Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/31/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe auf: ZP8 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland 9. Debatte zur Arbeitsmarktsituation und zum Wirtschaftswachstum Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung vier Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Dienstag hat das Bundeskabinett den Jahreswirtschaftsbericht 1997 beraten und beschlossen. ({0}) - Ich weiß, daß Sie für heute früh so eingestimmt sind. ({1}) - Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie versuchen, die Sitzung in dieser Weise zu gestalten. Dann wird sie lebhaft. Ob das der Sache dient, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber je mehr Sie heute den Versuch machen, die Debatte auf diese Weise zu gestalten, um so köstlicher wird sie. ({2}) In diesem Jahreswirtschaftsbericht 1997 ({3}) wird ein realistisches Bild der Erwartungen für 1997 gezeichnet. Wir rechnen, ebenso wie die meisten Konjunkturexperten, damit, daß sich das Wachstum von plus 1,4 Prozent im Jahre 1996 auf plus 2,5 Prozent in diesem Jahr beschleunigen wird. Ich denke, diese Erwartungen sind gut begründet. Der Welthandel expandiert kräftig. Die übersteigerte Aufwertung der D-Mark vom Frühjahr 1995 hat sich weitgehend zurückgebildet. Die deutschen Exporte profitieren von der guten Weltkonjunktur und der D-Mark-Kursentwicklung. Der erwartete Anstieg der deutschen Ausfuhr von etwa sechseinhalb Prozent schafft Arbeitsplätze. Immerhin hängt jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export ab. Die Zinsen sind auf das niedrigste Niveau gesunken, seit es in Deutschland eine Zentralbank gibt. Das ist ein großer Erfolg, und ich will ihn bei dieser Gelegenheit noch einmal herausstellen. ({4}) Die für die Investitionen entscheidenden langfristigen Zinsen liegen bei 5 Prozent und teilweise bereits darunter. Ich will darauf hinweisen, daß es für den Eigenheimbau ganz besonders wichtig ist, daß die Hypothekenzinsen bei zehnjähriger Bindung nur noch knapp über 7 Prozent betragen. Das sind besonders günstige Bedingungen, wie wir sie in vielen Jahren nicht hatten. ({5}) Die Tarifparteien haben in der jüngsten Tarifrunde mehr Rücksicht auf Wettbewerbslage und Beschäftigung genommen. In Deutschland herrscht praktisch Preisstabilität. Auch für 1997 ist eine Inflationsrate von nur eineinhalb Prozent zu erwarten. Auch das halte ich für ein bedeutendes Ereignis und für einen großen Erfolg. ({6}) Wichtig ist jedoch, daß all diese zu Recht hervorgehobenen Daten und Tatsachen nach unserer Erfahrung aus den letzten Jahren nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führen. Deshalb brauchen wir beides: Wachstum und strukturelle Reformen, die dazu führen, daß das Wachstum beschäftigungsintensiver wird, also Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir die Investitionsschwäche überwinden. ({7}) - Was soll das eigentlich? Meinen Sie wirklich, daß es eindrucksvoll ist, daß Sie mich stören, wenn Sie unentwegt dazwischenschreien? Das ist mir völlig gleichgültig. Ich hoffe nur, daß das Fernsehen Sie fortdauernd im Bild hat, damit die Bürger in Deutschland erkennen, mit welcher Gesinnung Sie hier im Saal sitzen. ({8}) Wenn wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir die Investitionsschwäche überwinden, Strukturreformen vorantreiben und nicht zuletzt im Blick auf die Zukunft im Forschungsbereich das Notwendige tun. Wir rechnen für 1997 mit einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn die Arbeitslosigkeit nach ihrem Höhepunkt im Frühjahr im weiteren Jahresverlauf zurückgeht, wird die Zahl der Arbeitslosen 1997 im Jahresdurchschnitt etwa 4,1 Millionen betragen. Das ist eine Zahl, die niemand akzeptieren kann. ({9}) Alle, die hier betroffen sind - das gilt vor allem für die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Politik -, haben eine gemeinsame Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit. Deshalb haben wir vor einem Jahr im Bündnis für Arbeit und Standortsicherung gemeinsam vereinbart - ich zitiere es immer wieder -: Wirtschaft, Gewerkschaft und Bundesregierung streben einen nachhaltigen Beschäftigungsaufschwung an und setzen sich das gemeinsame Ziel, bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Zahl der registrierten Arbeitslosen zu halbieren. ({10}) Jeder weiß, daß dies ein anspruchsvolles und ehrgeiziges Ziel ist. Ich halte wenig davon, unentwegt darüber nachzudenken, warum wir dieses Ziel nicht erreichen; ich halte sehr viel mehr davon, daß wir uns statt dessen gemeinsam darum bemühen, diesem Ziel näherzukommen. ({11}) Ich lege auch Wert auf die Feststellung - gelegentlich gibt es die eine oder andere Stimme, die etwas anderes sagt -, daß dies damals von allen drei Gruppen als gemeinsam vorgenommenes Ziel herausgestellt worden ist. Alle drei - Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik - haben keinen Grund, von diesem Ziel abzulassen. ({12}) Wir wissen auch, daß niemand allein, weder die Wirtschaft allein noch die Gewerkschaften allein, noch die Politik bzw. die Bundesregierung, dieses Problem lösen kann. Dazu gehört ein Stück Gemeinsamkeit beim Handeln. Meine Damen und Herren, ein kräftiger Beschäftigungsaufschwung in Deutschland ist natürlich möglich. Wir haben es alle vor wenigen Jahren erlebt, wir haben es uns selbst bewiesen: Zwischen 1983 und 1992 wurden mehr als 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze in den alten Ländern geschaffen, und heute - diese Zahl ist so wichtig, daß man sie sich merken sollte - gibt es in den alten Bundesländern trotz des Beschäftigungsrückgangs der letzten Jahre rund 2 Millionen Arbeitsplätze mehr als 1983. ({13}) Wichtig ist es, dabei die Erfahrung nicht zu vergessen, daß selbst bei zunehmender Beschäftigung und selbst dann, wenn die Wirtschaft mehr Erträge abwirft, die Arbeitslosigkeit nicht automatisch zurückgeht. Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß sich in Deutschland wie übrigens auch anderswo in Europa die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt ganz erheblich verändert haben, und zwar aus durchaus respektablen und erfreulichen Gründen. Ich nenne das Beispiel, daß heute sehr viel mehr Frauen als früher eine Erwerbstätigkeit anstreben. ({14}) - Offensichtlich sind Sie gegen diese Entwicklung; das mag ja sein. - Es ist eine Entwicklung, die die veränderten Lebensgewohnheiten widerspiegelt, eine Entwicklung, die auf der freien Entscheidung einer Frauengeneration beruht. Wir in der Union, in der Koalition und in der Bundesregierung kritisieren das nicht. ({15}) Aber die Folgen für den Arbeitsmarkt sind unübersehbar: Die Zahl der Frauen, die einen Arbeitsplatz haben oder anstreben, ist in den alten Ländern von 46 Prozent im Jahre 1970 auf heute 60 Prozent gestiegen; in den neuen Ländern beträgt die Zahl 74 Prozent. Von den drei Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen, die zwischen 1983 und 1992 in den alten Ländern geschaffen wurden, kamen knapp zwei Millionen Frauen zugute. Eine ganz erhebliche Veränderung mit enormen Konsequenzen zeigt sich auch bei der Zuwanderung nach Deutschland. ({16}) Sie war in den vergangenen Jahren höher als die Zuwanderung in das klassische Einwanderungsland USA. ({17}) Im Jahre 1995 wanderten in die USA 720 000 Personen ein, zu uns kamen 1,1 Millionen. ({18}) Allein in den acht Jahren zwischen 1988 und 1996 sind per Saldo über 2,5 Millionen erwerbsfähige Zuwanderer nach Deutschland gekommen, von denen verständlicherweise viele einen Platz auf dem Arbeitsmarkt suchten. ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, wenigstens die Regierungserklärung in Ruhe anzuhören. Die Geräuschkulisse ist zu laut. ({0})

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Die Zahl der beschäftigten Ausländer hat im gleichen Zeitraum um 420 000 zugenommen. Meine Damen und Herren, ich trage hier nüchterne Zahlen vor. Wenn in diesen Tagen - ich mache mir diese Meinung nicht automatisch zu eigen - der Vorsitzende einer der großen Industriegewerkschaften Deutschlands, der Ihnen doch politisch sehr nahe steht, auf diesen Sachverhalt hingewiesen hat, dann müssen Sie diese Zahlen auch von meiner Seite ertragen. Das gehört zur offenen Diskussion über diesen Punkt. Ich nenne ein praktisches Beispiel, meine Damen und Herren, das Sie alle sehr leicht nachprüfen können. Auf einer der größten Baustellen der Welt - in Berlin - arbeiten gegenwärtig 110 000 deutsche Bauarbeiter, außerdem 30 000 aus EU-Ländern und rund 7 000 aus unseren östlichen Nachbarländern. Wir wissen auch, daß zu dieser Zahl eine nicht genau zu fixierende Zahl von illegalen, nicht dort gemeldeten Arbeitern kommt. Zur gleichen Zeit - Sie können nicht leugnen, daß hier ein Problem offenbar wird ({0}) gibt es aber in Berlin trotz der eben von mir geschilderten Lage 14 000 arbeitslose Baufacharbeiter. ({1}) - Jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Mit dem Entsendegesetz - ({2}) - Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Mich stört das wirklich überhaupt nicht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Können wir uns wenigstens darauf einigen, daß sich der Redner Gehör verschafft? Sie können sich dann gleich zu Wort melden. Wir haben feste Regeln für unsere Beratungen.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr für Ihre Intervention. Ich füge hinzu: Man benimmt sich in diesem Hohen Hause, wie man eben glaubt, daß man sich benehmen muß. ({0}) Mit dem Entsendegesetz haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, solche Fehlentwicklungen zu bekämpfen. Natürlich ist es heute zu früh, ({1}) über die Wirksamkeit dieser Maßnahme zu sprechen. Denn schließlich ist der Tarifvertrag, mit dem das Entsendegesetz wirksam wird, erst zu Beginn dieses Jahres, vor wenigen Wochen, in Kraft getreten. Ich sage allerdings auch: Ich bin dafür, daß wir sehr sorgfältig beobachten, wie diese getroffenen Maßnahmen wirken. Dazu braucht es etwas Zeit; aber ich meine, es ist wichtig. Zur deutschen Wirklichkeit des Jahres 1997 gehört auch, daß ausländische Arbeitnehmer Tätigkeiten übernehmen, die von deutschen Arbeitslosen abgelehnt werden. ({2}) 1995 wurden 1,3 Millionen zeitlich befristete Arbeitserlaubnisse für Ausländer erteilt, davon rund 720 000, weil sich keine deutschen und auch keine EU-Arbeitnehmer für die angebotene Arbeit bereit fanden. Nur so, meine Damen und Herren, ist es doch zu erklären, daß in der Land- und Forstwirtschaft 30 000 offene Stellen gemeldet sind, es aber gleichzeitig auch 30 000 Arbeitslose gibt. In der Gastronomie werden gegenwärtig 20 000 offene Stellen geführt, bei 56 000 Arbeitslosen. Die Wahrheit ist - jeder in diesem Saal weiß das doch -, daß diese Lücken vielfach durch Schwarzarbeit und durch Ausländer geschlossen werden, die hier zum Teil gar nicht angemeldet sind. Das heißt, wenn wir zu Beginn des Jahres 1997 eine ehrliche Bilanz ziehen, dann müssen wir sagen - und ich sage das klar und deutlich -, daß wir in vielen Bereichen unserer Wirtschaft ohne die Hilfe ausländischer Arbeitskräfte gar nicht mehr funktionsfähig wären. Deswegen ist es auch sehr wichtig, daß in die Debatte über diese Frage nicht ein Touch kommt, der sich gegen Ausländer richtet. Hier geht es um ein deutsches Problem. ({3}) Ein Blick auf die Struktur der Arbeitslosigkeit zeigt, daß sich das Beschäftigungsproblem nicht mit einfachen Rezepten lösen läßt. Zu den ungelösten Strukturproblemen, von denen ich sprach, gehört die Tatsache, daß 46 Prozent der Arbeitslosen in den alten Ländern keine Berufsausbildung haben und daß ein Drittel der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung ist. Um die wenig Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen müssen wir - das heißt: die Tarifparteien und die Politik - uns besonders kümmern und Bedingungen schaffen, die den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben erleichtern. Deshalb hat die Bundesregierung das Programm für Langzeitarbeitslose im vergangenen Jahr um drei weitere Jahre bis 1998 verlängert. Die bessere Eingliederung von Langzeitarbeitslosen ist auch ein wichtiges Ziel der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Dort sind zum Beispiel Trainingsmaßnahmen vorgesehen, mit denen der Verlust beruflicher und sozialer Fähigkeiten ausgeglichen werden kann, den eine längere Arbeitslosigkeit häufig mit sich bringt. Durch einen besonderen Wiedereingliederungsvertrag wird die Bundesanstalt für Arbeit das Risiko für den Arbeitgeber bei Neueinstellungen verringern können. Ein wesentliches Hemmnis für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen wird dadurch fortfallen. Ich hoffe sehr, daß die Bundesländer ihren Widerstand gegen die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes bald aufgeben. ({4}) Erfreulicherweise gibt es in der Tarifpolitik gute Beispiele für die Erleichterung des Einstiegs von Berufsanfängern und für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. So haben die IG Chemie und die chemische Industrie entsprechende Einstiegstarife vereinbart. Ich halte das für eine ausgezeichnete Entwicklung. ({5}) Ich wünsche mir sehr, daß andere Branchen diesem guten Beispiel möglichst bald folgen. Was hier versäumt wird, wenn wir jetzt in diesem Bereich nicht zu entsprechenden Abschlüssen kommen, kann auf gar keinen Fall durch Programme der Bundesanstalt für Arbeit in Milliardenhöhe ausgeglichen werden. Die Bundesregierung hält an der mit Wirtschaft und Gewerkschaften im Januar letzten Jahres getroffenen Vereinbarung fest, die Beiträge zur Sozialversicherung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zu senken. Die jetzt anstehenden Entscheidungen müssen dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Es geht also darum, gesetzliche Lohnzusatzkosten zu senken und so das Schaffen von Arbeitsplätzen zu erleichtern. ({6}) Allerdings gilt auch für den Bereich der Lohnzusatzkosten, daß durchgreifende Erfolge nur möglich sind, wenn die Tarifpartner dabei mitwirken. Immerhin werden 55 Prozent der gesamten Lohnzusatzkosten durch tarifvertraglich vereinbarte und freiwillige Leistungen verursacht. Dieser Teil der Lohnzusatzkosten liegt also in der Verantwortung der Tarifpartner. Dies sollte in der Diskussion darüber nicht andauernd unterschlagen werden. ({7}) Zu einer ehrlichen Diskussion über die Lohnzusatzkosten gehört auch, daß sich in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Großunternehmen in Deutschland auf Kosten der Sozialversicherung von Personalkosten entlastet haben. Ich füge ausdrücklich hinzu: Dies ist von vielen Seiten - auch von den Gewerkschaften - gewünscht worden. Wir als Politiker haben dies dann auch mitgetragen. Ich will mich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn man aber aus dem Bereich der Wirtschaft Abmahnungen vornimmt, gehört auch die Erwähnung dieser Tatsache zur Redlichkeit der Diskussion. Denn die Frühverrentungsaktionen der Großunternehmen haben der Solidargemeinschaft jährlich 9 Milliarden DM gekostet. Das ist umgerechnet mehr als ein halber Beitragssatzpunkt. Auch das muß man wieder einmal in Erinnerung rufen. ({8}) Wir haben entsprechend unseren Zusagen eine ganze Reihe von Aufgaben nicht nur in Angriff genommen, sondern auch gelöst. Wir haben die Schwelle für den Kündigungsschutz auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt und so das Schaffen neuer Arbeitsplätze erleichtert. ({9}) Wir haben damit eine oft beklagte Hemmschwelle für die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Kleinbetrieben - vor allem auch im Handwerk - beseitigt. Das Handwerk hat ja auch zugesichert, im Sinne dieser Änderung die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen. Ich gehe davon aus, daß wir gerade nach diesem schwierigen Winter innerhalb der Handwerksorganisationen im Rahmen dessen, was dort möglich ist, die entsprechenden Aktivitäten erleben werden. ({10}) Fairerweise muß man, wenn man diesen Vorgang beurteilt, sagen, daß diese Änderung erst seit Oktober 1996 in Kraft getreten ist, also erst seit einem knappen Vierteljahr. Ich gehe davon aus, daß dieses Angebot zügig genutzt wird. Ich will auch darauf hinweisen, daß ungeachtet des Streits um die Absenkung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall festzustellen ist, daß im Bereich der Tarifpartner eine Menge in Gang gekommen ist. Viele bisher abgeschlossene Tarifverträge enthalten Regelungen, die zu erheblichen Entlastungen bei den Arbeitskosten und übrigens auch zu einem Rückgang der Krankenstände geführt haben. Ich erwähne hier das Beispiel des Textiltarifvertrages vom Januar 1997. Einerseits bleibt es bei der bisherigen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen - aber auf der Grundlage der regelmäßigen Arbeitszeit, also ohne Anrechnung der Überstunden -, andererseits führen krankheitsbedingte Fehlzeiten entweder zu Abschlägen beim Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld oder zu einer entsprechenden Kürzung des Urlaubs. Auch eine Verrechnung mit dem Arbeitszeitkonto ist dort, wo es solche Konten schon gibt, möglich. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ganz wichtig aus meiner Sicht ist auch, daß wir im Bereich der sogenannten einfachen Arbeiten neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Nach Meinung vieler Experten fallen im nächsten Jahrzehnt - vielleicht in den nächsten 20 Jahren - rund 3 Millionen Arbeitsplätze für sogenannte Ungelernte weg. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik halte ich das für die größte soziale Herausforderung. ({11}) Deshalb müssen wir uns - wiederum gemeinsam: Unternehmen, Gewerkschaften und Politik - immer wieder überlegen, was wir für jene tun können, die eher praktisch begabt sind, die wertvolle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind und selbstverständlich das Recht auf berufliche Erfüllung haben. So müssen wir mehr Arbeitsplätze in privaten Haushalten ermöglichen. Deshalb haben wir deren steuerliche Abzugsfähigkeit verbessert. ({12}) Mit der Pflegeversicherung haben wir neue Beschäftigungschancen in den Pflegeberufen eröffnet. Allerdings habe ich hierzu die Anmerkung zu machen, daß ich mir schon wünsche, daß in diesem Bereich keine Berufseingangsvoraussetzungen geschaffen werden, die Leuten, die eine Begabung für den Pflegeberuf haben, aber im Theoretischen nicht all dem entsprechen, was man gegenwärtig diskutiert, wiederum die Chance für diesen Beruf verbauen. Auch das halte ich für ein wichtiges Thema. ({13}) In Deutschland wurden im vergangenen Jahr fast 1,8 Milliarden Überstunden geleistet. ({14}) Viele dieser Überstunden sind sicher notwendig - man kann dazu keine pauschale Betrachtung anstellen -, um kurzfristige Auftragsschwankungen auszugleichen. Aber wahr ist auch, daß viele Überstunden regelmäßig geleistet werden und durchaus in Dauerarbeitsplätze umgewandelt werden könnten. ({15}) Die Möglichkeiten für den Abschluß befristeter Arbeitsverträge haben wir nicht zuletzt aus diesem Grund verbessert. Sie sollten jetzt in der Wirtschaft genutzt werden. ({16}) Das setzt allerdings voraus, daß die Partner im Betrieb das auch wollen. Partner sind immer die Werksleitungen und die Betriebsräte. Natürlich weiß ich aus Erfahrung, daß die Frage, ob man etwas mehr Überstunden fährt, in der Erwartung eines höheren Gesamteinkommens in vielen Betrieben von beiden Seiten wie folgt - weil es eben weniger kompliziert ist - beantwortet wird: Wir fahren lieber Überstunden, als neue Leute einzustellen. Schon an dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Solidarität derer, die in Arbeit sind, mit denen, die Arbeit suchen. ({17}) Ich gehe nicht so weit wie das Nürnberger Institut, das bis zu 500 000 neue Arbeitsplätze durch den Abbau der Überstunden für möglich hält, aber ich halte es schon für möglich, daß wir Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 100 000 bis 200 000 durch Umwandlung von Überstunden schaffen können. Wenn das gewollt wird, kann das sehr kurzfristig erfolgen. ({18}) - Das gab es schon, da waren Sie noch gar nicht hier. Es ist nicht besser geworden, seit Sie hier sind. ({19}) Auch in einem anderen wichtigen Feld - Gott sei Dank ist die Meinungsbildung hier endlich vorangekommen - kann mehr getan werden. Ich meine an die Veränderungen im Denken, die notwendig sind, um zu mehr Teilzeitarbeit und Arbeitszeitkonten zu kommen, wobei ich gleich hinzufüge: In manchen Teilen halte ich die Entwicklung dieser Debatte für absolut unerträglich, und zwar dort, wo die Frage der Teilzeitarbeit von vielen zu einem Thema von Frauen gemacht wird. Teilzeitarbeit ist insgesamt eine gute Möglichkeit, auch private Lebensentscheidungen zu berücksichtigen. ({20}) Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, daß - was ich immer wieder höre - die Verhältnisse in den Niederlanden mit den unseren völlig unvergleichbar wären. Natürlich gibt es Unterschiede, aber die können natürlich nicht dazu führen, daß dort weit über 30 Prozent Teilzeitarbeitsplätze bestehen und bei uns 15 Prozent. Wenn wir alle Teilzeitwünsche erfüllen würden, könnten theoretisch zwei Millionen Menschen mehr beschäftigt werden. Ich glaube nicht, daß diese Zahl realistisch ist. Aber wenn wir auf dem Weg zu dieser Zahl ein beachtliches Stück vorankommen würden, wäre das eine ganz wesentliche Entlastung des Arbeitsmarktes. ({21}) Zentral für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind Betriebsneugründungen. Unsere Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen, daß ein Existenzgründer im Durchschnitt vier neue Arbeitsplätze bringt. Die Gründung neuer Betriebe ist keineswegs nur eine Frage von Fördermitteln, sondern ganz entscheidend eine Frage des Klimas in unserer Gesellschaft. In dem Maße, in dem wir die Kultur der Selbständigkeit, den Willen zur Selbständigkeit unterstützen, werden wir hier Erfolge haben. Wir haben begonnen, die Finanzierungsbedingungen für Existenzgründer und Mittelständler zu verbessern. So gibt es Programme zur Technologieförderung gerade im mittelständischen Bereich. Mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz ist ein Maßnahmenpaket in Vorbereitung, das den Zugang zur Börse und damit zu mehr Wagniskapital erleichtern wird. Im Mittelstand werden heute schon zwei Drittel aller Arbeitsplätze und vier Fünftel aller Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. ({22}) Deswegen ist es so wichtig, daß wir gerade jetzt, in den nächsten Jahren, in Sachen Berufsausbildung alles tun, um das duale System weiter zu stabilisieren. ({23}) Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß wir bis zum Jahr 2006, also in den nächsten zehn Jahren, Gott sei Dank noch einen deutlichen Anstieg der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden haben werden. Die Zahl wird von jetzt 630 000 auf über 700 000 steigen. Ein ausreichendes Angebot an Lehrstellen ist zugleich das beste Argument, um der Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe, die ich entschieden ablehne, einen Riegel vorzuschieben. ({24}) In diesem Jahr ist es erfreulicherweise weitgehend - in der Gesamtzahl natürlich nicht für jede Region - gelungen, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten. Es ist die entschiedene Absicht der Bundesregierung, in den notwendigen Gesprächen mit den Unternehmern, mit der Wirtschaft im allgemeinen, nicht zuletzt mit dem Mittelstand und den Gewerkschaften, dafür Sorge zu tragen, daß wir dafür auch in diesem Jahr sehr schnell die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Hier muß auch auf seiten der Bundesregierung mit den Ländern das eine oder andere noch schneller vorangebracht werden. Insbesondere gilt das für die Festlegung neuer Berufsbilder, die in den vergangenen Jahrzehnten ungewöhnlich lange gedauert hat, was mit Sicherheit ein Hemmnis war. ({25}) Wir wollen dafür eintreten, daß bei den jetzt anlaufenden Gesprächen - etwa zwischen den Verbänden der Wirtschaft und den Gewerkschaften - vor allem deutlich wird, daß das Prinzip „Ausbildung geht vor Übernahme" zur Bereitschaft möglichst vieler Betriebe führt, auch über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden. ({26}) Ich denke, es muß - ohne daß wir das in irgendwelchen Gesetzestexten formulieren - selbstverständlich sein, daß diejenigen in der deutschen Wirtschaft - egal in welcher Größenordnung -, die immer wieder an staatlichen und sonstigen Aufträgen partizipieren, zu der Erkenntnis kommen, daß dann umgekehrt die Gemeinschaft unseres Staates und unserer Gesellschaft von ihnen erwartet, auch bei der Ausbildung ein gutes Stück mehr zu tun, als manche glauben tun zu können. Dies gilt auch für wichtige Bereiche der deutschen Großindustrie. ({27}) Nach dem Stand, den ich jetzt überblicken kann, gibt es zum erstenmal eine gute Chance, daß bei den Ausbildungsfragen von den Tarifpartnern neue Wege beschritten werden. In der Bauindustrie ist in diesen Tagen ein Tarifvertrag ausgehandelt worden, der sehr bemerkenswert ist. Hier haben sich die Verhandlungspartner auf eine Kürzung der Ausbildungsvergütung um 10 Prozent geeinigt, um Ausbildungsplätze zu sichern. Ich glaube schon, daß das eine sehr wichtige Entwicklung ist, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß beide Seiten etwas geben. Das heißt, daß die, die bei der Vergütung etwas reduzieren, dann auch mehr Auszubildende einstellen. Das gehört natürlich zusammen. ({28}) Meine Damen und Herren, ich trete deshalb so nachdrücklich für diese Entwicklung im dualen System ein, weil ich gerade in diesen schwierigen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt erkennen kann, wie Sie auch, daß wir mehr Nutzen aus dem dualen System ziehen als alle anderen in Europa und daß bei allen Sorgen um Arbeitslosigkeit bei uns die Jugendarbeitslosigkeit - auch wenn sie natürlich mit über 9 Prozent auch bei uns zu hoch ist - weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, der gegenwärtig über 21 Prozent beträgt. Wir haben eine Vielzahl von Ländern in der Europäischen Union - nehmen Sie Schweden mit 21 Prozent, Frankreich mit 29 Prozent und Spanien mit 42 Prozent Jugendarbeitslosigkeit -, die hier noch viel größere Probleme haben. Um so sorgsamer und sorgfältiger sollten wir mit dem dualen Systems umgehen. Auch das ist, glaube ich, eine wichtige Erfahrung dieser Zeit. ({29}) Natürlich ist es gerade in dieser schwierigen Situation wichtig, daß sich der Aufschwung Ost auch 1997 fortsetzen wird, auch wenn sich das Tempo verlangsamen wird. Der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten für 1997 so formuliert: Von einem Stocken des Aufbauprozesses im Osten kann keine Rede sein. Wahr ist, daß das Gewicht der Bauwirtschaft mit dem Fortschreiten des Aufholprozesses in der ostdeutschen Wirtschaft geringer wird. Wahr ist aber auch, daß die Produktion im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich selbst in dem konjunkturell schwierigen Jahr 1996 um jeweils 6 Prozent gestiegen ist. Das kann und muß mehr werden, aber es ist gleichwohl eine positive Entwicklung. Die Bundesregierung wird ihre Unterstützung des Aufbaus Ost auch in Zukunft auf hohem Niveau fortsetzen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist weiterhin die Förderung von Investitionen und damit das Schaffen neuer, wettbewerbsfähiger Strukturen mit modernen Arbeitsplätzen. Die steuerliche Förderung von Investitionen liegt bis Ende 1998 fest. Sie wurde bereits auf den Industriebereich konzentriert. Bis zum Frühjahr 1997, das heißt in wenigen Monaten, wird die Bundesregierung ihr Konzept für die Zeit nach 1998 vorlegen. Wir wollen dieses Konzept auch mit den Landesregierungen der neuen Bundesländer besprechen. Es muß ganz klar sein, obwohl das manche in den alten Bundesländern nicht gerne hören: Wir werden auch in Zukunft unsere Verantwortung gegenüber den neuen Ländern wahrnehmen und ihnen klaren Vorrang einräumen. ({30}) Frei ist jetzt auch der Weg zur Aufstockung des Konsolidierungsfonds um 250 Millionen DM, mit dem Unternehmen schnell und, wie ich hoffe, unbürokratisch über Finanzierungsengpässe hinweggeholfen werden kann. Meine Damen und Herren, ein sehr positives Signal für den Standort Ostdeutschland wäre die schnelle Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. ({31}) Diese substanzverzehrende Steuer ist eine schwere Belastung gerade für ostdeutsche Unternehmen mit einer besonders dünnen Eigenkapitaldecke. Ich hoffe sehr, daß alle Verantwortlichen im Bereich der Politik alles Mögliche tun, um den wirtschaftlichen Aufholprozeß in den neuen Ländern von dieser Fessel zu befreien. ({32}) Selbstverständlich ist der Aufbau Ost nicht allein eine öffentliche Aufgabe. Eine gravierende Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind dort die, gemessen an der Produktivität, zu hohen Arbeitskosten. Sie liegen fast ein Drittel über dem westdeutschen Niveau, mit dem wir, wie jeder weiß, international ohnedies zur Spitzengruppe zählen. Dies ist - das will ich hier doch sagen - ein Hinweis und, wenn Sie so wollen, auch eine Mahnung an die Tarifpartner, in den neuen Ländern das Notwendige zu tun, um die Wachstumskräfte der ostdeutschen Wirtschaft zu stärken und dem Thema der Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang vor allem anderen einzuräumen. Jeder weiß, daß wir jetzt die Weichen für das bald beginnende neue Jahrhundert stellen müssen. Es ist ganz natürlich, daß wir angesichts der Notwendigkeit solcher dramatischen Umstellungen in vielen Bereichen zu einer sehr unterschiedlichen Meinungsbildung kommen. Ich finde das auch in gar keiner Weise schädlich, wenn wir gemeinsam den Willen haben, nach einer Phase der Diskussion mit möglichst wenig Diffamierung desjenigen, der anders denkt, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es jetzt vor allem darauf an, die Steuerlast zu senken, den Sozialstaat umzubauen, ihn angesichts der Tatsachen auf die neue Entwicklung auszurichten und Arbeitsplätze der Zukunft zu erschließen. Der erste Schwerpunkt muß heißen, die Steuerlast zurückzuführen und die Investitionskraft zu stärken. ({33}) Es ist positiv, daß die investitions- und beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer seit Beginn dieses Jahres nicht mehr erhoben wird. ({34}) Für Ihre Debatte draußen im Land ist es vielleicht ein wichtiger Hinweis, daß Sie gelegentlich darauf aufmerksam machen sollten, daß die Vermögensteuer für private Vermögen zwar gestrichen wurde, daß sie aber in die Erbschaft- und Schenkungsteuer einbezogen wurde und daß sich hierin die von Ihnen immer wieder vorgetragene Argumentation wiederfindet. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist bisher im Bundesrat gescheitert. Ich hoffe sehr, daß wir jetzt - in diesen Tagen gibt es ja viele Gespräche - alles unternehmen, um die Abschaffung durchzusetzen. Ich appelliere von diesem Platz aus auch an die deutschen Kommunen, ({35}) die Chance zu einer Beteiligung an der Umsatzsteuer zu nutzen und nicht durch unannehmbare finanzielle Ausgleichsforderungen zu gefährden. ({36}) Die Bundesregierung und die Koalition von F.D.P. und CDU/CSU jedenfalls lassen sich nicht dabei beirren, die notwendigen Entscheidungen für die notwendigen Reformen herbeizuführen. Die große Steuerreform muß planmäßig zum 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt werden. ({37}) Die unternehmensbezogenen Steuern werden wir schon am 1. Januar 1998 senken, damit möglichst viel für Arbeitsplätze getan werden kann. Was die Reformkommission in Sachen Steuern unter der Leitung des Kollegen Waigel jetzt vorgelegt hat, ist ein guter, wichtiger und notwendiger Schritt zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes. ({38}) Die vorgesehenen Steuersätze werden gegenüber allen anderen großen Industrieländern wettbewerbsfähig sein; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei den Personengesellschaften und Einzelfirmen, also bei 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland, werden wir mit einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent niedriger liegen als andere wichtige Nachbarländer. Bei der Körperschaftsteuer geraten wir mit diesem Vorschlag in ein gutes Mittelfeld. Meine Damen und Herren, um es zu diesem Bereich gleich genauso zu sagen wie zum Bereich der sozialen Sicherungssysteme: Ich kann Sie nur einladen, an dieser Arbeit mitzuwirken. Wenn wir wirklich gemeinsam den Standort Deutschland sichern und Arbeitsplätze nicht irgendwann im kommenden Jahrhundert, sondern sofort neu schaffen wollen, dann ist es doch eine gute Sache, miteinander in einen Wettbewerb zu treten; nicht in einen Wettbewerb der gegenseitigen Beschimpfungen - das können wir auch machen; es bringt bloß überhaupt nichts, schon gar nicht für die Arbeitslosen -, sondern in einen Wettbewerb um die besseren Ideen. ({39}) Natürlich sind die Vorlagen, die jetzt in die Diskussion gebracht wurden, noch keine Gesetzestexte. Zunächst findet in gewohnter Weise eine breite Diskussion statt. Ich biete auch den Bundesländern ausdrücklich an, daß wir nicht die normalen Abläufe abwarten, bis eine Regierungsvorlage nach einem Beschluß der Bundesregierung in den Bundesrat geht, sondern daß wir möglichst wenig Zeit verlieren und im Zusammenhang mit den Anhörungen und Diskussionen, die normalerweise auf der Ebene der Erstellung eines Referentenentwurfes stattfinden, sofort mit den erforderlichen Gesprächen beginnen. Wir werden dann sehen, wer die besseren Ideen hat. Lassen Sie uns auf diese Weise miteinander konkurrieren! ({40}) - Es wird nicht besser, wenn Sie in einem fort diese Art Sottisen von sich geben. Das trägt nur zu Ihrer persönlichen Befriedigung bei; das ist aber auch das einzige. Was soll das? ({41}) Wir reden hier doch über ein wirklich wichtiges Thema! ({42}) Wenn Sie wirklich an der Zukunft unseres Landes interessiert sind, dann treten Sie doch in den Wettstreit ein. Sie können das aber doch nicht tun, indem Sie beweisen, daß Sie laut schreien können. Das unterstellen wir Ihnen gerne. Wenn Sie wollen, bestätige ich Ihnen das noch einmal ausdrücklich. ({43}) Wir haben ein zweites Feld, auf dem ganz wichtige Zukunftsfragen zu entscheiden sind: die Entwicklung und Zukunftssicherung der sozialen Sicherungssysteme. Aber auch diese Debatte verläuft zum Teil in einer unverständlichen Weise; denn der Ausgangspunkt sind in diesem Fall objektive Daten, die über die deutsche Bevölkerung vorliegen. In der Statistik der Europäischen Union können Sie nachlesen, daß Deutschland zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenziffer in Europa zählt. Das ist eine Tatsache, die enorme Auswirkungen haben muß. Eine zweite Tatsache ist, daß heute 13 Millionen Deutsche 65 Jahre und älter sind; in ein paar Jahrzehnten - im Jahr 2030 - werden es 19 Millionen sein. Der Anteil der 65jährigen und älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung wird sich von heute 15 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 26 Prozent - das ist ungefähr ein Viertel der Bevölkerung unseres Landes - erhöht haben. In drei Jahren leben in Deutschland 3 Millionen Menschen, die 80 Jahre und älter sind. Die Fortsetzung dieser Entwicklung ist absehbar. Gleichzeitig hat - das ist eine freie Entscheidung von Millionen Menschen in Deutschland - der Anteil der Single-Haushalte zugenommen: 36 Prozent in den alten Ländern und 30 Prozent in den neuen Ländern. Wenn Sie diese Entwicklungen nehmen, die Entwicklung der Geburtenzahlen und die steigende Lebenserwartung, dann ist doch für jedermann erkennbar, daß entscheidende Veränderungen stattfinden müssen, ob wir es wollen oder nicht. ({44}) Das heißt, daß beispielsweise das Gesundheitssystem unter diesen Bedingungen nicht das gleiche sein kann wie vor 20 Jahren. Es kommt noch hinzu, daß die Zeit produktiver Erwerbstätigkeit in Deutschland immer kürzer wurde. Der deutsche Hochschulabsolvent ist heute bei Berufsbeginn im Durchschnitt nahezu 30 Jahre alt. Wir hören doch immer das Wort von der Gerechtigkeit. Zur Diskussion über die Gerechtigkeit gehört doch auch die folgende Feststellung: Es ist indiskutabel, daß im Durchschnitt der junge deutsche Hochschulabsolvent beim Eintritt in den Beruf fast 30 Jahre und sein Kollege in irgendeinem EU-Land 25 Jahre alt ist. Das ist nun eine Frage, über die nicht in diesem Saal entschieden wird, ({45}) sondern es wäre endlich an der Zeit, daß in den Bundesländern in der Frage der Universitätsreform die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. ({46}) Wenn Sie diese Zahlen untereinander in einen Bezug stellen, dann bedeutet das, daß in vielen Fällen - und das ist doch heute die Realität - 50 Jahren Ausbildung und Ruhestand etwa 30 Jahre Erwerbstätigkeit gegenüberstehen. Niemand in diesem Haus kann diese Rechnung bezweifeln. Ich denke also, wenn die Rechnung, die wir jahrelang aufgemacht haben, wie jetzt nicht mehr aufgeht, haben wir eine gemeinsame Verpflichtung, daraus nüchterne Konsequenzen zu ziehen. ({47}) - Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Machen Sie das doch. Ich freue mich darauf, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland das zu sagen, was Sie als Beitrag in dieser Debatte leisten. ({48}) Die Rentenreformkommission unter dem Vorsitz von Bundesminister Blüm hat jetzt ihren Bericht vorBundeskanzler Dr. Helmut Kohl gelegt. Dieser Bericht muß verständlicherweise in allen Bereichen unserer Gesellschaft intensiv diskutiert werden. Das ist eine Entscheidung von weitreichendster Bedeutung, ({49}) und zwar nicht nur im theoretischen Fall, sondern in den Lebensbezügen von Millionen und Abermillionen Menschen heute und auch von vielen jungen Leuten, die heute überhaupt noch nicht im Arbeitsprozeß stehen. Natürlich ist das eine ganz ungewöhnlich schwierige Frage, und natürlich gibt es notwendigerweise - das sage ich auch in meine eigene Partei hinein - Diskussionsbedarf, weil das zum Wesen einer freiheitlichen Demokratie und von Parteien gehört. Aber das heißt, daß wir miteinander sprechen und diskutieren und zu gemeinsamen Ergebnissen kommen. Ich sage Ihnen voraus: Das wird in der Union wie immer in der Vergangenheit auch dieses Mal so sein. ({50}) Erst am Ende dieser Diskussion, wie auch der im Bereich der Steuerreform, können dann die Entscheidungen über die jeweilige Finanzierungsnotwendigkeit stehen. Dies haben wir immer gesagt, und daran werden wir uns halten. ({51}) Meine Damen und Herren, mit dem Strukturwandel erleben wir vielfältige Veränderungen in unserer Arbeitswelt. Wir erleben, daß Information ein Rohstoff von größter Bedeutung geworden ist. Wir erleben, daß Bildung, Forschung und Ausbildung eine noch viel größere Schlüsselfunktion für die Zukunft haben. ({52}) Es hat keinen Sinn, dann über die offenkundigen Schwächen, die wir in diesen Bereichen haben, hinwegzugehen. Wenn wir beispielsweise von den Ausbildungsbetrieben hören, daß rund 10 Prozent der Anwärter für Ausbildung in Betrieben im dualen System aus der Schule, aus der sie kommen, nicht die Voraussetzungen mitbringen, um einen Ausbildungsvertrag erfüllen zu können, muß das System daraufhin überprüft werden, ob es da nicht Abhilfe schaffen kann. ({53}) Wenn es an den Universitäten so ist, wie ich gerade gesagt habe, daß wir im Durchschnitt bei jungen Männern eine zeitliche Differenz von fünf Jahren gegenüber ihren Kollegen in den EU-Ländern beim Abschluß ihres Studiums haben, ist das ein Zustand, den wir auf die Dauer nicht akzeptieren können. An diesem Beispiel kann man erkennen, daß dies alles nicht eine Frage ist, die auf der engen Schiene und in der Kurzsichtigkeit rein parteipolitischer Betrachtungen erledigt werden kann, sondern wo wirklich Bund, Länder und Gemeinden sowie die politischen Kräfte in unserem Land zusammenwirken müssen. Das ist doch das Ergebnis, das wir in diesem Zusammenhang sehen müssen. ({54}) In dem ganzen Bereich Bildung und Ausbildung entscheidet sich, ob junge Leute in Deutschland das Rüstzeug erhalten, um sich selbst eine erfolgreiche berufliche Laufbahn ermöglichen zu können. Hier entscheidet sich auch, ob wir in unserem Land das notwendige Wissen aufbauen und nutzen, um wettbewerbsfähig zu sein und damit Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern. In Forschung und Innovation ist gegenwärtig in Deutschland eine neue Konjunktur zu verzeichnen; das ist eine glückliche Entwicklung. Es ist ein sichtbarer Stimmungsumschwung eingetreten. Bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft hat unser Land wieder Anschluß an die internationale Spitze gefunden. Ich nenne als Beispiel nur die Biotechnologie. Dafür haben wir in Deutschland heute wieder eine gute wissenschaftliche Basis. Wir haben seitens der Bundesregierung seit 1993 ganz Wesentliches getan, um das Gentechnikrecht konsequent zu entbürokratisieren. Hier ist eine Zahl sehr wichtig: Die Zahl der Patentanmeldungen in den Biowissenschaften hat zwischen 1987 und 1994 um 16 Prozent zugenommen. ({55}) Das ist ein hervorragendes Potential, das verstärkt für innovative Produkte, für Verfahren und Zukunftsarbeitsplätze genutzt werden muß. Experten erwarten eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich von heute rund 20 000 auf etwa 100 000 bis zum Ende des Jahrhunderts, das heißt: in den nächsten drei Jahren, wenn wir diese Chance nutzen. Meine Damen und Herren, wir in der Koalition und als Bundesregierung bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft. Sie ist nach den Erfahrungen unseres Landes in beinahe fünf Jahrzehnten die Gesellschaftsordnung, die am besten Freiheit und sozialen Ausgleich ermöglicht. Wir haben in diesen Tagen den 100. Geburtstag von Ludwig Erhard, dem Vater der sozialen Marktwirtschaft, begangen. ({56}) Er hat in einer schwierigen Zeit bahnbrechende Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes getroffen. ({57}) Ich denke, wie immer man in jenen Tagen zu seinem Werk gestanden hat: Heute ist unbestreitbar, daß es für das Land wichtig und richtig ist, wenn wir in seinem Geist unsere Arbeit fortsetzen, wenn wir unsere gemeinsame Verantwortung erkennen, wenn wir als Bundesregierung diese Verantwortung wahrnehmen und ohne Wenn und Aber die notwendigen Entscheidungen zur Veränderung des Landes mit herbeiführen. ({58}) Ich erwarte selbstverständlich nicht sofort Zustimmung von seiten der Opposition. Aber ich erwarte von allen, die guten Willens sind, daß sie, wenn sie unsere Vorschläge kritisieren, mit eigenen Vorschlägen in die Diskussionen gehen und daß wir dann überlegen, was wir gemeinsam erreichen können, ({59}) daß wir uns mit vernünftigen Argumenten begegnen und nicht mit gegenseitiger Herabsetzung. Das ist ganz konkret unsere Meinung. Danach wollen wir handeln, damit Deutschland eine gute Zukunft hat. ({60})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Frau Bundespräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ({1}) - Vielen Dank, Herr Glos. Wo kämen wir hin, wenn Sie nicht da wären und nicht zur rechten Zeit die richtigen Stichworte geben würden? ({2}) Frau Bundestagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich, Herr Bundeskanzler, hat die deutsche Öffentlichkeit mit Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet. ({3}) - Den jungen Mann sollten Sie sich merken. Das war Repnik. Aus dem Mann sollte noch etwas werden. Ein tüchtiger Mann ist das. Merken Sie sich ihn! Natürlich haben wir mit großer Spannung auf Ihre Regierungserklärung gewartet. Denn es ist nicht alltäglich, daß Minister aus den eigenen Reihen zum Rücktritt aufgefordert werden. Es ist nicht alltäglich, daß sich Minister mit Rücktrittsgedanken tragen, daß schon andere Namen gehandelt werden und daß auch Sie zitiert werden: „Wenn das so weitergeht, schmeiße ich den Krempel hin." (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das hätten Sie wohl gern!) - Herr Bundeskanzler, daß wir das gern hätten, das ist richtig. Aber es gibt immer mehr, die auf der Regierungsseite sitzen und das gern hätten. Ich weiß nicht, ob Sie das in den letzten Tagen bemerkt haben. ({0}) Natürlich gab es die Frage: Werden Sie jetzt den Versuch unternehmen, Ihre Politik zu ändern, da die Politik nachgewiesenermaßen nicht zu den Ergebnissen geführt hat, die Sie erreichen wollten? Das ist unstreitig. Wir haben bei der Neujahrsansprache von Ihnen wörtlich hören können: „Wir Deutschen" - wir unterstellten, daß Sie sich damit auch selbst gemeint hatten - „können nicht einfach weitermachen wie bisher." ({1}) - Sie sehen, wenn Sie etwas Richtiges sagen, bekommen Sie auch von der Opposition Beifall, Herr Bundeskanzler. „Wir Deutschen können nicht einfach weitermachen wie bisher. Wer dies versucht, verspielt unsere Zukunft." ({2}) Nun hören wir heute mit etwas Erstaunen: Die Bundesregierung läßt sich nicht beirren. ({3}) Sie wird ihren Reformkurs konsequent fortsetzen, um Arbeitsplätze in Deutschland attraktiver zu machen. ({4}) Wenn die Arbeitslosen jetzt hören, daß Sie sich bei Ihrem Reformkurs nicht beirren lassen wollen, dann wird ihnen klar, daß sie überhaupt keine Aussichten mehr haben, in der nächsten Zeit einen Arbeitsplatz zu finden; denn Ihr Reformkurs hat nun einmal dazu geführt, daß die Arbeitslosenzahlen entgegen Ihren Zielen von Jahr zu Jahr ständig angestiegen sind. ({5}) Es ist schon erstaunlich, wie wenig lernfähig diese Regierung ist. Ich wiederhole: Wir brauchen uns hier zunächst einmal gar nicht über die Methoden auseinanderzusetzen. Wir sollten auf die Ergebnisse schauen. Wir sollten einfach akzeptieren, daß die Ergebnisse darüber urteilen, ob eine Politik richtig oder falsch ist. ({6}) Es ist richtig: Wenn die Arbeitslosenzahlen steigen, dann ist die Politik falsch. Da die Arbeitslosenzahlen Jahr für Jahr steigen und Sie jedes Jahr die gleiche Rede halten können, Herr Bundeskanzler, ist Ihre Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({7}) Politik falsch. Die Schlußfolgerung daraus lautet: Diese Politik muß geändert werden. ({8}) Sie nennen richtigerweise Lehrsätze der Wirtschaftspolitik: Wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dann müssen wir die Investitionsschwäche überwinden, dann müssen wir Strukturreformen vorantreiben und Forschung und Innovation stärken. Sie haben sich seit Jahren vorgenommen, die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft zu überwinden. Erstaunlich ist, daß Sie auch bei diesem Ziel gescheitert sind. Der Jahreswirtschaftsbericht - man sollte ihn genau lesen und vorurteilsfrei beurteilen - kommt schlicht und einfach zu dem Ergebnis, daß Ihre Analysen und daher auch die Vorschläge, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, falsch waren. ({9}) Ihre Analysen - landauf, landab von vielen verstärkt und immer wieder vorgetragen - waren: Wir leiden an einer extremen Standortschwäche. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Also müssen wir alles tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken: über Steuersenkungen für Unternehmen, Lohnzurückhaltung und Kürzung sozialer Leistungen. Sie predigen das Jahr für Jahr, obwohl die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erwiesen ist. In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht doch, daß einzig und allein der Export die Konjunktur schleppt. Wir sind keine wettbewerbsunfähige Wirtschaft; sondern wir haben eine Wirtschaft, die sich weltweit als die exportstärkste Wirtschaft behauptet. Ihre Analysen waren falsch. Daher waren auch alle Antworten falsch, die Sie in den letzten Jahren gegeben haben. ({10}) Sie können noch so viele Unternehmenssteuersenkungsrunden - wir haben schon mindestens fünf, sechs hinter uns - vorschlagen, Sie können noch soviel Lohnzurückhaltung predigen, Sie können noch so viele soziale Leistungen kürzen und meinen, dann wächst und blüht die Wirtschaft - es sind und bleiben die falschen Rezepte. Die ganze Standortdebatte war interessengeleitet; sie löste sich völlig von den Daten und der Wirklichkeit. Wir sind pro Kopf mit Abstand die exportstärkste Nation der Welt und sollten dieses Gerede und Gequatsche endlich einstellen, um uns den wirklichen Problemen unserer Volkswirtschaft zuzuwenden. ({11}) Seit Jahren haben wir ein Zurückhängen der Binnennachfrage. ({12}) - Ich höre da Lärm von der F.D.P. Dann lesen Sie zumindest einmal den Jahreswirtschaftsbericht! Da steht das nämlich wörtlich drin. Wenn Sie den noch nicht einmal gelesen haben, dann sind Sie für eine solche Debatte schlecht vorbereitet. ({13}) Wir haben seit Jahren ein Durchhängen der Binnennachfrage. Wer dies nicht sieht, wer dies nicht erkennt, ist nicht in der Lage, Strukturreformen einzuleiten, die wir brauchen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder zu stärken und insbesondere die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Zur Stärkung der Binnennachfrage liegen seit Jahren zwei Reformvorschläge von uns auf dem Tisch, die teilweise in der Fachwelt immer wieder angesprochen und teilweise auch in Ihren Reihen diskutiert worden sind. Aber seit Jahren tut sich nichts. Der eine Reformvorschlag, der nun unstreitig ist, wie die Debatten der letzten Zeit gezeigt haben, lautet, daß es nicht so weitergehen kann, daß die Abgaben immer weiter steigen, daß die Sozialversicherungsbeiträge immer weiter ansteigen, damit die Kaufkraft der Durchschnittseinkommen schwächen, die Arbeitsplätze teuer machen und zu einem Rationalisierungsdruck auf die Arbeitsplätze und zu einem Schwächen der Binnennachfrage führen. Ändern Sie endlich diese Politik! Konkret haben Sie auch heute dazu überhaupt nichts gesagt und vorgeschlagen. ({14}) Sie streiten nun miteinander darüber, wie die Rentenfrage angegangen werden soll. Das ist innerhalb einer Partei selbstverständlich. Aber die Vorschläge, die Sie jetzt diskutieren, beispielsweise über Verbrauchsteuererhöhungen die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Im Jahre 1990 hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten vorgeschlagen, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken und dafür Verbrauchsteuern zu erhöhen. Seit Jahren liegen diese Reformvorschläge auf dem Tisch. Sie diskutieren sie jetzt - das ist immerhin ein Fortschritt -, aber Sie blockieren sie seit Jahren und sehen tatenlos zu, wie die sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Verwerfungen immer größer werden und damit die Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. ({15}) Die SPD-Fraktion hat vor einem Jahr einen Vorschlag eingebracht, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken. Sie hat dies für die Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen. Sie hat vorgeschlagen, im Gegenzug Verbrauchsteuern zu erhöhen, in diesem Fall Energieverbrauchsteuern. Auch diese Vorschläge sind bei Ihnen diskutiert worden. Es gibt ausgearbeiMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({16}) tete Papiere in Ihren Reihen, so zu verfahren. Dabei kann man darüber diskutieren, welche Beiträge in welchem Zeitraum wie verändert werden können. Die gesamte Volkswirtschaft leidet an der von Ihnen seit Jahren verschleppten Lösung dieses Kernproblems. Die Abgaben in diesem Land sind viel zu hoch, die Arbeitsplätze unterliegen einem viel zu starken Rationalisierungsdruck, insbesondere in der Binnenwirtschaft und bei den lohnintensiven Betrieben. Sie haben dieses Reformwerk seit Jahren verschleppt oder - in Ihrer Sprache - blockiert. Heben Sie endlich diese Denkblockade auf, und handeln Sie, denn schon jahrelang gehen Arbeitsplätze verloren! ({17}) Ich greife jetzt nur einmal Ihre Debatte zur Rentenreform auf. Es ist gut, wenn da diskutiert wird: Sollen wir die Sozialversicherungskassen nicht von versicherungsfremden Leistungen entlasten? Das ist ein Vorschlag, den auch wir machen. Wenn Sie das genauso sehen, dann muß man sich zusammensetzen, definieren, was versicherungsfremde Leistungen sind, und dann muß man das Problem lösen. Aber es hat keinen Sinn, über das Ganze Jahre zu schwadronieren, ohne daß irgend etwas geschieht. Die Vorschläge, die wir auf den Tisch gelegt haben, haben Sie zurückgewiesen. Sie haben sie nicht akzeptiert. Eigene Vorschläge zu diesem Thema haben Sie nicht vorgelegt, weil sich die F.D.P. in einer sehr kleinkarierten Klientelpolitik als Steuersenkungspartei profilieren wollte und nicht gesehen hat, wie die Abgaben Jahr für Jahr extreme Höhen erreicht haben, zum Schaden der Volkswirtschaft insgesamt. ({18}) Nun versprechen Sie eine Steuerreform für das Jahr 1999. Das ist doch nicht zu fassen! Seit Jahren liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Im Jahre 1994 hat die Bareis-Kommission einen Vorschlag gemacht. ({19}) Zunächst hat Ihre Regierung es sich erlaubt, diesen Vorschlag in den Papierkorb zu werfen. Nun versprechen Sie für das Jahr 1999 eine Steuerreform. Ich sage Ihnen für die deutsche Sozialdemokratie: Für das Jahr 1999 haben Sie keinen Kredit, Herr Bundeskanzler, weil dies ein Datum nach der Bundestagswahl ist. ({20}) Sie haben die Wählerinnen und Wähler schon so oft in Steuerfragen betrogen, daß es für Sie keinen Kredit mehr gibt, weder bei uns noch im gesamten Volk. ({21}) Es ist in der letzten Zeit zum Markenzeichen Ihrer Regierung geworden, daß Sie vor Wahlen Versprechungen in ungeheurer Dreistigkeit machen und nach den Wahlen sagen: Die Dinge haben sich geändert; wir müssen das alles wieder einkassieren. Sie haben vom Aufbau Ost und von dem Vertrauen gesprochen, das die Menschen dort in Ihre Politik haben sollten. Sie standen an diesem Pult und haben erhebliches Vertrauen verspielt, indem Sie äußerten: Wenn ich sage: „Es wird keine Steuererhöhung geben", dann gibt es keine Steuererhöhung zur Finanzierung der deutschen Einheit. Sie haben in dieser Zeit die Steuern und Abgaben auf das Jahr gerechnet um 120 Milliarden DM erhöht. Und dann trauen Sie sich noch, bei den Wählerinnen und Wählern Kredit hinsichtlich Ihrer Glaubwürdigkeit einzufordern? Was haben Sie, die F.D.P., im letzten Jahr veranstaltet? Da hat diese Partei, weil sie um die 5 Prozent kämpfte, den Wählerinnen und Wählern versprochen: „Der Soli wird gesenkt", um das nach der Wahl wieder einzukassieren. Solch schamloser Betrug schadet unserer Demokratie. ({22}) Solch schamloser Betrug ist auch die Ursache dafür, daß Sie sich ein Steuerreformgesetz mit Wirkung 1999 abschminken können. Das wird es nicht geben. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie das zur Kenntnis. ({23}) Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind. Ihr Mitarbeiter hatte Ihnen aufgeschrieben: Das Steuerreformgesetz „wird" für 1999 in Kraft gesetzt. Sie haben das abgeschwächt, indem Sie gesagt haben: sollte oder muß in Kraft gesetzt werden. Sie haben immerhin erkannt, daß andere ja noch mitzureden haben. ({24}) Sie haben völlig Recht. Deshalb wiederhole ich: Entweder verständigen wir uns auf eine spürbare Entlastung der breiten Schichten unseres Volkes zum 1. Januar 1998, oder Sie können sich das ganze Projekt abschminken. Herr Bundeskanzler, ich sage das in aller Klarheit. ({25}) Meine Damen und Herren, ich sage noch etwas zur Rentendebatte. Ich will nicht unbedingt den Finger in Ihre Wunde legen. Aber alle Beteiligten - nicht nur diejenigen, die kritisch sind, sondern auch diejenigen, die in Ihren Reihen kritisiert werden - haben sich jetzt zu fragen, ob sie in den letzten Jahren redlich gehandelt haben. Auch vor den Wahlen des letzten Jahres wurden Briefe verschickt. In diesen Briefen, Herr BundesMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({26}) kanzler, haben Sie geschrieben - wörtlich -: Die Renten sind sicher. ({27}) Wenn Sie jetzt hingehen und in diesem Ausmaß Reformvorschläge machen, fühlen sich die Wählerinnen und Wähler wieder zu Recht betrogen und getäuscht. So kann man doch nicht Politik in Deutschland machen. ({28}) Solange Sie nicht erkennen, daß die Investitionsschwäche, die nun seit Jahren anhält und die sich im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen völlig anders ausgebildet hat, strukturelle Ursachen hat, die in Ihrer verfehlten Politik liegen, so lange wird diese Investitionsschwäche anhalten. Sie können dann noch so viele Reformpakete - ich glaube, wir haben jetzt schon das zehnte beschlossen - schnüren, Sie werden keinerlei Veränderung hinsichtlich der Investitionskonjunktur und des deutschen Arbeitsmarktes erreichen. Die Themen „Rentenreform" und „Steuerreform" fallen unter den Oberbegriff „Strukturreform". Das ist richtig. Sie haben ja eine ganze Reihe von Strukturreformen gemacht - wer wollte das in Abrede stellen. Sie haben sie eben wieder angesprochen. Sie reden vom Entgeltfortzahlungsgesetz, also von der Kürzung der Lohnfortzahlung. Sie sind stolz darauf, daß Sie den Kündigungsschutz eingeschränkt haben. Sie sind stolz darauf, daß Sie die beschäftigungsfeindliche Vermögensteuer abgeschafft haben. Verehrter Herr Bundeskanzler, alle Beschäftigungserfolge, die Sie noch einmal bemüht haben, haben Sie im Zusammenhang mit der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer erreicht. Irgend etwas scheint doch da nicht zu stimmen. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß es viel, viel wichtiger wäre, Arbeitnehmer zu entlasten, als den Reichen ein Steuergeschenk nach dem anderen zu machen. ({29}) Im übrigen weiß ich, daß das nicht nur die SPD, die Opposition, so sieht, daß vielmehr auch weite Teile der Bevölkerung und große Teile Ihrer eigenen Partei das so sehen. Deshalb mußte ich Ihnen vorhin auf Ihren Einwand „Das hätten Sie wohl gern!" erwidern: Das ist nicht mehr nur ein Problem der SPD oder der Opposition. Wenn man einen derart falschen Ansatz in der Politik wählt und den Eindruck hervorruft, daß man, unbeeindruckt vom Anstieg der Arbeitslosenzahlen, nicht bereit ist, diese Politik zu korrigieren, dann wirft das nicht nur Fragen bei der Bevölkerung und bei der Opposition auf, sondern auch in den eigenen Reihen. Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie tatsächlich, Vorschläge wie der, die degressive Abschreibung zu vermindern, würden eine Stärkung der Investitionsneigung bringen? Wenn Sie von der Investitionsschwäche reden: Meinen Sie, größere Vorschläge, die darauf abzielen, die Abschreibungsmöglichkeiten zu verringern, würden eine Verstärkung der Investitionsneigung bringen? Und wenn Sie von der Investitionsschwäche und von der beschäftigungsfeindlichen Vermögensteuer reden, dann weise ich Sie darauf hin, daß allein auf Grund der Tatsache, daß Sie zur Kompensation für den Wegfall der Vermögensteuer die Grunderwerbsteuer drastisch erhöht haben, bewiesen ist, daß Sie wirklich von Wirtschafts- und Konjunkturpolitik nicht den blassesten Schimmer haben. ({30}) Wer in der jetzigen Phase einer zurückhängenden Baukonjunktur die Vermögensteuer abschafft und zur Kompensation die Grunderwerbsteuer anhebt, wer das den Ländern aufzwingt - wir hatten ja gar keine andere Wahl -, der zeigt, daß er, einfach losgelöst von den wirtschaftlichen Daten, irgendwelchen Ideologien folgt und nicht in der Lage ist, eine langfristige, durchdachte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben. ({31}) Daß das Durcheinander in der Finanzpolitik die Investitionsschwäche in Deutschland mit bedingt, haben nicht wir, die böse Opposition, gesagt, sondern dies sagen alle Sachverständigen, der Sachverständigenrat und die Wirtschaftsinstitute. Wenn man die gegenwärtige Diskussion um die Steuergesetzgebung nimmt, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, daß Sie aus den Erfahrungen der letzten Zeit irgend etwas gelernt hätten. Das erste ist: Der Zeitpunkt ist falsch. Er wird so nicht gehalten werden können; ich sage Ihnen das in aller Klarheit. Das zweite ist: Die Mehrwertsteuer oder Verbrauchsteuern zu erhöhen, um die Absenkung der Spitzensteuersätze zu finanzieren, dies ist ökonomisch falsch und sozialpolitisch unverantwortlich. Auch diesen Vorschlag können Sie sich abschminken. Er wird keine Mehrheit finden. ({32}) Das dritte ist: Ihr Vorschlag hinsichtlich des Tarifs weist eine Reihe von Ansätzen auf, die durchaus bedenkenswert sind und sich teilweise mit Vorschlägen, die wir gemacht haben, überschneiden. Es ist merkwürdig, vor diesem Hintergrund immer zu fragen: Wo bleiben die Vorschläge der Opposition? Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({33}) Ich habe bereits vor einigen Monaten festgestellt, daß es gut ist, daß Sie aus dem Katalog, den der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer aufgestellt hat, eine ganze Reihe von Vorschlägen übernommen haben. Das ist gut, das schafft die Möglichkeit, ein gemeinsames Gesetz zu finden. Aber wenn Sie schon abschreiben, dann tönen Sie nicht dauernd so, als gäbe es keine Vorschläge der Oppositionsparteien. ({34}) Das gleiche gilt für den niedrigen Eingangssteuersatz. Wie oft habe ich Ihnen bei Steuerverhandlungen gesagt, Herr Finanzminister: Der niedrige Eingangssteuersatz ist kontraproduktiv. Bei allen Steuerrunden, in denen wir in den letzten Jahren zusammensaßen, habe ich Ihnen immer wieder gesagt: Er ist falsch und führt zur Schwarzarbeit. ({35}) - Entschuldigung, der hohe Eingangssteuersatz, danke sehr. ({36}) - Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich habe mich versprochen. Das führt bei Ihnen zu großer Heiterkeit; Sie versprechen sich offensichtlich nie. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie versprechen sich einzig und allein dann, wenn Sie einmal die Wahrheit sagen. Bei der Steuerpolitik wäre das wirklich notwendig. ({37}) Beim Steuertarif gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die vernünftig sind, die wir deshalb mittragen können. Das ist einmal das Absenken des Eingangssteuersatzes, und das ist das Streichen einer ganzen Reihe von Steuersubventionen. Die Streichung der Steuersubventionen wird seit Jahren gefordert, aber diese Forderung ist mit einer Idee verbunden, nämlich mit der Idee der Steuergerechtigkeit. So sehr ich auf der einen Seite begrüße, daß Sie den Eingangssteuersatz absenken, und so sehr ich auf der anderen Seite begrüße, daß Sie beispielsweise viele Vorschläge aus der Liste von Schleußer übernommen haben, um die niedrigen Unternehmensteuersätze zu finanzieren, so sehr muß ich Ihnen aber auch sagen, daß der Tarif ansonsten eine wirkliche soziale Schlagseite hat. ({38}) Warum? Wir haben über Jahre geklagt, daß der Steuertarif auf den Kopf gestellt worden ist, weil es dazu gekommen ist, daß der einzelne nicht mehr nach der Leistungsfähigkeit Steuern gezahlt hat. Der Tarif wurde in seinem Sinn praktisch auf den Kopf gestellt, weil den Arbeitnehmern brav die Steuern abgezogen wurden, während die Bezieher höherer Einkommen - auch Einkommensmillionäre - über vielfältige Abschreibungsmöglichkeiten legal ihre Steuern auf Null senken konnten. Diesen Sachverhalt haben wir angeprangert und haben gesagt: Das schafft Staatsverdrossenheit und muß geändert werden. Damit haben wir aber nicht vorgeschlagen, daß jetzt die Privilegien für die Einkommensmillionäre gestrichen werden und ihnen dafür 100 000 DM als Steuergeschenk hinterhergeworfen werden. Wer so handelt, hat nicht verstanden, was Steuergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit in unserem Volk heißt. ({39}) Wenn Sie wissen wollen, was konsensfähig ist, dann können Sie an der Grundstruktur des Tarifes bezüglich des Eingangssteuersatzes und der Tarifführung festhalten, Sie müssen ihn allerdings oben deutlich weiter hochziehen. - Daß Sie dabei lachen, Herr F.D.P.-Vorsitzender, ist mir klar. Merken Sie sich aber: Es gibt nicht nur 5 Prozent in der Bevölkerung, es gibt 100 Prozent. Wir machen Steuerpolitik für 95 Prozent, nicht für 5 Prozent. ({40}) Deshalb: Ziehen Sie den Tarif weiter hoch! Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten. Ich wiederhole: Das ist innerhalb von vier Wochen zu leisten! Es ist überhaupt kein Problem. Ich wiederhole deshalb unsere Forderung: Diese Entlastung muß zum 1. Januar 1998 kommen, oder sie kommt nicht. ({41}) Was dann im einzelnen abzuklären ist, sind die Streichvorschläge der Bareis-Liste, über die wir bereits öfter gesprochen haben. Als die Bareis-Liste auf den Tisch kam, habe ich den Rat gegeben: Rechnet das und insbesondere die Kulmination dieser Vorschläge für einzelne Fälle durch. Das haben Sie offensichtlich nicht getan. Wenn Sie das nicht getan haben, meine Damen und Herren von der Koalition, ist das kein Argument, uneinsichtig daran festzuhalten. Wenn Sie es versäumt haben, das Zusammenwirken von Kilometerpauschale, Arbeitnehmerpauschale, von Nacht- und Schichtzuschlägen usw. zu berechnen, dann ist das Ihr Fehler. Aber es ist kein Grund, an diesem Fehler festzuhalten. Es dürfte Ihnen doch klar sein - unabhängig davon, wie man zu einzelnen Vorschlägen steht -, daß Ihr Tarif in dieser Ausformung und Finanzierung die Leistungsträger unserer Volkswirtschaft abstraft, nämlich die Facharbeiter, die Schichtarbeiter, die Krankenschwestern, die Busfahrer und wen sonst ich alles nennen könnte. Was Sie hier versuchen, ist doch hirnrissig. ({42}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({43}) Es ist ohne weiteres möglich, einen Steuertarif zu verabschieden, der auf den Prinzipien fußt, die ich hier vorgetragen habe, und der die Kulmination mit dem Ergebnis, daß Leistungsträger der Gesellschaft Einkommenseinbußen erleiden, verhindert. Es gibt gar keine andere Möglichkeit. Wenn Sie sagen, daß wir miteinander verhandeln sollen, dann müssen wir uns natürlich bei diesen Verhandlungen auch noch darüber verständigen, wieviel gepfuscht werden soll. ({44}) Ich hätte eigentlich von Ihnen erwartet, daß Sie heute irgend etwas zu Ihren Steuervorschlägen sagen, Herr Bundeskanzler. Das hätte die deutsche Öffentlichkeit erwarten dürfen. Wird jetzt die Mehrwertsteuer erhöht, ja oder nein, und wenn ja, in welchem Umfang wird sie erhöht? ({45}) Hören Sie doch auf, sich an irgend jemanden zu wenden und irgendwelche Vorschläge zu erbitten, solange Sie die Fragen nicht geklärt haben, wie viele Löcher Sie in Zukunft aufreißen wollen, wie Sie rückfinanzieren wollen und wer wie belastet werden soll! Es ist doch einfach unmöglich, wie Sie an dieser Stelle vorgehen, meine Damen und Herren. ({46}) Dasselbe gilt für die Mineralölsteuererhöhung. Ich kann ja verstehen, daß der eine oder andere aus Ihren Reihen sagt, bei einer Mehrwertsteuererhöhung seien die Länder beteiligt, daher solle man auf die Mineralölsteuer zurückgreifen. Das ist ja ein Argument. Aber nun sagen Sie doch endlich, was Sie eigentlich wollen. Es ist ja ganz schön, wenn Sie immer wieder lautstark Vorschläge der Opposition einfordern. Ich sage Ihnen noch einmal: Schleußer-Liste, Bareis-Liste. Wir brauchen eine Verständigung darüber, den Tarif deutlich nach oben zu ziehen. Das alles ist innerhalb von vier Wochen zu machen. Aber Sie sind auf der anderen Seite nicht bereit, zu sagen, wie Sie die Gegenfinanzierung gestalten wollen. Die Kritiker in Ihren Reihen haben recht: Es war ein gravierender, ein schwerer Fehler, die Mehrwertsteuererhöhung mit der Senkung des Einkommensteuertarifs bei den oberen Einkommensgruppen zu verbinden. ({47}) Sie sprachen Strukturreformen an und redeten wiederum für die Teilzeitarbeit. Es ist richtig, Herr Bundeskanzler, daß die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in den letzten 20 Jahren konstant geblieben ist. Zu der Statistik, die Sie immer wieder bemühen, ist aber zu sagen - das sollten Sie einmal korrigieren -, daß in den letzten Jahren drei Millionen Teilzeitarbeitsplätze dazugekommen sind. Es ist auch richtig, wenn Sie sagen, von diesen drei Millionen Teilzeitarbeitsplätzen hätten zwei Millionen Frauen profitiert. Man müßte allerdings noch näher unter die Lupe nehmen, was hier „profitieren" heißt. Sie haben es ja selbst angesprochen, daß es problematisch ist, daß schlecht bezahlte Arbeitsplätze in der Regel Frauen angeboten werden. Wir fügen hinzu: Es ist noch problematischer, daß die nicht registrierten und in keiner Statistik auftauchenden versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse im wesentlichen für die Frauen reserviert sind, was zu dem Ergebnis führt, daß sie im Alter geminderte oder gar keine Rentenansprüche haben. ({48}) Das ist eine der Strukturreformen, die Sie verschleppen. Sicherlich wird man für einen Teilbereich solche Beschäftigungsverhältnisse akzeptieren müssen. Wenn etwa Studenten Zeitungen austragen, wird niemand auf die Idee kommen, das müsse ein Vollerwerbsarbeitsplatz sein. Aber folgen Sie doch denen aus Ihren Reihen, die sagen, es könne nicht so weitergehen, daß die Aufsplitterung auf dem Arbeitsmarkt jetzt auf den Handel überschwappt, so daß immer mehr Vollzeitarbeitsplätze in 610-DMJobs zerstückelt werden, die dann am Ende dazu führen, daß die Betroffenen keine Rentenansprüche haben und auf die Sozialhilfe angewiesen sind! Das kann so nicht weitergehen. ({49}) Diese Strukturreform verschleppen Sie seit Jahren, wie Sie die Steuerreform seit Jahren verschleppen ({50}) und wie Sie die Reform der sozialen Versicherungssysteme seit Jahren verschleppen. Bei der Teilzeitarbeit sind Sie es doch, die über Jahre blockiert haben. Vor Jahren haben wir, das Saarland, im Bundesrat einen Antrag eingebracht, der verlangte, die Teilzeitarbeit auch im Beamtenbereich zu öffnen. Ich habe in der letzten Bundestagsdebatte an Sie appelliert, endlich Ihren hinhaltenden Widerstand an dieser Stelle aufzugeben. Nach endlosem Gehänge und Gewürge ist jetzt eine Öffnungsklausel für die Länder herausgekommen. Warum erwähne ich dies? Ich erwähne dies, weil deutlich wird, daß Sie über Jahre die Entwicklung von Teilzeitarbeit in Deutschland blockiert haben. Aber Sie standen hier einmal als jemand, der gesagt hat, die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit sei dumm, töricht und absurd. Herr Bundeskanzler, Sie sind durch die Geschichte längst widerlegt worden. Ohne die Verkürzung der Arbeitszeit könnten Sie noch nicht einmal von den 3 Millionen Halbtagstätigkeiten berichten, die in den letzten zehn Jahren zusätzlich entstanden sind. Sie verstehen noch nicht einmal die Zusammenhänge und die Probleme. ({51}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({52}) Deshalb sage ich Ihnen: Bei all den Strukturreformen - Sozialversicherungssysteme, Steuersystem, Beschäftigungsverhältnisse im nicht sozial abgesicherten Bereich - ist es notwendig, weiterhin auf die Verkürzung der Arbeitszeit zu setzen. Es ist gut, daß Sie das jetzt endlich erkannt haben. Aber Sie waren diejenigen, die über Jahre eine falsche Politik betrieben haben, mit den Ergebnissen, die wir jetzt landauf, landab sehen können. ({53}) Am rührendsten ist es, wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, wir müßten Forschung und Innovation stärken. ({54}) Das ist nun wirklich ganz toll, meine Damen und Herren, daß wir Forschung und Innovation stärken müssen. Was ist in der letzten Zeit geschehen? Da haben Sie den herrlichen Vorschlag gemacht, wir müßten das BAföG verzinsen, wahrscheinlich um eine Belebung der Universitäten zu erreichen. Wir haben Ihnen gesagt, daß wir eine solche Bildungspolitik nicht mitmachen, weil die Begabungen nicht nach Einkommensschichten in unserem Volke verteilt sind. ({55}) Wir sagen: Das Einkommen der Eltern darf nicht darüber entscheiden, ob jemand eine gute universitäre Ausbildung erhält, und dabei bleibt es. Geben Sie diese rückwärtsgewandten Vorschläge auf, meine Damen und Herren! ({56}) Sie haben dann vor ein paar Jahren als großer Förderer von Forschung und Innovation das MeisterBAföG abgeschafft. Das war ein verhängnisvoller Fehler. Viele Handwerksbetriebe haben immer wieder darauf hingewiesen, wie falsch diese Entscheidung war. Wir haben im Gegenzug - um ein neues Wort aufzugreifen - gegen Ihre Blockade einen Kompromiß durchgesetzt, so daß das Meister-BAföG wieder eingeführt worden ist. Das Handwerk ist uns dankbar. Sie sollten der Opposition dankbar sein, daß sie Ihre Fehler korrigiert hat, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({57}) Am tollsten ist es, daß Sie vortragen, Forschung und Innovation müßten gestärkt werden, wo Sie seit Jahren einen Fehler machen. Seit Jahren weisen wir Sie immer wieder darauf hin, daß dieses Land, das rohstoffarm ist, nur dann die Chance haben wird, die Zukunft zu gewinnen, wenn es auf die Forschung setzt, das heißt auf die private Forschung, aber auch auf die staatliche Forschungsförderung. Aber seit Jahren streichen Sie die Forschungsmittel zusammen. Dann korrigieren Sie doch wenigstens diesen Fehler, oder fügen Sie sich der Erkenntnis, die Sie hier vorgetragen haben! ({58}) Es ist ja fast schon überflüssig, zu fragen, wie es denn mit dem Haushalt weitergeht: Von Punktlandung zu Punktlandung. ({59}) Als die Haushälter meiner Fraktion im letzten Jahr gesagt haben, es werde ein Defizit von etwa 20 Milliarden DM auflaufen, da habe ich - das sage ich in allem Freimut - gefragt: Seid ihr sicher, daß das wirklich eine solche Größenordnung annehmen wird? Denn 20 Milliarden DM sind ja keine vernachlässigbare Größe. Und wie wurden die Haushälter der Opposition von Ihnen beschimpft, als sie immer wieder auf dieses Defizit hingewiesen haben! Ich weiß aus der Rednerliste, daß nachher der Finanzminister spricht. An dieser Stelle können Sie einmal Abbitte leisten. Hören Sie auf unsere Haushälter, wenn Sie Prognosen abgeben, und hören Sie weniger auf die eigenen Erkenntnisse und Einsichten! ({60}) Und wenn es wirklich so ist, meine Damen und Herren, daß Sie eine Haushaltssperre zurückgenommen haben, nur weil Sie sagen, die Presse könnte sonst schlecht sein - meistens stimmt das, was durchsickert und was erzählt wird, ja doch -, dann ist das auch kein Ausweis von Souveränität und erst recht kein Ausweis von in sich konsequenter Politik. ({61}) Aber vielleicht sagt der Finanzminister zu diesem Thema etwas. Er hat ja nachher die Möglichkeit dazu. ({62}) Ich möchte noch einen Hinweis geben: Sie haben allen Bemühungen europäischer Regierungen, zu einem europaweiten Beschäftigungspakt zu kommen, trotzig und selbstgefällig mit der Bemerkung widerstanden: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause. Man kann nur hoffen, daß es in anderen Ländern nicht so aussieht wie hier bei Ihnen, wo Sie der Chefkoch sind und Beschäftigungspolitik zu Hause machen. ({63}) Meine Damen und Herren, Sie haben vor einigen Jahren den Wahlkampf mit der Parole geführt: Weiter so, Deutschland. Nach 14 Jahren kommen Sie nun zu folgendem Ergebnis: Wir, die Deutschen, können nicht so weitermachen wie bisher. Herr Bundeskanzler, Ihre Rede allerdings hat bei uns den Eindruck hinterlassen, daß Sie mit „wir" nicht sich selbst meinen, sondern alle anderen - die Tarifparteien, Gewerkschaften, Unternehmer, die Opposition oder Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({64}) wen auch immer - und daß Sie unbeirrt an Ihrem vermeintlichen Reformkurs festhalten. Dieser Reformkurs setzt auf die falschen Rezepte. Er schwächt die Binnennachfrage. Er zerstört die soziale Gerechtigkeit. Er verzögert wichtige Reformen, unter anderem auch - Kollege Fischer wird darüber noch sprechen - die ökologische Steuerreform, die seit mindestens zehn Jahren verschleppt worden ist. Sie, Herr Bundeskanzler, sind die Ursache unserer Krise. Es wird Zeit, daß Sie daraus die Konsequenzen ziehen. ({65})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, außer Polemik haben Sie hier nicht einen weiterführenden Gedanken geboten. ({0}) Ausgerechnet Sie machen uns hier Vorwürfe, wo Sie ganz persönlich dafür verantwortlich sind, daß die Mehrheit der SPD im Bundesrat für eine gemeinwohlwidrige Blockadepolitik mißbraucht worden ist, die notwendige Entscheidungen gehemmt hat. ({1}) Sie nehmen sich die Argumente, wie Sie sie gebrauchen können. Zunächst haben Sie, was die Steuerreform anbelangt, gefordert, in erster Linie die unteren Einkommensschichten zu berücksichtigen. Dann haben Sie nicht erwartet, daß wir einen Tarif vorschlagen, dessen Eingangsteuersatz 15 Prozent beträgt, und damit ein ganz wichtiges Argument für die Arbeitsaufnahme statt des Empfangs von Sozialhilfe oder für die Senkung der Lohnersatzleistungen geschaffen worden ist. ({2}) Kaum haben Sie bemerkt, daß jetzt gar keine Polemik mehr möglich ist, da haben Sie die Belastung oder die unzureichende Entlastung der Leistungsträger beklagt. Ursprünglich hatten Sie uns dann noch unterstellt, wir brächten bei Wirtschaft und Unternehmen im Bereich der Gegenfinanzierung nicht das Notwendige auf den Weg. Nun haben wir mehr auf den Weg gebracht, und Sie sind plötzlich ganz ruhig geworden. Eines geht ganz sicher nicht: Wenn Sie jetzt wieder über die Frage des Höchststeuersatzes polemisieren wollen, dann frage ich Sie: Wie stehen Sie eigentlich dazu, daß der Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Finanzministerium, Dr. Sarrazin, den damals, wenn ich mich recht erinnere, Herr Ministerpräsident Scharping zu sich nach Rheinland-Pfalz geholt hatte, in einem beachtlichen Beitrag für „flat taxes", für niedrigere Steuersätze und besonders niedrige Höchststeuersätze plädiert, weil er der Meinung ist: Niedrigere Höchststeuersätze führen - das ist richtig - zu einem höheren Einkommensteueraufkommen als hohe Steuersätze, von denen Sie und Herr Voscherau behaupten, daß die Millionäre von Hamburg sie nicht bezahlen. Das ist doch eine schlimme, widersprüchliche, in sich verlogene Polemik, die Sie hier betreiben! ({3}) Sie als Ministerpräsident eines Landes vom Stamme Nimm (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Sehr schön!) stellen sich hierher und beklagen die Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Warum haben wir denn die Grunderwerbsteuer um zwei Punkte erhöht? Um den entsprechenden Ausfall für die Länder in Grenzen zu halten. Wir wären auch mit einem Prozentpunkt Aufstockung zufrieden gewesen. ({0}) Sagen Sie doch endlich ein Wort dazu, daß diese Vermögensteuer so nicht mehr Bestand haben konnte, ({1}) daß das Bundesverfassungsgericht diese Vermögensteuer als verfassungswidrig bezeichnet hat und daß es sinnlos gewesen wäre, einen Rest von privater Vermögensteuer, der dann nur als Umgehungstatbestand gedient hätte, aufrechtzuerhalten. Nein, Sie sind weit weg von der internationalen Diskussion. Lassen Sie sich, wo in Österreich die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer aus Wettbewerbsgründen abgeschafft wurden, wenigstens vom neuen österreichischen Bundeskanzler Klima, der zuvor Finanzminister gewesen ist, etwas sagen, damit Sie im Saarland und in Deutschland etwas dazulernen! ({2}) Neu war mir, Herr Ministerpräsident, daß Sie der Erfinder des Meister-BAföG sind. ({3}) Das scheint ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit zu sein. Dennoch ist mir das ziemlich neu. Wir wollten in der Tat - ich halte den gedanklichen Ansatz von Minister Rüttgers für richtig - einen gewissen Beitrag derer, die im akademischen Studium sind und damit vom Staat ausgestattet werden, damit künftig der, der Geselle ist und Meister werden möchte, genauso unterstützt wird wie der, der das Abitur gemacht hat und auf einen akademischen Beruf zustrebt. ({4}) Wenn Sie einzelne Vorschläge zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage anbringen, gehen wir gerne auf Sie ein. Aus der Liste des von Ihnen geschätzten Bürgermeisters Voscherau nehme ich einmal einiges heraus. Besteuerung von Veräußerungsgewinnen durch Ausdehnung der Spekulationsfrist - Voscherau: sieben Jahre; wir: zehn Jahre. Einschränkung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen - wie in der Steuerreformkommission. Aufhebung der Steuerfreiheit für Abfindungen und Übergangsgelder - wie die Steuerreformkommission. Aufhebung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen und verschiedenen anderen Lohnbestandteilen - Sie haben das als hirnrissig bezeichnet. Schämen Sie sich nicht, den Bürgermeister von Hamburg als hirnrissig darzustellen? ({5}) Ich weise diesen unglaublichen Umgang mit dem führenden Repräsentanten einer angesehenen Stadt ({6}) und einem Mann, der in der SPD eine Rolle spielt, zurück. Er hat es als Vertreter einer großen, stolzen Stadt nicht verdient, sich von Ihnen, von einem relativ kleinen Land so beleidigen zu lassen. ({7}) So, jetzt habe ich Ihnen erst einmal die Suppe versalzen. ({8}) Jetzt zum Standort Deutschland. Die Rückkehr unserer Wirtschaft zu einem Wachstumskurs zeigt: Wir gehen den richtigen Weg. Aber auf dem Weg zu neuen Arbeitsplätzen, zu genügend neuen Arbeitsplätzen bleibt noch einiges zu tun. Am 4. Februar - darauf hat der Bundeskanzler verwiesen - wird Ludwig Erhard 100 Jahre alt. Seine Maßnahmen im Juni 1948 waren radikal und zunächst bei vielen unpopulär. Sie waren dennoch richtig und haben eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen ermöglicht. Er hat mit einem Befreiungsschlag die Dynamik der Marktwirtschaft in Gang gesetzt. Seit damals gilt, die Vorbedingung für dauerhafte Arbeitsplätze ist ein florierender produktiver Sektor unserer Volkswirtschaft. Dauerhaftes, nachhaltiges Wachstum, das ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Und dafür muß sich der Staat zurücknehmen, sparen, damit die Wirtschaft investiert. Das ist das Motto, mit dem neue Arbeitsplätze entstehen. ({9}) Damals ist Ludwig Erhard - manchmal auch in den eigenen Reihen - für seine Forderung nach Maßhalten verspottet worden. ({10}) Aber Sparen ist die bittere Medizin, um gesund zu werden. Die neuen Wettbewerbsbedingungen in der Weltwirtschaft, die Folgen der Globalisierung decken Fehlentwicklungen sofort auf. Was sich früher nach Jahren als falsch und verhängnisvoll erwiesen hat, wird heute innerhalb von Tagen auf den Finanzmärkten, bei den Zinsen und bei den Wechselkursen gnadenlos bestraft. Darum müssen wir einen Befreiungsschlag wagen, die Globalisierung offensiv angehen, aus der Dynamik der Globalisierung Kraft schöpfen und Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Andere Länder sind uns auf diesem Weg schon erfolgreich vorangegangen. Untersuchungen der G 7, des Internationalen Währungsfonds oder der OECD - ({11}) - Ja, England. ({12}) - Das ist doch nicht wahr, Sie haben ja keine Ahnung. In England und auch in den Vereinigten Staaten ist durch Lohnverzicht über viele Jahre eine Situation entstanden, daß die Beschäftigung heuer höher ist als vor zehn Jahren. Sie kennen ja nicht einmal die Statistik! ({13}) Zu der von uns aufgezeigten Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt es keine Alternative. ({14}) Das gilt für das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, das gilt für den Sparhaushalt 1997, der um 2,5 Prozent gegenüber dem Haushalt zuvor zurückgeht, das gilt für die Finanzplanung bis 2000 mit einer jahresdurchschnittlichen Ausgabensteigerung von unter einem Prozent, das gilt für das Jahressteuergesetz 1997, den richtigen Wegfall der Vermögensteuer und für den dringend notwendigen Wegfall der Gewerbekapitalsteuer. Und hier haben Sie, Herr Lafontaine, auf die Frage des Bundeskanzlers keine Antwort gegeben. Sind Sie jetzt endlich bereit, in ganz Deutschland dafür zu sorgen, daß diese für die Konjunktur und für Arbeitsplätze schädliche Steuer wegfällt, in Ostdeutschland nicht erhoben werden muß, oder wollen Sie Ihren gefährlichen Blockadekurs im Bundesrat weiter fortsetzen? Hier sind Sie gefragt! ({15}) Hier sind Sie ausgewichen, und hier werden Sie in den nächsten Wochen im Bundesrat Ihren ostdeutschen Kollegen sagen müssen, ob Sie wirklich für die Betriebe in Ostdeutschland eine weitere Belastung von 400 bis 500 Millionen hinnehmen oder gar einführen wollen, was die Betriebe dort schlichtweg nicht überstehen würden. Meine Damen und Herren, auf dem Petersberg gab es in der Nachkriegszeit Beschlüsse des Alliierten Kontrollrates. Damals wurde der SpitzensteuerBundesminister Dr. Theodor Waigel satz auf konfiskatorische 90 Prozent festgesetzt. Das scheint mir in etwa die geistige Linie zu sein, in der sich Herr Ministerpräsident Lafontaine bewegt. ({16}) Wer bei der internationalen Diskussion, bei der Gegenfinanzierung im Unternehmensbereich, bei den Vorschlägen aus den eigenen Reihen, bei einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent behauptet, daß dies der sozialen Symmetrie nicht genügt, der hat von Steuerpolitik und von sozialer Symmetrie keine Ahnung, der ist in der Steuerpolitik schlichtweg dumm geblieben. ({17}) Die Petersberger Beschlüsse sind ein Durchbruch zu den niedrigsten Einkommen- und Körperschaftsteuersätzen der letzten 50 Jahre. ({18}) Natürlich gibt es bei einer so umfassenden Reform viele kritische Einzelfragen. ({19}) - Ja, Sie haben es jetzt fünfmal gesagt, Herr Poß, ich habe es gehört, ich nehme es zur Kenntnis. ({20}) - Es ist gut. Ich weiß, Sie brauchen es für Ihr eigenes Gedächtnis. Sagen Sie es noch zweimal, und dann seien Sie wirklich beglückt ruhig! Wenn man in die Leserbriefspalten der Presse sieht und Telefonaktionen mitmacht, weiß man natürlich, was die Menschen bedrückt und was sie wissen wollen. ({21}) Haben Sie nicht mitbekommen, daß der Ministerpräsident viele Ansätze dieses Konzepts als wichtig, brauchbar und aufnahmefähig einschätzt? Sie sollten also bei jedem Zwischenruf vorsichtig sein, ob Sie damit nicht vielleicht die Intention Ihres Vorsitzenden treffen. ({22}) Jedenfalls kommt es jetzt darauf an - und das werden wir tun -, dieses Gesamtkonzept den Bürgern zu vermitteln und es durch eine klare, objektive Aufklärung jedem zu ermöglichen, sich selbst Klarheit über sich, seine Steuern, seine Sozialabgaben und seinen Steuersatz zu verschaffen. ({23}) Unsere Prinzipien waren: Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit und Leistungsfähigkeit. Dieser Zukunftstarif '99 steht für eine umfassende und gerechte Erfassung der Einkünfte, für ein transparentes Steuerrecht, für die Entlastung fast aller Steuerzahler und für die Verwirklichung niedriger Steuersätze bei breiter und gerechter Bemessungsgrundlage. Diese Steuerbeschlüsse sind die Voraussetzung für mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung und für den Abbau von Bürokratie. Wenn wir das den Bürgern sachlich und konkret vermitteln, wird - da bin ich sicher - die Zustimmung, die das Konzept schon jetzt bei Fachleuten und vielen sachkundigen Journalisten findet, weiter zunehmen. Professor Bareis, in diesem Hohen Haus schon oft zitiert, spricht von einem richtigen Reformkonzept und fordert eine große Koalition der Vernunft. Wenn wir das schaffen, wird sich die wachsende Zuversicht der Bürger und der Wirtschaft in Investitionen und Arbeitsplätzen auszahlen. Der Petersberger Zukunftstarif ist keine bloße steuerpolitische Anpassung. Er ist der Durchbruch zu einem neuen Steuersystem, das die Voraussetzungen für das nächste Jahrhundert schafft. ({24}) Der Begriff vom Hochsteuerland Deutschland wird damit der Vergangenheit angehören, und die Qualität des Investitionsstandortes wird entscheidend verbessert. Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben nur vom Export gesprochen. Sie sollten auch einmal darüber reden, wo und wie im Moment die Kapitalflüsse vonstatten gehen. Da muß es doch auch Sie nachdenklich stimmen, daß im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten heute mehr Kapital von Deutschland nach draußen fließt, als daß es sich umgekehrt bei uns ansiedelt. Das ändert sich nur, wenn sich die Steuersätze ändern. Das ist der Ansatzpunkt für unseren Zukunftstarif. ({25}) Wir schließen damit an die erfolgreiche und wachstumsstärkende Steuerreform Gerhard Stoltenbergs an. Wir haben von 1986 bis 1996 unabhängig von der jetzt vorgeschlagenen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Bemessungsgrundlage um 50 Milliarden DM erweitert und in der gleichen Zeit Steuersubventionen um 50 Milliarden DM abgebaut. Aber trotz der Steuerreformen 1986, 1988 und 1990, trotz Steueränderungsgesetz 1992, Standortsicherungsgesetz 1994 und dem Wegfall der Vermögensteuer liegt Deutschland unter den Industriestaaten bei den psychologisch wichtigen Spitzensteuersätzen auf keinem guten Platz. Das ist falsch, das müssen wir ändern. Unsere Steuersätze werden künftig gegenüber allen großen Industrieländern wieder wettbewerbsfähig sein. Das schafft mehr Investitionen im Inland und zieht Investoren aus dem Ausland an. Der bedrohliche Rückgang ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland kann so gestoppt und umgekehrt werden. Die Standortvorteile Deutschlands können ihre volle Wirkung entfalten. Wenn Sie nicht bereit sind, vor allem bei den gewerblichen Einkünften und beim Körperschaftsteuersatz, sowohl was den thesaurierten Satz als auch was den Ausschüttungssatz anbelangt, nach unten zu gehen, dann werden Sie das nicht ändern. Sie können, Herr Lafontaine, auf Dauer nicht eine Spreizung um zehn oder noch mehr Punkte aufrechterhalten. Dies wird aus Verfassungsgründen nicht möglich sein, wobei ich im Interesse der Investitionen für ein Jahr und danach sehr wohl eine gewisse Spreizung in Kauf nehme. ({26}) - Für ein Jahr, Frau Kollegin, halte ich das für unproblematisch. ({27}) Für ein Jahr halte ich das für vertretbar. Für einen längeren Zeitraum würde ich es nicht für vertretbar halten. Nicht erst seit der Forderung von Oskar Lafontaine, schon zum 1. Januar 1998 zu beginnen, haben wir darüber nachgedacht, was wir zum 1. Januar 1998 tun können. Wir wollen zum 1. Januar 1998 den Solidaritätszuschlag, den Steuersatz für gewerbliche Einkünfte und den Körperschaftsteuersatz für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne senken. Die Entlastung bei den Unternehmensteuern wird aufkommensneutral im Unternehmensbereich gegenfinanziert. Nicht uninteressant ist übrigens, daß die falschen Zahlen und Behauptungen, die in den letzten Tagen eine Rolle gespielt haben, nämlich die Wirtschaft bezahle überproportional die Gegenfinanzierung, heute vom BDI korrigiert worden sind. Diesbezüglich sind leider falsche Zahlen und Eindrücke in die Öffentlichkeit gekommen. Wir finanzieren ab 1999 eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM plus 7,5 Milliarden DM Nettoentlastung für den Solidaritätszuschlag 1998. ({28}) Das führt zu mehr Nachfrage, mehr privatem Investitionskapital und somit zu dauerhaftem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen. 30 Milliarden DM Nettoentlastung werden Anforderungen an die Konsolidierungskraft von Bund, Ländern und Gemeinden stellen. Nur, eines ist ganz sicher: Wenn wir uns gerade in der Steuerpolitik nicht zu einem Befreiungsschlag durchringen, dann kann und wird auch die Haushaltssituation nicht besser werden. Ich bin davon überzeugt, daß ein solches Konzept zu einem höheren Wachstum von real etwa 0,5 Prozent führen kann, die Investitionen um 1,5 Prozent erhöht und 1997 und 1998 ein Vorzieheffekt denkbar ist; denn dann sind noch die besseren Abschreibungssätze gegeben, und danach haben wir eine bessere Gewinnerwartung. Damit schaffen wir 1997, 1998 und danach Arbeitsplätze. Darum ist auch die Zeitplanung richtig. ({29}) - Gerade Sie müssen von lautem Schreien sprechen, Herr Fischer! Der Oberkrakeeler des Parlaments bezichtigt andere, laut zu schreien. Das ist schon ein starkes Stück! ({30}) Dort, wo solche Reformen in der Vergangenheit angegangen wurden, hat sich dies auch im Einkommensteuerbereich positiv bemerkbar gemacht. ({31}) 1994 hatte Deutschland bei einem Tarif mit den Eckpunkten 19 Prozent und 53 Prozent ein durchschnittliches Einkommensteueraufkommen von 9,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Vereinigten Staaten hatten bei einer Belastung von 20,8 Prozent bis 46,7 Prozent ein Aufkommen von 10,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Großbritannien hatte bei drei Tarifstufen - 20 Prozent, 25 Prozent und 40 Prozent; der Höchstsatz wird ab 59 000 DM fällig - ein Aufkommen von 9,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das belegt, daß die amerikanische und die englische Einkommensteuer auch nach den starken Tarifsenkungen in den 80er Jahren ebenso ergiebig wie das deutsche System sind. Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen und Familien werden durch den Zukunftstarif 1999 besonders entlastet. Die Durchschnittsbelastung liegt bei einem verheirateten Arbeitnehmer ohne Kinder mit einem Einkommen bis zu 42 000 DM ab 1999 nur noch bei 10 Prozent. Bei 40 000 DM Bruttojahreslohn beträgt die Entlastung, einschließlich des Abbaus des Solidaritätszuschlags, bei einem Alleinstehenden 20,4 Prozent, bei einem Verheirateten sogar 51,1 Prozent. Bei einem überdurchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen, Bruttojahresverdienst 85 000 DM, ergibt sich eine Gesamtentlastung für einen Alleinstehenden von 12,1 Prozent, bei einem Verheirateten von 20,3 Prozent. Schon diese Entlastung wird von der SPD kritisiert. Dabei vergißt sie: Gerade Bezieher von höheren Einkommen haben im besonderen Maße Sonderabschreibungen und Schlupflöcher genutzt. Mit dem Wegfall dieser Möglichkeiten schrumpft diese Entlastung. Jetzt müssen Sie schon sagen, meine Damen und Herren von der SPD, was Sie wollen: Sollen die von Ihnen apostrophierten Einkommensmillionäre weniger Steuern bezahlen, oder sollen die Schlupflöcher bleiben? Nach unserem Vorschlag werden die Schlupflöcher beseitigt. Sie müssen doch zugeben: Es ist gut, wenn die Steuerzahler einen geringeren Höchststeuersatz zahlen, diesen aber nicht durch Steuervermeidungsmodelle herabsetzen können, wie es heute der Fall ist. ({32}) Bei der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage geht es nicht um eine buchhalterische Gegenfinanzierung der Tarifentlastung, sondern um eine Bereinigung, die dem Einkommensteuerrecht eine neue Qualität verleiht. Wie oft bin ich hier nach den Vorschlägen von Professor Bareis und seiner Kommission gefragt worden. Wir haben sie nun aufgegriffen. Herr Lafontaine, Sie sollten jetzt Punkt für Punkt sagen, ob Sie den Vorschlägen zustimmen oder nicht. Aber immer, wenn es brenzlig wird, sind Sie weit weg, um sich auf Ihre populistische Tour durch Deutschland zu begeben. Das ist doch Ihre Doppelstrategie. ({33}) Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer zu Fuß, mit dem Bus, mit dem Fahrrad, mit dem eigenen Auto oder in einer Fahrgemeinschaft zum Arbeitsplatz gelangt, kann er ab dem sechzehnten Kilometer 40 Pfennig als Entfernungspauschale absetzen, und zwar zusätzlich zur Werbungskostenpauschale. Damit wird der Anreiz gestärkt, das billigste und oft auch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel zu nutzen. Ich komme nun zu den Zuschlägen. Zuschläge für Nachtschicht oder Sonntags- und Feiertagsarbeit sind sauer verdientes Geld. Aber es ist die Sache der Tarifparteien, einen fairen Lohn für diese Arbeiten auszuhandeln. ({34}) Es kann nicht gerecht sein, wenn die große Masse der Steuerzahler, die ebenfalls für ihren Lohn hart arbeitet, dafür zahlen soll. Der Vorschlag ist außerdem im Voscherau-Papier zu finden. Sie müssen sich einmal mit den Vorschlägen aus Ihren eigenen Reihen auseinandersetzen! ({35}) Trotz dieser Einschränkungen wird beispielsweise eine Krankenschwester mit einem Einkommen von rund 45 000 DM im Jahr noch um etwa 500 DM entlastet. Ein Feinmechaniker, verheiratet, mit einem Jahresbruttogehalt von 63 000 DM und 50 Kilometern Anfahrt zur Arbeitsstelle, geht mit 1 164 DM mehr pro Jahr nach Hause. Lohnersatzleistungen werden künftig zur Hälfte in die Besteuerung einbezogen, da die hälftigen Arbeitgeberbeiträge steuerfrei sind. Dafür entfällt der Progressionsvorbehalt. Diese Neuregelung ist für die Empfänger in der Regel eine Entlastung. Ein Arbeitnehmer mit einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 DM, der sechs Monate arbeitslos war, wird um 753 DM entlastet. Nur wenn weitere, beträchtliche Einkünfte - beispielsweise des Ehepartners - hinzukommen, kann es zu einer Mehrbelastung kommen. Schon heute sind Renten steuerpflichtig; im Standardfall mit 27 Prozent auf ihren Ertragsanteil. Damit sind derzeit Renten von Alleinstehenden bis 65 000 DM steuerfrei. Ein Arbeitnehmer mit vergleichbarem Einkommen zahlt heute etwa 14 800 DM Steuern im Jahr. Zukünftig sollen die Renten zu 50 Prozent besteuert werden, da auch in diesem Fall die Arbeitgeberbeiträge steuerfrei entrichtet wurden. Dieser alleinstehende Rentner zahlt dann nach dem neuen Tarif 3 100 DM Steuern im Jahr. Das ist zumutbar und in Relation zum vergleichbaren Arbeitnehmer, der nach neuem Recht immer noch 12 800 DM bezahlt, gerecht. Dies ist auch eine Frage der horizontalen Gerechtigkeit. ({36}) Rentenansprüche, die nur auf eigenen Beiträgen beruhen, beispielsweise aus Lebensversicherungen, werden wegen der geringeren Steuerfreistellung nur mit einem Anteil von 30 Prozent der Besteuerung unterworfen. Damit bleibt die Rente eines Alleinstehenden in der Regel bis 31 511 DM, das sind 2 600 DM im Monat, steuerfrei. Verheiratete bleiben bis zu einer Jahresrente von 62 549 DM bzw. 5 200 DM monatlich steuerfrei. Angesichts dieser objektiven Situation halte ich das, was wir erarbeitet haben, für sozialverträglich und im Interesse der Gerechtigkeit unserer Gesellschaft. ({37}) Kapitallebensversicherungen bleiben begünstigt durch den Sonderausgabenabzug der Beiträge, den niedrigen Abgeltungssatz und die Befreiung von der Versicherungsteuer. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Unternehmensbereich, im wesentlichen durch Änderungen bei den Gewinnermittlungsvorschriften, ändert nichts an einer deutlichen Entlastung. Ein kleiner Familienbetrieb mit einem Gewinn von 150 000 DM wird dennoch um etwa 2 700 DM entlastet. Ein mittelständisches Einzelunternehmen mit einem Gewinn von 450 000 DM wird auch bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage um 50 000 DM noch um etwa 19 000 DM entlastet. Die Steuerentlastung durch den Zukunftstarif 1999 verbessert die Ertragserwartungen der Unternehmen, und gute Ertragserwartungen führen zu Investitionen und zu neuen Arbeitsplätzen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Vorzieheffekte sind wahrscheinlich. Heute kann man die günstigen Abschreibungen nutzen und ab 1999 von der günstigeren Besteuerung der Gewinne profitieren. Dieser Vorzieheffekt würde durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer zusätzlich unterstützt. Ich habe jetzt einen fairen Kompromißvorschlag zur Beteiligung der Kommunen vorgelegt. Die Kommunen verlangen 2,3 Prozent Umsatzsteuer. Wir hatten auf Grund unserer Berechnungen 1,9 Prozent vorgesehen, und wir haben 2,1 Prozent angeboten. Ich hoffe, wir kommen bald zu einem Abschluß. Steuerpolitik, meine Damen und Herren, hört für uns nicht an den Grenzen auf. Der Wettbewerb der Steuersysteme ist erforderlich. Unfairen Praktiken muß Einhalt geboten werden. Eine besondere Expertengruppe wird Kriterien für unfaire Praktiken und einen Verhaltenskodex erarbeiten. Über den Fortgang wird schon auf der nächsten Sitzung des Ecofin berichtet. Wir werden Vorschläge machen. Es gab dazu auf der Ecofin-Tagung am vergangenen Montag unter dem neuen niederländischen Vorsitz ganz neue, sehr beachtliche Töne. Unser Konzept faßt die Probleme an der Wurzel. Es ist offensiv, wachstums- und zukunftsorientiert. Die Verteilung des Mangels zur Behebung der Arbeitslosigkeit reicht nicht aus. Das war der Grundgedanke von Ludwig Erhard: Wachstum und mehr Beschäftigung zu schaffen und nicht den Mangel zu verwalten. Sie, Herr Lafontaine, sind nichts anderes als ein Umverteilungspolitiker ohne neue Wachstumsimpulse. ({38}) Aber, Herr Ministerpräsident, wir nehmen Ihr Gesprächsangebot gerne an. ({39}) Wir sind bereit, die Steuerreform schon zum 1. Januar 1998 umzusetzen. ({40}) Dazu müssen Sie unsere Vorschläge aufgreifen, bereit sein, auf unseren Referenten- und Regierungsentwurf einzugehen, ({41}) dann produktiv im Bundesrat und im Finanzausschuß des Bundestages mitzuarbeiten ({42}) und auf ein Vermittlungsverfahren zu verzichten, ({43}) damit wir dann spätestens im August das Gesetzgebungsverfahren abschließen können. Denn wir benötigen ein halbes Jahr - die Bürger, die Steuerverwaltung, die Steuerberater, wir alle zusammen - für eine entsprechende Vorbereitung. Wer dazu nicht bereit ist, der macht einen billigen Jakob, der macht ein billiges Angebot, ohne wirklich an die Realisierung zu glauben. ({44}) Nehmen Sie, Herr Ministerpräsident und die SPD, von Ihrer Blockadehaltung und von der Verweigerung Abschied! Seien Sie endlich bereit, mit uns konstruktiv an den Dingen zu arbeiten! Dann wird die Zukunft Deutschlands, was die Beschäftigung der Menschen anbelangt, entscheidend verbessert werden können. Ich danke Ihnen. ({45})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Joachim Poß das Wort.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede wahrheitswidrig behauptet, daß das Bundesverfassungsgericht die Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Dezember 1996 eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Dafür hat die SPD einen Vorschlag vorgelegt, und zwar verfassungskonform. ({0}) Es ist allein Ihre politische Verantwortung, daß die Vermögensteuer jetzt nicht mehr erhoben werden kann ({1}) und damit die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in der Bundesrepublik noch weiter verschärft wird. ({2}) Zweitens. Der Abbau des Solidaritätszuschlages zum 1. Januar 1998 hat mit einer steuerlichen Tarifsenkung überhaupt nichts zu tun. Er ist die Rückführung einer Sondersteuer und einer Zusatzbelastung. Wenn Sie das miteinander verknüpfen, kommt dabei eine Mogelpackung heraus, Herr Bundesfinanzminister. ({3}) Sie setzen damit Ihre Tradition des Täuschens in der Steuerpolitik fort. Drittens. Die Tatsache, daß einzelne Einkommensmillionäre derzeit auf Grund der Sonderregelungen keine Steuern zahlen, berechtigt Sie jedoch nicht, vom Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit abzugehen und künftig Ingenieure eines Unternehmens so wie dessen Vorstandsvorsitzenden zu behandeln. Sie setzen mit diesem Teil des Tarifvorschlags einen tragenden Verfassungsgrundsatz außer Kraft, Herr Bundesfinanzminister. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, wollen Sie darauf anworten? ({0})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Nein, danke.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann gebe ich dem Abgeordneten Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wenn man Ihre Regierungserklärung zu Maßnahmen und zum Kampf der Bundesregierung gegen die Arbeitslosigkeit heute gehört hat, zu der Sie sich endlich herabgelassen haben, wenn man anschließend gehört hat, wie der Bundesfinanzminister im wesentlichen versucht hat, seinen Beitrag so zu gestalten, daß er dabei eine Werbebroschüre über die neuen Einkommenstarife seines Hauses vorträgt, dann kann ich Ihnen sagen: So werden Sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht zu einer Trendwende kommen. So werden Sie Ihr Versprechen, das Sie im übrigen heute nicht wiederholt haben, nämlich die Arbeitslosenzahl bis zum Joseph Fischer ({0}) Jahr 2000 in diesem Lande zu halbieren, nicht halten, sondern so werden Sie wie bisher weitermachen. Das heißt, die Arbeitslosigkeit, das drängendste Problem in diesem Lande, wird zunehmen. ({1}) Was wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in dieser Debatte überhaupt nicht gehört haben, ist eine sorgfältige Analyse der Ursachen. Hier wäre in der Tat Selbstkritik angesagt gewesen. Sie können sich doch nicht, nachdem 14 Jahre lang Ihre Konzepte, Ihre Vorschläge gescheitert sind, nachdem wir jetzt eine einmalig hohe Arbeitslosenzahl in diesem Lande erreicht haben - ich werde gleich noch etwas zu der qualitativen Veränderung am Arbeitsmarkt, vor allen Dingen bei den jungen Berufsanfängern auch und gerade im akademischen Sektor, sagen und auf die düsteren Perspektiven, die sich hier auftun, hinweisen -, hier hinstellen und einfach verkünden: Im wesentlichen weiter so. Wir laden die Lasten weiter auf die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen ab. Wir müssen weiter die Bezieher hoher Einkommen, die Vermögen und die Kapitaleinkünfte entlasten. Dann endlich erreichen wir die Investitionen in unserem Land. Mich erinnert das alles an die Zeit der deutschen Einheit, als dieser formidable Wirtschaftsminister von der F.D.P., Herr Rexrodt - den einzigen Arbeitslosen, den dieses Land dringend bräuchte, meine Damen und Herren -, ({2}) gemeinsam mit dem Bundeskanzler verkündete: „Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt." Uns hat man damals angeprangert, wir seien Dinosaurier einer überständigen, altertümlichen Industriepolitik. Die Wirtschaft allein würde, wenn man nur ihre Antriebskräfte entfesseln würde, den Aufbau Ost hinbekommen. Heute stehen wir vor einem Debakel Aufbau Ost. ({3}) Eines aber, Herr Bundeskanzler, sollten wir lassen: die Debatte, daß die Einwanderung irgend etwas mit der strukturellen Arbeitslosigkeit zu tun habe. ({4}) Ich sage das als Vertreter einer Partei und einer Fraktion, die im Wahlkampf klar Position bezogen hat - das wissen Sie sehr gut -, als plötzlich die Spätaussiedler eine Sündenbockfunktion erhalten hatten. Wenn Sie die Debatte eröffnen, daß Zuwanderung ein wesentlicher Teil des strukturellen Problems der Massenarbeitslosigkeit in diesem Lande ist, ({5}) dann werden Sie natürlich sofort wieder die Spätaussiedlerdebatte bekommen. Davor kann ich Sie nur warnen. Herr Bundeskanzler, man muß natürlich auch fragen, warum Sie die Möglichkeiten, die Sie haben, nicht nutzen respektive warum Sie die Zahlen nicht wirklich darstellen. Warum erteilt die Bundesregierung auf Drängen von Winzerpräsident Schindler und Bauernpräsident Heereman im vergangenen Jahr noch immer 250 000 Arbeitserlaubnisse in der Landwirtschaft? ({6}) Das ist eine Möglichkeit, die Sie sofort hätten nutzen können. Davon aber reden Sie nicht. Das wissen Sie nur zu gut. ({7}) - Nein, das hat er nicht gesagt. ({8}) Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang auch: Sie werden in diesem Land Ausländerfeindlichkeit schüren, wenn Sie die Unfähigkeit Ihrer Politik, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, an politischen Flüchtlingen, an Nichtdeutschen, an Menschen, die hierher gekommen sind, weil sie Zuflucht suchen, festmachen. ({9}) Deswegen möchte ich an Sie, Herr Bundeskanzler, appellieren: Lassen Sie uns diese Debatte in aller Schärfe führen, aber nicht auf dem Rücken der Armsten der Armen und der Schwächsten der Schwachen in diesem Lande! Wir wissen nur zu gut, was dies bedeuten kann. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben ja einen erstaunlichen Jahreswechsel erlebt. In vorweihnachtlicher Erregung erlebten wir das Affentheater um die Frage der Senkung des Solidaritätszuschlags. Die F.D.P. mußte dabei in die Knie gehen. Ein schlichter Wahlbetrug kam dabei heraus - nicht wahr, Herr Westerwelle? Sie sind doch vor den Landtagswahlen durch die Gegend gezogen und haben verkündet: Mit uns wird der Solidaritätszuschlag gesenkt. Daraus ist jetzt nichts geworden. ({11}) - Wird er? ({12}) - Und die Steuerreform macht ihr auch? ({13}) - Ich komme nachher noch darauf. Joseph Fischer ({14}) Ich finde es hervorragend; ihr schlagt wunderbare Dinge vor. Ich kann fast sagen: Das, was Theo Waigel uns beschert hat, ist ein verschobenes Weihnachtsfest. Er kam ja mit der großen Bescherung der 30 Milliarden DM Nettoentlastung. Ich könnte Sie fast dafür küssen, wenn das Realität würde, mein Lieber. ({15}) Die entscheidende Frage aber haben Sie nicht beantwortet - nur deswegen habe ich dazwischengerufen: dann werden Sie jeweils laut -: Sie müssen Fakten nennen, wie Sie diese Löcher und unter anderem auch den Revitalisierungsversuch der F.D.P., nämlich den Soli-Zuschlag - übrigens gegen Ihre eigene Überzeugung - endgültig zu senken, finanzieren wollen. Sie aber kommen mit Glaube, Hoffnung, Liebe und sehr viel Lärm. ({16}) Nein, meine Damen und Herren, so einfach wird das nicht gehen. - Ich komme aber noch auf die Steuerreform zu sprechen. Gedulden Sie sich bis dahin. Ich würde gerne, bevor wir polemisch werden - Polemik muß bei diesem brennenden Thema sein -, zumindest in der Analyse den sachlicheren Teil vorschalten. Den Jahreswirtschaftsbericht, Herr Bundeskanzler, haben Sie angeführt. Dieser Jahreswirtschaftsbericht hat für mich zwei sehr deprimierende Konsequenzen. Die erste Konsequenz ist: Selbst wenn die optimistische Prognose 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr stimmt, wird es keine positiven Arbeitsplatzeffekte geben. Das können wir als Diskussionsfaktum, glaube ich, streitfrei stehenlassen. Die zweite Konsequenz, Herr Bundeskanzler - darüber haben Sie als Kanzler der Einheit leider viel zuwenig geredet -, ist: Selbst wenn die Rexrodt-Prognose, die von 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum für 1997 in Ost und West ausgeht, und nicht die Prognose des DIW zutrifft, die von 2 Prozent Wachstum West und 1 Prozent Wachstum Ost ausgeht, bedeutet das nicht nur, daß die Arbeitslosigkeit in Ost und West noch zunehmen wird - im Osten auf einen wesentlich höheren Sockel -, sondern auch, daß der Osten weiter zurückfallen wird, weil er mindestens 4 bis 6 Prozent Wachstum braucht, wenn er eine Perspektive haben will, mit der Bundesrepublik West gleichzuziehen. Was wird eigentlich aus dem Einheitsprozeß? Wenn ich sehe, wie die Konjunktur in Ostdeutschland zusammenbricht und auf welch hohem Sockel die Arbeitslosigkeit ist, was die Menschen in Ostdeutschland bedrückt, dann hätte ich mir vom Kanzler der Einheit gewünscht, daß er im Klartext sagt, was er angesichts dieser Situation eigentlich zu tun gedenkt. Da sage ich Ihnen, Herr Bundeskanzler: Angesichts dieser Situation finde ich es pervers, den Solidaritätszuschlag abzusenken. ({17}) Angesichts dieser Situation finde ich es grottenfalsch. Ich weiß, daß Sie das genauso sehen. Doch die F.D.P. soll den Nachweis bringen können: Wir sind die Partei der Besser-und-Bestverdienenden; wir senken die Steuern, auch wenn das gegen jedes Gemeinwohl geht. Nein, meine Damen und Herren, die Lage ist in der Tat äußerst alarmierend und deprimierend. Lassen Sie mich noch die Folgen der Arbeitslosigkeit für die Menschen, aber auch für Wirtschaft und Gesellschaft ansprechen. Das große Problem ist doch, daß bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit mehr und mehr Menschen dauerhaft von einem selbstbestimmten Leben, von der gesellschaftlichen Teilhabe durch Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden und unter den Druck der wirklichen Verarmung geraten. Wir sind kein Land, in dem die Mehrheit unter den Brücken schläft. Wir sind nach wie vor ein reiches Land. Wir sind nach wie vor ein Sozialstaat. Aber wir können nicht ignorieren, daß Armut in diesem Lande zunimmt. Diese Armut verdient unsere Aufmerksamkeit. Denn eines glaube ich nicht: daß wir den amerikanischen oder den angelsächsischen Weg werden gehen können, wenn wir diese Gesellschaft auseinanderbrechen lassen. Die Armutsentwicklung und übrigens auch die Reichtumsentwicklung sind dafür Indikatoren. Je weiter die Extreme auseinandergehen, desto mehr wird diese Gesellschaft auseinanderbrechen. Dann, glaube ich, werden wir das Potential für neue Radikalismen schlimmster Tradition in diesem Lande schaffen. Das kann nicht im Interesse einer demokratischen Partei sein, egal, welcher wir uns in diesem Hause zuordnen. ({18}) Deswegen, Herr Bundeskanzler, aber natürlich auch unter dem Aspekt, daß die Massenarbeitslosigkeit den Druck auf die sozialen Sicherungssysteme unglaublich verschärft, weil die Einnahmenseite wegbricht und gleichzeitig die Posten auf der Ausgabenseite steigen, müssen wir etwas tun. Da nützt es nichts, die christdemokratisch gedämpfte Variante der Ideen von Maggie Thatcher und Ronald Reagan einfach nur runterzubeten. Vielmehr muß man an die Substanz dessen gehen, was die Innovationsschwäche in diesem Lande ausmacht. Verdammt noch mal, reden Sie doch mit dem Kollegen Repnik oder meinetwegen auch mit dem Kollegen Schäuble, dem ich von hier aus alles Gute und baldige Genesung wünsche. Reden Sie mal mit Vertretern der Bundesanstalt für Arbeit. Sie werden dann feststellen: Unsere Lohnkosten sind zu hoch. Die Nettolöhne sind aber nicht zu hoch. Da liegen wir im internationalen Vergleich im mittleren BeJoseph Fischer ({19}) reich. Das heißt, wir sind voll konkurrenzfähig. Vielmehr sind die Lohnzusatzkosten viel zu hoch. Der Rentenbeitrag ist bei einer einmaligen Höhe von über 20 Prozent angelangt. Nichts spricht dafür, daß wir diesen Beitrag, wenn es so weitergeht, dauerhaft werden senken können. Auch die Projektion der Blüm-Kommission setzt hier eher Fragezeichen, als daß sie Hoffnung auf Lösungen aufkommen läßt. Für mich ist der entscheidende Punkt: Wenn eines der wichtigsten Investitionshemmnisse, wenn einer der wichtigsten Motoren des Freisetzens von Arbeitskraft zugunsten von Automatisierung in diesem Lande die Höhe der Lohnnebenkosten ist, dann müssen wir diese senken. Das bekommen Sie nicht über die von Ihnen vorgeschlagene Steuerreform hin. Damit hat das überhaupt nichts zu tun. Wenn Sie drei bis vier Prozentpunkte etwa bei den Rentenversicherungsbeiträgen herunter wollen und eine seriöse Politik machen wollen, dann erreichen Sie das nicht, indem Sie à la F.D.P. oder à la Waigel verkünden: Wir senken, aber wir wissen nicht, wie wir es gegenfinanzieren; irgendwie werden wir es schon beibiegen und vor allem von den mittleren und unteren Einkommen holen. Vielmehr müssen Sie die Lohnnebenkosten um vier Prozentpunkte senken, indem Sie eine neue Steuer einführen. Ich meine allerdings keine Mehrwertsteuererhöhung. Sie müssen endlich begreifen, daß wir, indem wir über eine Ökosteuer den Energieverbrauch besteuern, ein Gegenfinanzierungspotential haben, um endlich zu der Senkung der Lohnnebenkosten zu kommen. Dann kann Norbert Blüm Arbeitsminister bleiben und muß nicht zurücktreten. Mit einer solchen Steuer können wir auch neue Märkte erschließen, weil Technologien plötzlich marktgängig werden, die bisher nicht marktgängig waren. Darüber hinaus hätten wir positive Arbeitsmarkteffekte. ({20}) Man könnte verrückt werden, daß dies nicht begriffen wird. Dann kommen Sie und sagen: Betriebe wandern ins Ausland ab. Meine Güte, diese Mär kenne ich seit 1985 in Hessen. Dort wollten alle ins Ausland abwandern. Dann haben sie Sie in Rheinland-Pfalz gesehen und haben gesagt: Wir bleiben lieber da. Dann hatten sie sofort genug. ({21}) Nicht einer ist ausgewandert. Niemand verlangt, bei einer Ökosteuer von Null sofort auf 100 zu gehen. Wir wollen kluge, zeitlich gestaffelte Einführungsschritte. Dadurch werden wir eine Umstellung der Unternehmen bewirken, sie werden sich dementsprechend anpassen. Auch die Verbraucher werden sich entsprechend anpassen. Ich sage Ihnen nochmals: Wo, glauben Sie, liegt die Zukunft des deutschen Automobilbaus? Daß es so bleibt wie bisher? Da wird immer gesagt, die Grünen fordern 5 DM für den Liter Benzin. Eine schreckliche Veranstaltung! Wenn sich diese Bundesregierung in einem Anfall von Vernunft dazu durchringen könnte, einen solchen Schritt über zehn Jahre in Gesetzesform umzusetzen, dann würden die Verbraucher und dann würde die Industrie unmittelbar reagieren. Im Endeffekt wären 100 gefahrene Personenkilometer nicht teurer, weil wesentlich weniger Sprit verbraucht würde. Die einzigen, die zu den Verlierern gehörten, wären die Mineralölkonzerne, die Ölscheiche, die Briten oder wer auch immer dieses Öl produziert. Warum wird das nicht gemacht? Wir hätten damit gleichzeitig die Möglichkeit, die Sozialversicherungssysteme zu entlasten. Sehen Sie sich die Zahlen doch an, zum Beispiel den wunderbaren Bericht des Freistaats Sachsen und des Freistaats Bayern über die Ursachen der Arbeitslosigkeit! Dort steht, wie sich die Lohnsumme in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung entwickelt. Sie wissen doch, daß die volkswirtschaftliche Bedeutung der Lohnsumme Jahr für Jahr abnimmt, daß sie in der Kumulation der nächsten Jahre weiter abnehmen wird und gleichzeitig die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zunehmen. Welchen Sinn macht es denn dann, dieses immer weiter abschmelzende Segment zu belasten, statt es zu entlasten? Eine Ökosteuer kann hier meines Erachtens einen wesentlichen Beitrag leisten. ({22}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen weiteren Punkt ansprechen: Das ist die Innovationsschwäche am Standort Deutschland. Herr Bundeskanzler, diese Innovationsschwäche werden Sie mit den Arbeitsplätzen in der Biotechnologie - Sie haben die Zahlen ehrlicherweise genannt - nicht überwinden. Es ist auch nicht eine Frage der Technikfeindlichkeit ein paar Grüner. Ich wollte, wir wären so stark, daß wir Helmut Kohl daran hindern könnten, irgend etwas zu klonen. Das schaffen wir leider nicht, das bekommen wir nicht hin. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist: Haben wir die Gelegenheiten, die sich geboten haben, wirklich genutzt? Sie haben in einer beeindruckenden Neujahrsansprache - ich habe alle 14 von Ihnen mitbekommen, eine sogar zweimal ({23}) zum erstenmal etwas getan, wozu wir Sie lange aufgefordert haben. Sie haben gesagt: Die Globalisierung der Wirtschaft, die dramatischen Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung und die ökologischen Aufgaben unserer Zeit sind Tatsachen. - Daraus sollten Sie endlich einmal Konsequenzen ziehen. Wir Deutschen können nicht einfach weitermachen wie bisher. Joseph Fischer ({24}) Da dachte ich mir: Warum sagt er das sechs Jahre zu spät, warum nicht am 3. Oktober 1990? Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, die deutsche Einheit ist ein großes Geschenk, und Sie werden in den Geschichtsbüchern als Kanzler der Einheit Erwähnung finden und - ich meine das überhaupt nicht ironisch und zynisch - Ihren Platz - ich meine, einen großen Platz -, haben. Aber ich frage mich: Warum sagen Sie das erst jetzt? Denn die Geschichte hat Ihnen eine Lokomotive der Veränderung für dieses Land geschenkt. Diese haben Sie in den Schuppen gestellt und dort verrotten lassen. Das ist das große Problem. ({25}) Heute müssen Sie unter Aufbietung von viel Energie das Ganze bewältigen. Vermutlich wird es Sie Ihre politische Existenz kosten. Wenn ich das heute richtig mitbekommen habe, dann sieht es sozusagen wie eine Kanzlerdämmerung aus. Da mögen Sie, Herr Bundeskanzler, lachen. Ich habe mir weniger Sie angeschaut als Ihre Truppen. Die Gesichter hätten Sie mal sehen sollen. ({26}) Die haben Bände gesprochen, trotz des Lärms, den Theo Waigel veranstaltet hat. ({27}) - War nicht schlecht. Ich komme gleich noch zu Ihnen und zu dem, was schlecht ist. ({28}) Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt ist ein anderer. Wir wollen das Defizit schließen. Die deutsche Einheit haben wir nicht genutzt, aber der Bereich des ökologischen Umbaus bietet eine Chance. Wir dürfen dort allerdings nicht weiter säumig sein und auf Projekte wie den Transrapid setzen. Das Ganze ist doch nicht so, wie es sich Klein Fritzchen vorstellt: ein gewaltiges Disneyland. Wir sind keine Gegner der Magnetbahnschwebetechnik gewesen. Nur, unsere Position war immer die: Die Rad-Schiene-Technik steht heute vor einem Quantensprung. Sie steht vor einem Quantensprung sowohl bezogen auf die Güterlogistik im Fern- und Nahverkehr als auch bezogen auf den Personennahverkehr, wo die meisten Verkehre stattfinden. Sie steht vor allen Dingen vor einem Quantensprung in der Hochgeschwindigkeitstechnik, in der dieses Land alles andere als schlecht ist und meines Erachtens in der Lage ist, Rückstände aufzuholen. Unsere Meinung war immer: Das Geld kann nicht zweimal ausgegeben werden. So wie wir in den 70er Jahren bei der Windenergie mit einem einzigen Vorzeigeprojekt, Growian, an der norddeutschen Küste einen Fehler gemacht haben, während die Dänen dezentrale Anlagen gebaut und verkauft haben - übrigens mit großem Exporterfolg -, so sind wir auch jetzt wieder, beim Transrapid, drauf und dran, einen Fehler zu machen. Denn er ist technisch nicht ausgereift, und die Probleme sind nicht gelöst. Vor allen Dingen paßt er nicht in das System, das wir jetzt brauchen, nämlich eine zweite Eisenbahnrevolution mit allen Investitionen, die eine solche notwendig macht. Sie halten am Transrapid fest, anstatt wirklich einmal die Frage des ökologischen Umbaus durchzudeklinieren: Erneuerung des Energiesystems, Lösung der Verkehrsprobleme - und das alles über eine ökologische Steuerreform. Es geht darum, die Weichen neu zu stellen, so daß die hiesige Automobilindustrie eine Zukunft im Wettbewerb mit den kommenden Konkurrenten aus Fernost hat. Das sind die Aufgaben, die jetzt angepackt werden müssen, um das Innovationsdefizit zu schließen. Dasselbe gilt für die Bankenstruktur und die Finanzierungsstruktur. Sie trauen sich nur an Halbheiten und Viertelheiten. Darin liegt das eigentliche Innovationsdefizit in diesem Lande. ({29}) Nun haben Sie sich ermannt ({30}) und haben den ersten Schritt zur notwendigen Reform gemacht. Herr Bundesfinanzminister, wir machen da nicht in Fundamentalopposition. Dann, wenn Sie die richtigen Dinge aufnehmen - wenn Sie das im Umweltbereich und bei der Ökosteuer täten, würden wir noch echte Waigel-Fans werden; das würde Ihnen bei Edmund Stoiber noch mehr Probleme machen, als Sie eh schon haben; ich gebe es zu -, werden wir Sie nicht nur kritisieren, sondern Sie auch unterstützen. Wir begrüßen den niedrigeren Eingangssteuersatz. Wir begrüßen nachhaltig auch die Beseitigung von Subventions- und Steuerumgehungstatbeständen. Wir sind bereit, mit Ihnen die Frage der Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen hier offen zu diskutieren. Dazu fand ich Ihren Beitrag sehr interessant. Sie fragten: Warum soll der Staat auf die Besteuerung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen verzichten? - Dann müssen Sie konsequent sein. Es hat, wenn Sie konsequent sind, zwei Folgen. ({31}) Die erste Folge sind höhere Löhne. Dann werden wir das, was die Diplomaten in Zukunft an Steuern zu zahlen haben, Herr Kinkel, im nächsten Haushalt draufsatteln müssen. Dann würde das Ganze Sinn machen, und dann hätte ich relativ wenig Probleme. Wenn es allerdings auf eine Lohnsenkung hinauslaufen würde, hätte ich sehr große Probleme. ({32}) Sie werden, wie ich unsere Gewerkschaften kenne, genau diesen Kostendruck auslösen. Das heißt, Sie werden das Gegenteil von dem erreichen, was Sie vorgaben erreichen zu wollen. Joseph Fischer ({33}) Das zweite ist: Dann müssen Sie natürlich auch bei Kollegen Blüm konsequent sein. Dann darf es nicht nur um die familienwirksamen Leistungen der Rentenkasse gehen; dann muß man vielmehr sagen: Okay, der Staat subventioniert nicht. Dann müssen aber alle versicherungsfremden Leistungen heraus; dann darf die kleine Solidargemeinschaft der Sozialversicherten nicht Lasten der großen Solidargemeinschaft der Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland übernehmen. ({34}) Das hat dann aber ganz unmittelbar Konsequenzen für Herrn Waigel, weil dann die Gegenfinanzierung seiner Tarifreform endgültig in unendliche Weiten rücken wird und er nicht mehr weiß, wie er mit diesen Haushaltslöchern umgehen soll. ({35}) Ich sage Ihnen, Herr Waigel: Sie müssen konsequent sein. Was wollen Sie denn haben? - Wir sind gern bereit, sowohl die eine als auch die andere Variante zu diskutieren. Nur, was wir nicht mitmachen werden, ist, das Motto „Wir wollen mehr Steuergerechtigkeit durch Besteuerung von Einkommensarten, die bisher nicht besteuert wurden" bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umzusetzen, während man die anderen schont. Ich habe einen guten Bekannten, der Immobilienmakler ist. Er hält eine Immobilie in der Regel 12 Jahre, bevor er sie gewinnbringend verkauft, was ihm zu gönnen ist. Er wird auch in Zukunft diesen Gewinn steuerfrei einstreichen können. Nein, Herr Waigel, Sie sind an diesem Punkt inkonsequent, oder Sie sind konsequent inkonsequent, nämlich nach Ihrem Muster: Wir nehmen es vor allen Dingen von denen, die lohnabhängig beschäftigt sind, und geben es denen, die mehr haben, die vor allen Dingen über Spitzeneinkommen verfügen und Vermögens- und Kapitaleinkünfte beziehen. ({36}) Dann müssen Sie konsequent sein. Ich weiß, warum Sie nicht konsequent sind. Ich komme jetzt zu Ihrem Petersberger Zukunftstarif. Eine schöne Sache. Ich sage Ihnen: Auch da verstehe ich Ihre Argumentation nicht. Ich höre Ihnen mit Genuß hier schon länger zu. Ich frage Sie: Warum haben Sie das nicht schon früher gemacht, wenn die These, die Sie vorbringen, richtig ist, wonach geringere Steuersätze zu mehr Steuereinnahmen führen? Dann müßten Sie wegen Steuerverhinderung zurücktreten. ({37}) Ich erinnere mich an Waigel-Reden, in denen er sagte: Das geht nicht. Das darf man nicht machen. Ich las in der Zeitung, welche großen Probleme auf uns zukommen und ähnliches mehr. - Es mag ja sein, daß es so etwas wie einen kleinen Selbstfinanzierungseffekt gibt. Sie werden trotzdem eine zeitliche Lücke zu überbrücken haben. Nun passiert etwas, was eigentlich nur im Science-fiction-Roman oder in der Bonner Koalition - wie wir jetzt feststellen - möglich ist: Theo Waigel begegnet sich selbst. ({38}) Der Steuersenker Waigel begegnet dem MaastrichtKriterien-Waigel. Daran kommt er nicht mehr vorbei. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann haben Sie ja vor allen Dingen gegen die bösen Italiener, Franzosen und andere durchgesetzt, daß die MaastrichtKriterien nachhaltig zu gelten haben. ({39}) - Wunderbar. Das steht im Vertrag. Gut. Dann frage ich Sie aber: Wie wollen Sie denn eigentlich dieses Waigelsche Weihnachtsfest finanzieren? Wir könnten uns gern mit vielem anfreunden, wenn Sie uns endlich sagten, wie Sie - Theo als Nikolaus oder Christkind verkleidet - diesen Tarif finanzieren wollen. Eines glauben wir Ihnen nicht - da stimme ich Oskar Lafontaine zu -, nämlich daß Sie die Steuersenkung, die Sie vor dem Wahltag verkündet haben, dann auch nach dem Wahltag durchführen werden. Nach dem Wahltag wird vielmehr aus dem Christkind ein sozialpolitischer Beelzebub. Das machen wir nicht; das wollen wir nicht. Wenn Sie ein solches Vertrauen in die solide Finanzierung Ihrer Steuerreform haben - ich hoffe in Ihrem Interesse, sie ist solide finanziert; ({40}) ich hoffe es; Sie wissen, sie ist nicht solide finanziert; deswegen kann ich es hoffen -, ({41}) dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie müssen damit vor die Wähler treten. ({42}) Haben Sie den Mut dazu! Sagen Sie den Leuten nicht nur, wo sie entlastet werden, sondern auch, daß Sie heute schon ein Defizit von 44 Milliarden DM haben. Sie müssen auch noch weitere kumulierte Risiken, unter anderem die Senkung des Solidaritätszuschlages und anderes, eventuell noch Maastricht-Turbulenzen und Ihre Haushaltslöcher, die 1996 in einer Deckungslücke von 18 Milliarden DM und 1997 in einer Deckungslücke von 10 bis 17 Milliarden DM bestehen, hinnehmen. Herr Waigel, ich hätte mir gewünscht, daß Sie, anstatt eine Fortsetzung Ihrer Rede zur Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst" - das war amüsant - zu bringen, zu einem Artikel des „Handelsblatts" von heute mit der Überschrift „FDP drängt auf Haushaltssperre" Stellung nehmen. Dort finde ich Dinge, die ich Ihnen gern vorlesen möchte, weil Sie so beredt dazu geschwiegen haben: Joseph Fischer ({43}) Wie weiter verlautete, lehnt Waigel den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geforderten Nachtragshaushalt 1997 nach wie vor ab. Nach Einschätzung von Koalitionskreisen könnte dies jedoch schwierig werden. Denn wegen der überplanmäßigen Neuverschuldung im letzten Jahr von 18,4 Mrd. DM sind die bisher von Waigel nicht ausgenutzten Kreditermächtigungen aus früheren Jahren von 21,6 auf 3,2 Mrd. DM geschmolzen. Jetzt hören Sie gut zu: Neben der für 1997 vorgesehenen Neuverschuldung von 53,3 Mrd. DM stehe Waigel damit nur ein Schuldenrahmen von insgesamt 56,5 Mrd. DM zur Verfügung. Waigel habe angedeutet, daß er deshalb eventuell Kredite im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1998 aufnehmen könnte. ({44}) Stimmt das? Es würde das Haus sicher interessieren, ob das stimmt, ob Sie wirklich mit dem Gedanken spielen. Nach dem Haushaltsgesetz ist das ab Oktober in Höhe von bis zu 6 % des diesjährigen Kreditrahmens von 56,5 Milliarden DM möglich. Da von dieser Vorgriffsermächtigung in der Geschichte der Bundesrepublik bisher kein Finanzminister Gebrauch gemacht hat, wäre dies freilich ein spektakulärer Akt. Die Haushaltspolitiker der Koalition sollen Waigel denn auch davon abgeraten haben, zumal auf diese Weise die Probleme nicht gelöst, sondern nur verschoben würden. ({45}) Das ist die Realität. Das heißt, der Herr der schwarzen Löcher diskutiert über Entlastungen in Höhe von weiteren 30 Milliarden DM, insgesamt von 44 Milliarden DM, vermutlich über 60 Milliarden DM, das aber gleichzeitig begrenzt durch das Waigelsche Diktum: strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien auch über das Bezugsjahr 1997 hinaus. Ich frage Sie: Wie soll denn das alles gehen? Sie dürfen doch nachts eigentlich gar nicht mehr schlafen können, wenn Sie Ihre Verantwortung ernst nehmen. Wie wollen Sie das alles gegenfinanzieren? ({46}) - „Mein Schlaf geht Sie wirklich nichts an." Da haben Sie völlig recht. Das ist das einzig Richtige, was Sie bisher beigetragen haben. Es ist doch völlig klar, worauf das hinauslaufen wird. Nach der Wahl, wenn die Löcher zugemacht werden müssen, würden Sie, wenn Sie an der Regierung bleiben würden, was ich nicht hoffe, alles selbstverständlich wieder einsammeln. Die Tarife würden zwar bleiben, aber was den Menschen heute als Entlastung verkauft wird, werden Sie über Steuererhöhungen - sprich: Mehrwertsteuererhöhung - wieder hereinholen. Ich kann Oskar Lafontaine nur nachdrücklich zustimmen. Daß wir Massenkaufkraft abschöpfen, um den Spitzeneinkommenstarif zu entlasten - und das hieße, dort die Anlageschwierigkeiten zu erhöhen -, ist ökonomisch absurd und sozialpolitisch ein Skandal. Diese Vorgehensweise ist absurd. ({47}) Es wird zu neuen Haushaltskürzungsrunden führen. Es wird dazu führen, daß wir Investitionen weiter kürzen: noch weniger Wissenschaft, noch weniger Forschung, noch weniger Rüttgers. Lesen Sie sich einmal durch, was die Präsidenten der wichtigsten Forschungsinstitute gesagt haben. Es geht zu Lasten der Zukunft. Ich sage Ihnen: Es wird auch zu Lasten der sozialen Transfers gehen, so daß am Ende wieder die Bezieher von unteren und mittleren Einkommen diejenigen sind, die gekniffen werden, die von dieser Koalition gebissen werden. Davor kann ich nur warnen. Deswegen: Wir sind für eine Steuerreform, aber sie soll aufkommensneutral sein. Wenn die Tarife nicht finanzierbar sind, dann muß man das sagen. Wir halten es für besser, das Geld über eine Ökosteuerreform direkt in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu geben. Es ist wichtiger, zu einer Absenkung bei den Lohnnebenkosten, die wirklich wirkt, zu kommen; denn das wäre ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort. Wir sind jedoch entschieden dagegen, eine Steuerreform zu machen, die das Gegenteil von solide finanziert ist und die letztendlich auf einen gigantischen Wählerinnen- und Wählerbetrug hinausläuft, nämlich: vor den Wahlen die Entlastung zu versprechen und nach den Wahlen alles zu Lasten derer wieder einzukassieren, die in diesem Land die wirklichen Leistungsträger sind, und die wählen nicht die F.D.P. ({48})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Veränderungen und Reformen protestieren immer viele. Das muß man erwarten, darauf muß man sich einstellen. Wenn man Staatsausgaben absenken will, protestieren Wohngeldberechtigte, Bergleute und viele erhaltungssubventionierte Bereiche. Bei einer konsequenten Steuerreform protestieren all diejenigen, die bisher in diesem Dickicht relativ bequem gelebt haben. Bei der Gesundheitsreform - das wissen wir - protestieren Teile der Ärzteschaft, die Belegschaften der Krankenhäuser und Teile der Pharmaindustrie. Bei der Individualisierung der Arbeitsbeziehungen protestieren die Gewerkschaften und manche Arbeitgeber. Gegen die 4 Millionen Arbeitslosen protestieren alle, aber wir müssen eine Steuerreform in Gang setzen, und zwar nicht für die Verteilung zwischen denen, die Beschäftigung haben, sondern als Chance für die, die Beschäftigung suchen. Darum geht es uns bei unserem Vorhaben. ({0}) Im „Bulletin" der Bundesregierung - Herr Kollege Fischer, daran erinnere ich mich, wenn Sie hier Zahlen vortragen und gemeinsam mit Herrn Lafontaine beschwören, was alles nicht geht - schrieb Ludwig Erhard 1953: Bei der Beurteilung der sich aus der Aufgabe ergebenden Situation drängt sich geradezu ein Vergleich mit den Problemen auf, die im Jahre 1948 mit der Währungsreform und der gleichzeitig erfolgten wirtschaftspolitischen Umschaltung von Plan- und Zwangswirtschaft zur Marktwirtschaft zu lösen waren. Gerade ich weiß ein Lied davon zu singen, wie man mir damals mit Hilfe von Statistiken, graphischen Darstellungen, Rohstoffbilanzen, Produktions- und Verbrauchszahlen, Außenhandelszahlen scheinbar schlüssig und rational die Unmöglichkeit der Aufhebung der Bewirtschaftung, der Rationierung und der Preisbindungen beweisen wollte. Von der Schau der Planwirtschaft aus waren diese Zahlen und die darauf gestützten Prognosen zweifellos auch nicht zu widerlegen. Dann kommt der entscheidende Satz: Angreifbar war allein die geistige Grundhaltung dieser Konzeption, die den gesellschaftswirtschaftlichen Prozeß lediglich als das Ergebnis oder eigentlich nur als Addition von wirtschaftlichen Zahlen und materiellen Fakten begriff, ohne die hinter dem Geschehen wirksamen menschlichen Kräfte in das Kalkül einzubeziehen. ({1}) Das ist der Unterschied zwischen Ihnen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, und Ihnen, Herr Fischer, und der Koalition. Sie argumentieren strukturell sklerotisch, während wir Vertrauen auf Dynamik setzen, die wir in Gang setzen wollen. Das ist der Unterschied. ({2}) Unser Land hat entscheidende Standortvorteile. Wir haben eine hochleistungsfähige medizinische Versorgung. Wir haben - bei allen Problemen - ein gutes Bildungssystem mit einem großen öffentlichen Angebot. Wir haben hochqualifizierte Arbeitnehmer und eigentlich alle Chancen. Aber wir haben eben auch entscheidende Nachteile, die in einer zu hohen Steuer- und Abgabenlast liegen und, wie wir bei dem Festvortrag anläßlich des 100. Geburtstages von Ludwig Erhard hören konnten, noch nicht einmal allein in der Steuer- und Abgabenlast, sondern in der Strangulierung aller Lebensbereiche, die wir uns in Deutschland angelacht haben. ({3}) Das sind die beiden Kernfragen. Deshalb sage ich Ihnen: All das, Herr Ministerpräsident Lafontaine und Herr Fischer, was Sie vorgetragen haben, ist doch ausprobiert worden. Die Frühverrentung ist ausprobiert worden, die Wochenarbeitszeitverkürzung ist ausprobiert worden, die Erhöhung der Sozialhilfe, die Arbeitslosenhilfe, das Arbeitslosengeld, alles, was soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit bedeutet, ist ausprobiert worden. Aber wir haben 4 Millionen Arbeitslose. Gescheitert sind sozialdemokratische Rezepte der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Das muß klar genannt werden. ({4}) - Sie kann ich hier nicht überzeugen, Herr Fischer, vielleicht aber diejenigen, die hier zuhören und sich informieren. Deshalb möchte ich hier noch einmal sagen: Wissen Sie eigentlich, wie Beschäftigung in Deutschland entsteht und wer Arbeitsplätze in Deutschland schafft? Das ist nicht der öffentliche Haushalt, und das ist nicht ein Beschäftigungsprogramm, das Frau Engelen-Kefer wünscht. In Deutschland schaffen Menschen Arbeitsplätze, die ihr Vermögen zusammennehmen, sich bei der Bank einen Kredit holen, darauf schon Gewerbesteuer nach Kapital bezahlen, bevor sie ein Produkt oder eine Dienstleistung verkauft haben, manche schlaflose Nacht darüber verbringen, wie die Auftragslage im nächsten Vierteljahr aussehen wird, von sozialdemokratischen Bürgermeistern im Gewerbegebiet der Gemeinde beglückwünscht werden, wenn sie den Betrieb erweitern, und abends in der Versammlung der Genossen noch mehr zur Ader gelassen werden sollen, obschon am nächsten Tag derselbe Bürgermeister sie darauf anspricht, ob sie nicht einen Ausbildungsplatz für seinen Enkel oder seinen Sohn hätten. Das ist unehrlich. ({5}) Solchen Sozialdemokraten begegne ich überall, und die sollen mir nicht etwas von Gerechtigkeit und Solidarität erzählen. Solidarität hat etwas damit zu tun, ob man sich mit denen solidarisch erklärt, die Arbeit suchen, oder ob man sich in Tarifverhandlungen mit denen solidarisch erklärt, die Arbeit haben. Für die Freien Demokraten erkläre ich: Lohnzurückhaltung ist der tiefste Ausdruck einer Solidarität mit denen, die Arbeit suchen, und kein spätkapitalistisches Instrument. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. - Die Reform der notwendigen Systeme ist nicht ein Ausdruck derer, die Menschen ans Leder wollen, sondern derer, die wissen, daß die Sicherungssysteme, die wir uns geschaffen haben, heute Barrieren gegen Arbeitsplätze darstellen und deshalb reformiert werden müssen, um wieder Chancen für Arbeitsplätze zu haben. Deshalb ist die Politik der Übernahme der Risiken durch den Staat und die Politik des Glaubens, der Staat könne alles lösen, beendet. Die Parteien, Herr Ministerpräsident Lafontaine, stehen auch vor dieser Herausforderung. Ich sage Ihnen mit Blick auf den hessischen Kommunalwahlkampf: Alte Wahlkämpfe nach dem Motto: Wer bietet mehr? gehören der Vergangenheit an. ({0}) Wer sie noch führt, sagt den Menschen nicht die Wahrheit. Wer in Hessen einen solchen Wahlkampf mit dem Hinweis führt, wir seien brutal und Sie seien die Retter der Systeme, der sagt der nachfolgenden jungen Generation nicht die Wahrheit. Denn wenn wir Systeme nicht ändern, wird diese Generation keine Zukunftschancen haben, und wenn wir Sicherungssysteme in den Beiträgen nicht reduzieren und explosive Kostenentwicklungen nicht herausnehmen, werden Arbeitsplätze teurer. Dann werden die nächsten Tarifverhandlungen wieder mit dem Argument geführt, daß man mehr brauche, dann werden sie nochmals teurer, dann entsteht Arbeitslosigkeit, und dann sagt Frau Engelen-Kefer wieder: Jetzt brauchen wir ein großes Beschäftigungsprogramm. - Diese deutsche Todesspirale der Uninformiertheit muß beendet werden, wenn wir in Deutschland wieder Beschäftigung haben wollen. ({1}) Es kann deshalb auch bei der Steuerreform kein In-sich-Geschäft geben. Die Steuerreform wird nicht gemacht, um noch einmal Umverteilungsarien alter Art zu singen. ({2}) Die Steuerreform wird gemacht, um einen Anschub für Beschäftigung zu geben. ({3}) - Deshalb, Herr Fischer, ist die Frage, ob man sie mit gutem Willen und in vielen Gesprächen über die Grenzen von Parteien hinweg vielleicht auch 1998 beginnen lassen könnte, nicht entscheidend. Bisher hat Herr Lafontaine nur gesagt, was er nicht will, aber das mit aller Kraft 1998. Er muß sagen, was er will. Eine Steuerreform der alten Umverteilung ist zu Beginn 1998 mit uns nicht zu machen. ({4}) Über eine Steuerreform, die die Chance für Beschäftigung bietet und die Tarife absenkt, kann man für 1998 reden. Aber dann kann man die Öffentlichkeit nicht glauben machen, man könne diese Diskussion ohne Korrektur der eigenen politischen Position bestreiten. Der Spitzensteuersatz ist nur noch einige Zeit einer ideologischen Diskussion zugänglich. Wenn man sich im Kern vergewissert, daß 90 Prozent aller deutschen Betriebe in Form der Personengesellschaft geführt werden, bei der der Inhaber das persönliche Risiko bis in sein privates Vermögen hinein eingeht, dann ist die Senkung des Spitzensteuersatzes für gewerbliche Einkommen keine Besserstellung der Reichen, sondern der Ausdruck der Chance für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Darum geht es. ({5}) Im übrigen könnten wir auch etwas unvoreingenommener über versicherungsfremde Leistungen diskutieren. Ich erkläre das für die Freien Demokraten. Natürlich muß man bereit sein, in Systemen über versicherungsfremde Leistungen zu diskutieren. Aber man muß sie klar definieren. Nur Verschiebebahnhöfe - zu meinen, man nähme versicherungsfremde Leistungen heraus und hätte dann den entscheidenden Impuls für Beschäftigung gegeben - reichen nicht. Die Systeme selbst müssen verändert und reformiert werden. ({6}) Im übrigen gilt das nicht nur bei der gesetzlichen Altersversorgung. Versicherungsfremde Leistungen finden wir in allen Systemen bis hin zum Gesundheitswesen. Da werden Sie von der Opposition sich wundern, welche gesellschaftlichen Rechnungen über versicherungsfremde Leistungen Ihnen andere Gruppen aufmachen. Ich kann deshalb nur appellieren, hinsichtlich der versicherungsfremden Leistungen nicht im Schlagabtausch zu verharren, sondern sie gemeinsam zu definieren. Und dann sage ich der Opposition: ({7}) Sie wird nicht darum herumkommen, eine der größten Haushaltsbelastungen plus Versicherungsbezuschussungen in Deutschland auch in den Kohlerevieren zu diskutieren. 13,8 Milliarden DM für die Knappschaft plus 10 Milliarden DM für die Steinkohle betreffen nicht nur das Thema versicherungsfremde Leistungen, sondern sind eine Vergeudung der Zukunft auf Kosten der Vergangenheit. Diese Frage muß beantwortet werden. ({8}) Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie können nicht aus dem Saarland anreisen und dauernd die Frage stellen, warum das die Bundesregierung erst heute macht. Sie kommen aus einem Revierland, in dem Sie seit einem Jahrzehnt den Menschen die Wahrheit über ein Produkt verschweigen, das bei IhDr. Wolfgang Gerhardt nen Beschäftigung garantiert, das aber von allen in Deutschland hoch subventioniert wird. Wer den Mut im eigenen Land nicht hat und eher angereiste Bundespolitiker aus der Koalition vor den Bergleuten beschimpft und angreift, der hat nicht den Glauben für sich gepachtet, der kann hier nicht so auftreten, wie Sie das getan haben. ({9}) Wer Subventionen für den Bergbau nicht reduziert, wer alte Subventionen sichert, wer dazu den Bund zur Kasse bittet, wer für das Saarland Ergänzungszuweisungen benötigt, wer seinen eigenen Haushalt nicht in Ordnung hält und Reformpolitik nicht im entferntesten benennt, der kann hier nicht als Retter der Nation auftreten. ({10}) Eine Auseinandersetzung über Ihre Position, daß auf der einen Seite - bei der Opposition - diejenigen sitzen, die den sozialen Frieden gepachtet haben, und hier auf der anderen Seite diejenigen sitzen, die ihn nicht wollen, findet nicht statt. Sozialer Friede ist nur dann ein Standortfaktor, wenn er sich auch für diejenigen lohnt, die Beschäftigung suchen. Sozialer Friede nur für diejenigen, die Beschäftigung haben, reicht nicht aus. Deshalb ist sozialer Friede kein Monopol dieser Opposition. Solidarität und Gerechtigkeit mit denjenigen, die einen Arbeitsplatz haben, und Tarifverhandlungen für diejenigen, auf die sich diese Tarife beziehen, zu begrüßen ist das Einfachste der Welt. Den Menschen aber zu sagen, daß sie sich verändern müssen, daß wir Flächentarifverträge für eine Flexibilisierung öffnen müssen und daß die sozialen Sicherungssysteme angesichts von 4 Millionen Menschen, die Beschäftigung suchen, reformiert werden müssen, das kostet mehr Mut, mehr Courage. Diese muß die Koalition haben. Das sage ich auch angesichts der Diskussion der letzten Tage. Diese Koalition wird in den Augen der Öffentlichkeit nur Respekt gewinnen und Anerkennung finden, wenn sie schwierige Fragen löst, wobei sie, wenn die Fragen entschieden worden sind, aber auch durchhalten muß. ({11}) Diese Steuerreform ist kein beliebiges Vorhaben. Sie ist kein Vorhaben wie jedes andere Gesetz. Diese Steuerreform entscheidet darüber, ob die Koalition in den Augen der Öffentlichkeit die Fähigkeit besitzt, dieses Land mit den richtigen Zielen in das nächste Jahrtausend zu führen, oder ob sie sie nicht hat. Deshalb ist bei allen kritischen Bemerkungen zu dem einen oder anderen Punkt der Zusammenhalt von CDU/CSU und F.D.P. hinsichtlich der Ziele dieser Reform notwendig. Die Richtung stimmt. Wir haben die richtigen Grundentscheidungen getroffen. Wir wußten, daß es nicht nur seitens der Opposition Widerstand geben wird. Wer geglaubt hat, das werde ein einfacher Weg, der hat sich getäuscht. Nicht die einfachen Wege, die alten Bequemlichkeiten, die Nichtveränderung und die Modernisierungsverweigerung werden dieses Land weiterbringen, sondern etwas Courage, Mut und auch etwas Kampfgeist. Die Richtung stimmt. Im Interesse der Beschäftigung in Deutschland sollten wir unsere Vorstellungen jetzt auch durchsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat heute eine Rede gehalten, die weniger selbstgerecht war als üblich. Sie haben sich wesentlich häufiger versprochen als sonst. Ich hatte den Eindruck, daß Sie insgesamt ziemlich unsicher wirkten. Ich glaube, das liegt letztlich daran, daß Ihnen die Probleme einfach über den Kopf wachsen. ({0}) Deshalb natürlich auch die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen. Folgendes stellt sich heraus: Die CDU liebt selbstverständlich ihren Vorsitzenden, aber sie liebt noch mehr die Macht. Wenn beides miteinander in Widerspruch gerät, dann würde sie sich letztlich immer für die Macht entscheiden. Das ist die Situation, in der wir uns heute befinden. ({1}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben versucht, die strukturellen Probleme der Arbeitslosigkeit zu analysieren, und haben dabei zwei Dinge genannt: Sie haben zum einen die Ausländerinnen und Ausländer erwähnt. Sie haben sie als Zuwanderer bezeichnet. Zum anderen haben Sie auf die Überstunden hingewiesen. Bei dem ersten Punkt, den Sie angeführt haben, spielen Sie mit dem Feuer. ,Man sollte in Deutschland nicht versuchen, soziale Probleme auf Kosten von Ausländerinnen und Ausländern zu lösen. ({2}) Wer diese Art von Neid schürt, befürwortet und fördert damit Rechtsextremismus. Das ist das eigentlich Gefährliche daran. Wenn Sie sich dabei auf Herrn Zwickel berufen, sage ich Ihnen, daß mir die Äußerung von Herrn Zwickel auch nicht gefallen hat. Immerhin hat er von Ihnen in diesem Zusammenhang ein Einwanderungsgesetz verlangt. Gegen ein solches Gesetz wehren Sie sich nun seit Jahren, weil Sie abstreiten, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. ({3}) Die zweite Frage, die Sie genannt haben, ist die der Überstunden. Nun verlangen Sie von der PDS und von anderen immer Ehrlichkeit in der Aufarbeitung von Geschichte. Ich hätte von Ihnen einmal erwartet, daß Sie sagen: Wir haben seit Jahren einen Fehler begangen. Denn wir haben uns gegen den Ratschlag der Opposition - übrigens auch der PDS -, die immer wieder gesagt hat, wir müßten Überstunden begrenzen, um Arbeitsplätze zu schaffen, verwahrt. Heute sehen wir ein, daß das ein großer Fehler war, und wollen unsere Politik korrigieren. - Ehrlicherweise hätten Sie wenigstens das zugeben müssen, wenn Sie dieses Thema ansprechen. ({4}) Damit sind wir bei der entscheidenden Frage - Strukturprobleme haben Sie nicht angesprochen -: Produktivitätszuwachs und Schwächung der Binnennachfrage. In immer weniger Zeit wird von immer weniger Menschen immer mehr hergestellt. Das ist eine Tatsache, der man sich überhaupt nicht verschließen kann. Gleichzeitig läßt die Binnennachfrage nach. Das ist die eigentliche Ursache der Massenarbeitslosigkeit. Wenn Sie dagegen etwas tun wollen, müssen Sie ganz ernsthaft über Arbeitszeitverkürzung nachdenken, und zwar strukturell: durch Begrenzung von Überstunden, aber auch durch darüber hinausgehende Maßnahmen. Wir haben vorgeschlagen, langfristig die Arbeitszeit um 20 Prozent zu reduzieren, ohne einen Kaufkraftverlust eintreten zu lassen, was nicht heißt, daß in jedem Fall ein voller Lohnausgleich erfolgen kann. ({5}) Auf solche Konzepte müssen wir uns miteinander verständigen, wenn wir die Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen wollen. In einer solchen Zeit brauchen wir einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Auch dagegen wehren Sie sich. Aber wenn der Staat in diesem Punkt - daraus könnten langfristig Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen - nicht hilft, dann wird die Arbeitslosigkeit nicht abzubauen sein. Sie hätten heute wenigstens zugeben müssen, daß Sie Ihr Versprechen, die Arbeitslosenzahlen bis zum Jahre 2000 zu halbieren, nicht halten können. Zur „Philosophie", die Sie hier vertreten und die auch von Herrn Gerhardt vertreten worden ist: Herr Gerhardt, es ist schon eine Zumutung, wie Sie die ganze Zeit von den Arbeitslosen sprechen, als ob das wirklich Ihr Herzblut treffen würde. Ihre einzige Sorge in dieser Gesellschaft sind die Besserverdienenden. Reden Sie sich bei Ihrer Politik nicht auf die Arbeitslosen hinaus! Für die haben Sie in den vergangenen Jahren noch nie etwas getan. ({6}) - Passen Sie auf: Sie haben erklärt, Herr Gerhardt, daß zum Beispiel die Abschaffung der Vermögensteuer Arbeitsplätze schaffen würde. Nun haben Sie die Vermögensteuer abgeschafft und prognostizieren selber, daß es in diesem Jahr mehr Arbeitslose geben wird. Sie glauben doch gar nicht an Ihre eigenen Theorien, sonst müßten Sie doch sagen: Das wird einen ungeheuren Schub bei der Schaffung von Arbeitsplätzen geben. ({7}) Aber Sie wissen natürlich, daß das nicht so ist. Im übrigen hat auch der Bundeskanzler noch einmal einen billigen Trick versucht, als er gesagt hat, daß Sie zwar die Vermögensteuer abgeschafft, dafür aber die Erbschaftsteuer erhöht hätten. Darf ich in dieser Runde noch einmal fragen, für wie dumm Sie die Bevölkerung eigentlich halten? Die weiß auch, daß man Vermögensteuer jährlich bezahlen muß, Erbschaftsteuer aber nur einmal im Leben, nämlich wenn man stirbt. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Steuerarten. ({8}) Die Entsolidarisierung, die Sie, Herr Gerhardt, betreiben, finde ich wirklich übel. Die ganze Bevölkerung gegen die Kohlekumpel aufzuhetzen, das ist unfair. Wir brauchen Kohle. Deshalb ist es richtig, daß sie subventioniert wird, wobei man sich über Summen und Entwicklungen natürlich verständigen kann. Aber es geht nicht, die Kohlekumpel zu denen zu machen, die auf Kosten der gesamten Gesellschaft leben würden! Es würde sich gehören, zunächst einmal an die Abgeordneten zu erinnern, die in diesem Staat wahrscheinlich stärker auf Kosten der Gesellschaft leben als die Kohlekumpel. ({9}) - Sie müssen einmal den „Stern" lesen. Was glauben Sie, was es für Auswirkungen hat, wenn der „Stern" ausrechnet, wieviel Steuerersparnisse Herr Waigel durch seine eigenen Vorschläge hat und wieviel Steuerersparnisse ein Facharbeiter hat! Dabei kommt ein Unterschied von mehreren tausend Mark heraus. Das ist doch das, was in der Bevölkerung das Ansehen der Politikerinnen und Politiker beschädigt. ({10}) - Ja, zweifellos; ich bin gar nicht erst eingezogen. ({11}) - Ach, Frau Kollegin, wissen Sie, Sie können mir ja vieles vorwerfen, aber wenn das in dieser Hinsicht gerade ein Mitglied der F.D.P. tut, ist das mehr als merkwürdig. Wenn Sie doch endlich mal Ihre Politik aufgeben würden: Ihren reinen Lobbyismus, Ihre Klientelpolitik! Das ist das Verheerende! Sie machen hier keine Politik für das Volk, sondern für 5 Prozent des Volkes, und das ist nicht Ihre Aufgabe in diesem Deutschen Bundestag! ({12}) Nun kommen wir mal zur vorgeschlagenen Steuerreform, an der das Kleingedruckte das Interessante ist. Der niedrige Eingangssteuersatz für untere Einkommen ist zweifellos zu begrüßen. Aber die so entstehende Entlastung wird fast vollständig durch andere Steuern, die Sie einführen, die Sie nur nicht so propagieren, wieder aufgezehrt: Krankengeld wurde bisher nicht besteuert, es soll künftig zur Hälfte beDr. Gregor Gysi steuert werden. Arbeitslosengeld wurde faktisch bisher kaum besteuert - es soll künftig zur Hälfte besteuert werden. Arbeitslosenhilfe wurde bisher nicht besteuert - sie soll künftig zur Hälfte besteuert werden. Bei den gesamten Lohnersatzleistungen, die bisher im wesentlichen nicht besteuert worden sind, soll künftig also eine Besteuerung stattfinden. Die Renten wollen Sie ebenfalls besteuern, auch die, die bisher nicht besteuert worden sind, auch die Sozialversicherungsrenten. Und Sie wollen die Kapitallebensversicherungserträge besteuern. Auf der einen Seite sagen Sie den Leuten täglich, ihr müßt selber Vorsorge treffen, wir können euch die Renten später nicht mehr zahlen, und im gleichen Atemzug erklären Sie: Aber wenn ihr das macht, werden wir eure Gewinne entsprechend besteuern, damit wir der Nutznießer eurer privaten Vorsorge sind. - Das ist Ihre Politik! ({13}) Wenn man das zusammennimmt und sich dann noch überlegt, daß die sogenannte Arbeitnehmerpauschale von 2 000 DM auf 1 300 DM gekürzt werden soll, daß das Entgelt für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit künftig besteuert werden soll, dann reduzieren sich die Vorteile für die unteren Einkommensgruppen ganz enorm. Und die mittleren Einkommensgruppen sind die, die das Ganze dann zu bezahlen haben. Diesmal gehen Sie auch an die sozial Schwachen, aber vornehmlich gehen Sie an die Facharbeiterinnen und Facharbeiter, also an die, die auch von Herrn Lafontaine hier genannt worden sind. Diesmal gehen Sie bei der Finanzierung Ihrer Pläne vorrangig an die Lohnabhängigen der mittleren Einkommensgruppen. Und vor diesem Hintergrund wollen Sie dann den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 39 Prozent senken und kommen wieder ernsthaft mit der Mär, daß dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden würden - Herr Gerhardt hat es lang und breit ausgeführt -, weil die so Entlasteten dann massiv investieren würden. Tatsache aber ist: Seit 14 Jahren bekommt diese Personengruppe von Ihnen Steuergeschenke, seit 14 Jahren nehmen übrigens auch die Gewinne der Unternehmen zu - im letzten Jahr ganz enorm -, aber die Zahl der Arbeitslosen hat gleichermaßen zugenommen. Das heißt, Ihre Politik ist gescheitert. Durch die Geschenke an Vermögende und Reiche und durch immer höher steigende, undifferenzierte Unternehmensgewinne erreichen Sie keinen Arbeitsplatzschub. Das ist durch das Leben widerlegt. Deshalb brauchen wir nicht nur einen Wechsel der Regierung, sondern auch einen Wechsel der Politik. Das ist das Entscheidende! ({14}) Jetzt haben wir mal gerechnet; ich werde Ihnen sagen, was dabei herausgekommen ist. Man macht sich ja auch Mühe. - Also, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir das natürlich ausgerechnet, aber ich kann mich immer auf sie verlassen. Wir haben mal ausgerechnet, wie sich Ihre Steuerreform bei einer Bürokauffrau auswirkt, die 40 000 DM zu versteuerndes Jahreseinkommen hat, verheiratet ist und zwei Kinder hat. Wissen Sie, was die im Jahr an Steuern spart, wenn Ihre Reform so durchgeht? Sie spart 76 DM. Und dann haben wir uns ausgerechnet, was ein Einkommensmillionär einspart, der also 1 Million DM zu versteuerndes Einkommen hat, ledig ist und keine Kinder hat. Der spart 127 164 DM ein. Und jetzt bitte ich Sie, der Bevölkerung zu erklären, daß die Bürokauffrau - verheiratet, zwei Kinder - nach Ihrer Steuerreform 76 DM im Jahr spart, während der ledige, kinderlose Einkommensmillionär 127 164 DM spart. Das müssen Sie erklären! Und im übrigen: Das Entscheidende erreichen Sie damit nicht, nämlich mehr Nachfrage. Der Einkommensmillionär ist schon gesättigt, der kann einfach nicht mehr essen und trinken. Der hat schon sein Haus und seine drei Autos. Da gibt es keinen Kaufkraftschub. Das einzige, was er tut, ist: Er legt sein Geld bei Banken an, weltweit, er spielt damit an der Börse, schafft aber keinen einzigen Arbeitsplatz: Und die Gewinne, die er daraus erzielt, besteuern Sie nicht, weil Sie an die Spekulation nicht rangehen. Das ist die Realität! ({15}) Ich gebe zu, die Bürokauffrau wird die 76 DM, die sie zusätzlich hat, auch ausgeben. Aber diese 76 DM bringen nicht den Kaufkraftschub, den wir brauchen. Ihre ganzen Reden von Existenzgründerinnen und Existenzgründern, vom Mittelstand und von kleinen Unternehmen können Sie sich schenken. Solange nicht die Kaufkraft erhöht und die Binnennachfrage gestärkt wird, wird es auch keine erfolgreichen neuen Existenzgründungen geben. Wo sollen die denn etwas verkaufen, wenn Sie täglich die Kaufkraft reduzieren, indem Sie den sozial Schwachen und den Lohnabhängigen das Geld aus der Tasche ziehen? ({16}) Das ist doch das Problem und nicht, daß die keine Ideen hätten. Aber die müssen sich auch verkaufen lassen. Davon sind wir wirklich meilenweit entfernt. Deshalb sage ich Ihnen: Mit dieser Steuerreform werden wir keinen Schritt weiterkommen. Wir werden die Probleme nur vergrößern, und die Arbeitslosenzahl wird weiter wachsen. Lassen Sie mich auch etwas zu Ihrer Rentenreform sagen: Sie haben das Wort „Solidarprinzip" aus der Rentenphilosophie gestrichen. Sie haben es nicht einmal mehr erwähnt. Sie haben nur noch vom „Versicherungsprinzip " gesprochen. Ich finde es ungeheuerlich, daß hier Politik zu Lasten der Alten gemacht wird, die wirklich alles aufgebaut haben. Lassen Sie mich hinzufügen: Genau die Reste des Solidarsystems, die Sie bewahren wollen - das billige ich Ihnen ja zu -, stoßen in Ihren eigenen Reihen auf Widerspruch. Da sollten Sie tatsächlich einmal über Konsequenzen nachdenken. Lassen Sie mich noch einen Satz zum Osten sagen: Der Bundeskanzler hat in seiner langen Regierungserklärung nur noch einen Satz für den Osten übrig gehabt, der beinhaltete, daß die Hilfen im Osten weitergehen. Unverbindlicher kann man es nicht formulieren. Sie haben die Chancen der Einheit nie zu Veränderungen in der Bundesrepublik genutzt, die angestanden hätten. Sie haben den Osten in vollständige Abhängigkeit gebracht. Jetzt kann dort von wirtschaftlichem Aufschwung überhaupt keine Rede mehr sein. Ein Land wie Sachsen zum Beispiel wäre bei entsprechenden Hilfen - leichter als Mecklenburg-Vorpommern; daß es da Unterschiede gibt, will ich schon zugeben - in der Lage, sich selbst zu tragen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt. Wenn Sie so weitermachen, wird das auch nicht passieren. Sparvorschläge gibt es genug. Natürlich müssen wir die Ausgaben des Staates reduzieren; natürlich müssen wir Bürokratie abbauen; natürlich können wir uns ein solches Projekt wie den Transrapid nicht mehr leisten, das ist einfach verschwendetes Geld. Prunkbauten für die Regierung in Berlin brauchen wir auch nicht; das will ich auch ganz deutlich formulieren. Statt dessen sollten wir auch im Osten in Strukturpolitik, in regionale Strukturen, aber auch in einen öffentlichen Beschäftigungssektor investieren. Das wäre sinnvoll; aber davon sind wir meilenweit entfernt. ({17})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Letzter Satz. - Wenn Sie noch an einem weiteren Punkt sparen wollen, dann mache ich Ihnen einen Vorschlag: Befreien Sie uns von dem Übel, daß die Kriegsverbrecher Kriegsopferrenten bekommen. Das sind keine Opfer des Krieges, das sind die Verbrecher des Krieges. Streichen Sie diese Gelder! Damit könnten wir Nützliches machen. ({0}) Und erinnern Sie Daimler-Benz daran,

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- daß sie nicht nur 250 000 DM Spende an die CDU überweisen sollen, sondern endlich ihre Steuern zahlen sollen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz wieder passablen Wachstums von 2,5 Prozent haben wir in Deutschland mehr als 4 Millionen Arbeitslose. Das ist eine bedrückende Zahl. Aber wir sollten uns bei einer solchen Debatte zunächst einmal zugute halten, daß wir in der Zielsetzung, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen, übereinstimmen. Wir streiten über den richtigen Weg. Da werden allerdings verbale Kraftakte und Allgemeinplätze keinen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen. Das ist im allgemeinen Ausdruck großer Sprachlosigkeit. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, kritisieren unser Konzept. Aber nicht nur deshalb darf ich Sie einmal fragen, welches in sich stimmige und schlüssige Konzept Sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben. Ich kenne dieses Konzept nicht. Entweder sind Ihre Vorschläge Plagiat, oder sie verlieren sich im Detail, oder sie folgen der Illusion von der politischen Gestaltbarkeit weltwirtschaftlicher Abläufe, oder sie folgen der Vorstellung von der Stärkung der Binnennachfrage als Konjunkturmotor. Das sind Vorstellungen aus den 70er Jahren, die unter den heutigen verschärften internationalen Wettbewerbsbedingungen nicht mehr tragen. ({0}) Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor - ich kann das nachvollziehen -, daß wir bei der Erreichung des Ziels Senkung der Arbeitslosigkeit noch nicht weit genug sind. Ich sage Ihnen, die Arbeitslosigkeit hat mannigfache Gründe, weltwirtschaftliche und innenpolitische. Ich mache es mir da beileibe nicht leicht. Aber eine entscheidende innenpolitische Ursache ist, daß unsere Reformvorhaben immer wieder auf erbitterten Widerstand im Bundesrat stoßen. Wichtige Vorhaben kommen auf Grund Ihrer Blockadehaltung nicht voran oder werden verwässert. ({1}) Ich nenne die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes oder auch die dritte Stufe der Gesundheitsreform. 2,5 Prozent Wachstum sind realistisch. Das bestätigen im übrigen der Sachverständigenrat und die meisten Institute. Das ist eine gute Perspektive. Aber sie reichen bei weitem nicht aus, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Die Meßlatte für den Erfolg auf den Märkten der Welt, für Beschäftigung und Wachstum in unserem Land liegt heute höher als in den vergangenen Jahrzehnten. Wer sieht, was in den Wirtschaftszonen beispielsweise Südchinas, im indischen Programmierzentrum Bangalore, in Thailand oder in Singapur passiert, der weiß, worum es geht. Deutschland ist in vielem noch ein guter Standort. Aber Deutschland ist einer unter vielen, und er steht im Wettbewerb. Es kann heute - wie wir wissen - für ein Unternehmen sinnvoll sein, ein Produkt in Deutschland zu konzipieren, das Design in Italien zu entwerfen, die Werbekampagne beispielsweise in den USA zu machen, die verschiedensten Bauteile aus verschiedenen Ländern zu beziehen und das Produkt schließlich - ich sage einmal - in Malaysia zusammenzubauen. Diesem Trend kann sich keiner entziehen, schon gar nicht durch Importbarrieren und Mindestlöhne, aber auch nicht durch ein Superbündnis für Arbeit zwischen Industrieländern und Schwellenländern, das uns immer wieder angeboten wird. Niemand wird seine Wettbewerbsvorteile - niedrige Arbeitskosten - freiwillig aus der Hand geben. Ich sage noch einmal: Auch der Ansatz der Stärkung der Massenkaufkraft führt heute in die Sackgasse; denn höhere Kaufkraft, so wichtig sie ist, bedeutet immer auch höhere Kosten. Von zusätzlich 100 DM Lohnkosten des Arbeitgebers kommen bei einem ledigen Industriefacharbeiter im Durchschnitt nur 36 DM wirklich an. Diese fließen nicht einmal in vollem Umfang in den Verbrauch. Die klassischen Konzepte der Nachfragestimulierung sind Konzepte der 60er und 70er Jahre. Schon damals haben sie nicht funktioniert. Heute sind sie total unpassend. ({2}) Zum 100. Geburtstag Ludwig Erhards werden in diesen Tagen immer wieder ordnungspolitische Prinzipien beschworen. Diese Prinzipien müssen wir in praktische, konkrete Politik, auch in Tagespolitik, eingehen lassen. In diesem Sinne setzt die Bundesregierung auf Reformen, die die Arbeitslosigkeit wirklich beseitigen können. Wir haben ein klares Konzept mit fünf Säulen, nämlich: Kostenentlastung der Unternehmen, Neuorganisation der Arbeitswelt, Reform der Bildungssysteme, mehr Forschung und Entwicklung, Deregulierung und schlanker Staat sowie offene Märkte und außenwirtschaftliche Flankierungen unserer Unternehmen. In diesem Zusammenhang sind die Steuerreform und die Rentenreform von herausragender Bedeutung. Zur Steuerreform sage ich nur soviel: Die zentrale Botschaft ist eine Nettoentlastung der Bürger und der Wirtschaft um zirka 30 Milliarden DM und eine weitere drastische Senkung der Steuersätze. Das ist die zentrale Botschaft und nicht das Detail oder die Steuererhöhung an der einen oder anderen Stelle. Nettoentlastung bedeutet: Die Menschen und die Unternehmen haben 30 Milliarden DM mehr in der Kasse. ({3}) Ich erwarte von einer unverwässerten Reform einen deutlichen Wachstumsschub. Er dürfte zwischen einem halben und einem Prozent liegen. Das schafft zusätzliche Einkommen und zusätzliche Arbeitsplätze. Die schon aus demographischen Gründen unumgängliche Reform der Sozialsysteme muß mit einer Entlastung der Arbeitskosten einhergehen. Wirtschaftspolitisch ist es nicht vertretbar, in einem ersten Schritt nur die sogenannten versicherungsfremden Leistungen - ganz abgesehen davon, daß wir uns darüber unterhalten müssen, was man überhaupt darunter versteht - auf den Steuerzahler zu übertragen. ({4}) Dieses Vorgehen würde dazu einladen, hinsichtlich der Reformen innezuhalten. Die Reform der Systeme ist aber unverzichtbar; sie muß, um die Arbeitskosten zu senken, mit einer Senkung der Beitragssätze zu den Versicherungssystemen einhergehen. ({5}) Die Bundesregierung selbst hat sich dies zum Ziel gesetzt; dies wäre ein Beitrag zur Stärkung der Beschäftigung und zur Sicherung des Sozialstaats. Es ist absurd, der Bundesregierung zu unterstellen, sie wolle den Sozialstaat abschaffen. Mit Blick auf den Arbeitsmarkt und die Neuorganisation der Arbeitswelt hat die Bundesregierung wichtige gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen. Dazu zählen die Reformen beim Arbeitszeitrecht, beim Kündigungsschutz und bei der Lohnfortzahlung. Jetzt sind die Tarifparteien gefordert, Vereinbarungen zu treffen, die zusätzlichen Raum für betriebliche Lösungen lassen, beispielsweise im Bereich der Arbeitszeit und der Neueinstellungen. Es geht immer darum, Barrieren abzubauen, die einer Neueinstellung entgegenstehen. Jeder weiß, daß Schutzgesetze, die selbstverständlich ihre Berechtigung haben, ({6}) in vielen Bereichen zu Ausgrenzungsgesetzen für die Arbeitslosen in diesem Land geworden sind. Es geht nicht darum - das möchte ich auch einmal sagen -, die Arbeitszeit generell zu verkürzen. Es geht vielmehr darum, die Arbeitszeit flexibler zu verteilen. Dabei wird es mehr Arbeit an der einen oder anderen Stelle geben, aber auch kürzere Arbeitszeiten an anderen Stellen. Das kann zu dem Ergebnis führen - was ich mir wünschen würde -, daß Überstunden in diesem Land abgebaut werden. ({7}) Wirtschaft und Gesellschaft müssen den Strukturwandel in einem umfassenden Sinne akzeptieren, vor allem mit Blick auf die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft und mit Blick auf neue Entwicklungen, zum Beispiel in der Gen- und in der Biotechnologie. Ich werde in wenigen Wochen ein Dienstleistungskonzept vorstellen, mit dem neue Beschäftigungsfelder durch neue und modernisierte Ausbildungsberufe erschlossen werden: beim Export von Dienstleistungen - hier geht es um Garantieübernahmen - und bei der Erschließung neuer Märkte in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Wenn es um Arbeitsplätze in neuen, innovativen Unternehmen geht, dann kommt es darauf an, dafür auch die Finanzierungsbedingungen zu schaffen. ({8}) Die Bundesregierung wird mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz die Rahmenbedingungen für eine Risikokapitalkultur in Deutschland verbessern. Dieses Gesetz wird in der ersten Hälfte des Jahres 1997 vorgelegt. Unternehmen und Banken sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, daß in Deutschland eine Risikokapitalkultur entsteht. Diese kann man nicht herbeireden, sondern sie muß von Unternehmen und Privatleuten, die Vermögen haben, geschaffen werden. Sie kann also nicht durch Worte allein entstehen; sie muß vielmehr durch Taten von Privatleuten und Unternehmen geschaffen werden. Mit Blick auf mehr Wettbewerb und mehr Markt hat die Bundesregierung die Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Angriff genommen. Wo es geboten ist, geht es dabei auch um die Angleichung an europäisches Wettbewerbsrecht. Wir wollen die Ausnahmebereiche einschränken; wir wollen überholte Vorschriften sowie Import- und Exportkartelle abschaffen; wir wollen das heute gültige Gesetz, das in vielen Bereichen gar nicht mehr anwendbar ist, entrümpeln. Der Gesetzentwurf wird im Sommer vorliegen. Einen Punkt nach dem anderen greift die Bundesregierung in ihrem Reformprogramm auf. Ein Gesetz nach dem anderen wird gemacht, um die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung und Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern. Die Öffnung der Strom- und Gasmärkte ist immer ganz konkret. Das sind nicht nur Allgemeinplätze und allgemeine Forderungen, die hier vorgetragen werden, das ist konkrete Arbeit, Tagesarbeit, aber wichtige Arbeit, mit der wir Schritt für Schritt Reformpolitik machen. Auch bei der Öffnung der Strom- und Gasmärkte darf es nicht zu einer Scheinliberalisierung kommen. Das würde den Wettbewerb blockieren und niedrigere Preise verhindern und wäre von verheerender Wirkung für den Mittelstand. Was sagen wir, meine Damen und Herren, einem Bäckermeister, wenn wir gefragt werden, warum er über seine hohen Strompreise das örtliche Hallenbad oder den öffentlichen Nahverkehr bezuschussen soll? Ein Gesetz, das hier eine Änderung bringen und auch eine Antwort finden soll, ist in der parlamentarischen Beratung. Stärkung der marktwirtschaftlichen Kräfte heißt auch: Die öffentliche Hand muß sich zurückhalten, wenn private Firmen effizienter sind. ({9}) Warum nicht auch Flughäfen, Häfen, Straßen, Brükken oder Tunnel durch Private betreiben? Warum staatliche Vermessungsingenieure bei jedem Katasteramt? Ist es vertretbar, wenn städtische Busbetriebe ihre eigene Reparaturwerkstatt unterhalten und damit dem örtlichen Mittelstand Konkurrenz machen? ({10}) Welche Begründung gibt es dafür, daß Kommunen einen Gartenbaubetrieb unterhalten müssen? Meine Damen und Herren, dies alles gehört auf den Prüfstand. ({11}) Besitzstände und Weiterdenken in den alten Kategorien, das ist vorbei, das geht nicht mehr an, das hilft uns nicht weiter und schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. ({12}) - Lassen Sie Ihr Geschrei! Die Leute draußen im Lande wissen, wer etwas zu sagen hat und wer Allgemeinplätze von sich gibt und allgemeines Geschrei veranstaltet. Die Leute wissen, daß es auf konkrete Maßnahmen ankommt, auf Maßnahmen, wie ich sie vorschlage, wie diese Bundesregierung sie vorschlägt zu all den Feldern, die ich angesprochen habe. ({13}) Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort zu den neuen Ländern sagen. Die Einführung der Marktwirtschaft in den neuen Ländern hat sich alles in allem positiv ausgewirkt. Die Privatisierung und der rasche Aufbau der Infrastruktur haben den Aufbau weit vorangebracht. Aber vieles liegt noch im argen. Noch zu groß ist die Lücke zwischen Nachfrage in den neuen Bundesländern und eigener Wirtschaftskraft. Zu schmal ist vor allem die industrielle Basis. Es steht für mich außer Zweifel, daß die neuen Länder weiterhin einer erheblichen Unterstützung bedürfen. Die Bundesregierung wird die Wirtschaftsförderung auch nach 1998 auf hohem Niveau fortführen. Sie muß allerdings schrittweise zurückgeführt und auf den Mittelstand und vor allem auf die Industrie konzentriert werden. Gemeinsam mit dem Finanzminister werde ich dazu in den nächsten Wochen und Monaten ein Konzept entwickeln. Unabdingbar ist allerdings, daß sich die Tarifpartner stärker an der Leistungskraft der ostdeutschen Unternehmen orientieren. Dies ist die entscheidende Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze in den neuen Ländern. ({14}) Meine Damen und Herren, um unsere Position und auch um unsere Versäumnisse zu erkennen, empfiehlt sich ein Blick über die Grenzen. In unmittelbarer Nachbarschaft sind die Niederlande und Schweden zu nennen, die einen regelrechten Turnaround geschafft haben. Wir brauchen Mut und Kraft, um die Reformpolitik Stück für Stück - nicht nur in Überschriften, sondern in konkreten Gesetzesvorhaben, so wie wir das in Angriff genommen haben, so wie wir das voranbringen - Wirklichkeit werden zu lassen. Widerstände der Besitzstandwahrer sind überall vorhanden. Diese zu überwinden ist unsere Aufgabe. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Die Bedingungen für einen anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land sind nicht schlecht. Die Weltkonjunktur ist überall aufwärtsgerichtet und stützt unseren Export. Die D-Mark-Aufwertung hat sich zurückgebildet. Niedrige Nominalzinsen kommen den Investitionen zugute. Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich gehe davon aus, daß wir in diesem Jahr trotz des Einbruches bei der Baukonjunktur eine Erhöhung bei den Ausrüstungsinvestitionen in der Größenordnung von 5 Prozent schaffen. Das ist eine erhebliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Die Preise sind stabil, und die Lohnentwicklung ist auf einen moderaten Pfad eingeschwenkt. Unser Land hat ungeheure Ressourcen, gefangen in Strukturen, die aufgebrochen werden müssen. Wieweit das gelingt, hängt von allen Beteiligten ab: von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. ({15}) Die Bundesregierung wird nicht nachlassen, ihr Konzept - ein in sich schlüssiges Konzept - umzusetzen. Sie wird nicht nachlassen, Verantwortung bei denen einzufordern, die mit dem Finger auf andere zeigen und sich selbst einer mutigen und konzeptionellen Politik entziehen wollen. ({16}) Dies gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, aber auch für sie. Die Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung, und sie wird erfolgreich sein. ({17})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Als Mitglied des Bundesrates spricht nun der Ministerpräsident des Landes Sachsen, Professor Kurt Biedenkopf. Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wesentlichen Teile der Wirtschaftspolitik, der Steuerpolitik, der Sozialpolitik und damit auch der Arbeitsmarktpolitik sind Bundesangelegenheiten. Trotzdem werden wir in den Bundesländern - das gilt für alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten - für das, was in unseren Ländern geschieht, genauso in die Verantwortung genommen; denn vor Ort wirkt sich die Arbeitslosigkeit aus, vor Ort wirken sich die Folgen sozialer Veränderungen aus, und vor Ort wirkt sich vor allen Dingen die Veränderung der Wirklichkeit aus. Ich möchte mich in diesem Redebeitrag im wesentlichen auf die Arbeitsmarktfragen und die Zusammenhänge beschränken, innerhalb deren sich die Arbeitsmarktentwicklung vollzieht. Es ist schon viel an Erhard erinnert worden. Zu den großen und bedeutenden Grundsätzen, die er verwirklicht hat, gehört der Gedanke des ordnungspolitischen Ansatzes, das heißt die Fragestellung, die nicht nur das Einzelstück der Politik sieht, sondern die Zusammenhänge zwischen den Teilen. Zu einem Teil kommt es mir auf diese Zusammenhänge an. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dabei vielleicht mehr Aufmerksamkeit auf die Sachverhalte lenke, als das in der bisherigen Debatte der Fall war. Ich möchte noch einmal meinen Vorschlag aufnehmen, den ich bereits 1993 gemacht habe, als mir in Dresden vom Deutschen Gewerkschaftsbund die HansBöckler-Medaille verliehen wurde. Ich habe damals vorgeschlagen - ich halte diesen Vorschlag heute noch für genauso relevant -, daß die Beteiligten, wenn sie miteinander reden und nach Lösungen suchen, zunächst einmal den Versuch unternehmen, sich darauf zu verständigen, was denn im Arbeitsmarkt wirklich passiert und was sich vor allen Dingen in den letzten 25 Jahren ereignet hat. Weil wir, der Kollege Stoiber und ich, das für eine unverzichtbare Voraussetzung für zielgerichtete Politik halten, haben wir eine Expertenkommission gebeten, dazu Untersuchungen anzustellen. Der Bericht ist vorhin bereits angesprochen worden. Es ist der erste Schritt zu einer umfangreicheren Untersuchung, von der ich hoffe, daß sie ihren Einfluß auf die politische Willensbildung nicht verfehlt; denn man kann die Wirklichkeit nur verändern, wenn man die Wirklichkeit kennt. Wenn man von der falschen „Wirklichkeit" ausgeht und dann interveniert - auch das ist Ludwig Erhard -, erzielt man Wirkungen, die man nicht wollte. Was ist die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit ist eine höhere Arbeitslosigkeit, als wir sie bisher hatten. Aber diese Arbeitslosigkeit ist nicht homogen, sondern sehr verschieden. Die Arbeitslosen teilen sich in ziemlich gleich große Gruppen von je einem Drittel auf. Die erste Gruppe stellen die Arbeitslosen dar, die weniger als drei Monate lang arbeitslos sind. Das sind zum erheblichen Teil Frauen und Männer, die ihren Arbeitsplatz wechseln. Nun ist auch das schwierig. Der Wechsel des Arbeitsplatzes ist aber eine unvermeidbare Konsequenz einer sich schnell verändernden Wirtschaftsstruktur. Fachleute aus allen Bereichen sagen, daß wir in etwa 10 bis 15 Jahren 40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts mit industriellen und sonstigen Aggregaten erzeugen werden, die es heute noch nicht gibt. Dies wird insbesondere durch die rapide Zunahme der Bedeutung der Informationswirtschaft ausgelöst. Die Informations- und Wissenswirtschaft, so einige Prognosen, wird in 10 Jahren etwa 35 bis 40 Prozent - manche schätzen sogar 50 Prozent - des Bruttoinlandsprodukts, also der Wertschöpfung, erzeugen. Das aber bedeutet eine ständige Verlagerung der Ressourcen, also Kapital und Arbeit, von bisherigen Aktivitäten auf neue. Diese Verlagerungen sind mit Reibungsverlusten verbunden. Der Arbeitnehmer, der in einem Unternehmen seinen Arbeitsplatz verliert, einen neuen sucht und ihn innerhalb von drei Monaten findet, ist in der Zwischenzeit arbeitslos und muß seine Versicherung in Anspruch nehmen. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Arbeitslosigkeit ist kein sozialpolitisches Problem. Sie ist vielmehr Ausdruck einer sehr mobilen, Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}) beweglichen Wirtschaft. Diese Tatsache müssen wir zumindest zur Kenntnis nehmen, wenn wir mit Globalzahlen argumentieren. In bezug auf dieses knappe Drittel, auf diejenigen, die weniger als drei Monate lang arbeitslos sind, macht es wenig Sinn, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu ergreifen, um diese Arbeitslosigkeit zu verringern. Das kann man, wenn man es überhaupt will, nur in regional kleinen Räumen machen. Nur dort kann man die Anpassungsgeschwindigkeit bei Veränderungen der Wirtschaftsstruktur erhöhen. Das zweite Drittel der Arbeitslosen ist das eigentlich ökonomisch bedeutsame Drittel. Das nämlich sind die zwischen drei Monaten und einem Jahr Arbeitslosen. In dieser Gruppe sind diejenigen, die nicht im Zuge der Veränderung, der Mobilität im Arbeitsmarkt - im statistischen Mittel wechseln rund 20 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland jährlich den Arbeitsplatz; es besteht also eine hohe Mobilität, und zwar schon seit Jahren -, arbeitslos geworden sind. Hier treten Schwierigkeiten auf, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Zu einem nicht unwesentlichen Teil - das ist für unsere politische Analyse und vor allen Dingen für unser politisches Handeln wichtig - sind in dieser zweiten Gruppe Frauen, die wieder in den Arbeitsmarkt wollen und nicht sofort einen Arbeitsplatz finden, sondern ein dreiviertel Jahr oder länger danach suchen. Das dritte Drittel bilden die Langzeitarbeitslosen, diejenigen, die über ein Jahr lang arbeitslos sind. Die Langzeitarbeitslosen sind zu einem erheblichen Teil vermindert vermittlungsfähig, und zwar entweder weil sie behindert sind oder weil sie schon sehr lange aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind oder weil sie älter sind. ({2}) Für dieses Drittel brauchen wir Maßnahmen, die über die ökonomischen hinausgehen: Wiedereingliederungshilfen, ({3}) Subventionen von Arbeit bei Beginn einer Wiederbeschäftigung langfristiger Arbeitsloser usw. Ich will damit nur zum Ausdruck bringen - darüber waren wir Ministerpräsidenten uns im Mai letzten Jahres in unserer Sondersitzung über die arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Fragen einig -, daß wir für die verschiedenen Sektoren der Arbeitslosigkeit verschiedene Politiken brauchen. Wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen, sondern die Arbeitslosenzahl als eine Globalzahl betrachten und ausgehend davon Politik machen wollen, wird diese Politik sehr wenig effizient sein. Das zweite ist - das ist hier von verschiedener Seite angesprochen worden - der Rückgang des Arbeitsvolumens. Auch das haben die Ministerpräsidenten im Mai vorigen Jahres bereits behandelt. Ich bedaure etwas, Herr Kollege Lafontaine, daß diese Arbeiten nach Krickenbeck nicht fortgesetzt werden konnten. Wir haben festgestellt, daß unsere hochentwickelte Industriegesellschaft vor einem Erfolgsdilemma steht. Wir haben nämlich seit 1960 gelernt, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen, und zwar so weit - ich kann mich nur auf die Zahlen von 1970 bis 1995 beziehen -, daß wir im Jahre 1995 in der Lage waren, das Bruttoinlandsprodukt mit genau 50 Prozent der Arbeitsleistung von 1970 zu erzeugen. Dieser Prozeß geht ununterbrochen weiter. Das heißt, die Produktivität der Arbeit wächst schneller als das Bruttoinlandsprodukt. ({4}) Meine Damen und Herren, als wir auf einer Veranstaltung der IG Metall in Chemnitz kürzlich des ersten Metallarbeiterstreiks vor 125 Jahren gedachten, haben wir festgestellt, daß die Jahresarbeitszeit damals 3 800 Stunden betrug. Heute beträgt sie 1 520 Stunden. Das heißt, wir haben die Arbeitszeit seit 1960 ständig verändert, verkürzt. ({5}) - Nein, der Arbeitsmarkt selbst hat das bewirkt. Der Arbeitsmarkt, die Tarifparteien, die Verlängerung der Ausbildungszeit, die vorgezogene Verrentung trugen zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit bei. Diese Möglichkeiten der Verkürzung der Lebensarbeitszeit sind inzwischen erschöpft. Deshalb ist der Umfang der Vollzeittätigkeit inzwischen zurückgegangen, und zwar dramatisch. 1960 waren 98 Prozent aller Beschäftigten in einer Vollzeittätigkeit. 1995 waren es noch 68 Prozent. Der Rest der Beschäftigten ist in Teilzeittätigkeit, geringfügiger Beschäftigung, Scheinselbständigkeit, Kurzarbeit usw. Das heißt, es gibt eine dramatische Veränderung der Arbeitsmarktstruktur. ({6}) - Wer hat das gemacht? Das haben in erster Linie die Menschen im Land gemacht, nicht die Politik. Wollen wir uns hier doch nicht überschätzen: Wir schaffen keine Arbeitsplätze, wir schaffen allenfalls die Bedingungen dafür, daß sie entstehen können. ({7}) Alles andere ist eine maßlose Selbstüberschätzung. Das Interessante an diesem Prozeß ist, daß alle Konjunkturprogramme - unter Helmut Schmidt wie unter Helmut Kohl - auf diese langfristige Entwicklung nur einen sehr geringen Einfluß haben. Es gibt kurzfristige Reaktionen des Arbeitsmarkts, aber dann geht der normale Prozeß weiter. Dieser normale Prozeß wird von Millionen von Menschen vorangetrieben. Wir können auf Länder- wie auf Bundesebene, im Bundestag und im Bundesrat, dazu beitragen, daß sich dieser Prozeß in wettbewerbsfähiger Form weiterentwickelt, ohne daß er Nebenwirkungen zeigt - insbesondere im sozialen Bereich -, die mit unserer Wertvorstellung, die in diesem Land einen Grundkonsens darstellt, nicht vereinbar sind. Darüber wird im Grunde gestritten. Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({8}) Wir waren uns einig und sind es eigentlich bis heute - auch das habe ich den Reden entnommen -, daß die Beschäftigungspolitik nicht nur wesentlich von der Verringerung des Arbeitsvolumens und von der Globalisierung abhängt, sondern natürlich auch von den Kosten. Hier ist viel von Steuerpolitik, etwas weniger von Sozialpolitik die Rede gewesen. Ich will nichts von dem wiederholen. Ich will nur darauf hinweisen: Für den normalen Beschäftigten ist die Steuerbelastung eine Sache, die Beitragsbelastung eine andere. Die Sozialbeiträge hat man schon in den 20er Jahren als die Steuern des kleinen Mannes bezeichnet. Ich glaube - da stimme ich mit Norbert Blüm überein -, daß die Diskussion über die versicherungsfremden Leistungen weniger ertragreich sein wird, als das auf Grund vielfältiger Äußerungen anzunehmen ist. Die Ministerpräsidenten hatten sich ebenfalls vorgenommen, einmal zu definieren, was versicherungsfremde Leistungen sind. ({9}) Das erweist sich als außerordentlich schwierig. So kann man zum Beispiel der Meinung sein, daß Kindererziehungszeiten für die Rentenversicherung versicherungsfremde Leistungen sind. Man kann aber auch die Auffassung vertreten, daß das Großziehen von Kindern die eigentliche Voraussetzung dafür ist, daß die Versicherung auch in Zukunft funktioniert. ({10}) Im zweiten Fall wäre es keine versicherungsfremde Leistung, im ersten Fall wäre es eine. Ich wäre sehr gespannt, als Zuhörer in diesem Hohen Hause einmal mitzuerleben, wie die endgültige Entscheidung zu dieser Frage ausfällt. ({11}) Die meisten Frauen, die Kinder großziehen, sind jedenfalls nach meiner Erfahrung der Auffassung, daß sie eine unverzichtbare Investition in die gesetzliche Rentenversicherung leisten. ({12}) Sie sind maßlos verbittert, daß ihnen diese Investition nicht entgolten wird - jedenfalls nicht in dem Umfang, wie sie sich das wünschen. Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, daß neben der Steuerreform die Reform der Sozialsysteme von größter Bedeutung ist. Wenn es uns nicht gelingt, diese Reformen so miteinander zu vernetzen, daß am Ende eine gemeinsame, also eine beide Bereiche des Systems umfassende Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Lastenverteilung zwischen Arbeit und Gütern herauskommt, dann werden wir keinen wesentlichen Beitrag zur Veränderung der Beschäftigungslage leisten. Ich glaube, auch das ist inzwischen weitgehend unbestritten in diesem Land. Man sollte auch einmal davon ausgehen, daß wir die Arbeit zu sehr und die Güter zuwenig befrachten. Das ist einer der Gründe, warum zum Beispiel unter den Ministerpräsidenten - sozialdemokratischen, christlich-demokratischen und christlich-sozialen Kollegen - schon seit einigen Jahren die Frage der Mehrwertsteuererhöhung nicht mehr unter sozialpolitischen Gesichtspunkten diskutiert wird, sondern unter dem Gesichtspunkt der strukturellen Auswirkungen von Veränderungen zwischen direkter und indirekter Besteuerung und einer Verringerung der Arbeitskosten sowie einer Erhöhung der Kosten für Produkte. Das setzt allerdings voraus, daß man diese Strukturveränderungen auch zu diesen Zwecken einsetzt. Das ist nach wie vor umstritten. Darauf möchte ich nur hinweisen. Lassen Sie mich als drittes etwas zu den besonderen Problemen in Ostdeutschland sagen. Das erste, was wir feststellen müssen, ist, daß durch die wachsende - erfolgreiche - Integration der ostdeutschen Teilwirtschaft und der westdeutschen Teilwirtschaft in eine gesamtdeutsche Wirtschaft die Möglichkeiten geringer geworden sind, in Ostdeutschland nachhaltig höhere Wachstumsraten zu erzielen als in Westdeutschland. Es ist außerordentlich schwierig, innerhalb einer Gesamtwirtschaft für die eine Teilwirtschaft Waschstumsraten von 6 bis 8 Prozent zu erzielen, wenn es in der anderen Teilwirtschaft nur 1 bis 2 Prozent sind. Die Feststellung im Jahreswirtschaftsbericht, daß wir für West und Ost im jetzt begonnenen Jahr mit rund 2,5 Prozent Wachstum rechnen können, bedeutet im Ergebnis, daß sich - in absoluten Zahlen ausgedrückt - das Bruttoinlandsprodukt in West und Ost wieder auseinanderentwickelt. Das Bruttoinlandsprodukt Ost wächst langsamer, weil die Basis in absoluten Zahlen niedriger ist als beim Bruttoinlandsprodukt West. Wenn das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um 2,5 Prozent wächst, dann bedeutet das, daß im statistischen Mittel rund 1 000 DM pro Kopf der Wohnbevölkerung mehr an Wertschöpfung zur Verfügung stehen, und zwar real. Ich sage das deshalb, weil immer davon die Rede ist, man müsse die Nachfrageschwäche überwinden. Das Problem ist nicht, daß wir nicht genug produzieren, nicht genug volkswirtschaftliche Gesamtwertschöpfung betreiben, sondern das Problem ist, wie wir mit der zusätzlichen Wertschöpfung umgehen, wo wir sie hinlenken - ob wir sie in den staatlichen Bereich lenken, ob wir sie in den privaten Bereich lenken - und für welche Zwecke wir sie einsetzen. Wir werden als Bürger von allen Beteiligten aufgefordert, wir sollten mehr für die Altersvorsorge tun. Altersvorsorge bedeutet, daß die Bürger mehr sparen, also weniger ausgeben. Man kann das Geld nicht zweimal ausgeben. Wenn die Bevölkerung jetzt also im Blick auf eine ungewisse Zukunft in stärkerem Maße Kapital bildet, was an sich richtig ist, dann ist die Konsumfähigkeit entsprechend reduziert; es sei denn, wir entschließen uns, den Konsum durch Staatsverschuldung zu erhöhen. Dabei sind uns nicht Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({13}) nur durch die Vernunft, sondern auch durch die Europäische Währungsunion Grenzen gezogen. ({14}) Unser Hauptproblem in Ostdeutschland sind nicht nur die hohen Lohnkosten, über die sattsam diskutiert worden ist und die in einem - von mir keineswegs begrüßten - spontanen Prozeß zum Teil extra legem, das heißt außerhalb der rechtlichen Regelungen, korrigiert wurden. Unsere Unternehmen haben noch immer erhebliche Managementprobleme. Ich glaube, es ist leicht, im Westen zu sagen, ihr müßt es nur machen wie wir, und dabei darauf zu verweisen, daß man heute etwas macht, das man über 30 Jahre gelernt hat. Es ist leicht, den Menschen in Ostdeutschland zu sagen: Warum schafft ihr das denn nicht so schnell? Das Sammeln von Erfahrungen kann man nicht beliebig beschleunigen, auch das Lernen kann man nicht beliebig beschleunigen. Der Export von Managern von West nach Ost ist erstens in großem Umfang nicht erwünscht und zweitens auch gar nicht möglich, weil wirklich gute Manager im Westen genauso knapp sind. ({15}) Das zweite Problem, das wir haben, ist ein zum Teil ärgerliches: Es ist der Marktzugang. Gerade im Lebensmittel- und im Veredelungsmarkt stellen wir fest, daß die Konzentration im Einzelhandel Marktzugangsbarrieren bewirkt, die viele unserer Unternehmen nicht überwinden können. ({16}) Ein kleines Unternehmen kann de facto keine 500 000 oder 250 000 DM als Eintrittspreis und dann noch hohe Regalmieten zahlen, damit seine Waren an vernünftigen Plätzen untergebracht werden. Hier muß man immer wieder an die Verantwortlichen appellieren - nicht an die Spitzenleute, sondern an diejenigen, die einkaufen und die Regalplätze zuweisen -, dabei zu helfen, die Marktzugänge zu erleichtern. Schließlich - nur als Stichwort, weil das an anderer Stelle intensiver behandelt werden muß -: Wir brauchen eine Reform des Kapitalmarkts. Unser Kapitalmarkt ist nicht in der Lage, kleinen und mittleren Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, selbst wenn sie es wollten, was ja auch noch ein Problem ist. Wir haben nur eine Börse für die großen Titel, für die institutionellen Anleger. Wenn es aber richtig ist, was wir zum Beispiel aus Silicon Valley, auch aus der jetzigen Entwicklung in Amerika, aber ebenfalls aus der Geschichte des Freistaates Sachsen im 19. Jahrhundert lernen können, nämlich daß die Erneuerung der Industriestruktur nicht von den großen Unternehmen ausgeht, sondern von den kleinen und mittleren, daß das Innovationspotential vor allem in denjenigen Unternehmen zu finden und zu entwickeln ist, die nicht bürokratisch daran gehindert sind, schnell zu reagieren, dann haben wir ein existentielles Interesse daran - nicht nur ein Interesse im Mittelstand, sondern ein gesamtwirtschaftliches Interesse -, die Eigenkapitalausstattung der neuen Unternehmen zu verbessern. In Amerika ist das möglich gewesen, sonst hätte es Silicon Valley nicht gegeben. ({17}) In Deutschland ist das bisher nicht möglich. Darunter leiden wir im Osten in ganz besonderem Umfang, weil wir nur mit kleinen und mittleren Unternehmen wiederaufbauen können, wenn der Osten nicht eine Landschaft der verlängerten Werkbänke und der Tochtergesellschaften der großen westlichen Unternehmen alleine werden soll. ({18}) Ich möchte zum Schluß sagen, daß die Beschäftigungspolitik, die unsere Daueraufgabe sein wird, ein hohes Maß an Regionalisierung braucht. Wir bemühen uns derzeit im Freistaat, in diesem relativ kleinen Territorium mit nur 4,7 Millionen Einwohnern, in fünf Regionen eine selbständige Beschäftigungspolitik zu betreiben, um auf diese Weise die örtlichen und regionalen Innovationspotentiale zu mobilisieren: die örtlichen und regionalen Kammern, die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, die Landräte und die Bürgermeister. Sie sind oft voller Ideen und Vorschläge dazu, was möglich ist, Ideen und Vorschläge, auf die zentralistische Behörden aus der Natur der Sache heraus nie kommen könnten. Deshalb möchte ich davor warnen, daß man jetzt die Flucht auf eine höhere Ebene antritt und sagt: Was uns in Deutschland nicht gelingt, wird uns in Europa gelingen. - Das Gegenteil ist richtig: Was uns auf der nationalen Ebene nicht ausreichend gelingt, kann uns nur dann gelingen, wenn wir dezentralisieren, die Verantwortung dorthin geben, wo die Menschen sind, und in einer koordinierten Form des Zusammenwirkens von Region, Nation und Europa zu neuen Lösungen kommen. Vielen Dank. ({19})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung heute morgen und die Reden der Vertreter der Koalition waren der Lage der Koalition, aber nicht der Lage in Deutschland angemessen. ({0}) Die Koalition schwankt zwischen Beschönigung und Appell, zwischen „Weiter so!" und dem hilflosen Versuch, eine neue Perspektive zu entwickeln, zwischen dem angeblichen Willen nach Veränderung und der Mißachtung des Bedürfnisses nach Sicherheit und gegenüber der Opposition zwischen erklärRudolf Scharping tern Konflikt und Scheinangeboten für Kooperation. Mit schwankender Politik aber ist in Deutschland keine Zukunft mehr zu gewinnen. ({1}) Herr Bundeskanzler, Sie gestatten mir eine Bemerkung, weil ich immer dafür bin, im Deutschen Bundestag möglichst so zu reden wie draußen auch. Ihr Innenminister hat erklärt, der hessische Wahlkampf sei für Sie ein bundesweiter Test. Sie haben dort die Opposition beschimpft: Lügner, Hetzer, Demagogen und welche Worte da alle gefallen sein mögen. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist gar nicht wahr!) Ich will nur eines sagen: Die SPD draußen im Land zu beschimpfen und hier Kooperationsangebote zu machen - mit dieser Art von Arbeitsteilung werden Sie in uns keinen Partner finden. ({0}) Nun bin ich bei der Vorbereitung für diese Debatte für einen kurzen Moment etwas erschrocken. Denn in der „International Herald Tribune" von heute morgen stand zu lesen, der Bundeskanzler werde im Deutschen Bundestag eine kämpferische Rede halten und eine Breitseite auf die Opposition abfeuern. ({1}) Seien Sie doch bitte so nett und sagen Sie Ihren Beratern und denen, die solche Sprüche in die Welt setzen, daß man die Erwartungshorizonte den Realitäten anpassen sollte. Die Erwartung in bezug auf Ihre politische Kraft ist gering geworden. ({2}) Als wir die Vorlage eines Berichts zur Lage der Nation beantragten - insofern kann ich nicht kritisieren, daß Sie heute eine Regierungserklärung abgegeben haben -, ({3}) da hatten wir die letzte kleine Hoffnung, daß mit dieser Regierungserklärung das erreicht wird, was die Aufgabe von Regierungserklärungen ist, nämlich Klarheit über die Politik zu schaffen. Was Sie heute morgen getan haben, ist, Klarheit über den inneren Zustand der Koalition zu schaffen. Das wußten wir aber schon. ({4}) Klarheit über die Politik schaffen Sie aber so nicht. Mit diesem hilflosen Schwanken - ich wiederhole - zwischen Beschönigung und Appell, „Weiter so!" und dem Aufzeigen von Perspektiven, zwischen angeblichem Veränderungswillen und dem Bedürfnis nach Sicherheit lassen Sie am Ende die Menschen hilflos zurück. Das ist das Schlimmste, das in Deutschland geschehen kann, nämlich daß die Politik in einem Land mit so hoher, mit so massenhafter Arbeitslosigkeit, mit so großen Herausforderungen am Ende die Menschen hilflos zurückläßt. ({5}) Deswegen ist Ihre Regierungserklärung unter zwei Gesichtspunkten interessant, nämlich unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie nicht gesagt haben, und unter dem Gesichtspunkt dessen, was Sie fortsetzen wollen. Sie haben nichts zu dem Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit gesagt; Sie haben nicht gesagt - das haben Sie auf dem CDU-Parteitag noch gesagt -, wenn Sie wenigstens zwei Drittel dieses Ziels erreichen würden, sei das schon ein großer Fortschritt. Sollen wir daraus schlußfolgern, daß Sie das Ziel eines wesentlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit und der Verwirklichung von Vollbeschäftigung aufgegeben haben? ({6}) Sie haben eine Bemerkung zu den Lohnnebenkosten gemacht, aber nichts zu den Konsequenzen gesagt, die Sie auf der Seite des Gesetzgebers zu ziehen haben. Sie haben an die Tarifpartner appelliert, aber ich frage Sie: Was wollen Sie als Bundesregierung tun, damit das unsägliche Verfahren beendet wird, immer wieder neu die Arbeitnehmer und die Arbeitsplätze zu belasten, anstatt für einen fairen Lastenausgleich in Deutschland zu sorgen? ({7}) Was ist das für eine Politik, bei der erst beim gesamten unteren Drittel der Bevölkerung abkassiert wird und dann gesagt wird, daß man jetzt bei den Nachtarbeitszuschlägen, möglicherweise auch bei der Mehrwertsteuer zulange? Auch dazu haben Sie nichts gesagt. Was ist denn das für eine Regierungserklärung, in der nicht eine einzige klarstellende Bemerkung kommt, nachdem wochenlang in der deutschen Öffentlichkeit über die Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird? Es wäre klarzustellen gewesen: Ist das nun ein Punkt? Ist das keiner? Was haben die Verbraucher zu erwarten? Was hat die Wirtschaft zu erwarten? Was haben das Handwerk und der Mittelstand zu erwarten? Ihre Politik des Zögerns, des Schwankens, des Hinundherwackelns fördert den Attentismus, sie bringt die Leute in die Unsicherheit und entwickelt keine Perspektive für Deutschland, die wir angesichts der großen Herausforderungen dringend brauchen. ({8}) Sie haben nichts zu den unsinnigen Vorhaben gesagt, den flexiblen, intelligenten Einsatz von menschlicher Arbeit zu besteuern. Nachts, sonn- und feiertags arbeitet doch niemand aus Jux, sondern die Menschen arbeiten dann, weil es die Technik, die Arbeitswelt und die Organisation der Arbeit erfordern. Was ist das für ein Unsinn, die Besteuerung der privaten Vermögen abzuschaffen, damit Milliarden rauszuschmeißen und einen Teil davon zu Lasten der Arbeitnehmer und der Arbeitskraft wieder einzukassieren! ({9}) Sie haben nichts zur Besteuerung von Lebensversicherungen und deren Erträgen gesagt, obwohl das doch ein Eingriff in das Vertrauen und eine Zerstörung der Vertrauensgrundlage ist. Mag sein, daß es dafür ernste Gründe gibt oder Sie solche reklamieren wollen. Warum nennen Sie diese dann nicht? Warum verunsichern Sie die Menschen immer weiter? Warum ist es möglich, daß nach einer Regierungserklärung immer noch der Zweifel über die Zukunft der Rentenversicherung besteht? ({10}) Meine Damen und Herren, der Generationenvertrag ist eine ganz unverzichtbare Säule des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Friedens. Wie Sie diesen Generationenvertrag ins Gerede und ins Mißtrauen gebracht haben, ist völlig unverantwortlich gegenüber der Zukunft unseres Landes. ({11}) Soll ich, Herr Bundeskanzler, eine Schlußfolgerung ziehen, bei der sich mir innerlich die Haare sträuben? Norbert Blüm ist heute in der „Süddeutschen Zeitung" mit dem Satz zu vernehmen, Kohl sichere ihm zwar stets seine Hilfe zu, „nur kann ich mich nicht darauf verlassen" . ({12}) Ist das der Grund, weshalb Sie im Text stehen, aber nicht gesagt haben, was Sie zu Norbert Blüm und der Rentenkommission usw. meinen? Rechtfertigt das offenkundig schwieriger gewordene Klima zwischen einigen Akteuren - mögen sie nun Kohl, Blüm, Waigel oder Schäuble heißen - am Ende, das deutsche Volk mit Millionen Rentnerinnen und Rentnern mit ein paar Floskeln abzuspeisen, anstatt Klarheit zu schaffen? ({13}) Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich wußte ja schon, daß die Politik der Bundesregierung stark erklärungsbedürftig ist und es folglich viele Redner und Worte braucht, aber daß ich aus diesem Schwall der Worte und aus der Länge einer solchen Regierungserklärung allenfalls auf die Lustlosigkeit, die Hilflosigkeit, den Widerwillen, den man spüren kann, die Phantasielosigkeit, die sich in ihr ausdrückt, auf den Zustand der Politik schließen muß, hatte ich nicht erwartet. Ich hatte auch nicht erwartet, daß Sie fortsetzen würden, was Sie in den letzten Jahren getan haben. Sie, Herr Bundeskanzler, hatten wie kein anderer Regierungschef in Deutschland die Chance, Konsens zu bilden, Kooperation herbeizuführen und gemeinsame Verantwortung zu mobilisieren. Sie haben das 1990 im Überschwang der deutschen Einheit mit einer großzügigen Bewegung zum Schaden des Landes und seiner wirtschaftlichen und sozialen Grundbedingungen weggewischt. ({14}) Sie hatten diese Chance im vergangenen Jahr, als die Gewerkschaften das Angebot zu einem Bündnis für Arbeit gemacht haben. Sie haben nicht gesagt, unter welchen Bedingungen das wieder aufleben könnte. Es gab ein hilfloses kleines Geplapper über einen zentralen Gegenstand. Es ist verantwortungslos, wenn ein Regierungschef den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern, die wir für die Zukunft des Landes brauchen, so ins Gesicht schlägt, wie Sie das nach den Landtagswahlen im Frühjahr des letzten Jahres getan haben. ({15}) Dann kommen Sie hierher, bieten uns Beschreibungen längs der Oberfläche und sagen uns, was die Probleme verursachen könnte: Die Frauen wollen arbeiten. Entschuldigung, wie soll denn anders der Anspruch auf Gleichberechtigung in einer Industrie- und Arbeitsgesellschaft eingelöst werden? Da können Sie doch nicht sagen, der Wunsch der Frauen sei schuld an der hohen Arbeitslosigkeit. Sorgen Sie dafür, daß deren Wunsch verwirklicht werden kann! ({16}) Dann erzählen Sie uns etwas von Überstunden. Wissen Sie, mich beschleicht der Verdacht: Bis die Realität bei Ihnen angekommen ist, ist es zu spät. ({17}) Sie haben uns hier in diesem Hohen Hause gesagt, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes bringe Arbeitsplätze und helfe der Bauwirtschaft. 2 Milliarden DM hat es gekostet, und 200 000 Menschen hat es arbeitslos gemacht. Niemandem hat es geholfen; der Bauwirtschaft hat es geschadet. Ihre Politik kündigt immer etwas an, und das Gegenteil tritt ein. ({18}) Sie haben gesagt, die Arbeitsvermittlung müsse privatisiert werden. Was ist denn bei der Privatisierung der Arbeitsvermittlung herausgekommen? Nichts, überhaupt nichts! Sie haben uns etwas über die Dienstmädchen erzählt. Was ist dabei herausgekommen? Ein paar hundert Beschäftigungsverhältnisse, nichts weiter! Sie haben etwas über die Lohnfortzahlung gesagt und gepriesen, welche Welle der Erneuerung durch Deutschland gehe. Herr Bundeskanzler, nichts an Erneuerung ist durch Deutschland gegangen. Vielmehr I haben Sie den sozialen Frieden und das Vertrauen der Menschen, die wir brauchen, erneut tiefgreifend beschädigt. ({19}) Jetzt entdecken Sie die 1,8 Milliarden Überstunden. Ja, guten Morgen! ({20}) Erinnern Sie sich noch, daß mit Ihrer Stimme, Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, in diesem Deutschen Bundestag ein Gesetzentwurf zur Begrenzung von Überstunden durch stärkere Mitbestimmung der Betriebsräte abgelehnt worden ist? Das war im Juni 1994. Erinnern Sie sich noch, daß in dieser Wahlperiode mit Ihrer Stimme eine ganze Reihe von Anträgen abgelehnt worden ist, endlich die Überstunden abzubauen? ({21}) Erinnern Sie sich noch, daß die Mitglieder Ihrer Regierung hier von den Umverteilungspolitikern mit ihren alten Ideologien von der Verkürzung der Arbeitszeit und weiß der Teufel was geredet haben? Jetzt entdecken Sie auf einmal den Wert der Teilzeitarbeitsplätze, die von der SPD-Bundestagsfraktion schon mehrfach beantragt worden sind. Wissen Sie, ich bin immer sehr dafür, wenn man Fehler gemacht hat, sie auch einzugestehen. Sie würden Autorität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen, wenn Sie sagten: Meine Politik hat Deutschland in eine so ungewöhnlich schwierige Lage geführt, daß sie nicht fortgesetzt werden darf. Diese Kraft aber haben Sie nicht. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramsauer?

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin immer ganz erfreut darüber, daß Mitglieder der Koalition Zwischenfragen stellen wollen, nachdem alle ihre Redner vorher Zwischenfragen abgelehnt haben. Sie erwarten von uns eine Fairneß, die sie selber nicht bieten; das ist doch ganz eindeutig. ({0}) Nun, bitte schön.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Scharping, am Beginn Ihres Redeschwalls ({0}) haben Sie beklagt - die Frau Präsidentin konnte Sie gar nicht unterbrechen; ich stehe schon einige Zeit hier -, daß wir zu wenig Effektivität in der Arbeitsvermittlung hätten. ({1}) Sind Sie bereit, zuzugeben, daß wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes hatten, um die Arbeitsvermittlung wesentlich zu verbessern, daß dieses Bündel zur Verbesserung der Arbeitsvermittlung durch den hinhaltenden Widerstand der SPD im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen werden mußte ({2}) und heute nachmittag in verschlankter Form im Deutschen Bundestag beraten wird und daß genau Ihre Partei die Schuld daran trägt, daß wir das Maß an Effektivität in der Arbeitsvermittlung noch nicht erreichen konnten, das wir längst haben könnten und das notwendig ist, um den Erfordernissen des Arbeitsmarktes Rechnung zu tragen? ({3})

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, wenn ich Ihnen eine Antwort geben dürfte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Ramsauer, Sie müssen stehenbleiben, wenn Sie eine Frage gestellt haben.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht nämlich darum, daß die Länge Ihrer Zwischenfrage und die dadurch erforderliche Länge meiner Antwort nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Im übrigen haben Sie eines übersehen. Ich sprach von den Ankündigungen und der Behauptung dieser Ihrer Koalition - Sie gehören dazu -, die Einführung der privaten Arbeitsvermittlung werde zu einer wesentlichen Belebung des Arbeitsmarktes beitragen. Das hat sich als Lüge herausgestellt, wie sich manches andere in Ihrer Politik, ich sage einmal vorsichtig: als Unwahrheit herausgestellt hat. ({0}) Vielen Dank für den Hinweis und die Gelegenheit, daß ich Ihnen das jetzt ohne Anrechnung auf meine Redezeit erklären darf. Zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz will ich Ihnen zwei Hinweise geben. Erstens. Sie haben sich angewöhnt, Ihren Gesetzen immer Titel zu geben, von denen jeder weiß, daß sie allenfalls noch mit der Zielsetzung von George Orwell übereinstimmen: Nie sagen, was die Realität ist, immer das Gegenteil dessen behaupten, was man wirklich tut. Sie reformieren die Arbeitsmarktpolitik nicht, Sie ruinieren die Arbeitsmarktpolitik mit diesem Gesetzentwurf. ({1}) - Das finde ich jetzt aber wirklich unhöflich. Wenn Sie, Frau Präsidentin, dies im Rahmen meiner Antwort gestatten, muß ich Sie noch darauf hinweisen, Herr Ramsauer: Gerade eben hat der sächsische Ministerpräsident etwas über die Entwicklung des ArRudolf Scharping beitsmarktes gesagt. Das war eine zutreffende Analyse, der die politischen Schlußfolgerungen gefehlt haben. Eine allerdings hat er gezogen, nämlich daß mit dieser Art von Politik und dieser Gesetzgebung dem ostdeutschen Arbeitsmarkt garantiert nicht auf die Beine zu helfen ist. ({2}) Da hat Herr Biedenkopf recht, wie ich überhaupt, ohne Sie, Herr Biedenkopf, allzusehr in diese Debatte hineinzuziehen, den Eindruck hatte, daß mit Ihrer klaren Kritik an ineffizienter und phantasieloser Politik zugleich ein sehr dezenter, aber für den Fachmann auch sehr spürbarer Tritt in Richtung Koalition verbunden war. Anders läßt sich das kaum beschreiben. ({3}) Ansonsten fand ich es ganz nett, wie Sie das gemacht haben. Aber die politischen Schlußfolgerungen haben gefehlt, und zu denen will ich jetzt noch etwas sagen. Deutschland braucht eine grundlegend neue Politik. Diese muß sichere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und zur Entlastung der Arbeitsplätze mit einer aktiven Rolle des Staates verbinden, damit dieser nicht weiter die Zukunft konsumiert, sondern in diese Zukunft investiert. ({4}) Es geht um eine Politik, die Anreize für Investitionen und unternehmerisches Engagement mit einer strikten Modernisierung staatlicher Tätigkeit verbindet. Was haben wir um die kleinen Fortschritte ringen müssen, die jetzt in der Beamtenbesoldung oder beim Abbau von Bürokratie erreicht worden sind! ({5}) Wenn der Bundesrechnungshof über den unmittelbarsten Verantwortungsbereich der Regierung sagt: Ihr nutzt ja den Umzug gar nicht, um Geld zu sparen, Verwaltung zu modernisieren und Mitarbeiterstellen zu reformieren, sondern ihr nutzt ihn zur Aufblähung, dann ist das nicht nur eine einzelne Kritik, sondern ein Symbol für Ihre Politik: Sich selber immer fetter machen und den anderen immer mehr zumuten. Das kommt am Ende dabei heraus. ({6}) Schließlich muß der Sozialstaat ganz konsequent modernisiert und folglich auch von Aufgaben und Lasten befreit werden, die in diesem Bereich überhaupt nichts zu suchen haben. Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen mehrfach Vorschläge unterbreitet, und Sie werden merken, daß wir das auch tun, wenn es in die Erörterung der Steuerpolitik, in die Erörterung der Rentenpolitik geht. Ich füge eines hinzu: Legen Sie einmal auf den Tisch, was Sie wirklich wollen! Verabschieden Sie Gesetzentwürfe, über die man reden kann! Denn den Berichten Ihrer Kommissionen kann man nicht wirklich entnehmen, was im einzelnen entschieden werden soll. Aber wenn es darum geht, dann werden wir Ihnen sagen: Die erste Voraussetzung ist, daß die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung - übrigens auch die Krankenversicherung - von fremden Aufgaben befreit werden. Diese Diskussion können wir, ja, wir müssen sie sogar aufnehmen, Herr Kollege Biedenkopf. Sie muß dann aber seriös und gründlich sowie mit einem klaren und für die Zukunft verläßlichen Ergebnis geführt werden. Damit das finanzierbar wird, appelliere ich an Sie: Folgen Sie diesem Weg nicht! Sonst wird es - dies kündige ich Ihnen an - eine wirklich große Auseinandersetzung um die Zukunft des sozialen Friedens in Deutschland geben. Denn darüber sprechen wir im Kern. ({7}) Wir werden dann neben den vielen Dingen, die hier angeführt worden sind und die ich jetzt nicht wiederholen und dadurch weder unterstreichen noch abschwächen will, dafür sorgen, daß der verhängnisvolle Weg, die Arbeitsplätze immer mehr zu belasten und den Anteil der Vermögen am gemeinsamen Fortschritt immer mehr zu reduzieren, wirklich beendet wird. Ich weiß sehr wohl: Betriebe brauchen Erträge und Gewinne, folglich brauchen sie auch Vermögenssubstanz. All das ist klar. Ich füge aber eines hinzu: Es kann nicht so bleiben, daß Deutschland unter den großen Industriestaaten der Erde Spitzenreiter in der Belastung der Arbeitsplätze, der Arbeitnehmer sowie der Arbeitseinkommen ist und Tabellenletzter in der Heranziehung der großen Privatvermögen bei der Finanzierung des allgemeinen Fortschritts. So kann es nicht bleiben. ({8}) Ein weiterer Punkt: Eine Politik ist notwendig, die Innovationen, Investitionen und unternehmerisches Risiko mit einer Bildungsoffensive und einem wirksamen Schutz der Lebensgrundlagen verbindet. Ich will Ihnen diese großen Felder nennen, weil vor jedem Erörtern von Einzelheiten klar sein muß, was erreicht werden soll: nicht mehr dieses Schwanken zwischen Beschönigung und Appell, angeblicher Veränderung und Ruin der sozialen Sicherheit sowie zwischen Kooperation und Konflikt, sondern eine intelligente, kluge und zukunftsträchtige Verknüpfung folgender vier Bereiche. Wir brauchen eine Verbindung der Sicherheit der Rahmenbedingungen für unternehmerisches Wirtschaften mit einer aktiven Rolle der Allgemeinheit, des Gemeinwesens, zur Sicherung der Voraussetzungen der Infrastruktur, der Bildung - an Hochschulen und an vielen anderen Stellen -, eine Verbindung von Förderung der Investitionen und der aktiven Tätigkeit der Unternehmen mit einer strikten Modernisierung des zu sehr bürokratisierten Staates, eine Verbindung der modernen, zukunftsgerichteten Gestaltung des Sozialstaates mit dem unabweisbaren und sehr berechtigten Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach Sicherheit und eine Verbindung zukunftsgewandter investierender Politik mit Bildung, Risikobereitschaft, aber auch mit dem Schutz der Lebensgrundlagen. Das läßt sich an vielen Beispielen darstellen: bei den Lohnnebenkosten, der Steuerpolitik, der Rente und in vielen anderen Bereichen. Herr Bundeskanzler, das, was Sie uns hier aber geboten haben, war zu gut zwei Dritteln eine untaugliche Rechtfertigung der Vergangenheit. Es war zu fast einem Drittel Appell an andere: an die Unternehmen, die Tarifpartner und die Opposition. Es war zu null Prozent neue Politik, zu null Prozent selbstkritische Einschätzung der Ergebnisse eigener Arbeit, zu null Prozent wirkliche Perspektive, zu null Prozent Mobilisierung von Verantwortungsbereitschaft und gegenseitiger Kooperation. ({9}) Ich hoffe, das wird anders. Damit es anders werden kann, appelliere ich seitens der SPD und unserer Bundestagsfraktion an Sie: Hören Sie auf, immer die Menschen dafür verantwortlich zu machen, daß Sie Probleme mit Ihrer Politik haben! Hören Sie auf, die Lohnnebenkosten heraufzutreiben! Sie müssen heruntergesetzt werden. Hören Sie auf, ein Steuerrecht vorzuschlagen, das die größten Entlastungen bei den größten Einkommen organisiert, anstatt die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft zu entlasten! ({10}) Hören Sie auf, eine Politik zu machen, deren Ergebnisse leider auf dem Tisch liegen! Herr Bundeskanzler, wie lange Ihre Koalition auch noch halten wird - vermutlich bis zum Wahltermin 1998 und deshalb zu lang -, ({11}) wie immer das im einzelnen verläuft, eines ist dem deutschen Volk mittlerweile ganz klar: Die Politik, die Sie betrieben haben, hat Deutschland in die schwierigste wirtschaftliche, soziale und finanzielle Situation seit 1949 geführt. ({12}) Sie haben die Kraft dieses Landes und das Vertrauen der Menschen stark beschädigt. Sie haben die Chance einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung 1990, 1996 und in den Jahren dazwischen vertan. Ihre Regierungserklärung bietet keine Perspektive für eine gute Zukunft. Sie war der Lage des Landes unangemessen. Ihre Politik muß abgelöst werden durch eine neue, hoffnungsvolle, kompetente und zukunftsträchtige Politik. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Scharping, was Sie eben geboten haben, war zu 50 Prozent Klassenkampf und zu 50 Prozent Polemik. ({0}) Es war zu 100 Prozent netto an der Sache vorbeigeredet. ({1}) Manchmal habe ich den Eindruck, Sie werden das Trauma des Mannheimer Parteitages nie los. ({2}) Immer wenn Herr Lafontaine in der Nähe ist, halten Sie eine Rede, die Ihnen, wenn Sie sie damals in Mannheim gehalten hätten, den Parteivorsitz erhalten hätte, Sie aber gleichzeitig vor der deutschen Öffentlichkeit untauglich für die Probleme dieses Landes macht. ({3}) Wer sich scheinheilig Sorgen um die Arbeitslosen und die Wirtschaft macht und keinerlei Lösungsalternativen anzubieten hat, der versündigt sich an der Zukunft unseres Landes. Sie tragen als Oppositionspartei Mitverantwortung; Sie tragen vor allen Dingen Mitverantwortung dafür, daß viele Gesetze im Bundesrat blockiert werden. ({4}) Herr Bundeskanzler, ich möchte mich im Namen der CDU/CSU-Fraktion für Ihre Regierungserklärung bedanken. ({5}) Ich möchte mich dafür bedanken, daß sich die Bundesregierung in schwieriger Zeit aufmacht, die Probleme unseres Landes zu lösen. Die Reformen, die wir auf den Weg gebracht haben, werden uns nach vorne führen. ({6}) Es gibt keinerlei Anlaß zur Resignation. Wir haben Anlaß zur Sorge, aber nicht Anlaß zu resignieren. Wir müssen die Chance zu einer echten Reform nutzen, so wie es Theo Waigel bei der Steuerreform tut. Ich möchte einmal Maier-Mannhart von der „Süddeutschen Zeitung" zitieren. Er schreibt: Wo im politischen Geschäft aber lassen sich schon Maximalpositionen durchsetzen, zumal in einem Land, in dem sich Gruppeninteressen derart zu einem Machtfaktor entwickelt haben? Unter dieser Voraussetzung wird man wohl einräumen müssen, daß die von Wissenschaftlern und Politikern gemeinsam erarbeiteten „Petersberger Beschlüsse" nicht weit hinter den realistischen Erwartungen zurückgeblieben sind. Dies gilt auf jeden Fall für die künftige Höhe der Steuersätze. Mit einem Eingangssatz von 15 Prozent und eiMichael Glos nem Spitzensteuersatz von 39 Prozent für private Einkünfte und 35 Prozent für gewerbliche Einkommen ist ein Niveau erreicht worden, das einem internationalen Vergleich der Steuersätze standhält. Treten sie so auch wirklich in Kraft, dann hat sich das Argument vom Hochsteuersatz erledigt, das die Industrie stets als einen der gravierendsten Standortnachteile ins Feld führt. Dies ist ein wichtiges Signal für Investoren, vor allen Dingen im Ausland, die bisher einen großen Bogen um Deutschland gemacht haben. - Die müssen wir hierherholen. ({7}) Herr Kollege Scharping, Arbeit entsteht nicht durch Reden von Politikern. Arbeit entsteht erst recht nicht durch Klassenkampfparolen, sondern Arbeit entsteht dann, wenn sich die Unternehmer aufmachen, konkurrenzfähige Arbeitsplätze zu schaffen, wenn man Mut hat zum Investieren, und wenn man weiß, die Investitionen lohnen sich auch. Wir haben heute einen Kampf um anlagesuchendes Kapital. Die Welt konkurriert in einem Maß miteinander, wie wir es nie zuvor erlebt haben. Wenn wir uns nicht verändern, dann werden wir verändert zum Negativen hin. Das ist der Grund, warum wir diese Reformen auf den Weg bringen. ({8}) Ich weiß, daß Wachstum allein unsere Probleme am Arbeitsmarkt nicht lösen kann. Aber ohne Wachstum geht es nicht. Die Konjunktur gewinnt Gott sei Dank wieder an Fahrt. Wir haben eine realistische Wachstumsvoraussetzung von zweieinhalb Prozent. Die Preise sind stabil wie nie. Die Zinsen sind niedrig wie nie. Die Auftragseingänge in der Industrie aus dem Ausland machen Mut. Das Hauptproblem, das ist zu Recht angesprochen worden, sind die zu niedrigen Investitionen, und die können wir letztlich nur durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wieder in die Höhe bringen. Nur in einem System, wie es der Herr Gysi sehr gut kennt, kann dies der Staat alles lösen. Wohin diese Lösung durch den Staat letztlich geführt hat, haben wir gemerkt. ({9}) Deswegen werden wir dafür sorgen, daß die Reformverhinderer aus parteitaktischen Gründen, die sich an den Arbeitslosen im Lande versündigen, keinen weiteren Einfluß auf die deutsche Politik bekommen. ({10}) Die SPD handelt enttäuschend und verantwortungslos. Noch vor einem halben Jahr forderte der SPD-Finanzminister von NRW, Herr Schleußer, Eingangssteuersätze von 20 Prozent und einen Spitzensteuersatz von 40 Prozent. Jetzt, bei einem Eingangssatz von 15 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent, also bei einem Punkt Abweichung oben im Vergleich zu den SPD-Vorschlägen, nach unten hin bei einer weit stärkeren Senkung, spricht die SPD von Steuergeschenken an die Reichen. ({11}) - Ich verbitte mir die Kritik an Herrn Schleußer, die aus Ihrem Zwischenruf hervorgeht. ({12}) Wir haben diese Reform auf den Weg gebracht - ich sage es noch einmal -, um Arbeit in Deutschland zu schaffen, um Arbeit in Deutschland lohnend zu machen und vor allen Dingen auch, um mit unserem Steuersystem international wettbewerbsfähig zu sein. Ein anderer Widerspruch. Vor einem halben Jahr fordert die Steuerreformkommission des SPD-Präsidiums Aufhebung der Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen ({13}) und verschiedenen anderen Lohnbestandteilen nach § 3 Einkommensteuergesetz. Heute laufen SPD-Propagandisten durchs Land und schreien laut: soziale Ungerechtigkeit! ({14}) Herr Lafontaine hat heute angeboten, in der Steuerpolitik stärker zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu prüfen, ob wir nicht eine Steuerreform noch für 1998 hinbringen. Ich kann nur sagen: Herr Lafontaine, dann holen Sie Ihre Kettenhunde wieder zurück, die draußen im Lande gegen unsere Vorschläge polemisieren! ({15}) Wir haben in der Steuerreformkommission die verschiedenen Vorschläge sehr sorgfältig erwogen, und wir haben ganz stark beachtet, was auch von Ihrer Partei gekommen ist. Wenn man jetzt alle Vorschläge verteufelt, wie das getan wird, dann ist das in höchstem Maße fragwürdig. Das zeigt, daß Sie an Blockaden interessiert sind, aber nicht an Problemlösungen. ({16}) Für Blockade in diesem Land steht der Name Lafontaine. Seit er Vorsitzender der SPD ist, wird Fundamentalopposition betrieben. Es wird blockiert um des Blockierens willen. Das wirkt sich, Herr Lafontaine, vielleicht einmal positiv auf den Beifall der Genossen hier aus, es wirkt sich aber negativ für unser Land und auch für Ihre eigene Partei aus. Da möchte ich einmal Uli Maurer zitieren, der es nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg auf den Punkt gebracht hat. Er hat gesagt, die Partei habe kein Programm gehabt, das den fundamentalen Veränderungen nach der deutschen Einheit gerecht geworden wäre. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat seine Partei am Dienstag bei einer VerMichael Glos anstaltung hier in Bonn noch einmal gemahnt, endlich ein realistisches eigenes Konzept aufzustellen. ({17}) - Herr Lafontaine, ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden. Ich glaube, daß sich Schmidt weniger, wie Sie sagen, um die CSU gesorgt hat. Zu mir hat er nämlich einmal unter Zeugen gesagt, die CSU sei die einzige Partei in Deutschland, die voll agil ist und um die er sich keine Sorgen macht. Große Sorgen macht er sich allerdings um seine eigene Partei. Ganz schwere Sorgen hat er sich gemacht, als er am Autotelefon gehört hat, daß Sie zum Parteivorsitzenden gewählt worden sind. ({18}) Da hat er nämlich glatt auf der Autobahn kehrtgemacht und ist nicht zum Parteitag nach Mannheim gefahren. ({19}) Der Herr Bundeskanzler hat heute zu Recht gesagt: Wir brauchen einen Umbau des Sozialstaates zur Zukunftssicherung. Wir brauchen grundlegende Reformen unserer Sozialsysteme. Wer tatenlos zusieht, gefährdet den Bestand der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Wir haben sehr viele Reformen durchgesetzt. Diese Reformen haben positive Auswirkungen. Aber alle Reformen mußten wir gegen den erbitterten Widerstand der SPD in die Tat umsetzen. ({20}) Immer wieder wird die Arie vom sozialpolitischen Kahlschlag gesungen. Die Bürgerinnen und Bürger glauben Ihnen das längst nicht mehr. Wir haben in unserem Land Sozialleistungen in Höhe von mehr als 1 112 Milliarden DM, das ist mehr als 1 Billion DM, eine unvorstellbar hohe Summe. Wer dann der Koalition sozialen Kahlschlag vorwirft, der belügt die Leute. ({21}) Sie versuchen auch, die Folgen Ihrer Blockadepolitik ständig zu verschweigen. Ich darf nur einmal an die Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erinnern, das immer noch im Bundesrat liegt und von Ihnen blockiert wird. Wir hätten seitdem Milliarden bei den öffentlichen Haushalten, insbesondere bei den Haushalten der Kommunen, einsparen können. ({22}) Wir müssen aber auch den Weg zur Flexibilisierung unserer gesamten Arbeitswelt konsequent weitergehen. Der Chefvolkswirt von Siemens hat heute aus der Sicht eines großen deutschen Unternehmens noch einmal auf die Notwendigkeit von Reformen in allen Bereichen hingewiesen und dabei die geplante Steuerreform ausdrücklich begrüßt. ({23}) - Sie sollten sich einmal häufiger mit Leuten aus den Betrieben unterhalten. Sie haben ja früher einmal in einem Betrieb gearbeitet. Gehen Sie zum Beispiel einmal zu Vertretern der Automobilindustrie und fragen: Was spielt bei einer Investitionsentscheidung eine Rolle? ({24}) Mir hat unlängst der Finanzchef einer großen Automobilfirma in Deutschland erklärt, warum ein Motorenwerk in Ungarn und ein anderes in Großbritannien gebaut wird. Interessanterweise sind es nicht alleine oder nur zu einem geringen Teil die höheren Arbeitskosten bei uns, die eine Investition verhindern. Ein Grund ist der Marktzugang in einem anderen Land. ({25}) Vor allen Dingen ist es aber die zu hohe Steuerbelastung; denn ein Motorenwerk hat heute noch einen Arbeitskostenanteil von unter 10 Prozent. Eine viel größere Rolle spielt, wie lange man braucht, bis das Kapital wieder zurückkommt, und wie sich das Kapital verzinst. Aus solchen Gründen ist es wichtig, daß wir unser Steuersystem wettbewerbsfähig machen. Das zu verhindern, indem man mit Neidargumenten arbeitet, finde ich schäbig. ({26}) Wo sind die SPD-Vorschläge zur Rentenreform? Ich habe von Ihnen nur Polemiken und Klagen gehört, aber keine Vorschläge. ({27}) Wir wollen, daß der Generationenvertrag stabilisiert wird. Wir wollen, daß auch die 20jährigen, die 40jährigen und die jetzt 60jährigen wissen, wieviel Rente sie einmal bekommen. ({28}) Deswegen arbeiten wir an einer Rentenreform. Die Arbeit ist auf gutem Weg; das muß natürlich sorgfältig diskutiert werden. ({29}) - Das ist kein Irrweg, sondern der richtige Weg. Mit Realitätsverlust, mit frommen Wünschen alleine können wir die notwendigen Reformen nicht durchführen. ({30}) Ich möchte noch ein Weiteres sagen, getreu nach dem Motto von Karl Valentin, der einmal formuliert haben soll: Es ist zwar schon alles gesagt worden, aber nicht von allen. ({31}) Ich appelliere von dieser Stelle aus auch an die Unternehmer - sowohl von großen als auch von kleinen Unternehmen -, wieder mehr Menschen einzustellen. ({32}) Ich glaube, manchmal hat man draußen noch nicht kapiert, was wir an Reformen auf den Weg gebracht haben. ({33}) Es wird immer noch gejammert und gesagt, man könne deswegen nicht einstellen, weil man die Kosten in konjunkturell schwierigen Zeiten dann nicht schnell genug nach unten fahren könnte. Es gibt jetzt die befristeten Arbeitsverträge. Ich kann nur an die Unternehmer appellieren, stärker davon Gebrauch zu machen. Wir haben den Kündigungsschutz in den Kleinbetrieben ({34}) nicht deswegen verändert, weil wir die Arbeitnehmer ärgern wollen, sondern weil wir die Betriebsinhaber ermutigen wollen, mehr einzustellen. ({35}) Was mich ärgert, ist die Tatsache, daß heute diejenigen als Vorzeigeunternehmer gelten, die am allermeisten Leute entlassen und damit ihren Börsenkurs steigern. Ich finde das pervers. ({36}) Die Börsenkurse von Unternehmen müßten nach Zukunftsaussichten und nicht nach momentanen Quartalsgewinnzahlen beurteilt werden. Eine solche Betrachtungsweise, die in immer stärkerem Maße von Amerika zu uns kommt, halte ich zutiefst für schädlich. ({37}) Um in dieser Hinsicht vorwärtszukommen, brauchen wir keine Unternehmerschelte, keine Unternehmerbeschimpfungen und vor allem keinen Klassenkampf. Weiter kommen wir auch nicht, wenn versucht wird, Stimmung gegen die sogenannten Reichen zu machen, wie es heute wieder ausgiebig getan worden ist, und zwar nicht nur von Herrn Gysi - von dem habe ich das erwartet -, sondern auch von denen, die offensichtlich ideologisch nicht allzuweit von Herrn Gysi entfernt sind. ({38}) Wir brauchen ein Stück Gemeinsamkeit, und es müssen die Ärmel hochgekrempelt werden. Wir brauchen vor allem ({39}) eine SPD, die sich ihrer Verantwortung gerade für die arbeitenden Menschen wieder bewußt wird. Tun Sie das, indem Sie aufhören, unsere Reformen zu blockieren! Danke schön. ({40})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in unserem Land bewegt die Sorge um ihre Arbeitsplätze. Wir sind deshalb in der Pflicht, die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu benennen; denn nur so werden wir sie wirksam bekämpfen können. Es gibt nur einen Weg, der zu mehr Arbeitsplätzen führt: ({0}) die Stärkung unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. ({1}) Seit Beginn der 90er Jahre sind allein durch deutsche Direktinvestitionen im Ausland eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Produktionsverlagerungen ins Ausland haben eine Ursache, und diese müssen wir beseitigen, damit endlich wieder mehr Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können. Aber anstatt gemeinsam mit uns darüber nachzudenken, wie wir im globalen Wettbewerb um Arbeitsplätze bestehen können, fordert die Opposition eine Ausweitung der Staatseingriffe. Wenn Wirtschaft so funktionieren würde, wie Sie meinen, dann hätte die DDR überlebt und nicht die Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Die Herren Scharping und Fischer haben bei der Gedenkfeier für Ludwig Erhard in der ersten Reihe gesessen. Sie hätten auch zuhören sollen. ({3}) Ludwig Erhard, der im übrigen erst 1963 CDU-Mitglied wurde, hat beharrlich vor einem Übergewicht der Verteilungs- im Vergleich zur Ordnungspolitik gewarnt. Dies ist heute leider die Realität in Deutschland geworden. ({4}) Der Bundeskanzler hat mehrfach das richtige Ziel bekräftigt, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 zu halbieren. Mit dem in die Jahre gekommenen Modell des Umverteilungsstaates, der sich am Konsens der Interessengruppen statt an den ökonomischen Realitäten orientiert, ist dies allerdings nicht erreichbar. ({5}) Die Investitionsentscheidungen für den Standort Deutschland werden an den Märkten getroffen, nicht an runden Tischen. Damit wir uns aber nicht mißverstehen, sage ich: Wir Freien Demokraten sind durchaus für Konsens, ({6}) allerdings nur dann, ({7}) wenn sich dieser Konsens auf die Lösung der eigentlichen Probleme bezieht und nicht darauf, daß wir sie vertagen. ({8}) Viele Bürger bezweifeln inzwischen, daß es überhaupt Mittel gegen die Arbeitslosigkeit gibt. Aber Arbeitslosigkeit ist kein unabwendbares Schicksal, wie uns die Beispiele USA, Neuseeland und England deutlich zeigen. In den USA sind seit Anfang 1993 neun Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. ({9}) Ein knappes Drittel der neuen Arbeitsplätze entfällt auf den Finanzsektor und auf den expandierenden Medienbereich. Das beliebte Klischee, das immer wieder in diesem Hause vorgetragen wird, es würden doch nur einfache Aushilfsjobs geschaffen, ist also falsch. Zudem zeigt eine amerikanische Studie, daß nach drei Jahren 85 Prozent derjenigen, die auf dem Mindestlohnniveau eingestiegen waren, einen besser bezahlten Job haben. ({10}) Es ist also gerade die Stärke des amerikanischen Arbeitsmarktes, weniger Qualifizierten und Berufsanfängern den Einstieg zu erleichtern. Aber dieser Arbeitsmarkt ist eben nicht annähernd so reguliert wie der deutsche. Wir wären auch in Deutschland auf dem Weg zu mehr Beschäftigung schon ein gutes Stück weiter, wenn die SPD mit ihrer Mehrheit im Bundesrat nicht uneinsichtig alle Initiativen der Koalition zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bremsen und blockieren würde. ({11}) Die verhängnisvolle Staatsgläubigkeit in Deutschland, diese sozialdemokratische Tradition, sozial verantwortliche Politik immer als staatliche Intervention zu begreifen, führt ins Abseits. ({12}) Ob eine Politik sozial ist oder nicht, bemißt sich daran, ob wir in der globalen Standortkonkurrenz um Arbeitsplätze bestehen können. Deshalb appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Geben Sie diese Blockadepolitik im Bundesrat auf! ({13}) Wenn Sie weiter verhindern, daß Arbeit in unserem Land wieder bezahlbar wird, dann verhalten Sie sich unsolidarisch mit den Arbeitslosen, dann sind Sie die Partei der sozialen Kälte. ({14}) Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen wir nur mit der Freisetzung marktwirtschaftlicher Dynamik. Wir müssen die Herausforderungen der globalisierten Märkte annehmen, statt uns an unseren verkrusteten Status quo zu klammern. Das gilt gleichermaßen für die neuen wie für die alten Bundesländer. Die Aufgaben, die wir für mehr Arbeitsplätze bewältigen, sind in Ost- und Westdeutschland im Prinzip identisch. Wenn man einmal die rückwärts gerichtete Politik der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen betrachtet, dann kann man wohl kaum behaupten, daß wir überall im Westen schon weiter seien als im Osten. Reformbedarf besteht ohne Zweifel auch bei den Flächentarifverträgen. Wir Freien Demokraten wenden uns noch einmal ausdrücklich an die Tarifparteien: Werden Sie Ihrer Verantwortung endlich gerecht! Geben Sie den Betrieben den nötigen Freiraum für maßgeschneiderte Lösungen! ({15}) Es kann doch wohl nicht sein, daß gefährdete Betriebe in den Bankrott getrieben werden, weil sie völlig weltfremde Tarife einfach nicht bezahlen können. ({16}) So werden Menschen in die Arbeitslosigkeit gedrängt. Vielleicht müssen wir in Zukunft das Recht der Arbeitslosen, nicht durch Vereinbarungen Dritter vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein, besser schützen. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte meine Rede zu Ende führen. Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich zu sprechen kommen. Die Diskussion hat sich in den letzten Monaten meines Erachtens wirklich zu sehr auf das Sparen verengt, so wichtig diese Erkenntnis auch ist. Es geht darum, die längst überfällige Überprüfung der Staatsaufgaben vorzunehmen und diesen Staat wieder auf seine eigentlichen Funktionen zu begrenzen, im Interesse der Arbeitslosen. ({0}) Im Februar werden wir über die zukünftige Subventionierung des Steinkohlenbergbaus entscheiden. Für die F.D.P. ist klar, daß die vertraglichen Zusagen eingehalten werden. Ebenso klar ist aber auch, daß der Steinkohlenbergbau nach 2005 ein Auslaufbergbau ist. Es ist nicht Aufgabe des Staates, unwirtschaftliche Industrien am Dauertropf zu halten. 10 000 Millionen DM gab allein der Bund 1996 für den Steinkohlenbergbau aus. Wir sollten nie vergessen: Dieses Geld stammt von den Bürgern dieses Landes, meine Damen und Herren, und von den Betrieben, für die sich der Standort Deutschland dann noch schwieriger gestaltet. Das sollten Sie den Menschen an der Ruhr offen und ehrlich sagen, auch wenn Herr Scharping das nächste Mal mit einer Fakkel in der Hand durchs Ruhrgebiet zieht. Generell gilt: Wer sich den überfälligen Reformen widersetzt, sei es, um eigene Besitzstände zu wahren, oder gar aus politischem Kalkül, der handelt unsolidarisch ({1}) gegenüber den Arbeitslosen, unsolidarisch gegenüber unseren jungen Mitbürgern, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen möchten, aber zu Almosenempfängern degradiert werden, weil wir sie vom Arbeitsmarkt fernhalten. Ich möchte, daß wir aufrichtig sagen, was getan werden muß, um mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze nach Deutschland zu holen. Die Menschen sind tatsächlich viel verständiger für die ökonomischen Realitäten, als viele glauben. Nicht sie sind es, die sich gegen Reformen sträuben. Eine jüngst in Berlin vorgestellte Befragung von Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland hat ergeben, daß sich weit mehr als die Hälfte von ihnen auch auf ungünstigere Arbeitszeiten und eine schlechtere berufliche Position einlassen würden, um endlich wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluß drei Punkte feststellen und folgendes klarstellen. Erstens. Die F.D.P. wird verstärkt um die Unterstützung der Bürger gegen die Reformverweigerer werben, die vom Sozialabbau immer wieder reden, aber ihre eigenen Besitzstände meinen. Zweitens. Wir müssen den Blick dafür schärfen, daß wir unseren Wohlstand nicht dem egalisierenden Umverteilungsstaat, sondern der freien marktwirtschaftlichen Ordnung verdanken. Ludwig Erhard hat unermüdlich darauf hingewiesen. ({3}) Drittens. Wir Freien Demokraten setzen bei den Reformen vor allem auf die kleinen und mittelgroßen Betriebe. Sie schaffen zwei Drittel aller Arbeitsplätze in Deutschland. Sie sind flexibel, innovationsfreudig, Spezialisten für Strukturwandel, der eigentliche Motor unserer Wirtschaft. ({4}) Sie benötigen keine Subventionen oder sonstigen Schutz vor Wettbewerb, um konkurrenzfähig zu werden; sie sind es. Wir müssen sie aber aus der Zwangsjacke befreien, die ihnen der Regulierungs- und Steuerstaat angelegt hat. Für mehr und langfristig sichere Arbeitsplätze brauchen wir eine marktwirtschaftliche Reformpolitik aus einem Guß, die auf das Prinzip Freiheit setzt. Darauf wird die F.D.P. als einzige nicht etatistische Partei in Deutschland immer wieder hinweisen. ({5}) Im globalen Standortwettbewerb wird jede Politik, die versucht, Marktkräfte auszugrenzen, Arbeitsplätze vernichten. Man mag es begrüßen oder nicht, es ist die Realität. Deshalb wird die Koalition in ihrem Reformwillen nicht nachlassen. Nur so werden wir wieder mehr Menschen in Lohn und Brot bringen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es festhaltenswert, was der sächsische Ministerpräsident zur Struktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland hier heute zu Protokoll gegeben hat. ({0}) Ich finde es deshalb festhaltenswert, weil er hier die inhaltliche Begründung - auch für mich und für meine Fraktion - gegeben hat, die heute nachmittag zur Verabschiedung anstehende Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes abzulehnen. ({1}) Dieser Vorgang macht deutlich, wie kompliziert die Gemengelage in der Koalition offensichtlich ist. Die Koalition hat der Rede von Biedenkopf starken Beifall gezollt. Sie hat überhaupt intellektuell nicht nachvollzogen, ({2}) daß Biedenkopf ihre Politik kritisiert und sie zur Änderung ihrer Richtung aufgefordert hat. ({3}) Das zweite ist: Der Wirtschaftsminister stellt sich hier hin und erklärt, daß die gesundheitspolitischen Absichten seiner Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zusätzliche Arbeitsplätze schafften. ({4}) Ich finde es bemerkenswert, daß es einem Oppositionsabgeordneten vorbehalten ist, den Bundeswirtschaftsminister darauf hinzuweisen, daß die Länder Bayern und Baden-Württemberg - das Land BadenWürttemberg wird mit von der F.D.P. regiert - in der vorigen Woche im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht haben, einen substantiellen Teil der bereits verabschiedeten Gesundheitsgesetze wieder zurückzunehmen, weil sie Arbeitslosigkeit verursachen. ({5}) Das heißt, hier wird etwas beschlossen - wider jede Logik -, und die eigene Partei in den Ländern versucht über den Bundesrat eine Teilrücknahme der bereits beschlossenen Gesetze, weil die Arbeitslosigkeit verursachen, statt Arbeitsplätze zu produzieren. Es geht hier um nicht weniger als 40 000 Arbeitsplätze, wie die Insider schätzen, im Bereich der Heilund Hilfsmittel. ({6}) Die gleichen Leute stellen sich hier hin und werfen uns Blockade vor. Das heißt, Ihre eigenen Länder unterstützen unsere hier vorgebrachte Position, und uns werfen Sie Blockade vor. Hingegen sind Bestrebungen im Gange, über den Bundesrat mit CDU/CSU und F.D.P. den Unsinn, den Sie hier in Bonn produzieren, wieder zu korrigieren. Das ist einmal festhaltenswert. ({7}) Ich will, bezogen auf die Situation der deutschen Rentenversicherung, ein paar Bemerkungen machen, weil ich die Lage als ausgesprochen dramatisch einschätze. ({8}) Am 2. Februar 1996 hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Regierungserklärung zur Lage der Rentenversicherung erzwungen. Dies ist fast auf den Tag genau ein Jahr her. An diesem 2. Februar habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion einen Rentengipfel vorgeschlagen. Ich habe die Analyse der Rentenversicherung nach den uns vorliegenden Informationen vor dem Deutschen Bundestag referiert. Ich habe sie zu Protokoll gegeben und wegen der Dramatik, die sich im Jahre 1996 abzeichnete, diesen Rentengipfel angeboten. In einer Kurzintervention nach der Regierungserklärung hat der Bundesarbeitsminister vor diesem Hause diesen Rentengipfel kategorisch abgelehnt. Er hat gesagt, man könne hin und wieder darüber reden, aber einen Rentengipfel gebe es nicht, der komme nicht in Frage. Im Laufe der darauf folgenden Monate hat sich die Problematik in der Rentenversicherung als exakt so und noch dramatischer erwiesen, wie wir das prognostiziert haben. Im Oktober 1996 hat die SPD einen Zwischenbericht ihrer Alterssicherungskommission vorgelegt und hat das Angebot, im Jahre 1996 die dramatische Beitragssatzsteigerung für 1997 zu verhindern, erneut mit einem Lösungsvorschlag belegt und hier eingebracht. Die Regierung hat es abgelehnt. Nun kommt heute morgen ein Landesgruppenvorsitzender einer Koalitionspartei mit Namen Glos und behauptet hier von diesem Rednerpult, daß er vom 2. Februar 1996 bis heute im Ausland war; denn er sagt, er kenne das alles gar nicht. ({9}) Ich muß Ihnen sagen, Herr Glos: Ein Mann, der eine Koalitionspartei im Deutschen Bundestag führt und von einer solchen Des- und Uninformation ist, stellt sich selbst in Frage. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie, wenn Sie schon einen so großartigen Vorschlag haben, dann wenigstens bereit, ihn hier vor der deutschen Öffentlichkeit in Grundzügen vorzustellen? ({0})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Glos, ich hatte gerade angehoben. ({0}) Aber nachdem Sie hier wenigstens eingeräumt haben, daß Sie unsere Vorstellungen offensichtlich wirklich nicht zur Kenntnis genommen haben, daß Sie uninformiert sind, hoffe ich, daß Sie am Ende der Debatte etwas informierter sind. Die Lage der Rentenversicherung, bezogen auf das Ergebnis der Kommission, die Herr Blüm geleitet hat, stellt sich wie folgt dar: Gemäß dem Kommissionsergebnis soll ab dem Jahre 2000 in zwei Essentials eine Einnahmeverbesserung für die Rentenversicherung realisiert werden. ({1}) Die beiden grundlegenden Vorschläge aus Sicht der Regierungskommission lauten: erstens die Einführung einer Familienkasse - Volumen: 17,3 Milliarden DM aus Steuermitteln; woher das Geld kommen soll, sagt die Kommission sicherheitshalber nicht, aber ich will es einmal als Geschenk betrachten -, ({2}) zweitens Mittel von 3,1 Milliarden DM oder 3,5 Milliarden DM aus der Abschaffung der 610-DMGrenze, also der Versicherungspflicht bei Geringfügigkeit. Diese beiden Essentials auf der Einnahmeseite haben drei Tage lang das Licht der Welt erblickt und wurden dann innerhalb der Koalition beerdigt: Die F.D.P. erklärte es für illusorisch. ({3}) Herr Glos selbst sagte, bezogen auf Herrn Blüm, er solle nicht larmoyant durch die Gegend laufen. Der Vorsitzende der F.D.P. erklärte, das sei mit dem Koalitionspartner nicht zu machen. Das heißt: Nach drei Tagen ist ein Regierungskonzept innerhalb der Regierung beerdigt worden. Es existiert nicht mehr. ({4}) Dies hat nun heute morgen dazu geführt, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung folgende Passage, die in seinem Manuskript enthalten war, hier ungenannt ließ. Diese Passage des Bundeskanzlers Dr. Kohl hatte im Manuskript folgenden Wortlaut: Die Bundesregierung strebt einen parteiübergreifenden Renten-Konsens an. Die Suche nach einem gemeinsamen Weg hat sich bei diesem Thema bereits mehrfach bewährt - zuletzt bei der Rentenreform 1992. Erst am Ende der Diskussion über beide Reformen - Steuerreform und Rentenreform - kann auch eine Entscheidung über die Finanzierung stehen. Ich frage mich: Welche der Koalitionsparteien hat den Bundeskanzler gezwungen, seine Auffassung, in diesem Parlament heute morgen ein Angebot zu machen, im Manuskript zu streichen? Das ist die spannende Frage. Damit bin ich bei Herrn Blüm.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohl?

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich möchte Ihnen gerne das Angebot machen, sich nicht mit einem Text, der wie alle Texte dieser Art unter dem Vorbehalt „Es gilt das gesprochene Wort" steht, ({0}) sondern mit dem Original auseinanderzusetzen. Ich habe die Frage: Was finden Sie an Ihrer Anmerkung so bemerkenswert? ({1}) Ich will es noch einmal verdeutlichen: Ich habe doch im Prinzip im O-Ton nichts anderes gesagt, allerdings in verkürzter Form, als in diesem Text steht. ({2})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Kohl, ich will Ihnen gerne sagen, was ich daran bemerkenswert finde. ({0}) Solch eine Passage in einem Redemanuskript eines Bundeskanzlers zur Behebung einer solch schwierigen Lage nicht zu referieren ist für mich ein Politikum. ({1}) Ich entnehme Ihrer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Kohl, daß Sie im Laufe der Debatte offensichtlich nicht bereit sind, diese Passage, die Sie als Bundeskanzler nicht referiert haben, hier vorzutragen. ({2})

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wenn Sie damit einverstanden sind und es den Gang der Geschäfte nicht stört, bin ich gerne bereit, Ihnen noch einmal in drei Sätzen zu sagen, was ich in der Sache meine. Die Kommission, die der Kollege Blüm als Vorsitzender geleitet hat, hat jetzt ihren Bericht vorgelegt. Wir haben immer gesagt - in der Regierung wie in der Koalition -, daß wir den Bericht, wenn er vorgelegt wird, breit diskutieren wollen: in unserer eigenen Partei, in Gemeinschaft mit der CSU, in der Koalition und - dies habe ich hier heute schon gesagt - gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Kräften, sprich: mit Ihrer Partei, die im Bundesrat die Mehrheit hat, mit den Gewerkschaften und mit der Wirtschaft; ich sage das einmal so allgemein. Wir wollen, wenn es irgendwie geht - das haben Sie eben korrekt zitiert -, zu einem Konsens kommen. Wir haben immer gesagt - jedenfalls ich -, daß wir über die Finanzierung reden, wenn am Ende ein Konsens erzielt wird, respektive wenn wir auf andere Art und Weise zu einem Ergebnis kommen. Das haben wir im Zusammenhang mit der Steuer gesagt; wir sagen es jetzt auch hier. Ich bin schon dafür angegriffen worden, sehr früh gesagt zu haben, daß ich nicht glaube, daß all die Reformmaßnahmen, die derzeit ergriffen werden, ohne eine Veränderung bei den direkten und indirekten Steuern möglich sind. Dies ist meine Meinung. Wenn Sie an die Frage, die Sie von mir beantwortet haben wollen, denken, ({0}) sage ich Ihnen gern: Der Kollege Blüm hat eine Vorlage gemacht. Diese Vorlage enthält wichtige, auch für mich sehr bedeutsame Anregungen. ({1}) Die von ihm geleitete Kommission hat eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, die bei uns diskutiert werden müssen. Alles andere, was Sie darüber hinaus hineingeheimnissen, ist falsch. Ich lade Sie als Vertreter Ihrer Fraktion ein, zu gegebenem Zeitpunkt an diesem Opus mitzuarbeiten. Vielleicht sind Sie dann einverstanden. ({2})

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, dies ist der Zeitpunkt, dem Deutschen Bundestag die Sondierungslage über die Vorstellungen über die wichtige Frage der Sanierung der Rentenversicherung noch einmal näherzubringen, und zwar aus unserer Sicht. Dieses ist relativ einfach. Zirka 93 Milliarden DM hat die Rentenversicherung im letzten Jahr an beitragsungedeckten Leistungen ausgegeben. Sie hat als Bundeszuschuß zirka 63 Milliarden DM Steuermittel erhalten. Daraus folgt, daß 30 Milliarden DM beitragsungedeckte Leistungen - darin stecken in der Tat eine Menge versicherungsfremde Leistungen - aus Beitragsmitteln finanziert wurden. Die SPD vertritt seit einem Jahr die Meinung - hier im Deutschen Bundestag dargelegt, auch als Vorschlag zur Verhandlung -, diese beitragsungedeckten Leistungen, die dem System von der Politik aufgepfropft wurden, ohne daß das System das jemals reklamiert hat, herauszunehmen, um dadurch Beiträge zu senken, den Faktor Arbeit zu verbilligen, die Akzeptanz der Rentenversicherung zu erhöhen und den Privatisierern von der F.D.P. in der Rentenpolitik endlich das Handwerk zu legen. ({0}) Das ist die glasklare Positionsbeschreibung der SPD. ({1}) Ich entnehme der Zwischenfrage bzw. Zwischenintervention des Abgeordneten Kohl - wohl in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler Kohl -, daß er diese Philosophie dem Trend nach teilt. Daraus ist für mich eine Empfehlung abzuleiten. Unsere Position ist klar: Einigen Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner F.D.P., mit Teilen der CSU! Übernehmen Sie dann - wie im Dialog gerade geklärt - unsere Position, machen Sie uns ein Angebot! Wir werden dann ohne F.D.P. die deutsche Rentenversicherung endlich aus ihrer Krise herausführen. ({2}) Das, was ich sage, hat eine Quintessenz. Erstens. Wenn nämlich dieser Weg, der sich gerade angedeutet hat, gegangen würde, wäre - das wird Herr Blüm, der nach mir redet, gleich wohl bestätigen - keine Veranlassung mehr, die Forderung der F.D.P., das Rentenniveau auf Sozialhilfeniveau zu drücken, zu realisieren. ({3}) Es bestünde zweitens keine Notwendigkeit mehr, die Zerschlagung der Erwerbsunfähigkeitsrente als institutives Merkmal unserer Rentenversicherung weiter im Auge zu behalten. Vielmehr könnten wir sie aufrechterhalten. ({4}) Drittens. Jede Spekulation über eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hätte damit ihr Ende gefunden. Herr Kohl, wenn das gerade Ihre wirkliche Überzeugung war, stehen wir Ihnen nicht im Wege, diese zu realisieren. Aber Sie müssen diese Partei dann erst einmal wegräumen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Für die Bundesregierung hat jetzt Herr Bundesminister Blüm das Wort.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war eigentlich gar nicht auf einen Schlagabtausch eingestimmt. Aber wenn ich höre, wir würden eine Reform planen, mit der die Rentner in die Nähe der Sozialhilfe kommen, weil im Jahre 2030 das Rentenniveau bei 64 Prozent liegt, dann muß ich sagen: 64 Prozent betrug das Rentenniveau 1972 - da haben Sie regiert! ({0}) Da hat niemand gesagt, die Rente sei unsicher. Dazu muß ich noch einmal erklären, weil Sie mit Ihrer Parole Unsicherheit schaffen: Das RentenniBundesminister Dr. Norbert Blüm I veau hat überhaupt nichts mit Rentenkürzung zu tun. Es besagt nur, wie die Rente steigt. Kein Mensch, niemand in der Regierung - um das klarzumachen; obwohl Herr Dreßler es immer wieder suggeriert - will den Rentnern irgendwelches Geld wegnehmen. Es geht nur darum, daß der Rentenanstieg sanfter ist. ({1}) - Nein, es liegt mir daran, deshalb rege ich mich auf. Wir können nicht von allen Seiten eine Debatte führen, die nur dazu führt, daß die Rentner in Angst und Schrecken versetzt werden. Es geht nur darum, die Lasten zwischen Alt und Jung auszubalancieren. Insofern ist das für die Rentenversicherung gar nichts Neues. Sie ist dem Modell einer Familie nachgebildet. Jede Großmutter, jeder Großvater hat Enkel, und jeder Enkel hat Großmutter und Großvater. Insofern sehe ich hier keinen elementaren Gegensatz. Auch die Rentner müssen daran interessiert sein, daß ihre Kinder und Enkel keine Beiträge zahlen, die sie nicht zahlen können und nicht zahlen wollen. ({2}) Kein Enkel kann daran interessiert sein, daß seine Großmutter und sein Großvater nach einem erfüllten Arbeitsleben Fürsorgeempfänger werden. Das kann kein guter Enkel wollen. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft eine anständige Rentenversicherung. Ich sage: Es bleibt die gute alte Rentenversicherung. ({3}) Wir erfinden ein System nicht zum zweiten Mal. Wir entwickeln die Rentenversicherung weiter, aber wir reißen das Haus nicht ein. Wir bauen es weiter im Sinne der Balance - ich sage es noch einmal - zwischen Jung und Alt. Das beinhaltet freilich auch den Familiengedanken. Das sieht doch jeder ein: Wenn wir alle älter werden - Sie wollen es, Herr Dreßler, ich will es, wir alle wollen es -, dann wachsen die Rentenlaufzeiten, dann gibt es länger Rente. Dann muß man das, was an Rentenanspruch erworben ist, auf mehrere Jahre verteilen. Der Rentenanspruch wird nicht kleiner. Das ist doch die Folge eines erfreulichen Ergebnisses. Diese Veränderungen wollen wir ausbalancieren. Daß die Familie für die Rentenversicherung eine wichtige Funktion erfüllt, daß die Erziehung von Kindern auch dazu führt, daß morgen überhaupt noch Beitragszahler da sind, das ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Herr Dreßler, ich bin sehr gespannt. Mir sind vor allem Ihre Vorschläge zu den 100 Milliarden DM in Zusammenhang mit den versicherungsfremden Leistungen zu Ohren gekommen. Sie haben die Diskussion darüber gerade wieder eröffnet. Ich will einmal klarstellen: Erstens läßt der Bund die Rentner nicht im Stich: über 60 Milliarden DM Zuschuß an die allgemeine Rentenversicherung und bis zu 20 Milliarden DM an die Knappschaft und Erstattungen. Dennoch teile ich Ihre Meinung, daß man über Umfinanzierung nachdenken muß. Ich würde in der Rentenversicherung nicht so gerne mit dem Begriff „versicherungsfremd" arbeiten. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente ist nicht eine versicherungsfremde Leistung. Stimmen wir darin überein? Es muß in der Sozialversicherung einen Solidarausgleich geben, sonst könnten wir gleich zur Allianz gehen. Auch einen Regionalausgleich zwischen Süd und Nord gab es immer. ({4}) - Ich will das ja nur klarstellen. Ich bin für die Doppelstrategie Sparen und Umfinanzieren. Das Sparen ersetzt nicht die Umfinanzierung, aber die Umfinanzierung auch nicht das Sparen. Unser Ziel, unter 40 Prozent zu kommen, erreichen wir nicht nur mit Sparen. Wir müssen der Frage nachgehen - lassen wir einmal alle Dogmatik beiseite -: Was muß von den Beitragszahlern finanziert werden, und was muß von der Allgemeinheit finanziert werden? Nicht alle Bundesbürger sind Beitragszahler, also können die Beitragszahler auch nicht alles zahlen. Das hat zwei Gründe. Der erste Grund ist die soziale Gerechtigkeit. Wenn Sie Aufgaben der Allgemeinheit über Beitragszahler finanzieren, nimmt ein Teil der Bevölkerung daran nicht teil und diejenigen, die daran teilnehmen, nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Die guten Menschen, die der Sozialversicherung immer neue Aufgaben übertragen, betreiben also eine Subventionierung der Bezieher höherer Einkommen durch die Bezieher niedriger Einkommen. Der zweite Grund ist in dieser Situation mindestens genauso wichtig: Wir müssen von der Belastung der Arbeit weg- und zur Belastung des Verbrauchs hinkommen. Die Belastung der Arbeit verfolgt Produkte rund um die Erde. ({5}) - Ich lade Sie ja dazu ein, daß wir zusammen etwas tun. ({6}) - Machen Sie doch keinen unnötigen Streit. Mir fehlt etwas bei Ihnen: Sagen Sie einmal, wo Sie sparen wollen. Denn ich glaube, daß es nur mit Umfinanzieren und Sparen geht. Bisher höre ich von Ihnen nur „Umfinanzierung" . ({7}) Damit Sie mich nicht mißverstehen: Ich bin gegen diejenigen, die nur sparen wollen. Ich sage: Es geht nur in der Balance. Aber ich bin auch gegen diejenigen, die nur umfinanzieren wollen. Ich bin in der Lage: Propheten rechts, Propheten links; die einen wollen nur sparen, die anderen wollen nur umfinanzieren. Der richtige Weg ist in der Mitte, und zwar aus beschäftigungspolitischen und aus sozialpolitischen Gründen. Hier beweist sich: Es ist gar nicht so, daß Sozialpolitik immer im Gegensatz zur Wirtschaftspolitik steht, daß die Wirtschaftspolitik immer im Gegensatz zur Sozialpolitik steht. Wenn es der Wirtschaft schlechtgeht, kann es der Sozialpolitik nicht gutgehen. Ich meine das nicht nur wegen der Geldquellen. Siehe Arbeitslosigkeit: Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein Verlust an Einkommen, sondern auch ein Verlust an Bewährung und Selbstverwirklichung. Also, wenn es der Wirtschaft schlechtgeht, kann es der Sozialpolitik nicht gutgehen. Es gilt allerdings nicht: Der Sozialpolitik muß es schlechtgehen, damit es der Wirtschaft gutgeht. Das jedenfalls ist nicht die Philosophie der sozialen Marktwirtschaft. ({8}) Der Mann, den wir in dieser Woche gefeiert haben, war nicht nur der Mann der Kartellgesetzgebung - damit das nicht vergessen wird, Herr Friedhoff, mit Ihnen bewundernd -, sondern er hat die Mitbestimmung, das Betriebsverfassungsgesetz, den Lastenausgleich, die Rentenreform und die Kriegsopferversorgung mitgetragen. Soziale Marktwirtschaft ist eine Balance zwischen Leistung und sozialem Ausgleich, zwischen Wettbewerb und Solidarität. Diese Balance muß immer wieder neu eingependelt werden. Ich will keinen Staat, in dem wir wie in einer Legehennenbatterie alle versorgt werden. Ich will allerdings auch keinen Staat, in dem jeder alleingelassen wird. Diese Balance ist die Aufgabe der Reformen, die jetzt vor uns stehen. Ich bin ein erprobter Reformer. ({9}) - Das bin ich wirklich; das kann man sagen. Ich habe noch nie eine Reform ohne Streit erlebt. Im übrigen: Die Schmalspurreformen, die windschlüpfrigen Reformen, die Reformen ohne Streit sind alle nichts wert. Deshalb, Rudolf Dreßler: Habt doch einmal Mut. Tut mal „Butter bei die Fische"! Nicht nur Umfinanzierung! Wo soll gespart werden, wo ganz konkret, bei den Jungen und bei den Alten? ({10}) Ich bin sogar dafür: Selbst wenn alles in Ohnmacht fällt, marschieren wir Arm in Arm, aber nur mit dem Konzept „Sparen und Umfinanzieren". Nur das Geld umverteilen, das machen wir nicht. Denn die Beitragszahler sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit. ({11}) - Bringen Sie es jetzt nicht auf die etwas primitive Tour, als wäre diese Reform ein privates Problem von Blüm. Ich brauche keine Almosen; ich brauche keine Zuwendungen. Ich bin schon relativ erwachsen. Kohl und Blüm, wir sind alte Fuhrleute. Bei alten Fuhrleuten gibt es auch Streit. So ist das. Ich bekenne mich ausdrücklich zu Streit mit meinem Bundeskanzler. Trotzdem ist er mein Bundeskanzler. ({12}) Wir sind selbständige Menschen. Ich bin kein Meßdiener, und der Bundeskanzler ist kein Bischof. Wir sind alte Vertraute. ({13}) - Ich möchte daraus gar keinen Spaß machen. Es ist mir ganz ernst mit dem, was ich sage. Es wird um die Sache und um den richtigen Weg gerungen. Es wird nicht geschmust, vielmehr muß gerungen werden. Man muß sich dann irgendwann auch einigen. Sie alle können darüber sagen, was Sie wollen: Ich bin stolz darauf, daß eine Kommission, die mit ziemlich hochrangigen Finanzwissenschaftlern, Wirtschaftswissenschaftlern, Vertretern der Deutschen Bundesbank - darüber kann man nicht so leicht hinweggehen - besetzt war, nach achtmonatiger Arbeit gegen eine Stimme, nämlich die des Professors Miegel, ein Konzept vorgelegt hat. Diejenigen, die in der Öffentlichkeit Alternativen präsentieren, wie Herr Miegel, wie Herr Biedenkopf, haben bis zum heutigen Tag nur philosophische Betrachtungen, aber kein berechenbares Konzept vorgelegt. Ich kann nur mit solchen Konzepten Rentenpolitik machen, die auf Mark und Pfennig genau berechnet sind. Mit Philosophie und großen Theorien habe ich noch nie Sozialpolitik gemacht. Acht Monate hatte man Zeit, und in diesen acht Monaten hat man kein konkretes Konzept vorgelegt. Ich bewundere die diagnostische Kraft meines Freundes Biedenkopf. Ich frage mich nur immer: Was wollte uns der Dichter damit sagen? ({14}) Ich habe das heute morgen wieder bewundert. Es wurde gesagt, daß man sich auf die Langzeitarbeitslosen konzentrieren müsse. Darauf erwidere ich: Dafür haben wir das Arbeitsförderungs-Reformgesetz, das wir heute nachmittag noch behandeln. Damit konzentrieren wir uns auf diese Frage. Herr Dreßler, ich habe gesehen, daß Sie vor Begeisterung glänzende Augen hatten. In rund einer Stunde können Sie die Konsequenzen aus den Biedenkopfschen Thesen ziehen und dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz zustimmen. Dort steht das nämlich alles drin. ({15}) Dort steht: Konzentration auf Langzeitarbeitslose. Das ist nicht philosophisch, sondern konkret gemeint. Ich erwähne den Eingliederungsvertrag - er ist heute morgen erwähnt worden -, bei dem für die ersten sechs Monate das Risiko der Lohnfortzahlung vom Arbeitsamt übernommen wird. Das sind doch die konkreten Probleme. Ich erwähne weiter die Trainingsmaßnahmen. Wer zwei Jahre oder länger arbeitslos ist, hat es manchmal schwer, in das Arbeitsleben zurückzufinden. Um solche Personen muß sich das Arbeitsamt kümmern. Das nächste Stichwort ist: Dezentralisation. Es ist richtig, wenn Herr Biedenkopf sagt: Die Musik spielt vor Ort. Ich stimme dem zu: Richtig. Um die konkreten Probleme vor Ort können wir uns mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz besser kümmern. Gegen Ihren Widerstand haben wir den Grundsatz der Dezentralisation in das Gesetz hineingeschrieben, so daß die Arbeitsämter vor Ort mehr zu sagen haben und mehr Entscheidungen treffen können und die Zentrale in Nürnberg weniger. Das ist ganz konkret. Ich habe etwas gegen eine Diagnose, die ohne Folgen bleibt. Sie können nicht Thesen beklatschen und Konsequenzen bekriegen. Das ist Ausdruck einer politischen Bewußtseinsspaltung. ({16}) Bei allem Streit sollte unser Ehrgeiz nicht darin liegen, jetzt einen Rentengipfel zu machen. Wenn sich Sozialpolitiker auf die Höhen eines Gipfels begeben, dann ist das aus meiner Sicht ein Spektakel. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Sehr gut!) Die Koalition soll ihre Position beziehen, und auch die Opposition soll ihre Position beziehen. Hört doch einmal mit dem Begriff „Prestige" auf. Ich sage eines: In einem Rentenwahlkampf verlieren alle Parteien. Wenn jemand meint, daß er mit einem Rentenwahlkampf Erfolg haben könnte, ({0}) dann halte ich ihm entgegen: Da gibt es nur Verlierer. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Da hat er recht!) Die größten Verlierer sind die Rentner, die in Angst und Schrecken versetzt werden. ({0}) - Tragen Sie doch etwas dazu bei, indem Sie auf dramatische Szenarien verzichten. Sie tun doch so, als würde morgen früh die Rente nicht mehr ausgezahlt werden können. Ich frage: Ist denn eine Rente nicht ausgezahlt worden? Sind denn die Renten gekürzt worden? - Das ist doch alles nicht geschehen. Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie doch auf, mit solchen Spektakeln zu arbeiten. Laßt uns doch zusammensetzen und über konkrete Vorschläge beraten. Sie veranstalten ein Spektakel, als würde die Rentenversicherung kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Sie gibt es schon 100 Jahre; sie hat zwei Weltkriege und die Währungsreform überstanden; sie würde selbst die SPD überstehen; da bin ich mir ganz sicher. Hört doch mit solchen Sachen auf! ({1}) Es geht um Weiterentwicklung. ({2}) - Es gibt solche, die eine Reform außerhalb des jetzigen Systems machen wollen. Ich gehöre zu denjenigen, die im jetzigen System bleiben und es weiterentwickeln wollen, weil ich glaube, daß wir in der Sozialpolitik gar nicht die Chance haben, bei einem Nullpunkt anzusetzen. Das ist eine utopische Vorstellung. Es geht um Erwartungen, Lebensplanungen und Versprechungen, die man nicht einfach ausradieren kann. Dann würde jedes Vertrauen in den Staat schwinden. Es gibt aus meiner Sicht nur die Chance einer Evolution. Revolutionäre haben geglaubt, sie könnten die Welt mit einem Federstrich neu erfinden. Trümmer haben Sie zurückgelassen. Jede Revolution hinterläßt nur Trümmer. Es gibt nur den sachten Weg einer Weiterentwicklung mit Augenmaß, und zwar auch gegenüber den Jungen. Natürlich können die nicht Beiträge zahlen, wonach für sie nichts mehr übrigbleibt. Wenn es darum geht, die Generationenleistung zu bewerten, dann appelliere ich an Sie: Die jetzigen Rentner sind diejenigen, die mit ihren Beiträgen die Kriegsfolgelasten bezahlt haben. Das waren keine versicherungsfremden Leistungen, sondern Solidarleistungen. Sie haben die Renten für die Frauen gezahlt, deren Männer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Sie haben die Beschädigtenrenten gezahlt. Deshalb: Diese Generation hat viel zur Solidarität beigetragen, und den Wohlstand, den Gott sei Dank auch die Jungen in unserem Land genießen, verdanken wir der Solidarität der Generation, die jetzt Rente bezieht. Deshalb hat sie es nicht verdient, in einen Rentenstreit geschickt zu werden - für Kleingeld von politischem Hickhack. Es muß gestritten werden, wenn es geht, nicht zu lange. Es muß auch entschieden werden, was der Beitragszahler zahlen muß und was Sache der Allgemeinheit ist. Wenn wir uns auf dieser Ebene wiederfinden, haben wir nicht nur sozialpolitisch etwas geleistet, sondern auch etwas für unseren Sozialstaat. Der ist nämlich kein Ballast. ({3}) - Ja, ich sage es doch ausdrücklich. Man kann doch auch einmal etwas Übereinstimmendes sagen. Nicht jedes Wort ist feindlich gestimmt. Das ist eine Einladung, das Fundament des Konsenses bei allem Streit nicht zu verlassen. Die Rentenversicherung verdient die Anstrengung zu einem großen rentenpolitischen Konsens. Dazu lade ich ausdrücklich alle ein. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anke Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Blüm, ich glaube, Sie verkennen, welche Angst, Unsicherheit und Unruhe in der Bevölkerung über das Chaos der Regierung in Rentensachen herrschen. ({0}) Sie können nicht ermessen, wie verunsichert die Leute sind. Herr Glos sagte heute, wir sollten mit Betriebsräten reden. Ich war gestern in einer größeren Veranstaltung. Dort wurde mir gesagt: Wir glauben dieser Regierung überhaupt nichts mehr; diese Regierung wird das Land und auch die Rentenversicherung an die Wand fahren. Ich hätte heute von Ihnen erwartet, daß Sie bekennen: Ich, Norbert Blüm, bin dagegen, daß die Renten besteuert werden. Das wäre ein Satz gewesen, den wir hätten zur Kenntnis nehmen können. ({1}) Ich, Norbert Blüm, bin dafür, daß wir die Zahl der Beitragszahler erhöhen und daß wir dafür sorgen, daß die 610-DM-Grenze wegfällt, damit sich auch Frauen Sozialversicherungsleistungen aufbauen können. Solche Sätze hätte ich heute von Ihnen erwartet. ({2}) Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie sich klar von dem abgrenzen, was die F.D.P. Ihnen zumutet. Ich gebe zu, es ist eine Zumutung. Es ist unerträglich, schäbig und unanständig, was heute in den Reden der F.D.P. zu hören war. Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., kündigen den sozialen Konsens in dieser Gesellschaft auf. ({3}) Differenzieren wir noch einmal, vielleicht auch an die Adresse derjenigen, die von Rentenpolitik nicht soviel verstehen: Bis zum Jahre 2015 haben wir eigentlich keine Probleme, wenn wir die versicherungsfremden Leistungen in dem Rahmen, wie wir es vorschlagen, aus Bundesmitteln finanzieren Im Augenblick ist das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern sehr gut, weil - leider - die Jahrgänge, die jetzt Rente beziehen, wegen der Weltkriege nicht so stark sind wie zukünftige Rentnergenerationen. Wenn also diese Koalition nicht mit Hektik und Angstmache an das Rentenproblem heranginge, dann würde sie mit uns zusammen über die Frage nachdenken, was geschehen muß, um nach dem Jahre 2015 das demographische Risiko mit einzubeziehen. Deswegen ist es völlig idiotisch, jetzt Sparaktionen zu machen. Statt dessen brauchen wir Sicherheit in der Rentenfinanzierung, wir brauchen Zukunftsperspektiven. Für die Sozialdemokratische Partei sage ich: Es kann nicht so sein, daß wir das demographische Risiko individualisieren. Auch das muß in der Zukunft gemeinschaftlich solidarisch gestaltet werden. Denn sonst haben wir Armut im Alter, wenn unsere Kinder soweit sind. Das ist für uns nicht zu ertragen. ({4}) Spannend finde ich, wenn man an die Rentendebatte und an die Schritte zum Sozialstaatsabbruch denkt, die Sie immer wieder gehen wollen, daß über die eine Ursache heute ganz wenig geredet wurde, nämlich über die Zahl der Beitragszahler. Die Rentenversicherung hätte keine Probleme, wenn wir keine Arbeitslosigkeit hätten. ({5}) Dann wären nämlich 4 Millionen Menschen Sozialversicherungsbeitragszahler und Steuerzahler, und wir könnten über sehr viele andere Dinge nachdenken. Auch wenn Herr Ministerpräsident Biedenkopf ganz interessant die Arbeitslosenzahlen differenziert dargestellt hat, bleibt es doch dabei: 4 Millionen Arbeitslose belasten unsere Gesamtfinanzen mit 160 Milliarden DM. Abgesehen von der mangelnden Zukunftsperspektive, abgesehen von der mangelnden Chance, die die Menschen haben, ist das Kernproblem, daß Massenarbeitslosigkeit für ein System zu teuer ist, weil die Menschen keine Steuern und keine Beiträge zahlen, sondern Leistungen in Anspruch nehmen. ({6}) Deswegen ist das A und O: Wie bekommen wir es hin, diese Massenarbeitslosigkeit abzubauen? Da sage ich ganz klar: Das hat etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. Es kann doch gar nicht angehen, daß der Wirtschaftsminister sich hier hinstellt und nur seinen Jahreswirtschaftsbericht vorliest. - Wenn ihr mal etwas Langweiliges lesen wollt, dann lest den Jahreswirtschaftsbericht. Darin steht, was die alles gemacht haben. Es wird aber nicht evaluiert, ob es irgend etwas gebracht hätte. Vielmehr wird es beschrieben und dann gesagt: Auf den Arbeitsmarkt hat das alles gar keine Auswirkungen. Herr Minister Rexrodt, vor einem Jahr haben Sie mit glühenden Worten erzählt, wieviel Arbeitsmarktimpulse davon ausgingen, wenn all Ihre Abbruchsgesetze durchkämen. Nichts ist geschehen; keine Erfolge haben sie gezeitigt. Jetzt dümpelt alles so, wie Sie es gerne hätten, weiter vor sich hin. Deswegen ist dieser ganze Jahreswirtschaftsbericht ein Dokument des Hindümpelns. ({7}) Er offenbart klare Fehler. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung lahmt; deswegen ist es richtig, wenn wir sagen: Im Rahmen von Steuerreformen muß die Massenkaufkraft wiederhergestellt werden. - Ich nehme Ihre Bemerkung auf, Herr Kollege. Bei dem Ladenschluß war doch nicht das Thema, daß die Leute keine Zeit zum Einkaufen haben, sondern daß Anke Fuchs ({8}) die Leute keine Kaufkraft haben, kein Geld zum Einkaufen haben. ({9}) Deswegen ist es an der Zeit, daß wir Strangulierung der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen durch Abgaben und Steuern zurückführen. Dieser Punkt muß bei der Steuerreform beachtet werden. Herr Minister Rexrodt, zugleich steht in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht: Die Binnenkaufkraft dümpelt vor sich hin, und es mangelt an Investitionen, es mangelt an Investitionsneigung. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Woher soll eigentlich diese Investitionsneigung kommen? Denn eigentlich haben Sie doch alles getan, was aus Ihrer Sicht nötig ist, um dafür zu sorgen, daß die unternehmerische Wirtschaft investiert. Da sage ich Ihnen: Das ist Ihnen schon psychologisch mißlungen. Dieses Chaos dieser Bundesregierung wird die Menschen doch davon abhalten, jetzt zu investieren. Sie warten erst einmal ab, weil auch die unternehmerische Wirtschaft gar nicht weiß, was bei diesem Chaos noch herauskommt. Der Attentismus ist ein wichtiges Investitionshemmnis. Ich sage es einmal ein bißchen platt: Diese Bundesregierung ist das eigentliche Investitionshemmnis für die Bundesrepublik Deutschland. ({10}) Aber darauf will ich mich nicht beschränken. Vielmehr will ich aus unserer Sicht sagen: Sie werden diese Investitionstätigkeit, die Dynamik, das Umbrechen in zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik nicht allein durch noch so gut gestrickte steuerliche Vorteile erreichen. Wir brauchen staatliche Instrumente, um jene Dynamik auszulösen, die die Innovations- schwäche überwindet. Wir reden doch davon, daß wir in der Spitzentechnologie nicht mehr die Nummer eins sind. Deswegen muß hier etwas geschehen, und es muß heute geschehen. Wir können damit nicht so lange warten. Wir reden doch davon, daß wir Hochschulen ausweiten wollen und daß wir im Zuge einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung auch die Fragen beantworten müssen: Welche Innovationsimpulse der Zukunft gehen von der Erneuerung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus? Wie können wir die berufliche Bildung modernisieren? Wie kommen wir in der Forschung wieder an die Spitze? Wie können wir mit einem ökologischen Zukunftsinvestitionsprogramm nachhaltiges Wachstum stärken und Massenarbeitslosigkeit abbauen? Wie können wir Städtebauförderung nachhaltig betreiben, so daß Menschen beschäftigt sind, die Städte besser werden und der Attentismus der Wirtschaftstätigkeit in den Städten aufhört? Letzter Punkt. Wie können wir vernünftigerweise mit einer ökologischen Steuerreform, die heute auch schon angesprochen worden ist, die Energie verteuern, die Arbeit entlasten und Spielraum für eine innovative Politik in Richtung ökologische Erneuerung schaffen? Dazu bedarf es Initiativen, meine Damen und Herren, und wir werden diese vorlegen. ({11}) - Ich sagte eben: Wir werden diese vorlegen. Nein, wir haben das alles schon vorgelegt. Den Schnack, Sie wüßten nicht, was wir wollen, finde ich immer sehr wichtig. Wir haben zu all den Themen, die ich hier vorgetragen habe, Anträge eingebracht. Ich finde es beachtlich, daß der Wirtschaftsminister die Frage mangelnder Innovationsfähigkeit der unternehmerischen Wirtschaft nicht zum zentralen Thema gemacht, sondern sich herausgeredet hat mit einem „Weiter so! ": Ich dümple, du dümpelst, wir dümpeln, und das würde dann die Arbeitsplätze schaffen. Es wird nicht funktionieren, meine Damen und Herren. Wir brauchen Innovation, wir brauchen kreative neue Ansätze, vielleicht auch in allen unseren Köpfen, aber zunächst einmal in den Köpfen dieser Koalition, damit die Dümpelei endlich aufhört. ({12}) Dann beschreiben Sie - ich kenne ja Herrn Hinsken und weiß, daß er es gerne möchte - eine Mittelstands- und Existenzgründungsoffensive. Der Bundeskanzler hat ja recht, daß Leute kein Chancengeld bekommen, kein Risikokapital, daß sie Sorge haben, wie sie mit den Risiken bei Gründungen umgehen sollen. Aber das funktioniert doch nur, wenn Sie endlich mit uns unsere Anträge behandeln und dazu beitragen, daß ein Instrument für die Bereitstellung von Risikokapital geschaffen wird. Bisher haben Sie unsere Anträge immer abgelehnt. Deswegen, Herr Kollege Hinsken, nehme ich Ihnen auch nicht ab, daß Sie mit uns zusammen nun endlich ein Programm starten, das mittelstandsfreundlich ist, das eine Existenzgründungsoffensive startet und mit dem wir dann sagen können: Wir schaffen bessere Bedingungen, übrigens gerade in Ostdeutschland, damit die wirtschaftliche Entwicklung dort wieder auf die Beine kommt. Als letztes will ich noch einmal darum werben, daß wir uns alle mit Nachdruck um diese Innovationsoffensive bemühen und daß wir auch nicht meinen, mit dieser Steuerentlastung allein würde die wirtschaftliche Dynamik organisiert werden. Das wird ein längerfristiger Prozeß sein. Denn wenn man, wie ich gesagt habe, 15 Jahre lang vor sich hingedümpelt hat, dann ist ja auch vieles eingeschlafen, was für die Zukunft kreativ organisiert und verändert werden könnte. Deswegen wissen auch wir, daß man die Massenarbeitslosigkeit nicht so schnell zurückführen kann. Diese Innovationsoffensive für neue Arbeitsplätze braucht richtigerweise einen langen Atem; denn wir wollen strukturelle Veränderungen, die sich langfristig auswirken. Darauf, meine Damen und Herren, kommt es uns an. ({13}) Deswegen - ich sehe ja, daß der Herr Bundeskanzler vielleicht mit einem Achtel Ohr zuhört - muß für die Zeit, bis sich dieser Umbruch so auswirkt, daß Anke Fuchs ({14}) neue Arbeitsplätze entstehen, die Frage beantwortet werden: Was machen wir so lange mit den Menschen, die arbeitslos sind? Das sind welche, die Arbeit suchen. Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich auch diese Regierung dazu bekennt, daß wir auf Dauer, solange wir alle miteinander Politik machen, Arbeitsmarktpolitik brauchen. Der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt muß verstetigt und in verläßliche Bahnen gebracht werden. Statt mehr zu tun auf diesem Sektor, der ja nachweislich Menschen in Arbeit bringt, wollen Sie doch heute nachmittag mit Ihrem Gesetz die gesetzlichen Instrumente einschränken. Meine Damen und Herren, Sie gehen den falschen Weg. Deswegen werden wir Ihrem Arbeitsförderungsgesetz auch nicht zustimmen können. Damit bekämpfen Sie gerade wieder die Arbeitslosen, statt Arbeit für Arbeitsuchende zu finanzieren. Das ist mit uns nicht zu machen. ({15}) Sie sagen, Herr Bundeskanzler, - das ist völlig richtig - wir brauchen Arbeitsplätze für Menschen, die eine einfache Arbeit wollen. Da muß man überlegen, wie man das bezahlbar macht. Da muß man überlegen: Zu welchen Bedingungen mache ich das? Da muß man die Frage beantworten: Wie schaffe ich Saisonarbeitsverhältnisse, die ganzjährige Perspektiven eröffnen? Darum müssen wir miteinander ringen. Aber das heißt doch, daß ich überlegen muß, welche Organisations- und welche Finanzierungsformen ich dafür habe und wo ich ein solches Programm ansiedele. Darüber können Sie mit uns nicht reden, wenn Sie zur gleichen Zeit die Instrumente, die wir haben, nämlich die Arbeitsförderungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, so zusammenstreichen, daß daraus keine verläßliche Perspektive entstehen kann. Ich kann mir vorstellen, daß man Lohnkostenzuschüsse zahlt. Ich kann mir vorstellen, daß man Organisationsformen findet, durch die einfache Arbeitsplätze geschaffen werden, daß man also brachliegende Arbeit in bezahlbare Arbeitsplätze umwandelt. Dann müssen wir aber ein bißchen mehr tun, als nur darauf zu hoffen, daß wir ein „working-poor-Instrument" wie in den Vereinigten Staaten in die Hand bekommen. Das ist mit uns nicht zu machen. ({16}) Deswegen sage ich: Innovative Wirtschaftspolitik, die von einer Arbeitsmarktpolitik, die Beschäftigung fördert, begleitet werden muß, muß verstetigt und verbessert werden. Sie machen das Gegenteil - ich will noch einmal daran erinnern -: Der Bundeskanzler sagt jetzt: Überstunden herunter. Vor Jahren hat er ein Arbeitszeitgesetz verabschieden lassen, das die wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden heraufgesetzt hat. Sie haben doch dazu beigetragen, daß es wieder üblich geworden ist, Überstunden zu machen, anstatt solidarisch darauf zu verzichten und die Arbeit anders zu verteilen. Auch das Vorhaben bezüglich der Teilzeitarbeit finde ich witzig. Teilzeitarbeit ist ja eigentlich Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Sonst würden ja alle Vollbeschäftigung erhalten. Teilzeitarbeit erhalten die Frauen nach dem Motto: Der Mann die Vollzeitarbeit, die Frau die Teilzeitarbeit. Wer eine Kampagne für mehr Teilzeitarbeit anstoßen möchte, muß sagen: Wir brauchen Arbeitszeitverkürzung in mehreren Variationen und eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Wenn die Möglichkeit der Teilzeitarbeit besteht, dann aber bitte sozialversicherungspflichtig. Sonst bleiben die Frauen auf diesem Gebiet ausgebeutet. Das ist mit uns nicht zu machen. ({17}) Ich fasse zusammen: Die Stimmung in unserem Land ist besorgniserregend. Die Menschen machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft. Mit ängstlichen Menschen werden wir jenen innovativen Prozeß nicht erreichen, den wir um der Menschen sowie der Demokratie willen und auch deswegen benötigen, um Arbeitsplätze zu schaffen und eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen. Danke. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Bundesregierung, der Bundeskanzler und Vertreter der Koalition, heute zum Thema „gemeinsame Verantwortung für mehr Beschäftigung in Deutschland" angeboten haben, hilft den sechs Millionen Arbeitssuchenden hierzulande kein Stück weiter. Im Gegenteil: Die vom Bundeskanzler aufgemachte Begründungskette für die derzeitige Arbeitsmarktmisere - schuld sei die große Erwerbsneigung von Frauen, seien wieder einmal die Zuwanderer und die Ausländerinnen und Ausländer sowie die unwillige, schwarz arbeitende und unqualifizierte Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft hierzulande - ist ein weiterer Schlag ins Gesicht derjenigen, denen das Menschenrecht, durch eigene Erwerbsarbeit ein Leben in Selbstbestimmung und Würde zu führen, verweigert wird. Ich frage mich, wie die Kanzlerworte vom „Aufschwung", der auf einem „soliden Fundament" steht, von den „möglichen Beschäftigungserfolgen" und von der „Verbesserung der Voraussetzungen für mehr Beschäftigung" in einem Arbeitsamtsbezirk wie Bitterfeld mit einer offiziellen Arbeitslosenrate von 24 Prozent aufgenommen werden. Allein im Januar gab es hier 2 000 neue Arbeitslose. Die Tendenz ist steigend. Derzeitiges Hauptproblem, wie überall, sind Reduzierungen im ABM-Bereich. Die Träger haben Probleme, Maßnahmen zu ergreifen. Es herrscht absolute Ungewißheit, wie hoch die Mittel sein werden, die aus Nürnberg kommen. Das führt zu großen Schwierigkeiten bei Neubewilligungen im Bereich ABM und FuU. Die mageren Stellenangebote auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten eben keine Chance zur Senkung der Arbeitslosenrate. Erst gestern habe ich mit der Arbeitsamtleiterin in Bitterfeld gesprochen. Sie berichtete, daß es für Frauen so gut wie gar keine Stellen gebe. Wenn überhaupt, dann seien diese meist untertariflich bezahlt. Ihr trauriges Fazit - ich zitiere sie wörtlich -: Bis 40 Jahre, dann ist Schluß; ab 45 auf dem Arbeitsmarkt kaum unterzukriegen. Wenn Sie es mit Ihrer „gemeinsamen Verantwortung für Beschäftigung in Deutschland" wirklich ernst meinen, dann ziehen Sie als einen ersten Schritt - einige Kolleginnen und Kollegen aus der SPD haben bereits in dieser Richtung an Sie appelliert - das heute in einem parlamentarischen Eilverfahren durchzupeitschende Arbeitsförderungs-Reformgesetz zurück. Denn mit den darin vorgesehenen massiven Kürzungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik treiben Sie die Arbeitslosenzahlen weiter in die Höhe. ({0}) In den vergangenen Wochen haben uns alle Hunderte von Protestbriefen gegen den Abbau der Arbeitsförderung Ost erreicht, in denen vor der katastrophalen Auswirkung Ihrer Rotstift-Politik gewarnt wird. Von ihr werden vor allem wieder Frauen betroffen sein, denn sie sind nach wie vor ganz besonders auf den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt angewiesen. Die praktische Politik der Bundesregierung, - leider hat Frau Nolte jetzt den Saal verlassen - ist, denke ich, der Beweis dafür, daß es sich bei solch hehren Absichtserklärungen wie den „nationalen Strategien zur Umsetzung der vierten Aktionsplattform zur vierten Weltfrauenkonferenz" um einen reinen Papiertiger handelt. Denn die Bundesregierung bezeichnet die Verbesserung der Situation von Frauen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt darin als einen strategischen Hauptschwerpunkt. Ich empfinde es als skandalös, wenn sich der Bundeskanzler hier hinstellt und die These von sich gibt, daß die große Erwerbsneigung von Frauen de facto ein Grund für die gegenwärtige Arbeitsmarktkrise sei, und es auch noch fertigbringt, die gegenwärtige Erwerbsquote der Frauen in Ostdeutschland von 74 Prozent als eine Art Erfolg zu feiern. Dabei wird das Ausmaß von Verdrängung und Dequalifizierung, mit denen Ostfrauen derzeit konfrontiert sind, absolut ignoriert. ({1}) Mit einer Politik, die die Absenkung von Sozialstandards und Löhnen und den Abschied vom „Gebot der Sicherung der Vollbeschäftigung heuchlerisch als Stärkung der Eigenverantwortung" verkauft, tragen Sie mehr und mehr zur weiteren Spaltung dieser Gesellschaft in arm und reich und zur Zementierung geschlechtsspezifischer Disparitäten auf dem Arbeitsmarkt bei. Wir haben heute reichlich über die Krise des Systems der sozialen Sicherung gesprochen. Ein Fazit lautet: Diese Krise ist durch Ihre Politik des Sozialraubbaus eine hausgemachte. Denn es ist die Massenarbeitslosigkeit, die uns hierzulande so teuer zu stehen kommt. ({2}) Einige Anmerkungen zu Ihren Vorschlägen zur Fortentwicklung der Rentenversicherung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden die solidarische Versicherung nicht stärken, sondern zerstören. Mit Ihrem neuen Eckpfeiler, der steuerfinanzierten Familienkasse, greifen Sie - berechtigt - das Problem der versicherungsfremden Leistungen auf. Aber Sie haben es genau am falschen Ende angepackt statt bei der Fremdrentenregelung und dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Der Gedanke der Beitragsbezogenheit soll nun dermaßen überzogen werden, daß letztlich das Solidarprinzip verschwindet. Herr Minister Blüm, das Rentenniveau mit einem Demographiekoeffizienten abzusenken wird dazu führen, daß viele Rentnerinnen und Rentner langfristig in die Sozialhilfe abrutschen. Die Renten derjenigen zu kürzen, die tagtäglich um Arbeitsplätze kämpfen müssen und deren Erwerbsbiographien kaum für eine ausreichende Alterssicherung genügen, und andererseits wachsende Gewinne unangetastet zu lassen, zeigt ganz deutlich, wessen Geistes Kind diese Rentenreform ist. Der Solidargedanke der gesetzlichen Rentenversicherung darf nicht mit bloßer Beitragsäquivalenz betrachtet werden. Notwendig sind neuartige Finanzierungsmodelle. Für die Zukunft braucht die gesetzliche Rentenversicherung einen neuen Ansatz. Solange nicht mit gleicher Intensität darüber nachgedacht wird, wie die Sozialversicherungskassen unter den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt und unter der demographischen Entwicklung neu und andersartig gefüllt werden können, bleibt nur die unsoziale Leistungskürzungsspirale. Die PDS hat Alternativvorschläge vorgelegt. Ich nenne nur die Ausweitung der Versicherungspflicht für jede geleistete Arbeitsstunde oder die Anbindung der Beiträge der Arbeitgeber an die Wertschöpfung der Unternehmen. Statt in einer hektisch geführten Rentendebatte Woche für Woche mit immer neuen Kürzungsvorschlägen immer mehr Verunsicherung und letztlich mehr Politikverdrossenheit zu stiften, sollte sich die Bundesregierung lieber um die Einnahmenseite kümmern - sprich: den notwendigen Paradigmenwechsel in der Beschäftigungspolitik angehen. Im Jahreswirtschaftsbericht 1997 haben Sie den Offenbarungseid geleistet. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, und Ihr Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung hat eben nicht den erhofften Beschäftigungseffekt gebracht. Da Sie nun auf das Motto Reformen für Beschäftigung setzen, gebe ich Ihnen einen Tip: Setzen Sie nicht auf neue Überschriften, sondern setzen Sie auf konkrete, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Armut. - Herr Kohl hat heute diesbezüglich wirklich nichts als heiße Luft gebracht. - Dann nämlich könnten wir uns die ganze Geisterdiskussion sparen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung ({0}) - Drucksachen 13/5676, 13/5730 - ({1}) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 13/6845 Berichterstattung: Abgeordnete Heinz Schemken Adolf Ostertag Marieluise Beck ({3}) Dr. Heidi Knake-Werner b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/6846 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich Austermann Kristin Heyne Ina Albowitz Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Debatte die Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf namentlich durchführen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab hier eine redaktionelle Änderung zu Durcksache 13/6845 anmelden. Sie betrifft den § 283 auf Seite 173. Hier geht es um eine Verdeutlichung der Fassung. Die neue Fassung des § 283 Abs. 1 Nr. 2 muß insoweit ergänzt werden: Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen, - das Wort „besitzen" kommt hier hinein oder Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und Nun hat ja die heutige Diskussion schon einiges zutage gebracht. Frau Fuchs sprach von Kreativität und Innovation. Ich finde, das paßt - ({0}) - Damit die Verdeutlichung sowohl für die Aufenthaltserlaubnis als auch für die Aufenthaltsberechtigung deutlich herauskommt. Vorher hieß es: Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und wir fügen hier ausdrücklich etwas ein: Ausländer, die im Bundesgebiet geboren sind und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen oder Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und Das ist eine redaktionelle Änderung, die vom Ausschußbüro als notwendig erachtet wurde, Frau Präsidentin. Nun ist ja heute schon einiges besprochen worden, und es steht wohl außer Frage, daß trotz des Wachstums die Arbeitslosigkeit nur geringfügig zurückgeht und daß wir deshalb auch ein Arbeitsförderungsgesetz, das aus dem Jahre 1969 stammt, dieser Herausforderung anpassen müssen. Der Bundesrat hat nun die erste Fassung des AFRG blockiert, und so sind wir gehalten, um dieses Arbeitsförderungsgesetz in der überarbeiteten Form am 1. April wirksam werden zu lassen und um auch die wirksamen Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt deutlich werden zu lassen, das in dieser Form zu tun. Wir dürfen feststellen, es ist nicht so, wie Sie das soeben in dem einen oder anderen Beitrag zum Ausdruck gebracht haben, daß die Förderung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekappt wird. Im Gegenteil, wir werden sie in den Gebieten der Bundesländer, wo es sich auch um finanzschwache Träger handelt, von 15 auf 30 Prozent erhöhen. Das gilt insbesondere für die Träger der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit. Diese Regelung soll sogar bis zum 31. Dezember des Jahres 2002 gelten. Allerdings müssen wir auch die Arbeitsmarktpolitik - und das ist wesentlich - den individuellen Wettbewerbschancen und der Integration des einzelnen in den regulären Arbeitsmarkt anpassen. Das ist im übrigen in dieser Gesetzgebung ein wichtiges Element. Dies steht im Gegensatz zu den arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen der SPD. Sie mögen da mehr den Staat beschwören, daß der Staat es regeln könne. ({1}) Das wäre kein Einstieg in Kreativität und Innovation. Wir wollen im Gegenteil: Dezentralität; wir wollen I die Reaktion vor Ort. Deshalb schaffen wir Handlungsspielräume für die Arbeitsämter vor Ort. ({2}) Das Stichwort lautet hier „Innovationstopf" . Damit können wir die Problemlagen vor Ort schneller erf assen. Herr Kollege Urbaniak, wir haben das ja in einem Fall am Beispiel der Benachteiligten getan. ({3}) Wir erwarten allerdings auch von den Arbeitgebern - das sage ich auch einmal ausdrücklich -, daß sie Eingliederungsversuche und auch Gründe für das Scheitern den Arbeitsverwaltungen mitteilen, denn die Einführung des Teilarbeitslosengeldes macht auch einiges möglich. Ich meine im Gegensatz zu dem eben Gesagten: Dies ist auch eine Beseitigung der Diskriminierung. Dies gilt auch für die Berufsrückkehrer, die wir ja in besonderer Weise - der Minister hat es ja vorhin schon deutlich gemacht - auf den ersten Arbeitsmarkt zurückführen. ({4}) - Ja, ich komme dazu. Wir wollen, daß der § 102, der Rechtsanspruch in der beruflichen Rehabilitation, auch bei der Eingliederung der Behinderten bleibt. Damit bleibt der Zugang für die Behinderten zu den Berufsbildungswerken und zu den Berufsförderungswerken. ({5}) Dies haben wir deshalb ausdrücklich auch so formuliert. ({6}) Bei einem Mehr von 83 Millionen DM verfügbarer Mittel bei der Förderung der Benachteiligten kann man hier nicht von einer Reduzierung sprechen. Im Gegenteil: Der Haushaltsansatz 1996 lag nur bei rund 1,5 Millionen DM. Jetzt haben wir ein schönes Stück dazugelegt. Es sind immerhin 83 Millionen DM mehr gegenüber diesem Betrag von 1,5 Millionen DM. ({7}) Dies müssen wir auch gegenüber den Verbänden und Einrichtungen deutlich machen. Wenn hier heute unter dem Gesichtspunkt der Verunsicherung ständig heraufbeschworen wurde, daß möglicherweise ein Vorwurf von dieser Seite komme, dann muß ich entgegnen: Wir sollten mit diesem Instrument draußen eine positive Aufklärung nach außen betreiben. Dies gilt auch für die Frage der Berufsberatungen. Auch hier findet in dem Sinne keine Privatisierung statt. Wir möchten sinnvoll Organisationen, Kammern und andere einbinden, die uns helfen, die jungen Menschen in die Erwachsenenwelt zu bringen, das heißt, ihnen einen Ausbildungsplatz zu verschaffen. Das ist ein ganz wichtiges Argument, weil sie sonst Sozialhilfeempfänger werden. Dieser Punkt hat uns in dieser Frage in besonderer Weise beschäftigt. Abschließend habe ich noch einen Hinweis: Wir hätten es gerne gesehen, wenn auch Gruppierungen aus den größeren Sozialverbänden bei den Vorschlägen zu den Selbstverwaltungsorganen Benennungen durchgeführt hätten. Dies hätte dazu geführt, daß möglicherweise wenig faßbare Gruppierungen diesen Anspruch geltend gemacht hätten. Deshalb mußten wir auf diese Einlassung verzichten, so daß wir nur für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die auch tariffähig sind, diesen Zugang eröffnet haben. Abschließend möchte ich auf die Beschlußempfehlung hinweisen und Sie bitten, diesem Gesetz zuzustimmen, damit Bewegung, Flexibilität und Innovation am Arbeitsmarkt zustande kommen und damit die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt möglichst attraktiv gestaltet wird. Schönen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Meine Damen und Herren, die Kollegin Rennebach und der Kollege Grund haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so. Als nächstes hat der Kollege Adolf Ostertag das Wort.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Horrorsituation auf dem Arbeitsmarkt ist ja heute schon genug geredet worden. Wenn man sich dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz vor Augen hält, stellt man die Situation fest, daß der nächste Schlag gegen die Arbeitsförderung in dieser Republik geführt wird. ({0}) Dieses Gesetz bringt keinerlei Reform, sondern ist ein weiterer Rückschritt. Das AFRG fördert immer weniger die Beschäftigung und immer weniger die Qualifizierung der Arbeitnehmerschaft. Es steht allein unter dem Diktat der leeren Kassen. Die Arbeitsmarktpolitik verkommt auf diese Weise zu einer Restgröße von Waigels Finanzjongliererei. ({1}) Nach den Verstümmelungen in den letzten Jahren sollen der Arbeitsförderung nun endgültig die Beine weggeschlagen werden. Mit diesem AFRG gibt die Bundesregierung das Vollbeschäftigungsziel endgültig auf. Sie kappt die aktive Arbeitsförderung gerade dann, wenn sie angesichts steigender Arbeitslosigkeit ausgebaut werden müßte. Sie wandelt die Rechtsansprüche auf berufsqualifizierende Maßnahmen in Kann-Bestimmungen um, und sie verschlechtert die Lage in den neuen Ländern, in denen der wirtschaftliche Aufholprozeß ohnehin bereits ins Gegenteil umgeschlagen ist. *) Anlage 3 Die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik ist ein Torso. Der Bundeshaushalt 1997 geht von 4 Millionen anstatt von durchschnittlich 4,2 Millionen Arbeitslosen aus. Damit fallen bis zu 6 Milliarden DM zusätzlich allein an Arbeitslosenunterstützung an. Gleichzeitig wird der Zuschuß an die Bundesanstalt gekürzt. Trotz höherer Arbeitslosigkeit beträgt er nur noch 30 Prozent des bereits 1996 tatsächlich erforderlich gewesenen Zuschusses. Das zeigt, um was für ein Bruchstück es sich handelt. Das ist eine Rechnung, die niemals aufgehen kann. Deshalb verfährt die Bundesregierung nach dem Motto: Den letzten beißen die Hunde. Nach dem Willen dieser Regierung werden letzten Endes die Arbeitslosen gebissen. Konkret heißt das: Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld müssen durch weitere Kürzungen bei den aktiven Leistungen der Arbeitsförderung ausgeglichen werden. Damit werden diese noch weiter zusammengestrichen. Die Betroffenen werden arbeitslos. Ganz konkret wirkt sich diese Reform der Finanzierung aktiver Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel in meinem Arbeitsamtsbezirk so aus, daß die Maßnahmen für die Qualifizierung um 20 Prozent gekürzt werden. Ich empfehle Ihnen, einmal bei Ihrem Arbeitsamt nachzufragen, wie stark die Kürzungen sein werden und welche Konsequenzen das für die Menschen hat, die wirklich noch Perspektiven für sich sehen. ({2}) Dank der unsoliden Finanzierung und der beabsichtigten Kürzungen kommt eine Förderung der besonders Benachteiligten, insbesondere der Jugendlichen, überhaupt nicht mehr zustande. Der Bundesarbeitsminister hat behinderten Jugendlichen in beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen mitgeteilt, daß die Förderung eingeschränkt werden muß. Ich finde das ganz besonders schlimm. Ich bin gespannt darauf, was insbesondere bei den benachteiligten Jugendlichen, die in Abschlußmaßnahmen, in sogenannten §-40-c-Maßnahmen, nach dem Arbeitsförderungsgesetz sind, geschehen wird. Der Ausschuß hat einstimmig gesagt, daß hier nicht gekürzt werden soll. ({3}) Ich bin gespannt darauf, ob die Regierung wirklich diesem Appell des Ausschusses nachkommen und hier Änderungen vornehmen wird, und zwar auch in Form von Anweisungen gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit. ({4}) Mit diesem Gesetz, Herr Bundesarbeitsminister, werden die Arbeitsämter wirklich wieder zu Stempelbuden. Nur muß man sagen, daß wegen der gekürzten Lohnersatzleistungen bei den betroffenen Menschen künftig noch weniger abzustempeln ist. Das zweite Beispiel, das ich nennen möchte, sind die Lohnkostenzuschüsse. Hier leistet sich die Bundesregierung ein besonders dreistes Stück zur Aushöhlung der Tarifautonomie und zur Etablierung eines Niedriglohnsektors. Arbeitgeber, die untertariflich bezahlen, erhalten zur Belohnung einen höheren Zuschuß des Arbeitsamtes. Wer tarifliche Standards unterläuft, wird belohnt, und das auch noch auf Kosten der Arbeitnehmer. Lohnkostenzuschüsse sollten eigentlich dazu beitragen, das Unternehmerrisiko bei der Einstellung bestimmter benachteiligter Personengruppen zu mindern. Nach der Konzeption des AFRG belohnen Sie Sozialdumping der Arbeitgeber. Der ursprüngliche Fördergedanke wird damit wirklich auf den Kopf gestellt. ({5}) Ein weiteres Beispiel ist die Abwälzung von Kosten der Arbeitslosigkeit auf die Kommunen. Die angeblichen Einsparungen durch das AFRG sind bei näherem Hinsehen nichts anderes als das Abdrängen von Menschen in die Sozialhilfebedürftigkeit. Das AFRG bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern allenfalls die chronische Finanznot des Finanzministers. Heute sind bereits 800 000 Bezieher von Arbeitslosenunterstützung sozialhilfebedürftig. Dieses Gesetz wird die Zahl weiter nach oben treiben. ({6}) Im Ergebnis rechnen die Kommunen mit einem weiteren Anstieg der Sozialhilfeaufwendungen von 2 Milliarden DM. Das sind auch Kommunen, in denen Sie als Abgeordnete aktiv sind. Sie sollten sich das wirklich hinter die Ohren schreiben. Das AFRG dient unter dem Diktat des Finanzministers gezielt der weiteren Ausgliederung der sozial Schwachen. Ein letztes Beispiel: die Anrechnung von Entlassungsentschädigungen. Wider jede Vernunft und gegen jeden Rat der Sachverständigen hält die Regierungskoalition an der Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld fest, obwohl Gewerkschaften und Arbeitgeber in einer bemerkenswerten Übereinstimmung vor einer solchen Regelung warnen und eine Gefahr für den Betriebsfrieden sehen, obwohl die Tarifparteien und die Arbeitsrichter eine Prozeßflut erwarten und obwohl die Arbeitsrichter starke verfassungsrechtliche Bedenken geäußert haben. Dies alles ficht die Koalitionäre auf ihrem Kreuzzug gegen Arbeitslose und gegen Tarifautonomie nicht an. Daß mit diesen Regelungen sozialverträgliche Lösungen erschwert werden und Sozialpläne zukünftig unmöglich werden, liegt auf der Hand. Es wird aber bewußt in Kauf genommen. Dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz stranguliert die aktive Arbeitsmarktpolitik. Unsere Anhörungen haben nachhaltig bewiesen, daß mit weiteren 300 000 Menschen zu rechnen ist, die in die Arbeitslosigkeit geraten, wenn dieses Gesetz wirksam wird. Die zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten sind mit 12 Milliarden DM zu beziffern. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erfordert zuerst den politischen Willen zu einer Wende auf dem Arbeitsmarkt. Die heutige Debatte hat bewiesen, daß Sie diesen Willen nicht haben. Es müssen natürlich auch überzeugende Konzepte hinzukommen. Ich kann für meine Partei sagen, daß wir sowohl den politischen Willen aufbringen, als auch die Konzepte haben, um die Massenarbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen. ({7}) Der Standardvorwurf, der immer wieder erhoben wird - heute auch -, die SPD habe keine Alternativen oder blockiere, ist schlichtweg falsch. Ich nenne einige Beispiele. Im Entwurf des Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes, der im November von dieser Koalition abgelehnt worden ist, wird nachgerechnet, daß es mit denen in ihm enthaltenen Regelungen möglich ist, in zwei Jahren 500 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit unserem Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze haben wir nachhaltig bewiesen, daß die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden können. ({8}) Wir haben über den Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit eingebracht. ({9}) Dadurch ließen sich 10 Milliarden DM Beitragsmehreinnahmen für die sozialen Sicherungssysteme erwirtschaften. Wir haben im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Förderung der Teilzeitbeschäftigung vorgelegt. Das wurde heute schon mehrfach angesprochen. Schauen Sie sich diese Entwürfe endlich einmal an! Sie können nachlesen, welche Konzepte wir vorlegen und wie dem Arbeitsmarkt und der Sozialversicherung in den verschiedenen Segmenten geholfen werden kann. ({10}) In der nächsten Sitzungswoche werden wir über unseren Entwurf „Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten" streiten, wo in der Tat enorme Beschäftigungseffekte erzielt werden können. ({11}) - Vielleicht lesen Sie einmal den Entwurf. Wir werden im Plenum darüber diskutieren. Er wird demnächst auf der Tagesordnung stehen. Es wird dazu auch Anhörungen geben. Dann werden wir auch über die Zahlen reden können, das heißt darüber, welche Beschäftigungseffekte möglich sind. Alle unsere konzeptionellen Vorschläge der letzten Jahre wurden von Ihnen abgelehnt. Durch das, was Sie unternommen haben, wurde auf dem Arbeitsmarkt nichts bewerkstelligt. Die Regierung handelt seit 14 Jahren. Wie sie handelt, können wir an den Zahlen ablesen, die in der übernächsten Woche von der Bundesanstalt für Arbeit bekanntgegeben werden. ({12}) Wir werden weiterhin Initiativen vorschlagen. Ich nenne hier nur stichwortartig das Thema Flexibilisierung und Verkürzung von Arbeitszeiten. Ich nenne das Beispiel Ausbildungsplatzgarantie und die Umwandlung von Überstunden in zusätzliche Arbeitsplätze. Dazu hatten wir schon Entwürfe vorgelegt; wir werden aber noch neue einbringen. Es wird sich dann zeigen, welche Position Sie dazu einnehmen. Damit liegen ganz konkrete Vorschläge für mehr Beschäftigung, für bessere Chancen der Arbeitslosen und für die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme auf dem Tisch. Die Herausforderung unserer Gesellschaft durch die Massenarbeitslosigkeit ist bitterernst. Wenn wir diese Aufgabe nicht bestehen, glaube ich, ist unsere Demokratie in den Grundfesten gefährdet. Nicht ohne Grund warnt zum Beispiel das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, eine parteipolitisch unabhängige Institution, mit folgenden Worten: Die Krise am Arbeitsmarkt unterminiert die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft. Die Systeme der sozialen Sicherung werden durchlöchert. Finanzierungsprobleme führen zu tiefen Einschnitten ins soziale Netz. Ein immenser Verlust an individueller und gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt ist bereits abzuschreiben, unwiederbringlich, unaufholbar. Weitere schwere Verluste stehen ins Haus. Der nächste schwere Verlust steht heute mit dem AFRG, diesem Rückschrittsgesetz, ins Haus. Diesen Schritt, meine Damen und Herren, kann die SPD nicht mitmachen. Vielen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Dr. Peter Raumsauer, CDU/CSU, gibt seine Rede auch zu Protokoll. *) Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. ({0}) Dann hat jetzt das Wort die Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer bedeutenden großen Wochenzeitung gab ein bekannter Journalist letzte Woche zum besten, daß sich Politiker dadurch auszeichnen, daß sie nie müde werden, das immer gleiche stetig zu wiederholen. Dazu allerdings gibt uns die Bundesregierung reichlich Gelegenheit. Wir haben nämlich heute zum zweitenmal die dritte Lesung des hier vorliegenden Arbeitsförderungs-Reformgesetzes zu absolvieren. Insofern wird es niemanden überraschen, daß die inhaltliche Auseinandersetzung über dieses Gesetz im wesentlichen gelaufen ist. Ich möchte mich des- *) Anlage 3 Marieluise Beck ({0}) wegen noch einmal mit dem Verfahren auseinandersetzen, dem das Parlament seit der ersten Einbringung dieses Gesetzes ausgesetzt gewesen ist. Wir konnten gerade eben dafür ein Beispiel beobachten: Der Kollege Schemken kommt mit einem Zettelchen hier vorne an, auf dem noch eine redaktionelle Änderung bekanntgegeben wird, die gerade von irgendwem irgendwo entdeckt worden ist. Die Ausschußvorsitzende weiß von nichts, wie ich eben hören konnte. Das ist doch wirklich eine ziemliche Zumutung. Nach den üblichen parlamentarischen Regeln hätte mit dem Abschluß des Verfahrens zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auch der identische Entwurf der Bundesregierung erledigt sein müssen. Nach der Ablehnung durch den Vermittlungsausschuß kamen aber die Strategen aus dem Arbeitsministerium zum Zuge - übrigens möchte ich ihnen in dieser Frage ein Kompliment machen -, und so lebte der Regierungsentwurf wieder auf und wurde durch die Änderungsanträge um die zustimmungspflichtigen Teile gestrippt. Auf diese Weise war es möglich, dieses nun nicht mehr zustimmungspflichtige Gesetz innerhalb von sechs Wochen zum Abschluß zu bringen. Wir alle wissen, daß die herausgenommenen Teile bereits auf Wiedervorlage liegen und uns im Sommer erneut ins Haus stehen. Selbst wenn dieses Verfahren bei weitherziger Auslegung der Geschäftsordnung dieses Hauses vertretbar ist, so ist es doch politisch kaum mehr vermittelbar. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn so ein Verfahren Unmut und Unverständnis bei denen auslöst, die von diesem Gesetz betroffen sind. Dieser laxe Umgang mit Verfahrensregeln findet sich auch im Detail. Da wird, wie ich von meinen Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß höre, auf Antrag der Unionsfraktion auf ein Votum des mitberatenden Wirtschaftsausschusses einfach verzichtet, da es offensichtlich in den Koalitionsfraktionen nicht möglich war, einen Konsens über das vorliegende Gesetz herzustellen. ({1}) - Sie wußten davon nichts, Frau Babel? Sie können das widerlegen. Das ist bisher der Stand meiner Kenntnis. Da bemühen wir uns als Oppositionsfraktion darum, die für den Entscheidungsprozeß durchaus relevanten Zahlen zu den finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes per Kleiner Anfrage zu besorgen, nur um die Antwort zu erhalten, daß die Bundesregierung hierzu leider noch keine Auskunft geben könne. Zur gleichen Zeit aber liegen ebendiese Zahlen in einigen Ausschüssen bereits vor. Und selbst Herr Minister Rexrodt bekennt freimütig, daß es vermutlich 1997 200 000 zusätzliche Arbeitslose geben wird, mit denen wir nach aktuellen Prognosen in jedem Fall rechnen müssen und die den Bundeshaushalt mit rund 6 Milliarden DM mehr belasten werden. Während wir heute davon ausgehen, daß mit der uns zur Entscheidung vorliegenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes die originäre Arbeitslosenhilfe erhalten bleibt und damit Mehrkosten auf den Bund zukommen, heißt es im Bericht des Haushaltsausschusses trocken - zwei Tage zuvor präsentiert -, daß von einem Wegfall dieser Mehrkosten für den Bund ausgegangen werden könne, da sich das Asylbewerberleistungs-Änderungsgesetz ja noch im Vermittlungsverfahren befinde. Das ist ein Durcheinander, was wirklich ziemlich unzumutbar für ein korrektes parlamentarisches Beratungsverfahren ist. ({2}) Soviel zum Umgang mit dem Parlament. Ich möchte, weil bereits viele inhaltliche Fragen angesprochen worden sind, noch einen Punkt herausgreifen, der mir sehr wichtig ist. Wir wissen, daß durch die Extremsituation auf dem Arbeitsmarkt die Gefahr der sozialen Spaltung immer stärker gegeben ist. Das Muster, nach dem dann Ausgrenzung in der Gesellschaft läuft, ist bekannt. In Wildbad Kreuth ist mit der Debatte, die in bezug auf Ausländer und Arbeitsplätze angestoßen worden ist, dazu der Startschuß gegeben worden. Man braucht keinen großen Weitblick, um zu wissen, daß nach den Ausländern andere gesellschaftliche Gruppen, die leichter an den Rand gedrängt werden können, an der Reihe sind. Das werden die Frauen sein. Wir haben dann die Debatte um die unbequeme Erwerbsneigung von Frauen und die Gewißheit, daß es dann eine noch schwächere Gruppe treffen wird, nämlich die Behinderten. Zur Behandlung der Behinderten im Zusammenhang mit ihren Spargesetzen möchte ich an dieser Stelle noch etwas sagen. Hier hat sich allerdings gezeigt, wie leicht bestimmte Gruppen zur Verhandlungsmasse von Politik gemacht werden können und in welchem Maße sie fiskalischer Willkür ausgesetzt sind. Erst schafften sie mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz den im AFG bisher festgeschriebenen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilationsleistungen ab und nahmen hiervon lediglich die Schwerbehinderten und die Beschäftigten in den Werkstätten aus. Dann kommt der erste AFRG-Entwurf, der vorsieht, den Rechtsanspruch auch für diese Gruppen abzuschaffen. Nun sind es mit dem vorliegenden AFRG nur noch die Beschäftigten in den Werkstätten. Es handelt sich hier oft um Mehrfachbehinderte, also geistig und körperlich behinderte Menschen, die ab 1. April 1997 keinen Rechtsanspruch auf berufsfördernde Leistungen mehr geltend machen können. Mit diesem Durcheinander, das im Laufe des vergangenen Jahres durch das Springen zwischen WFG und verschiedenen AFG-Novellen entstanden ist, haben Sie letztlich die Behinderten in unserer Gesellschaft empfindlich getroffen; denn wir müssen die Gesetzentwürfe mit ihren fiskalischen Entscheidungen sehen. Sie haben mit Ihren Kürzungsvorgaben von 500 Millionen DM aus dem WFG für den Bereich der beruflichen Reha dort besonders behinderte Menschen getroffen, deren Zukunft durch diese finanziellen Entscheidungen sehr stark eingeschränkt und deren Zugang auf den ersten ArbeitsMarieluise Beck ({3}) markt, der sowieso ausgesprochen schwierig ist, noch einmal verengt wird. Wir haben heute zu diesem einen Punkt noch einmal einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ansonsten bleiben wir bei der Haltung - das wird niemanden überraschen -, daß wir dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetz in Gänze ablehnen, weil es den Fragen der Zeit nicht gerecht wird. ({4}) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P. ({5})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es ein quälendes Gesetzgebungsverfahren in unserem Hause gegeben hat, dann ist es das Arbeitsförderungs-Reformgesetz. Wir beraten hier ein Gesetz, das dieses Parlament schon oft beschäftigt hat. Die erste - zustimmungsbedürftige - Version ist der Totalblockade der SPD im Bundesrat zum Opfer gefallen. Deswegen debattieren wir heute über die zweite Version, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Koalition wird also ihren Willen durchsetzen. Wir haben damit eine erneute Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, einen neuen Durchgang im Plenum und auch eine neue Beratung im Bundesrat auf uns genommen. Das wäre alles ein bißchen einfacher und rascher gegangen, Herr Minister, wenn man gleich dem Vorschlag der F.D.P. gefolgt wäre und ohne den tiefen Glauben an die Reformfähigkeit der SPD im Bundesrat gesagt hätte: Laßt es uns doch gleich zustimmungsfrei planen. Dieses Hoffen, daß wir das mit der SPD verhandeln können, ist doch vergeblich. Jetzt sind wir mit einem zweiten Anlauf dabei. Über die Notwendigkeit des Arbeitsförderunggesetzes haben wir schon viel gesagt. Eines ist wieder deutlich geworden - Frau Beck hat das durch ihre Ausführungen noch einmal bestätigt -: der tiefe Glaube der Opposition, daß durch ein Arbeitsförderungsgesetz und durch Maßnahmen der Bundesanstalt Arbeitsplätze geschaffen werden könnten oder das Niveau der Arbeitslosigkeit langfristig verändert werden könnte. Von diesem Glauben haben wir uns in diesem Gesetz verabschiedet. Wir sind etwas bescheidener geworden. Wir wissen, daß Arbeitsmarktpolitik bestenfalls eine Brücke aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt für einen einzelnen sein kann. ({0}) Das ist nicht wenig, löst aber nicht die Strukturprobleme, vor denen wir in Wirklichkeit stehen. Ziel der AFG-Reform ist letztlich die Entlastung der Beitragszahler in den Zeiten hoher und steigender Arbeitslosigkeit. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Wir müssen aus dem Teufelskreis von steigenden Sozialversicherungsbeiträgen und steigender Arbeitslosigkeit ausbrechen, und zwar in allen sozialen Sicherungssystemen. Mit der Reform der Arbeitslosenversicherung soll die Bundesanstalt für Arbeit in den nächsten Jahren um fast 17 Milliarden DM jährlich entlastet werden. Das ist ein Punkt im Zusammenhang mit der Senkung von Beiträgen. Ob wir das erreichen, wissen wir nicht. Es zeigt aber, daß diese Koalition und diese Regierung ihre Aufgabe ernst nehmen. Nur dies mündet in Arbeitsplätzen. Deswegen ist es für das AFRG wichtig, daß Steuerreform, Rentenreform und Reform der Arbeitslosenversicherung zusammenwirken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Auf diesem Weg läßt sich die Koalition auch nicht von der SPD aufhalten. Ihre Blockadehaltung im Bundesrat ist mitverantwortlich für die Verzögerung der wichtigen unterstützenden, flankierenden Maßnahmen, mit denen wir den Strukturprozeß begleiten. ({1}) Meine Damen und Herren, in der neuen Version des Gesetzes sind auf Grund der Zustimmungsbedürftigkeit einige Dinge nicht mehr enthalten. Wir hatten zum Beispiel die Mißbrauchsbekämpfung verbessern wollen. Wir wollten, daß organisierte Kriminelle das Sozialsystem nicht europaweit mißbrauchen können, daß wir in Deutschland auf der Grundlage eines sicheren Datenaustausches zur Verhinderung dieses Mißbrauchs beitragen können. Wir wollten ein Untersagungsverfahren für mißbräuchliche Berufsberatung. Wir wollten vor allem die Fettpolster im Apparat der Bundesarbeitsverwaltung abspekken; wir wollten sie zu einer schlanken und schlagkräftigen Verwaltung machen. Wir wollten auch die Selbstverwaltung auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Dies alles können wir nicht mehr tun. Ich darf auch mit einem gewissen Ingrimm daran erinnern, daß zum Beispiel der wirklich wichtige Vorschlag, daß Landesarbeitsämter nur noch die Funktion einer Direktion haben - wir waren intern eigentlich schon so weit zu sagen, daß sie ganz wegfallen können -, an 16 Bundesländern gescheitert ist. Das zeigt mir, daß wir in der Frage des Umbaus des Sozialstaates immer wieder am Föderalismus scheitern. Die Länder wollen nicht erkennen, daß die Verwaltungsstrukturen ebenso der Reform unterliegen wie die Leistungen innerhalb der Sozialsysteme. ({2}) Hier besteht also eine geschlossene Front. Ich kann da keine Partei ausnehmen. Meine eigene Partei ist auch beteiligt. Ich möchte, daß Sie es so breit verstehen, wie ich es hier darlege. Im wesentlichen ist das Grundkonzept des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes intakt geblieben; das ist wichtig. Das Gesetz kommt zur richtigen Zeit. Es ist für mich eine große Befriedigung zu wissen, daß die SPD es im Bundesrat nicht ein zweites Mal wird aufhalten können. Ich bedanke mich. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, PDS.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns als Parlament wirklich ernst nähmen, hätten wir spätestens zu dem Zeitpunkt die Debatte über dieses Gesetz abgebrochen, als der Kollege Schemken eben so en passant eine Änderung dieses Gesetzes vorgetragen hat. ({0}) Das ist wirklich kein Glanzstück parlamentarischer Kultur. Ich denke, die Debatte heute morgen hat allen gezeigt - jedenfalls all denjenigen, die noch in der Lage sind, die ideologische Blockade in ihren Köpfen zu überwinden -, daß der Handlungsbedarf bei der Arbeitsförderung schier erdrückend ist. Ich weiß sehr wohl, daß mit der Arbeitsförderung allein die Massenarbeitslosigkeit natürlich nicht zu bekämpfen ist. Wir brauchen aber dringender denn je eine gründliche Reform der Arbeitsförderung, die erstens diesen Namen verdient und die zweitens die Möglichkeit eröffnet, daß viele Menschen, die heute ausgegrenzt sind, wieder Anschluß finden und Arbeit bekommen. ({1}) Dies leistet der vorliegende Entwurf des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes nicht. Ich glaube, das wissen Sie auch. Es wird 1997 - das kann der Kanzler noch so häufig beteuern - keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt geben. Ihr eigener Jahreswirtschaftsbericht weist das aus. Die Arbeitslosenzahl wird steigen - trotz des Wachstums, trotz der Sozialraubgesetze vom September letzten Jahres und trotz eines abgespeckten Arbeitsförderungsrechtes, das Sie heute durchpauken wollen. Ich sage Ihnen: Solange der Rotstift und nur der Rotstift Ihre Gesetze schreibt, werden Sie weder die Probleme von heute lösen noch den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden. Wann begreifen Sie das endlich? Der heute vorliegende Gesetzentwurf dient nach meiner Einschätzung vor allem dazu, Kontrolle und Sanktionen gegenüber den Arbeitslosen zu verschärfen, Rechtsansprüche abzubauen und Beiträge der Arbeitslosenversicherung zu direkten Lohnsubventionen an gewinnorientierte Unternehmen umzuleiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der eigentliche Qualitätssprung in diesem Gesetz, der nur leider zur Rolle rückwärts verkommt. Ich habe Zweifel, daß Sie den Langzeitarbeitslosen damit wirklich helfen. Tragen Sie nicht eigentlich nur dazu bei, das Heuern und Feuern der Unternehmer zu erleichtern? Man kann über die beschäftigungspolitischen Wirkungen dieses Arbeitsförderungs-Reformgesetzes streiten. In einem bin ich mir mit dem Bundesarbeitsminister Blüm aber ausnahmsweise einig. Er hat gesagt: Das Arbeitsförderungsrecht allein entscheidet nicht über die Qualität der Maßnahmen, sondern der jährliche Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Sehr wahr, Herr Bundesarbeitsminister! Hier haben Sie wirklich ein Eigentor geschossen; ({2}) denn Sie haben der Bundesanstalt in diesem Jahr einen Haushalt verordnet, bei dem massiv eingespart wird. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist so laut, daß nicht einmal ich hier oben noch hören kann, was geredet wird. Ich finde, es ist ein Gebot der Höflichkeit, ein bißchen ruhiger zu sein. ({0})

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke schön, Herr Präsident. Ich sage es noch einmal: Diese Arbeitsförderungsreform kommt mit massiven Mittelkürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit daher; allein 3,2 Milliarden DM bei Fortbildung und Umschulung sowie ABM. Das wird dazu führen, daß aktive Arbeitsmarktpolitik in Größenordnungen abgespeckt wird, die nicht nachzuvollziehen sind, obwohl es bitter nötig wäre, sie aufzustocken. ({0}) Sie nehmen hier genau die falsche Weichenstellung vor. Die Auswirkungen, insbesondere für die neuen Länder, werden verheerend sein. Das ist auch in der Anhörung von allen Experten sehr deutlich gesagt worden. Sie können die Maßnahmen möglicherweise noch aufrechterhalten. Aber um welchen Preis? Doch um den Preis, daß die Gruppe der arbeitenden Armen noch größer wird, um den Preis, daß die Arbeitslosen immer häufiger zusätzlich Sozialhilfe brauchen. Das trifft vor allen Dingen die Frauen. Insgesamt muß man zu diesem Reformgesetz sagen, daß es bis in die Knochen frauenfeindlich ist. Mit diesem Arbeitsförderungs-Reformgesetz wird es den Frauen immer schwerer gemacht, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Ihre Ansprüche werden weiter reduziert. Die vorgesehene Neuregelung der Teilzeitarbeitslosigkeit geht eindeutig zu Lasten der Frauen. Das hat die Vertreterin des Deutschen Frauenrates in der Anhörung nachdrücklich deutlich gemacht. Sie beschneiden auf unerträgliche Weise die Rechte der Menschen mit Behinderungen. Darauf ist von Frau Beck schon eingegangen worden. Ich will nur sagen: Allein die Rechtsunsicherheit, die Sie für diese Gruppe verbreiten, ist ein sozialpolitischer Skandal. ({1}) Abschließend will ich Ihnen sagen - auch das ist in der Anhörung deutlich geworden -: Dieses Gesetz wird ein einziges Beschäftigungsprogramm sein, nämlich das Beschäftigungsprogramm der Arbeitsgerichte. Das ist uns zuwenig. Wir wollen eine andere Reform der Arbeitsförderung. Wir wollen eine Reform, die dem unumkehrbaren Rückgang der industriellen Arbeit gerecht wird, die arbeitsmarktpolitische Prävention in den Vordergrund stellt und dazu beiträgt, daß Frauen und Männer, Menschen mit Behinderungen, Ausländerinnen und Ausländer in diesen Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu bedarf es einer massiven Aufstockung der öffentlich geförderten Beschäftigung; das wissen Sie so gut wie ich. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Dr. Knake-Werner hat gerade erklärt, hier werde en passant das Gesetz noch einmal geändert. Ich möchte als Ausschußvorsitzende erklären, daß das nicht so ist. Wir haben festgestellt, daß bei der Übertragung eines im Ausschuß beschlossenen Änderungsantrages in dem Bericht ein Fehler passiert ist. Herr Schemken hat sich um größtmögliche Präzision bemüht und auf dieses redaktionelle Versehen hingewiesen. Das hat bei einigen zu einer Verwirrung geführt. Es handelt sich also nicht um einen substantiellen Änderungsantrag, der noch einmal rasch eingebracht wird, sondern es ist die Übernahme eines von uns im Ausschuß beschlossenen Antrages. Ich möchte nur hinzufügen, daß bei der Eile, mit der wir dieses große Gesetzgebungsverfahren haben abwickeln müssen, solche Fehler passieren können. Ich möchte nicht, daß der falsche Eindruck entsteht, daß hier en passant noch etwas hereingeschoben wird. Das ist nicht der Fall. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Norbert Blüm. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Worte über das Arbeitsförderungsgesetz sind genug gewechselt. ({0}) Nun laßt endlich das Arbeitsförderungsgesetz durch den Bundesrat. Die Arbeitslosen warten darauf; denn darin sind neue Instrumente und neue Hilfen enthalten. ({1}) - Dann muß ich das erklären - ich wollte nur ganz kurz reden -: Eingliederungsvertrag, neue Trainingsmaßnahmen, neue Hilfen für die Arbeitslosen, die als Langzeitarbeitslose diese Hilfen bisher nicht bekamen, neue Möglichkeiten für die Arbeitsämter, selbst zu entscheiden und nicht erst zu warten, was die Zentrale in Nürnberg sagt. Außerdem wird hier die Finanzierung von ABM so geregelt, daß nicht passiert, was zu erwarten wäre, wenn das Gesetz nicht käme. Viele Maßnahmen würden nämlich zusammenbrechen. Allerdings - das füge ich hinzu - ist das Gesetz nur eine Sache. Es muß angewandt werden. Das Wichtigste ist, daß offene Stellen dem Arbeitsamt gemeldet und angenommen werden. ({2}) Auch in dieser Zeit muß man Solidarität erwarten, daß offene Stellen nicht verweigert werden. Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik ist eine Seite. Die andere Seite sind die Tarifpartner. Das folgende gilt vor allen Dingen für die Unternehmer: Laßt uns die loben, anerkennen und mit Beifall versehen, die in dieser schwierigen Zeit einstellen. Ob Handwerker oder Großbetrieb, die Maxime muß heißen: Einstellen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Darf ich die Geschäftsführer fragen, ob irgend etwas dagegen spricht, wenn wir über den Entschließungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen zuerst abstimmen, um mit der namentlichen Abstimmung zu enden? Das scheint mir unter verschiedenen Gesichtspunkten sinnvoll zu sein. - Gut. Aufgerufen ist der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6851. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes, Drucksachen 13/ 5676, 13/5730 und 13/6845. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6850 vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen zu geben, wenn die Urnen besetzt sind. - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht eingeworfen hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung und wäre dankbar, wenn pro Fraktion und Gruppe wenigstens ein Kollege dabliebe. ({0}) ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsförderungs-Reformgesetzes - das sind die Drucksachen 13/5676, 13/5730 und 13/6845 - bekannt. Abgegebene Stimmen: 571. Mit Ja haben gestimmt: 305, mit Nein: 266. Der Gesetzentwurf ist angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571 davon: ja: 305 nein: 266 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Rudolf Braun ({2}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens ({3}) Peter Harry Carstensen ({4}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({5}) Klaus Francke ({6}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({7}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({8}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({9}) Hansgeorg Hauser ({10}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({11}) Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({12}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr. -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({13}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({14}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({15}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({16}) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther Erich Maaß ({17}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({18}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({19}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({20}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({21}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({22}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Rauen Otto Regenspurger Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Christa Reichard ({23}) Klaus Dieter Reichardt ({24}) Dr. Bertold Reinartz Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({25}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({26}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({27}) Ortrun Schätzle Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({28}) Dr. -Ing. Joachim Schmidt ({29}) Andreas Schmidt ({30}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({31}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Dr. Dieter Schulte ({32}) Gerhard Schulz ({33}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({34}) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Wolfgang Vogt ({35}) Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({36}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({37}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({38}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({39}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert ({40}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({41}) Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({42}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({43}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({44}) Katrin Fuchs ({45}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Uwe Göllner Günter Graf ({46}) Angelika Graf ({47}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({48}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({49}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({50}) Frank Hofmann ({51}) Ingrid Holzhüter Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({52}) Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({53}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({54}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({55}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Jutta Müller ({56}) Christian Müller ({57}) Volker Neumann ({58}) Gerhard Neumann ({59}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Schily Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({60}) Ulla Schmidt ({61}) Dagmar Schmidt ({62}) Wilhelm Schmidt ({63}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({64}) Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Richard Schuhmann ({65}) Brigitte Schulte ({66}) Volkmar Schultz ({67}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({68}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({69}) Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({70}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({71}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({72}) Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({73}) Elisabeth Altmann ({74}) Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Angelika Beer Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({77}) Joseph Fischer ({78}) Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt Kerstin Müller ({79}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({80}) Cem Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({81}) Wolfgang Schmitt ({82}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Manfred Such Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({83}) Margareta Wolf ({84}) PDS Wolfgang Bierstedt Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({85}) Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. Februar 1997, 13 Uhr ein. Damit Sie sehen, daß auch Verwaltung Humor hat: Auf dem Sprechzettel steht - nicht zum Vorlesen -: „Alaaf! " Die Sitzung ist geschlossen.