Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/28/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst die amtlichen Mitteilungen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1997 ({0}) - Drucksachen 13/5741, 13/6117 2. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Altschulden für gesellschaftliche Einrichtungen, zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes und zur Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost - Drucksachen 13/6088, 13/6336 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 139. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. November 1996 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Innenausschuß und dem Sportausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung ({1}) - Drucksache 13/6087 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({2}) Innenausschuß Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich gehe davon aus. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort; ich rufe den Einzelplan 09 sowie den Zusatzpunkt 1 auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 ({3}) - Drucksachen 13/5200, 13/5836 - ({4}) Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({5}): Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft - Drucksachen 13/6009, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({6}) Manfred Hampel ZP1 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1997 ({7}) - Drucksache 13/5741 - ({8}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) - Drucksache 13/6117 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Zum Einzelplan 09 liegen neun Änderungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen, wobei die Fraktion der SPD fünf Minuten zusätzlich erhalten soll. - Kein Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Wolfgang Thierse.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute vormittag stehen die Haushalte des Bundeswirtschaftsministers, des Bildungs- und Forschungsministers und des Arbeits- und Sozialministers zur Debatte. Das sind die Ressorts, in denen in besonderer Weise über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entschieden wird, und es sind zugleich die Ressorts, die besonders deutlich die miserablen Ergebnisse Ihrer Politik dokumentieren. Ich will mich deswegen zusammenhängend zu ihnen äußern. Ihre Politik beschert unserem Lande Negativrekorde: Rekordarbeitslosigkeit und Rekordunternehmensgewinne, Rekordbelastung der Bürger mit Steuern und Abgaben und Rekordstaatsverschuldung, Rekordentlastung der privaten Vermögen und Abnahme der Arbeitnehmereinkommen, niedrigste Ausgaben für Bildung und Forschung und höchste Gefahr für die deutsche Wirtschaft, im internationalen Wettbewerb den Anschluß zu verpassen. Vom sozialen Frieden in Deutschland kann bald keine Rede mehr sein. Die Arbeitgeber fühlen sich durch Ihre Politik vielmehr zu einem kompromißlosen Kampf gegen die Gewerkschaften aufgerufen. Dies alles rechtfertigen Sie unter anderem mit dem ständig wiederholten Hinweis auf die Globalisierung. Der Kollege Schäuble meinte gestern, der SPD vorwerfen zu müssen, wir machten Stimmung gegen Modernität und erzeugten Angst vor der Globalisierung. ({0}) Nein, Sie sind es, die die Globalisierung zu einem Totschlagargument für Sozialabbau und Lohnsenkung instrumentalisieren. Sie sind es, die die Globalisierung für ein Bedrohungsszenario instrumentalisieren, das die Angst vor der Zukunft erst schafft, die Sie dann lauthals beklagen. ({1}) Wir müssen und wollen vielmehr die Chance ergreifen, die in der Globalisierung, also in internationaler Arbeitsteilung, liegt, und wollen sie für den zukünftigen Wohlstand und die zukünftige Sicherheit in unserer Gesellschaft nutzen. Mit Ihrer Politik treiben Sie unser Land in eine Spirale nach unten. Das wirtschaftliche Gleichgewicht ist gesetzlich als eine Balance zwischen Beschäftigung, Wachstum, ausgeglichenem Außenhandel und Geldwertstabilität definiert. Deutschland hat hohe Geldwertstabilität, geringes Wachstum und wachsende Arbeitslosigkeit. Das wirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört. Der Bundeshaushalt 1997 ignoriert aber nahezu völlig die staatliche Verantwortung für Beschäftigung. Solange Sie jedoch die Arbeitslosigkeit nicht überwinden, werden Sie auch den Haushalt nicht konsolidieren. ({2}) „Das Niveau des Sozialstaats hängt vom Niveau der Beschäftigung ab", hat Herr Blüm dem „Spiegel" als neueste Erkenntnis mitgeteilt. „Deshalb ist Arbeit das A und O des Sozialstaats" - gut gesagt. Aber Herr Blüm gehört einer Regierung an, die es dabei beläßt, in Sonntagsreden Sorge um die Arbeitslosen zu mimen, die dann anschließend für ihre Arbeitslosigkeit bestraft werden. Arbeit aber schafft man durch Investitionen, nicht durch Kürzungen. ({3}) Kein Sparhaushalt der Welt kann 150 Milliarden DM neutralisieren, die die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr kostet. Nur wenn Leistungsempfänger wieder Beitrags- und Steuerzahler werden, können Haushaltslöcher gestopft werden. ({4}) Ich zitiere: Wir brauchen im Zeitalter von Globalisierung und Wissensexplosion keinen Kostenwettlauf nach unten, sondern einen Innovationsschub nach oben. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft ... staatliche Investitionen. Vor allem in den Bereichen, wo der Staat nicht durch Marktkräfte ersetzt werden kann, also etwa bei Bildung und Ausbildung, bei Forschung und Technologie ... Der Mann, der das sagte, hat recht. Aber sehen wir uns an, was er verantwortet: Vor 14 Tagen habe ich hier die erheblichen Kürzungen im Haushalt des Bundesbildungs- und -forschungsministers kritisiert; von ihm stammt das Zitat. Dank der Regierungsparteien sind diese Kürzungen jetzt noch drastischer ausgefallen: ein Minus von 5,6 Prozent für die Schlüsselbereiche zur Sicherung unseres zukünftigen Wohlstandes. ({5}) Herr Minister Rüttgers - er ist nicht da - hat sich unter anderem für seine Kampagne „Schulen ans Netz" selbst gelobt. Unsere Kritik lautete, dafür seien zuwenig Mittel eingesetzt. Jetzt sind es noch weniger als vor 14 Tagen. Mit der 25prozentigen Kürzung des Ansatzes für Modellversuche sind Projekte wie „Schulen ans Netz" zum Immobilismus verurteilt. Aber wieso soll es denen eigentlich anders gehen als der Regierung selbst, mögen Sie denken. Die Regierung ist doch der Hort des Immobilismus, der Stagnation, des Reformstaus und der Verunsicherung. ({6}) Statt Zukunft aktiv gestalten bloß die Gegenwart mühsam verwalten - das ist die Politik dieser Bundesregierung. ({7}) Wir haben auch über den Personalabbau in der Forschung gestritten. Der Forschungsminister sieht keinen Unterschied zwischen Stellenkürzungen in der öffentlichen Verwaltung und solchen in Forschungseinrichtungen. Es ist ihm gleichgültig, daß so wichtige wissenschaftliche Erfahrungen verlorengehen und junge Wissenschaftler immer weniger Chancen erhalten, sich als Forscher zu betätigen. InnovaWolfgang Thierse tionsorientierte Forschung lebt aber geradezu von der Reibung zwischen neuen Fragestellungen der Jungen und den Kenntnissen der erfahrenen Wissenschaftler. Die Sparpolitik der Bundesregierung trocknet die deutsche Forschungslandschaft allmählich aus. ({8}) Diese Regierung und die sie tragende Mehrheit sind die eigentlichen Blockierer in Deutschland. ({9}) Der Bundesrat wendet sich gegen den Abbau des Sozialstaates. Das ist politisch nicht nur legitim, es ist notwendig. ({10}) Die Mehrheit des Bundestages blockiert die Gestaltung der Zukunft. Das fügt dem Volke Schaden zu. Meine Damen und Herren, die Politik der falschen Schwerpunkte zeitigt besorgniserregende Ergebnisse: Stand Deutschland 1982 mit den USA auf Platz 1 in der Welt in bezug auf die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, sind wir, gemessen am Bruttosozialprodukt, heute hinter Frankreich auf den vierten Platz zurückgefallen. Betrugen die privaten und öffentlichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung 1982 noch 2,7 Prozent des Bruttosozialproduktes, sanken sie seit 1990 kontinuierlich auf zuletzt nur noch etwas über 2,3 Prozent. Das ist alarmierend. Den Rückgang setzen Sie jetzt weiter fort. Japan zum Beispiel kündigte dagegen an, seine öffentlichen Aufwendungen für die Forschung bis zum Jahre 2000 auf umgerechnet 240 Milliarden DM zu verdoppeln; in Deutschland waren es im letzten Jahr 81 Milliarden DM. Wenn man sich dann noch ansieht, wofür die deutsche Wirtschaft Forschungsgelder ausgibt, kann einem angst und bange werden. Ein großer Anteil geht in den Maschinen- und Fahrzeugbau. Das werden andere bald billiger können - wie immer mehr Leute richtigerweise feststellen. Hochwertige Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologien, Solarenergie und Photovoltaik, Bio- und Gentechnik, ({11}) neue Werkstoffe, das müßten die forschungspolitischen Schwerpunkte sein. Das Einsparen von Energie und Rohstoffen, die Verminderung schädlicher Emissionen sind innovative Ziele erster Ordnung. Es ist eine politische Aufgabe, die Aktivitäten der Unternehmen in diese Bereiche zu lenken. ({12}) Gerade bei der Forschung kann man sehen: Die Mittel der Unternehmen fließen dorthin, wo der Staat seine Schwerpunkte setzt. Dies ist eine Gesetzmäßigkeit, die Sie mißachten, der wir aber Rechnung tragen wollen. Während alle OECD-Staaten im Durchschnitt 10 000 Dollar pro Jahr und Student ausgeben, sind die zukünftig Hochqualifizierten Deutschland nur 6 500 Dollar pro Kopf und Jahr wert. Solche Fehlentwicklungen auf die Länder abwälzen zu wollen funktioniert nicht. Im Gegenteil: Die Länder haben ihre Ausgaben für Bildung und Forschung über Jahre ständig erhöht. Sie haben nicht nur die sinkenden Bundesausgaben kompensiert, sondern überproportionale Steigerungen zustande gebracht. Unser Problem in Deutschland ist der Bund, sind nicht die Länder, wenn es um Bildung und Forschung geht. ({13}) Das duale System der Berufsausbildung ist in einer Krise, obwohl es noch immer als das beste System der Welt gilt. Neidisch schauen andere Länder auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Handwerkerinnen, Facharbeiter, Kauffrauen und Verwaltungsangestellten. Jahr für Jahr geht das Angebot an Lehrstellen zurück; Jahr für Jahr steigen die Bewerberzahlen; Jahr für Jahr wird die Lücke zwischen nachfragenden Schulabgängern und angebotenen Lehrstellen größer; Jahr für Jahr erklingen dieselben flehentlichen Appelle der Regierung; Jahr für Jahr wird im Herbst eine ausgeglichene Bilanz gefeiert, die die Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz einfach übersieht, indem die Regierung sie trickreich auf die Habenseite verbucht. ({14}) Es muß Schluß sein mit dieser Politik von der Hand in den Mund. Berufliche Bildung ist eine Investition in die Zukunft. Wir leben in Deutschland von der hohen Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({15}) Wenn es aber grundsätzlich einen Mangel an Betrieben überhaupt gibt - das betrifft Ostdeutschland - und wenn andere Betriebe im Unterschied zu früher nicht mehr bereit sind, Ausbildungsplätze bereitzustellen, dann nützen Appelle eben nicht mehr. ({16}) Unsere Alternative ist es nicht, eine neue, bürokratische Abgabe zu erheben; unsere Alternative ist, das duale System auf eine neue finanzielle Grundlage zu stellen. ({17}) Unser Ausbildungssystem lebt von der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Schulen und ausbildenden Betrieben. Zu viele Betriebe kündigen diese Zusammenarbeit auf. Wer ausbildet, erbringt eine Leistung für alle; wer nicht ausbildet, vermeidet nur Kosten. Er entzieht sich einer gesellschaftlichen Aufgabe. Auszubilden kostet Geld. Wir können aber nicht zusehen, wie diejenigen, die sich diese Kosten aufladen, am Ende Wettbewerbsnachteile erleiden. ({18}) Deswegen wollen wir einen Leistungsausgleich. Alle Betriebe zahlen für die Ausbildung: die einen, indem sie ausbilden; die anderen, indem sie Geld geben. Das Geld verschwindet nicht in staatlichen Haushaltslöchern. Die von Arbeitgebern und Gewerkschaften selbst verwaltete Umlage kommt vielmehr den ausbildenden Betrieben zugute. ({19}) Dort, wo es zu wenig Lehrstellen gibt, werden Ausbildungsverbünde und überbetriebliche Ausbildungsplätze durch die Umlage finanziert. Das entspricht dem gemeinnützigen Geist der sozialen Marktwirtschaft, wie Sie bei Ludwig Erhard nachlesen können. ({20}) Das duale System allein durch Appelle oder durch eine schleichende Verlagerung seiner Kosten auf die Steuerzahler sichern zu wollen entspricht diesem Geist nicht. ({21})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thierse, wie wollen Sie Betriebe behandeln, die gerne bereit sind auszubilden, aber keine Lehrlinge finden? Sollen sie auch eine Ausbildungsplatzabgabe bezahlen oder nicht? Welche Regelung schlagen Sie für diesen Fall vor? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, es gibt regelrecht fiktive Fragen. ({0}) - Sie kennen die grundsätzliche Situation in Deutschland, in der trotz aller Schönrechnereien Ausbildungsplätze bzw. Lehrstellen fehlen. ({1}) Im übrigen wird die Beantwortung dieser Frage - die Frage, auf die Sie anspielen, ist auch eine Frage der regionalen Verteilung - durch eine genaue Ausarbeitung des Leistungsausgleiches möglich sein. Es ist nur so - ich will das wiederholen -: Da es bisher nicht gelungen ist, das Problem durch Appelle zu lösen - Sie können Zahlen schönrechnen, wie Sie wollen -, brauchen wir einen solchen finanziellen Leistungsausgleich, der ja nicht unfair ist. Alle tragen zu einer gemeinschaftlichen Verpflichtung gemeinsam bei - die einen, indem sie ausbilden, die anderen, indem sie sinnvollerweise zahlen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thierse, darf ich Sie zum einen bitten, meine Frage zu beantworten, und Sie zum zweiten fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß es in meiner Heimat viele Betriebe gibt, die gerne ausbilden würden, aber keine Auszubildenden finden? ({0}) - Ich nenne einen großen metallverarbeitenden Betrieb in Niederbayern; das betrifft den Präsidenten der IHK. Er hätte zehn Lehrlinge eingestellt und hat nur fünf bekommen. Jetzt soll er für fünf freie Ausbildungsplätze bestraft werden. Halten Sie das für richtig? ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ein Betrieb ohnehin bereit ist, die Kosten der Ausbildung zu übernehmen, wird es ihn nicht außerordentlich schmerzen, ({0}) wenn er seinen finanziellen Beitrag dazu leisten kann, daß ein überbetrieblicher Ausgleich geschaffen wird, um überhaupt Ausbildung zu ermöglichen. Es ist doch eines der Hauptprobleme, daß Ausbildungsplätze an einer Stelle zur Verfügung gestellt werden können und an anderer Stelle nicht. Diesen regionalen Ausgleich müssen wir schaffen. Deswegen schlagen wir einen solchen Ausbildungsfonds vor, eine Umlage, die gemeinschaftlich verwaltet wird. Es geht um einen regionalen Ausgleich, der bisher nicht gewährleistet ist. ({1}) Meine Damen und Herren, wir brauchen neue Produkte. ({2}) - Herr Lühr, wollen wir über unsere gemeinsame Biographie sprechen, damit Sie solche dummen Vorwürfe nicht mehr machen? ({3}) Wir brauchen neue Produkte, neue Techniken, einen kräftigen Modernisierungsschub für unsere Wirtschaft. Es ist richtig: Dafür sind die Unternehmen verantwortlich. Sie sind dafür aber nicht allein verantwortlich. Die Regierungsparteien huldigen dem Irrglauben, man müsse die Betriebe nur von Kosten entlasten, dann werde sich schon alles richten. Mit diesem Irrglauben manövrieren Sie den Bund in die Lage, immer weniger Mittel für die volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Steuerung aufbringen zu können. Schon jetzt sind die Rahmenbedingungen für Innovationen, für die Bewältigung des Wandels zu einer Informationsgesellschaft und für die Sicherung des sozialen Friedens unzureichend. Herr Schäuble hat gestern behauptet, die SPD reagiere auf die deutschen Modernisierungs- und Wachstumsprobleme mit Verteilungsdebatten. ({4}) Schon das ist falsch. Was aber tut die Regierung? Sie debattiert nicht über Verteilung, sondern betreibt Verteilung, und zwar Umverteilung von unten nach oben. ({5}) Sie befördert damit nicht zukunftsorientiertes Wachstum, sondern verschärft Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit zugleich. Uns geht es nicht um bloße Umverteilung, uns geht es um Beschäftigungs- und Innovationspolitik, um Zukunftsvorsorge. Es geht uns nicht um kollektivistisch-zentralistische Lösungen, wie Ihr tumber Vorwurf immer wieder lautet. Wir wollen allerdings keinen Nachtwächterstaat, der so arm ist und dem am Schluß die Instrumente derart fehlen, daß er nicht mehr zur Intervention zugunsten von Innovation, zugunsten von Infrastrukturentwicklung und vor allem zugunsten von sozialem Ausgleich in der Lage ist. ({6}) Das ist der Kern des Sozialstaats. Genau deshalb ist er nicht unmodern, sondern sehr modern und zukunftsorientierend. Es ist nicht konservativ, den Sozialstaat zu verteidigen, und es ist nicht zukunftsträchtig, ihn nach und nach seiner Mittel und Instrumente zu berauben. Das RWI hat vorgerechnet, daß Deutschland unter den G-7-Staaten, gemessen am Bruttosozialprodukt, inzwischen - alles zusammengenommen - die geringste Belastung der Vermögen aufweist. ({7}) Der entsprechende Prozentsatz sinkt bei uns seit 1980 kontinuierlich, während er in den übrigen G-7- Staaten gestiegen ist, und zwar erheblich. Eine Heranziehung der privaten Vermögen für gemeinschaftliche Aufgaben auf dem Niveau der USA brächte 50 Milliarden DM mehr in die öffentlichen Kassen, ein Beitrag, der für vieles ausreichen würde, für die Reform der Universitäten, für die nötige Schwerpunktsetzung in der Forschungspolitik, für die Sicherung unserer zukünftigen Chancen auf dem Weltmarkt, für ökologisch verantwortliches Wirtschaften. ({8}) Nicht in den kurzfristigen Gewinnerwartungen von Aktionären, sondern in Strategien gegen Massenarbeitslosigkeit liegt die Herausforderung für unsere Wirtschaft. Wir wollen uns der Verantwortung, die die Politik dafür trägt, stellen. Sie tun es nicht. Die hämische Selbstzufriedenheit, die der Bundeskanzler hier gestern demonstriert hat, ist Gift für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. ({9}) Meine Damen und Herren, schon lange kritisiert die SPD die tölpelhafte Politik, den Standort Deutschland schlechtzureden, wie es die Regierung seit Jahren tut. Neuerdings stimmt der Chef dieser Regierung in die Kritik ein, immerhin ein Fortschritt. Tatsache ist doch: Noch haben wir alle Voraussetzungen, um im Verein mit unseren europäischen Partnern eine lebenswerte Zukunft auf hohem Wohlstandsniveau zu gestalten. Aber es gilt, endlich die Kräfte und Fähigkeiten in unserem Land für die neue Moderne zu bündeln. Ostdeutschland droht dabei eine zusätzliche Hypothek zu werden. Der allgemeine Vorbehalt - um einen aktuellen Punkt aufzugreifen - der Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß gegen die Gemeinschaftsausgaben ist nicht zuletzt für Ostdeutschland verheerend. Er führt zu einer unverantwortlichen Verzögerung der Bereitstellung selbst von investiven Mitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe. Ich fordere Sie auf, diesen Beschluß des Haushaltsausschusses umgehend zurückzunehmen. ({10}) Ostdeutschland hat noch nichts, um sparen zu können. Ostdeutschland braucht weiter Investitionen, damit es endlich auf die eigenen Füße kommt. Das Ziel der Ostdeutschen ist, zum allgemeinen Wohlstand beitragen zu können; das Ziel ist nicht, auf alle Zeit am Tropf zu hängen. Das Ziel ökonomischer Angleichung der Lebensverhältnisse wird verfehlt, wenn sich die Wirtschaftsprognosen bewahrheiten und das Wachstum Ostdeutschlands tatsächlich im nächsten Jahr hinter dem westdeutschen zurückbleibt. Sosehr die Wirtschaftsprognosen im einzelnen sonst differieren, diese verheerende Entwicklung sagen sie alle gemeinsam voraus. Insbesondere, aber nicht nur für Ostdeutschland, ist die Mobilisierung von Eigen- und Risikokapital entscheidend. Nachdem wir immer noch nicht die gewünschten Ziele erreicht haben und uns sogar noch davon entfernen, brauchen wir eine grundlegende Überprüfung der Förderinstrumente. Die ostWolfgang Thierse deutsche Problemlage kann nicht an der Quantität der Transfers, sie muß an der Qualität der Instrumente liegen. Es hat für Ostdeutschland wahrlich nicht an Geld gefehlt, aber es ist zum Teil falsch ausgegeben worden. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Thierse, indem ich voraussetze, daß Sie wissen, daß der beschlossene Haushalt für die Regierung eine Ausgabenermächtigung, aber keine Ausgabenverpflichtung darstellt: Halten Sie es in der Logik der schwierigen finanziellen Situation des Bundes dann nicht für richtig, wenn der Bundestag, das heißt der von ihm beauftragte Haushaltsausschuß, dieses Ausgabengebaren gerade zu Beginn des nächsten Jahres zusätzlich in Augenschein nimmt und sich vorbehält, über diese Ausgaben in der dann gegebenen Situation mitzubestimmen und die Entscheidung nicht der Regierung alleine zu überlassen? In der Logik dieser Frage: Ist nicht das, was Sie über diese Sperre behaupten, entweder in Unkenntnis oder bewußt falsch?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Weng, das hört sich sehr edel an. Aber wenn irgendein Teil Deutschlands auf Verläßlichkeit, auf Zuverlässigkeit bei den Zuwendungen angewiesen ist, dann ist es Ostdeutschland. ({0}) Hier eine Sperre anzusetzen ist schlicht unverantwortlich, denn Ostdeutschland braucht diese verläßliche Zuwendung. ({1}) Da darf kein Zögern und Zittern stattfinden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Thierse, ist Ihnen entgangen, daß die im Haushaltsausschuß beschlossene Sperre alle Zuwendungen, also nicht speziell die in Ostdeutschland, betrifft ({0}) und daß insoweit der von Ihnen, ich sage einmal: getätigte Versuch, eine Sondersituation Ostdeutschland in diesem Zusammenhang darzustellen, einfach in sich zusammenfällt?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Weng, ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Es gibt eine Sondersituation Ostdeutschland, und auf diese Sondersituation darf man nicht so reagieren, wie es nächtens im Haushaltsausschuß passiert ist. ({0}) Der schätzenswerte Kollege Kolbe von der CDU hat ja auch öffentlich mitgeteilt, daß er sich über den Tisch gezogen fühlt und daß es bei der Entwicklung in Ostdeutschland unverantwortlich ist, einen solchen Vorbehalt anzumelden. ({1}) Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal zitieren: Es ist zuviel die Rede vom Sparen, von tiefen Einschnitten, von der Notwendigkeit, den Gürtel enger zu schnallen. Mehr Zuversicht und Selbstvertrauen müssen geschaffen werden. Das hat der Rat der „fünf Weisen" gesagt. Das beherzigen Sie nicht. Die Regierung wird von Kräften der Griesgrämigkeit, des Sozialabbaus und der Innovationsblockade getragen. Wir wollen Innovationen freisetzen und den Sozialstaat sichern. ({2}) Das ist unser Konzept: Erstens. Oberstes Ziel ist die Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das erfordert endlich eine energische Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Stärkung der inländischen Nachfrage ist ein Schlüssel dafür und zugleich eine wichtige Chance für eine mittelfristige Haushaltskonsolidierung. ({3}) Zweitens. Bildung und Forschung sind Investitionen in die Zukunft. Der Wettbewerb wird zuallererst auf den Gebieten der Qualifikation, des Ideenreichtums und der Innovation entschieden. Die Wiedereinführung der steuerlichen Forschungsförderung würde Spekulationsgelder, die mit Containerschiffen im Ozean versinken, für die Forschung und die hohen Risiken bei Produktinnovationen mobilisieren. Drittens. Auf der Einnahmeseite muß mehr Gerechtigkeit gewahrt werden. Steuerhinterziehern muß das Handwerk gelegt werden. Die Streichung der Vermögensteuer ist nicht nur ein Anschlag auf die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, sie beraubt den Staat auch wichtiger finanzieller Steuerungsmöglichkeiten. Viertens. Wirtschafts-, Forschungs- und Steuerpolitik müssen europäisch abgestimmt werden. Es macht keinen Sinn, daß sich die Mitglieder der Gemeinschaft im Steuersenkungswettkampf gegenseitig ruinieren. In der Gemeinsamkeit der europäischen Staaten erschließen sich erst die Chancen Europas. ({4}) Fünftens. Wir brauchen internationale Standards für Sozialpolitik und für Umweltpolitik. Wirken Sie endlich konstruktiv mit, in der WTO verbindliche Sozialstandards zu vereinbaren, in der EU Beschäftigungspolitik zu erlauben und wenigstens die Umweltziele der Gipfeltreffen von Rio und Berlin zu erreichen. ({5}) Sechstens. Wirtschaftsförderung muß auf Innovationen und auf die Bildung von Netzwerken der kleinen und mittleren Unternehmen mit den Forschungseinrichtungen zielen. Deutschland braucht ein Innovationsministerium, um endlich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Interesse strategischer volkswirtschaftlicher Ziele zusammenzuführen. Es muß die Bundeszuständigkeiten für Bildung und Forschung, für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, für die Entwicklung und Umsetzung der Leitideen nachhaltigen Wirtschaftens und für die angewandte Industrieforschung bündeln. Siebtens. Die Politik muß eindeutig klarmachen: Wir setzen auf Information und Kommunikation als den weltweiten Wachstumsmarkt schlechthin. Er wird zu einem ganz erheblichen Teil von der geistigen Arbeit leben: Informationen erarbeiten, sie zusammenstellen und verbreiten. Wir setzen auf Deutschland als Medienstandort mit internationaler Ausrichtung. Wissenschaft, Film- und Fernsehproduktionen, Musik und Verlage haben gute Aussichten, dauerhaft hochwertige Arbeitsplätze sichern zu können. Wir setzen auf Gen- und Biotechnologie; sie werden neue Produkte schaffen. Wir setzen auf neue Werkstoffe. Wir setzen auf das Einsparen von Energie und Rohstoffen. Wir setzen auf Solarenergie. Wir setzen auf Kreislaufwirtschaft. Von der Bauwirtschaft bis zur Elektronik brauchen wir Produkte und Technologien, die auf Wiederverwertung der eingesetzten Rohstoffe konzipiert sind. In diesem Zusammenhang spielt die ökologische Steuerreform eine Hauptrolle als zentraler Anreiz, um diesen Kreislauf mit neuartigen Produkten und Verfahren zu etablieren. ({6}) Achtens. Die Kosten der Arbeit müssen gesenkt werden. Diesen Satz unterschreiben Sie von der Koalition bekanntlich auch. Aber Sie erhöhen ja weiter die Abgabenlast und damit auch die Kosten der Arbeit. Lohnkürzungen sind kein Ausweg; zum Glück stehen die Löhne nicht zur Disposition der Bundesregierung. Es hat noch nie funktioniert, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Unsere konjunkturellen Probleme sind Nachfrageprobleme. Vier Millionen Arbeitslose und Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die netto und real weniger Geld zur Verfügung haben als in den Vorjahren, können beim besten Willen keine Steigerung der inländischen Nachfrage bewirken. ({7}) Da setzt die ökologische Steuerreform auch an. Durch sie sollen die Einkommen entlastet werden. Die horrenden Lohnnebenkosten belasten die Unternehmen weitaus mehr als die Steuern. Deshalb ist es richtig, versicherungsfremde Leistungen wieder aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu begleichen. Das wird zu einem größeren Teil als bisher aus der Besteuerung von Energie- und Rohstoffverbrauch stammen müssen. Dieser Verbrauch aber kann individuell gestaltet werden. Die Bürger hätten nicht nur mehr Geld in der Kasse, es würde auch investiert werden, weil zum Beispiel energiesparende Technik Steuern spart. ({8}) Die Arbeitslosigkeit würde verringert, weil neue Nachfrage entstünde und weil die Lohnnebenkosten sinken würden. Meine Damen und Herren, ohne Zweifel kann mit dem hier vorliegenden Haushalt keines dieser Ziele angestrebt oder gar verwirklicht werden, am wenigsten mit den drei Einzelplänen, die heute vormittag zu beraten sind. Ohne Zweifel blockiert der Haushalt 1997 die Entwicklung gerade auf den Feldern, auf denen sich Deutschlands Zukunft entscheidet. Die Chancen der Informationsgesellschaft und der globalisierten Weltwirtschaft zu nutzen, auf die rasanten Veränderungen zu reagieren mit einer durchgreifenden Modernisierung der Produktion, mit neuen Produkten und Dienstleistungen, mit mehr - und nicht weniger - Investitionen in Bildung und Forschung, darum geht es. ({9}) Nicht die mangelnde Ertragslage ist das Problem, sondern die mangelnde Innovationskraft der deutschen Wirtschaft. Sie zu stärken muß deshalb das vorrangige Ziel vernünftiger Politik sein. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Kurt Rossmanith auf.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand vor einigen Tagen: Bleibt die SPD dieser Linie treu, ({0}) muß sich die Regierung vor der Opposition nicht fürchten. Ihre Rede, lieber Herr Kollege Thierse, die hoffentlich nicht rhetorisch, sondern ernst gemeint war, ist trotz einiger Ansätze der Linie treu geblieben, die die SPD in den vergangen Wochen, Monaten und Jahren verfolgt hat. Unabhängig davon - die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat sicherlich recht -, muß ich sagen, daß wir uns natürlich vor der Opposition nicht fürchten und nicht fürchten müssen. Natürlich haben wir grundsätzlich keine Furcht; ({1}) denn die Ziele unserer Haushaltspolitik sind klar und eindeutig. Sie tragen den gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung. ({2}) Sparsamer Umgang mit unseren öffentlichen Geldern, keine allzu hohe Belastung für die Unternehmen und für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land - das ist unsere Politik, die wir fortsetzen wollen. Nur damit werden wir die Zukunft gewinnen. ({3}) Wir wollen und müssen den Wirtschaftsstandort Deutschland verbessern, um einen wirksamen Beitrag zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu leisten. Das ist unser gemeinsames Ziel; davon gehe ich aus. Diesem Ziel müssen wir unsere Themen unterordnen. Ich glaube, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Auch der Sachverständigenrat hat dies dargelegt. In seinem jüngsten Gutachten plädiert der Rat für eine konsequente Konsolidierungspolitik, für eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast sowie für eine Rückführung der Staatsquote. Offensichtlich nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Warnungen nicht ernst oder wollen sich nicht damit befassen; denn Sie antworten darauf mit einer neuen Abgabe, nämlich der sogenannten Ausbildungsplatzabgabe. Ich bin der Überzeugung, daß der Standort Deutschland mit der Umsetzung dieser Forderung nicht attraktiv gemacht würde. Herr Kollege Thierse - das sage ich jetzt in aller Freundschaft -, Sie schaffen damit in der Tat ein völlig neues System. Ich bin schon froh, daß die SPD in der Zwischenzeit davon abgekommen ist, unser Ausbildungssystem zu verschulen, wie es jahrzehntelang Ihre Meinung war. Plötzlich finden Sie positive Aspekte für das duale Ausbildungssystem. Ich kann das nur unterstreichen und bin dankbar dafür, daß Sie endlich zu dieser Meinung gekommen sind. Das, was Kollege Hinsken gerade gesagt hat, gilt ja nicht nur im Bayerischen Wald oder in anderen Regionen, sondern in allen Regionen Deutschlands. Gehen Sie doch einmal zu Metzgermeistern oder zu Bäckermeistern und fragen Sie diese, wie leicht sie einen Lehrling für das nächste Ausbildungsjahr bekommen - sicherlich auch in Ihrer Region und in Ihrer Heimat, Herr Thierse. Um wieder auf die Haushaltsberatungen - heute findet die zweite Lesung des Wirtschaftsetats statt - zurückzukommen: Ich muß sagen, daß diese Beratungen auch in diesem Jahr von dem Willen der Koalition geprägt waren, angesichts der schwierigen Finanzlage des Bundes einen Sparhaushalt zu verabschieden, der diese Bezeichnung mit Recht verdient. Das kann man nicht oft genug unterstreichen. In der Schlußphase der Beratungen ist es uns gelungen, eine weitere Absenkung der Ausgaben um 3 Milliarden DM vorzunehmen und darüber hinaus die Nettokreditaufnahme - das ist der ganz entscheidende Punkt - gegenüber dem Regierungsentwurf um mehr als 3 Milliarden DM auf nunmehr 53,3 Milliarden DM zurückzuführen. Ich bin der Meinung, daß der Bund damit seine Hausaufgaben gemacht hat, um das Staatsdefizit im nächsten Jahr auf unter 3 Prozent zu drücken. Dies hat auch der Finanzplanungsrat - wenn ich das an dieser Stelle einmal einschieben darf - vor wenigen Tagen anerkannt. Jetzt besteht natürlich die Forderung an die Länder und an die Kommunen, dafür Sorge zu tragen, daß das Klassenziel, nämlich die Eintrittskarte für Maastricht, die wir schon in der Hand haben, erreicht wird. Deshalb muß die Nettokreditaufnahme auch in den kommenden Jahren zurückgeführt werden. Ich sage dies ganz bewußt auch im Hinblick auf die von uns geplante große Steuerreform; denn ein solches ehrgeiziges Ziel läßt sich nur durch strikte Ausgabendisziplin erreichen. Daß die Bundesregierung hierbei die volle Unterstützung der Koalitionsfraktionen hat, versteht sich von selbst. Wir werden ein entsprechendes Konzept vorlegen, das den Wirtschaftsstandort Deutschland wirklich ausbaut, verstärkt und damit auch Arbeitsplätze sichert und schafft. Denn der Sozialstaat ist von einer funktionierenden Wirtschaft abhängig, lieber Herr Kollege Thierse, von denen, die das erwirtschaften, was jenen gegeben werden kann, die der Hilfe bedürfen. Ich sage noch einmal: Alles wollen wir denen geben, die der Hilfe bedürfen. ({4}) Aber denjenigen, die das Sozialsystem nur unterlaufen wollen, müssen wir entsprechend auf die Finger schauen. Gerade bei den Beratungen zum Wirtschaftshaushalt haben wir diesem Problem wesentlich Rechnung getragen und einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, diese Absenkung der Staatsausgaben erreichen zu können; denn gegenüber dem laufenden Haushaltsjahr 1996 steigt, Herr Kollege, ({5}) der Rückgang an. ({6}) - Ich weiß, das ist nicht schön formuliert. Darum sage ich jetzt: Die Ausgaben gehen ganz massiv zurück, nämlich um knapp 2 Milliarden DM auf nunmehr 16,6 Milliarden DM. Das bedeutet eine Kürzung um rund 10 Prozent des gesamten Haushaltes. ({7}) Ich glaube, das sollte man einmal ansprechen. Logischerweise ist ein wesentlicher Teil der Ausgaben im Bereich der Kohle gekürzt worden. Die Kohle macht mehr als 50 Prozent des gesamten Etats des Bundeswirtschaftsministers aus. Rund 9 Milliarden DM umfassen die entsprechenden Aufgaben. Bei allem Verständnis, das ich natürlich für die Kumpel an der Ruhr und an der Saar habe, bin ich aber auch der Auffassung, daß Subventionen in dieser Höhe gegenüber dem Steuerzahler auf Dauer nicht vertreten werden können. ({8}) Ich kann Sie, Herr Bundesminister für Wirtschaft, deshalb nur darin bestärken, einen wesentlichen Teil der in Ihrem Haushalt zu erwirtschaftenden globalen Minderausgabe auch bei der Kohlehilfe einzusparen. ({9}) Darüber hinaus muß auch - ich hoffe, daß hierbei in diesem Hause kein Dissens besteht - eine Entscheidung über die weitere Degression der Kohlehilfe in den nächsten Jahren getroffen werden. Auch im Interesse des Bergbaus sollte dabei eine klare Linie bis zum Jahre 2005 festgelegt werden; denn Planungssicherheit braucht man auch in diesen Regionen. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, selbstverständlich.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rossmanith, haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, welch konstruktiven Vorschlag der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie zur Sicherung des Steinkohlebergbaus und zur Rückführung von Subventionen gemacht hat? Haben Sie eigentlich zur Kenntnis genommen, daß die Regierung nicht antwortfähig gewesen ist, und zwar mit einem Konzept, welches hinlängliche Sicherheit für die Unternehmen und sozialverträgliche Übergangslösungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Ruhr und Saar ermöglicht? Dies ist aber der Anspruch, den wir an ein Konzept für die Zukunft unbedingt stellen müssen. Die Regierung ist bisher ihrer Verpflichtung, ein Konzept vorzulegen, nicht nachgekommen. Ist Ihnen dies entgangen? ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Schwanhold, uns konnte überhaupt nichts entgehen, weil Ihre Aussagen, zumindest im zweiten Teil, nicht zutreffen. Ich erkenne dankbar an, daß alle Beteiligten, sowohl die Arbeitgeberseite wie die Gewerkschaftsund die Arbeitnehmerseite, konstruktiv mitarbeiten. Die Regierung hat dieses Konzept bereits eingebracht, mit dem man bis Mitte Februar zu einem Ergebnis gekommen sein muß. Ich bin überzeugt davon, daß das auch so geschehen wird. Dafür bin ich der Regierung dankbar. Genauso dankbar bin ich den Gewerkschaften und der Arbeitgeberseite, daß diese Gespräche aufgenommen werden und daß von allen Beteiligten, von den drei Seiten, wenn ich das sagen darf, konstruktiv dieses Thema angegangen wird. Ich hoffe, daß wir bis Mitte Februar zu einem Ergebnis kommen werden, daß die Sicherheit bis zum Jahr 2005 gegeben sein wird. ({0}) Ich möchte aber auch noch auf die neuen Bundesländer zu sprechen kommen, die trotz aller anderslautenden Meldungen, die auch Sie dezent - Herr Thierse, das muß ich anerkennend sagen - angesprochen haben, einen ganz wesentlichen Schwerpunkt im Förderprogramm auch dieses Ministeriums, sprich: des Bundesministeriums für Wirtschaft und dem entsprechenden Haushalt, bilden. Diese Priorität ist nach wie vor unverändert geblieben. Der Sachverständigenrat weist in seinem Gutachten auch darauf hin, daß die neuen Bundesländer weiterhin erheblicher finanzieller Unterstützung bedürfen. Das wird von allen mitgetragen, wird von allen so gesehen. Hier gibt es keine unterschiedlichen Meinungen. Wir haben deshalb in diesem Haushalt über 5 Milliarden DM nach wie vor allein aus dem Einzelplan 09, sprich: dem Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft, in den neuen Bundesländern eingesetzt. Das ist etwa ein Drittel des gesamten Ausgabenvolumens in diesem Bereich. Es wird im Hinblick auf die Forschungsförderung immer gesagt - das haben auch Sie getan -, es werde nicht genügend getan oder es könnte noch mehr getan werden. Natürlich könnte immer noch mehr getan werden. Ich sage das ganz offen. Aber wir müssen auch den Haushalt insgesamt sehen und berücksichtigen, daß wir nur das ausgeben können, was wir zur Verfügung haben. ({1}) Wir können die Nettoneuverschuldung nicht unbegrenzt erweitern, was zum Schaden der nachwachsenden Generation wäre, insbesondere der nachwachsenden Generation in den neuen Bundesländern. ({2}) Die Forschungsförderung haben wir gegenüber der bisherigen Finanzplanung für 1997 allein für die neuen Bundesländer um 200 Millionen DM aufgeKurt J. Rossmanith stockt. Gerade das ist ein Beispiel, an dem man sieht, daß hier nichts vernachlässigt wird oder beschönigt werden soll, sondern daß wir gerade in diesem Bereich ganz wesentlich tätig werden. Ich bin froh - ich sage das ganz offen -, daß wir trotz aller Schwierigkeiten und Vorwürfe da und dort, auch in den alten Bundesländern, das Programm, was den Absatz von Produkten aus den neuen Bundesländern anbelangt, zunächst einmal für die nächsten zwei Jahre fortsetzen werden. Ich will das jetzt nur in Stichpunkten sagen: Verbesserung der Gemeinschaftsaufgabe, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Entscheidend für den Umfang ist der jährliche Bewilligungsrahmen. An Hand der eingebrachten Daten sieht man - ich möchte hier jetzt nicht nur Zahlen von mir geben -, daß mit allen Komplementärmitteln der Länder und den EU-Mitteln zusammen ein Investitionsbewilligungsrahmen von rund 6,5 Milliarden DM zur Verfügung steht. Wir sehen aber die Schwierigkeiten der neuen Bundesländer, ihre Komplementärmittel aufzubringen. So ist es auch mit der Gemeinschaftsaufgabe. Sie haben von einer verläßlichen Zuwendung gesprochen. Das ist überhaupt kein Thema. Natürlich ist es eine verläßliche Zuwendung. Doch gerade wir als Parlament sollten dankbar dafür sein, daß wir dies begleiten können und nicht der Regierung überlassen müssen. Laßt uns doch am Anfang des nächsten Jahres eine entsprechende Entsperrungsvorlage machen. Ich weiß gar nicht, warum Sie auf diesem Thema so herumreiten. Das ist doch alles nur Rhetorik und Polemik. ({3}) Die Zuwendung wird mit Sicherheit um keine Mark gekürzt werden, wenn entsprechende Projekte vorgelegt werden. Dies wollen wir uns noch einmal ansehen. So verstehe ich Parlamentarismus. Deshalb haben wir so gehandelt. ({4}) Die konjunkturelle Abschwächung, die in den vergangenen Jahren in allen Industrienationen zu spüren war, ist natürlich auch an Deutschland nicht vorbeigegangen. ({5}) Aber ich glaube, wir haben diese Talsohle überwunden. Alle Daten sprechen dafür. ({6}) - Lieber Herr Schwanhold, wenn Sie den Wirtschaftsförderungsinstituten unterstellen, sie hätten keine Ahnung, ist das Ihre Sache. Setzen Sie sich doch damit auseinander. Wir unterstellen denen, daß sie Ahnung haben. ({7}) Es zeigt sich, daß die Wirtschaft im nächsten Jahr real wieder um 2,5 Prozent steigen wird. Sie haben gerade die Zukunftstechnologien angesprochen. Dies ist der zweite Punkt, worin ich Sie loben möchte, Herr Kollege Thierse. Ich hoffe, daß das auch alle Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion so sehen wie Sie. Sie haben Bio- und Gentechnologie als eine der Zukunftstechnologien gesehen. Unterstützen Sie das entsprechend. Hören Sie auch in diesem Punkt bitte mit Ihrer Blockadepolitik auf. Gehen Sie mit uns gemeinsam diesen Weg. Dann werden wir auch hier die Zukunft gewinnen. ({8}) Lassen Sie mich dazu ein plastisches Beispiel herausgreifen: Obwohl es im Haushalt gar nicht vorgesehen war und wir fast überall sparen mußten, haben wir Mittel in Höhe von 15 Millionen DM für wasserstoffbetriebene Flugzeuge eingesetzt. Das ganze Forschungsprojekt beläuft sich auf etwa 60 Millionen DM. Wir haben gesagt: Der Bund gibt 25 Prozent, die Länder sollen 25 Prozent geben, und 50 Prozent soll die Wirtschaft selber aufbringen. Dies ist ein Forschungsprojekt, das uns auch eine gemeinsame Forschung mit Rußland ermöglicht. Dort sind entsprechende Vorarbeiten für die Entwicklung einer Zukunftstechnologie geleistet worden. Ich bin sehr dankbar, meine Kolleginnen und Kollegen, daß Sie das mitgetragen haben. Wir haben auch in der Außenwirtschaftsförderung - leider ist die Zeit immer eng bemessen - entsprechende Schwerpunkte gesetzt. Ich möchte hier noch einen Satz an Sie, Frau Staatssekretärin im Finanzministerium in Vertretung des erkrankten Bundesfinanzministers, und an Sie, Herr Bundesminister für Wirtschaft, Rexrodt, richten: Daß wir für 1997 die Mittel für die Außenwirtschaftsförderung eingesetzt haben - sprich: Außenhandelskammern und Auslandsmessewesen -, ist keine einmalige Aktion von uns und war als solche auch nicht gedacht, sondern dies muß die Basis für die kommenden Jahre sein. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich hoffe, Sie haben dies so aufgenommen und verstanden und handeln entsprechend. Wir werden es bei den Beratungen im nächsten Jahr genau beachten. Im übrigen setzt der Haushalt 1997 den konsequenten Sparkurs fort, so auch der Einzelplan 09 des Bundesministers für Wirtschaft. Ich bin der Meinung, daß er deshalb die ungeteilte Zustimmung dieses Hauses verdient. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe die Kollegin Antje Hermenau auf.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Haushalt ist eigentlich immer in Zahlen geschriebene Politik und oft nachvollziehbarer und wahrhaftigerer als die vielen Reden, die gehalten werden. Sehen wir uns diesen Haushalt doch einmal an, überlegen wir, was damit implementiert wird, was man im Zahlengewirr als normaler Mensch so nicht erkennen kann, aber was vielleicht dahintersteckt. Wenn hier von Globalisierungspanik gesprochen wird und allen irgendwie die Verzweiflung im Auge aufblitzt, ({0}) dann denke ich mir, daß Herr Rexrodt eigentlich bemüht sein müßte, nicht nach Asien, zu den Märkten zu fliehen, sondern in Europa eine Harmonisierung sowohl hinsichtlich der Wirtschaftsprinzipien als auch hinsichtlich der Harmonisierung der Steuern herzustellen. Denn die Steueroasen in Europa sind diejenigen, die die wandernden Arbeitsplätze, auf die der Bundeskanzler gestern reflektierte, verursachen. Die Arbeitsplätze, die hier fehlen, werden innerhalb Europas ausgelagert. Das ist das Problem; denn dort wird um denselben Markt gekämpft, während die Auslagerung von Produktionskapazitäten in Länder außerhalb Europas eigentlich nur bedeutet, daß man dort neue Märkte erschließt und damit dort auch neue Konditionskapazitäten aufbauen muß. Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, wo Ihr Beitrag zur Europäisierung ist; denn die Globalisierung an sich ist für Sie kein Aufgabengebiet, weil Sie da gar nicht so viel mitmischen können. Ich hätte es gern gesehen, daß Sie sich, nach dem Untergang der klassischen nationalen Volkswirtschaft, die in der alten Weise ja nicht mehr existiert - darin stimmen wir überein, Herr Rexrodt - stärker dafür engagieren, steuerliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Europa zu harmonisieren und damit dazu beizutragen, daß hier Arbeitsplätze geschaffen werden bzw. erhalten werden können. Das erkenne ich aber nicht. ({1}) Das Sparpaket erweckt vom Grundsatz her den Anschein, als wollten Sie mit den Billiglohnländern in Asien konkurrieren; aber darin liegen nicht die Chancen Europas. Ich habe das gerade ausgeführt. Meiner Meinung nach fehlt auch ein deutlich erkennbares Regionalisierungskonzept. Es fehlt im Prinzip die Schaffung von wirtschaftlichen regionalen Netzwerken, und Sie müßten natürlich auch die monostrukturierten Gebiete umbauen. Das versuchen Sie, indem Sie von drastischen Reduzierungen der Steinkohlensubventionen sprechen. Beraten Sie sich darüber einmal mit Graf Lambsdorff, der damals Wirtschaftsminister war und das alles eingefädelt hat. ({2}) Beraten Sie sich einmal darüber, warum er auf die Idee gekommen ist, soziale Phantasie anzustrengen und dort etwas zu implementieren. Denn Sie haben die soziale Phantasie bei Ihrem Reduzierungspfad, den Sie vorschlagen, völlig weggelassen, und ich denke, daß das so nicht akzeptabel ist. ({3}) Wir unterstützen aber im allgemeinen natürlich den Subventionsabbau; das muß gemacht werden, das ist keine Frage. Die Frage ist aber, auf welche Art und Weise dies geschehen muß. Wenn ich Ihnen vorwerfe, daß Sie dabei keine soziale Phantasie entwikkeln, dann mache ich das am Haushalt für 1997 fest und erkläre, was das bedeutet. Sie haben zum Beispiel auch innerhalb des Einzelplanes 11 bei Herrn Minister Blüm die Mittel für Fort- und Umschulungsmaßnahmen gekürzt. Der Witz an der Sache ist: Wenn Sie den Kumpeln im Ruhrgebiet sagen wollen, daß in der Produktion Reduzierungspfade enthalten sind, dann müssen Sie den Branchenumbruch, der dort nötig ist, natürlich begleiten, indem Sie die nötigen Umschulungsmaßnahmen anbieten. ({4}) Was im Haushalt für 1997 steht, ist folgendes: Man sucht mittelfristig die schnellstmöglichen Ausstiegspfade nach Vorgaben des Hauses Rexrodt, und man kürzt die Mittel für Fortbildung und Umschulung in Nordrhein-Westfalen um ein Drittel dessen, was 1996 gang und gäbe war. Das heißt, es handelt sich um 30 000 Menschen, die nicht in AB-Maßnahmen und in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen kommen. Damit können Sie den Kumpeln natürlich nicht nahebringen, daß Sie einen Reduktionspfad in der Steinkohle vorhaben. ({5}) Bleiben wir bei der Energiewirtschaft. Wenn Sie die Atomkraftwerke endlich in ihrem vollen Risiko versicherten, dann genügte das schon, um diesen riskanten und unnötigen Energiepfad endlich zu schließen; denn das könnte sich kein Energieversorgungsunternehmen mehr leisten. Aber der Steuerzahler muß es sich leisten. Lassen Sie bitte diesen Exkurs zu einer gewissen ideologischen Borniertheit zu. Ich bin ja neu in dieses Land hinzugekommen. ({6}) Ich habe beim Nachlesen der Angelegenheiten in dieser Republik vor der Wende festgestellt, daß eine Generation von Leuten, die AKW-Gegner, in dieser Gesellschaft etwas implementiert haben, etwas vorgeschlagen haben, ein Risiko formuliert haben. Jetzt, nach 15 Jahren, weiß im Prinzip die ganze Gesellschaft, daß diese Frage einer Generation eine richtige Frage war und Sie aber nicht in der Lage sind, im nachhinein zuzugeben, daß diese Generation die richtige Frage und die richtige Antwort gefunden hatte. Sie beharren auf einer, wie ich finde, ideologischen Borniertheit, indem Sie weiter auf Atomkraft setzen, obwohl Sie wissen, daß die Gesellschaft dies mehrheitlich nicht mehr wünscht. ({7}) Da Investitionen in die Energieerzeugung langjährige Amortisierungszyklen haben, müssen Sie natürlich auch da Planungs- und Investitionssicherheit herstellen. In bezug darauf setzen sich die energiepolitischen Positionen der Grünen im ganzen Land immer mehr durch, sozusagen von selbst. Es erscheint fast so, als ob sich Herr Rexrodt mit seiner Wirtschaftspolitik in einer Art virtuellen Realität befände, aber nicht in der Wirklichkeit in dieser Bundesrepublik Deutschland. Statt dessen werden weiter Steuergelder in die falsche Richtung investiert. ({8}) Da wir gerade bei der Umwelt sind: Es gibt das hehre Ziel - von Kanzler Kohl formuliert -, die CO2- Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zu senken. Im Haus Rexrodt gibt es ein Gutachten dazu, in dem versucht wird, das über die Arbeitsplatzfrage zu konterkarieren. Sie unterlaufen im Prinzip die politischen Vorgaben Ihres Kanzlers, Herr Rexrodt. Ich weiß nicht, ob der Kanzler das so sieht oder nicht; ich nehme aber einmal an, daß er es gemerkt hat. Das würde bedeuten, daß der Kanzler die politischen Vorgaben zwar rhetorisch machen darf - auch auf internationaler Ebene -, aber daß die F.D.P. und das Haus Rexrodt diese Vorgaben politisch unterlaufen. Das müssen Sie in der Koalition klären; das geht mich nichts an. Aber es fällt mir auf; ich beobachte das mit Genuß. Ich mache in dieser Frage einen Vorschlag: Dezentralisieren Sie die Energieerzeugung! Das wäre ausgesprochen arbeitsintensiv; das schaffte Arbeitsplätze. Sie können sich das wie folgt praktisch vorstellen: Wenn es zu einem Auftragsboom zum Beispiel bei der Installation von Solardächern kommt, dann werden dadurch Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben einen entsprechenden Änderungsantrag vorgelegt. Ich komme zum Wirtschaftsgutachten, das hier immer wieder zitiert wird. Selbst die „fünf Weisen" sagen, große Hoffnungen vermögen sie nicht zu wekken. Die Erholung ist maßgeblich einer deutlichen Belebung der Auslandsnachfrage zu verdanken, sagen sie weiter. Daraus zieht die F.D.P. auch gleich die richtige Schlußfolgerung - jedenfalls meint sie das -: Wir werden jetzt alle ein Volk von Aktienbesitzern. Ich nehme an, das hat Helmut Kohl mit seinem Wort vom „Freizeitpark Deutschland" gemeint. Ich muß ehrlich sagen: Ich fühle mich an lange zurückliegende Parteilehrjahre erinnert, als man versuchte, uns näherzubringen, was Lenin mit seinem Wort vom „Rentnerstaat" gemeint hat. Das bedeutet, daß ein ganzes Volk von Aktienbesitzern davon lebt, daß die andere Welt dadurch ausgebeutet wird, daß die Produktion dorthin verlagert wird, so daß wir den Aktienprofit einstreichen können. Es ist amüsant, daß die Realität der Bundesrepublik Deutschland mich dazu bringt, altes Parteiwissen auszugraben, das ich damals immer für lächerlich gehalten habe. ({9}) Aber ich nehme das schmunzelnd zur Kenntnis. Für die Wirtschaft bleibt der Export weiterhin das kräftigste Zugpferd, wird gesagt. Wo bleibt dann das entsprechende Exportförderinstrumentarium? Mit den Hermes-Bürgschaften fördern Sie Relikte der alten planwirtschaftlichen Gigantomanie wie das DreiSchluchten-Staudamm-Projekt in China, von dem jeder normale Mensch und sogar Vertreter der seltsamen Spezies der US-Banker sagen, daß man so etwas im eigenen Land nicht fördern würde und es in anderen Ländern eigentlich auch nicht fördern dürfe, weil das gegen die eigenen Vorstellungen von sozialer, ökologischer und ökonomischer Profitabilität verstoße. ({10}) Der Schutz traditioneller Branchen ist eher problematisch. Er kann nur zwei Ziele haben: Entweder sollen sie wettbewerbsfähig gemacht werden, oder sie sollen in begrenztem Umfang erhalten werden, um soziale Risiken des Strukturwandels abzumildern. Sie, Herr Rexrodt, sind in NRW gefragt. Aber natürlich ist der F.D.P. völlig egal, was in NRW passiert, weil die F.D.P. in NRW nichts zu gewinnen hat. Sie hat auch nichts zu verlieren, höchstens etwas zu verhindern, nämlich Herrn Möllemann. Insofern verstehe ich natürlich, daß Sie sich nicht bemühen, dem Land NRW zu struktureller Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen. Ein so großes Gebiet mit einer derartigen Monostruktur wird ähnliche Probleme wie die fünf neuen Länder haben. Das sollte man schon ernst nehmen. Es gibt Bürgerinitiativen im Saarland, deren Vertreter bereits davon sprechen, daß sie für Reduktions- und Ausstiegspfade bei der Kohleförderung sind, weil es erforderlich ist, beispielsweise mit Lothringen gleichzuziehen. Es war früher strukturell noch schwächer entwickelt als das Saarland. Aber inzwischen fängt man an umzustrukturieren, weil die Franzosen beschlossen haben: Ab 2005 ist Schluß. Das Saarland möchte natürlich nicht hinter Lothringen zurückfallen. Also gibt es da offensichtlich Zwänge, die nach meinem Dafürhalten auch die SPD dazu bewegen könnten, entsprechend aktiv zu werden. Sie können sich ja nachher dazu äußern. ({11}) - Ich versuche, etwas langsamer zu reden. Für mich sind eine Reihe von Fragen aufgetaucht, als ich mich mit dem Wirtschaftsgutachten beschäftigt habe. Eine der Fragen ist zum Beispiel: Läßt sich bis zur Jahrtausendwende tatsächlich ein Wirtschaftswachstum entfalten, das zur Halbierung der derzeitigen Zahl von über 4 Millionen registrierten Arbeitslosen führt? Würde diese Strategie, falls sie ökonomisch überhaupt durchsetzbar ist - da haben Sie, Herr Minister, ja selbst große Zweifel -, nicht mit einer den Standort erneut dramatisch bedrohenden Umweltbelastung erkauft werden? Diese Fragestellung muß man hier schon noch zulassen. Ich glaube nicht, daß Ihnen die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen gelingt. Sie wissen genau, wie die Wachstumszahlen für den Ostteil und den Westteil Deutschlands aussehen. Sie wissen, daß die Wachstumszahlen im Osten inzwischen unter denen im Westen liegen. Es gibt inzwischen erste Hochrechnungen. Herr Biedenkopf spricht von 70 Jahren der Anpassung. Da wird mir ganz schlecht; da bin ich ja schon lange tot. Das andere ist: Unterstellen Sie mal, das Wirtschaftswachstum West beträgt 2,5 Prozent, und sagen Sie mal, die Ostler sind nur doppelt so gut und haben 5 Prozent, dann brauchen Sie 29 Jahre, um die Angleichung herzustellen, von der gesprochen worden ist. Da erwarte ich ein bißchen mehr, als zu sagen, wir müssen etwas mehr einsparen beim Aufbau Ost. ({12}) Die Milchmädchenrechnung, von der Sie denken, daß Sie die einer Frau unterstellen können, die es wagt, sich zu Wirtschaftsthemen zu äußern, kommt aus der FAZ und lautet: „Das teuerste Wirtschaftsdesaster der Nachkriegsära ist der Aufbau Ost." Heute geht es beim Aufbau Ost im wesentlichen um den Neuaufbau. Die ostdeutsche Wirtschaft besteht zum großen Teil aus jungen Unternehmen. Die haben eine marktnähere Wirtschaftsstruktur, einen geringeren Anteil an veralteten Industrien und Produktionsmitteln, eine modernere Ausstattung der Infrastruktur. Sie sind einfach beweglicher. Sie sind aber auch eingebettet in eine gewisse ostdeutsche Unternehmerkultur, die Sie immer als untüchtig abqualifizieren, die aber genau diese soziale Phantasie beinhaltet, von der ich vorhin gesprochen habe. Sie wird vielleicht noch einmal von großem Nutzen sein, wenn in fünf bis sechs Jahren die ersten mittel- und osteuropäischen Länder in den Europäischen Wirtschaftsraum aufgenommen werden; denn dort arbeitet man ähnlich. ({13}) Wir schlagen vor, Ostdeutschland zu einem EU-weit einzigartigen Referenzprojekt für nachhaltiges Wirtschaften und Umweltsanierung zu machen. Die dann nachgewiesene Kompetenz im Umgang mit radioaktiv verseuchten Halden, mit kontaminierten Flächen in Chemieregionen, mit zahlreichen Industriebrachen, Braunkohlenhinterlassenschaften, Schadstoff- und Giftmülldeponien sollte zu Wettbewerbsvorsprüngen auf den internationalen Märkten führen. Die in Ostdeutschland gesammelten Erfahrungen für den Branchenumbruch kritisch nutzbar zu machen, zum Beispiel in monostrukturierten Gebieten wie in NRW, die ostdeutschen Erfahrungen auch als Lernort für den Umgang mit Unternehmenskultur zu nutzen, die durch die Erfahrung der Kollektivgesellschaft geprägt ist - die im asiatischen Wirtschaftsraum ja gang und gäbe ist -, das halte ich für eine interessante Sache. Das bedeutet einen Brükkenschlag zwischen dem wirtschaftlichen Unternehmensverständnis asiatischer und europäischer Unternehmensführung. Und das wäre doch ein Ansatz. ({14}) Lösen wir uns aus der virtuellen Welt des Wirtschaftsministeriums, von dem Computerspiel „normale Wirtschaft im Osten", und sprechen wir über Fakten und Zahlen. Die Lohnstückkosten liegen ein Drittel über dem westdeutschen Niveau, der Anteil des verarbeitenden Gewerbes ist halb so groß wie in den alten Bundesländern. Der Exportanteil beträgt gerade mal zwei Prozent des deutschen Exports. Deswegen haben wir auch noch einmal einen Änderungsantrag zum Absatz der ostdeutschen Produkte eingebracht. Zur Wachstumsrate habe ich mich schon geäußert. Auf ein paar Jahre Aufbau Ost hatte man sich eingestellt. Doch nun spottet man im Wirtschaftsministerium selbst, indem man sagt, nun beginne die dritte Hälfte des Weges zum Aufbau Ost. Wir sollten uns - ich sage das allen Ernstes - nicht wundern, wenn wir im nächsten Jahr einen Rückschlag im Osten beobachten müssen, weil die Bundesregierung unter den Konvergenzkriterien für Maastricht hindurchtaucht - auf Gedeih und Verderb. Zynisch wird das Erreichte im Osten zur Disposition gestellt. Sie stehen hier eigentlich in der Verantwortung. Aber für die F.D.P. ist der Aufbau Ost und der Osten überhaupt ja verlorenes Land. Danke. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort erhält jetzt Dr. Otto Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eigentlich hatte ich mir heute vorgenommen, einen kleinen Rückblick auf eine Debatte zum Haushalt des Wirtschaftsministers im Jahre 1973 zu machen. ({0}) - Ja, das war ganz interessant. Da waren Ludwig Erhard, Klaus Dieter Arndt. Von dessen wirtschaftspolitischen Qualitäten können Sie heute gar nicht mehr träumen. ({1}) Damals wurde ich aufgerufen - zu meinem Erstaunen habe ich das festgestellt, als ich das Protokoll nachgelesen habe - mit einer Redezeit von 45 Minuten. Heute hat man normalerweise achteinhalb. ({2}) Was ist eigentlich in den 23 Jahren hier im Parlament passiert? Was hat sich da entwickelt? Was haben wir vielleicht auch falsch gemacht? Vielleicht denkt man darüber mal nach. Aber aus Zeitgründen will ich das nicht näher ausführen. ({3}) - Ja, viel Regulierung auch hier. Meine Damen und Herren, einer der dümmsten politischen Sprüche - wir haben ihn auch gestern wieder gehört - heißt: Es gibt keine Alternative. Es gibt immer eine Alternative. Es gibt selbstverständlich eine Alternative zu der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. ({4}) - Das habe ich mir schon gedacht; nicht zu viel Beifall, das geht alles von meiner Redezeit ab. - Aber es gibt keine bessere, meinetwegen auch keine weniger schlechte Alternative. Selbstverständlich gibt es auch eine Alternative zur Wirtschaftspolitik dieser Koalition. ({5}) Aber welche ist das denn? Die Politik einer Opposition, die sich ihrer Verantwortung entzieht? Die Politik einer Opposition, die zu allem und jedem nein sagt: Gewerbekapitalsteuer abschaffen? - Nein. Vermögensteuer abschaffen? - Nein. Kohlesubventionen abbauen? - Nein. Lohnzusatzkosten verringern? - Nein. Ladenschluß verändern? - Nein. Öffnungsklauseln im Tarifrecht? - Nein. Deregulierung? - Nein. Statt dessen mit dem DGB: sozial regulierte Marktwirtschaft. Sie werden auch noch das letzte Stück Freiheit in Deutschland regulieren. ({6}) Diese Haltung der SPD erinnert schon verzweifelt an die ersten Jahre der Bundesrepublik: nein zur Westbindung, nein zur Marktwirtschaft, nein zu allem, was diesem Lande seine heutige Stellung in der Welt verschafft hat. Sie brauchen ein anderes, Sie brauchen ein neues Godesberg. Sie sind heute eine konservativ beharrende, rückwärtsgewandte Partei. ({7}) Sie wollen keine Veränderung, und Sie nehmen damit das Elend der Arbeitslosigkeit in Kauf. Sie schützen mit den Gewerkschaften und dem Tarifkartell die Arbeitsplatzbesitzer. Aber Sie lassen nichts übrig für die Arbeitslosen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Mit wem soll man denn bei Ihnen über Wirtschaftspolitik diskutieren? Heute offensichtlich mit Herrn Thierse. Also, tolerant sind Sie in der SPD. Ich kann Ihnen das Zitat nicht vorenthalten: In der SPD hat eine neue Generation die Führung, für die Sekundärtugenden wie Disziplin, Loyalität, Kollegialität, Solidarität, auch im Umgang miteinander, keine Bedeutung mehr haben. Das sind nicht meine Worte; das sind die Worte von Herrn Thierse aus der vorigen Woche. Daß er heute redet, zeigt, daß Sie tolerant sind. Sollen wir mit Herrn Schröder über Wirtschaftspolitik diskutieren, der uns sozialdemokratische Industriepolitik empfiehlt - Industriepolitik, wie sie sich zum Beispiel im Vorstandsvertrag des Genossen Hennemann beim Bremer Vulkan findet? ({8}) Oder sollen wir über sie mit Oskar Lafontaine diskutieren, der - ich erinnere an seinen großen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" - Deutschland aus der Gloabilisierung abmelden will? Herr Thierse, Sie haben auch heute das Thema einer Ausbildungsplatzabgabe - es ist ja nun gestern wirklich rauf und runter dekliniert worden - angesprochen. Ich lese Ihnen vor: Wir dürfen auf jeden Fall - Stichwort „Ausbildungsabgabe" - nicht zu einer Lösung kommen, die sich dann entwickelt zur Schwerbehindertenabgabe, in der dann diejenigen, die nicht Schwerbehinderte beschäftigen wollen, sich einfach freikaufen. Damit wäre niemandem gedient. Oskar Lafontaine am 28. Juli 1996 im Deutschlandradio Berlin, ({9}) am Sonntag, Techno tanzend auf dem Juso-Happening, etwas anderes. Von den Grünen übrigens hört man zur Ausbildungsplatzabgabe vorsichtshalber gar nichts. Aber das ist doch der Punkt: daß Sie den Leuten Anreiz geben, sich freizukaufen und keine Ausbildungsplätze anzubieten. Sie ruinieren das Ausbildungsplatzangebot weiter. ({10}) Gestern schien in der Rede des SPD-Vorsitzenden ein wirtschaftspolitisches Konzept auf. Aber welches? Sehr verkürzt gesagt: Inflation ist zu niedrig, Arbeitslosigkeit zu hoch, also zurück zu den Instrumenten der 60er und 70er Jahre.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lambsdorff, stimmen Sie mir zu, daß die Situation der beruflichen Bildung im Augenblick dadurch gekennzeichnet ist, daß Betriebe, die nicht ausbilden, überhaupt keinen Beitrag für die Zukunft der Jugendlichen, für die Ausbildung der Arbeitskräfte, auf die auch sie in Zukunft zurückgreifen wollen, leisten? Stimmen Sie mir zu, daß es eigentlich bar jeglicher marktwirtschaftlichen Logik ist, wenn wir qualifizierte Arbeitskräfte anderen Unternehmen, die keinen Pfennig zur QualiEdelgard Bulmahn fizierung durch Ausbildung beigetragen haben, kostenlos überlassen? Ist das marktwirtschaftliche Logik? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß das in manchen Bereichen ein beklagenswerter und kritikwürdiger Zustand ist. ({0}) Ich bin nicht der Meinung, daß die Ausbildungsplatzabgabe daran etwas verbessert. Sie wird den Zustand verschlechtern. ({1}) Kurzfristig gesehen ist das ein marktwirtschaftlich sehr berechtigtes Denken. Das hat auch damit zu tun, daß die Kosten für die Ausbildung derartig angestiegen sind, daß sich viele Betriebe, insbesondere Handwerksbetriebe, damit nicht mehr belasten wollen. ({2}) Langfristig gesehen ist das auch marktwirtschaftlich eine falsche Reaktion; da haben sie recht. Man braucht ja diese gut ausgebildeten Arbeitskräfte später. Wir sind uns einig darüber, daß wir mehr Ausbildungsplätze brauchen. Die Frage ist doch nur, wie man das erreichen kann. Mit Ihren Mitteln kann man es eben nicht erreichen, sondern nur verschlechtern. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zunächst ist Herr Koppelin dran. Er hatte sich vorhin gemeldet. Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Graf Lambsdorff, ist Ihnen bekannt, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund überhaupt keine Ausbildungsplätze hat? ({0}) Hat man schon einmal ausgerechnet, was denn der Deutsche Gewerkschaftsbund bezahlen müßte, wenn die Ausbildungsplatzabgabe eingeführt würde? ({1})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach meiner Kenntnis gilt das nicht nur für den Deutschen Gewerkschaftsbund, sondern auch für Einzelgewerkschaften. ({0}) Aber da die Einzelgewerkschaften zum Beispiel mit dem Honorieren von Gutachten großzügig umgehen, können sie sicherlich auch eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Graf Lambsdorff, meine Frage geht in die gleiche Richtung; denn ich nehme das, was die Kollegin eben gefragt hat, mit großer Sorge auf. Teilen Sie mit mir die Sorge, daß der DGB gegebenenfalls aussterben könnte, weil er nicht ausbildet? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ob es fortschrittlich und vernünftig ist, wenn Frau Engelen-Kefer junge Leute ausbildet, darüber kann man länger diskutieren. Es stellt sich eine ganze andere Frage: ob der DGB bei der Fusionsbewegung innerhalb der Gewerkschaften, bei der am Ende noch zwei, drei oder vielleicht vier große Industriegewerkschaften übrigbleiben, überhaupt noch eine Funktion und eine Berechtigung haben wird. ({0}) - Lieber Herr Schwanhold, ich bin doch schon zu der Frage übergegangen, was die Fusionsbewegung innerhalb der Gewerkschaften für Auswirkungen haben kann. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, Sie haben das Wort.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das ist eine tolle Mischung von Zwischenruf und Frage. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, überwiegend. Ich brauche auch meine Redezeit. Meine Damen und Herren, noch einmal: Der Erkenntnisstand des SPD-Vorsitzenden stammt aus den 60er und 70er Jahren. Natürlich kann man fragen, ob das, was damals zum Teil erfolgreich gemacht worDr. Otto Graf Lambsdorff den ist, auch heute ginge. Aber staatliche Beschäftigungspolitik und Beschäftigungsprogramme helfen, wie wir wissen, vielleicht gegen konjunkturelle Schwächen, aber sicherlich nicht in Strukturkrisen, wie wir sie heute haben. Oskar Lafontaine hat uns hier gestern eine prinzipielle Umkehr der Wirtschaftspolitik in Deutschland empfohlen. Dazu können Sie heute Kommentare in allen Zeitungen lesen. Soll dies gegen den Rest der Welt, gegen den Rest Europas geschehen? ({0}) Solch ein Experiment hat Frankreich nach der ersten Wahl von François Mitterrand von 1981 bis 1983 versucht. Dafür haben die Franzosen teuer bezahlt. Die mutige Entschlossenheit der damaligen französischen Sozialisten zur Umkehr finde ich auch heute noch rühmenswert. Sie hatten ihre Fehler erkannt. Warum schafft das die SPD in Deutschland nicht? Lafontaines Vorschläge führen Deutschland in die wirtschaftspolitische Isolation. Und das ist keine Splendid isolation. ({1}) Sollen wir mit Herrn Scharping diskutieren, der - wie viele von Ihnen - immer noch nicht begreift, daß Gewerbekapital- und Vermögensteuer die Kapitalbildung in Deutschland behindern, der immer noch nicht merkt, daß wir in Deutschland Arbeitskräfte reichlich und Kapitalbildung im Sinne von Produktionskapital unzureichend haben? Das fehlt doch bei uns. ({2}) Ein Beispiel zu diesem Thema: Die Einführung der SPD-Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern kostet den ostdeutschen Stromerzeuger VEAG im Jahre 1997, wenn es denn dazu kommt, 40 Millionen DM. Dieses Unternehmen hat laut Einigungsvertrag zur Finanzierung neuer Braunkohlekraftwerke in erheblichem Umfang Dauerschulden gemacht. Diese zusätzliche Belastung durch die Gewerbekapitalsteuer geht in die Strompreise, und das kostet Arbeitsplätze. Ihre Steuer- und Sozialpolitik dient falscher Umverteilung und wachsender Arbeitslosigkeit. ({3}) Bündnis 90/Die Grünen sind kein Stück besser. Wirtschaftspolitisches Programm - Fehlanzeige! Das können Sie heute in der „Wirtschaftswoche" nachlesen. Also wurstelt jeder kreativ-chaotisch vor sich hin. Der Kollege Metzger gibt sich als sparsamer schwäbischer Haushälter. Der Kollege Albert Schmidt will der Lufthansa die Trassen der Deutschen Bundesbahn verkaufen. Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen wollte die Drogenspürhunde abschaffen, um mit dem so eingesparten Geld ein neues Programm für weibliche Drogenabhängige zu schaffen. ({4}) Sie wollen 700 000 DM für die Integration deutscher Aussiedler streichen, um die Mittel für humanitäre Maßnahmen für Kurden und Iraker zu erhöhen. Kommen Sie uns bitte nicht mit dem Hinweis, wir seien hier in Bonn und nicht in Düsseldorf. Nicht an Ihren Bonner Worten, Frau Hermenau, sondern an Ihren Düsseldorfer Taten wollen wir Sie erkennen. Derzeit heißt der Tatort Düsseldorf. Der Western in Bonn und am Wochenende in Suhl spielt mit der Starbesetzung Joschka Fischer, Ludger Volmer und Jürgen Trittin. Sie spielen nicht AmericoWestern, sondern Italo-Western: Geschossen wird von hinten. ({5}) Frau Hermenau schlägt uns vor, die Steuern in Europa zu harmonisieren. Das kriegen Sie nie hin, das ist bare Illusion. ({6}) Harmonisieren Sie doch erst einmal Ihren eigenen Verein; das wäre auch schon etwas wert. ({7}) Das Paket der Bundesregierung für Wachstum und Beschäftigung geht in die richtige Richtung. Ich sage zum wiederholten Male: Es wird nicht reichen. Dabei geht es nicht um Systemveränderung, es geht nicht um die Abschaffung des Sozialen in der sozialen Marktwirtschaft. Es geht um die Dimension, um das Ausmaß. Können wir uns leisten, was wir uns leisten? Könnte das, was der Kollege Schäuble in Tutzing zu diesem Thema gesagt hat - und nicht so eine Beschimpfung wie die, die hier gestern ausgetauscht wurde -, nicht eine Plattform für eine Diskussion sein? Das wird nicht zum Konsens in allen Fragen führen, aber vielleicht doch zur Einsicht in das Unvermeidliche. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir erleben, ob Koalition und Opposition, Bundestag und Bundesrat bereit sind, sich auf die Stärkung des Standorts Deutschland zu besinnen und sie auszubauen. Es geht zum Beispiel um die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz. Monopole, wohin man sieht, von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen bis zu den Kommunen: Demarkationsgebiete, Konzessionsverträge, Wegerechte, Verteilungsmonopole und Ausnahmen vom Kartellgesetz. Aus allen Ecken gibt es jetzt schon Weh- und Achgeschrei. Herr Rexrodt, Sie haben die volle Unterstützung der F.D.P.-Fraktion für diese Novellierung. Sie haben Sie auch für eine Kartellnovelle: ({8}) Weg mit Ausnahmebereichen, eiserne Verteidigung des Kartellverbotes. Anpassung an Europa? - Ja. Anpassung an BDI-Positionen? - Nein. Werden wir eine Neuauflage des Kampfes von Ludwig Erhard um das Kartellgesetz, um das Kartellverbot erleben? Wettbewerb ist oft hart, aber ohne seine antreibende Kraft verkommen wir hinter Subventionen, Protektionismus und Staatsintervention. Eines der besten Beispiele ist die Entwicklung der deutschen Automobilindustrie, die Sie, Herr Thierse, nicht so schnell abschreiben sollten, wie Sie es heute mit einer Nebenbemerkung getan haben. Noch vor wenigen Jahren lag der japanische Importanteil in Deutschland bei 14 Prozent. Heute liegt er bei der Hälfte, weil sich die deutschen Unternehmen angestrengt und bessere und billigere Modelle entwickelt haben und wettbewerbsfähig sind. Das ist Wettbewerb, so muß er aussehen. ({9}) Wir dürfen diesen Wettbewerb nicht aushöhlen, auch nicht für sozial- oder umweltpolitische Ziele und Zwecke. Das passiert sehr häufig. Passen wir auf, was jetzt bei der Altautoverwertungsverordnung und ähnlichem kommt! Herr Thierse, wir wollen keinen Nachtwächterstaat. Gerade in diesem Bereich muß der Staat der sozialen Marktwirtschaft handlungsfähig bleiben. Reden Sie doch nicht von einem Nachtwächterstaat bei einem Staatsanteil von 50 Prozent. Mein Himmel, was soll denn noch alles kommen? Meine Damen und Herren, so erstaunlich es meine Freunde finden werden: Es gibt ein lesenswertes Arbeitspapier der Frau Kollegin Wieczorek-Zeul. Selbstverständlich kommen die Torheiten vom ungebändigten Kapitalismus vor, das ist heute Pflichtübung aller Umverteiler. Zutreffend aber ist die Position der Verfasserin, daß es ohne soziale Sicherung und ohne den Sozialstaat nicht geht. Ebenso richtig ist ihre Position, daß wir korrigieren müssen. Es geht nicht um Systembruch, es geht um Maß und Ziel. Ziel muß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein. ({10}) Leider singt auch Frau Wieczorek-Zeul das Elendslied der amerikanischen Gesellschaft. Sie erkennt die US-Erfolge - Vollbeschäftigung, Defizitabbau, niedrige Inflationsrate und niedrige Zinsen -, will das aber als Beispiel für uns nicht gelten lassen. Diese Debatte hatten wir hier im Hause schon im Januar mit der Schlußbemerkung des Bundeskanzlers, wir müßten uns das doch einmal näher ansehen. Die amerikanischen Wähler - Sie wissen das - haben es sich näher angesehen. Sie haben den für diese Politik verantwortlichen Präsidenten wiedergewählt, und die amerikanischen Gewerkschaften haben seinen Wahlkampf unterstützt. Und wir? Wir rümpfen die Nase, fühlen uns sozial erhaben und bezahlen mehr und mehr Arbeitslose. Wie lange können wir das eigentlich noch? Ich wage die Voraussage, daß wir die vorgesehene Finanzierung der Bundesanstalt für Arbeit ohne Kürzung auch in diesem Bereich im Jahre 1997 nicht werden durchhalten können. Unternehmerschelte, wie Herr Schäuble und auch andere das getan haben, taugt nicht als Mittel zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. Aber andererseits: Unternehmer sollten auch am runden Kanzlertisch nichts versprechen, was sie nicht halten können. ({11}) Offenbar sind die Teilnehmer der Kanzlerrunden von der Zulassung bei Hofe so beeindruckt, daß sie das längst fertige Schlußkommuniqué nur noch abnikken. Uns von der Koalition sage ich: Nicht stehenbleiben auf dem halben Wege. Um Himmels willen nicht umkehren und den falschen Ratschlägen folgen, die auch gestern hier gegeben worden sind. Dann zahlen wir zum zweitenmal den Preis für Konsolidierung, Wandel und strukturelle Anpassung. Ralf Dahrendorf hat dazu gesagt: Im Tal der Tränen müssen die Wähler sicher sein können, daß die Regierung ihre Nerven behält und nicht durch den menschenfreundlichen Wunsch, die Leiden der Bürger zu lindern, von ihrem Kurs abgebracht wird, denn das führt auf mittlere Sicht zur Katastrophe. Er hat recht. Die Koalition geht den Weg Deutschlands in eine offene Gesellschaft. Es gibt keinen anderen Weg, die Stellung unseres Landes zu erhalten, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Zukunft unserer Kinder zu sichern. Wir können das schaffen, wenn wir nur wollen. Wir alle. Die F.D.P. war und ist dazu bereit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben mich auf das Jahr 1973 neugierig gemacht. Ich bin gern bereit, das noch einmal nachzulesen. Was das allerdings mit der Redezeit zu tun hat, habe ich nicht ganz verstanden. Man braucht sich doch nur die Sitzordnung anzuschauen. Daraus ergeben sich die Redezeiten, und nicht aus dem, was man hier rüberbringen will. Das zweite. Vielleicht hat die Länge der Redezeit damals auch etwas damit zu tun gehabt, daß die Wirtschaftspolitik noch von der Regierung, begleitet von diesem Haus, gemacht und nicht so sehr der Wirtschaft alleine überlassen worden ist. ({0}) Wir haben drei Monate lang über den Haushaltsentwurf diskutiert. Einige Kollegen haben gesagt, es gab wahre Marathonsitzungen. Was haben eigentlich die drei Monate Diskussion am Einzelplan 09 geRolf Kutzmutz ändert? Nahezu jeder Vorschlag wurde von der regierenden Koalition abgelehnt. Wenn Argumente knapp waren, dann wurde das Thema des Haushaltes benannt, wie es Kollege Adolf Roth am Dienstag formuliert hat: sparen, sparen, sparen. Es wird gesagt: Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Daran scheint man in der Bundesregierung fest zu glauben. Allerdings, das zu Wiederholende muß auch Substanz haben, sonst wird aus der Weisheit nichts. Ich will an dieser Stelle auch auf die einsame Entscheidung im Haushaltsausschuß am 15. November eingehen. Morgens um 3 Uhr wurde ohne Begründung beschlossen, alle Bundestransfers auf Grundlage nationaler und internationaler Vereinbarungen sowie Gemeinschaftsaufgaben pauschal zu sperren. ({1}) Selbst im Finanz- und im Wirtschaftsministerium, Herr Rossmanith, ist man bis heute ratlos, welche der Hunderte von möglichen Einzeltiteln nun tatsächlich und in welcher Form getroffen sein könnten. Ich halte die Diskussion, die Sie vorhin geführt haben, für substanzlos; denn es war nicht Herr Thierse, der gesagt hat, er sei mit dieser Festlegung über den Tisch gezogen und ausgetrickst worden, sondern es war Ihr Kollege Kolbe - den habe ich hier noch nicht gesehen; vielleicht ist er jetzt weggeblieben -, der das gesagt hat. Ich glaube, sie gehört gestrichen. Wieso sollten wir eigentlich den Haushältern überlassen, was die Exekutive, die Ausgleichsbank und die Bank für Wiederaufbau auf der Grundlage der Beschlüsse dieses Parlaments viel besser machen müßten? ({2}) Woher, liebe Kollegin Albowitz, sollte denn das kleine Quentchen Planungssicherheit für Wirtschaft und Verwaltungen kommen, wenn wir mit diesen Haushaltssperren arbeiten? Wer so etwas festlegt, muß auch in Kauf nehmen, daß sich die Investoren und andere nicht auf das verlassen, was wir tun. Auch aus diesem Grund wird die Gruppe der PDS dem ERP-Wirtschaftsplangesetz 1997 zustimmen. Mit der Verlagerung des Eigenkapitalhilfeprogramms in das ERP-Sondervermögen wird wenigstens dieses Herzstück der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen den Sparorgien des Finanzministers und seiner Kabinettskollegen entzogen. Der 97er Etat des Wirtschaftsministeriums und die mittelfristige Finanzplanung für Wirtschaftsförderung beweisen: Diese Regierung untergräbt die ökologischen Grundlagen des Daseins, verspielt Chancen qualitativen Wachstums und erstickt Kreativität und Innovation. ({3}) Der Preis dieser Wirtschaftspolitik besteht im massenhaften Verlust bezahlter Arbeit. Lassen Sie mich das an drei Beispielen aus dem vorliegenden Wirtschaftsetat verdeutlichen. Gleich einem Kaninchen auf die Schlange starrt diese Regierung auf die von ihr mitverfügten Maastricht-Kriterien, „das Klassenziel", wie Herr Rossmanith gesagt hat. Bereits im ersten Entwurf des Haushalts ließ sie deshalb die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" im Westen auf dem lächerlich niedrigen Niveau der letzten Jahre. Sie kürzte massiv bei den entsprechenden Mitteln für den Osten wie auch bei jenen zur Förderung des Mittelstands. Vor zwei Wochen haben wir im Wirtschaftsausschuß ausführlich die Stärkung des gewerblichen Mittelstands diskutiert. Mancher Kollege wird sich daran erinnern. Über alle Parteigrenzen hinweg waren wir uns einig, daß kleine und mittlere Unternehmen die Basis für mehr Arbeitsplätze sind. Als aber die Stunde der Wahrheit schlug, als es statt um Rhetorik um Handeln ging und der Antrag zur Abstimmung stand, die Mittelstandsförderung von den anstehenden neuerlichen Streichungen im Etat auszunehmen, da wollte die Koalition geschlossen von ihren vorherigen frommen Sprüchen nichts mehr wissen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Woher wollen Sie denn die von Ihnen so schnell noch eingeplante globale Minderausgabe von fast 263 Millionen DM im Einzelplan 09 eigentlich holen, wenn nicht, wie ich befürchte, aus der Förderung von Existenzgründern, Mittelständlern und aus dem Osten? Dies in einer Zeit, in der sich erstmals seit fünf Jahren der Abstand in der Wirtschaftsentwicklung zwischen Ost und West wieder vergrößert, in einer Zeit, in der das Handwerk - bisher gegen Konjunkturschwankungen recht resistent - in diesem Jahr in seiner Wirtschaftsleistung um deutlich über 1,5 Prozent schrumpfen wird, in einem Jahr, in dem wir laut Angaben des Statistischen Bundesamtes von letzter Woche mit einem neuerlichen Rekord an Unternehmenspleiten rechnen müssen - insgesamt 26 400, fast ein Fünftel mehr als im Vorjahr! Daß Sie diese Minderausgaben bei der Steinkohlesubvention, die ja die Hälfte des Etats von Herrn Rexrodt ausmacht, herausholen, darf und muß bezweifelt werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kutzmutz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wir haben über den Bereich Mittelstand im Ausschuß intensiv diskutiert. Sie haben dabei sicherlich auch zur Kenntnis genommen, daß in Zukunft zur Stärkung des Mittelstandes zum Beispiel die Ansparhilfe verdoppelt werden soll und Übernehmer von Betrieben vom Eigenkapitalhilfeprogramm Gebrauch machen können, was bislang nicht möglich war. Das sind klassische Maßnahmen, die speziell für den Mittelstand eingeführt wurden. Es stimmt deshalb nicht, daß, wie Sie sagen, für den Mittelstand zu wenig getan wird, sondern die Bundesregierung ist hier auf dem richtigen Weg. Er sollte weiter beschritten werden. Das müßte auch von Ihnen gutgeheißen werden. Ob Sie das verstehen oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. ({0})

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Hinsken, ich schätze Sie als einen Kollegen, der aus dem Mittelstand kommt. Ich weiß auch, wie sehr Sie sich für ihn im Wirtschaftsausschuß immer einsetzen. Ich habe doch nicht unsere gemeinsamen Beschlüsse schlechtgeredet. Sie werden sich daran erinnern, daß Herr Kollege Mosdorf nach unseren ausführlichen Diskussionen gesagt hat: Lassen Sie uns als Wirtschaftsausschuß die Empfehlung beschließen, daß bei nötigen Sparmaßnahmen im Haushalt der Mittelstand ausdrücklich ausgenommen wird. Nur aus diesem Grunde habe ich das angeführt. Herr Kollege Uldall wird sich erinnern, daß er dazu eine zündende Rede gehalten und gesagt hat, das sei nicht nötig. Das ist der Punkt meiner Kritik. Wir hätten doch beschließen können, daß aus solchen globalen Minderausgaben der Mittelstand herausgehalten wird. Der Punkt meiner Kritik waren nicht die anderen von Ihnen angesprochenen Maßnahmen, die ich gutheiße und - wie Sie vielleicht staunend zur Kenntnis nehmen können - verstehe; ich habe mich angestrengt. ({0}) Ich komme zurück auf die Steinkohlesubvention: Schließlich haben Sie ja nicht nur die Kosten, die eigentlich 1997 fällig wären, auf 1998 verbucht, sondern zu guter Letzt auch aus dem bestehenden Posten noch 100 Millionen DM geschnitten. Diese Haushaltspolitik, die durch das ständige Infragestellen und das begleitende Getöse um die Fortführung der Subventionen noch unglaubwürdiger wird, nenne ich schlicht konzeptionslos. Sie treiben mit dem wichtigsten fossilen Energieträger, über den dieses Land auch langfristig verfügen kann, Schindluder. Sie verunsichern Tausende Menschen in den Revieren und setzen den wirtschaftlichen Kern ganzer Regionen aufs Spiel. Sie lehnen eine Energierohstoffagentur ab, wie Sie auch nicht bereit sind, über eine ökologische Steuerreform ernsthaft zu diskutieren. Sie lehnen, ohne sich wirklich damit zu beschäftigen, nach der Devise ab: Was nicht von uns kommt, kann nicht gut sein. Kritisieren Sie - vielleicht sind die Vorschläge auch problematisch -, wir sind lernfähig. Seien Sie wenigstens lesewillig! Als besonderen Höhepunkt der Ignoranz empfinde ich jedoch den Umgang der Koalition mit einem im Etat des Wirtschaftsministers gebunkerten Relikt des Kalten Krieges, der sogenannten Bundesrohölreserve. Ich spreche sie heute zum wiederholten Mal an. Ich spreche auch den Umgang mit einem Grundstein der Zukunftsfähigkeit des Landes an: die Förderung des Einsatzes erneuerbarer Energien. Kollege Weng kritisierte am Dienstag eine, wie er sagte, liebgewordene Geldverteilungsmentalität in sozialen Bereichen. Sie von der Koalition scheinen hingegen in liebgewordenen alten Denkschablohnen zu verharren. ({1}) Wenn Sie das fast 1,5 Milliarden DM wertvolle flüssige Gold aus den Kavernen bei Wilhelmshaven vermarkten, dann übersteht die Bundesrepublik dennoch jede Energiekrise, weil in anderen Lagern noch Öl für über 100 Versorgungstage lagert. Wir hätten aber Mittel, das wichtigste Kapital der Republik, produktnahe Forschung und Innovation, besser als bisher zu fördern, statt die Gelder dafür zu kürzen, was Sie tun. Wir hätten auch die Mittel, um für unsere eigene Umwelt und um unserer Kinder willen endlich den ökologischen Umbau in Angriff zu nehmen und so mit und durch ihn neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Nutzung erneuerbarer Energien, einmal abgesehen von Wind- und Wasserkraft, steckt hierzulande noch immer in den Kinderschuhen. Die dafür bereitstehenden Fördermittel waren mit 30 Millionen DM schon bisher lächerlich niedrig, obwohl die Nachfrage enorm gestiegen ist. So sind die Zuschüsse für Biomasse-Verfeuerungsanlagen in einem ursprünglich bis 1998 geplanten Vier-Jahres-Programm bereits heute restlos verbraucht. Statt aber auf diesem Gebiet nachzulegen oder - um ein anderes Beispiel zu nennen; auch andere Kollegen haben es hier schon angesprochen - endlich ein 100 000-Dächer-Photovoltaikprogramm aufzulegen, damit diese Zukunftstechnologie hier wieder heimisch wird, kürzt man erst planmäßig den Fördermittelansatz um ein Drittel auf 20 Millionen DM, um schließlich, die selbstgeschnittenen Haushaltslöcher vor Augen, weitere 2 Millionen DM abzuknapsen. Dies zu einem Zeitpunkt, wo selbst der Mineralölkonzern Shell in seinen Studien zu dem Ergebnis kommt, daß um das Jahr 2020 erneuerbare Energien ohne Subventionen ebenso wettbewerbsfähig sein werden wie fossile Brennstoffe. Warum also nicht heute in die Zukunft investieren, damit sie noch schneller Realität wird? Mit ihrem kurzsichtigen Etatismus wird die Koalition jedoch die Chancen auf mehr Arbeitsplätze und auf eine lebenswerte Umwelt verspielen. Dies gilt nicht nur für die erwähnten Einzelbeispiele, sondern für den gesamten Etat des Wirtschaftsministers. Die 2,5-Prozent-Wachstumsprognose der Wirtschaftsforscher für 1997 sind doch eher ein Hoffnungs- denn ein Erwartungswert, der - wenn überhaupt - dann auch noch mit weniger Beschäftigten erreicht wird. Das meinen nicht nur wir; das war vom Deutschen Industrie- und Handelstag über den Zentralverband des Deutschen Handwerks bis zum Hauptverband des Deutschen Einzelhandels einhellig zu vernehmen. Auf die Frage, ob es volkswirtschaftlich sinnvoll sei, auf Haushaltsengpässe mit immer weiteren Einsparungen zu reagieren, antwortete der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Lutz Hoffmann, vor kurzem - ich zitiere -: Natürlich nicht ... Wir haben es mit einer Zirkelentwicklung zu tun. Einerseits bringt die schlechte Konjunktur niedrige Einnahmen, andererseits führen die Einnahmeausfälle zu Sparmaßnahmen, die die Konjunktur wieder negativ beeinflussen. Recht hat der Mann. Aber auch in diesem Fall werden Sie mir entgegenhalten: Recht haben heißt noch lange nicht recht bekommen. Denn schließlich haben Sie die Mehrheit. Das ist so; das muß ich akzeptieren. Allerdings hoffe ich auch in diesem Punkt auf eine Änderung. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich - traditionell, aber sehr ehrlich gemeint - an die Mitglieder des Haushaltsausschusses für die konstruktive Zusammenarbeit, besonders die Berichterstatter, Frau Hermenau, Herrn Rossmanith, Herrn Weng und Herrn Hampel, ein Wort des Dankes richten. Ganz herzlichen Dank! ({0}) Der Haushalt 1997 steht nach einem, zugegeben, schwierigen Kraftakt auf einer festen gesamtwirtschaftlichen Grundlage. Von der konjunkturellen Entwicklung erwarte ich für 1997 keine Risiken. Sie kennen unsere Prognosen: 1,25 bis 1,5 Prozent für dieses Jahr und 2,5 Prozent Wachstum für das nächste Jahr. Diese Entwicklung ist durch gesamtwirtschaftliche Daten nach unten abgesichert. Auch der Sachverständigenrat und die Wirtschaftsforschungsinstitute haben das bestätigt. Für diese Prognose sprechen wichtige Indikatoren: das Geschäftsklima, die Exporte, die Preisentwicklung und anderes mehr. Was ansteht, hat uns der Sachverständigenrat unmißverständlich ins Buch geschrieben. Die Entlastung der nicht akzeptablen Lage am Arbeitsmarkt macht eine umfassende und zügige Fortsetzung unserer Reformpolitik notwendig. ({1}) Wir haben unsere Hausaufgaben jetzt und hier zu machen, und zwar alle: Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Ich sage in Richtung Opposition: Wir können uns der Disziplin des Standortwettbewerbs nicht dadurch entziehen, daß wir, wie das Herr Lafontaine immer wieder tut, weltumspannende Absprachen über wichtige Indikatoren und wichtige Inhalte unserer Politik anmahnen. ({2}) Wer würde denn bestreiten, daß internationale Absprachen nicht hilfreich sind. Sie finden überall statt. Was aber einige von Ihnen aus der SPD fordern, läuft auf ein Superbündnis für Arbeit hinaus. Das läuft nicht. Wer würde denn ernsthaft glauben, daß andere Länder unsere Sozial- und Umweltstandards einführen, damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren Lebensstandard erhalten können? Wer würde denn ernsthaft glauben, daß diese Länder bereit sind, ihre Kostenvorteile, die sie nun einmal haben, aufzugeben, oder daß sie ihre Zinspolitik an den Interessen unseres Landes und der Europäer orientieren? Dies läuft nicht. ({3}) Wir müssen innerhalb und außerhalb unseres Landes die Chancen der Globalisierung aktiv nutzen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, gerne.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie weisen darauf hin, daß die Bundesregierung gerne zu solchen Absprachen käme, halten sie aber für unrealistisch. Ist es nicht ebenso wahr, daß die Bundesregierung den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Clinton für ein Bündnis für Arbeit bereits bei der Konferenz in Kopenhagen zurückgewiesen hat, und ist es nicht ebenso wahr, daß die Bundesregierung die gemeinsame Linie der Europäischen Union - von den 15 Ländern waren zwölf für eine gemeinsame Linie bei den Öko- und Sozialstandards - für die kommende Konferenz in Singapur abgelehnt hat und daß die Hauptkräfte, die dies gegen den Wunsch des EU-Kommissars Sir Leon Brittan torpediert haben, die Bundesregierung und England waren? ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, zunächst einmal möchte ich sagen, daß wir innerhalb der Europäischen Union gehalten sind, unsere Politik zu harmonisieren. Das tun wir auch. ({0}) - Ich möchte bitte die Frage beantworten. Zum anderen ist es kein Kunststück, in wichtigen Fragen dieser Art mit den Amerikanern eine Harmonisierung herbeizuführen. Worum es uns und mir geht - Sie wissen das ganz genau, Frau Kollegin -, ist doch die Forderung, in Schwellenländern, die ein anderes Kostengefüge haben, darauf hinzuwirken, daß unsere Sozial- und Umweltstandards dort eingeführt werden, damit deren Kostenvorteile reduziert werBundesminister Dr. Günter Rexrodt den, wir wettbewerbsfähiger bleiben und Auslagerungen und dergleichen nicht mehr stattfinden. Ich sage mit aller Entschiedenheit: Wenn Sie diese Länder kennen, sie besuchen und ihre Probleme vor Ort erleben, dann ist es geradezu naiv, anzunehmen, daß Länder in Asien oder Lateinamerika - ich will keine einzelnen Länder benennen - im entferntesten bereit wären, unsere Wunschvorstellungen, die berechtigt sind, zu übernehmen, um damit ihrerseits Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen. Dies läuft nicht. Wir wollen in der WTO - ich freue mich, daß Sie mich in meiner Delegation begleiten - darauf hinwirken, daß weltweit gewisse Mindeststandards im Gleichklang eingeführt werden. Das betrifft vor allem die Sozialstandards hinsichtlich der Kinderarbeit. Wir wollen dazu beitragen, daß im Bereich des Schutzes des tropischen Regenwaldes Fortschritte gemacht werden und anderes mehr. Dies alles kann, wird und soll geschehen. Diejenigen aus Ihrer Partei aber, die darauf bauen, daß Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrie durch derartige Absprachen abgeschafft werden können, was letztlich auf ein Stück Protektionismus in Deutschland und der Europäischen Union hinausliefe, sind schief gewickelt. Diese Länder sind in den Grundsatzfragen - man mag es beklagen oder nicht - nicht bereit, diese Maßstäbe zu übernehmen, weil sie ganz andere Probleme haben. Sie müssen nämlich ihre Menschen mit Nahrung versorgen und ein Mindestmaß an Wohnraum sicherstellen. Erst danach gehen sie an die anderen Probleme heran. Das mag man beklagen; das sind aber Fakten. Deshalb ist jede Wirtschaftspolitik, die darauf abstellt, die Globalisierungsprobleme der deutschen Wirtschaft über diesen Ansatz lösen zu wollen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Eine weitere gestatte ich, dann möchte ich gerne im Zusammenhang vortragen.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Rexrodt, es geht um die konzeptionelle Frage, wie soziale ökologische Marktwirtschaft weltweit organisiert sein soll. Ich will die Frage meiner Kollegin wiederholen; Sie haben sie nicht beantwortet. Wie erklären Sie sich denn, daß die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, Arbeitsgruppen bei der WTO zu gründen, und zwölf Länder der Europäischen Union bereit waren mitzumachen und dies an England und der Bundesrepublik Deutschland gescheitert ist? Sie widersprechen Ihren eigenen Aussagen, wenn Sie jetzt nicht zugeben, daß die Bundesregierung falsch gehandelt hat. Ich frage Sie noch einmal: Warum war die Bundesregierung nicht bereit, sich zusammen mit den anderen europäischen Ländern des Binnenmarkts Europa so zu organisieren, wie es alle anderen außer England und Deutschland vorgeschlagen haben?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Kollegin Fuchs, Sie haben, glaube ich, meine Antwort nicht verstanden. ({0}) Ich habe gesagt, eine Politik, die darauf zielt, naiv davon auszugehen, daß diese Standards dort angenommen werden, ist zum Scheitern verurteilt, ist nicht realistisch. ({1}) Es ist eine ganz andere Frage. Es kann nur im Interesse aller Menschen auf diesem Planeten liegen, daß diese Standards dort verbessert werden. Aber unser Verhalten in der Europäischen Union ist ein gut Teil darauf zurückzuführen, daß wir den berechtigten Verdacht haben, daß einige unserer Partnerländer unter der Fahne anderer Sozialstandards und anderer Umweltstandards im Hintergrund ein gutes Stück Protektionismus mit sich tragen. Diesen Protektionismus zu verhindern ist unsere Aufgabe, das ist die Aufgabe der Sozialen Marktwirtschaft und einer liberal geführten Wirtschaftspolitik, Frau Fuchs. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Minister, daß Sie hiernach keine weiteren Fragen zulassen? - Herr Jens, ich muß Sie negativ bescheiden.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Meine Damen und Herren, unsere Wirtschaftspolitik, die darauf zielt, daß wir uns im Inneren des Landes auf die Globalisierung vorbereiten, hat fünf Säulen. Ich kann und will sie hier nur nennen: Das ist einmal die Kostenentlastung durch weniger Lohnzusatzkosten, Steuern und Abgaben. Das ist ein Weg, der schwer zu gehen ist und der, gerade was die Abgaben angeht - wir haben gestern darüber gesprochen -, noch viel Arbeit vor uns läßt. Das ist sodann die Neuorganisation der Arbeitswelt. Das ist weiter der Abbau von Bürokratie und institutioneller Verkrustung. Das sind ferner Forschung, Entwicklung und Innovation. Und das ist schließlich die außenwirtschaftliche Flankierung unserer Wirtschaft. Hierfür setzen wir den ordnungspolitischen Rahmen. Das ist der Inhalt unserer Wirtschaftspolitik. Vieles haben wir da auf den Weg gebracht. Auch der Sachverständigenrat sagt: mehr, als noch im Frühjahr erwartet. Aber es muß noch viel geschehen. Die arbeitsplatzvernichtende Substanzbesteuerung von Gewerbekapital und Vermögen muß ein Ende haben. Eine Differenzierung, wie Sie sie immer wollen, zwischen privater und betrieblicher Vermögensteuer ist unsinnig. Sie schafft Umgehungstatbestände, sie führt zur Steuerflucht, und sie benachteiligt den Mittelstand. Sie ist im übrigen erhebungsBundesminister Dr. Günter Rexrodt technisch fast nicht machbar. Deshalb stehen Aufwand und Ertrag in einem Mißverhältnis zueinander. Was mir Sorgen macht, sind die hohen Lohnnebenkosten. Auch darüber ist gestern viel gesagt worden. Wir wissen, daß die Lohnnebenkosten nichts anderes sind als die Kosten der Sicherung unserer Sozialsysteme. Sie schlagen eine Verlagerung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen auf den Steuerzahler vor. ({0}) Das bringt nur scheinbar Entlastung. Wir können im Einzelfall über das eine oder andere reden. Ein Königsweg ist es nicht, die versicherungsfremden Leistungen, die zu einem gut Teil bereits finanziert werden, auf den Steuerzahler zu verteilen. ({1}) Die Zwänge, die Sie haben, kennen Sie. Statt dessen wird von Ihnen mit der Ausbildungsabgabe eine weitere unsinnige Belastung der Unternehmen vorgeschlagen. Dies schafft keinen einzigen Ausbildungsplatz. Am Ende wird der Staat für die Ausbildung zuständig sein, und das wird teurer und weniger effizient sein. Das ist nichts anderes - da sind Sie, meine Damen und Herren, ertappt - als Ausdruck Ihrer immer wieder gescheiterten Umverteilungsideologie. ({2}) Die große Steuerreform ist auf gutem Wege. ({3}) Wir müssen Spielräume auch über die Ausgabenseite der Haushalte schaffen. Dem hat auch der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums Rechnung zu tragen. Gegenüber dem Regierungsentwurf gehen die Ausgaben bei mir in 1997 um weitere 419 Millionen DM zurück. In dem Zusammenhang sage ich: Auch die Steinkohle wird und muß dazu einen Beitrag leisten. Wir werden uns an die gesetzlichen Vorgaben halten. Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht an, daß in meinem Haushalt - in ihm machen die Kohlesubventionen 9 Milliarden DM von mehr als 16 Milliarden DM aus - die Kohle unberücksichtigt bleibt, wenn wir unsere Sparanstrengungen wirklich realistisch umsetzen wollen. ({4}) Es geht nicht an, daß die Kohlesubventionierung unangetastet bleibt und statt dessen die Mittelstandsförderung oder die Gelder für Forschung und Entwicklung oder für die neuen Länder überproportional betroffen sind. Frau Hermenau, ich sage Ihnen etwas zu Ihrer Position bei der Kohle. Das, was die Grünen bei der Kohle abziehen, ist aus meiner Sicht ein starkes Stück. Sie machen sich zwar für die Erhaltung der Steinkohlensubvention stark, sind dabei aber nicht konsequent. Bei der Steinkohle werden die Grünen entlarvt. Da taktieren Sie mehr als andere Parteien. Wir haben zwar alle unseren Haken zu schlagen, ({5}) aber wie Sie als Grüne bei der Steinkohle mit ideologischem Vorzeichen taktieren, ist schon ein starkes Stück, Frau Hermenau. ({6}) Weniger Ausgaben bedeuten im übrigen nicht zwangsläufig weniger Gestaltungsspielräume. Mehr Privatinitiative, mehr Innovationskraft und marktwirtschaftliche Effizienz müssen nicht mehr Geld kosten. Was das Aufbrechen verkrusteter Strukturen bewirken kann, zeigt die Liberalisierung bei der Telekommunikation und in Kürze auch bei der Energie. Meine Damen und Herren, mehr Wettbewerb ist die richtige Antwort auf das im internationalen Vergleich viel zu hohe Niveau der Preise bei Strom und Gas. Es geht nicht darum, den Kommunen die Konzessionsabgabe streitig zu machen. ({7}) - Befassen Sie sich einmal mit der Sache. - Es geht darum, die Rationalisierungsreserven aufzudecken, die es in den EVUs gibt - vierzehneinhalb Monatsgehälter und vieles andere mehr - und diese Reserven den Stromkunden zugänglich zu machen. Das wollen wir, und das wird sowohl die Wirtschaft als auch den Verbraucher entlasten. Es wird auch keinen Konzentrationsprozeß zu Lasten der Kleinen geben. ({8}) Aber ich sage mit aller Entschiedenheit: Das faktisch bestehende Strukturkartell, das viele von Ihnen konservieren wollen, wird angesichts der Strompreise in Deutschland so keinen Bestand haben können. Die Stimmen aus dem Bereich der Kommunen und der EVUs sind sehr viel differenzierter, als es schneidige Verbandsfunktionäre uns immer wieder glauben machen wollen. ({9}) - Auch der CSU- oder CDU-Bürgermeister wird sich der Diskussion stellen; er hat sich ihr bereits gestellt. Die Stimmen sind viel differenzierter. Sie von der SPD sind auch da Besitzstandswahrer. Sie werden sich entlarven. ({10}) Besitzstandswahrung ist das Kennzeichen Ihrer Politik, meine Damen und Herren. ({11}) - Der sind nicht unbedingt Sie. - Befassen Sie sich mit den Dingen, überwinden Sie Ihre Ideologien! Da sitzen sie alle miteinander in den Kommunen in den Aufsichtsräten der verschiedenen Eigenbetriebe, der Sparkasse, und alle treffen sich im kommunalen Energieversorgungsunternehmen und sprechen von Fortschritten und Privatisierung, bloß nicht in ihrem Bereich. ({12}) Sie sind entlarvt als Strukturkonservierer, meine Damen und Herren! ({13}) Es ist nicht der Staat, es sind die Unternehmer, die Ideen am Markt durchzusetzen haben. Da setzen wir gerade auf die kleinen und mittleren Unternehmen. Dazu gehört dann auch, die Rahmenbedingungen für eine Kultur des Risikokapitals in Deutschland zu schaffen, die noch immer unterentwickelt ist. Wir werden das Eigenkapitalhilfeprogramm fortsetzen und ein Stück weit dadurch sichern, daß wir es ab 1997 in den ERP-Wirtschaftsplan integrieren. Wir haben die steuerlichen Anreize zur Bildung von Eigenkapital verbessert. Wir haben gesellschaftsrechtliche Änderungen im Aktienrecht und im Recht der Unternehmensbeteiligungsgesellschaften auf den Weg gebracht. Und wir fördern neue mittelstandsfreundliche Segmente am Kapitalmarkt. Hier ist vieles in Bewegung, und das ist gut so. Sachkapital und Risikokapital brauchen vor allem die Unternehmen in den neuen Ländern. Den Aufbau Ostdeutschlands wird und muß der Bund weiterhin unterstützen. Das ist mit dem Haushalt 1997 gewährleistet. ({14}) Ich danke dem Kollegen Waigel und den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, daß sie das genauso sehen. Wir schaffen damit eine Voraussetzung dafür, daß die gegenwärtige Wachstumsschwäche in den neuen Ländern nicht das Ende des Aufholprozesses ist. Das schließt - das bitte ich zu beachten - eine Fortsetzung der Wirtschaftsförderung in 1997 auf hohem Niveau ein. Dies gilt auch für die Gemeinschaftsaufgabe. Der eigentliche Schlüssel zum Erfolg liegt aber bei den Tarifparteien, meine Damen und Herren. Entscheidender Wettbewerbsnachteil der ostdeutschen Länder sind die im Vergleich zu Westdeutschland um sage und schreibe ein Drittel höheren Lohnstückkosten. Hier fordern der Sachverständigenrat und die Institute zu Recht eine Pause bei den Lohnanpassungen. ({15}) - Beschäftigen Sie sich mit den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen! Argumentieren Sie nicht aus dem Bauch heraus! Dann werden Sie wissen, daß eine zu schnelle Anpassung in den neuen Ländern, die den Menschen, die dort arbeiten, natürlich zu wünschen ist, gleichbedeutend damit ist, daß die Kosten in den Unternehmen steigen. Wenn die Kosten steigen, sind die Wettbewerbsnachteile noch größer. Das ist ein volkswirtschaftlicher Grundzusammenhang, den auch viele von Ihnen verstehen sollten. ({16}) Meine Damen und Herren, unsere Unternehmen, auch die kleinen und mittleren, müssen weltweit als Handelspartner und als Investoren in Erscheinung treten. Um ihnen zu helfen, haben wir das außenwirtschaftliche Förderinstrumentarium geschärft. Wir haben es sogar in schwierigster Situation noch einmal verbessert und die Finanzmittel aufgestockt. Das soll mittelfristig durchgehalten werden. Dem dient auch unsere Präsenz vor Ort, meine Damen und Herren. Es gibt kein Schwellenland, in dem wir nicht vor Ort deutsche Interessen in angemessener Weise geltend gemacht und vertreten hätten. Für weitere Schritte der Handelsliberalisierung werde ich mich zusammen mit Ihnen, Frau Skarpelis-Sperk, auf der WTO-Ministerkonferenz im Dezember in Singapur einsetzen. Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die Bundesregierung zu ihrer Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung in unserem Land steht. Das war bisher so, das wird künftig so sein. Die Bundesregierung befindet aber nicht allein darüber, mit welchem Tempo und in welchem Ausmaß Wachstum und Beschäftigung verstärkt werden. Alle müssen daran mitwirken. Reformen voranbringen, das ist das Gebot der Stunde. Die Blockadepolitik der Opposition in allen Feldern ist entlarvend. Ich sage Ihnen: Die Menschen werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wir werden uns wieder sprechen. ({17}) Die Bundesregierung hat ein klares Konzept; es ist in sich stimmig. ({18}) Wir gehen unseren Weg. ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Rexrodt, ich habe Ihren Appell zur Lohnanpassungspause in den Ostländern gehört. Sie wissen sehr genau, daß gerade die Tarifpartner in den Ostländern sehr stark darum bemüht sind, ein moderates und vorsichtiges Verhalten zu entwickeln. Ihnen ist auch bekannt, daß es sehr viele einzelbetriebliche Vereinbarungen gibt, die nicht in den Flächentarifverträgen enthalten sind. Insofern ist Ihr Appell einigermaßen daneben. Hätte er nicht eigentlich an die westdeutschen Tarifpartner gehen müssen? Das wage ich zu bedenken zu geben. Denn - überlegen Sie bitte - wenn sich die Schere in der Lohnentwicklung noch weiter öffnet - und das bei den Wachstumsdaten, die jetzt für Ost und West prognostiziert sind -: Wie wollen Sie das im Osten noch als glaubwürdig vermitteln? Das ist das erste. Das zweite ist: Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Rexrodt, daß Sie der Meinung sind, mit einer kurzfristigen Reduzierung der Kostenfaktoren das wettmachen zu können, was die deutsche Wirtschaftspolitik früher immer stark gemacht hat, nämlich das Setzen auf Innovationen, das Entwickeln neuer Produkte und Verfahren? Meinen Sie wirklich, daß Sie es den Unternehmen, wenn Sie denen nachgeben und keinen Druck auf sie ausüben, Innovationen vorzunehmen, leichtmachen, indem Sie sagen: „Man muß versuchen, die Löhne zu drücken", und das als ein Hauptkriterium betrachten? Damit versagen Sie in der Wirtschaftspolitik im Prinzip, weil Sie so eine sehr erfolgreiche Strategie der deutschen Wirtschaft, nämlich auf Innovationen und nicht so sehr auf Kostenfaktorreduzierungen zu setzen, konterkarieren. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Präsidentin! Erstens. Frau Kollegin Hermenau, an Tarifparteien gilt es in Ost und in West zu appellieren. Im Osten, das weiß ich, ist einiges besser geworden, auch durch einzelbetriebliche Vereinbarungen. Was mich in den neuen Bundesländern aber in besonderer Weise stört, ist das Faktum, daß die öffentliche Hand, daß sozialdemokratisch regierte Länder und Kommunen eine Vorreiterrolle spielen, wenn es darum geht, eine Anpassung der Löhne an das Westniveau herbeizuführen. Wenn diese Vorreiterrolle im öffentlichen Bereich gespielt wird, dann ist es kein Wunder, daß es die Tarifparteien im privatwirtschaftlich organisierten Bereich schwer haben, Regelungen zu finden, die vernünftig sind und im Interesse der Erhaltung der Arbeitsplätze liegen. Das ist das, was ich zu beklagen habe. Zweitens. Ich spreche hier davon, Frau Hermenau, daß unsere Unternehmen Kosten senken müssen. Das ist eine Säule unserer Wirtschaftspolitik. Da sind in besonderer Weise natürlich wieder Tarifparteien, Wirtschaft und Gewerkschaften sowie auch der Staat gefordert. Aber man muß das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es ist eine genauso wichtige, vielleicht wichtigere Säule unserer Wirtschafts- und Innovationspolitik, daß wir auf Forschung und Innovation setzen. Ich habe immer wieder erklärt: Wir können uns bei der Kostensenkung und bei der Deregulierung noch so anstrengen - wenn wir nicht über hochinnovative Verfahren Produkte auf den Weltmarkt bringen, ({0}) die absatzfähig sind, und damit nicht die Preise erzielen, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu erhalten, dann werden wir versagen. Das gilt in ganz besonderer Weise natürlich auch für die ostdeutschen Unternehmen, für Ostdeutschland, wo die Forschungslandschaft zu einem gut Teil zusammengebrochen ist, wo es darauf ankommt, durch eine erhebliche institutionelle Förderung noch sogenannte Konzentrationen und Leuchttürme zu erhalten, was auch gelungen ist, wo es aber vor allem darauf ankommt, daß Forschung, Entwicklung und Innovation wieder in die Unternehmen integriert werden. Das ist der große Mangel in Ostdeutschland: Die Unternehmen haben keine Forschungsabteilungen mehr. Wir können Rahmenbedingungen schaffen, daß das besser erfolgt. Zuerst einmal geht die Aufforderung aber an die Unternehmen und an die Arbeitnehmer, dafür zu sorgen, daß das geschieht. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht jetzt der Kollege Manfred Hampel. ({0})

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich mußte noch einen Moment den Wechsel im Präsidium abwarten, um eine korrekte Anrede bringen zu können: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Auch „Verehrtes Präsidium" wäre gegangen. Herr Bundesminister Rexrodt, ich möchte zu Anfang den Dank an Sie und an Ihr Haus für die korrekte, faire und auch immer pünktliche Behandlung zurückgeben. Leider ist das aber auch schon alles, was ich an Liebenswürdigkeiten von mir geben kann. ({1}) Herr Lambsdorff, ein Wort zu Ihren Ausführungen. Zuerst führt diese Koalition, der Sie angehören, diese miserable wirtschaftliche und soziale Situation herbei, und dann bemühen Sie Lord Dahrendorf zur Begründung Ihres künftigen Regierungsanspruchs. Erstens machen Sie damit den Bock zum Gärtner, und zweitens weiß ich nicht, ob es Lord Dahrendorf recht ist, von Ihnen in dieser Art mißbraucht zu werden. Dazu paßt auch gut ein Zitat, das ich an den Anfang meiner Ausführungen stellen wollte: Für das Jahr 1996 muß festgestellt werden, daß die Wirtschaftspolitik zwei Ziele verfehlt hat. Sie ist weder einem angemessenen und steten Wachstum noch einem hohen Beschäftigungsstand nähergekommen. Bei Wachstum und Beschäftigung muß mit Zielverfehlungen in gravierendem Umfang gerechnet werden. Die desolate Lage auf dem Arbeitsmarkt wurde im Jahr 1996 durch sinkende Erwerbstätigkeit und steigende Arbeitslosigkeit deutlicher denn je. Dies ist ohne Wenn und Aber Ergebnis der Regierung Kohl und Rexrodtscher Wirtschaftspolitik. ({2}) Auch stammt diese nüchterne Einschätzung christliberaler Wirtschaftspolitik, wie sie im Zitat zum Ausdruck kommt, nicht von Sozialdemokraten. Ich schicke dies voraus, damit Sie nicht wieder in das Geschrei von politischer Schwarzmalerei und Miesmacherei verfallen. ({3}) Wenn Sie uns schon nicht zuhören wollen, dann vielleicht den Mitgliedern des Sachverständigenrates, aus dessen Jahresgutachten dieses Zitat stammt. Dieses Papier führt als einen entscheidenden Grund für die besagten Zielverfehlungen eine mangelnde Investitionstätigkeit an, die auch künftig durch Ihre Politik nicht lösbar erscheint. Fast resignierendes Fazit der Gutachter: Eine Überwindung der hartnäckigen Investitionsschwächen ist nicht in Sicht. Wenn Sie weiter nach dem Motto „Wirtschaftspolitik wird in der Wirtschaft gemacht" handeln, wird sich auch künftig substantiell nichts ändern. Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist schlimm genug, daß es Ihnen offenkundig nicht gelungen ist, das Vertrauen der Investoren in die Konstitution der deutschen Volkswirtschaft zu festigen. Wenn Sie wenigstens die investiven Leistungen des Bundes weiter fortgeführt hätten, wie es schon im Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute gefordert worden ist! Aber nein, allen wohlmeinenden Empfehlungen zum Trotz satteln Sie noch eins drauf. Kürzungen im Haushalt des Wirtschaftsministers, vor allem im investiven Bereich, sind die Schlußfolgerungen dieser verqueren Logik. So werden Sie mit Sicherheit keine Impulse auslösen, die notwendig sind, um eine positive Grundstimmung der Wirtschaft zu befördern. Der Einzelplan 09 ist im Entwurf des 97er Haushalts mit 8,4 Prozent und 850 Millionen DM absolut und relativ am stärksten gekürzt worden. Im Zuge der Haushaltsberatungen und mit der globalen Minderausgabe ist das auf 10 Prozent angestiegen. Es kommen also noch einmal rund 450 Millionen DM dazu. So haben wir insgesamt über 1 Milliarde DM Kürzungen allein im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers. Das ist nicht hinnehmbar. Herr Bundesminister Rexrodt, etwas mehr Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Bundesfinanzminister würde nicht nur Ihrem Profil dienen, sondern, was wesentlich wichtiger ist, einer positiveren wirtschaftlichen Entwicklung zugute kommen. Ein Großteil der Kürzungen in Ihrem Haushalt sind weder echte Einsparungen, noch dienen sie einer langfristigen Lösung der haushaltspolitischen Probleme. Sie verlagern diese lediglich auf die Zeitschiene, nach dem Prinzip „Aussitzen statt konsolidieren". Das können Sie den Menschen doch nicht ernsthaft als solide Wirtschaftspolitik verkaufen. Ich will dies auch mit einem Beispiel belegen: Von den sogenannten Einsparungen in Höhe von 850 Millionen DM entfallen im Entwurf allein 500 Millionen DM auf die Kokskohlehilfe. Dafür sind aber bereits Zuwendungsbescheinigungen erteilt. Es besteht folglich ein Rechtsanspruch. Die Zahlungen müssen im Jahre 1998 und ein Teil davon spätestens im Jahr 1999 erfolgen. Die Kapitalkosten der Vorfinanzierung dieses Vertrags - in den Haushaltsberatungen und mit der globalen Minderausgabe sind diese auf 690 Millionen DM angestiegen - betragen ca. 50 bis 80 Millionen DM. Dies interessiert jedoch die Bundesregierung nicht, und den Unternehmen wird zusätzlich aufgeladen: Entlastung des Bundeshaushalts auf Kosten Dritter. Ist das Ihre Politik? Weiterhin kürzen Sie bei der Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte, bei der Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien, bei der Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung, beim Eigenkapitalhilfeprogramm, bei der beruflichen Qualifizierung des Mittelstandes in den neuen Bundesländern, bei der Förderung, der Errichtung, Modernisierung und Ausstattung von überbetrieblichen Fortbildungseinrichtungen und bei der Werftenhilfe, um nur die wesentlichsten zu nennen. Kürzungen, nichts als Kürzungen! All diese Kürzungen erfolgen bei der Wirtschaftsförderung, der ökologischen Weiterentwicklung, bei der Forschung und Innovation, bei Bildung und Ausbildung und bei der Hilfe von Existenzgründungen. Auch in diesem Einzelplan wird also zuwenig bei konsumtiven Ausgaben und zuviel bei wirtschaftsnaher Infrastruktur und bei Zukunftsinvestitionen gespart. ({4}) Das ist ein Schritt in die falsche Richtung, zu dem Sie von uns Sozialdemokraten nicht noch Zustimmung erwarten können. Sie werfen uns immer vor, wir würden uns verweigern; hier geschieht es einmal wirklich eingedenk dieses wirtschaftspolitischen Humbugs. Meine Damen und Herren, ich möchte auf drei Punkte näher eingehen: erstens die Kürzung bei der Förderung von Forschung und Entwicklung, zweitens die Kohlepolitik der Regierungskoalition und drittens die Werftenhilfe. Zu Forschung und Entwicklung: Eine Schwachstelle des Wachstumsprozesses ist die Situation von Forschung und Entwicklung. Sie ist für den Aufbau gerade der ostdeutschen Wirtschaft von großer Bedeutung. Von 1990 bis 1994 ist die Beschäftigtenzahl in Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern um 80 Prozent zurückgegangen. Insgesamt hat sich damit das Verhältnis von F- und E-Beschäftigten in Ost und West auf sage und schreibe 1:23 verschlechtert. Die Schaffung der Konkurrenzfähigkeit und die erfolgreiche Behauptung auf den Absatzmärkten verlangen von den Unternehmen, neue bzw. verbesserte Produkte und Verfahren einzuführen. Die Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung durch ein unzureichendes Investitionsbudget erschwert dies erheblich. ({5}) Folgerichtig dürfte eine Reduzierung der Förderung von Forschung und Innovation nicht ernsthaft zur Diskussion gestellt werden. So sollte man zumindest meinen. Wie aber handelt diese Regierungskoalition? Von der Kürzung in Höhe von 40 Millionen DM bei der Förderung von Forschung und Entwicklung entfallen allein 35 Millionen DM auf das Sonderprogramm „Forschung und Entwicklung" in den neuen Bundesländern. Letzteres ist im Gegensatz zu einigen anderen Förderprogrammen außergewöhnlich gut angenommen worden. Die Mittel sind in voller Höhe abgeflossen und die positiven wirtschaftlichen Impulse unbestritten. Trotzdem wird beliebig zusammengestrichen. Die deutsche Wirtschaft ist bei der Innovation in neue Produkte und Produktionsverfahren international zurückgefallen. Es müssen daher für die Zukunft verstärkte Anstrengungen unternommen werden, um die Innovationsfähigkeit insgesamt, vor allem aber auch im mittelständischen Bereich zu verbessern. ({6}) Deshalb haben wir für die zweite Lesung einen Antrag auf Erhöhung zumindest auf die gleiche Höhe des Vorjahres eingebracht. Mehr wäre wünschenswert und auch dringend notwendig. Angesichts der desolaten Haushaltssituation wollen wir es aber bei einem solchen moderaten Antrag belassen. Meine Damen und Herren von der Koalition, zeigen Sie, daß Ihnen auch Zukunftsaufgaben, Innovationen und deren Impulskraft für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung wichtig sind. Raffen Sie sich so wie im letzten Jahr auf, als Sie den Forschungstitel noch um 50 Millionen DM aufgestockt haben, und stimmen Sie unserem Antrag zu. ({7}) Zur Kohle: Seit Monaten verbreiten die Regierungsfraktionen Unsicherheit und Angst bei den Kohlekumpeln an Saar und Ruhr. Immer neue Horrorszenarien werden aufgetischt. Die rechtliche Grundlage des Artikelgesetzes, im Jahre 1995 verabschiedet, wird bereits 1996 wieder in Frage gestellt. Es ist ein weiteres trauriges Beispiel dafür, wie wenig dieser Regierung Kontinuität und Zuverlässigkeit bedeuten. Die F.D.P. mischt dabei ganz vorn mit. Nun soll noch in diesem Jahr eine Lösung gefunden werden, welche die Zuschüsse bis zum Jahre 2000 halbiert und bis zum Jahre 2005 auf 2,5 Milliarden DM zurückführt. Das ist keine Lösung; das ist das Todesurteil für den deutschen Steinkohlebergbau. Wenn das von Ihnen so gewollt ist, dann sagen Sie das aber auch deutlich, damit jeder weiß, woran er ist. Aber einmal angenommen, es wird bis zum Februar 1997 ein Kompromiß mit dem Steinkohlebergbau gefunden - wie sicher wäre denn dann eine solche Vereinbarung? Wenn ein Gesetz aus dem Jahre 1995 im Jahr 1996 schon wieder in Frage gestellt wird, wie sollen sich dann die Kohlekumpel auf eine Vereinbarung des Jahres 1997 verlassen können und nicht fürchten müssen, daß bereits 1998 ein solcher Kompromiß erneut das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben steht. Wenn dies nicht 1998, das ja schließlich ein Wahljahr ist, geschieht, passiert es vielleicht 1999. Das Beste wäre also, wenn diese Bundesregierung 1998 abgelöst würde; dann brauchte das Artikelgesetz nicht in Frage gestellt zu werden, und eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung ({8}) wird den Steinkohlebergbau in seiner Grundsubstanz erhalten. ({9}) Zur Werftenhilfe. In der schwierigen Zeit, in der das OECD-Abkommen zur Rückführung aller Subventionen im Schiffbau noch nicht ratifiziert ist, muß der Werftenindustrie geholfen werden, auf dem international hart umkämpften Markt ihre Anteile zu halten und, wenn möglich, zu erhöhen. Andere Länder in Europa und in Südostasien subventionieren in einem viel stärkeren Maße. Diesen Wettbewerbsnachteil kann die Werftindustrie aus eigener Kraft nicht in vollem Umfang kompensieren. Deshalb sind bis zur Ratifizierung des OECD-Abkommens, was wir auch wollen, weitere Hilfen notwendig. Doch ungeachtet dieser Tatsache hat sich die Regierungskoalition bei der Werftenhilfe ein besonderes Bubenstück geleistet. Ohne jede Auswirkung auf die Höhe des Haushaltes für 1997 wurden Mittel nicht freigegeben, die der Werftenindustrie bessere Absatzchancen eröffnet hätten. Kurz zu den Einzelheiten dieses kapitalen Bocks, der hier geschossen wurde. - In der achten Tranche der Absatzhilfe sind die Mittel nach Ost- und Westwerften unterteilt. ({10}) - Das hat nichts mit Lobbyismus zu tun. Ich komme aus dem Osten, und deswegen setze ich mich dafür ein, daß Mittel, die nicht verbraucht werden, den Werften zugute kommen. ({11}) Ich möchte aber in meinen Ausführungen fortfahren. ({12}) Die Mittel für die Westwerften sind in vollem Umfang aufgebraucht; für die Ostwerften stehen noch 130 Millionen DM zur Verfügung, die aber nicht oder nicht in vollem Umfang abgerufen werden können. Wir hatten im Haushaltsausschuß nichts anderes beantragt, als daß diese strikte Trennung gelöst wird und die im Osten nicht benötigten Mittel - und zwar unmißverständlich die tatsächlich freien Mittel - auch für Westwerften verwendet werden können. Dies hätte im Bundeshaushalt 1997 nicht eine einzige müde Mark mehr gekostet. Nun fällt ein Großteil der Gelder, die bereits eingestellt sind und dringend für die Verbesserung der Absatzchancen des Schiffbaus benötigt werden, an den Bundeshaushalt zurück. ({13}) Welche Art von Sparmaßnahme soll denn das sein, meine Damen und Herren, wenn dadurch Absatzchancen verringert und Arbeitsplätze gefährdet werden? ({14}) Mit unserem Antrag zur zweiten Lesung geben wir Ihnen Gelegenheit, Ihr kurzsichtiges Stimmverhalten im Haushaltsausschuß zu korrigieren. Meine Damen und Herren, ich will meine Rede nicht mit einer Kritik beschließen, schon allein um der guten Zusammenarbeit mit vielen Mitgliedern dieses Hohen Hauses willen. Lassen Sie mich daher zum Abschluß der Berichterstattung über den Einzelplan 09 noch eine positive Bemerkung machen. Meiner Anregung, die Mittel für die Förderung von Auslandsmessen um 5 Millionen DM und diejenigen für die Förderung von Auslandsaktivitäten um 3 Millionen DM aufzustocken, wurde im Berichterstattergespräch von dem Kollegen der Koalition zugestimmt. Mehr wäre sicher wünschenswert gewesen. ({15}) - Kurt, du hattest 1 Million gefordert; wir haben uns dann auf 5 Millionen DM geeinigt. Der Vorschlag einer Erhöhung um 5 Millionen DM kam von mir. Das will ich auch für mich in Anspruch nehmen, und wenn du fair bist, streitest du das nicht ab. Mehr wäre sicher wünschenswert und in Anbetracht der Globalisierung der Wirtschaft auch dringend notwendig gewesen. Angesichts der kritischen Haushaltslage bin ich jedoch froh, wenigstens diesen relativ bescheidenen Ansatz erreicht zu haben. Manchmal bedarf es halt eben der kleinen Schritte, auch wenn der Weg ein langer ist. Vielen Dank. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gunnar Uldall, CDU/CSU.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In den vergangenen Wochen wurden sowohl das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute als auch das Sachverständigenratgutachten vorgelegt. Beide Gutachten bescheinigen der Koalition, daß sie mit ihrem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" auf dem richtigen Weg ist. Befürchtungen, die das Jahr über hinsichtlich eines weiteren Rückgangs des Wachstums geäußert wurden, haben sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet. ({0}) Die Rolle der SPD beschränkte sich in den vergangenen Monaten und auch in der jetzigen Debatte leider auf die eines Negativkommentators. Ich habe einmal Ihre Kommentare mitgebracht, aus denen hervorgeht, daß alles immer nur schlechter wird: Siegmar Mosdorf am 8. Januar, Ingrid MatthäusMaier am 28. Februar, Ernst Schwanhold am 6. März, Kollege Dreßler gegenüber dpa am 6. März. So ist es das ganze Jahr über gegangen. Eine Partei, die eine Rolle annimmt, in der sie immer nur alles als schlecht darzustellen versucht, wird nie vom Wähler akzeptiert und in die Verantwortung gewählt werden. ({1}) Entgegen den Prognosen, die noch im Frühjahr eine Wachstumsrate für das Inlandsprodukt von nur 0,75 Prozent unterstellten, wird jetzt für das laufende Jahr bereits mit einem Wachstum von 1,5 Prozent gerechnet. Im dritten Quartal 1996 wurde bereits gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eine Steigerung von 2 Prozent festgestellt. Für 1997 wird ein Zuwachs von bis zu 2,5 Prozent prognostiziert. ({2}) Nun wissen wir: Die Prognosen sind nie die IstZahlen. Die tatsächlichen Ergebnisse werden etwas darüber oder etwas darunter liegen. Darauf kommt es im Moment auch gar nicht an. Vielmehr kommt es auf die dynamische Entwicklung der Ist-Zahlen und der Prognosen von Quartal zu Quartal an. Ich wiederhole: 0,75, dann 1,5, dann 2,0 und jetzt 2,5 als Prognose für 1997. Wichtiger als die einzelnen positiven Prozentzahlen ist die generelle Tendenz, die daraus abzulesen ist. Die Konjunkturlokomotive fährt an, langsam zwar, gewinnt aber kontinuierlich an Fahrt. Bei allen Problemen, über die wir in den vergangenen Monaten hier miteinander sprechen mußten, ist dies die entscheidende Botschaft, und sie wollen wir in dieser Debatte auch herüberbringen. ({3}) Dennoch wollen wir die insgesamt weiterhin angespannte Lage nicht übersehen. Die Investitionsdynamik bei uns läßt zu wünschen übrig. Auch vom privaten Verbrauch, den wir gerade bei den Steuern um 20 Milliarden DM entlastet haben, kommt keine positive Entwicklung. Vor allem hat sich die Konjunktur auch am Arbeitsmarkt noch nicht in Form von höheren Beschäftigtenzahlen niedergeschlagen. Hierbei spielt eine Rolle, daß zu Beginn einer konjunkturellen Erholungsphase zunächst Produktivitätsreserven mobilisiert werden und die wirtschaftliche Leistung noch ohne zusätzliches Personal ausgeweitet werden kann. Dies alles vollzieht sich vor einem außerordentlich schwierigen Hintergrund, nämlich der Globalisierung der Wirtschaft. „Globalisierung der Wirtschaft", Herr Thierse, ist nicht irgendein Schlagwort. Vielmehr läßt sich in Zahlen messen, in welch einem rasanten Tempo sich die Märkte der ganzen Welt miteinander verflechten. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds ist der Welthandel in den letzten 15 Jahren auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Nun kann ich erfreulicherweise eine häufig geäußerte Annahme korrigieren, nämlich die Vermutung, daß Deutschland Weltmarktanteile langfristig verloren habe. Diese Vermutung trifft nicht zu. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds betrug der deutsche Anteil am Welthandel 1980 10,3 Prozent, und er liegt jetzt trotz dieser enormen Ausweitung des Welthandels mit 10,4 Prozent etwa auf gleicher Höhe, sogar etwas darüber. Der Schluß, meine Damen und Herren, ist erlaubt: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Exportnation ist nach wie vor sehr hoch. ({4}) Dies wird auch durch eine andere Zahl bestätigt. Die Sachverständigen sagen für das kommende Jahr ein Wachstum unserer Exporte um 6 Prozent voraus. Im spürbaren Gegensatz dazu steht die erwartete Nachfrageentwicklung im kommenden Jahr im Inland, nämlich von nur 3 Prozent. Das heißt also, die ausländische Nachfrage nach deutschen Gütern wächst etwa doppelt so schnell wie die inländische Nachfrage nach deutschen Gütern. ({5}) Bei solchen Zahlen kann unser Wirtschaftsstandort nicht so schlecht sein, wie er bisweilen dargestellt wird. Wir dürfen den Standort Deutschland trotz der bekannten Nachteile, die wir angehen und die wir packen werden, nicht fälschlicherweise herunterreden, sondern wir müssen den Standort Deutschland so darstellen, wie er tatsächlich ist. ({6}) Ich kann mich nicht erinnern, daß hier in dieser Debatte heute morgen irgendeiner von der linken Seite des Hauses positiv in diesem Sinne geredet hätte. ({7}) Meine Damen und Herren, wir geben uns aber mit dieser Situation nicht zufrieden. Wir haben zwar die Stammstärken des Standortes Deutschland weiterhin auf der Aktivseite unserer Bilanz, aber wenn wir unseren Lebensstandard, unseren Sozialstandard, unseren Bildungsstandard auf Dauer halten wollen, dann müssen wir weiter die Rahmenbedingungen für Deutschland spürbar verbessern. ({8}) Es ist in einer solchen Debatte dann aber auch einmal erlaubt, darzustellen, was an positiven Maßnahmen bereits auf den Weg gebracht worden ist. Wir haben in diesem Jahr für schnellere und unbürokratischere Planungs- und Genehmigungsverfahren gearbeitet. Mit den neuen Wahlmöglichkeiten für Investoren und den neuen gesetzlichen Beratungs- und Auskunftspflichten der Behörden werden Genehmigungsverfahren für die Unternehmen beschleunigt. Wir haben die Handwerksordnung novelliert und das Ladenschlußgesetz liberalisiert. Wir haben die Beteiligungen des Bundes von über 1 000 zu Beginn unserer Regierungszeit auf 400 zurückgefahren. Große Bereiche wie die Post, die Telekom, die Bahn sind privatisiert worden. Wir haben das Arbeitsrecht zugunsten von mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung liberalisiert. Und schließlich, meine Damen und Herren, können die Betriebe erste Erfolge bei der Kostensenkung und Effizienzsteigerung vermelden. Machen wir uns nichts vor, der Weg ist noch lang, aber wir können bereits das erste Licht am Ende des Tunnels erkennen. ({9}) Ein wichtiges Ziel unserer Wirtschaftspolitik muß es sein, zusätzliche Investitionen herbeizuführen und so Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Vor allem brauchen wir mehr Investitionen ausländischer Unternehmer auch in Deutschland. Wenn ich mir die Bilanz der Zuflüsse von Direktinvestitionen ansehe, dann ergibt sich, meine Damen und Herren, eine deutliche Schieflage. In den letzten zehn Jahren, also von 1985 bis 1995, haben sich die Direktinvestitionen ausländischer Investoren wie folgt entwickelt: Großbritannien 200 Milliarden, Frankreich 100 Milliarden, Spanien 80 Milliarden, Deutschland 30 Milliarden. Meine Damen und Herren, Herr Thierse, dies ist die Globalisierung, der wir uns zu stellen haben. Und Sie tun so, als wenn dies ein Problem wäre, das von der Regierung bösartig herbeigezogen würde, um ihre Politik zu rechtfertigen. ({10}) Es ist natürlich auch so, daß deutsche Unternehmen ins Ausland gehen. Aber ich sage, dies ist zunächst noch nicht meine ganz große Sorge; denn eine sich entwickelnde finanzwirtschaftlich starke Volkswirtschaft wird immer Fertigungs- und Vertriebsinvestitionen im Ausland vornehmen. Das gehört eben zu einer dynamischen Volkswirtschaft dazu.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Kollege Uldall, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hermenau?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, wenn ich den Gedanken gerade zu Ende bringen darf, Herr Präsident.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie geben mir dann bitte ein Zeichen.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was Sorge bereiten muß, ist, daß die Entscheidung in den japanischen und in den amerikanischen Unternehmenshauptquartieren, wo in Europa eine Investition vorgenommen werden soll, in der Regel zugunsten Großbritanniens und nur selten zugunsten Deutschlands ausgeht. ({0}) So darf es nicht bleiben, und so wird es nicht bleiben. Wir werden diese Herausforderung aufgreifen. ({1}) Wir werden diese Probleme lösen und den deutschen Standort voranbringen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Uldall, mich treiben genau dieselben Sorgen und Überlegungen um, die Sie gerade dargestellt haben. Ich habe mich vorhin dazu ausgelassen, wie man vielleicht eine steuerliche Harmonisierung in Europa erreichen kann, damit es möglich ist, die Investitionsverlockungen von Steueroasen innerhalb Europas etwas einzuschränken und die Investitionen vor Ort zu stärken. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie jetzt: Teilen Sie die Meinung Ihres Koalitionspartners Lambsdorff, der vorhin hier ausgeführt hat, daß er diese europäische Harmonisierung im Steuerwesen für undurchführbar hält? Wenn Sie diese Meinung teilen, dann sagen Sie mir bitte, welches Krisenreaktionsgefüge Sie dafür zur Verfügung haben. Wenn Sie diese Meinung nicht teilen, dann sagen Sie mir bitte, wer in der Koalition sich durchsetzen wird.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, es gibt ganz, ganz seltene Fälle, in denen ich nicht die Meinung von Graf Lambsdorff teile. Deswegen wäre diese Frage eigentlich gar nicht angebracht gewesen. Aber ich nutze die Zeit, die ich jetzt gewonnen habe, natürlich gerne, ({0}) um einiges zur Harmonisierung zu sagen. Erstens. Verabschieden wir uns zunächst einmal von der Vorstellung, unsere Konkurrenten könnten uns Spielraum geben, wenn wir an sie appellieren: Bitte seid nicht so hart gegen uns, laßt uns ein bißchen in Ruhe! - Die werden nicht auf ihre Wohlstandssteigerungen verzichten. Dies hat Oskar Lafontaine in die Diskussion gebracht, um den Menschen Sand in die Augen zu streuen angesichts der Tatsache, daß harte Maßnahmen bei uns notwendig sind. ({1}) Zweitens. Frau Kollegin Hermenau, wir bemühen uns seit Jahren um eine Harmonisierung der direkten Steuern in Europa; Graf Lambsdorff hat hier völlig recht. Die Ergebnisse sind bescheiden. Aber bilden wir uns bitte nicht ein, daß das Thema damit abgeschlossen ist. Wenn es keine Harmonisierung auf EU-Ebene durch eine Vorgabe der Kommission gibt, dann treibt uns ein sehr viel zügigeres Mittel zum Handeln: die Peitsche des Wettbewerbs. Wenn wir in Deutschland den Unternehmen, den Arbeitskräften zu hohe Steuern auferlegen, dann wird uns der Markt zwingen, eine entsprechende Korrektur vorzunehmen. Zu Ihrer Aufforderung „Macht doch mal was!" sage ich: Ja, weg mit der Gewerbekapitalsteuer, weg mit der Vermögensteuer, runter mit der Einkommensteuer, runter mit der Körperschaftsteuer! Da müssen Sie mitwirken. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Uldall, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist ja ein spannender Dialog, Herr Uldall. Ihr Katalog ist mir nicht unbekannt. Ich weiß ja, welche Vorschläge Sie eingebracht haben. Vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen und der ausgeführten Alternative, die Sie für politisch vertretbar halten - das muß der Wettbewerb regeln, weil wir uns in der EU nicht durchsetzen können -, frage ich Sie: Wie wollen Sie der Bevölkerung vermitteln, daß durch brutalen Wettbewerb das erreicht werden kann, was sich mit politischer Logik auf der EU- Ebene nicht erreichen läßt? Wie wollen Sie verhindern, daß damit die EU-Gegner Wasser auf ihre Mühlen bekommen?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Wie wollen Sie das vermitteln?" - Liebe Frau Kollegin, der Markt fragt nicht danach, ob es uns leichtfällt, eine Presseerklärung abzugeben oder in der Zeitung etwas zu erklären. Er unterliegt seinen eigenen Gesetzen. Wenn wir diese Gesetze nicht erkennen und nicht bereit sind, manchmal auch auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen zu treffen, dann sind wir unserer Verantwortung als Politiker nicht gerecht geworden. ({0}) Meine Damen, meine Herren, die Globalisierung wird häufig als ein wirtschaftspolitisches Schrekkensszenario geschildert. Sicher, die deutsche Wirtschaft muß sich auf neue Wettbewerber einstellen, die uns mit niedrigeren Preisen Schwierigkeiten bereiten. Aber die Globalisierung bedeutet auch Chancen für eine leistungsstarke Volkswirtschaft. Deutschland ist eine leistungsstarke Volkswirtschaft. Die jungen Volkswirtschaften sind ja nicht nur unsere Wettbewerber, sondern sind auch die Käufer unserer Produkte. Die schnell expandierenden Märkte in Fernost und in Lateinamerika haben einen großen Bedarf an hochwertigen deutschen Gütern. Allerdings werden wir unsere Produkte nicht dorthin verkaufen können, wenn wir in der gewohnten Form weitermachen. ({1}) Wir müssen uns darauf einstellen, daß wir mit niedrigeren Preisen zu konkurrieren haben. Da wir unsere Kosten nicht unbegrenzt nach unten fahren können, müssen wir als deutsche Volkswirtschaft uns darauf einstellen, daß wir diesen Nachteil durch höhere Qualität, durch besseres Marketing und durch einen besseren Service unserer Exportunternehmen wieder wettmachen. Ich glaube, dazu werden unsere tüchtigen Exporteure, unsere tüchtigen Unternehmen insgesamt auch in der Lage sein. Wie der weltweit zunehmende Importbedarf die Chancen unserer Wirtschaft verbessert, ist nicht zu übersehen. Die ost- und mitteleuropäischen Reformländer, die unmittelbar vor unserer Haustür liegen und wegen ihrer niedrigen Lohnkosten häufig als besonders gefährlich für uns gelten, haben sich in der Zwischenzeit zu einem wichtigen Handelspartner und großen Absatzmarkt für uns in Deutschland entwickelt. Der Anteil der mittel- und osteuropäischen Länder am deutschen Export ist mit 8,5 Prozent im Jahre 1996 schon größer als unser Absatz in Nordamerika. Wir haben gegenüber den osteuropäischen Ländern eine ausgeglichene Handelsbilanz. Ich kann nur sagen: Dies ist ein Musterbeispiel dafür, wie aufstrebende junge Volkswirtschaften zu einer positiven Entwicklung auch der Wirtschaft bei uns in Deutschland beitragen können. ({2}) Deswegen sage ich: Reden wir nicht immer nur von den Risiken, sondern nutzen wir die Chancen der Globalisierung, die sich uns in Deutschland für unsere Volkswirtschaft bieten. Wir haben die Probleme der Weltwirtschaft und die Probleme unserer Volkswirtschaft erkannt. Die Sozialdemokraten reden. Wir haben die notwendigen Maßnahmen eingeleitet. ({3}) Ich appelliere an die Opposition, sich der notwendigen Mitarbeit an der weiteren Gestaltung unseres Standortes Deutschland nicht zu entziehen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold, SPD. ({0})

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Uldall, über mehrere Monate, wenn nicht gar Jahre hat die Bundesregierung den Standort Deutschland schlechtgeredet. ({0}) Sie ist durch die Lande gezogen und hat gesagt: Hier wird gefaulenzt, hier arbeitet niemand, hier sind die kürzesten Arbeitszeiten und die längsten Fehlzeiten. Ich beglückwünsche Sie zu dem Lernerfolg, der hier zutage getreten ist. ({1}) Gleichwohl gibt es einige Aspekte, die zu nennen ich Ihnen nicht ersparen kann. Sie reden so, als gäbe es in diesem Land nicht die vier Millionen Menschen, die als Arbeitslose registriert sind. Sie tun so, als ob nicht sechs Millionen Vollzeitarbeitsplätze fehlen würden. Sie tun so, als ob nicht 500 000 arbeitslose Menschen unter 25 Jahren die Hoffnung in dieses System verlören. Sie tun so, als ob es nicht 120 000 junge Menschen gäbe, die in Warteschleifen sind und keinen Ausbildungsplatz haben. Dazu hat Ihnen übrigens das Gutachten, welches hier ja mehrfach bemüht worden ist, einige schmerzhafte Wahrheiten ins Stammbuch geschrieben. Ich zitiere auszugsweise: Die Lage am Arbeitsmarkt ist katastrophal. Die labile Konjunktur hat keine binnenwirtschaftliche Basis. Die Investoren haben kein Vertrauen; deshalb gibt es keine Investitionsnachfrage. Das mangelnde Vertrauen hat dazu geführt, daß auf Grund der schlechten Beschäftigungsaussichten die privaten Haushalte ihre Ausgaben zurückhalten. Die Finanzpolitik gab in diesem Jahr manches Rätsel auf. ({2}) In keinem Gutachten des Sachverständigenrats ist die Politik einer Regierung jemals so gnadenlos kritiErnst Schwanhold siert worden, wie das in diesem Gutachten geschehen ist, Herr Wirtschaftsminister. ({3}) Hören Sie also endlich auf, uns mit Blockadevorwürfen zu überziehen, und übernehmen Sie die Verantwortung. ({4}) Die Ergebnisse Ihrer Politik sind das, was ich Ihnen, zumindest im Hinblick auf die Arbeitsmarktseite, eben vorgehalten habe. Das ist mit einem falschen Kurs der Wirtschaftspolitik verbunden, den Sie zu verantworten haben. ({5}) Man muß die Stichworte noch einmal aufzählen, ob Sie es wollen oder nicht: Erstens. Die falsch finanzierte und organisierte deutsche Einheit hat alle Reserven gekostet, die dieses Land eigentlich dringend notwendig hätte. Sie war falsch organisiert und finanziert. Sie haben den Faktor Arbeit zu teuer gemacht; das hat die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts geschwächt, und zwar trotz aller Verkaufs- und aller Exporterfolge. Sie haben die Sozialversicherungssysteme überbelastet und Aufgaben finanziert, die eigentlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden müßten. Sie haben beim Aufbau Ost einseitig auf den Einsatz von Kapital und Kapitalrendite gesetzt. Damit haben Sie objektiv dafür gesorgt, daß Arbeitsplätze nicht mehr rentabel sind. Folglich sind Unternehmen vom Markt verschwunden. Zweitens. Die Regierung hat den Teufelskreis von wachsender Arbeitslosigkeit, wachsender Staatsverschuldung und Bedrohung des sozialen Friedens selbst geschaffen. Sie haben sich die Schlinge selbst um den Hals gelegt. Mit einseitiger und ungerechtfertigter Sparpolitik werden Sie die wachsende Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen. Die hohe Arbeitslosigkeit macht das soziale Sicherungssystem unfinanzierbar und nicht umgekehrt. Die hohe Arbeitslosigkeit ist ursächlich. ({6}) Drittens. Seit fünf Jahren führen Sie eine Standortdebatte, die eigentlich nur als Ablenkungsmanöver dient. Viertens. Stellvertretend für den schleichenden Abbau des Sozialstaats und die billigende Inkaufnahme der Massenarbeitslosigkeit zeigt die Kürzung der Lohnfohrtzahlung, um was es Ihnen wirklich geht: die Aufkündigung der konsensorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die Schwächung der Gewerkschaften und die Individualisierung von Lebensrisiken. Ich glaube, ein Land, das eine Strukturkrise zu bewältigen hat, muß alle Kräfte an einen Tisch bringen, um diese Strukturkrise zu bewältigen. Sie darf nicht selektieren und andere dafür verantwortlich machen. Fünftens. Die Regierung hofft, mit einem Sparprogramm Wirtschaftswachstum und zusätzliche Beschäftigung ankurbeln zu können. Sie schlägt dabei aber einen Zickzackkurs ein: Einerseits beschimpfen Sie die Unternehmer, andererseits widerrufen Sie das, was Sie gestern verkündet haben: Die Kürzung bei der Lohnfortzahlung wird beschlossen. Am anderen Tag wird der Bruch der Tarifverträge gegeißelt, kurz darauf werden die Krankenkassenbeiträge und die Rentenbeiträge erhöht. Das alles ist nicht eine nach vorne gewandte Politik, die Vertrauen in diese Volkswirtschaft und bei den Investoren hervorrufen würde. In der Amtsperiode von Möllemann und Rexrodt hat sich der Investitionsattentismus bei steigenden Gewinnen breitgemacht. Das führt dazu, daß schon im sechsten Jahr in Folge die Investitionsrate in Deutschland sinkt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Die Wirtschaft verliert den Anschluß durch mangelnde Investitionen in Forschung und Entwicklung. Wir haben nicht nur eine Strukturkrise, wir haben auch eine Bildungskrise als Ergebnis Ihrer Politik. Anstatt gegenzusteuern, haben Sie dafür gesorgt, daß wir eine leistungsfeindliche Privilegienwirtschaft im Steuerrecht haben. Abschreibungskünstler und Immobilienspekulanten verdienen mehr Geld als die Leistungsträger an den Werkbänken und die Investoren in den Unternehmen. Das muß dringend umgedreht werden. ({7}) Mittelständler und Handwerksmeister werden durch dieses Steuersystem, weil sie dieses Spiel nicht mitmachen, ausgeplündert und haben kaum noch die Möglichkeit, ihre eigenen Investitionen durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu refinanzieren. Sie beklagen Bürokratie und sorgen selbst durch undurchdachte Gesetze für die Vergrößerung des Chaos. Wir wollen mit Ihnen einen Weg für mehr Beschäftigung suchen und bieten Ihnen dazu unsere Vorschläge an. Gehen Sie diesen Weg mit. Wir wollen ökologisch verträgliches Wachstum zur Beseitigung der Strukturkrise, und wir wollen die Konjunkturprobleme mit folgenden Vorhaben und Maßnahmen einleiten: Erstens. Die Arbeitslosigkeit ist ein europäisches Problem; deswegen brauchen wir ein Mindestmaß an Harmonisierung in Europa. Das erfordert mehr als das, was jetzt geschieht. Wir brauchen nicht nur eine gemeinsame europäische Währung, wir brauchen auch gemeinsame Verabredungen über soziale und über Arbeitsmarktstandards. ({8}) - Wenn wir das nicht hinkriegen, verehrter Graf Lambsdorff, dann frage ich Sie: Welche Basis haben wir für eine gemeinsame Währungsunion? Wir können doch vor dieser Aufgabe nicht kapitulieren und sagen: Die Währungsunion wird es schon richten. Nein, es muß parallel gehen. Ich will die Währungsunion, aber ich will nicht, daß sie platzt. Deshalb gehören diese beiden Seiten dazu. ({9}) Wir brauchen in dieser Zeit Investitionen in Infrastruktur, um die transeuropäischen Netze zu bauen, wir brauchen die Harmonisierung von arbeitsökologischen und sozialen Bedingungen, und wir brauchen die zügige Einführung der Europäischen Währungsunion - ich will das ausdrücklich wiederholen -, damit die Abwärtsspirale durchbrochen wird und wir durch abgestimmte Forderungen Fortschritte erzielen. Es muß doch zu denken geben, daß der amerikanische Präsident bei den OPEC-Verhandlungen persönlich für internationale Wettbewerbsordnung sowie für ökologische und soziale Standards wirbt, während diese Bundesregierung sogar den Harmonisierungsprozeß in Europa und auf den internationalen Konferenzen verhindert. Es muß der Auftrag für Singapur sein, da ein Stückchen weiterzukommen. Zweitens. Für eine binnenwirtschaftliche Investitions- und Innovationsoffensive benötigen wir ein Klima für Forschungs- und Technologiepolitik und eine Wirtschaftspolitik, die die Chancen in den Vordergrund rückt und dort Grenzen zieht, wo Risiken nicht mehr tragbar sind. So werden wir wieder ein Standort für Bio- und Gentechnologie. So werden wir den Quantensprung in der Umwelttechnologie weg vom kapitalverzehrenden nachsorgenden Umweltschutz hin zu dem Umweltschutz im Produkt schaffen. So werden wir den weltweiten Anschluß an die Informations- und Kommunikationstechnologien schaffen und die daraus resultierenden Chancen auch bei uns bekommen. Dies sind klimatische Fragen. Dies sind Fragen der Schwerpunkte, die wir in den Haushalten setzen, und diese Schwerpunkte sind nicht erkennbar. Es ist eine schlimme Fehlentwicklung und Fehlentscheidung, daß Sie nicht darum gekämpft haben, Herr Minister Rexrodt, in Forschung und Entwicklung neue Impulse setzen zu können. Hilfreich ist ein Zukunftsinvestitionsprogramm, um Solartechnik bei uns zu halten, die in Ihrer Amtszeit und nicht durch das Verhalten der Sozialdemokratie abgewandert ist. Wir brauchen regenerative Energieträger als zusätzliche Energieträger der Zukunft. Wir brauchen eine Wirtschaftsweise, die zukünftigen Generationen eigene Entwicklungschancen läßt. Sie erklären in Rio und in Berlin vollmundig die nachhaltige Wirtschaft zum Prinzip. Es ist nicht erkennbar, daß es innerhalb Ihres Haushaltes eine adäquate Gegenleistung gibt. Dafür setzen Sie überhaupt keinen Schwerpunkt. Drittens. Sorgen Sie mit uns dafür - wir haben Ihnen Anträge vorgelegt -, daß die Mittelstandspolitik wieder ihren Namen verdient. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Förderprogramme zu bündeln, sie gegenseitig deckungsfähig zu machen und sie nach strengen wirtschaftlichen Vergabekriterien zu verwalten. Es kann doch nicht richtig sein, daß über 500 Mittelstandsprogramme es notwendig machen, daß jemand, der einen Antrag stellt, zunächst einen Berater braucht, um an Geld zu kommen. ({10}) Wir brauchen im Bereich der Mittelstandspolitik den Zugang zu Risikokapital, damit Wachstum finanziert werden kann, weil wir dort noch zusätzliche Beschäftigung bekommen. Lassen Sie uns die Kräfte in dieser Politik bündeln, damit mittelständische Unternehmen auf den schnell wachsenden Märkten wieder Platz finden. Wir haben auf diesen Wachstumsmärkten Schwächen; wir haben insbesondere im hochtechnologischen Bereich Schwächen. Dafür haben wir Ihnen ein abgestimmtes Konzept für eine Außenwirtschaftsförderung vorgelegt. Sie sind sehr hasenfüßig darangegangen und haben nicht mit uns dafür gekämpft, mehr Geld dafür bereitzustellen, Herr Minister Rexrodt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Uhr.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Herr Präsident. Darf ich stichwortartig noch einen Gedanken vortragen?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ja.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sorgen Sie bitte mit uns gemeinsam dafür, daß sich die Unternehmen, die mit versicherungsfreien 590-DM-Arbeitsverhältnissen denen schaden, die Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse haben, an der Finanzierung der Sozialsysteme beteiligen. ({0}) Durch eine ökologische Steuerreform, durch Bekämpfung von 590-DM-Arbeitsverhältnissen und durch Bekämpfung von Steuerbetrug und von Subventionsbetrug wird es gelingen, einen Wachstumskurs zu gehen und die Sozialsysteme zu finanzieren. Die Sozialsysteme müssen dann nicht gekürzt werden. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, der Gedanke ist abgeschlossen, und Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich muß darum bitten, daß Sie nur noch einen Satz sagen und dann aufhören.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Dieser Weg wäre einer, der uns in eine gute Zukunft führen würde, aber nicht der Versuch, nur auf der Angebotsseite zu korrigieren. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hinsken, CDU/CSU.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schwanhold, ich kann einige Ihrer Ausführungen teilen; nicht teilen kann ich aber Ihre Krokodilstränen über den Abbau der sozialen Leistungen des Bundes. Ich frage Sie deshalb: Ist Ihnen bewußt, daß der Sozialetat zum Beispiel im sozialdemokratisch regierten Saarland um 13,6 Prozent und in Brandenburg um 30 Prozent gekürzt wurde, daß Frau Simonis in Schleswig-Holstein wieder millionenschwere Kürzungen vornimmt und sogar die Familien- und Blindenhilfe um über 10 Prozent kürzt und daß Einschränkungen auch in Hamburg, Hessen und in Niedersachsen vorgenommen wurden? Diese Kürzungen müssen auch vorgenommen werden, damit der Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland wieder fit gemacht wird. Deshalb lautet die grundsätzliche Aufgabe, die auch Sie bewältigen müssen, über den Tellerrand hinauszuschauen und die Notwendigkeiten anzuerkennen. Deshalb ist von unserer Seite an Sie der Appell zu richten, sich nicht immer zu sperren und nicht immer zu blockieren, wenn wir Auswüchse ({0}) gerade auf dem sozialen Sektor beiseite schaffen und so die Grundlage für die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten. Vor allen Dingen muß der Mißbrauch eingedämmt werden. Ich meine, es ist richtig und gut, wenn gesagt wird, dieses und jenes müßte gemacht werden, um vor allen Dingen leistungsfähiger zu werden. Es genügt daher nicht, wenn man sagt, die Lohnkosten, die Lohnnebenkosten bei uns in der Bundesrepublik Deutschland seien gar nicht so hoch. Wir können einfach nicht wegdiskutieren, daß die internationalen Wettbewerber in bezug auf die Produktionskosten um 20 Prozent billiger als wir in der Bundesrepublik Deutschland sind. Deshalb ist insbesondere das von uns aufgelegte Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ein Schritt in die richtige Richtung. ({1}) Bitte raffen Sie sich auf und machen Sie hier mit, damit die Arbeitslosigkeit in den nächsten drei, vier Jahren halbiert wird. Somit wird auch den Arbeitslosen, die uns am meisten am Herzen liegen müssen, wieder eine Zukunftsperspektive gegeben. Diese können wir nur geben, wenn Sie nicht weiterhin so abblocken, wie Sie es bisher getan haben. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schwanhold, bitte.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hinsken, es ist richtig, daß in den Sozialetats an unterschiedlichen Stellen gekürzt wird. Dieses aber als Leistung zu proklamieren hieße, die Ursachen zu verkennen. Das erste Ziel muß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein, damit allein durch mehr Beschäftigung die Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen und sie keinen Sozialtransfer mehr benötigen. ({0}) Es ist eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit, die in engem Zusammenhang mit den Ergebnissen Ihrer Wirtschaftspolitik steht, daß die Sozialhaushalte überborden. ({1}) Das ist meine erste Bemerkung. Ich halte es zum zweiten angesichts der Zahl der Arbeitslosen und der Chancen am Arbeitsmarkt in Ostdeutschland für in hohem Maße zynisch, leichtfertig über Mißbrauch zu reden. ({2}) Schauen Sie sich bitte einmal an, wo es Mißbrauch gibt, und schauen Sie sich einmal an, wo es um Existenzsicherung und um das Überleben geht. Sorgen Sie mit uns dafür, daß es eine Steuerreform gibt, damit die Arbeitnehmer von Steuern entlastet werden und durch eigene Arbeit zusätzliches Einkommen schaffen. Senken Sie die Eingangssteuersätze! Dies ist eine wichtige Voraussetzung. Sorgen Sie zweitens mit uns dafür, daß die Abschreibungs- und Subventionskünstler im Dschungel des Steuerrechtes nicht jeden Tag durch Untätigkeit reicher werden und diejenigen, die an der Werkbank stehen oder als Unternehmer einen Betrieb führen, nicht täglich bestraft werden. Dies ist die Ungerechtigkeit des Steuersystems. Sie führt als Folge Ihrer Politik zu weniger Arbeitsplätzen und zu höherem notwendigen Sozialtransfer. Drittens würde ich Sie gerne darauf aufmerksam machen, daß es in den ostdeutschen Unternehmen - aber nicht nur dort - zur Zeit eine Kapitalvernichtung ersten Ranges gibt. Wir erleben eine Pleitewelle, die kaum noch durch Neugründungen aufgefangen werden kann. Es ist auch eine Frage dieses Haushaltes, ob es uns gelingt, bei der Eigenkapitalbeschaffung für ostdeutsche Unternehmen, damit sie die Wachstumsphase finanzieren können, ausreichend Mittel zu günstigen Konditionen bereitzustellen. Dieses ist aktive Sozialpolitik, weil die Menschen dann Beschäftigung erhalten und nicht plötzlich als Verlierer einer verfehlten Politik und möglicherweise auch falscher Unternehmensentscheidungen in den Konkurs hineingetrieben werden und die Sozialversicherungssysteme belasten. Wenn Sie dieses erkennen und anerkennen, werden Sie daraus andere Konsequenzen als die wirtschaftspolitischen Konsequenzen ziehen, die Sie uns hier jeden Tag vortragen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Vielen Dank. Wir haben vorhin in Anlehnung an die Bemerkung von Herrn Uldall über das Thema Steuerharmonisierung auf europäischer Ebene gesprochen. Sie, Herr Schwanhold, haben noch einmal die sozialpolitische Harmonisierung angesprochen. Ich halte es für völlig illusorisch, Ländern wie Portugal, Griechenland, Spanien oder Italien - erst recht den Ländern, die bei einer Erweiterung hinzukommen - unser sozialpolitisches Niveau aufzwingen zu können; Sie wollen ja Harmonisierung nicht nach unten, sondern Sie wollen eine Harmonisierung auf unserem Niveau. Dadurch nähmen Sie ihnen den Wettbewerbsvorteil, den sie derzeit auch wegen der niedrigen Sozialstandards noch haben und den sie brauchen, um, auf Sicht gesehen, sich dem anzupassen, was in den nördlichen Ländern, kurz gesprochen: in der Europäischen Union der Standard ist. Sollten Sie sie zu gemeinsamen Sozialstandards zwingen - was wir europarechtlich nicht können; wir können es uns aber einmal vorstellen; vielleicht kommt das aus der Regierungskonferenz heraus -, werden Sie ungeheure Transferleistungen des Nordens an den Süden bewirken. Diese sind unerträglich und unfinanzierbar, auch hier für uns. Einen Fortschritt können diese Länder nur erreichen, indem sie wettbewerbsfähiger und leistungsfähiger werden und sich dann mehr leisten können. Durch verordnete Harmonisierung ist das völlig ausgeschlossen. Zweite Bemerkung. Herr Schwanhold, es ist heute schon mehrfach über den Steinkohlenbergbau gesprochen worden. Wir sind unterschiedlicher Meinung über die Höhe des Abbaus und den Zeitrahmen. In diesem Zusammenhang fällt aber immer wieder der Begriff „sozial verträglich" im Hinblick auf die Behandlung der Beschäftigten. Im Ruhrbergbau versteht man unter sozial verträglich - das habe ich nun viele Jahre mitgemacht; Frau Hermenau hat ja völlig recht, mich daran zu erinnern; nur, die Zeiten waren anders; es war die Zeit vor 1990 mit einer anderen energiepolitischen Situation -: ({0}) Vorruhestand, Umlegen auf andere Zechen und Montanunionshilfe für die Entlassenen. Alle drei Faktoren stehen nicht mehr zur Verfügung. Wir sollten aufhören, den Begriff sozial verträglich wie eine Worthülse vor uns herzutragen, ohne zu wissen, was er eigentlich bedeutet. Sie kommen heute bei einem Abbau im Steinkohlenbergbau - der wird, in welcher Größenordnung auch immer, unvermeidlich sein - um betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr herum. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß bei dem Durchschnittsalter unter Tage der Vorruhestand, wenn wir ihn überhaupt noch hätten, ohne Bedeutung wäre und daß es das Umlegen auf andere Zechen nicht mehr gibt, weil keine anderen Zechen mehr vorhanden sind, usw., usf. Wie können wir über den Begriff sozial verträglich reden, ohne den Menschen zu sagen, was wir darunter verstehen? Ich wäre dankbar, wenn ich einmal von Ihnen hören würde, was Sie heute darunter verstehen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schwanhold.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, Sie haben zwei Aspekte angesprochen, die ich gerne aufgreife. Lassen sie mich mit der Steinkohle anfangen. Ich habe einen ganz hohen Respekt vor der Leistung, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Unternehmen und - ich sage das ausdrücklich - auch die Gewerkschaft IG Bergbau und Energie in dem schmerzhaften Anpassungsprozeß an Ruhr und Saar in den vergangenen Jahren erbracht haben. Diese Umbruchsituation hat die Anstrengungen aller verlangt und ist bewundernswert friedlich vonstatten gegangen. Aus dieser Verantwortung heraus haben sich die Kolleginnen und Kollegen, die Unternehmen, aber insbesondere auch der Gewerkschaftsvorsitzende, von dem ich weiß, daß er sich jetzt im Saal befindet, sehr weit nach vorne gewagt, um Lösungen zu finden, die in die Zukunft weisen. Ich habe nicht gemerkt, daß es auf der Seite der Regierung eine Entsprechung gegeben hat, sondern nur hämische Worte zum Beispiel von einem „Museumsbergbau" nach dem Jahre 2005. Es kann nicht sein, daß wir so mit den Kolleginnen und Kollegen an Saar und Ruhr umgehen. ({0}) Sie haben den Anspruch darauf, daß wir ihre Sorgen um ihre Arbeitsplätze und um ihre Zukunft ernst nehmen. Die zweite Bemerkung ist: Die Kolleginnen und Kollegen wollen keinen Sozialtransfer. Am liebsten wollen sie ihr Einkommen durch Arbeit im Bergbau oder an anderer Stelle verdienen. ({1}) Wann immer wir Anpassungsprozesse organisieren, müssen wir dafür sorgen, daß man auch eine Chance hat, Arbeit zu finden. Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, daß dieser Umstrukturierungsprozeß durch Streckungsmaßnahmen so gestaltet wird, daß es nach den schmerzhaften Prozessen der Zechenstillegungen - darüber ist sich jeder im klaren - zusätzliche Arbeitsplätze für die Kolleginnen und Kollegen gibt, damit sie ihr Geld verdienen können. Genau dies haben wir als Politiker zu organisieren. Dritte Bemerkung.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die muß allerdings kurz sein.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, sie muß kurz sein. Es war etwas schwieriger, den Komplex darzustellen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gleichwohl muß sie kurz sein.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dritte Bemerkung. Ich habe insbesondere von der Vermeidung von Umwelt- und Sozialdumping übelsten Ausmaßes gesprochen. Deswegen habe ich auf die Konferenz in Singapur verwiesen. Wir sind uns einig darüber, daß Harmonisierung nicht Nivellierung auf gleichem Niveau bedeutet, sondern eine Verabredung über Anpassungen bei wachsender Wirtschaftskraft innerhalb Europas. Der Versuch, miteinander umzugehen und dies zu organisieren, muß gemacht werden, damit dieser Anpassungsprozeß auch für die anderen Länder möglichst schnell und sozial verträglich verläuft. Sie müssen natürlich komperative Kostenvorteile erhalten. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Pohler, CDU/CSU.

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir im Rahmen dieser Diskussion einige Worte zur Situation der Wirtschaft in den neuen Bundesländern. Zunächst möchte ich feststellen, daß ausgehend vom Erbe, das uns die DDR hinterlassen hat, in der doch kurzen Zeit von sechs Jahren viel geschaffen wurde. Anerkennung dafür verdienen die Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern, denen vieles abverlangt wurde, die aber mit großem Engagement die völlige Umgestaltung der Lebensverhältnisse nicht nur ertragen, sondern aktiv mitgestaltet haben. Dank gilt aber auch der Solidarität und der Unterstützung, die wir aus dem Westen Deutschlands erfahren haben. ({0}) Diese Aktivitäten und die hohen finanziellen Transferleistungen Westdeutschlands führten dazu, daß die Länder Ostdeutschlands eine Zeitlang zu den wachstumsstärksten Regionen Europas gehörten. Wir dürfen die Augen aber auch nicht davor verschließen, daß sich der Aufbau Ost 1996 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verlangsamt hat und die Prognosen für 1997 nicht viel besser aussehen. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. An erster Stelle muß jedoch die konjunkturelle Schwäche in den alten Bundesländern und den Partnerländern der Europäischen Union genannt werden. ({1}) Denn auf Grund der enger werdenden Verflechtungen der ostdeutschen mit der westdeutschen Wirtschaft schlagen die konjunkturellen Schwankungen direkt auf die neuen Länder durch und wirken dort auf die noch ungefestigten Unternehmen besonders negativ. In gleicher Weise wirkt sich die trotz umfangreicher Förderung nachlassende Investitionsdynamik aus. Denn es muß einfach festgestellt werden, daß die hohen Investitionen der letzten Jahre noch nicht ausgereicht haben, um eine solide Basis für einen sich selbst tragenden Aufschwung zu erreichen. Aus diesem Grund haben wir Wert darauf gelegt, daß trotz angespannter Haushaltslage die investiven Bereiche für die neuen Bundesländer weitestgehend von Kürzungen ausgenommen wurden. ({2}) Ich muß allerdings gestehen, daß mich in diesem Zusammenhang die ausgesprochene Haushaltssperre, die unter anderem auch die GA-Mittel betrifft, schon irritiert hat. Bei dieser zusätzlichen parlamentarischen Kontrolle ging und geht es jedoch nicht gegen die Förderung des Ostens, sondern ausgehend von den Erfahrungen der vergangenen Jahre geht es damm, vereinbarte Leistungsverhältnisse zwischen Bund und Ländern zu sichern. ({3}) Im übrigen ist es interessant, festzustellen, daß dieser Sperre laut Protokoll die Mitglieder des Haushaltsausschusses aller Fraktionen -, einschließlich der PDS -, zugestimmt haben. ({4}) Was soll also jetzt die Heuchelei der Opposition? ({5}) Sie können aber sicher sein, daß die Koalitionsfraktionen dafür Sorge tragen werden, daß die investiven Mittel für den Aufbau Ost in vollem Umfang und rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden. Sie, die Kollegen der SPD, können dazu einen Beitrag leisten, indem Sie auf die Länder Einfluß nehmen, in denen Sie die Verantwortung tragen, daß sie ihren Verpflichtungen nachkommen und damit die Ursache dieser Sperre entfällt. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Dr. Pohler, darf ich einmal einen Augenblick unterbrechen?

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich habe zwei Bitten um Zwischenfragen. Ich weise allerdings die Kolleginnen und Kollegen darauf hin, daß wir ziemlich hinter der Zeit herlaufen. Deshalb wäre ich dankbar dafür, wenn weitere Zwischenfragen unterbleiben könnten. Sie beharren darauf, Herr Kollege Schwanhold? - Nicht. Sie beharren darauf, Herr Kollege Hampel? - Sie beharren darauf. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Dr. Pohler?

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich denke, die Frage ist wichtig, um die Darstellung, die der Kollege Dr. Pohler jetzt von sich gegeben hat, zu korrigieren. ({0}) Herr Dr. Pohler, stimmen Sie mit mir überein, daß das Verfahren, das die Koalition in diesem Zusammenhang angewandt hat, sehr heimtückisch gewesen ist ({1}) und auf hinterlistige Art eine solche Zustimmung erschlichen worden ist? Diese Vorlage kam nach 18 Stunden Beratung als Tischvorlage, und sie war so verklausuliert, daß - lesen Sie es bitte durch - inhaltlich nicht sofort herüberkam, was damit eigentlich gemeint war.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich glaube, die Frage ist angekommen, Herr Kollege Hampel. Fragen sollen kurz sein, und es sollen Fragen sein. Sie haben eine Frage gestellt, und die kann jetzt beantwortet werden. Herr Dr. Pohler, bitte.

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Soweit mir bekannt ist, ist dieses Thema an diesem Tag nicht das erste Mal im Ausschuß gewesen, ({0}) und es hat eine Vorlage gegeben. Ich bin nicht Mitglied des Haushaltsausschusses. Ich muß von den Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, ausgehen. ({1}) Ehrlich gesagt, es ist für mich persönlich nur schwer nachzuvollziehen, daß sich dort einige Fraktionen angeblich haben über den Tisch ziehen lassen. Bei einem einzelnen Kollegen, wenn nicht Obacht gegeben wird, kann ich das nachvollziehen, aber bei der gesamten Opposition ist es schwer nachzuvollziehen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Rossmanith, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen? Bestehen Sie darauf? - Herr Kollege Pohler, gestatten Sie?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich, Herr Kollege Pohler, in Form einer Frage den Herrn Kollegen Hampel darauf hinweisen, ({0}) oder stimmen Sie mir zu, daß dies ordnungsgemäß in der Ausschußdrucksache 2463 des Haushaltsausschusses den gesamten Tag vorgelegen hat, daß sogar der Begriff „Gemeinschaftsaufgabe" vermerkt ist und daß der amtierende Vorsitzende dieses Ausschusses alle Fraktionen speziell über ihr Votum zu diesem Antrag befragt hat und alle Fraktionen und die Gruppe der PDS zugestimmt haben?

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß er das zur Kenntnis genommen hat. Wenn wir für den Aufbau unserer Wirtschaft auf die weiterhin erforderlichen Fördermittel verweisen, wird von verschiedenen Seiten oftmals vor einer Dauersubventionsmentalität gewarnt. Ich möchte an dieser Stelle zum wiederholten Male eindeutig feststellen: Wir wollen keine dauersubventionierten Betriebe und Wirtschaftszweige. Es geht uns vielmehr darum, zukunftsorientierten Betrieben über die Anfangsschwierigkeiten hinwegzuhelfen. Viele Unternehmen in den neuen Bundesländern geraten auf Grund von fehlendem Eigenkapital bei den aufgezeigten Schwierigkeiten in eine Existenzkrise, von Behinderungen bei möglichen Expansionen ganz zu schweigen. Hilfe wird hier durch den vor einem Jahr außerhalb des Haushaltsplans, also mit privatem Kapital, gebildeten Eigenkapitalfonds Ost erreicht. Von 1996 bis 1998 stehen dafür jährlich 500 Millionen DM zur Verfügung. Es ist ein Fonds, der gut angenommen und durch die KfW und die Deutsche Ausgleichsbank verwaltet und ausgerichtet wird. Ähnliches gilt auch für den Konsolidierungsfonds, an dem Bund, Länder und BvS beteiligt sind. Hier wird zur Zeit vom Bund eine Aufstockung um 250 Millionen DM geprüft. Wenn wir uns in diesem Haus darüber einig sind, daß das fehlende Eigenkapital eine der wesentlichen Schwächen der ostdeutschen Wirtschaft ist, dann ist es um so unverständlicher, warum die SPD sich bisher weigert, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, wohl wissend, daß sie bei Fortbestehen am 1. Januar 1997 in den neuen Ländern eingeführt werden muß. Die oft gehörte Behauptung, daß diese Steuer praktisch unwirksam sei, ist schlicht und einfach falsch; denn man muß wissen, daß als Bemessungsgrundlage nicht nur vorhandenes Kapital, sondern auch langfristige Kredite zu 50 Prozent herangezogen werden. Das bedeutet, daß stark kreditfinanzierte Unternehmen - das ist der größte Teil der Unternehmen in den neuen Bundesländern - einer starken zusätzlichen finanziellen Belastung ausgesetzt wären. Diese Steuer wäre also kontraproduktiv. Sie würde im Widerspruch zu allen Fördermaßnahmen stehen und viele Unternehmen in den Ruin führen. ({0}) Der Umfang dieser zusätzlichen Belastung wird deutlich, wenn man weiß, daß offiziellen Schätzungen zufolge 500 Millionen DM in den neuen Ländern erhoben werden müßten. Daß diese Schätzung nicht übertrieben ist, zeigen die Schätzungen der Finanzminister aus den Ländern. So rechnet zum Beispiel Sachsen mit einer zusätzlichen Steuereinnahme von 200 Millionen DM und der Finanzminister von Brandenburg mit 100 Millionen DM. Ich appelliere daher nochmals an die SPD: Wenn Sie ganz konkret die wirtschaftliche Entwicklung im Osten Deutschlands unterstützen wollen, dann leisten Sie Ihren Beitrag zur Abschaffung dieser wirtschaftsschädigenden Steuer. ({1}) Nun noch einige Bemerkungen zur Absatzförderung und zum Export: Wir wissen, daß die neuen Länder zur Zeit nur mit 2 bis 3 Prozent am Export Gesamtdeutschlands beteiligt sind. Dies hat unterschiedliche Ursachen; zwei davon sind sicherlich die fehlende Großindustrie und der noch nicht gefestigte industrielle Mittelstand. Zumindest ebensowichtig, wenn nicht am wichtigsten für das Fußfassen auf den nationalen und internationalen Märkten ist das Vertrauen der Kunden. Wer soll einem Unternehmen etwas abkaufen, wenn er zwar vom Produkt, nicht aber vom Bestand der Firma überzeugt ist? Hier sind wir alle in der Pflicht. Dabei geht es nicht um das Schönreden der Situation. Doch ich kann mir nicht vorstellen, daß Diskussionen, die alle Unternehmen an den Rand der Pleite reden, für die Eroberung der Märkte sehr hilfreich sind. ({2}) Was unsere Unternehmen benötigen, sind daher nicht nur finanzielle Hilfen für die Absatzförderung. Die Politik ist aufgefordert, noch stärker als bisher international vertrauensbildend für die Wirtschaft tätig zu sein. Ich verstehe darunter zum Beispiel die verstärkte Teilnahme von Unternehmen aus den neuen Bundesländern in Wirtschaftsdelegationen bei Auslandsreisen der Regierung, wie es etwa vor einigen Wochen bei der Reise des Bundeskanzlers in die Ukraine der Fall war. An der Tatsache, daß der sächsische Außenhandel im ersten Halbjahr 1996 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 1995 um knapp 9 Prozent gestiegen ist, ist die moralische Unterstützung durch die Landesregierung nicht unbeteiligt. Hier gibt es also hoffnungsvolle Ansätze, die auf Bundes- und Landesebene ausgebaut werden sollten. ({3}) Meine Damen und Herren, ausgehend von der aufgezeigten Situation müssen wir uns auf einen längeren Zeithorizont für den Aufholprozeß einstellen. Das bedeutet, der Aufbau Ost muß weiterhin ein zentrales Thema deutscher Politik bleiben. Auch die westdeutsche Wirtschaft muß ihre Verantwortung für die Entwicklung in den neuen Bundesländern verstärkt wahrnehmen; denn allen muß klar sein: Jede Verzögerung beim Aufbau Ost hat eine längere Unterstützung zur Folge und wirkt sich negativ auf die Volkswirtschaft Gesamtdeutschlands aus. Dieser Erkenntnis trägt auch der vorliegende Haushalt 1997 bei allen Zwängen zur Sparsamkeit Rechnung. Schönen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft. Es liegen neun Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6219? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. ({0}) Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6317? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei gleichem Mehrheitsverhältnis wie zuvor abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6264? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6265? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei gleichem Mehrheitsverhältnis wie zuvor abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6266? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei gleichem Mehrheitsverhältnis wie zuvor abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6267? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6289? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6290? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die StimVizepräsident Hans-Ulrich Klose men der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6291? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 09 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1997; das sind die Drucksachen 13/5741 und 13/6117. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie - Drucksachen 13/6021, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Schanz Antje Hermenau Steffen Kampeter Jürgen Koppelin Es liegen 17 Änderungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dieter Schanz, SPD.

Dieter Schanz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001940, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wer wie der Kollege Roth als haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion den Haushalt 1997 unter enger kameralistischer Betrachtungsweise als scheinbar ausgeglichen wertet, könnte heute Freude empfinden. Ich teile diese nicht. ({0}) Vor dem Hintergrund einer jahrelangen falschen Politik, welche immer mehr Menschen ausgegrenzt hat und zudem immer mehr Ausgaben im konsumtiven Bereich erforderlich machte, geht diese Regierung, geht diese Koalition nun so weit, auch im Einzelplan 30 - Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie - maßlos zu kürzen. ({1}) Zwar werden die zentralen Felder der Zukunft von der Koalition verbal als solche anerkannt; betrachtet man die Zahlen, so muß man aber feststellen, daß diese dem Zukunftsministerium einen ganz anderen Rang zusprechen. Der Gesamtansatz für das Zukunftsministerium wurde um ein Drittel heruntergefahren und enspricht nur noch einem Anteil von 3,4 Prozent am Gesamthaushalt. ({2}) Die Herrschaften von der Koalition reden immer soviel von der Zukunft; doch wenn es um das Gestalten geht, legen sie bzw. der Finanzminister nichts nach. Da will man die hehren Worte doch wohl auch nicht mehr so ernst nehmen. Bei dem in diesem Maße drastisch zusammengestrichenen Ansatz will ich den Begriff „sparen" bewußt nicht verwenden; denn ich frage mich: Wo wird hier etwas gespart, möglicherweise für schlechtere Zeiten etwas zurückgelegt? Vor diesem Hintergrund bin ich wirklich gespannt, ob und wie die Kollegen Kampeter und Koppelin bemüht sein werden, dieses Ergebnis schönzureden, ob sie sich an diesem Ritual weiterhin so beteiligen wollen. Ich glaube kaum, daß es ihnen bei der klaren Sprache der Zahlen, die „minus" und nicht „plus" aussagen, gelingen wird. Der Herr der Ringe, vielleicht auch nur der kleine Zauberlehrling seines Meisters Kanzler Kohl, der zuständige Bundesminister Rüttgers, der dem Finanzminister in vorauseilendem Gehorsam 200 Millionen DM globale Minderausgabe angeboten hatte und letztlich mit 366,7 Millionen DM bestraft wurde, ist buchstäblich in eines der beiden Waigel-Löcher gefallen. ({3}) Zum Lachen ist mir heute auch dabei nicht; denn Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sind für die Innovationskraft unserer hochentwickelten Industriegesellschaft von allergrößter Bedeutung. ({4}) Diesem Anspruch wird die Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung weder qualitativ noch quantitativ gerecht. ({5}) Im Gegenteil: Der Anteil von Forschung und Entwicklung an der deutschen Wirtschaftsleistung geht immer weiter zurück. 1982 standen wir zusammen mit den USA auf Platz 1 bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Heute stehen wir auf der Liste der großen Industriestaaten hinter Frankreich auf Platz 4, wobei der Anteil von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt gemessen wird. Der Haushalt des BMBF sinkt von 15,7 Milliarden DM auf zirka 14,8 Milliarden DM. Das ist ein Minus von beinahe 900 Millionen DM und eine Kürzung von 5,6 Prozent. Herr Bundesminister Rüttgers, nicht Kabinettsdisziplin allein oder gar vorauseilender Gehorsam sind hier gefragt, sondern Mut vor Fürstenthronen. ({6}) Auch wenn die „Zeit" am 20. September 1996 von „Papas Liebling" schrieb, muß man sich irgendwann von seinem geliebten Papa freischwimmen oder man macht sich zum Epigonen. Staatliche Förderung hat eine erhebliche Anstoßwirkung für innovative risikoreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Wo die staatlichen Gelder versiegen, zieht sich auch die Wirtschaft zurück. Ein Bericht des Weißen Hauses vom November 1995 beispielsweise, der sich kritisch mit den rückläufigen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung innerhalb der amerikanischen Industrie auseinandersetzt, findet in seiner Analyse bezüglich der letzten 30 Jahre keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Industrie für Forschung und Entwicklung mehr ausgibt, wenn sich der Staat zurückhält. In einer Bestandsaufnahme über die Forschungs- und die entsprechende Innovationspolitik des BMBF vom August 1996 heißt es auszugsweise - und zwar richtigerweise -: Deutschlands Rolle als Industrienation beruht wesentlich auf einem im internationalen Vergleich hohen Engagement in Forschung und Entwicklung. Betrug die Forschungstätigkeit der Wirtschaft in Deutschland in 1994 ca. 9,6 %, so waren es in den USA 43,4 %, in Japan 19,3 %, in Europa 32,4 %. Zwischen 1991 und 1995 stiegen die Aufwendungen für die Forschungstätigkeit der Wirtschaft in Deutschland nominal nur noch von 51,7 Milliarden DM auf 52,1 Milliarden DM; sie gingen also real zurück. Das heißt, der Anteil von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft sank von 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 1,5 Prozent; 1989 waren es noch 2,07 Prozent. Meine Damen und Herren, diesem Trend des Rückzuges aus Forschung und Entwicklung schließen sich nun die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen in dramatischer Weise an. Wenn wir der für unser Wirtschaftssystem und damit für unsere Arbeitsplätze verhängnisvollen Spirale, nämlich weniger staatliche Mittel für Forschung und Entwicklung, weniger private Mittel für Wissenschaft und Bildung, weniger Innovationen, weniger marktfähige neue Produkte, entkommen wollen, müssen wir eigentlich umsteuern. Statt die Forschungsförderung abzuwürgen, müßte der Staat antizyklisch investieren. ({7}) So schreibt die „Zeit" am 20. September 1996 zu Recht: Die Klage der Opposition, bisher habe Jürgen Rüttgers weder eine eigene Strategie noch schlüssige Konzepte erkennen lassen, ist berechtigt. Er hat lediglich „Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" vorgelegt, in denen Ziele definiert sind - „mehr Effizienz", „mehr Innovation" oder „mehr Interdisziplinität" . Das sind Schlagworte, die man so unterschreiben könnte, aber Schlagworte alleine, Herr Minister, sind noch keine Politik. Ihnen fehlt der finanzielle Unterbau. ({8}) Sorgen bereitet uns vor dem Hintergrund dieser finanziellen Ausstattung auch der Aufbau der Forschungslandschaft im Osten. Herr Minister, ich fordere Sie auf, dafür einzutreten, daß das, was bisher in der Forschungslandschaft im Osten gewachsen ist, auch mit dem Aufbau wichtiger und guter Forschungsinstitute, nicht wieder umgerissen wird. Es gibt in neuerer Zeit einige Beispiele dafür, daß Institute, die im Osten arbeiten, wieder in Frage gestellt werden. Ich bin gerne bereit, Ihnen nach der Debatte zu sagen, was ich ganz konkret meine. Wir, Herr Minister, haben Ihnen mit dem Haushalt 1997 helfen wollen und mit unseren Anträgen die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzlage aller Gebietskörperschaften wollten wir zumindest den Haushaltsansatz von 1996 halten. Unsere Vorschläge sind Ihnen bekannt; sie wurden ausnahmslos von der Koalition abgeschmettert. Eine Gegenfinanzierung aus dem Einzelplan 30 haben wir abgelehnt, weil sich da die Katze selbst in den Schwanz beißen müßte. Allerdings wurden solide durchgerechnete Deckungsvorschläge gemacht. ({9}) Alles Bemühen der SPD um den Zukunftsetat wurde von Ihnen nicht zur Kenntnis genommen, aber dies hat Methode und zieht sich durch die gesamte Haushaltsberatung. Ich komme nun zur beruflichen Bildung und zu den heute schon oft angesprochenen Problemen. Zwei Drittel aller jungen Menschen in Deutschland, zwischen 600 000 und 700 000 jährlich, wollen ihre Zukunft auf einer beruflichen Ausbildung aufbauen. Sie setzen großes Vertrauen in unser duales System der Berufsausbildung. DieDieter Schanz ses Vertrauen darf nicht enttäuscht werden. Es ist ein Gebot sozialer Verantwortung, ausbildungswillige junge Leute optimal auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten. Die duale Berufsausbildung ist ein Standortvorteil Deutschlands. Sie bringt Fachqualifikation hervor, die weltweit ihresgleichen sucht. Weil Fähigkeiten und Qualifikationen der Menschen über die globale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Produkten und damit über Wohlstand und Arbeitsplätze entscheiden, ist es ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, das System der dualen Berufsausbildung stetig neuen Anforderungen anzupassen. So weit, so richtig. Ich habe aus dem Beschlußantrag B 1 des CDU-Parteitages vom Oktober 1996 zitiert. Aber wie überall, meine Damen und Herren: schönes Reden, gutes Schreiben, die Taten lassen zu wünschen übrig. Darüber ist heute schon genug gesagt worden. Meine Fraktion beantragte im Haushaltsausschuß, einen neuen Titel, ein Sonderprogramm „Berufsschulen in den neuen Bundesländern", mit 50 Millionen DM auszustatten. Als Begründung führen wir an: Der Aufbau eines leistungsfähigen dualen Systems in Ostdeutschland ist im Rahmen einer Strategie der Gewinnung vor allem betrieblicher Ausbildungsplätze dringend notwendig. Die Modernisierung aller Lernorte ist gefordert. Das heißt, Berufsschulen müssen qualitativ verbessert werden. Wir wollen zugleich die Förderung von Medienkompetenz bei Lehrkräften in allen Bildungsbereichen und beantragten, einen neuen Titel mit einem Baransatz von 10 Millionen DM und einer Verpflichtungsermächtigung von 15 Millionen DM einzustellen. ({10}) Wir sind und waren der Auffassung, daß es eine Aufgabe des Bildungssystems ist, jüngere wie ältere Menschen zu befähigen, verantwortlich mit neuen Medien umzugehen. Hierzu reicht ein Konzept der materiellen Infrastrukturverbesserung nicht aus. Auch diesen Antrag haben Sie, meine Damen und Herren, abgeschmettert. Auch heute liegen Ihnen Anträge meiner Fraktion vor. ({11}) - Es sind drei Anträge, Herr Kollege. Erneut fordern wir, 50 Millionen DM für ein Sonderprogramm „Berufsschulen in den neuen Bundesländern" einzustellen. Wir wollen im Bereich der Wissenschaftlerintegration den Aufbau und Ausbau einer Forschungs- und Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern fördern. Beim Aus- und Neubau von Hochschulen liegt - gelinde gesprochen - einiges im argen. Die SPD hat in Abstimmung mit den Ländern einen Antrag vorgelegt, der den realen Bedürfnissen an unseren Hochschulen gerecht wird. Über 70 Prozent der neu angemeldeten und auch vom Bund mit höchster Priorität ausgezeichneten Bauvorhaben müssen nach dem Haushaltsansatz 1997 abgewiesen werden. Der Antrag meiner Fraktion will diesen Mißstand durch die Aufstockung dieses Titels um 200 Millionen DM beheben. Meine Damen und Herren, der Einzelplan 30 ist in seiner Struktur bekanntlich sehr unterschiedlich. Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern stellen einen hohen Anteil dar. Hier kann der Bund nicht sparen. Das heißt mit anderen Worten, daß nur im Projektbereich gekürzt wird und dort deshalb um so heftiger; in einigen Bereichen bis zu 15 Prozent und mehr. Die Folge ist, daß neue Projekte und Forschungslinien nicht realisiert werden können. Es war Bundesminister Rüttgers sehr peinlich, daß Forschungsanträge, die in ihren Forschungszielen durchaus den Leitlinien der Bundesregierung entsprachen und somit als förderungswürdig hätten eingestuft werden können, in den letzten Wochen und Monaten aus seinem Hause negativ beschieden wurden mit der Begründung, es sei kein Geld vorhanden. Das ist die Wahrheit. Hier klaffen also - wie nachgewiesen - Anspruch und Wirklichkeit wieder einmal deutlich auseinander. Statt dessen finanziert Bundesminister Rüttgers aus seinem Forschungsetat - möglicherweise notgedrungen - die Markteinführung des Transrapid. Meine Damen und Herren, ich kritisiere nicht das Magnetschwebebahnsystem - meine Position dazu ist klar -, sondern ausschließlich das Finanzierungskonzept der Bundesregierung, das ich haushaltspolitisch nicht für vertretbar halte. Im Emsland soll bis zur Produktreife geforscht werden, dann hat sich der Staat aus der Forschung zurückzuziehen, dann haben andere diese Bereiche zu finanzieren. ({12}) Daß der Forschungsminister zudem mit Ausnahme des Forschungsteils im Emsland die Streckenfinanzierung übernehmen muß, halte ich für einen Skandal. Es wird Sie nicht überraschen, daß wir deshalb einen Kürzungsantrag vorgelegt haben. ({13}) Wie im vergangenen Jahr spreche ich auch in diesem Jahr die Personalpolitik dieser Bundesregierung kritisch an. Wer in der Forschung jährlich 1,5 bis 2 Prozent der Stellen einsparen will, geht nach dem Rasenmähersystem vor. Die Folge ist, daß die im Forschungs- und Entwicklungsbereich tätigen qualifizierten Kräfte im Durchschnitt immer älter, aber nicht innovativer werden. Junge, hochqualifizierte Hochschulabsolventen, Doktoranden und Postdoktoranden stehen vor der Tür und finden keinen Einlaß. Woher sollen dann Erneuerung und Entwicklung kommen? ({14}) Selbst neue Instrumente der Flexibilisierung, die jetzt erprobt werden sollen oder bereits erprobt sind, und möglicherweise auch eine vernünftige Budgetierung reichen nicht aus, die verheerenden Folgen zu beseitigen. Ich fordere Sie, Herr Minister, aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalition auf, mit uns gemeinsam nach Wegen zu suchen, hier schnellstens Abhilfe zu schaffen. Ich glaube, daß in diesem Zukunftsbereich nicht weiter so brutal vorgegangen werden darf. Ob dabei, wenn man die Personalpolitik und die Kosten berücksichtigt, das zu erarbeitende Konzept zur Neugliederung der deutschen Luft- und Raumfahrt - sprich: Zusammenlegung von DARA und DLR - geeignet ist, wage ich zu bezweifeln. Eine Bundesregierung, die eine deutsche Luft- und Raumfahrtagentur gegen unseren Willen und gegen unsere Meinung gegründet hat und diese jetzt abschaffen will oder muß, weil sie nichts gebracht hat, muß sich fragen lassen, was sie mit den vielen hochdotierten Stellen - darunter beispielsweise zwei B-11-Stellen, vier B-9-Stellen und etliche B-4-Stellen - tun will, wenn die Stelleninhaber von der DARA zurück ins BMBF versetzt werden müssen. Hiermit habe ich die Problematik der „Häuptlinge" angesprochen und die der „Indianer" noch nicht einmal erwähnt. Ich fordere also die Bundesregierung und die Koalition auf, ein vernünftiges Konzept vorzulegen, das im Interesse der deutschen Luft- und Raumfahrt liegt, mit dem aber auch die Wirkung vermieden wird, daß es im BMBF selbst zu einem Beförderungsstau bei jungen, nachwachsenden Kräften kommen könnte und zugleich Verdruß bei Mitarbeitern der DARA und der DLR entstehen würde. ({15}) Der Bund muß, wie ich gesagt habe, seine Verantwortung beim Hochschulbau neu überdenken. Das heißt, er muß endlich Farbe bekennen und zu dem stehen, was er in Gesprächen mit dem Bildungsrat und den Bundesländern ständig verspricht. Abschließend darf ich noch einmal festhalten: Der Bildungs- und Forschungshaushalt ist deutlich aufzustocken. Dabei sind klare inhaltliche Schwerpunktsetzungen in den Bereichen Ausbildung/Qualifikation, Schlüsseltechnologien und Vorsorgeforschung vorzunehmen. Die Effizienz unseres Bildungs- und Forschungssystems ist deutlich zu steigern. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen muß gestärkt werden. Deshalb muß mehr Gewicht auf die Vernetzung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung gelegt werden. Die Mobilität des Personals zwischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen ist zu fördern. Für Multimedia, Pilotprojekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umwelt und Verwaltung müssen ausreichende Mittel bereitgestellt werden. ({16}) Die von der Regierung zurückgefahrenen Bereiche der Technikfolgenabschätzung und das Programm „Arbeit und Technik" sind auszubauen. ({17}) Dies, meine Damen und Herren, leisten die Bundesregierung und die sie tragende Koalition nicht. Es ist für Forschungspolitiker und auch für einen Haushälter, der für diesen Einzelplan mitverantwortlich ist, wahrlich kein Tag der Freude. Wenn Sie, meine Damen und Herren, so weitermachen wie bisher, sehe ich auch für das nächste Jahr keine Besserung und muß befürchten, daß Sie die deutsche Forschungs- und Entwicklungslandschaft ruinieren. ({18}) Dabei ist mir wohl bewußt, daß mehr Geld allein noch kein Fortschritt ist. Doch mir ist auch bewußt, daß unter dem Zwang der Verhältnisse Vernünftiges durchgesetzt werden kann. In der Art und Weise, in der dieser Einzelplan in den letzten Jahren, gemessen am Gesamthaushalt, zurückgefahren worden ist, kann es jedoch nicht weitergehen. Schönen Dank. ({19})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schanz als Vorredner der SPD hat die Behauptung aufgestellt, jetzt finde hier ein Schönreden des Einzelplans 30, des Etats des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, statt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es gar nicht nötig, ({0}) diesen Etat schönzureden. Ich bekenne ausdrücklich und offensiv: Der Etat für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 1997 ist kein Etat des finanziellen Zuwachses. Man kann zwar rhetorisch Politik betreiben, aber Adam Riese sollte man sich auf Dauer nicht verschließen. Im übrigen gilt, Herr Kollege Schanz: Man sollte kein oppositioneller Schwarzseher sein; denn das Ergebnis, das wir in den Haushaltsberatungen erreicht haben, ist respektabel. Ich bekenne mich nachdrücklich dazu, daß nach der Grundsatzentscheidung der Koalition, in allen Etats, in allen Einzelplänen Einsparungen vorzunehmen, auch der Einzelplan 30 hiervon nicht ausgenommen werden konnte. Es handelt sich um die politische Umsetzung unseres Globalbeschlusses. Hier habe ich mich nicht zu verstecken. Vielmehr haben wir in den Haushaltsberatungen Ansatz für Ansatz sehr sorgfältig überprüft, und wir sind, wie ich finde, zu einem guten Ergebnis gekommen. Mir ist allerdings auch nicht bange, daß diese Vorgaben des Haushalts 1997 im Bildungs- und Forschungsbereich umgesetzt werden können. Wer, wenn nicht dieser innovative Bereich, den wir in den vergangenen Jahren immer wieder zu Höchstleistungen angespornt haben, wird jetzt in der Lage sein, beherzt an die Bewirtschaftung der knapper gewordenen Mittel zu gehen? Mehr Effizienz und klare Prioritätensetzung - das waren die Leitbilder, unter denen die Koalition diese Haushaltsberatungen durchgeführt hat. Mehr Effizienz bedeutet, auch Dinge aus der Vergangenheit in Frage zu stellen, die einem lieb geworden sind. Mehr Effizienz bedeutet auch, Dinge zusammenzuführen und Schwerpunkte zu bilden. Mehr Effizienz erfordert, verstärkt den Wettbewerb in Bildung und Forschung zu entdecken. Prioritäten zu setzen bedeutet, deutlich zu machen, welche von den vielen Anliegen, die wir in der Vergangenheit mit dem Einzelplan 30 verfolgt haben, auch zukünftig zentral wichtig sind. Daher begrüße ich die Initiative des Bildungs- und Forschungsministers, sich mit der Wirtschaft auf wichtige Leitprojekte der Forschung zu verständigen. ({1}) Wir müssen von den weit über 10 000 Klein- und Kleinstprojekten weg und uns stärker auf die strategischen Zukunftsfragen konzentrieren. Wir steuern halt um: weg von der klassischen Technologieförderung hin zu einer integrierten Innovationspolitik. So wird der konkrete Beitrag der Bildungs- und Forschungspolitik zu mehr Wachstum und Beschäftigung auch an dieser Stelle deutlich. ({2}) Dabei geht es unter anderem um die Nutzung des in der Welt verfügbaren Wissens für Fort- und Ausbildung, um die Diagnose- und Therapiemöglichkeiten der molekularen Medizin, um die Umwelt- und Klimaforschung oder auch um die Materialforschung. Neben dieser inhaltlichen Neuorientierung des Forschungsteils dieses Haushaltes müssen sich allerdings unsere Partnerinnen und Partner auch auf organisatorische Veränderungen einstellen. Deshalb war es lediglich folgerichtig, daß die Forschungslandschaft unter dem Leitmotto „Innovation durch mehr Flexibilität und Wettbewerb" neu organisiert wird. Bundesminister Rüttgers hat hierfür die entsprechenden Leitlinien vorgelegt. Das Anliegen lautet: mehr Freiraum für die Forschung. Das heißt aber auch: mehr Eigenverantwortung für die Forschungseinrichtungen. ({3}) Genauso, wie wir in der Sozialpolitik darüber reden, daß wir das Verhältnis von Solidarität und Subsidiarität neu definieren, müssen wir das auch in der Forschungsförderung tun, indem wir mehr Freiräume zulassen und gleichzeitig auch ein höheres Maß an Eigenverantwortung in den Forschungseinrichtungen einfordern. ({4}) Wir wollen mehr Innovation, das heißt ein Mehr an Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Einzelplan 30 leistet zum Beispiel seinen Beitrag dazu, indem er der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Aufwuchs ihres individuellen Etats um jeweils 5 Prozent ermöglicht. Damit werden Umstellungsleistungen honoriert und anerkannt, und es wird deutlich, daß diese wichtigen Einrichtungen der institutionellen Forschungsförderung zentrale Pfeiler unserer Politik sind. ({5}) - Wir können gern darüber in einen Dialog eintreten. Gerade die Max-Planck-Gesellschaft steht vor wichtigen Aufgaben. Mit der Schließung mehrerer Institute und dem Abbau von Stellen sieht sie sich der internen und externen Kritik ausgesetzt. Das war zu erwarten. Ich persönlich allerdings finde es richtig, daß die Max-Planck-Gesellschaft neue Schwerpunkte setzt und dafür Mittel an anderen Stellen zurücknimmt. Der Veränderungswille der Max-PlanckGesellschaft wird aber gerade durch die positive Haushaltsausstattung im Jahr 1997 von der Politik anerkannt. Ein vergleichbarer Aufwuchs wird in der Zukunft allerdings schwieriger zu realisieren sein. Bundesminister Rüttgers hat auf diesen Zusammenhang bereits in der Sitzung des Haushaltsausschusses hingewiesen. Trotzdem können sich diese Gesellschaften bei ihren Umstrukturierungsmaßnahmen der finanziellen und ideellen Unterstützung dieser Koalition sicher sein. ({6}) Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß die Union trotz der knappen Mittel in den Haushaltsberatungen weitere wichtige Akzente hat setzen können. So wurden die Mittel für die europäische Weltraumforschung - im übrigen auch mit Unterstützung der Opposition, der SPD-Fraktion; dies will ich ausdrücklich anmerken - auf unsere Initiative hin auf den respektablen Betrag von 1 Milliarde DM aufgestockt. Die Koalition sieht hier eine zentrale technologiepolitische Gestaltungsaufgabe. Wir wollen diesen Hochtechnologiebereich europäisieren und leisten so den staatlichen Beitrag, daß die nationale Weltraumkapazität erhalten bleibt. Ich begrüße - im Gegensatz zu dem Kollegen der SPD - ausdrücklich das Vorhaben, die Deutsche Agentur für Raumfahrt und die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt unter einem gemeinsamen Dach zusammenzuführen. Auch hier gilt die Forderung nach mehr Effizienz und klarer Prioritätensetzung. Herr Kollege Schanz, wenn Sie hier die personalwirtschaftlichen Restriktionen bei der Auflösung oder Umstrukturierung solcher Institutionen beklagen: Wir stellen in unseren - teilweise gemeinsamen - Besuchen in den Forschungseinrichtungen fest, daß wir dringend mehr Flexibilität im öffentlichen Dienstrecht brauchen. ({7}) Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, diese neuen Gestaltungspielräume zu erreichen. ({8}) Die Betriebsmittel der Fraunhofer-Gesellschaft, einer wichtigen Forschungseinrichtung, konnten um 6 Millionen DM aufgestockt werden. Dies dient vor allem der angewandten Forschung, also der Umsetzung in Arbeitsplätze. Die Koalition unterstützt nachdrücklich die Bemühungen der Fraunhofer-Gesellschaft, durch Privatisierung einen verbesserten Beitrag zur Marktorientierung auch der Forschungslandschaft zu leisten. Ein weiteres Beispiel: Die Mittel für Mikrosystemtechnik wurden um 5 Millionen DM aufgestockt. Hier soll Flagge gezeigt werden in einem Bereich, in dem vor allem mittelständisch strukturierte Unternehmen eine international anerkannte Spitzentechnik anwenden. Oder ein anderes Beispiel: Die Wissenschaftlerintegration in den neuen Bundesländern fördern wir allein im Jahre 1997 mit einem zusätzlichen Betrag von 12,5 Millionen DM. Dies ist ein weiterer Beitrag von Bildung und Forschung zur inneren Einheit Deutschlands und ein Eingehen auf die Forderung gerade der ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten, die einen zusätzlichen finanziellen Einsatz für die Wissenschaftlerintegration in den Einrichtungen gefordert haben und dabei aktiv von der F.D.P. unterstützt worden sind. ({9}) Mit Hinweis auf diese Maßnahme lehnen wir auch den SPD-Antrag ab, der eine ähnliche Stoßrichtung hat, aber in die falsche Richtung zielt. ({10}) Es wird in den nächsten Wochen und Monaten in den Verhandlungen mit den Ländern deutlich werden müssen, ob die neuen Bundesländer die erforderlichen Komplementärmittel bereitstellen können. Wenn ich Zeitungsmeldungen glauben soll, scheint im Land Sachsen die Wissenschaftlerintegration wichtiger zu sein als im Land Brandenburg; denn in Medien aus dem Land Brandenburg lese ich, daß Brandenburg nicht nur kein Geld, sondern auch nicht mehr den politischen Willen hat, hier tätig zu werden. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der derzeitige Fraktionsvorsitzende der SPD hat in einer wenig bemerkenswerten Etatrede versucht, auch einige Aussagen zu Bildung und Forschung zu machen. Außer zahlreichen Sprechblasen ist wenig hängen geblieben. Eine dieser Sprechblasen war die Forderung nach einer Investitionsoffensive für die deutschen Hochschulen. In den Haushaltsberatungen der vergangenen Monate war von seiten der SPD im Sinne dieser Investitionsoffensive nichts zu spüren. Wahrscheinlich ist diese Initiative zwischen dem Besuch einer Hip-Hop-Disko und einem Tänzchen auf dem Jugendparteitag der SPD geboren worden und deswegen schlecht vorbereitet. ({12}) Einen erkennbaren Umsetzungswillen dieser Sprechblase Ihres Fraktionsvorsitzenden hat es in den Haushaltsberatungen nicht gegeben - und ein Konzept auch nicht. ({13}) Die Vorschläge der Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß waren klassische Scheckbuchpolitik. Sie haben in den Haushaltsberatungen Anträge mit einem Gesamtvolumen von 850 Millionen DM gestellt - netto, versteht sich, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Kein Wort wurde über die Deckung verloren. Ungedeckte Schecks, meine sehr verehrten Damen und Herren - so sieht sozialdemokratische Zukunftspolitik aus! ({1}) Der Empfänger mag sich zwar freuen, wenn er einen solchen Scheck erhält. Falls er ihn allerdings einlösen will, kommt das dicke Ende. Das hat mit Zukunftspolitik nichts zu tun, sondern ist verantwortungslos gegenüber den jungen Menschen, bei denen man Hoffnungen weckt, die zu erfüllen man finanziell nicht in der Lage ist. ({2}) Weder Herr Scharping gestern noch Herr Schanz heute hat den Schleier der Ungewißheit hinsichtlich der Antwort auf die Frage gelüftet, warum der Bund die verfassungsgarantierten Aufgaben der Länder im Hochschulbereich wohl gänzlich übernehmen soll. ({3}) Wenn die Situation in den Ländern tatsächlich so schlimm ist, wie von Herrn Schanz behauptet, dann ist das vor allen Dingen für die elf Ministerpräsidenten der sozialdemokratischen Länder eine beißende Selbstanklage der Hochschulpolitik der SPD. Denn ausschließlich die Länder sind für die Ausstattung der Hochschulen verantwortlich. ({4}) - Sehr verehrter Herr Kollege, der Bund braucht sich, was die Leistungen für den Hochschulbau als Komplementärleistungen angeht, überhaupt nicht zu verstecken. Da die Opposition durchsichtig argumentiert, habe ich die zugehörige Auflistung hier. In den vergangenen fünf Jahren wurden vom Bund im Hochschulbereich - eine Länderaufgabe -19,3 Milliarden DM aufgewendet: für Modellversuche, für Fernstudium, für Studentenförderungswerke, für Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen, für studentische Verbände, für die Hochschulrektorenkonferenz, für den Hochschulbau, für das Wohnraumprogramm für die neuen Bundesländer, für das Hochschulsonderprogramm I, für das Hochschulsonderprogramm II, für das Hochschulergänzungsprogramm, für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, für Sonderforschungsbereiche, für Projektförderung - und, und, und. Wir brauchen uns mit unseren Leistungen für die Hochschulen nicht zu verstecken! ({5}) Meine sehr verehrten Damen -und Herren, ein besonders erfolgreiches Kapitel unserer Bildungspolitik ist das Engagement für die Ausbildung junger Menschen. Für die SPD scheint mir dies nur ein Feld des publizistischen Klassenkampfes zu sein. ({6}) Die Realitäten sehen wie folgt aus: Die Ausbildungsbilanz ist ausgeglichen; der rechnerische Ausgleich ist erreicht. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten alles daransetzen, durch konzertierte Aktionen mit den Tarifpartnern auch einen regionalen Ausgleich zu erreichen. ({7}) Lassen Sie mich an dieser Stelle allerdings auch darauf hinweisen, daß in mehreren Sonderprogrammen der vergangenen Jahre der Bund und die Europäische Union mehrere Milliarden DM für die Schaffung zusätzlicher Lehrstellen in den neuen Bundesländern aufgewendet haben. Das war ein Kraftakt; es war ein wichtiger Beitrag für das Zusammenwachsen in unserer Heimat. Auch der Etat 1997 setzt deutliche Akzente bei der beruflichen Bildung: beispielsweise bei den überbetrieblichen Ausbildungsstätten, für die wir gemeinschaftlich mit dem Handwerk 120 Millionen DM investieren; beispielsweise beim Meister-BAföG, bei dem wir versuchen, die Gleichstellung der akademischen und der beruflichen Bildung fortzusetzen. Es ist ein Skandal, daß die Bundesländer so lange brauchen, bis sie die organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen für die Auszahlung des MeisterBAföGs geschaffen haben. ({8}) Der Bund ist hier vorangeschritten; die Länder ziehen nach. ({9}) Die Sozialdemokraten haben in diesem Bereich nur eine Überschrift. Sie lautet: „Ausbildungsabgabe". - Der Kollege Verheugen hat sich gestern hier geschämt, das Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. - Der, wie ich finde, entlarvendste Beitrag in dieser Diskussion wurde von der amtierenden JusoVorsitzenden Nahles gemacht: Wer nicht ausbilde, werde umgelegt. - Ich halte das für vorgebliche Zukunftspolitik in Wildwestmanier. Es ist zugleich ein erbärmlicher Beitrag zu einer menschenverachtenden Sprachkultur. ({10}) Vor allen Dingen dokumentiert es aber den unausrottbaren jung- und altsozialistischen Glauben, man müsse Ausbildungspolitik und Wirtschaftspolitik mit Zwang statt mit Anreizen betreiben. Wer heute nicht begriffen hat, daß die Anreize für Ausbildungs- und für Arbeitsplätze verbessert werden müssen und nicht durch mehr Bürokratie und mehr Abgaben verschlechtert werden dürfen, der wird vor den wirtschafts- und ausbildungspolitischen Herausforderungen der Zukunft versagen. ({11}) Sie sind nicht einmal bereit, Ihre eigenen Konzepte offensiv umzusetzen. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Politik hat die Ziele, Forschung zu fördern, Technologien zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen, „Bildung, Bildung, Bildung" - um ein Motiv von Minister Rüttgers aufzugreifen - zu gestalten, Wissenschaft zu Spitzenleistungen herauszufordern. ({13}) Der Etat des Bundesministers für 1997 dient diesen Zielsetzungen. ({14}) Deswegen werden wir ihn unterstützen. Herzlichen Dank. ({15})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Manuel Kiper, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei soviel Ignoranz der Haushaltspolitiker der Union ({0}) wundert es mich nicht, daß der Herr Bundesminister für Forschung und Bildung hier ständig mit seinen Etatvorstellungen einbricht. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das war keine Verpackungskunst mehr, sondern nur noch eine Schlammkanone, die hier ihre Wirkung gezeigt hat. Der Herr Bundesminister versucht ja wenigstens noch, das, was er in der Forschungs- und Bildungslandschaft angerichtet hat, ein bißchen zu verpakken. Ich möchte einmal aus der Koalitionsvereinbarung zitieren: Forschung, Technologie und Innovation entscheiden über unser Leben von morgen und unsere Fähigkeit, auf noch unbeantwortete Fragen der Menschenheit tragfähige Antworten zu geben. Sehr richtig! In den Forschungslabors und wissenschaftlichen Einrichtungen entstehen heute die Arbeitsplätze der Zukunft. Sehr richtig! Wir werden durch ein überproportionales - ich betone: überproportionales Wachstum des Bundeshaushalts für Forschung und Technologie Spielräume für neue Initiativen, insbesondere in den Spitzentechnologien, eröffnen. Zwei Jahre ist das her, Herr Minister. Sie haben überproportionale Zuwächse im Forschungs- und Bildungshaushalt versprochen, und was ist dabei herausgekommen? Ein überproportionales Streichen bei den Zukunftsinvestitionen in Forschung und Bildung. ({2}) Herr Rüttgers, diese Art von neuer Mathematik ist nicht zukunftsfähig, auch wenn Sie hier von intelligentem Sparen reden. Richtig ist: Intelligentes und solidarisches Sparen ist bei den öffentlichen Haushalten nötig. Dies wird von unserer Fraktion auch unterstrichen. ({3}) Unsere Fraktion ist deshalb auch nicht der Auffassung, daß Einsparbemühungen am Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung vorübergehen dürfen. Aber wir haben eine eindeutige Haushaltslinie. Wir sagen: Ein überproportionales Schrumpfen des BMBF-Haushalts ist Gift für die Zukunftssicherung. ({4}) - Ich danke für den Applaus. Herr Kollege Tauss, Sie fahren ja eine andere Haushaltslinie. Sie wollen ja immer noch oben draufpacken. ({5}) Ich halte das für unrealistisch. - Angesichts der Aufgaben und der Bedeutung von Bildung und Forschung müßte eigentlich - das ist das, was auch die SPD-Fraktion will - eine Verschiebung von unproduktiven Ausgaben im Haushalt hin zu den Zukunftsinvestitionen stattfinden. Dies wird angesichts der immensen finanziellen Altlasten, die diese Regierung aufgetürmt hat, allerdings immer schwieriger. Im Haushaltsentwurf haben Sie bereits eine Kürzung um 700 Millionen DM hingenommen. Wir haben vom Kollegen Schanz bereits gehört, daß eine weitere Kürzung um 167 Millionen DM von den Haushältern beschlossen worden ist. Die globale Minderausgabe beläuft sich nun auf 367 Millionen DM. Das heißt, das Volumen des BMBF-Haushalts wird um mehr als 5 Prozent abnehmen. Mit diesen globalen Kürzungen wird in die Substanz der Forschungslandschaft in diesem Lande eingegriffen. In vielen Bereichen finden Projektförderungen keine Fortsetzung mehr. Ich erinnere hier auch an die MaxPlanck-Gesellschaft, die nun zwei oder sogar vier - von der Evaluation her muß man da vielleicht ein wenig unterscheiden - zum Teil hochwertige Institute schließen will bzw. muß. Herr Rüttgers, Sie können stolz auf sich sein. ({6}) Sie hinterlassen Spuren in der deutschen Forschungslandschaft. ({7}) Leider sind das keine Spuren vom Aufbau, sondern Schleifspuren, Herr Minister. Herr Minister, wir wären froh, wenn Sie sich zu einem intelligenten Sparen nicht nur bekennen würden, sondern auch die entsprechenden Vorgaben machen würden. Ich möchte hier an Transrapid, Raumstation Alpha, ({8}) den FRM II sowie die Fusionsforschung/Wendelstein erinnern. Hier gibt es in der Tat Einsparmöglichkeiten. Ich möchte auf diese strittigen Projekte nicht vertiefend eingehen. Sie setzen auf diese Projekte. Die Fronten hier im Hause sind klar. Ich möchte mich daher mehr auf Ihre Konzepte konzentrieren. Zur Neuausrichtung der Forschung und Technologie in diesem Lande hat die Stoffenquete des Deutschen Bundestages einvernehmlich weitreichende Vorschläge gemacht. Diesen Vorschlägen folgen Sie nicht, Herr Minister. „Welt im Wandel. Herausforderung für die deutsche Wissenschaft" - hierzu hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" im Jahresgutachten 1996 weitreichende Vorschläge erarbeitet. Diesen Vorschlägen, Herr Minister, folgen Sie auch nicht. Sie haben vor einer Woche mit den Spitzenvertretern von Wirtschafts- und Wissenschaftsorganisationen eine Gemeinsame Erklärung zum Thema Leitprojekte für Forschung und Entwicklung abgegeben. Die Bundesregierung richtet ihre FuT-Politik damit immer mehr auf Projekte aus, die zu wirtschaftlich schnell verwertbaren Ergebnissen führen sollen. Für eine nachhaltige Entwicklung - ein angeblich auch von der Bundesregierung vertretenes Ziel - sind jedoch nicht nur industriell zügig verwertbare Resultate notwendig, vielmehr müssen auch langfristig Grundlagen für eine ökologisch und sozial tragfähige Technik geschaffen werden. ({9}) Es ist bemerkenswert, daß die bundesdeutsche Industrie ihre Forschungskapazitäten in Deutschland in den letzten Jahren abgebaut und ihre Ausgaben von 2 Prozent auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abgesenkt hat. Jetzt will die Industrie die Ressourcen der Großforschungseinrichtungen für angewandte Fragestellungen nutzen. Die Empfehlung der Weule-Kommission lautet, die industrienahe Forschung bei den Großforschungseinrichtungen von 30 Prozent auf 75 Prozent zu erhöhen. Es kann doch nicht Aufgabe des Staates sein, der Industrie FuE-Ergebnisse frei Haus zu liefern, für deren Erlangung die Industrie nicht willens ist, eigene Mittel zu investieren. Ziel kann doch nicht sein, kurzatmige Aufholjagden gegenüber technologischen Vorsprüngen anderer Länder zu veranstalten. Herr Minister, Ihr einseitig „industriekonsensorientierter Planungsprozeß" muß durch einen sozialökologischen und partizipativen Planungsprozeß abgelöst werden. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt eine Bemerkung zu Ihrem zweiten großen Wurf - wie Sie es selber nennen -, der Neuordnung der Forschungslandschaft, machen. ({10}) - Wir wollen das einmal auf den Prüfstand stellen. Mit Wettbewerb soll eine effizientere Nutzung der Ressourcen erreicht werden. Herr Rüttgers, ich möchte gerne konzedieren, daß Sie mit dem BioRegio-Wettbewerb eine breite regionale Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik angestoßen haben. Damit wurden in der Tat Kommunikationsdefizite in einem Sektor unserer Gesellschaft überwunden. Die Auszeichung von lediglich drei Regionen wird allerdings dem tatsächlichen Umfang von Biotechnologie-Centers of Excellence und der Vielfalt der unterschiedlichen Schwerpunkte dieser regionalen Verbünde nicht gerecht. Ich erinnere hier auch an die Sonderbelobigung für Jena. Die gentechnische Brille von Ihnen und der Jury verstärkt gewollt die biomanipulative Kurzsichtigkeit auf die Biotechnologie. Es bleibt zu hoffen, daß viele der Regionen ihre Kooperation fortführen und dabei eine naturverträgliche Biotechnologie weiterentwickeln. Wettbewerb um Forschungsmittel ist keine Erfindung von Ihnen, Herr Minister. Selbstverständlich mußten sich Forschungsvorhaben schon bislang im Wettbewerb um Drittmittel durchsetzen. Der Wettbewerb, den Sie jetzt propagieren, läßt nunmehr allerdings die Spitzen der Industrie darüber entscheiden, welche Forschungen es wert sind, öffentlich gefördert zu werden. Was bislang verschämt und verschleiernd über die Gutachterausschüsse in Ihrem Ministerium den Großunternehmen an Forschungsmitteln zugeschanzt wurde, soll jetzt ganz offensichtlich ungeniert abkassiert werden dürfen. Herr Minister, Ihre sogenannte „Organisatorische Modernisierung des Gesamtsystems der Forschung in Deutschland" heißt: Ausrichtung der Forschung auf die Wünsche der Industrie. Das ist eine kurzsichtige Morgengabe an die Wirtschaft. Eine solche Politik schwächt die Gemeinwohl- und Zukunftsorientierung von Forschung. Diese Politik programmiert die langfristige Qualitätsminderung der Grundlagenforschung. Ihre Politik, Herr Minister, lebt auf Kosten der Zukunft. Lassen Sie mich abschließend auf Ihr drittes geplantes Reformprojekt eingehen, die Hochschulreform. In der Tat wäre eine Hochschulreform dringend nötig. Schon jetzt liegt die Bundesrepublik bei den Ausgaben pro Studierenden auf Platz 14 der Rangliste der OECD. Bei den Bildungsausgaben, bezogen auf die gesamten Staatsausgaben, stellt die Bundesrepublik sogar das Schlußlicht dar. In der Fußballbundesliga verabschiedet man sich dann vom Trainer, Herr Minister. Sie haben wiederum eine fünfprozentige Absenkung des Bildungshaushalts hingenommen. Das HSP III ist geringer dotiert als seine Vorgänger, das Wissenschaftlerintegrationsprogramm läuft aus, die positiv evaluierten hochqualifizierten Forscher in den neuen Bundesländern werden abserviert. Vor zwei Monaten hat die deutsche Wirtschaft ihre Leitsätze für eine Reform des staatlichen Hochschulwesens verabschiedet. Danach soll Bildung reine Dienstleistung werden. Bildung als Grundlage unserer Kultur und Medium der Aufklärung ist aber mehr als wirtschaftliche Dienstleistung und muß auch mehr bleiben. Ziel der Hochschulpolitik muß es sein, die erkenntnisorientierte und durchaus auch angewandte Grundlagenforschung an den Hochschulen zu stärken, die Dienstleistungsfunktion von Hochschulverwaltungen auszubauen und die Qualität und Effizienz von Forschung und Lehre durch systematische Evaluation zu verbessern. Der wirtschaftlichen Wettbewerbsorientierung der Hochschulen setzen wir die Orientierung am Gemeinwohl und am regionalen Innovationsverbund entgegen. Ich komme zum Schlußsatz. ({11}) Herr Rüttgers, als Verpackungspolitiker und Modernisierer, der Sie sein wollen, machen Sie zwar formal eine ganz gute Performance und machen gar nicht einen so schlechten Eindruck. ({12}) Aber Sie sollten statt auf Wegwerfprodukte auf langfristig nutzbare Bildung und Forschung setzen, Herr Minister. Sonst wird Ihre Forschungs- und Bildungspolitik für den Standort Deutschland kontraproduktiv. Ich danke Ihnen. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, F.D.P.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind uns alle hier im Hause einig: Forschung, Bildung und Ausbildung sind unverzichtbare Fundamente für unsere Zukunft. Sie sichern und schaffen neue Arbeitsplätze. Hier müßten nun also für jedermann erkennbare Taten folgen. Deshalb hätten die Mittel für den Bereich des Forschungsministers - jedenfalls nach Auffassung der F.D.P. - überproportional gesteigert werden müssen. ({0}) Ich brauche allerdings keine Reden der Opposition, um zu erkennen, daß dies, in Zahlen gemessen, nicht erfolgt ist. Ein Minus von 3,7 Prozent bedeutet, es wurde überproportional gekürzt, und nichts anderes. Da gibt es kein Drumherumreden. Wir von der F.D.P. werden das auch nicht mitmachen. Wenn ich jetzt die Zurufe der Sozialdemokraten höre, dann muß ich allerdings erkennen, daß von Ihrer Seite außer Klagen an Angeboten nichts gekommen ist, wie wir denn hier weiter investieren können. ({1}) Sie können nicht davon ablenken, daß wir durch Ihre Blockadepolitik im Bundesrat, wo Sie die Eingriffe bei Leistungsgesetzen verhindern, im Haushalt des Forschungsministers das eine oder das andere kürzen mußten. Das müssen Sie ebenfalls zur Kenntnis nehmen. ({2}) Denn es ist ja so: Die Inanspruchnahme von Leistungsgesetzen ist einklagbar, die Förderung von Forschung und Bildung ist es leider nicht. ({3}) So gesehen hat der Bundesforschungsminister seinen Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte leisten müssen. Aber - das muß deutlich gesagt werden - staatliche Finanzmittel sind in diesem Bereich nicht alles. Es kommt für die kommenden Jahre entscheidend darauf an, das Potential, welches zum Beispiel die Forschung in Deutschland darstellt, besser zu nutzen und seine Bedeutung für die Entwicklung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu erhöhen. Es muß auch der Versuch unternommen werden, eine bessere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu erreichen. Es muß uns gelingen, auf der einen Seite die staatlichen Haushalte zu konsolidieren und auf der anderen Seite die Bereitschaft und den Mut bei anderen in der Gesellschaft zu erzeugen, mit Investitionen in die Forschung zu gehen. Was den Haushalt des Bundesforschungsministers, den Einzelplan 30, angeht, so kann schon jetzt gesagt werden, daß nicht alle Ansätze so sind, wie die F.D.P. es sich gewünscht und vorgestellt hat. Da gibt es kein Vertun. Ich muß hier - auch für diejenigen, die für uns im Fachausschuß sitzen: Kollege Guttmacher und Professor Laermann - ausdrücklich sagen, daß wir mit dem Haushalt so natürlich nicht zufrieden sind. Deutschland verfügt über ein hervorragendes, vielfältiges Forschungssystem, welches sich in seiner historisch gewachsenen Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Wirtschaft bewährt hat. Es kommt darauf an, zu erreichen, daß trotz geringer zur Verfügung stehender Mittel nun alle Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz der Forschung in Deutschland genutzt werden. ({4}) Daher ist es Aufgabe der Politik, Prioritäten zu nennen. Das ist allerdings mit dem Haushalt auch geschehen. Trotz der Debatte zum Bundeshaushalt darf man hier nicht übersehen, daß für Forschung und Bildung in unserem Land nicht allein der Bund, sondern ebenso die Länder verantwortlich sind. Die Auseinandersetzungen in Hessen und Niedersachsen zeigen jedem, in welche enormen Schwierigkeiten die Länder in Bereichen geraten, wo der Bund seine Förderung aufgestockt hat. In Brandenburg stecken zum Beispiel Blaue-Liste-Einrichtungen in der Krise, weil die als notwendig erachtete Finanzausstattung angesichts der Finanznot des Landes erheblich gekürzt Jürgen Koppeln werden soll. Während der Bund mehr als die Hälfte der Kosten des Hochschulsonderprogramms III schultert, werden auf Länderseite Mittel gedeckelt und Stellen gestrichen. ({5}) Das ist allerdings auch Realität. Mit dem Hochschulsonderprogramm III führt der Bund mit insgesamt 3,6 Milliarden DM die hochschulpolitischen Schwerpunktsetzungen fort, die seinerzeit Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann erfolgreich im Kabinett erkämpft hatte. Das ist zu begrüßen. ({6}) - Daran muß man sich ja einmal erinnern dürfen. ({7}) Doch gilt: Wahrscheinlich nur mit Ausnahme von Bayern werden die Bundesländer bei diesem Programm ihre liebe Not haben, der vereinbarten Mitfinanzierung ausreichend nachzukommen. ({8}) Ich kann mir denken, wie heute die Landesfinanzminister vor den Fernsehern sitzen und sich diese Debatte anschauen; denn der Kollege Schanz hat ja Anträge der Sozialdemokraten angekündigt, zum Beispiel die Hochschulbauförderung um 200 Millionen DM aufzustocken. Ich weiß gar nicht, wie die Landesfinanzminister dann ihren Anteil erbringen sollen. Das haben uns die Vertreter der SPD bisher noch nicht verraten. ({9}) Ich sage Ihnen: Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Brandenburg, Hessen und natürlich - wie immer - das Saarland stünden ganz schön dumm da. Beim Pokern nennt man so etwas bluffen, was Sie hier als SPD machen. Nichts anderes ist das. ({10}) Wenn ich mir dann Ihren Antrag auf Drucksache 13/6220 - Kollege Schanz hat es ja vorgetragen - vornehme, stelle ich fest - das ist typisch für die letzten Beratungen im Haushaltsausschuß von seiten der SPD gewesen -, daß Sie einmal 50 Millionen DM mehr, 20 Millionen DM mehr und dann 200 Millionen DM mehr fordern; dem stehen allerdings nur Kürzungen von 85 Millionen DM gegenüber. Sie wollen 270 Millionen DM mehr ausgeben, aber nur 85 Millionen DM kürzen. ({11}) Das ist typische sozialdemokratische Haushaltspolitik, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben. Das ist unsolide. ({12}) Daß die Wirklichkeit in den Ländern gerade im Bereich Bildung und Forschung erschreckend aussieht, macht vielleicht ein Zitat aus einer Kieler Zeitung vom 23. November 1996 - also vor wenigen Tagen - deutlich. Dort heißt es in der Überschrift „Professoren bangen um Strom und Wasser". Ich zitiere, Frau Präsidentin: Kurz vor den abschließenden Beratungen der SPD-Landtagsfraktion - in Schleswig-Holstein über den Hochschulhaushalt haben die Rektoren der Universitäten und Fachhochschulen im Land noch einmal warnend ihre Stimme erhoben. ({13}) Von Flensburg bis Lübeck bangen die Universitäten und Fachhochschulen um den Bestand einzelner Fachbereiche, sollte die Landesregierung ihre Sparvorhaben in die Tat umsetzen. An der Kieler Christian-Albrechts-Universität macht man sich auf das Schlimmste gefaßt. „Es geht um so primitive Dinge wie die Wasser- und Stromversorgung der einzelnen Institute", verdeutlichte Rektor Professor Ruprecht Haensel auf einer Pressekonferenz die Brisanz der Lage. Der neueste Kürzungsbetrag für die Kieler Universität beläuft sich auf 10,8 Millionen Mark im Personalhaushalt und 2,5 Millionen im Sachetat - zusammen also ein Minus von 13,3 Millionen. Diese Summe, so Professor Haensel, wäre noch nicht einmal durch eine totale Wiederbesetzungssperre zu erreichen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich möchte gerne in einem fortfahren: 1997 könnten keine Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs mehr besetzt werden - einem ganzen Jahrgang würde die Chance zur wissenschaftlichen Qualifizierung genommen. Wenn die Kollegin jetzt fragen möchte, wäre ich natürlich bereit. ({0}) - Ich darf ja wohl mein Zitat zu Ende bringen.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koppelin, als Haushälter sind Sie mit Zahlen vertraut und können mir sicher auch die genaue Zahl nennen, wie hoch denn der Bund bei den Ländern für Vorfinanzierungen bei Hochschulbauten derzeit in der Kreide steht. Ich wüßte es gerne.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Ihre Frage finde ich nicht unberechtigt. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß man nicht immer nur auf den Bund schielen kann, sondern daß auch die Länder Verantwortung tragen. ({0}) Mir gefällt nicht, daß hier nur mit einem Finger immer auf den Bund gezeigt wird. Von den Sozialdemokraten werden zwei Finger in ihre eigene Richtung zeigen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Kollegin Odendahl würde gerne nachfragen. Es gibt sogar drei Nachfragen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich würde gerne fortfahren. Ich habe gestern schon so viele Zwischenfragen in anderen Bereichen beantwortet. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es ist sein gutes Recht, daß er Zwischenfragen verweigern kann. Deswegen muß der Kollege Koppeln jetzt die Möglichkeit haben, fortzufahren.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Verständnis; ich muß sehen, daß ich das vortragen kann, was wir als Freie Demokraten wollen. ({0}) So sieht die Realität in den SPD-regierten Ländern aus. Auch wenn Sie sich aufregen: Das ist die Realität. Ich habe eingangs auf die schwierige finanzielle Situation im Einzelplan 30 hingewiesen. Die Haushaltspolitiker, aber auch die Forschungs- und Bildungspolitiker der Koalition - und ich denke, auch die der Opposition - legen Wert darauf, daß wir in dieser besonders schwierigen Situation über die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe ausreichend informiert werden. Die Einsparung der globalen Minderausgabe kann nicht am Haushaltsausschuß und am zuständigen Fachausschuß vorbei durchgeführt werden. Ich sage ausdrücklich für unsere Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern: Wir sollten alle zusammen darauf achten, daß es vor allem zu keinen Streichungen in den neuen Bundesländern kommt. ({1}) Ich möchte den Forschungsminister auch ermutigen, dem Parlament und der Öffentlichkeit laufend darzulegen, welche wichtigen Zukunftsmaßnahmen auf Grund der Blockade der SPD im Bundesrat im kommenden Jahr ausbleiben müssen. Dadurch wird uns bewußt, wie ernst die Lage ist und wer in diesem Bereich die Verantwortung trägt. Für die F.D.P. steht am Ende der Haushaltsberatung fest: Ungeachtet der unbefriedigenden finanziellen Ausstattung der Forschungs- und Bildungspolitik ist es gelungen, mit dem Meister-BAföG das vermutlich einzig neue Leistungsgesetz dieser Legislaturperiode ein- und auf hohem Niveau fortzuführen. Dieses Gesetz liefert den entscheidenden Baustein auf dem Wege zur Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung. ({2}) Ich kann nicht verstehen, daß die Bearbeitung der Anträge in den Ländern so schleppend vor sich geht. ({3}) Ein Wort zur Ausbildungsplatzabgabe, die von den Sozialdemokraten gefordert wurde. Mit der jüngst von der SPD beschlossenen Ausbildungsplatzabgabe hat die SPD einen Offenbarungseid geleistet. Ihr Vorrat an Maßnahmen besteht heute fast nur noch aus Werkzeugen der gescheiterten Planwirtschaft. Anders kann man dies nicht beurteilen. ({4}) - Bevor Sie schreien, sollten Sie lieber das nachlesen, was Ministerpräsident Gerhard Schröder zu Ihrer Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe gesagt hat. Er hat sie nämlich in Bausch und Bogen abgelehnt. Aber auf Herrn Schröder mögen Sie sich ja kaum noch berufen; er erscheint auch kaum noch hier, was wir früher anders erlebt haben. Bei der Neuordnung der Forschungslandschaft unter dem Einfluß von weltweiten Märkten begrüßt die F.D.P. die konsequente Einführung von Wettbewerbselementen. Mit dem BioRegio-Wettbewerb wurde dies erstmals öffentlich dokumentiert. Jede Mark, die in diesen Bereich fließt, erbringt ein Vielfaches. Als norddeutscher Abgeordneter, Herr Minister, bedaure ich allerdings, daß kein norddeutsches oder ostdeutsches Projekt zum Zuge gekommen ist. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn auch Jury-Mitglieder aus diesen Regionen an der Bewertung teilgenommen hätten. Ein Mitglied aus Halle allein reicht anscheinend nicht, um Projekte auch in den Norden oder in den Osten zu holen. Andere Bereiche müssen ebenfalls lernen - Kollege Kampeter hat vorhin schon darauf aufmerksam gemacht -, sich nach der Decke zu strecken; zum Beispiel die Raumfahrt, die früher bei der Politik nur anklopfen und sagen mußte: Wir brauchen soundso viel Geld, um den entferntesten Stern sehen zu können. Sie muß heute ebenfalls demonstrieren, daß sie mit wenig Mitteln auskommt. In die Gesamtbetrachtung des Einzelplanes muß man einbeziehen, was im Rahmen des Jahressteuergesetzes an steuerlichen Erleichterungen im Bereich der Auftragsforschung und der Drittmittelbesteuerung erreicht werden konnte. Man muß auch das mit einbeziehen, was die unmittelbar bevorstehende Reform der deutschen Hochschullandschaft zusätzlich an Freiraum und Unterstützung für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland freisetzen wird. Zum Abschluß darf ich sagen: Vor diesem Hintergrund hält es die F.D.P.-Fraktion für gerade noch zumutbar, dem Einzelplan 30 in der vorliegenden Fassung zuzustimmen. ({5}) - Hören Sie doch erst einmal in Ruhe zu. Sie können manchmal nichts anderes als krakeelen. Ich finde das eigentlich bedauerlich, wenn man versucht, einen Konsens zu finden. Ich erkläre hier aber auch, daß wir mit dieser Etatberatung an einem Wendepunkt angekommen sind. Schon heute zeigt sich, daß dieser Haushalt die Schmerzgrenze überschritten hat. Der Haushalt des Bundesministers für Forschung und Bildung ist kein Haushalt, der zum Jubeln Anlaß gibt. ({6}) Vielen Dank für Ihre Geduld. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Ludwig Elm das Wort.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesminister Rüttgers hat in der ersten Lesung seines Haushalts am 12. September die rhetorische Frage gestellt, was an der Haushaltsdebatte eigentlich spannend, interessant und für die Zukunft wichtig war. Für ihn sind es die von ihm und anderen ausgemachten sogenannten Megatrends Globalisierung und Wissensgesellschaft. In der erwähnten Rede hat er daraus für 1997 die Schlußfolgerung gezogen, drei große Reformvorhaben - Hochschule, Forschungslandschaft, Leitprojekte - mit Energie durchzuführen. Inzwischen hat den Minister ein anderer höchst aktueller Megatrend dieser Bundesregierung erwischt, nämlich ein neues Loch in den Haushaltsplanungen des Finanzministers und sein Stopfen auch mit Hilfe weiterer beträchtlicher Einschränkungen im Haushalt für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Anstatt, wie in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, mit einem überproportionalen Wachstum muß der Minister seine großen Reformvorhaben mit einer weit überproportionalen Schrumpfung seines Haushaltes bewerkstelligen. Deshalb gilt offensichtlich als oberster Grundsatz, daß das Reformierte billiger zu sein hat als das Bisherige. Immerhin sollen 1997 Hochschulreformen, die Umgestaltung der Forschungslandschaft und technologische Leitprojekte mit einem im Vergleich zu 1996 um mehr als 1 Milliarde DM geschrumpften Haushalt bewerkstelligt werden. Wenn unserem Antrag auf Streichung der globalen Minderausgabe von 200 Millionen DM und der zusätzlichen Minderausgabe von noch einmal 166 Millionen DM nicht zugestimmt werden sollte, dann liegt der Haushaltsansatz 1997 6,7 Prozent unter dem Ansatz von 1996. Geplünderte Kassen begünstigen offenbar einen hochgradigen Strukturfetischismus. Hinter strukturellen Veränderungen drohen Sinn und Zweck staatlicher Bildungs-, Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik zu verschwinden, insbesondere ihr ökologischer, sozialer und beschäftigungspolitischer Sinn. Besichtigen kann man die recht gemischten und insgesamt unbefriedigenden Ergebnisse des strukturellen Fetischismus besonders gut in Ostdeutschland. Die alten DDR-Strukturen in Bildung, Wissenschaft und Forschung wurden beseitigt, und es wurden - zumindest auf den ersten Blick - überall die bisher für Westdeutschland typischen Strukturen eingeführt. Es wurden viele und zumeist vermeidbare Fehler beim Versuch der vorschnellen strukturellen Gleichmacherei gemacht. Diese Fehler haben Geld gekostet. Sie kosten teilweise weiter Geld und haben deshalb sehr direkt mit der Haushaltsdebatte zu tun. Ein solcher Fehler war, die Zusammenhänge der zuvor in Ostdeutschland gewachsenen Bildungs- und Forschungslandschaft nicht genügend zu berücksichtigen, beispielsweise die Zusammenhänge zwischen Hochschulforschung, außeruniversitärer Forschung und Industrieforschung; zwischen Hochschulen und Fachschulen; zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung. Während der Zusammenhang zwischen Forschung in den Hochschulen und in den Akademieeinrichtungen nur falsch eingeschätzt wurde, woran unter anderem auch das Wissenschaftler-Integrationsprogramm scheitern mußte, wurde der Zusammenhang zwischen der Forschung in Akademien, Hochschulen und der Industrie völlig ignoriert. Da in der Bundesrepublik für die Industrieforschung in erster Linie die Wirtschaft und nicht der Staat zuständig ist, wurde der Erhalt der ostdeutschen Industrieforschung über längere Zeit überhaupt nicht als staatliche Aufgabe gesehen. Auf diese Weise wurde wiederum der wirtschaftlichen Entwicklung - sicherlich unbeabsichtigt, aber mit längerfristigen Wirkungen - Schaden zugefügt. Das bedenkenlose Auseinanderreißen von staatlichen und wirtschaftlichen Zusammenhängen allein nach westdeutschem Vorbild insbesondere durch die eigens dafür eingerichtete Treuhandanstalt führte dazu, daß die Industrieforschung zunächst zum Niemandsland wurde. Noch heute, im siebten Jahr der Einigung, ist es aber so, daß in Ostdeutschland nicht viel mehr Industrieforschung existiert, als staatlich gefördert wird. 80 Prozent der Unternehmen, die Industrieforschung betreiben, sind von staatlicher Förderung abhängig. Das heißt, die Staatlichkeit der Industrieforschung der DDR als Ausgangssituation zu ignorieren hat letztlich nicht zu ihrer beschleunigten Privatisierung, sondern zu einer erneuten modifizierten Verstaatlichung geführt. Wie dieses Beispiel zeigt, ist das manische Bestreben, Ostdeutschland vor allem strukturell gleichzumachen, sehr teuer gewesen und hat zu neuen Ungleichheiten geführt. So ist die Industrieforschung in Ostdeutschland mit Forschungs-GmbHs als strukturbestimmendem Element, mit der erwähnten hohen staatlichen Förderquote von etwa 80 Prozent und mit einer Konzentration auf kleine und mittlere Unternehmen kaum mit der westdeutschen Industrieforschung vergleichbar - letzten Endes deshalb, weil natürlich eine Industrieforschungsstruktur ohne eine entsprechende tragende Wirtschaftsstruktur kaum aufzubauen, geschweige denn auf Dauer wirksam zu erhalten ist. Wenn Bundesminister Rüttgers in der Sitzung des Haushaltsausschusses am 10. Oktober dieses Jahres im Osten lediglich einen Nachholbedarf bei Institutsgründungen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und andere konstatierte, ansonsten aber feststellte, daß in der Forschungslandschaft Ost ein Stand erreicht sei, der dem westlichen völlig entspreche, so ist das auch unter solchen Gesichtspunkten unzutreffend. Solche Fehleinschätzungen wirken im siebten Jahr der Vereinigung fort. Beispielsweise zeichnet sich ab, daß zum Jahresende 1996 vermutlich etwa 6 000 weitere Forscher in Ostdeutschland im Zusammenhang mit dem Auslaufen des WIP und weiterer Förderprogramme verschiedener Ministerien ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir unterstützen unverändert alle Forderungen und Bemühungen von allen Seiten um dauerhafte Lösungen für diese vielfach mehrfach evaluierten Wissenschaftler durch Bund und Länder und um ihre künftige Kreativität zugunsten der Innovationsprozesse in unserer Gesellschaft. Was die Reduzierung der Industrieforschungsdichte Ost auf etwa ein Siebentel der Forschungsdichte West oder was ein Anteil Ostdeutschlands am gesamtdeutschen Export forschungsintensiver Güter von gegenwärtig 2 Prozent mittel- und langfristig für Ostdeutschland bedeutet, ist unschwer zu ermessen. Bevor der Minister die Neustrukturierung der Forschungslandschaft als Reformprojekt im Munde führt, wäre ihm eine äußerst nüchterne Bestandsaufnahme zu empfehlen. Als einen Haupttrend bezeichnet er die „Wissensgesellschaft". Aber wie weit ist Ostdeutschland mit der drastischen Reduzierung der Zahl seiner Wissenschaftler und solcher Kennziffern wie Promotionen und Patenten auf diesem Weg vorangekommen? Die ostdeutschen Erfahrungen mahnen auch zur Vorsicht, wenn es um Reformen an den Hochschulen geht. Zur Vorsicht mahnen vor allem die bisherigen Reformen der Studienförderung. Auch hier zeichnet sich ab, daß diese Reform vor allem als Strukturreform angelegt wird, daß also wieder der strukturelle Fetischismus zum Tragen kommt, den Wettbewerb in unverhältnismäßiger Weise als zentrale Frage zu apostrophieren. Der Einstieg in die von den Studenten so genannte Rüttgersche BANKföG-Reform setzt ein Signal für den weiteren Abbau von Chancengleichheit und Errungenschaften in der Gesellschaft, die jahrelang gültig waren. Die Neuregelungen, die jetzt wirksam werden, bewirken einen Abbau von Auslandsstudienaufenthalten und eine Beeinträchtigung der Gremienarbeit von Studierenden. Zusammenfassend stellen wir fest, daß vor der bloßen Fortsetzung der bisherigen Bildungs-, Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik mit solchen Konzepten, beispielsweise der strukturellen Lösung, zu warnen ist. Ihr ist Widerstand entgegenzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung vor allem Nachhaltigkeit in der Wissenschafts- und Forschungsstrategie, Nachhaltigkeit beim ökologischen Umbau der Gesellschaft, erwarten aber auch eine Verstärkung der Vorsorgeforschung, die Wiedergewinnung oder Verteidigung der Chancengleichheit als wichtige „Megatrends" für eine zukunftsfähige Bildungs- und Wissenschaftsentwicklung in diesem Land. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers. ({0}) - Er kommt von der Regierungsbank.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Diller, ich begrüße Sie besonders! Die Haushaltswoche ist immer eine wichtige parlamentarische Woche, und ihr wird immer mit großem Interesse entgegengesehen. Diesmal war es besonders spannend, denn Anfang der Woche ging ein großes Raunen durch den Bundestag, es werde etwas ganz Exorbitantes passieren. Die wirtschaftspolitische Debatte mußte extra verlängert werden. Auf meine Rückfrage, was denn nun passieren würde, wurde mir gesagt: Kollege Wolfgang Thierse hält eine Grundsatzrede nicht nur zur Ökonomie, sondern auch zu Forschung und Bildung - Wolfgang Thierse gleichsam als Nachfolger von Karl Schiller. Dieses Experiment ist wohl danebengegangen, lieber Kollege Thierse. ({0}) Wer noch nicht einmal weiß, wie das duale Bildungssystem funktioniert, wer noch nicht einmal weiß, wie sich eine Abgabe auf Ausbildungsplätze auswirkt, der sollte sich nicht hierhinstellen und über Zukunft reden. ({1}) Meine Damen und Herren, nun habe ich erwartet, daß die SPD nach ihrem Jugendparteitag vom vergangenen Montag in diese Haushaltsdebatte kommt und Ideen zur Gestaltung von Zukunft vortragen würde. ({2}) Ich muß gestehen, ich bin wieder enttäuscht: keine neuen Ideen, alte Rezepte, das übliche Oppositionsritual, leider ein wenig durch Pöbeleien des SPD- Vorsitzenden gegenüber dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion angereichert. Jetzt weiß ich übrigens auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum immer häufiger SPD-Abgeordnete zu mir kommen und sagen, sie vermißten die intellektuellen Auseinandersetzungen aus den Zeiten von Peter Glotz. ({3}) Wir werden uns wahrscheinlich damit abfinden müssen, daß die SPD es nicht fertigbringt, zwischen der Realitätsverweigerung auf der einen Seite und der Modernitätsangst auf der anderen Seite zu einem klaren Kurs zu finden. Auch derjenige, der die Wortbeiträge aus dieser Debatte auf sich wirken läßt, muß sich fragen, was der zuständige Bundesminister eigentlich tun soll. Der Kollege Schanz von der SPD sagt ja zur Raumstation, die Grünen sagen natürlich nein und wollen sofort aussteigen. Bei den Leitprojekten sagt die SPD, es sei richtig, an Arbeitsplätze zu denken. Die Grünen sagen nein und behaupten, hier würden Forschungsleistungen industrialisiert. Der SPD-Berichterstatter Schanz erklärt, natürlich sei er für den Transrapid. Herr Kollege Kiper erklärt, wir müßten sofort aussteigen. Ich frage mich, was das denn eigentlich soll. ({4}) Nun haben wir uns inzwischen ja daran gewöhnt, daß SPD und Grüne so gut wie ein altes zänkisches Ehepaar zusammenpassen; der Unterschied ist nur, daß sie noch nicht verheiratet sind. ({5}) Wer einmal überprüft, was in dieser Debatte an Wahrheitsverdrehungen, ja Wahrheitsverfälschungen erfolgt ist, ({6}) der muß sich wirklich fragen, ob man das eigentlich durchgehen lassen kann. Da behauptet der SPD-Vorsitzende Lafontaine, er habe das Meister-BAföG durchgesetzt. Nun weiß jeder hier im Saal, daß die SPD-Länder das Meister-BAföG zunächst einmal blockiert haben und erst beigedreht haben, als ich einen zustimmungsfreien Entwurf vorgelegt hatte. ({7}) Die Dreistigkeit wird aber noch größer, wenn man sieht, was jetzt in den Verwaltungen der Länder passiert. Das ist einer der größten Skandale dieses Jahres. Von rund 38 000 Meister-BAföG-Anträgen wurden bisher erst rund 13 000 bewilligt. Wer dann weiß, daß jeder dieser Meister, der sich selbständig macht, vier bis fünf Arbeitsplätze schaffen wird, der muß sagen, SPD-Länder vernichten zukünftige Arbeitsplätze. Wer so etwas tut, hat kein Recht, sich hier zu beschweren. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Odendahl?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Aber natürlich.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Rüttgers, können Sie mir in bezug auf das Meister-BAföG bestätigen, daß Ihre Regierungskoalition die Meisterförderung zunächst einmal ganz aus dem AFG gestrichen hatte?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Kollegin, die AFG-Änderung ist eine fünf Jahre alte Geschichte. Ich rede über den Vorgang, ({0}) daß zum Beispiel in Brandenburg und Sachsen-Anhalt im Oktober noch nicht einmal die Behörde festgelegt war, die das Meister-BAföG bearbeiten sollte. Das hat doch mit AFG überhaupt nichts zu tun. ({1}) Genauso hat Lafontaine die Unwahrheit gesagt, ({2}) als er behauptet hat, die SPD habe die Verzinsung beim BAföG verhindert. Hat der Mann denn nicht zur Kenntnis genommen, daß auch die Opposition für 70 000 Studierende die Verzinsung eingeführt hat? Das geschah im übrigen zu Recht, weil sie zu lange studieren und den anderen auf der Tasche liegen. ({3}) Meine Damen und Herren, Anspruch und Wirklichkeit fallen bei der SPD nicht nur beim Thema Wahrheit auseinander, sondern auch beim Thema Modernität. Wir schaffen das moderne Deutschland eben nicht mit Besitzstandswahrung, Herr Kollege Schanz. Wenn irgendwo etwas geändert wird, sei es bei der MPG, sei es bei der DARA, dann wird sofort gesagt: Nicht mit uns, das machen wir nicht. Was soll das denn? Wie will man denn vor allen Dingen in Zeiten knapper Kassen etwas verändern, wenn die Opposition alles blockiert und verweigert? Wer dann fragt, wo die angeblich neuen Ideen auf diesem SPD-Jugendparteitag waren, der hört den Satz von Herrn Lafontaine: Wir halten „an der Idee der Gesamtschule unbeirrt fest" . Das ist SPD-Bildungspolitik 1996. Nun will ich gar nicht über das Thema Gesamtschule diskutieren, sondern über den unglaublichen Vorgang, daß Bürgerinnen und Bürger in Münster versuchen, ihre Schulen zu erhalten, und einen Bürgerentscheid durchsetzen und daß der SPD-Innenminister Kniola das mit obrigkeitsstaatlichen Mitteln zu verhindern versucht. ({4}) Das ist keine moderne Bildungspolitik, sondern das ist gegen die Bürgerinnen und Bürger gerichtet. Das gleiche spielt sich hier in Bonn ab. ({5}) Das gleiche bei den Lehrlingen: auch hier nur ein Griff in die Mottenkiste. Man muß sich einmal überlegen: Ein ganzer SPD-Parteitag beschäftigt sich fast ausschließlich mit der Frage, ob eine Abgabe eingeführt werden soll. Schon wieder soll eine Rechtsverordnung erlassen werden, schon wieder staatliche Reglementierungen. Mir soll einmal irgend jemand erklären, was es mit Gerechtigkeit zu tun hat, wenn der Metzgermeister, der keinen Lehrling findet, in Zukunft der Deutschen Bank die Lehrstellen finanziert. ({6}) Mir soll einmal jemand erklären, was es mit Gerechtigkeit zu tun hat, wenn ein privater Pflegedienst eine Ausbildungsabgabe bezahlen muß, weil die Länder das neue Berufsbild Heimpflege blockieren. Mir soll einmal einer erklären, was es jungen Menschen nützt, wenn ein Existenzgründer 20 000 DM an Abgabe für Lehrstellen bezahlen muß. Er wird seinen Betrieb schließen, in Konkurs gehen und nie mehr einen Lehrling ausbilden. ({7}) Meine Damen und Herren, es reicht eben nicht aus, sich ein neues Outfit zu geben. Techno auf der Bühne und Graffitis an der Wand machen eben noch keine neue Politik. Die Menschen wollen keinen Budenzauber. Was sie von der Politik erwarten, sind Zukunftsentwürfe, die ihre Lebensplanung erleichtern. ({8}) Ich will Ihnen einmal an Hand meines Terminkalenders sagen, was das konkret bedeutet. Frau Bulmahn wird im Anschluß wahrscheinlich wieder buchhalterisch nachweisen, daß es einige D-Mark weniger geben wird. Das ist wahr. Das ist zwar traurig, aber ich kann es nicht ändern. ({9}) - Entschuldigen Sie, ich werde hier mit Ihnen keine Rechnungen machen. Ihre Rechnungen sind genauso falsch. Außerdem hat es überhaupt keinen Zweck; das haben wir schon dreimal gemacht. Ich will versuchen, Ihnen einmal an Hand meines Terminkalenders deutlich zu machen, was es heißt, strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Fangen wir einmal an: 11. November: Vorstellung des Entwurfs eines Multimediagesetzes. Damit bekommen wir die richtigen Rahmenbedingungen für die Informationsgesellschaft. Sie konnten noch gestern in den Nachrichten hören, daß 15 000 neue Arbeitsplätze allein bei der Veba im Bereich der Informationstechnologie entstehen. So schafft man neue Arbeitsplätze. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Nein, ich möchte zuerst einmal meinen Terminkalender vorstellen. Außerdem brüllt er mir zu viel. ({0}) 14. November: Die Großforschungszentren stimmen den Leitlinien zur Neuorientierung der deutschen Forschungslandschaft zu, was im Klartext bedeutet: mehr Wettbewerb, mehr Leistung und mehr Innovationen in unseren Forschungszentren. Wir wollen einmal sehen, ob die SPD-geführten Länder zustimmen, wenn dies umgesetzt werden muß. ({1}) 18. November: Wirtschaft, Wissenschaft und Politik verständigen sich auf eine neue Form der Forschungsförderung, Stichwort „Leitprojekte". Es geht um die Umsteuerung von der Technologieförderung hin zu einer integrierten Innovationspolitik. 19. November: Hochschulpolitisches Forum im Palais Schaumburg. ({2}) Über Verbands-, über Partei-, über Gewerkschaftsund Universitätsgrenzen hinweg gibt es erste Kriterien für ein neues Hochschulrahmengesetz. 20. November: BioRegio-Wettbewerb - drei Preisträger, 14 weitere Gewinner. Mir soll einmal einer sagen, in diesem Land würde nichts passieren. ({3}) Alle diese Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie verändern Strukturen, sind hocheffektiv, kosten nicht mehr Geld und sind deshalb extrem effizient. ({4}) Deshalb ist es wichtig, sich auch um diese Fragen zu kümmern. Dies ist etwas, was in den SPD-geführten Ländern nicht gemacht wird, was nicht in Ihre Köpfe geht. Es geht eben nicht darum, irgend jemandem Geld in die Hand zu drücken. Ich wiederhole hier die Meldung von heute morgen, die auf meinen und auf den Einsatz der Bundesregierung zurückzuführen ist ({5}) - darüber freue ich mich - und wiederum zeigt, daß wir auch im Bereich der Gentechnik und der Biotechnologie den Kampf für mehr Akzeptanz gewinnen werden: Gestern hat im EU-Vermittlungsausschuß eine Einigung stattgefunden. Wir werden die umfassende und praktikable Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel bekommen. Die Sojabohnen werden in Zukunft gekennzeichnet, auch die Antimatschtomaten. Wir haben es innerhalb Europas durchgesetzt, und das ist wichtig. ({6}) - Es ist unter anderem auch mein Verdienst, weil wir uns konsequent gegen alle Widerstände dafür eingesetzt haben. Nur wenn Akzeptanz für Technologien vorhanden ist, gibt es einen Markt und damit neue Arbeitsplätze. ({7}) Meine Damen und Herren, dies alles erreicht man nicht mit Realitätsverweigerung und Modernisierungsangst. Da helfen auch die pseudoökonomischen Ausführungen von Herrn Lafontaine am gestrigen Tage nicht. Die Globalisierung zu ignorieren und zu bekämpfen ist kein Zukunftsrezept. ({8}) Auf Parteitagen die Internationale zu singen und im Anschluß daran die Globalisierung zu bekämpfen, das schafft sowieso nur Herr Lafontaine. ({9}) Gestern hat Herr Lafontaine an diesem Podium gesagt, die Arbeitenden müßten weniger arbeiten, damit die Arbeitslosen Arbeit bekommen. Dies ist und bleibt ökonomischer Unsinn, egal, wie oft es wiederholt wird. ({10}) Wenn wir uns auf den Weltmärkten behaupten wollen, dann müssen wir mehr arbeiten und mehr leisten. Wir müssen besser sein als andere. Wir müssen mehr aus unserem Wissen machen, schneller Produkte herstellen. Das geht nicht, indem wir die Arbeit auf andere verteilen, ({11}) sondern nur, indem die Arbeit billiger wird. Deshalb war die Idee der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein Irrweg. Jeder, der diesen Weg weiter verfolgt, der vernichtet Arbeitsplätze, statt neue zu schaffen. ({12}) Genauso falsch aber ist die Auffassung mancher Unternehmer, die Löhne müßten gesenkt werden. Wer nämlich die Löhne senkt, der drosselt die Binnennachfrage und würgt die Konjunktur ab. Wir dürfen die Standortdebatte nicht auf die reine Kostenfrage verengen. Vor allen Dingen dürfen wir - das sage ich in Richtung der SPD - auf keinen Fall eine neue Neid- und Verteilungskampagne beginnen; denn so blockieren wir Veränderungen. Es hilft Deutschland nicht, den Standort schlechtzureden. Es hilft nicht, nur über die Kosten zu diskutieren. Die zentrale Aufgabe ist: Innovation, mehr Wissen, mehr Produkte. ({13}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird die Politik der Bundesregierung Zukunft möglich machen: durch eine Hochschulreform, die auf Wettbewerb, Leistung, Deregulierung und Differenzierung setzt; durch eine Reform des dualen Ausbildungssystems, das neue Lehrstellen möglich macht; durch eine Neuordnung der Forschungslandschaft, die Kräfte freisetzt für Zukunftsaufgaben; durch Leitprojekte, die aus der Technologieförderung eine integrierte Innovationspolitik machen. Das geht auch mit weniger Geld. Es würde leichter gehen mit mehr Geld; das ist wahr. Wir werden es aber trotzdem schaffen. Ich bedanke mich herzlich auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die Unterstützung. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich erteile dem Kollegen Tauss das Wort zu einer Kurzintervention. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der erfolgreiche Jugendparteitag der SPD scheint Sie ja richtig nervös gemacht zu haben. ({0}) Aber unabhängig davon, daß dort nicht die Internationale gesungen wurde, Herr Minister, möchte ich eine gute Zeile daraus zitieren. Sie heißt: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde." Das wäre ein guter Spruch für den Forschungsminister. ({1}) Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie hätten in dieser Woche einen guten Entwurf für ein Multimediagesetz vorgelegt. Kennen Sie die neue Ausgabe der „Computer Zeitung", in der die Überschrift zu finden ist: „Internet-Profis schütteln den Kopf über Rüttgers Gesetz"? Wissen Sie, daß im Wahlkreis des Herrn Dr. Meyer einer der größten Online-Dienste ankündigt, wegen Ihres Gesetzentwurfs Arbeitsplätze in Deutschland vernichten und ins Ausland gehen zu wollen? Ist es nicht so, daß Sie eine Anhörung von Fachleuten anberaumt haben, denen Sie zwei Tage Zeit gegeben haben, zu diesem Gesetz Stellung zu nehmen? Dieses Gesetz ist tatsächlich schlecht, wie alle Fachleute sagen; sie schütteln den Kopf darüber. Sie, Herr Minister, sind ein Ankündigungs- und ein Sprücheklopfer-Minister, wie wir heute wieder gelernt haben. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Edelgard Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Haushaltsdebatte über den Einzelplan 30. Ich habe in Ihrer Rede, Herr Minister Rüttgers, nichts zu diesem Haushalt gehört. ({0}) Ihre Politik ist ganz offensichtlich so schlecht, daß Sie nichts zu Ihrem Haushalt sagen, sondern nur auf der Opposition rumhacken und zu Allgemeinplätzen reden. ({1}) Mit diesem Haushalt, Herr Minister Rüttgers, den Sie mit Ihrer Regierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, versündigen Sie sich an unserer Jugend, und Sie versündigen sich an der Zukunft der Bundesrepublik. ({2}) Herr Minister Rüttgers, Sie haben noch vor zwei Jahren - das haben Sie aber offensichtlich alles schon vergessen - anläßlich einer Regierungserklärung in diesem Hause mit Freude zum Ausdruck gebracht: Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur sollten in der Politik der Bundesregierung eine überproportionale Steigerung der Haushaltsmittel für Zukunftsinvestitionen in den nächsten Jahren erfahren. ({3}) Das ist reine Ankündigungspolitik. Nichts von dem ist geschehen. Statt dessen erleben wir, daß dieser Haushalt seit Jahren immer stärker ausblutet, daß er keine realen Steigerungen verzeichnet, daß er in diesem Haushaltsjahr sogar nominelle Senkungen aufweist, und zwar inzwischen um 5,6 Prozent. Das ist eine überproportionale Kürzung, die in überhaupt keinem Verhältnis zu den Gesamtkürzungen des Bundeshaushaltes steht. ({4}) Ich verkenne nicht die prekäre Haushaltssituation der Bundesregierung, in die sich die Bundesregierung selber hineinmanövriert hat. Aber, wer als sogenannter Zukunftsminister und hochstilisiert zum Bannerträger der Innovationsfähigkeit derartig unter die Räder kommt wie Sie, Herr Minister Rüttgers, wer seinen Haushalt mehr als doppelt so stark bluten lassen muß als im Durchschnitt, der muß sich doch fragen lassen, ob sein Anliegen am Kabinettstisch von der Bundesregierung überhaupt noch ernst genommen wird. ({5}) Die hochgelobte Innovationsrakete Zukunftsministerium stürzt in das haushaltspolitische Bermudadreieck des Finanzministers. Kürzung statt Steigerung, das ist die Prioritätensetzung der Bundesregierung. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, will die SPD nicht. ({6}) Wir wollen den Haushaltsansatz von 1996 nicht kürzen. Wir sind der Meinung, daß Investitionen in Bildung und Forschung Investitionen in die Zukunft sind, und Investitionen in die Zukunft darf man nicht kürzen. ({7}) Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, die Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Sie, Herr Minister Rüttgers, sind der Blockademinister in dieser ganzen Debatte. ({8}) Wir haben einen Vorschlag zur Einführung einer individuellen Ausbildungsförderung auf den Tisch gelegt, einer BAföG-Reform, die ihren Namen wirklich verdient und die jungen Leute auch in die Lage versetzt, ein Studium durchzuführen, ohne daß sie nebenbei jobben müssen und damit ihre Studienzeit verlängern müssen. Wo ist Ihr Vorschlag? Wann legen Sie diesem Hause endlich einen Arbeitsplan vor, den wir in diesem Deutschen Bundestag interfraktionell vereinbart haben? Wir haben interfraktionell vereinbart, daß wir noch in dieser Legislaturperiode eine wirkliche BAföG-Reform durchführen wollen. Wo ist sie? Nichts ist da. Im Gegenteil: Bei dem Gespräch, das mit den Vertretern der Länder stattgefunden hat, ist von Ihrer Seite blockiert worden, daß ein konkretes Arbeitsprogramm verabredet wurde, daß ein konkreter Zeitplan vereinbart wurde. Sie sind der Blockademinister in dieser Frage. ({9}) Sie sind der Blockademinister, wenn es darum geht, wirksame Lösungen zu entwickeln, um die Situation in der beruflichen Bildung tatsächlich zu verbessern. Wir haben lange diskutiert und überlegt, wie wir erreichen können, die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich zu steigern, weil wir nicht bereit sind, hinzunehmen, daß 100 000 bis 120 000 Jugendliche in schulische Warteschleifen gehen oder ohne Job bzw. Ausbildung dastehen. Wir sind der Meinung, daß unser Vorschlag des Leistungsausgleichs tragfähig ist, weil er alle Unternehmen dazu verpflichtet, einen Beitrag zur Ausbildung zu leisten - entweder dadurch, daß sie selber ausbilden, oder dadurch, daß sie zahlen. Wir halten dies für einen tragfähigen Vorschlag, mit dem wir das Ziel, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, erreichen können. Die Zeit der Appelle ist vorbei. Wir haben festgestellt: Appelle helfen nicht mehr. ({10}) Wir haben einen Vorschlag für die Entwicklung der Hochschulen auf den Tisch gelegt. Ich finde es langsam unerträglich, was sich hier abspielt. Wir machen eine Diskussionsrunde bei Ihnen, Herr Rüttgers, bei der nichts anderes diskutiert wird als das, was die Bundesländer seit mehreren Jahren machen. Fahren Sie doch einmal nach Osnabrück, fahren Sie doch einmal nach Oldenburg, fahren Sie doch einmal nach Mainz und schauen es sich an. Globalhaushalte, jahresübergreifende Haushalte, Abschied von der kameralistischen Haushaltsführung, leistungsbezogene Finanzierung - all das machen wir seit mehreren Jahren in den Ländern. Aber Sie stellen sich taub, verschließen die Augen und nehmen nicht zur Kenntnis, was hier seit mehreren Jahren erfolgreich praktiziert wird. Schauen Sie sich endlich einmal die Erfolge an, und setzen Sie das um! Bitte nicht nur immer reden und Überschriften produzieren, sondern handeln! Auf Landesebene handeln wir und produzieren nicht nur Überschriften. Sie reden nur darüber und kommen nicht in die Pötte. ({11}) Sie plädieren in Papieren für Entbürokratisierung und schlanke Strukturen. Aber in der Realität - deshalb sind Sie der Blockademinister - halten Sie an starren Verwaltungsstrukturen fest. Die SPD hat in den Ausschuß einen Antrag eingebracht, der vorsah, daß die Max-Planck-Gesellschaft, die durch den Fünf-mal-fünf-Beschluß eine vernünftige, solide finanzielle Basis hat, aus der allgemeinen Stellenkürzung des Bundes herausgenommen wird und der gleichzeitig eine Kürzung um 740 Stellen vorsah. Wir haben eine solide Finanzierungsgrundlage für die Max-Planck-Gesellschaft, aber trotzdem eine generelle Stellenkürzungsvorschrift aus dem Hause des Bundesfinanzministers. Das ist völlig absurd. Warum geben Sie der Max-Planck-Gesellschaft nicht die Freiheit, selber zu entscheiden, wie sie die Mittel einsetzt, wo sie Stellen aufbaut und jüngeren Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern eine Beschäftigungschance gibt? Was macht es für einen Sinn, einen Stellenplan der Max-Planck-Gesellschaft im Bundeshaushalt zu haben? Ich halte das für eine antiquierte und überholte Vorschrift, ich kann nur fragen: Wieso haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt? Was ist die sachliche Begründung dafür? Ich habe bisher noch keine gehört. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur um die Fragen, warum die Bundesregierung nichts tut, warum sie nicht mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellt und warum sie nicht tatsächlich die Grundlagen, die verwaltungstechnischen Voraussetzungen, die personalrechtlichen Voraussetzungen für eine effektivere Arbeit in Forschung und Hochschulen schafft. Es geht auch darum, wie die Bundesregierung ihre Kürzungen in diesem Bundeshaushaltsplan durchführt. Es geht darum, wo gekürzt wird. In der letzten Woche ließ der Bundesforschungsminister in einem Workshop seines Hauses die Bereiche Energie und Umwelt als wichtige Einsatzfelder für strategische Technologien identifizieren. Heute legt er einen Haushaltsentwurf vor, in dem der Etat für die Umweltforschung um 14 Prozent, der Etat für die Energieforschung um 18 Prozent und der Etat für das innovationsträchtige Gebiet der Lasertechnik sogar um 20 Prozent gekürzt wird. Herr Minister Rüttgers, Ihre Worte sind Schall und Rauch. ({13}) Probleme erkennen und sie in Presseerklärungen veröffentlichen reicht nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Zukunftsminister muß die Kraft haben, für seinen Verantwortungsbereich auch am Kabinettstisch zu kämpfen. ({14}) Aber ich muß leider feststellen: Musterschüler mukken offensichtlich nicht auf. ({15}) Die überproportionale Kürzung des Bildungs- und Forschungshaushalts ist vor allen Dingen deshalb bitter, weil das eigentliche politische Element des Forschungsministers, nämlich die Projektförderung, durch diesen Haushaltsentwurf faktisch zum Erliegen kommt. Nach der schon vollzogenen Kürzung um 11 Prozent wird auch die globale Minderausgabe voll auf diesen Bereich abgewälzt. Da die durchschnittliche Laufzeit der Projekte dazu führt, daß mindestens dreiviertel der jährlichen Projektmittel im Jahr zuvor bereits festgelegt sind ({16}) Herr Kampeter, als Haushaltspolitiker müßten Sie das eigentlich wissen -, ist für neue Projekte schlichtweg kein Geld mehr da, wenn Sie die globale MinEdelgard Bulmahn derausgabe, die Sie eigentlich herausrechnen müßten, auch noch mit einrechnen. ({17}) Dies ist eine Situation, wie sie Jahr für Jahr immer wieder vorkommt. Ich frage mich, wie lange Sie dieses Spielchen eigentlich noch weiter treiben wollen: Hoffnungen in Forschungseinrichtungen wecken, die nicht erfüllt werden können, weil schlichtweg kein Geld da ist. Die Forschung braucht endlich Butter an die Fische; ohne das geht es nicht. Offensichtlich gehört aber für Sie das Klappern zum Handwerk, besonders wenn man keine Münzen hat, die man zum Klingeln bringen kann. Aber die Dreistigkeit, mit der die Presseabteilung des Forschungsministeriums vorgeht, sucht schon ihresgleichen. ({18}) Erst beschließen der Forschungs- und der Wirtschaftsminister ein Programm „Information als Rohstoff für Innovation" und statten es angeblich mit 1,9 Milliarden DM aus. Dann gibt der Forschungsminister bekannt, daß der Förderbereich Multimedia auf 130 Millionen DM hochgefahren werden soll. Zuletzt sollten 50 Millionen DM für die überfällige Maßnahme „Schulen ans Netz" bereitgestellt werden. Wenn man jedoch genau hinsieht, stellt man fest: Jede Mark ist aus laufenden Programmen und institutioneller Förderung zusammengestückelt; mal durch das Forschungsnetz, mal durch Fachinformationen, mal durch die Bibliothek. Dies sind alles laufende Programme bzw. bestehende Einrichtungen, deren Mittel für 1997 längst festgelegt sind. Es gibt keine einzige Mark für wirklich Neues. Wie oft sollen der Öffentlichkeit, der Industrie, der Forschung und der Wissenschaft eigentlich immer wieder dieselben forschungspolitischen Wohltaten auf einer neuen Rechnung vorgelegt werden? Wie oft wollen Sie das eigentlich noch machen? Meine Damen und Herren, ein Zukunftsminister muß den Mut haben, forschungspolitische Visionen zu formulieren, sie anzupacken und umzusetzen. ({19}) - Das macht er eben nicht. Die Fabrik ohne Abfälle, das ökologisch verträgliche Auto, die mobile Gesellschaft und die systematische Förderung von TeleLearning wären nur einige Beispiele. ({20}) Ich würde mir wünschen, daß die Leitprojekte, die Sie jetzt angekündigt haben, nicht nur willkürlich zusammengewuselte Ideen sind, sondern wirklich dem Anspruch einer zukunftsorientierten Forschungspolitik gerecht werden, dem Anspruch, den Sie selbst auch mit Ihrer Unterschrift unter der Rio-Konvention akzeptiert haben: Die Entwicklung in Richtung einer nachhaltigen und ökologischen Kreislaufwirtschaft ist die Hauptaufgabe, vor der die Forschungspolitik steht. Diese Ziele auch noch mit einer beschäftigungssichernden Wirtschafts- und Forschungspolitik zu verknüpfen, sind die Aufgaben, vor denen wir stehen. Diese Ziele erreichen Sie mit diesem Haushalt nicht. Deshalb werden wir ihn ablehnen. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Lenzer. ({0})

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegin Bulmahn, die Intervention des Bundesministers muß Sie schwer getroffen haben, anders kann ich mir Ihre langsam wirklich schon an Hysterie grenzende Argumentation nicht erklären. ({0}) Ich bin dankbar dafür, daß ich hier die Gelegenheit habe, bei den Beratungen zum Einzelplan 30 als letzter zu sprechen. ({1}) - Sie habe ich ausdrücklich ausgenommen. Ich sage aber auch nicht, daß das, was Sie, Herr Schanz, hier vorgetragen haben, in der Form sehr angenehm war. Aber trotzdem stelle ich fest - und das gilt auch für Sie -, daß die Opposition nicht einen einzigen konstruktiven Vorschlag gemacht hat. ({2}) Dieses Fazit muß man am Ende der Debatte ziehen. Frau Bulmahn hat sich in der ihr eigenen Art, die wir an ihr schon aus dem Ausschuß kennen, an Zahlen berauscht. Sie hat in buchhalterischer Akribie hier versucht, über den Haushalt zu sprechen. Ich will hier niemanden beleidigen. Ich glaube aber, man sollte sie zum Ehrenmitglied des Haushaltsausschusses küren. Was hat die SPD denn getan? Sie hat maßlose Forderungen gestellt. Sie hat allein in den Beratungen bei uns im Fachausschuß Forderungen gestellt und Anträge in der Größenordnung von 700 Millionen DM eingebracht, ohne einen einzigen Deckungsvorschlag zu machen. ({3}) Minister Rüttgers hat mit Recht darauf hingewiesen: Auf der anderen Seite blockieren Sie mit Ihrer Verweigerungshaltung im Bundesrat, daß dieser Haushalt mehr Luft bekommt. ({4}) Niemand will den Haushalt des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und TechnoloChristian Lenzer gie schönreden. Das liegt mir fern. Wir haben schmerzliche Einschnitte hinnehmen müssen, und darüber kann sich niemand freuen, auch nicht der Minister. Aber glauben Sie denn allen Ernstes, daß es in einer politischen Diskussion, in der es um Haushaltskonsolidierung geht, ein Teilhaushalt außen vor bleiben kann? Auch dieser Haushalt - dazu stehen wir von der Koalition; dazu bekenne ich mich ausdrücklich - muß seinen Konsolidierungsbeitrag leisten. ({5}) Aber ich hätte erwartet, daß wir jetzt nicht immer nur über Zahlen diskutieren, sondern daß Sie auch einmal Inhalte ansprechen. ({6}) Außer Schlagworten, außer Sprüchen, außer einer Zitatenlese quer durch den Blätterwald - darin läßt sich ja bekanntlich alles finden ({7}) haben Sie hier wieder die alten Ladenhüter hervorgezogen. Sie haben versucht, ein Katastrophenszenario an die Wand zu malen. Im übrigen, Herr Kollege Thierse - diesen Vorwurf kann ich Ihnen ebenfalls nicht ersparen -, hatte ich bereits in der Innovationsdebatte am 14. November von Ihnen erwartet, daß Sie wirklich einmal die Alternativen der SPD aufzeigten, aber Sie haben tatsächlich - auch heute sind Sie dieser Tradition treu geblieben - nichts Konkretes gesagt; Sie haben ausschließlich Sprechblasen produziert. ({8}) Ich gebe Ihnen dafür einige Beispiele. Sie haben vom gesellschaftlichen Diskurs gesprochen, von Partizipation, Sie haben ein Innovationsministerium auf dem Höhepunkt des Festes gefordert - eine weitere Bürokratie -, Sie haben das Wort „europäische Beschäftigungspolitik" in den Mund genommen, also praktisch alles, was gut und teuer ist, aber einer kritischen Überprüfung in der Wirklichkeit nicht standhält, vorgeschlagen. Das ist das übliche, fast hätte ich gesagt: Soziologengeschwätz, mit dem man auch in der Öffentlichkeit langsam nicht mehr reüssieren kann. Statt dessen hätte ich erwartet, daß sich die Opposition auch heute angesichts dieser Haushaltsberatungen zu konkreten Punkten äußert. Wie halten Sie es mit der Fusionsforschung? Wie halten Sie es mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie? - Da gehen Sie unter die Decke. - Wie halten Sie es mit der Luft- und Raumfahrt? Wie halten Sie es mit der Biotechnologie? Was halten Sie vom Forschungsreaktor München II? ({9}) Oder aber: Wann wollen Sie endlich einmal aufhören, immer wieder gegen den Transrapid zu polemisieren? ({10}) Ich nehme einige ausdrücklich aus, aber denen paßt dann die Trasse nicht, denen paßt die Finanzierung nicht, aber im Prinzip sind sie dafür. So können Sie die Probleme unseres Landes nicht lösen, ({11}) und so werden Sie Schiffbruch erleiden. Im übrigen hätte ich, Frau Kollegin Bulmahn, von Ihnen als einer niedersächsischen Abgeordneten erwartet, daß Sie auch einmal die Situation in Ihrem eigenen Bundesland gerade im Bildungssektor betrachtet hätten. ({12}) Dann wären Sie zu der Meinung gekommen, daß in Niedersachsen beispielsweise 1 300 Stellen an Hochschulen gestrichen werden. Ich kritisiere das nicht, weil ich es für wichtig halte, daß auch die Länder ihren Konsolidierungsbeitrag leisten. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulmahn?

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, selbstverständlich, gern.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich leider nicht die Gelegenheit hatte, schon in der letzten Debatte bei Herrn Kampeter diesen Irrtum, dem Sie offensichtlich alle unterliegen, zu korrigieren und er vorhin auch Angst hatte, meine Zwischenfrage zuzulassen, bin ich Ihnen dankbar, Herr Lenzer, daß Sie die Zwischenfrage zulassen. Ist Ihnen bekannt, Herr Lenzer, daß es im niedersächsischen Haushalt des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur seit dem Jahr 1989 bis zu diesem Jahr einen Stellenaufwuchs im Bereich der Hochschulen gegeben hat, ({0}) und zwar von 13 215 auf 14 400 Stellen? In diesem Jahr wird die Zahl der Stellen auf 14 525 aufgestockt, und im nächsten Jahr ist eine Aufstockung auf 14 592 Stellen vorgesehen. Das heißt, es hat keine Stellenstreichung gegeben. Es hat teilweise eine Stellenverlagerung an die Fachhochschulen gegeben. Ich frage Sie: Ist Ihnen das eigentlich bekannt? Wenn Ihnen das bekannt sein sollte, dann bitte ich Sie, Ihre AusEdelgard Bulmahn führungen so nicht zu wiederholen, sondern vielmehr die korrekten Zahlen bekanntzugeben. ({1}) - Sie können ja eine entsprechende Zwischenfrage stellen. ({2}) Ich kann Ihnen auch die gesamten Daten für den Haushalt nennen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, das ist nicht ganz okay.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch der Haushalt des Landesministeriums ist im Gegensatz zu dem des Bundesministeriums nicht gesunken; vielmehr ist der Haushalt des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur gestiegen, und zwar in den letzten fünf Jahren um 18,6 Prozent. Der Haushalt des Bundesministeriums ist ja, wie Sie wissen, nicht entsprechend gestiegen.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Bulmahn, mir ist bekannt, daß in der Tat im niedersächsischen Haushaltsplan bei den Hochschulen drastische Stellenkürzungen vorgenommen werden. ({0}) Ich bin Ihnen für die Zwischenfrage dankbar; ich kann nämlich jetzt ein Zitat bringen. Diese Stellenstreichungen oder - wie Sie es vornehm genannt haben - Umschichtungen haben die niedersächsische Landeshochschulkonferenz zu folgendem Urteil veranlaßt - ich zitiere -: Forschung, Lehre und Nachwuchsförderung an den niedersächsischen Universitäten werden irreparabel geschädigt. ({1}) Die beabsichtigten Streichungen gefährden den Bestand ganzer Fächer. Die Studienzeiten werden sich entsprechend verlängern, und die Qualität der Ausbildung wird sinken. Vermehrt lehnen die Professoren den an sie ergangenen Ruf ab und ziehen die Angebote von Hochschulen anderer Bundesländer vor, weil eine ausreichende Ausstattung ihrer Arbeitsbereiche nicht mehr gewährleistet werden kann. ({2}) Ich habe, bevor Frau Kollegin Bulmahn die Zwischenfrage stellte, die SPD aufgefordert - das möchte ich bekräftigen -, sich ganz konkret zu den einzelnen Themenbereichen zu äußern und hier nicht generell für das Wahre, Gute und Schöne einzutreten. Vielmehr sollten Sie ganz einfach sagen, wie Sie im konkreten Fall entscheiden wollen. ({3}) Der Bundesminister hat - deswegen brauche ich das gar nicht zu wiederholen - einen stolzen Leistungskatalog vorgelegt, ({4}) und er kann mit Recht stolz auf das sein, was er erreicht hat. Er hat die Bildung wieder zu einem Thema gemacht, nachdem sie jahrelang von der Bildfläche, von Seite 1 und Seite 2 der Zeitungen verschwunden war. Neben der Forschung und neben der innovativen Forschungspolitik hat er auch die Bildung wieder zu einem Thema gemacht. Ich möchte auf die Lehrstelleninitiative hinweisen, bei der sich auch der Bundeskanzler in besonderer Weise engagiert hat. Ich möchte ebenfalls darauf hinweisen, daß viele neue Berufsbilder formuliert worden sind, daß 23 Ausbildungsordnungen modernisiert wurden, daß 90 weitere in Angriff genommen werden und daß nach 40 von ihnen ab 1997 ausgebildet werden kann. Die BAföG-Reform ist auf gutem Weg. Natürlich ist der Abstimmungsprozeß zwischen Bund und Ländern schwierig. Am 25. November hat zum erstenmal die Bund-Länder-Arbeitsgruppe getagt. Bei einem so schwierigen Thema können Sie doch nicht schon heute Ergebnisse verlangen. Aktion „Schulen ans Netz", Aktion „BioRegio", Entwurf eines Multimediagesetzes - Herr Tauss, da können Sie erzählen, was Sie wollen: Das hat es vorher noch nie gegeben. Das Folgende ist schon so lange her, daß man fast schon gar nicht mehr wagt, darüber zu sprechen: die Einsetzung eines Technologierates beim Bundeskanzler. Lassen Sie mich noch einmal auf die drei großen Reformen hinweisen, die dieser Bundesminister auf den Weg gebracht hat - wir unterstützen ihn selbstverständlich aus voller Überzeugung dabei -: ({5}) Zum einen ist es die Reform der Hochschulstruktur. Ich nehme nur als ein Beispiel den Hochschulzugang. Ich würde Sie herzlich bitten: Statt zu kritisieren, drängen Sie Ihre Bundesländer dahin, daß man sich beim Abitur - wenn es als genereller Befähigungsnachweis für den Hochschulzugang Bestand haben soll - wenigstens auf einen gemeinsamen Fächerkanon einigt und daß man nicht zum Beispiel sogar seine eigene Muttersprache durch irgendwelche Faxen wie darstellendes Spiel oder etwas ähnliches substituieren kann. Dies schadet der Qualität. ({6}) Helfen Sie mit, daß die Gruppenuniversität überwunden werden kann, so daß das Ganze nicht zu einer Quatschbude entartet, in der überhaupt keine Entscheidungen mehr gefällt werden. Stärken Sie die Kompetenz der Hochschule. Machen Sie bei der Lösung dessen mit, was bei dem Gespräch im alten Kanzleramt, von dem Sie gesprochen haben, als Problem ganz deutlich skizziert wurde. Autonomie, Globalhaushalt, mehr Wettbewerb der Hochschulen - das sind nur einige wenige weitere Stichworte. Damit auch diese Legende ein für allemal vom Tisch kommt: Die CDU/CSU ist selbstverständlich der Überzeugung, daß in unserem Land jeder Begabte die Chance haben muß, ohne Rücksicht auf den Geldbeutel der Eltern studieren zu können. ({7}) - Das machen wir nicht kaputt. Aber wir sind eindeutig dafür, daß das Studium auch an Leistung geknüpft werden muß. ({8}) Es bedarf einer regelmäßigen und kontinuierlichen Erfolgskontrolle und Beratung, die auch dazu führen kann, daß man jemandem mal sagt: Du bist nicht geeignet. Zweites großes Reformwerk: die Neuorientierung der Forschungslandschaft. Niemand will die Forschungslandschaft kaputtreden. Wir verfügen in unserem Land Gott sei Dank über ein sehr differenziertes und sehr gut ausgebautes Wissenschaftssystem. Aber wenn dieses Wissenschaftssystem unter der ständigen Herausforderung steht, seine Effizienz zu steigern, dann ist das doch eine bare Selbstverständlichkeit. Und es ist eine bare Selbstverständlichkeit bei der Max-Planck-Gesellschaft - Frau Bulmahn, Sie haben im Ausschuß ja mehrfach Anträge gestellt, die aber nicht unsere Zustimmung gefunden haben -, daß nicht nur neue Institute gegründet werden, sondern daß im Laufe der Zeit Institute, die ihre Aufgabe erfüllt haben, auch wieder geschlossen werden können. ({9}) Unter diesem Veränderungsstreß steht im übrigen ja nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Wissenschaft muß sich diesen Herausforderungen stellen. Die letzte große Aufgabe ist die Umsteuerung - auch dies hat der Minister bereits begonnen; er betreibt es mit Vehemenz -: im Konsens zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die deutsche Forschungsförderung, vor allen Dingen die Projektförderung, auf eine strenge innovationsorientierte Forschungspolitik hin zu lenken. Dem dienen die Leitprojekte. Das ganze Geheimnis der Leitprojekte ist eigentlich, daß von Anfang an alle Beteiligten an einem Tisch sitzen und immer auch das Ende dieser Forschungsinitiative bedenken. Es darf nicht allein das wissenschaftlich Interessante gefördert werden, sondern am Ende muß ein Produkt herauskommen, welches sich auf dem Markt behauptet. Auf diese Weise kann der Innovationsstandort Deutschland gestärkt werden. Meine Damen und Herren, ich stelle am Ende dieser Debatte fest: Niemand hat den Versuch gemacht - wie das am Anfang hier unterstellt wurde -, den Einzelplan 30, den Haushalt von Bundesminister Rüttgers, schönzureden. ({10}) Ich sage noch einmal - der Kollege Koppelin und der Kollege Kampeter haben das als die Haushaltsberichterstatter der Koalition deutlich angesprochen -, wir alle hätten uns auch gewünscht, daß wir mehr Geld zur Verfügung gehabt hätten. Aber lassen Sie uns über Inhalte streiten! Lassen Sie uns um die Sache kämpfen, und hören wir auf mit der dauernden Nörgelei und Krittelei an Zahlen! Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6220? ({0}) Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6279? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6280? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis ebenfalls abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6281? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenergebnis abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6282? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6283? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6284? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6285? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6286? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6292? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6293? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6294? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6295? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6296? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6297? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Der Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6301 ist zurückgezogen worden. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6302 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte III a bis III e auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Müller ({1}), Ernst Schwanhold, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Informationspflicht der Chemischen Industrie über Zwischenprodukte - Drucksache 13/3787 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuß für Wirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Ulrike Mehl, Michael Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kennzeichnung von Holz und Holzprodukten - Drucksache 13/5212 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Dr. Eckhart Pick, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sicherstellung der Realisierung des Abzweigs Mainz/Wiesbaden der ICE-Trasse Köln-Rhein/Main - Drucksache 13/6096 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({5}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gunter Weißgerber, Dr. Eberhard Brecht, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinschaftliche Finanzierung eines Neubaus des Museums der Bildenden Künste in Leipzig - Drucksache 13/6114 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({6}) Innenausschuß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" hier: Rahmenplan 1997 bis 2000 - Drucksache 13/5562 Überweisungsvorschlag : Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten IV a bis IV i. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV a auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 17. Juli 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits - Drucksache 13/4790 - ({8}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) - Drucksache 13/6095 Berichterstattung: Abgeordneter Elmar Müller ({10}) Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/6095, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV b auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung vom 31. August 1995 des Übereinkommens über die Internationale Fernmeldesatellitenorganisation „INTELSAT" - Drucksache 13/5719 - ({11}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({12}) - Drucksache 13/6118 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({13}) Hans Martin Bury Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt auf Drucksache 13/6118, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV c auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung vom 18. Mai 1995 des Übereinkommens zur Gründung der Europäischen Fernmeldesatellitenorganisation „EUTELSAT" - Drucksache 13/5716 - ({14}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({15}) - Drucksache 13/6119 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({16}) Hans Martin Bury Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt auf Drucksache 13/6119, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV d auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller ({18}), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Beendigung der Waffenerprobung und Schießübungen im Nationalpark SchleswigHolsteinisches Wattenmeer - Drucksachen 13/1391, 13/5053 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt-Dieter Grill Ulrike Mehl Vera Lengsfeld Dr. Rainer Ortleb Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1391 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV e auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller ({20}), Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Notwendige Naturschutzmaßnahmen im europäischen Naturschutzjahr 1995 - Drucksachen 13/1350, 13/5054 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Mehl Vera Lengsfeld Günther Bredehorn Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1350 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV f auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Geänderter Vorschlag für eine Entscheidung des Rates für das vierte mittelfristige Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern ({22}) - Drucksachen 13/3938 Nr. 2.32, 13/4773 - Berichterstattung: Abgeordnete Ortrun Schätzle Ingrid Holzhüter Rita Grießhaber Rosel Neuhäuser Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV g und h auf: g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1996; Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02 - Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Kapital der Internationalen Entwicklungsorganisationen ({24}) - - Drucksachen 13/5712, 13/5844 Nr. 2, 13/6049 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Emil Schnell Michael von Schmude Jürgen Koppelin h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 11 - Erstattung des Sozialzuschlags für Rentenempfänger in den neuen Ländern ({26}) -Drucksachen 13/5658,13/5770 Nr. 3, 13/6068 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel Jürgen Koppelin Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt IV i auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27}) Sammelübersicht 159 zu Petitionen - Drucksache 13/6116 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden. Wir setzen jetzt die Haushaltsberatung fort. Ich rufe auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - Drucksachen 13/6011, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Ina Albowitz Dietrich Austermann Es liegen drei Änderungsanträge vor. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Konstanze Wegner.

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich gerne meinen Mitberichterstattern und Mitberichterstatterinnen für die gute Zusammenarbeit und dem Ministerium für die korrekte Zuarbeit danken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist noch nicht lange her, da hat der Bundeskanzler in Aussicht gestellt, man werde die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende halbieren. Sehr weit gekommen ist er damit bisher nicht. ({0}) Ende Oktober gab es in Deutschland rund 3,9 Millionen registrierte Arbeitslose; die Bundesregierung selbst geht von einem Jahresdurchschnitt 1997 von rund 4 Millionen aus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die fünf Wirtschaftsweisen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und - wenn ich mich richtig erinnere - auch Graf Lambsdorff halten realistischerweise einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit für wahrscheinlich. Die Kosten der Arbeitslosigkeit liegen allein im Jahre 1996 bei rund 160 Milliarden DM. Diese gigantische Summe ist der Spiegel eines gigantischen Versagens der Regierung Kohl. ({1}) Ein Geheimrezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besitzt gewiß keine Partei, auch die SPD nicht. ({2}) Aber wir haben Ihnen im Verlauf der Jahre immer wieder eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die zumindest zu einer Eindämmung der Arbeitslosigkeit führen würden. ({3}) Ich nenne als Beispiel nur die Senkung der Lohnnebenkosten durch Einführung einer maßvollen Ökosteuer auf den Energieverbrauch, den Überstundenabbau, die Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik durch ein modernes Arbeitsförderungsstrukturgesetz, unsere Vorschläge zur Förderung kleiner innovativer Unternehmen und die Aufstokkung des mickrigen Etats für Forschung und Technologie, den wir gerade beraten haben. Sie haben das alles abgelehnt. Man muß sagen: Die Blockierer sitzen in Ihren Reihen. ({4}) Darüber hinaus brauchten wir endlich den Mut - das gilt in der Tat für alle Parteien -, überfällige Strukturreformen in unserer Gesellschaft anzugehen. Dazu gehört nach meiner festen Überzeugung - ich habe das schon einmal gesagt, aber richtige Dinge darf man wiederholen - eine Reform der Finanzverfassung. Diese hat durchaus etwas mit Sozialpolitik zu tun. In unserem Staat sind die Aufgabenzuweisung der Gebietskörperschaften - Bund, Länder und Gemeinden - und die entsprechende Finanzausstattung nicht mehr im Gleichgewicht. Bestes Beispiel für die Schieflage ist die Entwicklung der Sozialhilfe, die in den letzten Jahren förmlich explodiert ist. Sie ist dies nicht nur wegen der steigenden Armut, sondern auch, weil sie kontinuierlich mit wesensfremden Aufgaben belastet worden ist, für die sie ursprünglich nicht gedacht war, zum Beispiel mit den Kosten für Pflege, für Langzeitarbeitslose, für Bürgerkriegsflüchtlinge. Ich bedaure sehr, daß die Gemeinsame Verfassungskommission seinerzeit nicht den Mut gehabt hat, dieses Problem in Angriff zu nehmen. Aufschieben löst die Probleme nicht, auch nicht in diesem Fall. Überfällig wäre auch eine Steuerreform, die mehr Klarheit mit mehr Steuergerechtigkeit verbindet. ({5}) Doch was tut die Regierung zur Lösung der finanzund arbeitsmarktpolitischen Probleme? Jahrelang haben Sie die Einnahmeseite der Staatsfinanzen durch unsinnige Abschreibungsmodelle und riesige Steuergeschenke an Bezieher hoher Einkommen sträflich vernachlässigt. ({6}) Dreistellige Milliardenbeträge sind dem Staat nach Schätzung von Wissenschaftlern dadurch jährlich verlorengegangen. Anstatt die Steuern bei denen einzutreiben, die sie zahlen könnten und zahlen müßten, werden nun Arbeitslosen und Kranken die Leistungen gekürzt. Neue Arbeitsplätze entstehen auf diese Weise gewiß nicht. Finanzpolitisch handelt es sich bei diesen sogenannten Einsparungen in der Regel um Verschiebemanöver, die letztlich immer zu Lasten der untersten Einheit, der Kommunen, gehen. Ich erinnere hier als Beispiel nur an die sogenannte Arbeitslosenhilfereform. Es gilt ja immer: Je fieser der Inhalt eines Gesetzes, desto schöner sein Titel. So war es auch hier. Durch diese sogenannte Arbeitslosenhilfereform ist die Arbeitslosenhilfe jährlich um 3 Prozent gekürzt worden. Ursprünglich waren sogar 5 Prozent geplant. ({7}) - Ja, das war ein Kompromiß. Das war eine dieser Kröten, die wir schlucken mußten. Ich werde Ihnen einmal zeigen, wie sich diese Kröten dann auswirken. Wer eine solche Kürzung bei durchschnittlichen Arbeitslosenhilfesätzen von rund 1 000 DM im Westen und 800 DM im Osten für leicht verkraftbar hält, der zeigt schon ein erhebliches Maß an Realitätsverlust. ({8}) Konjunkturpolitisch ist eine solche Kürzung unsinnig, weil sie zwangsläufig zu Konsumverzicht führt und damit die ohnehin miese Binnenkonjunktur weiter verschlechtert. Finanzpolitisch bedeutet diese Kürzung eine Belastung der Kommunen, da diese dann mehr und mehr ergänzende Sozialhilfe zahlen müssen. Den gleichen Effekt haben die jetzt im Zug der Haushaltsberatungen beschlossenen Kürzungen bei Fortbildung und Umschulung und bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ost- und Westdeutschland. Viele sinnvolle Maßnahmen müssen nun abrupt beendet werden oder kommen überhaupt nicht mehr zustande. Die dabei erzielten Einsparungen sind rein fiktiv, weil die Bundesanstalt für Arbeit dann wieder Arbeitslosengeld, der Bundeshaushalt wieder Arbeitslosenhilfe und letztlich die Kommunen wieder die Sozialhilfe zahlen müssen. Der Präsident der Bundesanstalt, Jagoda, hat diesen unheilvollen Kreislauf sehr drastisch beschrieben; aber Sie sind ja leider taub gegenüber dem Sachverstand in Ihren eigenen Reihen. ({9}) Wie sieht nun der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nach den Beratungen im Hinblick auf die arbeitsmarktpolitische und finanzpolitische Situation aus? Ich bleibe bei der Einschätzung, die ich schon vor Beginn der Beratungen gegeben habe: Es handelt sich um einen Haushalt des Sozialabbaus und der ungedeckten Risiken. Man könnte auch sagen: Es ist ein Haushalt der reinen Fiktionen. ({10}) Hierzu einige Beispiele: Die Bundesanstalt für Arbeit wird mit dem eingestellten Zuschuß von 4,1 Milliarden DM nicht auskommen. Der Präsident und die Mehrheit des Vorstands der Bundesanstalt halten einen Zuschuß von mindestens 9,4 Milliarden DM für notwendig. Diese Einschätzung wird von der ganzen Opposition geteilt. Die Arbeitslosigkeit wird voraussichtlich weiter steigen, und die Einsparungen von 10,3 Milliarden DM, die Sie der Bundesanstalt aufs Auge gedrückt haben, werden sich als Luftbuchung erweisen. Ob nämlich zum Beispiel verstärktes Eintreiben von Rückständen oder die Intensivierung von Meldekontrollen bei gleichem Personalstand die vorgegebenen Einsparungen erbringen werden, wird zumindest von den Arbeitsämtern vor Ort heftig bezweifelt. Mit Fiktionen wird auch beim Ansatz für die Arbeitslosenhilfe gearbeitet: Der Bedarf für 1996 beträgt rund 24 Milliarden DM. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt kontinuierlich weiter. Dennoch glaubt die Koalition, mit einem Ansatz von 17,8 Milliarden DM auszukommen. Sie haben die geplanten Einsparungen von 5,3 Milliarden DM eingerechnet. Auch hier handelt es sich teilweise wieder um Luftbuchungen, weil sich einige dieser Maßnahmen, wie zum Beispiel die verschärfte Vermögensprüfung und die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, noch im gesetzgeberischen Prozeß befinden, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Loch in den Rentenkassen hat die Regierung inzwischen mit zusätzlichen 1,1 Milliarden DM Bundeszuschuß und einer Beitragserhöhung auf 20,3 Prozent gestopft. Dies bedeutet einen weiteren erheblichen Anstieg der Lohnnebenkosten in Deutschland und damit eine weitere Verteuerung der Kosten der Arbeit. Monatelang hatte Minister Blüm die Lage schöngeredet und der Öffentlichkeit vorgemacht, man werde 1997 mit einem Beitragssatz von unter 20 Prozent auskommen. Die Strukturprobleme der Rentenversicherung sind allerdings auch mit dieser Erhöhung nicht gelöst. „Blüm lügt bei der Rente", sagt der Vorsitzende der Jungen Union Nordbaden laut Bericht der „Rhein-Neckar-Zeitung" vom 20. November 1996. ({11}) Ich zitiere Ihre eigene Jugendorganisation: Die entstandenen Probleme könnten nur durch eine weitreichende Steuer- und Rentenreform gelöst werden. Wenn dies nicht unverzüglich angegangen werde, will die Junge Union den Generationenvertrag kündigen und den Rücktritt Blüms fordern. Soweit die Junge Union. ({12}) Bei den Haushaltsberatungen ist der Koalition das wahrhaft biblische Wunder gelungen, eine Haushaltslücke von rund 13 Milliarden DM auf eine Lücke von nur 3 Milliarden DM schönzurechnen. ({13}) - Jesus hat bekanntlich mit fünf Broten 5 000 genährt. Sie machen es umgekehrt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Storm?

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte sehr.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß eine Gruppe junger sozialdemokratischer Bundestags- und Landtagsabgeordneter vor etwa einem Monat ein Positionspapier veröffentAndreas Storm licht hat, in dem es heißt: Wir kündigen den Generationenvertrag. ({0})

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß das, Herr Kollege. Es gibt generell, bei den Jungen Liberalen, bei den Jusos und auch bei der Jungen Union, Überlegungen, ob der Generationenvertrag noch tragfähig ist. Es ist völlig berechtigt, darüber nachzudenken, ob er nicht durch neue Komponenten ergänzt werden muß. Aber das so kraß und mit solcher Kritik am eigenen Minister zu sagen ist Ihrer Organisation vorbehalten. ({0}) Die Folgen dieser Flickschusterei, mit der Sie die angebliche 3-Milliarden-Lücke - sie ist in Wirklichkeit natürlich viel größer - gestopft haben, werden wir im kommenden Haushaltsjahr spüren. Dann werden nämlich wieder jede Menge überplanmäßige Ausgaben nachgeschoben werden, alle natürlich ganz und gar „unvorhergesehen". Das wird die Regierung nicht davon abhalten, auch im Jahre 1997 wieder einen getürkten Haushaltsentwurf mit zu niedrigen Ansätzen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik vorzulegen. ({1}) Ob diese Art der Haushaltsführung der Verfassung widerspricht, vermag ich als Nichtjuristin nicht endgültig zu entscheiden. Gegen den gesunden Menschenverstand und gegen das Gebot der Haushaltswahrheit und -klarheit verstoßen Sie damit auf jeden Fall. Minister Blüm hat zwar weitere Kürzungen in seinem Haushalt mit dem Hinweis abgelehnt, er sei doch kein Metzger. Dennoch werden weitere Kürzungsforderungen kommen, und der Sozialhaushalt wird weiter wie bisher einzig aus dem Grund dafür herhalten müssen, weil die davon betroffenen Menschen keine Lobby in unserer Gesellschaft haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schuld für die Zins- und Schuldenfalle, in der die Regierung sitzt, tragen weder die Arbeitslosen noch der angeblich überzogene Sozialstaat. Die Schuld trägt die Regierung selbst, weil sie die Einheit auf Pump finanziert hat, ({2}) statt einen angemessenen Beitrag der großen Vermögen in unserem Land, die es nun wirklich reichlich gibt, zu den Kosten der Wiedervereinigung einzufordern. ({3}) Dieses historische Versäumnis aus den Jahren 1989/1990 setzen Sie jetzt fort, indem Sie große Opfer von breiten Schichten verlangen und gleichzeitig Steuergeschenke in Milliardenhöhe an Bezieher großer Einkommen verteilen. Der Haushalt des Arbeits- und Sozialministeriums zeigt exemplarisch die Folgen einer solchen Politik, die sozial ungerecht, konjunkturell unsinnig und arbeitsmarktpolitisch katastrophal ist. Wir lehnen ihn deshalb ab. Danke. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich den Kollegen Fuchtel aufrufe, gebe ich für das Protokoll eine Änderung bekannt: Bei dem Abstimmungsprozeß vorhin gab es zu dem Änderungsantrag des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6284 eine Stimme Zustimmung aus der SPD-Fraktion. ({0}) Kollege Fuchtel hat das Wort.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihnen von der SPD muß es schon weit gekommen sein, wenn Sie den Vorsitzenden eines JU-Bezirksverbandes zitieren müssen, um zu dokumentieren, daß es in unseren Reihen abweichende Meinungen gibt. ({0}) Die CDU/CSU hat mehr zu den Errungenschaften, vor allem zu den sozialen Errungenschaften, in unserem Land beigetragen als die gesamte Opposition. ({1}) Aus diesem Grunde lassen wir heute keinen falschen Zungenschlag in dieser Diskussion zu. ({2}) Die Koalition betreibt Sparpolitik. Dies ist wahr. Aber die Koalition betreibt Sparpolitik, um soziale Leistungen zu sichern. ({3}) Die Rentenpolitik ist das beste Beispiel. Niemand weist darauf hin, daß der Zuschuß zur Rentenversicherung allein in diesem Jahr um 6 Milliarden DM steigt und daß dies trotz aller parteipolitischer Panikmache - das sage ich unseren Rentnerinnen und Rentnern - ganz selbstverständlich und solide aus unserem Haushalt finanziert wird. ({4}) Wir sparen, um soziale Leistungen zu sichern und um die zu hohe Arbeitslosigkeit durch positive Wirtschaftsentwicklung zu überwinden. ({5}) Nachdem ich die Debatte verfolgt habe - Frau Kollegin Wegner hat eben eine harmlose Vorstellung im Vergleich zu den Wadenbeißereien von gestern gegeben -, ({6}) muß ich sagen: Die SPD ist heute ideologischer denn je. ({7}) Ideologie zeigt sich nicht dann, wenn alles in festgelegten Bahnen abläuft. Ideologie zeigt sich, wenn Veränderungen anstehen, Herr Kollege, wenn über Strukturen entschieden werden muß. Diese Entscheidungen sind diesmal nicht unter dem Vorzeichen weiterer Verteilungsmöglichkeiten zu treffen, sondern unter dem Vorzeichen der Reduzierung bereits verteilter Masse. ({8}) Aus diesem Grund muß ich Ihnen sagen: Sie sind damals nicht eingestiegen, als es um den Aufbau der Sozialen Marktwirtschaft gegangen ist, und Sie sind jetzt wieder nicht dabei, wenn es um den Umbau der Sozialen Marktwirtschaft geht, damit sie auch in Zukunft ihre Chance in Zeiten globaler, weltwirtschaftlicher Veränderungen hat. ({9}) Wenn die zu verteilende Masse neu definiert werden muß, kann die Verteilung nicht über Verschiebebahnhöfe geschehen. Die Einsparungen müssen zu einem guten Teil bei den Leistungen der sozialen Sicherungssysteme vorgenommen werden. Um diese Einsparungen geht es. Die Sozialausgaben sind bekanntlich dynamisch gestiegen. Wer diese Dynamik mit Einnahmen aus neuen Steuern auffangen will, muß diese neuen Steuern genauso dynamisch erhöhen. Bei der heutigen Steuerlast wäre eine solche Politik das Ende jeder Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der Leistungsbereitschaft der Bürger. Das kann nicht der richtige Weg sein. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchtel, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß im Rahmen der sozialen Sicherung all diejenigen, die arbeiten, auch daran beteiligt sein sollten, Beiträge aufzubringen? Für wie verantwortbar halten Sie es dann, daß Sie keinerlei Gesetze einbringen, um die 4,5 oder gar 5 Millionen Menschen, die heute sogenannte 590- DM-Jobs haben, in die Sozialversicherung einzubeziehen, oder halten Sie es nicht auch für richtig, daß die über 800 000 Scheinselbständigen auch in die Sozialversicherung mit einbezogen werden? Würden dann nicht der Sozialversicherung Beträge in Milliardenhöhe zukommen, die ihr auch zustehen? ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege, diese Fragen sind nicht neu. Sie sind in der Diskussion. Ich denke, die F.D.P. wird Ihnen dazu nachher noch einiges sagen. ({0}) Wenn gestern vom Kollegen Scharping vorgeschlagen wurde, den Beitrag zur Rentenversicherung um einen Prozentpunkt abzusenken und ihn durch Steuern zu finanzieren sowie ein Drittel der gesamten Arbeitslosenversicherungsbeiträge durch den Steuerzahler zu übernehmen, dann wären das annähernd 50 Milliarden DM, die aufgebracht werden müßten. Das Erstaunliche war, daß er dazu gar nichts gesagt hat. Darauf ist er die Antwort schuldig geblieben. Selbst wenn er darauf eine Antwort gehabt hätte, dann hätte er noch lange nichts dazu gesagt, daß diese Steuern wegen der Dynamik der Ausgabensteigerungen im sozialen Bereich eben auch dynamisch angesetzt werden müßten, damit sie diesen Effekt erzielen. Daraus ergibt sich: Auch dieser große Sozialhaushalt mit über 120 Milliarden DM, auch die sozialen Sicherungssysteme müssen einen eigenen Sparbeitrag erbringen. ({1}) - Wenn Sie soviel Applaus erhalten würden, wie ich immer bekomme, dann würden Sie hier im Handstand durch den Bundestag laufen. ({2}) Zentral ist für uns das Thema der Arbeitslosigkeit. Daß aktive Arbeitsmarktpolitik auch mit einem Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 4,1 Milliarden DM möglich ist, wird Ihnen nachher der Kollege Austermann darstellen. Daß die Lösungen auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden werden müssen, ist jüngst wieder durch das Gutachten des Sachverständigenrates nachgewiesen worden. Zu Ihrem Ruf nach europäischen Lösungen möchte ich noch etwas sagen. Dieser Ruf, der hier immer wieder von Ihren Spitzenleuten zu hören ist, ist nichts anderes als eine Problemverdrängung. Sie machen nämlich weder Vorschläge, wie die Finanzierung aussehen soll - Deutschland ist ein NettozahlerHans-Joachim Fuchtel land und müßte für neue Maßnahmen mehr einzahlen -, noch ist es plausibel, daß die anderen Länder um uns herum ihre sozialen Standards schnell erhöhen werden, daß sie zum Beispiel die Urlaubsansprüche erhöhen, die Löhne schnell nach oben anpassen und selbstverständlich auch die Arbeitsstunden pro Arbeitnehmer reduzieren, damit ausgerechnet in Deutschland ein höheres Beschäftigungsniveau erreicht wird. Das ist nicht realistisch. Es erinnert mich aber an die Ära Schmidt, als man nämlich die Staatsverschuldung auf Rekordhöhe und gleichzeitig 5 Prozent Inflation sowie 5 Prozent Arbeitslosigkeit hatte. ({3}) Da mußte auf einmal auch Europa herhalten. Die Fragen der Wettbewerbsfähigkeit müssen in Deutschland selber geregelt werden. ({4}) Europa wird zusammenwachsen - auch sozialpolitisch. Bis es aber soweit ist, sollten wir in einer gemeinsamen Anstrengung alle Ressourcen mobilisieren, die den Arbeitslosen hier in Deutschland kurzfristig helfen. Das Stichwort „Abbau von 2 Milliarden Überstunden" greife ich gerne auf. Die Koalition hat Änderungen beim Kündigungsrecht für Kleinbetriebe durchgesetzt, damit flexibler eingestellt werden kann und damit das Abfindungspoker vor den Arbeitsgerichten aufhört. Wir haben die Ausweitung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse unter Zurückstellung mancher Bedenken vorgenommen. Das heißt - das sage ich vor allem an die Adresse der Arbeitgeber -, die Koalition hat ihre Hausaufgaben auf diesem Gebiet gemacht. ({5}) Jetzt appellieren wir an die Arbeitgeber, aber, mit Verlaub gesagt, auch an die Gewerkschaften in den Großbetrieben, von den rechnerisch weit über 1 Million Arbeitsplätzen, die durch den Abbau von Überstunden zum Teil realisierbar wären, wenigstens 20 Prozent zu realisieren. Das sind 200 000 Arbeitsplätze, und - wenn ich dies als Haushälter sagen darf - hier stehen 8 Milliarden DM zur Diskussion. Zweites Thema: Saisonarbeit. Wir werden 1996 erheblich mehr als 200 000 Saisonarbeiter haben. Das bei 4 Millionen Arbeitslosen zu begreifen fällt vielen schwer. ({6}) Die Saisonarbeiter gibt es übrigens ausschließlich in den alten Bundesländern. Hier möchte ich der Wahrheit die Ehre geben: In den neuen Bundesländern finden sich genug Landsleute, die diese Arbeiten tun. ({7}) Wer meint, solche Arbeiten seien Arbeitssuchenden hierzulande nicht zumutbar, muß dringend für die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes stimmen. Man muß sich nämlich einmal vorstellen: Wir gewähren zu dem Geld aus den Sozialkassen jedem, der solche Saisonarbeiten macht, täglich nochmals 25 DM als Arbeitnehmerhilfe. Trotzdem finden sich nicht genug Leute. Das kann bei 4 Millionen Arbeitslosen nicht länger akzeptiert werden. ({8}) Deswegen geben Sie bitte Ihren Widerstand gegen das Arbeitsförderungs-Reformgesetz auf! Wir appellieren an die Betriebe: Stellt Leute ein! Wir appellieren an die Arbeitslosen: Nehmt auch diese Arbeit an! Das würde wiederum 10 000 Arbeitsplätze oder - aus der Sicht eines Haushälters - 400 Millionen DM weniger Ausgaben bringen. Arbeitslose Bauarbeiter: Die viel zu spät zustande gekommene Zustimmung seitens der Tarifpartner zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung hat sehr viel Geld gekostet. Darüber wird nicht geredet. Es sind über 1 Milliarde DM. Jetzt heißt es, die Sache wenigstens nicht länger zu verzögern, sondern zu handeln. Es geht um 100 000 Arbeitsplätze oder - wiederum in Zahlen gesprochen - weitere 4 Milliarden DM. Ich nenne als Stichwort sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen in Privathaushalten. Blockieren Sie bitte nicht länger das Gesetz! Lassen Sie uns notfalls durch eine knallharte Stichtagsregelung, möglicherweise sogar zusammen mit einer Amnestie, die Sache auf den Weg bringen. Fachleute reden davon, daß wir dadurch kurzfristig 50 000 Arbeitsplätze schaffen könnten. Wenn wir dabei unterstellen, daß nur die Hälfte der Leute Arbeitssuchende sind, kommt in meiner Rechnung immer noch 1 Milliarde DM heraus, die wir nicht an Ausgaben hätten, sondern an Einnahmen verbuchen könnten. Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge: Unterstützen Sie endlich das Konzept von Herrn Minister Kanther! Wir haben im Augenblick mindestens 170 000 Arbeitsverhältnisse von Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland. Das Forschungsinstitut der Bundesanstalt geht von einem Arbeitsmarkteffekt von tatsächlich mindestens 36 000 Arbeitsverhältnissen im Jahr 1997 aus. Das heißt, in Haushaltszahlen ausgedrückt, wiederum 1,3 Millionen DM weniger Ausgaben. Meine Damen und Herren, wenn man wirklich einmal Anstrengungen auf allen Seiten unternehmen würde, könnten wir annähernd 400 000 Menschen zusätzlich Arbeit geben und gleichzeitig einen Entlastungseffekt von über 14 Milliarden DM erwirtschaften. Aber dazu gehört, daß man mit dem, wie ich es einmal bezeichnen möchte, Blockadeluxus aufhört, daß man mit dem Gruppendenken aufhört, daß man aufhört, zu denken, man könne an die Zumutbarkeitskriterien nicht heran. Wir brauchen eine Bereitschaft zu mehr gesamtgesellschaftlichen Akzenten. Dann werden wir mit den Möglichkeiten besser zurechtkommen. ({9}) Einige Worte noch zur Rente. Überall heißt es: Versicherungsfremde Leistungen herausnehmen. Auch als ich kürzlich in einer Unternehmerrunde war, wurde mir das gesagt. Dann habe ich einfach die Frage gestellt, wieviel eigentlich der Bund bis jetzt an die Rentenkassen gezahlt hat. Die Antwort war ein großes Schweigen. Die meisten waren der Meinung: gar nichts. Deswegen muß der Öffentlichkeit einmal gesagt werden, daß die Transferleistungen von der Bundeskasse an die Rentenversicherungen inzwischen 82 Milliarden DM ausmachen. Alle diejenigen, die immer über versicherungsfremde Leistungen reden, müssen das gegenrechnen. Dann sind wir in einer ganz anderen Situation. ({10}) Einen Bundeszuschuß in dieser Höhe hat es noch nie gegeben. ({11}) - Er ist nötig, und er wird auch bezahlt. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, daß Herr Lafontaine kürzlich in der Sendung „Was nun, Herr Lafontaine?" sagte: Wir lassen den Rentnern die Rente und erhöhen die Benzinsteuer. Dann können die Rentner immer noch entscheiden, ob sie mehr Geld fürs Autofahren ausgeben wollen. ({12}) Das sagte Lafontaine am Freitag letzter Woche. Einen solchen Quatsch den Leuten zu erzählen, veranlaßt mich zu der Mahnung, vorsichtig zu sein. Wie sagt doch ein Sprichwort: Wenn der Fuchs predigt, so nehmt die Hühner in acht! ({13}) Noch viel schlimmer ist, daß der Herr Lafontaine den Eindruck erweckt, den Rentnern würde etwas weggenommen. Ich möchte hier schon einmal klarstellen: Alle Überlegungen der Koalition richten sich an die künftigen Rentnergenerationen. An die Rente der heutigen Rentner geht diese Koalition nicht heran. ({14}) Das ist bei uns anders als in der Regierungszeit der SPD. Wir erinnern uns alle noch an massenhaft verspätete Rentenanpassungen, sogar an den Verzicht auf Rentenanpassungen. Das war Ihre Politik! Deswegen müssen Sie ganz ruhig sein. Hans Apel trat damals das Pferd; das wissen wir alle. Aber ich glaube, das hat bis zu Lafontaine nachgewirkt. ({15}) Meine Damen und Herren, hier werden Erwartungen geweckt, die nicht gerechtfertigt sind. Hier sind sozialpolitische Geisterfahrer unterwegs. Wir hingegen werden auch bei der nächsten Rentenreform am Bewährten ansetzen. Das werden wir zusammen mit unserem Minister Norbert Blüm tun. Er kommt mir manchmal wie das Aschenputtel vor: Er muß jetzt die Arbeit machen, und Sie gehen in der Zwischenzeit auf den Tanzboden. Aber ich bin sicher, lieber Norbert Blüm - Sie sind dienstältester Sozialminister unseres Landes; auch dazu einmal herzlichen Glückwunsch -, ({16}) daß die Geschichte so wie in dem Märchen vom Aschenputtel ausgeht: Am Schluß wird das Aschenputtel wachgeküßt. ({17}) So wird es auch der Wähler machen, weil unsere Maßnahmen vernünftig sind und dazu führen werden, daß auch das schwierige Problem der Rente positiv gelöst werden kann. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annelie Buntenbach. ({0})

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es fällt mir jetzt natürlich schwer, wieder an das Thema, um das es hier geht, anzuknüpfen, nachdem hier alle deutschen Märchen vom Prinzen über den Froschkönig bis zum Herrn Blüm durcheinandergewirbelt worden sind. ({0}) - Nein, ich werde das jetzt nicht klarstellen. Ich überlasse es Herrn Blüm, von seiten der Bundesregierung klarzustellen, wie es denn war, als Dornröschen den Prinzen geküßt hat. ({1}) Wir reden hier über ein ernstes Thema, nämlich darüber, wie die Bundesregierung selbst mit ihren Versprechen umgeht, die sie noch im Frühjahr gegeben hat. Seinerzeit haben Sie noch das vollmundige Versprechen abgegeben, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende zu halbieren. An diesem überaus hohen Anspruch muß sich jetzt Ihr Handeln messen lassen. Das Ergebnis der Bilanz, wenn man sie zieht, ist bitter: Die Arbeitslosenzahlen sind weiter gestiegen und werden nach einhelliger Meinung der Experten auch im nächsten Jahr steigen. Trotzdem lassen Sie von aktiver Arbeitsmarktpolitik nur noch Ruinen übrig, auch im Osten, wo das Ende der Arbeitsförderung den Ruin einer ganzen Region bedeutet. Statt Arbeitszeitverkürzung, also Umverteilung der Erwerbsarbeit, mit allen Mitteln zu fördern, setzen Sie auf Arbeitszeitverlängerung und nennen das dann Flexibilisierung. Regulär abgesicherte Jobs werden in Bruchteilbeschäftigung unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze zerlegt, in die dann gerade Frauen abgedrängt werden. Scheinselbständigkeit statt Sozialversicherungspflicht greift rasant um sich. Mit Ihrer Deregulierungsideologie sind Sie unfähig, der zerstörerischen Flucht aus der Sozialversicherung einen Riegel vorzuschieben. ({2}) Sie vernichten kurzsichtig die erworbenen Qualifikationen der Menschen und treiben sie in einen entwürdigenden Verdrängungswettbewerb um die wenigen noch verbleibenden Maßnahmen der Arbeitsförderung und um kaum existenzsichernde Jobs im Billiglohnbereich. Erst entziehen Sie mit Ihrer Politik den sozialen Sicherungen die Grundlage und jammern dann über zu hohe Kosten und Strukturfehler. Das genau ist die Logik, besser gesagt: Unlogik, Ihres AFRG, das Sie hier leider vor wenigen Wochen verabschiedet haben: Mit der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln kündigen Sie jeden Berufs- und Qualifikationsschutz auf und wollen die Menschen zwingen, schon nach einem halben Jahr einen Job anzunehmen, der nur in Höhe des Arbeitslosengeldes bezahlt wird. Damit beschleunigen Sie die Entwertung von erworbenen Qualifikationen, obwohl klar ist - das geht auch noch einmal an die Adresse von Herrn Fuchtel -, daß auch „da unten" kaum Jobs zu haben sind. Sie wissen doch, daß gerade Menschen mit geringen Qualifikationen schon jetzt die größten Probleme am Arbeitsmarkt haben. Mit Ihrer Politik verschärfen Sie lediglich einen gesamtgesellschaftlich gesehen völlig perspektivlosen Verdrängungswettbewerb, in dem es gar keine Gewinner geben kann, außer denjenigen, die an einem großen Angebot von möglichst billigen Arbeitskräften Interesse haben. ({3}) Ein politisches Konzept, das im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit Wirkung zeigen könnte, haben Sie nicht zu bieten. Mit diesem Haushalt setzen Sie Ihre fatale Politik des Rückzugs des Staates aus der Wirtschaft fort, statt angesichts dieses dramatischen Höchststands der Arbeitslosigkeit politisch gegenzusteuern. Sie müssen die aktive Arbeitsförderung verstärken, nicht als Allheilmittel, wie Sie uns immer vorwerfen, aber als ein unverzichtbares Mittel, um Arbeitslosigkeit direkt zu bekämpfen. ({4}) Statt dessen vertrösten Sie die Menschen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, an dem Ihre Geschenke an die Besserverdienenden, die Sie aus den Taschen des unteren Drittels bezahlen, endlich dazu geführt haben sollen, daß diese in neue Arbeitsplätze investieren, statt wie bisher zu spekulieren oder zu rationalisieren. Aber nichts, gar nichts deutet darauf hin, daß in der Wirtschaft statt der Logik der Aktienkurse nun plötzlich die Logik der sinnvollen Ausweitung der Beschäftigung herrscht. Vielleicht aber haben die Arbeitgeber mit dieser Regierung, die ihr Schicksal so sehr in ihre Hände gelegt hat, noch ein Erbarmen. Daß die hilflosen Appelle an die Arbeitgeber nutzen, halte ich für kaum wahrscheinlich. Absehbar ist dagegen der arbeitsmarktpolitische Einbruch, den diese erneute Kürzungsorgie, die dieser Haushalt verkörpert, in den fünf neuen Ländern auslösen wird. Das bedeutet vor Ort eine schlichte Katastrophe in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit zwischen 14,5 und 17,9 Prozent liegt und in der gerade Frauen trotz ihres hohen Qualifikationsniveaus keine Chance auf einen Job haben. ({5}) Die präzisen Fakten auch für den Osten werden wir allerdings erst erfahren, wenn dieses Hohe Haus den Haushalt verabschiedet hat, nämlich nach der Genehmigung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit durch den Arbeitsminister. ({6}) Der Zuschuß des Bundes zum Haushalt der BA und damit das Genehmigungsverfahren selbst sind in den letzten Wochen ins Gerede gekommen - nicht etwa, weil das Parlament in einem Zahlensalat sitzt ({7}) und auf dieser Grundlage gar keine sachlich fundierte Beratung stattfinden kann, sondern weil so getan wird, als wäre es ein unbilliges Anliegen, irgendwie anrüchig, daß die BA überhaupt einen Zuschuß braucht. Ich möchte noch einmal klarstellen: In einer Zeit, in der so viele Menschen auf der Straße liegen, ganze Regionen große Probleme haben, einen tragfähigen ersten Arbeitsmarkt aufzubauen, ist es doch zweifellos ein gesamtgesellschaftliches Interesse, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Ausgrenzung insgesamt und auch von einzelnen Gruppen sich nicht verfestigen zu lassen sowie Qualifikationen und Engagement der Erwerbslosen zu unterstützen und zu fördern. ({8}) Aber, gesamtgesellschaftliche Perspektiven und Politik dieser Regierung schließen einander offensichtlich aus. Zur Verbesserung der Finanzierung muß man sich dringend sowohl über Arbeitsmarktabgabe auseinandersetzen als auch über unser Anliegen, die Sozialversicherung auf eine breitere Basis zu stellen und langfristig alle miteinzubeziehen: Beamte, Selbständige, Besserverdienende. Jetzt laut darüber nachzudenken, daß es in Zukunft nicht einmal mehr eine Unterstützung von Arbeitsförderung aus allgemeinen Steuermitteln geben soll, und die Tatsache, daß sich der Bund selbst gar aus der Defizithaftung für die ArbeitslosenversicheAnnelie Buntenbach rung entlassen will, das ist die komplett falsche Richtung. ({9}) Denn das bedeutet, den Gestaltungsanspruch von Politik aufzugeben. Das ist die öffentliche Vorbereitung auf die nächsten massiven Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung. In Ihrer Verzweiflung rechnen Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, den Haushalt nach Kräften schön. Sie wissen genau, daß das Eis über den Waigel-Abgründen hauchdünn ist. Nicht einmal Ihre Zahlengrundlagen stimmen. Sie schreiben die Höhe der Arbeitslosenzahlen aus 1996 einfach fort, obwohl alle Experten für 1997 einen weiteren Anstieg der dramatischen Arbeitslosigkeit voraussagen. Niemand will das - gar keine Frage -; aber Sie können doch nicht einfach die Augen vor der Realität verschließen, nur weil die nicht in Ihre Haushaltspläne paßt. ({10}) Über kurz oder lang holen diese Realitäten Sie doch wieder ein. Das wenigstens müßten Sie aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt haben. Allein bei der Arbeitslosenhilfe - die Kollegin Wegner hat vorhin schon darauf hingewiesen - mußten Sie in diesem Jahr bis jetzt 5,5 Milliarden DM nachbewilligen. Wenigstens im Sinne der Haushaltswahrheit und -klarheit sollten Sie unserem Änderungsantrag folgen, der den jetzigen Erkenntnisstand in Zahlen umsetzt und den Posten Arbeitslosenhilfe um 3,7 Milliarden DM heraufsetzt. ({11}) Zu allem Überfluß haben Sie, damit der Haushalt noch halbwegs hübsch aussieht, hochspekulative Einsparpotentiale unterstellt, zum Teil aus Gesetzen, die überhaupt noch nicht bis zu Ende durch die parlamentarischen Verfahren gegangen sind. Zwar machen Sie mit solchen Zahlenspielereien bedauerlich deutlich, daß Sie das Parlament genausowenig ernst nehmen wie die Öffentlichkeit; aber aufbringen müssen Sie diese Mittel früher oder später sowieso - schließlich handelt es sich, zumindest noch, um Pflichtleistungen. Weit schmerzhafter wird es da, wo Sie dringend nötige Leistungen streichen wollen: bei aktiver Arbeitsmarktpolitik, bei Fortbildung und Umschulung, bei beruflicher Rehabilitation - kurz: beim Zuschuß der Bundesanstalt für Arbeit. Wo genau Sie das Messer ansetzen wollen, ist nach wie vor unklar; wir befinden uns ja auch erst in der zweiten Lesung dieses Haushaltes. Uns liegt der Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeit seit präzise zwei Tagen und nur in einer Kurzfassung vor. Er geht von einem Zuschußbedarf von 9,4 Milliarden DM aus. Finanzminister Waigel hat inzwischen - nach einem Start bei null - den Zuschußbedarf auf 4,1 Milliarden DM erhöht. Klar ist: Das reicht definitiv nicht. Minister Blüm hat schon im September völlig zu Recht klargestellt: In Nürnberg ist nichts mehr zu holen. Aber wie schon so oft hat sich unser Minister da nur versprochen und setzt jetzt auf das Wunder von Nürnberg - oder ist es eher das Wunder von Bonn? -, nämlich auf die wundersame Vermehrung von Angeboten aktiver Arbeitsmarktpolitik bei immer geringerem Mitteleinsatz. ({12}) Nach dieser unglaublichen Logik - also: weniger Geld ergibt mehr Erfolg - müßte die Arbeitslosigkeit inzwischen schon fast beseitigt sein; schließlich sind die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik seit 1993 schon um 18 Milliarden DM auf knapp 40 Milliarden DM gekürzt worden - und das trotz ständig steigender Erwerbslosigkeit. Je mehr Menschen auf der Straße stehen, desto weniger Unterstützung bieten Sie ihnen an. Dabei muß doch auch Ihnen völlig klar sein, daß viele, die einmal erwerbslos geworden sind, den Sprung zurück in diesen olympiareifen ersten Arbeitsmarkt aus eigener Kraft gar nicht schaffen können und daß Sie so Ausgrenzung zementieren. Einer weiteren Milliarde Kürzung bei den Mitteln für Fortbildung und Umschulung haben Sie, Herr Blüm, schon zugestimmt, obwohl auch Ihr Parteifreund Jagoda, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, öffentlich gesagt hat, daß uns die Kürzungen bei der Berufsförderung langfristig sehr teuer zu stehen kommen und daß dies zu höherer Arbeitslosigkeit führen wird. Die Qualifikationen der Menschen sind ein entscheidender Faktor des Reichtums einer Gesellschaft. Statt dieses Potential zu erhalten und weiterzuentwickeln, betreiben Sie eine Politik, die diese Qualifikationen dem kurzfristigen Stopfen von Haushaltslöchern opfert. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesarbeitsministeriums steigt um 2,6 Prozent und bleibt mit 127 Milliarden DM der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Wie jedes Jahr entzündet sich an diesem Haushalt auch die Debatte über das sozialpolitische Thema „Umbau des Sozialstaats". Man könnte vielleicht die Frage stellen, was die Bürger von einer solchen Debatte erwarten. ({0}) Erwarten Sie, daß es in den schablonenhaften Mustern wie immer abläuft? Die Opposition sagt: Alles, was diese Regierung tut, alles, was sie plant, alles, was die Koalition beschlossen hat, ist abzulehnen, taugt nichts, wirkt nicht. ({1}) Und unsere Seite sagt, vielleicht nur als Verteidigung: Die Opposition hat kein Konzept. Meine Damen und Herren, ich denke, die Bürger erwarten etwas aus Rede und Gegenrede, was ihnen Antwort gibt auf die Frage, warum dieser Kostendruck in den sozialen Versicherungen besteht und warum Sparen der richtige Weg ist und warum die Maßnahmen, die ergriffen werden, wirken werden und wirken sollen. Es steckt ein bißchen aufklärerischer Idealismus in der Vorstellung, daß eine Parlamentsdebatte auch etwas mit der Aufhellung von Tatsachen und Wahrheiten zu tun haben könnte. Aber etwas von dieser Kultur könnten wir doch vielleicht einmal anstreben. Die Koalition hat den Kurs der Sparpolitik eingeschlagen und auch wichtige Etappenziele erreicht. Verabredet ist, Lohnnebenkosten zu senken. Ich will jetzt nicht all das wiederholen, was man in der Analyse bereits gestern sehr ausführlich dargelegt hat, und sagen, warum das richtig ist. Wir wollen auch den Bundeshaushalt sanieren, und dazu stehen alle sozialen Versicherungen auf dem Prüfstand, zum Beispiel die Renten. Der Umbau ist hier in vollem Gang. Ich darf die wichtigsten Maßnahmen, die bereits in Gesetzen beschlossen sind, noch einmal aufführen: Die Frühverrentung wurde abgeschafft, die Altersgrenzen wurden stufenweise heraufgesetzt, Rehabilitationsmaßnahmen auf ein vernünftiges Maß reduziert, Fremdrenten für Aussiedler zurückgeführt und Ausbildungszeiten in der Rente verkürzt. ({2}) Kurzum: Die Renten sind wieder näher an die Beiträge herangerückt. Die oben aufgeführten Reformmaßnahmen gehören übrigens alle in den Katalog der sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Aber dazu später. Die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten werden wir gründlich reformieren, und Ende des Jahres rechnen wir mit Vorschlägen der Rentenkommission zur langfristigen Sanierung der Renten. ({3}) Warum steigt dann aber der Beitrag zur Rentenversicherung von 12,2 auf 20,3 Prozent? ({4}) Das ist ein ungeheurer Schritt in die falsche Richtung. SPD und Grüne sparen nicht mit Vorwürfen, die Koalition und der Bundesarbeitsminister hätten die Rentenversicherung nicht im Griff, und entstehe nicht in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß in Bonn permanent Sparmaßnahmen beschlossen werden, ein Gesetz das andere jage, die versprochenen Wirkungen aber ausblieben? ({5}) Das drückende Problem der Arbeitslosigkeit ist noch ungelöst. Ungeduldige Rufe an die Adresse der Unternehmer werden schon laut. Ich will auf diese Vorwürfe einmal eingehen, um klarzumachen, in welchen Zeiträumen wir hier eigentlich Wirkungen erwarten können und wie sich das abspielt, auch in einer Demokratie abspielt, meine Damen und Herren. ({6}) - Wenn ich mir überlege, wieviel Vorschläge wir in der Zwischenzeit auch seitens der SPD gehabt haben, um Lohnnebenkosten zu steigern, dann will ich darüber nichts sagen. ({7}) In einer Demokratie vollziehen sich politische Meinungsbildungsprozesse vor der gesamten Öffentlichkeit. Nicht immer wird deutlich, daß es sich bei Beschlüssen um Eckpunkte, Gesetzentwürfe, Beratungen im Bundestag und im Bundesrat immer um denselben Gegenstand handelt und daß auf Grund der SPD-Blockade im Bundesrat manchmal dasselbe Gesetzesvorhaben - dieses Mal dann nicht zustimmungsbedürftig - wieder in den Bundestag eingebracht wird. So steht zum Beispiel das Beschäftigungsförderungsgesetz erst seit sechs Wochen im Bundesgesetzblatt, und die getroffenen Regelungen zum Rentenrecht haben einen Vertrauensschutz und lange Übergangsfristen. Die entlastende Wirkung tritt also erst in zwei oder drei Jahren ein. Dennoch kann man mit einiger Zuversicht sagen, daß dank der Koalition und trotz der Blockade der Opposition für die Stabilität der Rentenversicherung kurz- und mittelfristig das Notwendige getan wurde. ({8}) Die Sicherung des Rentensystems bis in die Mitte des nächsten Jahrhunderts ist das Thema der Rentenkommission. Hier geht es um das Problem der demographischen Verschiebung: Weniger Beitragszahler, mehr Leistungsempfänger und vor allem längerer Leistungsbezug. Dazu kommt die Berücksichtigung von Kindererziehung und Familienleistungen sowie das Problem der additiven Kindererziehungszeiten. Aus Sicht der F.D.P. möchte ich nur soviel sagen: Die langfristige Sicherung kann nicht dadurch erreicht werden, daß nur die Einnahmeseite verbessert wird, insbesondere ein wachsender Staatszuschuß ins Kalkül gezogen wird. Es ist nicht die Frage zu stellen: Wie sicher ist meine Rente?, sondern: Wie hoch ist sie? Was deckt sie ab? Dem Bundesarbeitsminister ist zuzustimmen, wenn er sagt: Für ein festgeschriebenes Niveau gab es nie eine Ewigkeitsgarantie. Die Gewissheit über die vorDr. Gisela Babel aussichtliche Höhe ihrer späteren Rente, die die heutigen Beitragszahler zu Recht einfordern, ist Voraussetzung dafür, daß sie erkennen können, inwieweit eine Eigenvorsorge nötig ist. Diese Eigenvorsorge wird wie auch die betriebliche Alterssicherung in Zukunft eine sehr viel größere Bedeutung haben als sie heute hat. Sie muß mehr, aber mindestens in derselben Weise wie heute vom Staat gefördert werden. Dies ist vor allem auch schon bei der Steuerreform zu berücksichtigen. Von der SPD hört man zur Rentenversicherung nur, daß die versicherungsfremden Leistungen herausgenommen, über Steuern finanziert werden und die 590-Mark-Verträge versicherungspflichtig werden sollen. Ich gehe auf beides ein. Versicherungsfremd ist ein stigmatisierendes Wort. Wenn man hört, was der VDR in seinem Katalog aus dem Jahre 1995 auflistet, staunt man: Die Altersrente der Frauen, die Rente nach Mindesteinkommen, die Beiträge der Rentenversicherung in die Kranken- und Pflegeversicherung sind laut diesem Katalog alles versicherungsfremde Leistungen, die vom Steuerzahler zu erbringen sind. Das ist meines Erachtens völlig verfehlt. Es kennzeichnet eine soziale Versicherung, daß sie bei den Beiträgen auch soziale Tatbestände der Rentenbezieher berücksichtigen kann, freilich nicht muß. Der Unterschied zwischen Koalition und SPD ist aber, daß die SPD dies nur anders finanzieren will, während die Koalition gerade bei diesen Leistungen mit den Sparmaßnahmen angesetzt hat. ({9}) Wenn diese greifen - die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten wegen Arbeitslosigkeit mitgerechnet -, dann deckt bereits der Bundeszuschuß die als gesamtgesellschaftliche Aufgaben charakterisierten Leistungen der Rentenversicherung ab. Voraussetzung ist - hier müssen natürlich alle Sozialpolitiker gemeinsam aufpassen -, daß keine neuen Lasten geschaffen werden. Zu den 590-Mark-Verträgen nur soviel: Die F.D.P. lehnt die Versicherungspflicht rundum ab. Sie steht mit dieser Auffassung etwas alleine da. Sie hatte auch Mühe, in dieser Frage den Konsens innerhalb der Koalition aufrechtzuerhalten. Deswegen bitte ich auch, kritische Fragen hierzu nicht an die CDU zu richten. Der 590-Mark-Vertrag entwickelt sich in der sozialpolitischen Diskussion zu einer Art Jäger 90: ({10}) Eine Wunderwaffe, die für und gegen alle Probleme eingesetzt werden kann. Mit der Versicherungspflicht für dieses „kleine Stückchen Arbeit" könnte man - so scheint die Hoffnung zu sein - umfassenden sozialen Schutz für alle Beschäftigten, Lösung aller Finanzprobleme der sozialen Versicherungen und die Solidarität aller Erwerbstätigen mit einem Schlag erreichen. Meine Damen und Herren, das ist nicht so, und Sie wissen es. Ich wehre mich gegen die Verunglimpfung der 590-Mark-Verträge und der in diesen Verträgen Beschäftigten. ({11}) Sie sind ein kleines Stückchen Freiheit von der Abgabenlast. ({12}) Diese Abgabenlast haben wir gerade auch Arbeitnehmern aufgebürdet. Dieses Stückchen Freiheit sollten wir ihnen lassen. ({13}) Ein weiteres Beispiel sozialdemokratischer Sozialpolitik - weil Sie Goldgraben und Ölbohren noch nicht machen, das Problem also durch Erschließen neuer Geldquellen zu lösen versuchen - ist die neulich beschlossene Ausbildungsabgabe.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Babel, halten Sie es für sozial gerecht, daß, wenn zum Beispiel ein Kurzarbeiter einen 590-DM-Job annimmt und dadurch ein Gesamteinkommen von 4 000 DM hat, er dann für 590 DM überhaupt nichts beiträgt, während derjenige, der voll arbeitet und 4 000 DM verdient, alle Sozialversicherungsabgaben zu zahlen hat? Halten Sie das tatsächlich für sozial gerecht? ({0})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Antwort ist ganz eindeutig. Nicht alles, was auf die Wiese geführt wird, kann auch gemolken werden. ({0}) Sie sollten also aufhören, überall Möglichkeiten zu suchen und zu finden, aus denen Sie Beiträge erheben können. ({1}) Sie sollten sich freuen, wenn ein Arbeitnehmer eine zusätzliche Einnahmequelle hat und sie nicht belastet wird. Sie sollten sich freuen. Für mich ist allerdings derjenige, ({2}) der mit diesen hohen Abgaben belastet ist, auch ein Ansprechpartner. Die Politik sollte versuchen, auch für ihn die Lasten der Abgaben und der Steuern zu senken. Insofern sind die 590-DM-Verträge für mich ein Impuls in die andere Richtung und nicht so, wie Sie das denken. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Dreßen?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Babel, ich stelle Ihnen doch noch einmal die Frage: Halten Sie es wirklich für so sinnvoll, daß sich immer mehr Menschen auf Grund solcher Programme aus der Sozialversicherung verabschieden und daß ja auch mit den 590-DM-Jobs legale Arbeitsverhältnisse kaputtgemacht werden? Halten Sie das tatsächlich für unser System für zuträglich und für eine zukunftsweisende Möglichkeit?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dreßen, auch wenn Sie die Frage in anderen Worten noch einmal stellen, werden Sie von mir keine andere Antwort, wenn auch vielleicht eine Antwort in anderen Worten hören. Ich halte es für sozial gerecht, wenn die Politik sich darum kümmert, daß die Leute einen ausreichenden sozialen Schutz haben, und ich halte nichts davon, daß man diesen sozialen Schutz auch dort einzurichten versucht, wo er nicht gebraucht wird oder wo die Leute ihn nicht brauchen oder nicht wollen. ({0}) Das ist der Punkt, an dem wir uns total unterscheiden. Sie wollen die Leute zu ihrem Glück zwingen, und zwar zu dem, was Sie als ihr Glück ansehen, und die Liberalen sagen, der Staat soll den anderen die Freiräume schaffen. Sehen Sie einmal, man könnte die 590-DM-Verträge durchaus auch verwenden, um eine eigene Alterssicherung durch Eigenvorsorge aufzubauen. Keiner hindert den Arbeitnehmer daran. Es gibt wesentlich mehr Formen der Altersrente als die aus der Rentenversicherung; das wissen Sie so gut wie ich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie noch eine Frage der Abgeordneten Buntenbach?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Babel, habe ich Sie vorhin, als Sie sagten, die Möglichkeit, unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze ohne Sozialversicherungsabgaben zu arbeiten, sei ein Stück Freiheit, richtig verstanden, daß das - auch gerade im Zusammenhang mit dem Beispiel, das Kollege Dreßen angesprochen hat - eigentlich ein Plädoyer für Schwarzarbeit war, oder habe ich Ihre Äußerung eher so zu verstehen, ({0}) daß Ihr Ziel darin besteht, daß brutto gleich netto ist, es also das größere Stück Freiheit wäre, daß die Sozialversicherungspflicht viel weiter abgeschafft wird, als das jetzt der Fall ist? ({1})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, ich sage es noch einmal, und vielleicht beruht dieser Unterschied wirklich auf einem ganz anderen Menschenbild: Ich würde doch bei solchen Fragen auch einmal die Betroffenen berücksichtigen. Würden sie sich denn einen solchen Versicherungsschutz wünschen? Sie können doch nicht verbrämen, daß der Vorschlag, diese Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig zu machen, darin besteht, daß Sie aus diesen Verträgen Geld in die Sozialkasse bekommen wollen und nichts anderes. ({0}) Das, was Sie an sozialem Schutz erreichen, ist lächerlich. Wenn Sie sie fragen und Ihnen alle antworten, wir wollen diesen 590-DM-Vertrag so, wie er ist, erhalten, finde ich ihn, weil immerhin Finanzminister Waigel mit 20 Prozent Lohnsteuer ein bißchen was davon hat, immer noch wesentlich besser als Schwarzarbeit. Davon hat er ja nun gar nichts. Wenn Sie diese Verträge abschaffen, dann haben Sie dem Waigel auch noch die Lohnsteuern gekürzt, was ich nicht so nett finde. ({1}) Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Ausbildungsabgabe; hier nur ganz kurz in Richtung der SPD. Es ist auch schon gesagt worden. Das Anliegen ist verständlich und für uns alle auch ein Problem, der Jugend garantieren zu wollen und zu müssen, daß sie eine qualifizierte Ausbildung erhält und die Art und Weise, wie wir ausbilden, auch Standortqualität hat. Insofern erkennen wir das Motiv auch als durchaus richtig und akzeptabel, aber die Vorstellung, daß Sie das mit einer Ausbildungsabgabe erreichen, ist unrealistisch. Die Betriebe, die nicht ausbilden, sollen eine Abgabe zahlen. So habe ich Sie verstanden. ({2}) - Na gut, eine Umlage. Herr Gilges, wir wollen uns nicht über die Technik streiten, aber jedenfalls geht es doch nicht daran vorbei, daß Sie sich an die Betriebe wenden und diese sozusagen mit einer Abgabe belasten wollen. Wenn Sie es so organisieren, daß die Betriebe es nicht merken, dann hätten Sie ein Kunststück vollbracht. ({3}) Ihr Weg bringt auch hier wieder zusätzliche Kosten und Belastungen mit sich. Das Gegenteil ist das Ziel dieser Koalition; wir wollen die Betriebe entlasten, so daß sie das Geld, das vielleicht vorhanden ist, für Investitionen nutzen können und Arbeitsplätze entstehen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Dr. Babel, der Kollege Gilges möchte gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie einverstanden sind.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

So. ({0})

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, finden Sie es eigentlich nicht richtig, daß die Betriebe, die ausbilden, entlastet werden, und daß die Betriebe, die nicht ausbilden, belastet werden? Ist das nicht eigentlich ein vernünftiger Gedanke? ({0}) Dadurch wird doch Wettbewerbsgleichheit wiederhergestellt, so daß derjenige, der nicht ausbildet und daher keine Ausbildungskosten hat, keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber demjenigen hat, der ausbildet und der dadurch sonst - Ausbildung kostet ja heute etwas, Gott sei Dank - einen Wettbewerbsnachteil erleiden würde. Um Wettbewerbsgleichheit wiederherzustellen, müßte doch ein Ausgleich zwischen demjenigen, der nicht ausbildet, und demjenigen, der ausbildet, geschaffen werden. Das hat doch nichts mit Umlage oder mit zusätzlicher Belastung zu tun. Das hat etwas damit zu tun, daß Gleichheit wiederhergestellt werden soll. ({1}) - Ja. ({2})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Gilges, dem zweiten Teil Ihrer Ausführungen stimme ich zu, wenn Sie nämlich fragen, ob wir nicht daran denken müßten, daß die Betriebe, die ausbilden, entlastet werden müssen, und zwar von den hohen Kosten der Ausbildung. Da ist in der Tat etwas dran. Von den Betrieben bekommt man heute gesagt: Ein normaler Arbeitnehmer ist für einen Betrieb billiger als ein Lehrling, der ausgebildet wird. Das sind ja schon ganz klare ökonomische Vergleiche. Darüber müssen wir reden. Übrigens ist dieselbe Frage von jemandem von Ihrer Seite - nicht von Ihnen - heute schon Graf Lambsdorff gestellt worden. Ich kann ganz ähnlich wie er antworten. Das Problem ist natürlich vorhanden. Wir denken nur, daß der Weg, den Sie einschlagen, der falsche ist. ({0}) Wenn die Aussicht einer zusätzlichen Belastung zu einer größeren Ausbildungsbereitschaft führte, dann könnten wir darüber reden. Aber das Gegenteil wird eintreten. Alle werden die Abgabe zahlen und sich so der Ausbildungsverpflichtung entziehen. Das kann nicht der Weg sein. Wir wollen das gleiche Ziel wie Sie erreichen, aber nicht so. Ich komme zum Schluß. Ich weiß, die Debatte zieht sich etwas in die Länge. Ich möchte jetzt gern zu Ende sprechen. Auf die Reform der Arbeitslosenversicherung kann ich jetzt nicht mehr eingehen. Wir haben ja bei der Einbringung der Reform darüber ausführlich diskutiert. Die entsprechende Gesetzesnovelle liegt jetzt im Bundesrat; sie bedarf der Zustimmung. So, wie es jetzt aussieht, zeichnet sich bei der SPD auch hier wieder ein Nein ab. Die SPD mag auf ihre geschlossene Front der Ablehnung im Bundestag und Bundesrat stolz sein. Den Betrieben, den Beschäftigten, den Arbeitslosen erweisen Sie einen schlechten Dienst. ({1}) Ihre Politik verbaut die Zukunft, und unsere Politik zielt darauf ab, die Zukunft zu sichern. Nur durch Senken der Abgaben und der Steuern wird Beschäftigung gesichert und der Arbeitsmarkt belebt. Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung 1997 entspricht diesem Ziel. Die F.D.P. wird dem Einzelplan 11 daher zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort nun der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Babel, es als ein Stück Freiheit zu bezeichnen, wenn Frauen unterhalb der Versicherungspflicht arbeiten müssen - Sie wissen genauso wie ich, daß sie keine andere Chance haben -, das empfinde ich wirklich als blanken Zynismus. ({0}) Der hier zur Debatte stehende Haushalt des Arbeitsministers - das arme Aschenputtel ist es ja neuerdings - bringt die größten Opfer auf dem Standortaltar. Senkung der Staatsquote, Erfüllung der Maastricht-Kriterien, Abbau der Sozialleistungsquote - das sind die neuen Dogmen, vor denen eine wirkungsvolle Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit kapituliert. Das Schicksal von Millionen Menschen, arbeitsloser Frauen und Männer, noch Beschäftigter, kommt bei Ihnen nur noch als Kostenstelle vor. Das ist doch ein unerträglicher Vorgang. Mit dem Einzelplan 11 verabschiedet sich die Koalition endgültig von ihrem Versprechen, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende zu halbieren. Statt dessen verschärfen Sie den Konfrontationskurs gegenüber den Erwerbslosen. Obwohl alle Prognosen von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgehen, will die Regierung die Leistungen bei den Arbeitslosen und für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen kürzen. 16 Milliarden DM allein durch Kürzung der Arbeitslosenhilfe und des Zuschusses an die Bundesanstalt. Das ist der eigentliche Skandal. Es ist ja wahr, daß die grundlegende Wende auf dem Arbeitsmarkt nicht allein durch die Regierungspolitik erzielt werden kann. Wahr ist aber auch, daß die Bundesregierung die entscheidenden Weichenstellungen zu einer Veränderung verpaßt und ernsthafte Bündnispartner dafür vor den Kopf gestoßen hat. Im Verein mit der Unternehmerschaft hat sie das von den Gewerkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausgeschlagen und statt dessen mit der Beseitigung angeblicher Einstellungshemmnisse einseitig die Interessen der Unternehmer bedient. Nichts, aber auch gar nichts ist dabei herausgekommen, und es mutet einen ja schon grotesk an, wenn der Bundesarbeitsminister und der Bundeskanzler jetzt Krokodilstränen darüber vergießen, daß ihre Gefälligkeitspolitik zwar von den Unternehmern dankend angenommen wurde, aber folgenlos blieb. Die Unternehmer werden neuerdings aus Ihren Reihen als Unterlasser gegeißelt, sie seien in der Bringschuld und wüßten nichts anzufangen mit Steilvorlagen wie Kürzung der Lohnfortzahlung und eingeschränktem Kündigungsschutz. Sie irren auch hier, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Die Unternehmer wissen sehr gut mit Ihren Vorleistungen umzugehen. Sie machen nämlich genau das, was Sie ihnen als originäres Recht zugestanden haben, sie machen Gewinne. Wenn man das heute am ehesten ohne Neueinstellungen und sogar mit Entlassungen kann, wie die Aktienkurse zeigen, um so besser. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Henkel, hat darauf im „Handelsblatt" in dankenswerter Offenheit hingewiesen. Die Gewinne von heute sind eben längst nicht mehr die Investitionen von morgen und schon gar nicht die Arbeitsplätze von übermorgen. Wann begreifen Sie endlich, daß Sie einem katastrophalen Selbstbetrug aufsitzen und von den Arbeitgebern an der Nase herumgeführt werden? ({1}) Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß das für 1997 prognostizierte Wachstum nicht mit dem Abbau von Massenarbeitslosigkeit einhergeht, im Gegenteil. Sie ignorieren, daß der Deutsche Industrie- und Handelstag für das nächste Jahr weit mehr Entlassungen als Einstellungen vorhersagt. Es scheint Sie nicht aufzuschrecken, wenn Ihr Parteifreund Späth weitere Entlassungen in Ostdeutschland in Größenordnungen von 500 000 bis 600 000 erwartet, und es ärgert Sie lediglich, daß die Unternehmer trotz aller Vorleistungen der Regierung von einer Bringschuld nichts wissen wollen. Wann aber ändern Sie endlich Ihre Politik? ({2}) Warum hängen Sie weiter dem Kinderglauben an, daß Wachstum alle Probleme löst, wo Ihnen selbst der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit erklärt hat, daß es heute so nicht mehr funktioniert? Warum glauben Sie immer noch, daß gesenkte Unternehmersteuern und Lohnnebenkosten sowie gekürzte Sozialleistungen Arbeitsplätze schaffen, wo Ihnen doch die Arbeitgeber tagtäglich das Gegenteil beweisen? Und warum nutzen Sie nicht wenigstens die Hebel, die Ihnen das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gewiesen hat? ({3}) Es ist in den vergangenen Tagen hier schon häufig darauf hingewiesen worden. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Politik ist stinkkonservativ, ideenlos und trägt zur Verschärfung der gegenwärtigen Krise bei. Sie sind in diesem Haus in Wirklichkeit die ewig Gestrigen. ({4}) Der Einzelplan 11 ist dafür ein in Zahlen gegossener Beweis. Natürlich weiß auch ich, daß der Haushalt des Bundesarbeitsministers mit Abstand der größte ist und auch Zuwachsraten aufweist. Aber das ändert leider nichts an der Tatsache, daß Sie trotz der katastrophalen Beschäftigungssituation ausgerechnet bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik drastisch kürzen. Und liebe Kollegen der Koalition, die Sie aus den neuen Bundesländern kommen: Trauen Sie sich eigentlich noch in Ihren Wahlkreis? ({5}) Nach Ihren vollmundigen Versprechungen sind Sie nun völlig eingeknickt und rechtfertigen auch noch die massiven Kürzungen bei F+U und ABM. Das ist wirklich Verrat an den Menschen in Ostdeutschland, Verrat an den unzähligen Frauen und Männern, die wenigstens mit dieser Beschäftigungsmöglichkeit gerechnet haben. ({6}) Mit dem Einzelplan 11 trifft der Bundestag nämlich zugleich eine Vorentscheidung über die Handlungsfähigkeit der Bundesanstalt. Die von der Bundesanstalt geforderten 9,4 Milliarden DM Zuschuß wollen Sie auf 4,1 Milliarden reduzieren. Das ist unverantwortlich, insbesondere deshalb, weil Sie wissen, daß selbst der von der Bundesanstalt errechnete Zuschuß nur einen Minimalbedarf ausweist, weil er erstens ein weiteres Anwachsen der Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt, obwohl der Sachverständigenrat alles andere sagt, weil er zweitens schon Kürzungen für F+U, ABM und berufliche Rehabilitation von 720 Millionen Mark beinhaltet, und weil er drittens Einsparungen von fünf Milliarden enthält, die angebDr. Heidi Knake-Werner lich durch Ihr sogenanntes Sparpaket oder das Programm für Wachstum und Beschäftigung erwirtschaftet werden sollen - alles Luftbuchungen, auf die Sie die Rechnung stützen. Wenn also der Zuschußbedarf der Bundesanstalt heute nicht erhöht wird, bedeutet dies 30 000 F+UMaßnahmen und 7 000 ABM weniger, nicht gerechnet all das, was dann an Infrastrukturmaßnahmen zusätzlich wegfallen würde. Der Bundesarbeitsminister hat dies bereits öffentlich angekündigt und in einer ebenso abenteuerlichen wie demagogischen Gegenrechnung erklärt, wie dennoch 13 000 neue Maßnahmen zustande kommen. Das neue Wundermittel: Lohnkostenzuschüsse. Der Ansatz für § 242 s- und § 249 h-Maßnahmen ist deshalb auf 2 Milliarden DM verdoppelt worden. Nur wird hier einem Phantom nachgejagt; denn die Realität sieht anders aus. Das wissen auch Sie. Diese Instrumente sind schon jetzt nur begrenzt erfolgreich. Die Gründe liegen auf der Hand: Es fehlt nicht an sinnvollen Tätigkeitsfeldern, aber an Geld der Kofinanziers. Die Länder, Kommunen und andere Träger sind pleite. Woher sollen sie das Geld für aufwendige Komplementärfinanzierungen nehmen? Sie wissen genau, daß sie das nicht können. Der Arbeitgebervertreter im Vorstand der Bundesanstalt kommentiert diesen Umstand mit der Feststellung, es sei ohnehin besser, in echte Arbeitsplätze zu investieren, statt künstliche Beschäftigung zu schaffen. Ich kann nur sagen: Diese Arbeitgebervertreter sind wirklich die größten Blindfische hier im Land. ({7}) Es ist also mehr als wahrscheinlich, daß die 50 000 neuen Stellen durch Lohnkostenzuschüsse nichts weiter als ein erbärmliches Blümsches Rechenkunststück bleiben. Herr Minister, wenn Sie die von Ihnen aufgestellten Zumutbarkeitskriterien ernst nehmen würden, wären Sie schon lange durchgefallen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluß. Die PDS lehnt den Einzelplan 11 ab, weil allein im Bereich der Arbeitsförderungsleistungen der Haushalt des Bundesarbeitsministers wie in den Vorjahren unseriös ist. Im Laufe des Haushaltsjahres werden Überschreitungen und Nachbewilligungen nötig. Wer derart voraussehbar zu niedrige Ansätze bewilligt, der will nicht nur den Haushalt schönreden, sondern beabsichtigt auch,

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- den Raubzug durch die Portemonnaies der Ärmsten fortzusetzen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Debatte vor Augen führt und fragt, mit welcher Perspektive ein normaler Bürger außerhalb des Parlaments verfolgt, was die einzelnen Parteien vortragen, welche Möglichkeiten für zusätzliche Arbeitsplätze sich bisher abgezeichnet haben, dann wird vor allem eines deutlich: Es gibt eine Fülle von Zahlen, es gibt eine Fülle von Behauptungen, die sich gegenüberstehen. Es gibt auf seiten der Opposition die Behauptung, wir würden den Sozialstaat demontieren. Der Kollege Fuchtel und andere haben klargestellt, daß wir in der Tat in einem besonders hohen Maße gerade auch für das nächste Jahr Sozialleistungen vorhalten, daß die Mittel, die dafür ausgewiesen werden, einen erheblichen Umfang erreicht haben. Ich will dazu gleich noch im einzelnen etwas sagen. Wenn man die einzelnen Modelle hört, sofern man bei der Opposition von Modellen reden kann, wird man sicher fragen: Wo hat denn der eine oder andere bisher bewiesen, daß das, was er vorträgt, funktioniert? Ich brauche auf die Vorrednerin nicht einzugehen. Auch von ihrem politischen Werdegang her verbietet sich das geradezu. ({0}) Ich nehme die Situation der Opposition und die Situation der Koalition und stelle fest, daß wir, Mitte der 80er Jahre beginnend, nach dem Regierungswechsel 1982 eine gewaltige Beschäftigungswelle mit 31/2 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen ausgelöst haben ({1}) - ich komme gleich darauf zurück -, die ganz wesentlich ihre Ursache darin hatte, daß der Staat seinen Teil der Arbeit erfüllte, indem er die Rahmenbedingungen verbesserte. Die steuerliche Belastung wurde durch eine dreistufige Steuerreform abgesenkt. Es wurden Veränderungen bei der Belastung durch Abgaben vorgenommen. Die Abgabenquote war niedrig; der Fraktionsvorsitzende der Union hat gestern darauf hingewiesen. Man hat den Erfolg bis in das Jahr 1992 hinein festgestellt. Dann haben wir alle miteinander den einen oder anderen Fehler gemacht, weil wir auf Grund der Entwicklung - 10 Jahre Wachstum - geglaubt haben, das, was in dem letzten Jahrzehnt an sozialen Leistungen entwickelt worden ist, könnte kräftig weiter ausgebaut werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meinetwegen.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Austermann, ist Ihnen die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD aus dem letzten Jahr bekannt, in der die Bundesregierung feststellt, daß die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten Jahren in dem gleichen Prozentsatz gewachsen ist, wie die individuelle Arbeitszeit durch die Arbeitszeitverkürzungspolitik der Arbeitnehmer zurückgegangen ist, ({0}) und daß die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden in den letzten 15 Jahren nahezu gleichgeblieben ist? Würden Sie mir unter diesem Gesichtspunkt zustimmen, daß ein entscheidender Beitrag für diesen Zuwachs an Arbeitsplätzen die Umverteilung der Arbeit durch die gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik war?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, daß es im Bereich der Wirtschaftsfachleute, die ernst zu nehmen sind, niemanden gibt - außer vielleicht ein bestimmtes Institut in Bremen -, der die Auffassung vertritt, daß uns die Verkürzung der Arbeitszeit wesentlich vorangebracht hat oder in Zukunft wesentlich voranbringt. Ich persönlich behaupte, daß wir mehr arbeiten müssen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Ich könnte das konkret an einer Fülle von Beispielen belegen. Ich könnte eine Anekdote erzählen und möchte einmal das aufnehmen, was der Kollege Fuchtel vorhin gesagt hat. Ein kleines Unternehmen in meinem Wahlkreis hatte ein Jubiläum. Da sprach der Vorstandsvorsitzende des schweizerischen Unternehmens, dem dieses kleine Unternehmen in meinem Wahlkreis gehört. Er redete in typischem Schwyzerdütsch, sehr langsam. Er bat dafür um Verständnis und sagte: Da wir in der Schweiz nicht ganz so schnell sind wie die anderen Menschen, brauchen wir nach wie vor die 40-Stunden-Woche. - Er machte eine Pause und sagte dann: Vielleicht liegt es auch daran, daß wir Vollbeschäftigung haben. Ich glaube, Herr Büttner - er enteilt gerade -, daß das durchaus eine geeignete Antwort auf Ihre Frage ist. Sie können von Betrieb zu Betrieb gehen. Es gibt mit Sicherheit keinen einzigen Inhaber, der Ihnen heute sagen wird, daß wir mehr Arbeitsplätze dadurch schaffen, daß wir die Arbeitszeit bei gleichem Lohn verkürzen. Das ist doch ökonomischer Unfug. ({0}) Ich glaube, wir müssen dort ansetzen, wo wir in den 80er Jahren begonnen haben, nämlich eine zweite Beschäftigungswelle auszulösen. Dies haben wir mit einer Fülle von Maßnahmen gemacht, die in dem Programm für Wachstum und Beschäftigung enthalten sind. Ich nenne als Beispiele: mehr Geld für Existenzgründungsdarlehen, Geld für Eigenkapitalhilfen. Ich rechne dazu auch die Entscheidungen, die - zum Teil mit Ihrer Zustimmung; Sie sollten das nicht schlechtreden - im Bereich der Pflege getroffen worden sind, durch die zusätzliche Dienstleistungsberufe geschaffen werden. Wir würden gem auch im Bereich der Haushaltshilfen zusätzliche Arbeitsplätze in Dienstleistungsberufen schaffen. Wir würden gerne durch eine Senkung von Steuern, vor allem der Steuern auf die Substanz der Unternehmen, zusätzlich frischen Wind in bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auslösen. Das, was wir bei der Lohnfortzahlung und beim Kündigungsschutz entschieden haben, ist durchaus geeignet, Betriebe zu entlasten. Ich nehme das auf, was hier vorhin in bezug auf die Beiträge der Gewerkschaften gesagt worden ist. Ich kann nur sagen: Wir haben den Gewerkschaften eine Reihe von Angeboten gemacht, zum Beispiel mit dem Entsendegesetz. Die SPD hat auch dort - Herr Scharping hat das gestern erwähnt - ihrem Namen „Blockade-SPD" gerecht werdend, eine ganze Zeit lang gemauert. Wir haben es beschlossen, und dann wurde zwischen den Tarifparteien, die das ja aushandeln müssen, über Monate verhandelt. Da hat man sich dann auf eine Vertragsdauer bis Mai nächsten Jahres geeinigt. Als das dann nicht ging, hat der Bundesarbeitsminister eingegriffen und dafür gesorgt, daß der Tarifvertrag mit dieser Regelung immerhin bis zum August läuft. Man stelle sich nur einmal vor, wir haben einen langen Winter. Es kann sich wohl jeder ausmalen, was das im Ergebnis bedeutet. Die Politik hat ihre Arbeit in Form des Entsendegesetzes gemacht. Genauso verhält es sich bei der Frage der Überstunden. Wer ist denn dafür verantwortlich, daß Überstunden in den einzelnen Betrieben in neue Arbeitsplätze umgesetzt werden? Doch nicht der Bundeskanzler, die Bundesregierung oder die Koalition, sondern die Tarifparteien. Dazu gehören auch die Gewerkschaften. Gerade hat die Kollegin aus Bremen hier gesprochen; deshalb möchte ich noch eine Anmerkung machen: Vielleicht denken Sie einmal über den traurigen Beitrag nach, den Herr Teichmüller von der IG Metall bei der Ruinierung des Bremer Vulkan geleistet hat. Sie können auch darüber nachdenken, was die IG Metall im Bereich der Beiträge in Frankfurt macht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gilges?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Austermann, ich vermute nicht, daß der Kollege Blüm nachher das richtigstellen wird, was Sie hier falsch sagen. Deshalb möchte ich mein Anliegen in eine Frage kleiden: Ist es nicht richtig gewesen, daß das erste Gesetz und die dazugehörende Allgemeinverbindlichkeitserklärung eindeutig an den Arbeitgebern geKonrad Gilges scheitert sind, weil diese Widerspruch eingelegt haben, daß die Industriegewerkschaft Bau, also die Arbeitnehmerseite, zugestimmt hat und die Bundesregierung, Herr Blüm, die Arbeitgeber mehrmals in Presseerklärungen aufgefordert hat, die Entsenderichtlinie bzw. die dazugehörende Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu unterschreiben? Ist es nicht so gewesen, daß es an den Arbeitgebern und nicht an den Gewerkschaften gescheitert ist?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gilges, wenn Sie gerade zugehört hätten, würden Sie festgestellt haben, daß ich von den Tarifparteien gesprochen habe. Ich weiß genau, daß der Konflikt an einer anderen Stelle lag, nämlich zwischen Bauarbeitgebern und dem Industrieverband. ({0}) - Tarifparteien habe ich gesagt. Ich habe gesagt, die Politik hat die Voraussetzungen durch das Entsendegesetz erbracht. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine Kollegen, so geht das nicht. Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie auch die Geduld haben, sich die Antwort anzuhören, oder Sie lassen es, eine Frage zu stellen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen auch genau, daß die Gewerkschaften in der zweiten Runde in der Frage der Lohnhöhe nachgegeben haben. Auch das ist richtig. Die Tarifparteien haben lange um die Anwendung dieses vom Bundesgesetzgeber seit langem beschlossenen Gesetzes hin und her gestritten. Ich glaube, daß es richtig ist, daß wir weiterfahren, erstens ich mit meinen Worten und zweitens mit dem, was wir im Bereich der Politik machen. ({0}) - Nein, ich habe bereits an den zwei Fragen vorhin bemerkt, daß Sie das intellektuell nicht verstanden haben. Das ist das Problem. ({1}) Ich glaube, es ist deutlich, daß wir frischen Wind auf dem Arbeitsmarkt und dadurch mehr Chancen für Arbeitslose haben wollen. Hier ist bereits etwas zu den Zahlen des Arbeitsmarktes gesagt worden. ({2}) - Ich mache das nachher. Ich gehe davon aus, daß Sie als Grüner besonderes Verständnis für das haben, was Arbeitsmarkt ist. Ich nenne das Beispiel Ihres ehemaligen Kollegen Steenblock, der gestern besondere Erfahrungen an der Westküste SchleswigHolsteins mit seinem Bemühen gemacht hat, durch Ökodiktatur Arbeitsplätze zu beseitigen. Wir können uns gern nach der Sitzung über das Thema unterhalten. ({3}) Ich behaupte, daß eine Fülle von Fakten dafür sprechen, daß nicht alle Chancen für unsere Arbeitslosen wirksam genutzt werden, weil einzelne Bundesländer - wir hatten diese Debatte im März dieses Jahres - ausgesprochen langsam reagieren, wenn es darum geht, Investitionsentscheidungen umzusetzen. Sie können über den Transrapid streiten, Sie können ihn auch gern ablehnen, aber Sie können nicht bestreiten, daß ein neues Forschungsprojekt dieser Dimension zusätzliche Arbeitsplätze bedeutet. Sie können nicht bestreiten, daß es eine Fülle von anderen Investitionen gibt - deswegen haben wir heute auch eine Debatte zum Haushaltsgesetz -, die von den Ländern nicht zeitgerecht umgesetzt werden. Dies bedeutet auch, manche Entscheidung wird nicht so schnell getroffen, wie sie vielleicht getroffen werden könnte. Ich möchte etwas zu den Zahlen des Arbeitsmarktes und der Bundesanstalt für Arbeit sagen. 100 Milliarden DM werden im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit nach der Genehmigung, die zum 1. Januar 1997 erteilt wird, zur Verfügung stehen. Davon werden 42 Milliarden DM für Fortbildung, Umschulung und aktive Arbeitsmarktpolitik, für ABM und vieles andere mehr ausgegeben. - Ich sage es noch einmal: 42 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik! Hier wird der Eindruck erweckt, wir würden bei der Arbeitsförderung Schluß machen, wir würden nichts für Fortbildung und Umschulung ausgeben. Noch einmal: 42 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik! Hinzu kommen 2 Milliarden DM für Lohnzuschüsse. Wenn es tatsächlich so ist, daß der eine oder andere sagt: Mir ist das mit ABM wegen des Eigenanteils zu teuer, dann frage ich: Warum wandeln wir das nicht in Lohnzuschüsse um? Wir stellen an einer Fülle von Beispielen fest - der Kollege Fuchtel hat darauf hingewiesen -, daß Arbeit tatsächlich da ist, daß bloß die Bedingungen zu einem großen Teil nicht stimmen. Das hängt zum Beispiel auch mit der Motivation bei so manchem Arbeitslosen zusammen - womit ich das nicht generalisieren will; das möchte ich ganz klar sagen. Das hängt damit zusammen, daß Arbeit im Übermaß ins Ausland verlagert wird, was wohl bestätigt, daß Arbeit im Prinzip da ist, aber zu den Bedingungen der deutschen Tarifparteien nicht wettbewerbsfähig ist. Wir stellen weiter fest - Frau Kollegin Babel, da muß ich Ihnen widersprechen, was in einer Koalition sicher dazu beiträgt, daß man lebhafter miteinander diskutiert -, daß durch eine Explosion der Nebentätigkeiten inzwischen 6 Millionen Menschen in unserem Land ein Beschäftigungsverhältnis ausüben, bei dem sie keine Sozialabgaben zahlen, davon knapp 2 Millionen in Form einer Nebentätigkeit neben einem anderen Einkommen. Ich habe mich vor kurzem mit einem Arbeitgeber in meinem Wahlkreis unterhalten. Er hat dazu gesagt: „Ich habe jetzt vier Krankmeldungen zum 1. Januar wegen Schwangerschaft. Natürlich stelle ich nicht vier neue Leute ein, sondern werde das wegen des Risikos in 590-DM-Verhältnisse umwandeln." Ich habe ihn auf das Modell der befristeten Beschäftigung hingewiesen ({4}) und ihn gefragt, weshalb er das nicht mache. Davon hatte er noch nichts gehört, was sicher auch damit zusammenhängt, daß wir wesentlich besser sind, als wir uns verkaufen. Wir müssen an dieses Problem heran und dafür sorgen, daß diejenigen, die zwei, drei oder mehr Arbeitsverhältnisse haben, genauso ihren Beitrag erbringen wie die, die das gleiche Einkommen aus einem Arbeitsverhältnis erzielen. Hier sind wir unterschiedlicher Meinung. Wenn wir dort nicht bald eingreifen, wird sich die Explosion immer weiter fortsetzen, daß wir immer mehr Nebentätigkeiten, zusätzliche Tätigkeiten, geringfügige Beschäftigung haben. Da sollten wir in nächster Zeit wirklich ernsthaft miteinander nachdenken. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Babel?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Austermann, Sie sprechen von einem explosionsartigen Anwachsen dieser Nebentätigkeiten. Ich habe das auch schon von anderer Seite gehört und habe mich bemüht, einmal Zahlen zu bekommen. Die einzigen Zahlen, die derzeit dazu vorliegen, wie viele Nebentätigkeiten und wie viele rein sozialversicherungsfreie Tätigkeiten es auf der Basis von 590-DM-Verträgen zur Zeit gibt, sind die Zahlen aus 1992. Jedenfalls habe ich diese in der Antwort des Herrn Staatssekretärs aus dem BMA bekommen. Die Zahlen, die ich da gehört habe, waren: In Nebentätigkeit sind 1,5 Millionen Menschen, und in anderer sozialversicherungsfreier Beschäftigung sind 2,5 Millionen Menschen. Da ich von dieser Explosion immer wieder höre und Sie ganze Arbeitsmarkterosionen befürchten, möchte ich vorschlagen - um vielleicht auch die Diskussion innerhalb der Koalition lebhaft zu gestalten -, daß wir uns um Datenmaterial bemühen, wo das ein bißchen genauer aufgelistet ist. Im Moment ist das Schattenboxen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, das artet in eine Intervention aus.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ich bin sehr dankbar für die Frage, ({0}) weil ich tatsächlich Aufklärung dazu geben kann. Sie sollten einmal mit Ihrem zuständigen Arbeitsamt sprechen. ({1}) - Moment, ich bin mit meinem sehr zufrieden, und ich bin der Meinung, wenn wir den Arbeitsämtern noch mehr Flexibilität ermöglichen, was wir ja gemeinsam wollen, dann können sie noch besser arbeiten. - Mein zuständiges Arbeitsamt hat mir mitgeteilt, daß in den letzten Monaten die Anmeldungen von Nebentätigkeiten von Arbeitslosengeldempfängern geradezu explodiert seien. Das heißt, jemand bekommt Arbeitslosengeld, weil er keine Arbeit findet, und dann meldet er die Nebentätigkeit an. Ich habe die Sachbearbeiterin gefragt: Woran könnte es denn liegen, daß sie die Nebentätigkeit jetzt anmelden? Sie sagte: Das hängt mit den verschärften Kontrollen zusammen. Die Hauptzollämter, die Arbeitsverwaltungen und viele andere gehen durch die Gegend und schauen: Was macht der Arbeitslose eigentlich? Er bekommt Arbeitslosengeld, ist aber nicht zu Hause. Wenn Sie dann die Zahlen addieren und das von einem großen Arbeitsamtsbezirk hochrechnen auf mein Bundesland und auf die Bundesrepublik Schleswig-Holstein ({2}) - Entschuldigung, ich meine die Bundesrepublik Deutschland - ich bin weit entfernt davon, die Verhältnisse unter der Regierung in Schleswig-Holstein auf das Bundesgebiet übertragen zu wollen; das wäre ja schlimm, dann könnte man ja auswandern -, ({3}) dann werden Sie feststellen, daß die Zahlen - die übrigens inoffiziell vom Arbeitsministerium bestätigt worden sind - diese Dimension erreichen. Da besteht Handlungsbedarf. Sonst haben wir immer weniger Leute, die hohe Beiträge zahlen, und immer mehr Leute, die keine Beiträge zahlen, und die Unzufriedenheit wird verständlicherweise immer größer. ({4}) - Moment, ich trage hier doch meine Vorstellung vor. Ich habe den Eindruck, daß die Mehrheit des Hauses diese teilt. Weshalb soll man also nicht versuchen, zu dem Ergebnis zu kommen? Ich bin auch ziemlich sicher, daß wir nach dem, was man von der Opposition hört, in dieser Koalition miteinander als erste in der Lage sind, gemeinsame Ergebnisse herbeizuführen. Ich will ganz kurz und stichwortartig sagen, daß wir den Teil des Arbeitsmarktes, den der Staat durch AB-Maßnahmen, Einstellungszuschüsse, produktive Arbeitsförderung, Langzeitarbeitslosenprogramm, neue Wege auf dem Arbeitsmarkt und Reform des Arbeitsförderungsgesetzes beeinflussen kann, tatsächlich positiv gestalten. Wir wollen den Arbeitsämtern auch mehr Verantwortung bei der Förderung der beruflichen Qualifizierung, der Aufnahme selbständiger Tätigkeiten und von Trainingsmaßnahmen geben. Alles das trägt dazu bei, den Arbeitsmarkt ganz kräftig zu entlasten. Die 100 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit, von denen ich gesprochen habe, kann man beklagen. Man kann sagen, die Zahl der Arbeitslosen sei zu hoch. Aber es kann doch niemand hergehen und sagen: Ihr leistet nicht den erforderlichen Beitrag; ihr tut nicht das Nötige, um der Zahl der Arbeitslosen tatsächlich auch mit konkreten Maßnahmen zu begegnen. Wir hätten gerne den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Herr Scharping ist gestern auf den Zug aufgesprungen. Wir sagen seit längerer Zeit, es wäre eine vernünftige Idee, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Die BlockadeSPD hat gestern diesen Vorschlag aufgegriffen. Natürlich ist es erstrebenswert, die Beiträge zu senken. Eine Umschichtung auf höhere Steuern als Ausgleich entlastet aber die Arbeitnehmer und die Betriebe nicht. Das, was die Leute vorher und hinterher bezahlen müßten, dürfte etwa identisch sein. Betriebe und Arbeitnehmer würden das gleiche zahlen. Dieser Weg bringt keine Entlastung. Nachdem der Rentenversicherungsbeitrag kritisiert worden ist, sollte man sich vielleicht auch Rechnungen aus dem Jahre 1989 zur Beitragshöhe ansehen, als die letzte Rentenreform beschlossen wurde. Die letzte Rentenreform im Jahre 1989 ging von einer bestimmten demographischen Entwicklung und Beitragsentwicklung aus. Die Beitragsentwicklung der jetzigen Jahre entspricht in etwa den Beschlüssen des Jahres 1989. Ich habe auch einmal ein bißchen weiter zurückgeschaut und festgestellt: Wir hatten bereits im Jahre 1985 einen gleich hohen Rentenversicherungsbeitrag wie in diesem Jahr. Damit leugne ich nicht, daß der Beitrag zu hoch ist. Wenn aber jemand den Eindruck erwecken will, die Dinge seien bei uns in der Zwischenzeit völlig aus dem Ruder gelaufen, ist er einfach nicht an den Tatsachen orientiert. Nach zehn Jahren gibt es mit zunächst abflachender und jetzt wieder steigender Tendenz einen gleich hohen Rentenversicherungsbeitrag. Er könnte mit Sicherheit im nächsten Jahr niedriger sein, wenn sich die Blokkade-SPD im Bundesrat anders verhalten würde und dort unseren Vorschlägen zustimmen würde. ({5}) Ziehen Sie einmal eine Bilanz Ihrer Tätigkeit im Bereich der Arbeitsmarktpolitik: Ich nenne die Themen Abschreibungen, Schutz von bestimmten Verhältnissen, Schiffbauförderung und steuerliche Abschreibung. Sie werfen uns hier ständig vor, auch Sie, Frau Wegner, wir schützten die Abschreibungskünstler. Nein, es verhält sich genau umgekehrt: Sie schützen Schnorrer und Abschreibungstrickser. Das ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. ({6}) - Nein, es ist ein Faktum, Herr von Larcher: Schnorrer und Abschreibungskünstler, weil Sie dort, wo wir notwendige Einschnitte vornehmen wollen, diese Einschnitte nicht zulassen, und Abschreibungskünstler

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hustedt?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ja, ich will bloß den Satz beenden -, weil Sie im Schiffbaubereich unsere Vorschläge nicht mittragen wollten; sie liegen jetzt im Vermittlungsausschuß. Darin sagen wir: Wir wollen die Möglichkeiten zum Abschreiben in einem ganz bestimmten Bereich reduzieren. Bitte sehr. ({0})

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Angesichts der Waigelschen Haushaltslöcher ist es ja nur begrenzt möglich, tatsächlich die Lohnnebenkosten, so wie es alle Parteien in diesem Hause wollen, zu senken. Ist Ihnen bekannt, daß es in fast allen europäischen Ländern, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen - einerseits die Europäische Währungsunion erreichen zu wollen, die Haushalte zu konsolidieren und andererseits den Sozialstaat nicht absolut zu demontieren -, eine Tendenz zu einer Antwort auf die Globalisierung der Weltwirtschaft dahin gehend gibt, daß man Teile des Sozialsystems zunehmend nicht mehr durch direkte Steuern auf Arbeit finanziert, sondern durch indirekte? Verhält es sich nicht so, daß angesichts dieser Tendenz in anderen europäischen Ländern nur zwei Varianten in Frage kommen: nämlich eine unsoziale Erhöhung der Mehrwertsteuer oder eine ökologische Steuerreform, die eben Arbeit verbilligt und Umweltverbrauch verteuert?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Sie machen zwei Fehler: Der eine ist, daß Sie immer davon ausgehen: Wir lösen die Probleme, indem wir zusätzliche Aufgaben durch höhere Steuern finanzieren. Diese Auffassung teilen wir nicht. Das zweite ist: Wenn Sie auf die Entscheidungen schauen, die in Europa getroffen werden, werden Sie feststellen - Sie sollten sich vielleicht fragen, Frau Kollegin, woran das liegt -, daß in Schweden, Belgien, Frankreich, Italien oder sonstwo eine große EinDietrich Austermann mütigkeit darüber besteht, Entscheidungen zu treffen, die die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Das bedeutet auch Sparmaßnahmen im sozialen Bereich. Wegen dieses Geflechts des föderativen Systems und der gegenwärtigen Blockademehrheit der SPD im Bundesrat können wir in Deutschland diese Entscheidungen allerdings nicht so zügig treffen, daß sie sich positiv und schnell auf den Arbeitsmarkt auswirken können. ({0}) Lassen Sie mich schließen. Die Erfolge dieser Politik - mehr frische Luft, mehr frischen Wind auf dem Arbeitsmarkt - beginnen sich in einzelnen Bereichen, zumindest im Bereich der Gewinne bestimmter Unternehmen, bereits abzuzeichnen. Die Luft- und Raumfahrt startet wieder durch. Ich lese heute mit Freude in der Zeitung, daß die VEBA 15 000 Arbeitsplätze schaffen will. Die Gewinne in vielen Unternehmen steigen. ({1}) Wir haben natürlich die Erwartung, daß sich ein großer Teil dieser Gewinne positiv auf Investitionen im Inland auswirkt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie müssen zum Schluß kommen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Die Probleme des Arbeitsmarktes sind nicht durch Blockaden zu lösen. Jetzt muß es vor allem darum gehen, daß die Tarifpartner die notwendigen Entscheidungen treffen, um die Vorgabe für mehr wirtschaftliche Dynamik in praktische Arbeit umzusetzen. Wir unterstützen den Bundesarbeitsminister und werden dem Einzelplan 11 zustimmen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun dem Abgeordneten Ottmar Schreiner das Wort.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Kollege Austermann in den letzten Minuten ständig den Begriff „SPD- Blockade" gebracht hat, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, daß ein einstimmiges Votum des Vermittlungsausschusses aus der letzten Zeit - es ging damm, zusätzliche sozialversicherungsfreie 590-DM-Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig zu machen - bis zur Stunde in diesem Parlament nicht behandelt worden ist, weil Teile der CDU/CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion sich weigern, dem zuzustimmen. ({0}) Reden Sie also nicht über eine Blockade der SPD im Vermittlungsausschuß! Ich kann Ihnen eine Reihe von Beispielen nennen, wo Teile der CDU/CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion dem Votum des Vermittlungsausschusses, das ihre Vertreter dort verabredet hatten, im Plenum nicht zustimmen wollten. Wenn das nichts mit Blokkade zu tun hat, dann möchte ich einmal wissen, was Blockadepolitik ist. In bezug auf die 590-DM-Verhältnisse haben Sie in den letzten Jahren mehrere Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion hier im Parlament vorliegen gehabt. Sie haben aber alle abgelehnt. Erst in den letzten Monaten dämmert es zumindest der CDU/CSU, nachdem Ihre Beschäftigungsinitiativen - ich komme nachher darauf zurück - jämmerlich an die Wand gefahren worden sind, daß Sie regelrecht über die Dörfer gehen müssen und nach jedem Strohhalm, der beschäftigungspolitisch etwas bringen könnte, Ausschau halten müssen. Deshalb sind einige Ihrer Kollegen auf die Idee gekommen, für den Bereich der 590-DM-Verhältnisse Quotenregelungen für die Betriebe einzuführen. Wenn die SPD mit Quotenvorschlägen kam, haben Sie uns immer des Bürokratismus gescholten. Jetzt kommen Sie selbst mit Quotenregelungen im Bereich der 590-DM-Jobs. Einige von Ihnen, etwa Bundesarbeitsminister Blüm, fordern, daß zumindest die zusätzlichen 590-DM-Arbeitsverhältnisse sozialversicherungspflichtig gemacht werden müssen. Sie sind in beiden Fragen bis zur Stunde nicht handlungsfähig. ({1}) Es ist geradezu bezeichnend, wenn der Vizepräsident des württembergischen „Kamelzüchterverbandes", der verehrte Herr Kollege Fuchtel, bei der Frage aus der SPD-Fraktion, wie er es mit den 590- DM-Verhältnissen halten wolle, den Fragesteller an die F.D.P. verweist. Das ist doch ein Jammerbild allererster Güte: Der Schwanz wackelt ständig mit dem Hund - in diesem Fall mit dem Kamel. ({2}) Um dies auf Ihre Situation zu übertragen: Nicht das Kamel wackelt mit dem Schwanz, sondern der Schwanz F.D.P. wackelt mit dem Kamel Fuchtel. Das ist die Lage, lieber Herr Kollege. ({3}) Der Kollege Austermann hat einige Ausflüge in den Bereich Entsenderichtlinie unternommen. Herr Kollege Austermann, wenn irgend jemand mit diesem Thema intellektuell überfordert ist, dann sind Sie es; denn Sie haben augenscheinlich überhaupt nichts verstanden. ({4}) Die SPD-Bundestagsfraktion hatte hier vor drei Jahren einen Antrag eingebracht und auf das Problem hingewiesen, daß der Einsatz von vom Ausland entsandten Arbeitnehmern, die hier für 3, 4, 5, 6 oder 7 DM Stundenlohn jämmerlich ausgenutzt werden, zu einem massiven Verdrängungsprozeß und damit zur Arbeitslosigkeit einheimischer Arbeitskräfte geführt hat. Vor drei Jahren gab es also den ersten Vorstoß. Es kamen sodann zwei Gesetzentwürfe der SPD-Bundestagsfraktion, die jeder für sich allein das Problem wesentlich besser, schneller und rascher gelöst hätten als das, was die Koalition hier insgesamt geboten hatte. Der entscheidende Widerstand kam aus Teilen der CDU/CSU-Fraktion und wiederum aus der F.D.P.-Fraktion. ({5}) Der einzige, der offen zugegeben hatte, aus welchen Gründen man kein Entsendegesetz haben wolle, war der verehrte Kollege Lambsdorff, dem man vieles vorhalten kann, aber eines nicht, daß er nämlich nicht offensiv seine Auffassung vertritt. Graf Lambsdorff hat vor wenigen Monaten im „Handelsblatt" sinngemäß gesagt, man wolle kein Entsendegesetz, weil es die Tarifautonomie in Deutschland schütze und - dies in dankenswerter Offenheit - weil ohne dieses Gesetz im Umkehrschluß die Tarifautonomie den Bach heruntergehe, und das - so Graf Lambsdorff - wolle man. Das war der entscheidende Grund, warum die Koalition über viele Monate in dieser Frage völlig handlungsunfähig war und dann zum Schluß ein jämmerliches, zeitlich befristetes Ergebnis präsentiert hat, mit dem auf lange Sicht das Problem überhaupt nicht in den Griff zu bekommen ist. ({6}) Lieber Kollege Fuchtel, Sie haben den verehrten Bundesarbeitsminister, Herrn Dr. Blüm, als „Aschenbrödel", „Aschenputtel" oder „Aschengrittel" - so steht es hier - bezeichnet. ({7}) - Nein, das stammt aus dem „Großen Brockhaus". Wenn der „Große Brockhaus" eine Beleidigung ist, dann möchte ich wirklich einmal wissen, wo wir hier gelandet sind. ({8}) Ich zitiere jetzt aus dem „Großen Brockhaus", und zwar aus der Leipziger Ausgabe von 1928. Die müßten Sie kennen. ({9}) Dort steht auf der Seite 731 - ich erleichtere Ihnen damit die Quellensuche -: Aschenbrödel, auch Aschenputtel, Aschengrittel, eigentlich ein Küchenjunge, der in der Asche - jetzt müßte man sagen: in der Asche seiner sozialpolitischen Grundsätze buddelt, ... dann überhaupt einer, der schmutzige Arbeit verrichtet. Das alles trifft auf den Kollegen Blüm zu. Er verrichtet nämlich in der Tat die Schmutzarbeit für die Koalition. ({10}) - Herr Kollege Schäuble, wenn Sie es genau wissen wollen: Das ist nicht nur ein Küchenjunge, der in der Asche seiner sozialpolitischen Grundsätze buddelt. Hier steht auch: ... im Märchen vielfach Name oder Bezeichnung des jüngsten Sohnes, der jüngsten Tochter, die, in ihrer Jugend verachtet, unvermutet zu höchstem Glanze aufsteigen. Ich füge hinzu: und alsbald abstürzen. ({11}) Es fehlt noch des Dramas dritter Teil, aber den werden wir, wie ich annehme, nicht als Einzelstück des Herrn Blüm erleben, sondern als kollektive Nummer dieser Bundesregierung. ({12}) Ich möchte jetzt zu einem wesentlichen Punkt kommen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, in vorderster Spitze der verehrte Kollege Dr. Heinrich Geißler, haben - ({13}) - Gut, Heiner, ich wollte es jetzt einmal ganz vornehm machen, weil Sie sich ja neuerdings zur rhetorischen Speerspitze neoliberaler Politik machen. Deshalb wollte ich das auf die gebotene Ebene bringen. Wie dem auch sei, die Bundesregierung hat über Monate hinweg der Bevölkerung in Deutschland weiszumachen versucht, nur durch deutliche Rücknahme von Arbeitnehmerschutzrechten, durch deutliche Eingriffe in erworbene Rechte - Stichworte: Abschaffung des Kündigungsschutzes, gesetzlicher Eingriff in die Lohnfortzahlung, Zurückführung der Arbeitsmarktpolitik, Bruch des Rentenkonsenses von 1989 - sei in Deutschland Beschäftigung zu erreichen und Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Das war die zentrale Behauptung Ihrer Reden. Herr Kollege Dr. Heinrich Geißler ({14}) - also gut, ich sage dann eben Heiner -, Sie hatten bei der ersten Lesung des sogenannten Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes am 23. Mai dieses Jahres - das ist jetzt gerade einmal ein halbes Jahr her - folgendes ausgeführt: Die Analyse des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks kommt zu dem Ergebnis: Wenn ihr das macht, dann werden ungefähr 40 Prozent der Handwerksbetriebe neue Leute einstellen. Herr Murmann erklärte . . ., er rechne im nächsten Jahr mit 500 000 neuen Stellen durch das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung. Jetzt noch immer Heiner Geißler. Angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen kann man doch nur zu dem Schluß kommen: Jetzt machen wir es halt! Jetzt müssen wir es einfach tun! So Originalton Geißler. ({15}) Vor wenigen Tagen, Herr Kollege Geißler, erklärte Herr Schleyer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, daß im Handwerk, wie Sie hier vor einem halben Jahr vorgetragen haben, im nächsten Jahr nicht 40 Prozent der Betriebe zusätzliche Beschäftigung schaffen wollen, sondern daß das deutsche Handwerk im nächsten Jahr massiv Beschäftigung abbauen will. ({16}) Von Dr. Murmann ist ähnliches zu hören. Alle Prognosen, die wir kennen, signalisieren, daß bei einem Wachstum von 2,5 Prozent - das ist vergleichsweise hoch gegriffen - im nächsten Jahr die Arbeitslosigkeit auf deutlich über 4 Millionen im Jahresdurchschnitt ansteigen wird. Das heißt: Die Arbeitgeber haben all das, was Sie hier im deutschen Parlament zur Begründung Ihrer sozialen Schweinereigesetze dargelegt haben, konterkariert und im nachhinein gesagt: Alles dummes Zeugs, wir schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz, wir werden im nächsten Jahr weiter Arbeitsplätze abbauen! - Sie sitzen hier wie die betrogenen Betrüger. Das ist so. ({17}) Es kommt noch viel doller. Es gibt in Sachen Beschäftigungspolitik kaum einen Punkt, an dem man diese Regierung noch fassen kann, weil jeden Tag etwas völlig anderes gesagt wird. Über Jahre hinweg ist die Meinung vertreten worden, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei hundsmiserabel, dies müsse geändert werden. Jetzt eine völlig neue Tonlage: Mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland stehe es sehr gut. Ich könnte Ihnen den Kollegen Uldall und eine Reihe anderer Leute zitieren. Meine Güte, wenn Sie, die Koalition, den Standort Deutschland jahrelang in Grund und Boden geredet haben, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es aus dem Ausland und von Inländern nicht zu den notwendigen Investitionen kommt. Sie haben mit Ihrer politischen Agitation wesentlich dazu beigetragen, die notwendigen Investitionen in Deutschland schlechtzureden und zu verhindern. ({18}) Nächster Punkt. Über Jahre ist die Koalition durch die Lande gezogen und hat beklagt, daß die Steuerquote in Deutschland zu hoch sei. Richtig ist in der Tat, daß die Lohnsteuerquote zu hoch ist. Sie schröpfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, daß es nur so wackelt. Jetzt heißt es allerdings wiederum vom Steuerexperten Uldall - so in einem Zeitungsbericht vor wenigen Tagen -, daß die Steuerquote in Deutschland „extrem niedrig" sei. Was ist denn eigentlich richtig? Richtig ist ohne Zweifel, daß die Kapitalertragsteuer und die Unternehmensteuern nie so niedrig und die Lohnsteuern nie so hoch wie heute waren. In dieser Situation gibt die Koalition als Losung aus: Abschaffung der Vermögensteuer. Es ist wirklich zum Bepinkeln. Es ist wirklich nicht mehr zu machen. ({19}) Ich will zum Zusammenhang - meine Redezeit eilt bedauerlicherweise davon - von Lohnnebenkosten und Beschäftigung einige Sätze sagen, weil von seiten der Koalition auf diesen Zusammenhang immer wieder hingewiesen worden ist. Wir haben einen Gesamtversicherungsbeitrag von über 40 Prozent. Strategisches Ziel der Regierung war, unter 40 Prozent zu kommen. ({20}) - Und der Gewerkschaften. Übrigens auch der SPD, das füge ich hinzu; denn der Gesamtversicherungsbeitrag ist eindeutig zu hoch. Ich will Ihnen erklären, warum er so hoch ist. Das hängt wesentlich damit zusammen, daß wir schon in den 80er Jahren eine drastische Verschiebung in der Finanzierungsstruktur der Sozialleistungen hatten, nämlich zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge und zugunsten der steuerfinanzierten Anteile. Mit anderen Worten: Der beitragsfinanzierte Anteil, also der über die Lohnnebenkosten finanzierte Anteil, ist bereits in den 80er Jahren deutlich ansteigend gewesen, und der steuerfinanzierte Anteil ist rückläufig gewesen. Diese schiefe Entwicklung aus den 80er Jahren, diese zusätzliche Belastung des Faktors Arbeit, ist in den 90er Jahren einem ganz neuen Höhepunkt zugestrebt, und zwar aus Gründen einer ordnungspolitisch völlig falschen Finanzierung der deutschen Einheit. Eine Strategie dazu hatten Sie nie. ({21}) Dazu will ich Ihnen jetzt einen Herrn aus der CDU/ CSU zitieren. - Wenn der Herr weiterredet, nenne ich seinen Namen; ansonsten bin ich kein Petzer. Ich habe hier einen Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. Oktober dieses Jahres, Seite 3. Von einem Journalisten wird aus einem Gespräch mit einem Mann zitiert, der „seit Jahrzehnten in der politischen Führungsebene der Union einen Namen hat". Der Mann sitzt hier unter uns; ich werde aber seinen Namen nicht nennen, weil ich kein Petzer bin. ({22}) - Die „FAZ" hat ihn auch nicht genannt. Sie hat nur, um von seinem Namen abzulenken, den Bundeskanzler im Foto abgebildet. ({23}) Jetzt zitiere ich Ihnen einige Sätze aus diesem Gespräch mit der „FAZ", die zeigen, daß die Opposition in den letzten Jahren die völlig falsche Finanzierung der deutschen Einheit nicht annähernd mit der gleichen Schärfe gegeißelt hat. Der CDU-Politiker nennt fünf kardinale Fehler. Es geht so los: Sie - diese Lage sei, so lautet das Urteil . . ., die Folge einer Reihe von Fehlern, deren erster die fatale Behauptung Kohls im Jahr 1990 gewesen sei, man könne die deutsche Einheit ohne Steuererhöhung finanzieren. ({24}) Das ist der erste kardinale Fehler, benannt von einer führenden CDU-Persönlichkeit, die in den Reihen der Unionsfraktion seit Jahrzehnten eine herausragende Rolle spielt. ({25}) Zweiter kardinaler Fehler: Als ebenso falsch habe sich dann das Lavieren mit dem Solidaritätszuschlag erwiesen. Im Frühjahr 1991 habe der Bundesvorstand der CDU auf seiner Klausurtagung in Bad Neuenahr beschlossen, einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 7,5 Prozent der Steuerschuld für die Dauer von vier Jahren zu erheben. Aber kaum sei er gefaßt gewesen, habe ihn die Koalition gekippt, dann auf ein Jahr beschränkt, wieder abgeschafft und schließlich nach eineinhalb Jahren doch wieder eingeführt. In diesem Artikel werden noch drei weitere kardinale Fehler benannt. Ich möchte es aus Zeitgründen bei diesen Zitaten belassen. Der Schlußkommentar des führenden CDU-Politikers lautet: ({26}) Es ist unglaublich, daß diese Leute den Staat führen. Der Journalist schreibt dann: „Diese Leute", das sind die Mitglieder der Koalitionsrunde, Kohl und Waigel, Glos, Gerhardt und Solms. Noch einmal das Zitat: Es ist unglaublich, daß diese Leute den Staat führen. ({27}) Meine Damen und Herren, auch wenn Sie es nicht gern hören: So deutlich hat das von uns in den letzten Jahren niemand formuliert. Was Sie jetzt machen, um aus der Misere herauszukommen: Die systemwidrige Finanzierung einheitsbedingter Lasten im sozialen Bereich soll nun dazu genutzt werden, um im gleichen Volumen den Sozialstaat zurückzufahren, massiv zu beschneiden, soziale Leistungen zu kürzen. Das ist Ihr eigentlicher, von Ihnen selbst gesetzter Handlungszwang, unter dem Sie sich nun bemüßigt fühlen, massiv in die sozialen Leistungen einzuschneiden. ({28}) Alle Folgegesetze dieses Jahres werden die Arbeitslosigkeit - ich habe einleitend versucht, es zu begründen - nicht nur nicht zurückführen, sondern sie werden in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit weiter deutlich erhöhen. Das gilt insbesondere für die Maßnahmen im Bereich der Rentenversicherung. Es ist völlig hirnrissig, bei 4 Millionen Arbeitslosen die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Das macht den jungen Leuten den Zugang zum Arbeitsmarkt noch schwieriger, als er ohnehin schon ist. ({29}) Ferner ist es geradezu abenteuerlich, im Rahmen der Reformgesetzgebung zum Arbeitsförderungsgesetz die noch vorhandene Substanz an Instrumenten zur aktiven Arbeitsmarktpolitik auf Restgrößen zurückzudrängen. Meine Damen und Herren, das eigentliche Risiko des Standortes Deutschland - das gilt sowohl für den Lebensstandort als auch für den Industriestandort - sind die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. Packen Sie Ihre Koffer und reisen Sie ab! ({30})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob wir auf dieser Ebene weiterdiskutieren sollen. ({0}) - Ich kann auf der Märchenebene auch mithalten. ({1}) Ich verspreche Ihnen: Ich würde nie wie eines der sieben Geißlein einem Schreiner die Tür aufmachen, selbst wenn der Kreide gefressen und die Pfote gepudert hätte. Ich würde es nicht machen, nach dieser Rede nicht! ({2}) Ich frage mich nur, meine Damen und Herren: Sollen wir so weitermachen? Vier Millionen Arbeitslose stehen vor der Tür. ({3}) Was trägt diese Art von Reden in einer Klosettsprache dazu bei, Antworten zu finden auf die Sorgen und Nöte der Menschen? Das ist die wirkliche Frage, nicht aber, wer hier die besten Kalauer macht. ({4}) Ich trage den Einzelplan 11 schon lange vor; ich habe da viel Erfahrung. Es ist immer dasselbe: Jedes Jahr kündigt die SPD den Zusammenbruch des Sozialstaates an. Das habe ich jetzt schon 15mal erlebt. Er hat aber 15 Jahre überdauert und wird weiterhin bestehen, und er ist immer noch einer der besten der Welt. ({5}) Es ist richtig - ich bekenne mich dazu -: Es muß gespart werden. Ich habe von Ihnen keinen Sparvorschlag gehört. ({6}) - Nein, ich habe nichts gehört. Das ist bei Ihnen wohl streng vertraulich. Sie haben seit 15 Jahren jeden entscheidenden Sparvorschlag abgelehnt. ({7}) Hätten wir nicht gespart, hätten wir allein in diesem Jahr in der Renten- und Arbeitslosenversicherung 100 Milliarden DM Mehrausgaben gehabt. Wenn sich die SPD durchgesetzt hätte, hätten wir heute einen um 6 Prozent höheren Beitrag. ({8}) - Nein, ich rede jetzt erst einmal im Zusammenhang. Hätten wir nicht gespart, hätten wir die deutsche Einheit nicht geschafft; denn der so konsolidierte Sozialstaat war Gott sei Dank fähig, die Bürgerinnen und Bürger der neuen Länder, die Arbeitnehmer, die Rentner und auch die Kranken, aufzunehmen. Fragen Sie doch die Rentner, wann es ihnen bessergegangen ist: früher oder heute? ({9}) Hätten wir nicht gespart, hätten wir die Inflation nicht bekämpft. Wir sind in bezug auf die Stabilität mit einer Preissteigerungsrate von 1,5 Prozent Spitzenreiter in der Welt. Auch die Rentner wissen, daß der große Taschendieb der kleinen Leute die Inflation ist. Diese haben wir zurückgedrängt. Das ist soziale Politik durch Sparen. ({10}) Wir haben nicht nur eingesammelt; wir haben große strukturelle Reformen durchgesetzt. Wir haben Kindererziehungszeiten und die Pflegeversicherung eingeführt und damit Weichen gestellt. Die Debatte hier wird nach dem Motto geführt: Wer mehr Geld ausgibt, ist sozialer. ({11}) Das ist der erste gedankliche Irrtum; denn träfe das zu, wäre derjenige Sozialstaat der beste, der alles Geld ausgibt und dem Bürger nichts übrigläßt. Wir können die Debatte nicht so führen, als hänge die Qualität des Sozialstaates von einem Mehr oder Weniger ab. Dann nämlich würde die Arbeitslosigkeit einen Beitrag dazu leisten, den Sozialstaat auszubauen; denn die Arbeitslosen verursachen Kosten. Also, meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht auf einer Buchhaltungsebene diskutieren! Es geht doch um die Frage, wie wir eine neue Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität schaffen. ({12}) Auch das kann ich quantifizieren, obwohl es nicht nur eine quantitative Frage ist: Wenn die Staatsquote bei über 50 Prozent liegt, dann befindet sich die Waage nicht in der Balance, dann hat sie Schlagseite. Wenn Sie diese Schlagseite reduzieren wollen, dann können Sie nicht auf der einen Waagschale Steuern und Abgaben austauschen; denn das Gewicht bleibt immer dasselbe. ({13}) Damit es kein Mißverständnis gibt: Ich bin für Umfinanzierung, aber das ersetzt das Sparen nicht. Sie drücken sich um das Sparen. Das ist das Ergebnis. ({14}) Um es noch einmal zu sagen: Ich glaube, daß die Finanzierung verändert werden muß, und zwar weg von der Arbeit, hin zum Verbrauch. Diese Umfinanzierung aber entläßt uns nicht aus der Frage, wie wir die Staatsquote insgesamt senken wollen. Diese bildet sich nämlich aus der Belastung der Bürger, ob über Abgaben oder über Steuern. Die Arbeitslosigkeit ist eine Last, materiell und ideell. Kosten spielen eine wichtige Rolle, aber - das füge ich ausdrücklich hinzu - nicht die einzige. Auch Organisation der Arbeit und Qualifikation sind Gesichtspunkte. Für die Höhe der Löhne sind die Tarifpartner zuständig, für die Lohnzusatzkosten auch der Staat. Jeder soll seine Hausaufgaben machen, aber nicht gegeneinander, sondern nebeneinander und miteinander. Deshalb sind große Reformen notwendig. Bei der vor uns liegenden AFG-Reform können Sie beweisen, ob Sie bei der strukturellen Umstellung mitmachen oder ob Sie nur eine Debatte über Mehr oder Weniger führen. Es geht um eine effiziente Arbeitsverwaltung, um mehr Verantwortung der Arbeitsämter vor Ort, um mehr Entscheidungsspielraum. Was haben Sie als Vertreter des Solidaritätsgedankens eigentlich gegen eine klare Zumutbarkeitsanordnung? Wieso ist es unsolidarisch, zu sagen: Wenn du keine Arbeit hast, mußt du auch einen Arbeitsplatz nehmen, bei dem die Entlohnung so hoch ist wie das Arbeitslosengeld? Was ist daran unzumutbar? Arbeit ist doch keine Schande. ({15}) Wenn Arbeitslosigkeit ein großer Verlust ist - diese Auffassung teile ich mit Ihnen; ich meine nicht nur den Lohnverlust, sondern auch den ideellen Verlust -, was ist dann unzumutbar an der Aussage, auch unter den Bedingungen knapper Kassen sei Arbeit eine Verbesserung der Lage von Arbeitslosen? Man kann doch nicht sagen, daß ein Diplom, ein Berufsabschluß sozusagen versichert wird. Wir leben doch nicht mehr im 19. Jahrhundert. Die Beschäftigten müssen eventuell ihren Beruf wechseln. Das findet in jedem Großbetrieb statt. Warum sollen nicht auch die Arbeitslosen den Beruf wechseln? ({16}) - Ich möchte jetzt zunächst im Gesamtzusammenhang reden; sonst führen Sie mich auf Nebenkriegsschauplätze. Das sind alles Nebenkriegsschauplätze. Wenn wir über Zahlen diskutieren, kann ich mithalten. Hier wurde gesagt, die Arbeitsmarktpolitik werde kurz und klein geschlagen. Zu 44 Milliarden DM - 42 Milliarden DM plus 2 Milliarden DM - für die Arbeitsmarktpolitik zu sagen, das sei nichts - liebe Leute: 44 Milliarden DM! Im Osten haben wir nun statt 190 000 ABM-Plätze 183 000 ABM-Plätze. Da kann doch niemand sagen - Sie tun das aber in Ihren Flugblättern -: 200 000 ABM-Plätze wurden abgebaut. So viele hatten wir ja gar nicht. Ich rege mich nicht über Kritik auf, sondern darüber, daß Sie die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. ({17}) - Doch, Sie melken die Angst. Natürlich machen wir Fehler, die Sie kritisieren können. Es sagt doch niemand, wir seien fehlerlos. Ich rege mich aber darüber auf, daß Sie so tun, als sei der Sozialstaat abgeräumt. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern haben neue Vorschläge gemacht; einer betrifft Lohnkostenzuschüsse. Die Fahrt geht in Richtung erster Arbeitsmarkt. Das schafft mehr neue Chancen als die 7 000 Plätze, die im Bereich der ABM gestrichen wurden. ({18}) Ich wiederhole: Die Fahrt geht in Richtung erster Arbeitsmarkt. Von Ihnen höre ich immer nur die Forderung nach weiteren ABM-Plätzen. Das ist Ihr Patentrezept: Schickt sie doch alle in ABM! 4 Millionen ABM- Plätze - nach Ihrer Vorstellung wäre die Arbeitslosigkeit damit beseitigt. Das ist das Münchhausen-Syndrom der SPD. ({19}) - Doch, der Senkrechtstarter. Man zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Meine Damen und Herren, ich fordere Sie von dieser Stelle aus auf, nichts zu blockieren - auch nicht im Bundesrat -, was Veränderung zugunsten eines Arbeitsmarktes mit mehr Flexibilität und mit mehr Chancen für die Arbeitnehmer bedeutet. Zu den Renten. Ich will ausdrücklich daran erinnern, daß wir die Rentenreform 1989 gemeinsam gemacht haben. ({20}) - Diese Rentenreform war auch nicht nur eine Sparmaßnahme. ({21}) - Gut, dann korrigiere ich mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich, Kollege Schreiner. ({22}) - Ich korrigiere mich. Machen Sie doch nicht weiter. ({23}) - Nein, ich muß mich gar nicht pausenlos korrigieren. Ich lade Sie sogar ein, jetzt wieder mitzumachen. Worum geht es? Es geht darum, das bewährte System weiterzuentwickeln. Worin liegt seine Bewährung? Es geht um Vorsorge und nicht um Versorgung. Warum Vorsorge? - Es liegen Vorleistungen vor, Pflichtvorleistungen. Es entspricht aber nicht dem Versorgungsgedanken, ein Grundrentensystem anonym aus dem Steuersäckel zu finanzieren. Das werden wir nicht machen. Wir bleiben bei dem bewährten System. Ein weiterer Punkt. Es geht nicht darum, jemandem mit einer Rente von 2 000 DM, 1 500 DM oder 1 200 DM diese zu kürzen. Darum geht die Diskussion nicht. Es geht nur darum, die durch demographische Veränderungen erforderlich werdende Anpassung so zu gestalten, daß die Lasten auf Jung und Alt, auf Beitragszahler und Rentner verteilt werden. Eine längere Lebenserwartung bedeutet, daß die Rente länger gezahlt wird. Es geht um die gleiche Rentensumme. Es ist aber ein Unterschied, ob Sie diese auf 20 oder nur auf 10 Jahre verteilen müssen. Der Beitrag ist gleich; er hat sich nicht verändert. Das sind die Fragen, auf die wir Antworten zur Erhaltung unseres Systems geben müssen. Dazu lade ich alle ein; denn ich denke: Das Schlimmste, was uns passieren könnte, ist, daß auf Grund dieser Debatte Angst und Schrecken in einer Generation entstehen, die in diesem Jahrhundert schon viel Angst und Schrecken erlebt und es nicht verdient hat, durch eine neue Hysterie in neue Schrecken versetzt zu werden. Meine Damen und Herren, ich nenne noch einen Grund unserer Anstrengungen. Der Grund heißt Europa. ({24}) - Doch. Es ist das beste Ziel, für das wir uns in diesem Jahrhundert einsetzen. Es geht nicht nur um ein sozialpolitisches Ziel; es geht auch um Friedenssicherung. Aber es ist auch ein sozialpolitisches Ziel. Ein Exportland wie Deutschland kann seine Probleme nicht im nationalen Schrebergarten lösen. Deshalb lohnt es sich, die Anstrengung für den europäischen Binnenmarkt zu unternehmen, uns auch durch Sparen fit zu machen. Vielleicht sollten wir das Thema weniger mit diesen Globalverdächtigungen und dieser Klosettsprache behandeln, sondern einen fairen Wettbewerb um die besten Vorschläge austragen. Aber eines muß ich sagen: Es kann keinen Vorschlag geben, bei dem nicht gespart wird. Es gibt keinen Weg zu einer Lösung ohne Sparen. Das gehört zur Wahrheit. Wenn wir uns auf dieser Ebene finden können, machen wir einen Wettbewerb um die sozial besseren, gerechteren Vorschläge. Wenn Sie an diesem Wettbewerb nicht teilnehmen, fallen Sie für diese notwendige zukunftssichernde Diskussion aus. ({25})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aussprache. Wir haben zunächst über drei Änderungsanträge und dann über den Einzelplan 11 abzustimmen. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6268 auf. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6269 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6304 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschußfassung. Wer Einzelplan 11 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Einzelplan 11 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 25 und I. 26 auf: I.25. hier : Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 13/6016, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart Kuhlwein Kristin Heyne Dr. Wolfgang Weng ({0}) I.26. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz ({2}), Eckart Kuhlwein, Michael Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD UmweltAudit in Bundesministerien und -behörden - Drucksachen 13/2417, 13/4023 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dietmar Schütz ({4}) Dr. Jürgen Rochlitz Zum Einzelplan 16 liegen sieben Änderungsanträge vor. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eckart Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesumweltministerin gehört zu den Verlierern der Etatberatung. Die Koalition hat sie wieder einmal hängenlassen. Der Einzelplan 16 ist kaum noch der Rede wert: 3 Millionen DM weniger für Erprobungsvorhaben im Naturschutz in der Streichrunde am Schluß, 2,5 Millionen DM weniger für Untersuchungen zu Fragen des Umweltschutzes, 600 000 DM weniger an die Umweltverbände; insgesamt 12 Millionen DM weniger im Stammhaushalt. Dies ist damit nach der Bereinigungssitzung auf Kommando des Bundesfinanzministers jetzt schon eine Einbuße in Höhe von 4,5 Prozent gegenüber 1996. Wie gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Beitrag zum Umweltschutz oder gar zur ökologischen Modernisierung ist der Einzelplan 16 nicht mehr der Rede wert. ({0}) Nirgendwo ist der Widerspruch zwischen Worten und Taten so groß wie in der Umwelt- und der Beschäftigungspolitik der Bundesregierung. Arbeit und Umwelt sind Opfer vor allem der F.D.P. geworden, die ihre Ideologie vom ungehemmten Spiel der Marktkräfte an die Stelle einer zukunftsweisenden verantwortlichen Politik gestellt hat. Die Union als Volkspartei ist wieder einmal vor der kleinen marktradikalen Minderheit eingeknickt. Um so notwendiger ist es, in dieser Debatte über die Bedeutung der Umweltpolitik für die Lösung der Krise unserer Gesellschaft und über die Rolle zu sprechen, die eine Umweltministerin in dieser Diskussion zu spielen hätte, wenn sie damit nicht offensichtlich überfordert wäre. Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen von Ihnen gehört, wohin die Reise gehen soll: noch mehr Opfer für die Kleinen, aber höhere Gewinne für die Shareholder - wie die Kapitalisten heute neumodisch heißen -, noch mehr soziale und ökologische Ausbeutung und eine noch tiefere Spaltung der Gesellschaft. Sie können offenbar nur eines, nämlich den sozialen Grundkonsens, der unsere Bundesrepublik erst groß gemacht und die Demokratie befestigt hat und den Konrad Adenauer und Ludwig Erhard immer respektiert haben, immer wieder mit Füßen treten. Wir haben hier in diesem Hause genauso wie draußen immer wieder Vorschläge gemacht, wie wir aus der Krise von Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau, Finanzchaos und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen herauskommen können. Wir werden nicht müde werden, unsere Alternativen immer wieder zu nennen. Aber diese Debatte zeigt, daß diese Koalition hier in Bonn nicht lernfähig ist. ({1}) Sie wird den Karren immer tiefer in den Dreck schieben. Aber vergessen Sie nicht, daß am Ende die Wählerinnen und Wähler darüber zu urteilen haben. Die Umweltministerin hat sich selbst zur Vorhut für eine „nachhaltige Entwicklung" ernannt, wie sie die Regierungen aus aller Welt auf dem Umweltgipfel in Rio 1992 vereinbart haben. Das ist löblich, aber es reicht bei weitem nicht aus. Wir erwarten mehr, Frau Merkel. Wir erwarten aus gutem Grund mehr, denn es geht letztlich um die Bewahrung von Zukunft und Demokratie in Deutschland. Wir erwarten deshalb endlich ein Konzept der Regierung für den ökologischen Umbau der Volkswirtschaft. Wir können darauf nicht mehr lange warten. ({2}) Der ökologische Umbau ist die wichtigste Strukturreform für die Zukunft unseres Landes. Weil wir das wissen, wollen wir den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit und den Kampf gegen die Zerstörung des Klimas, der Umwelt, der Ressourcen, der Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen miteinander verbinden. Dazu brauchen wir eine ökologische Umgestaltung der Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik. Dafür brauchen wir ein ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm. Dafür brauchen wir das Bemühen um einen gesellschaftlichen Konsens. Meine Damen und Herren, in diesem Bundeshaushalt und in der Politik der Regierung Kohl finden wir davon nichts. Wir haben Ihnen konkrete Vorschläge gemacht, wie unsere Industriegesellschaft mit einem Instrumentenbündel aus Ordnungsrecht, neuen Anreizen und ökologischer Steuerreform schrittweise für die Herausforderungen der Zukunft fit gemacht werden könnte. Wir haben uns dabei von dem Grundgedanken leiten lassen, daß Arbeit heute noch immer - und nach der neuesten Erhöhung der Beiträge in der Rentenversicherung immer stärker - mit Abgaben und Steuern belastet wird, während der Verbrauch von Energie und Rohstoffen bei weitem nicht für die volkswirtschaftlichen Kosten aufkommt, die er selbst verursacht. Wir wollen Arbeit entlasten und den Verbrauch von Energie und Rohstoffen belasten. Ich weiß nicht, was daran unsittlich sein sollte, höre ich doch gerade aus den Reihen der Koalition immer wieder, daß die hohen deutschen Lohnzusatzkosten ein Hindernis für Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Wachstum seien. Nun folgen Sie doch einmal Ihren eigenen Erkenntnissen und legen Sie endlich selbst ein eigenes Konzept für eine ökologische Steuerreform vor, wenn Sie unseren Vorstellungen schon nicht folgen wollen. ({3}) Doch die Wahrheit ist: Sie wollen keine solche Reform, Sie tun nur manchmal so, als ob. Wir haben Ihnen ein Klimaschutzprogramm vorgelegt; Sie haben es abgelehnt, obwohl Sie seit der Prognos-Studie und zuletzt aus der Untersuchung von RWI und IFO wissen, daß der Bundeskanzler auch sein Versprechen zur Reduzierung des Ausstosses von CO2, das er in Rio und auf dem Berliner Klimagipfel gemacht hat, nicht einhalten kann. Das ist schon schlimm, aber das Schlimmste ist, daß Sie sich nicht einmal mehr die Mühe machen, dieses Ziel doch noch erreichen zu wollen. ({4}) Wir haben Ihnen ein Gesetz für ein 100 000-Dächer-und-Fassaden-Programm für Solarzellen vorgeschlagen. Wir wollen damit in den nächsten zehn Jahren eine gesetzlich garantierte Förderung gewährleisten, um Investitionssicherheit für den Übergang in eine industrielle Massenproduktion der Solarenergie zu schaffen. Die Solartechnik, eine der wichtigsten Zukunftsindustrien überhaupt, droht durch Ihre Tatenlosigkeit, durch Ihre Ignoranz an der Bundesrepublik vorbeizugehen. ({5}) Wir brauchen eine neue Energiepolitk, meine Damen und Herren, eine Energiepolitik, die das Einsparen, die Effizienzsteigerung und die Solarenergie in den verschiedensten Formen fördert und nicht abwürgt. Wir halten deshalb die Energierechtsreform aus dem Hause Rexrodt für eine Katastrophe. ({6}) Dem Gesetzentwurf fehlt eine substantielle Regelung zur Schonung der Umwelt und der Energieressourcen, zur Energieeinsparung, zum Schutz der heimischen Energieträger und zur Förderung der Solarenergie, obwohl diese Ziele von dem zugrunde liegenden Entwurf der Europäischen Union ausdrücklich zugelassen werden. Nach der Novelle droht für viele Stadtwerke, die in den letzten Jahren flexibel und bürgernah ihre Beiträge zur Umsetzung der „Agenda 21" von Rio geleistet haben, die Pleite. Wir wundem uns, daß die „nachhaltige" Frau Merkel im Kabinett einem solchen antiökologischen und neoliberalen Monstrum zugestimmt hat. Den Kommunen droht übrigens die Halbierung der bisher von den EVUs gezahlten Konzessionsabgaben auf 3 Milliarden DM - angesichts der Finanzlage in Städten und Gemeinden ein unglaublicher Griff in fremde Taschen zugunsten von Unternehmen, die ohnehin nicht wissen, wo sie ihr vieles Geld anlegen sollen. Wenn das Stromgeschäft der Stadtwerke leidet, dann werden die Zuschüsse für Busse und Bahnen gekürzt, der ÖPNV kann nicht mehr subventioniert werden, und der Individualverkehr wird wieder zunehmen - allen Klimaschutzzielen zum Trotz. Auch deshalb wundere ich mich, warum Frau Merkel diesem Antiumweltgesetz zugestimmt hat. Sie hat wohl hinter verdeckter Hand ein wenig gehustet, aber nichts dagegen unternommen. Noch im Juni hat Ihr Ministerium, Frau Merkel, in einer Stellungnahme der Bundesregierung zur Überprüfung des EG-Programms „Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung" eine Verstärkung des Ziels „Verbesserung der Energieeffizienz und des rationellen Energieeinsatzes" angemahnt. Das Weiterreichen politischer Verantwortung in Richtung Brüssel kann doch nicht alles gewesen sein. Solche Erkenntnisse müssen sich doch, sollen sie glaubwürdig sein, auch in der nationalen Gesetzgebung niederschlagen. ({7}) Wir bleiben dabei: Für den ökologischen Umbau ist die Energieversorgung das zentrale Thema. Wenn es in den nächsten Monaten zu einer Neuauflage der sogenannten Energiekonsensgespräche kommen sollte, müssen Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und die Brücke ins Solarzeitalter im Zentrum stehen. Mit der SPD wird es weder ein Junktim zwischen Kohleförderung und Endlagervorsorge noch eine neue Reaktorlinie geben. Wir halten am Ausstieg aus der Kernenergie fest. Wir empfehlen Ihnen dringend, sich endlich auf die Suche nach Endlagerstandorten auch in anderen Bundesländern und in anderen geologischen Formationen zu machen. Und auch das steht fest: Die SPD wird die Entsorgung der bestehenden Kernkraftwerke nur mitgestalten, wenn ein Ausstieg aus der heutigen Kernkraftnutzung vereinbart wird und damit die Endlichkeit der Mengen radioaktiver Abfälle absehbar ist. Wenn Sie sich darauf nicht einlassen wollen, werden Sie unsere Zustimmung zu Endlagern nicht bekommen. ({8}) Der Haushalt des Bundesumweltministeriums enthält nur wenige zukunftsfähige Titel, die ökologischen Ansprüchen gerecht werden, und auch diese sind noch besonders kurzgehalten worden. Der Rest dieses Haushalts ist Atomenergie, Atomenergie und noch einmal Atomenergie. Wir lehnen die Politik, die hinter diesen Zahlen steht, ab. Wir stimmen deshalb gegen den Einzelplan 16. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun das Wort dem Abgeordneten Arnulf Kriedner.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, daß wir zuerst einmal in einem Punkt übereinstimmen werden; das ist ({0}) - darin ganz sicher nicht -, daß ich die Absenkung in diesem Haushalt bedauere. ({1}) - Eine ganze Menge; dazu werde ich gleich kommen. Ich bedauere die Absenkung deswegen, weil ich von meinem Wort aus dem Vorjahr nicht abrücke, daß es sich bei diesem Haushalt um einen Signalhaushalt handelt. Er soll Signale nach außen setzen. Dieser Haushalt tut das trotz der Absenkung. Dieser Haushalt ist im Rahmen des Gesamthaushalts um 2,5 Prozent abgesenkt worden. Das heißt, daß er nicht überproportional zur Kasse gebeten worden ist. Nichtsdestotrotz konnten im Rahmen dieser Absenkung eine ganze Reihe von etatistischen Verbesserungen erreicht werden, für die die Berichterstatter weitgehend gemeinsam gesorgt haben. Meine Damen und Herren, um Ihnen die Sorge zu nehmen, daß Absenkungen etwa nur im Bundeshaushalt passieren, habe ich mir bei meinen Vorbereitungen Gedanken darüber gemacht, was dort geschieht, wo die Hauptausgaben im Umweltschutz getätigt werden, und habe mir sagen lassen, wie es denn in den einzelnen Bundesländern, insbesondere in denen, in denen die Union nicht regiert, aussieht. ({2}) - Ich weiß nicht, Herr Kollege Schmidt, inwiefern Sie es „Verschleierung" nennen können, wenn hier objektive Zahlen genannt werden. ({3}) Ich stelle fest, daß das Land Niedersachsen, während der Bund seinen Umwelthaushalt um 2,5 Prozent zurückfährt, seinen Umwelthaushalt um 7 Prozent absenkt, ({4}) daß das Land Sachsen-Anhalt den entsprechenden Haushalt von 0,725 Milliarden auf 0,673 Milliarden DM zurückfährt und daß Nordrhein-Westfalen eine Absenkung um 15 Prozent - das müßte insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, interessieren - im Umweltbereich vornimmt. Ich kann hier also konstatieren: Der Bund ist vorbildlich; die Länder sollten sich wirklich einmal ansehen, wie der Bund mit diesem Haushalt umgeht. ({5}) Wir müssen, lieber Kollege Kuhlwein, bei allen Differenzen, die wir haben, zur Kenntnis nehmen - ich nehme es mit Hochachtung zur Kenntnis -, daß die Ministerin im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihren Haushalt gekämpft hat. ({6}) Auch die Verfassungslage in bezug auf diesen Haushalt ist schwierig. Ich habe bei vielen früheren Haushaltsreden hier bereits vorgetragen, daß die Hauptaufgaben im Umweltbereich eben nicht vom Bund, sondern von den Ländern durchgeführt werden. ({7}) Der Bundeshaushalt ist ein Regelungshaushalt, bei dem es eben nicht um große Summen geht. Ich möchte jetzt etwas zu den Verbesserungen sagen, die wir erreicht haben. Ich finde, das ist schon bemerkenswert und sollte nicht verschwiegen werden, weil wir um diese Teile des Haushaltes sehr heftig gerungen haben. Ich denke, es verdient Anerkennung - das war auch im letzten Jahr bei der Haushaltsberatung ein großer Streitgegenstand -, daß wir den Ansatz im Umweltbereich erhöhen konnten. Ich glaube, Sie, Herr Kollege Kuhlwein, haben das eben auch erwähnt. ({8}) - Ich denke, das hätten Sie erwähnen sollen. ({9}) - Auch dazu komme ich noch, weil auch ich diese - zum Teil wenigstens - bedauere. Aber nichtsdestoweniger haben wir bei den Einzelmaßnahmen im Umweltbereich eine Erhöhung des Ansatzes durchgesetzt. Wir haben auch in einem anderen Bereich eine Erhöhung durchgesetzt. Wir haben insgesamt bei den Sie so sehr betreffenden Haushalten, bei denen Sie immer riesengroße Absenkungsanträge stellen, Absenkungen vorgenommen, um im Rahmen der Pilotvorhaben für den Naturschutz etwas mehr draufzulegen. Das sollten Sie auch einmal anerkennen, meine Damen und Herren. Ich sage einmal: Dieser Haushalt muß im Bereich des Umweltschutzes einen schwierigen Spagat - Sie sind am Ende Ihrer Bemerkungen mit den üblichen Hinweisen darauf zu sprechen gekommen - zwischen dem Bereich Natur- und Umweltschutz und dem Bereich Reaktorsicherheit machen. Ich stehe dazu, daß da ein durchaus nachvollziehbarer Zusammenhang besteht, und dieser Zusammenhang wird auch offenkundig. Er wird besonders offenkundig, wenn wir daran denken, in welchem Umfang aus diesem Haushalt Projekte auch in Nachbarländern unterstützt werden, zum Beispiel in den von Tschernobyl betroffenen Regionen. Hier ist aus meiner Sicht jede Art der Absenkung unvertretbar. Deshalb haben wir richtig gehandelt, als wir gesagt haben: Diese Ansätze müssen in der Größenordnung erhalten bleiben; denn Vorsorge in den mittel- und osteuropäischen Staaten ist auch Vorsorge für uns selbst. Herr Kollege Kuhlwein, Sie haben am Schluß Ihrer Rede mit blumigen Worten etwas zu der Frage der Kernreaktorsicherheit gesagt. Das ist eine ideologische Position, die Sie hier vertreten. ({10}) Wir stehen dazu, die Kernreaktoren in unserem Land sicherer zu machen. Sie dagegen haben keine Alternative aufgezeigt, sondern satteln immer eine Forderung auf die nächste - das ist für meine Begriffe keine vertretbare Politik -, während wir uns für ein höheres Maß an Reaktorsicherheit einsetzen - bei uns und in unseren Nachbarländern. Das muß unsere Sorge sein. ({11}) Meine Damen und Henen, ich finde es ausgesprochen weltfremd, wenn man sich die Entwicklung in unseren westeuropäischen Nachbarstaaten, insbesondere in Frankeich, ansieht und so tut, als ob wir auch Ende des Jahres 2000 eine eigenständige Politik in diesem Rahmen machen könnten. Mir geht es hier um Sicherheit, und diese Sicherheit wird durch die Politik der Bundesregierung gewährleistet. Dafür sind wir dankbar, Frau Ministerin. Wir können Sie nur bestärken, auf diesem Wege, für Sicherheit hier bei uns und im Ausland zu sorgen, weiterzugehen. ({12}) Meine Damen und Herren, auch die Länder sollten im Rahmen dieser Aufgabe ihren Anteil leisten. Ich bin der Ansicht, daß gerade Ihr Bundesland da nicht vorbildlich ist, Herr Kollege Kuhlwein. Da hilft es auch nichts, wenn Sie jedes Jahr gebetsmühlenartig Ihre Position wiederholen: Ausstieg, sonst machen wir nicht mit! Meine Damen und Herren, solange wir Kernenergie haben, müssen wir dafür sorgen, daß eine sichere Endlagerung gewährleistet ist, und dieser Sorge hat sich die Bundesregierung angenommen. Eine solche Endlagerung sollte grundsätzlich in jedem Bundesland möglich sein, notfalls auch in Schleswig-Holstein. Da können Sie dann Ihren Beitrag dazu leisten, wenn Sie andere Bundesländer an dieser Stelle nennen. ({13}) - Ich sagte: in allen Bundesländern. Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist angesichts der Vorgaben, die es gab, schwer zu fahren gewesen, aber er ist im Rahmen der Absenkung des Gesamthaushalts - wir haben über andere Haushalte reden müssen; denken Sie an den Bereich der Verteidigung, in dem die Absenkungen viel größer sind - sehr ordentlich und maßvoll behandelt worden. Dafür bin ich dankbar. Ich kann von dieser Stelle aus wirklich nur an die Länder appellieren; die mir hier vorliegenden Zahlen sind schon bemerkenswert. Bei einer Absenkung des Umwelthaushalts des Landes Nordrhein-Westfalen um fast 20 Prozent muß man schon Bedenken haben, ob die Umweltaufgaben auf dieser Ebene noch wahrgenommen werden können. Wenn wir hier im Bund maßvolle Absenkungen vornehmen und die Länder ihre Haushalte in einer derart dramatischen Weise absenken, muß man sich natürlich fragen: Setzen sie denn dort die richtigen Schwerpunkte, wo sie das Sagen haben? Mich wundert es im übrigen - ich spreche hier mal die Mitte des Hauses an -, wie unter Mitwirkung der Grünen und angesichts der lauten Töne, die Sie im Zusammenhang mit Haushalten immer von sich geben, eine solche Absenkung in diesem Bundesland möglich gewesen ist. ({14}) - Ach, wissen Sie, das ist billige Rhetorik. Es ist Ihrer gar nicht würdig, daß Sie auf diese Art und Weise versuchen, Stimmung zu machen. ({15}) - Das sind Stereotype. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Wir haben unter den Maßgaben des Jahres 1997 einen Haushalt aufgestellt, der durchaus vertretbar ist und sich im Rahmen des Gesamtbundeshaushaltes sehen lassen kann. Herr Kollege Kuhlwein, ich stehe nicht an, zu bedauern, daß in der zweiten Runde noch einmal um 21 Millionen DM abgesenkt werden mußte. Da habe auch ich meine Bedenken. Ich gebe das unumwunden zu. Nichtsdestotrotz bin ich dem Haus dankbar, daß es von sich aus die Hausaufgaben sofort erledigt und nicht darauf gewartet hat, bis an anderer Stelle reagiert worden ist. Dadurch ist die Absenkung weniger schmerzlich gewesen. Die Verteilung ist aus meiner Sicht vernünftig erfolgt. Dafür, Frau Ministerin, danken wir Ihnen und Ihren Mitarbeitern. ({16}) - Auch Sie sollten einmal anerkennen, daß wir eine Ministerin haben, die zu ihren Aufgaben steht. Das ärgert Sie wohl. ({17}) Frau Ministerin, lassen Sie sich durch das Geschrei seitens der Opposition nicht irremachen, sondern führen Sie Ihre Politik fort. Sie werden von den Unionsfraktionen und der F.D.P., deren Vertreterin hier noch reden wird, Unterstützung für diese Politik finden. Meine Damen und Herren, ich stehe auch nicht an, hier allen Mitarbeitern zu danken. Das, was das Haus uns an Vorarbeit liefert, ist auch hier im Plenum eines Dankes würdig. Denn - das können Sie, Herr Kollege Kuhlwein, und die anderen Berichterstatter bestätigen - wir werden wirklich in einer hervorragenden und sehr kollegialen Weise unterstützt. Die Unionsfraktionen jedenfalls werden diesem Haushalt ihre volle Zustimmung erteilen. Vielen Dank. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ohnehin schon bescheidene Umwelttopf leidet besonders unter den Waigelschen Haushaltslöchern. Jedes Jahr wird er noch bescheidener und verkommt damit zunehmend zu einem Alibihaushalt. Der Umwelthaushalt umfaßt nur noch 7,7 Prozent des Einzelplans Wirtschaft und 2,9 Prozent des Einzelplans Verkehr. Daß der Umwelttopf so mickrig ist, bräuchte nicht besonders zu erschrecken, wenn - wenn! - in den anderen Ressorts Umweltschutz tatsächlich mitgedacht würde. Denn inzwischen macht nur integrierter Umweltschutz Sinn. Wenn man sich die anderen Haushalte unter diesem Vorzeichen ansieht, bekommt man erst recht das Fürchten. Denn man stellt fest, daß Umweltschutz dort nicht nur nicht mitgedacht, sondern aktiv gegen die Umweltministerin, gegen das Umweltministerium gearbeitet wird. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist dies, Herr Kollege Kriedner, völlig anders. Dort sind die anderen Ministerien bemüht, den Zielen im Bereich des Umweltschutzes Rechnung zu tragen. ({0}) Besonders schlimm sieht es im Wirtschaftsministerium aus, dem Ministerium, in dem sich die Freien Demokraten mit ihren neoliberalen Ideologien selbstverwirklichen wollen. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, daß das Wirtschaftsministerium mit dem Klimaschutzziel nicht einverstanden ist. Immerhin ist die CO2-Reduktion die wichtigste Meßlatte für den Erfolg - genauer gesagt: für den Mißerfolg - der Umweltpolitik dieser Bundesregierung. Wenn man also auch dieses Klimaschutzziel noch kippen könnte, dann wäre endlich der Weg frei für Marktwirtschaft pur, für die Shareholder, deren Visionen nicht weiter reichen als bis zum nächsten Börsengang. Für die ist der Umweltschutz doch nur ein störender Kostenfaktor. Deregulierung, Privatisierung, Kostenreduktion - Westerwelle und Co. ringen um eine Gesellschaft, in der die Reichen, die Fitten und die Schönen ihre individuellen Interessen voll verwirklichen können, das Gemeinwohlinteresse aber keinen Platz mehr hat. ({1}) Zur nächsten Offensive gegen den Klimaschutz sollte nun ein Gutachten des Wirtschaftsministeriums dienen, mit dem bewiesen werden sollte: Klimaschutz kostet Arbeitsplätze. In dieser Zeit ist dies das wirksamste Totschlagargument, selbst wenn man dafür, wie es das Wirtschaftsministerium in dem Gutachten tut, falsch rechnen muß. Aber für Minister Rexrodt ist das zu einem Eigentor geworden. Denn vor allem beweist dieses Gutachten eines: Die Selbstverpflichtungserklärung in Sachen Klimaschutz reicht nicht aus. Es wird, wenn man sich nur auf sie verläßt, wieder zu steigenden CO2-Emissionen kommen. Der Staat darf also nicht auf Handeln verzichten. Das muß nicht heißen, daß man dicke Förderprogramme auflegt. Das muß auch nicht heißen, daß man bürokratisiert; aber regeln und eingreifen muß der Staat. Diese Verantwortung muß er wahrnehmen. ({2}) Im übrigen vermute ich, daß Kohls Geduld mit den liberalen Kerlchen auch an diesem Punkte aufhört. Denn Kohl ist Außenpolitiker genug, um zu wissen, daß das Ansehen Deutschlands und sein persönliches Ansehen beschädigt wird, wenn man ständig am Klimaschutzziel kratzt und dieses unterminiert. Dieses Gutachten ist auch eine Aufforderung an Frau Merkel, die jetzt belegen muß, wie man dieses Klimaschutzziel noch erreichen kann. Ihre Verpflichtung ist es jetzt, ein Klimaschutzaktionsprogramm vorzulegen, da es von allen Seiten berechtigte Zweifel am Erfolg ihrer Politik gibt. ({3}) Aus meiner Sicht sind Sie jetzt in der Beweispflicht. Sie müssen uns hier und heute überzeugen - Lippenbekenntnisse, daß Sie an dem Ziel festhalten, reichen da nicht aus -, jetzt muß Handeln folgen. Es wäre natürlich nicht falsch, wenn es noch „ein paar Milliönchen mehr" im Umwelthaushalt gäbe. Das haben wir auch beantragt. Aber entscheidend ist das nicht. Notwendig ist ein Paradigmenwechsel in der Politik des Umweltministeriums und ein Paradigmenwechsel in der Politik der Bundesregierung insgesamt. ({4}) Auf staatliches Handeln zu verzichten, weil man auf unverbindliche Versprechungen von der Industrie setzt, ist ein Merkelscher Irrweg, mit dem wir schon viel Zeit für ein sozialverträgliches Umsteuern verschenkt haben. Noch ist es Zeit, daß Sie Ihre Politik ändern. Tun Sie es, bevor es zu spät ist! ({5}) Der zentrale Punkt eines Klimaaktionsprogramms muß die ökologische Steuerreform sein. Davon geht selbst das Gutachten des Wirtschaftsministeriums aus. Aber seitdem Kohl ein Machtwort gesprochen und die F.D.P. Steuern zum ideologischen Teufelszeug erklärt hat, nimmt auch Merkel diese Worte nicht mehr in den Mund. Wenn Blüm die Rentenbeiträge jetzt auf über 20 Prozentpunkte anhebt, wäre das genau der richtige Moment gewesen, in dem sich die Umweltministerin hätte zu Wort melden müssen. Wir könnten die Lohnnebenkosten tatsächlich senken, wenn wir den Faktor Arbeit verbilligen und den Faktor Umwelt verteuern. Das ist ein modernes Instrument in dieser Zeit, um Kilowattstunden und nicht Menschen arbeitslos zu machen. Die parteiübergreifende Initiative der jungen Abgeordneten dieses Hauses zur ökologischen Steuerreform war ein guter Ansatz. In dieser ZusammenarMichaele Hustedt beit liegt viel Sprengkraft, aber auch der notwendige Push, der bei dieser schwachen Umweltministerin gebraucht wird: „Wenn du deine Rente willst, Opa, dann gib mir eine Zukunft." Die Alten verschieben mit ihrem ungebremsten Konsum und ihren ungebremsten Mobilitätssüchten nicht nur die umweltpolitischen, sondern auch die finanzpolitischen Folgen auf die künftige Generation. ({6}) Der Umwelthaushalt entspricht 1,5 Prozent des Schuldendienstes. Hier wird der Kristallisationskeim für einen neuen Generationenkonflikt gelegt. Bei diesen Herausforderungen, Umweltschutz und Sanierung des Haushaltes, sollten wir Jüngeren gegen die ältere Generation zusammenhalten - quer zu allen politischen Fronten. ({7}) Aber es ist ja nicht so, daß Frau Merkel nicht mit Herrn Rexrodt spricht. Dienstag saßen sie noch zusammen. Etwa, um Konsequenzen aus dem Gutachten zu ziehen und über ein Klimaschutzaktionsprogramm zu sprechen? Oh nein, es ging um einen rückwärtsgewandten Deal: Kohlesubventionen gegen Entsorgungskonsens. Es ging darum, wie man der SPD das Ja zur Atomkraft abpressen kann und wie man einen Pakt schließen kann, um veraltete Industriezweige noch möglichst lange mit staatlichen Mitteln am Leben zu halten. ({8}) Doch der Pakt der Ewiggestrigen wird keinen Bestand haben. Er wird von den Bündnisgrünen nicht akzeptiert werden und auch von den Menschen in diesem Lande nicht mitgetragen. Er wird die AntiAtombewegung eher noch anheizen. Der Konflikt wird damit auf die Straße getragen. Ich habe Herrn Kuhlweins Worte mit Wohlwollen und Zufriedenheit gehört. Ich habe von Herrn Lafontaine aber auch schon andere Töne gehört. Wenn sich die SPD auf diesen Erpressungsversuch einläßt, die Anti-Atombewegung gegen Kohlekumpel auszuspielen, dann wird es sie selbst zerreißen. Der lachende Gewinner wäre dann die Bundesregierung. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. Also, Genossinnen und Genossen, folgt den Worten des Herrn Kuhlwein. Die Zukunft der Energieversorgung liegt nicht bei der Atomtechnologie, sondern sie liegt bei Sonnen-, Wind- und Biogastechnologie und bei der Energieeinsparung. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun der Abgeordneten Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Umwelthaushalt 1997 bietet Gelegenheit, Bilanz über das zur Halbzeit der Legislaturperiode Erreichte zu ziehen. Ich denke, es ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann ({0}) und die verdeutlicht, daß Haushaltsansätze und staatliche Finanzierung nicht das Wichtigste sind. Das will ich Ihnen, Herr Kuhlwein, gleich zu Beginn sagen und in meiner Rede auch deutlich machen. Es ist eine Bilanz, die zeigt, daß man umweltpolitische Qualitätssprünge auch ohne gesetzliche Vorgaben erreichen kann, beispielsweise mit dem UmweltAudit-Gesetz. In diesem Gesetz haben wir den Umweltschutz in den Unternehmen zum Thema gemacht. Dieses freiwillige Instrument erschließt umweltentlastende Potentiale in den Betrieben und führt zum Mitdenken und zu Ergebnissen, die Sie durch starre Vorschriften nie erreicht hätten. ({1}) Ich komme jetzt zum CO2-Minderungsziel, Frau Kollegin Hustedt. Wir brauchen das Umdenken, das in den Unternehmen auch im Bereich des Klimaschutzes stattfindet, um das Klimaversprechen Deutschlands zu erfüllen. Die Wirtschaft hat eine Selbstverpflichtung abgegeben und steht im Wort. Diesen Worten müssen auch Taten folgen. Man kann feststellen, daß in vielen Betrieben Potentiale zur sparsamen und klimafreundlichen Energieversorgung und zur Energieeinsparung nicht ausgenutzt werden - und das, obwohl es wirtschaftlich vorteilhaft wäre. So wird zum Beispiel das Potential der Blockheizkraftwerke nicht ausgenutzt, die bereits für mittlere Betriebe in einem ContractingModell interessant wären. Anstatt Wärme zurückzugewinnen, wird sie mit Abluft und Kühlwasser freigesetzt. Wer sich allerdings bei innovativen Unternehmen umschaut, kann heute schon eine Reihe von guten Ideen in der Praxis besichtigen. Dazu gehört der Einsatz moderner Beleuchtungs-, Klima- und Heizungsanlagen sowie der Einsatz regenerativer Energien und anderes mehr. Was derzeit fehlt, ist eine umfassende Strategie, die alle Potentiale in den verschiedenen Betrieben erschließt. Dazu gehört die Beratung über technische Lösungen, über Investitionsförderungsprogramme und über mögliche Anbieter, aber vor allem die Beratung der Betriebe über ökonomische Einsparpotentiale. Hier sind die Wirtschaftsverbände, aber meines Erachtens auch die Industrie- und Handelskammern in der Pflicht und müssen aktiv werden. Hier, denke ich, gibt es eine ganze Reihe von Potentialen, die sich sehr vernünftig erschließen lassen, und zwar in einer Verzahnung von Ökologie und Ökonomie. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Homburger, nach Ihren Ausführungen frage ich Sie und mich: Warum sind Sie nicht für die Verabschiedung der Wärmenutzungsverordnung, die von dem von Ihnen geführten Wirtschaftsministerium immer noch blockiert wird?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Köhne, Sie hätten eigentlich an Hand dessen, was ich ausgeführt habe, feststellen müssen, daß wir der Meinung sind, daß es nicht unbedingt gesetzlicher Vorschriften bedarf, sondern daß wir eine Reihe von Potentialen haben, die wir auch im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung erschließen können. Diese freiwillige Selbstverpflichtung ist abgegeben worden, und ein Monitoring ist vereinbart. ({0}) Das heißt, wir verlassen uns nicht nur auf unverbindliche Zusagen, wie es hier geäußert worden ist, sondern es gibt ein Monitoring der Selbstverpflichtung. ({1}) - Es ist vereinbart worden. Wir werden das überprüfen. Herr Kollege Müller, Sie werden doch hier nicht behaupten wollen, daß wir das nicht überprüfen. Wir werden es überprüfen, und die Selbstverpflichtung wird auch greifen. Was ich jetzt anrege, ist schlicht, daß diejenigen, die Potentiale haben, beraten werden. Man muß ihnen helfen, ihre Potentiale zu erschließen, man muß ihr Bewußtsein dafür stärken. Das können und müssen diejenigen tun, die als Verbände die Selbstverpflichtung für alle Betriebe abgegeben haben. Das fordere ich hier ein und halte es für einen vernünftigeren Weg, als wenn man alles mit Vorschriften machen wollte, mit denen man die Betriebe letztendlich nur gängelt. Mit Überwachungs- und sonstigen Vorschriften erreicht man letztendlich nichts. ({2}) Frau Kollegin Hustedt, ich komme zurück zum Ziel der CO2-Minderung, die Sie angesprochen haben. Sie haben zu diesem Thema gesagt, daß das Wirtschaftsministerium von vornherein gegen das Ziel der CO2-Minderung gewesen sei, zu der sich die Bundesrepublik Deutschland auch international verpflichtet hat. Frau Kollegin, ich kenne keine einzige Außerung unseres Wirtschaftsministers, mit der er sich dagegen ausgesprochen hätte. Im Gegenteil: Er hat sich dafür eingesetzt, und er hat das auch gegenüber der Wirtschaft vertreten, was für einen Wirtschaftsminister nicht ganz einfach ist. Er hat uns aktiv dabei unterstützt, einen Weg dahin zu gehen. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Wir haben über Umweltschutz schon diskutiert und Vorschläge gemacht, als man von Ihnen noch lange nichts gehört hat. Daran hat die F.D.P. auch wieder angeknüpft. Wir werden weiter den Weg gehen, an einer vernünftigen Verknüpfung von Wirtschaft und Umweltpolitik zu arbeiten und damit auch die Potentiale zu erschließen. ({3}) Ich will Ihnen noch etwas zu Ihrem Thema ökologische Steuerreform sagen. Sie sagen immer, wir sollten den Faktor Arbeit verbilligen und den Faktor Umwelt verteuern. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir wirklich eine nachhaltige Politik für die künftigen Generationen machen wollen, und zwar nicht nur im Umweltbereich, dann hören Sie endlich mit diesem elenden Verschiebebahnhof auf! Sie werden damit nämlich nichts anderes bewirken, als daß Sie den Faktor Arbeit verbilligen und den Faktor Umwelt verteuern, wobei Sie die Kosten gleich hoch lassen. Das ist doch unsinnig. Ich sage Ihnen noch eines: Wenn es in diesem Hause jemanden gibt, der ein konsistentes Steuerkonzept hat, dann ist das die F.D.P. ({4}) Wir haben in Zusammenarbeit aller Fachpolitiker ein Konzept erarbeitet, in dem wir, vor allen Dingen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Steuern senken wollen; das ist schließlich kein Selbstzweck. Außerdem wollen wir eine Verschiebung von den direkten zu den indirekten Steuern vornehmen und dabei ökologische Elemente einbauen. Auch das haben wir beschlossen. Wir müssen den Faktor Arbeit schließlich dadurch verbilligen, daß wir in den sozialen Sicherungssystemen Reformen durchführen, die da die Kosten senken. Das ist das Gesamtkonzept, das wir verwirklichen müssen. Dann werden wir eine Politik für geringere Kosten, für mehr Arbeitsplätze und für die Umwelt machen. Diese Verknüpfung ist die Politik der F.D.P. Das ist das einzige konsistente Konzept, das es hier gibt. Nehmen Sie das bitte endlich einmal zur Kenntnis! ({5}) Um den Klimaschutz in Deutschland weiter voranzubringen, ist der Einsatz regenerativer Energien ein wichtiger Baustein. Mit dem Baugesetzbuch haben wir dafür günstige Rahmenbedingungen geschaffen und weisen den Weg für eine geordnete Entwicklung. Das ist übrigens ein wichtiger Positivpunkt in unserer Bilanz. Es ist bedauerlich, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen durch Klagen versuchen, das Stromeinspeisungsgesetz zu Fall zu bringen. Das Stromeinspeisungsgesetz ist das wichtigste Instrument zur Förderung regenerativer Energien in Deutschland. Mittlerweile liegt Deutschland bei der Stromproduktion aus Windkraft weltweit hinter den USA an zweiter Stelle. ({6}) Wir haben in diesem Bereich seit 1991 durch die verstärkte Nutzung der Windenergie mehr als 5 000 Arbeitsplätze geschaffen. Ich möchte hier einmal ganz klar feststellen, daß das eine Erfolgsstory ist, die die Koalition in Gang gesetzt hat. Darauf sind wir stolz. ({7}) Die F.D.P. verkennt dabei allerdings nicht - jetzt kommt Ihr Zwischenruf -, daß die regionale Konzentration von Windenergieanlagen in den windreichen nördlichen Landstrichen zu Ungleichgewichten bei der Belastung durch Einspeisevergütungen führt. Ich denke, daß wir alle dazu aufgerufen sind, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir hier eine gerechtere Lösung finden. Denn es wäre auch im Interesse des Klimaschutzes kontraproduktiv, wenn die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Stadtwerke dadurch gefährdet würde. Dies ist allerdings kein Grund - das sage ich ganz deutlich, und zwar mit der Rückendekkung der gesamten Fraktion -, das Stromeinspeisungsgesetz gänzlich zu streichen. Auch das kürzlich beschlossene Kraftfahrzeugsteuer-Änderungsgesetz sehen wir im übrigen als Pluspunkt an, ({8}) und zwar nicht nur deshalb, weil damit die Modernisierung der deutschen Fahrzeugflotte beschleunigt werden kann. ({9}) Wichtig ist für die F.D.P., daß damit die Weichen für die Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer ab 2003 gestellt sind, und zwar im Gesetzestext. Die Flottenmodernisierung wird dann weitgehend abgeschlossen sein. Wir schaffen dann eine Steuer ab, entlasten die Steuerbehörden und verstärken den Anreiz zur Verkehrsvermeidung und für verbrauchsärmere Fahrzeuge. ({10}) In diesem Punkt, Frau Hustedt - bevor Sie jetzt dazwischenbrüllen -, ({11}) habe ich immer das Gefühl gehabt, wir wären uns eigentlich einig gewesen. Wenn wir uns einmal anschauen, daß die Grünen in diesem Punkt eigentlich mit uns einig waren, dann beobachte ich jetzt einmal mit großem Interesse, wie Sie sich jetzt im Bundesrat verhalten werden, wenn diese Gesetzesvorlage dort zur Abstimmung kommt, und ob Sie dort mit Ihren großen Koalitionspartnern gegen diese Umlegung stimmen werden. ({12}) In der Abfallpolitik haben wir die Produktverantwortung vorangetrieben. Es liegen inzwischen Selbstverpflichtungen für das Recyceln von Altpapier, Altautos, Bürotechnik, Baustellenabfällen und schadstoffarmen Batterien vor. Die Begleitverordnung für das Altautorecycling ist nun in der Mitberatung des Deutschen Bundestages. Ich bin mir sicher, daß wir auch die Begleitverordnungen für Bürotechnik und Batterien in Kürze vorgelegt bekommen. Die Novelle der Verpackungsverordnung ist für die F.D.P. ein wichtiges Vorhaben. Schon von den Anfängen der Verpackungsverordnung an hat die F.D.P. den mangelnden Wettbewerb beklagt. Unsere Vorstellungen für mehr Wettbewerb durch Ausschreibungspflichten, Kostentransparenz und Zugangserleichterungen für alternative Systeme sind im jetzt vorliegenden Entwurf enthalten. Die geplante Neuregelung der Pfandpflicht ist besser als die bisherige geeignet, die hohe Mehrwegquote in Deutschland zu halten. Dennoch - das sage ich auch, weil es in der umweltpolitischen Diskussion ist - bleibt diese Pfandpflicht eine unbefriedigende Lösung. Besser wäre unserer Meinung nach ein Lizenzmodell, das nach den jetzt vorliegenden Gutachten das effektivste umweltpolitische Instrument wäre. Über die direkte Kostenanlastung wäre es gleichzeitig ein gutes Beispiel für marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz. Von daher fordere ich auch die Bundesregierung auf, die Umsetzung dieses Ansatzes voranzutreiben. Wir sollten uns an dieser Stelle auch mit Rükkendeckung der Gutachten ein weiteres umweltpolitisches Instrument in der Bundesrepublik Deutschland erschließen, das wir bisher noch nicht nutzen. Deswegen werde ich mich auch weiterhin für die Einführung eines Lizenzmodells einsetzen. Die Abfallpolitik wurde in letzter Zeit von verschiedenen Sondermüllskandalen überschattet. Fast scheint es so, als ob durch geschicktes Timing von Veröffentlichungen über Vorgänge, die eigentlich unter dem alten Abfallrecht vorgekommen sind, das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Mißkredit gebracht werden soll. Dabei ist eines all diesen Vorgängen gemein: Sie sind unter altem Recht und unter den Augen der Landesvollzugsbehörden geschehen. Das Umdeklarieren von Sonderabfällen zu Wirtschaftsgut ist jetzt nicht mehr möglich. Dafür haben wir mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gesorgt. Jetzt kommt es auf den Vollzug an. Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern einen besseren Gesetzesvollzug. ({13}) Mit der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes hat die F.D.P. wesentliche Anliegen mit dem Ziel durchgesetzt, bei Beibehaltung des hohen Schutzniveaus im Gewässerschutz die hohen Gebührenlasten in den Griff zu bekommen. Der sanierte Rhein ist ein sichtbarer Erfolg unserer Gewässerschutzpolitik. Durch Erleichterung von kostengünstigeren dezentralen Abwasserkonzepten mit Regenwasserversikkerung und Kleinkläranlagen, durch eine geringere Verbindlichkeit der außergesetzlichen technischen Regelwerke sowie durch die Erleichterung von privatwirtschaftlichen Organisationsformen haben wir den Kommunen große Spielräume geschaffen. Jetzt müssen diese Spielräume von den Kommunen auch genutzt werden. Das gilt auch für die Gebührenberechnungen. Der Bund der Steuerzahler hat dieses Jahr in seiner Studie auf die riesigen Gebührenspannen in Deutschland hingewiesen. An dieser Stelle muß noch einmal ganz deutlich gesagt werden, daß mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger sorgfältiger umgegangen werden muß und auch wirklich alle Einsparpotentiale genutzt werden müssen. Wir haben die bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Dabei hat die F.D.P. eine maßgebliche Rolle gespielt. Ganz deutlich sage ich auch an dieser Stelle: Wir haben uns gegen Ihre Vorstellungen weitestgehend durchgesetzt; am Ende mußten Sie unsere aus Einsicht akzeptieren. ({14}) Betrachtet man - ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin - die noch vor uns liegenden großen Gesetzgebungsverfahren wie das Bundesbodenschutzgesetz und die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, so bin ich zuversichtlich, daß nach der Halbzeitbilanz auch die Gesamtbilanz dieser Legislaturperiode für die Umweltpolitik der Koalition positiv sein wird. Wie gesagt, ist der Haushalt - das haben Sie auch an meiner Rede gesehen - nicht das allein Entscheidende. Für meine Fraktion sage ich: Wir stimmen diesem Haushalt zu. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsberatungen sind unter der Waigelschen Sparkeule gänzlich zu einem Streichkonzert verkommen. Dem Umwelthaushalt wurde dabei mit Reduzierungen in Höhe von 36 Millionen DM ein weiterer Schlag versetzt. Das ist im Vergleich zum Gesamthaushalt nicht viel, aber angesichts der 0,3 Prozent Haushaltsvolumen des Umweltetats ein weiterer Beitrag zur umweltpolitischen Defensive der Bundesregierung. Die Planungen für 1997 vom letzten Jahr sahen für den Einzelplan 16 ein Plus von 3,5 Prozent vor, also 46 Millionen DM mehr für den Umwelthaushalt, dessen 96er Etat gerade um satte 40 Millionen DM zusammengestrichen worden war. Nun sind wir mit 1,28 Milliarden DM für 1997 wiederum 2,6 Prozent unter das Niveau des Vorjahres gerutscht. Die Umweltpolitikerinnen und -politiker unserer Gruppe haben lange überlegt, ob es überhaupt Sinn macht, Änderungsanträge zu einem Etat mit so grundlegenden sozialen und ökologischen Schieflagen zu stellen; denn der soziale Kahlschlag, der im Bundeshaushalt in Zahlen gegossen wird, ist nicht nur menschenfeindlich, sondern senkt auch den Spielraum für einen ökologischen Umbau. ({0}) Wen, bitte, wollen Sie denn noch von einer Ökosteuer oder von einer Verteuerung des Umweltverbrauchs - sollten Sie sich irgendwann einmal dazu durchringen - überzeugen, wenn gleichzeitig die Reichen immer reicher, aber die Niedrigverdienerinnen und -verdiener zur Kasse gebeten werden? ({1}) Wen wollen Sie davon überzeugen, daß Umweltschutz etwas kostet, wenn mit steigenden Müllgebühren durch Monopolisierung satte Unternehmensgewinne an Stelle von Umweltschutzinvestitionen finanziert werden? Welche Bürgerinnen und Bürger werden der notwendigen Verteuerung des Autoverkehrs zustimmen, wenn die neue Kfz-Steuer Haushaltslöcher stopfen soll, die in den Ländern durch die Abschaffung der Vermögensteuer gerissen werden? Umweltsteuern zur Profitsicherung: Ist das der Weg zur Nachhaltigkeit? - Wir glauben nicht. Vor einem solchen Background können von einem Umweltetat kaum Impulse zum ökologischen Umbau erwartet werden. Wo es sie gibt, werden sie innerhalb des Bundeshaushalts konterkariert. So wurde innerhalb der Haushaltsberatungen der ohnehin schon gigantische Straßenbauplan noch einmal gepuscht. Mehreinnahmen aus der Straßennutzungsgebühr für Lkw dürfen nun in Höhe von 100 Millionen DM zur Aufstockung im Straßenbauplan verwendet werden. Während beispielsweise in der Titelgruppe Naturschutz des Umwelthaushalts 3 Millionen DM in den Haushaltsberatungen gestrichen werden und für Untersuchungen zu Fragen des Umweltschutzes 2,5 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen, während die Koalition die Gelder zur Energie-, Umwelt- und Klimaforschung im Forschungshaushalt drastisch zusammenstreicht, stehen für die weitere Betonierung unseres Landes zusätzliche Mittel zur Verfügung. Dies ist um so skandalöser, als schon im Regierungsentwurf des Verkehrshaushalts allein für die Erhaltung, den Um-, Aus- und Neubau von Bundesautobahnen und Bundesstraßen das Fünffache des gesamten Umwelthaushaltes zur Verfügung stand. Unsere vorliegenden Anträge können nur an Einzelbeispielen deutlich machen, wo die PDS umweltpolitische Zeichen im Haushalt setzen möchte. Im Umweltetat plädieren wir unter anderem für die deutliche Anhebung der Ausgaben für Untersuchungen zu Fragen des Umweltschutzes. Die zusätzlichen Mittel sollen insbesondere für Untersuchungen zur Ressourcenschonung sowie im Bereich Wasserhaushalt, Wasserrecht und wasserwirtschaftliche Planung eingesetzt werden. Die Abwasserkatastrophe in Ostdeutschland verlangt auch Bundesengagement. Sie können unsere Anträge nachlesen; meine Redezeit ist kurz. Es geht uns ferner darum, Schutzgebiete weiter auszuweisen. Auch Frau Merkel hatte sich übrigens schon einmal zu den von Umweltverbänden geforderten 10 Prozent Schutzfläche bekannt. Die PDS- Bundestagsgruppe hat kürzlich beantragt, den thüringischen Truppenübungsplatz Weberstedt kostenlos an das Land zu übertragen. Das Gebiet soll der Hauptteil eines künftigen Nationalparks Hainich werden. Für den Atomteil des Einzelplans 16, also für über 50 Prozent dieses Etats, und für die Garching-II-Investitionen im Einzelplan 30 haben wir Streichungsund Umwidmungsanträge gestellt. Diese Technologien sind nicht beherrschbar und verhindern eine ökologische Energiewende. Deshalb ist die Bundestagsgruppe der PDS nach wie vor für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat die Abgeordnete Ulrike Mehl das Wort.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte ist immer eine Gelegenheit für eine Grundsatzauseinandersetzung mit der Politik der Bundesregierung. Das fällt im Bereich der Umweltpolitik etwas schwer, weil die Bundesregierung da fast nicht wahrnehmbar ist, jedenfalls nicht positiv. ({0}) Für die Bundesregierung wird Umweltschutz offenbar als Luxus betrachtet, auf den man notfalls verzichten kann. Für uns dagegen ist die Verknüpfung von Umweltschutz und Wirtschaftsentwicklung der einzig richtige Weg in die Zukunft. ({1}) Nur so können langfristig hohe Arbeitslosigkeit abgebaut und die Umweltbelastung gemindert werden. Dies ist der einzige Weg in eine nachhaltige Entwicklung, die Sie selber in den Rio-Konventionen mit unterschrieben haben. Dies betrifft alle Politikfelder. Wir brauchen aber eine nachhaltige Entwicklung nicht nur auf dem Papier internationaler Verträge und nationaler Vereinbarungen, sondern in der Wirklichkeit, und zwar hier in diesem Land. ({2}) Die Bundesregierung tut genau das Gegenteil. Der Kanzler selbst sorgt dafür, daß Umweltschutz in der Bevölkerung, der Wirtschaft und in den Betrieben inzwischen als eine Bedrohung angesehen wird. Er vermittelt vor allem das Bild, daß Umweltschutz zu teuer ist und wir uns das alles nicht leisten können. Das hat fatale Folgen. Frau Merkel, Sie sollten Herrn Kohl einmal an seine salbungsvollen Reden, die er selber hält, erinnern und ihn bitten, sich einmal an das eigene Wort zu halten. Er hat nämlich am 24. Oktober 1996 in Berlin gesagt: Die Bewahrung der Schöpfung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Es ist daher die gemeinsame Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Umweltorganisationen, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung mit Leben zu erfüllen. ({3}) Sehr gut, recht hat der Mann. Ich frage Sie nur: Warum füllen Sie denn die Umweltdebatte nicht mit Leben? Warum tun Sie keine Schritte in die ökologische Steuerreform? Schaffen Sie für die Wirtschaft einen ökologisch orientierten Rahmen! Genau das tun Sie eben nicht. ({4}) Statt dessen hat Herr Kohl der Wirtschaft versprochen, dafür zu sorgen, in dieser Legislaturperiode kein Gesetz mehr zuzulassen, das den derzeitigen Interessen der Wirtschaft widerspreche. Das betrifft insbesondere die ökologische Steuerreform. Sie verfestigen mit Ihrer Politik die Probleme, die die zukünftigen Generationen dann auszubaden haben. Es wird zukünftig immer schwieriger werden, diese Probleme zu lösen. Das winzige, kleingeschrumpelte grüne Mäntelchen der Bundesregierung ist tatsächlich auf den mickrigen Haushalt des Umweltministeriums geschrumpft. Frau Merkel darf umweltfreundliche Reden halten und Papiere unterschreiben. Was aber wirklich gemacht wird, entscheiden andere. Wie bedeutungsvoll Ihre Rolle in der Bundesregierung ist, sieht man daran, daß Sie hier ganz alleine auf der Regierungsbank sitzen. Keiner Ihrer Kollegen hat es nötig, sich bei der Umweltdebatte auf der Regierungsbank niederzulassen. ({5}) Welche Position zum ökologischen Umbau haben Sie eigentlich entwickelt? Wo bleiben denn die Umsetzungsstrategien? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, daß die freiwilligen Vereinbarungen, die hier eben so hochgehalten wurden, vor anderthalb Jahren getroffen wurden und bis heute völlig wirkungslos sind? Was sagen Sie dazu, daß es bis heute noch kein Monitoring-System gibt? Wie vereinbaren sie eigentlich die eigene Feststellung, daß Umweltschutztechnik ein wichtiger Faktor für die deutsche Wirtschaft ist, mit der Tatsache, daß die Bundesrepublik bezüglich ihrer weltweiten Exporte auf diesem Gebiet auf 18 Prozent abgerutscht ist? Ihre Antwort: Fehlanzeige. Diese Bundesregierung ist noch nicht einmal bereit, an andere gerichtete Ansprüche selber zu erfüllen, nämlich ein Öko-Audit für Bundesbehörden einzuführen. Es geht hier überhaupt nicht um starre Regeln, sondern es geht darum, daß Sie die Ansprüche, die Sie an andere stellen, und die Erwartungen, die Sie haben, auch selber erfüllen. ({6}) Was steht in der Beschlußempfehlung des Umweltausschusses? Dort kann man lesen, der Ansporn für das Öko-Audit liege im Werbeeffekt, nicht etwa in der langfristigen umweltorientierten Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Werbeeffekt würde durch die Einbeziehung der Behörden inflationiert. Das läßt tief blikken. In welchem Zustand sind denn die Behörden, so daß dann das Öko-Audit inflationiert wird? Seien Sie doch wenigstens so mutig, Kriterien für eine Auditierung von Behörden aufzustellen und bei Ihren Kolleginnen und Kollegen eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, damit Sie wenigstens den Beweis antreten können, daß Ihre Behauptung, Sie arbeiteten ohnehin vorbildlich, auch wirklich stimmt. ({7}) Sie schreiben in Ihrer Einleitung zum Haushaltsplan, die Grundlage für die Finanzierung im Umweltschutz sei das Verursacherprinzip. Darum haben Sie die umweltbezogenen Ausgaben der Wirtschaft auf Ihr Konto mit eingerechnet. Das wäre alles in Ordnung. Auch wir sagen, daß dies einen Folgeeffekt hat. Aber das wäre nur dann in Ordnung, wenn Sie mit Ihrer Mehrheit die notwendigen gesetzlichen Instrumentarien für einen wirksamen Umweltschutz zur Verfügung stellen und langfristig für eine wirkliche Vorsorge eintreten würden. ({8}) Wir können nicht bei einer Politik stehenbleiben, die jede Filteranlage und jeden Lärmschutzwall als positive Investition für die Umwelt ausweist - das finden Sie im Haushalt reihenweise -, sondern wir brauchen Vermeidungsstrategien. Wir brauchen drastische Reduzierungen des Rohstoff- und Naturverbrauchs. Wir müssen uns das Ziel „Ökosozialprodukt" auf die Fahnen schreiben. ({9}) Das schlagendste Beispiel für Ihr völlig falsches Verständnis vom Verursacherprinzip ist der Entwurf des Bundesnaturschutzgesetzes. Das ist ein Rückfall in Zeiten, bevor es überhaupt bestanden hat. ({10}) Um Boden, Grundwasser und die Natur nachhaltig zu schützen, muß es grundlegende Änderungen in der Landwirtschaft geben. Aber dieser Teil wird nun leider nicht im Umweltministerium, sondern bei Herrn Borchert entschieden. Herr Borchert hat erreicht, daß nach Ihrem Gesetzentwurf, Frau Merkel, die Landwirtschaft nun auch noch aus den schmalen Haushalten des Naturschutzes subventioniert werden soll. Hier werden buchstäblich Böcke zum Gärtner gemacht. Mit Verursacherprinzip hat das überhaupt nichts zu tun. ({11}) Wer Umweltschutz will, muß sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. Das sagt sogar Herr Kohl. Schön wäre es, wenn Sie es dann einmal täten. Rechentricks, so wie das beim Thema Waldsterben überlegt wird, nützen überhaupt nichts. Damit können Sie vielleicht eine Zeitlang die Öffentlichkeit täuschen, aber mehr auch nicht. Da gibt es die Überlegung, daß zukünftig Bäume, die zu 45 Prozent Nadeln oder Blätter verloren haben, als gesund erklärt werden. Das hat Herr Rüttgers vorgeschlagen. Im Moment gilt das für Bäume mit 10prozentigem Nadel- oder Blattverlust. Bei 45 Prozent, meint Herr Rüttgers, wären sie auch noch gesund. ({12}) Es gibt überhaupt keinen Anlaß zur Freude und zur Erleichterung über den Rückgang der Waldschäden, denn die Schädigung der Bäume, die älter als 60 Jahre sind, hat im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent - 17 Prozent! - zugenommen. Nur 7 Prozent der Eichen und 12 Prozent der Buchen gelten noch als gesund. Wälder sind nicht nur Einzelbäume, sondern es sind Ökosysteme. Diese ganzen Ökosysteme sind gefährdet. Wenn sich Herr Rüttgers tatsächlich durchsetzt, dann sind wir vom Waldschadensbericht über den Waldzustandsbericht vielleicht beim Waldgesundheitsbericht angekommen. Umwelt- und naturschutzpolitisch ist das natürlich kein positiver Effekt. ({13}) Herr Borchert ist, wie ich sagte, für den Wald zuständig. Für einen wesentlichen Waldzerstörer, den Verkehr, ist Herr Wissmann zuständig und neuerdings für das Gesundbeten Herr Rüttgers. Das nennt man Arbeitsteilung in der Bundesregierung. Frau Merkel, Sie können sich offensichtlich in die Politik Ihrer Kollegen nicht genauso einmischen, wie diese es bei Ihnen tun. Ihr Vorschlag eines Kraftfahrzeugsteuer-Änderungsgesetzes läßt jedenfalls keinen anderen Schluß zu. Herr Kohl stellte in der eben zitierten Rede sehr zutreffend fest, daß schon 1994 fast 1 Million Beschäftigte im Umweltschutz tätig waren. Dies entspricht der Beschäftigungszahl im Automobilbau. Weil wir diese Beschäftigungsmöglichkeiten schnell ausweiten wollen, brauchen wir eine ökologische Steuerreform, die Solaroffensive und die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien für Energie- und Rohstoffeinsparungen. Ich nenne hier noch einmal das Stichwort Ökosozialprodukt. Was wir nicht brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Transrapid. Er ist nun wirklich überflüssig. Das Geld kann man besser einsetzen. ({14}) Umweltschutz ist in den Reden der Bundesregierung ganz oben und in der Praxis ganz unten, nämlich auf dem Abstellgleis. Das ist natürlich nicht allein - das habe ich deutlich zu machen versucht - die Schuld von Frau Merkel, sondern es sind insbesondere ihre Kolleginnen und Kollegen, die dafür verantwortlich und daran beteiligt sind. Aber es ist Ihre Aufgabe, Frau Merkel, bei dieser umweltfeindlichen Politik deutlich wahrnehmbar gegenzuhalten, insbesondere in schlechten Zeiten. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, dann kämpfen Sie für den Umweltschutz! Darauf warten wir. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Mehl, ich möchte Sie auf einen Widerspruch aufmerksam machen, in den Sie sich öffentlich immer wieder verwickeln: Einerseits fordern Sie ständig von uns, daß wir doch dafür sorgen sollten, daß nicht End-of-thepipe-Technologien eingesetzt werden, sondern von vornherein der Umweltschutzgedanke in die Produktion einbezogen wird. Da sind wir uns einig. Die Frage ist zwar immer die nach den Wegen, die dahin führen - da sind wir uns dann nicht mehr so einig -; aber wie auch immer, wir sind uns in dem Ziel einig, daß wir von vornherein den Umweltgedanken in der Produktion haben wollen. Das wird auch bereits gemacht, vielleicht nicht überall, wo es geht, aber es wird zunehmend gemacht. So gibt es heute in der Bundesrepublik beispielsweise im Bereich der Galvanik nur noch abwasserfreie Anlagen. Das hat aber mit Umwelttechnologie nichts zu tun. Jetzt kommt der Widerspruch: Auf der anderen Seite werfen Sie uns immer vor, daß wir beim Export der Umwelttechnologien abgesackt seien. Dabei berücksichtigen Sie in keiner Weise, daß all die Anlagen, in denen Umweltschutzkompenenten bereits integriert sind, in dieser Bilanz nicht mehr auftauchen. Sie allerdings versuchen mit dem, was Sie da darstellen, zum Ausdruck zu bringen, daß wir im umwelttechnologischen Bereich zurückgefallen seien. Das ist überhaupt nicht richtig. Vielmehr haben wir Fortschritte gemacht, was sich in der Exportbilanz insgesamt niederschlägt. Das haben vor kurzem auch die Wissenschaftler in der Anhörung des Ausschusses bestätigt. Ich wäre Ihnen deswegen sehr dankbar, wenn die SPD das einmal zur Kenntnis nehmen und auch entsprechend würdigen könnte. Das ist nämlich ein Erfolg und kein Mißerfolg. ({0})

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie tun immer so, als wäre die Welt in Ordnung. Eben hörte es sich bei Ihnen so an, als sei Umweltschutztechnik in der Wirtschaft schon so wunderbar integriert, daß es gar nicht mehr gesondert dargestellt werden muß, und als gebe es nur noch wenige, die das nicht machen. Das ist eben falsch. Ich habe Ihnen eben mehrere Aspekte dazu genannt, und ich führe Ihnen ein weiteres Beispiel vor Augen: Die IG-Chemie-Stiftung „Arbeit und Umwelt" hat einen Wettbewerb bundesweit ausgeschrieben, in dem es darum ging, Betriebe mit immerhin 20 000 DM zu prämieren - das ist schon eine Summe -, die Umweltbildung im Betrieb auf allen Ebenen vorbildlich praktizieren. Wie gesagt, der Wettbewerb war bundesweit ausgeschrieben, und es haben sich ganze zwölf Betriebe beworben. Nur zwei von den zwölf entsprachen den Wettbewerbsbedingungen, die anderen nicht. Bei den Überlegungen, warum das wohl so ist, kam man in der Jury zu der Erkenntnis, daß das Thema Umweltbildung und integrierter Umweltschutz - beides hängt im Betrieb unmittelbar zusammen - eben noch sehr unterbelichtet ist und nicht so aufgenommen wird, wie Sie es hier immer darstellen. Das möchte ich hiermit noch einmal deutlich machen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung die Frau Bundesministerin Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich heute die Rede von dem Berichterstatter Kuhlwein gehört hatte, habe ich mir überlegt, ob mir der Dank für die gute Kooperation mit den Berichterstattern überhaupt noch über die Lippen kommt. Ich möchte ihnen trotzdem danken, weil ich mich auch an die Gespräche, Herr Kuhlwein, Frau Heyne, erinnere, die wir parteiübergreifend zu diesem Haushalt hatten und die zum Teil sehr konstruktiv waren. Leider habe ich dies heute nur noch von Herrn Kriedner und, wie ich vermute, auch von Herrn Weng sagen können. Aber man wundert sich schon, was Sie für ein Spiel in der Öffentlichkeit abziehen und wie vernünftig man mit Ihnen hinter verschlossenen Türen reden kann; aber es ist gut, daß ich beide Phänomene kenne. ({0}) Natürlich kann man Kontroversen haben, verschiedener Meinung sein. Aber das, was Sie hier heute abgezogen haben, hat nichts damit zu tun. Das ist traurig. Also: Dank an die Berichterstatter. Entgegen den Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden, meine Damen und Herren von der SPD, der uns gestern des Provinzialismus bezichtigt hat, bin ich am Sonntag von einer Reise nach Brasilien und Mexiko zurückgekehrt, die ich zusammen mit Kollegen aus dem Bundestag, mit Wirtschaftsvertretern und Vertretern von Umweltverbänden gemacht habe. Ich kann Ihnen sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland bezüglich ihrer Industrie- und Umwelttechnologie hoch angesehen ist in den Ländern, die sich auf einem wirtschaftlichen Wachstumspfad befinden. Wir müssen alles tun, um unsere Erfahrungen aus der Gesetzgebung und auch aus der Forschung, aus der Entwicklung und aus der Umsetzung möglichst schnell in diese Länder zu exportieren. Genau das ist der Wachstumspfad der Umwelttechnologie, von dem wir heute schon viel gesprochen haben. Dieser Markt wird von Deutschland nicht nur deshalb nicht mehr so souverän beherrscht wie bislang, weil, wie Frau Kollegin Homburger richtigerweise gesagt hat, der integrierte Umweltschutz viel schlechter auszuweisen ist als Umwelttechnologie - das weiß ja auch jeder - und weil auch andere Länder längst mitbekommen haben, daß dies ein Wachstumsmarkt ist. Deshalb müssen wir uns mühen und kämpfen. Ich hoffe, wir tun das gemeinsam. ({1}) Ich hoffe, wir sind darin einer Meinung, daß die Umweltpolitik dazu geführt hat, daß im Bereich der Beschäftigung inzwischen ein erheblicher Effekt eingetreten ist. Heute sind 2,7 Prozent aller Beschäftigten im Umweltbereich tätig. Das ist eine vernünftige Zahl; sie entspricht - das wurde hier schon gesagt - der Zahl der Beschäftigten im Automobilbereich. Ich wundere mich schon darüber - wir haben mit Absicht vier renommierte Wirtschaftsinstitute ausgewählt -, daß Herr Henkel gestern die Zahlen so sehr in Frage gestellt hat. Ich empfehle wirklich, sich damit einmal zu beschäftigen; denn diese Wirtschaftsinstitute - sie erstellen auch sonst die Berichte - stellen nur die Untergrenze dessen dar, was in der Bundesrepublik Deutschland an Beschäftigungseffekt eintritt. Meine Damen und Herren, wir haben das ITUT, das Internationale Transferzentrum für Umwelttechnik, gegründet. Dies ist im übrigen ein Beweis für die gute Kooperation zwischen den Ressorts; denn das Geld für die Umweltmanager außerhalb Deutschlands kommt aus dem Bundeswirtschaftsministerium, und das Geld für das Pilotprojekt innerhalb Deutschlands kommt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Daran sehen Sie, daß im Bereich des Umweltschutzes nicht nur Dinge vorangebracht werden, die aus unserem Etat finanziert werden, sondern daß sehr viele Aktivitäten ressortübergreifend verwirklicht werden. ({2}) Genau das ist es doch, Frau Mehl und Herr Kuhlwein, was Sie wollen: Wirtschafts- und Umweltressort sollen zu einem vernünftigen Zweck zusammenarbeiten. Wenn in den Außenhandelskammern Leute sitzen, die sich mit Umwelttechnologie beschäftigen, entsteht genau der Bildungseffekt, der bisher fehlte. Davon konnte ich mich in Sao Paulo hervorragend überzeugen. Meine Damen und Herren, das nächste Jahr ist das Jahr des globalen Umweltschutzes. Fünf Jahre nach Rio wird die Sondergeneralversammlung stattfinden. Wir werden eine außerordentlich wichtige Klimakonferenz in Kyoto haben. Es gilt jetzt, die Vorbereitungen dafür zu treffen. Ich kann Ihnen sagen: Die internationalen Verhandlungen sind in jeder Hinsicht außergewöhnlich schwierig. Wir werden uns übernächste Woche zusammensetzen und die EU-Verhandlungsposition für die Klimakonferenz in Kyoto festlegen. Ich kann Sie, wie ich dies schon vor anderthalb Jahren gemacht habe, nur ermuntern: Helfen Sie uns durch alle Ihre Partnerparteien, wo auch immer in den europäischen Ländern, damit die anspruchsvollen Klimaziele, die wir uns für Deutschland gesetzt haben, in Europa und weltweit zumindest annähernd realisiert werden. ({3}) - Ich verstehe nicht. Meine Damen und Herren, es ist natürlich richtig: Auch in unserem Land muß sichtbar sein, wohin die nachhaltige Entwicklung zielt. Genau aus diesem Grunde werden wir dem Kabinett und, so denke ich, dann auch dem Bundestag einen Bericht darüber vorlegen, was in diesen fünf Jahren passiert ist. Das wird nicht ein Bericht des Umweltministeriums sein, sondern ein Bericht aller Ressorts, die Initiativen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung ergriffen haben. ({4}) Ebenso werde ich eine Diskussion - worüber wir auch mit der Vorsitzenden der Enquete-Kommission ausführlich gesprochen haben - über die nächsten Ziele der Umweltpolitik führen, und zwar im Sinne der nachhaltigen Entwicklung, der Prioritätensetzung. Dafür haben wir sechs Arbeitskreise gebildet, die mit ihrer Arbeit bereits begonnen haben. Wir könnten einen sehr konstruktiven Dialog zwischen Enquete-Kommission und diesen Arbeitsgruppen über die nächsten Schritte pflegen. Allerdings verbitte ich mir dann - das muß ich Frau Caspers-Merk, die, glaube ich, jetzt nicht da ist, einmal sagen - polemische Angriffe völlig inakzeptabler Art, die in der Enquete-Kommission und bei Anhörungen immer wieder geäußert werden. Diese bringen uns nicht weiter. ({5}) Ich habe hier heute aufmerksam zugehört, was zu den Aktivitäten gesagt wurde, die das Bundesumweltministerium in der letzten Zeit ergriffen hat: ein schwaches Wort zum Naturschutzgesetz - darauf komme ich gleich noch zu sprechen -, zum Bodenschutzgesetz hat gar keiner mehr ein Wort gesagt. Jahrelang haben Sie dieses Gesetz eingefordert. Sie werden es in Kürze in diesem Parlament debattieren können. Der Bundesrat setzt sich damit sehr intensiv auseinander. ({6}) - Sie sagen heute schon wieder „leider", Frau Mehl. Machen Sie doch einmal vernünftige Vorschläge. Wenn Sie hier unentwegt die Tatenlosigkeit geißeln, dann sagen Sie doch auch einmal, wo es vorangegangen ist. Beim Naturschutzgesetz gibt es sicherlich Diskussionsbedarf. Es gibt aber überhaupt keinen Grund, mit einer Totalablehnung im Bundesrat seitens der A-Länder und - leider - auch einiger B-Länder erstens Bund-Länder-Finanzkonflikte im Bereich des Naturschutzes auszutragen, zweitens zu vertuschen, daß man sich in den eigenen Kabinetten als Umweltminister nicht durchsetzen kann und deshalb im Bundesrat lieber erst gar keine Vorschläge macht ({7}) und drittens zu zeigen, liebe Frau Mehl, daß man sich unter den Umweltministern der A-Länder absolut nicht einig ist, wie das Gesetz genau aussehen soll. ({8}) Außer einem schlechten Entwurf, der FFH-Richtlinienumsetzung aus Schleswig-Holstein, einem handwerklich wirklich schlechten Entwurf, haben wir nichts, aber auch gar nichts in der Hand. So kritisiert es sich leicht. Ich kann nur sagen: Viel Glück, wenn sich Herr Steenblock, Frau Höhn, Frau Griefahn und alle anderen in ihren Kabinetten heute mit einem vernünftigen Naturschutzgesetz durchsetzen müßten. Da - genauso wie in den Finanzfragen - ist die Bundesregierung absolutes Vorbild. ({9}) - Lieber Herr Kuhlwein, das Schöne ist: Sie haben es in der Bundestagsfraktion gemacht. Bringen Sie es einmal durch Ihre Landeskabinette. Zeigen Sie es jedem Ihrer Ministerpräsidenten, und fragen Sie nach einer ehrlichen Stellungnahme. Dann kommen Sie zu mir zurück und sagen mir - meinetwegen unter vier Augen - ehrlich, wieviel Sie davon durchbringen können. ({10}) Meine Damen und Herren, wir haben - Frau Mehl, das müßten Sie wenigstens akzeptieren - im Bereich des Naturschutzes etwas draufgelegt. Für die Projekte von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung sehen wir für das nächste Jahr mittlerweile 41,5 Millionen DM vor. Sie, die sich um Naturschutz kümmern, müßten wirklich wissen, daß ein solches Verhalten in den Ländern seinesgleichen sucht. Wenigstens dazu hätte ich mir ein kleines positives Wörtchen gewünscht. ({11}) Aber das, was hier nicht angesprochen wird, muß man als Lob von der Opposition zählen. Insofern sage ich nur noch einmal nach außen: Ich glaube, wir sind uns da ganz einig. ({12}) Meine Damen und Herren, ich komme zum CO2- Minderungsziel. Wir werden im Mai nächsten Jahres im interministeriellen Arbeitskreis der Bundesregierung einen weiteren Zwischenbericht vorlegen. Es ist doch nur normal, daß es zur Zeit eine Vielzahl von Studien gibt - Studien, die außerhalb der Bundesrepublik in Auftrag gegeben wurden, aber auch Studien, die innerhalb der Bundesrepublik in Auftrag gegeben wurden -, die aussagen, bei welchem Ergebnis wir zum jetzigen Zeitpunkt ankommen. Es ist auch nur normal, daß diese Studien teilweise Annahmen machen, denen wir natürlich nicht zu 100 Prozent folgen müssen. Die letzte Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zum Beispiel ist davon ausgegangen, daß sämtliche Altbauten - bis auf die letzte gotische Burg - den Wärmeschutzanforderungen von Neubauten entsprechen. Daß dies zu wirtschaftlichen Verzerrungen führt, überrascht mich nicht, überrascht wahrscheinlich auch Sie nicht. Darum müssen wir uns ein Bündel von Maßnahmen ausdenken, mit denen wir das Minderungsziel erreichen, die aber auch noch in der Kosten-NutzenRelation vernünftig sind. Genau daran werden wir bis zum Mai nächsten Jahres arbeiten. ({13}) Deshalb kann ich Ihnen hier ganz bestimmt sagen: Die Bundesregierung und auch der Herr Bundeskanzler stehen zu unserer nationalen Verpflichtung, dieses Minderungsziel bei CO2 einzuhalten. Wir werden das auch tun. Meine Damen und Herren, das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist in Kraft getreten. Ich bin Frau Homburger sehr dankbar, daß sie einmal auf den mysteriösen Zusammenhang von illegalen Müllexporten und dem Inkrafttreten dieses Kreislaufwirtschaftsgesetzes zumindest hingewiesen hat. Alle illegalen Abfalltransporte, die wir jetzt beklagen und von denen wir hören, haben zu Zeiten stattgefunden, in denen das alte Abfallrecht galt. Ich sehe viele Ansatzpunkte, daß dies beim neuen Abfallgesetz sehr viel schwieriger wird. Wenn allerdings von Land zu Land total unterschiedliche Abfallgesetze existieren, wenn in dem einen Land eine Andienungspflicht herrscht und in einem anderen nicht, wenn viele von der SPD und den Grünen regierte Länder heute in einer Art von Bürokratieüberschwang versuchen, den Abfall in ihrem Land zu halten, dann muß man sich nicht wundem, wenn immer wieder Umgehungstatbestände geschaffen werden, weil Sie niemandem in der Wirtschaft irgend etwas zutrauen. Das führt meist zu noch mehr Umgehungstatbeständen, als es sie schon jetzt gibt. ({14}) Wir haben Selbstverpflichtungen im Bereich der Automobilindustrie und dazu auch einen entsprechenden Verordnungsentwurf. Er wurde jetzt dem Parlament vorgelegt. Wir haben eine Novelle zur Verpackungsverordnung vorgelegt, und wir haben vor allen Dingen eine außerordentlich günstige Selbstverpflichtung der Bauindustrie. Auch darauf möchte ich einmal hinweisen. Dinge, die nicht kritisiert werden, werden ja fast nicht mehr wahrgenommen. 23 Millionen Tonnen Bauschutt, die bis zum Jahr 2005 jährlich weniger deponiert werden - das ist eine erhebliche Entlastung des Abfallmarktes. Zum Abschluß möchte ich nur bemerken: Was Sie zum Öko-Audit gesagt haben, entspricht nur mangelhaft den Tatsachen. ({15}) Das Öko-Audit ist von der europäischen Richtlinie her für produzierende Betriebe gemacht. ({16}) Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß dies auf den Dienstleistungssektor erweitert wird. Da bedarf es keiner „Lex Behörden" der Bundesregierung. ({17}) - Richtig. Deshalb kann ich Ihnen hier mitteilen, Herr Kuhlwein: Das Umweltbundesamt versucht in seinem Einzugsbereich - ({18}) - Sie haben es aber nicht gesagt. Dann gestatten Sie mir wenigstens, daß ich es den anderen sage, die es nicht wissen. Das Umweltbundesamt führt genau das Pilotprojekt durch, das Frau Mehl von uns verlangt hat. ({19}) Wir werden das auswerten und unsere Schlußfolgerungen ziehen. Dann kommen wir vielleicht sogar in diesem Punkt überein, daß wir später etwas gemeinsam tun. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und noch einmal bei den Berichterstattern. ({20})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Dazu liegen sieben Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6221? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6274? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6275? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6276? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6306? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6307? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6308? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden. Wer stimmt für den Einzelplan 16 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 16 ist damit mit den Stimmen der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem UmweltAudit in Bundesministerien und -behörden. Das ist die Drucksache 13/4023. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2417 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Ich rufe auf: Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr - Drucksachen 13/6012, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb Kristin Heyne Es liegen elf Änderungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Da ich keinen Widerspruch höre, ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Kollege Hans Georg Wagner.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer eine politische Bewertung, die wir bei den Einzelplänen und beim Gesamthaushalt vornehmen. Deshalb, Frau Kollegin Merkel, ein Satz zu Ihnen: Es ist eine politische Bewertung, die wir hier vornehmen. Das hat mit den Berichterstattergesprächen überhaupt nichts zu tun, die in der Tat beim Verkehrsminister und auch bei den Beratungen im Haushaltsausschuß in sehr freundschaftlicher und sehr sachlicher Atmosphäre verlaufen sind. Aber heute geht es nun einmal zur Sache, zur politischen Bewertung. Da kann man die Samthandschuhe nicht immer anlassen, sondern muß sie auch einmal ausziehen. ({0}) Im Haushalt 1996 lag der Verkehrshaushalt, was das Volumen angeht, noch an zweiter Stelle, nämlich bei 51,03 Milliarden DM. Im Jahre 1997 sollen es nur noch 45,05 Milliarden DM sein. Das bedeutet das Abrutschen an die vierte Stelle. Im Klartext heißt das, daß einer der investitionsfreudigsten Einzelpläne überhaupt in einem Maße zurückgefahren wird, das unerträglich zu werden droht, weil damit unmittelbar die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen zusammenhängt. Das wird durch diesen Haushaltsentwurf konterkariert, wenn nicht gar erheblich gefährdet. Dieser Rückgang von 6 Milliarden DM wird durch die Absenkung des Ansatzes für Erstattungen für die Verwaltungsaufgaben des Bundeseisenbahnvermögens in einer Größenordnung von 1,8 Milliarden DM noch schlimmer. Wenn ich mir den jetzt hier vorliegenden Haushaltsplan ansehe und mir dann die Behandlung in den Ausschüssen vor Augen halte, dann frage ich: Wie gehen wir eigentlich mit der Bevölkerung um, die ja von diesem Bundeshaushalt in erheblichem Maße betroffen ist? In einem Bericht, den die Kollegen Dr. Weng, von Schmude und Austermann dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben, wird von den Verhandlungen in den anderen Ausschüssen berichtet. Die Drucksache 13/6027 berichtet über zwei Bereiche, von denen ich sage, daß es so nicht gehen kann. Im Verkehrsausschuß wird zum Beispiel bezüglich der Seeschiffahrt einvernehmlich gesagt, daß man den Regierungsentwurf wieder auf 80 Millionen DM auffüttern müsse, also von der im Regierungsentwurf vorgesehenen Seeschiffahrtshilfe in Höhe von 40 Millionen DM wieder auf 80 Millionen DM gelangen müsse. Im Haushaltsausschuß wird ein entsprechender Antrag der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt und damit der Seeschifffahrt die Möglichkeit genommen, im nächsten Jahr dafür zu sorgen, daß nicht weitere die deutsche Handelsflotte gefährdende Ausflaggungen vorgenommen werden. ({1}) Ich finde, das ist unverschämt gegenüber den Betroffenen. Im vorigen Jahr standen laut Regierungsentwurf Mittel in Höhe von 40 Millionen DM zur Verfügung. Dann haben wir im Haushaltsausschuß einvernehmlich, einstimmig den Ansatz auf 100 Millionen DM erhöht, weil das eine echte Hilfe bedeutete; denn das Ist-Ergebnis des Jahres 1994 lag bei 108 Millionen DM. Dieses Mal sieht der Regierungsentwurf wiederum einen Ansatz von 40 Millionen DM vor, wobei ich frage, warum das so sein muß. Warum setzen Sie den Ansatz nicht gleich auf Null, wie Sie es jetzt ja vorhaben? Sie haben als Regierung gesagt, 40 Millionen DM reichten aus, dann haben die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P. im Verkehrsausschuß gemeint, es müßten 80 Millionen DM sein. Sie selbst, Herr Kollege Wissmann, haben ein Gutachten über diese Frage von der C &L Deutsche Revision eingeholt. Dort steht im letzten Satz des Gutachtens vom 10. Oktober 1996 - es ist also ganz neu -, ein Fördervolumen von lediglich 80 Millionen DM werde zu einer gegenüber dem laufenden Jahr vermehrten Ausflaggung von Schiffen führen. Jeder Betrag darunter werde diese Tendenz überproportional verstärken. ({2}) In Ihrem Sprechzettel zur globalen Minderausgabe - wobei ich Sie hier loben muß, denn Sie sind, soweit ich das gesehen habe, der einzige Minister gewesen, der vorher schon einmal gesagt hat, wie er die globale Minderausgabe zu erwirtschaften beabsichtigt Hans Georg Wagner steht: Angesichts der Einsparzwänge dürfte auch die Seeschiffahrtshilfe kaum zu halten sein. ({3}) - Bitte, Frau Kollegin, was haben Sie gemeint? ({4}) - Sehr bedeutend, was Sie gesagt haben. Gut, daß ich diese Erkenntnis mitnehmen darf. Das werde ich meinem Enkelkind weitererzählen. Angesichts der Einsparzwänge dürfte die Seeschiffahrtshilfe kaum zu halten sein - so sagt das Herr Wissmann laut seinem Sprechzettel. Die 40 Millionen DM, die dafür im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes noch vorgesehen waren, werden zur Disposition gestellt. Ich gehe davon aus, daß am Ende des ganzen Verfahrens an dieser Stelle eine Null steht und damit die Ausflaggung der deutschen Handelsflotte bewerkstelligt ist. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Fehlentwicklung! ({5}) Der zweite Punkt, meine Damen und Herren, ist noch unverständlicher, weil hierzu bereits entsprechende Anträge vorliegen und das Ministerium auch damit einverstanden war. Die Koalition hatte im Verkehrsausschuß beantragt, daß man für die Förderung von Umschlaganlagen des kombinierten Verkehrs Erweiterungsmöglichkeiten in den Erläuterungen zum Einzelplan einstellen solle - es ging noch nicht einmal um Geld, es ging um keinen Pfennig mehr, sondern nur eine Erweiterung der Erläuterungen -, die es anderen als der Deutschen Bahn ermöglichen sollen, solche Kombiverkehrsterminals einzurichten und zu bauen. Es gibt ganz konkrete Anträge, wie uns die Kollegen Dr. Weng, von Schmude und Austermann berichtet haben; in Nürnberg liegt der Antrag bereits vor. Die Häfen in Dortmund, Herne und HamburgOsthafen sind geplant. Das könnte alles sofort mit dem vorhandenen Geld gemacht werden, das von der Bahn nicht abgerufen wird. 140 Millionen DM von 160 Millionen DM werden in diesem Jahr nicht ausgegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bin der Meinung, daß man wenigstens den Mut haben sollte, hier eine Erweiterung der Erläuterungen vorzunehmen, um dann die Bauvorhaben noch in Gang zu bringen. ({6}) Es geht doch darum, wirklich Verkehr von der Straße auf die Schiene und auf die Wasserstraßen zu bekommen. Das ist doch die richtige, ökologisch ausgerichtete Verkehrspolitik, die Sie nicht mittragen wollen. ({7}) Man liest, daß im Bereich der Elbe und im Bereich der Donau Regelungen, was ja erfreulich ist, diskutiert und gefunden worden sind, die die Betroffenen zufriedenstellen. Ich frage Sie, Herr Minister: Warum muß man fahre- und jahrzehntelang die betroffene Bevölkerung so ärgern, so hinhalten, um dann nach zehn, fünfzehn Jahren zu sagen: „Wir können doch etwas Besseres machen, was der Bevölkerung mehr entgegenkommt und auch den ökologischen Gesichtspunkten mehr entspricht." ? Es ist doch falsch, die Bevölkerung zunächst einmal bewußt zu verunsichern und dann später einzulenken, weil der Druck der Bevölkerung zu groß geworden ist. Führen Sie doch gleich den Dialog mit der Bevölkerung, dann passiert so etwas überhaupt nicht. ({8}) Meine Damen und Herren, wir haben dem Haushaltsentwurf entnommen, daß Sie bei der Lufthansa auf den Gag verfallen sind, die Kreditanstalt für Wiederaufbau als Platzhalter für einen irgendwann noch einmal auftauchenden Investor zu nehmen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau soll Ihnen das Geld geben - nicht Ihnen, Herr Wissmann; das wäre noch schöner -, soll es direkt an den Finanzminister überweisen, damit er seine Schulden etwas kaschieren kann. Das gehört eigentlich zurück in Ihren Haushalt, und dort zu den Investitionen. Ähnliches gilt für die Kürzungen beim Bundeseisenbahnvermögen, die Sie durch den Verkauf von Eisenbahnerwohnungen selbst kompensieren müssen. Das Geld fehlt ja bei den Investitionen für die Schiene. Das ist eine völlige Verkehrung dessen, was seinerzeit in das Eisenbahnneuordnungsgesetz geschrieben wurde, ({9}) wonach an sich der Bund zuständig ist. Sie haben in diesen Tagen die Errichtung der transeuropäischen Netze noch einmal begrüßt. In der Tat handelt es sich dabei um eine Sache, die wir alle begrüßen. Um so unverständlicher finden wir es, daß die Bundesregierung federführend in Brüssel dafür gesorgt hat, daß die 1 Milliarde - sie war im Agrarhaushalt für die Überschußproduktion der Agrarwirtschaft vorgesehen und ist zurückgeflossen -, die die Kommission unter anderem für die Finanzierung der transeuropäischen Netze zur Verfügung stellen wollte - das wäre der größte Anteil gewesen -, an den Bundeshaushalt zurückgeführt wurde. Ich finde, wenn man die Chance hat, solche transeuropäischen Netze mit den Franzosen zu schaffen - es handelt sich um die Anbindung des TGV an unser Netz, so daß er bis nach Mannheim kommen kann - oder andere Dinge vorzeitig zu bauen, dann sollte man sie auch nutzen. Sie haben sich offenbar gegen Herrn Waigel nicht durchsetzen können. ({10}) Ins Gerede gekommen ist auch die Finanzierung der ICE-Linie von Nürnberg nach München über Ingolstadt. Die jetzige Trassenführung wird von allen akzeptiert. Es gibt drei Rechnungshofberichte. Deshalb erwarte ich von Ihnen, Herr Wissmann, daß Sie das realisieren, was Sie selbst zugesagt haben, nämlich eine schnellstmögliche Überführung der Finanzierung dieser Trasse in den Bundeshaushalt. Das Geld sollte nicht aus der privaten Schatulle eines Finanziers, sondern aus dem Bundeshaushalt kommen. ({11}) Einen Kritikpunkt kann ich Ihnen nicht ersparen - ich erwähne das nicht sehr gern -: Ich meine Ihre Personalpolitik, Herr Minister. ({12}) Es ist mittlerweile unerträglich, wie das in Ihrem Ministerium abläuft. Die Zahl der von Herrn Krause hinterlassenen Mitarbeiter in Ihrem Leitungsbereich ist jetzt auf rund 50 angestiegen, 17 davon im höheren Dienst. Die Zeiten zwischen den Beförderungen sind rasant kurz. Jedes halbe Jahr wurde jemand befördert, bis er dorthin kam, wo er hinkommen sollte. Es handelt sich dabei um Personen um die 30 Jahre. Alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die schon jahrzehntelang ihre Arbeit tun, haben keine Chance, in eine Führungsposition im Ministerium hineinzuwachsen. Der jüngste Fall ist besonders tragisch: Einem europaweit anerkannten Juristen Ihres Hauses war eine Stelle versprochen worden. Wiederum ist die Beförderung an ihm vorbeigegangen. Sie betreiben eine falsche Personalpolitik, die wir nicht akzeptieren können. ({13}) Damit das ein für allemal klar ist: Wir werden das auch öffentlich machen. Es darf nicht Sinn und Zweck sein, Sozialdemokraten auszuschalten. Vielmehr muß man ihnen, wenn sie entsprechende Fähigkeiten haben, eine Chance geben und darf sie aus den Personalüberlegungen Ihres Ministeriums nicht ausschließen. Das finde ich unverantwortlich, auch gegenüber Ihren eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. ({14}) Es wird Sie nicht erstaunen, meine Damen und Herren, wenn ich sage, daß wir den Einzelplan 12 ablehnen, weil wir die Reduzierungen bei den Investitionen nicht gutheißen können. Ihre Notwendigkeit vermögen wir nicht einzusehen. Wir berücksichtigen auch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und befürchten, daß dadurch Arbeitsplätze vernichtet werden. Sie haben hier einmal gesagt: 1 Milliarde DM meines Haushaltes sind 12 500 Arbeitsplätze. In dem einen Jahr von 1996 bis 1997 haben Sie diese Zahl sechsmal verspielt. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihrer engagierten Rede, ({0}) nicht jedoch zu dem, was Sie gesagt haben. Wegen des hohen Anteils an investiven Ausgaben ist der Einzelplan 12 von besonderer Bedeutung. Hinter dem Zahlenwerk verbirgt sich die Leistung des Bundes für die Sicherung und Verbesserung der Infrastruktur unseres Landes. Die Erreichung des politischen Zieles, in allen Landesteilen gute und möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, hängt ganz wesentlich von den Leistungen aus dem Einzelplan des Bundesverkehrsministers ab. Alle Erfahrung lehrt: Wichtigste Voraussetzung für eine gute regionalwirtschaftliche Entwicklung ist die Bereitstellung einer guten Infrastruktur, insbesondere einer guten Verkehrsinfrastruktur. Eine gute Infrastruktur ist wesentlich wichtiger und entscheidender als hohe Zuschüsse, gute Fördersätze und günstige Abschreibungsbedingungen. Der enorme Strukturwandel, in dem sich unsere Volkswirtschaft befindet und dem wir uns auch weiter unterziehen müssen, erfordert sowohl von den Menschen als auch von der Wirtschaft ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität. ({1}) Insofern ist der Verkehrsetat auch von ausschlaggebender Bedeutung für die Standortsicherung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit auch für die Frage des Erhalts und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Ich weiß sehr wohl - ich spreche das sehr offen an -, daß es noch mehr gute begründete und sinnvolle Verkehrsprojekte gäbe, die jedoch mit dem nun zu beschließenden Haushalt nicht alle finanziert werden können. ({2}) Insbesondere bei den Straßenbauprojekten in den alten Bundesländern wird eine gewisse Enge nicht zu vermeiden sein. ({3}) Deshalb werden wir uns auch der Diskussion über eine Verbesserung der Einnahmen zugunsten von Investitionen nicht entziehen können. Jedenfalls werden uns die Länder, insbesondere Bayern - möglicherweise aber auch andere -, dieses Thema erneut vorlegen. Im übrigen wurde in den Koalitionsvereinbarungen die Frage der Verkehrsfinanzierung stets offengehalten. Auch daran möchte ich erinnern. ({4}) Ich möchte auch ein offenes Wort zu den sogenannten Konzessionsmodellen - Herr Kollege Wagner, Sie haben ja gerade wieder die ICE-Strecke angesprochen - sagen. Bundesregierung und Koalitionsparteien haben sich aus guten Gründen ({5}) und unter Abwägung aller Gesichtspunkte für eine begrenzte Zahl solcher Maßnahmen ausgesprochen. Das gilt ebenso für die ICE-Strecke München-NürnBartholomäus Kalb berg wie für die Straßenbauprojekte. Jeder weiß - das ist kein Geheimnis -, daß es schöner wäre, wenn wir alle Maßnahmen aus dem Haushalt finanzieren könnten. Dann muß man aber wissen, daß diese und viele andere Maßnahmen über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht realisiert werden könnten. ({6}) Es ergibt ein verzerrtes Bild, Frau Kollegin, wenn man einerseits nur die reinen Baukosten in Ansatz bringt, andererseits bei den Konzessionsmodellen auch die Finanzierungskosten hinzurechnet. Man kann natürlich nur Vergleichbares vergleichen. Das müssen auch die Rechnungshöfe immer wieder berücksichtigen. Da meine ich nicht nur den des Bundes. ({7}) Ich darf darauf hinweisen, daß wir zwischenzeitlich auch den Nachweis dafür haben, daß wegen der schnellen Realisierung erhebliche Baukostensenkungen erzielt werden können. Das will ich nicht verschweigen. Ich möchte keinen Zweifel daran aufkommen lassen: Wir haben diese Maßnahmen als Haushaltsgesetzgeber beschlossen, und wir wollen, daß diese Maßnahmen auch durchgeführt werden, einschließlich der angesprochenen ICE-Strecke. Die Grünen scheinen nach wie vor eine sehr ideologische Sicht des Straßenverkehrs zu haben. Anders sind die Anträge auf Kürzung der Mittel für den Straßenbauplan um knapp 3 Milliarden DM nicht zu verstehen. Man muß sich einmal die Begründungen dafür genauer ansehen. Der Kürzungsantrag auf Haushaltsausschuß-Drucksache 13/2208 wird wie folgt begründet: Die VDE-Straßenprojekte - also die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden in der vorliegenden Form abgelehnt. Statt den Großteil der Mittel in den überdimensionierten und ökologisch unverantwortlichen Neu- und Ausbau von Autobahnen zu investieren, sollte das Schienennetz modernisiert und ausgebaut werden. Das schreiben die Grünen. ({8}) - Ja, ich komme schon noch darauf. Die Begründung für den Antrag auf der AusschußDrucksache 13/2209 lautet wie folgt: Deutschland hat ein ausreichendes Fernstraßennetz, das, von einigen wenigen Engpässen bzw. dem teilweisen Ausbau der Autobahnen abgesehen, keinen weiteren Straßenbau braucht. ({9}) Sie fordern dann wieder eine drastische Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Schiene und führen weiter aus: Auch ökologisch ist ein weiterer Aus- oder gar Neubau von Autobahnen aus einer Vielzahl von Gründen unsinnig. In der Ausschuß-Drucksache 13/2210 sprechen Sie sich sogar gegen das Ortsumfahrungsprogramm des Bundesverkehrsministers aus. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer mit einer solchen Einstellung an die Fragen des Verkehrshaushaltes und der Finanzierung der Verkehrsprojekte herangeht, hat nicht begriffen, worum es tatsächlich geht. Es geht darum, Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern zur Verfügung zu stellen, damit sich dort ein selbsttragender Wirtschaftsaufschwung überhaupt einstellen kann. ({10}) Es geht darum, auch in den revierfernen, peripheren Gebieten in den alten Bundesländern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dort ebenfalls eine gute wirtschaftliche Entwicklung Einzug halten kann. ({11}) Es geht darum, mit dem Ortsumfahrungsprogramm endlich dafür Sorge zu tragen, daß die Menschen nach Jahrzehnten von Belastung und Gefährdung von den Gefahren des Straßenverkehrs entlastet werden, der in manchen Ortsdurchfahrten zum Teil in Dimensionen von 20 000 bis 30 000 und mehr Pkw- und Lkw-Bewegungen pro Tag hineingeht. ({12}) Wer diese Gefahr den Menschen weiter zumuten will, der soll das auch ganz offen sagen und die Leute nicht unter dem Mäntelchen des Umweltschutzes hinters Licht führen. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albert Schmidt?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stichwort: Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, Autobahnbau. ({0}) - Ich spreche jetzt von der A 71/73. Herr Kollege Kalb, können Sie mir erklären, welchen Sinn es macht, eine Transitautobahn, also einen Albert Schmidt ({1}) Superhighway, durch den Thüringer Wald zu bauen, während gleichzeitig auf dem Netz der nachgeordneten Straßen links und rechts dieser Autobahn - sprich: auf den Landstraßen, Staatsstraßen, Gemeindestraßen, Kreisstraßen usw. - ein Sanierungsbedarf in der Größenordnung von - dies sagt das Verkehrsministerium Thüringen - 3,5 Milliarden DM besteht, der nicht angepackt werden kann? Anders ausgedrückt: Welchen Sinn macht es für die wirtschaftliche Erschließung dieses Raumes, wenn ich zwar auf der Autobahn durchrauschen kann, aber links und rechts von ihr von Schlagloch zu Schlagloch weiterhoppeln muß?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Ich habe mir im vergangenen Sommer die Mühe gemacht, lieber Herr Kollege, mir eine ganze Reihe von Straßenbauprojekten und Verkehrsprojekten Deutsche Einheit selber anzusehen. Um so mehr bin ich jetzt davon überzeugt, daß diese notwendig sind. Zweitens. Wenn Sie jemals selber die Strecke von Franken über Suhl herauf nach Erfurt oder Gotha gefahren sind und dabei hängengeblieben, stundenlang nicht mehr vorangekommen sind, ({0}) dann werden Sie sehr wohl zugestehen müssen, daß gerade in diese Richtung eine leistungsfähige Verkehrsverbindung dringend notwendig ist. ({1}) Ich denke, man sollte hierbei die Erfahrung nicht ganz außen vor lassen. Wir werden die Verkehrsprobleme unseres Landes nicht lösen, wenn wir nur auf einen Verkehrsträger setzen - ganz abgesehen davon, daß Grüne und ihnen befreundete Bürgerinitiativen sofort zur Stelle sind, wenn irgendwo neue Schienenwege erstellt oder Verbesserungen an Wasserstraßen durchgeführt werden sollen. Auch hier kann ich wieder eine ganze Menge an eigener Erfahrung beitragen. Es gilt, die Leistungsfähigkeit aller Verkehrsträger zu verbessern. Sosehr eine stärkere Verlagerung insbesondere des Güterverkehrs auf die Schiene wünschenswert ist, durch staatliche Reglementierung wird das nicht hinzubekommen sein. In erster Linie wird es darauf ankommen, die Leistungsfähigkeit und die Attraktivität für Nutzer und Kunden entsprechend zu steigern. Das ist zwar auch eine Frage der Bereitstellung öffentlicher Mittel, aber nicht nur. Ganz wesentlich wird es darauf ankommen, wie es mit neuen Konzepten gelingt, das Leistungsangebot so zu verbessern, daß die Kunden auch gerne darauf zurückgreifen. ({2}) Wir begrüßen deshalb ganz ausdrücklich die von der DB AG eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung und Attraktivitätssteigerung sowohl des Personen- als auch des Güterverkehrs. Zunehmende Bedeutung genießt bei uns auch die Verbesserung der Sicherheit des Luftverkehrs. In dem Zusammenhang begrüßen wir ganz ausdrücklich die von Bundesverkehrsminister Wissmann getroffenen Maßnahmen der Kompetenzzusammenfassung beim Luftfahrtbundesamt. Die jüngsten Erfahrungen zeigen, daß sich diese Maßnahmen bewährt haben, daß hier eine hervorragende Arbeit geleistet wird. ({3}) Wir legen größten Wert darauf, daß diese Arbeit im Interesse der Kunden und Passagiere erbracht wird, aber auch im Interesse aller von ihnen abhängenden Personenkreise. Herr Kollege Wagner, Sie haben im Zusammenhang mit der Privatisierung der Lufthansa einige kritische Töne angeschlagen. ({4}) Ich meine, es ist eine großartige Leistung, ({5}) daß es Bundesverkehrsminister Wissmann in Brüssel in Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzminister gelungen ist, die Hindernisse und Hemmnisse zu beseitigen, so daß der Weg der Privatisierung weitergegangen werden kann. ({6}) Das wird insgesamt die Attraktivität der Lufthansa eher noch erhöhen; davon bin zumindest ich überzeugt. ({7}) Sie haben, Kollege Wagner, auch das Thema Seeschiffahrtshilfen angesprochen. Sie wissen, daß wir uns in der Berichterstatterrunde immer sehr intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt haben und daß wir es auch nicht an Wohlwollen haben fehlen lassen. Aber ich muß sagen: Auch dieser Kreis gehört zu jenem großen Kreis deutscher Wirtschaftsführer, die uns immer wieder ermahnen und daran erinnern, daß wir Subventionen abbauen müssen. Nur, Subventionen abbauen und niemanden treffen, das wird auf die Dauer nicht gehen. ({8}) Ich habe auch noch im Ohr - es tut mir fast leid, es aussprechen zu müssen -, wie uns sehr plausibel dargelegt worden ist - ich schaue gerade einmal hinauf; vielleicht sitzt dort oben jemand, der sich dafür interessiert -, daß jede Zahl unter 80 eigentlich gleich Null wäre. Mit dieser Aussage wird man sich natürlich auch noch auseinandersetzen müssen. Zum Thema Donauausbau, Herr Kollege Wagner, will ich hier nichts mehr sagen. Ich hatte in diesem Hause zweimal Gelegenheit, zu dieser Thematik zu sprechen. Sie ist eingehend erörtert worden. Da ich örtlich Betroffener bin, kenne ich dieses Thema zur Genüge. Es sind ja zunächst einmal im ZusammenBartholomäus Kalb wirken von Bayerischer Staatsregierung und Bundesverkehrsminister Maßnahmen eingeleitet worden, die unverzüglich in Angriff genommen werden können, so daß man zumindest die gröbsten Hindernisse aus der Welt bzw. aus der Donau schaffen kann. Dann müssen die weiteren Entscheidungen getroffen werden. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt, über den wir reden, ist für mich der Haushalt der Tricks und der Versteckspiele. ({0}) Bei diesem Einzelplan ist es fast wichtiger, darüber zu reden, was nicht drinsteht, als darüber, was drinsteht. ({1}) Eines der teuersten Verkehrsprojekte der Bundesregierung, mit dem im kommenden Jahr begonnen wird, ist in der dicken Drucksache 13/5200, die 15 Zentimeter stark ist und 3 835 Seiten umfaßt, im Bundeshaushalt, mit keiner einzigen Zahl und keinem Wort erwähnt. Die Koalition ist in dieser Sache nicht ohne Grund so zurückhaltend. Das Projekt ist heftig umstritten. Die Umweltverbände beklagen die unnötige Zerstörung wertvoller Natur. Die Verkehrspolitiker nennen die Lösung nicht optimal, und der Rechnungshof bezeichnet die Finanzierung als unwirtschaftlich. Ich denke, dieses sind auch die Gründe dafür, daß die Ermächtigung für den privat vorfinanzierten Neu- und Ausbau der ICE-Strecke Nürnberg-IngolstadtMünchen diskret im Haushaltsgesetz für das Haushaltsjahr 1996 versteckt wurde. ({2}) Inzwischen hört man, daß sich die Kosten von 15 Milliarden DM auf 10 Milliarden DM reduziert haben sollen. Auch dazu kann man in dem aktuellen Haushaltsplan keine einzige Zahl finden. Sind 5 Milliarden DM Peanuts, so daß man nicht weiter darüber zu reden braucht, oder ist es eher so, daß man sich nicht weiter festlegen will? ({3}) Zu dem Ausbau der ICE-Strecke Nürnberg-Ingolstadt-München werden wir die ersten haushaltsrechtlich relevanten Zahlen nach der Fertigstellung des Projekts bekommen, also vermutlich im Jahre 2003. Alles das, was in der Zwischenzeit erzählt wird, ist nicht bindend. Herr Wissmann, das Wort „Haushaltsklarheit" ist in Ihrem Ministerium ein Fremdwort oder - ich würde eher sagen - ein Unwort, weil es nämlich nicht erwünscht ist. ({4}) Der Rechnungshof hat die private Vorfinanzierung der ICE-Strecke München-Ingolstadt-Nürnberg als unwirtschaftlich bezeichnet, weil sich der Bund stets günstiger verschulden kann, die Kosten so also steigen. Auch das Argument des Zeitkaufens läßt er nicht gelten. Nach Artikel 115 des Grundgesetzes ist es erlaubt, sich für Investitionen zu verschulden. Es ist also auch erlaubt, sich an dieser Stelle zu verschulden. Zeitkaufen ist auch über Verschuldung möglich. ({5}) Man muß natürlich nur die Zahlen ehrlich auf den Tisch legen. Der Rechnungshof schlägt vor, diese Strecke in den Haushalt einzustellen und über den Haushalt zu finanzieren. Wir fordern das Verkehrsministerium auf: Erstellen Sie ein neues Konzept mit einer vernünftigen Kosten-Nutzen-Rechnung, die auch dem Schaden an der Umwelt Rechnung trägt. Stellen Sie diese neue Konzeption in den Haushalt ein. Die Findigkeit des Verkehrsministeriums beim Auftun kurzfristiger Geldquellen in den von Maastricht bedrängten Zeiten hat weitere Blüten getrieben. Bei der Veräußerung der nicht bahnnotwendigen Liegenschaften - immerhin ein Paket von 13 Milliarden DM - ist eigens eine Gesellschaft gegründet worden. Dieser Gesellschaft sind Grundstücke im Wert von 6 Milliarden DM übertragen worden, damit sie Kredite aufnehmen kann, um unter anderem Geld an das Bundeseisenbahnvermögen zu geben. Im kommenden Jahr darf das Bundeseisenbahnvermögen bis zu 2 Milliarden DM abrufen, ganz egal, ob Grundstücke schon verkauft worden sind oder nicht. Diese Sache hat aber einen gewaltigen Haken: Die Grundstücksübertragung läßt Grunderwerbsteuer fällig werden. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten. Die Kosten für die Kredite, die auf diese Weise das Bundeseisenbahnvermögen bekommen kann, verdoppeln sich nämlich. Das heißt, diese schnelle Mark ist extrem teuer. Die Art des Grundstücksverkaufs und die private Vorfinanzierung bei Schienen und Straßen werden dem Verkehrsministerium allein im Haushalt 1997 einen zusätzlichen finanziellen Spielraum von über 3 Milliarden DM gewähren. Die Privatisierung der Lufthansa wurde als weiterer Schattenhaushalt angesprochen. In der aktuellen Debatte nennt man das kreative Buchführung. ({6}) Eine Finanzpolitik, die sich auf die Fahnen schreibt, die Maastricht-Kriterien punktgenau einzuhalten, sie selbst aber nicht seriös einhält, wird das Vertrauen in den Euro nicht stärken. Wir fordern Sie auf: Verzichten Sie auf Prestigeobjekte wie die ICE- Strecke über Ingolstadt oder den Transrapid. Dann können Sie Ihren Haushalt auch solide finanzieren. ({7}) Undurchsichtig ist der Einzelplan 12 nicht nur bei der Verschuldung, sondern durchaus auch bei den Ausgaben. Die Mittel für den Straßenbau - darauf achte man einmal - sind trotz der massiven Einschnitte, die wir sonst hatten, weder im Regierungsansatz noch in den Haushaltsberatungen in irgendeiner Weise gekürzt worden. Wir haben bei unseren Anträgen sehr wohl gesagt, daß der Bundesstraßenausbau in den neuen Ländern sein muß. Da wollten wir keine Kürzungen vornehmen. Etliche Autobahnprojekte halten wir ebenso wie etliche Projekte, die in den alten Ländern durchgeführt werden, aber für nicht notwendig. ({8}) In der Bereinigungssitzung sind trotzdem sanft 100 Millionen DM für den Straßenbau draufgelegt worden; zwar nicht plump durch Erhöhung des Investitionstitels, sondern durch einen kleinen Deckungsvermerk zu den Straßenbenutzungsgebühren für Lkw. ({9}) Die globale Minderausgabe soll angeblich nicht in Investitionstitel eingreifen. Der Löwenanteil ist für die Zuschüsse für das Bundeseisenbahnvermögen vorgesehen. Das klingt zunächst einmal nicht so schlimm, wenn es nicht wieder so einen häßlichen Deckungsvermerk geben würde, der zur Folge hat, daß die Schieneninvestitionen doch gekürzt werden, wenn beim Bundeseisenbahnvermögen die geplanten Privatisierungen nicht realisiert werden, deren Erlöse mit über 3 Milliarden DM veranschlagt sind. Dann gibt es doch die globale Minderausgabe bei den Schieneninvestitionen. ({10}) Herr Wissmann, Sie haben bei den letzten Haushaltsberatungen gewisse Märchen über Privatisierungserlöse für die Schieneninvestitionen vorgetragen. Im letzten Jahr - ich erinnere daran - sind über 2 Milliarden DM bei den Schieneninvestitionen gekürzt worden, und Sie haben uns mit strahlenden Augen vorgetragen, daß das über die Privatisierungserlöse gut ausgeglichen wird. Dann gab es die Haushaltsumsetzung, und es hat sogar ein paar Erlöse gegeben, aber keine für die Schieneninvestitionen. Die Erlöse sind damals in die globale Minderausgabe eingegangen. Heute werden Sie uns noch einmal erzählen, daß sich die DB AG verpflichtet hat, 1,8 Milliarden DM in die Schienenwege zu investieren. Erstens ist das in keiner Weise überprüfbar, weil Sie sich nach wie vor weigern, im Bundeshaushalt einen Schienenbauplan, wie es ihn bei den Straßen gibt, auszuweisen. Zweitens sollte die DB AG ihr Geld in die oft dringend nötige Modernisierung von Zügen und Bahnhöfen stecken. Sie sollte sich doch nicht schon wieder bis über beide Ohren verschulden. Dafür ist sie doch gerade erst entschuldet worden. ({11}) Herr Minister, Sie sorgen mit Erfolg für die Straßen. Den Schienenbau lassen Sie bewußt im ungewissen. Der Einzelplan 12 ist ein Plan für mehr Autoverkehr und unsinnige Großprojekte. Wir lehnen diesen Plan ab. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zweimal im Jahr finden sich Verkehrspolitiker und alle sonst am Haushalt des Bundesministers für Verkehr interessierten Kollegen hier zusammen und beklagen mehr oder minder die zu geringe Mittelausstattung. ({0}) Während allerdings die Opposition dabei mit ritualisierenden und wenig fundierten Vorwürfen an die Adresse der Regierung arbeitet, merkwürdige Änderungsanträge vorlegt oder gar, wie der Kollege Schmidt von den Grünen, eine zweite Eisenbahnrevolution ausruft - woher sie auch immer kommen soll -, begründen wir als Vertreter der Regierungskoalition unsere Zustimmung zum Einzelplan 12 damit, daß es vor dem Hintergrund der allgemeinen Haushaltslage noch schlimmer hätte kommen können. Diese Tradition ({1}) wird allerdings den Problemen, die sich aus der relativ rückläufigen Entwicklung des Verkehrshaushaltes ergeben, zwangsläufig nicht gerecht. Denn Tatsache ist, daß die Investitionsquote des vorliegenden Einzelplans gegenüber 1994 um mehr als 30 Prozent gesunken ist. Tatsache ist weiterhin, daß die Investitionen, gemessen am Gesamthaushalt, in den kommenden Jahren wohl kaum nennenswert steigen werden. Zwar konnten die Investitionsmittel, in absoluten Zahlen betrachtet, einigermaßen stabil gehalten werden, was in Zeiten leerer Kassen und globaler Minderausgaben wenigstens bemerkenswert ist. Der notwendige Infrastrukturerhalt und -ausbau wird allerdings bei dieser Entwicklung spätestens im kommenden Jahrzehnt allein aus den Staatskassen in dieser Form nicht mehr zu bezahlen sein. Denn unsere Infrastruktur - daran besteht aus meiner Sicht kein Zweifel - ist nicht nur quantitativ und qualitativ auf dem gegenwärtigen Niveau zu konservieren. Sie muß vielmehr dort, wo es notwendig ist, weiter ausgebaut werden. Das beinhaltet sowohl den Flugverkehr, den Neu- und Ausbau von Schienen- und Binnenschiffahrtswegen als auch den Straßenbau, auch wenn man dies auf der linken Seite des Hauses nicht gerne hört; siehe die vorliegenden Änderungsanträge. Wer aber wie die Grünen oder Teile der SPD im bahnpolitischen Wolkenkuckucksheim sitzt ({2}) und mir nichts, dir nichts auf einmal zehntausend neue Bahnkilometer fordert, der kann von der Realität keine Ahnung haben. Die Bahn fährt 80 Prozent ihres Verkehrs auf 30 Prozent des vorhandenen Netzes. Die restlichen 70 Prozent des Netzes sind sogenannte So-da-Schienen; sie liegen meistens so da. ({3}) Es ist also kein Problem der Menge der Schiene, sondern es ist ein Problem - dafür ist die Bahn zuständig - des Nutzens der vorhandenen Infrastruktur. ({4}) Wer wie die Grünen jede einzelne Neubaumaßnahme einer Schienenstrecke vehement bekämpft, der muß dann schon einmal deutlich erklären, wo denn die zehntausend neuen Eisenbahnkilometer sein sollen, ({5}) ob da keine Trennwirkung entsteht, ob da kein Umweltverbrauch entsteht und warum sie dann gegen die vorhergehenden Neubaumaßnahmen vehement angetreten sind. Ich verstehe das nicht mehr. ({6}) Es stellt sich die Frage, wie der steigende Erhaltungsaufwand für Straßen- und Schienennetz, die anstehenden Erweiterungen und andere dringende Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden sollen. Eine Zauberformel dafür besitzt auch die F.D.P. nicht; wenn wir sie hätten, könnten wir mit Sicherheit sehr viel Geld verdienen. Auch Spielraum für Kürzungen im investiven Bereich gibt es nicht mehr; denn selbst im nichtinvestiven Sektor sind die Sparpotentiale mittlerweile relativ ausgeschöpft. Aber - da muß man sich schon sehr deutlich besinnen - warum wird denn der mit nicht geringem Erfolg beschrittene Weg der Privatisierung nicht konsequenter verfolgt? Die bisherigen Ergebnisse sind doch ausgesprochen positiv: Die Bahnreform haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Die Privatisierung der Tank & Rast AG steht, auch wenn sie noch nicht an der Börse ist, bevor. Die deutsche Flugsicherung ist eine absolute Erfolgsstory. Wir haben demnächst eine Verordnung zu beraten, die zum Ziel hat, die Fluggebühren sogar zu senken - nach der Privatisierung; das hat es vorher noch nie gegeben. Auch die Lufthansa ist auf dem Weg, endlich eine voll private Gesellschaft zu werden. Die entsprechenden Maßnahmen müssen selbstverständlich zum Abschluß gebracht werden. Allerdings ist die Privatisierung nicht nur der Verkauf von Bundesanteilen oder der Einkauf von Zeit durch private Konzessionsmodelle. Auch da gibt es noch Potential. Der Beteiligungsbericht weist noch immer 6 Milliarden DM Beteiligung des Bundesministers für Verkehr aus. Aber die echte Privatisierung im Verkehrsbereich bedeutet für uns langfristig die Einbindung echten privaten Kapitals, echten privaten Know-hows und Flexibilität in allen Bereichen. Das geht von der Privatisierung von Bundesanstalten über den privaten Bau und Betrieb von Flughäfen sowie von Schienenwegen und Wasserstraßen bis hin zum Straßenbau. Alleine die Tatsache, daß dies noch Zukunftsmusik ist, Probleme hervorruft und etliche Fragen offen sind, sollte einer Diskussion ohne Tabus nicht entgegenstehen. Warum sollen Gebühren, die bei der Nutzung von Kanälen seit langem erhoben werden, nicht auch bei der Nutzung von Schienenwegen möglich sein? Wir haben es ja bereits beschlossen. Warum soll die Effizienz der deutschen Flughäfen durch private Betreiber, etwa in Form eines schlüssig koordinierten Flughafenkonzeptes, in Deutschland nicht noch weiter erhöht werden? Warum sollen der Bau und Betrieb von Straßen für alle Ewigkeit Privaten verschlossen bleiben? Warum soll sich der Staat nicht auf eine reine Kontrollfunktion zurückziehen? ({7}) Als Verkehrsdienstleister ist der Staat auf dem Rückzug. Seine Funktion als Geldgeber schrumpft von Jahr zu Jahr. Hier sind neue und aus unserer Sicht unkonventionelle Überlegungen gefragt, wenn die Infrastruktur auch in Zukunft eine der wichtigen Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern in Europa werden und bleiben soll. ({8}) Auch wenn dies an dieser Stelle mit Sicherheit nur grob skizziert werden kann: Wir werden uns, ob wir wollen oder nicht, aus der normativen Kraft des Faktischen heraus diesen Fragen stellen müssen. Je eher, desto besser; denn desto eher haben wir Zeit zu überlegen. Wir als F.D.P. werden diesen Weg zu einer echten Privatisierung offensiv vertreten. Der vorliegende Haushalt ist zum jetzigen Zeitpunkt das Optimum dessen, was möglich war. Deswegen werden wir als Fraktion dem Einzelplan zustimmen ({9}) und die vorliegenden Änderungsanträge von SPD und Grünen zu diesem Thema mit der gleichen Konsequenz ablehnen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat das Wort der Kollege Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Immer wieder hören wir in der Debatte, es gelte der Vorrang Schiene. Besehen wir uns, wie der Kanzler sagt, „was hinten rauskommt", und blicken in die Statistik des frisch aus der Druckpresse kommenden offiziellen Werks „Verkehr in Zahlen 1996". Dort wird festgehalten: Am Ende der sozialliberalen Koalition 1981 hatte der motorisierte Individualverkehr bereits einen Anteil von 77,7 Prozent am gesamten Verkehr erreicht. Die Eisenbahn lag damals bei 7,2 Prozent. Bis 1990 stieg der Anteil des Pkw-Verkehrs auf 82,1 Prozent; derjenige der Schiene sank auf 6,1 Prozent. Eine ähnliche Entwicklung gilt für den Güterverkehr. Diese Trendentwicklung wurde nach der Vereinigung im Personenverkehr nicht gebrochen. Beim Pkw-Verkehr steigt der Anteil beim Aufkommen weiter an. Bei der Leistung gab es einen ganz leichten Rückgang; in absoluten Zahlen stieg auch die Pkw-Verkehrsleistung weiter jedes Jahr an. Im Güterverkehr hat sich die negative Trendentwicklung sogar verstärkt. Bei letzterem hatte die Schiene 1991 noch einen gesamtdeutschen Anteil von 22,6 Prozent. Im Jahr 1995 waren es noch 16,6 Prozent. Es gibt also keine Wende zur Schiene oder zum öffentlichen Verkehr. Dem entspricht der Verkehrsetat 1997; Herr Wagner und Frau Heyne haben das dargelegt. Die seit der ersten Lesung verordneten neuen Sparmaßnahmen schlagen sich im Einzelplan Verkehr in einer globalen Minderausgabe von knapp 451 Millionen DM nieder. Das Verkehrsministerium läßt dabei weitgehend offen, wo gekürzt wird - im Straßenbau offensichtlich nicht. Dort sind nun Mehreinnahmen aus der Schwerverkehrsabgabe von bis zu 100 Millionen DM verbucht, die auch gleich wieder als Mehrausgabe für die Straße ausgegeben werden sollen. Gleichzeitig kam es zwischen den beiden Lesungen zu einer drastischen Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen bei den Darlehen für Investitionen in Schienenwege des Bundes von bisher knapp 3 auf nunmehr 21 Milliarden DM. Dazu nur eine Anmerkung: Klar ist, daß damit die Verschuldung der Deutschen Bahn AG - es handelt sich um rückzahlbare Darlehen in Höhe dieser 21 Milliarden DM - spätestens im Jahr 2005 wieder das Niveau der Bundesbahn aus dem Jahr vor ihrer Entschuldung 1994 erreicht haben wird. Die Verschuldungsleistung eines halben Jahrhunderts wird nun in einem Jahrzehnt erbracht und neben Lufthansa und BEV ein neuer gewaltiger Schattenhaushalt geschaffen. Herr Verkehrsminister Wissmann, Sie haben vor zwei Wochen auf einer internen Veranstaltung in Schwäbisch-Hall darüber geklagt, daß der Widerstand gegen Verkehrsprojekte organisiert erfolge und wesentlich für die Standortgefährdung sei. Unser Eindruck ist, daß Sie auf organisierte Weise falsche Verkehrspolitik betreiben und den Standort Mensch und Natur immer mehr gefährden. ({0}) Ich führe den Beweis am Beispiel der ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt. Dazu hatte der Verkehrsausschuß am 25. September eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Keiner der Sachverständigen konnte einen Bedarf für dieses sündhaft teure Großprojekt erkennen. Professor Friedrich vom Umweltbundesamt führte dort aus: Die Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt, daß die Nullvariante geprüft wird; das ist gesetzlich vorgeschrieben. Dies ist nicht vorgenommen worden. Dokumentiert ist damit der sachverständig anerkannte Gesetzesverstoß. Professor Weiger führte dort aus, daß ... parallel zu der ICE-Strecke noch einmal eine Autobahn ... vorrangig gebaut werden soll. Dokumentiert ist damit die Parallelinvestition mit dem Vorrang Straße. Derselbe Sachverständige verwies auf das laufende Planfeststellungsverfahren für die Autobahn Schweinfurt-Erfurt, wo die Brückenbauwerke so vorgesehen sind, daß die frühere Eisenbahnhauptlinie von Stuttgart über Würzburg nach Erfurt eingleisig bleiben muß. Dokumentiert wird damit erneut der Vorrang Straße und eine Planung, die ausgerechnet dem eigenen Projekt der ICE-Strecke MünchenBerlin ein weiteres Mal das Wasser - den Verkehrszufluß - abgräbt. Für diese Anhörung wurden Sie, Herr Wissmann, öffentlich abgewatscht. Die „Süddeutsche Zeitung" schrieb: Experten einig: Kein Land in Sicht für ICE- Strecke Nürnberg-Erfurt. Dort heißt es auch: Abgesehen von dem Ausschußvorsitzenden Jobst blieb die CSU dem Expertengespräch fern. Und dann antworteten Sie auf die Kleine Anfrage der PDS zu diesem Thema, es habe sich bei dieser Anhörung lediglich um einen „Austausch bereits bekannter Argumente" gehandelt, ({1}) ein „Abweichen von der bisherigen Planung" werde damit „nicht nahegelegt" . Sie dokumentieren damit nicht nur falsche Verkehrspolitik. Sie bringen unverhohlen Ihre Verachtung für die parlamentarische Arbeit zum Ausdruck. Ihre Losung lautet: „Nix sehen, nix hören, fix betonieren." ({2}) Herr Wissmann, Sie wurden dieser Tage in der „Wirtschaftswoche" nach Ihrem Rat fürs Leben für jüngere Menschen gefragt. Sie antworteten: Engagiert euch! - Sie sollten wissen: Ein solches Engagement findet gegen Castor-Transporte, gegen „Stuttgart 21" und andere Bahnhofs-Spekulationsprojekte, ({3}) gegen die Ostsee- und die Thüringer-Wald-Autobahn und gegen den Transrapid statt. Dieses Engagement findet damit gegen Ihre Politik statt, und es erfolgt trotz des Zynismus und trotz der Verachtung der Demokratie, die Sie und die offizielle Bonner Politik verbreiten. Werte Kolleginnen und Kollegen, in Frankreich schwebt ein bundesdeutscher Fernfahrer zwischen Leben und Tod. Ich sage sicherlich im Namen des ganzen Hauses, daß wir ihm baldige Genesung wünschen. Ich füge hinzu: Wir begrüßen es, wenn es gegen die Arbeitshetze und gegen das Preisdumping 'im Lkw-Gewerbe auch auf deutschen Straßen zu den ansonsten prächtigen Aktionen kommen würde, wie wir sie soeben in Frankreich und Dänemark mit breitester Unterstützung der Bevölkerung erleben. Danke schön. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Konrad Kunick.

Konrad Kunick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt ist Schlüssel für die zukünftige Entwicklung der Güterströme, für individuelle Mobilität, für Umgang mit Natur und für das Erreichen von Beschäftigungszielen. Der absolute Rückgang dieses Haushaltes, vergleicht man 1997 mit 1996, und der relative Rückgang im Vergleich zu anderen Haushalten sind ein Alarmsignal. Während die Bundesrepublik im offenen Europa seit 1990 mit einer Verkehrslawine wie nie zuvor, mit Nachholbedarf im Osten und Verstärkungsnotwendigkeiten im Westen konfrontiert wird, während der Schadstoffausstoß der Verkehre wächst - obgleich der Bundeskanzler uns feierlich verpflichtete, den CO2-Ausstoß bis 2005 um 25 Prozent zu reduzieren -, stagniert die Verkehrspolitik hinter einem Vorhang schöner Reden und Interviews des Verkehrsministers. ({0}) Ich will das an vier Punkten deutlich machen: Erstens. Dieser Haushalt schädigt Beschäftigung. Er entzieht der deutschen Seeschiffahrt jegliche materielle Unterstützung. Für die Haushaltsberatungen gab der Verkehrsminister zwar die Leitlinie aus: keine weiteren Einsparungen bei den Verkehrsinvestitionen in Schiene und Straße - das schade der Beschäftigung -, dann aber schwang er den Hammer direkt gegen Beschäftigung. Originalton Verkehrsministerium: „Die Schiffahrtshilfen werden wohl nicht zu halten sein." Statt dessen wolle man die Bemannung flexibilisieren und strebe eine Seefahrtsteuerreform an. Das heißt im Klartext: Die Bundesregierung beendet nahezu jede Schiffahrtsförderung. Als Ersatz verspricht sie den Reedern neue Bestimmungen, die es ermöglichen, den deutschen Seeleuten auch unter schwarz-rot-goldener Flagge zu kündigen und ausländische Besatzungen anzuheuern. ({1}) Das bringt zehntausend weitere Arbeitslose in die Arbeitsämter der Küste. Wir werfen dem Bundesverkehrsminister vor, daß er beim Bundesfinanzminister in den vergangenen Jahren nicht durchgesetzt hat, endlich deutsche Reedereien und deutsche Seeleute steuerlich so günstig zu stellen, als arbeiteten sie unter niederländischer, dänischer oder liberianischer Flagge wie ihre Konkurrenten auf den Weltmeeren. Das wäre der richtige Ausgangspunkt für eine Veränderung der deutschen Schiffahrtsförderung. ({2}) Mit dem heute zu beratenden Verkehrshaushalt zieht das Verkehrsministerium seine schiffahrtspolitische Flagge schlicht ein, auf der geschrieben stand: Die deutsche Schiffahrtspolitik ruht auf drei Säulen: den Finanzbeiträgen, dem Zweitregister und der steuerlichen Förderung der Schiffahrt. So nachzulesen in zahlreichen Interviews des vergangenen Haushaltsjahres. Die Zeche zahlen der deutsche Seemann und die Ausbildungsstätten, die nautischen Hochschulen. Zu Grabe getragen wird in Deutschland bald der traditionsreiche Seemannsberuf. Das wird mit Ihrem Namen, Herr Minister Wissmann, verbunden sein. Wir Sozialdemokraten fordern, die beschäftigungssichernden Finanzbeiträge bis zu einer Schiffahrtssteuerreform zu erhalten. Wir beantragen deshalb, dafür - wie 1996 - 100 Millionen DM in den Haushalt wieder einzusetzen. ({3}) Zweitens: kein vernünftiger Modal-Split der Güter auf Straße, Schiene und Wasserweg. Folgt man den Sonntagsreden von Minister Wissmann, dann ist es sein hehres Ziel, den Güterverkehr auf die umweltschonenden Verkehrsträger Binnenschiff und Güterbahn umzulenken. Sieht man aber die Transportzahlen an, dann vollzieht sich in seiner Amtszeit der Siegeszug des Lkw gegen Schiene und Kanal. ({4}) Selbst der Einführung der Vignette haben Sie jeden Umsteuerungseffekt genommen. Das geben Sie selber in einem Interview in der „Verkehrsrundschau" Nr. 47 von 1996 zu. Da steht zu lesen: Die Kfz-Steuer für den Lkw wurde gesenkt von 10 500 Mark beim Schwerlaster auf 2 800 Mark für den Euro-2-Laster ... Wir haben die KfzSteuer wesentlich stärker gesenkt, als es dem Betrag zur Einführung der Lkw-Gebühren in Höhe von 2 500 Mark entsprach. Während auf den Autobahnen fast unendliche LkwKolonnen ihre Frachtgüter über Hunderte von Kilometern von Haus zu Haus transportieren, geht es mit der Güterbahn abwärts. Ohne Lkw geht nichts. Es fehlt die Vorfahrt für Vernunft. Der volkswirtschaftlich vernünftige Ablauf ist so: Der erste Lkw holt das Produkt aus der Fläche und lädt es auf die Bahn zum Langstreckentransport; der zweite Lkw übernimmt die Ware und transportiert sie zum Empfänger. - Dieser Transportablauf, der Millionen Tonnen Abgase vermeiden würde, wird durch die Preise der Bahn im Kombiverkehr und durch den Zeitaufwand gebremst, auch dadurch, daß die Bahn für jeden Kupplungsvorgang Kosten in Höhe von 40 DM errechnet. Es fehlt ein automatisches Kupplungssystem. Wirksame Politik für ein Straßenentlastungsprogramm? - Sonntagsreden über Telematik, sonst nichts! ({5}) Zum Glück gibt es auch ökologische Vorbildleistungen in der Verkehrswirtschaft. Wir gratulieren den von der Umweltstiftung WWF und der Zeitschrift „Capital" zu „Öko-Managern" ausgezeichneten Chefs der Speditionsgruppe Fiege-Logistik. Die Brüder Fiege - so die Begründung bei der Preisverleihung haben ihre Familienspedition in 25 Jahren zu einem Spezialisten für Öko-Logistik mit 9 000 Mitarbeitern umgebaut ... Gestern meldete dpa: Durch die Verlagerung von Transporten auf die Schiene hat Fiege allein in Ibbenbüren 700 000 Liter Diesel gespart und den Ausstoß von 1 843 Tonnen CO2 vermieden. ({6}) Ein Blick auf die Binnenschiffahrtspolitik zeigt schlichten Stillstand. Aus dem 100-Millionen-Programm sind bis Ende Oktober nur knapp 21 Millionen DM abgeflossen. Deshalb wiederholen wir in dieser Debatte unsere Forderung nach einem Kreditprogramm für selbständige Binnenschiffer. Die deutschen Partikuliere sind durch die Verschlechterung der Märkte infolge Kabotagefreiheit nicht in der Lage, die nötigen Mittel aufzubringen, um an dem 100-Millionen-Programm teilzunehmen. Wir wollen, daß Kombi-Terminals in Binnenhäfen gefördert werden, auch wenn die Bahn sie nicht baut. Man weiß ja, daß die Bahn die Güter nicht an das Binnenschiff heranbringen will. ({7}) Die Binnenschiffer fühlen sich von der Bundesregierung im Stich gelassen. So erklärt der Hauptgeschäftsführer des BDB, Herr von Haus: Die Rhetorik der Festreden in der Politik steht . . . in deutlichem Gegensatz zur Realität, mit der es die Binnenschiffahrtsunternehmen in der täglichen Praxis zu tun haben. Drittens. Die Deutsche Bahn wird mit Finanzierungstricks abgespeist. Ihr Verhältnis zur Bahn, Herr Minister, scheint dadurch gekennzeichnet, daß Sie den Bahnvorstand für die Risiken verantwortlich sehen, während Sie sich auf Kongressen mit den Erfolgen des ICE feiern lassen. Ihre größten Haushaltstricksereien finden diesmal im Titel Bundeseisenbahnvermögen statt. Sie sparen dort Zuschüsse in Höhe von 2 Milliarden DM und ordnen statt dessen die Finanzierung durch Verkauf von Eisenbahnimmobilien an, die für den Betrieb nicht gebraucht werden. Der Trick ist nicht neu. Er wurde schon 1996 angewandt. Um die Zielzahlen der 1997er Verkäufe aber zu erreichen - 2 Milliarden DM -, werden diesmal die Immobilien auf eine eigens dafür gegründete Gesellschaft übertragen. Diese nimmt zu ihrer Bezahlung Kredite auf. Die Zinszahlung aber soll das Eisenbahnvermögen tragen. Aus der Sicht der klassischen Finanzpolitik ist das ein Schattenhaushalt, den die Sonne von Maastricht nicht ausleuchten soll. ({8}) Was das allein an Notariatsgebühren kostet, ob die in den Untergrund verlagerte Kreditaufnahme nicht zu höheren Zinssätzen erfolgt, sind interessante Fragen für den Bundesrechnungshof. Wenn man solche aus Haushaltsnot geborenen, unsoliden Finanztricks sieht, dann stellt sich nach wie vor die Frage: Muß die Transrapidtechnologie durch eine derart lange staatsfinanzierte Anwendungsstrecke in Konkurrenz gehoben werden? ({9}) Solange Sie uns keine wesentlich kürzere sinnvolle Anwendung anbieten, beantragen wir Streichung aller Transrapidmittel. ({10}) Viertens. Nur mit dem Auto fährt Deutschland an Rio vorbei. Wo ist die Perspektive dieses Bundesverkehrsministers, die Rio-Vereinbarungen zu erfüllen, die CO2-Reduzierung um 25 Prozent bis zum Jahre 2005? Die Bürger brauchen gute Alternativen für die Fahrt zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen und für ihre Mobilität in der Freizeit. Nach dieser Skizze Ihres Versagens in der herrschenden Verkehrspolitik lassen Sie mich Ihnen, Herr Verkehrsminister, doch noch ein gewisses Kompliment machen. Sie besitzen die Fähigkeit, Ihre Verkehrspolitik als des Kaisers neue Kleider öffentlich zu präsentieren und das mit beträchtlichem Darstellungsvermögen. ({11}) Leider aber hält dieser Verkehrshaushalt nicht, was der Minister verspricht. Eine Verkehrspolitik der Ankündigungen und Festreden ist für den ökonomischen Blutkreislauf der Volkswirtschaft und den Verkehr zuwenig. Wir lehnen diesen Haushalt deshalb ab. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Ali Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kalb, ich möchte mich mit meiner Kurzintervention kurz auf Ihre Einlassung beziehen, genauer gesagt, auf eine Stelle Ihrer Rede, in der Sie sinngemäß ausgeführt haben - jetzt lassen Sie den Kollegen einmal zuhören, Herr Fischer; setzen Sie sich hin und geben Sie Ruhe -, der Bundesrechnungshof habe die Vergleichsrechnung zwischen dem Modell der privaten Vor- oder Zwischenfinanzierung eines Verkehrsprojektes, in dem Fall der umstrittenen ICE-Strecke Ingolstadt, und der normalen Haushaltsfinanzierung nicht anständig oder sachgerecht durchgeführt, auf jeden Fall in den Ergebnissen nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Dazu möchte ich folgendes sagen. Der Bundesrechnungshof ist nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das höchste Rechnungsprüfungsorgan dieser Republik, ausgestattet mit richterlicher Unabhängigkeit, bei sämtlichen Berichten bisher geprägt von Sachverstand. Er hat sich mit der vorliegenden Planung dreimal befaßt. Beim erstenmal hat er moniert, daß die falsche Streckenvariante gewählt worden ist. Er hat damals ausgeführt, die Wahlausbauvariante über Augsburg wäre die wirtschaftlichere, die Neubauvariante über Ingolstadt die unwirtschaftlichere. Er hat beim zweitenmal seine Kritik bekräftigt und verstärkt und gesagt: Hier stehen Kosten des Baus und Kosten der Finanzierung durch die private Umwegfinanzierung in einem krassen Mißverhältnis. Das war ein wörtliches Zitat. Er hat nun zum drittenmal am 29. Oktober dieses Jahres, also vor wenigen Wochen, im Bericht an den Haushaltsausschuß, dessen Mitglied auch Sie sind und in dem Sie zur sparsamen Buchführung verpflichtet sind, nochmals ausgeführt, daß er daran festhält, daß diese Planung unwirtschaftlich ist und dieses Projekt - ich zitiere wörtlich - als Pilotprojekt zur privaten Vorfinanzierung nicht geeignet ist wegen seiner schieren Größe und der langen Zeitdauer. Wenn Sie sich nun als Haushälter - gerade als konservativer Haushälter müssen Sie nicht nur vom Sparen reden, wenn es um den Sozialetat geht, sondern das Sparen auch ernst nehmen, wenn es um das Verschleudern von Steuergeldern geht ({0}) über dieses Votum des Bundesrechnungshofes sehenden Auges hinwegsetzen, dann kann ich nichts anderes sagen, als daß es Wahnsinn mit Methode ist. Herr Kollege Braun, ich spreche Sie ganz konkret an: Wenn Sie wirklich, was Sie heute wieder in einem Artikel in der „Zeit" schriftlich bestätigt haben, diese Planung für nicht akzeptabel halten, dann sorgen Sie dafür, daß in der Koalition diese verrückte Planung im letzten Moment verhindert wird. Noch ein letzter Satz, damit wir uns richtig verstehen: Es geht uns Grünen nicht darum, Projekte immer bloß zu verhindern; sooft Sie es wiederholen, Ihre Behauptung wird dadurch nicht wahr. Wir wollen einen attraktiven Hochgeschwindigkeitsverkehr auch zwischen München und Nürnberg. Aber warum muß ich die teuerste, unwirtschaftlichste und umweltunverträglichste Lösung suchen, wenn nebenan die Ausbauvariante über Augsburg schneller realisierbar, umweltverträglicher und kostengünstiger ist und einen vergleichbaren Effekt in der Fahrzeit aufweist? Um diesen Streit geht es und um nichts anderes. Sie haben bis heute den Beweis nicht erbracht, daß die vorliegenden Planungen auch nur den Anschein von politischer Rationalität besitzen. ({1})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, Sie brauchen mich als Mitglied des Haushaltsausschusses nicht über die Stellung des Bundesrechnungshofes zu informieren. Zum anderen bestätige ich gerne, daß der Bundesrechnungshof für uns ein sehr hilfreiches Organ ist, das uns sehr wertvolle Ratschläge gibt, das uns auch sehr stark unterstützt, wenn es darum geht, das Ausgabegebaren zu kontrollieren. Trotzdem bleibt wahr, daß sich die Kritik des Bundesrechnungshofes einerseits auf die StreckenfühBartholomäus Kalb rung und das Projekt als solches und andererseits auf die Art der Finanzierung bezogen hat. ({0}) Hier hat das Bundesverkehrsministerium auch vieles von dem aufgenommen, was der Bundesrechnungshof angeregt hat. Trotzdem bleibt es richtig, daß ich nicht ein Projekt ohne Finanzierungskosten auf der einen Seite mit einem Projekt auf der anderen Seite, in dem die Finanzierungskosten mit eingerechnet sind, vergleichen kann. Das muß ich seriöserweise so betrachten. Als ich dies angedeutet habe, hatte ich im übrigen nicht nur den Bundesrechnungshof im Blickwinkel gehabt; das möchte ich hier ganz gerne noch einmal sagen. ({1}) - Nein, nein, ich möchte damit nur deutlich machen, daß der Bundesrechnungshof uns gute Ratschläge geben kann, daß wir diese Ratschläge häufig auch annehmen, aber daß der Bundesrechnungshof nicht die Politik ersetzen kann. Politisch entscheiden müssen schon wir. ({2}) Ich habe es dargelegt: Wir haben aus guten Gründen die Entscheidungen getroffen, zu denen wir stehen. Ich will Ihnen jetzt noch ein Beispiel dafür nennen, daß Irren menschlich ist, was ich niemandem zum Vorwurf mache. In den frühen 80er Jahren hatte ein Koalitionsabgeordneter den Bundesrechnungshof gebeten, sich der Frage der Glasfaserverkabelung durch die damalige Post, jetzt Telekom, zuzuwenden. Es war dann zum Nachteil für die ländlichen Regionen, daß wir auf Grund der Vorgaben des Bundesrechnungshofes gehalten waren, ganze Gemeindeteile nicht zu verkabeln, obwohl wir sie heute gern verkabelt hätten, weil man dort nämlich die neuen Kommunikationstechnologien nicht in dem Maße nutzen kann, wie man es dort kann, wo eine entsprechende Bevölkerungsdichte gegeben ist. Das wollte ich nur als Beispiel anführen. Wir nutzen die Aussagen des Bundesrechnungshofes als wertvolle Hilfe; aber die politischen Entscheidungen müssen wir treffen - die kann uns niemand abnehmen -, und wir müssen sie auch verantworten. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Bundesminister Wissmann.

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushalts spricht im Einzelplan 12 eine klare Sprache: Wir kürzen entschieden im nichtinvestiven Teil des Haushalts und gehen dort in der mittlerweile dritten oder vierten Sparrunde an die äußersten Grenzen. Aber die positive Botschaft ist - dies können Sie nachprüfen -: Wir kürzen keine Mark bei den Straßen- und Schieneninvestitionen. Vielmehr führen wir sie auch im kommenden Jahr auf hohem Niveau weiter. ({0}) Wir wissen, warum wir dies tun: zum einen, weil sich jeder darüber im klaren sein muß, daß wir eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in den neuen wie in den alten Bundesländern nicht ohne eine weitere Modernisierung unserer Infrastruktur erreichen, zum anderen, weil wir in der gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und - das füge ich hinzu - Bauwirtschaftslage wissen, daß 1 Milliarde DM an Investitionen 12 500 Arbeitsplätze unmittelbar und weitere Tausende von Arbeitsplätzen indirekt sichert. Deswegen werden auch im kommenden Jahr rund 20 Milliarden DM des Haushalts des Bundesverkehrsministeriums investiert: 8,1 Milliarden DM für den Straßenbau, 9 Milliarden DM - die Mittel des Bundes und der Bahn zusammengefaßt - für die Schienenwege und weitere Investitionen für Wasserstraßen und den öffentlichen Nahverkehr. ({1}) - Wenn Sie ermessen wollen, was das für die Schieneninvestitionen bedeutet, bitte ich Sie, auf den Beginn der 90er Jahre, die Zeit vor der Bahnreform, zurückzublicken. Damals haben wir im Jahr 5,8 Milliarden DM für die Schienenwege investiert. Jetzt sind es zusammengenommen 9 Milliarden DM. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, viele von Ihnen waren doch am letzten Freitag dabei, als der Kongreß der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands stattfand und der Bundesverkehrsminister dort die Jubiläumsrede gehalten hat. Wahrscheinlich waren Sie selbst von dem starken zustimmenden Beifall zur Bahnpolitik der Bundesregierung etwas enttäuscht. ({2}) Ich kann nur sagen: Der Ansatz, den wir hier verfolgen und weiterhin verfolgen werden, ist richtig. ({3}) Meine Damen und Herren, am Ende eines Jahrhunderts, das für die Eisenbahnen einen erschrekkenden Rückgang der Marktanteile gebracht hat, haben wir ein klares strategisches Ziel, nämlich eine durchgreifende Renaissance unserer Bahnen, die wir mit der Bahnreform, der Gründung der AG am 1. Januar 1994 und der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs am 1. Januar 1996, eingeleitet haben. Verschiedentlich ist gesagt worden, der Haushalt beinhalte gar nicht alle Zahlen. Richtig, die 12 Milliarden DM - direkt aus dem Mineralölsteueraufkommen -, die wir ab 1. Januar 1997 für den Schienenpersonennahverkehr und den öffentlichen Nahverkehr an die Länder überweisen, kommen in diesem Haushalt gar nicht vor. Sie ermöglichen das größte und umfassendste Nahverkehrserneuerungsprogramm der gesamten Nachkriegsgeschichte. ({4}) Lassen wir also die Kirche im Dorf, und wenden wir uns den Fakten zu. Meine Bitte ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Passen Sie auf, daß die Regionalisierungsmittel in den Bundesländern auch tatsächlich für die Zwecke verwendet werden, für die wir sie vorgesehen haben! ({5}) Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir um Licht und Schatten. Ein Schatten ist, daß der Güterverkehr der Bahn noch immer in einem schwierigen Wettbewerb steht und noch nicht von jener Erneuerungsstrategie voll erfaßt ist, von der hier gesprochen worden ist. Ein Licht ist, daß der Umsatz der DB AG von Januar bis August um 3,3 Prozent zugenommen hat, daß der Personenfernverkehr mit einem Zuwachs in Höhe von 4,7 Prozent charakterisiert werden kann und der Nahverkehr mit einem Zuwachs in Höhe von 4,6 Prozent. Ich nenne auch die Ergebnisse eines unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitutes. Das Ifo-Institut hat vor wenigen Tagen folgende Zahlen über die Entwicklung des Verkehrsaufkommens in 1996 vorgelegt: Zuwachs des motorisierten Individualverkehrs lediglich 0,5%, 1995 waren es je nach Meßfaktor zwischen 0,9 und 1,8 Prozent; Zuwachs des Eisenbahnverkehrs um 3,5 Prozent, der damit nach dem Luftverkehr die zweithöchste Wachstumsrate aufweist. Meine Damen und Herren, wir haben das erste Mal nach der Bahnreform 1995 und nach Schätzungen von Ifo auch 1996 den Beginn einer Trendwende zu verzeichnen: höhere Zuwächse im Schienenfern- und -nahverkehr als im motorisierten Individualverkehr. Das ist noch nicht das Ziel. Aber das heißt, unser Erneuerungsprozeß beginnt zu greifen. Das sollten eigentlich auch Sie begrüßen. ({6}) Das ist ein vernünftiges ökologisches und verkehrspolitisches Ziel. Daß wir dabei den kombinierten Verkehr stärken, daß wir derzeit in einer Finanzierungsvereinbarung die ersten großen Güterterminals mit 400 Millionen DM fördern - eine zweite Vereinbarung folgt -, daß wir die Schnittstellen im Güterverkehr verbessern, um auch den Güterverkehr von diesem Aufschwung bei der Bahn profitieren zu lassen, füge ich ausdrücklich hinzu.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Ja, bitte.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister Wissmann, Sie zitieren aktuelle Zahlen von Ifo aus dem Jahr 1996. Wie ist Ihre Stellungnahme zu Ihrer eigenen Veröffentlichung „Verkehr in Zahlen", wonach sich der Anteil des individuellen motorisierten Personenverkehrs am Verkehrsaufkommen in den Jahren 1991 bis 1995 von 82,4 Prozent auf 83,0 Prozent entwickelt hat, wonach sich der Anteil bei der Verkehrsleistung praktisch stabilisiert hat und von 81,6 Prozent auf 81,4 Prozent gesunken ist, wonach der Pkw-Verkehr aber weiterhin massiv von 710 Milliarden Pkm auf 740 Milliarden Pkm im Zeitraum 1991 bis 1995 angewachsen ist? Stimmen Sie nicht zu, daß ein Wachstum aller Verkehrsarten schädlich ist und uns daran liegt, Verkehr zuerst zu vermeiden und dann zu verlagern?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Herr Kollege, ich weiß nicht, ob es Ihnen ganz gelungen ist, den Zusammenhang nachzuvollziehen, den ich hier dargestellt habe. Wir haben bedauerlicherweise in der Tat jahrzehntelang einen Rückgang der Marktanteile der Bahn zu verzeichnen gehabt. Wir haben unter anderem deswegen nach 20 Jahren Diskussion und mit einer großen Mehrheit in diesem Hause die Bahnreform durchgesetzt und die entsprechenden Grundgesetzänderungen eingeleitet - mit einer Entschuldung der Bahn in einer Größenordnung von 66 Milliarden DM und den gesamten strukturellen Veränderungen, die Sie kennen. Ich habe Ifo zitiert, weil das die neuesten Zahlen, keine alten Statistiken sind. Die eben dargestellten Zahlen geben uns die Hoffnung, daß es eine Trendwende gibt. Das genau ist unsere Strategie. Anders als Sie wollen wir den Straßenverkehr nicht verteufeln. Wir wollen den Autofahrer nicht schikanieren. Wir wollen nicht mit Zwang arbeiten, ({0}) sondern mit einer Erneuerung der Strukturen der Unternehmen, womit wir jenen Impuls geben, den wir dringend brauchen. Deswegen setzen wir so stark nicht nur auf Straßen-, sondern auch auf Schieneninvestitionen. Wenn ich noch hinzufügen darf: Was ich von der „links-grünen" Seite dieses Hauses gern einmal hören würde, ist, daß Sie nicht nur sagen, welche Projekte Sie alle verhindern wollen, sondern auch, ob Sie die Kraft haben, für ein großes Projekt, das strategisch notwendig ist, einzustehen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Bitte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann möchte auch noch der Kollege Schmidt ({0}) zwiVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer schenfragen. Soll ich beide nacheinander an die Reihe nehmen?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Also zunächst Frau Altmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wissmann, ({0}) Herr Minister Wissmann, Herr Verkehrsminister Wissmann, ich finde es sehr überraschend, daß Sie hier die Ifo-Studie 1996 zitieren und möchte Sie fragen: Warum zitieren Sie eigentlich nicht die Ifo-Studie von Juni 1995, in der es gerade um die Mineralölsteuererhöhung als den Faktor geht, der diese Verlagerungspotentiale anschieben könnte? Aus dieser Studie geht ganz eindeutig hervor, daß zum Beispiel zur CO2-Reduktion und auch um Verlagerungspotentiale freizusetzen, ein Mineralölsteuererhöhungspfad vorgeschlagen wird, der überraschenderweise dem Erhöhungspfad sehr nahekommt, den wir in unserem Ökosteuerkonzept vorschlagen. Gleichzeitig wird auch mit der Mär auf geräumt, daß so eine Mineralölsteuererhöhung viele Arbeitsplätze kosten würde. Warum zitieren Sie in diesem Zusammenhang nicht auch diese Studie?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Frau Kollegin, die Antwort ist ganz einfach: Weil ich mich in der Regel auf die neuesten Zahlen konzentriere und nicht auf Zahlen, die ein Jahr alt sind. ({0})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich bin fast versucht, jetzt eine ganz andere Frage zu stellen als die, die ich eigentlich stellen wollte. ({0}) - Vielen Dank. Ich mache es auch ganz kurz. Wenn Sie sich immer gern an die neuesten Zahlen halten, warum hat dann Rudolf Breimeier von der Deutschen Bahn AG bei der Anhörung im Verkehrsausschuß dieses Hauses am 25. September 1996 berichtet, daß die Deutsche Bahn AG beim Bundesverkehrsminister mit den Zahlen der Ifo-Studie von 1995 vorstellig geworden sei, aus der hervorgeht, daß beim Schienengüterverkehr die Zuwachsprognosen um 70 Prozent nach unten korrigiert werden müssen, Sie aber geantwortet hätten, Sie hielten - das ist wörtlich aus dem Protokoll zitiert; können Sie nachlesen - an den Zahlen von 1990 fest, auch wenn die neuen Zahlen ganz anders sind? Ist Ihnen entgangen, daß wir einen Antrag für einen beschleunigten, verbesserten, durchgängig elektrifizierten Ausbau der Mitte-Deutschland-Bahn, für einen Ausbau der Sachsen-Magistrale - hier übrigens Seite an Seite mit der CDU Sachsens und einig mit dem gesamten Stadtrat von Chemnitz - im parlamentarischen Verfahren haben? Soll ich Ihnen diese Bundestagsdrucksachen einmal zustellen, damit Sie wissen, daß wir auch für Verkehrsprojekte eintreten?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Herr Kollege Schmidt, mit dem Herrn der Deutschen Bahn AG, von dem Sie angeblich etwas über Gespräche erfahren haben, habe ich selbst nie ein Gespräch geführt. Wahrscheinlich hat er mit Ihnen gesprochen, mit dem Bundesverkehrsminister nicht. ({0}) Zu Ihrer zweiten Frage. Schauen wir uns einmal die wichtigsten Projekte in Deutschland an: Wir haben ein Bahnhofsprojekt wie „Stuttgart 21", von dem die Experten sagen, daß dadurch fünf Millionen Pkw-Fahrten eingespart werden. Wer ficht dagegen? Der grüne OB-Kandidat. ({1}) Die Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin - deutlich geringerer Energieverbrauch als klassische Technologie. Wer führt die Demonstrationen an? Die Grünen. Die Strecke von Nürnberg nach München. Wer hält dagegen? Die Grünen. ({2}) Meine Damen und Herren, es geht nicht, daß Sie sagen „wir müßten", „wir sollten", „wir hätten". Sie müssen auch einmal die Kraft haben, vor Ort einer vernunftgesteuerten, ökologisch orientierten Verkehrspolitik den Weg zu bereiten. ({3}) Meine Damen und Herren, es geht natürlich nicht nur um Investitionen und um die Bahn. Es geht auch um die anderen Verkehrsträger. Ich will in diesem Zusammenhang sagen, daß wir froh sind, daß wir inzwischen das Signal aus Brüssel haben, die vollständige Privatisierung der Lufthansa im nächsten Jahr vollziehen zu können. Ich glaube nicht ohne Grund, daß die gemeinsame Anstrengung der Lufthansa-Verantwortlichen - ich sage es gerade heute besonders gerne -, nicht zuletzt von Herrn Weber und Herrn Röller und der gesamten Mannschaft der Lufthansa, die Lufthansa zu erneuern, zu dieser Entscheidung beigetragen hat. Außerdem haben die strategischen Vereinbarungen, die die Bundesregierung im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten mit „Open Sky" ermöglicht hat - damit die Möglichkeit globaler Allianzen -, für die LuftBundesminister Matthias Wissmann hansa eine Perspektive eröffnet, wie wir sie Anfang der 90er Jahre noch nicht hatten. Ich bin froh, daß wir jetzt sagen können: Neben British Airways ist die Lufthansa das führende und mitgestaltende Luftverkehrsunternehmen in Europa. Den Weg sollten wir gemeinsam fördern, weil er Mitarbeiter und Unternehmensführung eint. ({4}) Wir haben ein Zeichen für offene Märkte gesetzt. Wir haben ein Zeichen für mehr Sicherheit im Luftverkehr gesetzt. Wir haben aus dem schrecklichen Unfall in der Dominikanischen Republik, obwohl die Ursachen weiß Gott nicht in Deutschland lagen, Konsequenzen gezogen, unser Sicherheitssystem durchgecheckt und mit unabhängigen Fachleuten das Menschenmögliche getan, um die Sicherheit zu erhöhen. Ich glaube, das war auch unsere Pflicht und Schuldigkeit. Wir müssen alles daransetzen, was immer im Verkehrsbereich wirtschaftliche Tätigkeit ist, Schritt für Schritt in private Hände zu geben. Der Staat hat eine Kontrollaufgabe. Er hat die Rahmenbedingungen zu sichern. Aber wirtschaftliche Tätigkeit machen in der Regel Private besser. Deswegen kann ich nur denen zustimmen, die sagen: Behutsame und konsequente Privatisierung in allen Bereichen, die sich dafür eignen. ({5}) Zur Schiffahrt, meine Damen und Herren, die hier zu Recht angesprochen worden ist von verschiedenen Kollegen, will ich nur hinzufügen: Man kann nicht bei jeder ordnungspolitischen Rede nach Subventionskürzungen rufen und immer, wenn es konkret wird, auf andere zeigen. ({6}) Wir werden die Ausbildungsförderung im Rahmen der Seeschiffahrt, Herr Kollege Kunick, in vollem Umfang erhalten. Aber wir können hier nicht sagen: Anderswo sollen Subventionen gestrichen werden, aber nicht bei uns - nach dem alten deutschen Sankt-Florians-Prinzip, mir ist kein Opfer zu groß, das die andere Seite für mich bringt. Wir müssen überall bereit sein, Subventionen zu streichen, wenn wir eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik gegen Widerstände durchsetzen wollen. ({7}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß ein Wort zu einer aktuellen Sorge äußern - ich hoffe, ich tue das im Namen des ganzen Hauses -, nämlich zu den Blockadeaktionen auf den Autobahnen und Nationalstraßen in Frankreich und Dänemark, die mittlerweile ein Ausmaß angenommen haben, das zunehmend die Wirtschaft, insbesondere die Transportwirtschaft, beeinträchtigt. Allein in Frankreich sind über tausend deutsche Lastwagen bereits seit zehn Tagen blockiert. Die Zustände für die betroffenen Fernfahrer sind unzumutbar. Es drohen große Schäden für die Unternehmer und deren Auftraggeber. Wir haben uns schon Anfang der Woche an die französische und die dänische Seite sowie an die EU- Kommission gewandt und gebeten, alles zu unternehmen, um die Blockade des Verkehrs aufzuheben. Wir haben auch im Inland einige notwendige Maßnahmen eingeleitet. Ich glaube, ich darf auch für Sie sprechen, wenn ich von hier aus noch einmal an unsere Nachbarn und Freunde appelliere, alles zu tun, um diese Blockaden so schnell wie möglich aufzulösen. Die Blockade der freien Passage ist durch nichts gerechtfertigt. ({8}) Wir sollten alles daransetzen, daß der Druck zur Beseitigung der Hindernisse groß genug wird, um schnellstmöglich für eine Beendigung der Aktionen zu sorgen. ({9}) Ich hoffe, daß dieses ein Ziel ist, das auch die Oppositionsparteien unterstützen können. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Rezzo Schlauch das Wort.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Verkehrsminister, ich freue mich, daß Sie das Projekt Stuttgart 21 angesprochen haben. Ich weiß nur nicht, wie Sie mit Ihrer Position vereinbaren können, daß bei der Wahl offensichtlich eine erhebliche Anzahl von Stuttgarter Bürgerinnen und Bürgern das Projekt - zumindest wie Sie es vorgelegt haben - nicht wollen und für überdimensioniert halten. Ich fände es an Ihrer Stelle sinnvoll, angesichts dieses Ergebnisses Ihre inhaltliche Position zu dem Projekt und vor allen Dingen zur demokratischen Vermittlung dieses Projektes zu überdenken. ({0})

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Herr Kollege Schlauch, das Ergebnis in Stuttgart hat zwei Teile: ({0}) einen respektablen Erfolg für Sie, aber einen klaren Sieg des CDU-Kandidaten. ({1}) Ich will eine zweite kurze Bemerkung machen, Frau Präsidentin. Wir sind bei jedem großen Verkehrsprojekt selbstverständlich für Verbesserungen offen, natürlich auch in Stuttgart. ({2}) Es ist doch selbstverständlich, daß man nicht bereits mit der ersten Planung das Denken einstellt, sondern alles tut, um zu einer ökologischen Optimierung zu kommen und zu einer besseren Verträglichkeit für die Region. ({3}) Aber der Unterschied zwischen einigen von Ihnen und uns ist eben, ({4}) daß wir das Ziel haben, die Modernisierung der Infrastruktur in Deutschland - ich betone, ökologisch verträglich - am Ende auch durchzusetzen und dafür geradezustehen, während zwischen SPD und Grünen allerhöchstens ein angestrengtes Jein am Ende möglich ist. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6222 auf. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, ({0}) daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. ({1}) - Dazu sage ich nichts. Als nächstes rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6270 auf. ({2}) Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! ({3}) Stimmenthaltungen? - Somit stelle ich fest, daß der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ({4}) abgelehnt worden ist. Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6271 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Jetzt rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6272 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Als nächstes rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6273 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Weiter rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6332 auf. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Ferner rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6333 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Nunmehr rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6334 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6335 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6337 auf. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch daß auch dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6338 auf. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist. Wir treten in die Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung ein. Wer diesem Einzelplan zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des restlichen Hauses bei einer Stimmenthaltung angenommen worden ist. ({5}) Ich rufe auf: Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksachen 13/6020, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin Oswald Metzger Es liegen neun Änderungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ehe ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kollegen, der Beratung nicht im Wege zu stehen, sondern ihre Gespräche, die sich nicht auf den Einzelplan beziehen, nach draußen zu verlegen. Ich eröffne sonst die Aussprache nicht. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Roll Niese.

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigste innenpolitische Aufgabe ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dieser Herausforderung müssen wir uns in allen Politikbereichen stellen. Auch der Haushalt des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau müßte einen entscheidenden Beitrag leisten. ({0}) Alle Fachleute halten in diesem Zusammenhang die Städtebauförderung für das wirksamste Mittel. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - DIW - weist in einer aktuellen Untersuchung nach, daß städtebauliche Investitionen nicht nur hohe öffentliche und private Investitionen, sondern darüber hinaus nachhaltige Beschäftigung mit allen positiven Folgen bewirken. Jede städtebauliche Fördermark zieht das Sechs-, Sieben- oder in manchen Bereichen Achtfache an Folgeinvestitionen nach sich. Die kleinteiligen, regional zielgerichteten und sektoral breit gestreuten Investitionen bewirken arbeitsmarktpolitische Effekte, nicht nur hinsichtlich einer kurzfristigen Beschäftigungsbelebung, sondern auch hinsichtlich langfristig wirksamer Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse. Ferner ist Städtebau ein Auftragsmotor für mittelständische Betriebe, insbesondere des Handwerks. ({1}) Soweit die Darlegungen des DIW. Folgerichtig trägt eine Pressemitteilung des Bundesbauministers vom 31. Oktober 1996 den Titel „Städtebauförderung ist auch deutliches konjunkturpolitisches Signal". Richtig, Herr Töpfer, aber welche Konsequenzen ziehen Sie dann aus dieser Überschrift der Pressemitteilung? Keine! Die SPD-Fraktion will ein Signal setzen und beantragt daher, das Städtebaufördervolumen 1997 um 500 Millionen DM aufzustocken. ({2}) Es darf nicht nur die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beschworen werden, sondern es müssen konkrete Schritte getan werden. Dies wollen wir mit unserem Antrag, und ich appelliere an die Koalition: Machen Sie mit! ({3}) Nun wird natürlich gleich der Kollege Pützhofen antworten, er möchte ja auch bei der Städtebauförderung aufstocken, aber es fehle leider das Geld. Dies zieht nicht, Herr Kollege! Die Finanzierung wäre gesichert durch Rückführung der steuerlichen Förderung von Luxuswohnungsmodernisierung. ({4}) Wir haben keinen Mangel bei Luxuswohnungen, sondern dort bereits Leerstände. Mangel herrscht dagegen - und das vor allem in Ballungsräumen - an bezahlbarem Wohnraum. ({5}) Öffentliche Gelder nicht für unnötige Dinge ausgeben, sondern auf politisch drängende Aufgaben konzentrieren, das ist das Gebot der Stunde. Meine Damen und Herren, wenn es etwas gibt, was man dem Bundesbauminister zugute halten kann, dann die Tatsache, daß er in diesem Jahr eine Unmenge an wohlklingenden Presseerklärungen und Verlautbarungen herausgegeben hat. Das war es dann allerdings auch schon. Ansonsten muß man feststellen, daß sich Bundesbauminister Töpfer zu einem Drei-T-Minister entwickelt hat. Nein, zu keinem Minister im Zeichen von drei Tugenden, sondern tricksen, tarnen, täuschen. Das sind die Drei-T-Untugenden unseres Bauministers. ({6}) Oder wie sollte man es sonst werten, wenn die wohltönenden Verlautbarungen so wenig mit der Realität zu tun haben? Der soziale Wohnungsbau wird weiter heruntergefahren, trotz gegenteiliger Behauptungen. Der Verpflichtungsrahmen wurde von 1994 auf 1996 um 1,25 Milliarden DM gekürzt, und im Jahre 1997 sind weitere 200 Millionen DM vorgesehen. Diese letzte Kürzung um 200 Millionen DM soll allerdings durch Umschichtung von 200 Millionen DM aus dem Bergarbeiterwohnungsbau getarnt werden. Aber gleichzeitig werden zusätzlich 250 Millionen DM per Haushaltsvermerk gesperrt. Der Täuschungsversuch ist aufgeflogen, Herr Minister! ({7}) Ihr wahres Ziel ist eine Zerschlagung des sozialen Wohnungsbaus. ({8}) Oder werden Sie nur von Ihrem kleineren Koalitionspartner getrieben? Die Politik der F.D.P. kümmert sich einen Kehricht um die Versorgung von Normalverdienern mit bezahlbarem Wohnraum. ({9}) Sie läßt Wohnungen zur x-beliebigen Handelsware verkommen und hat nur die Renditesteigerung ihrer Klientel im Auge. ({10}) Das ist die neue Welle - besser die Westerwelle - bei der F.D.P. ({11}) Die F.D.P. ist nicht die Steuersenkungspartei, sondern die F.D.P. ist die Mieterhöhungspartei. ({12}) Noch können Sie sich, Herr Töpfer, einer solchen Politik widersetzen. Ziehen Sie nur die richtigen Schlußfolgerungen aus den Äußerungen des bayerischen Innenministers Beckstein. Dieser warnte in einer Presseerklärung vom 9. November 1996 vor Schnellschüssen, die nur Unruhe unter den Mietern stiften und die Landeshaushalte zusätzlich belasten würden. Auf die Methode der einkommensorientierten Förderung, so Beckstein, könne wegen zu geringer Erfahrung nicht übergegangen werden. Mein Kollege Otto Reschke wird zu diesem Themenbereich weitere Ausführungen machen. ({13}) Der Schürmannbau - das soll mein nächster Punkt sein - steht weiterhin als eine Ruine im Bonner Stadtbild. Diese Baustelle ist inzwischen zu einem Symbol für politische Unfähigkeit und Verschwendung geworden. ({14}) Ich komme gleich auf diesen Punkt zurück. Die von Ihnen, Herr Töpfer, x-mal für dieses Jahr angekündigte Novellierung des Wohngeldgesetzes für die alten Bundesländer hat nicht stattgefunden, wie viele Bürgerinnen und Bürger schmerzlich erfahren mußten. Sie wurden von der Bundesregierung getäuscht. Und da wehren Sie sich, Herr Töpfer, in Ihrer Eröffnungsrede zum Haushalt 1997, nämlich in der ersten Lesung, allen Ernstes gegen den Vorwurf von „Ankündigung und Wortbruch"? Er liegt auf der Hand; denn wo ist Ihre Wohngeldgesetzesnovelle? Wer die Pressepolitik des Ministers genau verfolgt und mit der Realität vergleicht, weiß: Jede neue, vermeintlich positiv klingende Ankündigung muß in der Tat als drohende Verschlechterung verstanden werden. ({15}) Die Wohngeldnovelle wurde, wie gesagt, wiederholt für dieses Jahr angekündigt. Geschehen ist nichts. Wenn man aber keine politischen Aktivitäten vorzeigen kann, so will man sich doch wenigstens mit markanten Zahlen schmücken. In einer Presseerklärung vom 15. Oktober unter dem Titel „Die Wohngeldausgaben steigen weiter an" erklärt der Bundesbauminister, daß auf Grund der in den ersten neun Monaten gestiegenen Wohngeldausgaben im Jahr 1996 mit 3,3 Milliarden DM statt 3,1 Milliarden DM zu rechnen sei. Gepriesen wird dies dann als große politische Leistung. Das Gegenteil aber ist wahr. Nicht der einzelne Wohngeldberechtigte bekommt mehr. Vielmehr ist die Ausgabensteigerung Resultat der verfehlten Politik der Bundesregierung, die immer mehr Menschen in Einkommenssituationen treibt, in denen sie eben auf Wohngeld angewiesen sind. ({16}) Das Wohngeld wurde letztmalig 1990 angepaßt. Seitdem ist die Mietbelastung aber um mehr als 30 Prozent gestiegen. 1995 betrug die Entlastungswirkung des Wohngeldes nur noch etwa 10 Prozent der Warmmiete. Es werden immer mehr Menschen in die Sozialhilfe abgedrängt. Der Bund spart durch die fehlenden Anpassungen Geld, aber auf Kosten der Sozialhilfeträger. Die Belastungen werden also auf die Gemeinden abgewälzt. Und da soll man nicht von „tricksen" reden dürfen? ({17}) Wenn Sie, Herr Töpfer, tatsächlich Mitte 1997 eine Reform des Wohngeldes wollen, benötigen Sie einen anderen, realistischeren Ansatz in Ihrem HaushaltsDr. Rolf Niese plan 1997, falls nicht auch dieser Punkt zu einer reinen Täuschung des Wählers werden soll. Das wissen Sie auf Grund von Angaben aus Ihrem Hause selbst am besten. Im Rahmen der Haushaltswahrheit und -klarheit wäre ein realistischer Ansatz der Wohngeldausgaben erforderlich. Wie angekündigt, komme ich noch einmal auf den Schürmannbau - besser gesagt: auf die Schürmannbau-Ruine - zu sprechen. Nur durch ständiges und hartnäckiges Nachsetzen konnte der Minister bewegt werden, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses endlich Zahlen auf den Tisch zu legen. Nach Monaten der Täuschung und der Geldverschwendung sind wir nun langsam zu einer konsensfähigen Lösung gelangt. Der Schürmannbau wird saniert, weitergebaut und von der Deutschen Welle genutzt werden. ({18}) Der Bericht des Bundesrechnungshofes zum Schürmannbau offenbart allerdings das totale Desaster, in dem sich der Bauminister befindet. Auf der einen Seite wird zwar immer betont, daß, wo nur irgend möglich, gespart werden muß; auf der anderen Seite wird aber ganz nebenbei mit vollen Händen Geld aus dem Fenster geworfen. Die Vorgänge um den Schürmannbau sind gekennzeichnet von mangelnder Koordination, allgemeinem Wirrwarr und Schlamperei. Ich möchte dazu nur einige wenige Beispiele nennen: Wer würde nicht gerne für zwischen Januar und Oktober 1995 geführte „Informationsgespräche" 690 000 DM erhalten? Wie soll man die Tatsache bezeichnen - die der Bundesrechnungshof festgestellt hat -, daß diese Vergütung nachträglich ausgehandelt und erst am 17. Oktober, also am Ende der Informationsgespräche, vertraglich vereinbart worden ist? Er merkt dazu an: Zudem bestehen Zweifel, ob bei einem optimierten Einsatz der Bauverwaltung sowie der anderen rechtlichen und technischen Berater der Abschluß dieser Vereinbarung dem Inhalt nach erforderlich war. Ist es nicht eine skandalöse Schlamperei, wenn eine Kanzlei für mehr als eine halbe Million DM ein Rechtsgutachten für das Bundesbauministerium erstellt, obwohl zum selben Gegenstand bereits eins im Auftrag der Bundesbaudirektion erstellt wurde? Was soll man von der Untätigkeit oder, besser gesagt: Unfähigkeit einer Bundesregierung halten, die einem Architektenbüro die Weisung erteilt, so lange zehn wichtige Mitarbeiter vorzuhalten, bis eine Entscheidung zum Weiterbau gefällt wird, aber diese Entscheidung lange auf sich warten läßt und dies den Steuerzahler fast 2,5 Millionen DM kostet? ({19}) Um alle Tricks des Bauministers an die Oberfläche zu bringen, wird sich der Rechnungsprüfungsausschuß mit diesem Thema Anfang Dezember weiter beschäftigen. Ich will noch einmal schlaglichtartig die Ergebnisse der Regierungspolitik zusammenfassen: Täuschung von Parlament und Öffentlichkeit beim Wohngeld; Vortäuschen einer Verstetigung des sozialen Wohnungsbaus auf hohem Niveau, obwohl tatsächlich von Jahr zu Jahr ein Abbau stattfindet; Zerschlagung des sozialen Wohnungsbaus und Abschaffung des bestehenden Mietrechts - das ist jedenfalls Ihre Ankündigung -; keine Erhöhung der Städtebaufördermittel wider besseres Wissen um die positiven beschäftigungspolitischen Effekte; Täuschung der Öffentlichkeit und Geldverschwendung in hohem Maße beim Schürmannbau. Nun werden wir ja gleich die Jammerei der Koalitionsredner und des Bundesbauministers hören, alle anderen seien schuld an den miserablen Ergebnissen der Politik der Bundesregierung, nur sie selbst nicht. Vor allem sei die SPD schuld, die im Bundesrat die Zustimmung verweigere. Machen Sie gar nicht erst den Versuch! Ich gebe Ihnen schon jetzt eine klare Antwort: Wenn Sie endlich eine Politik betreiben, die nicht die Arbeitslosen, sondern die Arbeitslosigkeit bekämpft, werden Sie unsere Unterstützung haben. Aber solange Sie die Opfer Ihrer Politik zu den Schuldigen machen, so lange werden Sie auch in Zukunft auf unseren erbitterten Widerstand stoßen. ({20}) Herr Töpfer, Ihr Haushalt zeigt keinerlei Ansätze, daß das drängendste Problem, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, angegangen wird. Ihr Haushalt ist politisch so schwach, daß wir diesen nicht mehr mit Entschiedenheit, sondern einfach nur noch ablehnen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dieter Pützhofen das Wort.

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Beratung des letzten Einzelplanes muß nicht erneut dargelegt werden, wie die Gesamtetatlage ist. Die Gesamtetatlage zieht sich durch alle Einzelpläne, auch durch den Einzelplan 25, also den Bauetat, hindurch. Daß auch der Haushalt des Bundesbauministers nicht von Einsparungen verschont bleibt, versteht sich eigentlich von selbst - sollte man meinen. Daß trotz dieser Einsparnotwendigkeiten im Bauetat viele positive Akzente gesetzt werden konnten, hätte der Opposition heute Gelegenheit geboten, dem Bauminister zu diesem Erfolg ganz herzlich zu gratulieren und ihn zu beglückwünschen. ({0}) Wir als die Regierungskoalition, als Haushälter, hätten uns gewünscht - wo der Kollege Niese schon einmal dabei war -, auch ein klein wenig Lob mit abzukriegen. Wir sind zwar nur kleine Leute; wir gehören nicht, wie der Minister, zu den großen Leuten. Aber ein bißchen Lob hätte auch uns gutgetan. Aber er hat es nicht gemacht. Ich will auf die einzelnen Themen eingehen. In der Städtebauförderung ist der Verpflichtungsrahmen des Jahres 1996 erhalten geblieben. Nun will ich dem Kollegen Niese sofort den Gefallen tun - er wartet schon darauf - und sagen, daß auch wir an dieser Stelle gern mehr hätten. ({1}) Nur unsere tiefe Verantwortung vor der Gesamtetatlage, Herr Kollege Niese, hält uns davon ab, das zu tun, was wir eigentlich möchten. Aber die Dinge sind einfach so. Wir sind leider nicht in der Situation der Opposition, die mit einem großen Sack und einem Füllhorn voller Geld durch die Gegend streifen und die Wohltaten nur so ausbreiten kann. In der Lage sind wir nicht. ({2}) Die intensive bauwirksame Anstoßwirkung dieser Mittel wird bei uns überhaupt nicht bestritten, sie wird von keinem im Haus bestritten. Wir alle bewerten die städtebaulichen, die sozialen und kommunalpolitischen Aspekte der Städtebauförderung in der gleichen Weise positiv, wie Sie das gemacht haben. Der Schwerpunkt dieser Mittel liegt seit 1993/94 in den neuen Bundesländern. Ich stehe zu der Entscheidung, die wir damals im Haushaltsausschuß getroffen haben. Sie war richtig und ist bis heute noch richtig. Dennoch muß den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern klar sein, daß der Zeitpunkt näherrückt, an dem die berechtigten Interessen der alten Bundesländer wieder mit der gleichen Aufmerksamkeit, in diesem Falle also auch mit den entsprechenden Haushaltsmitteln, bedacht werden müssen. Auch in den alten Bundesländern gibt es noch wichtige Aufgaben, die zur Lösung anstehen. Ich denke an die Umwidmung von Brachflächen, an Aktivitäten in städtebaulichen Brennpunkten mit sozialen oder umweltrelevanten Defiziten. Mit unserer Entscheidung im Haushaltsausschuß, die Mittel des sozialen Wohnungsbaus gezielt in städtischen Problemgebieten einzusetzen, haben wir ein Zeichen in diese Richtung gesetzt. Ich verstehe den Entschließungsantrag der Grünen, den ich in dieser Form erst gerade gesehen habe, auch als einen Akzent, der in diese Richtung gehen soll. Ich würde es begrüßen, Herr Minister, wenn es Ihnen gelingen würde, die Städtebauförderung und die Wohnungsbauförderung noch enger miteinander zu verzahnen, als Sie das in den letzten Monaten und Jahren getan haben. Das wäre für beide Seiten ein Erfolg: für die Städtebauförderung und die Wohnungsbauförderung. Für die Innenstädte wäre es ohnehin ein Erfolg, wenn die Wohnsituation, die wir alle im Innenstadtbereich fördern wollen, davon profitieren könnte. Zum Thema Wohnungsbauförderung teile ich die Auffassung, die die Zeitschrift „Der Spiegel" im Sommer dieses Jahres veröffentlichte. Da heißt es: So üppig wie derzeit war das Wohnungsangebot seit langem nicht. In den letzten drei Jahren sind mehr als 1,6 Millionen Wohnungen gebaut worden, mindestens 400 000 werden in diesem Jahr dazukommen. Vor diesem Hintergrund sind die 2 Milliarden DM zu sehen, die im 1997er Haushalt für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus bereitgestellt werden. Der Rückgang um 200 Millionen DM ist vertretbar, weil wir die Mittel im wesentlichen auf die einkommensorientierte und auf die vereinbarte Förderung konzentriert haben. Mit diesem flexiblen Förderinstrument läßt sich mit geringerem Mitteleinsatz ein Mehr an Förderung erzielen. ({3}) Die Mittel, die zur Verfügung stehen, werden effizienter und zielgerechter eingesetzt. Der Einzelplan 25 sieht in 1997 erstmalig vor, Einnahmen aus dem „Bundestreuhandvermögen Bergarbeiterwohnungsbau" in den allgemeinen sozialen Wohnungsbau zu lenken. ({4}) Meinem Kollegen Gert Willner sind dazu in der ersten Lesung des Haushalts Vorwürfe gemacht worden, auf die ich in aller Kürze eingehen möchte. Die Vorwürfe lauteten ausweislich der Niederschrift, man würde den Bergarbeitern etwas wegnehmen, was ihnen gehöre und was sie unter Lohnverzicht zusammengetragen haben, und nun könnten notwendige Modernisierungen, Um- und Ausbaumaßnahmen nicht mehr erfolgen. Wir wollen die Dinge einmal auf den Boden stellen. Die zirka 210 000 Wohnungen bleiben in den Bindungen, in den Belegungen und im Bestand erhalten. Darauf hat der Kollege Willner bereits bei der ersten Lesung hingewiesen. ({5}) Die Unternehmen müssen sich allerdings daran gewöhnen, Modernisierungen aus der Substanz und den Mieteinnahmen zu finanzieren, so wie das andere Unternehmen im Wohnungsbau am Markt ebenfalls machen müssen. ({6}) Im übrigen handelt es sich bei diesen Unternehmen um ausgesprochen gesunde, gute und starke Unternehmen, die in ihrem Bestand auch die Wohnungen, die zum Nichtbergarbeiterwohnungsbau gehören, in gleicher Weise pflegen und versorgen können. Es kehrt allerdings ein Stück Normalität ein. Nun etwas Klarheit zum Entstehen des Treuhandvermögens. Es ist aus mehreren Quellen entstanden: zum einen aus den Erträgen der Unternehmen selbst, die sie aus dem Verkauf der Kohle hatten, zum anderen aus dem Kohlepfennig, also aus der Abgabe, die alle Bürger dieses Landes gezahlt haben. Daß das der Allgemeinheit heute wieder zugute kommt, ist, wie ich meine, nur allzu verständlich. ({7}) Herr Kollege Großmann, was wirklich hinter der Aufregung steckt, die auch aus den Unternehmen kommt, die davon betroffen sind, macht ein mir vorliegendes Schreiben eines rheinischen Wohnungsbauunternehmens - ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung - deutlich, das in schöner Offenheit folgendes schreibt: Die Umlenkung dieser Mittel auf den allgemeinen sozialen Wohnungsbau kann deshalb nicht in Frage kommen, weil die Mitarbeiter dann durchweg zu hoch im Einkommen liegen und damit nicht zum Zuge kämen. Dann laßt uns für etwas mehr Ausgewogenheit auf diesem Gebiet eintreten! Ich sagte es bereits: Es tritt Normalität ein. ({8}) Man sollte sich bei diesem Thema übrigens nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen. Wir werden sehen, daß der Bundesrat dem Vorschlag der Bundesregierung in diesem Bereich folgen wird. Ich teile im übrigen die Auffassung des nordrhein- westfälischen Bauministers Dr. Vesper - er hat sie allen Bundestagsabgeordneten des Landes NordrheinWestfalen zugeschickt -, der die anstehende Bundesratsentscheidung sehr realistisch einschätzt und der für praktikable und vernünftige Spielregeln zum zukünftigen Einsatz der Erträge aus dem Treuhandvermögen wirbt. Das ist doch unser Thema. Dem kann sich keiner entziehen. Die Grünen bringen eben doch ab und zu einsichtige Politiker hervor. ({9}) - Ja, Frau Kollegin, ab und zu. Ob die Grünen uns bei der grundlegenden Reform des sozialen Wohnungsbaus folgen werden, muß nach den mir vorliegenden Äußerungen allerdings bezweifelt werden. Dabei gibt es meines Erachtens kaum ein verdienstvolleres Thema als das einer umfassenden Reform der Förderung des sozialen Wohnungsbaus. ({10}) Die Instrumente, die richtig und nötig waren, um in den 50er, 60er und 70er Jahren die Wohnungsnot zu lindern, die Instrumente, mit denen wir die Sozialstaatsverpflichtung des Grundgesetzes erfüllen wollten, indem bis heute 8,5 Millionen Wohnungen gebaut wurden, die Instrumente, die einmal ausschließlich da waren, um bedürftigen Haushalten preiswerten Wohnraum zu schaffen, diese Instrumente sind ungenau geworden, diese Instrumente führen heute zu Mietverzerrungen, diese Instrumente führen zu Marktspaltungen und Fehlsubventionierungen. Da wir nun einmal bei einer Haushaltsdebatte sind, wo es um die Frage geht, wieviel von dem immer weniger werdenden Geld wir für welche Zwecke vernünftigerweise und begründet ausgeben, sage ich: Die Haushaltsmittel, die uns die Bürger zur Verantwortung übergeben haben, müssen in diesem Bereich effizienter eingesetzt werden, als das in der Vergangenheit passiert ist, als das im Augenblick der Fall ist. ({11}) Nicht der ist besser, der mehr Geld in diese alten Töpfe hineinkippt, sondern der, der das Geld richtig und für die richtigen Zwecke ausgibt. ({12}) Die Augen und Ohren vor den Mängeln im geltenden Recht, insbesondere im ersten Förderweg, zu verschließen, aber dann blind Millionenbeträge zu fordern, wie der Kollege Niese es im Haushaltsausschuß getan hat, diese Vorgehensweise vermag niemanden sonderlich zu überzeugen. Herr Minister, wir möchten Ihnen bei diesem Reformvorhaben ausdrücklich den Rücken stärken. ({13}) Ich will eine für meine Fraktion schwierige Position im Haushalt nicht aussparen. Im Wohngeld sind die von den Wohnungsbaupolitikern und Fachleuten gewünschten weitreichenden Verbesserungen nicht möglich gewesen. Aber wer hier den Mund zu voll nimmt, muß sich fragen lassen, welche Deckung er für den Haushalt anbietet. Dann kommen nämlich immer die gleichen Themen in Frage, die als Dekkung für andere Sachen angeboten werden können. Unsere Antwort in haushälterisch schwierigen Zeiten lautet: Wir heben den Wohngeldansatz auf 3,3 Milliarden DM an. Wir können damit die mittelfristig notwendigen Angleichungen der Wohngeldleistungen in den alten und neuen Bundesländern sozial verträglich abfedern. ({14}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsplan des Bauministers verdeutlicht die konsequente Umsetzung unserer Beschlüsse zur Verlagerung von Parlamentssitz und Regierungsfunktionen. Die notwendigen Beschlüsse zu Planungs- und Bautiteln sind gefaßt. Wir haben in gleicher Weise auch die Beschlüsse für die Wohnungsfürsorge gefaßt. Die bereitstehenden Mittel steigen ständig an: Das sind die Auswirkungen des zügigen Planungs- und Baufortschritts. Sie bleiben, Herr Minister, im Rahmen der 20 Milliarden DM, die Sie vorweg genannt haben - darüber haben Sie uns neulich berichtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil jeder Eingriff in den vereinbarten Zeitplan dieses Umzuges mit erheblichen Mehrkosten verbunden wäre, wird es mit den Haushältern keine Neuauflage der UmDieter Pützhofen zugsdiskussion, schon gar nicht eine Verzögerung der Maßnahmen geben. ({15}) Das muß einmal zu einem Zeitpunkt gesagt werden, an dem an vielen Ecken auch unseres eigenen Hauses über die Verzögerung und das Herausschieben dieser Maßnahme nachgedacht wird. Wir handeln unverantwortlich, wenn wir an dieser Stelle erneut in die Diskussion eintreten. Wenn Sie den Einzelplan 25 sachlich betrachten und die finanzpolitischen Rahmenbedingungen sehen, ist Anlaß für Lob in Richtung Bauminister, der ja ohnehin ein schweres Los zu tragen hat, gegeben. Das möchte ich hier gerne einmal aussprechen. Wir haben einen sehr guten Bauminister. ({16}) Ich bedanke mich bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich auch bei denen des Bundesfinanzministers dafür, daß sie uns in den letzten Monaten geholfen haben. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Herr Minister Töpfer! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklung der Fördermittel im Wohnungsbereich sehen wir sowohl aus wohnungspolitischen, als auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen mit großer Sorge. Auch bei der Städtebauförderung muß man die Tatsachen sehen: Zunächst sind die Mittel gegenüber dem vergangenen Jahr um 100 Millionen DM abgesenkt worden, auch wenn der Verpflichtungsrahmen erst einmal stehenbleibt. Vor allem die Städtebauförderung West mit ihren 78 Millionen DM gibt faktisch gar nichts mehr her. Bei der Wohnungsbauförderung wird der Verpflichtungsrahmen um 200 Millionen DM abgesenkt. Sie soll dann bis zum Jahr 2000 auf höchstens 1,9 Milliarden DM abgespeckt werden; auch dies steht unter dem Vorbehalt, daß insgesamt 850 Millionen DM Einnahmen aus dem Bergarbeiterwohnungsbau hereinkommen. Diese 850 Millionen DM sind so einfach gar nicht aus dem Treuhandvermögen zu holen, egal, wie man jetzt inhaltlich dazu steht. Hier steht Ihre Finanzplanung also auf tönernen Füßen. Beim Wohngeld - das tut mir leid, Herr Pützhofen - können mit den jetzt nachgebesserten 3,3 Milliarden DM höchstens die zwingenden Pflichtaufgaben erfüllt werden, und das auch nur, wenn es am Arbeitsmarkt einigermaßen läuft. Wenn aber die Mieten weiter steigen und die Arbeitslosigkeit anhält oder steigt, werden wir da wahrscheinlich noch einmal nachbessern müssen. Dabei ist noch kein Pfennig für eine Wohngeldreform vorgesehen. Das sollten wir sehr ernst zur Kenntnis nehmen. Die PDS hat dazu einen Antrag gestellt. Ich würde mir wünschen, daß sich ihm auch die anderen anschließen. Die PDS nimmt damit unseren Vorschlag auf, die Eigenheimförderung für die oberen Einkommensgruppen zu kürzen, um daraus die Wohngeldreform finanzieren zu können. Wir haben den Antrag deswegen nicht gestellt, weil wir in diese Debatte keine Gesetzesänderung einführen können. Insofern hoffen wir, daß die Regierung bald so weit ist, unseren Vorschlägen zu folgen. ({0}) Ein weiterer Punkt macht uns große Sorgen: Sie haben zur Haushaltssanierung ja schon für dieses Jahr die bundeseigenen Wohnungen von der Deutschbau und der Frankfurter Siedlungsgesellschaft in Form von Gesellschafteranteilen auf den Markt geworfen und wollen auch die Wohnungen der Versicherungsträger praktisch noch hinterherschmeißen. Diese Wegwerfpolitik ist wohnungspolitisch, vor allen Dingen aber auch haushaltspolitisch äußerst schädlich. Ich bitte Sie, endlich einmal ernst zu nehmen: Es ist wirklich abenteuerlich, zu meinen, man könne Wohnungen zu Hunderttausenden auf den Markt werfen. Das kann überhaupt nicht gutgehen, und so haben Sie auch mit der Durchführung wirklich Schwierigkeiten. Man kann da nur wünschen, daß Sie bald zur Einsicht kommen, daß so der Haushalt nicht saniert werden kann. Wir haben uns auch im Unterschied zur SPD aus Sorge um die Staatsverschuldung Anträge zur Mittelerhöhung versagt, obwohl uns das insbesondere im Bereich Stadterneuerung und Städtebauförderung sehr schwergefallen ist. Wir haben deswegen relativ bescheiden die Konzentration der Mittel im sozialen Wohnungsneubau auf Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen und auf die besiedelten Bereiche vorgeschlagen. Ich finde es sehr begrüßenswert, daß Sie das eben als unterstützenswert bezeichnet haben. Es ist ein sehr wichtiges Ziel, daß wir in Zukunft die Mittel mehr bündeln, wenn wir schon nicht aufstocken können. Wir müssen uns diesem Thema sehr ernsthaft stellen. Ich möchte zwei von den politischen Weichenstellungen, die auch Herr Niese angesprochen hat, noch einmal benennen. Der eine Punkt ist die Mietrechtsfreigabe, die sich die F.D.P. auf die Fahnen geschrieben hat, nach dem Motto: Wenn die Leute heute schon für das Kranksein tiefer in das Portemonnaie greifen müssen, dann sollen sie auch gleich noch saftige Mieterhöhungen bekommen, damit sie endlich spüren, wie hier regiert wird. ({1}) - Das ist in Ihrem Eckwertepapier sehr deutlich als Leitbild und Ziel enthalten. ({2}) Sie sind nach dem üblichen Muster verfahren. Ihre Klientenbedienung nimmt Ihnen jegliches Schamgefühl für die wirklichen Probleme der kleinen Leute in diesem Land. Sie sollten einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob Sie diese Eckwerte nicht schlicht zurückziehen. ({3}) Der andere Punkt ist, daß der Bauminister Ihnen zwar in Sachen Mietrechtsreform widerspricht, aber dann selbst ein sehr raffiniertes Instrumentarium vorlegt, wie er zumindest im Bereich des sozialen Wohnungsbaus die Mieten in Richtung Vergleichsmiete hochtreiben kann. Herr Minister, wir werden da noch zu einer intensiveren Diskussion kommen. Deswegen will ich heute nur sagen: Ich sehe dieses Konzept wirklich mit großer Sorge, nicht nur, weil es die Mieten auf ein unverantwortliches Niveau hochtreibt - in den Großstädten auf 16 bis 19 DM pro Quadratmeter -, sondern vor allem auch, weil Sie damit den Einstieg in den Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau deklarieren. Warum soll man einem Eigentümer eine Förderung für die Einhaltung der Vergleichsmiete geben, wenn man vom Nachbareigentümer erwartet, daß er die Vergleichsmiete auch ohne Förderung einhält? Allein schon die Systematik Ihres Gesetzeswerks macht deutlich, daß Sie aus der Wohnungsbauförderung als Objektförderung aussteigen wollen. Das halten wir für nicht durchhaltbar. ({4}) Lassen Sie mich die letzte Minute nutzen, um ein paar Sätze zur Hauptstadtplanung zu sagen. Ich finde es toll, Herr Pützhofen, daß Sie gesagt haben, Sie stehen zum Einhalten des Umzugszeitplans. Aber wir sind der Meinung, daß Sie endlich den Mut haben sollten, das Einhalten des Umzugsplans durch das Ergreifen von Sparmaßnahmen zu erreichen, die einen schnellen Umzug überhaupt erst möglich machen, und umgekehrt durch das Streichen von voluminösen Maßnahmen, die die Zeitverzögerung erst verursachen. ({5}) Deswegen möchte ich Ihnen die wichtigsten Punkte unserer Streichliste noch einmal darstellen. Erster Punkt: Haben Sie den Mut, den Bau des Luisenblocks zu streichen! Zweiter Punkt. Treiben Sie statt dessen den Ausbau für die Nutzung des Gebäudes des ehemaligen Justizministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft voran! Das spart allein im Baubereich mindestens 255 Millionen DM. Gleichzeitig sparen Sie die Kosten für den Grunderwerb, die Gewerbeverlagerung und die Baureifmachung der Nordallee: mindestens 50 Millionen DM. Dann können Sie auch das Tunnelabenteuer streichen und obendrein enorme Zeit sparen. Kostenersparnis: mindestens 77 Millionen DM und wahrscheinlich weitere 40 Millionen DM, die schon angekündigt sind, die man aber offiziell und laut nicht zitieren darf. Dritter Punkt. Haben Sie endlich den Mut, bei dem Überdesign und bei dem Luxus des Dorotheenblocks und des Alsenblocks zu streichen und damit die Kosten auf 5 500 DM pro Quadratmeter Bruttogeschoßfläche zu begrenzen. ({6}) Vierter Punkt. Das Bundespräsidialamt muß nicht über 8 000 DM pro Quadratmeter BGF kosten. Diese Kosten kann man um 20 Prozent kürzen. Warum sind die Kosten für das Kanzleramt von 270 Millionen DM auf 400 Millionen DM angestiegen?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Sekunde, Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich bin sofort fertig. Die Ministerialbauten können wieder auf die 2,2 Milliarden DM zurückgehen. Last, not least: Beim Schürmannbau kann man das gesamte Bauvolumen streichen und kann auf eine Begrünung und Demontage der jetzigen Baustelle zurückgehen. Das spart 400 Millionen DM. ({0}) In dem Sinn: Haben Sie endlich Mut zum Rotstift! ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Dietmar Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich fühle mich herausgefordert, zu zwei Dingen etwas zu sagen. Das erste wird sehr positiv klingen; Ihnen kann trotzdem leider nicht geholfen werden. Ihr Änderungsantrag im Zusammenhang mit der Konzentration der Mittel auf stadterhaltende und sanierende Maßnahmen wäre diskutabel gewesen, wenn Sie ihn im Fachausschuß nicht mit kostenrelevanten Forderungen an den Haushalt vermengt hätten. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Ihr Antrag noch keine kostenneutrale Fassung. Das heißt, er lag in dieser Form überhaupt nicht vor. ({0}) Wir werden in unserem eigenen Städtebauantrag, der in der nächsten Sitzungswoche zur Diskussion steht und Ihnen als Drucksache bereits vorliegt, die gleichen Ideen für die zukünftige Entwicklung vortragen. Zweitens zum Thema Umzug nach Berlin. Ich will Ihnen antworten - ich hoffe, ich spreche für die Kolleginnen und Kollegen über meine Fraktion hinaus -, daß ich es als ungehörig empfinde, wenn Sie diesem Parlament unterstellen, wir planten Luxusbauten für den Deutschen Bundestag in Berlin. ({1}) Wir bauen entsprechend den Beschlüssen, die das ganze Parlament gefaßt hat. Wir bauen nicht überkandidelt. Wir bauen mit Würde für das deutsche Parlament. ({2}) Die einzigen, die sich bisher beschwert hatten, daß sie im Reichstagsgebäude zu wenig Flächen hätten, war die Fraktion der Grünen, ({3}) die pro einzelnen Abgeordneten schon heute fast doppelt so viel Fläche wie die großen Fraktionen hat und uns immer Luxusforderungen unterstellt. ({4}) Dasselbe gilt für die unsinnige Forderung, den Luisenblock nicht bauen zu lassen. Wir haben ein Gesamtkonzept, das viele Kolleginnen und Kollegen noch gar nicht kennen - und die Fraktion der Grünen offensichtlich überhaupt nicht. Wir haben schon vor Jahren verschiedene Funktionen auf unterschiedliche Gebäude aufgeteilt. Im Luisenblock werden die Parlamentsbibliothek, der Wissenschaftliche Dienst und zig technische Dienste, die für den gesamten Bundestag nötig werden, untergebracht. Dies zu streichen und zu sagen, man könne das alles in einem Altbau unterbringen, ist zu diesem Zeitpunkt so wahnsinnig, daß es nicht nur zu Verlängerungen, sondern auch zu Kostenerhöhungen und nicht zu einer Kostenreduzierung führt. ({5}) Frau Kollegin, hören Sie deswegen damit auf, als Einzelkämpferin die Kolleginnen und Kollegen aller anderen Fraktionen in der Baukommission in der Öffentlichkeit ständig madig zu machen! ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Eichstädt-Bohlig, Sie können darauf antworten.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als erstes zum Thema Wohnungsbauförderung. Herr Kansy, ich muß Sie da enttäuschen. Wir hatten in zwei getrennten Anträgen sowohl im Bereich Wohnungsfürsorge als auch im Bereich Wohnungsbauförderung, also bei den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau, jeweils dieselbe Zielsetzung wie in diesem Antrag. ({0}) - Nein, das gilt auch für die genaue Forderung. Wir hatten darüber hinaus einen Antrag auf Gelderhöhung im Bereich der CO2-Minderung eingebracht. Das war aber ein separat davon zu diskutierender und abzustimmender Antrag. Zum zweiten Thema. Wir sind der Meinung - das ist ein sehr grundsätzlicher Dissens zwischen der Koalition und der SPD auf der einen und uns auf der anderen Seite -, daß man bei der Hauptstadtplanung und beim Bauen Würde sehr wohl mit Bescheidenheit verknüpfen kann. ({1}) Ich kann nur sagen: Der Alte Fritz ist ein hervorragendes Beispiel dafür, daß Sparsamkeit sehr wohl ermöglicht, kreativ und qualitativ vorbildlich zu bauen. Als nächstes muß ich den Vorwurf, daß die Fraktion der Grünen doppelt soviel Flächen wie die anderen benutzt, mit Entschiedenheit zurückweisen. Ich muß aber gleichzeitig als einen ganz wesentlichen Punkt - ich bitte Sie alle, einen Moment zuzuhören - kritisieren, daß bei dieser Hauptstadtplanung folgendes Mißverhältnis besteht: Während die echten Arbeitsflächen, vor allem die Flächen für die Beschäftigten, äußerst knapp bemessen sind, ist der Aufwand, der für Nebenflächen - für Lobbys, Treppenhäuser und so weiter - betrieben wird, enorm groß. Das ist das eigentliche Problem; hierin besteht das Mißverhältnis. Das werden unsere Beschäftigten sehr negativ zu spüren bekommen, wenn es dann ernst wird. ({2}) Insofern ist es eine unpraktikable Planung, wenn Architekten ihre Gestaltungsambitionen zur Geltung bringen, statt wirklich funktional und nützlich zu bauen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß, wenn die Privatwirtschaft Verwaltungsbauten für 3 500 bis 4 500 DM pro Quadratmeter hinstellt, wir dann, mit 1 000 DM mehr - also 5 500 DM - genug Geld verbrauchen, um unsere Würde zur Geltung zu bringen. Mehr dürfen wir nicht verbrauchen, schon gar nicht in Zeiten, in denen wir dem Bürger ständig abverlangen, den Gürtel enger zu schnallen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun das Wort dem Abgeordneten Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Halbzeit - das gilt auch für die Legislaturperiode - ist die Zeit für die erste Zwischenbewertung. So kommt denn die SPD alle Jahre wieder nach dem Motto: Niese macht Miese. Das Augenlicht, lieber Herr Kollege, muß schon sehr nachgelassen haben, wenn Sie die Fortschritte Hildebrecht Braun ({0}) in der Baupolitik überall, auch in Ihrer Heimatstadt, tatsächlich nicht ohne weiteres sehen können. ({1}) Es ist so klar auf der Hand liegend, was sich in den letzten Jahren an Positivem getan hat, daß es sich eigentlich jedem erschließen müßte, auch Ihnen. ({2}) Das Abspulen von abgegriffenen Vorurteilen, von Schablonen gegen die F.D.P. - das gilt übrigens auch für Sie, Frau Eichstädt-Bohlig - ersetzt nicht die zutreffende Analyse. Richtig ist, daß die Baupolitik ein Vorzeigestück der Politik dieser Koalition ist. ({3}) Auf den fulminanten Anstieg des Wohnungsbaus zu Zeiten von Frau Bauministerin Schwaetzer folgt eine Periode auf sehr hohem Niveau in der ersten Halbzeit dieser Legislaturperiode mit Bauminister Töpfer. Sechs Jahre energischer, innovativer und mutiger Baupolitik haben sich für unser Land und unsere Mieter gelohnt. Die Neuvermietungs- und Wiedervermietungsmieten sinken bundesweit. Die Furcht um die Wohnung, noch vor ganz kurzer Zeit nach der Angst um den Arbeitsplatz die wichtigste Frage für die Bürger, hat beträchtlich an Bedeutung verloren. Am Sonntag konnten Sie es dem „Politbarometer" entnehmen. Statt fast 50 Prozent früher sehen heute nur noch 18 Prozent die Wohnungsfrage als eine wichtige Frage an. ({4}) Das hohe Angebot hat den Markt zugunsten der Mieter beeinflußt. Diese unbezweifelbare Tatsache hätte wenigstens ein Wort der Anerkennung durch die Sprecher der Opposition verdient. ({5}) Die Bilanz der beiden ersten Jahre weist auf der Habenseite eine geglückte Reform der Wohneigentumsförderung aus. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn nach unserem Dafürhalten gilt nach wie vor: Eigentum ist der beste Mieterschutz. ({6}) Dabei waren wir offensichtlich recht erfolgreich, und wir werden es auch in Zukunft bleiben; denn die von uns durchgesetzte Bausparförderung wird bewirken, daß wir auch in den kommenden Jahren ein erhebliches Neubauvolumen und erhebliche Investitionen im Wohneigentumsbereich haben werden. Das ist sehr, sehr gut so. Auch der Mietwohnungsbau ist durch die starke steuerliche Förderung nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes sowie durch die Regelungen des Fördergebietsgesetzes gewaltig gewesen. Die Begünstigten sind die Mieter in Ost und West. Allerdings müssen wir auf der Negativseite einräumen - wir machen es nicht so einseitig -: Die Wohngeldnovelle ist ausgeblieben. Das ist betrüblich. Der Handlungsbedarf hat sich nicht erledigt, ganz im Gegenteil: Wir wollen mit denkbar geringen Mitteln eine Strukturveränderung im kommenden Jahr erreichen. Das kommende Jahr wird spannend und den Wohnungspolitikern eine Menge an Entscheidungen von großer Tragweite abverlangen. Wir sind bereit, die nötigen Schritte für die kommenden Jahre zu gehen. Das Baugesetzbuch wird die Bereitstellung von Bauland erleichtern und Bürokratie abbauen. Wir werden dafür sorgen, daß der nicht mehr finanzierbare konventionelle soziale Wohnungsbau auf neue Beine gestellt wird. Wir werden das Konzept der einkommensabhängigen Miete im Wohnungsbaugesetz verwirklichen. Dies wird dazu führen, daß diejenigen gefördert werden, die wirklich gefördert werden müssen. Wir wollen und wir werden den Skandal der Fehlbelegung von Sozialwohnungen beenden. ({7}) Wir werden für mehr Gerechtigkeit sorgen, da eine Begünstigung derer, die bisher eine Sozialwohnung haben, gegenüber den sechsmal so vielen Menschen, die zwar Berechtigte wären, aber auf dem freien Markt nach Wohnungen suchen mußten, im Interesse der zielgerichteten Förderung der wirklich Bedürftigen in Schritten abgeschafft wird. Die Bedürftigen werden aber besser als bisher geschützt werden. Die Ungeheuerlichkeit der extrem differierenden Regelungen zur Fehlbelegungsabgabe in den Ländern wird beendet werden. Es ist doch ein Unding, daß der SPD-Vorsitzende Lafontaine im Saarland für die wirklich Gutverdienenden überhaupt noch keine Fehlbelegungsabgabe eingeführt hat. ({8}) Andererseits erkenne ich an, daß es in NordrheinWestfalen in der Tat eine konsequente Regelung gibt. Hingegen gibt es in meinem Heimatland Bayern ein Fehlbelegerschutzgesetz, das dazu führt - Sie werden es kaum glauben -, daß eine Familie mit drei Kindern 130 000 DM im Jahr verdienen kann, ohne eine einzige Mark Fehlbelegungsabgabe zu zahlen. Das ist nicht in Ordnung, und wir sagen das in aller Deutlichkeit auch in Richtung unseres Koalitionspartners in Bayern. ({9}) Wenn wir gutverdienende Fehlbeleger fördern, unterstützen wir damit Einkommensgruppen, die sehr wohl für sich selbst sorgen könnten und nach unserer Überzeugung auch für sich selbst sorgen müssen. Wer Eigenverantwortung keine Chance gibt, weckt Erwartungen, die der Staat nie mehr erfüllen kann und auch nicht erfüllen darf. Bedenken wir doch immer, daß jede staatliche Mark, die zusätzlich ausgegeben wird, die Nettoneuverschuldung um eine Mark erhöht. Dieses Geld müssen unsere Kinder mit Hildebrecht Braun ({10}) Zinsen zurückzahlen. Gerade bei der Schonung der Fehlbeleger leben wir auf Kosten der nächsten Generation. Wir Liberalen mißbilligen eine solche Politik. ({11}) Um das selbstgenutzte Eigentum müssen wir uns keine Sorgen machen, wohl aber müssen wir uns um den Mietwohnungsbau Sorgen machen. Die Rahmenbedingungen, die auf Grund rechtlicher Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes geändert werden müssen, machen es in Zukunft dem Mietwohnungsbau sehr viel schwerer. Es gibt schon in diesem Jahr einen Einbruch um 30 Prozent. Wir haben die große Befürchtung, daß sich diese Tendenz fortsetzen wird, und wir werden alle Kraft benötigen, um Wege zu finden, wie wir diese Tendenz, die sich zu Lasten der Mieter auswirken würde, verhindern können. Wir werden darüber natürlich im einzelnen sprechen; deswegen will ich es hier im Moment kurz machen. Aber es ist ganz klar, daß auch die leider wohl notwendige Erhöhung der Grunderwerbsteuer kein nützlicher Beitrag zugunsten des Wohnungsbaues, ({12}) auch des Mietwohnungsbaues, ist. ({13}) Ich möchte deutlich machen, daß wir im nächsten Jahr das Mietrecht nachhaltig ändern wollen. Die SPD ist aufgefordert, hier mitzumachen; denn es geht darum, Verbesserungen für Mieter und für Vermieter zu schaffen. Das Mietrecht ist veraltet, es ist zu schwierig, es ist zu kompliziert. Es gibt dem freien Wollen der Vertragspartner überhaupt keinen Raum mehr. Hier ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Der vorgelegte Haushalt konnte nicht zuletzt dank der konstruktiven Haltung unserer Haushaltspolitiker nahezu ungeschoren durch die parlamentarischen Beratungen gebracht werden. Der Haushalt stellt die rechtliche und die finanzielle Basis für die Verwirklichung der zukünftigen Baupolitik der Koalition dar. Es ist daher keine Frage: Die F.D.P. wird diesem Haushalt zustimmen. ({14})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Augen zu und durch - unter diesem Motto verliefen auch die Haushaltsberatungen im Bereich Bau- und Wohnungspolitik sowie zum Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin. Getreu diesem Motto wurden sämtliche Vorschläge der Opposition abgeschmettert. Damit bleiben notwendige Veränderungen in der Bau- und Wohnungspolitik wiederum aus. Auf der einen Seite fehlt das Geld, um die inmitten von Reichtum bestehende und wachsende Wohnungsnot und Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Auf der anderen Seite werden weiterhin Milliarden für die Vermögensvermehrung bei bereits Vermögenden und Besserverdienenden sowie für Prestigeobjekte verschleudert. Warum, Herr Minister, demontieren Sie so Ihre Glaubwürdigkeit? Einerseits plädieren Sie für eine höhere soziale Treffsicherheit beim Einsatz öffentlicher Mittel, andererseits verteilen Sie mit der Gießkanne Eigenheimzulagen von über 60 000 DM an Haushalte mit einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von bis zu 240 000 DM und hoffen auf Sikkereffekte zugunsten der Armen. Da wir nicht ruhig warten wollen, bis Sie wie die SED mit ihrer Die-Partei-hat-immer-recht-Ideologie scheitern, werden die Demokratischen Sozialisten auch zu diesem Einzelplan in der zweiten Lesung sechs Änderungsanträge einbringen. Aus Sicht der PDS sind folgende Dinge notwendig: Erstens: eine Anhebung und Verstetigung der Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Ost und West um 2 Milliarden DM. ({0}) Dies, nicht die weitere Kürzung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau, ist die Voraussetzung für eine Reform der Wohnungsförderung. Notwendig ist die verstärkte Förderung des genossenschaftlichen sowie des den Prinzipien der Gemeinnützigkeit verpflichteten Wohnungsbaus. Notwendig sind Programme zur Leerstandsbeseitigung sowie zur Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes. Die erforderlichen Mittel dafür können durch einen radikalen Abbau ungerechtfertigter Eigentumsförderung kompensiert werden. ({1}) Sie, Herr Töpfer, schaffen gegenwärtig die Grundlagen für die Abschaffung, nicht für die Neugestaltung des sozialen Wohnungsbaus. Zweitens: eine spürbare Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung. ({2}) Unser Vorschlag ist die Erhöhung der Haushaltsansätze um 80 Millionen DM für Westdeutschland und um 100 Millionen DM für Ostdeutschland. Diese Mittel sollten schwerpunktmäßig für sanierungsbedürftige Innenstädte und Großsiedlungen zur Verfügung stehen. Drittens: eine Erhöhung des Wohngeldansatzes um 1,2 Milliarden DM. ({3}) Dies ist die Grundlage, um die von der Koalition wiederholt angekündigte Wohngeldnovelle in Ost und West - diesmal zum 1. Juli 1997 versprochen - realisieren zu können. Eine Novelle, welche nicht die überfällige Anpassung des Wohngeldes an die gestiegenen Mieten in Westdeutschland mit vollzieht, verkommt von vornherein zu einer Wohngeldstreichungsnovelle. Ohne eine Änderung des Etatansatzes ist die nächste politische Lüge vorprogrammiert; meine Vorredner haben das schon mehrfach erwähnt. ({4}) Finanzierungsvorschläge sind von uns in den letzten Monaten und Jahren zur Genüge gemacht worden. Ich erinnere nur - das wurde eben angesprochen - an Eigenheimzulage, Fördergebietsgesetz, Verlust aus Vermietung und Verpachtung und Bodenspekulationen, um nur einige Schlagworte zu nennen. Liebe Kollegin Eichstädt-Bohlig, wir wollen uns hier nicht über Urheberrechte streiten. Wir haben aber bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Eigenheimzulagegesetz eindeutig darauf hingewiesen, daß wir mit der Kappungsgrenze in Höhe von 240 000 DM nicht einverstanden sind. Wir wollen diese Gelder für andere Zwecke, auch für das Wohngeld, zur Verfügung stellen. - Das wollte ich dazu noch erwähnen. Viertens: eine Korrektur des Altschuldenhilfe-Gesetzes - wie schon so oft und immer von uns gefordert - im Interesse der Mieterinnen und Mieter, Wohnungsunternehmen und Kommunen Ostdeutschlands durch Verzicht auf die Fortführung der Zwangsprivatisierung. ({5}) Eine ersatzlose Streichung des § 5 aus dem Gesetz kostet zumal kein Geld. Im Gegenteil, dabei spart der Bund sogar noch. Allein die Vergütungen an die mit der Abwicklung des Gesetzes betraute Bank, die MW, können dadurch 1997 von 12 auf 2 Millionen DM reduziert werden und in den kommenden Jahren völlig entfallen. Dies ist insgesamt eine Einsparung von zirka 82 Millionen DM. Dem stehen bisher lediglich Einnahmen aus den Verkaufserlösen im Erblastentilgungsfonds in Höhe von 52 Millionen DM gegenüber. Fünftens: eine spürbare Reduzierung der Kosten für Gutachten, Wettbewerbe und Hochbaumaßnahmen in Berlin. Durch Sparsamkeit, Verzicht auf völlig überhöhte Standards für Bürobauten und Wohnungsfürsorge - meine Kollegin Eichstädt-Bohlig hat dies alles schon angesprochen -, durch Verzicht auf solche Projekte wie Verbindungs- und Erschließungstunnel, Straßentunnel unter dem Tiergarten und ähnliche Maßnahmen könnten viele Millionen DM gespart werden. Zum Beispiel ist nicht einsehbar, warum für mindestens 10 Millionen DM in Berlin eine neue bundeseigene Kita gebaut werden soll, obwohl in unmittelbarer Nähe des Reichstages bis zu zehn Kitas vor der Schließung und die dort beschäftigten, hervorragend qualifizierten Mitarbeiterinnen vor der Arbeitslosigkeit stehen, weil es ein Überangebot an Kita-Plätzen gibt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Unser letzter Antrag befaßt sich mit dem Palast der Republik. Aber leider habe ich keine Zeit mehr dafür. ({0}) Wir werden Ihrem Etat nicht zustimmen. Danke schön. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit gebe ich dem Abgeordneten Otto Reschke das Wort.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Wohnungsbau und die Wohnraumversorgung in Deutschland gibt es, wenn ich einmal von der F.D.P. absehe, zwei große Gefahren. Die erste Gefahr besteht in der anhaltenden Krise in der Bauwirtschaft. Ein Einbruch von 30 Prozent im Mietwohnungsbau ist eine Größenordnung. Es ist vorausgesagt worden, daß die Konjunktur in diesem Bereich insgesamt um 4 Prozent sinkt. Die noch größere Gefahr aber ist die Politik der Bundesregierung und die des Bauministers. Herr Minister, an dem, was Sie im Parlament abgeliefert haben, gibt es nichts zu loben. Das wohnungspolitische Programm der Kohl-Regierung lautet: Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus, Abschaffung des sozialen Mietrechts, Aufgeben des Bestandes an Sozialwohnungen, Aufgeben der Wohnungsfürsorge des Bundes, Kahlschlagprivatisierung von 400 000 Wohnungen in Bundesbesitz bzw. Bundesbeteiligungen. Unter dem Vorwand der Einkommensorientierung plant Herr Töpfer derzeit die Zerschlagung der sozialen Wohnungspolitik, die eines der Gütezeichen unseres Sozialstaates ist. ({0}) Die Folgen sind drastische Mieterhöhungen und die Verlagerung der Kosten auf die Länder und Kommunen, die auch noch ein Zusatzwohngeld bezahlen sollen, wie gefordert wird. Das schlägt ausgerechnet der Bauminister vor, der monatelang über die notwendige Wohngelderhöhung schwadronierte, die 1994 kommen sollte, 1995 ausblieb, 1996 auf jeden Fall kommen sollte - ich sehe sie auch 1997 noch nicht, Herr Bauminister. Das Wohngeld nicht erhöhen, dafür aber den sozialen Wohnungsbau abschaffen wollen - was für ein Zynismus, Herr Töpfer! Ich glaube, schlimmer geht es nicht mehr. Für die SPD kann ich entschieden sagen: Finger weg von den Sozialmieten, Herr Minister! Dies sage ich deutlich auch der F.D.P. Was wir brauchen, sind bezahlbare Wohnungen und keine Freigabe der Mieten. ({1}) Die Koalition kümmert sich weder um die langfristigen finanziellen noch um die sozialen Auswirkungen der Töpfer-Pläne. Bis zum Jahr 2000 werden kaum noch Sozialwohnungen im Bestand vorhanden sein. Hatten wir 1980 noch 25 Prozent Sozialwohnungen im Mietwohnungsbestand - 1990 waren es 19 Prozent -, sind es 1996 nur noch 11 Prozent. Dies sind deutliche Spuren einer Politik, die darauf hinweisen, daß der soziale Wohnungsbau plattgemacht werden soll. Ihnen geht es nur ums Plattmachen des sozialen Wohnungsbaus - ausschließlich aus ordnungspolitischen Gründen. Sozialpolitik vernachlässigen Sie einfach. ({2}) Dafür werden dann auch noch falsche Statistiken herangezogen. Daß im Bundesgebiet 42 Prozent aller Wohnungen fehlbelegt seien, ist doch eines von den vielen Märchen des Herrn Töpfer. Die Zahl der Fehlbeleger liegt in NRW, dem Land mit den meisten Sozialwohnungen, bei 11 Prozent - übrigens gezählt bei den Wohnungsämtern. Herr Töpfer, hören Sie endlich auf, im Land Lügen zu verbreiten und Sozialmieter öffentlich als Absahner hinzustellen. Dies ist ungerecht. Dies ist eine unerträgliche Demagogie. ({3}) Herr Braun, Fehlbelegung ist kein Skandal, sondern richtet sich nach der Einkommensentwicklung, die wir zu akzeptieren und auch zu respektieren haben. Wir sollten uns über Einkommenssteigerungen eigentlich freuen. Plattmachen - das zeigt sich auch bei der Privatisierungspolitik der Bundesregierung. ({4}) Im Hauruckverfahren sollen Wohnungen privatisiert werden, um Geld für den Bundeshaushalt einzulösen. Über die Auswirkungen auf Miethöhen, Immobilienpreise und Baukonjunktur, wenn zwei Nettobaujahrgänge auf den Wohnungsmarkt geworfen werden, wird erst gar nicht nachgedacht. Den Städten und Gemeinden empfehlen Sie den Ankauf von Belegungsbindungen. Das ist wohl mehr als höhnisch. Aber Sie selbst wollen 400 000 mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen verhökern. Was für eine schäbige Moral steckt hinter dieser Politik der Bundesregierung, die Sozialwohnungen wie Aktienpakete abstößt?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Reschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hildebrecht Braun?

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Reschke, ist Ihnen bekannt, daß Ihre Parteifreunde in München allein in dieser Stadt 1 512 Kinder als auf der Straße lebend oder in Pensionen oder in Notunterkünften untergebracht festgestellt haben? Wenn es Ihnen bekannt ist: Wie können Sie sich dann noch darüber freuen, daß wir in allen Städten, natürlich auch in München, fehlbelegte Sozialwohnungen haben, die eigentlich für diese Kinder genutzt werden könnten?

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich meine, dümmlicher kann man eine Frage wohl nicht stellen. Entschuldigen Sie, wenn ich das sage. Ich habe gesagt: Eigentlich sollten wir uns über eine soziale Einkommensentwicklung freuen und nicht darüber, daß irgendwo eine Fehlentwicklung besteht. ({0}) Ich möchte auf die 400 000 Wohnungen, die verhökert werden, zurückkommen. Sozialwohnungen sind keine Aktienpakete, die man einfach abstößt, um im Bundeshaushalt wieder liquide zu werden. Die SPD lehnt es ab, die staatliche Verantwortung für die Wohnungspolitik zu einem Restposten verkümmern zu lassen. Deshalb haben die Länderbauminister zu Recht die Einführung der einkommensorientierten Miete im Bestand verworfen. Sogar das Kanzleramt hält die Vorschläge von Herrn Töpfer für eine Privatmeinung. Was der bayerische Innenminister sagt, ist eine deutliche Markierung. Herr Töpfer, Sie sollten Ihre Pläne mit den Experten beraten, die dazu ein wenig mehr zu sagen haben. Ich sage ganz deutlich: Nur die Fehlbelegungsabgabe stellt zukünftige Investitionen im sozialen Wohnungsbau sicher und hat sie in den letzten Jahren eigentlich erst sichergestellt. Dieses erfolgreiche Instrument abschaffen zu wollen, ohne eine zuverlässige Nachfolgeregelung parat zu haben, ist töricht, dumm und gefährlich, Herr Töpfer. ({1}) Ziehen Sie Ihre Pläne zurück! Verunsichern Sie nicht weiter Mieter und Investoren in der Bauwirtschaft! Die SPD will an einem dritten Wohnungsbaugesetz mitarbeiten, will alle Instrumente der Wohnungspolitik zusammenführen, um eine verantwortliche Wohnungspolitik zu bekommen, die bezahlbare Wohnungen für breite Schichten schafft, das soziale Mietrecht sichert, die steuerliche Förderung konzentriert und die Eigentumsförderung weiter verbessert, wie es notwendig ist.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. - Zur Eigentumsförderung sage ich ganz deutlich: Es ist schon ein Witz, wenn die in diesem Jahr eingeführte Eigenheimzulage jetzt durch eine bis zu 2 Prozent betragende Erhöhung der Grunderwerbsteuer konterkariert wird. Zwei, drei Förderjahrgänge werden im Grunde kaputtgefördert.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage ganz deutlich: Wir sollten einen Appell an alle richten, die Grunderwerbsteuer nicht zu erhöhen. Den Etat des Bauministers lehnt die SPD ab. Wir fordern, die unsoziale Politik auch in diesem Bereich zu beenden. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Reschke, Sie haben im Laufe Ihrer Ausführungen dem Bundesminister vorgehalten, Lügen zu verbreiten. Ich möchte Sie dringend ersuchen, hier keine Formulierungen zu wählen, die außerhalb dieses Hauses als Beleidigung gelten. Damit gebe ich dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Professor Dr. Klaus Töpfer, das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Ich danke Ihnen, Herr Präsident, sehr nachhaltig für das, was Sie eingangs gesagt haben. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich manche Verfahrensweisen am besten dadurch ad absurdum führen, daß man sie möglichst weit verbreitet. ({0}) Herr Kollege Reschke, wer mit dem Hinweis ernstgenommen werden will, gemeinsam etwas voranzubringen, sollte sich vorher überlegen, was er dazu sagt. Sonst wird er mit diesem Hinweis auf eine gemeinsame Lösung nicht ernstgenommen werden. ({1}) Ich möchte das mit aller Nachdrücklichkeit gesagt haben. Ich darf mich zunächst ganz herzlich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses bedanken. Ich bedanke mich bei den Berichterstattern für diesen Einzelplan: bei Kollege Pützhofen, bei Herrn Koppelin, bei Herrn Metzger und bei Herrn Niese. Wenn man mit Herrn Niese spricht und kein Mikrophon eingeschaltet ist, ist es ungleich einfacher, inhaltlich zu diskutieren. Da kommt man ein gutes Stück gemeinsam voran. Deswegen danke ich ihm auch an dieser Stelle trotz der drei „T" ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit. ({2}) - Dies darf man sicherlich hinzufügen. ({3}) - Ich sage das in aller Offenheit und Ehrlichkeit. Es ist doch nichts Schlimmes dabei. Ganz im Gegenteil: Ich will dazu beitragen, daß wir an irgendeiner Stelle wieder zu dem zurückkommen, was eigentlich in den letzten zwei Jahren die Baupolitik bestimmt hat, daß nämlich alles, was wir gemacht haben, hinterher einstimmig im Bundesrat verabschiedet wurde, obwohl wir vorher auch sehr intensiv über den besten Weg diskutiert haben. Dies möchte ich mir nicht verbauen. ({4}) - Na, immerhin. Das ist doch gar nicht mal so schlecht. Dies wollte ich zumindest vorab gesagt haben. Ich danke dem Kollegen Pützhofen in ganz besonderer Weise für das, was er auch zur Einhaltung des Berlin-Zeitplans gesagt hat. Es ist ganz, ganz wichtig, daß von den Haushältern einmal gesagt wird: Eine Verschiebung kann nur dazu führen, daß Glaubwürdigkeit und Kosten in Frage gestellt werden. Das sollten wir nicht tun. An manchen Stellen habe ich bei Frau EichstädtBohlig wirklich den Eindruck, daß sie sich in dem Moment, wo sie weiß, daß die Mehrheiten für die richtigen, aber schwer zu vermittelnden Entscheidungen feststehen, die Freude macht, die Minderheitsmeinung zu vertreten, weil das schlagzeilenträchtiger und auf jeden Fall auch populistischer ist. ({5}) Wir sollten auch noch einmal überlegen, ob dies in der Auseinandersetzung über den besten Weg wirklich sinnvoll ist. Zur Wohnungspolitik, meine Damen und Herren: Es ist ganz sicherlich unstrittig, daß die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Wohnungspolitik und der Baupolitik insgesamt gewaltig sind. Wir haben im letzten Jahr über 500 Milliarden DM verbaut. Das sind zwei Drittel der Bruttoinvestitionen in Deutschland. Es ist gleichzeitig ein bedeutsamer Beitrag zur Erhaltung des sozialen Friedens in unserem Land. Dazu gehört in besonderer Weise, daß wir ausgewogene Bewohnerstrukturen in lebenswerten Städten erhalten. Deswegen kann es nur richtig sein, daß wir uns in der Zukunft noch stärker bemühen, die Brücke, die Verbindung zwischen der Städtebauförderung und der Wohnungsbauförderung weiterzuentwickeln und tragfähig zu machen. Ich bin für das, was Herr Kollege Kansy in seiner Intervention gesagt hat, sehr dankbar. Es ist eine sinnvolle Fortentwicklung, daß wir verfügbare Mittel gerade dafür einsetzen. ({6}) - Die kleine Brücke ist immer die erste Bedingung, daß man auf die andere Seite kommt. Wir können möglicherweise später noch gemeinsam stärkere Brücken bauen. Meine Damen und Herren, der Etat des Bundesbauministeriums liegt mit 10,49 Milliarden DM um 6,65 Prozent über dem verfügbaren Soll des Vorjahres. Ziehen wir die umzugsbedingten Kosten davon ab, sind wir bei 9,225 Milliarden DM und damit 1,55 Prozent über dem Soll des letzten Jahres. Wer vor diesem Hintergrund den Haushältern nicht ein Wort des Dankes sagen kann und nicht glaubt, daß dadurch eine die Beschäftigungs- und Konjunktursituation konterkarierende Entwicklung gefordert wird, muß sich wirklich fragen lassen, ob man in einer solchen Zeit bessere Signale setzen kann. Daß all dieses immer noch besser sein kann, ist ganz unstrittig. ({7}) Ich möchte zumindest auf eines hinweisen: Als wir vor einem Jahr und auch in der Zwischenzeit diskutiert haben, ist mir von der Opposition immer gesagt worden: Wahrscheinlich werden die Städtebauförderungsmittel ganz gestrichen. Lesen Sie einmal nach, was dazu gesagt worden ist. Die Städtebauförderungsmittel betragen wie im letzten Jahr 600 Millionen DM. Das ist, glaube ich, in einer solch schwierigen Zeit ein gutes Ergebnis. ({8}) Wir setzen den Schwerpunkt weiterhin mit 520 Millionen DM für die neuen Bundesländer. Ich bin dankbar, daß wir mit 70 Millionen DM aus dem sozialen Wohnungsbau eine Möglichkeit haben, um auch in den neuen Bundesländern diese Aufgabe verstärkt zu verknüpfen. Wenn wir diesen Weg weitergehen, sind wir ganz sicherlich gut beraten. In einer Zeit, wo permanent gesagt wird, das Wohngeld sinkt, ist darauf hinzuweisen, daß es hier Mehrausgaben gibt und daß wir gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung in 1996 600 Millionen DM mehr Wohngeld ausgeben, als vorgesehen war. ({9}) - Ich sage doch nur, daß es nicht gesunken ist, Herr Großmann. Die Ursachen sind uns allen bekannt. Deswegen wollen wir eine Strukturnovelle des Wohngeldes, auch in Übereinstimmung mit den Bundesländern, die doch ebenfalls gezwungen sind, sparsam mit den Steuermitteln umzugehen, und deswegen fragen, ob wir nicht in einer solchen Situation eine bessere Struktur des Wohngeldes haben können. Darüber sind wir uns doch einig. ({10}) Wir haben die Wohnbauförderung sehr wirksam, so glaube ich, vorangebracht. Die Zahl der Bauanträge belegt dies. Wir haben die Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes ebenfalls gemeinsam umgesetzt. Wir haben eine umfassende Novelle des Baugesetzbuches, der Baunutzungsverordnung und des Raumordnungsgesetzes in die parlamentarische Diskussion eingebracht. Wir haben ebenso das Wohngeldüberleitungsgesetz einvernehmlich im Bundesrat verabschiedet und wir werden eine Strukturnovelle des gesamtdeutschen Wohngeldes auf den Weg bringen. Meine Damen und Herren, wenn wir in dieser Zeit Wohnungspolitik und Baupolitik betreiben, bedeutet das sicherlich mehr, als nur über Geld zu sprechen. Wir brauchen eine grundlegende Neuausrichtung des Wohnungsbauförderungsrechts und seine Fortentwicklung zu einem Wohnungsgesetzbuch mit Instrumenten, die den heutigen wohnungspolitischen Problemlagen wirklich gerecht werden. Erforderlich ist also eine umfassende Novelle des aus dem Jahre 1956 stammenden Wohnungsbaurechts, die mehr als ein Bereinigungsgesetz sein muß. Meine Damen und Herren, daß das notwendig ist, wird sehr deutlich durch das bestätigt, was der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft und der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und andere erklären. Alle sagen, geht jetzt mit Nachdruck an eine Novelle der Wohnungsbauförderung heran. Dies tun wir nicht gegen, sondern mit den Fach- und Sachverständigen, lieber Herr Kollege Reschke. ({11}) Damit Herr Kollege Reschke weiß, wie breit der Sachverstand ist, den wir heranziehen, darf ich einmal zitieren. Herr Reschke kommt, wie Sie wissen, aus dem schönen Essen. Rot-Weiß ist wieder in der zweiten Liga. ({12}) - Schwarz-Weiß ist besser. Das hätte ich aber von mir aus nicht gesagt, weil mir das dann möglicherweise als politische Aussage interpretiert worden wäre. Sie wissen, Essen liegt in Nordrhein-Westfalen, wo in der Koalition mit der SPD gegenwärtig ein Grüner Bauminister ist, der Herr Kollege Vesper. Er hat vor wenigen Tagen auf einer Fachtagung folgendes gesagt - ich zitiere aus seiner Rede -: Mein erster Eindruck - zu dem Gesetzentwurf, den wir ihm als Arbeitsgrundlage übersandt haben, Herr Reschke ist, daß es bei näherem Hinsehen eine große Menge von Gemeinsamkeiten gibt. Ich möchte hier die wesentlichen nennen: ({13}) - Vielleicht hören Sie einmal zu. Erstens. Auch der Bundesbauminister tritt für die Fortführung der Objektförderung ein. Er will sich für eine Verstetigung der entsprechenden Bundesmittel einsetzen. Zweitens. Die Förderung soll sowohl für Mietwie für Eigentumsmaßnahmen offenbleiben. Drittens. Die Bestandsinstrumente Modernisierungsförderung und Ankauf von Belegungsrechten - eben noch als Ausgeburt schlimmster Gedanken dargestellt sollen ein größeres Gewicht erhalten. Für Herrn Vesper ist dies also die Grundlage gemeinsamen Handelns. ({14}) Die Förderung soll stärker auf die eigentlichen Zielgruppen konzentriert werden. Das ist gerade das, was wir hier als unsoziales Verhalten vorgehalten bekommen haben. Ich will das jetzt nicht weiter vertiefen. Herr Kollege Reschke, ich finde es ganz prima, daß man urplötzlich von der anderen Seite zugerufen bekommt, so falsch könne das, was wir für richtig halten, gar nicht sein. Daß wir uns über die letzte Ausgestaltung unserer Überlegungen noch weiter unterhalten müssen, ist klar, und zwar sowohl mit den Ländern als auch mit den in diesem Parlament vertretenen Fraktionen, auch mit den Koalitionsfraktionen. So ist die Situation. ({15})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Sehr gern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege Großmann.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnte es sein, Herr Minister Töpfer, daß Sie Herrn Reschke falsch verstanden haben, als er gesagt hat, es sei widersinnig, daß Sie 400 000 Bundeswohnungen aus der Bindung herausgeben und auf der anderen Seite die Gemeinden auffordern, Bindungen zu kaufen? Könnte es sein, daß Sie die Äußerungen von Herrn Vesper nur auszugsweise zitiert haben, die er auf einer Veranstaltung gemacht hat, auf der Ihre einkommensorientierte Förderung von allen vertretenen Fachleuten als völliger Holzweg bezeichnet worden ist?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Lieber Kollege Großmann, ich habe wirklich nicht die ganze Rede von Herrn Vesper vorgelesen; das ist wahr. Aber darin finden sich doch schöne Belege. Ich könnte Ihnen noch andere, umfangreichere Passagen vortragen, die das ebenfalls in überzeugender Weise bestätigen. Aber eines will ich hinzufügen - Sie wissen natürlich, worauf ich jetzt anspielen muß -: Das Herauswachsen aus der sozialen Bindung wird massiv dadurch verursacht, daß Baupolitiker in NordrheinWestfalen die Zinsen für die gezahlten Darlehen ({0}) und damit den Anreiz erhöht haben, sich endgültig aus den Sozialbindungen dieser Wohnungen zu entfernen. Das ist wirklich eine ungezielte, die sozialen Belange nicht berücksichtigende Politik, die wir nachhaltig ablehnen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-Bohlig?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Ja, bitte. Gerne.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Töpfer, können Sie, wenn Sie die Rede von Herrn Vesper vollständig lesen, meiner Feststellung zustimmen, daß es zwar sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen den grünen und schwarzen förderpolitischen Zielen der Wohnungsbauförderung gibt, daß Ihre Ziele aber gerade mit Blick darauf, worüber wir hier heute intensiv diskutieren, nämlich den Umgang mit dem Wohnungsbestand, die Abschaffung der Fehlbelegung und ihren Ersatz durch die Einführung der Vergleichsmiete mit Abstufung nach der Einkommensmiete, von Herrn Vesper abgelehnt worden sind?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, erstens muß ich darauf hinweisen, daß der entscheidende Reformschritt gerade die Frage betrifft, wie wir in der Zukunft mit dieser Problematik umgehen, sowie die Aussage, daß wir uns nicht mehr allein auf den Neubau, sondern auch auf die Bestände und die Sicherung von Belegungsrechten in Beständen konzentrieren wollen. Deshalb führen wir - neben anderem - eine kombinierte Förderung durch. Das ist der zentrale Ansatzpunkt dieses Gesetzes, über das wir diskutieren. Der zweite Punkt ist: Wie gehen wir mit den noch vorhandenen Beständen um? - Hierzu sagen uns alle Sachverständigen, daß wir mit einer Marktspaltung einen Lotterieeffekt auslösen, der gerade auf Kosten derer geht, die gegenwärtig trotz Förderberechtigung eine geförderte Wohnung bekommen. Das ist in hohem Maße unsozial. ({0}) Das wollen wir abbauen - nicht mit dem Ziel, den sozial Schwachen höhere Mieten abzuverlangen, wie Sie meinen, auch nicht mit dem Ziel, den Ländern ein zusätzliches Wohngeld aufzudrücken - denn diese bekommen doch die Mehreinnahmen aus der Neuregelung -, sondern mit dem Ziel, wirklich mehr soziale Gerechtigkeit und Zielgenauigkeit für die Zielgruppen zu erreichen, die wirklich auch heute noch unserer Hilfe dringlich bedürfen. Das - und nur das - wollen wir. ({1}) Ich will eines aufgreifen. Wer sich heute die Situation auf dem Wohnungsmarkt anschaut, der kann beim besten Willen nicht davon ausgehen, daß die Instrumente, die in den 50er Jahren entwickelt worden sind, auch noch in der Zukunft tragfähig sein werden. Es ist schon wahr: Wir haben über 1,5 Millionen Neubauwohnungen in den letzten drei Jahren fertiggestellt. Es ist mir ebenfalls ein dringendes Bedürfnis, deutlich zu machen, daß alles das, was im sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit gemacht wurde, kein Irrweg war. Aber Maßnahmen sind nicht deswegen richtig, weil sie in der Vergangenheit richtig waren. Vielmehr müssen wir fragen: Welche Ziele sind heute zu erreichen? Es geht um die Fragen der Verhinderung der Entmischung von Wohnungsbeständen und der Zielgenauigkeit in der sozialen Förderung. Genau darauf stellen wir das neue Gesetz ab. Jeder, der das nicht sieht, möchte nur polemisieren und Stimmung machen, aber er wird zur Lösung der Probleme leider nichts beitragen. ({2}) Deswegen sage ich Ihnen deutlich: Ich habe von der Wohnungspolitik, die meine Vorgängerin, Frau Schwaetzer, gemacht hat, eine hervorragende Fertigstellungsbilanz bei Wohnungen übernehmen können. ({3}) Denn die 1,5 Millionen fertiggestellten Wohnungen sind nicht das Ergebnis der Politik, die ich zu vertreten habe. Wir müssen uns jetzt fragen, wie wir diese quantitativen Entwicklungen mit Blick auf die Probleme, die vor uns liegen, weiterführen können. Das werden wir ganz sicher mit allem Nachdruck tun. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6223 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6277 auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6278 auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6309 auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6310 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6311 auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des restlichen Hauses abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6312 auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6315. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionfraktionen, von Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6316. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 25 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe jetzt auf: Haushaltsgesetz 1997 - Drucksachen 13/6026, 13/6027 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({0}) Michael von Schmude Dr. Wolfgang Weng ({1}) Dietrich Austermann Karl Diller Oswald Metzger Es liegen zehn Änderungsanträge vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6224? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6225? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6226? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6227? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6287? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6288? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6303? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6305. Vor der Abstimmung hat die Kollegin Dr. Christa Luft die Gelegenheit zur Abgabe einer Erklärung zur Abstimmung.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Folgende Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten möchte ich abgeben: Ich stimme für den Antrag der PDS ({0}) - ja, hören Sie zu; ich könnte schon fertig sein, wenn Sie zuhören würden -, vorgelegt am 27. November, also gestern. Dieser Antrag hat offenbar ins Schwarze getroffen und wird Schaden abwenden von den Bundesländern und von der Bundesanstalt für Arbeit. ({1}) Ich stimme für diesen Antrag der PDS, weil er das Original ist und offensichtlich auf seiner Grundlage am 28. November, also heute, ein SPD-Antrag - und daran anschließend ein interfraktioneller Antrag, übrigens ohne Begründungsteil - entstand. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen des Hauses, endlich einmal über ihren Schatten zu springen und dem ursprünglichen Antrag - der Grundlage des nachgeschobenen Antrages - zuzustimmen und die Zustimmung nicht zu verweigern. ({2}) Ich jedenfalls werde mein Abstimmungsverhalten nicht davon abhängig machen, aus welcher politischen Ecke ein Antrag kommt, sondern davon, ob er vernünftig ist. Danke schön. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/6305. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß ihr Änderungsantrag auf Drucksache 13/6342 durch den interfraktionellen Änderungsantrag auf Drucksache 13/6349 ersetzt wurde und somit erledigt ist. Deshalb kommen wir jetzt zum gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/6349. Ich bitte diejenigen, die diesem interfraktionellen Änderungsantrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei einigen Gegenstimmen aus den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angenommen. Wer stimmt für das Haushaltsgesetz 1997 einschließlich des Gesamtplans in der Ausschußfassung und der soeben beschlossenen Änderung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Haushaltsgesetz 1997 ist damit in zweiter Beratung mit den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, in Abweichung von der Tagesordnung und trotz Annahme des Änderungsantrages in zweiter Beratung jetzt unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann stelle ich fest, daß das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen ist. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt II auf: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsgesetzes für das Haushaltsjahr 1997 ({0}) - Drucksachen 13/5200, 13/5836, 13/6001 bis 13/6025, 13/6026, 13/6027 Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Hörster.

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich beantrage, die Beratung dieses Tagesordnungspunktes auf morgen, 8.30 Uhr zu vertagen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Hörster hat für die CDU/CSU-Fraktion beantragt - der Kollege Struck erklärt sich durch Zuruf einverstanden; vorn Bündnis 90/Die Grünen, von der F.D.P. und der PDS vernehme ich ebenfalls Zustimmung -, die Beratung dieses Tagesordnungspunktes auf morgen zu vertagen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 - Drucksachen 13/5201, 13/5836, 13/6028 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({1}) Dietrich Austermann Dr. Wolfgang Weng ({2}) Karl Diller Oswald Metzger Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 13/6028? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. November 1996, 8.30 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.