung der Normen, der Wirtschaftsliberalisierung etc. zu gehen. Mir fehlt aber eine kritische Einschätzung, ob bei diesem Weg Fehler begangen wurden, die zu dieser Hungerkatastrophe geführt haben. Möglicherweise war - wenn die Voraussetzungen dafür im Land noch gar nicht bestehen -eine zu schnelle Angleichung ein Fehler. Ich weiß es nicht; vielleicht ist es auch genau umgekehrt. Auf jeden Fall hätte ich von der Bundesregierung gerne eine Einschätzung gehabt, wieso es trotz dieser Beratung, trotz dieser Hinweise, obwohl dieser Weg gegangen wurde, zu einer solchen Hungerkatastrophe kommen konnte.
Ich stimme mit allen überein, was sie zu Jugoslawien, also zu Serbien, gesagt haben. Ich bitte nur, mir eine Frage zu beantworten. Warum haben Sie - völlig zu Recht - gegenüber Milŏsevič so darauf gedrängt, daß gefälschte Wahlen nicht in Frage kommen und die Ergebnisse zu korrigieren sind, aber trotz ähnlicher Feststellung der OSZE nicht den gleichen Druck auf Albanien ausgeübt?
Wenn ich die letzte Frage als erstes beantworten darf: Der Druck ist natürlich ausgeübt worden; er wird laufend ausgeübt. Ich habe in Lissabon mit dem Präsidenten entsprechende Gespräche geführt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen. Wenn Sie die Medien in den letzten Tagen verfolgt haben, dann werden Sie festgestellt haben, daß er das immer wieder öffentlich erklärt hat. Mit den Möglichkeiten, die wir haben, haben wir auf Albanien ganz genauso wie auf Bulgarien eingewirkt.
Was die erste Frage anbelangt, liegt eine Teilantwort darin, daß die letzte Entwicklung in Bulgarien zeitlich nicht mehr in der Großen Anfrage berücksichtigt werden konnte. Ich möchte Ihnen aber gerne auch in der Sache eine Antwort geben und sagen, wie es sich meiner Meinung nach abgespielt hat. Am Anfang meiner fünfjährigen Zeit als Außenminister habe ich beobachtet, daß der Prozeß in Bulgarien relativ positiv anlief, und zwar auf sämtlichen Gebieten. Seit etwa zweieinhalb Jahren sind die Bulgaren in ihren Reformschritten - insbesondere in der Privatisierung - immer weiter zurückgefallen. Sie waren nicht mehr in der Lage, das in einer Art und Weise aufzufangen, die notwendig gewesen wäre.
Wir haben versucht, von außen zu unterstützen. Wir waren nicht erfolgreich genug und müssen leider sagen, daß sich jetzt eine Situation entwickelt hat, die für die Menschen dort schlimm ist, die aber vor allem nicht in unserem Interesse liegen kann. Deshalb glaube ich, daß wir aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe, Bulgarien gegenüber eine besondere Verpflichtung haben. Wir müssen sie wieder heranführen, müssen sie sozusagen herausholen. Wir müssen jetzt aber erst einmal mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation - zum Beispiel in der Energieversorgung - fertigwerden.
Es wird später einmal zu analysieren sein, warum es dazu gekommen ist, wie es jetzt aussieht. Es hat jetzt jedenfalls keinen Sinn, sich mit Analysen aufzuhalten, sondern wir sind uns wohl einig, daß wir vorBundesminister Dr. Klaus Kinkel
wärts gerichtet versuchen sollten, zu helfen, um dort die Probleme für die Menschen zu überwinden.
Man muß etwas zu Mostar sagen. Was dort abgelaufen ist, ist wenig erfreulich. Ich habe in den letzten Tagen mit Außenminister Granic telefoniert. Die Kroaten versuchen, ihren Kurs zu korrigieren.
Es bleibt natürlich für uns die zentrale Frage der Flüchtlingsrückkehr. Ich habe in der letzten Woche mit Herrn Kanther ein massives, vorwärtsführendes Gespräch gehabt, in dem wir festgelegt haben, wie wir vorgehen wollen. Ich will mit Herrn van den Broek hinunterfliegen. Aber ich brauche - das sage ich hier im Deutschen Bundestag - von den Innenministern die Zuordnungszahlen, weil alle Aufbauprogramme zentral davon abhängen.
Sie wissen, daß der UNHCR bestimmte Gebiete festgelegt hat, die sicher sind, bei denen niemand etwas dagegen haben kann, wenn dorthin Flüchtlinge zurückgeführt werden. Da wollen wir gruppenweise die Flüchtlinge, die hier sind und die dann tatsächlich zurückgeführt werden können, wie mit einer Schablone auflegen. Wir müssen dabei zusammen mit der Weltbank, mit dem UNHCR und mit der Kommission versuchen, wirklich zur Lösung zu kommen; denn ich sehe, was das bedeutet.
Ein anderes Thema: Moskau. Die europäische Einigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf sich natürlich vor allem nicht gegen Moskau vollziehen. Rußland gehört zu Europa. Es hat zur europäischen Kultur und Geschichte große Beiträge geleistet. Mein Besuch in Moskau in der letzten Woche hat erneut gezeigt, daß uns Rußland besonderes Vertrauen entgegenbringt und besonders auf uns setzt.
Natürlich wird die russische Regierung gegen die Erweiterung der NATO bleiben. Es wird nicht so ablaufen, daß Rußland es akzeptieren würde. Das schließt jedoch nicht die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Bündnis aus.
Herr Primakow hat gerade nach unseren Gesprächen in den letzten Tagen dem NATO-Generalsekretär zum erstenmal vier konstruktive Papiere dazu übergeben, wie wir mit der Charta-Frage weiterkommen können. Das macht mich vorsichtig optimistisch, daß wir im Juli, spätestens am 8. und 9. Juli in Madrid, zu einem solchen Abschluß kommen. Sie wissen, wir müssen dort vier Dinge leisten. Aus Zeitgründen kann ich das im einzelnen nicht nachvollziehen. Der wichtigste Punkt ist diese NATO-Charta. Vielleicht kommen wir sogar schon vor Juli zu einer Lösung.
Dabei muß zentral die Anpassung des KSE-Vertrages helfen. Bei den schweren, besonders bedrohlichen Waffensystemen kann er, glaube ich, russische Besorgnisse ausräumen:
Erstens durch territoriale Obergrenzen. Destabilisierende großangelegte Waffenkonzentrationen wären dann nirgendwo mehr in Europa möglich.
Zweitens durch eine Stabilisierungsgarantie für Schlüsselregionen. Hier soll es keinerlei Zuwächse von schweren Waffen geben.
Drittens durch eine signifikante Absenkung der durch den KSE-Vertrag derzeit festgelegten Obergrenzen der Allianz für militärisches Großgerät.
Natürlich sprach Außenminister Primakow von der Sorge, daß die NATO-Militärmaschinerie sozusagen an die russischen Grenzen vorrückt. Diese russische Sorge, die natürlich auch psychologische Auswirkungen im Innern hat, müssen wir beseitigen. Ich glaube schon, daß ein Teil der Antwort der KSE-Vertrag sein kann. Dazu würde ich gerne ein bißchen mehr ausführen. Mir fehlt aber die Zeit.
Wir haben in der NATO in der letzten Woche die KSE-Problematik festgelegt. Fest steht jedenfalls: Wir wollen keine neuen Trennlinien, sondern neue Formen der Zusammenarbeit. Herr Tschubais hat in einem Gespräch mit mir erwähnt, daß wir versuchen sollten, nicht immer zu sagen - ich glaube, da hat er recht -: Wir wollen verhindern, daß euch dies oder jenes in Zukunft zu naherückt. Wir sollten sagen: Wir möchten gern zusammenkommen, das heißt den positiven Ansatz zur Annäherung der NATO an Rußland in dieser neuen europäischen Sicherheitsarchitektur herausstreichen. Da müssen wir umsetzen, was in Lissabon im Rahmen der OSZE beschlossen worden ist.
Ich wende mich im übrigen gegen den Vorwurf, wir hätten uns nicht genügend um die OSZE gekümmert. Ich bin dort selber x-mal gewesen. Wir haben neue Ideen eingebracht. Wir haben ganz entscheidend mit dazu beigetragen, daß die Rolle der OSZE kumulativ und additiv in dieser europäischen Sicherheitsarchitektur eine entscheidende Rolle spielt.
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So wie eine Hälfte des Zimmers nicht auf Dauer warm bleiben kann, während die andere kalt ist, so ist auch undenkbar, daß zwei verschiedene Europas auf Dauer nebeneinander leben können, ohne daß beide Schaden nehmen. Das hat Václav Havel gesagt. Es trifft den Kerngedanken unserer Europapolitik seit dem Fall der Mauer, nämlich den Gedanken eines gemeinsamen europäischen Schicksals. So sehen wir es unter Berücksichtigung der besonderen deutschen Verantwortung und Verpflichtung gegenüber diesem Europa.
Bei dem EU-ASEAN-Treffen jetzt in Singapur, dem Treffen der EU mit Asien, ist mir wieder deutlich geworden, wie nicht nur die 14 europäischen Kollegen, die alle da waren, sondern eben auch die ASEAN-Länder, die ASEU-Länder, der asiatisch-pazifische Raum in einem ungeheuer verstärkten Ausmaß hier auf Deutschland als dem zentralen Ankerpunkt schaut. Diese Nation ist nach der Wiedervereinigung die weitaus größte und auch wirtschaftlich stärkste in Europa.
Wir haben eine Verpflichtung und eine Verantwortung. Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht so sehr auf innenpolitische Themen konzentrieren - so wichtig sie sind -, sondern daran denken, daß wir eine große Industrie- und Kulturnation sind und daß außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Fragen für die zweitgrößte Exportnation der Erde von entscheidender Bedeutung sind. Ich habe ein wenig das
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Gefühl, daß wir in diesem Punkt übereinstimmen und daran gemeinsam unseren Kompaß ausrichten können.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Karsten Voigt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ein Sinn dieser Debatte ist, den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land deutlich zu machen, daß sich in diesem Jahr 1997 ganz entscheidende Weichenstellungen durch die Einleitung der Osterweiterung der Europäischen Union und der Osterweiterung der NATO, die faktisch, wenn ich von der Ratifikation absehe, in diesem Jahr abgeschlossen wird, vollziehen. Dadurch soll eine dauerhafte, sicherheitspolitisch, ökonomisch und politisch stabile europäische Ordnung bewirkt werden.
Ich finde es gut, daß in diesem Zusammenhang hier nicht nur über die NATO-Osterweiterung geredet wird, sondern auch über die Erweiterung der EU. Ich finde es noch besser, daß auf der heutigen Tagesordnung die abschließende Ratifizierung und Zustimmung zu dem Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Rußland steht. Das zeigt nämlich symbolisch, daß die Osterweiterung der bisher auf Westeuropa beschränkten Institutionen, EU und NATO, sich nicht gegen Rußland richtet und im Gegenteil zu einer engeren Kooperation mit Rußland sowohl in der Politik und Ökonomie als auch in der Sicherheitspolitik führen wird.
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Das geschieht nicht nur aus Gründen der Moral, sondern auch aus Gründen des beiderseitigen Interesses.
Ich möchte das einmal an Hand der Ökonomie deutlich machen: Rußland ist der wichtigste Handelspartner für alle einzelnen GUS-Staaten. Es hat aber in den letzten Jahren einen größeren Handel mit der Europäischen Union als mit allen GUS-Staaten zusammengenommen getrieben. Das hat sich jetzt leicht verändert. Wenn ich aber die Staaten dazurechne, die einen Assoziierungsvertrag mit der Europäischen Union abgeschlossen haben und ihr künftig angehören werden, dann wird auch künftig der Handel zwischen der Europäischen Union und Rußland größer sein als der Handel Rußlands mit den GUS- Staaten. Das zeigt das genuine Interesse Rußlands an einer dauerhaften Stabilisierung dieser engen Kooperation. In der Sicherheitspolitik ist es genauso.
Es gibt noch ein interessantes Beispiel: Traditionell war Deutschland der größte Handelspartner Rußlands. Das ist so geblieben. Aber der Handel Rußlands mit Polen hat in den letzten Jahren nicht abgenommen, sondern zugenommen. Das geschah parallel zu den Bemühungen Polens, der Europäischen Union beizutreten. Das heißt, daß die manchmal in
Moskau geäußerten Sorgen, daß die Osterweiterung der EU - das gleiche gilt für die NATO - zu einer Verringerung der Kontakte mit Polen und den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes in Ost- und Mitteleuropa führen würde, unbegründet sind. Die Osterweiterung von EU und NATO ist die Voraussetzung für eine engere Kooperation mit Rußland.
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Ich habe das eben an Hand der Ökonomie verdeutlicht. Ich verdeutliche es nun an Hand der Sicherheitspolitik. Wenn ich nach Moskau gehe und für eine engere deutsch-russische Zusammenarbeit eintrete, aber wegen des Widerstandes Rußlands gegen die NATO-Osterweiterung Polen den Beitritt zur NATO verweigern würde, dann träte der Fall ein, daß nicht nur Polen und ganz Mittelosteuropa nervös werden, sondern auch ganz Westeuropa.
Wenn ich aber nach Moskau gehe, für eine NATO- Osterweiterung eintrete und gleichzeitig sage, ich will, daß in der erweiterten NATO nicht nur Deutschland, sondern auch Polen enger mit Rußland zusammenarbeitet, und ich gleichzeitig Polen zu einer engeren Zusammenarbeit mit Rußland dränge, ohne auf die NATO-Osterweiterung zu verzichten, liegt hier eindeutig ein konstruktives Gesamtkonzept vor, das eine stärkere und intensivere ökonomische Kooperation zwischen Polen und Rußland mit einer im sicherheitspolitischen Bereich verbindet.
({2})
Ich verstehe überhaupt nicht, warum der Kollege Volmer in den letzten Tagen gesagt hat, daß die Grünen jetzt endlich über die NATO-Osterweiterung entscheiden müssen. Sie haben doch eigentlich schon lange zugestimmt.
Vor wenigen Wochen lag dem Parlament die Deutsch-Tschechische Erklärung vor. Ich zitiere daraus: „im Bewußtsein, daß die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union und die Nordatlantische Allianz nachdrücklich und aus der Überzeugung heraus unterstützt, daß dies im gemeinsamen Interesse liegt" . Es ist hier namentlich abgestimmt worden. Der Kollege Volmer hat zugestimmt. Ich kenne keine Gegenstimme und keine Vorbehalte aus der Fraktion der Grünen.
({3})
Ich verstehe überhaupt nicht, was diese Debatte soll. Sie haben zugestimmt. Wenn Sie sagen, das hätten Sie nicht gemeint, dann hätten Sie das in der Debatte sagen sollen. Übrigens hätten die Tschechen dann gesagt: Wir haben das auch nicht so gemeint. Das heißt, auf beiden Seiten muß man wissen, daß man vertragstreu bleiben soll. Man kann sich nicht nur die Rosinen aus beidseitigen Vereinbarungen herauspicken.
({4})
Darüber hinaus - ich sage das etwas plastisch -: Die NATO-Osterweiterung ist entschieden. Ich finde es nicht sinnvoll - ich habe das im Auswärtigen Ausschuß etwas drastisch ausgedrückt -, wenn man im neunten Monat einer Schwangerschaft darüber berät, ob man ein Kind haben will. Ich glaube, die Sache ist entschieden. Wenn man sich negativ entscheidet, dann bedeutet das ganz erhebliche Belastungen, die viel größer wären, als wenn man sich am Anfang so oder so entschieden hätte. Es geht also nicht mehr um das Ob, sondern es geht um das Wer und um das Wie.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Frage zulassen.
Ich lasse eine Frage zu, Frau Präsidentin.
Wunderbar. Bitte schön.
Herr Kollege Voigt, glauben Sie nicht, daß, wenn Sie Pressemeldungen lesen, Argumente, wie sie beispielsweise der von uns allen sehr verehrte Altmeister amerikanischer Diplomatie, Herr Kennan, aber wie sie auch vom englischen Gesandten und anderen kommen, die sich sehr kritisch aussprechen, es noch immer wert sind, diskutiert zu werden? Glauben Sie nicht, daß es deshalb sinnvoll wäre, wenn wir dieses Thema, kritisch von beiden Seiten beleuchtet, auch im Bundestag so diskutieren würden, wie wir es in unserer Fraktion nach wie vor tun?
Das ist der große Unterschied - das sage ich auch immer meinem Kollegen und Freund Mike Mandelbaum aus den USA, der noch immer gegen die NATO-Osterweiterung ist - zwischen wissenschaftlicher Diskussion und Politik. In der Politik muß man wissen, wann Entscheidungen fallen und wann sie gefallen sind. Die Frage der NATO-Osterweiterung ist entschieden. Es geht jetzt darum, sie mit Rußland möglichst kooperativ zu gestalten und zu entscheiden, wer dazugehören wird. Wissenschaftlich können Sie natürlich noch 22 Jahre darüber diskutieren, ob die NATO-Osterweiterung sinnvoll war oder nicht. Aber sie ist entschieden. Jetzt geht es um die Frage, daß wir sie so gestalten, daß für Europa insgesamt möglichst Konstruktives dabei herauskommt.
Ich habe bisher immer vermutet, daß Herr Volmer nicht nur ein Wissenschaftler ist, sondern daß er vor allen Dingen Politiker ist. Aber ich kann mich getäuscht haben, Herr Lippelt.
({0})
Sie sagen, die NATO-Osterweiterung sei noch gar nicht entschieden; das stimmt völkerrechtlich, aber nicht politisch. Ich möchte in dieser Frage deshalb jetzt deutlich sagen: Es steht faktisch fest, daß auf jeden Fall drei Mitgliedstaaten in die NATO aufgenommen werden. Das sind Polen, die Tschechische Republik und Ungarn. Die Frage ist, ob es drei oder fünf Staaten sind. Ich möchte wie der Kollege Meckel - wir haben das in den dafür zuständigen Gremien der Partei und der Fraktion beraten - dafür plädieren, daß die Vorbehalte, die der Bundesverteidigungsminister gegenüber Slowenien noch hat, fallengelassen werden und daß wir uns für Slowenien verwenden.
({1})
Ich möchte darüber hinaus sagen, daß wir sehr sorgfältig darauf schauen müssen, daß sich in Rumänien Positives getan hat, anders als es in dem Bericht der Bundesregierung noch steht. In Rumänien gibt es positive Entwicklungen. Wir sollten uns auch angewöhnen, aus der Slowakei nicht nur negative Meldungen wahrzunehmen, sondern auch positive Dinge wahrzunehmen, so daß sich das eine oder andere bis zur Aufnahme noch positiv entwickeln könnte.
Ich möchte noch einmal betonen, daß es dann, wenn die Namen genannt sind, um eine Kooperation mit Rußland geht. Wenn Sie genau darauf achten, was Sie aus Moskau hören und hören können
({2})
- nein, nein, nein; ich war vor kurzem dort, Herr Lippelt; ich fahre häufiger dorthin -, dann können Sie ganz eindeutig feststellen: Die Russen sind, wie der Bundesaußenminister sagt, weiter gegen die NATO- Osterweiterung. Sie werden auch dagegen bleiben. Aber sie sind gleichzeitig dafür, daß die NATO, die sich erweitert, ein enger Kooperationspartner von Rußland bleibt. Das heißt, Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten scharfe Stellungnahmen gegen die NATO-Osterweiterung hören und werden gleichzeitig ein intensives Bemühen feststellen, daß Rußland mit einer sich erweiternden NATO eng kooperieren will.
Das ist auch im Interesse Rußlands; denn Rußland ist an einer stabilen Beziehung zu den westlichen Partnern in Europa und über den Atlantik hinaus interessiert. Rußlands eigentliche Risiken liegen im Süden und im Osten, aber nicht im Westen. Das wissen die Fachleute in Rußland auch. Deshalb bin ich ganz anders als es hier von einigen Teilen der Grünen und der PDS insgesamt gesagt wird, überhaupt nicht skeptisch im Hinblick auf die längerfristige Zusammenarbeit mit Rußland. Ich bin hinsichtlich einer engen Zusammenarbeit mit Rußland immer engagiert gewesen. Ich glaube, daß diese Zusammenarbeit weder durch die EU-Erweiterung noch durch die NATO-Erweiterung gefährdet wird. Sie wird, auf Dauer gesehen, wenn man die Rahmenbedingungen analysiert, eher stabil sein und sich in einer Form auswirken, daß die kleineren Staaten zwischen Rußland und Westeuropa sich nicht mehr gefährdet fühlen können.
Zu allerletzt: Ich glaube, daß wir diese Frage nicht alternativ zwischen ökonomischer Stabilisierung und den Kosten der NATO-Osterweiterung sehen dürfen. Die Kosten der NATO-Osterweiterung sind eher gering. Sie sollen auch gering sein; denn es gibt kein unmittelbares militärisches Risiko. Es gibt aber
Karsten D. Voigt ({3})
einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der ökonomischen Stabilisierung und der politischen Stabilisierung. Das ist eine Erfahrung, die besonders Länder wie Griechenland, Spanien und auch Portugal gemacht haben, und die bereits früher die Bundesrepublik Deutschland ({4}) gemacht hat. Der Tatbestand, daß man weiß - wie das deutsche Wort so schön heißt -, daß man verortet ist, daß man weiß, wozu man gehört - in diesem Fall, daß man zu den transatlantischen und europäischen Organisationen gehört -, ist für diese Länder nicht nur wirtschaftspolitisch wichtig, nicht nur sicherheitspolitisch wichtig. Vielmehr ist es auch ein Schutz gegen die Illusion, die in den 20er und 30er Jahren zum Beispiel in Polen mit Pilsudski bestand, daß man gesellschaftspolitisch einen alternativen Weg jenseits des Weges des pluralistischen europäischen Demokratietypus gehen könnte.
Die Idee dieses Gesellschaftstypus - daher kommen die Gegner der EU- und NATO-Erweiterung von linksradikalen Kommunisten und von Rechtsradikalen in der Tschechischen Republik -, dieser Punkt der Verankerung in den westlichen Institutionen, ist auch ein Schutz dieser jungen Demokratien vor neuen autoritären Versuchungen.
({5})
Ich glaube, daß es deshalb nicht zufällig ist, daß linke und rechte Demokraten in diesen Ländern diese Verankerung in der Europäischen Union und in der NATO dauerhaft garantiert haben wollen; nicht nur wegen Bedrohung von außen, sondern auch wegen des Schutzes ihrer eigenen demokratischen Grundordnung. Diesen gesellschaftspolitischen Punkt - nicht im Sinne von links und rechts, sondern im Sinne von demokratischer Verortung gegen autoritäre Versuchungen - sollten wir nicht unterschätzen, vor allen Dingen, weil wir als Deutsche jahrzehntelang immer einen Sonderweg für uns proklamiert haben, der uns in Sackgassen, Irrtümer und Katastrophen geführt hat. Wir sollten akzeptieren, daß andere diesen Sonderweg nicht mehr gehen wollen, sondern die Verortung in die europäische und transatlantische Kultur wollen.
Danke.
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Das Wort hat jetzt unser Kollege Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte steht auch ein Antrag der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion auf der Tagesordnung, in dem wir uns über den Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa äußern. Mit diesem Antrag bitten wir diejenigen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, denen infolge des Zweiten Weltkrieges das Schicksal des Heimatverlustes widerfahren ist, sich weiter voll und ganz in das politische, kulturelle
und gesellschaftliche Leben unseres Landes einzubringen und einen aktiven Beitrag bei der Ausgestaltung der Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn zu leisten.
Ich glaube, wir können heute erfreut feststellen, daß bereits Hunderttausende von Heimatvertriebenen in den vergangenen Jahren zu Botschaftern der Verständigung zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn geworden sind. Zahlreiche in Privatinitiative restaurierte Kirchen, Friedhöfe und bedeutende Kulturdenkmäler in Polen, Tschechien, aber auch in Ungarn und Rumänien sind Zeugen dieser praktischen Verständigungsarbeit. So hat zum Beispiel der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in meinem Heimatort Bindlach bei Bayreuth, ein gelernter Maurermeister, in Eigenleistung und auf eigene Kosten, ohne jeglichen staatlichen Zuschuß, die Kapelle seines Heimatortes Horn bei Karlsbad renoviert.
Es gibt inzwischen unzählige gemeinsame Projekte auch der Erforschung der Lokal- und Regionalgeschichte. Aus zahlreichen Patenschaften, die westdeutsche Städte, Kreise und Gemeinden nach dem Krieg für Kommunalkörperschaften aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den Gebieten in Böhmen und Mähren übernommen haben, sind jetzt, nach den politischen Veränderungen, kommunale Partnerschaften nach dorthin entstanden. Längst finden Vertriebenentreffen in Schlesien, Ostpreußen und Pommern statt, und polnische und tschechische Repräsentanten bei Vertriebenentreffen in der Bundesrepublik Deutschland sind keine Seltenheit mehr.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat bereits 1991 zu Recht festgestellt, daß die Öffnung unserer östlichen Nachbarn für Europa auch ihr Verständnis für das historische und kulturelle Erbe hat wachsen lassen, das Deutsche dort in mehreren Jahrhunderten aufgebaut haben. Wir spüren doch heute, daß man sich in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien für das kulturelle und historische Erbe, das Deutsche dort hinterlassen haben, mitverantwortlich fühlt und mit den Vertriebenen in unserem Land gemeinsam erforschen, pflegen und erhalten will.
Ich glaube, es sind vor allem diese gemeinsamen historischen Projekte, die einen wichtigen Beitrag für die Verständigung leisten. Denn nur mit einer steigenden Kenntnis von kulturellen und historischen Zusammenhängen, auf die wir bei unseren Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn so umfassend aufbauen können, werden gegenseitiges Verständnis und echte Verständigung wachsen.
Lassen sie mich für solche gemeinsamen historischen Projekte zwei Beispiele nennen. Aus Anlaß des Stettiner Stadtjubiläums 1993 wurde eine gemeinsame deutsch-polnische Stadtchronik erarbeitet, bei der besondere Darstellungspunkte auch die Themen Flucht, Vertreibung und die Einsetzung einer polnischen Verwaltung in Stettin in den Jahren 1945 und 1946 waren. Die Publikation in deutscher und polnischer Sprache hat zahlreiches Interesse in der Öffentlichkeit und der Fachwelt beider Länder gefunden. Ich nenne das zweite Beispiel. Gegenwärtig bemühen sich das Schlesische Institut und die Universität
Oppeln gemeinsam mit der Schlesischen Universität Troppau und deutschen Historikern, eine gemeinsame deutsch-polnisch-tschechische Geschichte Schlesiens darzustellen.
Wie sehr im Zusammenhang mit dieser Öffnung unserer östlichen Nachbarn auch für diesen Teil gemeinsamer europäischer Geschichte auch das Thema Vertreibung enttabuisiert wird, konnten Kollege Meckel und ich im Dezember des vergangenen Jahres bei einer eindrucksvollen Tagung in Warschau erleben, wo polnische Wissenschaftler und Politiker gemeinsam mit deutschen Wissenschaftlern und Politikern das Ergebnis einer mehrjährigen Beschäftigung mit dem Vertreibungskomplex in Polen der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Welch neuer Geist auch bei dieser Befassung mit diesem Thema in Warschau weht, konnten wir daran merken, daß es für die polnischen Veranstalter überhaupt kein Problem gewesen ist, den Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien und früheren Bundestagskollegen, Herbert Hupka, zu dieser Tagung einzuladen.
Wenige Tage nach der Unterzeichnung der gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung und ihrer Behandlung im Deutschen Bundestag haben die deutschen und tschechischen Bischöfe zu einem Symposium nach Franzensbad eingeladen, wo die Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland und Tschechien, aber auch Politiker, Wissenschaftler und Publizisten darüber diskutiert haben, wie diese gemeinsame Erklärung jetzt schnell mit Leben erfüllt werden kann. Es war nahezu eine Selbstverständlichkeit, daß an diesem Symposium führende Repräsentanten der Sudetendeutschen teilgenommen haben, wie der Vorsitzende der sudetendeutschen Akkermann-Gemeinde, unser früherer Kollege Herbert Werner, aber auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Seliger-Gemeinde, Volkmar Gabert.
Das Symposium in Franzensbad, aber auch die Tagung in Warschau haben deutlich gemacht, daß es heute eben kein Problem mehr ist, den Dialog mit unseren östlichen Nachbarn unter Einbeziehung der Vertriebenen und ihrer Anliegen zu führen. Das merkt man auch daran, daß man in Tschechien und Polen inzwischen offen darüber diskutieren kann, ob es nicht im Zuge einer Heranführung dieser Staaten an Europa möglich sein soll und möglich sein kann, daß deutsche Heimatvertriebene, die dies wollen, auch wieder in ihrer früheren Heimat leben, in einem Europa, in dem Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit und das Niederlassungsrecht für jedermann zu gelten hat.
Wir verweisen in dem heutigen Antrag auch auf den Zusammenhang zwischen dem Schicksal von Millionen von Deutschen, aber auch anderer Europäer in und nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich das Vertreibungsschicksal von Millionen Menschen damals und den Vertreibungen der heutigen Tage.
Wir sind in unserem Antrag der Überzeugung, daß sich Frieden und Sicherheit in der Völkergemeinschaft auf lange Sicht nur verwirklichen lassen, wenn alle Menschen künftig vor Vertreibung geschützt und die Rechte zu ihrer freien Entfaltung im Rahmen der Verfassungsordnung der jeweiligen Staaten garantiert sind. Zu Recht heißt es in dem heute zu verabschiedenden Antrag:
Jede Art der Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Terrorisierung und Vertreibung von Gruppen auf Grund ihrer Herkunft, ihres religiösen oder kulturellen Hintergrundes muß international geächtet und sowohl völkerrechtlich wie strafrechtlich geahndet werden.
Wir erneuern heute einen Beschluß, den der Deutsche Bundestag bereits am 23. Juni 1994 gefällt hat, wo wir die Bundesregierung gebeten haben, auf eine Normierung des völkerrechtlichen Schutzes vor Vertreibung hinzuarbeiten, um die völkerrechtliche und strafrechtliche Ahndung des Verbrechens der Vertreibung zu erreichen.
Es wäre gut, Herr Bundesaußenminister, nachdem wir heute diesen Beschluß erneuern, wenn die Bundesregierung zu gegebener Zeit diesem Hause über die Bemühungen, im internationalen Recht zu einer Achtung von Vertreibungen zu kommen und diejenigen, die Vertreibungen heute und morgen verursachen, international zur Verantwortung zu ziehen, zu gegebener Zeit berichten könnte.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt unser Kollege Wolfgang Behrendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fühle mich hier ein wenig wie ein Fremdkörper unter all den Außenpolitikern und -politikerinnen, die anwesend sind. Denn ich möchte zu der Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Grünen über die nachhaltige und umweltfeundliche Energiepolitik Stellung nehmen.
Insofern habe ich Verständnis dafür, wenn der Außenminister jetzt wegen einer anderen dienstlichen Verpflichtung geht. Ich habe aber weit weniger Verständnis dafür, daß niemand von dem zuständigen Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit anwesend ist. Das zeigt letztlich doch ein bißchen den Stellenwert, den offenbar die Energiepolitik hier hat.
Dennoch ist es ein wichtiges Thema, wenn wir über die Entwicklung und die Chancen der mittel- und osteuropäischen Länder sprechen, da die Energiepolitik von entscheidender Bedeutung für die Volkswirtschaften ist. Die Tatsache, daß wir ein sehr geringes Maß an Energieeffizienz haben und daß die Energieeinsparpotentiale, die in diesen Ländern bestehen, bisher überhaupt nicht genutzt werden, ist ein schweres Hemmnis für den Transformationsprozeß. Insoweit muß man diesem Thema noch einmal mit Nachdruck Aufmerksamkeit verschaffen.
Ich bedaure es, daß die Bundesregierung diesem Thema, nämlich Energiespar- und -effizienzmaßnahmen in den Ländern Mittel- und Osteuropas kaum Aufmerksamkeit schenkt.
({0})
Das ist zuletzt wieder durch die Tatsache deutlich geworden, daß in der gestrigen Debatte über CastorTransporte Frau Merkel lediglich zur Kernenergie Stellung genommen hat. Es ist auch dadurch deutlich geworden, daß in der Großen Anfrage auch nur die Kernenergie angesprochen wurde, aber nicht die Fragen einer Umstrukturierung der Energiewirtschaft.
So wichtig wie die Kernenergie auch ist, habe ich doch den Eindruck, daß Sie das Problem und die Notwendigkeit der Umstrukturierung der Energiewirtschaft einfach verdrängen. Sie ignorieren nämlich, daß zum Beispiel die RBMK-Reaktoren kaum nachzurüsten sind. Sie ignorieren, daß die Weltbank deutliche Macht hat, so daß eine Stillegung der RBMKReaktoren und eine Umstrukturierung der Energieversorgung um ein Drittel weniger an Finanzmittel erfordern würde.
Sie ignorieren, daß die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ebenfalls darauf hingewiesen hat, daß es sehr viel kostengünstiger ist, die Energiesparpotentiale auszuschöpfen.
Sie ignorieren auch, daß selbst in Rußland und der Ukraine zum Beispiel in Moskau das Institut für Energieforschung der Akademie der Wissenschaften deutlich gemacht hat, daß hier ganz erhebliche Energiesparpotentiale zwischen 40 und 50 Prozent bestehen. Das heißt, unsere Forderung muß sein, die knappen Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen und nicht nur einseitig auf Nachrüstung der Kernenergie zu drängen.
({1})
Bisher hat die Union im Rahmen des TACIS-Programms der Europäischen Union 312 Millionen DM seit 1991 eingesetzt. Da ist noch kein ECU für die Nachrüstung ausgegeben worden. Im Grunde wurde damit bisher nur festgestellt, daß ein erheblicher Nachrüstungsbedarf besteht. Das muß uns doch nachdenklich machen.
Die Bundesregierung setzt hier einseitig auf Nachrüstung; die Grünen allerdings hängen in ihrem Antrag der Utopie an, man könne alle Kernkraftwerke in Osteuropa auf einen Schlag abschalten. So wünschenswert das sein mag, bleibt es doch Wunschdenken an Stelle realer und an Fakten orientierter Politik.
Viele Staaten sind - das weiß jeder, der mit den Vertretern dieser Staaten spricht - zu einem erheblichen Teil von der Kernenergie bei der Energieerzeugung, insbesondere bei der Elektrizitätserzeugung, abhängig: Litauen mit 75 bis 90 Prozent, die Slowakei mit 53 Prozent, Ungarn mit 50 Prozent, Bulgarien mit 40 Prozent; ich könnte das noch fortsetzen. Ganze Städte sind rings um die Atommeiler entstanden. Das sind auch Zehntausende von Arbeitsplätzen.
Wer mit den Parlamentariern, aber auch den Regierungsvertretern in Rußland, in Bulgarien, in der Slowakei, in der Ukraine und anderen Staaten spricht - ich habe das getan -, der weiß, daß die noch nicht bereit sind, einfach abzuschalten. Ich denke, wir können nicht im Stile von Neokolonisatoren auftreten und dekretieren, was die zu machen haben. Wir müssen mühselig einen Überzeugungsprozeß in Gang setzen
({2})
und versuchen, für unsere politischen Vorstellungen zu werben.
Deswegen kann es für uns keine Zustimmung zu diesem Antrag geben. Vielmehr werden wir der Beschlußempfehlung zustimmen, weil wir glauben, daß es weiterhin darauf ankommt, in die Sicherheit von bestehenden Kernkraftwerken zu investieren, im Interesse der Sicherheit der Menschen in diesen Regionen, im Interesse auch unserer Sicherheit.
Daneben will ich allerdings - das an die Adresse der Regierungsfraktionen und der Bundesregierung, die nun leider gar nicht mehr vertreten ist - betonen, daß für uns eine höhere Energieeffizienz, Energieeinsparung, eine Förderung erneuerbarer Energien in diesen Ländern oberste Priorität haben muß. Dafür werden wir uns weiterhin mit allem Nachdruck einsetzen.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Poppe, ich warte eigentlich noch auf Ihre Kurzintervention. Nachdem Sie bis zur Rede des Außenministers die Perspektiven vermißt haben, müßten Sie eigentlich nach der Rede des Außenministers aufstehen und sagen: Da waren sie.
Im übrigen glaube ich gar nicht, daß wir uns vorstellen sollten, ausschließlich die Politik könne die Erfolge in Osteuropa erzielen. Vielmehr ist es außergewöhnlich, daß nach vergleichsweise kurzer Zeit viele Akteure dabei sind, mitzuhelfen, daß diese Reformziele erreicht werden, so daß die Veränderungen viel schneller geschehen, als das die Politik erreichen könnte.
Kollege Francke und Kollege Meckel haben darauf hingewiesen, wie differenziert die Entwicklung abläuft. Ich will versuchen, zum Schluß ein paar Aspekte der wirtschaftspolitischen Entwicklung darzustellen und dabei auch einmal positive Elemente herauszustellen, die in der deutschen Öffentlichkeit häufig viel zuwenig im Mittelpunkt stehen.
Sie wissen, die Reformstaaten in Mittel-/Osteuropa stellen eine eigene Gruppe dar. Sie haben den Tiefpunkt der Entwicklung überwunden. Sie sind bei etwa 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 1989 angekommen und haben in allen Kennziffern
positive Entwicklungen: Inflation, Arbeitslosigkeit, Haushaltsdefizit. Ja, es gibt sogar einige Länder, die ihre Auslandsverschuldung in den letzten Jahren abbauen konnten. Die Tschechische Republik ist bei der Arbeitslosenrate mit 3,2 Prozent nicht nur in Osteuropa ein positiver Ausreißer; wir können von solchen Zahlen nur träumen.
Der Reformprozeß auf dem Weg zur Marktwirtschaft ist fortgeschritten. Man könnte davon sprechen, daß in diesen Ländern schon die zweite Phase dieses Reformprozesses beginnt, daß es jetzt um die Feinsteuerung geht, weil bei diesem schnellen Umstellungsprozeß natürlich eine Vielzahl von Verzerrungen und auch von Ungleichgewichten entsteht. Hier ist mehrfach auch auf die soziale Auswirkung hingewiesen worden. Die Durchschnittszahlen sagen über die Verteilung der Fortschritte natürlich wenig aus.
Die positive Entwicklung dieser Länder, zu denen Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien sowie mit Abstrichen die baltischen Staaten und Rumänien gehören, zeichnet sich durch einen hohen Grad an Marktöffnung .aus. Die Belebung des Handels untereinander ist besonders zu würdigen, weil sie darauf hinweist, daß auch zwischen den Reformstaaten selber ein Prozeß in Gang kommt.
Besonders erfreulich ist, mit welcher Geschwindigkeit und mit welcher Korrektheit diese Länder sich in das internationale Handelssystem integrieren. Der Weg in die OECD und in die WTO wird sehr zügig beschritten.
Die für weitere Beitrittskandidaten offene CEFTA verstärkt die gemeinsame Richtung der Reform mit Blick auf die EU. Das ist wesentlich mehr als ein Trainingscenter, wie manche es so abschätzig nennen. Man merkt vielmehr, wie da übernationale Strukturen entstehen, die ganz schnell zu einer neuen Orientierung führen und wesentlich dazu beitragen, daß sich die Assoziationsabkommen schnell in Richtung EU-Mitgliedschaft entwickeln können.
Die Kaufkraft der MOE-Länder hat sich erhöht. Sie ist ausschlaggebend dafür, daß die Länder zu interessanten Absatzmärkten geworden sind.
Die Wirkung der Reformpolitik kann man auch an der Wirtschaftsstruktur dieser Länder ablesen. Am erwirtschafteten Sozialprodukt ist der Privatanteil deutlich gestiegen: in Ungarn und Tschechien auf 79 Prozent und in der Slowakei auf 58 Prozent. Die Unternehmensdichte pro tausend Einwohner liegt in diesen Ländern mittlerweile bei 31. Diese Zahl besagt wenig. Aber man muß wissen, daß sie in der EU auch nur 43 beträgt. Das heißt, es gibt hier eine schnelle Entwicklung.
Ein Mittelstand entsteht. Das ist auch ein Beitrag zur sozialen Entwicklung dieser Länder. 30 bis 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden bereits durch kleine und mittelständische Unternehmen erzeugt. Wichtig ist: Dort, wo die Reformschritte am konsequentesten gemacht werden und die Entwicklung am weitesten fortgeschritten ist, ist auch der Anteil von kleinen und mittelständischen Unternehmen am höchsten. Man sieht also, daß viele Strukturen,
die wir hier in der sozialen Marktwirtschaft als wichtig empfinden, bei diesen Transformationpsrozessen, wenn sie denn gestattet werden, zu positiven Auswirkungen auch für den Wohlstand der Menschen führen.
Die Konvergenz der Industriestrukturen nimmt zu. Der Außenhandel ist regional und strukturell, besonders bei arbeitsintensiven Produkten, sehr schnell auf die Nachfragestruktur der Europäischen Union umgestellt worden. Das führt hinsichtlich dieser Ländergruppe zu dem Eindruck: Im nachhinein wird man sagen können, die Geschwindigkeit des Wandels war ungeheuer. Wir werden sie mit Hochachtung zur Kenntnis nehmen, auch wenn man als Zeitzeuge - besonders die Betroffenen selber - immer das Gefühl hat, das Ganze gehe viel zu langsam. Es ist deutlich abzusehen: Die genannten Länder werden im Rahmen einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit ihren Reformkurs erfolgreich abschließen.
Ganz anders sieht dies bei den Ländern der GUS und den weniger fortgeschrittenen Ländern aus. Wenn wir dort nach dem Jahr 1997 im wirtschaftlichen Bereich eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau erreichen können, dann ist viel gewonnen. Wenn dies wenigstens dazu beitragen würde, daß die politischen Rahmenbedingungen nicht schlechter werden, dann könnte man sagen, daß das Jahr 1998 mit Hoffnung zu erwarten ist. Noch ist aber der Einfluß der alten Eliten und noch sind die Vorteile derer, die schon immer die Hebel in der Hand gehabt haben, zu groß, als daß sie bereit wären, Reformschritte wirklich zuzulassen. Dies geht ja bis zum Boykott von einzelnen Reformmaßnahmen und der Privatisierung.
Meine Damen und Herren, die Weltbank hat im Weltentwicklungsbericht gesagt:
Wo immer eine konsequente Liberalisierung verfolgt wurde, verbunden mit handelspolitischer Öffnung, makroökonomischer Stabilisierung und dem Aufbau von Märkten und den sie tragenden Institutionen, konnte nach kurzer Zeit eine drastische Erhöhung des Lebensstandards realisiert werden.
Damit sind die Marksteine der Reformpolitik im wirtschaftlichen Bereich begründet.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zu den Auswirkungen auf Deutschland sagen. Der Handel mit den osteuropäischen Ländern hat sich in den letzten Jahren im Schnitt um 24 Prozent pro Jahr verbessert. Er ist nicht ausgeglichen. Die Exporte in Richtung Osten sind höher als die Exporte des Ostens in den Westen. Immerhin aber befindet sich der Austausch auf einem sehr hohen Niveau.
Man geht davon aus, daß sich dieses Volumen in den nächsten fünf Jahren noch verdoppeln kann. Das sind Perspektiven, die zeigen, daß es für die westlichen Länder, besonders für Deutschland, nicht nur Anpassungsleistungen, sondern auch Vorteile gibt. Außenminister Kinkel hat schon darauf hingewiesen, daß wir beim Außenhandel mit Osteuropa
den Umfang des Warenaustausches mit den USA erreichen. Er hat, nachdem die endgültigen Zahlen vorliegen, für 1997 sogar Unrecht. Wir überschreiten den Umfang, da wir vermutlich eine Höhe von 115 Milliarden DM erreichen werden. Mit den USA haben wir einen Umfang in Höhe von 110 Milliarden DM.
({0})
Es taucht immer wieder das Gerücht auf, der Westen habe sich bei der Unterstützung der Reformprozesse zu sparsam verhalten. Ich glaube, auch das stimmt nicht, und zwar nicht nur aus deutscher Sicht, sondern auch insgesamt nicht. Allein von 1991 bis 1993 gewährte der Westen öffentliche Hilfen an die MOE-Länder in einer Größenordnung von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dieser Länder. Der Marshallplan nach 1945 erreichte 2,5 Prozent. Von daher ist das eine Größenordnung, die durchaus in der Lage ist, Impulse für die Marktwirtschaft zu geben.
Die Bundesregierung hat die Politik der Unterstützung eines weit über den wirtschaftlichen Bereich hinausgehenden Reformprozesses in der Beantwortung der Anfrage ausführlich dargestellt. Es ist ein beeindruckendes Dokument, und überall hört man von Vertretern dieser Länder, daß dies sehr anerkannt wird. Wir unterstützen die Bundesregierung in der Fortführung dieser Politik.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation, Drucksache 13/ 6201. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/6870, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? - Auch keine. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen worden.
Nun zur Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu den Entschließungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD zu der Regierungserklärung zum Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa. Das ist die Drucksache 13/4912 I. Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 13/1566 und 13/1539 zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung aus der Gruppe der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Regierungserklärung zum Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa, Drucksache 13/4912 II. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ 1567 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist - bei Gegenstimmen der PDS - ebenfalls fast einstimmig angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS, Drucksache 13/4912 III. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ 1536 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Energiepolitik in Osteuropa; das ist Drucksache 13/ 5161. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1321 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie die Zusatzpunkte 9 bis 11 auf:
14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Odendahl, Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung
- Drucksache 13/6998 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
({0}) Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS
Neunzehntes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
({1})
- Drucksache 13/7058 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Berninger und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
BAföG-Strukturreform in Gang setzen - Drucksache 13/7071 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({3})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
ZP11 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der BundLänder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung
- Drucksache 13/7080 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({4})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Doris Odendahl.
Frau Präsidentin! Liebe noch anwesende Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion fordert in ihrem heute vorliegenden Antrag auf Drucksache 13/6998 die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag unverzüglich einen Bericht zum Stand der Beratungen in der von den Regierungschefs von Bund und Ländern am 13. Juni 1996 vereinbarten Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorzulegen.
Sie beruft sich dabei gleichzeitig auf den anläßlich der dritten Beratung des Entwurfs einer 18. BAföG- Novelle vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß vom 27. Juni 1996. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, in dem Bericht über das Arbeitsprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgruppe einschließlich Einbeziehung von Sachverständigen, Studierendenverbänden - darauf sind wir ganz gespannt - und Vernetzung mit der Steuerreformkommission der Bundesregierung zu berichten.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich hier noch einmal festhalte, daß der SPD die Zustimmung zu dem Kompromiß der 18. BAföG-Novelle sehr schwergefallen ist,
({0})
weil dieser Kompromiß schon damals dringend notwendige Verbesserungen für die Studierenden nicht
gebracht hat, weil die Anhebung der Bedarfssätze
und Freibeträge nicht ausreichend war und weil weitere Einschränkungen vorgesehen waren, die in krassem Widerspruch zu den hochschulpolitischen Zielsetzungen standen.
({1})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die weitere Verkürzung von Regelstudienzeiten und an die Einschränkungen beim Auslandsstudium. Der Herr Außenminister läßt diesbezüglich immer rührende Appelle verlautbaren, aber der Bildungs- und Forschungsminister kommt dem nicht ganz nach.
Wir haben diesen Kompromiß trotz schwerster Bedenken aus zwei Gründen mitgetragen: erstens weil damit dem von Minister Rüttgers - er ist gar nicht da; das ist aber schade ({2})
vorgelegten Entwurf von verzinslichen privaten Bankdarlehen in der Regelstudienzeit eine einhellige Absage erteilt wurde, zweitens weil es der gemeinsame Wille von Bund und Ländern war, endlich zu der seit langem geforderten grundlegenden Reform der Ausbildungsförderung zu kommen, der sich Minister Rüttgers bis zuletzt beharrlich verweigert hatte.
Nach zweieinhalb recht stotternden Anläufen im Ausschuß für Bildung und Forschung hat Minister Rüttgers gestern in letzter Minute den Bericht über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der BundLänder-Arbeitsgruppe, soweit sie jetzt vorliegen, dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Ich freue mich, daß Frau Ministerin Schuchardt, die den Vorsitz für die Länder in dieser Arbeitsgruppe hat, aus Sicht der Länder hier berichten wird.
Die dem Ausschuß für Bildung und Forschung vorgelegten Zwischenberichte hatten dazu einige Fragen aufgeworfen, so zum Beispiel, wenn in dem Bericht an den Ausschuß steht, daß das von der Kultusministerkonferenz vorgeschlagene Drei-Körbe-Modell - Sockelzahlung, beschränkt auf drei Jahre - nach Aussage der Sachverständigen „irreparabel verfassungswidrig" sei.
Es ist zum einen ein ungeheuerlicher Vorgang, wenn ein Verfassungsorgan dem anderen eine solche Bewertung zuteil werden läßt.
({3})
Zum anderen läßt dies aber den Verdacht aufkommen, damit die von der KMK angestrebte Lösung von vornherein ins Aus laufen zu lassen, was gleichzeitig auch das Aus für den im vergangenen Jahr erzielten Kompromiß mit den Ländern und somit für die BAföG-Reform bedeuten würde.
Anlaß zur Sorge ist auch deshalb gegeben, weil in der 18. BAföG-Novelle nach der Einigung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 13. Juni 1996 festgehalten wurde: Die Neuregelung des Ausbildungsförderungsrechts soll im Zusammenhang mit der Steuerreform gestaltet und noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden.
In dem uns heute vorgelegten Bericht heißt es dazu:
Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat sich mit Schreiben vom 11. September 1996 an den Bundesminister der Finanzen gewandt, um eine politische Abstimmung der Arbeiten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung mit der Steuerreform zu gewährleisten. Der Bundesminister der Finanzen sagte dies zu.
Da drängt sich doch die Frage auf, ob Minister Rüttgers bei den Debatten im Kabinett um die Steuerreform gefehlt oder geschlafen hat
({4})
und ob er seit September 1996 - das ist verdammt lang her - untätig abwartet, was ihm der Finanzminister anrichtet.
({5})
Minister Rüttgers muß, wenn er sich dann wieder mit BAföG befaßt, schon offenlegen, was aus der Sicht und aus der Verantwortung des Bildungs- und Forschungsministers Ausgangslage für die BAföG- Ausgaben sein soll. Entsprechend der Rechtslage und den steuerlichen Bestimmungen zum Zeitpunkt des Beschlusses des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Länder sind das die Haushaltsansätze vor der 18. Novelle, die sich auf 2,4 Milliarden DM belaufen. Wenn er jedoch von den deutlich abgesenkten Haushaltsansätzen nach der 18. Novelle ausgehen will, wären für das Jahr 2000 nach schrittweiser Absenkung nur noch 1,4 Milliarden DM vorgesehen. Für die vorgesehene Reform würde damit schon jetzt 1 Milliarde DM fehlen; das finanzielle Fundament wäre ihr von vornherein entzogen.
Weil gleichzeitig auf Grund der seit nunmehr 14 Jahren systematisch gewollten und betriebenen Abbruchpolitik bei der Ausbildungsförderung die Gefördertenquote zu einer kümmerlichen Restgröße geschrumpft ist,
({6})
würden die zu erwartenden Ist-Ausgaben nochmals um fast die Hälfte reduziert. Wie er dann diesen Schrumpfungsprozeß als seinen innovativen Beitrag zum Generationenvertrag für die Ausbildung verkaufen will, müßte er dann in seinem nächsten dem Bundestag zu erstattenden Bericht im Detail schildern.
({7})
In diesem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen an die Bundesregierung, über die der Bericht keine Auskunft gibt: Sind Sie grundsätzlich offen für eine elternunabhängige Sockelbetragslösung oder nicht?
({8})
Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Lenzer, hat dies im Ausschuß mit lautem Zuruf verneint.
({9})
-Ah ja.
Sind Sie willens und bereit, die damit verbundenen steuer- und unterhaltsrechtlichen Fragen zusammen mit den Ländern politisch zu lösen? Sind Sie bereit, die Mittel für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des BAföG bereitzustellen? Das würde weitere finanzielle Anpassungen und eine Kompensation für die Folgen der 18. Novelle sowie für die BAföG-Strukturreform bedeuten.
Sehen Sie die notwendige Verknüpfung dieser Reform der Ausbildungsförderung mit der weiteren Hochschulreform? Sie können sich doch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ernst vorstellen, daß es eine HRG-Novelle mit weiteren Studienzeitverkürzungen ohne eine grundlegende BAföG-Reform überhaupt geben kann.
({10})
Nach der Diskussion im Ausschuß sind diese Fragen mehr als berechtigt. Es drängt sich leicht der Eindruck auf, als ob die zweifellos notwendigen Terminabstimmungen für Expertenbefragungen, der Streit um Protokollformulierungen und weitere Ländergespräche als willkommener Anlaß dienen sollen, dadurch den Anschluß an die bereits jetzt auf Hochtouren laufenden Auseinandersetzungen um die Steuerreform zu verpassen und damit das Fell des Bären schon verteilt zu haben.
({11})
Wir hielten das für fahrlässig, weil damit nicht nur die Hoffnungen und Erwartungen der Studierenden aufs schwerste enttäuscht würden, sondern weil damit der gemeinsame Wille der Mehrheit des Deutschen Bundestages, des Bundes und der Länder zu einer grundlegenden Reform der Ausbildungsförderung mißachtet würde.
({12})
Wenn Sie diesen gemeinsamen Willen unterlaufen, zu dem die Länder einiges an Vorarbeit und an Vorschlägen einbringen, gefährden Sie nicht nur die Ausbildungsförderung, sondern auch jede weitere Hochschulreform. Deshalb ist unsere heutige Debatte kein unnötiger Eingriff in vorgegebene Terminabläufe, wie es von seiten der Koalitionsfraktionen gern unterstellt wurde, sondern der nachdrückliche Appell an die Bundesregierung, die BAföG-Reform nicht gegen die Wand fahren zu lassen.
({13})
Ein Crashkurs, wie von Minister Rüttgers mit seinem ersten Entwurf zur 18. Novelle demonstriert, wäre verheerend. Herr Rüttgers als zuständiger Ressortminister für Bildung und Forschung muß bei einem Gesetz, für das der Bund zuständig ist und das
die weitere Entwicklung der Hochschulen entscheidend mit beeinflußt, verantwortungsbewußt handeln.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen legt ebenfalls einen Antrag vor, der unsere Befürchtungen teilt. Entgegen diesem Grünen-Antrag sind wir, Herr Berninger, aber nicht der Ansicht, daß das BAföG bereits total ruiniert ist und daß sein Schicksal durch den Kompromiß der 18. Novelle besiegelt wurde. Das BAföG ist reformbedürftig und reformierbar - man muß es nur politisch wollen.
({14})
Wir betrachten diesen Kompromiß als eine Chance und als eine Herausforderung, durch eine grundlegende Reform die Ausbildungsförderung wieder zu dem Instrument für Chancengleichheit in der Bildung zu machen, das es einmal war: die Voraussetzung dafür, daß der Zugang zu und die Teilnahme an Bildung für junge Menschen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt.
Der Antrag der Gruppe PDS befaßt sich in erster Linie mit BAföG-Anpassungen in einer 19. Novelle.
Wir bitten, sämtliche Anträge zusammen mit dem jetzt vorliegenden Bericht der Bundesregierung an den federführenden Ausschuß für Bildung und Forschung und an die mitberatenden Ausschüsse zu überweisen.
Wir werden dafür Sorge tragen, daß das Parlament über den weiteren Verlauf dieser Reformverhandlungen informiert wird und daß der Bildungsminister beim Warten auf die Vorschläge des Finanzministers bei der Steuerreform nicht den Anschluß verschläft.
({15})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Hollerith.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Drucksache 13/7080 vom 26. Februar 1997 legt die Bundesregierung den Bericht über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung vor.
Dieser Bericht enthält keine grundlegend neuen Erkenntnisse.
({0})
Insbesondere zeigt er keinen Weg, wo das zusätzliche Geld zu finden wäre, das wir benötigten, um die Ausbildungsförderung grundlegend zu erhöhen. Ich sage dies in aller Offenheit; denn die SPD-regierten und die rot-grün-regierten Bundesländer sind an der Erarbeitung dieses Berichtes in gleicher Weise beteiligt.
Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, die Grünen und die SPD auf ihr unterschiedliches Verhalten hinzuweisen. Hier stellen Sie sich hin und fordern
vollmundig neue Programme, mehr Geld für Bildung und Forschung; das ist sehr schön.
({1})
Dort, wo Sie Verantwortung tragen, nämlich in den Bundesländern, wo Sie mit in den Regierungen sitzen, tun Sie allerdings genau das Gegenteil. Ein solches Verhalten bezeichnet man in der deutschen Sprache gemeinhin als scheinheiliges Verhalten.
({2})
- Hören Sie zu! Ich muß Ihnen einmal die Zahlen nennen, damit Sie sich das vergegenwärtigen können. In Mecklenburg-Vorpommern streichen Sie zwei von drei freiwerdenden Stellen im Forschungs- und Bildungsbereich.
({3})
- Es geht ums Geld. In Niedersachsen streichen Sie von 1995 bis 1998 pro Jahr 200 Stellen, in Brandenburg von 1995 bis 1997 pro Jahr 100 Stellen. In Schleswig-Holstein und in Niedersachsen haben Sie durch eine globale Minderausgabe nahezu ein Viertel der Etats für Forschung und Bildung zusammengestrichen.
({4})
Das ist die Realität, die Sie beachten müssen, wenn Sie über Verbesserungen der Studienbedingungen und über die Bedingungen für Forschung und Lehre sprechen.
In diesem Zusammenhang muß Ihnen einmal gesagt werden, daß hier scheinheiliges Verhalten vorliegt. Die Menschen im Lande haben längst bemerkt, wie es mit der SPD und den Grünen bestellt ist.
({5})
- Es tut weh - ich weiß es -, wenn öffentlich gesagt wird, wie die Realität ist. Natürlich tut das weh. Das ist auch gut so. Getroffene schreien auf; das ist eine alte Erfahrung.
Zu Ihrem Drei-Körbe-Modell bzw. Drei-Stufen-Modell: Grundförderung 500 DM bis zum ersten Studienabschluß; Aufstocken für Begabte und Bedürftige; gegebenenfalls ergänzende zinsgünstige Darlehen. Hier taucht eine Reihe von Fragen auf, die Sie bisher nicht beantwortet haben. Ich stelle sie, damit Sie Ihre Hausaufgaben machen können, die Sie bisher offenbar nicht gemacht haben: Wie halten Sie es bei Ihrem Modell mit dem Grundsatz der Subsidiarität, mit der vorrangigen Pflicht der Eltern, Unterhalt zu leisten? Wie halten Sie es mit der Frage des Geldes? Wo sind denn, von Ihnen aufgezeigt, die Spielräume, um das zu finanzieren? Die nennen Sie nicht. Sagen Sie es doch! Ich bin neugierig, ich höre sehr intensiv zu.
({6})
Wie ist die Durchsetzbarkeit? Was sagen Sie zur Frage der Durchsetzbarkeit einer völligen Umgestaltung des Familienleistungsausgleichs? Auch hierzu
bräuchten wir die Bundesländer im Bundesrat, wo Rot-Grün die Mehrheit hat.
({7})
Wie halten Sie es mit der Frage der verfassungsrechtlich gebotenen steuerfreien Existenzminimumausstattung im Zusammenhang mit dem kostenneutralen Sockelbetrag? Haben Sie den milliardenteuren Mehraufwand schon einkalkuliert?
(Jörg Tauss [SPD]: Was meint denn Herr
Hollerith?
Wie halten Sie es damit, daß bei Ihrem Modell selbst bei maximaler Förderung die Beträge unter denen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bleiben?
Mein persönlicher Wunsch ist, daß wir bald zu einem Ergebnis kommen und daß wir im Ergebnis auch zwei Themen behandeln, die in der vorliegenden Novelle nicht entsprechend geregelt sind. Mein persönliches Anliegen sind die BAföG-leistungsverlängernde Anerkennung der Gremienarbeit und vor allem die Anerkennung des Auslandsstudiums.
Herzlichen Dank.
({8})
I
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wußte gar nicht, daß es bei so wenig anwesenden Mitgliedern soviel Lärm für den Redner geben kann.
Jetzt hat der Kollege Berninger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zwar relativ spät, aber die Beschäftigung mit der Zukunft des BAföG ist deshalb so wichtig, weil alles, was wir momentan an Informationen über die Entwicklung des BAföG bekommen, und alles, was in letzter Zeit an Politik in diesem Bereich gemacht worden ist, durchaus den Schluß zuläßt, daß das BAföG den Bach runtergeht, Frau Kollegin Odendahl.
Ich nenne Ihnen ein paar Zahlen, die mir große Sorgen bereiten. Wenn im Jahre 1996 in einer Stadt wie Duisburg die Zahl der BAföG-Empfänger um 22,8 Prozent zurückgeht und diejenigen, die noch BAföG beziehen, weniger bekommen und wenn in einer Stadt wie Siegen über 20 Prozent weniger BAföG-Geförderte leben als im Jahr zuvor und wenn in der Bundesrepublik insgesamt fast 15 Prozent weniger BAföG-Empfänger zu verzeichnen sind, dann deutet das darauf hin, daß das Thema Chancengleichheit immer weiter in den Hintergrund gerät; denn auf der anderen Seite haben wir festgestellt, daß die finanzielle Situation in der Bevölkerung keineswegs so ist, daß die Leute plötzlich im Wohlstand schwimmen und deswegen kein BAföG mehr brauchen.
({0})
Entscheidend ist, daß wir alle, nicht nur die Koalition - insofern greife ich das, was Herr Hollerith gesagt hat, gern auf -, es insgesamt nicht geschafft haben, das BAföG den Preissteigerungen in den letzten Jahren anzupassen. Deshalb tragen wir, Bund und Länder gemeinsam, die Verantwortung dafür, eine Reform des BAföG vorzunehmen. Das heißt aber nicht nur, daß die rot-grünen Länder diese Verantwortung tragen, sondern auch die Bundesregierung, die heute nur spärlich vertreten ist.
({1}) Sie machen da einen großen Fehler.
Ich glaube, daß wir in einer sehr schwierigen Situation sind; denn der Kompromiß um die 18. Novelle, den Sie notdürftig mitgetragen haben, ging davon aus, daß man mit dieser Bundesregierung letzten Endes fair zusammenarbeiten kann und daß es so etwas wie einen fairen Vertragspartner auf dieser Seite gibt.
Das halte ich - das ist die Erfahrung der letzten Monate - inzwischen für ein Gerücht.
({2})
Offensichtlich scheint die Bundesregierung mit der 18. Novelle ganz zufrieden zu sein. Über die Verzinsung und dadurch, daß man das BAföG nicht anpaßt und Studierende, die in Gremien tätig sind, zukünftig bestraft und Leute, die im Ausland studieren, in Zukunft bestraft, indem sie in der Regelstudienzeit nicht mehr wie früher gefördert werden können, spart sie 1 Milliarde DM. Damit scheint die Regierung also zufrieden zu sein.
({3})
Die Regierung scheint mit diesem Zustand sehr zufrieden zu sein, denn sie spart Geld. Wenn wir gemeinsam dafür verantwortlich sind, Herr Kollege Hollerith, dann müssen wir uns genau dagegen stellen.
Sie haben zu Recht gefragt, wo das Geld für eine BAföG-Reform herkommen soll. Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn das, was sich der Bundesminister Rüttgers vorstellt, nämlich daß man auf dem Stand der 18. BAföG-Novelle eine BAföG-Reform machen will, Politik der Bundesregierung bleibt, kann man die Sache knicken. Dann gibt es keine BAföG-Reform, denn es gibt dafür kein Geld.
SPD und Grüne haben immer kritisiert, daß man durch die Instrumente der Verzinsung und der Einschränkung von Leistungen Geld zusammengekratzt hat, um Hochschulsonderprogramme zu finanzieren. Sich auf dieser Position auszuruhen ist aber - gelinde gesagt - verantwortungslos. Ich glaube, daß es ein Riesenfehler dieser Bundesregierung wäre, wenn sie an dieser Haltung festhielte.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Sie dort als Bildungspolitiker dort ruhig und selbstzufrieden sitzen können, wenn im Haushalt für Bildung, im Zukunftsressort, wesentlich mehr als im gesamten Durchschnitt gespart wird. Statt zu investieren, sind Sie für Kürzungen in diesem Bereich.
Es stimmt: Auch in den Ländern wird gekürzt. Das steht aber in keinem Verhältnis zu dem, was auf Bundesebene passiert. Wenn Sie die Kürzungen beklagen, müssen Sie auch das zur Kenntnis nehmen.
({4})
- Das ist sicherlich richtig. Sie nannten auch Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel. Ich hoffe, daß die CDU-Kollegen Ihres Landes dabei zugehört haben.
Nun komme ich zur Frage der BAföG-Reform zurück. Die Frage ist: Wird der Herr Minister mit auf den Sockel aufsteigen? Meine Einschätzung ist: Er wird es nicht machen. Zu dem, was der Herr Lenzer als Sprecher der Unionsabgeordneten im Bildungsbereich erzählt, wird die Bundesregierung sicherlich stehen.
Wir als Opposition müssen uns dann aber fragen: Lohnt es denn überhaupt, daß wir diese Scheinverhandlungen und diese Verschleppungstaktik weiter wie bisher begleiten? Ich bin der Meinung: Ich warte zwar ab, was im April passiert, dennoch müssen wir eine neue Strategie wählen.
Wenn man eine Bildungsreform hinbekommen will, also mehr Flexibilität, vielleicht auch mehr Wettbewerb in den Hochschulen und Veränderungen, die dazu führen, daß in diesem Land wieder mehr in Bildung investiert wird - was zumindest in Sonntagsreden alle wollen -, dann geht das nicht ohne BAföG. Nicht umsonst ist die letzte Bildungsreform 1970 mit einer BAföG-Reform verbunden worden. Die BAföG- Reform hat sie letzten Endes in Gang gesetzt, weil sie den Leuten eine Chance gegeben hat, die Ausbildung überhaupt machen zu können. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe sehr von dieser Regelung profitiert.
Die nächste Bildungsreform, die wir machen, wird nicht ohne BAföG-Reform laufen. Die SPD-regierten Länder müssen sich, wenn sie sich schon nicht auf der Ebene von Verhandlungen und Kompromissen -18. BAföG-Novelle, dafür versuchen wir eine Reform in Gang zu setzen - mit der CDU einigen können, fragen, ob man es durchgehen lassen kann, daß wir eine Hochschulreform durchführen, bei der die Länder wieder mitmachen müssen und bei der die Diskussion um BAföG und Studiengebühren in Vergessenheit gerät. Das darf nicht passieren.
Ich wünsche mir eine gemeinsame rot-grüne Strategie, die in Richtung auf 1998 drei Dinge festlegt. Erstens. Wenn 1998 Rot-Grün regiert, wird in Bildung investiert. Es werden mehr Ressourcen für Bildung freigesetzt.
({5})
Das wünsche ich mir von Rot-Grün.
({6})
- In vielen Bereichen besagt die Realität in der Tat das Gegenteil, weil die Länder und die Kommunen von der Art und Weise, wie der Bund im Moment Finanzpolitik macht, ganz massiv betroffen sind.
Sie hatten das Land Hessen nicht angesprochen. Ich mache das einmal, ganz offen; ich komme aus Hessen. Auch mir macht es Sorgen, wie in Hessen Planstellen nicht besetzt werden. Ich will die ewige Debatte, wer schuld und wer nicht schuld ist, gar nicht. Ich will etwas ganz anderes, nämlich daß RotGrün sagt: Wenn Rot-Grün 1998 regiert, werden wir in Bildung investieren - im Gegensatz zu dieser Bundesregierung.
Gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith? Viel Zeit haben Sie so oder so nicht mehr. Dafür würde ich die Uhr anhalten.
Bitte.
Herr Kollege, Sie haben eben ausgeführt, daß Sie, wenn Sie 1998 die Regierung stellen - was ich nicht erwarte -, dann die Ausgaben für Bildung und Forschung steigern wollen. Stimmen Sie mit mir überein, daß Ihr Argument, die Länder seien durch die erhebliche Belastung ihrer Finanzen nicht in der Lage, zusätzlich Geld für Bildung auszugeben - wie wir gehört haben, kürzen sie ja in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein bis zu 25 Prozent -, nicht stichhaltig ist, weil zum Beispiel der Freistaat Bayern die Ausgaben für Bildung erhöht, obwohl er in einer noch schwierigeren Lage ist, weil er erhebliche Mittel in den Finanzausgleich der Länder einstellt?
({0})
- Baden-Württemberg erhöht auch. - Das scheint mir ein Widerspruch in Ihrer Argumentation zu sein.
Das ist deshalb kein Widerspruch, weil man von den Niveaus ausgehen muß. Während Hessen, Niedersachsen und andere Länder sehr früh die Entscheidung getroffen haben, die Zahl der Abiturienten zu erhöhen und die Hochschulen zu öffnen, haben die Bayern auf kleine, aber feine Hochschulen gesetzt und in den 70er Jahren in diesen Bereich nicht investiert. Demzufolge haben sie auch nicht die Personalkosten. Das muß man der Ehrlichkeit halber dazusagen.
({0})
Wenn die in Bayern jetzt erkennen, daß man in Hochschule und Qualifikation investieren muß, und nachziehen, dann ist es meiner Ansicht nach nicht angebracht, sich hier hinzustellen und sich zu bebauchpinseln. Übrigens gab es meines Wissens in den letzten Jahren nur ein Land, das in den Länderfinanzausgleich eingezahlt hat, und das war das Land Hessen.
({1})
Die anderen Länder standen in den Jahren 1994 bis 1996 nicht sonderlich gut da.
Ich möchte aber noch etwas anbieten. Ich glaube, Rot-Grün muß sich an einen Tisch setzen und nach einer gemeinsamen Lösung suchen. Wir sind uns nämlich nicht ganz einig. Ich bin von den Sockelmodellen nicht überzeugt. Ich bin nicht überzeugt, daß das der richtige Weg ist, weil ich einige rechtliche Bedenken teile. Aber Rot und Grün müssen sich im Hinblick auf 1998 auf eine gemeinsame BAföG-Position einigen.
Hier biete ich nicht der Bundesregierung die Zusammenarbeit an, weil sich die Bundesregierung bereits von der Chancengleichheit verabschiedet hat. Aber es wäre ein Armutszeugnis, wenn es Rot und Grün nicht hinbekommen könnten. Da wünsche ich mir von den Sozialdemokraten und von uns, daß wir gemeinsam versuchen, eine neue Lösung zu finden.
Wir haben Vorschläge zum BAFF gemacht. Die Frage ist, inwieweit man auf der Ebene mit den Sokkelmodellen irgendwie etwas Besseres hinbekommen kann als das Trauerspiel, das uns die Bundesregierung wöchentlich auftischt.
({2})
Das Wort hat
der Kollege Karlheinz Guttmacher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mag sein, daß sich einige Kollegen ärgern, daß wir am heutigen Freitag noch eine solche bildungspolitische Debatte zum BAföG aufgenommen haben. Aber ich sage dies als liberaler bildungspolitischer Sprecher: Ich bin nur traurig über die Zeit; denn am Freitagnachmittag sind hier sehr wenige Leute, die sich das anhören können.
Ich denke, in einer Zeit, in der unsere ganzen Kräfte gebraucht werden und in der unsere Aufmerksamkeit durch große Reformen, wie die Steuerreform und die Gesundheitsreform, aufgesaugt wird, dürfen wir nicht diejenigen vergessen, um die wir uns auch zu kümmern haben und die ebenfalls verlangen, daß wir für sie eine Reform durchführen. Wir haben das jetzt tatsächlich in eine Hand gegeben, nämlich in die der Bund-Länder-Kommission. Diese - das müssen wir einfach feststellen - kommt aber nicht zu den schnellen Ergebnissen, wie wir das gerne möchten.
({0})
Ebenso sorge ich mich darum, daß man natürlich auch bei der Bildungspolitik nachfragt, ob man möglicherweise für die großen anstehenden Reformvorhaben auch beim Bildungsbereich noch einige Finanzen mit zur Verfügung gestellt bekommt. Bedauerlicherweise verträgt in diesem Zusammenhang das BAföG-Modell, das ohnehin schon an Magersucht leidet, nicht noch eine neue Diät.
Hinzu kommt, daß es nach Ansicht der F.D.P. allerhöchste Zeit wird, das BAföG nicht länger als ein die Abgabenlast steigerndes Sozialgesetz zu betrachten. Zwar orientiert sich die Gewährung der Auszahlung des BAföGs ausschließlich an sozialen Gesichtspunkten, aber dies nur deshalb, weil man in der ersten Phase des Studiums den Geförderten noch nicht ansehen kann, ob sie die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen oder nicht.
Deshalb ist das BAföG die einzige an Sozialbedürftigkeit orientierte Fördermaßnahme, die den Geförderten in 99 Prozent der Fälle aus der Sozialbedürftigkeit heraushilft. Kinder von BAföG-Geförderten benötigen, wenn sie dann selbst Studenten sind, in der Regel kein BAföG mehr. Dieser Effekt kann auch zur Folge haben, daß die Gefördertenquote im Laufe der Jahre sinkt.
Solange diese Mechanismen die Entwicklung der Förderquote bestimmen, könnte man sie als Qualitätsausweis werten. Tatsächlich aber sinkt die Gefördertenquote kontinuierlich, weil die im Blockadespiel zwischen Bundestag und dem Bundesrat immer wieder verschleppten Anpassungen die Höhe der Freibeträge und Bedarfssätze von der tatsächlichen Entwicklung der Lebenshaltungskosten abgekoppelt haben.
({1})
Diese Einsicht ist auch in diesem Hause weit verbreitet. Sie hat dazu geführt, daß sich die Regierungschefs von Bund und Ländern im letzten Jahr darauf verständigt haben, noch vor Ablauf der Legislaturperiode die Ausbildungsförderung grundlegend zu reformieren. Auch mein Vorsitzender, Wolfgang Gerhardt, hat seinen Bildungsentwurf mit „Chancen nutzen" überschrieben und damit die Chancengleichheit vorangestellt.
({2})
Für die F.D.P. stelle ich hier fest: Es ist uns vollkommen egal, ob die Antwort auf die Frage, welches Modell wir bekommen, Drei-Körbe-Modell, Vier-Schichten-Modell oder Fünf-Stufen-Modell heißt. Wichtig und unverzichtbar erscheinen mir aber folgende Feststellungen, die ein zukünftiges BAföG-Modell erfüllen muß:
Wir wollen ein BAföG-Modell, das erstens allen Befähigten unabhängig von Herkunft, Einkommen und
I Geschlecht eine Studienchance bietet, zweitens die Ausbildungsförderung für das 21. Jahrhundert als eine bedarfsdeckende, den Lebensunterhalt sichernde Förderung gewährleistet, drittens den Studierenden als jungen Erwachsenen und nicht als abhängiges Kind behandelt,
({3})
viertens an die aus der Situation der Hochschulen resultierende Studienwirklichkeit angepaßt werden kann, fünftens insbesondere kinderreiche Familien von den Kosten der Hochschulausbildung entlastet, sechstens ein zügiges und zielführendes Studium individuell und gesamtwirtschaftlich ermöglicht, siebtens transparent und effizient und für die Studierenden handhabbar geschaffen ist, achtens die Kostenbelastung der öffentlichen Haushalte minimiert und neuntens die Finanzierung sowohl bei steigenden Studierendenzahlen als auch bei steigenden Lebenshaltungskosten gewährleistet.
Im Sinne der Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit sollte dabei die Ausbildungsförderung auf mittlere Sicht aus dem allgemeinen Steuerhaushalt in einen separaten Fonds überführt werden.
({4})
Mit Steuermitteln sollten nach Ansicht der F.D.P. nur Stipendien für überdurchschnittlich gute Studierende und der Aufwand zur Minimierung sozialer Härtefälle finanziert werden.
({5})
Rückzahlungen der Geförderten sollten sich am Einkommen und der Studienleistung orientieren und in einen separaten BAföG-Fonds erfolgen. So kann gewährleistet werden, daß ein gerechterer Ausgleich zwischen dem individuellen und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen gefunden wird.
Wir sind uns darüber im klaren, daß eine solch umfassende Reform nicht ohne gravierende Folgeänderungen im Unterhalts- und Steuerrecht möglich sein wird. Wir sind uns zur Zeit nur noch nicht darüber im klaren, wie eine bislang aus Steuermitteln finanzierte Leistung kontinuierlich mittelfristig in eine Fondslösung überführt werden kann. Hierzu bedarf es sicherlich der intensiven Unterstützung des auf Bundes- und Länderebene versammelten Sachverstands.
Die F.D.P. würde es begrüßen, wenn das Bildungsministerium zum Thema Ausbildungsfinanzierung ein Leitprojekt ausschreiben würde, also einen Ideenwettbewerb, bei dem nur die Vorschläge Eingang finden würden, bei denen Unterhalts-, Steuer- und Verfassungsrechtler mindestens ein prinzipielles Okay geben würden.
Zunächst aber würde ich mir wünschen, daß in der Bund-Länder-Kommission auch Vorschläge erarbeitet werden, die uns im Bildungs- und Wissenschaftsausschuß vorgelegt werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ziehen wir doch einmal kurz Bilanz, was seit der letzten BAföG-Debatte in diesem Haus für die Betroffenen draußen alles real passiert ist: Studierende, die ihr Studium im Vertrauen auf geltendes Recht geplant hatten, standen plötzlich vor der Situation, daß ihre Förderungshöchstdauer abgelaufen war, weil Auslandssemester und Gremientätigkeit nicht mehr angerechnet wurden.
Studienabschlußförderung wurde nur noch per Kreditvertrag angeboten. Mittellose Studierende hatten also die fragwürdige Entscheidung zu treffen, ihr Studium kurz vor Abschluß abzubrechen oder sich in Erwartung eines angesichts der Akademikerarbeitslosigkeit durchaus nicht sicheren Einkommens kräftig zu verschulden.
Selbst wenn sie das in Kauf nahmen, gab es Probleme bei der Datenübermittlung zwischen BAföG- Amt und Deutscher Ausgleichsbank, so daß eine zumindest vorübergehende Mittellosigkeit keine Seltenheit war. Also bestanden wieder die Alternativen: Existenz sichern oder zügiger Studienabschluß.
Gibt es eigentlich Erhebungen, wie viele Studienabbrüche, unnötige Unterbrechungen, Abbrüche von Auslandsaufenthalten usw. auf das Konto der undurchdachten Regelungen und unkoordinierten Durchführungen der 18. BAföG-Novelle gehen?
Die unzureichende Anpassung von Bedarfssätzen und Freibeträgen führte zum weiteren Absinken der Gefördertenquote. Mit dem Bundeshaushalt 1997 wurde eine weitere Mittelreduzierung für das BAföG um 10,7 Prozent beschlossen. Damit werden die Ausgaben für Studierende gegenüber 1992 halbiert. Der seit Jahren andauernde Substanzverlust des BAföG wird trendgerecht fortgesetzt.
Was Sparen auf Kosten der Bildung für ein Land wie unseres bedeutet, dazu ist in diesem Haus schon genügend gesagt worden. Aber abgesehen von der grundlegenden Unterfinanzierung dieses Bereiches werden ja auch die naheliegenden Refinanzierungsmöglichkeiten nicht genutzt. Nach Berechnungen des DSW könnte etwa die Hälfte des Finanzaufwandes für 1997 aus den Darlehensrückflüssen ehemaliger BAföG-Geförderter bestritten werden. Diese Rückflüsse werden jedoch nicht zweckgebunden für die Verbesserung der Ausbildungsförderung verwendet, sondern fließen dem allgemeinen Staatshaushalt zu.
Nun hören wir den Standpunkt der Finanzminister, daß Steuermehreinnahmen bei Kinder- und Ausbildungsfreibeträgen als Auswirkungen der Steuerreform zur Gegenfinanzierung der Steuerreform benötigt werden und nicht für Zwecke der Ausbildungsförderung zur Verfügung stehen.
Die Erhöhung des Kindergeldes wird voll auf die Elterneinkommen angerechnet, ohne die Freibeträge entsprechend anzuheben. Das bedeutet: Was auf der
einen Seite mit großartiger Geste ausgeteilt wird, wird auf der anderen Seite klammheimlich mehrfach wieder einkassiert, und zwar eben bei jenen, die es am nötigsten brauchen. Das ist eine verlogene Politik.
({0})
Mir ist schon klar, daß die Bundesregierung mit der politischen Weichenstellung der 18. BAföG-Novelle und des Haushaltes 1997 ihre Sparpläne ganz gut auch ohne Reformdebatten realisieren kann. Zumindest stört es nicht, wenn diese Debatten nur sehr schleppend vorankommen, wenn es langwierige Termin-, Abstimmungs- und Protokollschwierigkeiten gibt, wenn statt über Inhalte über verschiedene Wahrnehmungen von Diskussionen geredet wird.
Die Zeit arbeitet aber. Das Finanzvolumen für die Ausbildungsförderung sinkt weiter - je länger, desto besser. Wenn sich dann die Reform mangels Gegenstand noch nicht von selbst erledigt hat, wird Kostenneutralität zum obersten Prinzip erklärt. Der Staatssekretär hat den Abgeordneten im Ausschuß schon auf die Sprünge geholfen: Sie können beschließen, was sie wollen; wenn die Finanzminister nicht mitmachen, ist ohnehin alles zum Scheitern verurteilt.
Hier stellt sich für mich die Frage: Wo ist eigentlich der politische Veränderungswille? Der Bundestag hat mit der Verabschiedung der 18. BAföG-Novelle den Auftrag zur Neuregelung des Ausbildungsförderungsrechts erteilt und damit auf die Reformwilligkeit und Reformfähigkeit der Bundesregierung vertraut. Es ist nun einmal das Wesen von Reformen, daß sie grundlegende Veränderungen erfordern. Wenn das Reformziel klar ist - das ist hier offensichtlich der Fall -, haben eingesetzte Arbeitsgruppen meiner Ansicht nach die Aufgabe, Mittel und Möglichkeiten der Umsetzung zu finden und dafür Konzepte vorzulegen. Statt dessen hören wir von verfassungsrechtlichen, rechtssystematischen und ähnlichen Bedenken.
Daß Recht - mit oder ohne Bedenken - veränderbar ist, erleben wir doch hier in jeder Sitzungswoche. In bezug auf die BAföG-Reform müssen wir nur aufpassen, daß inzwischen nicht so viel Recht geändert wird, daß durch Steuerreform und Einschränkung finanzieller Rahmenbedingungen am Ende überhaupt noch ein minimaler Handlungsspielraum für die Ausbildungsförderung übrigbleibt.
Da wir ohnehin einige Bedenken im Hinblick auf die Richtung des Reformwillens der Bundesregierung haben, haben wir weder der 18. BAföG-Novelle zugestimmt noch die Absenkung der BAföG-Mittel im Haushalt des Bildungsministers akzeptiert.
({1})
Auch wir sind für die Neuregelung des Förderungsrechts und bekräftigen die Notwendigkeit, bei der Entwicklung eines Konzepts auch die Vorstellungen der Studierendenverbände einzubeziehen.
Angesichts der offensichtlichen Langwierigkeit notwendiger Abstimmungen ist uns in diesem Fall aber der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach. Deshalb haben wir mit unserem heutigen
Antrag die Forderung gestellt, schnellstens eine 19. BAföG-Novelle zu verabschieden, um die negativen Auswirkungen der 18. Novelle noch einigermaßen korrigieren zu können, bevor endlich einmal eine umfassende Reform diesem Hause vorgelegt werden kann.
({2})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Neumann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Willen der SPD-Fraktion soll der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, unverzüglich einen Bericht über den Stand der Beratungen in der Bund-Länder-AG zur Reform der Ausbildungsförderung vorzulegen, sowie seinen Berichtsauftrag vom 27. Juni 1996 zu der Bund-LänderAG bekräftigen.
Hierzu zwei Anmerkungen: Wir haben dem Deutschen Bundestag den „Bericht der Bundesregierung über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung" in diesen Tagen zugeleitet.
({0})
- „Vorgestern" heißt doch wohl „in diesen Tagen".
Oder haben Sie da eine andere zeitliche Auffassung?
({1})
Dieser Bericht enthält auch die Darstellung des gegenwärtigen Standes der Beratungen in der Arbeitsgruppe. Er erfüllt daher die beiden unter den Nrn. 1 und 2 des SPD-Antrages angesprochenen Berichtsaufträge.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, daß wir dem zuständigen Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung permanent Zwischenberichte über die Arbeit der Bund-Länder-AG erstattet haben, und zwar am 7. Oktober 1996, am 28. Januar 1997 und am 17. Februar 1997. Frau Kollegin Odendahl, unter Ihrer Leitung wurden diese Berichte immer mit Begeisterung diskutiert. Eine laufende Information des Deutschen Bundestages war also gewährleistet.
Zu Ihrer Bemerkung, Frau Odendahl, bezogen auf die rechtzeitige Einbindung dieser Problematik in die Steuerreformdiskussion, darf ich Ihnen noch einmal sagen: Es ist Ihnen bekannt, daß wir den Kontakt zum BMF nicht nur gesucht haben. Vielmehr haben wir gebeten, diese Thematik in die zuständigen Arbeitsgruppen einzubeziehen. Im Kabinett, verehrte Kollegin, konnte Herr Rüttgers dazu nichts sagen,
weil das Thema Steuerreform insgesamt im Kabinett noch nicht behandelt worden ist.
({2})
- Das ist nun einmal so. - Insofern geht Ihr Vorwurf an der Sache vorbei.
Ebenfalls wichtig ist - Frau Schuchardt kann Ihnen das bestätigen -: Auf allen Arbeitsebenen der sogenannten Facharbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern ist ein Vertreter des BMF vertreten, so daß dort die Verbindung hergestellt ist.
Jetzt aber zum generellen Thema: In den Anträgen und Verlautbarungen der Opposition wird der Eindruck erweckt, unser geltendes BAföG-System sei ein Desaster und werde seine Aufgabe, Studenten aus einkommensschwachen Familien ein Studium zu ermöglichen, in keiner Weise gerecht.
({3})
Es ist sicherlich richtig, daß hier einiges zu tun ist. Aber ich möchte Ihnen einmal sagen - damit Ihnen klar ist, daß wir nicht auf der Insel der Seligen leben; denn Sie ziehen, was die Ausgaben für Forschung betrifft, immer andere Länder herbei -, wie es in anderen Ländern mit der Förderung und der Situation der Studenten aussieht. Wenn Sie dies vergleichen - ich nenne Ihnen gleich einige Beispiele -, werden Sie feststellen, daß wir mit unserem System der Ausbildungsförderung, wenn man alle Maßnahmen zusammennimmt, noch im oberen Drittel liegen. Sie mögen sagen: Das reicht nicht aus. Objektiv ist dies aber so.
Es gibt, wie Sie wissen, in vielen Ländern Studiengebühren. Diese wollen wir nicht. An privaten Hochschulen in Amerika betragen sie durchschnittlich etwa 11 000 Dollar pro Jahr. Etwa 100 private Hochschulen erheben Studiengebühren von mehr als 17 000 Dollar pro Jahr. Es gibt zwar Stipendien in den USA - das ist richtig -, aber erstens mit sehr niedrigen Einkommensgrenzen, und zweitens wird lediglich erreicht, daß Studierende selbst aus der untersten Einkommensschicht nur etwa 40 Prozent der von der Hochschule für Studiengebühren, Unterkunft und Verpflegung erhobenen Kosten selbst bezahlen müssen. Im Klartext: Sie müssen immer noch zahlen.
({4})
- Lassen Sie mich nur diesen Gedanken zu Ende bringen, dann können Sie das in Ihre Frage einbeziehen.
Schauen wir uns die Situation in Europa an, nur damit wir wissen, wo wir stehen. In England gibt es Studiengebühren bis 7 000 DM pro Jahr, die die Studenten belasten, in Italien bis 760 DM, in der Schweiz zwischen 600 und 1 500 DM. Oder nehmen Sie die Maximalzuschüsse - vergleichbar mit BAföG -: In Irland 300 Mark, in Italien 425 DM.
Ich gebe zu: Vieles ist nicht vergleichbar. Gut vergleichbar ist unser System zum Beispiel mit dem in Ländern wie Frankreich, Österreich und der
Schweiz, wo die Eltern genauso wie bei uns zur Leistung von Ausbildungsunterhalt verpflichtet sind und zusätzlich einen Familienleistungsausgleich in Form von Kindergeld und steuerlichen Vergünstigungen bekommen. Im Vergleich mit solchen Ländern liegen wir im Hochschulbereich mit einer Gefördertenquote von rund 23 Prozent mit an der Spitze. Auch können sich unsere Förderungshöchstsätze für Studierende von 995 DM pro Monat durchaus sehen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe dies angeführt, nicht weil ich zum Ausdruck bringen will, daß im Hinblick auf die konkrete Situation der Studenten nicht mehr zu tun wäre, sondern um Ihrer Polemik entgegenzutreten, daß es in der Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Desaster gäbe. Wer dies sagt, führt die Öffentlichkeit irre.
({5})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage? Es ist doch nicht höflich, eine Dame so lange stehen zu lassen.
({0})
Es wird aber nicht angerechnet.
Nein.
Herr Staatssekretär, in Ergänzung Ihres eindrucksvollen Zahlenwerks wäre es noch gut, wenn Sie die Entwicklung der Gefördertenquote von 1983 bis 1996 noch einbeziehen könnten. Es wäre sicher erhellend.
Der Beitrag war hilfreich. Ich komme ohnehin gleich darauf zurück.
({0})
- Nein.
Die Bundesregierung hat mit dem Regierungsentwurf des 18. BAföG-Änderungsgesetzes vom 27. März des letzten Jahres ihr Modell einer BAföG- Strukturreform vorgelegt. Ziel dieses Entwurfs war es, die wirtschaftliche Situation der Studierenden durch bessere Bedingungen deutlich zu fördern. Nach dem Studium allerdings - das war umstritten - sollten die Geförderten, wenn sie eine gutbezahlte Berufstätigkeit haben, Zinsen für den Darlehensanteil ihrer Förderung zurückzahlen. Ich halte das nach wie vor für vertretbar.
Nach diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Frau Odendahl, wären Bedarfssätze und Freibeträge um je 6 Prozent zum Herbst 1996 angehoben worden. Die Gefördertenquote wäre dadurch wieder auf
über 30 Prozent gestiegen. Dieses Gesetz scheiterte jedoch an der Opposition und dem Bundesrat. Deshalb ist es aus dieser Sicht scheinheilig, wenn die SPD, die das Gesetz verhindert hat, heute der Bundesregierung einen Rückgang der Gefördertenquote vorwirft. Dies ist so nicht zu akzeptieren.
({1})
Ich hätte mir im übrigen gewünscht, daß im Rahmen des dann von uns gemeinsam verabschiedeten 18. BAföG-Änderungsgesetzes die Anhebung der Freibeträge, die 1996 und 1998 um insgesamt 3 Prozent steigen neben der Anhebung der Sozialpauschalen, höher ausgefallen wäre. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben diese Erhöhung im Bundestag mit beschlossen. Wenn Sie damals unserem Gesetzentwurf zugestimmt hätten, dann bräuchten Sie heute nicht über zu geringe Sätze zu klagen.
Da Sie nun unser BAföG-Modell abgelehnt haben, wir aber in der Sache vorankommen wollen, werden nun in der Bund-Länder-AG die anderen Modelle und Vorschläge geprüft. Dabei ist natürlich die konkrete Finanzsituation zu berücksichtigen. Das gilt heute im übrigen für jedes Reformvorhaben, also auch für eine Reform der Ausbildungsförderung. Zwischen Bund und Ländern in der Bund-LänderAG besteht Einigkeit, meine Damen und Herren von der Opposition - das sollten Sie noch wissen, weil Sie, Gott sei es geklagt, in vielen Ländern regieren oder mitregieren -,
({2})
daß die BAföG-Reform kostenneutral sein muß, so wünschenswert es anders wäre. Wir kommen um diese Kostenneutralität nicht herum.
Abgesehen von den Finanzfragen werfen die Modelle auch sonst einige Probleme auf. Hierzu einige Anmerkungen. Unsere Verfassung fordert, daß Eltern wegen ihrer bestehenden Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern das Existenzminimum ihrer Kinder plus einen Teil der Ausbildungskosten von der Steuer absetzen können. Das macht auch Sinn, denn die Unterhaltsaufwendungen der Eltern führen faktisch zu weniger Geld bei den Eltern. Wenn wir nun, wie in den Sockelmodellen vorgeschlagen, dieses Recht davon abhängig machen, daß die Kinder die Leistungskriterien des BAföG erfüllen, muß zugleich das Unterhaltsrecht im BGB geändert werden. Das kann man tun, aber es muß dann auch geschehen.
Anläßlich einer Sachverständigenanhörung haben die Sachverständigen auch erhebliche Bedenken angemeldet. Frau Kollegin Bulmahn, wir haben uns darüber im Ausschuß strittig unterhalten, und ich bin dem noch einmal nachgegangen. Was die Verfassungsproblematik angeht, kommt bis auf einen der Verfassungsrechtler die Mehrzahl der anderen Juristen zu dem Ergebnis, daß die Begrenzung der Kindergeldzahlungen und der Ausbildungsfreibeträge, die normalerweise während des ganzen Studiums gelten, auf drei Jahre - das meint der Sockel - mit der Verfassung nicht konform ist.
Es ist richtig, daß es eine Einzelmeinung von Professor Wieland gab. Aber - ich habe mindestens zehnmal nachgefragt - die Fach-AG hat sich in der Wertung den verfassungsrechtlichen Bedenken angeschlossen. Es heißt in einem wohl nun doch gemeinsam protokollierten Entwurf: Aus verfassungsrechtlichen und steuersystematischen Gründen müssen die Zeiträume von Belastung - die Eltern sind ja während des ganzen Studiums zum Unterhalt verpflichtet - und Entlastung übereinstimmen. Das wirft natürlich massive Fragen auf.
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- Lösen können Sie alles. Ich stelle doch nur meine Bewertung dar. Sie tun so, als seien die Fragen, die dann gestellt werden, und auch die Rechtsfragen völlig unerheblich.
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Das muß ausdiskutiert werden. Sie müssen Antworten geben; denn die Verfassung wollen wir nicht außer Kraft setzen.
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Meine Damen und Herren, Sie werfen im übrigen der Bundesregierung vor, daß sie bei der Ermittlung der Kosten eines neuen BAföG-Modells vom geltenden Stand - den Kosten des 18. BAföG-Gesetzes - ausgeht und nicht vom alten BAföG-Recht, der 17. Novelle. Nun brauchen Sie auf die von Ihnen regierten Länder keine Rücksicht zu nehmen, abgesehen davon, daß diese letztlich entscheiden, was die SPD macht. Das haben wir ja zur Kenntnis genommen; manchmal gar nicht mit Begeisterung.
Vielleicht sprechen Sie einmal mit den Finanzministern in den Ländern. In der Finanzministerkonferenz gibt es deutliche Signale, daß diese unsere Auffassung teilt. So hat ein Mitarbeiter des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen für die Finanzministerkonferenz am 14. Februar 1997 erklärt, daß die Grundlage nur der Finanzplafond der 18. BAföG-Novelle sein kann.
Ich gebe zu, dies ist auch die Position der Bundesregierung, geprägt auf Grund der schwierigen finanziellen Lage. Wenn Sie sich beklagen, sorgen Sie doch erst einmal bei Ihren eigenen Finanzministern dafür, daß Ihre politische Linie durchgesetzt wird. Dann erst sollten Sie über uns herfallen und nicht umgekehrt.
({6})
Ich will zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will die weiteren gemeinsamen Beratungen in der Bund-Länder-AG mit forcieren. Sie ist an einer zügigen Durchführung der Arbeiten nicht nur interessiert, sondern wird sie mit betreiben. Noch in dieser Legislaturperiode muß und soll das Gesetzgebungsverfahren mit Ergebnissen beendet sein.
Deshalb hoffen wir, daß es bald möglich ist, Stellungnahmen der Finanzministerkonferenz und der Justizministerkonferenz der Länder zu den in der
Bund-Länder-AG erörterten Modellen zu erhalten. An uns hat es jedenfalls nicht gelegen, daß die Justizministerkonferenz noch nicht getagt hat. Der Termin, der für die Fach-AG auf Ministerebene vorgesehen war, mußte verschoben werden, weil die Finanzministerkonferenz nicht rechtzeitig zusammenkommen konnte.
Erst wenn diese Stellungnahmen vorliegen, kann in der Bund-Länder-AG auf Ministerebene eine Entscheidung zur künftigen Gestalt der Ausbildungsförderung getroffen werden.
Wir sind in diesem Punkte konstruktiv. Wir wollen, wenn es rechtlich und finanziell möglich ist, eine Verbesserung der Situation und sind deshalb daran interessiert, wie sich Ihre Kollegen in den Ländern verhalten. Die dafür zuständige Ministerin wird uns ja erklären, wie das im einzelnen aussieht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für den Bundesrat spricht jetzt die Ministerin für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen, Helga Schuchardt.
Ministerin Helga Schuchardt ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bedanken, daß die Debatte im Bundestag stattfindet. Herr Guttmacher, ich habe selber einmal diesem Hause, und zwar in der Funktion, die Sie heute innehaben, lange angehört und kann mich daran erinnern, daß unser heutiges Thema auch damals immer der letzte Tagesordnungspunkt war. Das einzige, das sich an diesem Haus geändert hat, ist die Architektur - und zugegebenermaßen die Mehrheiten. Das ist allerdings bedauerlicherweise festzustellen.
Meine Damen und Herren, ich stehe hier mit einem relativ guten Gewissen und kann Auffassungen vertreten, die für fast alle Länder - ich bin etwas vorsichtig: manchmal für fast alle Länder, manchmal für alle - zutreffend sind. Wir haben nämlich in diesem Bereich eine außerordentlich vertrauensvolle Zusammenarbeit unter den Ländern erfahren, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Ich bedaure es außerordentlich, daß davon hier nicht im geringsten ein Abbild zu erkennen ist. Vielleicht sollte Herr Hollerith hin und wieder mit seinem Minister reden.
({1})
Zur Frage der Begründung: Die Länder unternehmen erhebliche Anstrengungen zur Finanzierung des Hochschulsystems. Wir finden es allesamt unerträglich, daß wir ein so teures System nur für diejenigen offenhalten, die es sich von Hause aus leisten können. Wir sind deshalb intensiv daran interessiert, möglichst jedem, auch demjenigen, der eine individuelle Förderung nötig hat, auf Dauer den Zugang zu sichern. Das eint uns.
({2})
Die Zusammenarbeit mit dem Bund gestaltet sich allerdings außerordentlich holprig.
({3})
Eben hat Herr Neumann einen Beweis dafür gegeben.
({4})
Ich bedauere übrigens sehr, daß Herr Neumann, der sonst in diesen Diskussionen nie eine Rolle spielt und auch nie dabei ist,
({5})
gegenüber dem Parlament immer diese Auffassung vertreten muß. Es gibt nur wenige Gesetze, für die der Bundesminister zuständig ist. Dies ist eines von diesen Gesetzen. Daß er durch Abwesenheit glänzt, finde ich zynisch.
({6})
Meine Damen und Herren, es gab eine einhellige Ablehnung - und zwar nicht nur bei den sozialdemokratisch geführten Ländern, sondern auch bei den anderen Ländern - dieses sogenannten Reformmodells von Herrn Rüttgers. Wer hat das eigentlich wahrgenommen? Hier geht man von der theoretischen Annahme aus, das hätten schon alle, die berechtigt sind, irgendwie wahrgenommen. Aber Sie haben leider verschwiegen, Herr Neumann, mit welchem Schuldenberg dieser junge Mann oder diese junge Frau dann in das Berufsleben geht. Gleichzeitig predigt aber Ihr Bundeskanzler ununterbrochen, die jungen Leute sollten mehr Mut zur Selbständigkeit haben. Wie denn, wenn sie solch einen Schuldenberg vor sich hertragen?
({7})
Es gab im Juni den Beschluß von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten. Die Art und Weise, wie dann von seiten des Bundes retardierend, zögerlich gehandelt wurde, ist schon einigermaßen bemerkenswert. Nun sitzen wir zusammen. Man kann aber nicht gerade behaupten, daß dieser Willensbildungsprozeß von besonderer Geschwindigkeit geprägt sei.
({8})
Herr Hollerith, was Sie hier vorgeführt haben, ist geprägt von einer grandiosen Unkenntnis. Ich mache das einmal an dem niedersächsischen Haushalt deutlich.
({9})
Mein Haushalt wies immer Steigerungen auf. Mein
Haushalt ist auch relativ zum Gesamthaushalt gestieMinisterin Helga Schuchardt ({10})
gen. Dies kann man nicht vom Haushalt des BMBF sagen, der ein „definitives Abwachsen" - so nennt man das ja neudeutsch - aufweist, und dies auch noch relativ zum Gesamthaushalt gesehen.
({11})
Der Bund und die Vertreter der Mehrheit dieses Bundestages sollten mit diesen Argumenten aufhören.
Im übrigen empfehle ich Ihnen, sich künftig nicht nur Sekundärinformationen zu besorgen, sondern Primärinformationen. Das kann man wohl von einem hochbezahlten Abgeordneten verlangen.
({12})
Meine Damen und Herren, als vor 25 Jahren das BAföG geschaffen wurde, waren sich alle Fraktionen darüber einig, daß niemand aus sozialen Gründen vom Studium ausgeschlossen werden sollte. Ich freue mich außerordentlich, Herr Guttmacher, daß Sie heute noch einmal bestätigt haben, daß dies für Sie nach wie vor gilt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith?
Ministerin Helga Schuchardt ({0}): Aber sicher.
Bitte.
Frau Ministerin, erste Frage: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß im Haushalt von Niedersachsen für Forschung und Lehre eine globale Minderausgabe gegriffen hat?
Zweite Frage: Darf ich in Ihrer Rede noch Aussagen dazu erwarten oder beantworten Sie mir gleich, welche Vorschläge Sie uns, hier im Deutschen Bundestag, hinsichtlich einer Finanzierung des BAföG machen, sofern Sie einen höheren Mittelansatz befürworten, wie ihn die Kolleginnen und Kollegen der SPD nach den Worten von Frau Odendahl offensichtlich unterstützen?
Ministerin Helga Schuchardt ({0}): Dazu sage ich gerne etwas. Eine globale Minderausgabe besagt überhaupt nichts. Wenn die globale Minderausgabe von einem höheren Wachstum ausgeht, dann reduziert sie lediglich das Wachstum ein bißchen.
({1})
Ich habe mit Ihnen einmal beim RCDS auf einem Podium gesessen. Da haben Sie sich als Unternehmensberater ausgegeben.
({2})
Setzen Sie diese Kenntnisse hier einmal ein!
({3})
Zur Problematik mit dem BAföG.
({4})
Zunächst ist das Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, tatsächlich erreicht worden.
({5})
Frau Odendahl hat eben eine Zwischenfrage gestellt. Da hat Herr Neumann gesagt, er komme noch darauf zurück. Das hat er in seiner Rede leider nicht getan. Es ging darum, wie sich die Förderquote von 1983 bis heute verändert hat. Sie hat sich dramatisch verändert. Man kann heute sagen, daß wir wieder eine Situation wie Anfang der 70er Jahre haben, nämlich insofern, als das soziale Mischungsverhältnis an den Universitäten dasselbe wie damals ist - eine außerordentlich traurige Erfahrung.
Das BAföG war in den letzten Jahren in dramatischer Weise - deswegen habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, heute mehr zu fordern, als in den Haushalten angesetzt wurde; keiner der Wissenschaftsminister hat dies, auch nicht diejenigen, die der CDU angehören - die Spardose des Bundes und aller Länder. Das ist ein unerträglicher Zustand. Dies darf nicht so weitergehen.
({6})
Die Grundidee der vom Deutschen Studentenwerk und der Länder-Arbeitsgruppe erarbeiteten Modelle geht davon aus, wie beim BAföG auch die Leistungen aus der Familienförderung, also das Kindergeld, die Kinderfreibeträge und die Ausbildungsfreibeträge, die wegen des Studiums eines Kindes gezahlt werden, von Leistungsnachweisen abhängig zu machen. Dadurch werden erhebliche Mittel frei, die ein hinreichendes Fördermodell möglich machen würden.
Ich möchte hier ganz bewußt nicht auf Details eingehen, wie es Herr Neumann gemacht hat. Herr Neumann, Sie werden dem Bundesrat und den einzelnen Ländern doch nicht unterstellen, daß sie ein für verfassungswidrig erachtetes Konzept verfolgen. Entscheidend ist, daß man den Sachverstand akquiriert, der bei bestimmten Bereichen Bedenken erhebt. Wir können auf der Grundlage dieser Bedenken selbstverständlich Veränderungen vornehmen. So empfinde jedenfalls ich eine seriöse Arbeit.
({7})
Eine seriöse Arbeit ist es aber nicht, sich zurückzuziehen und zu sagen: Nun prüfen Sie erst einmal; sagen Sie zunächst einmal, was Sie wollen. Das kann es doch wohl nicht gewesen sein.
Natürlich wurden sofort Bedenken laut. Wir kennen die Bedenkenträger doch ganz genau. Es gibt Verwaltungen, die ermöglichen, und es gibt Verwaltungen, die verhindern. Die Länder sind im AugenMinisterin Helga Schuchardt ({8})
blick die Ermöglicher, und die Bundesregierung ist die Verwaltung der Verhinderer.
({9})
Meine Damen und Herren, ein anderer Streitpunkt - darauf möchte ich gerne eingehen - ist noch existentieller. Natürlich haben auch die Länder Haushaltsengpässe. Die müssen sie auch im Auge haben. Als der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten am 13. Juni 1996 den Beschluß faßten, das Ausbildungsförderungsrecht im Zusammenhang mit der Steuerreform neu zu regeln, und damit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe beauftragten, gingen Bund und Länder natürlich von einer Kostenneutralität aus. Nun kann nicht derjenige, der laufend zur Verzögerung beiträgt, anschließend sagen: Moment mal, diese Kostenneutralität definieren wir von Jahr zu Jahr neu.
({10})
Man muß sich vielmehr einmal einigen und auf dieser Grundlage handeln. Diese Grundlage ist die Einigung aus dem Jahre 1996. Selbstverständlich haben wir also das damalige Recht zugrunde gelegt und - das füge ich hinzu - die damaligen Haushaltsansätze, zumindest diejenigen, die in den Landeshaushalten standen.
Der Bundesminister geht aber von der 18. Novelle aus - das ist hier ja bereits deutlich gemacht worden - und im vorauseilenden Gehorsam - das ist noch viel ärgerlicher, ja sogar deprimierender - von einer Steuerreform auf der Grundlage von Beschlüssen von Kommissionen, die noch nicht einmal Teil der Bundesregierung sind.
({11})
Er legt also bewußt ein Finanzvolumen zugrunde, das schon jetzt absehbar eine wirksame Ausbildungsförderung unmöglich macht.
Was man wohl vom Bundesminister erwarten müßte, ist, daß er sich aktiv in steuerpolitische Diskussionen einschaltet, um offensiv die Interessen der Studenten zu vertreten.
({12})
Aber nichts passiert. Das ist soeben von Herrn Neumann in unglaublich ehrlicher Weise noch einmal gesagt worden. Er hat nämlich gesagt: Wir warten doch erst einmal ab, was uns der Finanzminister sagt. - So verstehe ich meinen Job nicht, sondern ich setze mich meinem Finanzminister gegenüber für eine ganz bestimmte Sache ein. Wenn ich am Ende eine Niederlage erleide, habe ich eben Pech gehabt. Sich aber erst gar nicht dafür einzusetzen, das ist doch das Dilemma.
Manchmal wünsche ich mir - ich muß das an dieser Stelle einfach einmal sagen - Herrn Möllemann zurück. Zu seiner Zeit als Bildungsminister hatte dieses Ministerium eine stärkere Anerkennung als jetzt.
({13})
- Nein, das nicht.
Das eigentlich für mich Deprimierende ist, daß diejenigen, die an der Ausbildungsförderung nicht interessiert sind, dafür sorgen können, daß es zu keiner Gesetzesänderung kommt. Das heißt, man braucht nur nichts zu tun. Das ist wie bei der Vermögensbildung: Man braucht nur nichts zu tun, und dann ist sie weg. Ich sage Ihnen: Sie kommen aus dieser Sache nicht ohne Kritik heraus. Wir werden schon die Schuldigen benennen, die dann die Verantwortung dafür tragen.
({14})
Bei Nichtstun hätte sich das BAföG in wenigen Jahren abgewickelt, weil Freibeträge und Förderhöhe nur noch marginal wären und keine Wirkung mehr erzielen würden.
Meine Bitte an die Mehrheit im Bundestag ist: Tragen Sie zur Beschleunigung einer befriedigenden Lösung bei! Schaffen Sie die finanziellen Voraussetzungen für eine auskömmliche Förderung!
Herr Guttmacher, ich würde gerne an das anschließen, was Sie gesagt haben. Sie sprachen von einer Fondsidee. Wir sollten, wenn es schon um langfristige Lösungen geht, keinen Vorschlag ungeprüft lassen. Das gleiche gilt übrigens auch für den Vorschlag der Grünen. Ich bin von meiner Kollegin aus Hessen angesprochen worden, die gebeten hat, auch diesen Bereich mit zu fördern. Es darf keine Idee ungeprüft bleiben, um eine wirklich langfristige Lösung zu finden.
({15})
Ich möchte deshalb noch an folgendes erinnern. Sie wissen, daß wir für BAföG viel weniger ausgeben, als im Haushalt steht; denn die Rückflüsse gehen in den allgemeinen Haushalt, ohne daß sie irgendwo gezielt auftauchen.
({16})
Das ist das Problem. Das heißt, wir müssen die Rückflüsse im Sinne von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zum aktiven Bestandteil der Bildungspolitik machen. Man muß Fondslösungen mit in die Überlegungen einbeziehen, weil es vielleicht auch Sinn machen könnte, sie langfristig zu sichern. Das könnte übrigens am Ende zu einer größeren Kompatibilität im europäischen Rahmen führen.
({17})
Meine Bitte an Herrn Rüttgers ist - ich tue einfach so, als ob er da wäre -: Verwechseln Sie nicht weiterhin Politik mit Öffentlichkeitsarbeit!
({18})
Kümmern Sie sich weniger um Dinge, die sowieso nicht in Ihrer Kompetenz liegen!
({19})
Ministerin Helga Schuchardt ({20})
- Nein, das ist genau die Wahrheit, und das ist das, was alle Länder unglaublich nervt, nämlich daß Herr Rüttgers uns ununterbrochen vorschreibt, was wir zu machen haben, wohlwissend, daß wir den größten Teil dessen, was er uns ratschlagend untergejubelt hat, schon umgesetzt haben.
({21})
Bei den Haushaltsberatungen sollte er wirklich mehr Kraft einsetzen - die würde dann nämlich frei -, sich um seine Hauptaufgabe zu kümmern, nämlich für die Forschung und zum Beispiel auch für den Hochschulbau stärkere Anteile am Bundeshaushalt durchzusetzen, statt immer der Verlierer zu sein.
({22})
Zunächst einmal ist er uns doch als Zukunftsminister angekündigt worden; aber davon ist leider nicht viel übriggeblieben.
({23})
Herr Neumann, ich bitte Sie, Herrn Rüttgers folgendes weiterzutragen: Er muß endlich zur Kenntnis nehmen, daß er für die soziale Lage der Studenten verantwortlich ist. Also kann man nur sagen, er soll endlich etwas tun und seine Verantwortung wahrnehmen.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Richwien.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorab ein paar Bemerkungen an die Adresse von Frau Ministerin Schuchardt. Ich muß feststellen: Bei dem Zinsmodell, das damals hier besprochen wurde, hatten Sie davon gesprochen, daß der Student dann einen Schuldenberg vor sich her trage. Ich glaube, in der entsprechenden Passage war auch verankert, daß erst dann eine Rückzahlung erfolgen soll, wenn der frühere Student in Brot und Arbeit ist, wenn er also auch in der Lage ist, dieses Geld zurückzuzahlen. Ich weiß nicht, wie Sie in Ihrem Land den Meister-BAföG-Empfängern klarmachen wollen, daß die einen zurückzahlen müssen und die anderen nicht. Das geht bei mir nicht richtig ins Ohr.
({0})
An die Adresse von Frau Odendahl: Ich weiß nicht, wie Sie Studienzeitverkürzung und BAföG in dem Zusammenhang gemeint haben. Ich weiß und werde das hier noch einmal ganz deutlich sagen: Wir sind nicht dafür, daß wir die Studenten zehn Jahre lang an der Universität haben, sondern es sollte darauf gedrungen werden, daß das Studium wirklich in einer kurzen Zeit absolviert wird. Das werden wir auch weiterhin hier vertreten.
Nichtförderung, wurde gesagt, heiße gleichzeitig Bestrafung. Auch das kann man eigentlich nicht im Raum stehenlassen. Die Kriterien dafür, wann jemand gefördert wird und wann nicht, sind ganz klar festgelegt. Mir kommt es immer so vor, als wenn der Schwarze Peter hier in diesem Hause herüber- und hinübergeschoben und an der Sache vorbei diskutiert würde und daß der eine oder andere hier seine Aufgaben gar nicht selber löst.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Richwien, können Sie sich daran erinnern, daß wir im Ausschuß anläßlich der Novellierung der 18. BAföG-Novelle eine sehr heftige Debatte darüber geführt haben, daß die Mitarbeit in Gremien und vor allen Dingen Auslandsaufenthalte förderungswürdige Tatbestände sind - das war damals im Ausschuß Konsens -, und daß der Ausschuß damals übereinstimmend der Meinung war, daß die Nichtförderung genau dieser beiden Tatbestände kontraproduktiv zu bildungspolitischen Zielen, die im Ausschuß immer unterstützt worden sind, ist?
Wir haben uns im Ausschuß ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Und das war, wenn ich mich recht erinnere, keine Parteidiskussion. Alle Mitglieder des Ausschusses waren der Meinung, daß auch in Zukunft Auslandsaufenthalte durch das BAföG gefördert werden sollten. Wir sagten: Es darf nicht sein, daß diejenigen, die aus einkommensschwachen Familien kommen, in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit haben, ein oder zwei Semester im Ausland zu studieren. - Das war natürlich ein Problem.
({0})
Herr Richwien, ist Ihnen bekannt, daß Studierende generell nur für die Dauer der Regelstudienzeit BAföG erhalten? Von daher hat diese Debatte über die Ausbildungsförderung überhaupt nichts mit der Länge des Studiums zu tun. BAföG-Studentinnen oder -Studenten müssen die Zwischenprüfung, das Vordiplom nach vier oder fünf Semestern absolviert haben. Ähnliches gilt auch für das Diplom.
Frau Kollegin, Sie müssen schon fragen. Sie dürfen die Zeit nicht für eine Rede nutzen.
Ist Ihnen dies bekannt, Herr Richwien? Wenn ja: Warum stellen Sie es hier so dar, als ob es anders wäre?
Ich würde zwar sagen, Frau Bulmahn, daß das eher eine Kurzintervention war und keine Fragestellung. Diese zwei Fragen kann ich aber durchaus beantworten: Wir waren uns damals im Ausschuß einig. Es wäre auch schizophren, das jetzt zu leugnen. - Wir wollten eigentlich nur diese Bestrafung nicht so im Raum stehen lassen.
Deswegen haben wir das hier noch einmal ganz kurz angesprochen.
Zurück zu meiner Rede. Die Finanzministerkonferenz wird sich - das ist hier schon geäußert worden - auf ihrer nächsten Sitzung am 10. April 1997 erneut mit der Problematik befassen.
Ich möchte nun die Hauptaussagen der Rechtsexperten in der Sachverständigenanhörung vom 22. Januar 1997 kurz darstellen.
Grundanliegen dieser Anhörung war die Klärung der Paßfähigkeit der vorliegenden Modelle im Hinblick auf die bestehende Gesetzgebung. Dabei wurde deutlich, daß sowohl das Drei-Körbe-Modell als auch das Drei-Stufen-Modell aus mehreren Gründen nicht mit dem bestehenden Verfassungsrecht konform sind. Das Bayern-Modell wurde zwar als rechtstechnisch realisierbar eingeschätzt, seiner Realisierung stünden aber schwerwiegende rechtssystematische Gründe entgegen.
Allgemein wurde festgestellt, daß sich die Voraussetzung zur Leistung von Ausbildungsunterhalt nach dem bürgerlichen Recht in ihrer Zielrichtung wesentlich von der BAföG-Leistungsvoraussetzung unterscheidet. Der Hauptgrund besteht darin, daß das zivilrechtliche Unterhaltsrecht richterrechtlich geprägt ist und den Einzelfall in den Vordergrund rückt, während das zum öffentlichen Recht gehörende BAfÖG als typisches Massenleistungsgesetz pauschalierende Regelungen enthält. Eine Paßfähigkeit beider Rechtsgebiete wäre nur durch eine Einschränkung des Unterhaltsrechts zu erreichen.
Die Sachverständigen des Unterhaltsrechts haben jedoch gegen eine solche Lösung erhebliche rechtssystematische Bedenken, da dem BGB-Unterhaltsrecht jegliche Detailregelung fremd sei und seine Ausgestaltung auf einzelfallbezogenen richterlichen Entscheidungen beruhe.
Im Ergebnis ist also festzustellen, daß eine Paßfähigkeit beider Rechtsgebiete zwar rechtstechnisch machbar wäre, aber von den Sachverständigen des Unterhaltsrechts wegen der benannten Bedenken nicht befürwortet wird.
Dieser Sachverhalt hat Auswirkungen auf die Beurteilung aller vorgestellten Modelle. Sie sind demnach nur umsetzbar, wenn der Gesetzgeber zugleich das BGB-Unterhaltsrecht ändert.
Hinsichtlich der Sockelmodelle sind folgende Überlegungen zu berücksichtigen: Das Drei-KörbeModell der Kultusministerkonferenz wie auch das Drei-Stufen-Modell des Deutschen Studentenwerkes sehen eine Sockelzahlung direkt an den Studierenden vor. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muß jedoch der Staat die durch tatsächliche Unterhaltsaufwendungen verminderte Leistungsfähigkeit der Eltern bei ihrer Besteuerung berücksichtigen. Staatssekretär Neumann hat das vorhin schon angesprochen.
Das heißt, die Entlastung muß den Eltern als Steuerpflichtigen selbst zufließen. Die Gewährung eines Sockelbetrages direkt an den Auszubildenden führt dann zur notwendigen Entlastung der Eltern, wenn diese Zahlung den Eltern als steuerliche Entlastung
zugerechnet werden kann und sie das Recht haben, die unmittelbare Zahlung an sich selbst zu wählen.
Um diese Vorgaben des Verfassungsrechts umzusetzen, bedarf es gewichtiger Änderungen des Einkommensteuergesetzes, die aber bei den Sachverständigen - ich sage erneut: bei den Sachverständigen - erhebliche steuersystematische und verwaltungspraktische Einwände hervorrufen. Mir ist klar, daß diese komplizierten Vernetzungen der Modellvorstellungen mit den notwendigen Verfassungs-, Unterhalts- und Steuerrechtsänderungen für eine schnelle und durchschaubare Neuordnung des BAföG-Systems nicht gerade förderlich sind.
Derzeit haben die Finanz- und Justizminister der Länder die Möglichkeit, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern. Sie haben eine schriftliche Stellungnahme bis Mitte April abzugeben. Auf diesen Zeitplan - das sage ich hier auch ganz deutlich - haben wir keinerlei Einfluß.
({0})
Wie Sie sehen, ist alles komplizierter, und durch das Stellen von polemischen Anträgen von Ihrer Seite tritt nicht gerade eine Beschleunigung der Problemlösung ein. Ich möchte aus diesem Grunde noch einmal auf Ihre Bedenken eingehen.
Bei der Befassung mit dem amerikanischen Bildungssystem - ich beziehe mich hier auf einen Vortrag des Präsidenten der Georgetown University in Washington vom 28. Januar 1997 - ist mir erneut bewußt geworden, daß in einer Zeit der zunehmenden Internationalisierung von Forschung und Lehre eine Orientierung an unseren amerikanischen wie auch an unseren europäischen Partnern unumgänglich ist.
In dieser amerikanischen Studie finden sich viele interessante Aspekte, die ich hier als Anregung für weitere Überlegungen nur skizzieren möchte. Zunächst sei auf einen aussagekräftigen statistischen Vergleich hingewiesen: Die Gesamtzahl der deutschen Studenten in den USA belief sich im Jahre 1975 auf 1 630 und im Jahre 1992 auf 7 877. Das entspricht einer Steigerung um über 400 Prozent. Umgekehrt betrug die Zahl der amerikanischen Studenten an deutschen Institutionen im Jahr 1975 3 049 und im Jahr 1992 4 436. Das entspricht nicht einmal einer Steigerung um 50 Prozent, obwohl ja die Belastungen in den USA wesentlich stärker sind. Daraus ist zu schließen, daß sich deutsche Studenten offenbar verstärkt am amerikanischen Bildungssystem orientieren, aber amerikanische weniger am deutschen Bildungssystem.
Betrachtet man die vergleichsweise junge Bildungsgeschichte der USA, so stellt man fest, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Kulturtransfer von Deutschland nach Amerika stattgefunden hat. Amerikanische Universitäten wurden vermehrt nach deutschen universitären Modellen gegründet. Vor allem die zahlreichen amerikanischen Studenten in Deutschland brachten nicht nur Bildung und akademische Abschlüsse in die USA zurück, sondern sie waren auch aus ganzem Herzen dem deutschen BilRoland Richwien
dungssystem verschrieben, von dem sie so sehr profitiert hatten.
({1})
- Da müssen Sie zuhören, Herr Tauss.
Das heutige amerikanische Bildungssystem ist vor allem durch eine Vielzahl an Institutionen gekennzeichnet, die in gemeinnützige, öffentliche und private Institutionen gegliedert sind. Für alle Studierenden wird der finanzielle Aufwand für ihr Studium von Anfang an durchschaubar und kalkulierbar gestaltet; hier sehe ich noch eine Parallele zu unserer Studienberatung. Ist ein Student einmal zugelassen, dann stellt ein Amt für die Finanzierung des Studiums ein Kostenbudget zusammen, das alle anfallenden Ausgaben, angefangen von Studiengebühren über Kosten für Bücher bis zu den Reisekosten für Fahrten nach Hause, beinhaltet.
Die vollen Kosten für ein vierjähriges Studium in Amerika belaufen sich an einer Privatinstitution - ich will es hier nur noch einmal erwähnen - durchschnittlich auf 18 525 Dollar, an einer öffentlichen Einrichtung auf durchschnittlich 6 878 Dollar.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte keine Kopie des amerikanischen Systems, aber wir sollten, wie schon eingangs betont, lernfähig gegenüber anderen Bildungssystemen sein. In diesem Zusammenhang müssen wir uns schon die Frage gefallen lassen, warum unser Bildungssystem so an Attraktivität verloren hat. Bei der Beantwortung dieser Frage kann man nicht immer nur auf den Bund schauen, sondern sollte auch an die Universitäten und die Länder denken.
({2})
Wir brauchen praktikablere Antworten im Interesse unserer Studierenden. Polemische Anträge und Fragestellungen von seiten der SPD und der Grünen helfen hier den Studierenden auf keinen Fall.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/6998, 13/7058, 13/7071 und 13/7080 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Antrag der Fraktion der SPD zu einer BundLänder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung auf Drucksache 13/6998 - das ist der Tagesordnungspunkt 14 - soll zusätzlich dem Haushaltsausschuß und dem Rechtsausschuß überwiesen werden. Eine Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ist nicht mehr vorgesehen.
Der Antrag der PDS zum 19. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Drucksache 13/7058 - das ist der Zusatzpunkt 9 - soll zusätzlich an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden.
Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur BAföG-Strukturreform auf Drucksache 13/7071 - das ist der Zusatzpunkt 10 - und der Bericht der Bundesregierung über Arbeitsstrukturen und Arbeitsprogramm der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung auf Drucksache 13/7080 - das ist der Zusatzpunkt 11 - sollen zusätzlich an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind alle Überweisungen so beschlossen.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 12. März 1997, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.