Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Hans „Johnny" Klein, unser Vizepräsident, Kollege und Freund, ist nicht mehr unter uns. Er ist gestern nachmittag an den Folgen eines schweren Herzinfarktes gestorben. Journalist, Diplomat, Politiker - ein überzeugter und überzeugender Demokrat, der in seinen zahlreichen Aufgaben unserem Land an hervorragender Stelle gedient hat, ist für immer von uns gegangen, mitten aus dem aktiven politischen Leben heraus.
20 Jahre lang war Hans Klein Mitglied des Deutschen Bundestages, seit sechs Jahren Vizepräsident dieses Parlaments. Parlamentarier, das war „Johnny" Klein vor allem dank seiner Lust und Fähigkeit, mit Herz und Verstand für die wichtige politische Sache zu streiten. Dieser vielseitige Politiker wollte überzeugen durch scharf formulierte Argumente, geistreich und geschliffen, hart und profiliert im Wort, aber stets im Respekt vor der Meinung des Andersdenkenden.
Er hat in verschiedenen Ämtern die Politik der Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet und auf seine ganz besondere Weise ihr Bild im Ausland geprägt. Hans Klein ist „heiter durch ein ernstes Leben geschritten".
Geboren wurde er 1931 in Mährisch-Schönberg im Sudetenland. Dort besuchte er das Gymnasium, dort erlebte er 1945 den Einmarsch der Roten Armee und die Vertreibung aus der Heimat. Bereits als Kind verlor er Vater und Mutter; später wurde er mit seinen Brüdern nach Wallerstein im Nördlinger Ries ausgesiedelt.
Nach Abschluß der Schule in Heidenheim absolvierte er ein Zeitungsvolontariat, studierte als Stipendiat Geschichte und Volkswirtschaft in England und bereitete sich beim Nestor der deutschen Publizistik, Professor Emil Dovifat, auf seine künftige berufliche Tätigkeit als Journalist vor. Schreiben, das war seine Liebe und blieb seine Leidenschaft.
In diesem Beruf arbeitete er für verschiedene deutsche und ausländische Zeitungen in Bonn, bevor er sich dazu entschied, als Presseattaché bei den deutschen Botschaften in Jordanien, Syrien, dem Irak und in Indonesien tätig zu werden. Aus vielen persönlichen Gesprächen mit ihm wissen wir, wie sehr ihn
diese Zeit im Ausland politisch und menschlich geprägt hat. Sein Denken war bei aller heimatlichen Verbundenheit international.
Seine Einschätzungen politischer Entwicklungen vor allem im Nahen Osten waren für seine zahlreichen Gesprächspartner von größter Bedeutung. Seine Freunde in der arabischen Welt haben ihn, den klar abwägenden und in der Sache kompetenten Diplomaten und Politiker, hoch geschätzt.
Bundeskanzler Ludwig Erhard berief Hans Klein 1965 zu seinem Pressereferenten. Sieben Jahre später wurde er als Pressechef der Olympischen Spiele von München einer breiten Öffentlichkeit bekannt, eine Aufgabe, die er nach dem verbrecherischen Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in äußerst schwieriger Situation mit größter Umsicht meisterte.
Seine aus persönlicher Erfahrung und intensiver Beschäftigung mit den Fragen des Nahen und Mittleren Ostens erworbene Vertrautheit mit den komplexen Problemen dieser Region führte ihn mit Franz Josef Strauß und der CSU zusammen. 1972 ist er der CSU beigetreten. Für seine Partei gewann er 1976 den Wahlkreis München-Mitte direkt und engagierte sich als Mitglied des Deutschen Bundestages vor allem für Fragen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, um 1982 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zu werden.
Bundeskanzler Helmut Kohl berief ihn 1987 als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in sein Kabinett, eine Aufgabe, die ihn auch über seine Amtszeit hinaus fesselte und nie wieder losließ. Sein Einsatz galt der Förderung von Eigeninitiative und der nachhaltigen Unterstützung von Schlüsselprojekten in den armen und ärmsten Ländern der Welt. Der in seiner Amtszeit durchgeführte Erlaß der Schulden dieser Länder wird immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Darauf war er stolz.
1989 übernahm er als Bundesminister für besondere Aufgaben das Amt des Sprechers der Bundesregierung, das er bis zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl ausübte.
1990 wurde er als Nachfolger von Richard Stücklen mit großer Mehrheit zum Vizepräsidenten des DeutPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
schen Bundestages gewählt. In diesem Amt hat „Johnny" Klein Maßstäbe für das parlamentarische Miteinander gesetzt. Es war ihm wichtig, dazu beizutragen, verhärtete Positionen und starre Fronten immer wieder zu lockern. Er empfand es als selbstverständlich, den Respekt voreinander auch bei noch so widerstreitenden Meinungen nicht zu verlieren.
Kompetenz und Schlagfertigkeit, Stilgefühl, Strenge, vor allem viel Humor und Gelassenheit kennzeichneten den Führungsstil unseres Kollegen. Er war ein energischer Verfechter parlamentarischer Prinzipien.
Mit ihm haben wir eine Persönlichkeit verloren, die in der Heimat verwurzelt und in der Welt zu Hause war. Als Sudetendeutscher vergaß er nie die Probleme und Belange seiner mit ihm vertriebenen Landsleute. Wahrheit war für ihn die Grundlage der Versöhnung. Er war Politiker und Parlamentarier, um die Dinge in der Welt zum Menschlicheren zu wenden. Hans Klein hat sich um den Deutschen Bundestag verdient gemacht.
Wir denken an unseren Kollegen in Dankbarkeit und mit großem Respekt. Wir denken in dieser Stunde vor allem auch an seine Frau und seine drei Kinder. Ihnen gilt unser tiefes Mitgefühl. Wir alle trauern um ihn.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterbrechen die Sitzung bis 9.30 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort, und ich rufe die Einzelpläne 04, 05 und 14 auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997
({0})
- Drucksachen 13/5200, 13/5836 - ({1})
Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({2}):
Einzelplan 04
Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 13/6004, 13/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Roland Sauer ({3}) Dr. Wolfgang Weng ({4})
Antje Hermenau
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 13/6005, 13/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Erich Riedl ({5})
Ina Albowitz
Antje Hermenau
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 13/6014, 13/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Dietrich Austermann Jürgen Koppelin
Dr. Wolfgang Weng ({6})
Ernst Kastning Oswald Metzger
Es liegen insgesamt 14 Änderungsanträge vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache fünf Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die öffentliche Debatte der letzten Wochen verfolgt, erlebt eine Regierung auf der Jagd nach den Sündenböcken. Die Gewerkschaften sollen schuld daran sein, daß die Situation in Deutschland schwierig ist, mal ist es der Bundesrat, mal die SPD, jetzt sind es neuerdings sogar die Arbeitgeber, im Zweifel auch noch die Globalisierung oder die Europäische Union. Könnte es nicht, Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung selbst sein?
({0})
Beschleicht Sie nicht manchmal der Verdacht, daß Sie selbst die Probleme schaffen, deren Gegenwart Sie beklagen?
({1})
Können Sie nicht endlich zu Ihrer Verantwortung stehen und sie wahrnehmen?
({2})
Wissen Sie, daß Fehler gemacht werden - auch in der Politik, auch von einzelnen, sogar von uns -,
({3})
das ist ganz normal. Das Problem aber ist, daß Sie mit einer solchen Sturheit an Ihren Fehlern festhalten.
({4})
Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Sie verantworten den Zustand dieses Landes. Sie verantworten die hohe Arbeitslosigkeit. Sie verantworten die hohe Steuerbelastung. Sie verantworten den Mangel an Ausbildungsplätzen. Sie verantworten den Mangel an Gerechtigkeit. Stellen Sie sich endlich Ihrer Verantwortung, anstatt nach Ausflüchten zu suchen.
({5})
Es ist, Herr Bundeskanzler, ein Prinzip Ihrer Politik geworden, überall da auszuweichen, wo mutige Entscheidung gefordert ist, überall da Illusionen zu erzeugen und Menschen zu täuschen, wo Klarheit und Orientierung erforderlich wären. Das war 1990 so; das war 1994 so; das ist heute wieder so.
Dabei wären bessere Wege durchaus möglich: Wege, um Arbeit zu schaffen und Ausbildung zu gewährleisten, Wege, um Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten und wieder zu stärken, Wege, um diesem Land einen wirklichen Fortschritt zu ermöglichen, anstatt es immer neuen Belastungen auszusetzen.
({6})
Diese Regierung ist keine zukunftsträchtige Einrichtung mehr; sie ist eine schwere Hypothek für die Zukunft geworden.
({7})
Allerdings wird im Nein der Opposition zu Ihrer Politik auch sichtbar, was man für die Zukunft besser machen könnte - Arbeit schaffen, Ausbildung ermöglichen.
({8})
Sie kommen immer und sagen, Deutschland müsse im Interesse seiner Wettbewerbsfähigkeit jetzt mit den Löhnen, mit den sozialen Standards heruntergehen. Das sagen Sie in einem Land, das wie keine andere Region auf der Erde vom und mit dem Export lebt, den höchsten Anteil des Exports pro Kopf der Bevölkerung und sehr gute Entwicklungen der Handels- und Leistungsbilanz aufweist. Das alles ist eigentlich in der Gegenwart vernünftig. Die Frage bleibt: Hält das auch für die Zukunft, und was tut die Regierung, damit die Wettbewerbsfähigkeit, die Kraft Deutschlands, seine Fähigkeit zur Solidarität, die Möglichkeit zur Verantwortung erhalten bleibt?
Meine Damen und Herren, die Regierung versäumt die Erfüllung ihrer Aufgaben in der Gegenwart, und das ist bitter für eine wachsende Zahl von Menschen in Deutschland.
({9})
Sie mißbraucht die Globalisierung, die unzweifelhaft stattfindet, als Vorwand für Konfrontation in Deutschland, anstatt sie für die internationale Kooperation und die gemeinsame Verantwortung zu nutzen.
({10})
Man könnte sofort beginnen, und ich will Ihnen vorschlagen, die Belastung der Arbeit endlich wieder zu reduzieren, die Belastung der Arbeitsplätze, die Belastung der Arbeitseinkommen mit immer neuen Beiträgen zur sozialen Sicherheit, die auf diese Weise nicht finanziert werden dürfen.
Es war und bleibt ein Grundfehler Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, den Beitragszahlern über die Sozialversicherung zuzumuten, was Sie aus Feigheit vor dem Steuerzahler versäumen wollen. Das bleibt der Grundfehler.
({11})
Deshalb sind Sie, so unbestritten Ihre Verdienste um die deutsche Einheit sind, dabei, aus dem Glück der staatlichen Einheit ein wirtschaftliches und soziales Unglück zu machen.
Wir schlagen Ihnen vor, die versicherungsfremden Leistungen sofort aus den Sozialversicherungen herauszunehmen und sie fair und unter Beteiligung aller zu finanzieren.
({12})
Wir schlagen Ihnen vor, sofort den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um ein Drittel, den Beitrag zur Rentenversicherung in einem ersten Schritt um einen Prozentpunkt zu senken. Wir weisen Sie darauf
hin, daß nach Auskunft aller Wirtschaftsforschungsinstitute und vieler Unternehmer die Senkung der Lohnnebenkosten pro Punkt Lohnnebenkosten 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze erbringt, unser Vorschlag also die Schaffung von 300 000 bis 400 000 Arbeitsplätzen ermöglicht.
({13})
Wir schlagen Ihnen vor, diese großangelegte erste Operation zur Entlastung der Arbeit, der Arbeitsplätze und der Arbeitseinkommen mit einem neuen Gesprächsangebot an die Tarifpartner zu verbinden.
Was Sie gemacht haben, Herr Bundeskanzler, ist eine üble Täuschung. Sie haben zunächst die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer zu einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung eingeladen; dann haben Sie nach dem Ende der Wahlkämpfe im März den Gewerkschaften ins Gesicht geschlagen und die
soziale Konfrontation in Deutschland heraufbeschworen, die wir jetzt erleben.
({14})
Verlassen Sie diesen Weg; er ist nicht klug, er belastet die Zukunft, er grenzt Menschen aus. Es gibt bessere Möglichkeiten.
Einer der Wegweiser in eine menschenfreundliche, solidarische, den Zusammenhalt stärkende Zukunft ist die Entlastung der Arbeitsplätze und der Arbeitseinkommen, ist ein neues Gespräch mit den Gewerkschaften, ist die Kombination von Entlastung auf der Seite der Beiträge zur Sozialversicherung mit vernünftiger Zurückhaltung bei den Lohnforderungen, ist eine aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik und ist der Versuch, dies dann vernünftig durch Abbau von Subventionen, Steuervergünstigungen und einen fairen Lastenausgleich in Deutschland zu finanzieren.
Das zweite ist die Ausbildung. Die Bundesregierung, die sich über schwierige Entwicklungen beschwert und neuerdings auch Arbeitgeber zu Sündenböcken zu machen sucht, hat in den letzten fünf Jahren ihrer Amtszeit die Zahl der eigenen Ausbildungsplätze auf eine dramatische Weise reduziert.
({15})
Sie sind wahrlich alles andere als ein glaubwürdiger Verfechter der Idee, jedem Jugendlichen eine Ausbildung zu geben.
({16})
Ich habe von diesem Pult aus mehrfach darüber gesprochen, daß bei allem Streit über Haushaltszahlen oder über die Ideen der Politik bitte niemals außer acht geraten darf, was die Entscheidungen der Politik für einzelne Menschen in Deutschland bedeuten. Können Sie sich vorstellen, was es heißt, wenn ein 15jähriges Mädchen oder ein 15jähriger Junge 20, 40, 60, 80, 100 Bewerbungen schreibt, zum Arbeitsamt und zur berufsbildenden Schule geht und dann 20, 40, 60, 80, 100 Absagen bekommt? Damit bekommen sie jedesmal die Bestätigung: Du wirst nicht gebraucht; wir wollen dich nicht; sieh zu, wie du zu Rande kommst!
Wenn Sie sich dann so verhalten, wie Sie das tun, dann ist das unerträglich in bezug auf die Zukunft dieses Landes. Das schlägt der Jugend ins Gesicht. Das muß geändert werden.
({17})
Also schlagen wir Ihnen vor, eine wirksame Garantie auszusprechen, damit jeder junge Mensch in Deutschland eine Ausbildung findet. Also schlagen wir Ihnen vor, diejenigen zu entlasten, die dieser Verantwortung für die Zukunft gerecht werden, und jene an dieser Aufgabe für die Zukunft mindestens
finanziell zu beteiligen, die sich bisher der Verantwortung für die Zukunft verweigern.
({18})
Ich füge hinzu: Das sagen wir einer Regierung, die völlig unglaubwürdig geworden ist, die die Belastung mit Lohnnebenkosten beklagt und die im selben Atemzug die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht, die die Mängel bei der Jugend, die sich in Gewalt, in Alkoholismus, in Drogen und anderem ausdrücken, beklagt und im selben Atemzug die Garantie der Ausbildung verweigert. Das müßte jedem Konservativen auf der Seele brennen; er dürfte nicht so kalt darüber hinweggehen, wie Sie das tun.
({19})
Wir schlagen Ihnen drittens vor, den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen, Recht und Ordnung durchzusetzen. Es ist ja einer der aktuellen Konflikte innerhalb Ihrer Koalition, daß noch nicht einmal jene Menschen zu Beiträgen für die Rentenversicherung und andere Sozialversicherungen herangezogen werden können, die neben einer normalen Tätigkeit auch noch eine Zweittätigkeit ausüben und für diese zweite Tätigkeit keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten. Wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer höhere Lasten zumuten, wo Sie doch selbst zu feige sind, wenigstens denen einen Beitrag abzuverlangen, die einer Zweittätigkeit ohne Sozialversicherungspflicht nachgehen?
({20})
Haben Sie noch eine Vorstellung davon, was das bedeutet und daß es in einem Land wie Deutschland auf Dauer zur Kündigung des Gesellschaftsvertrages führt, wenn Sie immer weniger Arbeitnehmern in den normalen Arbeitsverhältnissen immer höhere Belastungen zumuten und wenn auf der anderen Seite mittlerweile schon 6 Millionen Menschen stehen, die außerhalb von normalen Arbeitsverhältnissen arbeiten?
Also schlagen wir Ihnen vor, diesen Zustand zu ändern und gleichzeitig zur Beitragsentlastung derjenigen Menschen beizutragen, denen jetzt Arbeit gestohlen wird, gestohlen durch illegale Beschäftigung, gestohlen durch Scheinselbständigkeit.
Immer und vor allen Dingen geht das zu Lasten der Frauen.
({21})
So, wie die Arbeitslosigkeit vor allem weiblich ist, ist auch die daraus entstehende Armut vor allem weiblich. Eine Partei wie die Christlich Demokratische Union, die von ihrem eigenen Anspruch her etwas mehr sein sollte als das, was Sie heute durch Ihr Handeln zum Ausdruck bringen, kann doch auch nicht dem Ideal anhängen, daß irgendwo zwischen Küche, Kirche und Kindererziehung allein das Wohl gefunden werden und die Zukunft Deutschlands gestaltet werden kann. Sorgen Sie in Ihrer Politik für die prakRudolf Scharping
tische Gleichberechtigung der Frauen, nicht nur in Ihren Sonntagsreden!
({22})
Schließlich viertens: die Würde einer Demokratie, die Stabilität einer Demokratie, die Ideen, die am Anfang dieser Bundesrepublik Deutschland standen und in die Verfassung gegossen wurden. Die Verpflichtung des Staates, jedes Menschen Würde und Freiheit gleichermaßen zu schützen, diese Verpflichtung mißachten Sie, wenn Sie nicht gleichzeitig endlich wirksame Schritte gehen, die wir Ihnen auch vorschlagen, nämlich der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Haben und Sagen, der Beteiligung an den wachsenden Vermögen in Deutschland.
Es darf so nicht weitergehen, daß sich der Bundesfinanzminister - dem ich gute Besserung wünsche - hier hinstellt und von einer symmetrischen Finanzpolitik spricht, was sich ja ganz schön anhört, und daß am Ende die Symmetrie dieser Politik nur darin besteht, daß die Arbeitslosigkeit steigt, die Verschuldung steigt und gleichzeitig die Steuern auch noch steigen.
Diese Form von Symmetrie ist eine Belastung im Dreiklang für die Menschen in Deutschland, und wir brauchen Entlastung auf allen drei Seiten statt immer neue, zusätzliche Belastungen.
({23})
Herr Bundeskanzler, in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde häufig für Lohnzurückhaltung geworben mit dem Argument knapper Gewinnspannen. Heute gibt es eine neue Kombination. Es gibt anerkannt hohe Unternehmensgewinne, die wir nicht beklagen, aber wir beklagen, daß sie nicht mehr investiert werden, was Folge einer Politik ist, die Sachinvestitionen schlechter behandelt als Finanzanlagen.
({24})
Aber die neue Kombination besteht darin, daß die anerkannt hohen Unternehmensgewinne jetzt gekoppelt werden mit der Forderung nach deutlichen realen Lohneinbußen bei den Arbeitnehmern und einem Rückbau des Sozialstaates.
Wer diese Politik der sozialen Desintegration, des sozialen Auseinandertreibens fortsetzt, der gefährdet nicht nur die historische Erfahrung, die kluge Vernunft, er gefährdet auch die politische Stabilität. Ich weiß sehr wohl, daß dieses Gift aus dem Glauben, der globale Wettbewerb erfordere den Abbau des Sozialstaates,
({25})
am Ende nichts anderes bedeutet als das Außerkraftsetzen jeder Politik. Wer für den globalen Wettbewerb und seine Realität nur die Antwort der gesellschaftlichen, der sozialen Konfrontation in Deutschland hat, der hat nicht verstanden, worauf die Wettbewerbsfähigkeit, die wirtschaftliche Kraft, der soziale Friede in Deutschland eigentlich beruhen.
({26})
Und da, wo man Ziele setzen, Regeln schaffen, Grundlagen erhalten und festigen, Leistungen ermutigen und Hoffnungen befördern müßte, da tun Sie nichts.
Ich erinnere mich sehr gut Ihrer Regierungserklärung vor knapp zwei Jahren. Wenn man sie liest, dann liest sich das wie ein politisches Märchenbuch.
({27})
Nichts davon ist geschehen, nichts davon ist eingetreten.
Sie haben beispielsweise zugelassen, daß der eine Minister - der steht jetzt in sehr kurzem Hemd da - als Zukunftsminister bezeichnet wurde. Niemals, niemals zuvor hat eine Bundesregierung in so kurzer Zeit so rabiat alles abgebaut, was der Zukunftsvorsorge Deutschlands dienen sollte, niemals!
({28})
Sie haben bei Forschung und Entwicklung wie bei vielem anderen - ich will das gar nicht alles aufzählen - rabiat abgebaut, in dem irrigen Glauben, das könne am Ende bei der Konsolidierung helfen. Sie häufen eine Hypothek auf die andere!
Wie wollen Sie rechtfertigen, daß die Hochschulen mit diesem Haushalt so belastet bleiben, wie es jetzt der Fall ist? Wie wollen Sie rechtfertigen, daß die neuen technischen Möglichkeiten nicht mehr so vorangebracht werden, wie es der Fall sein müßte? Wie wollen Sie eigentlich vor sich selbst bestehen und vor Ihren eigenen Worten? Die Unglaubwürdigkeit dieser Regierung ergibt sich aus der tiefen Kluft zwischen Ihren Ankündigungen und Ihren Taten.
({29})
Also schlagen wir Ihnen ein gemeinsames Zukunftsprogramm für die Hochschulen vor. Wir akzeptieren ausdrücklich, daß Leistung, daß die Bildung von Eliten in Deutschland notwendig ist und gefördert werden muß; aber es sollte beim gleichen Zugang für alle bleiben. Sie haben zu vertreten, daß der Anteil der Kinder aus Arbeitnehmerfamilien an den deutschen Hochschulen wieder auf einen dramatischen Tiefstand gesunken ist. Sie haben zu verantworten, daß die Begabungen nicht mehr ausgeschöpft werden. Sie haben zu verantworten, daß Deutschland im Welthandel mit den forschungsintensiven Produkten deshalb immer deutlicher zurückfällt.
({30})
Also schlagen wir Ihnen auch vor, mehr zu tun für die Finanzierung eines nachhaltigen Wirtschaftens und für gute Rahmenbedingungen. Das geschieht zur Zeit nicht. Die ökologische Modernisierung der deutschen Wirtschaft ist das entscheidende Zukunftsprojekt. Wer dann einwendet, das koste Geld, dem kann ich nur eines sagen: Mit der Regierung Kohl ist Deutschland zur geistigen Provinz verkommen.
({31})
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika lädt die Regierung zusammen mit den Wirtschaftsforschungsinstituten die 100 größten Unternehmen ein. Sie halten eine gemeinsame Tagung über die soziale Verantwortung der Unternehmen ab. In Japan lädt die Regierung die großen Unternehmen ein, um eine gemeinsame Vision der nachhaltigen Modernisierung der Wirtschaft zu entwickeln, unter Rücksichtnahme auf die künftigen Generationen durch Schutz der Lebensgrundlagen. Sogar in Großbritannien ist das der Fall. Lord Dahrendorf meldet sich zu Wort und sagt völlig zu Recht: Alle westlichen Industriegesellschaften stehen vor der gleichen Herausforderung, nämlich das prekäre Gleichgewicht aus wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Zusammenhalt und politischer Demokratie zu bewahren und zu stärken.
Wir in Deutschland aber haben eine Regierung, die nicht versteht und nicht hinschaut, was in den USA, was in Japan, was in der Europäischen Union geschieht, sondern die den Menschen in Deutschland immer noch einredet, sie müßten ihre sozialen Rechte zur Seite legen, um wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Mensch aber ist mehr als nur ein wirtschaftliches Wesen, und Leistung ist mehr als das, was betriebswirtschaftlich meßbar ist.
({32})
Damit Fortschritt möglich wird und damit solche Wege geebnet werden, schlagen wir Ihnen nicht nur eine durchgreifende ökologische Modernisierung, nicht nur eine Entlastung der Hochschulen, nicht nur eine bessere Studienorganisation, einen großen Konsens zwischen Bund und Ländern vor - beispielsweise in einem neuen Hochschulrahmengesetz -, sondern auch, daß der Staat selbst endlich mit der Modernisierung seiner Tätigkeit beginnt.
Auch darüber gibt es zwischen uns Streit. Es ist ganz erstaunlich, zu sehen, daß von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes weitreichende Reformvorschläge kommen, während der Bundesinnenminister vor dem Beamtenbund und den dort versammelten Interessen kuscht.
({33})
Es ist ganz interessant zu sehen: Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Staat ist mehr als Verwaltung, die Organisation von Abgaben und irgendeine Form von Hierarchie. Wir wollen ein Dienstrecht, in dem die Leistung zählt, nicht die Dienstaltersstufe.
({34})
Wir wollen, daß Spitzenpositionen im öffentlichen Dienst auf Zeit und nach Qualifikation besetzt werden, nicht nach Parteibuch.
({35})
Wir wollen, daß in Deutschland endlich die Leistung wieder zählt,
({36})
auch im öffentlichen Dienst.
({37}) - Sie lachen wie die ertappten Sünder!
({38})
Das ist außerordentlich bezeichnend. Sollen wir einmal anfangen, die Bundesregierung durchzugehen? Sollen wir das einmal tun?
({39})
Sollen wir uns einmal bis auf die Ebene der Abteilungsleiter anschauen, wie das aussieht?
({40})
Ich sage Ihnen einmal eines: In der Regierung sitzen viel zu viele, die Sie nur aus Versorgungsgründen da hingesetzt haben.
({41})
Sie haben in der Regierung doch Leute sitzen, die nicht wegen ihrer Leistung dort sitzen. Sie haben davon doch ganze Brigaden von Menschen in der Regierung sitzen, neben vielen anderen, die sorgfältig ihre Arbeit tun und vernünftig etwas für das Land tun.
({42})
Vornedran haben Sie diejenigen gesetzt, die wegen ihrer Parteibücher dahin sollten. Die Spitze der Regierung ist das beste Beispiel dafür, daß Leistung überhaupt nicht zählt.
({43})
Das ist doch der Punkt.
({44})
Ich hatte davon gesprochen, daß Arbeit und Ausbildung der eine Wegweiser in die Zukunft seien.
Herr Kollege Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?
Aber bitte schön! Beim Kollegen Hirsch ist das immer in Ordnung.
Vielen Dank, Herr Kollege Scharping. - Zu Ihrer Rede läßt sich ja manches sagen. Ich bin ganz sicher, daß das ganze Haus gegen Ämterpatronage ist.
({0})
Sind Sie, wenn Sie hier mit dem Finger auf die eine Seite zeigen, bereit, mit uns zusammen auch einmal die Ministerien aller Bundesländer durchzugehen und zu sehen, wie dort die Ämter verteilt sind?
({1})
1st es nicht so, daß, wenn Sie mit einem Finger auf die eine Seite zeigen, drei Finger auf Sie zurückzeigen?
({2})
Verehrter Herr Kollege Hirsch, zunächst ein Wort zu mir selbst: Ich, der ich diesen Vorwurf erhebe, habe in dem öffentlichen Amt, das ich dreieinhalb Jahre bekleidet habe,
({0})
in der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz zwei Abteilungsleiter weiterbeschäftigt, die mir ihre Entfernung aus dem Dienst angeboten hatten.
({1})
- Entschuldigung! Zunächst einmal reden wir hier über die Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. Ich werfe dieser Regierung vor, daß sie jede politische und persönliche Glaubwürdigkeit verspielt hat.
({2})
Es handelte sich um treue CDU-Mitglieder und sehr gute Beamte. Ich habe überhaupt nichts dagegen - wie sollte ich auch? -, daß es Menschen gibt, die ihre politische Überzeugung in der CDU ausdrükken. Das ist völlig in Ordnung. Ich habe aber etwas dagegen, daß der Brauch, der in dieser Regierung Usus geworden ist, weiter gepflegt wird,
({3})
nämlich daß vom Finanzminister bis zu den Abteilungsleitern fortwährend Leute auf Positionen gesetzt werden, die nicht die erforderliche Qualifikation mitbringen, sondern die ausschließlich wegen
der CDU-internen Seilschaften dort hingesetzt werden.
({4})
Zum Thema zurück: Neben der Arbeit und neben dem Fortschritt wollte ich Ihnen einen dritten Weg vorschlagen, der mit der Zukunft unseres Landes zu tun hat, nämlich einen modernen Sozialstaat, der zuverlässig finanziert ist und Gerechtigkeit gewährleistet.
({5})
Sie haben in den letzten Tagen den Beitrag zur Rentenversicherung erhöht. Wir schlagen Ihnen vor, die Beiträge zur Rentenversicherung ausschließlich an den Leistungen zu bemessen, für die Beiträge eingefordert worden sind und in Zukunft eingefordert werden. Wir schlagen Ihnen vor, die versicherungsfremden Leistungen auch aus der Rentenversicherung herauszunehmen. Wir schlagen Ihnen vor, eine soziale Grundsicherung zu ermöglichen, die das bürokratische Nebeneinander des heutigen Sozialstaats in Würde und zur Sicherung der Freiheit der betroffenen Menschen durchforstet. Wir schlagen Ihnen das ausdrücklich vor.
({6})
Wir schlagen Ihnen vor, das Steuerrecht zu durchforsten, es an Leistung und Gerechtigkeit zu orientieren und den Dschungel wegzuschaffen, den das heutige Steuerrecht darstellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben sich in den letzten Wochen heftig wegen der Senkung des Solidaritätszuschlages gestritten. Ich will Sie von dieser Stelle ausdrücklich davor warnen, einen faulen Kompromiß zu suchen nach dem Motto: Der Solidaritätszuschlag sinkt um x, und dafür werden zur Finanzierung die Abschreibungsbedingungen verschlechtert.
({7})
Sie haben in der Vergangenheit schon häufig diesen verhängnisvollen Ausweg gesucht. Sie haben die Sachinvestitionen in Deutschland, die wir zur Schaffung von Arbeitsplätzen dringend brauchen, immer zugunsten der bloßen Finanzanlage zu belasten gesucht.
Dieser Weg darf nicht fortgesetzt werden. Statt dessen sollten wir ein Steuerrecht entwickeln, das für den Normalverdiener einfach, gerecht und durchschaubar ist, niedrige Steuersätze enthält, die Steuersubventionen und Steuervergünstigungen soweit wie möglich streicht und damit zu mehr Gerechtigkeit, Durchsetzbarkeit und Durchschaubarkeit des Steuerrechtes beiträgt.
Wir schlagen Ihnen eine neue Arbeitsmarktpolitik vor. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Mehrheit etwas beschlossen, was vom Bundesrat vermutlich nicht akzeptiert wird. Sie haben das Reform genannt.
Sie haben das gute Wort der Reform durch ihre jahrelange Tätigkeit immer weiter entwertet.
({8})
Da Sie auf der Suche nach den Sündenböcken häufig auf den Bundesrat zu sprechen kommen, will ich Ihnen folgende Zahl zur Kenntnis geben. Der Bundesrat hat bei genau 31 von 201 Gesetzesbeschlüssen des Bundestages den Vermittlungsausschuß angerufen. Das sind 15 Prozent der hier im Bundestag verabschiedeten Gesetze. In der Wahlperiode 1972 bis 1976 wurde er bei 20 Prozent,
({9})
in der Wahlperiode 1976 bis 1980 bei 22 Prozent angerufen.
({10})
Von den 31 Anrufungen des Vermittlungsausschusses wurden 19 von den CDU/CSU-regierten Ländern initiiert oder unterstützt.
({11})
Ich sage das auch mit Blick auf die Beratungen des neuen Arbeitsförderungsgesetzes: Wissen Sie, was Sie hier anrichten? Sie machen 300 000 bis 400 000 Menschen zusätzlich arbeitslos. Sie gehen ein hohes menschliches, ein hohes politisches und übrigens für Ihren Haushalt auch ein hohes finanzielles Risiko ein. Das halten wir für falsch.
Wir wollen, daß die Arbeitsmarktpolitik örtlich verankert wird, daß die Tarifpartner an ihr beteiligt werden und daß die Gemeinden nicht zum Schuttabladeplatz Ihrer verfehlten Politik gemacht werden.
({12})
Wir wollen, daß im Rahmen einer solchen neuen Arbeitsmarktpolitik aus Leistungsempfängern wieder Leistungsträger werden.
Ich schlage Ihnen außerdem vor, im Rahmen dieser Politik für mehr Investitionen, für die höhere Attraktivität von Sachinvestitionen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen die Gewerbekapitalsteuer und die Doppelbesteuerung bei der Vermögensteuer in einem Zug zu beseitigen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist bereit, die entsprechenden Änderungen des Grundgesetzes mitzutragen.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie werden entscheiden müssen, ob die Attraktivität der Sachinvestitionen, die Attraktivität der Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den höheren Stellenwert hat. Wenn Sie, wozu Sie angeblich entschlossen sind, über die Abschaffung der gesamten Vermögensteuer den finanziellen Spielraum verbrauchen, den wir für neue Arbeitsplätze und bessere Sachinvestitionen benötigen, dann ist das Ihre alleinige Verantwortung. Wir machen Ihnen offiziell dieses Angebot. Gehen Sie darauf ein!
({13})
Im Rahmen eines modernen Sozialstaates wird die Förderung von Familien und Kindern besser sein, als sie heute ist. Es war schon ein schlimmer Kampf, die Förderung der Familien zu verbessern und das Kindergeld von 70 DM auf 200 DM anzuheben.
Lassen Sie mich das einmal so sagen: Die Regierungspolitik hat viele Mängel. Sie werfen uns immer vor, alternativlos zu sein. Ich setze unsere Vorschläge dagegen. Ich füge hinzu: Der einzige Erfolg, mit dem Sie sich schmücken können, ergibt sich aus der Beharrlichkeit der Sozialdemokratie in Bund und Ländern. Wir haben ein höheres Kindergeld durchgesetzt. Wir haben den steuerlichen Grundfreibetrag durchgesetzt. Das ist-unser Erfolg, und es war in den letzten zwei Jahren der einzige Erfolg für die Zukunft des Landes.
({14})
Meine Damen und Herren, ich warne Sie davor, das bewährte Gesundheitswesen in Deutschland zu zerschlagen.
({15})
Was Herr Seehofer tut, ruiniert die Selbstverwaltung, es ruiniert die Freiheit und die Verantwortung der am Gesundheitswesen Beteiligten. Es ruiniert die Qualität der medizinischen Versorgung. Sie werden den entschlossenen Widerstand der SPD in Bund und Ländern zu spüren bekommen: Wir wollen nicht, daß man am Lächeln eines Menschen erkennen kann, wie dick sein Portemonnaie ist. Die Gesundheitsvorsorge darf nicht von der Dicke des Portemonnaies der Menschen abhängig werden.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Deutschland sind Verbesserungen möglich. Man kann Arbeit schaffen und Ausbildung ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die finanzielle Belastung der Arbeitsplätze zu senken. Dazu ist es notwendig, Recht und Ordnung am Arbeitsmarkt durchzusetzen. Dazu ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital sinnvoll.
Man kann einen modernen Sozialstaat befestigen und erneuern. Dazu ist es notwendig, die Lohnnebenkosten zu senken, die Sozialversicherungen von versicherungsfremden Aufgaben zu befreien und eine soziale Grundsicherung einzuführen. Dazu ist es notwendig, das Steuerrecht zu reformieren, und dazu ist es notwendig, für die Familien, für die Kinder und deren Zukunft mehr zu tun als bisher.
Man kann in Deutschland Fortschritt ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die Innovationen und die Ausbildung zu stärken, die Ängstlichkeit vor neuen Entwicklungen zu besiegen sowie Mut und Hoffnung zu machen. Wir brauchen die besten Schulen - übrigens auch die besten Hochschulen der Welt -, wenn wir uns in Zukunft behaupten wollen. Es geht nicht
darum, billiger zu sein als andere. Es geht darum, besser zu sein als andere.
({17})
Globalisierung ist eine Herausforderung, kein Anlaß für innergesellschaftliche Konfrontation. Europäische Integration ist die Antwort auf die Erfahrungen der Geschichte und das einzig wirksame Zukunftskonzept.
Ein modernes Deutschland, das seine Menschen wieder ernster nimmt, gibt im eigenen Land die beste Antwort. Chancen zu managen, anstatt Risiken aufzuhäufen, Vertrauen zu stärken, anstatt Mißmut über die Politik zu fördern, die Sicherheit zu kräftigen, anstatt Ängste auszunutzen - es gibt einen besseren Weg.
Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Sie haben diesem Land 14 Jahre mit einem sehr gemischten Ergebnis zu dienen versucht. Eines aber ist klar: Ihre Zeit läuft ab.
({18})
Die Zeit einer Regierung, die seit der deutschen Einheit - mehr, als jemand ahnen konnte - Menschen belastet und Hypotheken für die Zukunft aufgehäuft hat, geht zu Ende.
Wir wollen für die Menschen in Deutschland einen realistischen, einen hoffnungsvolleren, einen besseren Weg. Er ist möglich, und er wird durchgesetzt werden, spätestens 1998.
({19})
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, ich habe versucht, aufmerksam zuzuhören
({0})
- aber mein Versuch hat weiter getragen als bei Ihnen; ich habe genau gezählt, wie viele Wörter ich bis zu Ihrem ersten Zwischenruf aussprechen kann -, aber viel Neues habe ich nicht zu hören bekommen.
({1})
Ich will, damit wir uns darüber verständigen können, in Kürze das rekapitulieren, was Sie vorgeschlagen haben, und mich dann damit auseinandersetzen. Sie haben vieles ein paarmal genannt, insbesondere die versicherungsfremden Leistungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Es war Ihr Hauptvorschlag, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um ein Drittel Prozentpunkt und den Rentenversicherungsbeitrag um einen Prozentpunkt zu senken. Offenbar sollen die Leistungen auf den Bundeshaushalt übertragen werden. Das sind 40 Milliarden DM, die wir durch Steuern finanzieren müssen.
({2})
- Doch, das haben Sie gesagt.
Dann haben Sie gesagt, man solle das auch durch den Abbau von Subventionen finanzieren. Aber da warte ich noch immer auf die Antwort von Herrn Lafontaine - die er mir in der letzten Debatte verweigert hat -, warum Sie im Bundesrat den Abbau von Steuervergünstigungen für Schiffbau und Flugzeuge blockiert haben.
({3})
Zweitens haben Sie gesagt, man solle eine Ausbildungsplatzabgabe einführen. Darüber wird zu diskutieren sein; ich will mich gleich damit auseinandersetzen.
({4})
- Entschuldigung, Sie haben das doch gerade beschlossen.
({5})
- Das ist ja noch schöner.
Verzeihen Sie, Herr Kollege Scharping: Ihr zweiter Vorschlag war, die Lasten der Ausbildung finanziell gleichmäßiger zu verteilen.
({6})
Das haben wir bisher als Ausbildungsplatzabgabe
verstanden. So haben Sie es am Montag beschlossen.
({7})
- Sie haben offenbar ein schlechtes Gewissen gegenüber Ihren eigenen Vorschlägen. So ist es wohl.
({8})
- Herr Verheugen, bitte geben Sie Ihr Schreien einen Moment auf! Sie haben das beschlossen, und Sie haben es hier in die Debatte eingeführt.
Ihr dritter Vorschlag war, Sachinvestitionen steuerlich zu entlasten. Dann sollten wir nun wirklich endlich die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer abschaffen.
({9})
Als viertes haben Sie vorgeschlagen, Bund und Länder sollten ein gemeinsames Programm für die Hochschulen machen. Wir werden über das Hochschulrahmengesetz und dergleichen mehr miteinander reden. Wenn es da Bereitschaft gibt, ist das gut.
Darüber, daß in den Hochschulen vieles verbesserungsfähig ist, besteht Konsens. Aber die prioritäre Verantwortung der Bundesländer für die Bildungspolitik steht außer Frage.
Dann haben Sie in diesem Zusammenhang gesagt, die Bundesrepublik Deutschland sei zur geistigen Provinz verkommen.
({10})
Herr Scharping, ich weiß nicht recht, ob man wirklich auf diesem Niveau diskutieren sollte. Ich will das einmal so stehenlassen.
Als nächstes - und damit waren Ihre Vorschläge zu Ende, wenn ich aufmerksam zugehört habe - haben Sie gesagt, man solle im öffentlichen Dienst Spitzenpositionen auf Zeit vergeben.
({11})
Auch darüber kann man mit Fug und Recht unterschiedlicher Meinung sein. Aber das Argument derjenigen, die gegen die Vergabe von Spitzenpositionen im öffentlichen Dienst auf Zeit sind, ist doch, daß man besorgt ist, daß dadurch die Einfallstür breiter wird, um nach parteipolitischen und nicht nach sachlichen Gesichtspunkten Spitzenpositionen zu vergeben.
Herr Kollege Scharping - der Kollege Hirsch hat es Ihnen in seiner Zwischenfrage gesagt -, daß die Sozialdemokraten aber gegenüber CDU/CSU und F.D.P. in der Parteibuchpersonalwirtschaft einen Nachholbedarf hätten, haben wir heute wirklich zum erstenmal gehört. Lächerlicher kann man sich nicht machen.
({12})
Die Probleme sind ja seit der letzten Debatte dieselben geblieben. Wir haben eine zu hohe Arbeitslosigkeit und ringen um die Antwort auf die Frage, wie wir in unserem Land auf Veränderungen reagieren können und müssen, die in der Gesellschaft, in der industriellen Arbeitswelt und in der Welt um uns herum stattfinden: die Globalisierung der Wirtschaft, die technologische Revolution, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, und die Veränderung in der Altersschichtung unserer Bevölkerung, die man demographische Entwicklung nennt. Diese Fragen sind geblieben, nur finde ich, Ihre Antworten werden von Debatte zu Debatte noch älter.
({13})
Es macht wirklich keinen Sinn - das haben Sie im steuerpolitischen Teil Ihrer Ausführungen wieder getan -, wenn wir auf solche dramatischen Herausforderungen in unserem Lande in erster Linie mit Verteilungsdebatten antworten. Wir brauchen mehr zum Verteilen und nicht eine Verteilungs- und Neiddebatte in unserem Lande.
({14})
Nein, wir müssen die Wachstumskräfte stärken, Frau Kollegin Matthäus-Maier. Wir müssen wettbewerbsfähiger werden. Deswegen sind am Anfang Verteilungsdebatten falsch.
Ich glaube nicht, daß die Antworten der politischen Linken auf die Probleme unserer Zeit die richtigen sind. Ihre Antwort auf ein entdecktes Problem ist noch immer, neue Steuern und Abgaben, noch mehr Bürokratie und noch mehr kollektive Regelungen zu fordern.
({15})
- Aber natürlich!
({16})
Wenn Sie das Problem mangelnder Ausbildungsplätze in unserem Lande durch eine neue Abgabe lösen wollen, dann ist das der Ruf nach neuen Abgaben und noch mehr Bürokratie.
({17})
Das Ergebnis werden weniger Ausbildungsplätze sein.
({18})
Sie sind mit Ihren kollektiven, zentralistischen und bürokratischen Lösungsversuchen
({19})
weit hinter dem Stand der gemeinsamen Gespräche zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften zurück. Sie haben im übrigen im Januar viel Kraft investiert, um die Gewerkschaften von dem Weg des Dialogs und von der Diskussion mit Wirtschaft und Bundesregierung abzuhalten.
({20})
Ich will es Ihnen an einem Beispiel zeigen. Die gemeinsame Erklärung von Bundesregierung, Spitzenrepräsentanten der Wirtschaft und der Gewerkschaften kann gar nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden: Politik, Regierung und Parlament, die Wirtschaftsverbände, die Gewerkschaften und die Tarifpartner haben sich ja zur Erhöhung der Chancen für mehr Arbeitsplätze am 23. Januar 1996 gemeinsam darauf verständigt, was jeder in seinem Bereich zu tun hat. Die Politik kann die Arbeitsplätze nicht schaffen. Sie kann die Rahmenbedingungen gestalten. In jener gemeinsamen Erklärung ist festgehalten worden, was jeder tun soll. Wir, die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P., haben Schritt für Schritt und Punkt für Punkt umgesetzt, was in jener gemeinsamen Erklärung vom Januar festgehalten worden ist.
Soweit wir durch den Bundesrat nicht blockiert worden sind, ist es inzwischen auch Gesetz geworden.
({21})
Der Schlüsselpunkt in jener gemeinsamen Erklärung - das ist auch meine Überzeugung - ist die Verringerung des öffentlichen Anteils am Bruttoinlandsprodukt, also die Verringerung der sogenannten Staatsquote, die der Bund, die Länder, die Gemeinden und die Sozialversicherungen in unserem Land in Anspruch nehmen. Als Ziel steht in der gemeinsamen Erklärung, daß die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf einen Stand zurückgeführt werden muß, den wir vor der Wiedervereinigung erreicht hatten.
Sie wissen, daß wir in den achtziger Jahren, seit dem Amtsantritt der Regierung Helmut Kohl, die Staatsquote von über 50 Prozent auf 45,7 Prozent im Jahre 1989 zurückgeführt haben. Diesen Stand müssen wir wieder erreichen. Das geht aber nur, indem wir bei den Ausgaben von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen kürzertreten. Was das Kürzertreten bei Ausgaben anbetrifft, machen Sie nicht einen einzigen Vorschlag, auch nicht in Ihrer Rede. Sie machen andere Finanzierungsvorschläge, aber keine Sparvorschläge. So können wir die Staatsquote nicht senken.
({22})
Auf welcher Basis Ihre Vorschläge beruhen, kann man wunderbar an der Rede erkennen, die der SPD-Vorsitzende Lafontaine auf dem Parteitag der SPD am Montag dieser Woche gehalten hat.
({23})
- Das ist ja in Ordnung; ich will gerade daraus zitieren.
({24})
- Nein, Herr Scharping, das wäre ein bißchen zuviel verlangt. Wir haben vorhin Ihre Rede ruhig angehört. Wenn ich jetzt die ganze Rede von Lafontaine verlesen würde, wäre das ein bißchen viel.
({25})
- Hören Sie doch einen Moment zu!
({26})
In dem verteilten Exemplar des Manuskripts dieser Rede von Herrn Lafontaine, die an die jungen Menschen gerichtet war, ist auf der letzten Seite zu lesen:
Laßt mich an einem Beispiel erklären, worum es geht: Nehmen wir an, .. .
- dann nennt er einen Namen; den nenne ich jetzt nicht, irgend jemand habe 10 000 DM. Er steckt sie nicht in den Sparstrumpf oder trägt sie auf die Bank, sondern kauft seiner Frau ... ein schönes Schmuckstück.
Jetzt hören Sie zu: Dann hat die Frau
... ein Schmuckstück und der Juwelier 10 000 DM. Dieser geht zum Installateur und erwirbt für 10 000 DM eine neue Badezimmerausstattung. Der Installateur hat die 10 000 DM und der Juwelier die neue Badezimmerausstattung. Der Installateur trägt sein Geld zum Anstreicher und läßt seine Wohnung renovieren. Der Anstreicher hat die 10 000 DM und der Installateur eine neu renovierte Wohnung.
({27})
Der Anstreicher kauft seiner Frau einen Kleinwagen für 10 000 DM. Der Autohändler hat 10 000 DM. Die Frau des Anstreichers hat ein neues Auto.
Und so weiter. So Lafontaine am Montag dieser Woche. Mein lieber Mann!
({28})
- Ja, das ist vollständig.
({29})
- Das will ich Ihnen sagen: Das ist die Geschichte von Hans im Glück.
({30})
Wissen Sie, was in der Realität passiert? Wenn der Mann, der die 10 000 DM hat, das Schmuckstück kauft, dann hat der Juwelier nicht einmal mehr 5 000 DM, nachdem er Steuern und Abgaben bezahlt hat.
({31})
Wenn der Juwelier anschließend von den 4 000 DM, die ihm verbleiben,
({32})
eine Badezimmerausstattung kauft, dann bleiben dem Installateur von diesem Geld noch ungefähr 1 500 DM.
({33})
Wenn der Installateur sich von diesem Betrag einen Anstreicher leistet, bekommt er dafür höchstens eine Wand bemalt. Dem Maler bleiben dann vielleicht noch 500 DM.
({34})
Das, verehrter Herr Ministerpräsident Lafontaine, ist die Geschichte von Hans im Glück, der vor lauter Torheit aus einem Klumpen Gold einen Stein geDr. Wolfgang Schäuble
macht hat und zum Schluß auch noch froh war, daß er ihn los war.
({35})
Kennen Sie die Ursache, warum es nicht so funktioniert, wie Sie es beschrieben haben? Weil die Staatsquote zu hoch ist. Ein großer Teil geht an Steuern und Abgaben verloren.
({36})
- Der Tatbestand bleibt doch unverändert, daß sich die 10 000 DM auf dem Weg vom Juwelier zum Autohändler auf jeder Zwischenstation halbieren.
({37})
- Sie müssen ein bißchen ruhig sein.
({38})
Sie dürfen von der Bundesratsbank keine Zurufe machen, Herr Lafontaine.
Wenn man einen solchen Blödsinn redet, kann man nicht gegen die Hausordnung verstoßen und von der Bundesratsbank Zwischenrufe machen.
({0})
Das hatte ich gerade bereits gesagt, Herr Schäuble.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte mit meiner Argumentation fortfahren.
({0})
Damit der Wirtschaftskreislauf besser funktioniert, muß die Staatsquote abgesenkt werden.
({1})
Deswegen ist unsere Politik der Ausgabensenkung notwendig, damit wir mehr Arbeitsplätze und mehr wirtschaftliches Wachstum bekommen.
({2})
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Matthäus-Maier?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, wollen Sie mir nicht zustimmen, daß das, was Sie gerade vorgetragen haben, nicht die Geschichte von Hans im Glück ist, sondern die Folge Ihrer ungehemmten Erhöhung der Steuern und Abgaben auf ein Rekordniveau in diesem Land, das wir noch nie gehabt haben? Das letzte Beispiel ist die von Ihnen durchgesetzte Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages, die dazu führt, daß die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM, die wir erreicht haben, im nächsten Jahr nicht nur aufgezehrt wird, sondern ein doppelt so hoher Betrag gezahlt werden muß.
({0})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich bin in den Geschichten aus Grimms Märchen hinreichend bewandert.
({0})
Jetzt hat der Fraktionsvorsitzende das Wort. Er antwortet auf die Frage.
Wenn wir nicht zur geistigen Provinz verkommen wollen, sollten wir wenigstens noch in Grimms Märchen zu Hause sein.
({0})
- Jetzt hören Sie einmal mit Ihrer Schreierei auf, damit ich wenigstens die Frage Ihrer Kollegin beantworten kann. Was ist das denn für ein Pöbelstil?
({1})
Die Geschichte von Hans im Glück ist natürlich nicht genau die Geschichte von Oskar Lafontaine. Die Geschichte geht auch gar nicht so glücklich aus. Sie zeigt ja, wie man durch Torheit Dinge ganz furchtbar falsch machen kann.
Der ökonomische Hintergrund, Frau Matthäus-Maier, bleibt. Das wissen auch Sie. Wenn Sie 10 000 DM vom ersten Verbraucher über den Juwelier zum Installateur, Maler und zum Autohändler tragen, dann haben Sie eben nicht mehr 10 000 DM, sondern am Ende nicht einmal mehr 1 000 DM.
Zum anderen sage ich: Die Staatsquote ist zu hoch. Sie muß gesenkt werden.
({2})
- Ich gebe Ihnen wiederum die Antwort: 1982, beim Amtsantritt von Bundeskanzler Helmut Kohl, lag die Staatsquote bei mehr als 50 Prozent; 1989 lag sie bei 45,7 Prozent. Nach 1990 liegt sie inzwischen in der
Folge der Wiedervereinigung - nicht wegen der Vereinigung, sondern wegen 40 Jahren Teilung und Sozialismus - bei über 50 Prozent. Da kann sie nicht bleiben. Sie muß vielmehr gesenkt werden. Soweit ist alles unstreitig.
({3})
Gesenkt werden kann sie nur auf einem einzigen Weg, indem nämlich die Ausgaben weniger stark ansteigen als das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Sie legen keine Sparvorschläge vor, sondern fordern nur Umfinanzierungen.
({4})
- Ich habe alle Vorschläge von Herrn Scharping verfolgt. Sie haben es ja gerade gehört. Ich habe ja soeben noch einmal, wie in der Schule, eine Zusammenfassung dessen gemacht, was er gesagt hat.
({5})
Da kam kein einziger Sparvorschlag vor. Und diejenigen Sparvorschläge, die wir machen, blockieren Sie. Deswegen geht das nicht zusammen.
({6})
Man muß schon bei den dreien bleiben, also bei Scharping, Lafontaine und Schröder - er ist, wenn ich das richtig weiß, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD. Dieser war - so habe ich gehört - kürzlich in Kuba. Da hat er offenbar studiert, mit welchem Land wir noch wettbewerbsfähig sind, wenn die SPD ihre Wirtschaftspolitik verwirklichen würde.
({7})
Wegen der Zusammenarbeit mit Kommunisten hätte er ja nicht nach Kuba fahren müssen. Da hätte schon eine Reise nach Magdeburg gereicht.
({8})
Die Erregung ist jetzt hofffentlich vorbei. Ich denke, wir fahren mit der Sitzung fort. Ruhe jetzt!
({0})
Herr Scharping war letztens in Mexiko, Herr Schröder in Kuba. Man kann nur schaudernd fürchten, wo Herr Lafontaine demnächst landen wird.
({0})
Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Wenn er verspricht, daß seine Fraktion wenigstens während der Antwort ruhig bleibt, dann kann er fragen.
({0})
- Das kann er nicht.
Herr Kollege Schäuble, weil Sie offenbar Gespräche mit Fidel Castro für unangemessen halten, frage ich Sie: Halten Sie auch das Gespräch des Papstes mit Fidel Castro für unangemessen?
({0})
Herr Kollege Schily, ich will wiederholen, was ich gesagt habe. Ich habe doch überhaupt nicht kritisiert. Ich habe lediglich gesagt, er war in Kuba. Warum finden Sie das schlimm? Ich habe mir überlegt, was er da wohl getan hat. Ich habe vermutet, daß er ein Land sucht, mit dem wir auch dann noch wettbewerbsfähig wären, wenn die SPD ihre Wirtschaftspolitik verwirklichen könnte.
({0})
Ich will Ihnen gerne sagen, warum ich glaube, daß dieser Weg nicht unsere fundamentalen Probleme löst. Unsere Probleme liegen darin - ich habe das schon gesagt -, daß wir angesichts dieser dramatischen Veränderungen die Innovationskräfte stärken müssen. Ich glaube eben nicht daran, daß man mit einer immer höheren Staatsquote, mit immer mehr kollektiven Regelungen die notwendige Flexibilität, die notwendige Dynamik, die notwendige Leistungsbereitschaft und Kreativität in unserem Lande erreichen kann. Deswegen glaube ich, daß Ihre Antworten alte Antworten sind, die uns nicht in die Zukunft führen.
({1})
Ich habe im übrigen den Verdacht - vielleicht denken Sie, wenn nicht jetzt in der Debatte, dann hinterher darüber nach -, ob Sie in Wahrheit nicht selber in der Versuchung sind, den Menschen die Flucht aus der Modernität anbieten zu wollen. Schröder macht Stimmung gegen die europäische Einigung; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
({2})
Lafontaine redet davon, daß der Standortwettbewerb keine Lösung sei, schürt also die Ängste vor der Globalisierung. Aber Antworten auf den Standortwettbewerb geben sie damit nicht. Sie sagen den Menschen nur: Wenn ihr rückwärts schaut, da müßt ihr euch nicht den Herausforderungen der Zukunft stellen. Aber die Zukunft kommt.
({3})
Deswegen führt kein Weg daran vorbei, daß wir uns um mehr Investitionen in unserem Land kümmern müssen. Wir müssen für öffentliche wie für private Investitionen sorgen. Öffentliche Investitionen heißt, nicht alles zu blockieren, auch vor Ort nicht,
auch nicht durch Rot-Grün, sondern dafür zu sorgen, daß sie wirklich stattfinden. Private Investitionen heißt, die Rahmenbedingungen, insbesondere die steuerlichen, für Investitionen zu verbessern, und heißt, die Vermögensteuer und endlich auch die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Wer das blockieren will, der versagt sich den Antworten, die für die Gewinnung der Zukunft in unserem Land notwendig sind.
({4})
Wenn die Geschichte von Lafontaine einen Sinn machen soll, dann müssen wir den Leistungsaustausch verstärken, und das heißt Lohnzusatzkosten und Regulierungen abbauen und nicht dafür sorgen, daß sie immer höher werden und alles blockieren. Es nützt mir keine Statistik, in wieviel Prozent der Gesetze der Vermittlungsausschuß angerufen worden ist. Die Wahrheit ist, daß Sie im Bundesrat allein für den Bundeshaushalt 1996 Einsparungen in Höhe von 7 Milliarden DM und für den Haushalt 1997 in einer Größenordnung von 12 Milliarden DM blockiert haben.
({5})
Das ist unverantwortlich, wenn wir die Lohnzusatzkosten senken wollen.
({6})
Die Wahrheit ist, daß wir den Rentenversicherungsbeitrag nicht so stark hätten erhöhen müssen, wenn Sie nicht die notwendigen Vorschläge im Vermittlungsausschuß blockiert hätten.
({7})
- Sie werden noch wissen, welche Gesetze Sie im Bundesrat blockiert haben.
({8})
Übermorgen steht im Bundesrat das Arbeitsförderungsgesetz an. Wenn Sie es blockieren, werden wir wieder eine weniger starke Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags bekommen, als es möglich wäre.
Bei der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung haben Sie die notwendigen Kosteneinsparungen blockiert, die gesetzliche Beitragsentlastung haben Sie verweigert. Deswegen macht das alles doch keinen Sinn.
Im übrigen, Herr Scharping, ist es nicht originell, wenn Sie die Demagogie von Heim Gysi - mit einem Lächeln in seinem Gesicht - übernehmen. So weit muß die Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS ja wirklich nicht gehen.
({9})
- Es tut mir furchtbar leid: Genau dieses Argument
hat Herr Gysi in den Debatten zur Krankenkassenreform schon dreimal gebracht, und jetzt hat es Herr Scharping übernommen. Wenn Sie sich darüber empören, dann lassen Sie es doch bleiben. Lassen Sie diese Art von Demagogie doch einfach bleiben!
({10})
Was ist denn eigentlich aus der Ankündigung der Ministerpräsidentenkonferenz vom 13. Juni 1996 geworden? Die Regierungschefs der Länder werden gemeinsame Vorschläge für nachhaltig wirkende Einsparungen und einen Maßnahmenkatalog zum Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und Privilegien erarbeiten. Alles ist durch die SPD-Zentrale blockiert worden. Die Finanzminister, die Sparvorschläge erarbeiten wollten, sind auf ihrer Konferenz von Merseburg gescheitert, weil laut entsprechenden Agenturmeldungen die SPD-Minister an die Leine von Lafontaine gelegt worden sind. Das ist die Realität; und das müssen Sie aufgeben.
({11}) - Ja, natürlich.
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat klar gesagt, daß der Weg von Koalition und Regierung, der schon in der gemeinsamen Erklärung von Januar mit dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung aufgezeigt worden ist, der richtige ist, daß er aber auch durchgesetzt werden muß. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates ist ja gefragt worden. Das Gutachten können wir Punkt für Punkt durchgehen. Da werden Sie jedenfalls keine Bestätigung für Ihre Blockadepolitik erfahren,
({12})
sondern eine Bestätigung für die Richtigkeit unserer Politik.
({13})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Iwersen?
Bitte sehr.
Herr Dr. Schäuble, geben Sie zu, daß der Einfluß von SPD-Ministern entschieden größer ist als der von CDU-Ministern?
({0})
Wenn Sie die Zahl von SPD-geführten Landesregierungen meinen, haben Sie derzeit leider recht.
({0})
Deswegen macht es auch wenig Sinn, daß man in der
Bildungspolitik die Bundesregierung angreift, wenn
die Länder nicht genügend ihre Pflicht tun. Aber ansonsten kann ich den Sinn Ihrer Frage nicht ganz erkennen.
({1})
Ich würde gerne Herrn Hax, den Vorsitzenden des Sachverständigenrats, zitieren, der im Westdeutschen Rundfunk vor zwei Tagen auf die Frage „Was muß denn nach Ihrer Meinung die Bundesregierung ganz konkret tun, um die Wettbewerbssituation der deutschen Unternehmen zu verbessern?" geantwortet hat: An sich ist die Bundesregierung durchaus auf dem richtigen Weg. - Als er dann gefragt wurde: „Also weitermachen wie bisher?", hat er gesagt: „Weitermachen wie bisher" heißt, das, was bisher geplant worden ist, oder das, was bisher als Programm angelegt worden ist, auch realisieren, was nun allerdings nicht allein in der Macht der Bundesregierung steht. Was heute zum Beispiel in der Steuerpolitik geschieht, liegt ja nun in der Blockade, die im Bundesrat eingetreten ist.
({2})
Wir wissen heute zum Beispiel noch nicht, ob in den neuen Bundesländern ab 1. Januar 1997 sogar eine neue Steuer, nämlich die Gewerbekapitalsteuer, eingeführt werden muß, was wirklich ein Schildbürgerstreich wäre, was aber zwangsläufig so sein wird, wenn es nicht bald zu einer Entscheidung kommt.
Das ist in dürren Worten die Folge Ihrer Blockadehaltung, und diese müssen Sie aufgeben, wenn es um die Zukunft geht.
({3})
Wir brauchen auch im privaten Bereich mehr Leistungsaustausch. Das Beispiel vom Juwelier über den Installateur bis hin zum Maler hat viel mit privatem Bereich zu tun. Um Himmels willen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, warum blockieren Sie noch immer die steuerliche Absetzbarkeit der Beschäftigung regulärer Arbeitskräfte in privaten Haushalten? Das ist bei der Beschäftigungssituation in unserem Lande doch wirklich ein Skandal.
({4})
- Herr SPD-Vorsitzender Lafontaine, es ist wirklich nicht zu fassen.
({5})
- Ich lese Ihnen gelegentlich Protokolle Ihrer eigenen Reden aus dem Bundesrat vor, wo Sie gegen Steuersubventionen argumentieren und anschließend als Vertreter des Saarlandes den Abbau von Subventionen ablehnen. Sie haben mir beim letzten Mal eine Antwort versprochen; Sie sind sie bis heute schuldig geblieben.
Es ist wirklich nicht zu fassen, in welchem Maße das parteipolitisch-taktische Interesse der SPD inzwischen über die eigenen Länderinteressen und die gesamtstaatliche Verantwortung der Bundesratsmehrheit gestellt wird.
({6})
Wir werden diese Auseinandersetzung führen, und wir werden es Ihnen überhaupt nicht ersparen, daß wir Ihren Anteil an der Verantwortung herausstellen.
Sie werden uns nicht davon abhalten, das Notwendige zu tun. Wir werden auch die Möglichkeiten nutzen, die wir haben.
({7})
- Ja nun, das muß man der Bevölkerung auch einmal erklären. Die Bevölkerung versteht zum Teil nicht, warum das alles so lange dauert. Wir wären mit der Krankenkassenreform längst fertig, wenn die SPD nicht aus parteipolitischen Gründen eine Politik der verbrannten Erde betrieben hätte.
({8})
Deswegen müssen wir jetzt eine gesetzliche Neuregelung schaffen, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, weil dies der einzige Weg ist, um sicherzustellen, daß unser im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit weltweit führendes Gesundheitssystem auch in der Zukunft bezahlbar bleibt. Anderenfalls wird es nämlich in der Zukunft nicht mehr führend sein.
({9})
- Nein, das tun wir ja nicht.
({10})
Dasselbe gilt für die Steuerpolitik. Wir werden Schritt für Schritt da, wo unsere Möglichkeiten sind, Steuersenkungen durchsetzen.
({11})
- Ja, natürlich;
({12})
das sollte man bei der Gelegenheit auch noch einmal den Zuhörern sagen.
({13})
- Ich weiß schon, daß Sie, der Sie den Zwischenruf machen, alles daransetzen, daß das Zuhören schwergemacht wird. Aber Sie werden es nicht schaffen; bleiben Sie ganz ruhig.
Im Jahre 1996 sind die Steuereinnahmen von Bund und Ländern insgesamt um etwa 18 Milliarden DM gesenkt worden, zwei Drittel davon zu Lasten des Bundeshaushalts: im Saldo, alles gegengerechnet. Im Jahr 1997 werden die Steuereinnahmen von Bund und Ländern in einer Größenordnung von 7 bis 8 Milliarden DM - das Vermittlungsverfahren steht noch aus - gesenkt werden, gut die Hälfte zu Lasten des Bundes, weil der Familienleistungsausgleich erhöht wird.
Aber eines sage ich Ihnen auch: Die Vermögensteuer wird ab 1. Januar nächsten Jahres nicht mehr erhoben werden. Sie können machen, was Sie wollen, wir werden diese investitions- und damit auch arbeitsplatzfeindliche Steuer, die wir jetzt ohne Ihre Zustimmung abschaffen können, abschaffen. Sie wird wegfallen.
({14})
Wir werden die gesetzlichen Krankenkassen so reformieren, daß unser leistungsfähiges Gesundheitssystem auch in der Zukunft bezahlbar bleibt, und Sie werden uns daran nicht hindern.
({15})
Wir werden Ihnen für 1998 den nächsten Schritt zu maßvollen Steuerentlastungen vorschlagen,
({16})
und wir werden für 1999 eine grundlegende Reform unseres Lohn- und Einkommensteuerrechts vorschlagen. Wenn Sie die blockieren wollen, dann werden wir darüber Wahlkampfauseinandersetzungen führen.
({17})
Wir werden bis zum Frühjahr Vorschläge vorlegen, wie wir das bewährte System unserer gesetzlichen Alterssicherung auch für die Zukunft krisenfest, sicher und stabil machen. Aber auch das geht nicht mit Nichtstun und Blockade. Wenn die Menschen heute doppelt so lange im Ruhestand sind wie noch vor einer Generation, wenn sich das Verhältnis von Jüngeren und Älteren in kurzer Zeit so verändert, dann kann die Lebensarbeitszeit nicht immer weiter absinken, dann muß die Ausbildungszeit, wofür die Länder zuständig sind, verkürzt werden, und das Renteneintrittsalter muß allmählich angehoben werden.
Es hat doch keinen Sinn, die Wirklichkeit zu bestreiten. Angesichts der Veränderungen, die ja eine erfreuliche Ursache haben - die Menschen dürfen länger und in besserer Gesundheit leben -, müssen wir durch entsprechende Anpassungen dafür sorgen, daß auch in Zukunft die Rente sicher ist. Wir werden die Vorschläge dafür erarbeiten, vorlegen und auch durchsetzen.
({18})
Angesichts der Herausforderung werden wir das alles nicht schaffen, indem wir Ängste vor der europäischen Einigung schüren oder sagen: Wir steigen aus dem weltweiten Wettbewerb aus. Das ist keine Antwort. Vielmehr müssen wir unser Land für die Herausforderungen der Zukunft zurüsten.
({19})
- Das heißt, daß man auf die größere Effizienz der Eigenverantwortung, der freiwilligen Solidarität, auf das Subsidiaritätsprinzip, setzen muß. Der Weg in kollektivistische Lösungen ist 1989 vor den Augen der ganzen Welt sichtbar an zu geringer Effizienz gescheitert.
({20})
Wenn Sie die Menschen von der Verantwortung für die Nächsten, für die Probleme in Europa und in dieser Welt immer mehr entbinden wollen, wenn Sie sie vor lauter Förderung unterfordern, dann werden Sie nicht die Wachstumskräfte stärken, die wir brauchen, um auf dem Weg in das nächste Jahrhundert erfolgreich zu sein.
Wenn wir darin, auf die Zukunftsfragen angemessene, nicht immer bequeme Antworten zu geben, versagen, weil wir zu feige sind, der Wahrheit ins Auge zu sehen, dann werden wir die Grundlagen unserer demokratischen Ordnung gefährden; denn auch die Grundlagen unserer Freiheitsordnung müssen immer wieder neu bewahrt werden. Nichts in diesem Leben ist auf Dauer gesichert.
Deswegen finde ich, daß Ihre Blockadepolitik zum Beispiel im Bereich der inneren Sicherheit unverantwortlich ist. Geben Sie doch endlich den Widerstand gegen die Einführung der Hauptverhandlungshaft auf, damit wir die Täter, die auf frischer Tat ertappt werden, gleich hinter Schloß und Riegel bringen können!
({21})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, daß Ihre soeben entwickelte Philosophie der freiwilligen Solidarität und das, was ich sonst noch alles hören mußte, eine Kampfansage an das Prinzip der Solidargemeinschaft ist und ihr Schaden bereitet?
({0})
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich habe davon gesprochen, daß wir die Staatsquote wieder auf den Stand zurückfühDr. Wolfgang Schäuble
ren wollen, den wir vor der Wiedervereinigung erreicht hatten.
({0})
- Nein, nein. Entschuldigung, wenn man die geistige Provinz nicht will, muß man wenigstens die Sätze, die vor fünf Minuten gesagt wurden, noch in Erinnerung behalten.
Ich habe gesagt, wir wollen auf das vor der Wiedervereinigung erreichte Niveau zurück. Dies ist das gemeinsame Ziel von Wirtschaft, Gewerkschaft und Bundesregierung. Daß Sie dies zur Kampfansage an die Institution unseres Sozialstaats machen wollen, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Entweder haben Sie nicht zugehört, oder Sie wollen mich bewußt mißverstehen; auch das wäre schade.
({1})
Ich habe gerade davon gesprochen, daß wir unsere bewährte Rentenversicherung für die Zukunft sicher machen wollen. Das geht aber nicht durch Nichtstun, auch nicht durch solche ahnungslosen Zwischenfragen. Das geht nur, indem man handelt.
({2})
Ich habe davon gesprochen, daß wir das weltweit beste System gesundheitlicher Fürsorge und Vorsorge haben.
({3})
- Aber natürlich, wir haben in der medizinischen Versorgung mit den höchsten Leistungsstand. Das kann man doch nicht im Ernst bestreiten.
({4}) Dies wollen wir für die Zukunft erhalten.
Das aber geht eben nicht mit den Antworten, die Sie geben. Ihr Weg führt in die Ineffizienz. Ihr Weg führt dazu, wie das Beispiel von Lafontaine zeigt - er hat die 10 000 DM so schnell verspielt, daß nichts mehr übrigbleibt -, daß die Grundlagen unseres Sozialstaats gefährdet werden.
Damit dies nicht geschieht, brauchen wir ein Stück weit mehr Engagement, ein Stück weit mehr Dynamik, ein Stück weit mehr freiwillige Solidarität. Man kann doch nicht alles auf das Kollektiv abschieben. Natürlich brauchen wir institutionelle Vorkehrungen für die soziale Sicherheit; darüber besteht doch gar kein Streit. Damit sie aber in der Zukunft bezahlbar bleiben - wenn Sie das Geld verspielt haben, dann ist alles aus -, müssen wir den Weg gehen, den ich Ihnen aufzeige.
Deswegen sage ich: Wir brauchen ein Stück weit das Gegenteil des Prinzips „Hannemann, geh du voran! ". Immer die anderen bezahlen zu lassen wird unsere Probleme nicht bewältigen. Es geht nur, wenn wir uns ein Stück weit mehr für die anderen verantwortlich fühlen.
({5})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Diese Miesmacherei, als wären wir am Ende aller Zeiten angelangt und als wäre alles nur noch Not und Elend - ({6})
- Nein, Sie verweigern jede Antwort hinsichtlich der Zukunft.
({7}) Sie blicken zurück auf die alten Lösungen.
Ich weiß, wo es anstrengend ist; ich bin im Schwarzwald zu Hause. Zu der Zeit, als ich noch wandern konnte, wußte ich schon: Bergauf ist es anstrengender als bergab. Deswegen bieten Sie den bequemen Weg und die bequemen Ausreden. Das sind aber keine Lösungen, die uns voranbringen. Bergauf ist es anstrengend; aber es ist eine ungeheuer faszierende Aufgabe.
Auch das sage ich Ihnen am Ende dieses Jahrhunderts: Warum reden Sie den Menschen, auch den jungen Menschen, eigentlich ein, alles sei nur Armut, Not, Elend und ohne Chancen? Die Wahrheit ist etwas anders. Die Wahrheit ist daß wir am Ende dieses Jahrhunderts mit materiellen Voraussetzungen leben dürfen, die uns größere Chancen für die Zukunft geben, als sie je eine Generation vor uns gehabt hat.
({8})
Die Wahrheit ist, daß wir vor großen Herausforderungen stehen, weil der Wettbewerb härter wird. Aber es gibt nicht den geringsten Grund zur Resignation; sondern es gibt viel Grund zu Dankbarkeit, es gibt viel Grund zu Zuversicht.
Ich finde, es ist eine faszinierende Aufgabe, uns am Ende dieses Jahrhunderts nach den großartigen Veränderungen, die Frieden und Freiheit in ganz Europa gebracht haben, den Problemen dieser einen Welt zu stellen, wirklich dafür einzutreten, daß wir uns für diese eine Welt verantwortlich fühlen, in der Entfernungen geringer geworden sind und Grenzen aufgehoben werden.
Da muß man aber auch Antworten geben; da muß man um die Stabilität der Grundlagen für die Zukunft ringen. Das kann man nicht dadurch tun, daß man nur sagt: immer noch mehr Steuern, immer noch mehr Abgaben, immer noch mehr Bürokratie und den einzelnen immer noch mehr unterfordern. Nein, wir müssen den Menschen sagen: Es ist eine großartige Zeit. Es ist viel erreicht worden, nicht zuletzt in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl, durch unsere gemeinsame Arbeit in der Koalition der Mitte aus CDU/CSU und F.D.P.
({9})
Wir haben viele Probleme. Ich bin keiner, der die Probleme verschweigt. Ich gehe ja nicht den bequemen Weg wie Herr Lafontaine auf dem JugendparteiDr. Wolfgang Schäuble
tag der SPD, wo er nach Techno-Musik ein bißchen rumgehüpft hat.
({10})
So einfach geht es leider nicht. Ein bißchen ernsthafter muß es schon zugehen.
Ich bin dankbar dafür, daß wir in dieser Zeit Zukunft gestalten können. Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler, wir gemeinsam, CDU/CSU und F.D.P., werden am Ende dieses Jahrhunderts und auf dem Weg in das nächste mit dieser Regierung, unter Ihrer Führung
({11})
und Ihrer Verantwortung weiterhin um eine gute Zukunft ringen. Wir sind dazu entschlossen; wir sind dazu bereit. Wir stellen uns dieser Verantwortung. Wir stimmen dem Einzelplan des Kanzleramtes zu.
({12})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Günter Verheugen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will festhalten, was hier in den letzten anderthalb Stunden geschehen ist: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat eine große gemeinsame Chance für uns alle versäumt, indem er auf die konkreten Vorschläge der Opposition
({0}) nicht eingegangen ist.
({1})
Sie reden seit Monaten davon, es gebe keine Alternativen. Hier sind Ihnen die Alternativen Punkt für Punkt vorgetragen worden.
({2})
Ich nenne sie Ihnen noch einmal: Senkung der Lohnnebenkosten, weg mit den 590-DM-Verträgen, Vermögensbeteiligung für die Arbeitnehmer, etwas gegen Scheinselbständigkeit unternehmen, eine Garantie für Ausbildungsplätze, mehr für die Hochschulen, für die Forschung und für die Entwicklung tun, ein neues leistungsgerechtes Dienstrecht, Abbau von Bürokratie, weg mit der Gewerbekapitalsteuer und der betrieblichen Vermögensteuer.
Das wäre ja ein Punkt gewesen, von dem Sie wenigstens hätten sagen müssen, daß Sie einsehen, die Dinge, die wirklich die Wirtschaft und unsere Zukunft belasten, abzuschaffen, nicht aber die private Vermögensteuer. Das Vermögen der Frau von Thurn
und Taxis und der anderen, wie sie auch alle heißen mögen,
({3})
wollen Sie mehren, aber Geld für die Schaffung von Arbeitsplätzen wollen Sie der Wirtschaft vorenthalten.
({4})
Zu allen diesen Vorschlägen haben Sie nein gesagt und polemisiert. Sie haben keine einzige konkrete Ankündigung machen können, wie Sie das Land aus dieser Krise herausbringen wollen, in die Sie es gebracht haben.
Das einzige Konkrete, Herr Schäuble, was wir Ihrer Rede entnehmen konnten, war, daß Sie beklagen, reiche Leute könnten die Kosten ihres Hauspersonals nicht von der Steuer absetzen.
({5})
Das ist Ihr Beitrag zur Zukunftsgestaltung eines modernen Industriestaates.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es fällt schwer, eine Beziehung zwischen der Art und Weise, in der CDU und F.D.P. diese Debatte nun schon seit Wochen führen, und dem, was wirklich passiert, herzustellen, Herr Schäuble. Was wir hier im Bundestag erleben, kann ich mir nur noch mit dem Begriff politische Schizophrenie erklären.
({0})
Da tritt der Fraktionsvorsitzende Schäuble hier auf und berichtet wieder einmal im Brustton der Überzeugung von den unheimlichen Erfolgen dieser Koalition. Mit Sicherheit werden wir schon in den nächsten Wochen erleben, wie die Mitglieder eben dieser Koalition wieder übereinander herfallen und sich gegenseitig als Versager beschimpfen.
({1})
Da brüstet sich die Regierung mit einer angeblich soliden und langfristig angelegten Haushaltspolitik, und nicht nur die Opposition oder die Gutachter, nein, viel besser noch, auch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen wissen schon jetzt, daß die Zahlen von Herrn Waigel demnächst wieder im Papierkorb landen werden. So etwas, meine Damen und Herren, nenne ich politische Schizophrenie.
Im Lexikon können Sie die Übersetzung finden. Da heißt es unter Schizophrenie:
Denkstörungen in Form von unzusammenhängendem Denken und Kontaktverlust
Kerstin Müller ({2})
Einen treffenderen Befund hätte ich Ihnen, meine Damen und Herren, nicht attestieren können.
({3})
Das Schlimme daran ist, daß man bei Ihnen von einem chronischen Fall sprechen muß. Die Haushaltsdebatte hat das wieder bewiesen. Da hören wir die Klagen der Koalition über den bejammernswerten Zustand der Wirtschaft, und am selben Tag lesen wir in der Zeitung, daß die Gewinne noch nie so hoch waren und daß der Deutsche Aktienindex von Rekord zu Rekord steigt.
({4})
Da klagen Sie immer wieder über die hohen Lohnnebenkosten - heute schon wieder, Herr Schäuble -, und kurz darauf erleben wir doch wieder eine Erhöhung der Renten- und Krankenkassenbeiträge. Sie und nicht die Opposition haben doch die hohen Lohnnebenkosten zu verantworten!
({5})
Jedesmal verspricht die Koalition beim Barte des Kollegen Solms Steuersenkungen für das nächste Jahr - die Staatsquote müsse gesenkt werden, so Herr Schäuble. Aber jedesmal stellen doch die allermeisten Menschen auf ihrem Gehaltszettel fest: Die Steuern und Abgaben sind nicht gesunken, sondern gestiegen.
Immer wieder von neuem versprechen Sie von der Koalition einen entschlossenen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Sie wollten die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbieren. Und was passiert? Nächstes Jahr wird die Arbeitslosigkeit noch weiter steigen, und zwar auf über 4 Millionen.
Meine Damen und Herren, wie würden Sie selbst den Unterschied zwischen Ihren Ankündigungen und der Wirklichkeit nennen? Wenn Ihnen „Schizophrenie" nicht gefällt, könnten wir von „absichtlicher Täuschung" sprechen. Das wäre - und es ist eigentlich nichts anderes - Betrug.
Ich glaube, nicht nur hier im Bundestag haben viele genug von den leeren Versprechungen und dem hohlen Pathos dieser Regierung. Auch viele Menschen draußen haben diese Art von Politik gründlich satt.
In den letzten Wochen wurde ja viel über Koalitionsbruch, Große Koalition oder gar Neuwahlen geschrieben. Für einen Machtwechsel braucht man zwei Voraussetzungen, nämlich erstens, daß die da oben nicht mehr können, und zweitens, daß die da unten nicht mehr wollen. Daß die da oben nicht mehr können, das teilt uns diese Koalition inzwischen fast täglich mit.
({6})
Was persönliche Herabsetzungen innerhalb einer Koalition angeht, haben Sie neue Bonner Rekorde aufgestellt. Die Haushaltsberatungen der Koalition sind eine einzige Zänkerei gewesen. Sie waren gereizt wie Partner in einer uralten Ehe. Und weil es so schön war, wird dieser Zank im Dezember fortgesetzt.
Die F.D.P. verkündet nämlich schon wieder die Senkung des Solidaritätszuschlages, diesmal zur Abwechslung bis 1998. Das sei so gut wie beschlossen, sagt sie. Am nächsten Tag meldet sich die CDU und teilt mit, gar nichts sei beschlossen, die Frage sei völlig offen und bis zum Dezember vertagt.
({7})
Ja, was denn nun? Was wird denn nun passieren? Inzwischen melden sich die betroffenen CDU-Politiker aus den neuen Ländern und fragen völlig zu recht, woher denn die F.D.P., bitte schön, diesmal das Geld nehmen will. Der Osten jedenfalls wird noch lange Zeit auf unsere Unterstützung und Solidarität angewiesen sein.
({8})
Darauf antwortet die F.D.P. in bewährter Weise, nämlich gar nicht,
({9})
nur um dann wieder erklären zu lassen, die Koalition werde scheitern, wenn der Soli nicht gesenkt wird. Diese Komödie, die Sie, meine Damen und Herren, seit Wochen aufführen, wird immer mehr zum Trauerspiel für unser Land.
In fast allen Bereichen haben wir schwere Steuerausfälle zu verkraften. Aber eine Steuer bringt uns in diesem Jahr wirklich steigende Erträge, nämlich 14 Prozent mehr als im letzten Jahr. Das ist die Vermögensteuer. Ausgerechnet diese Steuer wollen Sie abschaffen. Da kürzen Sie unten an allen Ecken und Enden, beim Kindergeld, beim Existenzminimum, bei den AB-Maßnahmen; da kürzen Sie bei der Forschung und bei der Bildung, und Sie erhöhen - erhöhen, meine Damen und Herren von der F.D.P. - die Grunderwerbsteuer. Das alles nur, damit Sie die Vermögensteuer abschaffen können. Das heißt: Die Reichsten der Reichen sollen weniger Steuern zahlen, und alle anderen sollen dafür bluten. Das nennen Sie „Sparpolitik"; das nennen Sie „sozial ausgewogen"?
Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 1995 eine gerechtere Gestaltung - so hat es formuliert - der Vermögensteuer gefordert. Diese Forderung des Verfassungsgerichts nach mehr Gerechtigkeit nutzen Sie für eine Politik der Ungerechtigkeit; seine Forderung nach gerechterer Verteilung der Lasten nutzen Sie zur Umverteilung der Lasten, zur Umverteilung von unten nach oben.
({10})
Kerstin Müller ({11})
Wer in dieser schwierigen Situation Milliarden einfach so verschenkt, der hat aus meiner Sicht jedes moralische Recht verloren, von anderen Verzicht zu fordern.
({12})
Solche Signale ermutigen doch nur die Klassenkämpfer von oben; denn das schmeckt nach mehr. Herr Henkel vom BDI hat es ja offen gesagt: Die Zeit der Konsensrunden ist vorbei. Was er meint, ist: Jetzt wird abgesahnt. Und wenn der Herr Bundeskanzler endlich einmal zu sagen wagt, daß die Unternehmer doch auch eine Verpflichtung hätten, daß sie eigentlich Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen sollen, dann bekommt er vom Arbeitgeberverband öffentlich Watschen, dann heißt es bei den Arbeitgebern nur noch: Kohl sucht Sündenböcke.
Meine Damen und Herren, die Geister, die Sie gerufen haben, werden Sie jetzt nicht mehr los; das ist im Moment Ihr Problem. Selbst zu kleinen Reformschritten sind Sie nicht mehr in der Lage, weil Sie Ihrer Klientel einfach nichts mehr zumuten wollen. Sie sind festgefahren und reformunfähig; Sie können nur noch eines: umverteilen.
({13})
Aber, meine Damen und Herren von der Koalition - Herr Schäuble hat es ja noch einmal angesprochen -: Da haben Sie wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht; denn glücklicherweise, Herr Schäuble, sind viele dieser sozialen Schweinereien von der Zustimmung des Bundesrates abhängig. Deshalb ist die Veschiebung des Kindergeldes am Widerstand der Opposition gescheitert.
({14})
Ich versichere Ihnen, wir Bündnisgrüne werden weiterhin jeden Versuch unterstützen, die schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten zu verhindern.
Wir meinen, die Vermögensteuer muß beibehalten werden, das Existenzminimum für die unteren Einkommen muß angehoben werden, und es darf keinen Kahlschlag bei den AB-Maßnahmen geben. Dafür werden wir uns einsetzen, auch jetzt in den anstehenden Verhandlungen.
({15})
Da können Sie hundertmal von Blockadehaltung reden, wenn diese Koalition kein soziales Gewissen mehr hat, dann ist es die zentrale Aufgabe der Opposition, Ihnen zu zeigen, was soziales Gewissen bedeutet.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, Ihr Problem ist doch nicht die angebliche Blokkadehaltung der Opposition, das wissen wir doch alle. Ihr Problem ist Ihr Koalitionspartner, die F.D.P., und die F.D.P. hat sich nun einmal einem einzigen Thema verschrieben, Steuersenkung um jeden Preis. Deshalb stolpern Sie doch von einem Haushaltsloch zum nächsten.
Meine Damen und Herren, diese Koalition ist zur Klientelkoalition verkommen! Anders kann man das nicht mehr nennen.
({17})
Bei Werten wie Zukunftsfähigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit, Perspektive, Glaubwürdigkeit ist auf der Regierungsbank Fehlanzeige. Nein, meine Damen und Herren, die da oben können nicht mehr. Nur der reine Machterhalt - das ist es doch - hält sie noch zusammen. Sie bleiben doch nur deshalb auf ihren Stühlen sitzen, weil sie keinen Fluchtweg sehen. Die große Koalition kostet die CDU/CSU zu viele Ministersessel, und für die F.D.P. wäre sie das völlige politische Aus. Also stolpert diese Koalition weiter von Krise zu Krise, zu ihrem eigenen Überdruß und zum Schaden für uns alle.
Die spannende Frage ist: Was ist mit denen da unten? Wie lange lassen sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Theater bieten?
Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen hatten wir die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. Dem Kollegen Rezzo Schlauch möchte ich hier noch einmal ganz herzlich zu seinem großartigen Ergebnis gratulieren.
({18})
Bei dieser Wahl zeigte sich etwas - ({19})
- Sie dürfen klatschen.
Bei dieser Wahl zeigte sich etwas sehr Interessantes. In allen Altersgruppen bis zum Alter von 55 Jahren hatte Rezzo Schlauch im zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit der Stimmen. Es waren die Stimmen der über 55jährigen, die zum knappen Sieg des CDU-Bewerbers geführt haben.
({20})
- Doch. Das Ergebnis ist natürlich lokal und durch die Person bedingt, aber es ist in dieser Hinsicht, glaube ich, schon typisch. Diese Koalition hat, denke ich, viel an sozialer Basis verloren. Sie ist eine Koalition der Besitzstandswahrer und Besitzenden. Was wir brauchen, das ist Veränderungswille und Reformbereitschaft und nicht Wahrung von Besitzständen.
({21})
Kerstin Müller ({22})
Viele ältere Menschen hoffen offensichtlich immer noch, daß die Koalition ihren Lebensabend materiell sichert.
Man muß den Rentnern und Rentnerinnen heute sagen: Ihr vertraut auf die Falschen! Der Bundesarbeitsminister hat es jahrelang beschworen: Die Renten sind sicher. Aber daß die Reserven der Rentenversicherung bereits aufgebraucht sind, daß alle Zukunftsprognosen negativ aussehen, daß es immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler gibt, und daß das alles irgendwie nicht gutgehen kann, das alles hat der Bundesarbeitsminister jahrelang verschwiegen. Nichts hat er unternommen, um diese Probleme rechtzeitig anzugehen.
Meine Damen und Herren, die berechtigten Sorgen der alten Menschen haben sehr viel mit den Sorgen der jungen zu tun. Den jungen Menschen, meiner Generation und der folgenden, bietet diese Koalition keine Perspektiven. Sie vernachlässigt den ganzen Ausbildungsbereich, und - ebenso schlimm - sie kürzt massiv im Bereich Forschung und Entwicklung.
Langfristig kostet uns diese Politik den wichtigsten Trumpf im Standortwettbewerb, unser wissenschaftliches und technisches Know-how.
Meine Damen und Herren, wer der jungen Generation die Perspektive nimmt, der gefährdet auch den sicheren Lebensabend der älteren Generation. Deshalb ist Ihre Politik ein falscher Wechsel auf die Zukunft. Alt und jung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden!
({23})
Deshalb brauchen wir einen neuen Generationenvertrag - einen Generationenvertrag, der die ganze Gesellschaft einbezieht: die Beamten, die Selbständigen und die Abgeordneten. Sie alle müssen in die Rentenversicherung einbezogen werden.
({24})
Wir brauchen mehr Beitragzahlende. Dazu brauchen wir endlich Taten gegen die Arbeitslosigkeit. Wir müssen die Krise der Arbeit und der Ausbildung endlich wirklich angehen. Neue Arbeitsplätze aber sind in den letzten Jahren nicht mehr in der Großindustrie entstanden. Die Großunternehmen haben im Gegenteil durchweg Stellen abgebaut, übrigens auch dann, wenn sie ausgezeichnet verdient haben.
Neue Arbeitsplätze dagegen hat die mittelständische Wirtschaft geschaffen. Da ist es schon bemerkenswert, wie unzufrieden gerade der Mittelstand mit dieser Regierung ist. Nehmen wir doch einmal die Förderprogramme: Für kleine und mittlere Unternehmen gibt es etwa 400 verschiedene Förderprogramme. Dieses Angebot ist so unübersichtlich, daß selbst professionelle Berater oft nicht mehr durchblikken. Da herrscht wilder Bürokratismus.
Wir müssen endlich dafür sorgen, daß staatliche Hilfen bei den kleinen und mittleren Unternehmen
ankommen. Vor Ort, auf kurzen Wegen muß künftig entschieden werden. Das wird sehr rasch mehr Arbeitsplätze bringen als all die Milliarden, die jetzt in den Kassen der Großunternehmen verschwinden.
({25})
Manchmal gehen Anliegen des Mittelstandes mit ökologischen Anliegen Hand in Hand. Vor einem Jahr haben wir die Koalition aufgefordert, doch endlich ein Energiewirtschaftsgesetz vorzulegen. Nun ist der Herr Wirtschaftsminister tatsächlich tätig geworden und hat einen Entwurf vorgelegt.
Diesen Entwurf dieses „Helden der Marktwirtschaft" muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da wird angeblich ein freier Markt für den Strom geschaffen. Man könne den Strom zukünftig beim billigsten Anbieter kaufen. Das klingt ja noch richtig liberal. Aber das gilt dann und nur dann, wenn man ein Großunternehmen ist. Alle anderen, die Privathaushalte, die Kleingewerbetreibenden, die Freiberufler, die kommunalen Stadtwerke und alle kleinen und mittleren Unternehmen, bekommen keine Freiheit; sie bekommen nur eines: höhere Kosten. Höhere Preise für die Kleinen, niedrigere Preise für die Großunternehmen. Genau diesen Vorschlag legt ein F.D.P.-Wirtschaftsminister vor. Das finde ich unglaublich.
({26})
Nennen Sie das etwa Marktwirtschaft? Nennen Sie das mittelstandsfreundlich? Ich finde, das ist ein Witz.
Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine wirkliche Neugestaltung des Strommarktes vorsieht. Unser Vorschlag kann Einsparpotentiale mobilisieren und eröffnet ökologische Chancen. Darum sind Sie ja dagegen, meine Damen und Herren von der F.D.P. Denn immer wenn es um wirkliche Innovation geht, vor allem um ökologische Innovation, schalten Sie einfach auf Durchzug.
({27})
Was wir brauchen, wenn wir die Zukunft sichern wollen, ist eine umfassende Modernisierung - eine Modernisierung in allen Bereichen. Wir haben da keine Tabus.
Sie verlangen doch immer Alternativvorschläge. Ich will Ihnen einige ganz konkrete Vorschläge machen, zur Reform des Sozialstaates beispielsweise: Wir müssen uns doch darauf einstellen, daß die Arbeitslosigkeit lange Zeit ein Problem bleiben wird. Viele Menschen fallen aus dem Erwerbsleben für viele Jahre oder ganz heraus. Heute heißt das: Sozialhilfe.
Das heutige System der Sozialhilfe ist sehr bürokratisch, und es ist entwürdigend und schikanös für die Betroffenen. Wir müssen daher die Armutsbekämpfung auf eine neue Grundlage stellen. Wir müssen auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung setzen. Wir haben daher einen Vorschlag für eine soKerstin Müller ({28})
ziale Grundsicherung vorgelegt. Wir wollen klare Ansprüche für die Betroffenen statt unkalkulierbare Ermessensentscheidungen. Wir wollen Lebenshaltungs- und Wohnkostenpauschale statt entwürdigende Bedarfsprüfung in jedem Einzelfall. Das heißt: weniger Bürokratie und mehr Menschlichkeit.
({29}) Darauf kommt es uns an.
({30})
Wir brauchen eine Modernisierung der Arbeitswelt. Es ist doch unsinnig, daß sich die einen kaputtarbeiten, während die anderen auf der Straße stehen. Wir müssen alle Modelle zur besseren Verteilung der Arbeit unterstützen und alle Versuche zur Verlängerung der Arbeitszeit energisch bekämpfen. Längere Arbeitszeiten, das bedeutet nämlich noch höhere Arbeitslosigkeit.
Wir brauchen dagegen Arbeitszeitverkürzung in allen Betrieben und in der öffentlichen Verwaltung. Wir müssen Überstunden abbauen und Teilzeit fördern. Mit einem modernen Arbeitszeitrecht können wir die Tarifpartner dabei sogar unterstützen. Wir wollen Politik für mehr Arbeitsplätze und nicht gegen die Arbeitslosen. So sieht eine moderne Arbeitspolitik aus.
({31})
Die entscheidenden Impulse für die Wirtschaft können nur von einem grundlegenden ökologischsozialen Strukturwandel kommen. Deutschland ist aber leider gerade dabei, seine führende Rolle bei den Umwelttechnologien zu verlieren. Wir brauchen daher dringend ein ökologisches Investitionsprogramm, das die Zukunftstechnologien entscheidend voranbringt. Wir müssen in moderne Verkehrssysteme investieren, eine zweite Eisenbahnrevolution schaffen und Spitzenreiter bei der Produktion von Solaranlagen werden. Zugleich müssen wir auf breiter Front die Lohnnebenkosten senken. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die versicherungsfremden Leistungen müssen aus den Sozialabgaben raus.
({32})
Diese Leistungen müssen endlich aus Steuern finanziert werden. Wir haben hierzu einen konkreten Vorschlag gemacht: Mit der ökologischen Steuerreform können die Lohnnebenkosten in beträchtlichem Umfang gesenkt werden.
Zu einer umfassenden Modernisierung gehört auch, daß wir endlich den Steuerdschungel lichten. Es ist doch auffällig: Die am besten verdienenden Firmen zahlen inzwischen fast keine Steuern mehr. Ob Banken oder Großunternehmen - die Gewinne steigen, die Steuern tendieren gegen Null. Daimler-Benz und Siemens zahlen inzwischen weniger Steuern, als sie an staatlichen Zuschüssen und Fördermitteln bekommen.
({33})
Gewiefte Firmen machen ihre Gewinne hier bei uns und versteuern sie im Ausland. BMW, Porsche, Commerzbank und Dresdner Bank zum Beispiel nutzen Dublin als legale Geldwaschanlage. Der Steuersatz beträgt 10 Prozent, und zwar in Irland zu zahlen. Was unternehmen die Herrschaften von der Koalition dagegen? Bisher nichts. Solche Schlupflöcher müssen wir durch eigene Gesetze und durch entsprechende internationale Vereinbarungen schließen.
({34})
Sie, meine Damen und Herren, reden ja nun auch ständig von Steuerreform. Was da bei Ihnen herauskommen wird, zeichnet sich jetzt schon ab. Herauskommen wird, daß Sie alle Steuervergünstigungen für den Normalbeschäftigten streichen werden - Steuerfreiheit für Überstunden zum Beispiel und für Sonntagszuschläge - und alle Tatbestände, durch die Leute mit hohem Einkommen die Steuerzahlung urn-gehen können - Spekulationsgewinne oder Dienstmädchenprivileg -, also alles, was Ihre Klientel treffen könnte, tunlichst aussparen werden. Für Wohlhabende wird sich nur eines ändern, nämlich der Spitzensteuersatz. Sie werden statt 53 Prozent nur noch 35 Prozent, das heißt, 18 Prozent weniger Steuern zahlen müssen. Ich glaube, da werden sich einige Leute wirklich freuen.
Um zirka 30 Milliarden DM wollen Sie die reichsten Steuerzahler dabei entlasten. Eine einfache Frage: Woher wollen Sie die 30 Milliarden DM denn nehmen? Wollen Sie dazu die Mehrwertsteuer erhöhen, ja oder nein? Wird die Mehrwertsteuer 1999 erhöht, um die Einkommensteuerverluste auszugleichen? Die CSU hat auf ihrem Parteitag die Tür dafür weit aufgemacht. Sie sagen ihr hier immer nur: nicht bis zur Bundestagswahl 1998. - Aber was ist dann? Was sagt denn die Steuersenkungspartei F.D.P. dazu? Sagen Sie doch einmal: Nein, das kommt für uns nicht in Frage, auch nicht 1999. - Herr Gerhardt, wegen 4 Milliarden DM beim Solidaritätszuschlag ist die Koalition gerade fast geplatzt. Erklären Sie doch einmal, woher Sie die 30 Milliarden DM nehmen wollen.
({35})
Diese ganz einfache Klarstellung sind Sie der Öffentlichkeit doch schuldig, und zwar vor 1998.
({36})
Wir Bündnisgrüne wollen eine Einkommensteuerreform, die wirklich alle Steuerprivilegien in Frage stellt,
({37})
die besonders die Schlupflöcher für die Reichen schließt; dann können auch die Steuersätze niedriger sein. Vor allem aber muß der Eingangsteuersatz herunter. Wer heute mit sehr hohem Einkommen Schlupflöcher nutzt, soll künftig mehr Steuern zahlen müssen. Dagegen müssen die unteren und mittleren Einkommen entlastet werden.
Kerstin Müller ({38})
Alle unsere politischen Einzelmaßnahmen sind von sehr geringem Wert, wenn wir gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen zerstören. Ich weiß sehr wohl, daß die Umweltpolitik zur Zeit im öffentlichen Bewußtsein keine große Konjunktur hat. Ich sage Ihnen aber: Darum müssen wir erst recht über Ökologie reden, über den ökologischen Umbau, über die ökologische Steuerreform. Wir müssen uns unserer Verantwortung hier bewußt sein;
({39})
denn was wir heute im Umweltschutz vernachlässigen, was wir heute an ökologischer Umstellung versäumen, wird uns bald alle belasten. Es wird unsere Kinder belasten, und es wird noch unsere Enkel verfolgen. Dennoch benimmt sich die Regierung inzwischen so, als hätte es zum Beispiel die Vereinbarung von Rio nie gegeben, als gäbe es das Problem gar nicht mehr. Sie will sich auf leisen Sohlen von den CO2-Zielen verabschieden. Was für eine Kurzsichtigkeit! Welche wirtschaftlichen und sozialen Lasten tragen wir wegen der Umweltsünden der Vergangenheit schon heute!
Wir brauchen eine andere, eine neue Politik, die sich bei jeder Einzelfrage an dem einen Maßstab mißt, am Gebot der Verantwortlichkeit gegenüber den Menschen und der Natur, am Gebot des nachhaltigen ökologischen Wirtschaftens. Dafür kämpfen wir, damit wir spätestens 1998 auch in der Bundesregierung danach handeln können.
Vielen Dank.
({40})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin hat heute morgen unseren verstorbenen Kollegen gewürdigt. Dieser Verlust hält an. Wir haben über Stil gesprochen, und sein Tod beschäftigt uns. Hans Klein war eine Persönlichkeit und ein Kollege, der wußte, daß zu geschriebenen Regeln ganz persönliche Verhaltensweisen gehören.
Er hat Höflichkeit nie als einen Verlust von Standfestigkeit in der Sache betrachtet, und er sah in seinem Charme nie die Eintrübung seiner festen politischen Grundposition. Er hat sich immer um eine besondere Atmosphäre bemüht, die uns jetzt, wo er nicht mehr da ist, fehlen wird. Er wußte, daß er durch seine Ausstrahlung und seine Verhaltensweise auch für die Reaktionen anderer verantwortlich war. Er hat es uns allen vorgelebt. Hans Klein war ein feiner Mann, den wir nicht vergessen werden.
({0})
Wir streiten beim Haushalt über aktuelle Politik, aber im Grunde streiten wir über mehr. Wir streiten darüber, wie wir die tiefgreifenden Veränderungen um uns herum und bei uns selbst überwinden können, wie wir ihrer Herr werden und wie wir die Zukunft des Landes bewältigen können.
Dazu gehört, daß wir offen sagen, wo sich unsere Schieflagen befinden. Diese gibt es nämlich, und von ihnen behaupte ich, daß sie die meisten Menschen kennen, manchmal aber nicht öffentlich benennen, jedoch ahnen, daß wir sie bewältigen müssen. Deshalb sollte die Koalition - ich will das tun - das offen ansprechen.
Wir haben in Deutschland einen Verlust an Wirklichkeitsorientierung, wir haben bei vielen die Neigung, auf Kosten anderer zu handeln, und wir haben eine gewaltige Überbeanspruchung des Staates. Wenn wir das nicht beenden, werden wir in der Zukunft keine wettbewerbsfähige Gesellschaft sein.
({1})
Das sagen wir als Koalition öffentlich und klar. Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb. Andere mögen diesen leugnen oder internationale Solidarität für uns fordern. Ich glaube jedoch nicht, daß die asiatischen Staaten darauf warten. Statt dessen müssen wir früher reagieren.
Wir organisieren die Infrastruktur, wir erheben Steuern, und wir entscheiden damit darüber, ob das mobile Kapital bei uns oder in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Polen und in Tschechien investiert wird. Da wir ein Interesse daran haben, daß deutsche Arbeitnehmer hier Arbeitsplätze finden, möchten wir die Steuern senken, damit sie hier Beschäftigung finden. Das ist das Ziel eines Wachstums- und Beschäftigungsprogramms.
({2})
Wir spüren doch die Folgen, daß Arbeit heute weltweit handelbar geworden ist. Die dramatische Diskussion um die Mindestlöhne zeigt doch, daß es die alten geographischen Schutzzölle für Arbeit nicht mehr gibt. Die deutsche Textilindustrie hat früher in Hongkong produzieren lassen, heute werden Produkte 100 Kilometer weiter, in unserer Nachbarschaft, mit gleicher Qualität, aber mit deutlich anderen Arbeits- und Lohnnebenkosten hergestellt.
Dieses nicht zur Kenntnis zu nehmen und nicht zu versuchen, dies zu verändern, wird den Beschäftigungsinteressen in Deutschland nicht gerecht. Es geht nicht um Lohndumping, es geht überhaupt um die Chance, auch im Niedriglohnbereich Beschäftigung in Deutschland zu haben und die Menschen nicht in Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abdrängen zu lassen.
({3})
In diesem Bereich gibt es auch die notwendige Diskussion, Herr Kollege Scharping, um Gerechtigkeit. Was ist gerecht? Behandelt die Politik einen Menschen gerecht, der einen Job sucht und einen Job annimmt, für den er 200 DM weniger bekommt, als er vielleicht aus der Kombination öffentlicher Transferleistungen bekommen könnte? Oder behandelt die Politik diejenigen gerecht, die den Job nicht annehmen und sich auf staatliche Alimentation verlassen?
Ich würdige die Menschen - in den neuen wie in den alten Bundesländern -, die bereit sind, in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen, auch wenn sie dort nicht das gleiche Einkommen erzielen können wie aus Beschäftigungsmaßnahmen in Kombination mit anderen Tätigkeiten. Das ist Gerechtigkeit und Solidarität.
({4})
Herr Kollege Scharping, es geht doch nicht allein um die Frage, ob wir die Senkung der Lohnnebenkosten durch Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen aus den Systemen bewältigen. Sie wissen doch genausogut wie ich, daß das nicht ausreichen wird. Sie wissen wie ich, daß es auf der Welt kein Rentensystem gibt, das ein immer späteres Eintreten in das Berufsleben mit immer früherem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben so finanzieren kann, wie wir 'es bisher haben. Es reicht nicht aus, aus den Lohnnebenkosten versicherungsfremde Leistungen herauszunehmen. Wenn wir den Generationenvertrag nicht auf neue Beine stellen, wird das Rentensystem nicht sicher sein.
Deshalb unterzieht sich die Koalition der schwierigen, unangenehmen und kritisierten Aufgabe, der deutschen Öffentlichkeit nicht die. Augen zu verwischen. Wir müssen die Rentenformel neu konstituieren, um einen Generationenvertrag auf neue, sichere Füße zu stellen.
({5})
Die Reparaturarbeit, die die sozialdemokratische Partei vorschlägt, das Herausnehmen versicherungsfremder Leistungen aus den Lohnnebenkosten belastet den Haushalt, treibt Steuern in die Höhe und löst den Kern des Problems nicht. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. Dieser muß hier ausgesprochen werden.
({6})
Sie wissen genausogut wie ich, daß unser Gesundheitswesen deshalb an die Grenze der Kostenbewältigung gekommen ist, weil es in einer Solidargemeinschaft nun einmal Menschen gibt, die die eigene Inanspruchnahme des Systems so ausnutzen, daß sie andere damit belasten. Sie glauben möglicherweise im ersten Jahr, daß dies zu keinen Beitragssteigerungen führe; sie hätten nun einmal eingezahlt, um auch etwas in Anspruch zu nehmen. Aber im nächsten und übernächsten Jahr werden sie eingeholt.
Deshalb ist es unsere Korrekturvorstellung, die Inanspruchnahme von Kuren nicht in den alten zeitlichen Abständen zu ermöglichen, vielleicht ein wenig zuzuzahlen und die Bereitschaft zu haben, von 42 Feier- bzw. Urlaubstagen einen Tag pro Jahr zur Verfügung zu stellen. Dies ist doch keine Überforderung der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist eine bittere Notwendigkeit im gesellschaftlichen Wandel. Dies ist die notwendige Reform. Sie dürfen nicht die Besitzstandswahrung mit Gerechtigkeit verwechseln. Wenn Sie das tun, wird es mit der Zukunft nichts.
({7})
Nun zu brutto, netto:
({8})
Der Arbeitnehmer sieht auf sein skelettiertes Nettoeinkommen, ärgert sich darüber und prüft den Bruttobetrag nach, verfügt heute aber nicht über die entscheidenden Informationen darüber, was ihm vorher pauschal auf Grund eigener Wünsche, die die ganze Gesellschaft an Staat und Solidargemeinschaften heranträgt, abgebucht worden ist.
Die große sozialdemokratische Partei tut auch nichts, um Licht in dieses Dunkel zu bringen.
({9})
Sie bestärkt die Gesellschaft eher noch darin, noch mehr vom Staat zu fordern und die Solidargemeinschaften auszuweiten. Sie trägt uns dann hier vor, daß wir die Verantwortung für die Differenz zwischen dem Brutto- und dem Nettoeinkommen hätten; dies gekoppelt mit Hinweisen auf Länder jenseits des großen Teiches.
Lieber Kollege Scharping, es wäre gut, wenn Sie sich mit uns zusammen etwas stärker aufklärerisch betätigen würden, weil wir die Schere zwischen den Brutto- und den Nettoeinkommen nur schließen können, wenn wir persönliche Wachstumskräfte und die persönliche Verantwortung stärken und nicht die immer weiter wachsenden Ansprüche an öffentliche Systeme in Deutschland konstituieren.
({10})
Die Globalisierung der Märkte wird verdrängt, die Besitzstandswahrung wird gepflegt. Auch die Tarifvertragsparteien, die für die Grundlagen der Beschäftigung durchaus eine Monopolstellung haben, haben manchen Tarifabschluß gemacht, der mit denen solidarisch war, die Arbeit hatten, und unsolidarisch mit denen war, die Arbeit gesucht haben. Deshalb muß auch auf diese Verantwortung hingewiesen werden.
Wir haben in Deutschland eine gewaltige Erstarrung der Arbeitsbeziehungen. Es gibt keinen internationalen Sachverständigen, der den Arbeitsmarkt in Deutschland nicht als den stranguliertesten in aller Welt ansehen würde. Wir leben jetzt in einer Krise zwischen Erwartungen und politischer Problemlösung. Wenn wir jetzt nichts ändern, werden wir in die Gefahr geraten, vieles zu verlieren, was für die demokratische Stabilität unseres Landes wichtig ist. Deshalb ist die Koalition auf dem richtigen Weg.
Für Ludwig Erhard war Marktwirtschaft im übrigen nicht nur eine Veranstaltung, die um so sozialer war, je mehr umverteilt werden konnte. Nach seiner Auffassung war der Ordnungsrahmen einer Marktwirtschaft sozial, wenn er effektiv war, wenn er Wachstumskräfte stärken konnte und wir die Fähigkeit hatten, Menschen vor dem Absturz ins Nichts zu bewahren.
Deshalb unternehmen wir mit unserem Spar- und Beschäftigungspaket wieder einen Anstoß in diesem Sinne. Es zielt auf die größte Verteilungsungerechtigkeit, die es in Deutschland gibt, und das ist ArDr. Wolfgang Gerhardt
beitslosigkeit und nicht nur die Frage der Höhe der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes.
({11}) Da müssen Prioritäten gesetzt werden.
Da Sie, Herr Kollege Scharping, angeboten haben, was man machen sollte, frage ich jetzt einmal zurück: Sie kennen unser Beschäftigungsprogramm, und Sie wissen, daß wir in der Wirtschaftspolitik auf Innovation gegenüber Strukturerhaltung sowie auf neue Elastizität und Reaktionsvermögen setzen. Was haben Sie bei der Vereinfachung von Genehmigungsverfahren mitgeholfen? Wie lange haben Sie gezögert, eineinhalb Stunden längere Ladenöffnungszeiten in Deutschland zustande zu bringen?
({12})
Wie lange haben Sie bei der Marktöffnung im Bereich der Post, der Telekommunikation Bedenken gehabt? Was sagen Sie noch heute zu einem Stück Flexibilität bei befristeten Arbeitsverträgen? Wie haben Sie aufgeschrieen, als wir im Bereich des Kündigungsschutzes die Zahl von fünf Beschäftigten auf zehn Beschäftigte erhöht haben, weil wir nicht an die fünf gedacht haben, die Arbeit haben, sondern an den sechsten, der eine bekommen konnte! Das ist unser Ziel im Beschäftigungsprogramm.
({13})
Sie haben mit Ihrem Vorschlag, versicherungsfremde Leistungen herauszunehmen, bei der Rente reklamiert. Wie haben Sie sich denn verhalten, als wir gesagt haben, wir müßten das Renteneintrittsalter stufenweise hochsetzen? Die jetzige Rentenbeitragserhöhung holt uns doch wegen verschleppter Reformen in Deutschland ein.
({14})
Das hätten wir schon vor zwei Jahren machen können. Haben Sie, als die Frühverrentung, durchaus als bequemes Instrument für Tarifvertragsparteien, anstand, andere Vorschläge gehabt, als der Öffentlichkeit vorzugaukeln, man bringe dann mehr Arbeitsplätze zustande? - Nein.
Noch immer bezahlt dieses Land 153 Sozialleistungen über 37 Verteilungsstellen. Noch immer ist der Etat des Bundesarbeitsministers der größte Einzelposten im Gesamtetat. Die Soziallastquote sinkt nur um 0,4 Prozent. Sie ziehen ein öffentliches Plakat auf, als wäre dieses Land auf dem Abmarsch aus dem Sozialstaat. Diese absurde Wirklichkeitsverweigerung ist das, was heute sozialdemokratische Politik bestimmt. Sie ist für die Gesellschaft doch nicht mehr erträglich!
({15})
Wir warten jetzt gespannt auf Ihre Vorschläge zum Subventionsabbau. Ich warte auf die Vorschläge der beiden Revierländer; eines ist hier durch den Ministerpräsidenten vertreten. Wer hier vorträgt, daß der Forschungsetat erhöht werden solle, der soll einen Beitrag dazu leisten, daß die Subvention für Steinkohle nicht deutlich höher ist als die Forschungsförderung in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nicht nur diese Seite, die hier gebraucht wird.
({16})
Zu der Reform des öffentlichen Dienstrechtes muß ich sagen: Das allein wird nicht der große Wurf sein können, um öffentliche Haushalte zu sanieren. Dann muß man eben privatisieren. Dann muß man sich von Liebgewordenem trennen. Man muß ein Stück staatliche Dispositions- und Interventionsmöglichkeit aufgeben. Dann müssen Sie das große Privatisierungspotential auf Gemeinde- und Länderebene angehen. Da gibt es Entsorgung, Planung und Vermessung. Da gibt es ganze Staatsbauverwaltungen. Manche Aufträge könnten auch private Ingenieurbüros wahrnehmen. Man muß nicht dieses große Aufgebot öffentlich bestellter Architekten und Ingenieure in den Ämtern haben.
({17})
Auch die Katasterverwaltung könnte manche Landesregierung zurückschrauben. Es gibt vieles, das neue Kräfte mobilisieren würde.
Es gibt im übrigen die Bereitschaft dieser Bundesregierung - das will ich auch klar für meine Fraktion, für die F.D.P., sagen - der Weiterförderung in den neuen Ländern. Es ist zwar wichtig, daß Autobahnkilometer gebaut werden und daß in den neuen Län-dem Telefonanschlüsse gelegt werden. Aber die größte Herausforderung ist wohl doch, welche Einstellung wir zur inneren Einheit haben und wie wir sie bewältigen. Der größte Erfolg der inneren Einheit sind eben nicht die 81 Milliarden DM Transfer, die im Haushaltsentwurf 1997 für die neuen Länder stehen, sondern der größte Erfolg ist, daß niemand mehr in Bautzen inhaftiert ist. Das möchte ich nicht in Vergessenheit geraten lassen.
({18})
Deshalb geht es um mehr als um Geld und Kredit. Es geht im Grunde um Öffnung der Märkte. Es geht um Privatisierung und Deregulierung. Es geht auch nicht nur um eine Bildungsstrukturreform mit der Frage, welche Etats die Hochschulen haben. Es geht um einen Konsens in unserer Gesellschaft und in den politischen Führungseliten, daß Leistung nicht dauernd diffamiert wird, sondern als Chance gefördert wird, daß Talente nicht weiter so vergeudet werden, wie es in den deutschen Bildungssystemen der Fall ist. Der Ernstfall wird für die junge Generation in Deutschland zu spät geplant, und sie wird zu schlecht beraten.
Wir brauchen eine Reform der Flächentarifverträge. Können Sie sich an die Diskussion erinnern, als mir der Kollege Dreßler die Zwischenfrage stellte, ob ich das gesetzlich regeln wollte? Nun sind die IG Metall und der DGB gezwungen, dieses selbst ein Stück weiterzubringen, weil sie wissen, daß die Löhne, die Daimler-Benz im mittleren Neckarraum bezahlen kann, von einem metallverarbeitenden Betrieb im Erzgebirge nicht bezahlt werden können und daß der Flächentarifvertrag in der alten Form der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen
Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gerecht wird.
({19})
Das galt für die Aufbausituation, aber nicht für die neue Herausforderung im Wettbewerb.
Es gibt, meine Damen und Herren, keine Lösung ohne Kosten; es gibt kein dauerhaftes Leben auf Kosten Dritter. Wir haben die Reformen als Bundesregierung und Koalition gerade erst begonnen und glauben, daß wir sie fortsetzen müssen, weil nur die Gesellschaften am Ende erfolgreich sein werden, die den Strukturwandel bewältigen.
Joachim Fest hat neulich sinngemäß geschrieben: Die private Abkehr von vielen von dem, was uns alle angeht, und die Regelung immer weiterer Bereiche durch den Staat, das macht die moderne Bedrohung von Freiheit aus. Er hat hinzugefügt: Der überstrapazierte Sozialstaat, in dessen Namen alles tabuisiert und die Intervention für alles begründet wird, der führt geradewegs in die Erstarrung.
In dieser Situation befinden wir uns, und aus ihr müssen wir herauskommen. Ein Gemeinwesen, das verantwortlich regiert werden soll, kann nicht ausschließlich Risiken ausweichen. Wirklichkeitsflucht ist für die Bundesrepublik Deutschland kein Rettungsweg.
({20})
Uns geht es um diese Bereitschaft zum Wandel. Wir werden dabei Rückschläge erleiden, weil wir in unserer Gesellschaft Tabus aufbrechen müssen. Wir werden und dürfen aber nicht zögern, diesen Weg zu gehen. Denn freiheitliche Gesellschaften brauchen wieder etwas mehr Kenntnis über die Voraussetzungen ihrer freiheitlichen Existenz.
Deshalb werden wir in und mit dieser Koalition den Haushalt 1997 konsolidieren. Wir haben ihn im übrigen ohne Steuererhöhungen konsolidiert - daran darf ich hier noch einmal erinnern. Das war ein gewaltiger Kraftakt in der Koalition, der mit Turbulenzen verbunden war. Aber wir haben es geschafft.
({21})
Wir haben Sparen Vorrang vor Steuererhöhungen gegeben. Dabei werden wir auch bleiben. Wir haben den Weg für Steuerreformen und Steuersenkungen offengehalten. Wir werden uns im Dezember in der Koalition über die Absenkung des Solidarzuschlages, die Ziele der großen Steuerreform und die Akzentsetzungen für den Beginn des Jahres 1998 verständigen. Wir haben die Turbulenzen überwunden; Sie sehen uns in guter Verfassung; wir blicken nach vorn.
Wir werden mit dieser Koalition die Haushalte sichern, die Steuern senken,
({22})
die Kriterien von Maastricht erfüllen und die Beschäftigung Zug um Zug zurückgewinnen. Es gibt wählerisch andere Möglichkeiten, aber es gibt sachlich keine Alternative zu unserer Politik.
({23})
Sie ist mühselig, sie ist dauerhaft, sie kann nicht schon am nächsten Tag einen Erfolg vorweisen. Im Grunde haben wir viel zu spät mit Veränderungen begonnen, aber wir wissen, daß nur dieser Weg überhaupt eine Chance bietet, von 4 Millionen Arbeitslosen wegzukommen. Dazu brauchen wir Stehvermögen und gute Nerven. Wir müssen uns gegen Kritik wehren - das ist ein normaler Vorgang in einer Demokratie. Wir müssen aber davon überzeugt sein, daß dieser Weg für unsere Gesellschaft und für dieses Land wichtig und richtig ist.
({24})
Deshalb stimmt die Freie Demokratische Partei dem Haushalt 1997 und der mit ihm verbundenen Politik, die sie in der Koalition mitgestalten und mitbestimmen kann, zu.
Ich möchte keine Zweifel lassen - ich habe es eben nur mit einem Stichwort erwähnt -, daß diese Koalition - auch die F.D.P. - entschlossen ist, die Kriterien von Maastricht zu erfüllen. Wir sehen keine Alternative zu einer Außen- und Gesellschaftspolitik für die Bundesrepublik Deutschland, die die europäische Einbettung unseres Landes nach der Wiedervereinigung nicht verdichtet und irreversibel macht.
Ich könnte jetzt aus den Reihen der SPD viele zitieren; an die Sozialdemokratische Partei gewandt sage ich: Sie müssen in Ihren Reihen darauf achten, daß Sie sich nach dem Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages mit Ihren länderpolitisch motivierten Verhaltensweisen im Bundesrat nicht dem Erreichen der Kriterien entziehen,
({25})
nur um eine Chance bei Wahlen zu haben, indem Sie Menschen mobilisieren, die eine gemeinsame Währung nicht wollen.
Es muß klar sein, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung unabdingbar auf eine einheitliche europäische Währung angewiesen ist und daß das die Antwort auf die Herausforderung der Märkte in anderen Regionen dieser Welt ist. Wir haben die große Chance, für uns selbst ein Stück Arbeitsplatzsicherheit zu gewinnen, weil andere daran gehindert werden, unilateral zu handeln, und sie statt dessen im gesamteuropäischen Interesse handeln müssen.
Es mag sein, daß eine Generation, die die nationalsozialistische und stalinistische Diktatur nicht erlebt hat, vieles in Europa als Ärgernis empfindet. Es mag ferner sein, daß eine ältere Generation, die zwei Hyperinflationen in diesem Jahrhundert erlebt hat, sehr skeptisch gegenüber der europäischen Währung ist.
Aber es kann für die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland nur die Möglichkeit geben, unsere Gesellschaft durch politische Führungskraft davon zu überzeugen, daß der Weg richDr. Wolfgang Gerhardt
tig ist und im wohlverstandenen nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland gegangen werden muß. Das wollen wir in der Koalition tun; das ist eine politische Führungsaufgabe ersten Ranges.
({26})
Es wäre für den inneren Frieden in unserer Gesellschaft wichtig, wenn sich in der deutschen Öffentlichkeit die Sozialdemokratische Partei geschlossen dieser Führungsaufgabe mit uns stellen würde.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({27})
Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Otto Schily.
Herr Kollege Gerhardt, Sie haben hier die Behauptung aufgestellt, die Reform der Planungs- und Genehmigungsverfahren sei von der Opposition verzögert worden. Ich muß dem entgegenhalten, daß Sie offenbar keine Ahnung von dem haben, was im Vermittlungsverfahren abgelaufen ist, Herr Kollege Gerhardt.
({0})
Auf unseren Antrag hin ist eine Anhörung durchgeführt worden, in der festgestellt wurde, daß Ihre Vorschläge nicht zu einer Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren führen, sondern daß sie eher zu einer Verzögerung beitragen würden. Wir haben im Vermittlungsverfahren dafür gesorgt - übrigens in einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit mit der Regierung -, daß diese Vorschläge eine Form angenommen haben, in der sie tatsächlich zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren führen.
Bleiben Sie bitte in Ihren Reden bei der Wahrheit! Reden Sie nicht über das, was Ihrem Kenntnisstand offenbar nicht entspricht!
({1})
Eine Erwiderung
wird nicht gewünscht.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben zum Schluß Ihrer Rede die Notwendigkeit der europäischen Integration und der europäischen Einigung politisch begründet. Da ist Ihnen nur zuzustimmen. Das Problem ist nur: Wenn Sie die Sache mit der Währungsunion so vorantreiben, wie Sie es tun, und wenn Sie permanent mit Maastricht den Sozialabbau
in Deutschland begründen, dann schüren Sie und nicht die Opposition die Ängste vor Europa.
({0})
Sie schüren nicht nur Ängste, sondern ganz reale Befürchtungen.
Der größte Mangel an diesem europäischen Einigungsprozeß besteht doch darin, daß der Herr Bundeskanzler die Idee einer Steuerharmonisierung entweder nicht vorgeschlagen hat oder sich damit nicht durchsetzen konnte. Wenn die Steuern alle verschieden bleiben, dann ist ganz klar, daß dies zur Folge hat, daß sich die geringsten Steuern durchsetzen, daß damit die Staaten immer ärmer werden und das dann als Begründung benutzt wird, um den Sozialabbau zu forcieren. Das ist die eigentliche Katastrophe. Deshalb brauchen wir auf diesem Gebiet unbedingt Korrekturen.
({1})
Ich denke, diese Bundesregierung ist eigentlich am Ende. Es gehen von ihr wirklich keine Reformen mehr aus. Man muß sich die einfachen Tatsachen ansehen. Wir haben jetzt in der Bundesrepublik Deutschland die größte Massenarbeitslosigkeit, die es je in der Geschichte dieses Landes gab. Wir haben die größte Staatsverschuldung, die es je in der Geschichte dieses Landes gab. Wir haben die größte Armut, die es je in der Geschichte dieses Landes gab, und den größten Reichtum, den es je in der Geschichte dieses Landes gab. Wir haben die größte Krise im Gesundheits- und im Bildungswesen. Sie sind außerdem unfähig, die Probleme der Einheit zu lösen. Im Gegenteil, Sie verschärfen sie täglich, worüber die Stimmung in den neuen Bundesländern geradezu ausschlaggebend Auskunft gibt.
Ich füge hinzu, daß die Katastrophen offensichtlich nicht enden. Der Parteifreund des Bundeskanzlers, Lothar Späth - ich möchte nicht behaupten, daß er ein Freund ist, aber immerhin ein Parteifreund -, hat jetzt im „Focus" erklärt, daß er damit rechnet, daß in den neuen Bundesländern im nächsten Jahr noch einmal 500 000 bis 600 000 Arbeitsplätze wegfallen. Sie wissen, was das bedeutet und welche Katastrophen da auf uns zukommen.
In dieser Zeit schlagen Sie vor, Arbeitsmarktmaßnahmen weiter zu reduzieren, obwohl Sie wissen, daß die Arbeitslosigkeit zunimmt und welch große Probleme das nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern zunehmend auch in den alten Bundesländern zur Folge hat. In den neuen Bundesländern ist es im letzten Jahr nicht bergauf gegangen, in den alten aber ist es regelrecht bergab gegangen. Das ist nicht die Angleichung, die Sie 1990 versprochen hatten, sondern eine Entwicklung in die falsche Richtung.
({2})
Dann ist diese Koalition auch nicht mehr in der Lage, einen soliden Haushalt vorzulegen. Wir müssen uns das einmal überlegen: Wir beschließen in dieser Woche einen Haushalt, von dem alle wissen, daß er nicht stimmt. Ich räume ein, ich komme aus einem Land, in dem immer Pläne beschlossen worDr. Gregor Gysi
den sind, von denen alle wußten, daß sie nicht stimmen. Das ist wahr. Daß die Bundesregierung das aber derart prächtig nachvollzieht, war eigentlich nicht das Versprechen des Jahres 1990.
({3})
Ich sage Ihnen nur ein Beispiel: Sie wollen die Kriterien von Maastricht einhalten und die Neuverschuldung auf dem Stand halten, der jetzt hier festgelegt werden soll. Dann sagt der Bundesfinanzminister stolz, er habe ja noch einen Spielraum von 0,5 Prozent. Dann halte er immer noch die Maastricht-Kriterien ein. Das würde bedeuten, daß er im nächsten Jahr noch einmal eine zusätzliche Neuverschuldung in Höhe von 6,5 Milliarden DM vornehmen könnte.
Fakt ist, daß Sie im letzten Jahr eine Neuverschuldung von 60 Milliarden DM eingeplant hatten. Herausgekommen ist eine in Höhe von 73 Milliarden DM, das heißt, eine um 13 Milliarden DM höhere Neuverschuldung, als es geplant war. Wenn das im nächsten Jahr passiert, sind alle Maastricht-Kriterien verletzt. Das steht fest.
Sie planen einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 4,1 Milliarden DM ein. Am 19. November 1996 machte die Bundesanstalt ihren Etat und wies aus, daß sie 9,4 Milliarden DM benötigt, das heißt, mehr als das Doppelte von dem, was Sie im Haushalt eingestellt haben. Es ist noch immer schöngerechnet, was die Bundesanstalt macht, weil sie nämlich davon ausgeht, es werde weniger Arbeitslose geben. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein. Das heißt mit anderen Worten: Das Ganze ist völlig unsolide.
Sie planen Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuer ein, obwohl Sie doch alles getan haben, um die Kaufkraft zu reduzieren, so daß natürlich weniger gekauft werden wird und weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Sie werden also weniger Einnahmen aus der Mehrwertsteuer haben.
Dieser ganze Haushalt stimmt vorne und hinten nicht. Er wird ständig korrigiert werden müssen. Das heißt, daß Sie als Koalition nicht einmal mehr in der Lage sind, einen soliden Haushalt vorzulegen. Das ist eigentlich das, was eine Regierung können müßte.
({4})
Die einzige Stärke dieser Koalition - auch das will ich Ihnen sagen - ist die Schwäche der Opposition.
({5})
- Das ist wahr. Es ist so selten, daß ich aus Ihren Reihen Beifall bekomme, daß ich den Satz am liebsten noch einmal sagen würde. - Ich sage Ihnen aber eines: Täuschen Sie sich nicht. So etwas muß nicht anhalten. Wenn wir unsere Schwäche überwinden, dann ist spätestens der Zeitpunkt da, an dem Sie sich verabschieden müssen.
({6})
Sie sollten sich nicht auf unserer Schwäche ausruhen.
({7})
- Herr Gerhardt, daß Sie sagen, der Klassenfeind schlafe nie, ist wahr, weil Sie, wenn es um den Klassenkampf von oben geht, wirklich hellwach sind.
({8})
Da gibt es auch nichts, was zu tun Ihnen nicht einfällt, um Vermögende und Reiche zu bevorzugen und den Lohnabhängigen und den Arbeitslosen in die Taschen zu greifen.
({9})
Das Hauptproblem in unserer Gesellschaft ist zweifellos die Arbeitslosigkeit. Jetzt lese ich Ihnen einmal etwas vor, und dann wird es sehr viel ernster. Ich habe Ihre Argumente, sowohl die von Herrn Schäuble als auch die von Herrn Gerhardt, sehr genau gehört. Die finden sich alle schon in anderen Zeiten wieder.
Ich lese Ihnen einmal aus einem Brief des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 4. Mai 1931 an Reichskanzler Heinrich Brüning vor:
Der Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung vom 30. September 1930 ging von der Feststellung aus, daß die Höhe der von Gehalt und Löhnen, von Steuern und Soziallasten bedingten Gestehungskosten eine Anpassung der deutschen Wirtschaftsverhältnisse an die Umwälzungen auf dem Weltmarkt und damit auch einer Gesundung der deutschen Wirtschaft hemmend im Weg steht und daß es entscheidend darauf ankommt, die Ursachen für das Darniederliegen der Wirtschaft zu bekämpfen und über den Tiefpunkt, an dem wir stehen, hinwegzukommen. Die deutsche Industrie hat sich dieser Auffassung der Reichsregierung und insbesondere der Erkenntnis, daß sich gerade im Interesse der zur Zeit arbeitslosen, aber arbeitswilligen Elemente jede neue Belastung der Produktion verbietet, daß vielmehr die Entlastung der produktiven Stände mit allen Mitteln zu fördern ist, in vollem Umfange angeschlossen.
Es sind die gleichen Argumente, die damals benutzt wurden und die Sie heute benutzen. Ich kann nur hoffen, daß die Folgen nicht die gleichen sind, wenn Sie diese Brüningsche Politik fortsetzen, die Sie gegenwärtig betreiben.
({10})
Sie sprechen die ganze Zeit von Ausgabenkürzungen und sprechen natürlich nicht über Einnahmen. Aber ich finde, beides gehört zusammen. Da wird zum Beispiel immer so getan, als ob die Unternehmen in Deutschland die höchsten Steuern im Rahmen der Europäischen Union bezahlen würden. Wahr ist, daß wir rein theoretisch den höchsten Steuersatz haben. Aber ebenso wahr ist, daß effektiv im Durchschnitt nach Luxemburg die niedrigsten Unternehmensteuern innerhalb der Europäischen Union in
Deutschland gezahlt werden. Das ist die Realität. Wieviel mehr Standortvorteile wollen Sie denn noch schaffen?
Natürlich sind Durchschnittszahlen immer gefährlich. Das Problem ist nämlich, daß die großen Konzerne, die Banken und die Versicherungen so gut wie überhaupt keine Steuern zahlen, während die Kleinunternehmen und die mittelständischen Unternehmen ehrlich und deshalb sehr hohe Steuern zahlen. Diese Ungerechtigkeit muß aufgelöst werden, wenn Sie Arbeitsplätze schaffen wollen.
({11})
Man könnte sich übrigens auch einmal ansehen, wie sich das entwickelt hat. Sie machen doch die ganze Zeit diese Politik der Entlastung. Sie sagen doch immer, Leistung muß sich wieder lohnen. Sie lohnt sich doch - was auch immer man darunter verstehen mag. Die entnommenen Gewinne und Vermögenseinkommen sind von 245,1 Milliarden DM im Jahr 1980 auf 735,4 Milliarden DM im Jahr 1995 gestiegen. Das heißt, sie haben sich in Ihrer Regierungszeit mehr als verdreifacht. Welche Erhöhung wollen Sie dieser Gruppe in der Gesellschaft denn noch zukommen lassen?
Wieviel Arbeitsplätze, glauben Sie, sind denn daraus erwachsen? Kein einziger! Das war die Zeit, in der die meisten Arbeitslosen in Deutschland entstanden sind, obwohl Sie ein Steuergeschenk nach dem anderen gemacht haben, obwohl Sie eine Erleichterung nach der anderen für diese Gruppe in der Bevölkerung organisiert haben.
({12})
Die Zahl der Einkommensmillionäre ist von 1983 bis 1989 von etwas über 33 000 auf etwas über 56 000 gestiegen. Seit 1989 verweigert das Statistische Bundesamt die Statistik darüber. Inzwischen ist nämlich die Zahl der Einkommensmillionäre noch einmal um 40 Prozent angestiegen. So hatten sie nach der deutschen Einheit zugenommen. Wir sind jetzt nahe bei 100 000. Übrigens verdienen davon über 1 000 jährlich mehr als 10 Millionen DM. Können Sie mir einmal erklären, wer so viel leistet, daß er jährlich mehr als 10 Millionen DM verdienen muß? Dafür gibt es keine Rechtfertigung, selbst wenn er den ganzen Tag arbeitet und nie schläft.
({13})
- Die DDR ist an vielem gescheitert, aber nicht an dem Mangel an Millionären.
({14})
Da irren Sie sich. Das war nicht ihre Schwäche. Glauben Sie, daß es die DDR, wenn wir tausend Leute gehabt hätten, die über 10 Millionen DM im Jahr verdient hätten, noch geben würde? Sie haben vielleicht naive Vorstellungen.
({15})
Sie befördern den Reichtum. Dann erklären Sie hier, daß Sie Steuern nicht erhöhen wollen. Die Frage ist doch: Für wen? Niemand hätte etwas dagegen, wenn die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesenkt würden. Aber Sie senken doch immer nur die Belastungen der Besserverdienenden, der Reichen, der Vermögenden. Das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen: Die Abschaffung der Vermögensteuer auch für das private Vermögen bringt Ihre ganze Haltung zum Ausdruck.
In einer Zeit, in der jede Sozialhilfeempfängerin weniger bekommt, in einer Zeit, in der es immer mehr Arbeitslose gibt, in einer Zeit, in der Sie jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer zur Kasse bitten und das Krankengeld kürzen wollen, erlassen Sie Frau Thurn und Taxis die Vermögensteuer. Das ist die Realität in dieser Gesellschaft, und um diese Wahrheit kommen Sie nicht herum.
({16})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie müssen die Einnahmen erhöhen, um Beschäftigung finanzieren zu können, und zwar durch eine gerechte Besteuerung der Unternehmen.
({17})
Erklären Sie doch einmal einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer folgendes: Wenn ein Arbeitnehmer brutto 100 DM verdient, muß er davon etwa 40 DM an Steuern und Abgaben abgeben. Wenn ein Aktionär 100 DM verdient, muß er 12 DM abgeben.
({18})
Das ist die Realität. Nehmen Sie da einmal eine Erhöhung der Abgabenlast vor. Dann können Sie nämlich die anderen Abgaben senken. Nur so herum funktioniert Umverteilung. Wer Armut und Sozialdumping bekämpfen will, muß Reichtum begrenzen. Anders wird das nicht funktionieren.
({19})
Sie hätten die Möglichkeit, Spekulationsgewinne, die an Börsen, bei Banken und auf dem Immobilienmarkt entstehen, abzuschöpfen. Sie könnten eine Abgabe für Besserverdienende einführen. Sie könnten endlich eine Kapitaltransfersteuer einführen, damit nicht soviel Kapital abfließt. Sie könnten eine gerechtere und höhere Erbschaftsteuer einführen. Sie könnten auch eine Luxussteuer, das heißt eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Luxusprodukte, einführen. All das wäre möglich, aber all das würde Ihre Klientel treffen, und deshalb machen Sie das nicht.
Wenn Sie Ihre Einnahmenpolitik auf die von mir beschriebene Art und Weise verändern würden, dann hätten Sie die Chance, eine soziale Grundsicherung und einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu finanzieren und damit wirksam gegen Arbeitslosigkeit anzugehen.
({20})
Natürlich können wir auch sparen, zum Beispiel bei der Rüstung. Den Eurofighter braucht niemand. Verzichten Sie endlich auf dieses Produkt.
({21})
Wir könnten durch Begrenzung der Bürokratie sparen. Wir könnten sparen, indem wir auf die Prunkbauten in Berlin verzichten.
Herr Bundeskanzler, die Regierung der DDR mag nicht viel getaugt haben, aber klein war sie nicht. Das heißt, es gab ausreichend Räume.
({22})
Warum wäre es denn so schlimm gewesen, wenn wir uns mit Provisorien hätten abfinden müssen? Wieso muß alles in Glanz und Glimmer für Milliarden und Abermilliarden entstehen? Das war überflüssig, und das war der Situation überhaupt nicht angemessen.
({23})
Wir könnten auch auf den Transrapid verzichten. Das wird eines der kostspieligsten Unternehmen, das sich diese Gesellschaft leistet. Hinterher werden Sie wieder schreien und das Ganze privatisieren. Das heißt, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben den Transrapid über ihre Steuern bezahlt, und Sie sorgen dafür, daß die Gewinne privat bei einigen wenigen Personen landen.
({24})
Das ist Ihre Politik. Diese führt zur Verarmung des Staates, und das ist für Sie die Begründung dafür, den Sozialabbau fortzusetzen.
Was führen Sie an Maßnahmen gegen Massenarbeitslosigkeit durch? Das erste ist: Sie kürzen permanent Sozialleistungen und reduzieren damit Kaufkraft. Wenn Sie Kaufkraft reduzieren, ist die Folge, daß immer mehr Arbeitsplätze abgebaut werden. Das zweite ist: Sie erhöhen das Rentenalter. Dadurch schaffen Sie nicht einen einzigen Arbeitsplatz. Ganz im Gegenteil: Sie enthalten damit die Arbeitsplätze Jüngeren vor, indem Frauen länger arbeiten müssen. Außerdem ist das, was Sie da beschließen, auch noch frauenfeindlich.
({25})
Das dritte ist: Sie wollen im Rahmen der Kohlepolitik die Subventionen streichen und Zechen schließen. Das ist Ihre Arbeitsmarktpolitik. Nennen Sie mir eine einzige Maßnahme, die Sie getroffen haben und die real zu mehr Arbeitsplätzen geführt hätte. Es gibt keine.
Herr Gerhardt ist stolz darauf, daß er bereit ist, den Kündigungsschutz abzuschaffen.
({26})
Wenn ich immer mehr Rechte abschaffe, dann kann
ich natürlich unter Bedingungen, die einen Stand
von vor der großen Französischen Revolution haben, Arbeitsplätze schaffen.
Sie wissen ganz genau, der Zug ist abgefahren. Wenn Sie für Unternehmen mit maximal zehn Beschäftigten - das sind immerhin 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland, und 30 Prozent der Beschäftigten sind davon betroffen - den Kündigungsschutz abschaffen, dann läßt sich der Kündigungsschutz auch für die anderen 70 Prozent der Beschäftigten nicht halten.
Ich muß darauf hinweisen, daß Sie ja auch eine schwere Niederlage erlitten haben - das zeigt, daß die Regierung wirklich am Ende ist -: Sie wollten symbolisch die Gewerkschaften bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall brechen. Jetzt gibt es Hunderttausende, die einfach nein sagen, die da nicht mitmachen und Ihnen diese Politik nicht mehr durchgehen lassen,
({27})
weil sie begriffen haben, daß diese Kürzung nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt, sondern nur zu mehr Reichtum. Sie akzeptieren diesen wachsenden Reichtum in unserer Gesellschaft nicht mehr, wenn auf der anderen Seite immer mehr Kürzungen und immer mehr Armut stehen.
Deshalb sage ich: Sie sind am Ende, und besser heute als morgen sollten Sie mit dieser Politik aufhören. Wenn wir etwas stärker werden - das wird kommen -, dann werden Sie auch diesen Wechsel erleben. Sie werden ihn natürlich nicht mit Freude erleben, Herr Bundeskanzler.
({28})
Aber ich verspreche Ihnen: Sie werden es noch erleben. Es ist das erste Mal, daß ich Ihnen etwas verspreche, und Sie werden sehen, daß ich im Unterschied zu Ihnen Versprechen halte.
({29})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin schon schwer getroffen von den Schlägen, die ich eben noch einmal erfahren habe.
({0})
Wenn man sich vor Augen führt, woher der geschätzte Kollege nicht nur geographisch, sondern auch politisch kommt, muß man sich immer nur wundern, welch eine Keßheit dazu gehört, hier an diesem Pult solche Reden zu führen.
({1})
Aber das ist trotzdem in Ordnung; denn es gehört zur parlamentarischen Demokratie, daß in der Generaldiskussion zum Etat des Bundeskanzlers alle nur denkbaren Perspektiven der Politik angesprochen werden können. Als Bundeskanzler, als Regierung und auch als Regierungskoalition kann man nicht damit rechnen, daß die Opposition Lobpreis spendet. Das haben wir früher auch nie getan. Auch wir haben seinerzeit gelegentlich die Farben kräftig aufgetragen und gesagt, daß es nicht mehr weitergehe und daß die Regierung unmittelbar vor dem Zusammenbruch stehe.
Bis jetzt habe ich nur noch nicht gehört - meine Freunde aus der CSU mögen es mir nachsehen -, daß das Wort Sonthofen hier gefallen ist. Das habe ich alles schon einmal gehört; bloß hat es zu nichts geführt. Warum lernen Sie eigentlich nicht aus unseren Fehlern? Das wäre doch naheliegend; denn dies war doch nun gar kein Rezept, das uns in die Regierung gebracht hätte. Vielmehr kann man nur an die Regierung kommen, wenn die Bürger das Gefühl haben, die Politiker machen zwar diesen oder jenen Fehler, verdienen aber insgesamt Vertrauen. Deswegen sind wir auch immer gewählt worden.
({2})
Die Stimmbürgerin und der Stimmbürger verstehen Politik auch - das ist ja im Sinne unserer demokratischen Überzeugung - als Kampf und Auseinandersetzung um den besseren, den besten Weg in die Zukunft. Da werden Konzepte einander gegenübergestellt, die wechselseitig nicht akzeptiert werden; auch das gehört dazu. Dann hat der Wähler das letzte Wort. Das ist auch gut so.
Wir haben uns immer wieder den Wählern zu stellen. Hier war die Rede von einer düsteren Perspektive für die Koalitionsparteien und die Bundesregierung. Aber ich erkenne überhaupt keinen Grund, verzagt zu sein. Wenn ich im SPD-Präsidium gesessen hätte - Gott sei Dank war ich dort nicht; aber stellen Sie sich das einmal vor -,
({3})
dann wäre dort vielleicht eine einheitliche Meinung herausgekommen.
({4})
Was glauben Sie, Herr Kollege - Sie haben mich gerade angesprochen -, was die Leute in Ihrem Unterbezirk oder in Ihrem Ortsverein gesagt hätten? Vielleicht hätten sie gesagt: Endlich wissen wir einmal, was die in Bonn wollen!
({5})
Ich kann mich Ihnen nicht andienen; so weit kann das nicht gehen. Ich will aber wenigstens gesagt haben, daß das Bild von Deutschland, das Sie hier entworfen haben, mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun hat. Das wissen Sie so gut wie ich.
Und fügen Sie nicht noch einen Schuß Klassenkampf hinzu! Herr Verheugen ist aufgestanden und hat das pur dargeboten. Herr Verheugen, wenn ich Parteivorsitzender der SPD wäre, würde ich Ihre Ratschläge prinzipiell nicht annehmen.
({6})
Sie haben schon einmal einer Partei falsche Ratschläge gegeben.
({7})
Natürlich kann man sich irren. Daß Sie jetzt aber so in den Klassenkampf verfallen, ist schon eine ganz ungewöhnliche Mutation. Ich habe Sie doch noch von früher in Erinnerung!
({8})
Ich sage es noch einmal: Die Menschen im Land wissen sehr genau, daß wir umdenken müssen, daß es nicht möglich ist zu sagen: Wir machen so weiter!, wie wir es früher auch gesagt haben. Die Menschen wissen, daß jetzt weltweit, also auch in Deutschland und in Europa, eine Entwicklung eingetreten ist, aus der wir Konsequenzen ziehen müssen. Ich glaube nicht, daß wir in Wahrheit in dieser Grundposition weit voneinander entfernt sind.
Deswegen: Lassen Sie uns streiten; die Wähler sollen dann entscheiden. Ich finde es bloß nicht sehr überzeugend, daß Sie in diesen Tagen als Hauptslogan den Ruf aus Köln erklingen ließen - hier haben Sie ja geschwiegen; die Parlamentarischen Geschäftsführer haben für Ruhe gesorgt -: Der Kohl muß weg. Das können Sie ja rufen, aber er ist da.
({9})
Das ist so eine Art Beschwörung; sie hat aber keine politischen Inhalte.
Ich habe Ihren geschätzten Partner auf dem Weg in die Zukunft - so glauben Sie es ja - beobachtet, auch die ganze Führungselite der Grünen; sie war mehr betroffen, wie man vorhin sehen konnte.
({10})
Lassen Sie uns also kräftig miteinander kämpfen und auseinandersetzen! Die Wähler fällen dann die Entscheidung. Sie werden auch beurteilen, was wir, Koalition und Regierung, geleistet bzw. nicht geleistet haben und was Sie an Angeboten unterbreitet oder zu machen unterlassen haben.
({11}) Das können Sie nicht verändern; das ist so.
Da Sie den Zwischenruf gemacht haben: Eigentlich hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie in Stuttgart
etwas klüger operiert hätten. - Damit meine ich jetzt konkret die SPD.
({12})
- Entschuldigung, ich nehme das zurück. Ich habe Sie verwechselt. Sie in Hamburg haben den Fehler noch vor sich.
({13})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Bevor ich zu dem komme, was ich in die Debatte einzubringen mir vorgenommen habe, will ich kurz etwas zu der Auseinandersetzung über Lehrstellen sagen.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich streite jetzt nicht darüber, wie Sie diese Ausarbeitung bezeichnen. Ich habe eben noch einmal nachgelesen und festgestellt, daß dieses eine Wort in der Ausarbeitung nicht vorkommt. Das will ich ausdrücklich festhalten. Sie haben eine ganze Menge Vorschläge gemacht, die aber am Ende alle zum gleichen Ergebnis führen, nämlich dazu, daß es sich um eine Abgabe handelt.
Es muß doch wenigstens erlaubt sein, hier darauf hinzuweisen, daß zwei namhafte Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei Ihrer Debatte auftraten, die, wie immer in einer solchen Situation, nicht freundlich aufgenommen wurden, nämlich der zukünftige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, und Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher und Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Schröder. Sie haben davor gewarnt, diesen Beschluß zu fassen.
Sie haben im übrigen darauf hingewiesen - das ist doch in dieser Woche so gewesen -, daß dieser Beschluß nicht zu mehr Lehrstellen führt, sondern die Bereitstellung von mehr Lehrstellen vereitelt. Das ist dort wörtlich gesagt worden.
({0})
Nicht mehr und nicht weniger hat Wolfgang Schäuble zu diesem Thema gesagt.
Wie ist die Bilanz, und wie ist die Situation? Das ist - jedenfalls für mich - eines der zentralen Themen der deutschen Politik: Wie sehen die Zukunftschancen junger Leute aus, in diesem Fall vor allem im Arbeitnehmerbereich, im Bereich des dualen Ausbildungssystems?
Die Lehrstellenbilanz in Deutschland ist auch in diesem Jahr ausgeglichen.
({1})
- Hören Sie doch erst mal zu, bevor Sie wieder Zwischenrufe machen! Ende September gab es noch 43 000 freie Stellen gegenüber 38 000 Nicht-Vermittelten. Im Oktober sind weitere 10 000 Vermittlungen hinzugekommen, so daß die Zahl, die wir uns im Frühjahr als Ziel gesetzt hatten, erreicht wurde. Dies ist die statistische Größe. Sie ist objektiv richtig - wie früher übrigens auch.
Das Problem, das wir haben, ist, daß diese Zahlen zunächst noch nichts über die regionale Situation aussagen. Die regionalen Unterschiede waren immer gravierend. Sie sind in den letzten Jahren - natürlich vor allem auch in den neuen Ländern - noch gravierender geworden. Das Problem, das wir haben, liegt nicht primär in der absoluten Zahl, sondern in der Tatsache begründet, daß wir in bestimmten Regionen Deutschlands bei dem Angebot von und der Nachfrage nach Lehrstellen ganz unterschiedliche Entwicklungen haben.
Sie sehen das an einem Beispiel, das sehr bedrükkend ist. Die Situation im Ruhrgebiet stellt sich in diesem Zusammenhang als besonders schwierig dar. Das hat etwas mit den gewaltigen Veränderungen der industriellen Struktur in dieser Region zu tun, übrigens auch im Bereich des Steinkohlebergbaus, um ein Beispiel zu nennen. Klugerweise muß man ganz einfach sagen: Wir müssen in solchen Regionen - das gilt natürlich in besonderem Maße für die neuen Länder - mit neuen Überlegungen ansetzen, um das Ganze zu sichern.
Es gibt auch andere Gründe, die hier zu nennen sind, die es übrigens zum Teil schon immer gab. Es gab immer, und zwar in jeder Ausbildungsgeneration, Trends zu bestimmten Berufen. Es gab immer Berufe, die sich als „Modeberufe" - und das meine ich nicht abwertend - verstanden haben, bei denen man gesagt hat: Diesen Beruf will ich ergreifen. Es gab aber immer auch andere Berufe, die von denen, die einen Ausbildungsplatz gesucht haben, als weniger akzeptabel empfunden wurden.
Das heißt also, wir müssen uns jetzt - und das werden wir tun - gemeinsam mit allen Betroffenen - ich denke in diesem Zusammenhang an die Arbeitgeber, ich denke vor allem an die Kammern, ich denke nicht zuletzt auch an die Gewerkschaften -, so haben wir es vereinbart, gleich im Januar - nicht abwartend - eine Fülle von Maßnahmen überlegen, um die Entwicklung im nächsten Jahr und in den folgenden Jahren einigermaßen vernünftig gestalten zu können.
Denn es ist wahr: Zwischen 1995 und 2005 werden die starken Jahrgänge - wir werden uns mit Wehmut an diese Zeit erinnern, wenn sie vorbei ist - Ausbildungsplätze suchen. Das wichtige Ziel deutscher Politik, ich sage lieber: deutscher Gesellschaft muß sein, daß junge Leute, die aus der Schule kommen und den ersten Schritt in die Welt des Erwachsenen tun, einen Ausbildungsplatz finden. Das muß Vorrang vor vielem anderen haben.
({2})
Wir sind davon überzeugt - ich habe mich sicher
mehr bemüht als viele andere, gerade in diesem
Jahr -, daß wir das auf der Basis der Vereinbarung schaffen können.
Aber wir müssen fairerweise auch fragen, was zusätzlich geschehen muß, um die Akzeptanz nicht nur bei den Lehrlingen, sondern auch bei denen, die als Arbeitgeber, als Lehrherren in Frage kommen, zu verbessern. Da haben wir eine Menge auf den Weg gebracht. Das ist aber nicht ausreichend.
Ich will nur noch ein paar Beispiele nennen. Wir müssen unbedingt - da sind wir auf einem guten Weg - die Ausbildereignung weiter flexibilisieren. Wir müssen auch das Moment der langjährigen beruflichen Erfahrung vor der rein prüfungsmäßigen Voraussetzung wieder stärker in Betracht ziehen. Ich bin ganz sicher, daß auf diesem Weg Gutes erreicht
werden kann.
({3})
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das Tempo bei der Schaffung neuer Berufsbilder zunehmen muß. Ich sage das ohne Vorwurf; es sind alle daran beteiligt: ob das die Landes- oder die Bundesministerien sind, ob das die Gewerkschaften sind, ob das die Wirtschaft ist. Das Ganze ist in vielen Jahren viel zu schleppend gelaufen. Bei der Schaffung neuer Berufsbilder mit hoher Qualität muß schneller vorangegangen werden.
Wir haben es jetzt geschafft, die Zeitspanne für die Einführung neuer Berufsbilder von fünf Jahren auf zwei Jahre zu verkürzen. Ich halte das nicht für ein Ruhmesblatt, sondern für das Mindeste, was man tun kann und tun muß. Ich könnte mir vorstellen, daß hier noch mehr geschehen kann.
Meine Damen und Herren, wir müssen vor allen Dingen die veränderten Verhältnisse bedenken. Ich finde es besonders seltsam, daß dieser Aspekt in der gesamten Diskussion nicht auftaucht.
Dabei wäre erstens die Tatsache zu nennen, daß heute rund 70 Prozent aller Auszubildenden, die noch nach der Berufsschule im Betrieb besser ausgebildet werden können, gar keine Jugendlichen im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes sind, sondern Erwachsene, daß sie beispielsweise Wähler sind. Damit besteht eine völlig andere Situation als noch vor 30 oder 40 Jahren, als unter dem Begriff „Lehrling" und später „Auszubildender" ein bestimmter Lebensabschnitt verstanden wurde. Das ist heute anders. Wir müssen überprüfen, was das für Konsequenzen hat.
Zweitens scheint mir folgender Sachverhalt entscheidend zu sein. Herr Scharping, bei dieser Frage würde ich Sie bitten, im Kreise Ihrer Freunde dafür zu werben, ebenso und vor allem auch Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine;
({4})
ich tue das gleiche auch auf seiten der CDU: Bei meinen Gesprächen in diesem Jahr ist es für mich mit am
alarmierendsten gewesen, von allen Seiten die Sorge
zu hören, daß die Zahl derjenigen Anwärter für eine Ausbildung in einem Lehrberuf gewachsen ist - sie macht ungefähr 10 Prozent aus -, die die Voraussetzungen für eine Ausbildung nicht mitbringen. Die Schule war nicht in der Lage, das notwendige Wissen zu vermitteln.
Herr Abgeordneter Scharping, Sie sprachen von den Lohnnebenkosten; Sie sprachen auch davon, welche Leistungen zwecks Entlastung nicht mehr durch die Bundesanstalt finanziert werden sollen, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Unsere Auffassungen liegen da nicht so weit auseinander. Die Frage wird sein, woher wir das Geld bekommen; da gehen unsere Ansichten auseinander.
Sie können in die Reihe Ihrer Beispiele, für das, was Sie ändern wollen, mit aufnehmen, daß die Nürnberger Bundesanstalt Jahr für Jahr rund eine halbe Milliarde DM für Grundbildungs- und Förderlehrgänge ausgeben muß, damit Jugendliche überhaupt ausbildungsreif sind. Das hat etwas mit der Schule zu tun.
({5})
Ich klage auch hier nicht an, ich sage nicht, das machen die Länder gut oder schlecht. Ich denke auch nicht daran, die Lehrer anzuklagen. Das alles wäre ziemlich kurzsichtig und töricht.
Aber wahr ist, meine Damen und Herren, daß der Zustand der Schulen nicht in Ordnung sein kann, wenn ein so hoher Prozentsatz der Jugendlichen im Anschluß an die Schule in einem Ausbildungsberuf nicht ausbildungsfähig ist. Das ist doch ein Punkt, der uns beschäftigen muß.
({6})
Wir werden sicherlich seitens der Bundesregierung im Kreise der Ministerpräsidenten bald darüber sprechen. Deswegen halte ich es für wichtig, daß wir nicht nur Programme aufstellen, sondern den Dingen auf den Grund gehen.
Für mich bleibt es eine der zentralen Aufgaben der deutschen Gesellschaft, erstens für eine erstklassige Ausbildung der jungen Generation zu sorgen - in diesem Falle derjenigen, die im dualen System ausgebildet werden - und zweitens alle Voraussetzungen für die Ausbildung im dualen System zu verbessern. Es gilt zu Recht immer noch weltweit als das beste Ausbildungssystem.
Meine Damen und Herren, dazu gehört dann natürlich auch, daß wir die einzelnen Voraussetzungen schaffen. Ich bestreite nicht die gute Absicht hinter Ihren Vorschlägen, die Sie in der konkreten Situation umzusetzen versuchen. Ich sage Ihnen aber wie Clement und Schröder auch voraus: Eine solche Vorlage, zum Gesetz erhoben, wird zu einer breiten Ausbildungsverweigerung führen.
({7})
Die Ausbildungsbetriebe werden sich freikaufen, wie wir das in anderen Bereichen auch erlebt haben.
({8})
Bedenken Sie bitte bei Ihrem Vorschlag, daß er eine weit über das Finanzielle hinausgehende Wirkung haben wird: Die Kontinuität in der Ausbildung, die nicht zuletzt im Handwerk immer noch besteht und den Ruf des dualen Systems über Generationen hinweg geschaffen und gefestigt hat, geht mit Sicherheit verloren. Deswegen sage ich Ihnen klar: Wir werden solche Vorschläge nicht akzeptieren.
({9})
Aber ich will Sie gern einladen, an der Diskussion in bezug auf das, was wir im neuen Jahr beginnen wollen, teilzunehmen; denn je mehr Gemeinsamkeit wir herstellen können, desto besser ist es für die jungen Leute. Das ist unser eigentlicher Auftrag.
Meine Damen und Herren, diese Debatte um den Etat 1997 findet - das ist überall erkennbar - in einem Augenblick der dramatischen Veränderung in der Welt, in Europa und in Deutschland statt. Wenn Sie sich die Situation allein in den Ländern der Europäischen Union anschauen, werden Sie überall den gleichen Eindruck bekommen, nämlich daß überall um den richtigen Weg in die Zukunft gerungen wird, daß heftige Auseinandersetzungen, auch schwere soziale Auseinandersetzungen stattfinden und daß man überall begriffen hat: Es ist jetzt, gut drei Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts, der Zeitpunkt gekommen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Wenn dies für alle richtig ist, dann ist es auch für Deutschland richtig. Deutschland ist nach den USA und noch vor Japan die zweitgrößte Exportnation der Welt. Wir können noch soviel miteinander streiten und diskutieren: Wir werden den Wohlstand und die soziale Stabilität, die ganze Generationen in den letzten 50 Jahren in Deutschland geschaffen haben, nicht halten können, und wir werden auch die sozialen Probleme, die es ja gibt und die gelöst werden müssen - ich komme gleich darauf zu sprechen -, nicht in den Griff bekommen können, wenn wir diese weltweite Entwicklung nicht auch unter der Perspektive betrachten, welche Hausaufgaben wir selbst dabei zu machen haben.
Insofern ist das Denken in globalen Kategorien keine Ausrede, die wir hier zu Hause gebrauchen würden; es ist die ganz einfache Voraussetzung dafür, die Zukunft zu begreifen. Denn die Märkte wachsen immer weiter zusammen; die Arbeitsplätze wandern zu den Standorten, die besonders attraktiv sind. Wahr ist ebenfalls, daß manch einer diese Standortbetrachtung zu kurzsichtig betreibt und daß er die Vorteile des Standortes Deutschland, von denen ich ebenfalls reden will, viel zu gering einschätzt.
({10})
- Wenn das für Sie nebulös ist, verstehen Sie nichts von der Wirklichkeit. Aber das verwundert mich bei Ihnen nicht.
({11})
Wer aus dem Nebel heraustritt und die Entwicklung der ostasiatischen Märkte betrachtet, wer sieht, wie sehr sich die Konkurrenten dort bemerkbar machen, wer beispielsweise sieht, wie in diesem Augenblick eine Weltmacht wie die Vereinigten Staaten von Amerika Positionen etwa im Verhältnis zur Volksrepublik China teilweise revidieren muß, der weiß, daß hierbei auch wirtschaftliche Gegebenheiten wirksam sind.
Wir können doch nicht so tun, als ginge uns das alles nichts an. Der Anteil der ostasiatischen Schwellenländer am Welthandel hat sich seit 1970 von 21/2 Prozent auf mehr als 10 Prozent vervierfacht. Die für uns viel wichtigere Zahl ist: Der deutsche Anteil hat sich im gleichen Zeitraum von fast 12 Prozent auf 9 Prozent reduziert. Sie brauchen diese Zahlen ja nicht absolut zu nehmen. Aber in ihrer Tendenz zeigen sie einen Abstieg an. Er muß gestoppt werden.
({12})
- Das ist nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, verehrter Herr Ministerpräsident. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen; dann sind wir bei der Sozialpolitik. Ich bin sehr gespannt, was Sie darauf anschließend replizieren werden.
({13})
Seit einigen Jahren kommt zu der klassischen Konkurrenz aus dem Fernen Osten die Konkurrenz aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft hinzu. Lassen Sie mich das Folgende auch einmal in der aktuellen deutschen Diskussion sagen: Ich finde es ziemlich schäbig, daß viele mit kurzsichtigen Neidgefühlen auf unsere Nachbarn, etwa in Tschechien, Ungarn oder bis hin nach Rußland, schauen. Wir wollten doch eigentlich immer, daß der Kommunismus verschwindet; wir wollten doch, daß diese Länder zu Reform, zu Freiheit, zu sozialer Stabilität und zum Rechtsstaat, auch zu wirtschaftlicher Öffnung finden. Wenn sie jetzt diesen Weg beschreiten, werden sie natürlich unsere Konkurrenten. Damit muß man nicht nur leben; ich finde, wir sollten begrüßen, daß wir jetzt in Deutschland und in Europa normale Verhältnisse haben.
({14})
Wenn die Arbeitsstunde eines Entwicklungsingenieurs für Nachrichtentechnik - ich nehme bewußt das Beispiel aus einem Zukunftsberuf - bei einem deutschen Großunternehmen gegenwärtig 135 DM kostet, in Ungarn nur 54 DM, dann ist das eine klare Aussage. Sie kann für uns aber nicht bedeuten: Weil die Konkurrenz vorhanden ist und niedrigere Löhne zu bezahlen hat, müssen wir die Löhne senken. Das geht doch gar nicht. Die Konkurrenten werden ihre niedrigeren Löhne nicht beibehalten können; auch das ist wahr.
Aber es stellt sich doch die Frage, ob die deutsche Gesellschaft - das ist überhaupt keine parteipolitische Frage - den Mut und die Kraft aufbringt zu sagen, wir müssen trotzdem versuchen, die Arbeitskosten zu senken, zum Beispiel durch mehr Flexibilität in der Arbeitsorganisation.
Es ist hier vorhin - ich glaube, vom Kollegen von der F.D.P. - auf das Beispiel der IG Metall hingewiesen worden. Ich beobachte in deutschen Betrieben der Metallbranche - auch mit Zustimmung der IG Metall, und das finde ich sehr gut - inzwischen Einzelabmachungen, die vor fünf Jahren völlig undenkbar waren. Das heißt, es haben Veränderungen auch in den Köpfen Platz gegriffen. Warum tun wir hier in diesem Saale so, als sei das nicht so? In Wahrheit sind wir doch längst viel weiter.
({15})
Entwicklungen wie mehr Teilzeitarbeit oder Arbeitszeitkonten, ein ganz wichtiges Wort, waren vor fünf Jahren ein Schreckgespenst.
({16})
- Hören Sie doch überhaupt mal zu! Es hat keinen Sinn, daß Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages hier im Saal sitzen und sich einfach nach dem Muster verhalten: Weil der das sagt, ist es falsch. - Es ist doch richtig, was ich hier gesagt habe.
({17})
Das heißt auch, daß die Tarifautonomie natürlich erhalten bleiben muß. Ich halte die Tarifautonomie für eine der wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich kann nur alle warnen, die Tarifautonomie in Frage zu stellen, auch dann, wenn ich von Herrn Scharping gescholten werde, ich würde die Unternehmer angreifen. Das ist übrigens eine ganz neue Verteidigungsposition, die ich hier erlebt habe;
({18})
aber warum sollen Sie es nicht tun, denn wenn es der Herr Schröder macht, müssen Sie es auch machen, Konkurrenz belebt auch bei euch das Geschäft. Das Ganze in Frage zu stellen halte ich für eine gefährliche Position, die für mich nicht akzeptabel ist.
Natürlich sind wir keine Konsensgesellschaft. Natürlich müssen wir in bestimmten Bereichen Entscheidungen treffen. Aber es ist doch keine falsche Politik, den Versuch zu unternehmen, dort, wo es möglich ist, Konsens zu finden. Eine pauschale Absage nach der einen oder anderen Seite ist mit Sicherheit nicht demokratieverträglich. Deswegen sage ich das auch entsprechend klar und deutlich.
({19})
Meine Damen und Herren, wir haben auch in dieser schwierigen Zeit gute Chancen.
({20})
- Ich muß Sie auch ertragen. Deswegen müssen Sie mich auch ertragen.
({21})
Ich finde, es kann Ihnen nur gut tun, wenn Sie so etwas mal hören.
({22})
Meine Damen und Herren, denjenigen, die den Standort Deutschland schlechtmachen, muß man in Erinnerung rufen, daß wir wichtige Aktivposten haben, die sich sehr wohl mit allen anderen Ländern der Welt messen können:
({23})
eine ausgezeichnete Infrastruktur, die hohe Qualifikation bei der Ausbildung - ich habe davon gesprochen - und eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur zusammen mit einem leistungsfähigen Mittelstand.
Meine Damen und Herren, das sind Aktivposten, mit denen wir bei dem, was wir an Problemen zu bewältigen haben, ein gutes Stück vorankommen können.
Es ist auch wahr, daß wir wieder in eine Entwicklung kommen - Gott sei Dank -, daß die Konjunktur anzieht. Ich streite nicht darüber, ob es 2 oder 2,5 Prozent sind; jedenfalls zieht die Konjunktur an. Wir haben faktisch Preisstabilität, nämlich eine Inflationsrate von nur 1,5 Prozent. Ich höre hier dauernd etwas von dem sozialen Abstieg in Deutschland. Keiner von Ihnen hat es bisher für nötig befunden zu sagen, daß einer der größten Erfolge unserer Zeit die niedrige Inflationsrate von 1,5 Prozent ist.
({24})
Die Zinsen befinden sich auf einem historischen Tiefstand. Wir haben Tarifabschlüsse, jedenfalls in der allerjüngsten Zeit, die sehr viel besser als in früherer Zeit wettbewerbs- und beschäftigungsorientiert sind.
Wir haben eine Weltkonjunktur, die dem Export hilft. Und ein Sachverhalt ist hier seltsamerweise nie angeklungen, aber von entscheidender Bedeutung: Die D-Mark-Aufwertung vom Frühjahr 1995 ist fast vollständig zurückgebildet worden.
Diese Tatsachen geben allen Grund zu einem realistischen Optimismus, nicht zu Pessimismus.
({25})
- Sie haben recht, wenn Sie meinen, daß wir auch noch eine gute Regierung haben.
({26})
Aber - dieses Aber muß der Wahrheit halber sofort hinzugefügt werden - das alleine genügt noch nicht. Wir müssen auch fähig sein, zu erkennen - das ist eine notwendige und bittere Erkenntnis -, daß
unsere traditionelle Erfahrung, ein Anziehen der Konjunktur führe zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, so nicht mehr stimmt. Das heißt, daß wir die Tatsache von rund 4 Millionen Arbeitslosen nicht akzeptieren können. Dies ist und bleibt das zentrale Thema deutscher Politik.
({27})
Diese Erkenntnis hat dazu geführt - Wolfgang Schäuble hat es zitiert -, daß wir - Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung - am 23. Januar gemeinsam ganz klare Aussagen zu der Notwendigkeit eines Beschäftigungspaktes gemacht haben. Wir haben erklärt - das war nicht selbstverständlich -, daß wir die Zahl der Arbeitslosen halbieren wollen.
Wir wußten, daß dies ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. Ich sehe nicht den geringsten Grund, von diesem ehrgeizigen Ziel abzugehen. Ich bin dafür, alle Kraft einzusetzen. Denn ich vermag nicht zu erkennen, warum uns dies nicht möglich sein soll, wie damals, als wir - übrigens entgegen Ihren Unkenrufen - zwischen 1983 und 1992 mehr als 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben.
Die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit heute so hoch ist, hat auch mit Faktoren zu tun, die Sie in der Debatte regelmäßig unterschlagen. Dies ist nicht korrekt. Der deutsche Arbeitsmarkt hat in den letzten acht Jahren mehr als 2,5 Millionen Zuwanderer aufgenommen, und zwar mit all den Konsequenzen, die diese Zuwanderung mit sich bringt. Ich sage überhaupt nichts gegen diese Zuwanderung. Aber wenn man Vergleiche anstellt, etwa mit anderen Ländern in Europa, stellt man realistischerweise fest, daß es hohe Zeit ist, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen.
({28})
Wir wissen, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen in einem größeren Umfang beim öffentlichen Dienst - bei Bund, Ländern, Gemeinden - keine Zukunft hat. Es gibt viele Diskussionsbeiträge aus dem Kreis Ihrer Ministerpräsidenten, die das deutlich machen. Und wir können auch nicht erwarten, daß der Durchbruch bei der Lösung dieses Problems in den deutschen Großunternehmen erfolgt. Die eigentliche Chance für uns in Deutschland liegt darin - damit wiederholt sich die Situation der 50er Jahre -, daß neue Arbeitsplätze in großem Umfang im Bereich des Mittelstandes entstehen.
({29})
Von 1990 bis 1995 sind immerhin 1 Million Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen worden. Das heißt sehr konkret, daß wir alles tun müssen, um zu mehr Selbständigkeit beizutragen, den Mittelstand zu entlasten - Wolfgang Schäuble hat die Steuerfrage angesprochen; ich brauche das nicht zu wiederholen -, die notwendigen Reformen voranzubringen. Vor allem brauchen wir ein Umdenken in unserem Land, eine höhere Bereitschaft, sich selbständig zu machen. Im Vergleich zu anderen Ländern liegen wir in dieser Entwicklung überall - bis hin zum Bereich der Pädagogik - zurück. Deswegen müssen jetzt die Konsequenzen gezogen werden, das heißt: öffentliche Haushalte konsolidieren, Steuern und Abgaben senken, Sozialstaat umbauen!
({30})
Genau das haben wir mit dem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" auf den Weg gebracht. Sie wissen so gut wie ich, daß vieles bereits durchgesetzt wurde. Sie wissen aber auch, daß Sie über Ihre Position im Bundesrat alles tun, um hier zu blockieren. Die Strategie ist doch ganz klar - lassen Sie uns doch nicht darum herumreden -: Mit der Blockade im Bundesrat wird der Versuch unternommen, die Regierung handlungsunfähig erscheinen zu lassen,
({31})
den Leuten draußen zu sagen: Die haben zwar vielleicht guten Willen, aber sie bringen es nicht fertig.
({32})
So wollen Sie das Ganze auf die Bundestagswahl 1998 zutreiben lassen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie werden sehen, daß sich - wie wir es vor 20 Jahren auch einmal erfahren haben - diese Form der Blockade nicht auszahlt. Sie werden am Ende mit leeren Händen dastehen. Wir werden diese Auseinandersetzung mit Ihnen selbstverständlich kämpferisch führen.
({33})
Wir können natürlich noch über viele Details streiten. Wir können darüber streiten, ob es in der Frage der Lohnfortzahlung so oder anders gemacht wird. Wir haben Gewerkschafter und Unternehmer eingeladen, um es ihnen zu erleichtern, selber zu Regelungen zu kommen. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn von Januar bis April dieses Jahres eine Regelung gefunden worden wäre. Ausreichend Bereitschaft dafür war zunächst vorhanden.
Meine Damen und Herren, wenn man sieht, daß sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in einem wichtigen Bereich in den letzten 48 Stunden beinahe auf ein für sie akzeptables Modell geeinigt hatten, was dann aber letztendlich doch fehlschlug, dann frage ich mich schon, ob alle Beteiligten wirklich wissen, daß es jetzt nicht darum geht, irgendwelche Prestigefragen in den Vordergrund zu stellen, sondern darum, zu sagen, was getan werden kann, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({34})
Wenn wir von Zukunft reden, dann heißt das auch, daß wir den Sozialstaat umbauen müssen. Es geht nicht um Abschaffung des Sozialstaats. Es ist ziemlich absurd, in einem Land, in dem Sozialleistungen in einer Größenordnung gewährt werden, wie es in der Bundesrepublik der Fall ist, von einem Abbau
des Sozialstaats zu reden. Jede dritte erwirtschaftete D-Mark wird für Sozialleistungen ausgegeben. In keinem Land gibt es Arbeitnehmer mit vergleichbaren Arbeitszeiten und vergleichbaren Urlaubsregelungen. In keinem Land gibt es vergleichbare Renten. Warum bringen Sie also dauernd diese Mär auf, die soziale Katastrophe stehe ins Haus?
Wahr ist, daß wir eine Menge an Problemen auch im sozialen Bereich haben. Wahr ist auch, daß ein beachtlicher Teil der gewaltigen Summe, die die Bürger der Bundesrepublik über Steuern für den Sozialbereich aufbringen, nicht denen zugute kommt, denen er zugute kommen soll: den Bedürftigen. Statt dessen wird er von Trittbrettfahrern in Anspruch genommen. Das lehrt die Erfahrung.
({35})
Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin auf die Bevölkerungsentwicklung hingewiesen. Ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis; denn das deutet an, daß wir uns in dem Punkt vielleicht doch näherkommen. Wenn wir die soziale Situation Deutschlands und die demographischen Daten betrachten - die EU hat kürzlich die neuen Zahlen veröffentlicht -, dann stellen wir fest: Die Bundesrepublik Deutschland ist - neben ein, zwei anderen Ländern - durch die freie Entscheidung ihrer Bürger das Land mit der niedrigsten Geburtenrate in Europa. Es ist ganz offensichtlich, daß sich das in absehbarer Zeit nicht ändern wird.
({36})
- Das werden Sie nicht bestreiten wollen. Wenn Sie solche Laute von sich geben, bedenken Sie bitte, was Ihr Fraktionsvorsitzender vorhin im Hinblick auf Kultur gesagt hat. Also, die Zahl ist unbestreitbar.
Unbestreitbar ist auch - das ist höchst erfreulich -, daß die Zahl der Älteren zunimmt. In Kürze werden wir 3 Millionen Menschen haben, die älter als 80 Jahre sind; in absehbarer Zeit werden es mehr als 4 Millionen sein. Diese Veränderungen haben dramatische Folgen für das Renten- und Gesundheitssystem. Wenn wir uns einmal die Belegungszahlen in chirurgischen Kliniken - etwa für Bypass-Operationen, Hüftoperationen usw. - anschauen, dann wird daran der medizinische Fortschritt deutlich. Das alles ist höchst erfreulich. Aber das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gesamtsituation. Es ist doch billig, zu sagen, wie es vorhin wieder anklang: Der Seehofer versagt.
({37})
Wir, die Koalition, sind der Auffassung - dies sollten alle, auch die Ärzteschaft und die Kassen, bedenken -, daß die freie Arztwahl eine Grundvoraussetzung für ein System der Freiheit ist. Dann müssen wir aber alles tun, um dieses System unter Bedingungen, die sich total verändert haben, zu erhalten.
Ich möchte ein anderes Beispiel - vorhin wurden die Länder angesprochen - anführen: Ich kann es nicht akzeptieren, daß wir sechs Jahre nach der deutschen Einheit in Sachen Abitur - acht oder neun Jahre Gymnasium - immer noch nicht zu einer Regelung gekommen sind. Auch hier kann ich nicht fragen: Wer trägt die Verantwortung? Es ist für mich nicht einsichtig, daß in anderen Ländern Europas die Hochschulreife nach acht Jahren Gymnasium erlangt werden kann und es bei uns einen Streit gibt, ob man dazu neun Jahre Gymnasium braucht. Es stellt sich doch die Frage nach den Inhalten, es stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen, wenn bei uns in Deutschland der Student die Hochschule im Alter von 29 Jahren verläßt? In allen anderen EU-Ländern liegt das Hochschulabgangsalter bei 25 Jahren.
Wir reden dauernd von Chancengleichheit junger Leute. - Laßt uns doch dafür etwas tun! Sie können doch nicht sagen: Daß es hier Nachholbedarf gibt, ist die Schuld der Bundesregierung. Wir werden bei der Novellierung des Gesetzes darauf zurückkommen. Ich bin sehr darauf gespannt, was die Kollegen aus den SPD-geführten Bundesländern dazu zu sagen haben.
Ich komme jetzt zum Thema Rente: Norbert Blüm hat natürlich recht, wenn er von der Rente der jetzigen Rentnergeneration spricht. Er hat aber immer gesagt - und wir alle sagen es -, daß die Jungen einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, wie wir uns in etwa ihre Versorgung in den nächsten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts vorstellen. Deswegen haben wir die Rentenkommission gegründet; die Bundesregierung wird im neuen Jahr ihre Vorschläge machen. Ich lade Sie herzlich ein, an dieser Rentenreform mitzuwirken.
Das heißt aber auch: Wenn es so ist, daß die bisherigen Lösungen angesichts der demographischen Veränderungen nicht tragfähig sind, müssen wir daraus die Konsequenzen ziehen.
({38})
Das ist eine entscheidende Voraussetzung, damit wir das wichtige Ziel, das wir uns vorgenommen haben - so schwierig es auch sein mag -, erreichen. Wir haben uns vorgenommen, bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Sozialversicherungsbeiträge wieder auf unter 40 Prozent zu drücken.
Das alles ist möglich, wenn wir zum gemeinsamen Handeln fähig sind. Ich glaube schon, daß wir sowohl die Kraft als auch die notwendige Einsicht dazu haben, wenn wir nicht das Parteipolitische in den Vordergrund stellen, sondern darüber reden, was der beste Weg ist, um die Zukunft zu sichern.
Mit Blick auf die Versorgung mit Lehrstellen habe ich versucht, darzustellen, wie wir diesen Weg sehen. Wir werden bei der Rentenfrage über vieles zu reden haben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß es Punkte gibt, bei denen wir uns annähern und verständigen können.
Ich erwarte von Ihnen, der Opposition, nicht, daß Sie Regierungsvorlagen unbedingt zustimmen, selbst wenn Sie überzeugt sind, daß sie letztlich richtig sind. Es gibt auch noch eine andere Überlegung, die ich ja auch höre: Wenn die das jetzt machen, ist es besser, als wenn wir es später machen müssen. Auch das ist eine in der Politik ganz legitime BetrachtungsBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
weise. Sie darf allerdings nicht dazu führen, daß nicht gehandelt wird.
Ich will heute nicht viel zum Thema Europapolitik sagen, obwohl das Thema von größter Aktualität ist. Wir haben vereinbart, am 12. Dezember hierzu eine Regierungserklärung abzugeben. Wir werden also über das Thema Europa am Vorabend der DublinKonferenz Mitte des kommenden Monats sprechen können. Ich habe jedoch aktuellen Anlaß, ein paar Bemerkungen zu machen, die mir wichtig erscheinen.
Ich hoffe, es ist unter uns nicht streitig, daß neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und neben der Vollendung der inneren Einheit die dritte große Herausforderung deutscher Politik die politische Einigung Europas ist. Wir wollen sie ohne Wenn und Aber vorantreiben. Bei der Vorbereitung der Regierungskonferenz in Amsterdam im Juni werden wir über viele Details zu reden haben. Ich habe zugesagt, daß die Bundesregierung den Bundestag über den Europaausschuß voll informiert. Wir kommen jetzt in das Stadium der Entscheidung. Wir werden dabei vor Themen stehen, die viel Umdenken notwendig machen.
Ich will ein Beispiel nennen: Ich persönlich bin zutiefst überzeugt, daß wir mit dem alten nationalstaatlichen Denken bei der Verbrechensbekämpfung, wenn es um die internationale Mafia geht, nicht zurechtkommen werden. Wir werden uns auf grenzüberschreitende Regelungen verständigen müssen. Je früher wir das tun, um so mehr haben wir eine Chance, dieses Krebsgeschwür der neuen Zeit - Geldwäsche, Drogenmafia - mit all der kriminellen Energie, die ihm innewohnt, zu beseitigen oder zumindest zu stoppen.
({39})
Ich bin auch sicher, daß wir in der Außen- und Sicherheitspolitik als Europäer bekennen müssen: Ein Vorgang, wie wir ihn in den zurückliegenden Jahren im früheren Jugoslawien erlebt haben, darf sich nicht wiederholen. Es darf sich nicht wiederholen, daß die Europäer für sich allein letztlich nicht handlungsfähig sind, sondern die Amerikaner brauchen, damit es überhaupt zu einer Entscheidung kommt.
Heute geht es mir vor allem damm, daß Sie wissen, daß wir bei der Wirtschafts- und Währungsunion in eine entscheidende Phase eingetreten sind. Meine Damen und Herren, die Logik der Entwicklung heißt: Wir müssen mit dieser Wirtschafts- und Währungsunion zum Abschluß kommen. Wir brauchen den Euro jetzt, nicht irgendwann. Wir wollen seine Einführung nicht verschieben, wir wollen ihn jetzt durchsetzen.
({40})
Wer immer noch seine Zweifel hat, der muß wissen - wenn wir über die weltweite Auseinandersetzung im ökonomischen Bereich und über die Globalisierung der Wirtschaft sprechen -, daß der Euro unsere Wettbewerbsposition als Europäer und damit auch als Deutsche gegenüber den Konkurrenten aus Dollar- und Yen-Ländern stärkt, daß unsere Position dadurch auf den internationalen Finanzmärkten verbessert wird. Deswegen wollen wir ihn jetzt.
Wir wollen auch - das muß klar sein, ich halte es für sehr wichtig, daß es auch in diesem Augenblick wieder gesagt wird, während in Europa wichtige Besprechungen stattfinden -, daß die Bundesrepublik und vor allem die Bundesregierung ohne jede Einschränkung dafür eintritt, daß die Europäische Währungsunion zum vorgesehenen Zeitpunkt verwirklicht wird und daß die in Maastricht vereinbarten Kriterien eingehalten werden, und zwar nicht nur für eine kurze Zeit, sondern auf Dauer.
({41})
Das ist das Ziel des Stabilitätspakts, den der Kollege Waigel in die Diskussion gebracht hat und der sehr viel Zustimmung findet. Meine Damen und Herren, das heißt auch, daß wir als Deutsche, die wir uns in der Europapolitik und hier besonders bei der Aufgabe der D-Mark auf Grund all dessen, was damit an geschichtlichen Erfahrungen zusammenhängt, schwertun, eine harte Währung wollen und nicht in eine Weichwährungssituation geraten wollen. Dies ist keine Arroganz, sondern beruht auch auf der Lebenserfahrung der Deutschen in den letzten 50 Jahren.
Alle Vorschläge, die Stabilitätskriterien aufzuweichen bzw. innerhalb des Europäischen Währungssystems eine bestimmte Währung abzuwerten, sind mit diesem Kurs nicht vereinbar, sondern sind sogar schädlich für die Zukunft. Wir wollen, daß möglichst viele Mitgliedstaaten, die die Stabilitätskriterien erfüllen, von Anfang an teilnehmen.
Aber wir sollten jetzt alle keine Spekulationen anstellen. Die Entscheidung sollte vielmehr dann fallen, wenn sie vertraglich zu fällen ist, nämlich im Frühjahr 1998. Dabei sind die dann vorliegenden Ist-Daten für 1997 ausschlaggebend. Natürlich muß das so gestaltet werden, daß die Länder, die am Anfang nicht dabei sind, auch später noch beitreten können.
Meine Damen und Herren, damit sind wir beim Haushalt. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen und es für andere fordern, müssen wir als Deutsche unseren eigenen Beitrag dazu leisten und uns anstrengen. Die Regierungskoalition hat sich schwergetan - weil es schwer war und auch noch schwierig ist -, die notwendigen Beschlüsse zu fassen. Mit dem auf 53 Milliarden DM begrenzten Defizit schafft der Bund die notwendigen Voraussetzungen. Auf Grund der Daten, die der Finanzplanungsrat von Bund, Ländern und Gemeinden in der letzten Woche genannt hat, bin ich hoffnungsvoll, daß wir die Nettoneuverschuldung auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes begrenzen werden. Wir lägen damit etwas unter der 3-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrages. Ich rate uns, diese Marge unter allen Umständen auch in Zukunft beizubehalten.
Meine Damen und Herren, wir bauen jetzt das Haus Europa. Ich zitiere hier einmal mehr Konrad Adenauer, der uns damals, zu Beginn der 50er Jahre, zugerufen hat: „Deutsche Einheit und europäische Einigung sind zwei Seiten der gleichen Medaille."
Die Deutschen haben am Ende dieses Jahrhunderts viel Glück erfahren. Wir sollten bei allen Problemen des Tages nicht vergessen, daß wir Grund zu großer Dankbarkeit haben. Wir haben mit Zustimmung all unserer Nachbarn die deutsche Einheit erreicht. Wir sind heute Hoffnungsträger für die meisten Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas auf deren Weg nach Europa.
({42})
Dies war nach all dem Schrecklichen, was in diesem Jahrhundert auch in deutschem Namen geschehen ist, so nicht zu erwarten.
Ich sagte, wir haben große Probleme. Aber wenn ich mir überlege, daß wir vor rund zehn Jahren im Deutschen Bundestag wichtige und heftige Debatten über die Frage der Stationierung von Kurzstreckenraketen hatten - es ging um die Modernisierung der Lance-Raketen -, kommt mir das manchmal vor, als sei das in einer lange vergangenen Zeit gewesen. Wenn wir diese Frage in einen Zusammenhang stellen mit dem, was wir heute zu tun und zu entscheiden haben, dann bin ich dankbar, daß wir jetzt nicht über Fragen von Krieg und Frieden zu entscheiden haben, sondern daß wir über Probleme der sozialen Stabilität und des sozialen Fortschritts, daß wir als Deutsche über Werke des Friedens entscheiden können.
Ich kann nicht erkennen, daß wir angesichts der Ausgangsposition, die wir haben, wenn wir uns auf die eigene Kraft besinnen, Grund zu Pessimismus haben. Wir wollen Zukunft sichern. Das ist die entschiedene Meinung der Regierungskoalition aus CDU, CSU und F.D.P., und das ist auch die entschiedene Meinung der Bundesregierung. So werden wir unsere Politik auch unseren Bürgerinnen und Bürgern immer wieder vortragen.
Wir werden uns zu gegebener Zeit der Entscheidung stellen. Ich bin sicher, auch diese Entscheidung wird so sein wie Entscheidungen der vergangenen Jahre.
({43})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Lafontaine.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der Debatte des heutigen Tages stehen die Fragen: Wie kann die Arbeitslosigkeit zurückgeführt werden? Wie können den jungen Menschen ausreichend Ausbildungsplätze angeboten werden? Wie kann die europäische Einigung vorangebracht werden? Ich will mich an diese Gliederung halten und dabei auf die Argumente des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, auf die Argumente des Bundeskanzlers und an einer Stelle auch auf ein Argument des F.D.P.-Vorsitzenden eingehen.
Eine Bemerkung vorweg: Bei der Debatte, die wir heute führen, sollten wir uns immer die Frage stellen, was Arbeitslose, was Jugendliche, deren Eltern oder
Großeltern empfinden oder denken, wenn sie dieser Debatte folgen. Wir sollten uns auch immer vergegenwärtigen, wie die Fragen, die die europäische Einigung aufwirft, in den Nachbarstaaten gesehen und beantwortet werden.
Wenn es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht, dann gibt es zwei Positionen, die in solchen Debatten immer auftauchen: Die Opposition ist manchmal geneigt, alles, was die Regierung vorschlägt, als falsch zu bezeichnen, und die Regierung ist geneigt - unabhängig von den Ergebnissen -, immer wieder zu betonen, daß ihre Politik alternativlos sei, daß sie letztendlich ohne Fehl und Tadel sei und daß es etwas Besseres überhaupt nicht geben könne.
Solcher Stil der Debatte führt nicht weiter. Mir geht es bei meinem Beitrag darum, noch einmal deutlich zu machen, wo die Unterschiede in der wirtschafts- und finanzpolitischen Konzeption liegen. Da offensichtlich die Vorbehalte teilweise schon so stark sind, daß die Argumente der jeweils anderen Seite nicht mehr aufgenommen werden, will ich mich an einen Bericht des IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, halten. Darin steht das Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 durch mehr Beschäftigung im Vordergrund - ein Ziel, das Sie, Herr Bundeskanzler, auf Ihrem letzten Parteitag bereits aufgegeben haben, ohne daß das näher begründet worden wäre.
In dem Vorschlag der Wissenschaftler dieses Institutes wird im wesentlichen die Wirtschaftspolitik beschrieben, die wir für richtig halten,
({1})
der Sie aber nicht folgen wollen und der Sie immer wieder Ihre Konzepte entgegensetzen. Ich gehe die Vorschläge der Wissenschaftler jetzt im einzelnen durch.
Der erste Vorschlag ist die Verringerung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit, vor allem über mehr Teilzeitarbeit und Verringerung der Überstunden, also in flexibler, reversibler und kostengünstiger Form.
Es ist doch wahr, daß die Koalition, die Regierung und Sie selbst, Herr Bundeskanzler, die Verkürzung der Arbeitszeit immer wieder als ein untaugliches Mittel angesehen haben und lange Zeit der Auffassung waren, wir könnten die Probleme des Arbeitsmarktes dadurch lösen, daß diejenigen, die Arbeit haben, länger arbeiteten. Das ist nach unserer Auffassung einer der Grundirrtümer Ihrer Politik.
({2})
Das hat auch - betrachten wir die aktuelle Situation - ganz praktische Folgen. So kommen wir einfach nicht weiter - obwohl wir es seitens des Bundesrates seit Jahren versuchen -, Teilzeitarbeit auch im Beamtenbereich zu verankern. Aus irgendwelchen Gründen, die mir nie nachvollziehbar dargelegt worden sind, blockieren Sie das jetzt seit Jahren. Wenn Sie davon sprechen, daß Teilzeitarbeit ein geeignetes InMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({3})
strument sein könne, um mehr Menschen den Zugang zur Arbeit zu ermöglichen, müssen Sie doch einmal begründen, warum Sie im Beamtenbereich alles unternehmen, um eine solche Regelung zu verhindern.
({4})
Der zweite Vorschlag ist eine längerfristig zurückhaltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleibt und diesen auch später nicht überschreitet.
Herr Kollege Lafontaine, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Eine gerne, aber dann bitte ich, mir wie meinen Vorrednern die Möglichkeit zu geben, zusammenhängend vorzutragen. - Bitte schön.
Herr Ministerpräsident, warum nehmen Sie nicht endlich zur Kenntnis, daß in dem Gesetzentwurf über die Dienstrechtsreform, die dem Bundesrat - nach der Verabschiedung durch den Bundestag gegen die Stimmen der SPD - seit langem vorliegt, für den Bereich der Beamten eine voraussetzungslose Möglichkeit unbeschränkter Teilzeitarbeit vorgesehen ist? Wann wird denn der Gesetzentwurf im Bundesrat endlich verabschiedet?
({0})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Herr Kollege Hirsch, schauen Sie sich die Vorlage noch einmal an! Sie befinden sich hier wirklich in einem Grundirrtum. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, was der Bundesrat seit Jahren will: Teilzeitarbeitsplätze auch ohne die Voraussetzung anzubieten, daß ein Beamter konkret eine solche Teilzeittätigkeit wünscht. Das ist das Entscheidende!
({2})
Ich war bei dem zweiten Vorschlag: längerfristig zurückhaltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleibt und diesen auch später nicht überschreitet. - Hier sind Sie nicht direkt in der Verantwortung. Man kann nicht in erster Linie Ihnen die Ergebnisse der Lohnpolitik anlasten. Es ist aber gar keine Frage, daß der Staat dazu beitragen kann, eine Lohnpolitik mit dieser von den Wissenschaftlern vorgegebenen Zielsetzung zu ermöglichen.
Zunächst einmal ist festzuhalten, daß einige Tarifverträge der letzten Jahre diesem Erfordernis nicht Rechnung getragen haben, weil sie über die Produktivität hinausgeschossen sind. Die Frage, wie weit man deutlich unter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben kann, ist nicht eindeutig zu beantworten. Auf jeden Fall gibt es viele Ausarbeitungen in der Wissenschaft, die deutlich machen, daß ein allzu starkes Zurückhinken der Löhne hinter dem Produktivitätsfortschritt die Binnennachfrage in unzulässiger Weise schwächt und in bezug auf die Beschäftigung zu unerwünschten Ergebnissen führt.
An zwei Stellen haben Sie eine solche sinnvolle Politik zumindest erschwert: Sie haben zwar vor den Wahlen dieses Jahres - Sie haben sie ja kurz gestreift - das „Bündnis für Arbeit" gesucht, nach den Wahlen aber das Gegenteil von all dem getan, was notwendig gewesen wäre, um die Tarifvertragsparteien zu einer beschäftigungsorientierten Lohnpolitik anzuhalten und sie dabei zu begleiten.
({3})
Den dritten Vorschlag, das Senken von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, predigt man fast tauben Ohren, wie man heute wieder gesehen hat. Die F.D.P. ist nun in der entscheidenden Verantwortung. Sie haben anscheinend die fixe Idee, es gäbe nur Steuern. Sie wissen anscheinend nicht, daß für die Arbeitnehmer Sozialabgaben genauso belastend sind und sie negative Beschäftigungseffekte hervorrufen können.
({4})
Wie kann ich Ihnen diesen Sachverhalt erläutern? Sie haben einmal ein Plakat aufgehängt „Steuerland ist abgebrannt". Sie würden einen Durchbruch in Ihrem ökonomischen Denken erreichen, wenn Sie jetzt nach den Erhöhungen der Renten- und Krankenversicherungsbeiträge ein Plakat „Abgabenland ist abgebrannt" entwerfen würden. Hängen Sie dieses Plakat auf!
({5})
Wir würden vielleicht sogar Anstrengungen unternehmen, um diesen Durchbruch in dem ökonomischen Denken der F.D.P. in der deutschen Öffentlichkeit gebührend populär zu machen und Ihnen ein Lob auszusprechen. Es wäre auf diesem Gebiet wirklich eine Veränderung der deutschen Politik.
Nennen Sie in der Zukunft die Abgaben Steuern auf die Arbeitsplätze, damit Sie den Zusammenhang begreifen! Wenn Sie immer nur über Abgaben reden, dann können Sie den Mechanismus nicht verstehen. Sie meinen, irgendeiner gebe irgendwo anonym etwas ab und das habe mit Wirtschaft nichts zu tun.
({6})
Sie haben die Steuern auf die Arbeitsplätze in einem Ausmaße erhöht, wie es unvorstellbar war und wie Sie es vor einigen Jahren selbst nicht geglaubt haben. Sie sind mitverantwortlich dafür, daß der Rationalisierungsdruck immer größer geworden ist. Sie haben mit den Steuern auf die Arbeitsplätze HunMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({7})
derttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland wegrationalisiert. Wann begreifen Sie das endlich?
({8})
In der Empfehlung der Wissenschaftler steht nicht nur Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch Senkung von Steuern.
({9})
Als wir im letzten Jahr Beschlüsse gefaßt haben, im Jahre 1997 die Steuern zu senken bzw. die Familien besserzustellen, kamen Sie auf die Idee, das sollten wir nicht tun. Sie haben unseren ökonomischen Ansatz nicht verstanden. Sie wollten die Kindergelderhöhung und die Verbesserung beim Grundfreibetrag vermeiden. So steht es in Ihrem Gesetz.
Weder bei den Sozialabgaben, also den Steuern auf die Arbeitsplätze, noch bei den allgemeinen Steuern folgen Sie der Empfehlung der Wissenschaftler. Sie tun das Gegenteil von dem und wundern sich dann, daß die Arbeitslosigkeit immer weiter ansteigt. Ihre Wirtschaftspolitik ist total falsch. Grundfalsch!
({10})
Nachdem Sie die Erhöhung des Kindergeldes und des Grundfreibetrages nicht durchführen wollen, sagen Sie: Unser Hit ist die Gewerbekapitalsteuer. Die wollen wir abschaffen; das ist ja eine Steuersenkung. - Nur, auch dies ist eine Mogelpackung. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie hat Ihnen vorgerechnet, daß dies in Wirklichkeit eine Steuererhöhung ist, weil die Abschreibungsverschlechterung, die Sie mit der Abschaffung verbinden, unter dem Strich zu einer Mehrbelastung der investierenden Wirtschaft führen wird.
({11})
Daher ist auch dieser Vorschlag falsch, und er wäre gerade in der jetzigen Situation kontraproduktiv. Sie müssen sich schon etwas anderes einfallen lassen, wenn Sie nicht weiterhin zum Schaden der Wirtschaft undurchdachte Vorschläge machen wollen.
({12})
Als letzter Hit zur Sanierung der Ökonomie bleibt dann die Abschaffung der Vermögensteuer. Mit der Abschaffung dieser Steuer - es handelt sich um eine Ländersteuer; daher sind Sie besonders mutig - wollen Sie Ihren Mut zur Steuersenkung erproben. In diesem Zusammenhang weisen Sie zu Recht darauf hin, daß die betriebliche Vermögensteuer natürlich eine Substanzsteuer ist und daß es sinnvoll ist, sie unter gewissen Gesichtspunkten abzuschaffen. Es gibt Argumente pro und kontra; ich will dies aus Zeitgründen nicht weiter vertiefen.
Wir sagen: Laßt uns doch die private Vermögensteuer erhalten! Es ist nicht mehr nachvollziehbar, daß Sie in bezug auf Steuern, die Sie verharmlosend Abgaben nennen, kontraproduktive Entscheidungen in einem solchen Ausmaße treffen und daß Sie auf der anderen Seite den Vermögenden einfach das Geld hinterherschmeißen. Das versteht unter ökonomischen Gesichtspunkten kein Mensch mehr.
({13})
Richtig ist ein Einwand des Kollegen Repnik, daß man natürlich hinsichtlich der Personengesellschaften überlegen muß, ob es nicht zu Vereinbarungen über das hinaus kommen sollte, was angeboten worden ist. Ich greife hier die Sachargumente der Debatte auf, um deutlich zu machen, daß wir eben nicht nach dem Schema, alles über einen Leisten zu schlagen, verfahren. Selbst wenn man dies einbezieht, ist das Ganze einfach nicht mehr nachvollziehbar. Ich habe Berichte vom CSU-Parteitag gelesen. Mehrere Korrespondenten schrieben, daß die Delegierten sagten: Wir können unseren Leuten nicht mehr erklären, daß die Lohnsteuer und die Sozialausgaben immer weiter steigen, aber diese Koalition hat nichts anderes zu tun, als den Vermögenden die Vermögensteuer zu erlassen. Es ist nicht mehr zu fassen.
({14})
Hier sind also vier Vorschläge vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, die von Ihnen nicht aufgegriffen werden, von denen die Wissenschaftler meinen, sie führten zu einem spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit. Stellen Sie sich also bitte nicht hierhin und sagen, es gebe keine alternativen Vorschläge, sondern bekennen Sie sich zu Ihren politischen Überlegungen, von denen wir sagen: Die haben Sie jetzt 14 Jahre lang mit dem Ergebnis ausprobiert, daß die Arbeitslosigkeit immer weiter angestiegen ist. Wann lernen Sie endlich aus Ihren Fehlern?
({15})
Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihre ironischen Eingangsbemerkungen aufgreifen. Sie haben an die Adresse der SPD bzw. der Opposition gesagt: Warum lernen Sie nicht aus unseren Fehlern?
({16})
Wir meinen, daß Sie an dieser Stelle erhebliche Fehler gemacht haben. Wir haben daraus gelernt. Sie sollten auf die Wissenschaftler hören. Ich frage Sie: Wann lernen Sie endlich aus Ihren eigenen Fehlern, damit Sie am Ende eines Jahres einmal etwas anderes erzählen können als das, daß die Arbeitslosigkeit bedrückend und die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist?
({17})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({18})
Besonders dankbar war ich natürlich für Ihr Angebot, in das SPD-Präsidium zu kommen - das hat mich wirklich angerührt -, um sicherzustellen, daß dort eine einheitliche Meinungsbildung stattfinde.
({19})
Ich räume durchaus ein, daß es dort ab und zu kontroverse Meinungen und auch Zoff gibt. Aber angesichts des Theaters, das Sie in den letzten Wochen veranstaltet haben, dieses Angebot zu machen, war wirklich kühn, Herr Bundeskanzler. Sorgen Sie einmal für Ordnung im eigenen Lager, ehe Sie an andere Parteien solche Angebote machen.
({20})
Die Ausführungen des Vorsitzenden der CDU/ CSU-Fraktion waren wiederum ein Beleg dafür, daß wir in der Wirtschaftspolitik völlig andere Auffassungen haben, und zwar nicht nur bei diesen vier Punkten. Ich bezeichne das einmal als „völlig andere Auffassung". Es geht doch darum, daß wir den Wählerinnen und Wählern nicht immer erzählen, alles sei gleich und jeder wolle dasselbe. Nein, wir wollen wirklich einen ganz anderen Kurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, weil wir sagen: Ihre ist gescheitert. - Darum kämpfen wir.
({21})
Einer der gravierenden Irrtümer, die Sie, Herr Kollege Schäuble, hier vorgetragen haben, ist aus unserer Sicht - ich zitiere -: Wir müssen die Wachstumskräfte stärken, und deshalb ist die Verteilungsdebatte falsch. - So haben Sie sich ausgedrückt. Sie meinen das auch so. Dies ist einer Ihrer schweren Irrtümer, und zwar deshalb, weil Sie angesichts der Entwicklung der Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland nicht zwischen konsumintensiven und nicht konsumintensiven Einkommen zu unterscheiden gelernt haben und weil Sie die Verteilung immer weiter in Richtung auf die nicht konsumintensiven Einkommen verändert haben.
({22})
Deshalb haben Sie ein solches Durchhängen der Binnennachfrage. Deshalb sagen wir: Wir müssen über die Verteilung diskutieren, wenn wir in Deutschland weiterkommen und Wachstum und Beschäftigung stärken wollen.
({23})
Dann gibt es noch einen fünften konkreten Vorschlag, auf den Sie einfach nicht eingehen, dessen Umsetzung Sie vertagen und verschieben. Das ist der Vorschlag, das völlig zerdepperte Einkommensteuerrecht endlich hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und hin zu einer Stärkung der konsumintensiven Einkommen, zur Stärkung der Kaufkraft zu reformieren, gerade jetzt, wo die Binnenkonjunktur noch immer
lahmt. So früh wie möglich muß diese Reform kommen.
({24})
Deshalb ist es nicht nur irgendeine Reform, die Sie uns anbieten können, bei der Sie sich jetzt langsam auch auf das Jahr 1998 zurobben, was auch vernünftig ist. - Herr Schäuble schüttelt den Kopf; dann ist es eben unvernünftig. Ihr Kopfschütteln ist kein positives Signal für Wachstum und Beschäftigung, Herr Kollege Schäuble.
({25})
Es wäre vernünftig - das sage ich an die Adresse der F.D.P. -, die Reform vorzuziehen: aus zwingenden ökonomischen Gründen. Wenn Sie heute im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen" den Konjunkturbericht lesen, sehen Sie, daß die Umsätze im Einzelhandel sogar zurückgegangen sind. Wann werden Sie denn endlich wach und erkennen, daß man nicht immer nur auf den Export starren kann, sondern daß man bei 80 Prozent Binnennachfrage auch die Binnennachfrage stabilisieren muß, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen?
({26})
Deshalb werden wir bei diesem fünften Punkt dafür Sorge tragen, daß die unteren Einkommensschichten über die Anhebung des Grundfreibetrages und über den Verlauf des Steuertarifs gestärkt werden. Wir sind der Auffassung, daß diejenigen, die bisher als Abschreibungskünstler dieses Steuerrecht ausgenutzt haben, einen stärkeren Beitrag leisten müssen. Wir wollen jetzt eine Stärkung der unteren Einkommensschichten im Interesse von Wachstum und Beschäftigung. Wir sind bereit, morgen darüber zu verhandeln, eine solche Reformmaßnahme durchzuführen.
({27})
Nun kann man nicht nur durch solche Entscheidungen, wie wir sie jetzt angesprochen haben - Steuerrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht usw. -, Wachstum und Beschäftigung stärken. Natürlich stellt sich auch die Frage: Wie fährt man den Haushalt? Ich halte den gegenwärtigen Haushalt nicht der gegenwärtigen konjunkturellen Situation für angemessen. Wenn man in einer solchen Situation immer noch hoher Arbeitslosigkeit einen Rückgang der Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr, und zwar auf der Basis nominaler Zahlen, für notwendig hält - wo die Ausgaben landen werden, ist ein ganz anderes Thema -, dann handelt man ökonomisch und wirtschaftspolitisch falsch. Das ist Parallelpolitik, klassische Brüningsche Parallelpolitik.
({28})
Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bei noch
mehr Brüningschen Landschaften landen; denn hohe
Arbeitslosigkeit bedeutet Brüningsche Landschaften.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({29})
Die haben die Republik schon einmal in Gefahr gebracht.
({30})
Ich weiß, Herr Kollege Schäuble, daß Sie das anders sehen. Das ist Ihr gutes Recht. Wir sehen das zusammen mit vielen Wirtschaftswissenschaftlern ganz anders als Sie. Die Annahme, daß in der jetzigen Situation Ausgabenkürzungen zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen würden, ist geradezu abenteuerlich. Es war ganz nett, daß Sie eben das Kreislaufbeispiel gebracht haben, das ich im Redemanuskript auf dem Kölner Parteitag hatte, aber nicht vorgetragen habe.
({31})
Herr Kollege Schäuble, es ist nämlich so, daß ich in der Lage bin, frei zu reden. Deshalb habe ich manchmal nur Stichworte und trage auf Grund dieser Stichworte vor. Insofern lagen Sie schon falsch, als Sie sagten: „Er hat gesagt" . In meiner freien Rede war es natürlich vorgesehen, zu sagen, daß ich aus diesem kreislauftheoretischen Beispiel die Steuer- und Abgabenfrage ausklammern würde. Wenn ausgerechnet Sie mir jetzt entgegenhalten, wir wollten bei allem, was ausgegeben wird, um 50 Prozent kürzen, ist das natürlich eine dankbare Einsicht. Aber Sie sollten dann auch entsprechende Schlüsse daraus ziehen. Insofern möchte ich Ihnen doch raten, bei solchen Beispielen die gebotene Sorgfalt an den Tag zu legen.
({32})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Nein, ich halte mich zwar sonst an die Gepflogenheiten, aber ich muß auf Grund der knappen Zeit meinen Vortrag leider im Zusammenhang halten.
({1})
- Herr Kollege Schäuble, wenn Sie meinen, etwas ganz besonders Gescheites vortragen zu können: Bitte schön. Ich bin wirklich gespannt. Oder sind Sie beleidigt? Dann fahre ich fort? - Sie sind beleidigt, gut.
({2})
Herr Ministerpräsident, es dauert eine Weile, bis das Mikrophon angeht. Nur darum ging es.
({0})
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich kann erst sprechen, wenn die Lampe am Mikrophon leuchtet. Das liegt nicht in meiner Verfügung.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Entschuldigen Sie. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.
Ich finde, es geht ein bißchen zu weit.
({0})
Ich wollte Sie fragen, nachdem Sie hier den Eindruck erweckt haben, ich hätte Sie zu Unrecht zitiert, ob das Konrad-Adenauer-Haus das Manuskript Ihrer Rede vom Bundesparteitag am vergangenen Montag in Köln verteilt hat oder ob es Ihre Geschäftsstelle gewesen ist. Ich habe es da.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Sie sollten doch das Argument annehmen, daß im freien Vortrag nicht alles von den Stichworten erfaßt wird.
({2})
Wir halten fest: Dieses Beispiel hat einen schweren Fehler. Es wurde nicht durchgerechnet, was alles am Ende nicht mehr vorhanden wäre,
({3})
weil die Steuer- und Abgabenlast in Ihrer Regierungszeit so hoch geworden ist, daß am Ende nichts mehr übrigbleibt. Das ist richtig.
({4})
Ich kann Ihnen das sogar noch weiter erläutern: Um bei diesem Beispiel am Ende bei demselben Betrag zu landen, den Sie genannt haben, hätte ich bei dem Juwelier bei 400 000 DM einsteigen müssen. Rechnen Sie das einmal herunter. Das setzen wir in Verbindung mit dem Herrn Bundeskanzler, den ich später als Beispiel dafür genommen habe, daß das Geld zurückfließt. Um nicht zu polemisch zu sein, habe ich das unterlassen.
Aber immerhin, Herr Schäuble hat erkannt: Die Steuer- und Abgabenlast ist so hoch, daß man von jeder Mark, die man einnimmt bzw. umsetzt, zunächst einmal 50 Prozent vom Staat weggenommen bekommt. Genau das habe ich Ihnen bei Punkt drei meiner Ausführungen deutlich zu machen versucht. Sie haben recht: Versuchen Sie, Steuern zu senken. Das würde nämlich Wachstum und Beschäftigung stärken. Aber senken Sie die Steuern nicht bei den Vermögenden, sondern bei denen, die das Geld auch ausgeben. Sie haben es fast kapiert, Herr Schäuble.
({5})
Auch Ihre weiteren Ausführungen waren an Dürftigkeit und an mangelnden ökonomischen Kenntnissen nicht zu überbieten, Herr Kollege Schäuble,
({6})
als Sie sich zum Dienstmädchenprivileg geäußert haben. Man würde auch da unterstellen, daß Sie die Ergebnisse einmal beachten. Das Dienstmädchenprivileg wurde eingeführt, und dann wurde die Frage
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({7})
aufgeworfen: Wieviel neue Beschäftigungsverhältnisse sind entstanden? Jemand, der sich seriös um die Beantwortung dieser Frage bemüht, würde das Ergebnis zur Kenntnis nehmen und sagen: Das, was wir erwartet haben, ist bei weitem nicht erreicht worden. - Woran könnte das denn liegen, Herr Kollege Dr. Schäuble? Das ist doch die Frage, die hier einmal zu stellen ist.
({8})
- Ach Gott, schauen Sie einmal ins Steuergesetz, ehe Sie dazwischenrufen. Es ist wirklich erstaunlich, was Sie alles nicht wissen. Das ist ein wirklich tolles Ergebnis dieser Debatte.
({9})
Meine Damen und Herren, die bisherige Regelung hat zu einem schlechten Ergebnis geführt. Wir haben gefragt: Warum ist das so? - Weil viele Haushalte dieses Angebot nicht aufgreifen, da sie keine längerfristigen Arbeitsverhältnisse eingehen wollen - das muß man als Argument einfach sehen - und da teilweise auch die Betroffenen zögerlich sind. Aber entscheidend ist, daß sich ein Privathaushalt nicht gerne für lange Frist bindet, wenn er jemanden einstellt, weil sich ein solches Beschäftigungsverhältnis aus der jeweiligen Situation ergibt. - Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist, daß natürlich die Sozialversicherungspflicht ganz entscheidend ist. Deswegen haben wir vorgeschlagen, wie beispielsweise in Frankreich Agenturen einzuschalten, die die Menschen beschäftigen und sie sozialversichern. Der Privathaushalt bekommt sein Personal von dort und kann die Kosten von der Steuer absetzen. Das Interessante ist: Sogar die armen Leute können die Aufwendungen für ein solches Beschäftigungsverhältnis von der Steuer absetzen. Vielleicht begreifen Sie das nicht; für uns aber ist das äußerst wichtig, Herr Kollege Schäuble. Polemisieren Sie nicht bei Dingen, von denen Sie keine Ahnung haben.
({10})
Sie haben, Herr Kollege Schäuble, den Kollegen Scharping mit einer merkwürdigen Überheblichkeit angesprochen. Deshalb bin ich an dieser Stelle Ihnen gegenüber, verehrter Herr, etwas heftig. Sie haben oft in solch einem Ausmaß geglaubt, in einer zynischen Weise Menschen herunterputzen zu können, daß man Ihnen einmal Bescheid stoßen muß.
({11})
Wenn Sie deshalb glauben, noch einmal das Argument des Kollegen Scharping, was das Bündnis für Arbeit angeht, wegtun zu können, dann liegen Sie falsch. Sie haben sogar argumentiert - das war besonders schäbig; ich nehme das Wort jetzt einmal in den Mund -,
({12})
wir hätten den Gewerkschaftern geraten, dieses Bündnis nicht zu suchen. Das war besonders schäbig, Herr Kollege Schäuble.
({13})
Denn im Gegensatz zu Ihnen geht es uns darum, daß wir bei dem Abbau der Arbeitslosigkeit vorankommen. Wir sind bereit, jeden Schritt mitzugehen, auch Schritte, die Sie vorschlagen, wenn sie unsere Zustimmung finden, Herr Kohl.
({14})
Deshalb sage ich Ihnen: Es war ein wirklich historischer Fehler, daß auch unter Ihrer Mitwirkung eine konservative Regierung die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften zu einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik mit dem Abbau der Lohnfortzahlung beantwortet hat. Wie kann man politisch so falsch handeln und so instinktlos sein?
({15})
Ich sage Ihnen deshalb ein Weiteres: Wenn denn Streiks kommen werden, dann können Sie sie sich alle auf Ihr Konto schreiben. Sie haben nämlich eines übersehen, verehrter Herr Bundeskanzler: Grundlage der Wohlfahrt und des Wohlstandes unseres Landes war in den letzten Jahrzehnten auch der soziale Konsens zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, den man nicht leichtfertig beschädigen darf, wenn man die Wirtschaft nach vorne bringen will.
({16})
Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, sich zu dem Leistungsausgleich für die Jugendlichen geäußert. Sie haben dies in sehr sachlicher Form getan; ich will in sachlicher Form erwidern.
({17})
Zunächst einmal haben Sie auf den formalen, zahlenmäßigen Ausgleich abgestellt. An dieser Stelle ist eine unterschiedliche Herangehensweise an die Problematik festzustellen. Wir Sozialdemokraten sind nämlich der Auffassung - sicherlich zusammen mit anderen in diesem Hause -, daß ein solcher formaler Ausgleich in einem Industriestaat mit dem Standard, den wir haben, nicht ausreichend ist und daß es besser wäre, ein Überangebot an Ausbildungsstellen zu haben, damit nicht mehr als 50 Prozent der Jugendlichen gezwungen sind, am Anfang eine Ausbildung zu ergreifen, die gar nicht ihrer Wunschvorstellung entspricht. Wir werden zwar nie eine Gesellschaft erreichen, in der eine vollkommen freie Wahl des Ausbildungsplatzes möglich ist. Aber man sollte ein Überangebot an Ausbildungsstellen anstreben, damit die jungen Menschen sich in ihren Begabungen
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({18})
besser entwickeln können. Das bleibt unsere Auffassung; ich wollte das hier noch einmal klarstellen.
({19})
Dann haben wir uns natürlich danach umgesehen, was es so gibt. Da gibt es Branchentarifvereinbarungen, die funktionieren. Teilweise beinhalten sie auch eine Umlage oder wie Sie es nennen wollen - das ist ja heute auch wieder in den Zeitungen dargestellt -, etwa vom Gewinn in der Baubranche. In diesem Fall haben es die Gewerkschaften, also die Arbeitnehmer, und die Arbeitgeber in den Branchen vereinbart. Sie haben das zu dem Zweck gemacht, um diejenigen zu entlasten, die ausbilden, und diejenigen mit heranzuziehen, die nicht ausbilden. Das ist eine ganz vernünftige Vereinbarung. Dieses Prinzip halten wir für richtig, und wir wollen es umsetzen.
({20})
Nun haben wir aber gesehen, daß Branchenvereinbarungen oder Kammervereinbarungen in wirtschaftlich starken Regionen oder in einzelnen Branchen vielleicht sehr gut funktionieren, daß es aber einen überregionalen Ausgleich kaum gibt - ich rede jetzt nicht nur von den neuen Ländern - und daß es auch in einzelnen Branchen Schwierigkeiten gibt. Wir haben uns einfach die Frage gestellt, was wir denn tun können, um diese Disparitäten, was die einzelnen Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland und die einzelnen Branchen angeht, zu überwinden. Das war unsere Fragestellung.
Daraufhin haben wir gesagt: Dann laßt uns eben einen branchenübergreifenden Ansatz wählen. Es ist genau der gleiche Ansatz, und auch die Verwaltung liegt in denselben Händen, nämlich bei Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Bundesanstalt für Arbeit. Es sollen diejenigen zu einer Umlage herangezogen werden - das ist wie bei den Tarifverträgen und den Kammervereinbarungen -, die nicht ausbilden, um diejenigen zu entlasten, die ausbilden.
Das ist doch ein Konzept, über das man diskutieren sollte
({21})
und von dem wir glauben, daß es sehr wohl geeignet ist, mehr Ausbildungsplätze in Deutschland zu schaffen.
({22})
Im übrigen stört es uns gar nicht, daß Sie das anders sehen. Das wird uns in Zukunft vielleicht von dem leicht dämlichen Vorwurf verschonen, es gebe keine Unterschiede und Alternativen. Dann diskutieren Sie also darüber, daß Sie es für falsch halten. Das ist in unserem Interesse; denn wir glauben, daß sich die große Mehrheit der Jugendlichen und der Eltern und Großeltern, die uns jetzt zuhören, nicht damit abfinden will, daß die Jugendlichen, wenn sie ins Arbeitsleben wollen, eine so knappe und beengte Situation vorfinden. Vielmehr sind sie bereit, mitzugehen, wenn es darum geht, mehr Angebot zu bewirken.
Das Ganze hat ja etwas mit der Philosophie zu tun, die in den letzten Jahren groß geworden ist. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß die Leute plötzlich daherreden: Die Steigerung des Aktienwerts ist das oberste Unternehmensziel. Es sind ja nicht nur die Manager, die so reden. Das ist eine Konsequenz des sozialen und ökonomischen Klimas, der Entwicklung der letzten Jahre; da ist einiges falsch gelaufen.
Wir sind der Meinung, daß solche Diskussionen zeigen, daß in unserer Gesellschaft zuviel Ellenbogenmentalität, zuviel Gedankenlosigkeit um sich greift. Ziel eines Unternehmens ist nicht nur die Steigerung des Aktienwertes. Die Verpflichtungen der Unternehmen sind gesamtgesellschaftlicher Art. Sie tragen soziale Verantwortung - in erster Linie für die Arbeitnehmerschaft - und sind daher zur Ausbildung in unserem Land, das einen so hohen Wohlstand hat, verpflichtet.
({23})
Das steht im Widerspruch zu Ihrer rückwärtsgewandten Auffassung, die wir nicht für richtig halten.
So wenig, wie eine Umlage aller Unternehmen in der Baubranche die Chance für Ausbildungsplätze vereitelt - das meinen Sie -, so wenig wird eine ausgedehnte Regelung, die genauso funktioniert, die Chance für Ausbildungsplätze vereiteln. Sie wird vielmehr zu mehr Ausbildung, zumindest zu einer gerechteren Verteilung der Lasten führen. Das ist ein Wert an sich, an dem wir ebenfalls festhalten wollen.
({24})
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich hier zur Inflationsrate von 1,5 Prozent geäußert. Diese Inflationsrate ist auf den ersten Blick durchaus beachtlich. Wenn man aber über Wirtschaftspolitik diskutiert - hier liegen die Unterschiede zwischen Ihrer und unserer Auffassung -, kann nicht allein die Inflationsrate betrachtet werden; das weiß jeder.
Im Stabilitätsgesetz stehen nicht nur die Ziele der Preisstabilität und der Exportförderung, wie es heute die Philosophie Ihrer Regierung ist. In diesem Gesetz steht, daß wir Preisstabilität - natürlich, wollen auch wir dies anstreben -, ein stetiges Wachstum, einen hohen Beschäftigungsstand und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht anstreben wollen.
Was ist eigentlich aus diesen Zielen der Wirtschaftspolitik, die vor Jahren einmal selbstverständlich waren und von jedem akzeptiert worden sind, während Ihrer Regierungszeit geworden? Haben wir wirklich ein stetiges Wachstum? Haben wir wirklich einen hohen Beschäftigungsstand? Haben wir ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht?
Ist nicht richtig, was in der Begründung des Stabilitätsgesetzes steht, das Sie noch mitberaten haben, daß diese Ziele oft im Widerspruch zueinander stehen und daß man versuchen muß, ein ausgewogenes Ergebnis zu erreichen, indem man zu Lasten eines
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({25})
Zieles Kompromisse im Blick auf ein anderes Ziel erzielt?
Deshalb sagen wir Ihnen: Ihr Haushaltsentwurf ist grundfalsch. Dem Gesichtspunkt der Preisstabilität würde er sicherlich Rechnung tragen. Wer wollte das bei einem Haushalt in Abrede stellen, der Nachfrage aus dem Markt nimmt? Dem Gesichtspunkt der Erzielung eines hohen Beschäftigungsstandes aber schlägt er genau ins Gesicht. Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil er in sich unschlüssig und ökonomisch völlig verfehlt ist.
({26})
Sie haben auch den Finanzminister angesprochen - ich schließe mich hinsichtlich seiner Gesundheit in gutem Stil den Wünschen des Kollegen Scharping an - und seinen Vorschlag bezüglich des Stabilitätspaktes genannt. In einer Situation, bei der die Preissteigerungsrate bei 1,5 Prozent liegt, auf Grund deren viele Ökonomen wegen ihres darin liegenden Qualitätsaspektes - das bedeutet eine qualitative Verbesserung der einzelnen Produkte - sagen, es handele sich um eine Stagnation, stellen Sie einen Stabilitätspakt in den Mittelpunkt der Europapolitik. Das ist falsch, Herr Bundeskanzler.
({27})
Jetzt braucht Europa eine Politik für 18 Millionen Arbeitslose, die darauf warten, daß endlich einmal etwas für sie getan wird.
({28})
18 Millionen Arbeitslose brauchen keinen Stabilitätspakt, sondern einen Pakt für Wachstum und Beschäftigung, für mehr Beschäftigung in der Europäischen Gemeinschaft.
Herr Schäuble guckt ganz interessiert. Vielleicht kann ich es ihm so erklären: Nehmen wir einmal einen Arbeitnehmer, der 20 000 DM auf dem Sparkonto hat. Natürlich wäre es gut für ihn, wenn diese 20 000 DM überhaupt nicht an Wert verlieren würden. Was Sie aber lernen müssen, ist, daß es viel schlimmer für ihn ist, wenn zwar die 20 000 DM nicht an Wert verlieren, ihm aber eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik den Verlust seines Arbeitsplatzes bringt. Dann hat er einen viel, viel größeren Verlust.
({29})
Deswegen geht es nicht nur um Stabilität, sondern auch um Wachstum, um einen hohen Beschäftigungsstand und um ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Es führt kein Weg daran vorbei, daß Sie Ihre Wirtschaftspolitik von Grund auf überdenken und sich völlig neu orientieren.
({30})
Herr Bundeskanzler, Sie haben die europäische Einigung angesprochen. Ich wiederhole hier, daß es keinen Dissens darüber gibt, daß die europäische Einigung oberstes Ziel der deutschen Politik sein muß.
Auch ich sage hier - genauso wie Sie es vorhin gesagt haben -: Demjenigen, der eine andere Auffassung hat, unterstelle ich nicht, daß er die Arbeitslosigkeit nicht abbauen möchte. Ich unterstelle Ihnen nicht im geringsten, Sie wollten die europäische Einigung nicht voranbringen. Ich bin der Überzeugung, daß es Ziel Ihrer Politik ist, die europäische Einigung voranzubringen. Da stimmen wir überein. Alle Schritte, die dazu geeignet sind, dies zu tun, sollten unterstützt werden.
Die Frage ist aber: Was machen wir mit der ökonomischen Diskussion auf europäischer Ebene? Warum sprechen Sie dieses Thema nicht einmal an? In der letzten Zeit hat sich Jacques Delors ganz besorgt dazu geäußert und hat auf zwei Punkte hingewiesen.
({31})
- Lesen Sie das doch nach, Herr Kollege Schäuble, ehe Sie solch unqualifizierte Zwischenrufe machen.
({32})
Jacques Delors hat gesagt:
Die Regierungen der Europäischen Gemeinschaft sind nach Art. 103 des Maastricht-Vertrages verpflichtet,
- man darf ja nicht nur eine Passage zitieren ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik zu koordinieren. Warum geschieht das nicht?
Das fragt Jacques Delors, der zehn Jahre lang Präsident der Kommission war und dem auch wir auf Grund seiner Arbeit, die er zehn Jahre lang für die Kommission geleistet hat, Respekt schulden.
({33})
Jacques Delors sagt: „Stabilität ja, aber im Vertrag steht auch Wachstum." Das ist auf europäischer Ebene das Argument, das ich Ihnen gerade zu verdeutlichen versucht habe. Das ist auch mein Argument; Sie mögen das nicht für richtig halten.
Ich zitiere hier auch eine Studie des Internationalen Währungsfonds, der über Jahrzehnte bei allen Industriestaaten untersucht hat, wann Sanierung, wann Haushaltskonsolidierung möglich ist. Dieser Internationale Währungsfonds kommt zu dem Ergebnis: nur bei Wachstum und bei relativ niedrigen Realzinsen. Alle Versuche, in der Rezession zu konsolidieren, sind gescheitert.
Betrachten Sie Ihren „Konsolidierungserfolg" in diesem Jahr: Er ist nicht deshalb fehlgeschlagen, weil Sie nicht konsolidieren wollten; er ist deshalb fehlgeschlagen, weil Sie die simpelsten ökonomischen Gesetze in diesem Land nicht mehr beachten.
({34})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({35})
Ich möchte als langjähriger Beauftragter für die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und als jemand, der an der Grenze aufgewachsen ist und europäisch fühlt, hier meiner Besorgnis über die Diskussionen in Frankreich und über die Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses Ausdruck verleihen. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie spätestens am 12. Dezember auf diese entscheidende Frage der europäischen Einigung eingehen werden.
Was in Frankreich der Präsident offiziell sagt und was auch der Ministerpräsident offiziell sagt, das ist das eine. Aber was fast die gesamte Führung der französischen Politik zur Zeit öffentlich sagt, das muß uns in Deutschland doch nachdenklich machen. Wenn der ehemalige Präsident Giscard d'Estaing, ein Mitschöpfer der Währungsschlange
(
Sie kennen doch die Gründe!)
- ich will sachlich bleiben -, sagt, der Franc solle sich von der D-Mark abkoppeln, wenn gleichzeitig führende Politiker der Regierungskoalition ähnlich argumentieren und wenn das nicht nur bei der Regierungskoalition in Frankreich bleibt, sondern dies auch im Oppositionslager aufgegriffen wird, dann, meine ich, hätten wir Veranlassung, über solch mahnende Worte, wie Jacques Delors sie uns aufgeschrieben hat, nachzudenken und nicht selbstherrlich an einer Politik festzuhalten, die hier zu immer höherer Arbeitslosigkeit führt und auch in Gesamteuropa zu immer höherer Arbeitslosigkeit führt.
({0})
Ich bin besorgt um das deutsch-französische Verhältnis!
Nun zu Ihrer Bemerkung, Herr Kollege Gerhardt: Selbstverständlich nehme ich Ihr Anliegen ernst. Aber es ist eben das Entscheidende, daß wir uns jetzt darüber verständigen müssen: Wie kann dieses Anliegen, die Radikalen aus den Parlamenten herauszuhalten, erreicht werden? Wir Sozialdemokraten sagen Ihnen auch angesichts unserer Geschichte und unserer Erfahrungen: Wenn man das Phänomen der Arbeitslosigkeit unterschätzt, wenn man eine solche Entwicklung nicht richtig einordnet, dann trägt man, ob man es will oder nicht, zur Radikalisierung bei.
({1})
Deshalb mein Appell: Bitte verändern Sie Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik. Suchen Sie eine Abstimmung mit den europäischen Nachbarn, insbesondere mit Frankreich, weil Demokratien, sollen sie stabil bleiben, auf Dauer hohe Arbeitslosenzahlen nicht verkraften.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Sohns das Wort.
({0}) - Ich bitte um Ruhe.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich will nur auf eine Ihrer Fehldarstellungen eingehen, auf eine bewußte Fehldarstellung, weil Kollege Wolfgang Gerhardt wenige Minuten zuvor die Position dargelegt hat, die die F.D.P. vertritt.
Uns geht es um Abgabensenkung und Steuersenkung zugleich, denn nur wenn beides gelingt, können mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze nach Deutschland gelenkt werden.
Was glauben Sie eigentlich, warum wir die Reform des Rentensystems durchführen, die Reform des Gesundheitssystems, die Reform der Arbeitsverwaltung, die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes? - Wir machen diese Reformen, damit durch Ausgaben- und Belastungssenkungen wieder mehr Dynamik in die Wirtschaft kommt. Ihr Weg ist doch der falsche Weg. Sie wollen die Abgaben senken und die Lasten auf den Haushalt umverlagern. Durch Umverteilung erreichen Sie keine Entlastung und keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Das geht nur durch Ausgabensenkung, und deswegen müssen Abgaben und Steuern gleichzeitig gesenkt werden. Das ist der Weg, der zu mehr Arbeitsplätzen führt. Wenn Sie sich an diesem schwierigen Weg vorbeidrücken wollen, werden Sie mehr Arbeitsplätze in Deutschland verhindern, nicht aber erreichen.
({0})
Ebenfalls zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege Hirsch das Wort.
Herr Ministerpräsident, ich bitte wirklich um Nachsicht, daß ich noch einmal auf ein Detail zurückkomme, das Sie zu meiner Überraschung ganz an den Anfang Ihrer Rede gestellt haben und dem Sie doch offenbar eine große Bedeutung beimessen, denn Sie haben mir empfohlen, in dem Gesetzentwurf noch einmal nachzusehen. - Ich habe das getan.
Die voraussetzungslose Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst, die Sie fordern, ist in dem Gesetzentwurf, und zwar in § 44 a des Beamtenrechtsrahmengesetzes und dementsprechend auch im Bundesbeamtengesetz, natürlich vorgesehen, voraussetzungslos bis zur Hälfte der normalen Arbeitszeit.
Um es bei dieser Gelegenheit auch noch zu sagen: Herr Kollege Scharping hat heute früh die Überwindung der Dienstaltersstufen durch das Leistungsprinzip gefordert. Auch das ist in diesem Gesetzentwurf,
und zwar in § 27 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes, vorgesehen.
({0})
Ich komme nur deshalb darauf zurück, weil ich es nicht für richtig halte,
({1})
daß Sie hier berechtigte Forderungen erheben, dann aber ihre Verwirklichung dadurch verhindern, daß Sie im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anrufen. Das geht nicht.
({2})
Wir sind ja in diesen beiden Forderungen mit Ihnen völlig einig; deswegen sind sie - übrigens gegen die Stimmen der SPD hier im Bundestag - verwirklicht worden. Man kann nur das eine tun, wenn man das andere auch macht. Entweder müssen Sie hier zustimmen, oder Sie können nicht den Vermittlungsausschuß anrufen, aber Sie können das nicht tun und hier beklagen, daß wir die berechtigten Forderungen zu diesen Punkten nicht umsetzen.
({3})
Herr Kollege Schily erhält auch zur Kurzintervention das Wort, wenn es auf die Rede von Oskar Lafontaine. bezogen ist.
({0})
Der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine, hat mit vollem Recht gerügt, daß die Koalition sich einer vernünftigen Regelung der Teilzeitarbeit im Beamtenverhältnis gerade bei der Einstiegsteilzeit entgegenstellt. Darüber, daß hier im Hause etwas anderes behauptet wird, bin ich sehr verwundert, weil wir doch gerade in einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses beisammensitzen.
Herr Kanther ist leider nicht zugegen; andernfalls würde er hier seinen Standpunkt darstellen können, daß er sich genau gegen eine Teilzeitmöglichkeit im Beamtenverhältnis, die von staatlicher Seite so angeboten wird, wehrt. Dies bezieht sich also nicht auf Teilzeitarbeit entsprechend einer freiwilligen Regelung, sondern auf vom Staat selbst angebotene Teilzeitstellen.
Das ist offenbar in der Koalition leider noch nicht begriffen worden. Vielleicht sollten Sie sich einmal zu einem Tête-à-tête mit dem Bundesinnenminister zurückziehen, damit Sie sich über die Verhandlungsposition einig werden. Offenbar sind sich die Koalitionäre über ihre Verhandlungsposition nicht einig.
({0})
Herr Ministerpräsident, wollen Sie auf die Kurzinterventionen antworten? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich als nächsten den Herrn Kollegen Glos auf.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der saarländische Ministerpräsident hat uns wieder eine Menge guter Ratschläge gegeben.
({0})
Wenn er als wirtschaftspolitischer Ratgeber auftritt, dann wirkt das mindestens ebenso peinlich, wie wenn er bei einer Techno-Party der Jusos als Tänzer auftritt.
({1})
Ich kann jedem nur empfehlen, die Auswirkungen der Lafontaineschen Politik im Saarland zu besichtigen. Er hat ja dort sein Übungsfeld.
({2})
Die Arbeitslosenquote im Saarland beträgt 12,6 Prozent. Nirgends sonst ist der Anteil an Langzeitarbeitslosen so hoch wie dort. In den letzten fünf Jahren nahm das Saarland beim Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts den letzten Platz aller Flächenländer ein. Seit 1987 ist die Beschäftigung in den alten Bundesländern durchschnittlich fast doppelt so hoch angestiegen wie im Saarland. Bei einem Vergleich der Standortqualitäten belegte das Saarland von 150 europäischen Regionen den Platz 130. Vor dem Bankrott wird Oskar Lafontaine allein durch die Milliardenüberweisungen des Bundes bewahrt.
({3})
Herr Ministerpräsident, ich frage Sie daher: Woher nehmen Sie den Mut,
({4})
die Wirtschafts- und Finanzpolitik unseres Landes bestimmen zu wollen?
({5})
Die Meinungsführerschaft, die Sie im Bundesrat übernommen haben, ist verhängnisvoll. Sie haben die SPD-Ministerpräsidenten zu Marionetten degradiert.
({6})
Jemand, der zustimmen will, wird von, Ihnen daran
gehindert. Die Ministerpräsidenten sind zu Marionetten geworden: Jemand - das sind Sie - zieht an der
Schnur, und sie reißen bei Abstimmungen die Arme hoch.
Ich möchte auf das, was ich ursprünglich vortragen wollte, verzichten und statt dessen auf eine Reihe von Argumenten eingehen, die heute in der Diskussion noch einmal eine Rolle gespielt haben.
Erstens: Ausbildung. Für mich ist immer noch unklar, wie man, wenn man eine Zwangsabgabe einführt, beispielsweise die Betriebe behandeln will, die gern Lehrlinge einstellen würden, die aber keine bekommen.
(
Ja!) Die gibt es nämlich auch.
({0}) Das wird immer vergessen.
({1})
Es wird ebenfalls vergessen, wieviel Goodwill vorhanden ist, gerade im Handwerk - der Herr Bundeskanzler hat es gesagt -, und was man durch die Erhebung von Zwangsabgaben zerstören würde.
Des weiteren würde mich interessieren - es werden heute auch Abgeordnete reden, die Mitglied einer Gewerkschaft sind -: Warum bilden denn der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Einzelgewerkschaften keine Lehrlinge aus?
({2})
Es gibt keinen einzigen Ausbildungsplatz bei den DGB-Gewerkschaften. Ich finde, das ist in der heutigen Zeit eine Schande.
Vor mir liegt ein Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 24. Oktober. Dort steht, gegen ein rein hausinternes Angebot spreche laut Leisinger - sie ist von der ÖTV - die Befürchtung, daß die Auszubildenden später auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Das spricht schon für die Qualität der Ausbildung, die dort geleistet wird. Dann kommt das zweite Argument; es ist noch schlimmer für die Damen und Herren des DGB. Es heißt dann in dem Artikel, sie könnten vom „politischen Gegner" übernommen werden. Genauso würde es sich verhalten, wenn Daimler-Benz niemanden mehr ausbilden würde, weil man Angst hätte, daß die Ausgebildeten später einmal zu BMW gehen könnten, oder wenn der eine Bäckermeister Angst hätte, daß ein von ihm Ausgebildeter zu dem anderen an der Ecke gehen könnte. Das ist doch lächerlich.
Das ist die Wirklichkeit. Deswegen finde ich, es ist ein freches Stück von der SPD, die so stark mit dem DGB verbandelt ist, daß sie immer versucht, die Wirtschaft einseitig zu kritisieren.
({3})
Ein zweites Argument. Herr Ministerpräsident, Sie haben von der IAB-Studie gesprochen. Diese IABStudie ist umfangreich. Sie müssen keine Angst haben, ich lese sie nicht ganz vor, ich will nur ein paar Hauptpunkte vortragen, was dort gefordert wird, um den Arbeitsmarkt zu verbessern. Da heißt es erstens: Lohnzurückhaltung, Erhöhung der Lohnsätze nur im Ausmaß der Preissteigerung - das ist kein weiterer Anstieg der Reallöhne ({4})
und damit vollständige Reservierung des Produktivitätsfortschritts für die Zunahme der Beschäftigung. Zweitens - das ist sicher richtig -: Verringerung der zuschlagpflichtigen Überstunden um 40 Prozent. Es steht drittens auch drin, und das gebe ich gern zu, daß man die Sozialversicherungsbeiträge um drei Prozentpunkte senken muß. Allerdings ist hier auch ein Gegenfinanzierungsvorschlag gemacht worden, nämlich eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 20 Pfennig in drei Schritten bis 2000.
Das ist noch ein Stück Ehrlichkeit, während Sie einseitig die Senkung von Steuern und Abgaben fordern und nie die Gegenfinanzierung dazu sagen.
({5})
- Der Bundesrat hat angekündigt, ein eigenes Gegenfinanzierungsprogramm zu machen. Dieses Gegenfinanzierungsprogramm war auf Finanzministerebene ziemlich fertig und ist dann letztlich auch von Ihnen mit gestoppt worden.
Immer dort, wo es konkret wird und wo unangenehme Wahrheiten zu verkünden sind, drückt sich die SPD.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben vom CSU-Parteitag gesprochen und wollten wissen, daß da Nebentöne vorhanden gewesen sein sollen. Ich kann nur sagen, wenn Sie jemals einen CSU-Parteitag erleben würden,
({7})
dann würden Sie uns ab sofort um unseren Parteitag beneiden. Es gab keine Mißtöne auf dem CSU-Parteitag.
({8})
Die Partei steht geschlossen hinter ihrer Führung, und das müßte die SPD mal von sich behaupten können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({9})
Da möchte ich doch noch einmal aus dem unveröffentlichten Redemanuskript, das versandt worden ist und sich auf den letzten Montag in Köln bezieht, zitieren. Da hat Herr Lafontaine geschrieben oder schreiben lassen, die Wähler sagten zu Recht, daß man einer Partei nur dann die Staatsgeschäfte überMichael Glos
tragen könne, wenn ihre Führung zur Zusammenarbeit bereit ist.
({10})
Das sollte eine Mahnung an die eigenen Genossinnen und Genossen sein. Das heißt doch im Umkehrschluß, daß der Ist-Zustand nicht so ist, und Sie haben sich nicht mal getraut, diese Mahnung auszusprechen.
({11})
Ein Weiteres vom CSU-Parteitag. Wir hatten eine unverkrampfte Diskussion mit der Jugend.
({12})
Wir haben die Jugend eingeladen, ihre Probleme zu diskutieren, ohne daß wir so eine Art Watschenmannveranstaltung machen mußten. Bei Ihnen war es so, daß man gesagt hat: Jusos, kommt, die Führung setzt sich mal rauf. Dieser Nachmittag geht rum wie ein Zahnarztbesuch. Da könnt ihr uns mal alle ordentlich abwatschen, und dann freuen wir uns, und dann bekommen wir am Schluß - ({13})
- Ich beziehe mich auf die Presseberichte, und was da alles gesagt worden ist, war eine einzige massive Kritik der Jusos an der Führung. Das brauchen die offensichtlich zur Motivation.
({14})
Ein weiteres Thema: Steuern, von Ihnen in die Diskussion gebracht. Die Bundesregierung hat eine Steuerkommission eingesetzt, und diese Steuerkommission wird pünktlich noch in diesem Dezember ein Ergebnis vorlegen. Wir werden die Steuern senken, wir werden insbesondere das Einkommensteuerrecht vereinfachen. Wir werden dafür sorgen, daß man auch als Nichtausgebildeter und nicht für Steuern Spezialisierter seine eigene Steuererklärung ausfüllen kann. Und wir werden dafür sorgen, daß die leistungsabhängigen Steuern geringer werden, aber trotzdem die Einnahmen der öffentlichen Haushalte noch stimmen.
Wir werden in dem Zug auch darüber entscheiden, wann die einzelnen Schritte in Kraft treten. Wir werden dafür sorgen, daß dies alles rechtzeitig im Deutschen Bundestag verabschiedet wird. Es liegt dann auch an Ihnen im Bundesrat, ob diese große Steuerreform dann zum 1. Januar 1999 in Kraft treten kann.
Ich möchte noch etwas zur Vermögensteuer sagen. Sie müssen zugeben, Herr Lafontaine - hören Sie doch bitte mal einen Moment zu -, daß das Bundesverfassungsgericht die Vermögensteuer in dieser
Form, wie sie besteht, für verfassungswidrig erklärt hat.
({15})
Dabei hat die Erhebungsform eine große Rolle gespielt und vor allen Dingen die Tatsache, daß man den Leuten nicht mehr als 50 Prozent wegsteuern darf, also das sogenannte Prinzip der hälftigen Teilung. Wir haben uns natürlich Gedanken darüber gemacht, wie man das Ganze reparieren kann und wie man es einbinden kann in das Bestreben, unser Land wieder Wachstums- und investitionsfreundlicher zu machen.
Deshalb muß - das steht auch in der Nürnberger IAB-Studie - die Vermögensteuer total wegfallen, weil sie eine wachstumsfeindliche Steuer ist. Es läßt sich nun einmal nicht sauber unterscheiden zwischen Privatvermögen und Betriebsvermögen. 90 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland sind Familienunternehmungen, Personengesellschaften, bei denen die Kapitaleigner auch die persönlich haftenden Gesellschafter sind. In diesen Fällen läßt sich das nun einmal nicht unterscheiden.
Deswegen lassen wir die Vermögensteuer entfallen. Einen erheblichen Betrag, 1,6 Milliarden DM, haben wir allerdings auf die Erbschaftsteuer aufgeschlagen; denn diese Steuer muß nur im Bedarfsfall ermittelt werden, also dann, wenn der Erb- oder Schenkungsfall eintritt. Es entfällt also eine äußerst kompliziert zu erhebende Steuer, die zudem wachstumsfeindlich ist - nicht mehr und nicht weniger.
Einig sind wir uns sicher, daß wir den Arbeitsplatzstandort Deutschland stärken wollen. Allein aus diesem Grund haben wir ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht. Wir wären ein ganzes Stück weiter, wenn der Bundesrat nicht blokkieren würde.
({16})
- Das ist nun einmal eine Tatsache.
Ich bringe nur ein Beispiel; nehmen wir das Asylbewerberleistungsgesetz. Jeden Monat gehen 70 Millionen DM dadurch verloren, daß es nicht möglich ist, in diesem Bereich vernünftige Einschränkungen umzusetzen, weil der Bundesrat blockiert. Das ist nur eines von vielen Beispielen.
({17})
Ihr Argument, die Binnennachfrage jetzt künstlich - auf Pump - zu stärken, würde der deutsch-französischen Freundschaft sicher nicht nutzen. Denn zum einen würde es das Erreichen unseres Ziels gefährden, die Vertragsbedingungen von Maastricht zu erfüllen. Zum anderen stimmen die alten Märchen nicht mehr, daß eine starke Konsumnachfrage die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland erhöht. Vielmehr würde die Importnachfrage angekurbelt, weil ein großer Teil der Konsumartikel heute nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland produziert wird.
Gerade im Bereich der Konsumgüter befinden wir uns in einem starken Wettbewerb mit Ländern aus der ganzen Welt.
Sie haben am Anfang zu Recht gefragt: Wie wirkt die Diskussion nach außen? Ich glaube, wir würden nach außen alle besser dastehen, wenn die Menschen das Gefühl hätten, wir zögen alle am gleichen Strang, und zwar in der gleichen Richtung. Die Politik der SPD, zuerst den Karren an die Wand zu fahren
({18})
und dann die Schäden des Aufpralls zu beklagen, ist schäbig.
({19})
Unter Lafontaine, dem Putschisten von Mannheim,
steuert die SPD einen Crashkurs gegen Deutschland.
({20})
Sie schadet im Ergebnis den Arbeitsplätzen in Deutschland.
Verehrter Herr Lafontaine, ich wäre an Ihrer Stelle ganz vorsichtig: Wer weiß, was der Schröder beim Herrn Castro in Kuba alles hat lernen wollen! Vielleicht hat er neue Putschtechniken studiert. Vielleicht ist er der nächste, der einen Putsch wagt. Denn es ist ja bekannt, daß sich solche Verhaltensweisen sehr leicht fortpflanzen. Jedenfalls kann er nicht in Kuba gewesen sein, um einen interessanten Exportmarkt zu erschließen.
Herr Kollege Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Ja, eine. - Herr Kuhlwein.
Herr Kollege Glos, hat Ihnen als dem zuständigen Mann der CSU-Landesgruppe Ihr Kollege Erich Riedl berichtet, was er in Kuba gemacht und was er gelernt hat?
Ich habe seine Presseverlautbarung dazu gelesen. Er hat gefordert, sich um die paar hundert Frauen aus der ehemaligen DDR zu kümmern, die mit Kubanern verheiratet sind und jetzt im Elend leben, weil der Sozialismus dort soviel Not erzeugt hat.
Erich Riedl aber war wahrscheinlich mit Ihnen, verehrter Herr Kuhlwein, dort, um sich als Berichterstatter für das Auswärtige Amt um die dortigen Lebensbedingungen der Diplomaten zu kümmern, um zu schauen, ob die Gelder des Auswärtigen Amtes sinnvoll eingesetzt worden sind. Aber er war ganz bestimmt nicht dort, um sich - wie der Herr Schröder - in Sachen Sozialismus fortzubilden. Das kann ich ausschließen.
({0})
- Der Papst wird sich um die Seelen kümmern. Das ist wohl nicht die Aufgabe des Herrn Schröder. Der bringt im Moment die Seele der SPD heftig durcheinander; denn man ärgert sich nicht nur darüber, daß er in Kuba herumreist, sondern man ärgert sich vor allem über sein eitles und selbstgefälliges Auftreten.
Jedenfalls ist sicher, daß es der SPD nicht darum geht, den Sozialstaat zu sichern. Sonst würde sie nämlich überfällige Reformen nicht blockieren. Es geht ihr allein um die Machtfrage, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. In diesem Zusammenhang möchte ich den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Thierse zitieren:
Da hat eine Generation die Führung, für die Sekundärtugenden wie Disziplin, Loyalität, Kollegialität, Solidarität auch im Umgang miteinander keine Bedeutung mehr haben.
({1})
Helmut Schmidt hat nicht immer recht. Er hat vor allem sehr unrecht gehabt, als er aus Trotz und Altersstarrsinn heraus den Herrn Tietmeyer und damit die Deutsche Bundesbank kritisiert hat und versucht hat, unser Land international zu diskreditieren. Da hat er unrecht gehabt. Aber recht hat er gehabt, Herr Lafontaine, daß er stante pede auf dem Weg nach Mannheim auf der Autobahn umgekehrt ist, als er gehört hat, daß Sie gewählt worden sind.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der Koalition werden unseren Weg in Ruhe und Gelassenheit weitergehen. Wir werden die Politik zum Erfolg führen. Wir werden vor allem alles tun, um es dem deutschen Volk zu ersparen, von einer rot-griinen - möglicherweise dann von der Sympathie oder der Unterstützung der PDS abhängigen - Koalition regiert zu werden.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach der notwendigen und für meine Partei und Fraktion erfolgreichen Generaldebatte über die Politik der Bundesregierung wollen wir jetzt auch den Bundesaußenminister nicht unerkannt entkommen lassen. Ich möchte deshalb einige Bemerkungen zum Einzelplan 05 machen, den die Koalition nachher verabschieden will und der nach unserer Einschätzung an die Substanz der Handlungsmöglichkeiten der deutschen Außenpolitik geht.
Ein ohnehin schon durch den Bundesfinanzminister kräftig gerupfter Außenminister hat in der Bereinigungssitzung weitere Federn lassen müssen. Vom Widerstand eines mannhaften Liberalen gegen die finanziellen Unzumutbarkeiten aus dem Hause des ungeliebten christsozialen Kabinettskollegen war wenig zu spüren.
Nun ist es ja kein Geheimnis, daß Herr Waigel gerne in die Kutsche ins Auswärtige Amt steigen würde und daß er sich für den größten potentiellen Außenminister dieser Republik hält. Das läßt er den Amtsinhaber auch spüren, wenn es um Haushaltsverhandlungen geht.
({0})
Offenbar hat sich Herr Kinkel bereits damit abgefunden, daß die Außenpolitik ohnehin im Kanzleramt bestimmt wird.
({1})
Die operativen Möglichkeiten werden in diesem Haushalt kräftig beschnitten. Das Engagement in internationalen Organisationen wird zurückgefahren. Die Auslandsvertretungen werden reduziert. Das alles paßt nicht zu den - richtigen - Analysen, daß die Länder der Welt immer stärker voneinander abhängig werden, daß Deutschland internationale Prozesse mitgestalten können muß und daß man dafür qualifizierte Menschen in den Auslandsvertretungen braucht.
Bei einem Haushaltsvolumen von rund 3,6 Milliarden DM muß das Auswärtige Amt jetzt weitere 77 Millionen DM, also zusätzlich 2 Prozent einsparen. Dabei ist es den fleißigen Beamten des Auswärtigen Amtes nicht einmal gelungen, die einzelnen Haushaltstitel zu nennen, die noch gekürzt werden könnten oder sollten.
Wir sollen heute über einen Haushalt befinden, dessen einzelne Zahlen gar nicht so gemeint sind. Wie fast alle anderen Einzelpläne verstößt deshalb auch der Etat des Auswärtigen Amtes gegen die Grundsätze von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Ich wundere mich, daß sich die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen diese Mißachtung der Rechte des Parlaments heute erneut gefallen lassen wollen.
({2})
Die Koalition schlägt im Haushaltsgesetz eine globale Stelleneinsparung von 2 Prozent vor, von der auch der auswärtige Dienst betroffen sein wird. Alle Bemühungen der Berichterstatter, des Personalrats, der ÖTV und des Hauses selbst, wenigstens bestimmte Bereiche bei den Auslandsvertretungen von diesen Stellenkürzungen auszunehmen, sind gescheitert. Wie will die Koalition eigentlich künftig die Globalisierungsdebatte bestreiten, wenn sie die Stellen derjenigen streicht, die für die zahlreichen Wirtschaftsdelegationen - mit oder ohne Bundeskanzler - die Vor- und Nacharbeit zu leisten haben, damit es nicht bei folgenlosen Versprechungen und Absichtserklärungen bleibt?
Der Zeitpunkt ist nicht mehr weit, bei dem bei Staatsbesuchen weder kleine Geschenke verteilt noch notwendige Hilfen in Aussicht gestellt werden können. So hat der Bundeskanzler im Sommer in Kiew zusätzliche Maßnahmen aus dem Transformprogramm der Bundesregierung für die Ukraine angekündigt. Er konnte nicht ahnen, daß die Koalition im Haushaltsausschuß gerade dieses Beratungsprogramm für Osteuropa durch eine weitere Kürzung um 20 Prozent auf nur noch 177,5 Millionen DM zusammenstreichen würde.
Damit wird ein wichtiger Beitrag der Bundesrepublik zur Förderung der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in Osteuropa erheblich beschnitten und gekappt.
({3})
Wer an dieser empfindlichen Stelle Kahlschlag betreibt, darf nicht mehr behaupten, er wolle den Standort Deutschland und seine Exportfähigkeit sichern und politische Stabilität in Osteuropa schaffen.
({4})
Mit diesem Haushalt zieht sich die Bundesregierung immer weiter aus ihrem Engagement in den Bereichen humanitäre Hilfe und Menschenrechte zurück. Dies entspricht dem nachlässigen Umgang mit der Menschenrechtsfrage, den manche Regierungsmitglieder in China und anderswo in den letzten Monaten gepflegt haben. Manche Mitglieder dieser Bundesregierung sollten sich ein Beispiel am Bundespräsidenten nehmen, wie man auch in schwierigen Ländern offensiv für die Menschenrechte eintreten kann.
({5})
Die freiwilligen Beiträge zu internationalen Organisationen wie Rotes Kreuz und UNICEF stagnieren, neue Organisationen werden nicht mehr in die Förderung aufgenommen. Es gibt auch kein Geld für die im Rahmenabkommen von Dayton beschlossene Menschenrechtskommission, und die Ombudsfrau der OSZE in Bosnien-Herzegowina wird auch in Zukunft auf Spenden aus Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz angewiesen sein. Dabei beklagen wir doch gemeinsam, daß der zivile Prozeß in Bosnien-Herzegowina dringend mehr Unterstützung braucht, damit IFOR nicht eines Tages umsonst gewesen sein soll.
({6})
Was dazu zu sagen ist, gilt im übrigen auch für die Hinhaltetaktik gegenüber dem zivilen Friedensdienst. Da gibt es ein großes Engagement aus den beiden Kirchen und vielen anderen Nicht-Regierungsorganisationen, Fachkräfte für zivile Konfliktbearbeitung auszubilden und im ehemaligen Jugoslawien einzusetzen.
Es gibt seit gut einem Jahr eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, die an einem gemeinsamen Antrag arbeitet. Es gibt eine Zusage des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden an die Bischöfe von Trier und BerEckart Kuhlwein
lin-Brandenburg, die Gespräche über das Projekt und seine Umsetzung würden nach der Sommerpause 1996 fortgeführt. Aber am Ende wird unser Antrag im Haushaltsausschuß abgelehnt, die Absicht des Parlaments wenigstens durch die Einrichtung eines Leertitels beim Auswärtigen Amt und beim BMZ zu dokumentieren. Diese Schizophrenie, sich auf der einen Seite zu bemühen und Zusagen zu machen, sich mindestens aktiv beteiligen zu wollen, und dann auf der anderen Seite alles mit Ihrer Mehrheit niederzustimmen, müssen Sie dem staunenden deutschen Volk erklären.
Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir in diesem Haus noch zu einem Konsens über den zivilen Friedendienst kommen. Meine Fraktion hat in der vergangenen Woche einen Antrag beschlossen, den wir im Deutschen Bundestag einbringen werden. Ich glaube, wir sind dem großen bisherigen Einsatz des Forums „Ziviler Friedensdienst" eine Parlamentsdebatte schuldig. Im übrigen geben wir Ihnen heute im Plenum noch einmal Gelegenheit, mit uns gemeinsam wenigstens einen Leertitel zu beschließen.
({7})
Bundesaußenminister Kinkel hat im Juli eine Sieben-Punkte-Initiative gegen Landminen vorgestellt. Er hat sich auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen in dieser Frage engagiert Er lädt für Mitte Dezember zu einem internationalen Expertentreffen über Minenräumtechnologie nach Bonn ein. Er kann bei diesen Aktivitäten nur dann glaubwürdig bleiben, wenn die Bundesrepublik Deutschland selbst ausreichend Mittel für humanitäres Minenräumen zur Verfügung stellt.
Im vergangenen Jahr gelang es dem Haushaltsausschuß, den Ansatz dafür von 3 Millionen DM auf 13 Millionen DM zu erhöhen. Für 1997 soll er wieder auf 3 Millionen DM gekürzt werden, obwohl der Bedarf für dieses Programm von Afghanistan über Mosambik bis Kambodscha und Laos eher noch zugenommen hat.
Meine Damen und Herren, es hat selten zu einem einzelnen Haushaltstitel quer durch die gesamte Bundesrepublik so viele Bitten, Ermunterungen und Aufforderungen gegeben wie zu diesen 10 Millionen DM, so von der Pfarrei Heilige Familie in Leipzig bis zu Terre des hommes. Die Koalition hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Als ob die Kriterien von Maastricht an dieser bescheidenen Summe hingen!
Ich appelliere deshalb noch einmal an Sie auf der rechten Seite des Hauses: Helfen Sie den Menschen in den minenverseuchten Gebieten dieser Welt, helfen Sie vor allem den Kindern, und helfen Sie damit nicht zuletzt auch der deutschen Außenpolitik, ein Stück glaubwürdiger zu werden! Stimmen Sie unserem Antrag zu, den Titel für humanitäres Minenräumen wieder zu erhöhen!
({8})
Angesichts der knappen Zeit kann ich in diesem Beitrag die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik nicht ausreichend würdigen. Wir haben uns große Sorgen um den Ruf und die Funktionsfähigkeit des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen gemacht. Wir wissen, daß das Kultusministerium in Baden-Württemberg jetzt Vorschläge dafür gemacht hat. Wir haben einen Teil der Mittel so lange gesperrt, bis wir im Haushaltsausschuß erfahren, ob und wie der Bereinigungsprozeß dort zum Abschluß gekommen ist.
Zur auswärtigen Kulturpolitik insgesamt und damit abschließend: Der Schwerpunkt, den Außenminister Kinkel mit zusätzlichen 20 Millionen DM in 1996 auf diesem Feld setzen wollte, hat sich für 1997 wieder in nichts aufgelöst. Auch dieser Bereich der zivilen Außenpolitik in einer immer komplizierter werdenden Welt wird mehr und mehr notleidend. Wir werden das später teuer zu bezahlen haben.
Meine Damen und- Herren, der Haushalt des Auswärtigen Amtes ist eine unzureichende finanzielle Grundlage für eine wirksame deutsche Außenpolitik. Wir lehnen ihn deshalb ab. Wir empfehlen unsere Anträge - auch den zur Streichung von Subventionen für türkische Kriegsschiffe - Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Riedl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Reisen bildet. Das wissen Sie, Herr Karsten Voigt, sonst würden Sie auf mich gar keinen so intelligenten Eindruck machen können, wie Sie ihn im Augenblick machen.
Der Kollege Kuhlwein hat die Dinge etwas dramatisch dargestellt. Sie sind dramatisch, aber so feindlich saßen wir uns als Berichterstatter gar nicht gegenüber, weil Sie, lieber Herr Kuhlwein, auch ganz genau wissen, daß der Haushalt des Außenministeriums in die Sparpolitik der Bundesregierung eingebunden ist.
Herr Minister, ich muß als einer, der an der Außenpolitik zunehmend mehr Freude hat - nicht nur weil er einmal in Kuba war, sondern weil das Thema hochinteressant ist -, sagen: Sie leisten für den gesamten Bundeshaushalt einen Sparbeitrag, der prozentual überproportional höher ist als der der meisten anderen Haushalte des Bundes. Ich möchte dies ganz kurz an drei Fakten darstellen:
Erstens ist dieser Haushalt mit 3,549 Milliarden DM für 1997 gegenüber 3,78 Milliarden DM für 1996 schon allein vom Einsparvolumen her spürbar abgeDr. Erich Riedl ({0})
senkt. Er erreicht damit den niedrigsten Haushaltsvolumenstand seit 1992. Zweitens beansprucht dieser Haushalt lediglich einen Anteil von 0,81 Prozent des gesamten Bundeshaushalts, nachdem dieser Anteil 1996 noch 0,84 Prozent betrug. Drittens verzeichnet der Haushalt des Auswärtigen Amtes 1997 mit einem Minus von 6,2 Prozent einen erheblich stärkeren Rückgang als der Bundeshaushalt mit einem Minus von 2,5 Prozent.
Die Auswirkungen - Herr Kollege Kuhlwein, hier muß ich Ihnen recht geben - sind dementsprechend schmerzlich. Ich möchte dies an zwei Beispielen kurz darstellen.
Man muß zunächst die 2prozentige Stellenkürzung berücksichtigen. Diese kegelgerechte Einsparung von 2 Prozent der Stellen statt bisher 1,5 Prozent führt dazu - ich möchte das deutlich sagen, damit auch draußen gespürt wird, was das im einzelnen bedeutet -, daß das Auswärtige Amt 1997 insgesamt 134 Stellen verliert, davon 39 Stellen im Inland und 95 Stellen im Ausland.
Wenn der Herr Bundeskanzler vor weniger als einer Stunde hier gesagt hat, daß der deutsche Exportanteil in Asien rückläufige Tendenz habe, und wir gleichzeitig bei unseren Auslandsvertretungen die Wirtschaftsfachleute abziehen müssen, weil die Stellenkürzungen wirksam werden, dann paßt hier etwas nicht zusammen.
({1})
Herr Kollege Riedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Karsten Voigt?
Von ihm immer. Ich habe ja gerade gesagt, daß ich ihn wegen seines intelligenten Aussehens unwahrscheinlich schätze.
Ich bemühe mich, jetzt auch eine intelligente Zwischenfrage zu stellen.
({0})
Hoffentlich schaffen Sie das.
Da die Bundesregierung immer so stolz darauf ist und betont, daß die Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung eine wachsende Internationale Rolle spielt, möchte ich wissen: Wird nicht an den von Ihnen so emphatisch gelobten größeren Kürzungen im Auswärtigen Amt sichtbar, daß in der Regierung ein rhetorischer Internationalismus mit einem faktischen Provinzialismus gepaart wird?
Bei Ihnen habe ich schon immer gewußt, daß Sie nicht wissen, was Sparpolitik ist. Sparpolitik bedeutet für die Bundesregierung natürlich, daß alle Häuser sparen müssen. Auch mir wäre es lieber, wenn wir, gemessen an der Bedeutung Deutschlands nach der Wiedervereinigung in der Welt, andere Haushaltszahlen für die gleich folgende Abstimmung zur Verfügung stellen könnten. Aber die Fakten sind nun einmal so. Deshalb, Herr Kollege Voigt, möchte ich in allem Ernst sagen, daß es dem Deutschen Bundestag gut anstünde, wenn er einmal an die bis zur äußersten Leistungsfähigkeit beanspruchten deutschen Beamten im auswärtigen Dienst, im Ausland und in der Zentrale, ein herzliches Dankeschön ausspräche.
({0})
Ich will noch an eine Bemerkung des Bundeskanzlers hinsichtlich der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, der Geldwäsche, der Rauschgiftkriminalität usw. anschließen. Innere Sicherheit beginnt bei unseren Auslandsvertretungen. Wir müssen uns auch darüber im klaren sein: Wenn wir den Konsulats- und Rechtsbereich unserer Auslandsvertretungen vernachlässigen, dann haben es die Gewaltverbrecher natürlich sehr leicht, nach Deutschland zu kommen.
({1})
Ich würde mich sehr freuen, Herr Minister, wenn Sie sich bei den Haushaltsberatungen 1998 - Sie spüren ja, daß Ihnen weder der Haushaltsausschuß noch das Parlament da große Schwierigkeiten machen würden ({2})
innerhalb der Bundesregierung mit solchen Argumenten durchsetzen könnten.
Mir fällt es immer schwer, der Opposition nicht widersprechen zu können. Aber in dem Punkt hat der Kollege Kuhlwein im Prinzip leider Gottes einigermaßen recht gehabt.
({3})
- Jetzt habe ich Sie aber anständig behandelt, Herr Kuhlwein.
({4})
Ich hätte das zu meinem Nachteil auch deutlicher sagen können.
Entsprechend schmerzlich sind auch die Kürzungen im Sachhaushalt. Es wird überall gespart, bis hin zur auswärtigen Kulturpolitik, und es muß gespart werden.
Das humanitäre Minenräumen ist eine ganz besondere Geschichte. Ich habe die in einer unvorstellbaren Weise verstümmelten Kinder, Männer und Frauen in Kambodscha und in Vietnam gesehen. Es ist unglaublich. Es ist ein Riesenverbrechen, daß auch westliche Industrienationen Minen geliefert haben. Da beginnt das Verbrechen überhaupt.
({5})
Herr Kollege Riedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger?
Jawohl, bitte schön.
Herr Kollege Riedl, Sie haben eben die Notwendigkeit von humanitärem Minenräumen unterstrichen. Ich bin Ihnen, aber auch den anderen Berichterstattern - ich schließe den Kollegen Kuhlwein durchaus ein - sehr dankbar für das Engagement, das Sie bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr gezeigt haben, um von 3 Millionen DM im Ansatz auf schließlich 13 Millionen DM für das Minenräumen zu kommen. In diesem Jahr ist das, jedenfalls im ersten Anlauf, nicht gelungen. Welche Möglichkeiten sehen Sie angesichts des klaren Plädoyers, das Sie eben abgegeben haben, und auch des klaren Plädoyers, das der Herr Bundesaußenminister wiederholt für die Bundesregierung abgegeben hat, in diesem Haushalt für humanitäres Minenräumen dennoch ausreichend Gelder zur Verfügung zu stellen?
({0})
Da fällt uns Haushältern schon noch etwas Klügeres ein.
({0})
Der Einzelplan 05 eröffnet dem Bundesaußenminister Umschichtungsmöglichkeiten innerhalb des Titels der Ausstattungshilfe. Das geht natürlich zu Lasten anderer Programme; ich könnte mir Einsparungen bei der Demokratisierungshilfe vorstellen. Das Ziel der Berichterstatter, die ja wissen, daß das Hohe Haus einstimmig hinter der Mindestetatisierung vom letzten Jahr steht, würde dem Außenminister Rükkendeckung geben. Es wäre zu wünschen, daß er auch mit Mitteln aus dem bei den Vereinten Nationen angesiedelten Titel „Friedenserhaltende Maßnahmen" zu einem Betrag von bis zu 14 Millionen DM kommt, so daß 1997, Herr Kollege Pflüger, über den Weg der Umschichtung die Möglichkeit besteht, wieder auf diesen Betrag zu kommen.
Herr Kollege Riedl, jetzt möchte Herr Kollege Pflüger und auch der Kollege Kuhlwein noch einmal nachfragen. Wenn Sie das alles gestatten, möchte ich doch bitten, es bei diesen Zwischenfragen zu belassen.
Gerade das ist ja unser Problem, Frau Präsidentin: Wir haben ein lebenswichtiges Thema und können darüber im Bundestag kaum reden. Wieviel Blödsinn ist heute vormittag schon zu anderen Themen geredet worden. Ich will das nicht ausführen. Das ist wirklich schlimm.
({0})
Aber das ist auch ein Problem des Bundestages. Nur, was soll ich machen? Ich kann es hier nur zum Ausdruck bringen.
Herr Kollege Riedl, darf ich Ihre Äußerungen dahin gehend interpretieren - mir ist das für das Protokoll, vor allem für das nächste Jahr sehr wichtig -, daß die Berichterstatter im Haushaltsausschuß den Herrn Bundesminister und das Auswärtige Amt quasi auffordern, die Mittel im Titel „Ausstattungshilfe" so zu verwenden, daß ein ähnlicher Betrag wie im letzten Jahr für humanitäres Minenräumen herauskommt?
Stimmen Sie mir zweitens zu, daß es für das nächste Haushaltsjahr, also das Haushaltsjahr 1998, gut wäre, wenn wir gleich von vornherein zu einem klaren Titel in etwa dieser Größenordnung kämen?
({0})
Ich stimme Ihnen beim zweiten Punkt zu. Letztes Jahr haben wir im Parlament 10 Millionen DM draufgesattelt, die die Regierung jetzt wieder weggelassen hat. Sie können durch Umschichtung nicht nur bei der Ausstattungshilfe, sondern auch bei den friedenserhaltenden Maßnahmen annähernd wieder zu dem gleichen Betrag wie im letzten Jahr kommen. Wenn ich meine Berichterstatter richtig einschätze und sie sich nicht wieder etwas anderes überlegen - das schließe ich aus -, dann könnten wir den Bundesminister des Auswärtigen dazu bringen, das zu akzeptieren, und ihm gleichzeitig dazu verhelfen, seine Zusagen, die er guten Gewissens auch im Hinblick auf das Parlament gemacht hat, einzuhalten.
({0})
- Wir machen es.
Jetzt kommt der Kollege Kuhlwein. Nach der Antwort lasse ich die Zeit wieder laufen.
Herr Kollege Riedl, würden Sie mir folgen, daß die beste Lösung des Problems darin bestünde, heute unserem vorliegenden Antrag zur Aufstockung um 10 Millionen DM zuzustimmen?
Zweitens nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir uns gerne an der Suche nach den verlorenen 10 Millionen DM beteiligen werden. Aber ist Ihnen nicht auch bekannt, daß der Titel „Ausstattungshilfe" - nach eigenem Bekunden des Auswärtigen Amtes - vertraglich festgelegt ist, so daß dort keine Luft mehr für die Aufstockung des Titels „Humanitäres Minenräumen" enthalten ist, und daß das Auswärtige Amt insgesamt über die bisherigen Einsparrunden hinaus nach dem Beschluß in der Bereinigungssitzung noch 77 weitere Millionen DM
irgendwo in den operativen Titeln einsammeln muß, so daß die an den Stellen eingesparten Gelder, durch die möglicherweise ein bißchen Luft zwischen veranschlagten Titeln und Ausgaben entsteht, in die globale Minderausgabe gehen werden?
Erstens zum Anteil des AA von 77 Millionen DM an der globalen Minderausgabe von 3 Milliarden DM: Diese Aufteilung ist erfolgt. Ich habe meinen Vorschlag schon unter Berücksichtigung der Aufteilung dieser 77 Millionen DM gemacht.
Zweitens. Herr Kollege Kuhlwein, Sie wissen doch als alter Parlamentarier selber, daß ich als Berichterstatter nicht in der zweiten Lesung einem Antrag von Ihnen zustimmen kann, nachdem der Haushalt von uns im Haushaltsausschuß abgeschlossen wurde. Das wäre unsolide, und das verlangen Sie auch nicht von mir. Aber Sie müssen es ja sagen, weil Sie in der Opposition sind. Das haben wir früher auch gemacht.
Zum dritten Punkt: Wenn der Außenminister auch in anderen Titeln seines Hauses adäquate Deckungsvorschläge hat, bin ich einverstanden. Die muß er machen. Ich habe ihm ja die Mindestgrenze dargelegt, bis zu der er nach unserer Meinung im Bereich der friedenserhaltenden Maßnahmen und der Ausstattungshilfe gehen kann. Danach schauen wir mal weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung zu den deutschen Finanzbeiträgen zu internationalen Organisationen. Der Haushaltsausschuß kümmert sich zunehmend um dieses Thema, weil nicht zu bestreiten ist, daß es angesichts der enormen Sparzwänge im eigenen Land und der aus allen Bevölkerungsgruppen kommenden Kritik, die auch den Deutschen Bundestag erreicht hat, zu spürbaren Einsparungen deutscher Beiträge zu internationalen und supranationalen Organisationen kommen muß. So geht es nicht weiter! Es kann nicht nur in Deutschland gespart werden; es muß bei der UNO, den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der WTO - wie immer diese Organisationen heißen - genauso gespart werden.
Deutschland hat im Jahre 1995 an Beiträgen zu internationalen Organisationen inklusive der Zuweisungen an den Haushalt der Europäischen Union immerhin 47,4 Milliarden DM aufgebracht. 1996, also in diesem Jahr, werden es schon 51,8 Milliarden DM sein. In diesen 51,8 Milliarden DM ist ein Beitrag von 45 Milliarden DM zum Haushalt der Europäischen Union enthalten. Wir leisten in diesem Jahr an 369 internationale Organisationen freiwillige und Pflichtbeiträge von 6,57 Milliarden DM. Es ist sicherlich nicht vermessen, wenn ich sage: Das kann so nicht bleiben.
Leider läßt sich im Augenblick seitens des Deutschen Bundestages in bezug auf den Haushalt der Europäischen Union nur wenig tun, weil nach dem Eigenmittelbeschluß der Mitgliedstaaten, der am 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist, die Abführungen aller Mitgliedstaaten an den EU-Haushalt bis 1999 verbindlich festgelegt worden sind.
Wir müssen alle ehrlich sein: Angesichts der großen Haushaltsprobleme, die wir heute haben, muß ich feststellen, daß die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag, der Haushaltsausschuß und alle, die wir hier sitzen, die Brisanz dieses Eigenmittelbeschlusses merklich unterschätzt haben. Es ist dringend an der Zeit, zu reagieren. Ich möchte an die Bundesregierung und auch an die Europäische Union appellieren, die Finanzierung der Europäischen Union so rasch wie möglich neu zu ordnen. In Zeiten, in denen die Mitgliedstaaten eisern sparen müssen - schauen Sie sich den Streik in Frankreich an; dieser Streik hat durchaus etwas mit Maastricht zu tun -, läßt sich der Haushalt der Europäischen Union nicht mehr wie bisher von Jahr zu Jahr überproportional steigern.
Ich möchte dem Bundesfinanzminister für seinen persönlichen Einsatz ganz besonders danken;
({0})
denn es ist sein Verdienst, daß der Haushaltsentwurf der Europäischen Union für 1997 eine sogenannte rote Null mit einem Minus von 0,07 Prozent schreibt. Das ist ein Riesenerfolg. Auf diesem Weg sollten wir weitergehen, damit bei uns die Akzeptanz der Bevölkerung bezüglich internationaler Organisationen nicht eines Tages sehr getrübt wird, nur weil dort das Geld zum Fenster hinausgeworfen wird und wir in Deutschland überproportional sparen müssen.
In diesem Sinne bittet meine Fraktion, die CDU/ CSU-Fraktion, dem Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der vorgelegten Fassung zuzustimmen.
Danke.
({1})
Ich erteile der Kollegin Antje Hermenau das Wort zu einer Kurzintervention.
Ich möchte mich auf die Ausführungen des Kollegen Riedl beziehen. Herr Kollege Riedl hat in seiner Rede einen Eindruck erweckt, den ich korrigieren möchte. Er führte aus, daß sich die Opposition bei dem Themenbereich Minenräumung vor der zweiten Lesung nicht deutlich genug artikuliert habe. Das ist nicht korrekt. Vielmehr haben die Opposition und auch die beiden Haushälter der Koalition bereits in vorbereitenden Berichterstattergesprächen - das war Mitte September - darüber Einigkeit erzielt, daß es notwendig sein wird, Maßnahmen zu vereinbaren.
Daraufhin hat die Opposition darauf verzichtet, Änderungsanträge einzubringen, damit die Koalition genügend Spielraum hat, um diese Maßnahmen in ihren Reihen zu diskutieren, und sie sich von der Opposition nicht unter Druck gesetzt fühlt. Ich fühle mich durch die Ausführungen des Kollegen Riedl leicht diffamiert und wollte daher diesen Punkt richtigstellen.
Der Kollege Riedl hatte über zwei Monate Zeit, um in dieser Frage ein Management an den Tag zu
legen, das über die Bitte an den Herrn Minister hinausgeht, eventuell nachzuprüfen, ob er vielleicht eine vertragliche Verpflichtung im Rahmen der Ausstattungshilfe nicht einhält, um diesem Anliegen nachzukommen. Ich glaube, dieses Vorgehen ist eine nicht sachgerechte Bearbeitung dieses Themas.
Danke.
({0})
Herr Kollege Pflüger, Sie dürfen nicht auf das antworten, was die Frau Hermenau gesagt hat. Sie dürfen in der Kurzintervention nur Bezug auf die Rede des Kollegen Riedl nehmen.
({0})
- Wenn Sie das tun, dürfen Sie jetzt sprechen.
Ich möchte gerne zu dem, was Kollege Riedl ausgeführt hat, sagen, daß ich es als ein sehr deutliches Votum für meine Fraktion empfunden habe, unseren Vertretern im Haushaltsausschuß und der Bundesregierung grünes Licht dafür zu geben, daß wir für das humanitäre Minenräumen auch im kommenden Haushalt einen Betrag etwa in der Größenordnung von 13 Millionen DM zur Verfügung haben. Ich glaube, es gibt im ganzen Haus überhaupt keinen Streit darüber, daß die Minenplage auf unserer Welt ganz fürchterlich ist und dazu beiträgt, daß es in wesentlichen Gebieten dieser Erde keine Entwicklung mehr gibt, weil Menschen zum Beispiel ihre Felder nicht bestellen können. Diese Plage führt zu furchtbaren humanitären Leiden. Sie hindert andere Völker daran, eine normale Entwicklung zu nehmen.
Deshalb muß - das ist der ausdrückliche Wunsch der CDU/CSU-Fraktion - das Minenräumen auch im kommenden Haushalt eine klare Priorität genießen. Die Aussagen von Herrn Riedl sind eindeutig gewesen. Ich würde mich freuen - Herr Kollege Riedl, ich darf das hinzufügen -, wenn von seiten der Bundesregierung auch ein Wort zu diesem wichtigen Thema gesagt wird.
({0})
Wir haben noch eine Kurzintervention des Kollegen Norbert Gansel.
Herr Kollege Riedl, Sie haben nicht ganz korrekt auf die Zwischenfrage meines Kollegen Voigt geantwortet, wieso es erklärbar ist, daß sich das Gewicht der Bundesrepublik in der internationalen Politik verstärkt hat - ob es uns paßt oder nicht; es bedeutet Verantwortung - und der Etat des Außenministers überproportional sinkt. Wie paßt das zusammen?
Herr Kollege Riedl, die richtige Antwort wäre gewesen: Das liegt daran, daß ein großer und wichtiger Teil unserer Außenpolitik nicht mehr vom Außenminister, sondern im Bundeskanzleramt gemacht wird: mal vom Bundeskanzler und mal von Staatsminister Schmidbauer. Dieser wird in einer eigenartigen Doppelfunktion aktiv: mal als Koordinator für die Nachrichtendienste - ein rechtlich und politisch sehr umstrittenes Thema - und daneben als persönlicher Beauftragter der Bundesregierung in humanitären und manchmal auch in außenpolitischen Fragen.
Mit Erstaunen haben wir in diesen Tagen zur Kenntnis genommen, daß Herr Schmidbauer ausgerechnet in Kolumbien etwas initiiert, was der jetzige Außenminister, als er noch Justizminister war, in Deutschland nicht - obwohl er es wollte - zustande gebracht hat, nämlich ein Gespräch zwischen Terroristen und Regierungsmitgliedern über die Einstellung des Terrors. Daß so etwas am Außenministerium vorbei läuft, ist ein Kontrolldefizit unserer Politik.
Deshalb sage ich, auch als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission: Um so wichtiger ist es, bei dieser Entwicklung, daß wir eine lückenlose Kontrolle durch den Auswärtigen Ausschuß und die Parlamentarische Kontrollkommission gegen die Geahr einer Geheim-Neben-Außenpolitik schaffen. Um so wichtiger wird es auch, daß wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission unsere Kontrollaufgaben gegenüber den Nachrichtendiensten und dem damit betrauten Staatsminister wirksamer als bisher vornehmen können.
Anläßlich des Berichts dieser Kommission habe ich im Plenum darauf hingewiesen, daß es insbesondere bei der Haushaltskontrolle ein erhebliches Defizit gibt, das beim Etatansatz des BND in die Verfassungswidrigkeit hineinreicht. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß es mit den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien eine Absprache gibt, daß dies im nächsten Haushaltsansatz in Ordnung gebracht wird. Im Vertrauen darauf habe ich heute verzichtet, im Plenum Anträge zu stellen, weil ich weiß, daß sie bezüglich der Geheimhaltungsbedürftigkeit und ihrer strafrechtlichen Sanktion zu Problemen führen können.
Ich gebe aber ausdrücklich zu Protokoll: Ich habe darauf verzichtet, bei etwaigen Anträgen zum Haushalt die Indemnität in Anspruch zu nehmen, weil ich auf diese Absprache vertraue. Ich vertraue dabei auch auf Sie, Herr Außenminister, daß Sie auf Grund Ihrer früheren Funktionen als Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Staatssekretär im Justizministerium und als Justizminister sowie in Ihrer jetzigen Funktion als Außenminister dafür Sorge tragen werden und daß Sie dies auch Ihren Koalitionspartnern, Ihrem Regierungschef klarmachen. Es geht hier nicht um eine Petitesse, sondern um die Kontrolle unserer Außenpolitik und um das verfassungsmäßige Prinzip der Wahrheit und Klarheit des Bundeshaushalts.
Danke sehr.
({0})
Das Wort für die Bundesregierung hat der Herr Bundesaußenminister Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe seit genau 9 Uhr heute morgen sehr aufmerksam zugehört, das heißt seit fünfeinhalb Stunden. Ich habe eigentlich darauf gewartet, daß zu den nicht ganz unwichtigen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik Äußerungen kommen - vergeblich. Weder Herr Scharping hat irgend etwas zur Außenpolitik gesagt, noch habe ich mit Ausnahme des Bundeskanzlers sonst von irgend jemand etwas gehört, was jetzt jedenfalls irgendeiner Erwiderung in der Haushaltsdebatte wirklich bedürfte. Ich muß Ihnen sagen, daß ich dies auf der einen Seite als ein bißchen traurig, auf der anderen Seite aber natürlich auch als erfreulich empfinde, erfreulich deshalb, weil es so zu sein scheint, daß an der Außen- und Sicherheitspolitik dieser Regierung, dieser Koalition nichts auszusetzen ist.
({0}) Das ist eine positive Bemerkung.
Dazu zitiere ich Herrn Scharping aus der „Süddeutschen Zeitung" der letzten Woche, wo wörtlich steht:
Zugleich betont er die Übereinstimmung in den wesentlichen Zielen der Außen- und Sicherheitspolitik. Das reicht vom grundsätzlichen Verständnis der NATO und der europäischen Integration bis zu Einzelfragen beim Einsatz deutscher Bodentruppen in Bosnien .. .
So weit, so gut.
Das bedeutet, daß ich meine Rede beiseite legen kann und auf ein paar Einzelpunkte eingehe, und zwar einfach deshalb, weil es unangemessen wäre, wenn ich hier den großen außenpolitischen Wurf versuche, während hier in klein-klein gemacht worden ist.
({1})
- Die Äußerungen, die Sie zur Außenpolitik und auch zu ein paar anderen Fragen gemacht haben, waren so, daß ich mir - seien Sie mir nicht böse - ein klein wenig ersparen möchte, darauf einzugehen.
Ich möchte auf die zentralen Fragen kommen, die eigentlich hätten angesprochen werden müssen, und will zunächst auf das eingehen, was Herr Lafontaine zum deutsch-französischen Verhältnis gesagt hat, weil das zentral ist. Herr Lafontaine sollte sich um das deutsch-französische Verhältnis und um den Motor, den das deutsch-französische Verhältnis in der weiteren europäischen Integration darstellt, keine Sorgen machen. Wir sind nach wie vor in allerengster Abstimmung mit unserem französischen Partner und Freund, mit dem wir nach schwierigsten Jahrzehnten in ein erfreuliches partnerschaftlich-freundschaftliches Sonderverhältnis gekommen sind. Ich möchte noch einmal sagen, worin sich das ausdrückt. Wir wissen beide, Frankreich und Deutschland, und zwar rational und emotional, daß wir füreinander in diesem Europa die wichtigsten Partner sind. Aus der Erkenntnis, daß wir mit weitem Abstand füreinander die wichtigsten Partner sind, fließt auch die Berechtigung und die praktische Politik, die wir in der europäischen Integration in Motorfunktion übernommen haben, übrigens mit Zustimmung und dem Willen aller anderen Europäer, und dabei bleibt es.
({2})
Ein zweiter Punkt muß angesprochen werden. Ich glaube, daß wir uns über unser Verhältnis zum Iran ein klein wenig hätten unterhalten sollen. Wir haben das gestern im Auswärtigen Ausschuß ausführlich getan. Unsere Beziehungen zum Iran, zu dem wir traditionell seit Jahrzehnten gute Beziehungen haben, sind in schwierigem Fahrwasser. Emotionen sind aber in einer Situation, die wir nicht verschuldet haben, ein schlechter Ratgeber. Dem Urteil im Mykonos-ProzeB jetzt vorzugreifen wäre falsch, und zwar in der einen wie in der anderen Richtung. Dies ist kein politischer Prozeß. Natürlich muß die iranische Seite wissen - wir haben das unmißverständlich klargemacht -: Wir sind ein Rechtsstaat, wir haben Gewaltenteilung. Was von dort in bezug auf diesen Prozeß herübertönte, ist absolut unerträglich, und ich weise es auch vom Pult des Deutschen Bundestages noch einmal ausdrücklich und nachdrücklich zurück.
({3})
Aber diplomatische Beziehungen und Beziehungen zu einem anderen Land dreht man nicht wie einen Wasserhahn auf und ab. Emotionen nützen in einer solchen Situation nichts. Für unsere Außenpolitik kann es nur einen Richtungsweiser geben, nämlich Interessen und Werte. Deshalb sollten wir die Politik des kühlen Kopfes fortsetzen. Wir spüren eine Deeskalation auch auf der iranischen Seite. Gestern habe ich im Auswärtigen Ausschuß Gott sei Dank nichts gehört, was in eine Richtung ginge, die konträr zur Grundlinie der Bundesregierung wäre.
Ich möchte hinzufügen, daß wir am Montag in Brüssel eine Zusammenkunft der 15 Außenminister hatten. Diese 15 Außenminister haben uns in unserer Linie absolut unterstützt, haben Solidarität gezeigt und deutlich und klar gesagt, daß niemand daran denkt, Beziehungen abzubrechen, sondern daß man die Politik des kritischen Gesprächs, des kritischen Dialogs, des Einwirkens auf die iranische Regierung gerade bei den Themen, bei denen wir anderer Meinung sind, fortsetzen will: beim aggressiven Fundamentalismus, beim Terrorismus und selbstverständlich auch bei allen Menschenrechtsverletzungen.
Ich erlaube mir, noch anzufügen: Wenn es um diese Themen geht, sind wir und die Amerikaner oder die anderen Partner und Freunde nicht einen Millimeter auseinander. Es geht einzig und allein um die Fragen, ob man in einer solchen Situation Sanktionen will, ob man das Gespräch abbricht oder ob
man glaubt, daß man im Gespräch mehr erreicht. Was wir erreicht haben - wenig genug, aber immerhin -, habe ich gestern im Auswärtigen Ausschuß deutlich und klar vorgetragen.
Wir hätten über Zaire, über die schreckliche Situation, die dort nach wie vor herrscht, sprechen sollen. Trotz Rückkehr von mehreren hunderttausend Flüchtlingen haben wir im ruandisch-zairischen Grenzgebiet eine sehr gespannte Situation. Ich habe mich letzte Woche mit den humanitären Hilfsorganisationen in der Bundesrepublik getroffen. Die Einsätze laufen. Ich möchte an dieser Stelle dem Deutschen Bundestag einmal sagen, daß Bundesbürger private Spenden in Höhe von 3 bis 4 Milliarden DM im Jahr für die Nicht-Regierungsorganisationen aufbringen.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle den Hunderten, zum Teil Tausenden von Einsatzhelfern, die ehrenamtlich tätig sind, danken, übrigens auch den Arbeitgebern, die vielfach den Arbeitnehmern, die ehrenamtlich tätig sind, ohne daß das in irgendeiner Form aufgerechnet wird, erlauben, dies zu tun, für unser Land, für eine wertorientierte Außenpolitik.
({5})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Nein, ich möchte gern weitermachen. Ich bitte um Verständnis.
Wir hätten über die Situation in der Türkei - übrigens im Kontext mit dem Iran - und über die großen Sorgen reden müssen, die wir uns machen.
Die zentralasiatischen Länder, der Transkaukasus und andere Länder in der Region einschließlich der wesentlichen Länder in Afrika konzentrieren sich ganz stark auf diese neue Region, die nach dem Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzung eine zentral wichtige, neue Bedeutung als Brücke zur islamischen Welt, als Brücke zum asiatischen Raum und in vielen anderen Beziehungen bekommen hat. Es wäre notwendig, sich etwas intensiver auch mit dieser Region zu befassen, nicht nur oberflächlich.
Wir müssen uns natürlich auch über die Landminenproblematik unterhalten. Ich habe mich nicht umsonst derart hineingekniet. Ich habe mir in Kambodscha und in Mosambik angesehen, worum es geht. Ich habe die Sieben-Punkte-Initiative ergriffen.
Auch ich bin natürlich traurig darüber, daß ich massive Eingriffe in unseren Haushalt hinnehmen mußte. Aber ich werde versuchen, auf dem Weg, der jetzt vorgeschlagen ist, die Dinge so hinzubekommen, daß wir damit leben können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang dem Bundestag deutlich und klar sagen: Jawohl, das Auswärtige Amt hat bis jetzt alle bisherigen Einsparungen solidarisch mitgetragen und wird das auch weiterhin tun. Aber langsam stehen wir schon etwas mit dem Rücken zur Wand. Ich werde mich bemühen, in den drei Bereichen, wo das ganz besonders zum Ausdruck kommen wird, nämlich in der Außenwirtschaftsförderung, in der Visaerteilung und in der auswärtigen Kulturpolitik, umzuschichten und die Mittel so einzusetzen, daß dort jedenfalls keine massiven Einbrüche kommen. Aber es wird, Kolleginnen und Kollegen, manche Serviceleistung deutscher Botschaften in Zukunft nicht mehr geben. Ich werde Botschaften schließen müssen. Wir müssen wieder Goethe-Institute zumachen.
Sie sollten klipp und klar wissen, daß ich mich hier bei Ihnen, beim Deutschen Bundestag melde, auch dann melden werde, wenn bei mir die Schlangen vor den RK-Abteilungen meiner Botschaften so sein werden, daß es für meine Botschaftsangehörigen nicht mehr durchhaltbar ist. Wir haben RK-Referate in der Ukraine, in Rußland, in den anderen GUS-Staaten, bei denen ich tagtäglich Löcher flicken muß.
Wenn es dabei bleibt - das betrifft insbesondere die Personalkürzungen, die jetzt wieder gekommen sind -, dann wird es so nicht weitergehen, weil es dann nämlich massiv zu Lasten unserer Arbeit geht. Ich habe einen Haushalt von etwas über 3 Milliarden DM, mit dem Sie nicht die größten Sprünge machen können, zumal er sehr personalintensiv ist. Mit diesem Haushalt kann ich ganz bestimmte Dinge einfach nicht auffangen.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie keine Zwischenfragen?
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
({0})
- Ach, Herr Kuhlwein, ich habe das doch im Kabinett gesagt. Das wissen Sie doch ganz genau.
({1})
- Es ist doch jetzt billig, auf diese Masche zu kommen. Sie wissen genau, wie es im Haushaltsausschuß abgelaufen ist. Sie wissen, wie es im Kabinett abgelaufen ist.
({2})
Ich habe mich gegen die beabsichtigten Maßnahmen mit allen Kräften, die mir zur Verfügung stehen, bis zum Schluß gewehrt. Alle, die hier im Bundestag sitzen, wissen, wo ich war und wo ich um die Gelder und die Personalausstattungen fast gebettelt habe. Es ist mir nicht gewährt worden. Ich habe bis zum
Schluß um jede einzelne Stelle gekämpft. Ich lasse mir da auch keine Vorwürfe machen.
({3})
Ich habe aber auch solidarisch die notwendigen Sparmaßnahmen mitgetragen.
({4})
Es ist nicht immer so, daß diejenigen am wirkungsvollsten wären, die am lautesten schreien. Ich kümmere mich um den Haushalt meines Amtes sehr, und ich trage nicht so leicht daran, daß er heruntergekürzt worden ist.
({5}): Machen Sie uns doch nicht zur
Klagemauer für den Finanzminister!)
- Ach, Herr Lippelt, Sie sind auch bloß ein Schreier. Beigetragen haben Sie bisher recht wenig, wenn es um praktische Dinge ging. Freundliche Grüße!
({6})
Lassen Sie mich abschließend etwas sagen, was für meine Begriffe viel wichtiger ist. Wir tragen aus unserer Vergangenheit und im Hinblick darauf, daß wir im Gegensatz zu anderen heute nicht vor der Tür der Europäischen Union und der NATO stehen müssen, eine ganz große Verantwortung als Anwalt bei den zentral wichtigen Fragen, die jetzt in Europa und in der NATO anstehen. Wir müssen diese Verantwortung wahrnehmen.
Wir müssen eine Regierungskonferenz bis zur Mitte des nächsten Jahres erreichen, die es ermöglicht, daß die Erweiterungsverhandlungen ein halbes Jahr danach beginnen können. Wir müssen die Erweiterung hinbekommen. Wir müssen die zweite wesentliche Frage, nämlich die Schaffung der gemeinsamen Währung, 1999 hinbekommen. Wir brauchen in Europa ein neues Finanzsystem. Wir brauchen eine neue Agrarstruktur. Die Kommission wird dazu im neuen Jahr einen Vorschlag vorlegen. Das sind die zentralen Aufgaben in Europa. Ferner brauchen wir eine neue Sicherheitsarchitektur.
Über diese Themen hätten wir heute reden sollen. Da kommt auf uns, die wir das größte Glück der letzten Jahrzehnte durch die Wiedervereinigung hatten, eine besondere Aufgabe zu, weil wir in das Herz Europas zurückgerückt sind und ein ganz wichtiger Partner bei der europäischen politisch-wirtschaftlichen und Sicherheitsarchitektur sind. Ich bitte den Deutschen Bundestag bei dem jetzt beginnenden Konferenzkarussell in den beiden auf uns zukommenden wichtigen Jahren um Unterstützung in den Fragen, in denen viele zu Recht auf die Bundesrepublik Deutschland warten und in denen wir eine zentrale Verantwortung tragen.
Vielen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege Kröning das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, ich bedaure wie Sie, daß Sie vom Haushaltsausschuß in der Frage der Beibehaltung der 1996 eingestellten Mittel für humanitäres Minenräumen auch 1997 im Stich gelassen worden sind, und zwar von der Mehrheit des Haushaltsausschusses, um das der guten Ordnung halber zu sagen, gegen den Antrag, den die SPD und die anderen Oppositionsfraktionen gestellt haben.
Ich füge aber hinzu, daß sich dieses Bedauern in Grenzen hält, nachdem ich erlebt habe, daß Sie uns - die Berichterstatter im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle - nach der Kabinettsentscheidung, in der Ihnen diese Mittel abhanden gekommen sind - ob mit Ihrer Stimme oder gegen Ihre Stimme, läßt sich nicht nachprüfen -, angeschrieben und um Unterstützung gebeten haben. Dies haben wir, wiederum nach der guten Ordnung des Hauses, an den Haushaltsausschuß weitergereicht. Ich habe mich darüber mit verschiedenen, auch mit Herrn Dr. Riedl, unterhalten.
Vor der Abstimmung über unseren Antrag ist bereits deutlich geworden, welche sachliche und prozedurale Berechtigung er hat und daß er nicht einfach weggeschoben werden kann, als wäre diese Runde der Haushaltsberatung nur noch Show.
Nachdem Sie erneut Ihr Bemühen in Aussicht gestellt haben, frage ich Sie kurz und klar, ob Sie die Erwartung der Berichterstatter auch der Koalitionsfraktionen erfüllen können, durch Umschichtungen in Ihrem Haushalt 1997 - bedauerlicherweise nur noch in Ihrem Haushalt - die zusätzlichen 10 Millionen DM bereitzustellen. Ich frage Sie das, weil viele Beteiligte nicht nur Planungssicherheit, sondern auch Vertrauenssicherheit brauchen.
({0})
Bitte.
Ich möchte gern noch einmal erklären, daß ich es außerordentlich bedauere, daß ich diese zusätzlichen 10 Millionen DM im ordentlichen Haushalt nicht bekommen habe.
Die Fragen, angefangen bei der Personenminenräumung bis hin zu der Entwicklung dieses Geräts, an dem ich mächtig arbeite, um endlich von dem Abräumen von Sanddünen mit dem Fingerhut wegzukommen, sind so wichtig, daß ich diese 10 Millionen DM aus meinem übrigen Haushalt erwirtschaften werde.
({0})
Möchten Sie eine Kurzintervention machen? - Bitte.
Ich fand den Ton der Reden sehr merkwürdig.
Herr Riedl, Sie haben die Einsparungen als Erfolg gefeiert. Herr Kinkel, der Außenminister, hat jedoch bedauert, daß es diese Einsparungen im Bereich des Auswärtigen gibt. Logisch wäre es doch dann, Herr Kinkel, daß Sie und Ihre Fraktion dem Haushalt nicht zustimmen.
Herr Kinkel, ein Drittel des Haushaltes des Auswärtiges Amts macht der Bereich der auswärtigen Kulturpolitik aus. Sie sprachen eben ganz kurz von den Auswirkungen. Eine dieser Auswirkungen ist, daß Goethe-Institute schließen müssen. Die Goethe-Institute sind die renommiertesten Vermittler unserer Sprache und Kultur im Ausland. Wenn, wie es jetzt gemäß der kegelgerechten Einsparung von Stellen vorgesehen ist, jedes Jahr fünf Institute schließen müssen, wird dies wie im letzten Jahr massive Proteste weltweit erzeugen.
Ich frage Sie, Herr Kinkel: Fürchten Sie nicht, daß unser Ruf im Ausland durch eine derartige Politik beschädigt wird?
({0})
Es liegt noch ein Wunsch nach einer Kurzintervention vor.
Ich möchte vorweg doch noch einmal sagen, daß Sie diese in der Regel vorab ankündigen mögen - das ist für die Techniker wichtig - und alle streng darauf achten mögen, daß wir nicht Debatten innerhalb der Kurzinterventionen führen. Dieses Instrument dient nur dazu, auf vorherige Redebeiträge einzugehen.
Jetzt ist der Kollege Riedl dran.
Frau Präsidentin, ich bin immer wieder betrübt und auch erschüttert darüber, wie wenig Detailkenntnisse Mitglieder des Deutschen Bundestages über den Ablauf von Haushaltsberatungen haben.
Ich möchte Sie bitten, Frau Präsidentin, den Wissenschaftlichen Dienst zu ersuchen,
({0})
in einer leicht verständlichen Weise eine Expertise zu erstellen und diese beim Neueintritt von Mitgliedern des Deutschen Bundestages mit der Fahrkarte für die Deutsche Bahn und mit den Hinweisen, wo die Restaurants und die Toiletten sind, zu übergeben.
({1})
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich das so sarkastisch sage. Es ist aber angesichts dieses wichtigen Themas fast wirklich nicht mehr zu ertragen, daß hier solche blöden Ausführungen gemacht werden.
Ich bitte um Entschuldigung und akzeptiere gleichzeitig Ihren Ordnungsruf.
({2})
Einen solchen erteile ich nicht. Ich kläre Sie vielmehr über den ordentlichen Weg auf: Ich kann Ihre Bitte von diesem Platz aus nicht erfüllen. Sie müssen einen Brief an die Präsidentin schreiben.
({0})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Riedl hat vorhin gesagt, daß notwendige Einsparungen natürlich alle Einzelhaushalte betreffen müssen. Diese Meinung ist sicherlich akzeptabel. Aber es ist nicht nur so, daß die Bundesregierung zuviel Geld ausgegeben und daß sie es falsch verwendet hat; sondern es ist auch so, daß an den falschen Stellen gespart wird. Das Problem ist nicht in erster Linie das Sparen selbst, sondern die Unausgewogenheit, mit der es geschieht.
Herr Riedl hat dauernd von Umschichtung gesprochen. Ich glaube, das Problem ist auch nicht die Umschichtung; sondern grundsätzlich sollte man sich über die Orientierung der deutschen Außenpolitik verständigen. Da gebe ich Ihnen recht, Herr Außenminister. Sie hätten ein wenig abwarten können, ob dazu noch einige Beiträge kommen. Ich glaube, das Problem ist nicht die Umschichtung; sondern das Problem sind die Fehler in der deutschen Außenpolitik. Ich will einige Punkte herausgreifen, die auch haushaltsrelevant sind oder sein könnten.
Zum hundertsten Male haben wir festgestellt - deshalb wird es nicht weniger richtig -, daß für die Rüstung und für die Förderung von Rüstungsexporten nach wie vor Milliarden ausgegeben werden, für die Konfliktvorbeugung und für die zivile Schlichtung von Konflikten aber nur wenige Millionen.
({0})
Hierhin gehört auch das leidige Thema der MEKOFregatten - ein nicht unerheblicher Bestandteil des Einzelplans 05. Seit Jahren wehren wir uns gegen die Mitfinanzierung von Kriegsschiffen für die Türkei durch deutsche Steuerzahler. Inzwischen haben wir auch erlebt, daß sich Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei sowie hinsichtlich Zyperns verschärft haben, von den Kurden gar nicht erst zu reden. Was sollen diese Kriegsschiffe tun? Wer kann ausschließen, daß die Sicherung von langfristig ohnehin aussichtslosen Arbeitsplätzen in Deutschland nicht eines Tages zu Toten in der Ägäis oder auf Zypern führt? Wäre das nicht ein zu hoher Preis für einige deutsche Arbeitsplätze?
({1})
Herr Kinkel, die Klagen, die Sie geführt haben, wobei sich das Klagelied, das Sie angestimmt haben, an die falsche Adresse richtete - Sie haben es nämlich vor dem ganzen Haus gesungen -, könnten abgestellt und die Probleme, die Sie genannt haben, gelöst werden, wenn sich die Koalition auf unseren Antrag hinsichtlich der MEKO-Fregatten einlassen würde.
Zum humanitären Minenräumen ist alles gesagt worden. Wir schließen uns nachdrücklich dem an, was Herr Kuhlwein gesagt hat. Diese Mittel müssen wieder in den entsprechenden Titel eingestellt werden. Es ist unerträglich, jedes Jahr Tausende von Toten und Verstümmelten auf dem Bildschirm zu sehen oder auch - wie einige Kollegen es von ihren Reisen berichtet haben - Augenzeuge dieser schrecklichen Dinge zu werden, das Geld für humanitäres Minenräumen aber nicht bereitzustellen.
Vergleichbares gilt auch für die humanitäre Hilfe. Seit Jahren wird sie unzureichend ausgestattet und Stück für Stück reduziert. Natürlich ist es so, daß Naturkatastrophen nicht planbar sind und daß ein Land wie die Bundesrepublik gewisse Reserven vorhalten muß, um Hilfeersuchen, die sich aus solchen Katastrophen ergeben, gerecht werden zu können. Aber Zaire, Ruanda, Burundi und auch immer noch Bosnien sind keine Naturkatastrophen. Es ist angesichts dieser Beispiele geradezu zynisch, Mittel für die humanitäre Hilfe zu kürzen.
({2})
Ich bestreite nicht die Erfolge der deutschen humanitären Hilfe. Ich halte sie für sehr beeindruckend und einen der Aktivposten im Auswärtigen Amt. Dennoch: Viele kleinere Krisenherde, die nicht oder noch nicht die Dimension dieser genannten Katastrophen erreicht haben, können durch die Verknappung der Mittel nun überhaupt nicht mehr oder jedenfalls nicht angemessen berücksichtigt werden.
Ich komme zum Thema der Konfliktprävention. Im Unterschied zu den Naturkatastrophen sind die Konflikte sehr wohl voraussehbar. Bei rechtzeitiger Einwirkung lassen sich Kriege verhindern, und die mitunter einzig verbleibende Möglichkeit des militärischen Eingreifens wird dann weniger oft notwendig. Damit wird auch die teuerste Variante der Konflikteinwirkung seltener benötigt, und es wird Geld eingespart. Aber das Engagement der Bundesregierung hinsichtlich der Konfliktprävention ist völlig unzureichend.
({3})
Gerade auf diesem Gebiet darf nicht gespart werden. Wir haben den Vorschlag gemacht, die OSZE aufzuwerten. Sie wird nach wie vor sträflich unterbewertet. Wo bleibt eine Initiative der Bundesregierung - auch mit einem entsprechenden politischen und finanziellen Engagement -, die OSZE zu stärken?
Ähnliches gilt für die Förderung des zivilen Friedensdienstes, von der Herr Kuhlwein vorhin ausreichend gesprochen hat.
({4})
Es ist oft gesagt worden, daß die Garantie der Menschenrechte eine große Bedeutung für die Stabilität von Staaten und ganzen Regionen hat und ihre Nichtbeachtung häufig eine der Ursachen für gewaltsam ausgetragene Konflikte ist. Deshalb ist natürlich der Einsatz für die Menschenrechte keineswegs nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine politische Notwendigkeit. Der Bundespräsident hat hierzu ein bemerkenswertes Signal gesetzt, als er - anders als die prominenten Reisenden der Bundesregierung - seine unmittelbare Solidarität mit Verfolgten durch seinen Besuch in Xian bei einer häufig Repressionen ausgesetzten christlichen Gemeinschaft gezeigt hat. Das könnte ein nachahmenswertes Beispiel für Herrn Kinkel und auch für den Herrn Bundeskanzler sein; denn es reicht nicht, die Menschenrechte gegenüber den Herrschenden nur anzusprechen.
({5})
In China, in Indonesien, in Iran, wo auch immer - der sogenannte kritische Dialog hat nicht zu den gewünschten Resultaten geführt. Wir empfehlen Ihnen unseren diesbezüglichen Antrag, über den Sie in dieser Woche abstimmen können.
Es reicht nicht, wenn vorzugsweise mit der Regierung oder allenfalls mit Wirtschaftsvertretern gesprochen wird. Sie können nicht allein Gesprächspartner der Bundesregierung sein. Die Geschichte hat oft gezeigt, daß die Veränderungen nicht von den jeweiligen Machthabern in autoritären Staaten ausgehen, sondern von den demokratischen Kräften in diesen Ländern. Deshalb müssen die demokratischen Kräfte unterstützt werden. Aber auch der Teil „Demokratisierungshilfe" eines Haushaltstitels ist im Einzelplan 05 vollständig unterbelichtet.
({6})
Gestatten Sie mir eine Schlußbemerkung, meine Damen und Herren. Wenn oft von der deutschen Verantwortung in einer neuen Rolle Deutschlands seit der deutschen Einheit die Rede ist, so kann diese eben nicht auf wirtschaftliche, politische oder gar militärische Stärke Deutschlands reduziert werden, sondern diese neue Rolle sollte gerade einen erheblichen Beitrag zur Bekämpfung der Ursachen von Konflikten und zu deren vorbeugender Einhegung leisten, einen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte und zur Demokratisierung. Eine solche Außenpolitik wäre effektiver, stabilitätsfördernder, sie wäre auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, und sie wäre schließlich auch sparsamer.
({7})
Jetzt hat der Kollege Steffen Tippach das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Im Westen nichts Neues" - leider. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland präsentiert sich als Dreifaltigkeit: Helmut Kohl ist zuständig für die Außenwirtschaft, Bernd Schmidbauer, der sich in letzter Zeit mächtig
ge„mauss"ert hat, für den Rest, und Klaus Kinkel bekommt dann die Prügel dafür.
Genauso sieht auch der Haushalt aus. Ein Teil wirkt wie die Wundertüte von Volker Rühe: Mehrkomponentenfregatten, NATO-Beitrag, militärische Ausstattungshilfe, WEU-Satellitenzentrum usw. Dafür soll ein dreistelliger Millionenbetrag bereitgestellt werden, der allerdings auch zeigt, wie stark die deutsche Außenpolitik mittlerweile militarisiert ist.
Es gibt durchaus auch begrüßenswerte Titel, zum Beispiel die Finanzierung für die UNRWA. Eines zieht sich jedoch wie ein Faden durch den gesamten Haushaltsansatz, und dies ist die Unfähigkeit der Bundesregierung zu einer nachhaltigen zivilen Außenpolitik. Während 1996 über 800 Millionen DM für Auslandseinsätze des Militärs ausgegeben werden, wird die Summe für humanitäre Hilfsmaßnahmen auf 77,5 Millionen gekürzt. Und das, obwohl das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bereits 45 Millionen Flüchtlinge weltweit gezählt hat und für das Jahr 2005 von einer doppelt so hohen Zahl, nämlich 90 Millionen Flüchtlingen, spricht. Dasselbe Internationale Komitee vom Roten Kreuz wird über den Haushalt des Auswärtigen Amtes mit 1,5 Millionen DM bedacht. Das ist ein Fünfzigstel dessen, was die Bundesregierung dem Folterstaat Türkei für die Mehrkomponentenfregatten in den Rachen wirft, einem Staat, der auch dafür verantwortlich ist, daß es Flüchtlinge auf dieser Welt gibt.
Die Rechtfertigung ist wahrscheinlich die gleiche wie dafür, daß Helmut Kohl mit Indonesiens Gewaltherrscher Suharto ein Angelwochenende verbringt, während gleichzeitig Menschen in Objekte des militärischen Geheimdienstes verschleppt und gefoltert werden, Menschen, Herr Bundeskanzler, deren Namen auf einer Liste von Gefangenen steht, die ich Ihnen vor der Abreise zugesandt habe.
Mit der gleichen Begründung dürfte auch Klaus Kinkel die „satanischen Elemente" zu vertreiben suchen, die Irans Präsident an der Wurzel des deutschiranischen Verhältnisses geortet hat.
({0})
Die Gründe sind: Macht, Einfluß und vor allem Geld, viel Geld. Business as usual also, und dabei sind die Hungernden, Gefolterten und Flüchtlinge dieser Welt auf der Prioritätenliste allemal weiter hinten angesiedelt.
Ein weiteres Glanzstück deutscher Außenpolitik ist der von Minister Spranger angekündigte UNIDOAustritt. Wenn die Bundesregierung unter internationaler Verantwortung versteht, sich einerseits mit aller Macht in den UN-Sicherheitsrat hineinzudrücken, andererseits aber UN-Entwicklungsstrukturen zu sabotieren, kann ich nur sagen: Mit uns nicht!
An Peinlichkeit kaum noch zu überbieten ist das Gezerre um ein paar Millionen für die Räumung von Landminen. Konkrete Anträge liegen vor mit dem Ziel, die Zuweisungen an den UN-Minenräumfonds kräftig aufzustocken. Ich denke, dies ist das Minimum, nachdem Klaus Kinkel erst vor wenigen Monaten vor der Weltgemeinschaft den Landminenterminator gemacht hat. Zitat: Die internationale Gemeinschaft müsse signifikant mehr Mittel für Minenräumung und Opferhilfe aufwenden. - Das hat die Bundesregierung vor zwei Monaten in Ottawa unterschrieben. Da steht, Herr Außenminister: mehr Mittel und nicht weniger.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für den falschen Weg, Friedensbewahrung und Gewaltvorbeugung das Wort zu reden, sich aber gleichzeitig immer mehr auf militärische Gewaltanwendung - wo auch immer auf der Welt - vorzubereiten und militärischen Kategorien in der Außenpolitik den Vorzug zu geben. Der vorliegende Einzelhaushalt wird dem leider nicht gerecht. Deshalb fordern wir eine sichtbare Erhöhung der Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung. Wir fordern eine Stärkung - auch finanziell - der OSZE und von deren Mechanismen für friedensbildende Maßnahmen. Die PDS hat aus diesen Gründen Änderungsanträge vorbereitet, zu denen ich Ihre Zustimmung erbitte.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Eberhard Brecht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesaußenminister hat sich vorhin beschwert, daß wir von der Opposition klein-klein diskutieren und keine großen Entwürfe bringen. Herr Kinkel, ich frage Sie, ob man mit einem solchen Etat überhaupt große Entwürfe hinbekommen kann.
({0})
Sie haben beklagt, daß Sie sich im Kabinett nicht haben durchsetzen können. Ich kann also feststellen: Der Riß geht nicht hier quer durch das Haus, sondern offensichtlich durch das Kabinett. Ich mache Ihnen den Vorschlag: Stimmen Sie dem Änderungsantrag der SPD zum Einzelplan 05 zu, der die Streichung der Mittel für die MEKO-Fregatten und gleichzeitig die Verwendung der Mittel für die humanitäre Minensuche vorsieht.
({1})
Herr Minister, Sie haben während Ihrer gesamten Rede immer wieder die Worte „Wir hätten reden müssen" verwendet und wollten damit zum Ausdruck bringen, daß die Opposition es versäumt habe, auf besondere Probleme der deutschen Außenpolitik hinzuweisen.
({2})
Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der sehr viele Mitglieder dieses Hohen Hauses beschäftigt und auch sehr besorgt macht; ich meine das sich abkühlende transatlantische Verhältnis. Ich würdige durchaus die Bemühungen der Europäischen Union und der Bundesregierung um die brüchig gewordene transatlantische Brücke. Aber was ist denn passiert?
Außer der Einsetzung einer Vielzahl von Konsultations- und Arbeitsgruppen sind praktische Erfolge bisher rar geblieben, die sich eigentlich aus der transatlantischen Agenda hätten ergeben müssen. Etliche transatlantische Mißverständnisse sind geblieben. Bei den Themen Somalia, Iran, Irak, UNO, Welthandel oder auch nur bei Randthemen wie Scientology scheiden sich die Geister offensichtlich am Atlantik.
({3})
Es scheint, als würde sich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems der Vorrat transatlantischer Gemeinsamkeiten allmählich verbrauchen. Und ich sage, dies bekümmert mich. Was ist aus dem Vermächtnis von James Byrns geworden? Was geht heute in den Köpfen von jenen Amerikanern und Deutschen vor, die Initiatoren, Nutznießer oder lediglich Zeitzeugen besonders enger deutschamerikanischer Kooperation waren - der Care-Pakete, des Marshallplans, der Luftbrücke nach Berlin, des German-Marshall-Fund, oder, lassen Sie mich als Ostdeutschen dies sagen, des vehementen Eintretens Washingtons für die deutsche Einheit, sogar gegen das Votum der Franzosen und der Briten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist keine Frage, in den USA gibt es eine neue Generation stark innenpolitisch orientierter Kongreßabgeordneter, die das State Department zu einer unilateralen Außenpolitik drängt. Besonders bedrückend ist das mangelnde amerikanische Engagement in der UNO, das sich auch quantifizieren läßt, nämlich auf 1,2 Milliarden Dollar Schulden gegenüber dem East-River.
Aber auch diesseits, meine Damen und Herren, gibt es Grund zur Klage. Wer sich, wie die Europäer in Bosnien, über Jahre hinweg als handlungsunfähig erweist, darf sich nicht über eine autistisch anmutende Führungsmacht beschweren. Die Dominanz der USA ist oftmals nur Ausdruck europäischer Schwäche.
({4})
Etliche völkerrechtlich fragwürdige amerikanische Alleingänge sind auch Ausdruck europäischer Hilflosigkeit. Ohne eine mehr und mehr vergemeinschaftete europäische Außenpolitik bleibt die zweite Säule deutscher Außenpolitik, nämlich die selbstbewußte transatlantische Partnerschaft, ohne Halt. Die europäische Stimme wird nur dann hörbar sein, wenn sie gleichzeitig möglichst einstimmig und selbstbewußt von allen europäischen Staaten vorgetragen wird. Möglicherweise hätte sogar der Eklat zum Helms-Burton-Gesetz vermieden werden können, wenn nämlich Europäer und Amerikaner gemeinsam frühzeitig nach Möglichkeiten zur Begrenzung des internationalen Terrorismus im Rahmen des Völkerrechts gesucht hätten. Dies ist zumindest die Auffassung des State Department. Ich denke, daß da solche deutschen Abwiegelungsmanöver, die Herr Kinkel formuliert hat - „ich würde das Ganze nicht so hoch hängen" -, zwar diplomatisch sein mögen, sie sind aber nicht ehrlich. Einer Ihrer Fraktionskollegen, Herr Kinkel, war da deutlicher und auch ehrlicher.
Unsicherheiten über die eigene außenpolitische Interessenlage sowie eine nicht intensiv geführte Auseinandersetzung mit unseren amerikanischen Freunden können nicht durch ein besonderes Wohlverhalten kompensiert werden. So hat die gewagte Behauptung des Auswärtigen Amtes, der völkerrechtswidrige und politisch unkluge Raketenbeschuß des Nordiraks durch die USA sei gerechtfertigt, nicht nur in Paris Irritationen hervorgerufen.
Ich fordere hier, Herr Bundesaußenminister, die Bundesregierung auf, die unter wirklichen Freunden übliche kritische Auseinandersetzung mit unseren amerikanischen Kollegen zu suchen. Setzen Sie dabei sowohl auf die bilateralen Beziehungen als auch auf die transatlantischen Gespräche! Nutzen Sie den Mechanismus der transatlantischen Agenda, um Dissonanzen zwischen den europäischen Hauptstädten und Washington schon im Ansatz auszuräumen. Auch der Kanzler ist gefordert, mehr als nur die symbolische transatlantische Freundschaft abzufeiern.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu einem aktuellen Sündenfall deutscher Außenpolitik verlieren, die vor wenigen Tagen nun auch in Deutschland selbst eingeläutete Abkehr von einer multilateral orientierten Außen- und Entwicklungshilfepolitik. Während Sie, Herr Außenminister, immer wieder von einer notwendigen Stärkung der UNO sprechen, hat Ihr Amtskollege Spranger - dem amerikanischen Vorbild folgend - den Austritt unseres Landes aus der UNIDO für - ich denke mal - 1998 angekündigt.
({5})
Ich leite aus Ihrem Schweigen sowohl im Ausschuß als auch hier ab, daß Sie selbst nicht gerade begeistert über diese brisante Entscheidung sind.
Nun ist gerade der Rühe-Kinkel-Riß bezüglich des Beitritts zum Stand-by-arrangement gekittet worden, da tut sich ein neuer Riß in der UNO-Politik auf, nämlich zwischen Ihnen und Herrn Spranger. Damit wird nicht nur die Existenz der UNIDO gefährdet; dies steht auch den deutschen Interessen diametral entgegen. Angesichts des deutschen Wunsches nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat ist der UNIDOAustritt kontraproduktiv. Die Bundesregierung verhält sich wie eine arbeitsuchende Fernsehansagerin, der beim Bewerbungsgespräch die Zahnprothese aus dem Munde fällt.
({6})
Auch der Ausbau der Stadt Bonn als Nord-Süd-Zentrum wird durch das unüberlegte Vorgehen des Herrn Spranger in Frage gestellt.
Nur zur Information: Die in Wien beheimatete UNIDO unterstützt vor allem in Afrika den Ausbau industrieller und gewerblicher Strukturen, die diesen ärmsten Kontinent zu mehr Selbsthilfe befähigen sollen. Dabei wird insbesondere die Transformation zu umweltschonenden Technologien einschließlich der Ablösung ozonzerstörender Substanzen gefördert.
Nun hört man aus dem Hause Spranger - so hat er sich zumindest in einer Presseerklärung geäußert -, es handele sich bei der UNIDO um eine Organisation mit besonders „aufgeblähter Verwaltung und wenig effizienter Arbeit". Diese Aussage ist bar jeder Sachkenntnis. Es gibt in der Tat einige internationale Organisationen, auf die eine solche Charakterisierung zutrifft. Aber doch nicht auf die UNIDO! Diese gilt nach einer Reorganisation durch eine international renommierte Unternehmensberatung geradezu als Musterbeispiel für UN-Reformen. Sehr viele Unterorganisationen der UNO orientieren sich am Beispiel der UNIDO.
({7})
Das bringt nicht nur die Stellungnahme der Europäischen Union zur UNIDO, sondern auch die Stellungnahme von Herrn Paschke, dem Untergeneralsekretär aus Deutschland, zum Ausdruck.
Ein paar Zahlen: Seit 1993 wurde das Personal dort um 36 Prozent abgebaut, davon 80 Prozent im Verwaltungsbereich. Das heißt, das Verhältnis des Projektanteils zu den Personalkosten ist in der UNIDO extrem günstig.
Überraschend ist für mich das Urteil des Entwicklungshilfeministers insbesondere deshalb,
({8})
weil das BMZ bisher alle Reformschritte dieser Organisation positiv begleitet hat. Die Anstrengungen zur Reform der UNO - so bisher zumindest die bisherige Philosophie der Bundesregierung - können nicht durch eine finanzielle Strangulierung der Weltorganisation nach amerikanischem Vorbild beschleunigt werden, sondern nur durch eigene Bemühungen innerhalb des Systems.
({9})
Ich fordere daher die Bundesregierung auf: Revidieren Sie Ihre Entscheidung. Arbeiten Sie weiterhin aktiv in der UNIDO mit. Bekennen Sie sich zur Multilateralität!
Ich bedanke mich.
({10})
Wir wenden uns damit dem Einzelplan 14 zu. - Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dietrich Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wenden uns in der Tat dem Einzelplan 14 zu. Ich möchte dennoch ganz kurz zwei, drei Anmerkungen machen zu der Debatte zum Außenetat, die vorher geführt worden ist. Im wesentlichen geht es natürlich um das Thema MEKO-Fregatten, aber auch um die Frage nach der
internationalen Verpflichtung und deren Wahrnehmung durch die Bundesregierung.
Ich glaube, es ist unbestreitbar, daß kein Land der Welt in den letzten Jahren so große humanitäre, unterstützende Hilfe für viele Länder der Welt geleistet hat wie die Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Das waren dreistellige Milliardenbeträge. Wenn wir heute über finanzielle Zwänge des Haushaltes reden, hängt das auch damit zusammen, daß wir finanzielle Hilfen im gewaltigen Umfang übernommen haben, humanitäre Hilfen, die auch durch die Bundeswehr erbracht worden sind. Auch sie haben den Haushalt, zum Beispiel den Verteidigungsetat, belastet.
({1})
Zum Thema MEKO-Fregatten: Vielleicht sollte sich der eine oder andere, der zu diesem Thema redet, die tatsächliche Situation vor Augen halten. Die Entscheidung, die dem zugrunde liegt, war, beide NATO-Länder, Türkei und Griechenland, zu unterstützen. Die Unterstützung in Griechenland ist inzwischen abgeschlossen. Das Vorhaben in der Türkei ist noch nicht ganz abgeschlossen. Aber die Schiffe, die gebaut werden sollen, sind im wesentlichen bereits fertiggestellt. Wenn dazu jetzt Entscheidungen getroffen werden sollen, hilft das, so glaube ich, in der Sache überhaupt nicht.
Lassen Sie mich zum Verteidigungsetat kommen. Es ist in letzter Zeit interessant, festzustellen, wer sich alles zum Garanten der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr aufspielt und Wege aus der mutmaßlichen Krise aufzeigen will. Diese Hilfestellung muß um so mehr erstaunen, als die Oppositionsfraktion vor nicht einmal eineinhalb Jahren zeitgleich mit der Mehrheit des Bundesrates massive Kürzungen für den Verteidigungsetat vorgeschlagen hat. Im Frühjahr 1995 ist im Bundesrat vorgeschlagen worden, die Mittel für die Bundeswehr um 1,4 Milliarden DM zu kürzen, wovon über 400 Millionen DM allein auf den Personalbereich und Mittel in einer ähnlichen Größenordnung auf den Bereich Ausrüstung, Erhaltung und Neubeschaffung entfielen. Heute wird beklagt und beweint, welche Situation sich möglicherweise hinsichtlich der Einsatzbereitschaft ergibt. Ich sage ganz klar: Unter dieser Bundesregierung, unter dem dienstältesten Verteidigungsminister der NATO und unter dieser Koalition bleibt die Bundeswehr unbedingt einsatzbereit.
({2})
Wir sagen - auch bei knappen Mitteln - ein klares Ja zu einer modernisierten Bundeswehr als Wehrpflichtarmee, zu ihrer internationalen Verantwortung und zur Wehrtechnik.
({3})
- Das zeigt, wie beständig er ist - für manch einen
wäre das eine Empfehlung, Themen nicht ständig zu
wechseln -, daß er Ausdauer in der praktischen politischen Arbeit hat.
Mit dem Verteidigungsetat 1997 wird ein Beitrag geleistet, unsere Armee zukunftsfähig zu machen. Nebenbei wird das Ziel erreicht - was Teil der Verteidigungspolitik ist -, eine eigene nationale Wehrtechnik systemfähig zu halten.
({4})
- Herr Kollege Kolbow, Sie lachen. Ich könnte Ihnen eine Fülle von Zitaten vorlegen, aus denen hervorgeht, was Sie vorgeschlagen haben, wie die Bundeswehr reduziert werden soll, wie die Standorte veningert werden müßten
({5})
und auf welche wehrtechnischen Produkte verzichtet werden soll. Ich glaube, Sie sind der letzte, der uns hier vorwerfen kann, daß wir zuwenig Geld für die Bundeswehr ausgeben.
({6})
Der Etat des Einzelplans 14 ist der niedrigste seit 15 Jahren, seit Übernahme der Regierung im Jahre 1982. Das bestätigen die geänderte Größe, die geänderten Aufgaben der Bundeswehr, die erreichte Sicherheit, zugleich aber auch die finanziellen Zwänge, die die Angehörigen der Armee sicher oft spüren und mittragen, wofür wir ihnen, allen Soldaten, Offizieren und zivilen Mitarbeitern, ausdrücklich danken.
({7})
Immerhin beträgt der Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamtetat über 10 Prozent. Er liegt damit über dem für dieses Jahr.
Ein niedriges Haushaltsdefizit, eine niedrige Staatsquote und stabiles Geld sind kein Selbstzweck, sondern Voraussetzungen für ein dauerhaftes Wachstum, für mehr Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie sind damit Ausdruck ökonomischer Vernunft und dienen letzten Endes auch dem Verteidigungsetat.
Die notwendige Modernisierung der Bundeswehr muß wegen der veränderten Finanzsituation gestreckt werden. Aber die Mittel lassen immer noch genügend Luft, um ohne Eingriffe in Umfang, Zahl der Standorte und Struktur auszukommen. Es wird auf absehbare Zeit keine Standortdiskussion geben.
({8})
Eingriffe in den Personalumfang der Bundeswehr, den Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Streitkräfte und in den Beitrag zum Aufbau Ost sind - Kollege Diller, mindestens für die nächsten fünf bis zehn Jahre - nicht vorgesehen. Es wird keine neue Standortdiskussion geben.
Die wichtigsten Bauvorhaben in den neuen Bundesländern - Offiziersschule des Heeres in Dresden, Bundeswehrkrankenhäuser in Leipzig und Berlin, Marinetechnikschule in Parow, Flugplatz Laage - bleiben unberührt. Auch hierdurch wird ein Beitrag zum Zusammenwachsen und zur Armee der Einheit geleistet,.
Wir setzen ein deutliches Signal für unseren Willen, an der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten, in einer Armee mit 340 000 Soldaten und 140 000 zivilen Mitarbeitern. Damit entscheiden wir uns für die jüngere, bürgernahe, intelligente Armee. Nur mit ihr läßt sich der Hauptauftrag unserer Streitkräfte, nämlich die Landesverteidigung, erfüllen. Nur die allgemeine Wehrpflicht verbindet die Streitkräfte und ihren Auftrag mit der Gesellschaft in der notwendigen Intensität, nämlich durch persönliche Pflichterfüllung. Diese Armee ist mit Sicherheit billiger als die Ihnen vorschwebende Berufsarmee.
Im Zuge der parlamentarischen Beratung haben wir Umschichtungen beschlossen, die den unzureichenden Klarstand von Heeres- und Luftwaffenmaterialien verbessern sollten. Da Umfang und Struktur der Streitkräfte erhalten bleiben, die Mittel für Instandsetzung also aufgestockt wurden, müssen viele Rüstungsvorhaben erneut auf den Prüfstand. Laufende Vorhaben bleiben unberührt. Es bleibt bei den großen Beschaffungen für Heer und Marine.
Was das Heer betrifft, so möchte ich das Thema Keiler, ein Minenräumgerät, deshalb erwähnen, weil hierdurch weltweit ein Beitrag zur Beseitigung von Minen geleistet werden kann. Es bedarf jedoch einer eindeutigen Klarstellung, was sicherheits- und bündnispolitisch für eine moderne Bundeswehr notwendig ist. In den nächsten Wochen kommen viele Fragen auf die Bundeswehr zu: Wie geht es in Bosnien weiter? Wie entwickelt sich die Rüstungskooperation in Europa? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Planungen der Verbündeten, insbesondere Frankreichs, für deutsche wehrtechnische Produkte und damit viele tausend Arbeitsplätze?
Lassen Sie mich das Stichwort Bosnien im Zusammenhang mit dem Außenetat noch einmal kurz aufnehmen. Der Kollege Dr. Brecht hat vorhin beklagt, daß sich Europa in Sachen Bosnien zu spät als handlungsfähig erwiesen hat.
Erinnern wir uns daran: Wir haben vor etwa einem Jahr eine Debatte darüber geführt und die SPD mit Mühe und Not davon überzeugt, daß die Entscheidung aus dem Sommer letzten Jahres, als der wesentliche Teil der SPD noch gegen Einsätze in Bosnien gewesen ist, bekräftigt werden mußte. Dann haben Sie sich allmählich - wie immer mit erheblicher Verspätung - dem angeschlossen, was dort geleistet worden ist.
Ich glaube, daß man heute sagen muß: Wir können wirklich darauf stolz sein, daß die Bundeswehr ihren Beitrag mit einem solchen Erfolg in Bosnien geleistet hat. Ich sage mit einem gewissen Bedauern: Am Anfang sind Sie nicht dabei gewesen, und Sie haben die Entwicklung wieder einmal verschlafen.
Lassen Sie mich etwas zu der Frage sagen, die in nächster Zeit zu klären ist. Es geht um die Finanzierung der Serienvorbereitung des neuen Jagdflugzeugs. Ich gehe davon aus, daß der Bundesverteidigungsminister in den nächsten drei Monaten eine Beschaffungsvorlage vorlegen wird. Es wird interesDietrich Austermann
sant sein, wie Sie darauf antworten. Den Antrag, den Sie vorgelegt haben, kann ich nur als Schiebeverfügung deuten: zur Zeit nicht finanzierbar.
Sie stimmen im Grunde den Verteidigungspolitikern zu, die gesagt haben: Wir brauchen ein neues Gerät für die Luftverteidigung. So richtig aber konnten, wollten oder durften Sie nicht. Dies liegt jedoch in absehbarer Zeit zur Entscheidung auf dem Tisch.
Ich sage Ihnen eines: Wir sind der Auffassung, daß notwendige Beiträge für das neue Jagdflugzeug, von denen die Zeitungen voll sind, erbracht werden müssen. Herr Verheugen, man kann davon ausgehen, daß die Rohkosten bei etwa 90 Millionen DM pro Stück liegen. Wir werden dann die Entscheidung treffen.
Ein wichtiger Beitrag Ihrerseits wird sein, dafür zu sorgen, daß auch Ihre Fraktion bei dieser Maßnahme mitmacht, und zwar nicht nur deshalb, weil sie, was ganz wichtig ist, die strukturelle Verteidigung unseres Landes ermöglicht, sondern auch deshalb, weil damit ein erheblicher Teil von Maßnahmen zur Sicherung von hochtechnologischen Arbeitsplätzen gestützt werden kann.
Es ist bekannt, daß ich einen Vorschlag dazu gemacht habe, wie wir die Finanzierungslücke, die bis zum Jahre 2001 vorhanden ist, überbrücken können. Ich glaube, daß wir mit großer Freude zur Kenntnis nehmen, daß die Entscheidung, die in früheren Jahren getroffen wurde, nämlich die Entwicklung des Airbus zu unterstützen, sich nun positiv auswirken wird und daß Rückflüsse aus entsprechenden Entwicklungskosten dazu beitragen können, auch dieses Flugzeug auf die Startrampe zu schieben.
Der Verteidigungsetat 1997 sichert die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr mit ihren gewachsenen Aufgaben. Sie ist unbedingt einsatzbereit. Der Verteidigungsetat sichert die Systemfähigkeit der Industrie und viele tausend Arbeitsplätze, er sichert die technologischen Impulse aus wehrtechnischen Produkten.
Damit bleibt unsere Armee modern, unser Land sicher und bündnisfähig und fähig, einen wichtigen Beitrag für den Frieden zu leisten. Wir stimmen deshalb dem Einzelplan 14 zu.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ernst Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Sätze möchte ich vorab zum Kollegen Austermann sagen. Es ist schon ein starkes Stück, sich hier hinzustellen und zu behaupten, die SPD habe im Bundesrat 1,4 Milliarden DM Kürzungen beim letztenmal vorgesehen. Das ist schlicht die Unwahrheit, das weiß auch Herr Minister Rühe, der diese Unwahrheit vor einem Jahr ebenfalls verbreitet hat.
({0})
Es gab eine Diskussion von Mitgliedern des Finanzausschusses im Bundesrat und nicht mehr. Dann war das Thema erledigt. Ich bitte, das einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ich rede ja auch nicht darüber, Herr Nolting, was Sie sich in Ihrer guten Stube in Minden überlegen. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert, was Sie hier sagen.
Das zweite ist: Erinnern Sie sich an die Sparvorschläge der SPD in der Vergangenheit. Herr Austermann, es ist eine eigenartige Dialektik, die Sie der Öffentlichkeit klarmachen wollen: Moderate Einsparungen durch die SPD sind das Ende der Bundeswehr, Milliardenkahlschlag ist ein Beitrag zur künftigen Entwicklung der Bundeswehr, wenn er von der Koalition kommt. Das ist wirklich interessant.
({1})
Herr Minister, vor einem Jahr haben Sie gesagt: „Das Wort gegenüber den Soldaten, daß wir eine stabile Haushaltsperpektive in den nächsten Jahren haben, ist gehalten worden." Der Bundeskanzler stellte fest, die Bundeswehr werde bekommen, was sie brauche. Braucht sie plötzlich fast nichts mehr? Von Plafondsgarantie, Steigerung des investiven Anteils auf 30 Prozent und Planungssicherheit war vor einem Jahr die Rede. Heute muß man feststellen: wider besseres Wissen.
Ich habe im letzten Jahr nach intensiver Durchforstung einzelner Titel im Haushalt ein Einsparvolumen von etwa 500 Millionen DM errechnet.
({2})
Vor zwei Jahren sah die Welt anders aus. Herr Austermann, da haben Sie selbst noch bis zu 6 Milliarden DM im Laufe der Jahre gespart. Letztes Jahr waren es 537 Millionen DM. Etwas mehr Aktenstudium würde Ihnen gut tun.
({3})
Der Vorwurf des „Kaputtsparens" tönte uns entgegen. Der Verteidigungshaushalt werde als „Steinbruch" betrachtet. Herr Minister, was wir heute vorfinden, kann ich nur als einen angehäuften Berg von Bruchstein und Schutt - um im Bild zu bleiben - bezeichnen. Herr Minister, die gegenwärtige Situation müßte Ihnen die Schamröte ins Gesicht treiben.
({4})
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: eine Haushaltssperre von über 1 Milliarde DM in diesem Jahr mit der Folge einer geradezu katastrophalen Materialerhaltungslage beim Heer, eine Kürzung des Etatentwurfs für 1997 um 1,7 Milliarden DM und danach um weitere 200 Millionen DM, von denen Sie immer noch nicht sagen, wo Sie sie streichen wollen, und zusätzliche Belastungen von 1,5 bis 1,8 Milliarden DM im nächsten Jahr, für die zur Stunde - man höre und staune - keinerlei Deckung im Haushalt vorgesehen sind. Alle Achtung, Herr Minister! Das sind fast 5 Milliarden DM auf einen Streich.
Meine Damen und Herren, hier liegt ein haushaltspolitisches Husarenstück vor, das nicht nur Rückschlüsse auf eine völlige Kopflosigkeit der politiErnst Kastning
schen Führung des Verteidigungsministeriums zuläßt. Es beschreibt zugleich den katastrophalen inneren Zustand der Koalition.
({5})
Was Sie oder unser Unterhaltungskünstler Jürgen Koppelin hier in den letzten Wochen zum Bundeswehretat haben verlauten lassen, war schon interessant.
({6})
- Nicht flapsiger als Herr Koppelin.
Inzwischen werden bisher als zwingend notwendig erachtete Beschaffungsvorhaben gestreckt oder gestrichen wie zum Beispiel der Hubschrauber UHU/ Tiger, das gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug, der Hubschrauber NH 90 oder das deutsch-französische Transportflugzeug.
600 Millionen DM werden bei der Infrastruktur gestrichen. Im Westen wird im nächsten Jahr kein neues Bauvorhaben begonnen. 150 Millionen DM im Osten: Herr Austermann, ich habe eben gehört, dort ginge fast alles wie bisher weiter. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Ich gestehe zu, daß sich angesichts dieser Finanz- und Haushaltsmisere vieles nicht wie einmal vorgesehen finanzieren läßt. Aber - das macht die Lage zusätzlich schlimm - es läßt sich momentan nicht einmal ein Mindestmaß an konzeptionellen Vorstellungen erkennen außer dem sträflichen Prinzip, ungeheure finanzielle Belastungen auf künftige Haushalte zu verlagern.
({7})
Meine Damen und Herren, es ist der Punkt erreicht, an dem Kürzungen, politische Führungslosigkeit und auch organisationspolitische Unfähigkeit im investiven Bereich ein Ausmaß angenommen haben, das negative Auswirkungen auf die innere Situation der Bundeswehr hat.
({8})
Es ist inzwischen leider notwendig geworden, daß sich Haushaltsberichterstatter durch eigene zeitraubende Recherchen ein Bild über die tatsächliche Lage machen müssen, um - manchmal gemeinsam; dazu stehe ich, Herr Austermann - zu retten, was noch zu retten ist, so zum Beispiel bei der Materialerhaltung.
Ich hätte mir vor unseren bescheidenen Umschichtungsbemühungen allerdings eine Situationsbeschreibung der Führung der Bundeswehr als Arbeitsgrundlage gewünscht. Vielleicht wäre hier etwas mehr Zivilcourage der Generalität von Nutzen, wenn wir künftig weiter beraten sollen.
Herr Minister, was sollen denn noch Ihre Aussagen wie diese vor wenigen Tagen getätigte: „Weitere Eingriffe in Umfang, Ausbildung und Wehrpflicht wird es mit mir nicht geben", wenn Sie dem Parlament und nicht zuletzt den Soldaten der Bundeswehr nicht sagen können oder wollen, wie es konkret weitergehen soll? Oder darf ich aus dieser Aussage schließen, daß Sie insgeheim bereits mit dem vorzeitigen Ende Ihrer Amtszeit rechnen?
({9})
Ich will nur kurz erwähnen, daß die Hardthöhe trotz der erheblichen Finanznot offenbar noch immer in der Lage ist, Millionenbeträge schlichtweg zu verschleudern, zum Beispiel durch den Abbruch von Entwicklungsvorhaben, durch Bezahlung noch gar nicht erbrachter Leistungen oder bis vor kurzem noch im Bereich der Informationstechnik.
Egal, ob man für oder gegen das Waffensystem Eurofighter ist: Die Sache ist inzwischen zu einer vom Verteidigungsminister inszenierten und öffentlich finanzierten Posse verkommen: Hunderte von Millionen DM Mehrkosten für die Entwicklung durch Reorientierung; 110 Millionen DM in diesem Jahr wegen Verzögerung der Beschaffungsentscheidung; die Beschaffungsentscheidung wird für 1997 angekündigt, aber in Sachen Finanzierung herrscht völlige Konfusion. Deshalb ist der Leertitel überflüssig.
({10})
Was Sie, Herr Austermann, auf 90 Millionen DM herunterrechnen, wird sich - da bin ich ganz sicher - leider als nicht zutreffend erweisen, wenn der Minister, hoffentlich bald, mit der Beschaffungsvorlage ins Parlament kommt.
Ich habe den Eindruck, daß dieses Flugzeug inzwischen längst zu einem Objekt des Finanzpokers zwischen den Herren Rühe und Waigel verkommen ist.
({11})
- Ja, so ist das, Herr Sauer.
Ein kurzes Wort zum Zusammenhang von Bundeswehr und Industrie. Es steht außer Frage, daß die Industrie nur Aufträge bekommen kann, die dem tatsächlichen Bedarf der Bundeswehr und ihrem Auftrag entsprechen. Aber dieser Bedarf muß einigermaßen verläßlich definiert und auf der Zeitschiene zugeordnet werden.
Zweifellos werden sich Beschaffung und Instandhaltung in den nächsten Jahren auf niedrigem Niveau halten. Aber gerade wenn man im Interesse der Arbeitsplätze und der Erhaltung von - ich zitiere Sie, Herr Minister - „deutscher wehrtechnischer Forschungs- und Industriekapazität als unabdingbarer Komponente deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik" handeln will, dann muß alles getan werden, um mehr Kontinuität und Planbarkeit zu erreichen. Ich glaube, daß hier noch ein Nachholbedarf vorhanden ist, um den Sie sich kümmern müssen.
Ich anerkenne, Herr Minister, Ihren politisch behutsamen Umgang mit dem Einsatz der Bundeswehr in Bosnien. Ich erlaube mir aber, daran zu erinnern, daß, insbesondere beim Heer, das die Hauptlast des
Einsatzes trägt, die Ausrüstung dem Auftrag uneingeschränkt entsprechen muß. Ich erinnere aber auch daran, daß Sie die Hauptverteidigungskräfte nicht vernachlässigen dürfen. Denn die Soldaten dieser Truppenteile dürfen nicht den Eindruck gewinnen, Soldaten zweiter Klasse zu sein, nur weil sich der zuständige Bundesminister zwar international recht umsichtig, aber im eigenen Land recht kurzsichtig zeigt.
({12})
Abschließend möchte ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß sich die Haushaltspolitiker von CDU/CSU und F.D.P. kurzerhand über dringend notwendige begrenzte Besoldungsänderungen etwa im Bereich der Feldwebel und Bootsmänner hinweggesetzt haben, die vom Verteidigungsausschuß empfohlen worden sind.
({13})
Bedauerlich ist auch, daß Sie bislang nicht die Kraft fanden, eine von Verteidigungspolitikern im Grundsatz für richtig gehaltene Feldwebellaufbahn einzuführen. Strikt abgelehnt worden ist in der Ausschußsitzung auch eine längst überfällige Wehrsolderhöhung, obwohl seit der letzten Anpassung mittlerweile vier Jahre ins Land gegangen sind.
Geben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diese Verweigerungshaltung auf, und stimmen Sie heute unserem entsprechenden Antrag auf eine angemessene Erhöhung des Wehrsoldes in der zweiten Lesung zu.
({14})
Ich gebe der Abgeordneten Angelika Beer das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich befürchte, daß die Bundeswehr unter SPD-Regierung teurer wird als die unter Volker Rühe.
({0})
Aber ich will mich heute mit dem Haushaltsansatz 1997 und der Politik der Bundesregierung auseinandersetzen. Denn der Haushaltsentwurf 1997 im Einzelplan 14 zeigt aus unserer Sicht erneut, daß sich diese Bundesregierung zur, wie das ihr Apologet Hans-Peter Schwarz formuliert hat, „Zentralmacht Europas" mausern wird.
Der Aufbau der Krisenreaktionskräfte zur Erlangung der Fähigkeit für weltweite Intervention geht weiter. Die Bundesregierung will mittels einer militärisch gestützten Außenpolitik die Durchsetzung vermeintlicher nationaler Interessen zumindest sicherstellen können. Für die sogenannte neue NATO braucht die Regierung die neue Bundeswehr. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, daß die neue NATO aus meiner Sicht gefährlicher ist als die alte und daß
auch das Bild der Bundeswehr nicht unseren friedenspolitischen Vorstellungen entspricht.
({1})
Von Zurückhaltung ist in der realen deutschen Außenpolitik keine Rede mehr. Der Grundsatz, daß die Bundeswehr heute das machen soll, was sie heute kann, heißt für die Zukunft im Klartext: immer weniger humanitär, immer mehr Kampfeinsatz. Diese Zielrichtung zeigt sich gerade auch an der deutschen Politik im ehemaligen Jugoslawien.
({2})
Sie haben heute schon viel Lob eingesteckt, jetzt kommt die Kritik dazu: Denn Ihr Vorhaben, die Bundeswehr mit einem ganz normalen Kampfauftrag so wie bei allen anderen Bündnispartnern, insbesondere bei Franzosen und Amerikanern, auszustatten, stößt auf unsere Ablehnung und wird von uns nicht unterstützt.
({3})
Wenn Sie von Gleichberechtigung im Bündnis oder auch woanders reden, dann definieren Sie dies auf eine einzige Art, nämlich militärisch.
Der Entwurf für den Verteidigungshaushalt 1997 zielt genau auf diese Militarisierung der Außenpolitik ab. Darüber können auch die numerischen Kürzungen in Ihrem Haushaltsressort nicht hinwegtäuschen. Sie haben ihren Grund. Das ist leider nur die Finanzhoheit von Theo Waigel und nicht der abrüstungspolitische Wille dieser Bundesregierung.
In einem Punkt herrscht allerdings Einigkeit zwischen Rühe und Waigel: Den Eurofighter wollen sie beide.
({4})
Im Haushaltsplan ist wieder einmal eine Luftnummer, ein Leertitel eingestellt, in dem keine Summe festgelegt ist.
Herr Rühe, Sie gehören genauso wie Theo Waigel einem Kabinett an, das dafür verantwortlich ist, daß der Sozialstaat an die Wand gefahren wird. Für den Eurofighter aber wurden bis 1996 mehr als 6,5 Milliarden DM ausgegeben. Für diesen Vogel wollen Sie weitere 25 Milliarden' DM bereitstellen, ohne sagen zu können, woher dieses Geld kommen soll. Wir wissen aus der Debatte um die Sozialkürzungen, daß zu Lasten der Ärmsten und der sozial Schwachen in Deutschland ein Vogel produziert wird, der sicherheitspolitisch keinen Sinn macht und aus meiner Sicht nie fliegen wird und auch nie fliegen darf.
({5})
Der Verteidigungsminister hat am 9. Oktober im Ausschuß vier Eckpunkte aufgestellt. Ich zitiere: Umfang, Struktur, Ausbildung und Übergangs - - Übungsbetrieb - „Übergangsbetrieb" wäre vielleicht gar nicht so falsch - seien für weitere Einsparungen tabu. Diese Aussagen sind bereits heute obsolet, Herr Minister; Sie wissen das. Der Umfang der Bundeswehr ist nicht zu halten. Ihre Wunschzahlen sind nicht durch die Haushaltszahlen zu decken. Sie haben gemerkt, daß eine Interventionsarmee teurer ist, als Sie eigentlich dachten.
Dem quantitativen Abbau der Bundeswehr steht eine qualitative Umstrukturierung gegenüber. Die Krisenreaktionskräfte werden gehätschelt, die Hauptverteidigungskräfte verkommen. Material-und Ausbildungsmangel wird in allen Medien, aber auch aus der Truppe selber beklagt. Diese ZweiKlassen-Armee, Herr Volker Rühe, wird mit uns nicht zu finanzieren sein.
Die Wehrpflicht steht zur Disposition. Je mehr Denkverbote Sie per Schwur zu deckeln versuchen, desto mehr wird in der Truppe diskutiert. Wir wollen die Abschaffung der Wehrpflicht nicht nur,
({6})
weil wir gegen alle Arten von Zwangsdienst sind, sondern weil wir es auch als abrüstungspolitischen Schritt verstehen.
({7})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Will-mann als Generalinspekteur predigt einen neuen Kampfgeist; er will den neuen deutschen Kämpfer, insbesondere auch das Kommando Spezialkräfte. Die Finanzierung genau dieses Titels wollen wir mit unserem Antrag am Ende dieser Beratungen rückgängig machen.
Ich möchte zum Schluß einen wichtigen Punkt ansprechen: die Landminen. Herr Kinkel hat hier ein ehrenwertes Versprechen gegeben, das mich - zugestanden - erfreut. Wir haben interfraktionell dafür gekämpft, daß der Titel zur humanitären Minenräumung über 10 Millionen DM wieder eingestellt wird. Ich sage Ihnen, wir wollen auch die 200 Millionen DM, die immer noch für die Weiterentwicklung von High-Tech-Minen vorgesehen sind, streichen.
Einen Punkt möchte ich hier aber festhalten: Die Umsetzung des Versprechens von Außenminister Kinkel - er könnte unserem Antrag am Freitag zustimmen - wird für uns die Voraussetzung zur Überprüfung sein, ob wir den kritischen Dialog mit diesem Außenminister weiterführen oder ob wir ihn abbrechen müssen.
({8})
Wir haben Alternativen zur Militarisierung und zu dieser unvernünftigen Haushaltsplanung. Wir wollen eine Zivilisierung der Außenpolitik, eine Umschichtung von Mitteln hin in eine humane, umweltfreundliche, soziale und friedensverträgliche Politik, eine
Umschichtung hin zu den Vereinten Nationen und zur OSZE. Das ist immer noch das Gebot meiner Partei und auch meiner Fraktion.
Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?
Diesen Wunsch kann ich dem Kollegen doch nicht abschlagen.
({0})
Vielen Dank, wir kommen ja auch aus dem gleichen Wahlkreis.
Aus dem gleichen Wahlkreis kommen wir Gott sei Dank nicht.
Ja doch, es ist der gleiche Wahlkreis.
Oh, schrecklich!
Sie sollten Ihren Wahlkreis kennen; es ist Neumünster-Plön. Aber das macht ja nichts. Ich zeige Ihnen gerne einmal diesen Wahlkreis.
({0})
Dann haben Sie keinen intensiven Wahlkampf gemacht; sonst hätte ich das mitbekommen.
Frau Kollegin Beer, da Sie von Ihrem Antrag gesprochen haben, der am Freitag zur Abstimmung steht, möchte ich Sie fragen: Können Sie mir erklären, warum in Ihrem Änderungsantrag folgendes steht: Der Minenräumpanzer Keiler soll gestrichen werden?
Das ist die alljährliche Frage. Herr Kollege Koppelin, der Grund, daß wir die Mittel für dieses Projekt streichen wollen, liegt darin, daß dieses Projekt rein militärisch definiert ist. Der Keiler soll nur militärisch zum Einsatz kommen, um den zukünftigen Truppeneinsätzen unter Kommando von Volker Rühe eine Schneise zu schlagen.
({0})
Sie können noch stehen bleiben, Herr Kollege Koppelin, ich will zu Ihrer Frage nämlich noch folgendes sagen, worüber wir auch die nächsten Monate diskutieren werden: Ich war vor drei Wochen bei der Kieler Firma MAK. Sie wissen, daß der Keiler dort produziert wird. Der Prototyp, der im ehemaligen Jugoslawien im Einsatz ist, wird ebenfalls bei MAK produziert. Sie wissen wahrscheinlich ebenso wie ich,
daß MAK ein neues Gerät entwickelt. Es handelt sich um eine Fräse, die für verschiedene landwirtschaftliche Arbeiten zur Verfügung steht und ferngesteuert, also unbemannt, ist.
({1})
An dieses Gerät kann ein Modul vorne angebaut werden, das zu dem in der Lage ist, was wir alle wollen: humanitäre Minenräumung.
({2})
Wir werden morgen die Möglichkeit haben, hier mit MAK-Vertretern zu sprechen. Wir werden dann überprüfen müssen, ob es nicht sinnvoller ist, solche Geräte zu finanzieren, die die Menschenleben retten, statt Militäreinsätze, bei denen High-Tech-Minen eingesetzt werden, möglich zu machen.
({3})
Wir sind für die humanen Alternativen, weil wir die Menschen und die Sicherheit der Menschen vor Augen haben und nicht die Politik der Bundesregierung. Wir wollen dieses friedenspolitische Gebot durch unsere Haushaltsanträge durchsetzen. Wir versuchen aber auch, die unsoziale Politik dieser Bundesregierung zu stoppen, indem wir ganz klar sagen: Das wenige Geld, was noch vorhanden ist, darf nicht für militärische High-Tech-Produkte und Waffen ausgegeben werden, sondern nur für die Sicherheit unseres Landes, das heißt für die Sicherheit des Sozialstaates und nicht für die Aufkaderung einer friedensgefährdenden Armee.
({4})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis: Um die Bundeswehr modern und einsatzfähig zu halten, brauchen wir ein gesundes Verhältnis von Betriebskosten und Investitionen. Es gibt kein Drumherumgerede, daß der vorliegende Haushalt des Verteidigungsministers uns nicht an das Ziel eines 30prozentigen Investitionsanteils bringt. Wir sind sogar ein ganzes Stück davon entfernt. Das bedauern wir als F.D.P. Wir haben zur Zeit nur etwa 22 Prozent für verteidigungsinvestive Ausgaben vorgesehen. Dieser Anteil ist nach unserer Auffassung zu gering.
Wenn wir wollen, daß die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr fähig sein müssen, mobil, weiträumig und flexibel einsetzbar zu sein, dann müssen wir auch für moderne Ausrüstung sorgen. Wir Freien Demokraten wollen auf die Ausstattung unserer Streitkräfte mit modernem Material nicht verzichten.
({0})
Zwar können die laufenden Vorhaben planmäßig fortgesetzt werden. Für den Beginn neuer Projekte bleibt jedoch praktisch überhaupt kein Raum mehr. Der Aufbau und die Ausrüstung der Krisenreaktionskräfte und die Modernerhaltung der Hauptverteidigungskräfte erfordern Finanzierungssicherheit. Mit dem vorliegenden Haushalt sind Zweifel und auch Fragen angebracht, ob wir dieses Ziel 1997 erreichen. Lieber Herr Kollege Austermann, sosehr ich Sie schätze, nach meiner Auffassung - das sage ich hier ganz offen - war in Ihrem Beitrag das Bild zu schön gefärbt; das sage ich für die F.D.P. Die Realität ist nicht ganz so.
({1})
Der Haushalt für den Verteidigungsminister hat mit seinen Reduzierungen nicht nur Auswirkungen auf die Bundeswehr selbst. Dieser Haushalt hat auch Auswirkungen außerhalb der Bundeswehr, nämlich auf die wehrtechnische Industrie unseres Landes.
Wir wissen sehr wohl, daß sich die deutsche wehrtechnische Industrie in ihren Kapazitäten und Strukturen dem verminderten Bedarf anpassen muß. Aber zugleich muß uns auch aus nationalem, sicherheitspolitischem Interesse daran gelegen sein, daß die Leistungsfähigkeit der wehrtechnischen Industrie in Deutschland erhalten bleibt.
({2})
Ich möchte auch etwas Positives hier anmerken: Im Zuge der parlamentarischen Beratungen ist es uns durch Umschichtungen gelungen, den unzureichenden Klarstand von Heer und Luftwaffe infolge mangelnder Ersatzteilausstattung und Instandsetzung und sich abzeichnender Ausrüstungslücken bei Heeresfahrzeugen und moderner Munition zu verbessern. Das heißt, wir haben diese Position im Haushalt finanziell erheblich anheben können. Das ist allerdings ein Erfolg der Haushaltsberatungen gewesen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß auch darauf verweisen, daß der Etat des Verteidigungsministers noch Haushaltsrisiken beinhaltet. Ich nenne hier die zukünftige Finanzierung der Kosten der internationalen Einsätze, wie zum Beispiel derzeit im ehemaligen Jugoslawien. Die notwendigen Mittel müssen allein aus dem Einzelplan 14 erbracht werden.
Der IFOR-Nachfolgeeinsatz wird daher, so meinen wir, eine zeitliche Begrenzung erfahren müssen. In diesen Tagen hat der Bundesverteidigungsminister in Interviews zu Recht darauf hingewiesen. Es hat auch den Antrag der Koalition im Haushaltsausschuß gegeben - der dann angenommen wurde -, für diesen Einsatz eine finanzielle Obergrenze von 350 Millionen DM zu beschließen.
Das ändert nichts an der Tatsache, daß die große Mehrheit dieses Hauses für den IFOR-Nachfolgeeinsatz eintritt. Ich will ausdrücklich die Erklärung begrüßen, die es dazu von seiten der Sozialdemokraten gegeben hat. Die „Süddeutsche Zeitung" hat in einer Überschrift am 25. November 1996, wie ich finde, sehr deutlich und treffend formuliert, was sich nun bei der SPD abspielt: „Sozialdemokraten sind wieder auf den Hauptpfad internationaler Sicherheitspolitik zurückgekehrt." Wir begrüßen das ausdrücklich.
Es ist gut, daß die SPD zur Einsicht gekommen ist. Man darf aber daran erinnern - denn, Kollege Kolbow, Sie schüttelten gerade ein wenig den Kopf, und Kollege Verheugen ist in Privatdiskussionen verwikkelt -, was 1991 der Kollege Günter Verheugen für die SPD über diese Einsätze im ehemaligen Jugoslawien gesagt hat. Er hat sie damals kategorisch abgelehnt.
1993 wurde es noch viel schlimmer. Da hat der Kollege Verheugen der Bundesregierung, insbesondere dem Außenminister und dem Verteidigungsminister, den Vorwurf gemacht - so auch im Protokoll nachzulesen -, sie hätten die „Denkweise der Kanonendiplomatie". So sprach Verheugen in Richtung Außenminister und Verteidigungsminister. Ich finde es gut, daß wir nicht dem Kollegen Verheugen gefolgt sind, sondern dem Bundesaußenminister und dem Bundesverteidigungsminister.
({4})
Für uns Freie Demokraten bleibt festzuhalten: Wir danken den deutschen Soldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz im ehemaligen Jugoslawien. Sie haben einen wichtigen Beitrag für den Frieden und für die Menschen in dieser Region geleistet.
({5})
Ein weiteres Risiko im Haushalt ist hier bereits angesprochen worden, und zwar die Beschaffung des Eurofighters.
Herr Kollege Koppelin, ehe Sie zu einem neuen Thema kommen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Verheugen?
Ja, gerne.
Herr Kollege, könnten Sie so freundlich sein, dem Hause zu bestätigen, daß das Zitat von mir, das Sie gerade angeführt haben und dessen Richtigkeit ich gerne zugebe, sich auf eine ganz andere Debatte bezog, nämlich auf eine von Ihren Fraktionen vorgeschlagene Grundgesetzänderung, in der der Einsatz der Bundeswehr ohne Mandat eines kollektiven Sicherheitssystems vorgesehen war?
({0})
Herr Kollege Verheugen, Sie können davon ausgehen, daß ich gerade diese Reden, wenn ich schon daraus zitiere, noch einmal nachgelesen habe. Ich gebe Ihnen gerne recht, daß es bei dieser Debatte darum ging. Die Geisteshaltung aber, daß Sie dem Verteidigungsminister und dem Außenminister „Kanonendiplomatie" vorgeworfen haben, ist weiterhin lange ein Vorwurf Ihrerseits geblieben - nicht nur bei dieser Diskussion, sondern auch bei anderen Beiträgen -, während sich andere Mitglieder Ihrer Fraktion da etwas schneller bewegt haben.
Ich will aber ausdrücklich begrüßen, daß sich bei den Sozialdemokraten ein Wandel vollzogen hat. Sie müssen doch zugeben, daß dieser Wandel bei den vorhergehenden Diskussionen nicht zu erkennen gewesen ist. Gerade zu dem Zeitpunkt, als wir über den Einsatz im ehemaligen Jugoslawien diskutiert haben, wäre es besser gewesen, wenn wir dies hier im Hause in großer Übereinstimmung debattiert hätten, anstatt, so wie Sie das damals gemacht haben, einen solchen Streit vom Zaune zu brechen.
({0})
Jetzt würde ich gerne noch ein anderes Thema ansprechen, nämlich den Eurofighter. Sollte eine Entscheidung zugunsten des Eurofighters getroffen werden, so muß gefragt werden, woher die Mittel hierfür zur Verfügung gestellt werden.
({1})
Ich meine, das ist eine Frage, die der Verteidigungsminister nicht allein beantworten kann. Hier sind vielmehr der Finanzminister und die Bundesregierung insgesamt gefragt.
({2})
Wenn also der Verteidigungsminister und die Bundesregierung zu der Entscheidung kommen, dem Parlament eine Vorlage zur Beschaffung des Eurofighters zuzuleiten, dann gehört dazu natürlich auch eine solide Finanzierungsperspektive. Sollte eine Entscheidung zugunsten des Eurofighters fallen, dann kann die Finanzierung nach Auffassung der F.D.P. allerdings nicht durch Streichung anderer Investitionen aus dem Verteidigungshaushalt erfolgen.
Wir als F.D.P. erwarten daher eine umfassende Vorlage zum Eurofighter. Wir werden bei uns in der Fraktion darüber intensiv diskutieren. Dies geschieht sicher in den anderen Fraktionen auch. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß wir eine Entscheidung des Deutschen Bundestages zum Thema Eurofighter wollen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kastning?
Ich bin selbstverständlich damit einverstanden, weil es ja meine Redezeit verlängert.
Herr Koppelin, Sie wissen, daß Zwischenfragen auf die Redezeit nicht angerechnet werden und die Antworten dazu auch nicht.
Herr Kastning, bitte.
Herr Kollege Koppelin, da Herr Austermann vorhin wieder einmal dabei war, das Flugzeug billigzurechnen, frage ich Sie: Teilen Sie meine Auffassung, daß mindestens für all diejenigen, die ernsthafte Finanzierungsprobleme sehen, für eine solche Behandlung und Prüfung einer Entscheidung unbedingte Preisklarheit und Preiswahrheit im Zusammenhang mit der Parlamentsvorlage bestehen muß, sprich: daß von der Bundesregierung klar gesagt werden muß - neben der Antwort, wo das Geld herkommen soll -, was dieses Flugzeug nicht nur in der Hülle plus Triebwerk usw. kostet, sondern was das ganze System einschließlich Bewaffnung und Logistik kostet? - Ich diskutiere jetzt nicht über das Für oder Gegen. Es geht um eine Meinungsbildung. Jeder muß sich prüfen in diesem Hause, unabhängig von Parteizugehörigkeit. - Teilen Sie meine Auffassung, und würden Sie sich gegebenenfalls mit mir zusammen für diese Preisklarheit und -wahrheit einsetzen?
Herr Kollege Kastning, es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage: Wir als F.D.P. waren immer für den Eurofighter, aber nicht um jeden Preis. Dazu gehört auch das, was Sie hier zu Recht angesprochen haben - ich glaube, ich habe das auch deutlich gemacht -: Wir brauchen eine vernünftige Vorlage zur Finanzierung des Flugzeugs, das ist ganz klar. Dazu gehört allerdings nicht nur der Preis pro Stück, es gehört auch die Infrastruktur und alles, was damit zusammenhängt, dazu.
Wir als F.D.P. gehen im übrigen davon aus, daß das Konzept, das wir vom Verteidigungsminister erwarten, durch das Kabinett geht und dem Deutschen Bundestag vorgelegt wird. Dann, so habe ich gesagt, werden wir in der Fraktion darüber diskutieren. Wir als F.D.P. wollen eine Entscheidung über den Eurofighter hier im Deutschen Bundestag, nicht allein in irgendwelchen Ausschüssen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng?
Beim Kollegen Weng immer mit dem größten Vergnügen.
Herr Kollege Koppelin, würden Sie mir widersprechen, wenn ich feststelle, daß es in der Fraktion der F.D.P. bisher
in der Frage einer möglichen Finanzierung überhaupt keine Festlegung gibt?
({0})
Herr Kollege Weng, wenn ich Ihnen widersprechen würde, würde ich wahrscheinlich Arger in der Bundestagsfraktion der F.D.P. bekommen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Uta Zapf?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Koppelin, würden Sie mir bitte helfen beim Wiederfinden meines Gedächtnisses ({0})
oder beim Wiederfinden Ihres Gedächtnisses? Denn einer von uns beiden muß das Gedächtnis verloren haben.
({1})
Erinnere ich mich richtig, daß Sie als Abgeordneter Koppelin der F.D.P. weiland eine ziemlich auffällige PR-Aktion aus Ihrer persönlichen Ablehnung des Eurofighters gemacht haben? Oder irre ich mich da womöglich?
Es wäre vielleicht doch gut, wenn der Kollege Opel, der neben Ihnen sitzt, Ihnen etwas dabei hilft, Ihr Gedächtnis wiederzufinden. In der Form, wie Sie es geschildert haben, habe ich den Eurofighter nie abgelehnt.
({0})
- Nein, das ist nicht korrekt.
Vielmehr habe ich, Frau Kollegin, immer gesagt: Es ist eine Frage des Preises. Mir ist doch völlig klar, daß die Bundeswehr ein neues Flugzeug braucht. Wenn ich mir ansehe, was die alten Flugzeuge bei der Bundeswehr heute pro Stunde an Betriebskosten verursachen, dann muß ich irgendwann zu der Entscheidung für neue Flugzeuge kommen. Die Frage ist nur - ich denke, das hat der Kollege Kastning in seiner Frage deutlich gemacht; mit dem sollten Sie sich vielleicht auch noch einmal unterhalten -: Was wird ein Flugzeug eines Tages kosten? Da hört man von der Industrie dies, vom Verteidigungsminister das - anscheinend sind sie noch am Verhandeln. Aber wenn wir einen Preis von beiden hören, dann werden wir darüber entscheiden. Deswegen habe
ich noch einmal gesagt: Eurofighter ja, aber nicht um eden Preis; der Preis muß stimmen.
({1})
Herr Kollege Koppelin, Herr Kollege Kuhlwein möchte noch eine Frage stellen. Es ist die letzte, die ich zulasse.
Wenn es nicht um das Gedächtnis der Kollegin geht, bin ich damit einverstanden.
Bitte, Herr Kuhlwein.
Herr Kollege Koppelin, es geht eher um Ihr Gedächtnis. Können Sie denn heute schon mit Sicherheit sagen, daß Sie am Ende des Erörterungsprozesses um die Beschaffung des Eurofighters nicht wieder wider besseres Wissen umfallen werden?
({0})
Herr Kollege Kuhlwein, bei Ihnen - Sie sind ja so ein alter 68er, der das nie abgelegt hat - kann ich verstehen, daß Sie diese Frage so stellen. Aber ich kann die Frage gar nicht beantworten, weil sie völlig an der Realität vorbeigeht.
({0})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß folgendes zum Haushalt des Verteidigungsministers sagen: Unsere Soldaten sind dazu da, unsere Gesellschaft in ihrer freiheitlichen Verfassung in den Grenzen unseres Landes zu verteidigen. Sie werden auch bei der Erfüllung ihrer internationalen Aufgaben das bleiben, was sie über 40 Jahre lang waren: Soldaten in der Bundeswehr, einer Armee der Freiheit und der Demokratie. Diesen Soldaten und allen Angehörigen der Bundeswehr fühlen wir Freien Demokraten uns verpflichtet.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({1})
Nun gebe ich dem Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will Sie nicht mit der Wiederholung all der schon zigmal vorgebrachten Argumente langweilen, die angesichts des dramatischen Sparzwanges, in den die Bundesregierung sich selbst gebracht hat, auch für eine drastische Reduzierung gerade des Verteidigungshaushaltes sprechen.
Ich will die Militärpolitik, den Verteidigungshaushalt insgesamt hinterfragen, und zwar will ich alle hier fragen: Wissen wir eigentlich, wohin die Reise gehen soll,
({0})
zu der die zukunftsfähige, die modernisierte Bundeswehr aufbricht? Aus der Vielzahl der Symptome, die mich zu dieser Frage veranlassen, kann ich der Kürze der Zeit wegen nur ein einziges hervorheben.
Ein hochrangiger Generalstabsoffizier der Bundeswehr hat mögliche Reiseziele der Zukunftsstrategie in einer Bundeswehrzeitschrift anvisiert. Er stellte die Frage, ob unsere Bundeswehr überhaupt auf das Wesen zukünftiger Konflikte genügend vorbereitet sei, ob sie nicht durch Einbindung in das Kriegsvölkerrecht westlich-humanitärer Prägung verweichlicht sei. Der Bundeswehr werde leider der rohe barbarische Krieger, der aus dem Proletariat stammt, gegenüberstehen. Es wäre unklug, den deutschen Soldaten nicht für die brutalen kleinen Kriege gegen die kleinen bösen Männer auszubilden, an denen teilzunehmen Deutschland irgendwann einmal gebeten werde.
Die Schlußfolgerung, die der Herr aus diesen Überlegungen zieht, lautet wie folgt. Er fragt:
Sind die Menschen wirklich die Geschöpfe, die nur auf den Zusammenbruch böser Staaten warten, um ihre Friedensliebe und Güte zeigen zu können? Oder sind sie blutrünstige Bestien, die sich nur widerwillig in eine Zivilisation einordnen, weil die Alternative gegenseitige Vernichtung und Anarchie ist? Sind Deutschland und die Bundeswehr wirklich mit aller Konsequenz bereit, sich auf Gegner einzulassen, die nichts zu verlieren haben? Ist die Bundeswehr bereit und legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit brutaler Gewalt zu begegnen? Nicht immer wird man die Schmutzarbeit den Partnerländern überlassen können.
Also auf „Schmutzarbeit" sollte nach Meinung dieses Herrn und der Kreise, die er repräsentiert, deren Umfang uns natürlich nicht bekannt ist, unsere Bundeswehr vorbereitet werden. Die „blutrünstigen Bestien" sind selbstverständlich immer nur die anderen, der imaginäre Feind, den man offenbar neu konstruieren muß, nachdem er uns durch den Zusammenbruch des Warschauer Paktes zunächst einmal abhanden gekommen ist.
Meine Damen und Herren, ich weiß, nicht wenige unter Ihnen halten mich für einen vergreisten Jüngling,
({1})
der nie über seine spätpubertären Prägungen, die er im Zweiten Weltkrieg erfahren hat, hinausgekommen ist. Daran mag ja etwas Wahres sein. Vielleicht ist es darauf zurückzuführen, daß ich etwas sensibler auf die Gespenster reagiere, die der Bundeswehrrepräsentant uns da vorführt, als Jüngere.
Denn diese Gespenster sind genau die gleichen, die dem ganzen deutschen Volk in den zwei JahrHeinrich Graf von Einsiedel
zehnten nach dem Ersten Weltkrieg vorgeführt wurden, um es fit zu machen für den neuen Krieg, den es dann zu führen galt gegen jene kleinen bösen Männer, die damals Juden und Slawen oder schlicht Untermenschen hießen.
Also noch einmal die Frage: Wohin soll die Reise eigentlich gehen? Welches sind die Fernziele, die Sie mit Ihrer Militärpolitik anvisieren, die zwangsläufig auf viele Jahre riesige Haushaltsmittel bindet, von denen jedermann heute weiß, daß wir sie uns eigentlich gar nicht leisten können - es sei denn, nur durch einen weiteren, drastischen Abbau des Sozialstaates?
Obendrein leben wir in einer merkwürdigen Verfassungsrealität. Deutsche Krisenreaktionskräfte dürfen nunmehr mit einfachem Mehrheitsbeschluß dieses Hauses überall in die Welt geschickt werden, um möglicherweise kleine brutale Kriege mit zu führen. Aber für die Feststellung des tatsächlichen Verteidigungsfalles, für den die Bundeswehr ursprünglich doch geschaffen worden ist, bedarf es der Zweidrittelmehrheit dieses Hauses. Ich habe wirklich meine Zweifel, ob Sie selbst eigentlich wissen, wohin die Reise gehen soll.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Paul Breuer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst kurz auf die Rede des Kollegen Kastning von der SPD beziehen. Herr Kollege Kastning, Ihnen persönlich möchte ich nicht absprechen, daß Sie sich für die Bundeswehr und ihre Finanzen einsetzen.
({0})
Aber bezogen auf Ihre Gesamtfraktion und im Hinblick auf die Vergangenheit sind die Krokodilstränen, die Sie, Herr Kollege Kastning, hier geweint haben, nicht glaubwürdig, vor allem heute nicht glaubwürdig.
Beispielsweise fehlt, daß Sie hier einen Änderungsantrag zur Erhöhung des Etats des Verteidigungsministers einbringen. Ein solcher Antrag steht nach wie vor aus. Selbst dort, wo Sie Erhöhungen fordern - das gilt etwa für den Bereich des Wehrsoldes, auf den ich später noch eingehen werde -, machen Sie noch nicht einmal einen Deckungsvorschlag. Sie haben im Zuge der Haushaltsberatungen auch in anderen Bereichen keinen Beitrag geleistet, um Freiräume dafür zu schaffen, daß der Verteidigungsetat eine bessere Position bekommen könnte.
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kastning?
Bitte sehr.
Herr Kollege Breuer, ich vermute, Sie werden mir bestätigen müssen, daß bei diesem Finanzchaos und der Auflage - ich will nicht sagen: dem Diktat - von seiten der Koalition, den Haushalt um keine müde Mark zu erhöhen, wohl keine Chance vorhanden war, überhaupt etwas zu verändern. Sind Sie aber wenigstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir zum Wehrsoldantrag sehr wohl eine Deckung vorgesehen haben und daß es sich um einen Deckungsvorschlag handelt, der teilweise aus dem Titel „Nachversicherung für Soldaten" stammt, der im Haushaltsentwurf des Kabinetts mit 1,1 Milliarden DM veranschlagt worden war und nachträglich um 400 Millionen DM erhöht worden ist und von dem man annehmen muß, daß aus ihm möglicherweise noch Deckungsvorschläge für die Dinge kommen, die Sie bisher überhaupt nicht gedeckt haben?
Herr Kollege Kastning, ich halte das, was Sie hier machen, für ein Ablenkungsmanöver. Ihre Ausführungen machen mir erneut deutlich, daß Sie keinen konstruktiven Vorschlag im Hinblick auf den Gesamthaushalt haben, hier über den Verteidigungshaushalt Krokodilstränen weinen, was mit den Forderungen von Frau Matthäus-Maier nicht übereinstimmt, und schließlich mit dem Wehrsold ablenken wollen.
Ich halte die Erhöhung des Wehrsoldes, so wie Sie sie vorschlagen, auch für inhaltlich nicht in Ordnung.
({0})
- Hören Sie einen Moment zu! - Das, was wir mit dem Mobilitätszuschlag gemacht haben, ist wesentlich wirksamer als das, was Sie mit dem Wehrsold vorhaben. Ich möchte Ihnen die Rechnung kurz aufmachen.
In der Vergangenheit bekam ein Wehrpflichtiger 452 DM pro Monat inklusive der Verpflegungsgeldauszahlung. Durch die Erhöhung des Verpflegungsgeldes an den Wochenenden und die Einführung des Mobilitätszuschlages bekommt er im Fall einer Entfernung von unter 100 Kilometern heute einen um 183 DM höheren Betrag, also 635 DM, und im Falle einer Entfernung von über 100 Kilometern einen um 273 DM höheren Betrag, also 725 DM. Das, was Sie fordern, bleibt hinter dem zurück, was wir längst gemacht haben. Sie sollten die Realität zur Kenntnis nehmen.
({1})
Nun zu dem Gesamthaushalt, meine Damen und Herren: Bei allen Schwierigkeiten, die es im Verteidigungshaushalt gibt, muß eines gesehen werden,
({2})
nämlich die Gesamtverantwortung, die nicht nur wir Verteidigungspolitiker für den Gesamthaushalt sowie dafür zu tragen haben, daß unsere Wirtschaft und unser gesamtes Sozialsystem wieder die GrundPaul Breuer
lagen bekommen, die zur Erlangung der Zukunftsfähigkeit notwendig sind. Es wäre völlig illusorisch zu glauben, man könne einen Aufwuchs im Verteidigungsetat mittelfristig überhaupt möglich machen, wenn es nicht gelingt, unsere Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen. Ich fordere Sie dazu auf, diese Grundlagen mit zu schaffen. Die Verweigerungshaltung Ihrer Fraktion führt ja dazu, daß Sie nicht in der Lage sind, zusammen mit uns diese Grundlagen zu schaffen, ohne die der Verteidigungsetat nicht das bekommen kann, was er eigentlich benötigt. Das, was wir machen, ist randgenäht.
Weil ich glaube, daß wir den Wirtschaftsaufschwung schaffen können - Herr Kollege Fischer, Sie sind kein Garant für die Zukunft; im. Gegenteil, das Unternehmen, das Sie vertreten, ist ein Abbruchunternehmen -,
({3})
bin ich davon überzeugt, daß wir in einem mittelfristigen Planungszeitraum wieder Möglichkeiten haben, einen Aufwuchs des Verteidigungsetats zu erzielen.
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Opel?
Aber bitte.
Gleichzeitig möchte ich die Kollegen, die hier in Privatrunden stehen, bitten, ihre Gespräche draußen zu führen. Größere Versammlungen sollten nur im Zusammenhang mit der Plenarsitzung stehen.
Bitte schön, Herr Kollege Opel.
Herr Kollege Breuer, wären Sie bereit einzuräumen, daß alle Reduzierungen des Verteidigungshaushaltes in den letzten drei Jahren - ohne jede Ausnahme - vom Finanzministerium gesteuert und veranlaßt wurden und daß, entgegen den Darstellungen aus Ihrer Fraktion, alle Einschnitte mit Finanzmangel begründet wurden, der dann vom Finanzminister, zum Teil gegen die Zusagen des Verteidigungsministers und des Bundeskanzlers, auf die Bundeswehr abgeladen worden ist?
Natürlich, Herr Kollege Opel, hat der Finanzminister seinen Bedarf für den Gesamthaushalt angemeldet. Es ist ja seine Pflicht, das zu tun.
Sie können allerdings Verteidigungsminister Volker Rühe nicht den Vorwurf machen, er habe sich nicht in eindrucksvoller und notwendiger Art und Weise für den Verteidigungsetat ins Zeug gelegt.
Diesen Vorwurf kann man ihm nun wirklich nicht machen.
({0})
Daß der Finanzminister die Finanzmasse insgesamt in Ordnung halten muß, das ist seine Pflicht und Schuldigkeit.
Was die mittelfristige Wirkung angeht, so meine ich, meine Damen und Herren, daß wir beachten müssen, daß die Erreichung der Stabilitätskriterien im Sinne des Maastrichter Vertrages, um die gemeinsame europäische Währung einführen zu können, ein Stabilitätsgewinn und auch ein Sicherheitsgewinn für Europa ist. Dieser Sicherheitsgewinn sollte von uns allen zur Kenntnis genommen werden. Man sollte also nicht gemäß einer Logik, die der Vergangenheit angehört, glauben, man müsse in der besonderen Verantwortung lediglich für den Verteidigungshaushalt reden.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Anträge, die heute gestellt werden, speziell etwas zu den Anträgen der Grünen sagen.
({1})
Sie stellen heute im Zusammenhang mit den Kürzungsvorschlägen, die zum Teil von Ihnen, Frau Kollegin Beer, angerissen worden sind, wiederum den Antrag, auf die Wehrpflicht zu verzichten bzw. zumindest einen ersten Schritt in diese Richtung zu machen.
Ich will Ihnen zunächst einmal, sicher mit Zustimmung des gesamten Hauses - Sie ausgenommen -, deutlich sagen, daß diese Anträge, sowohl die von Ihrer Fraktion als auch die von der Gruppe der PDS, vor nicht allzulanger Zeit versenkt wurden. Wir haben sie gemeinsam abgelehnt.
({2})
- Die F.D.P. hat sie ebenfalls gemeinsam mit uns abgelehnt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle eines sehr deutlich sagen, Herr Kollege Fischer:
({3})
Ich bin davon überzeugt, daß das, was Sie in der Verteidigungspolitik machen, noch nicht ausgegoren ist. Sie stellen sich in die Ruinen von Sarajevo
({4})
und bedauern, daß Europa nicht früher eingreifen
konnte. Gleichzeitig kommen Sie hierher und stellen
Anträge, die der Bundeswehr die Möglichkeit der Hilfe für die Zukunft nehmen sollen.
({5})
Das ist nicht glaubwürdig; das ist Eierei.
Um zu verdeutlichen, wie dieses Thema in Ihrer Fraktion diskutiert wird, brauche ich nur Ihren außenpolitischen Sprecher, Ludger Volmer, zu zitieren. Ludger Volmer hat im Kölner „Express" - er wird in der „Welt" vom 1. November zitiert - gesagt, den Grünen drohten nicht nur Flügelkämpfe,
({6})
sondern die völlige Orientierungslosigkeit im außenpolitischen Bereich
({7})
und damit eine Zerrüttung der Partei.
Sie sind der allerletzte, der sich zur Frage deutscher Außen- und Sicherheitspolitik glaubwürdig äußern kann.
({8})
Herr Kollege Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber bitte.
Herr Kollege Breuer, teilen Sie meine Auffassung, daß es gut gewesen wäre, wenn der Kollege Fischer die Kollegin Beer, die vorhin für die Grünen zum Verteidigungshaushalt gesprochen hat, mit ins ehemalige Jugoslawien genommen hätte, damit sie sich das dort einmal hätte anschauen können?
Herr Kollege Koppelin, ich weiß, daß Frau Kollegin Beer dort gewesen ist.
({0})
Ich bin davon überzeugt, daß Frau Kollegin Beer diese Situation kennt.
Mir scheint es allerdings so zu sein, daß Frau Kollegin Beer mehr Wert darauf legt, bei der nächsten Versammlung der Grünen, auf der die Kandidatenliste für den Deutschen Bundestag bestimmt wird, auch die Fundamentalistenstimmen zu bekommen,
als die Realitäten in Bosnien und in Europa insgesamt zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Meine Damen und Herren, zur Frage der allgemeinen Wehrpflicht lassen Sie mich noch folgende Feststellung treffen. Herr Kollege Fischer, ich bin davon überzeugt - ich weiß das von einzelnen Mitgliedern Ihrer Fraktion -, daß die Frage der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht auch bei Ihnen zunehmend diskutiert werden wird, weil vielen Ihrer Fraktionsmitglieder klar wird, daß die allgemeine Wehrpflicht eine neue militärische Tradition in Deutschland begründet hat, und zwar im Hinblick auf eine Bürgerarmee, der dieses Volk und der jeder in Europa vertrauen kann.
Ich weiß aus Gesprächen mit Mitgliedern Ihrer Fraktion, daß sie sich nicht ganz wohl dabei fühlen, eine Berufsarmee zu fordern.
({2})
Ich weiß, daß sich einzelne Mitglieder Ihrer Arbeitsgruppe, Frau Kollegin Beer, damit auseinandersetzen, daß die Länder in Europa, die die Wehrpflicht ausgesetzt haben, erhebliche Schwierigkeiten damit haben.
Ich darf hier aus einem Bericht zitieren, den der belgische Verteidigungsminister Poncelet vor der französischen Nationalversammlung im Zusammenhang mit der französischen Militärreform erstattet hat. Dabei hat er darauf hingewiesen:
Ich bedauere, daß es seinerzeit in Belgien keine umfassende Diskussion über dieses Thema gegeben hat.
Er hat ein Zweites gesagt, was ich für sehr wichtig halte:
Der Wehrdienst hatte dazu beigetragen, ein Bindeglied zwischen Armee und Nation zu schaffen, eine Art von Transparenz sicherzustellen. Seine Aussetzung birgt die Gefahr, daß die Kritik an der Armee und das Mißtrauen gegenüber ihr stärker werden.
Wir sollten das in der Hand behalten, was wir an Vertrauen für die Bundeswehr gewonnen haben, und zwar im Sinne einer Bürgerarmee.
Wenn Sie Glaubwürdigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Verteidigungspolitik gewinnen und nicht den in diesem Zusammenhang zerrütteten Haufen führen wollen, sollten Sie einmal darauf achten, daß es in Ihrer Fraktion auch Argumente gibt, die sich diesem öffnen.
Ich bedanke mich.
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Abgeordneten Angelika Beer.
Herr Kollege Breuer, Sie haben zum Ende Ihrer Rede behauptet, daß Grüne den einstimmigen Antrag der Fraktion nicht unterstützen würden, weil sie sich gegen eine Berufsarmee aussprechen, weil sie nicht für eine Berufsarmee sind. Ihre Darstellung impliziert, unsere Fraktion hätte beantragt, die Wehrpflicht abzuschaffen und statt dessen eine Berufsarmee einzusetzen.
Ich möchte hier klarstellen, daß meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit diesem Antrag die Wehrpflicht abschaffen will, erstens weil die Wehrpflicht ein Zwangsdienst ist, zweitens weil wir gegen Zwangsdienste sind, drittens weil wir sparen und die Armee reduzieren wollen - also ein abrüstungspolitischer Schritt - und viertens weil wir als Übergangsform dezidiert keine Berufsarmee wollen, sondern eine Freiwilligenarmee, also Soldaten, die in kurzer Frist die Armee durchlaufen, um sicherzustellen, daß wir nicht nur noch Krisenreaktionskräfte, „Kämpfer der neuen Art", wie Generalinspekteur Willmann und Herr Rühe sie wollen, produzieren, die als Berufskämpfer durch die Welt schwirren. Genau das wollen wir verhindern.
({0})
Herr Kollege Breuer, Sie können darauf antworten. - Das wird nicht gewünscht.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Kolbow.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, insbesondere angesichts der Situation, in der Sie den Verteidigungshaushalt in diesem Jahr wiederum antreffen. Sie müssen Niederlagen als Siege feiern. Am deutlichsten hat das Kollege Breuer bei der Bundesdelegiertenversammlung des Reservistenverbandes getan, als er die 200-Millionen-Kürzung nach der 1,25Milliarden-Sperre in 1996 und nach der 1,7-Milliarden-Kürzung durch Waigel kommentierte: Endlich sind wir bei den Verlierern die Gewinner.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube auch, daß bei dieser wichtigen Tagung der Verteidigungsminister aufrichtig war, als er positiv von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus dem Verteidigungsbereich - ich füge hinzu, da gibt es wesentlich mehr in der Fraktion; nicht alle, denn das zu behaupten wäre intellektuell unredlich -, die für die Bundeswehr ein offenes Ohr haben und versuchen, diesem konstitutiven Element unseres Staates auch sein Recht zu geben, sprach.
Ich sage an dieser Stelle, lieber Herr Kollege Rühe, daß Sie mit dem gegenwärtigen Verteidigungsbudget, mit diesen Finanzmitteln die derzeitige Personalstruktur der Streitkräfte unterfinanziert haben und daß Sie sie so nicht werden aufrechterhalten können.
({1})
Alles andere ist getürkt, alles andere sind Durchhalteparolen, und deswegen machen wir Ihnen auch entsprechende Vorschläge, auf die ich in meiner Rede noch zurückkommen werde.
Ihre Fehler jedenfalls, Herr Kollege Rühe, gehen zu Lasten unserer Streitkräfte, demotivieren die Soldaten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und treiben sie zur inneren Kündigung. Ich sage, das aufnehmend, was hier im Hause zwischengerufen und zwischengesprochen wird, etwas überspitzt, aber mit ernstem Unterton: Sie haben die Bundeswehr so zugerichtet, wie es eine linke Regierung nie hätte tun können und auch nie getan hätte,
({2})
denn wir hätten eines gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir hätten auf die Menschen in dieser Staatseinrichtung Rücksicht genommen, und das tun Sie leider nicht mehr. Das war einmal der Fall, das ist vorbei, und deswegen laufen Ihnen auch die Soldaten, die Familien, die Reservisten in Scharen davon und orientieren sich bei uns.
({3})
- Natürlich! Wir hatten eine Bundeswehrkonferenz, Herr Kollege Nolting, bei der die Klagen auf den Tisch gelegt worden sind, und ich zähle sie Ihnen einmal auf.
Bei zahlreichen Truppenbesuchen und durch viele Eingaben haben wir festgestellt, daß fehlendes Geld für Ersatzteile und für zivile Instandsetzungsleistungen den Betrieb der Bundeswehr, insbesondere den Betrieb des Heeres, erheblich beeinträchtigt. Wir haben Äußerungen von Kommandeuren im Generalsrang gehört, in unserer Bundeswehr sähe es finster aus. Die jüngsten Bemühungen des Heeresinspekteurs, das Heer trotzdem modern erscheinen zu lassen, müssen so zwangsläufig mißlingen.
Das Wort des Verteidigungsministers, wir müßten Sparen gestalten, ist zur Farce geworden. Seine Hilferufe, die Bundeswehr eben nicht kaputtzusparen, hat der Finanzminister unter Duldung des Bundeskanzlers brutal erstickt. Entsprechend lautet das Fazit: Wir haben einen besorgniserregenden Zustand der Bundeswehr. Sie ist nur bedingt einsatzbereit.
({4})
Wir haben Ihnen am 26. Juni eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Entwicklung des Verteidigungsetats auf den Betrieb der Bundeswehr vorgelegt. Sie haben auf 14 sehr differenziert gestellte Fragen, die insbesondere auch Aufschluß über die Materialerhaltung bei den Streitkräften geben sollten,
schlicht und einfach geantwortet, es gebe keine Probleme. Wenn es keine Probleme gibt - wir wissen ja, daß das Gegenteil der Fall ist -, dann frage ich Sie, auch Sie, Herr Kollege Austermann, warum der Haushaltsausschuß - nicht der Verteidigungsminister - entschieden hat, 75 Millionen umzuschichten, 60 Millionen für die Materialerhaltung im Heer, 10 Millionen für die Materialerhaltung beim Fluggerät und 25 Millionen zusätzlich für den Munitionstitel. Das Parlament mußte den Streitkräften helfen. Der Bundesminister der Verteidigung, der fürsorgepflichtig für diese Streitkräfte ist, hat dies nicht getan.
({5})
Ein Truppenführer, der mit den Problemen tagtäglich konfrontiert wird, bewertete die Antwort der Hardthöhe wie folgt: Entweder weiß die militärische und politische Führung überhaupt nicht mehr, was in der Truppe vor sich geht, oder aber sie nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Beides wäre schlimm; ersteres ist wahrscheinlich. Das ist freilich außerordentlich bedenklich.
({6})
Ich weise auf die Ausschlachtung oder den „Kannibalismus" hin, der bei den Transporthubschraubern und in anderen Bereichen stattfindet. Ich weise darauf hin, daß die Wehrbeauftragte am 1. August dem Verteidigungsminister einen Brief geschrieben hat, in dem sie ihre zunehmende Sorge über die Entwicklung, über eine unzureichende materielle Ausstattung sowie über zunehmende Engpässe zum Ausdruck gebracht hat. Wir wissen aus dem Vermerk Ihrer Haushaltsabteilung, auf den hin das Parlament die Mittel entsprechend erweitert und umgeschichtet hat, daß es erhebliche Probleme bei 5000 Ersatzteilartikeln gibt, die nicht mehr im Bestand sind. Das beeinträchtigt mittlerweile die Instandsetzung aller Waffensysteme.
Wir sind ferner darüber informiert, daß bei den Transall-Maschinen und bei Hubschraubern aller Typen die Piloten viel zuwenig Flugpraxis haben, weil es zuwenig Flugstunden gibt. Diese fehlende Flugerfahrung beeinträchtigt die Flugsicherheit stark.
({7})
Wenn Sie, Herr Verteidigungsminister, einmal die 13. Panzergrenadierdivision aufsuchen, dann werden Sie feststellen, daß dort nur mehr 15 Schützenpanzer vom Typ „Marder" einsatzbereit sind.
Als der „Spiegel" in dieser Woche schrieb, daß es beim Heer darüber hinaus auch erhebliche Ausbildungsdefizite gibt - dies ergibt sich aus einem höchst interessanten Bericht aus dem CMTC in Hohenfels -, haben Sie endlich zugegeben, daß das militärische Können der Führung in den vergangenen Jahren gelitten hat. Das erfordert natürlich auch Konsequenzen. Sie ziehen sie in diesen Tagen nur verbal. Wegen der öffentlichen Berichterstattung sagen Sie jetzt: Ich räume Defizite bei der Truppe ein. Oder:
Ich gestehe Schwierigkeiten bei der Materialerhaltung ein, die die Truppe belasten. So sind jedenfalls von der „Welt" und der „FAZ" Ihre Äußerungen auf der Tagung des Bundeswehr-Verbandes zitiert worden.
Wir erkennen Ihre Leistungen im Zusammenhang mit IFOR an. Das haben Sie und die Soldaten in der Tat ordentlich gemacht. Aber Sie schauen nur auf das eine Prozent und nicht auf die 99 Prozent andere Soldatinnen und Soldaten, die ebenfalls ihre Pflicht erfüllen
({8})
und die wegen der von mir aufgezeigten Mängel Ihre Zuwendung brauchen.
Im übrigen pfeifen es ja die CDU/CSU- und die F.D.P.-Spatzen von den Bonner Dächern - einer von ihnen heißt Koppelin -, daß die „Rühe-Struktur" der Bundeswehr eben nicht zu bezahlen ist. Der verehrte Kollege Rauber hat sich ja schon im Sommer wie folgt geäußert: Mit weniger als 47 Milliarden DM wird es die Bundeswehr in der jetzigen Form nicht mehr geben können.
Deswegen haben wir Ihnen - das darf ich zum Schluß sagen - eine Wehrstruktur- und Personalkommission vorgeschlagen. Sie sagen, die Bundeswehr habe eine Struktur, nämlich die jetzige. Ich sage Ihnen: Die Struktur, die von 340 000 Soldaten ausgeht, hat keine Bestandskraft. Denn der Kanzler und der Finanzminister haben Ihnen diese Struktur bereits zerstört. Die Koalitionsfraktionen haben dies zugelassen.
Struktur und Umfang der Bundeswehr müssen realistisch nach sicherheitspolitischen Erfordernissen und an Hand der verfügbaren Finanzmittel in Abstimmung mit Verbündeten und Partnern unter Zugrundelegung neuer Abrüstungsmöglichkeiten geplant und gestaltet werden.
({9})
Eine solide Bundeswehrplanung sowie ein zukunftsweisender und verläßlicher Verteidigungshaushalt mit 30 Prozent investivem Anteil sind Voraussetzungen dafür, das verlorene Vertrauen der Angehörigen der Bundeswehr in die Politik wiederzugewinnen.
Meine Damen und Herren, weil die Bundeswehr Ihr Haushaltsopfer nicht nur in diesem Jahr geworden ist, werden wir - den Streitkräften zuliebe - diesen Verteidigungsetat mit überzeugter roter Karte ablehnen.
({10})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich würde es ja nicht für völlig übertrieben halten, wenn Sie einen angemessenen Teil Ihrer Aufmerksamkeit dem jeweiligen Redner zuwenden würden. Es könnte ja sein, daß irgend etwas gesagt wird, was Sie vor der Abstimmung, die ja kommen wird, noch wissen wollen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dies vorausgeschickt, gebe ich nun das Wort dem Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Der Abgeordnete Karsten Voigt war in den letzten zwei Jahren Präsident der Nordatlantikversammlung, und ich finde, wenn ein deutscher Abgeordneter ein internationales Amt bekleidet und das gut macht oder sogar sehr gut, wie in diesem Fall, dann sollten wir dies auch würdigen. Das wäre in England und Frankreich so. Deswegen Glückwunsch zu der Arbeit, Karsten Voigt.
({1})
Was nun die Debatte angeht und insbesondere die Einlassung der Sozialdemokraten in Richtung von mehr Mitteln für den Verteidigungshaushalt, so muß ich zugeben, daß ich natürlich völlig hin- und hergerissen bin in meinen Gefühlen; denn ich könnte sagen, ich könnte sie in den nächsten Etatgesprächen ganz gut verwenden. Manchmal habe ich auch Ärger in der Koalition gehabt, weil ich nicht genügend angegriffen worden bin von der Opposition, jedenfalls nur selten, wobei es mir immer darum ging, gerade für unsere Soldaten soviel Konsens wie möglich zu haben.
Wenn heute morgen Herr Scharping und Herr Lafontaine auch eine Passage in ihrer Rede gehabt hätten, daß sie eine Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr fordern, dann hätte ich viel ernster genommen, was hier gesagt worden ist.
({2}) Das hat es nicht gegeben.
Sie haben ja schon den Spott der Grünen gehört. Ich verstehe die Strategie der Sozialdemokraten nicht. Niemand wird Ihnen glauben, daß Sie mehr für die Bundeswehr tun können oder tun wollen.
({3})
Sie tun gut daran, die Regierung zu unterstützen, nachdem Sie das in den vergangenen Jahren nicht immer gemacht haben. Das ist auch für Sie selbst der einzig glaubwürdige Weg. Also weg von dieser Strategie, die Sie hier eingeschlagen haben.
Im übrigen braucht mir niemand zu sagen, wie schwierig die Lage des Verteidigungshaushalts ist. Da wird auch nichts geschönt. Es läßt sich überhaupt nicht bestreiten, daß wir in einer sehr schwierigen Situation sind. Der Verteidigungshaushalt ist heute geringer als der von 1991. Wir haben eine enorme Friedensdividende erbracht. Ich verwahre mich dagegen, daß hier völlig falsch dramatisiert wird. Es gibt Licht und Schatten; das ist überhaupt keine Frage.
Nehmen wir folgendes Beispiel: Wenn Herr Kolbow beklagt, das militärische Können habe gelitten,
so möchte ich sagen, natürlich machen wir nicht mehr die Großübungen in Deutschland, natürlich üben wir nicht mehr so viel wie zur Zeit des Kalten Krieges. Und natürlich sind die Energien in den vergangenen Jahren drauf gerichtet gewesen, die Armee der Einheit zu schaffen, überall neue Verbände aufzustellen, neu zu gruppieren. Hätten wir denn üben sollen, statt die Armee der Einheit zu schaffen? Es ist doch totaler Blödsinn, was hier gesagt wird.
({4})
Es ist eine völlig vernünftige Entwicklung, daß wir uns darauf konzentriert haben.
Deswegen bleibe ich dabei: Struktur und Umfang der Streitkräfte stehen nicht zur Diskussion. Es wäre eine Todsünde, wenn man hier eingreifen würde. Wenn eingegriffen werden muß, dann muß das jetzt bei den Baumaßnahmen und bei den Investitionen geschehen.
In manchen Köpfen gerade auf der linken Seite des Hauses - mich erstaunt das - findet der Rüstungswettlauf immer noch statt. In den 70er und 80er Jahren wäre es mit Sicherheit ein großes Problem gewesen, wenn die Beschaffung bestimmter Waffensysteme um fünf oder zehn Jahre geschoben worden wäre. Dann wäre eine Sicherheitslücke entstanden, weil es ein Gegenüber - den Warschauer Pakt, die Sowjetunion - gab, der ein Hochrüstungsprogramm verfolgte.
Es ist schon merkwürdig, daß Ihnen ausgerechnet der Verteidigungsminister sagen muß, daß das nicht mehr der Fall ist und daß man es deswegen sehr wohl verantworten kann, wenn Beschaffungsprogramme geschoben werden. Dadurch entsteht keine Sicherheitslücke. Wir müssen auf die Sicherheit der Soldaten achten, gerade der Soldaten im Einsatz. Wir müssen darauf achten, daß unsere Hubschrauber, unsere Flugzeuge modernisiert werden. Aber ich verwahre mich dagegen, hier alles schwarz in schwarz zu zeichnen.
({5})
Herr Minister - Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Keine Zwischenfragen. - Tut mir leid, Herr Kastning.
Maßstab für die Einsatzbereitschaft ist im übrigen der Auftrag, sind die Bedingungen, unter denen dieser Auftrag gilt. Ich finde, auch diesbezüglich haben Sie noch zu viel altes Denken in Ihren Köpfen, wenn Sie von fehlender Einsatzbereitschaft sprechen.
Es ist eben nicht mehr so, daß die deutschen Streitkräfte insgesamt innerhalb von 24 Stunden aufmarschieren müßten, wie das zur Zeit des Kalten Krieges
der Fall war. Bis zum Jahre 1989 mußte die ganze Bundeswehr innerhalb von wenigen Tagen einsatzbereit sein. Sie müssen begreifen, daß das heute nicht mehr der Fall ist. Die Vorwarnzeit eines großen Konfliktes beträgt heute zwischen ein und zwei Jahren. Deswegen kann der Verteidigungsminister es verantworten, daß nicht mehr die ganze Bundeswehr mit derselben Geschwindigkeit einsatzbereit ist, wie das früher der Fall war. Es ist von Ihrer Seite eine völlig falsche Strategie, nun so zu tun, als sei es eine ganz schlimme Sache, daß wir nicht mehr so einsatzbereit sind, wie das 1989 notwendig war. Das ist eine falsche Einschätzung der Lage, die unseren Interessen und den Notwendigkeiten nicht gerecht wird.
Zu den Schwierigkeiten des deutschen Heeres: Es gibt hier Licht und Schatten. In vielen Bereichen sind wir Spitze; ich denke an die Heeresflugabwehr, den Verbund von Gepard, Roland und Stinger, die Panzerhaubitzen, den Minenräumpanzer Keiler. Als ich neulich die Brücke besichtigt habe, die deutsche und polnische Pioniere über die Oder gebaut haben, habe ich bestätigt gefunden: Das ist das modernste Brückenbaugerät, das es in Europa gibt.
({0})
Wer da von „Schrott" spricht, ist schlecht beraten. Herr Kastning, wenn ich höre, wie Sie im Interview die Auffassung mancher „Welt"-Journalisten nachbeten, muß ich wirklich sagen: Die Russen sind nicht mehr an der Elbe. Schaut genau hin, wenn ihr es nicht glauben wollt! Es ist schon eine merkwürdige Koalition, die sich dort auftut. Wenn der Verteidigungsminister Ihnen sagen muß, daß die Russen nicht mehr an der Elbe sind, und er es verantworten kann, daß unsere Soldaten nicht mehr innerhalb von wenigen Tagen alle einsatzbereit sind, dann zeigt das, daß Sie immer noch nicht den richtigen Zugang zur Situation gefunden haben. Wenn das, was das deutsche Heer zur Verfügung hat, „Schrott" ist, dann ist das Schrott auf verdammt hohem Niveau.
({1})
Natürlich gibt es Defizite; das läßt sich gar nicht bestreiten. Die müssen abgebaut werden. Es geht um moderne Informationstechnologien, die Transportkapazität, Einsatzlogistik und die persönliche Ausrüstung der Soldaten. Darüber hinaus gibt es Probleme mit der Materialerhaltung. Das Notwendige dazu ist gesagt worden.
Es darf keine Kürzungen der Mittel für die Ausbildung der Wehrpflichtigen geben. Das hat für uns Vorrang. Deswegen konzentrieren sich die Kürzungen auf die Baumaßnahmen und die Investitionen.
Auch die Mittel für die Ausrüstung unserer Soldaten im Einsatz dürfen nicht gekürzt werden. Alle, die etwas davon verstehen, werden Ihnen bestätigen, daß die Soldaten in Jugoslawien hervorragend ausgerüstet und hervorragend ausgebildet sind.
Es wurde jetzt die Einrichtung einer Strukturkommission gefordert, um die Probleme zu lösen. Ich
kann nur sagen: Wer selbst nicht weiß, was er will, der fordert eine Kommission.
({2})
Das bringt das Fehlen von Politik auf Ihrer Seite zum Ausdruck.
({3})
- Herr Fischer, hören Sie doch einmal zu! - Im Unterschied zu den anderen Bereichen haben wir über diese konzeptionellen Entscheidungen - vielleicht haben Sie es nicht mitbekommen - vor drei Jahren diskutiert. Wir haben ein Weißbuch vorgelegt. Wir haben die konzeptionellen Entscheidungen getroffen. Jetzt muß man die Ruhe, die Kontinuität aufbringen, um eine stabile Entwicklung auf der Grundlage dieser konzeptionellen Entscheidungen gewährleisten zu können. Das letzte, was die Soldaten brauchen, ist eine Kommission. Das letzte, was sie brauchen, sind neue Eingriffe in die Struktur.
({4})
Das letzte, was sie brauchen, sind Eingriffe in ihre Ausbildung. Deswegen machen wir das nicht. Deswegen bleibt die Lage in diesem Bereich stabil.
Richtig ist, daß wir angesichts unserer Finanzlage manche Projekte nicht mehr durchführen können, die militärisch vielleicht durchaus wünschenswert sind, und daß wir andere Projekte strecken und weiter in die Zukunft schieben müssen.
Wir werden, so denke ich, am 13. Dezember über den Jugoslawien-Einsatz entscheiden. Ich will das jetzt nicht vorwegnehmen. Aber ich möchte sagen, ich bin sehr froh - das ist eigentlich das Wichtigste, was erreicht worden ist, übrigens wichtiger noch als Geld, so wünschenswert dies für die Zukunft auch ist -, daß wir den Soldaten den Konsens im Einsatz geben und sie das auch spüren. Ich habe noch in Erinnerung, wie unsere Soldaten in Somalia im Radio den Streit im Bundestag gehört haben und ihre Familien verunsichert gewesen sind. Deswegen ist das für mich das entscheidende Ergebnis in diesem Jahr. Ich bin dankbar dafür. Ich werde auch alles dafür tun, daß dieser Konsens hält; denn wir können es vielleicht verantworten, Soldaten manchmal nicht zu befördern - Oberbootsmänner, Stabsfeldwebel und andere -, wie Sie es völlig zu Recht beklagen. Wir können es manchmal auch verantworten, Waffensysteme zu strecken. Aber wir können es nicht verantworten, unsere Soldaten in einen Einsatz zu schicken, ohne ihnen die volle Unterstützung durch den Bundestag und die volle Unterstützung durch unser Volk zu geben. Dafür, daß diese Unterstützung vorhanden ist, bin ich sehr dankbar.
({5})
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe es vorhin etwas schlichter versucht. Ich möchte Sie wirklich bitten, Ihre privaten Gespräche nach draußen zu verlegen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Es ist ja nicht irgend etwas, über das wir hier verhandeln. Sie verlängern einfach die Prozedur.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Kastning das Wort.
({0})
Herr Kollege Joschka Fischer, heute morgen haben Sie das nicht gerufen. Ich denke, daß nicht nur die Großkopferten das Recht haben, hier zu reden, sondern auch die „Kleinen", die die praktische Arbeit machen.
({0})
Herr Minister, ich habe mich nur gemeldet, weil ich fand, daß es ein starkes Stück war, was Sie eben in zwei, drei Sätzen mir gegenüber gesagt haben. Wenn ein Journalist der „Welt" - und das, was er schreibt - in der letzten Zeit nicht mehr oder nicht mehr ganz auf Ihrer Linie liegt, dann ist das Ihre Angelegenheit. Aber wenn Sie hier kritisieren, daß ich mit diesem Journalisten spreche und ihm Zahlen gebe, dann muß ich das zurückweisen.
({1})
Die Zahlen, die vor etwa einer Woche in der „Welt" standen, hat Ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Geiger, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages aufgelistet. Es sind gewissermaßen amtliche Zahlen. Diese Zahlen haben Sie selbst im Haushaltsausschuß bestätigt, bzw. Sie haben ihnen nicht widersprochen, als sie ausdrücklich genannt worden sind. Ich denke, es gehört dazu, daß diese Zahlen nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt und beraten werden und daß geprüft wird, was man in dieser Situation tun sollte.
Es ist genau das Gegenteil von dem passiert, was Sie oder die Hardthöhe insgesamt - ich weiß nicht, wer die Verantwortung trägt; ich vermute, auch Sie, Herr Minister - den ganzen Sommer über praktiziert haben. Sie haben abgewiegelt und die Situation verschleiert, obwohl Sie genau wissen mußten, daß Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, und zwar auch aus den Koalitionsfraktionen, durch Besuche bei der Truppe, durch Kontakte zu Industriebetrieben in den Regionen handfeste Informationen über die Situation beim Heer, bei den Heeresfliegern, teilweise bei der Luftwaffe und auch in der wehrtechnischen Industrie hatten.
Ich finde es wirklich schlimm, daß Sie auch heute noch verschleiern, statt zu sagen: So ist die Lage; wir setzen uns hin und entscheiden schnell, wie es weitergehen soll. Was mich umtreibt - Herr Minister, Sie müssen wissen, daß ich mich auf diesem Gebiet in den letzten zwei Jahren, seit ich das Amt des Berichterstatters innehabe, einigermaßen seriös bewegt habe -, ist, daß keine Richtungsweisung kommt und dadurch Unruhe und Unzufriedenheit in der Truppe weiter zunehmen werden.
Wer hat denn den Bundeswehrplan in diesem Jahr aufgestellt? Das waren doch nicht die Sozialdemokraten, das waren Sie. Wer hat ihn weitgehend zu Makulatur gemacht? Das waren doch nicht wir, sondern die Bundesregierung. Jetzt haben Sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, schnellstens aufzuzeigen, wie es weitergehen soll.
Ich sage Ihnen: Ich bin bereit, seriös mit Ihnen darüber zu beraten, was noch zu tun ist. Dazu muß aber ein Papier von Ihnen und nicht von der Opposition oder irgend jemand anderem auf den Tisch.
({2})
Herr Minister, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
({0}) - Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6239 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? ({1})
Ich frage noch einmal, ob jemand seine Stimme noch nicht abgegeben hat. - Das ist offenkundig nicht der Fall.
Damit schließe ich nunmehr die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*)
Wir setzen die Beratungen fort. Wir wollen mit den Abstimmungen fortfahren.
Wir kommen zum Einzelplan 05, Auswärtiges Amt. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über die wir zuerst abstimmen.
*) Seite 12750 A
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wir stimmen über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6217 ab. Wer dem Änderungsantrag der SPD zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir stimmen über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6240 ab. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6241 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 6242 ab. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6243 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6253 auf. Wer dem Änderungsantrag der PDS zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann rufe ich den Einzelplan 14, Bundesministerium der Verteidigung, auf. Dazu lagen zu Beginn der Debatte sieben Änderungsanträge vor. Inzwischen gibt es noch einen weiteren Änderungsantrag der Fraktion der SPD, so daß wir also zunächst über acht Änderungsanträge abzustimmen haben.
Ich rufe den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/6218 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6298 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? -Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6244 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6255 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6256 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6257 auf. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6258 auf. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 13/6258 zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6251 auf. Wer diesem Änderungsantrag der PDS zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Damit kommen wir schließlich zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung. Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 14 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Nun gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, bekannt. - Das sind die Drucksachen 13/52 Anlage, 13/6004 und 13/6025. - Abgegebene Stimmen: 642. Mit Ja haben gestimmt: 335. Mit Nein: 307. Keine Enthaltungen. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 642; davon
ja: 335
nein: 307
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({3}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({4}) Hartmut Büttner
({5})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({6}) Peter Harry Carstensen
({7})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer ({8}) Leni Fischer ({9})
Klaus Francke ({10}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({11}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({12}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({13})
Hansgeorg Hauser
({14}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({15}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({16})
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({17}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({18})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing
Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link ({19}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({20})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({21})
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({22}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({23}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({24}) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({25}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({26}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({27}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({28}) Klaus Dieter Reichardt
({29})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({30}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({31}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({32}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({33}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Gerhard Scheu
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({34}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({35})
Andreas Schmidt ({36}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({37}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({38}) Gerhard Schulz ({39}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({40}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({41})
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({42}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({43}) Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
({44}) Günther Bredehorn
Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({45})
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({46}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({47}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
({48})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt
Hans Berger Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen ({49}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner ({50}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer ({51}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({52}) Katrin Fuchs ({53}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({54}) Angelika Graf ({55}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({56})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({57}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({58}) Frank Hofmann ({59}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner
Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({60}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({61})
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({62}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({63}) Jutta Müller ({64}) Christian Müller ({65}) Volker Neumann ({66}) Gerhard Neumann ({67})
Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
({68})
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler Horst Schild
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({69})
Ulla Schmidt ({70}) Dagmar Schmidt ({71}) Wilhelm Schmidt ({72}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({73}) Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({74})
Brigitte Schulte ({75}) Reinhard Schultz
({76})
Volkmar Schultz ({77}) Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({78})
Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({79})
Karsten D. Voigt ({80}) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({81}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({82}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({83}) Heidi Wright
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({84}) Elisabeth Altmann
({85}) Marieluise Beck ({86}) Volker Beck ({87}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer ({88}) Joseph Fischer ({89}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({90}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({91}) Cern Özdemir
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({92}) Wolfgang Schmitt ({93})
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({94}) Margareta Wolf ({95})
PDS
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({96}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf
Ich rufe nun auf: Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 13/6019, 13/6025 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Jürgen Koppelin
Es liegen je zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Emil Schnell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mir ist aufgefallen, daß in den letzten zwei Tagen das Wort Entwicklungshilfe nicht ein einziges Mal vorgekommen ist. Das zeigt eigentlich schon den Stellenwert der Entwicklungspolitik innerhalb dieser Regierung und auch speziell innerhalb der Koalition an.
Der Außenminister ist vorhin nicht auf die Problematik des Ausstiegs aus internationalen Organisationen eingegangen, obwohl der Kollege Brecht hier recht klar die Rolle der UNIDO dargestellt hat; dem Vernehmen nach hört man, daß auch IFC und andere Einrichtungen betroffen sein sollen. Herr Minister, ich bitte Sie, nachher in Ihrer Rede noch einmal klare Worte dazu zu sagen, was hier eigentlich los ist.
Herr Kollege, würden Sie einen Augenblick abwarten, bis auf der Regierungsbank wieder Ruhe eingetreten ist, damit wir fortfahren können? - Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, ich kann die Unruhe auf der Regierungsbank gut nachvollziehen, da es eine Menge offene Probleme gibt, die zu lösen sind.
Herr Minister, gehen Sie auf diesen Punkt ein; der Außenminister ist nicht darauf eingegangen. Ich kann verstehen, daß bei Ihnen auf Grund der Entwicklung Ihres Etats eine gewisse Verärgerung gegenüber den Kollegen im Kabinett vorhanden ist. Ich glaube aber nicht, daß es der richtige Weg ist, sich von den wichtigen internationalen Institutionen zu verabschieden.
({0})
Die öffentliche internationale Entwicklungshilfe stagniert nicht nur, sie ist vielmehr rückläufig, auch deshalb, weil unser eigener Beitrag rückläufig ist. Während sich das in die Entwicklungsländer fließende private Kapital seit 1990 auf 250 Milliarden
DM erhöht und damit fast vervierfacht hat, ist die offizielle Entwicklungshilfe mit 90 Milliarden DM auf dem real niedrigsten Stand seit 23 Jahren.
({1})
Drei Viertel der Privatinvestitionen konzentrieren sich auf zwölf Länder, vor allem in Ost- und Südostasien. Die ärmsten Länder haben dagegen kaum eine Chance, von der Zunahme des Welthandels und vom Wachstum der Weltwirtschaft zu profitieren.
Weltweit leben noch immer mehr als 1,2 Milliarden Menschen unterhalb der Grenze zur absoluten Armut. In Afrika wird die Zahl der Armen vermutlich noch steigen. Rund ein Viertel der Menschen in den Entwicklungsländern hat kein sauberes Trinkwasser, und fast die Hälfte hat keinen Elektrizitätsanschluß.
Die Selbstversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln ist vielfach nicht gewährleistet. Damit verbinden sich die Fragen, ob wir im Landwirtschaftsbereich, dort auch in der Forschung, genug tun und ob es nicht mehr Sinn macht, die kleinbäuerliche Entwicklung und den Absatz stärker zu fördern, als mit subventionierten EU-Nahrungsmitteln die Existenz der Bauern in Frage zu stellen.
Viele der weltweit ärmsten Länder sind zudem so hoch verschuldet, daß sie nicht in der Lage sind, lebenswichtige Wirtschaftsreformen durchzuführen. Strukturanpassungsprogramme, besonders im Bereich der Weltbank, führen oft nicht dazu, daß die ärmsten Bevölkerungsschichten davon profitieren. Im Gegenteil: Die vorgesehenen Hilfen kommen auf Grund von Bürokratie und Filz in diesen Ländern meistens dort nicht an.
Das sind insgesamt gesehen keine optimistisch stimmenden Aussagen, obwohl es auch Erfolge gibt, die man für die öffentliche Akzeptanz der Entwicklungshilfe in Deutschland immer wieder seriös vermitteln sollte. Wir wissen aber auch: Erfolge sind keine Skandale, also medial nur schwer zu transportieren.
Zirka zwei Drittel der deutschen bilateralen Projekte wurden als mehr oder weniger erfolgreich eingeschätzt. Um so wichtiger ist die Frage nach unserer eigenen Verantwortung und einer entsprechenden Verläßlichkeit Deutschlands gegenüber unseren Partnern in der Dritten Welt für die kommende Zeit. Hier werden auf uns, nicht zuletzt wegen der kopflosen Kürzungsorgien der Bundesregierung, noch erhebliche Probleme zukommen. An dem Plafond des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung läßt sich der Stellenwert dieses Politikfeldes innerhalb der Regierung gut ablesen.
Die Finanzpläne der letzten Jahre waren immer von deutlich höheren Ansätzen ausgegangen. Wenn wir auf das Jahr 1992 zurückblicken, waren für 1997 über 2 Milliarden DM mehr eingeplant. Die Wirklichkeit des Regierungshandelns hat nach mehreren Kürzungsrunden schließlich für 1997 im Einzelplan 23 zu einer Summe von 7,65 Milliarden DM geführt. Das ist ein dramatischer Absturz, den besonders die Armsten der Armen zu spüren bekommen werden.
Zur Zeit liegen wir mit unserer Entwicklungshilfe bei zirka 0,3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes. Das bedeutet eine weitere rasante Entfernung von dem 0,7-Prozent-Ziel, zu dem sich die Bundesregierung angeblich noch immer bekennt. Ich fordere den Bundesminister auf, klarzustellen, ob er sich von diesem Ziel verabschiedet hat. Es ist nicht ehrlich, dieses Ziel immer vor sich herzutragen und jährlich Kürzungen vorzunehmen. Diese Art des Vorgehens betrifft die Politik insgesamt. Wir kommen damit in Verruf. Das kann so nicht weitergehen.
({2})
Die Art und Weise, wie diese Bundesregierung in den letzten Jahren mit der Wechselkursproblematik umgegangen ist, hat im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ebenfalls erheblich zu Verwerfungen geführt, aber auch in anderen Politikbereichen. Wenn Wechselkurse zu Minderausgaben führten, kassierte das BMF und kürzte in gleichem Maße den Plafond für das folgende Jahr. Wenn Wechselkurse im Folgejahr zu Mehrausgaben führten, mußten aus dem Einzelplan 23 überplanmäßige Ausgaben geleistet werden. Diese Prozedur führte zu einer bedrohlichen Abwärtsspirale im Haushalt des BMZ und muß für die Zukunft begrenzt oder abgeschafft werden. Sie entspricht zudem nicht der notwendigen Kontinuität und Verläßlichkeit der Entwicklungszusammenarbeit.
Wir haben in den Haushaltsberatungen vorgeschlagen, den Plafond des BMZ trotz schwieriger Haushaltslage durch Mehreinnahmen aus dem Forderungsverkauf für 1997 zu stabilisieren, um erstens die FZ-Verpflichtungen zu erfüllen und zweitens die Kürzungsaktion von weiteren 97 Millionen DM abzufangen. Das wurde von der Koalition abgelehnt. Auch die Idee, Einnahmen aus den Rückflüssen der Entwicklungszusammenarbeit prinzipiell wieder für die Entwicklungshilfe einzusetzen - eine Art kreisender Fonds -, wurde ebenfalls abgelehnt, was, denke ich, bedauerlich ist, da das auch eine Forderung der Fachpolitiker des AWZ war.
Wir haben uns im Haushaltsausschuß im Rahmen des Einzelplans 23 erstens besonders mit der Problematik der finanziellen Zusammenarbeit beschäftigt - bilateral und multilateral. Besonders zu schaffen gemacht hat uns die Ankündigung, daß 550 Millionen DM fehlen. Das heißt, verbindlich zugesagte Mittel sind im Haushalt nicht eingestellt worden, weil der Finanzminister den Überblick verloren hatte. Die Fragen, warum eine derart hohe Unterdeckung des FZ-Titels überhaupt zustande kommen konnte und wie das in Zukunft geregelt werden soll, bleiben weiterhin offen. Wir hatten die ganzen Fragen, was die FZ-Mittel und was multilaterale Dinge angeht, offengelassen. Im Prinzip sollte eine Einigung zwischen BMF und BMZ zustande kommen, was letztendlich nicht gelungen ist. Es sind im Laufe der Haushaltsberatungen vielmehr mehrere Vorlagen vom BMZ, BMF und der Koalition am gleichen Tage auf den
Tisch gekommen - ziemlich chaotische Zustände, so muß man sagen -,
({3})
so daß die Lösung lediglich so aussieht, daß 1997 für diese FZ-Verpflichtungen einmalig Mehreinnahmen in Höhe von 250 Millionen DM genutzt werden können. Das heißt automatisch für das nächste Jahr, daß Ärger vorprogrammiert ist, da diese Mittel und diese Regelung mit Sicherheit nicht ausreichen werden.
Zweitens haben wir uns - ich muß sagen, wie nie zuvor; vielleicht auch zur Freude der „AWZler" - mit den Empfehlungen des Fachausschusses beschäftigt.
({4})
Es konnte erreicht werden, daß die Mittel für die NGOs nicht gekürzt wurden. Denn diese leisten eine unverzichtbare und hervorragende Arbeit.
({5})
Wir haben die Bundesregierung für das Problem der zur Zeit schlechten Möglichkeiten für NGOs, an EUMittel heranzukommen, sensibilisiert. Ich hoffe noch immer, daß dort etwas passiert, und bitte den Minister, nachher darauf einzugehen, was in diesem Bereich tatsächlich passieren kann.
Wir haben gemeinsam die Entschuldungsmöglichkeiten für Vorhaben zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt sowie zur Armutsbekämpfung von 170 auf 210 Millionen DM verbessert. Die beabsichtigte Privatisierung der DEG, die wir ablehnen, und die Kapitalaufstockungen der Banken waren Themen. Die Unterstützung des „Zivilen Friedensdienstes", den wir gerne gehabt hätten, wurde abgelehnt. Auch die Situation der Stiftungen, die Beratungshilfe Ost und nicht zuletzt die extrem schwierige Personalsituation im Hause selber wurden beraten. Dies möchte ich hier nicht weiter ausführen.
Auf Grund unseres langjährigen Kampfes - auch mit starker Unterstützung der NGOs - haben IWF und Weltbank nun endlich eine multilaterale Entschuldungsinitiative gestartet. Die 20 ärmsten Länder sollen entschuldet werden. Man beginnt, daran zu arbeiten. Das ist positiv. Der Haken daran ist allerdings, daß die 20 ärmsten, zumeist afrikanischen Länder Auslandsschulden in Höhe von 122 Milliarden US-Dollar haben und der Fonds mit 500 Millionen US-Dollar natürlich an dieser Stelle absolut nicht zureichend ist. Hier muß noch einiges mehr getan werden, wozu wir die Bundesregierung nachdrücklich auffordern. Tun Sie an dieser Stelle etwas. Werden Sie aktiv.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir im Haushaltsausschuß wiederum einen Antrag gestellt haben, der eine weitere Entschuldungsmöglichkeit vorsieht. Dieser wurde von der Koalition abgelehnt. Ich fordere Sie noch einmal auf, die Möglichkeit im Plenum zu nutzen, das wiederaufzunehmen und durchzusetzen.
Ich danke schließlich meinen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern und dem BMZ, dort speziell der Haushaltsabteilung, für die gute, kooperative Zusammenarbeit. Dem Einzelplan 23 können wir nach Inhalt und Volumen nicht zustimmen.
Danke schön.
({6})
Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Kollege Dr. Schnell hat eben erwähnt, daß die nongovernmental organizations, die NGOs, in diesem Bundeshaushalt schonend behandelt worden sind. Ich möchte mich ausdrücklich, auch im Namen der politischen Stiftungen, für diese schonende Behandlung bedanken. Es war wichtig für uns, daß die. Bundesregierung, der Haushaltsausschuß und der Bundesminister selber auf deren Arbeit Rücksicht genommen haben. Wir werden uns weiter einschränken müssen; das ist klar. Aber wir werden unser Bestes tun - das sage ich für alle Stiftungen -, um trotzdem unseren Auftrag zu erfüllen.
Dabei war es für uns sehr wichtig - es mag sehr technisch klingen, aber es ist wichtig -, daß die Titel 03 und 04 im Einzelplan 23 zusammengelegt worden sind. Das führt zu höherer Flexibilität, zu weniger Bürokratie. Die Mittel können effizienter eingesetzt werden. Wir glauben, daß wir damit unsere Arbeit vor allem in den Entwicklungsländern besser fortsetzen können. Diese Arbeit soll auch nicht durch neue Aufgabengebiete in den mittel- und osteuropäischen Staaten gefährdet werden. Die politischen Stiftungen sehen hier ein wesentliches Arbeitsgebiet. Wir haben Verpflichtungen; ich denke, das ganze Haus wird dem zustimmen. Wir sehen in den mittel- und osteuropäischen Ländern Wahlergebnisse, die uns neue Chancen eröffnen - nicht in allen, aber doch in manchen.
Deswegen sind wir dankbar dafür, daß wir im Haushalt in Einzelplan 23 die Voraussetzungen dafür finden, neben der wirtschaftlichen Förderung auch den Demokratisierungsprozeß weiter voranzubringen. Ich hoffe, daß wir die Arbeit dazu fortsetzen und noch etwas verstärken können.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt hat Kollege Michael von Schmude das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Dr. Schnell hat beklagt, daß die Entwicklungspolitik in der heutigen Debatte ein bißchen zu kurz gekommen ist. Dafür gibt es auch eine Erklärung: Unsere EntwickMichael von Schmude
lungspolitik findet so viel Anerkennung, daß selbst die Opposition bisher wenig daran kritisieren konnte.
({0})
Wenn hier im Rahmen der Gesamtdebatte über den Haushalt auch unter Spargesichtspunkten diskutiert werden mußte, dann spiegelt sich diese Diskussion sehr wohl auch im Einzelplan 23 wider. Schon vor dem Berichterstattergespräch im September, das mit großer Sachlichkeit und auch in großer Übereinstimmung geführt wurde und für das ich mich bei den Kollegen ausdrücklich bedanken möchte, haben die Gespräche mit den Vertretern der Nichtregierungsorganisationen und auch mit einzelnen Botschaftern gezeigt, daß diesmal manche Wünsche offenbleiben müssen, weil die dafür notwendigen Finanzmittel nicht verfügbar sind.
Man kann aber auch feststellen, daß die Einsicht bei den Betroffenen größer ist als bei manchem Vertreter der Opposition. Manch einer sollte sich schon fragen, ob es Sinn macht, jetzt noch Erwartungen zu wecken, die nicht erfüllbar sind und die zugleich durch ihre Überzogenheit das bisher Erreichte noch entwerten.
Der Maßstab bei der Beurteilung unserer Entwicklungshilfe kann eben nicht nur beim Haushaltsvolumen selbst oder etwa bei der umstrittenen ODA-Quote angelegt werden. Mehr denn je muß Qualität, das heißt für mich: Effektivität und Effizienz, und vor allem auch die Nachhaltigkeit unserer Hilfe im Vordergrund stehen.
({1})
Wir können nicht darauf verzichten, daß unsere Hilfe wirklich um die Selbsthilfe ergänzt und letztendlich durch sie ersetzt wird.
Als eine der führenden Industrienationen tragen wir eine besondere Mitverantwortung für die Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer und ihre Einbindung in die Weltwirtschaft. Dies ist der wirksamste Weg zur Armutsbekämpfung sowie zur Krisen- und Konfliktvorbeugung in der Dritten Welt. Eine erfolgreiche Stabilitätspolitik bei uns kommt mittel- und langfristig auch den Entwicklungsländern zugute, weil wir nur so zusätzlichen Freiraum für größere finanzielle Leistungen bei uns erreichen.
Starke Geberländer sind der beste Garant für eine dauerhafte, erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dies gilt auch vor dem Hintergrund einer starken D-Mark. Ohne allerdings eine Politik der Schuldenbegrenzung bei uns lösen wir nicht die Schuldenproblematik der Dritten Welt. Dies wollen und müssen wir auch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Währungsunion mit ihren Sparzwängen und mit ihren Stabilitätskriterien sehen. Dies wird ebenfalls ein Gewinn für die Länder der Dritten Welt sein. Eine Gefälligkeitspolitik ohne Rücksicht auf unsere eigene Leistungsfähigkeit wäre aber auch bezüglich
der Akzeptanz der Entwicklungspolitik in Deutschland selber fatal.
Der Haushalt 1997 für diesen Einzelplan liegt nunmehr bei 7,651 Milliarden DM. Es kommt jetzt darauf an, diese Mittel wirklich optimal einzusetzen. Wir haben, Herr Kollege Dr. Schnell, in der Vergangenheit immer wieder erlebt, daß bei bestimmten Vorhaben Verzögerungen in der Abwicklung auftraten und wir am Ende eines Jahres Haushaltsreste hatten. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich der Haushaltsvollzug 1996 entwickelt.
Es ist für mich schon ein Ärgernis, daß vor einem Jahr auf uns großer Druck seitens der Europäischen Union ausgeübt wurde, um den deutschen Beitrag für den Europäischen Entwicklungsfonds nachhaltig zu erhöhen. Jetzt stellen wir erneut fest, daß von den angeblich so dringend benötigten 892,5 Millionen DM 1996 wohl nur 430 Millionen DM abfließen werden. Der Finanzminister kann sich darüber zwar freuen, aber das Geld hätten wir im Entwicklungshilfeetat für andere Dinge dringend gebraucht.
({2})
Der im Vorjahr eingeführte Deckungsvermerk beim Europäischen Entwicklungsfonds kann in 1996 und auch in den Folgejahren für die finanzielle Zusammenarbeit genutzt werden. Wir haben hier eine Abarbeitung von rund 38 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen, die sich möglicherweise auch in Zukunft schneller abwickeln werden. Aber wieviel Barmittel bei der finanziellen Zusammenarbeit 1997 tatsächlich fließen müssen, kann niemand vorhersagen.
Mit 2,262 Milliarden DM für diesen Bereich haben wir sicher eine vorsichtige Veranschlagung vorgenommen. Der Mittelabfluß kann aber gesteuert werden. Deshalb ist eine Abrufplanung noch exakt zu erarbeiten. Sollte zusätzlicher Finanzbedarf auftreten, so wäre eine Deckung über nicht benötigte Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds möglich oder aber durch den Verkauf von Forderungen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die wir zunächst einmal bis zu 250 Millionen DM freigegeben haben.
Jährlich fließen uns turnusmäßig allein 1,2 Milliarden DM Tilgungszahlungen aus der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern wieder zu. Sie fließen, Herr Kollege Dr. Schnell, in den Einzelplan 23 und damit direkt in die Entwicklungshilfe. Sie versetzen uns in die Lage, revolvierend wieder tätig zu werden. Das heißt, hier gehen keine Gelder in den großen Sack des Bundesfinanzministers, sondern direkt in dieses Haus und kommen anderen Entwicklungsländern wieder zugute.
Wären wir dem SPD-Antrag gefolgt und hätten wir für die finanzielle Zusammenarbeit 624 Millionen DM mehr im Haushalt ausgewiesen, wäre damit der Entwicklungshilfeetat weit über den Ansatz für 1996 hinausgewachsen.
({3})
Wir hätten dies ohne Deckungsschwierigkeiten tun können. Wir hätten nur den Forderungsverkauf zu erhöhen brauchen und damit eine bessere Optik hergestellt. Wir haben das nicht getan, weil es erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Höhe der erforderlichen FZ-Mittel und ihre Verteilung auf die Haushaltsjahre 1996 und 1997 gibt. Deshalb ist der von uns vorgesehene Weg solider. Tatsächlich - das ist meine Einschätzung - dürfte der Haushaltsvollzug 1997 wohl dem von 1996 entsprechen.
Die Zeiten knapper Haushaltsmittel erfordern intelligente Lösungen. Die für die Kapitalerhöhung bei der DEG vorgesehenen 40 Millionen DM haben wir einvernehmlich im Einzelplan 23 umgeschichtet. Gleichzeitig haben wir durch eine Genehmigung, den Kapitalmarkt stärker zu nutzen, die DEG in die Lage versetzt, ihr Geschäftsvolumen statt um diese 40 Millionen DM um 600 Millionen DM auszuweiten. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man auch bei knappem Geld etwas tun kann, um die Anstrengungen in der Entwicklungshilfe auszuweiten. Die vorgesehene Teilprivatisierung der DEG eröffnet im übrigen zusätzliche Möglichkeiten.
Ein großer Kreis deutscher Firmen hat in den letzten Tagen und Wochen zum Ausdruck gebracht, welche Bedeutung die deutsche Wirtschaft der Entwicklungshilfe beimißt. Wir wissen, daß etwa 85 Prozent unserer Entwicklungshilfeleistungen deutsche Arbeitsplätze sichern.
Nun haben wir in den vergangenen Jahren - Herr Kollege Dr. Schnell hat darauf schon verwiesen - gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen im Fachbereich nach Wegen gesucht, wie die Schuldenproblematik der Dritten Welt gelöst werden kann. Die Bundesregierung hat erfolgreich die Position dieses Parlaments vertreten. Jetzt ist die Schuldenerlaßquote bei den extrem hoch verschuldeten ärmsten Ländern vom Pariser Club auf nunmehr 80 Prozent angehoben worden. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen.
Vorrangig allerdings müssen wir bilateral eine endgültige Bereinigung der übernommenen DDRForderungen gegenüber den Entwicklungsländern vornehmen. Hier kommt den Verhandlungen mit Kuba schon wegen des Volumens von 820 Millionen Transferrubeln eine besondere Bedeutung zu. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß diese Verhandlungen, die inzwischen aufgenommen worden sind, beschleunigt geführt werden.
Wir haben als Berichterstatter einvernehmlich auch in diesem Jahr eine Aufstockung des Limits für den Erlaß von Schulden bei gleichzeitiger Durchführung von nationalen Projekten der Armutsbekämpfung und des Umweltschutzes vorgenommen. Statt 200 Millionen DM können nunmehr 210 Millionen DM dafür eingesetzt werden, und der Empfängerkreis wurde um die Länder mit einem Pro-Kopf -Einkommen bis 2 895 Dollar im Jahr erweitert. Dieses Instrument hat großes Interesse bei den Entwicklungsländern gefunden. Wir spielen als Nation auch hier eine Vorreiterrolle in der internationalen Gläubigergemeinschaft.
Ein genereller Schuldenerlaß, wie er jetzt wieder gefordert wird, gegenüber den ärmsten Ländern, womöglich noch ohne Rücksicht auf die jeweiligen Verhältnisse, kann nicht ernsthaft in Betracht kommen. Die Einzelfallprüfung ist schon deshalb notwendig, weil sich die Hälfte der 30 ärmsten Länder der Welt in der Hitliste derer, die den höchsten Prozentanteil ihres Bruttosozialproduktes für Rüstungsausgaben aufwenden, unter Platz 1 bis 60 wiederfinden. Unsere Entwicklungshilfe war und ist immer ein Stück Friedenssicherung. Das soll auch so bleiben.
Das, was im Haushalt abgesenkt wurde, geht nicht an die Kernsubstanz unserer Entwicklungshilfe. Am stärksten sind die Kürzungen mit 200 Millionen DM zu Lasten der multilateralen Titel vorgenommen worden. Im Haushaltsausschuß besteht seit langem Einvernehmen darüber, daß die multilaterale Hilfe im Verhältnis zur bilateralen zu stark angewachsen ist.
Niemand kann von uns erwarten, daß wir angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen, nämlich unseres großen Engagements in Osteuropa einschließlich der vorübergehenden Aufnahme von fast 500 000 Bürgerkriegsflüchtlingen - von den abgelehnten und nicht zurückgeführten Asylbewerbern will ich hier gar nicht reden -, nicht auch unsere eigene Leistungsfähigkeit realistisch einschätzen und daraus angemessene Konsequenzen ziehen. Alles andere wäre verantwortungslos und keine Grundlage für eine auch in Zukunft erfolgreiche Entwicklungspolitik.
Ich danke zum Abschluß Herrn Minister Spranger und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, daß auch in schwierigen Haushaltsjahren stets eine erfolgreiche Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt geleistet werden konnte. Ich bin sicher, daß das auch in Zukunft so bleiben wird.
Die Koalitionsfraktionen stimmen dem Einzelplan 23 zu.
({4})
Es spricht jetzt die Kollegin Antje Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte Herrn Minister Spranger danken, und zwar dafür, daß er im Kabinett ein hohes Maß an Duldungsfähigkeit bewiesen hat. Trotzdem aber konnte er nicht mehr herausholen.
Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, Sie hätten versucht, mit Unterstützung der Opposition im Kabinett mehr Widerstand zu leisten. Ich denke, das hätte der Entwicklungshilfe gut getan, die ich in Zukunft nur noch „wirtschaftliche Zusammenarbeit" nennen möchte, da ich glaube, daß das angemessener ist.
Für mich tut sich, was den Einzelplan 23 betrifft, als nüchterne Einschätzung nach der Kenntnisnahme von Zahlen - und Zahlen ernüchtern ungemein - folgendes, wirklich freudloses und verheerenAntje Hermenau
des Fazit auf: Es gibt kein Managementkonzept für den Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach dem Ende des Kalten Krieges.
({0})
Es gibt keine Konzeption zur Europa- und Entwicklungspolitik. Das BMZ und sogar der Minister werden nach und nach durch Tatsachen und Zahlen demontiert. Und es gibt ein ziemliches Tohuwabohu in dieser Koalition, sieht man sich nur einmal Fragen des Exports und der Arbeitsplätze sowie andere grundsätzliche Fragen der Wirtschaft an. Ich denke, daß hier die Globalisierungspanik grüßen läßt.
Ich erinnere mich noch an die Zeit, als wir versucht haben, auf unser magisches Ziel, die 8 Milliarden DM nicht zu unterschreiten, hinzuarbeiten, und die Lage immer verzweifelter wurde. Jetzt reden wir nur von der Hälfte dessen, was wir - das heißt Regierungskoalition bzw. Bundesregierung - eigentlich erreichen wollten, nämlich 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes. Davon sind wir weit entfernt. Wir entfernen uns immer weiter von unserem Ziel; die Schere wird immer größer.
Es ist eigentlich selten, daß sich hier eine Haushälterin so klar und deutlich, fast wie ein Mitglied des AWZ, artikuliert. Aber was diesem Einzelplan angetan worden ist, ist einfach nicht mehr zumutbar. Wir haben hier ein Ministerium, das auf hohem Niveau dahinsiecht und handlungsunfähig ist. Seine Aufgaben werden ad absurdum geführt, und der Minister sieht - leider! - ziemlich blaß aus, weil er Verpflichtungen für das nächste Jahr nicht mehr einhalten kann.
({1})
Ich gehe einmal auf einige Prinzipien dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein, um auch den Leuten, die sich nicht täglich damit beschäftigen, klarzumachen, worum es geht.
Die Chinesen zum Beispiel haben für den U-Bahn-Bau in Shanghai prima Finanzierungsbedingungen bekommen: Sie zahlen 0,75 Prozent Zinsen, haben für die Rückzahlung 40 Jahre Zeit und müssen erst in 15 Jahren mit der Tilgung beginnen. Eine solche Kreditvergabe ist, glaube ich, für ein Land wie China nicht mehr angemessen.
Witzig dabei finde ich, daß man hier ein kommunistisches System unterstützt. Die U-Bahn kann auf Grund der niedrigen Fahrpreise - dies ist eine sozialistische Maßnahme, die in China durchgehalten wird - nicht gewinnbringend sein. Die Chinesen werden also wirtschaftlich unterstützt. Warum kann dann nicht auch mit Kuba eine wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen werden? So weit liegen diese beiden Systeme nicht auseinander. Jetzt fährt sogar der Papst nach Kuba.
Mit sehr geringen Mitteln hätte man in Kuba viel zur Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen können. In China werden sehr viele Mittel eingesetzt, und dort erreichen wir nur ganz kleine Schritte hinsichtlich der Verbesserung der Menschenrechtslage. Ich finde schon, daß man darauf eingehen muß.
Das Ergebnis ist: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert so, daß der Steuerzahler den Erhalt seines eigenen Arbeitsplatzes in Deutschland finanziert, weil die Produkte dorthin geliefert werden. Die Chinesen hingegen denken finanzpolitisch mittelfristig: Sie bauen die U-Bahn in Teheran - sie haben das Projekt an Land gezogen - und sparen in Shanghai unheimlich viel Geld, weil die Deutschen so tolle Kreditbedingungen gewährt haben.
Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Es hat meines Erachtens etwas damit zu tun, daß die Politik des weiteren Ministers, der im Kabinett ebenfalls nicht ernst genommen wird, des Kollegen Rexrodt,
({2})
nicht mit dem zusammenpaßt, was entwicklungspolitisch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit notwendig wäre. Sie können Ihre Politik nicht mehr koordinieren; Sie schweben zwischen verschiedenen Grundprinzipien. Diese Konzeptionslosigkeit erkennen wir immer daran, daß die Streichungsanträge nicht mehr nachvollziehbar sind. Sie müssen einmal Ordnung in Ihre konservative Politik bringen, damit sie berechenbar wird. Es kann doch nicht sein, daß Sie der Opposition Chaos vorwerfen, obwohl Sie selber welches verursachen.
Ich finde, wir hätten uns diese Einigelung sparen sollen, die stattgefunden hat, indem das Transform-Programm, ein Programm, das der Erweiterung des europäischen Kulturkreises und seiner Selbstdefinition dienen sollte, gekürzt wurde. Wir hätten eigentlich auch nicht im Bereich der Entwicklungshilfe kürzen dürfen. Statt dessen aber wird in beiden Bereichen gekürzt: Sie fahren die Mittel für die Einigung Europas und die Mittel für das Engagement in der Welt zurück.
Sie denken, daß die Einigelung des westeuropäischen Kulturkreises Sie davor retten wird, daß die Europäer nach fünf Jahrhunderten der Kolonisation in der Pflicht sind, sich friedlich in den Weltprozeß einzuordnen. Dem entziehen Sie sich, und das nennen Sie auch noch Politik. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie allein mit Ihrem christlichen Gewissen arbeiten können und glauben können, daß das eine Handlungsmotivation ist, die Sie für diesen Bereich verantwortlich machen können.
({3})
Da empfiehlt der Bundeskanzler bei einem Konflikt in Afrika: Das sollten die Franzosen regeln; die hätten da noch alte Rechnungen offen. Mein Gott, die Afrikaner sind gerade dabei, die Grenzen, die durch die Kolonisation entstanden sind, neu zu ziehen. Das verläuft so unblutig oder so blutig, wie die anderen Kulturkreise sich in diese Angelegenheit einmischen werden. Ich finde, die Europäer sind hier in der Pflicht, und zwar alle. Die Deutschen hätten sich hier auf Grund ihrer Geschichte, in der es wenig Kolonisation gab, eigentlich sogar besser engagieren können.
({4})
Ich bin darüber sehr enttäuscht.
Ich komme noch zu einem anderen Punkt. Die Kritik, die ich hier angebracht habe, klingt wenig nach Haushälterkritik. Sie ist aber leicht nachvollziehbar; denn in dem Papier, das wir so lange - ein Vierteljahr lang - und mühsam erarbeitet haben, ist verklausuliert die Zahlungsunfähigkeit und auch die Zahlungsunwilligkeit in diesen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch die Bundesregierung dokumentiert. Sie können Verträge nicht mehr fristgerecht bedienen. Fragen Sie die Wirtschaftsvertreter in der Welt doch mal, was sie davon halten, wenn das Signal kommt: Die Deutschen sind nicht in der Lage, ihre Zahlungen für Projekte, die abgeschlossen sind, zuverlässig zu leisten.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, wie Sie alle hier auftreten und so tun können, als sei das eine ganz normale Sparmaßnahme in einem ganz normalen Einzelplan. Sie haben kulturell und weltpolitisch einfach versagt.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kohn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, auch in einer so schnellebigen und geschäftsmäßigen Zeit, in der wir heute leben, ist es angemessen, in einer entwicklungspolitischen Debatte, wie sie heute stattfindet, daran zu erinnern, daß sich unser verstorbener Vizepräsident Hans Klein in der Vergangenheit in ganz besonderer Weise für die Entwicklungspolitik engagiert und auch dort bleibende Zeichen gesetzt hat. Wir denken gern an seine Arbeit zurück.
({0})
Ich möchte mit einem dreifachen Dank beginnen und erstens dem Bundesminister Spranger für die faire und konstruktive Zusammenarbeit auch im zurückliegenden Jahr danken. Ich möchte zweitens dem Vorsitzenden unseres Ausschusses, Herrn Kollegen Dr. Lischewski, für die sachliche und objektive Art und Weise danken, in der er unsere Arbeit leitet.
({1})
Ich möchte drittens meinem Fraktionskollegen Jürgen Koppelin für das freundschaftliche Zusammenwirken in dieser wirklich schwierigen Frage und Zeit ein herzliches Dankeschön sagen.
({2})
- Sie wissen genau, daß der Haushaltsausschuß gegenwärtig berät.
({3})
- Herr Kollege, Sie wissen genau, was gegenwärtig verhandelt wird.
({4})
- Für einen Haushälter sind Sie aber sehr schlecht informiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der knappen Kassen fragen uns die Bürger immer eindringlicher: Warum gebt ihr 7,7 Milliarden DM für Entwicklungspolitik aus?
({5})
Es gibt dafür erstens eine moralische Begründung. Man muß sie nicht darstellen; man muß nur die Zeitungen lesen: Kontinente, die in Unordnung geraten, Menschen auf der Flucht, Armut, Menschen, die keine Lebenschancen haben - allein dies wäre Rechtfertigung für Entwicklungspolitik.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund. Entwicklungspolitik liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wir in Deutschland und Europa können nicht auf Dauer in Freiheit und Wohlstand leben, wenn in anderen Teilen der Welt eine soziale und ökologische Zeitbombe tickt.
Wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen, weil die sozialen Systeme in ihren Ländern zusammenbrechen, hat dies Konsequenzen für uns. Wenn Menschen im nackten Kampf ums Überleben Tropenwälder abholzen, hat das Konsequenzen für das Klima auf der Erde. Wenn Hunderttausende durch Kriege oder Bürgerkriege aus ihrem Land vertrieben werden, haben diese Wanderungsbewegungen Konsequenzen bei uns. Vor diesem Hintergrund halten wir fest daran: Entwicklungspolitik ist ein wichtiges Ziel unserer Arbeit.
({6})
Welches sind die Ziele liberaler Entwicklungspolitik? Dort, wo Menschen ums nackte Überleben kämpfen, leisten wir Nothilfe und direkte Armutsbekämpfung. Das wird auch in Zukunft so sein. Mittelfristig müssen wir aber immer stärker umsteuern in Richtung Hilfe zur Selbsthilfe. Entwicklungsländer sollen nämlich nicht ewig am Tropf der Industrieländer hängen. Wir wollen helfen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, und wir wollen dadurch zugleich die Entwicklungsländer in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen. Vornehmstes Ziel der Entwicklungspolitik muß es nämlich sein, sich langfristig überflüssig zu machen.
Wie wollen wir dies erreichen? Wir setzen auf marktwirtschaftliche Instrumente. Das heißt: Länderstrategien statt Einzelprojektitis, Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen, Rechtssicherheit, Ausbau des Dienstleistungs- und Finanzsektors, Kleinkreditprogramme, privatwirtschaftliche Infrastrukturprojekte, Ausbildung zum Unternehmer und - besonders wichtig - Frauenförderung, weil alle Erfahrung, die wir gemacht haben, lehrt, daß Programme mit Frauen sehr viel wirksamer sind, als das mit Männern der Fall ist. Das müssen wir unseren GeRoland Kohn
schlechtsgenossen selbstkritisch ins Stammbuch schreiben.
Mitentscheidend aber für die Zukunft der Entwicklungsländer ist ihre uneingeschränkte Teilnahme am freien Welthandel. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, ihre Produkte auf unseren Märkten abzusetzen. Dies gilt auch und gerade für die Europäische Union.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, welch wichtige Rolle privates Kapital spielt. Allein aus Deutschland waren dies im letzten Jahr, wenn ich recht orientiert bin, über 20 Milliarden DM.
Welche Rolle, meine Damen und Herren, spielen die Menschenrechte bei dieser Frage?
({7})
Liberale Entwicklungspolitik steht für die Unteilbarkeit von Menschenrechten. Eine kulturelle Relativierung von Menschenrechten gibt es mit uns jedenfalls nicht.
({8})
Wir setzen uns für mehr Demokratie in den Entwicklungsländern ein, aber das bedeutet nicht einfach die simple Übertragung westlicher Modelle, sondern das heißt schrittweise Erreichung und Durchsetzung der Teilnahme von Menschen am politischen Prozeß unter Berücksichtigung örtlicher Traditionen.
({9})
Vor diesem Hintergrund müssen wir feststellen, daß sich die Menschenrechtslage in Nigeria, um ein Beispiel zu nennen, nicht verbessert hat. Ich fordere deshalb die Bundesregierung dazu auf, am strikten Kurs der Sanktionen gegenüber einem verbrecherischen Militärregime festzuhalten.
({10})
Wie kann man Korruption und Verschwendung in der Entwicklungspolitik verhindern? Wir haben erste Schritte im nationalen Bereich in unserer Verantwortung getan, aber das Problem kann nur international gelöst werden. Deswegen müssen wir gemeinsam mit der Bundesregierung dafür sorgen, daß es europäische und internationale Regelungen gibt, um diesem Krebsgeschwür Korruption wirksam entgegenzutreten.
Wir fordern die strikte Bindung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit an den Gesichtspunkt der guten Regierungsführung. Die Eliten in den Partnerländern sind in erster Linie für die Entwicklung in ihren Ländern verantwortlich. Wenn manche Potentaten glauben, sie könnten Millionen auf Schweizer Bankkonten bunkern, während die Bevölkerung ihrer Länder hungert, dann muß dies Konsequenzen für die Art unserer Zusammenarbeit haben.
Aber auch bei uns selbst, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir noch effizienter mit den Steuergeldern umgehen. Deswegen fordern wir weniger Einzelprojekte, weniger bürokratischen Aufwand, eine vernünftige Aufgabenteilung zwischen nationalen, europäischen und internationalen Organisationen. Wir brauchen auch mehr Wettbewerb um die Durchführung von Projekten zwischen allen Projektträgern staatlicher, halbstaatlicher und privater Natur. Deswegen bin ich für ein konsequentes, wettbewerblich organisiertes Ausschreibungsverfahren. Nichtregierungsorganisationen und politische Stiftungen - darauf hat Graf Lambsdorff hingewiesen - werden in Zukunft deshalb eine immer wichtigere Rolle spielen.
Schließlich: Wieviel Entwicklungspolitik wollen wir uns leisten? Wir stellen im nächsten Jahr über den Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung rund 7,7 Milliarden DM zur Verfügung. Dies ist weniger als in den vergangenen Jahren. Aber wir Liberalen lehnen eine Beurteilung der Entwicklungspolitik ausschließlich nach quantitativen Maßstäben ab. Es kommt vielmehr auf die Qualität der Politik an, und die stimmt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({11})
Auch in finanziell schwierigen Zeiten engagieren sich die Liberalen aus Überzeugung für die Entwicklungspolitik, denn wir müssen verantwortungsbewußt die Zukunft der einen Welt gestalten, in der wir leben. Deshalb bleibt für uns das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das wahre Zukunftsministerium.
({12})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der Regierung in Gestalt von Herrn Bundesminister Spranger noch eine Antwort schuldig. Im September fragte er mich: Was legitimiert Sie, die Regierung in Sachen Entwicklungspolitik in dieser Art und Weise zu kritisieren?
Meine Antwort zielt auf den Gegenstand der heutigen Debatte,
({0})
den Einzelplan 23, und die Art und Weise, wie die Regierung mit Menschen und Informationen umspringt. Ich bin dabei durchaus in der Lage, zwischen Person und Sache zu unterscheiden, aber ich bin nicht dazu in der Lage, zwischen einem Bundesminister und der Regierung zu unterscheiden.
Die Regierung schafft eine Tabuzone - das ist meine erste Antwort auf diese ernste Frage, die mir gestellt worden ist -, in der mit Halbwahrheiten hantiert wird. Weder die Abgeordneten noch die Bevölkerung bekommen ordentliche Informationen über Konflikte und deren Hintergründe in den Entwicklungsländern.
Sie erzählten mir etwas von den gewaltigen Ausgaben für deutsche Entwicklungsprojekte in aller Welt. Wo aber bleibt die Einnahmenseite? Dabei geht es nicht nur um den Staatshaushalt. Die deutsche Wirtschaft hat Einnahmen aus der Produktion und dem Handel in Entwicklungsländern, die sich unserer Kenntnis entziehen. Falls die Trennung von Staat und Wirtschaft Ihre und unsere Unkenntnis verursacht, dann ist etwas faul am System, dann wird wirtschaftliche Freiheit zur Willkür.
Aber auch der Staatshaushalt, der uns in Gestalt des Einzelplans 23 vorliegt, wirft in den Titeln 686 11 und 866 05 durchaus viele Fragen auf. Wenn die deutsche Privatwirtschaft Subventionen aus Entwicklungshilfegeldern bekommt: Warum legt sie nicht Rechenschaft über ihre Gewinne ab? Beispiel: Im Blick auf Uganda, Ruanda, Burundi und Ostzaire ist von Hilfe der sogenannten Weltgemeinschaft die Rede. Warum wird nicht offengelegt, welche Interessen Deutschland, Frankreich, Belgien und die USA in dieser Region haben? Welche Bodenschätze spielen eine Rolle? Welche Menschen stehen im Wege? Etwa die Hutu-Bevölkerung, deren Eliten schon von den deutschen Kolonialherren umgebracht wurden, weil die Tutsis die besseren Führer waren?
({1})
Die christlichen Kirchen bringen mit ihrer Bildungsarbeit für alle diese Rechnung durcheinander. Es ist doch eigentümlich, daß in einer pluralistischen Gesellschaft nur noch eine Meinung veröffentlicht und lanciert wird: Die Tutsis werden es schon richten, und wir werden den Profit haben.
({2})
Was soll ein Ostdeutscher davon halten? Wenn mit Ostafrika das gleiche geschieht wie mit Ostdeutschland,
({3})
dann tobt hier ein Kampf um Land, Bodenschätze und Immobilien. Die Hilfe für Menschen ist nur eine Nebenbedingung.
({4})
Ein weiteres Beispiel sind die Frauen und Mütter in den Entwicklungsländern. Sie sind zwar die letzte Stütze in Not und Bürgerkrieg. Aber werden sie als ernsthafte Verhandlungspartner in Konflikten angesehen? Sie sind Verhandlungsmasse. Beides, die mangelhafte Transparenz und die Vernachlässigung
der Frauen, zeigt sich auch in den Zahlen des Einzelplanes 23.
({5})
Die Mittel für die UN-Frauenorganisation sind auf 1,6 Millionen DM eingefroren. Generell soll der Haushalt des Entwicklungshilfeministeriums noch einmal um 97 Millionen DM gekürzt werden. Dazu gehört die Kürzung der Mittel für die multilaterale Finanzierung, in der noch wirkliche Hilfe möglich wäre. Das gleiche gilt für die technische Hilfe der UNIDO. Hier verweigert die Bundesregierung ihre Beiträge.
({6})
Aber deutsche Firmen werden auf bilateralem Wege unterstützt. Die PDS lehnt dies ab und bleibt bei ihrer radikalen Kritik der Entwicklungspolitik der Bundesregierung.
({7})
Diese Politik dient eher den Interessen der deutschen Privatwirtschaft.
Was bei dieser Art Wirtschaftspolitik für die Menschen herauskommt, habe ich jeden Tag in Mecklenburg-Vorpommern vor mir. Wenn ich das Schicksal von Frauen und Mädchen in meinem Wahlkreis auf das übertrage, was heute in den Entwicklungsländern mit Frauen geschieht, und wenn ich sehe, welche Lasten ihnen auferlegt werden, dann weiß ich, wo die Ursachen für Armut und Arbeitslosigkeit zu suchen sind - bei denen, die schreien: Haltet den Dieb!
Aus der Globalisierungsdebatte können wir wahrhaftig eine Menge lernen: die Gleichförmigkeit der wirtschaftlichen Interessen, die Armut erzeugen, und die Gleichförmigkeit der Schutzbehauptungen, mit denen von dieser Ursache abgelenkt wird. Die Bundesregierung und wir alle sollten das Zusammentreffen von Fidel Castro und Papst Johannes Paul II. als ein Signal verstehen, daß es jenseits der heute gängigen Vorstellungen von Entwicklung Wege gibt, die beschritten werden können.
Herr Kollege, Ihre angemeldete Redezeit ist abgelaufen.
Ich schließe und sage: Der zweite Grund meiner radikalen Kritik ist das große C in Ihren Parteinamen. Das hat schon Männer wie Gustav Heinemann, Martin Niemöller und Karl Barth zu dem Rat veranlaßt, es zu streichen.
Herr Kollege, bitte. Sie müssen jetzt aufhören.
Denn dieses Kriterium wird in der politischen und sozialökonomischen Praxis, die Sie zeigen, nicht angewandt.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Adelheid Tröscher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute abschließend über den Einzelplan 23 beraten, dann heißt dies, wir haben es mit drastischen Kürzungen im Bereich des Entwicklungsetats zu tun, die einmal mehr verdeutlichen, daß diese Bundesregierung nicht davor zurückschreckt, die immensen Haushaltslöcher national wie international zu Lasten der Schwachen zu stopfen.
({0})
Der Etat ist Ausdruck eines entwicklungspolitischen Rückschritts, ja eines Desasters und fördert die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Der Entwicklungsetat mit seinen nun noch 7,61 Milliarden DM entspricht heute wieder dem Ansatz von 1991. Dabei ist besonders bedauerlich, daß die Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit höher liegen als der generelle Rückgang der Bundesausgaben. Die wiederholten Ankündigungen von Minister Spranger, zum Beispiel die Nicht-Regierungsorganisationen auf Grund ihrer gestiegenen Bedeutung für die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit verstärkt zu fördern, erweisen sich somit als reine Makulatur. Dieser Etat kommt einer schallenden Ohrfeige für den Minister gleich. Nichts war zu hören von Meinungsverschiedenheiten im Kabinett oder gar von Ressortstreitigkeiten wie im Fall des Kollegen Rühe. Dabei hätten Sie, Herr Minister Spranger, eine gute Gelegenheit gehabt, sich als Anwalt der Nicht-Regierungsorganisationen zu profilieren. Genau diese Organisationen waren es nämlich, die Ihnen vor zwei Jahren öffentlich den Rücken gestärkt, sich auf Ihre Seite geschlagen und gemeinsam mit Ihnen für eine Aufstockung des Entwicklungsetats protestiert haben. Auf diese breite Unterstützung können Sie nun nicht mehr setzen. Hier hätte es von Ihrer Seite eines eindeutigen Signals bedurft.
Damit wird auch zukünftig ein Mangel an notwendigen Maßnahmen im Bereich der Förderung der Zivilgesellschaft - Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekte zum Beispiel - in den Entwicklungsländern sowie der entwicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik herrschen, von einer Offensive in dieser Richtung ganz zu schweigen.
Die Widersprüche in Ihrem Etat, Herr Minister, erlauben zudem Rückschlüsse auf die Bedeutung gezielter Lobbyarbeit. Wie ist es ansonsten zu erklären, daß einerseits im Bereich der Kleinstprojekte gekürzt, andererseits aber entwicklungspolitisch fragwürdige Großprojekte wie der Bau des zweiten Abschnitts der U-Bahn in Schanghai mit 780 Millionen DM gefördert werden? Hier wurden sinnvolle und notwendige Entwicklungsprojekte deutschen Exportinteressen geopfert.
Dies zeigt sich auch bei der Gewährung von Hermes-Bürgschafen für das umstrittene Drei-Schluchten-Staudammprojekt in China. Noch bevor das Par- I lament darüber beraten hat, gewährt die Bundesregierung Hermes-Bürgschaften für dieses ökologisch, ökonomisch und sozial zutiefst riskante Großprojekt. Hier gehen Sie von eigenen Grundsätzen ab, nämlich der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, der Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems, der Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns. Das sind Ihre eigenen Worte.
Einverstanden mit diesen Grundsätzen, aber für den Bau des Drei-Schluchten-Staudamms werden über eine Million Menschen umgesiedelt. 140 Städte und 1 600 Fabriken werden überflutet. Fruchtbares Flußland des Jangtse verschwindet usw., usf. Die einmalige Naturformation der Drei Schluchten wird zerstört. Historische Zeugnisse verschwinden unwiederbringlich. Von Alternativen zu dieser Gigantomanie ist nichts zu hören.
({1})
- Ich weiß wohl, daß das nicht in unserem Etat steht, aber das hat natürlich auch etwas mit Entwicklungshilfe zu tun. Wir wissen, daß Entwicklungshilfe auch aus anderen Etats bezahlt wird.
Darüber hinaus isoliert sich die Bundesregierung auch noch international. Amerikaner, Japaner und auch die Weltbank verweigern Kredite. Nur die Bundesregierung unterstützt als einzige Regierung mit diesem Projekt ein Regime, das ständig die Menscheurechte verletzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Industrieländer müssen ihrer besonderen Verantwortung für die Schaffung entwicklungsfördernder weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und den Aufbau einer leistungsfähigen, gerechten und solidarischen internationalen Wirtschaftsordnung nachkommen. Es liegt in unserem eigenen Interesse, daß wir globaler Wirtschaftsfairneß und weitreichenden Kooperationsformen in der Weltwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Deutschland und Europa werden ihre Anstrengungen im Sinne von mehr Nachhaltigkeit verstärken müssen.
Entwicklungspolitische Maßnahmen auf deutscher und europäischer Ebene dürfen nicht länger von Ressortinteressen der Agrar-, Außen-, Handels-, Umwelt- oder Rüstungsexportpolitik behindert werden. Entwicklungspolitik im umfassenden Verständnis muß also künftig und endlich als Querschnittsaufgabe, die alle Politikfelder berührt, kohärent betrieben werden. Ich denke, mit dieser Auffassung bin ich noch nicht einmal so weit von Herrn Kohl entfernt.
Dazu ist die Erhöhung des Stellenwerts der Entwicklungspolitik in Gesellschaft, Parlament und Regierung vonnöten. Eine Renationalisierung bzw. Bilateralisierung der Entwicklungszusammenarbeit muß verhindert werden. Mehr Effizienz in internationalen Organisationen ist auch durch eine größere KooperaAdelheid Tröscher
tion mit den NROs und durch eine bessere parlamentarische Kontrolle und Begleitung zu erreichen.
({2})
- Wir dürfen den Glauben nicht verlieren, Herr Schuster.
Die Entwicklungsländer müssen damit fortfahren, geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung zu schaffen und Entwicklungshemmnisse abzubauen, und die Bereitschaft zeigen, vor allem auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit Deutschlands und der Europäischen Union, das heißt Volumen, Intensität, die Formen und Partner der Entwicklungszusammenarbeit, sollte sich stärker und konsistenter als bisher an Prüfsteinen bzw. Kriterien wie Reformfähigkeit - „good governance" auch genannt - und Achtung der Menschenrechte orientieren.
Vor diesem Hintergrund gewinnt auch Entwicklungspolitik im engeren Sinne eine völlig neue Bedeutung, nämlich als Beitrag zu globaler Zukunftssicherung und Krisenprävention.
({3})
Wir müssen in diesem Prozeß die Armuts-, Bevölkerungs-, Öko- und Verschuldungskrisen entschärfen helfen, umweltfreundliche Energiequellen fördern und mit den Entwicklungsländern bei der Umsetzung der 1992 in Rio angenommenen Agenda 21 partnerschaftlich zusammenarbeiten.
Wir müssen dauerhafte Entwicklungserfolge anstreben und deshalb auch verstärkt auf Nicht-Regierungsorganisationen bzw. nichtstaatliche Selbsthilfegruppen und -organisationen setzen. Insbesondere müssen wir natürlich die Frauen bei der Stärkung ihres Einflusses und ihrer Machtbefugnisse - „empowerment" genannt - unterstützen.
({4})
Wir dürfen nicht immer nur sagen, daß sie der Schlüssel zur Entwicklungspolitik sind. Sie sind es wirklich. Deshalb muß dies auch in den Entwicklungsprojekten entsprechend zum Ausdruck kommen.
Ich denke hier besonders an Kleinstkreditprogramme à la Grameenbank, die Frauen in die Lage versetzen, ein menschenwürdiges Leben für sich und ihre Familien aufzubauen. Die Gründung und Förderung von Genossenschaftsbanken und Volksbanken wären eine sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit, finanzielle Zusammenarbeit und technische Zusammenarbeit.
Wir müssen in Entwicklungsländern mit entwicklungsförderlichen Rahmenbedingungen die „verinselten" Projekte zugunsten der Erhöhung projektgebundener Maßnahmem für die Unterstützung politischer und sozioökonomischer Reformen reduzieren. Hier möchte ich ein Land erwähnen, das Hoffnung für einen ganzen Kontinent gibt: Südafrika. Wenn die Bundesregierung die hier gegebenen Versprechen nicht einlöst, die Europäische Union nicht nachhaltig Hilfe leistet, kann dieses großartige Experiment der Demokratisierung nicht gelingen. Denn was nützt es, wenn wir durch verstärkte Entwicklungshilfe die schwierige Situation versuchen zu stabilisieren und andererseits das wesentlich effektivere Mittel der besseren wirtschaftlichen Kooperation mit Südafrika nicht nutzen, um die Gesamtsituation - gerade für die schwarzen Bevölkerungsschichten - zu verbessern. Entwicklungshilfe darf nicht fehlgeleitete Politik in anderen Bereichen bemänteln oder gar gutheißen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Abwärtstrend des Volumens der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stoppen und die Mittel im Sinne einer Investition in die Zukunft und Überlebensfähigkeit von Gesellschaften und als Beitrag der Zivilisierung der einen Welt erhöhen. Hierzu ist es ebenfalls unabdingbar, die Entwicklungspolitik in Deutschland auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion hierzu liegt Ihnen vor.
({5})
Reformen tun not. Nur wenn wir unsere Politik heute grundlegend hinterfragen, sind wir in der Lage, die Probleme der Zukunft zu bewältigen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Carl-Dieter Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 23 für das Haushaltsjahr 1997 hat - wie die anderen Einzelpläne auch - drastische Einschnitte hinnehmen müssen. Die gesamten Haushaltsverhandlungen waren von den Erfordernissen der Haushaltskonsolidierung geprägt. Dies hat auch unsere fachpolitischen Belange in den Hintergrund gedrängt. Wenn man die Mittelkürzungen beklagt, wie das Herr Dr. Schnell, Frau Hermenau und Frau Tröscher getan haben, dann muß man auch nach den Ursachen fragen. Eine der entscheidenden Ursachen ist natürlich die Blockadehaltung der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat.
({0})
Ein Einsparvolumen von 5 Milliarden DM liegt blokkiert im Vermittlungsausschuß. 7,2 Milliarden DM kostet dieses Jahr die uns aufgezwungene Erhöhung des Kindergeldes, für 1997 macht dies weitere
3,8 Milliarden DM aus. Für dieses Geld hätte man im Einzelplan 23 viel zusätzlich investieren können.
({1})
- Da müssen Sie dann schon irgendwann die Wahl treffen, Frau Hermenau, zwischen kurzfristigen egoistischen Zielen und einer Politik der globalen Zukunftssicherung, wie es Frau Tröscher zu Recht beschworen hat, und der Unterstützung der Menschen in den Entwicklungsländern.
({2})
Ich kann angesichts der Haltung im Bundesrat nur feststellen, daß sich die dortige Mehrheit gegen eine Entwicklungspolitik als Politik der globalen Zukunftssicherung entschieden hat.
Im übrigen danke ich dem Kollegen Kohn für die richtige Beschreibung unserer Arbeit als Zukunftssicherung und des Ministeriums als Ministerium der Zukunft.
({3})
Unter den erschwerten Rahmenbedingungen für den Haushalt 1997 war es um so wichtiger, Planungssicherheit für uns selbst und für unsere bilateralen und internationalen Partner zu schaffen. Wir haben deshalb die zusätzlichen Kürzungen nicht pauschal, sondern gezielt und vor allem im multilateralen Bereich umgesetzt, so, wie seit Jahren die Forderungen des Parlaments gelautet haben. Dies kommt nicht zuletzt der Unterstützung der Arbeit von Kirchen, politischen Stiftungen und privaten Trägern sowie der technischen Zusammenarbeit zugute, die mit nur 2,5 Prozent unterdurchschnittlich gekürzt wurde. Nicht nur Graf Lambsdorff hat diese Gemeinschaftsleistung zu Recht gewürdigt, Frau Tröscher, sondern auch die Kirchen und die Nicht-Regierungsorganisationen haben dies ausdrücklich anerkannt.
So gravierend die Einschnitte wirken, so schmerzlich sie sind, es gilt aber auch eines: Die Leistungsfähigkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hängt von der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und von einer soliden Finanzlage ab.
({4})
Nur wenn die Wirtschaft wächst, das Steueraufkommen steigt und unser Wohlstand erhalten bleibt, werden ausreichende Spielräume für den Einsatz öffentlicher Mittel im Ausland vorhanden sein.
({5})
Im Haushalt 1997 war unser Beitrag zur Sicherung der deutschen Leistungsfähigkeit mit unseren globalen Aufgaben der Zukunftssicherung in Einklang zu bringen. Wie schwierig dies war, haben die Diskussionen der letzten Wochen gezeigt. Aber wir haben bei allen Einsparmaßnahmen bewiesen - das müssen
wir auch zukünftig tun -, daß wir international ein verläßlicher Partner sind.
Ich möchte einige Aspekte des Entwicklungshaushalts 1997 näher beleuchten. Bei der bilateralen staatlichen Zusammenarbeit bleibt die finanzielle Zusammenarbeit ein Instrument von zentraler Bedeutung. Um das Sonderproblem der 1997 zu erwartenden hohen Abflüsse aus früheren Verpflichtungen auffangen zu können, haben wir erreicht, daß die Ausgaben bei der FZ um bis zu 250 Millionen DM verstärkt werden können. Diese Mittel werden durch eine beschleunigte Rückzahlung der MW auf früher gewährte FZ-Darlehen verfügbar. Deutschland steht somit trotz gravierender Haushaltsprobleme zu seinen Zusagen.
Herr Minister, der Kollege Schuster möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?
Ja, bitte sehr.
Herr Minister, Sie haben gerade wieder ausgeführt, daß Sie die FZ verstärken wollen. Vorhin haben der Kollege Schmude und Herr Kohn - eigentlich unter unserer Zustimmung - gesagt: Wir brauchen mehr Qualität als Quantität.
Ich bin nachdenklich geworden, als ich in dieser Woche zwei Artikel im „Handelsblatt" - sicherlich keine SPD-Postille - gefunden habe. Da schreibt das „Handelsblatt" aus Anlaß des Besuchs von Herrn Herzog in China, daß 4 Milliarden DM zu hinterfragen sind. Es heißt dann:
Bonn will sich nun von Projekten im Staatsindustriesektor verabschieden, da sie sich zum Faß ohne Boden entwickeln.
Meine erste Frage ist: Gilt das auch für die zugesagten Kanzlerprojekte? Heißt das auch Erhöhung der FZ-Mittel?
Der zweite Artikel ist überschrieben mit: „Exporteure machen sich für Sprangers Projekte stark". Wollen Sie in Zukunft das Image eines Industrieministers haben, oder wollen Sie nach wie vor, wie Sie es immer darlegen, Entwicklungszusammenarbeit organisieren?
({0})
- Wenn Sie dokumentiert bekommen, Herr Kohn, daß sie offensichtlich wasted money sind, und das auch noch im „Handelsblatt" steht, dann habe ich schon etwas dagegen.
Herr Dr. Schuster, ich habe nicht erklärt, daß ich die Mittel der FZ erhöhen will, sondern ich habe gesagt, daß
die FZ ein Instrument von zentraler Bedeutung ist und das auch bleibt.
Zweitens. Für den Artikel im „Handelsblatt" bin ich nicht verantwortlich.
Drittens haben wir immer zum Ausdruck gebracht, daß unser Ziel die Entwicklung besserer Perspektiven in den Entwicklungsländern ist. Wenn dabei als positiver Nebeneffekt Aufträge nach Deutschland gehen und damit Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden, dann ist das uns und dem Steuerzahler lieber, als wenn dieselben Aufträge mit deutschen Steuerzahlergeldern nach Frankreich, Amerika oder nach Italien gehen. Wenn Sie eine andere Meinung vertreten, gehen Sie hinaus zu den Leuten und versuchen Sie, denen das zu erklären.
({0})
Die finanzielle Zusammenarbeit hilft, wichtige strukturelle Veränderungen in unseren Partnerländern umzusetzen und Voraussetzungen zu schaffen, auf denen andere Entwicklungsvorhaben aufbauen. In die FZ sind auch Teile unseres Anfang des Jahres vorgestellten Zukunftsprogramms zum Klimaschutz integriert. Das ist auch von Ihnen begrüßt worden. Dieses Programm dient wichtigen globalen umwelt- und entwicklungspolitischen Zielen und ist zugleich von großem Interesse für die deutsche Wirtschaft, die in diesem Sektor besonders wettbewerbsfähig ist und die sich das auch im internationalen Wettbewerb bestätigen lassen muß. Ausschließlich für sich zu produzieren hat relativ wenig Sinn. Aus all diesen Gründen muß die FZ ihren hohen Stellenwert in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit behalten.
Ein Wort zur Osteuropahilfe: Insgesamt werden im Federführungsbereich des BMZ 1997 genauso viel Mittel für staatliche und nichtstaatliche technische Zusammenarbeit zur Verfügung stehen wie 1996. Ab dem kommenden Jahr wird die Arbeit der politischen Stiftungen, Kirchen und anderen nichtstaatlichen Trägern auch in den weiter fortgeschrittenen MOE/NUS-Staaten aus dem Koordinierungsbereich des Wirtschaftsministeriums herausgenommen und im Haushalt des BMZ gebündelt. Das entspricht den von vielen Fachleuten und auch aus dem Parlament erhobenen Rufen, die Osteuropahilfe stärker zu konzentrieren.
({1})
Die Ausgaben im multilateralen Bereich gehen um 200 Millionen DM oder 7,7 Prozent deutlich zurück. Wir werden uns noch stärker auf die zentralen und leistungsfähigsten multilateralen Institutionen konzentrieren.
Bei den Verhandlungen zu den konzessionären Fonds der Weltbankgruppe und der regionalen Entwicklungsbanken wie IDA, Afrikanischer und Asiatischer Entwicklungsfonds wurde erreicht, daß das bisherige Ausleihevolumen trotz zurückgehender Geberbeiträge im wesentlichen erhalten bleibt. Beim
Europäischen Entwicklungsfonds werden wir weiterhin auf eine effizientere Mittelverwendung drängen.
Andererseits - Herr Dr. Schnell, ich hätte das sowieso angesprochen - habe ich innerhalb der Bundesregierung eine Überprüfung unserer Mitgliedschaft in der UNIDO vorgeschlagen. Wir können nicht in unserem nationalen Verantwortungsbereich kürzen und verschlanken und das internationale Institutionensystem ungebremst wachsen lassen.
({2})
Wenn neue Institutionen wie die Sekretariate der Klimarahmenkonvention und der Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, die wichtige Zukunftsaufgaben erfüllen, gegründet werden, dann müssen auch alle bestehenden Bürokratien auf den Prüfstand.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitt?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, ich frage Sie, ob Ihnen bei Ihrer Entscheidung, aus der UNIDO auszutreten, bekannt war, daß diese Organisation gerade wegen der international laut gewordenen Kritik - zumindest wird das durch die verantwortliche Person bei den Vereinten Nationen, Herrn Paschke, bestätigt - im Laufe der vergangenen Jahre erhebliche Anstrengungen unternommen hat, Ihrer Forderung gerecht zu werden, ihre Effizienz zu steigern, Personal abzubauen und zu einer besseren Bewirtschaftung ihrer Mittel zu kommen? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß eine Totalsperrung der Mittel möglicherweise etwas über das Ziel hinaus schießt?
Ich hätte doch bis zum Schluß vortragen sollen; dann wäre die Frage möglicherweise überflüssig gewesen. Lesen Sie sich einmal die Satzung der UNIDO aus dem Jahr 1966 durch! Dann werden Sie wissen, was da alles überholt ist. Sie ist wirklich eine Struktur aus der entwicklungspolitischen Anfangszeit. Diese Art von Politik kann jedenfalls ich nicht vertreten.
Seit Jahren wird die Überprüfung der multilateralen EZ von allen hier im Parlament immer wieder gefordert. Man solle die Effizienz und die Sinnhaftigkeit der verschiedenen Institutionen überprüfen, insbesondere auch die der UN-Institutionen. Ich habe eine Fülle entsprechender Debatten erlebt. Trotz unabweisbar notwendiger Einsparungen ist man gleichzeitig stur: Es muß so bleiben, wie es seit 30 Jahren auf allen Ebenen gewesen ist - zusätzlich zu dem, was sich seit 30 Jahren entwickelt hat. Das
läßt sich - auf gut deutsch - auf Dauer nicht finanzieren.
({0})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schnell?
Nein, jetzt nicht mehr.
Ich darf die Hinweise zu der überkommenen Struktur noch ergänzen: Die Industrialisierung der Entwicklungsländer - in der Regel noch über staatliche und planwirtschaftliche Interventionen, wie damals vorgesehen - ist schon in den 60er Jahren gescheitert. Wenn die UNIDO heute zusätzlich andere Aufgaben wahrnimmt, dann tut sie dies in Konkurrenz zu anderen Institutionen, die sich zwischenzeitlich gebildet haben - die wir auch mitfinanzieren - und die besser gerüstet sind, weil sie von Anfang an einen anderen Auftrag hatten. Wir müssen uns fragen, ob wir diese Doppelarbeit weiterhin mit 17 Millionen DM jährlich mitfinanzieren wollen. Deshalb habe ich ein Signal für die Prioritäten in der Entwicklungspolitik gesetzt.
({0})
Zusammenfassend möchte ich festhalten, daß wir trotz des Sparhaushaltes 1997 wichtige entwicklungspolitische Akzente gesetzt haben. Unser Instrumentarium wurde effizienter gestaltet und besser an die aktuellen Herausforderungen angepaßt.
Die Mittelausstattung entscheidet nicht allein über Erfolg oder Mißerfolg. Es geht um Strukturveränderungen, die nur durch Eigenanstrengungen der Partner selbst und durch international abgestimmtes Vorgehen zu erreichen sind. Wir sind gezwungen, noch stärker Schwerpunkte zu setzen und den Mitteleinsatz dort zu konzentrieren, wo Verbesserungen wirklich Chancen haben.
Der Haushalt 1997 ist Anlaß, auch in der Entwicklungspolitik die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen. Mit einem verbesserten Instrumentarium werden wir unseren Einfluß nachhaltig gestalten können.
Ich möchte zum Schluß allen Kolleginnen und Kollegen, inbesondere den Mitgliedern des AwZ und des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenarbeit in einer sehr schwierigen Situation Dank sagen. Die Weichen dafür, daß wir bald wieder mit besseren Rahmenbedingungen rechnen können, sind gestellt. Wir werden an unserer gemeinsamen Aufgabe der Zukunftssicherung weiterhin beharrlich arbeiten. Dabei bitte ich um Ihre Unterstützung.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6245? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6246? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6262? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6263? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenergebnis abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe auf:
Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 13/6007, 13/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe
Oswald Metzger
Dr. Wolfgang Weng ({0})
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht - Drucksache 13/6025 Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Gunter Weißgerber das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - ist zahlenmäßig einer der kleinsten, die wir haben. Aber das soll uns nicht dazu verleiten, zu glauben, er sei unbedeutend. Ich denke, er gehört zu den bedeutenderen Einzelhaushalten. Werte wie Akzeptanz des Rechtsstaates sind hier unbedingt mit einzuordnen. So, wie wir mit dem
Haushalt und mit dem Justizbereich umgehen, so wird letztendlich auch dieser Rechtsstaat akzeptiert oder weniger akzeptiert.
Zu den Zahlen selbst. Für 1997 sind im Haushalt rund 706 Millionen DM an Ausgaben enthalten. Das entspricht einer Steigerung um 7,7 Millionen DM. Diese Steigerung ist aber nicht auf Verbesserungen irgendwelcher Art zurückzuführen, sondern hat vor allen Dingen mit der zögerlichen Umsetzung der EUReiserichtlinie durch die Bundesregierung zu tun. Dazu komme ich nachher noch.
Zu den Investitionen im Haushalt selbst. Der Anteil an Investitionen liegt bei rund 17 Prozent. Schwerpunkte im Investitionshaushalt des Einzelplanes sind der Bundesgerichtshof und die Außenstelle, der 5. Strafsenat in Leipzig, der Generalbundesanwalt in Karlsruhe und die Außenstelle in Leipzig, das Deutsche Patentamt und das Patentgericht in München und der Seegerichtshof in Hamburg.
Erfreulich ist für mich als Leipziger, daß erstmals der Beschluß der Föderalismuskommission bezüglich des Bundesverwaltungsgerichtes im Haushalt auftaucht. Für 1998 sind 10 Millionen DM Verpflichtungsermächtigung enthalten.
In diesem Zusammenhang bitte ich die Kollegen im Rechtsausschuß eindringlich, dafür zu werben, daß die beiden Wehrdienstsenate, die zur Zeit noch in München sind, letztendlich mit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zusammengeführt werden, wenn das Bundesverwaltungsgericht ab 2003 in Leipzig arbeiten wird. Da geht meine Bitte ganz eindeutig an die Mitglieder im Rechtsausschuß, im Bundestag darauf hinzuwirken.
({0})
Ein kurzes Fazit der Beratungen im Haushaltsausschuß bzw. der Berichterstattergespräche. Endlich gelang es uns, die Berichterstattergruppe komplett zu versammeln. Die letzten beiden Haushalte konnten nur Herr Kolbe und ich im Berichterstattergespräch bearbeiten. Man sieht also: Wenn man will, gelingt es auch, die ganze Gruppe zusammenzubringen.
({1})
Für das Klima und die Kollegialität in der Berichterstattergruppe sowie im Haushaltsausschuß danke ich allen Beteiligten. Mein Dank geht auch an den Bundesminister für sein Engagement, an seine Beamten und natürlich an unsere Mitarbeiter im Ausschußsekretariat.
Es gab auch Hoffnungszeichen, Stichwort Wehrstrafgerichtsbarkeit. Noch ist dieses Kapitel zwar im Haushalt enthalten. Aber der Kollege Weng hat erreicht, daß die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß nun angestrengt darüber nachdenken, ob dieses Kapitel nicht im nächsten Haushalt verschwindet. Langes Bohren hat also auch einmal Erfolg gebracht. Dazu mein Dank an Kollegen Weng.
Wir bleiben natürlich bei unserer Forderung, daß dieses Kapitel schon jetzt gestrichen werden müßte.
({2})
Für uns sind Soldaten Staatsbürger in Uniform; sie benötigen keine eigene Gerichtsbarkeit.
Ein weiterer Lichtschimmer: Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes und die Dienststelle des Generalbundesanwaltes werden zum 1. Juli nächsten Jahres ihre Arbeit in Leipzig aufnehmen. Dafür danke ich allen Beteiligten. Das ist eine wunderbare Sache. Die Ostdeutschen merken an der Stelle, daß sie doch im Staatenverbund beheimatet sind. Das war ja damals auch Sinn der Föderalismuskommission. Natürlich ist aus Leipziger Sicht das wesentlich wichtigere Gericht das Bundesverwaltungsgericht.
Zu Leipzig als Standort höchster Gerichte noch ein Problem - ich möchte Sie als Leipziger nicht langweilen, aber das Problem muß angesprochen werden; ich hoffe, es ist das letzte Mal, daß ich es ansprechen muß -: Es geht um die Bibliothek des Reichsgerichtes. Herr Minister, warum setzen Sie sich nicht einfach mit Vertretern der Stadt Leipzig zusammen, holen Rechtshistoriker und andere Fachleute dazu und ziehen eine konsensuale Linie, welcher Bestand der ehemaligen Reichsgerichtsbibliothek denn unbedingt nach Leipzig gehört und was für die Einrichtung einer ordentlichen Bibliothek in Karlsruhe notwendig ist. Ich bin überhaupt nicht gegen eine konsensuale Lösung. Natürlich kann Leipzig nicht gänzlich auf den Anspruch des historischen Buchbestandes verzichten. Immerhin wollte der Bundesgerichtshof ja überhaupt nicht nach Leipzig, weil er mit Leipzig angeblich nichts zu tun hat.
Zum Haushaltsauschuß selbst. Wir sollten uns schon überlegen, ob wir die Länge der Beratungen besser gestalten können. In einer Bereinigungssitzung über 20 Stunden sind die Ermüdungserscheinungen recht stark. Dabei kann es der Koalition und anderen gelingen, Anträge einzubringen, die der einzelne gar nicht mehr überblickt; sprich: Gemeinschaftsaufgabe, die ja diese Woche noch einmal Thema sein soll.
Neben den jetzt lobend erwähnten Dingen gibt es natürlich auch Schatten. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist hochgradig gefährdet. Zwar sind 150 000 DM gesperrt eingestellt. Die kommen aber letztendlich nur zur Auszahlung, wenn die Bundesländer ihrerseits bereit sind, ebenfalls 150 000 DM bereitzustellen. Es ist im Gegensatz zu der Darstellung meines verehrten Kollegen Kolbe nicht der Fall, daß nur das Saarland nicht mitspielt.
({3})
Die ersten, die abgelehnt haben, waren die Bayern. Leider sind auch SPD-regierte Bundesländer dabei.
Die Begründung „abgelehnt wegen der Haushaltslage" ist nicht zu akzeptieren, wenn wir uns überlegen, daß 150 000 DM als Gegenfinanzierung von 16 Bundesländern nötig sind. Den größten Posten hat NRW mit 37 000 DM; NRW ist aber bereit zu zahlen.
Auch Sachsen-Anhalt mit rund 2 000 DM ist bereit zu zahlen. So verteilen sich die Größenordnungen. Daß das Haushalte nicht leisten können, halte ich für einen schlechten Witz.
Insgesamt dient das natürlich nicht dieser Sache. Wir können an der Stelle nur noch einmal an die Bundesländer appellieren, sich einen Ruck zu geben. Das muß unbedingt finanziert werden. Es ist ja vor allen Dingen auch in deren Sinne. Es liegt nicht an den Fraktionen hier im Haus.
Vorhin habe ich die Steigerung im Haushalt angedeutet, die der zögerlichen Umsetzung der EU-Reiserichtlinie geschuldet wird. Es sind für nächstes Jahr Mehrausgaben von 16 Millionen DM einzuplanen gewesen; insgesamt macht es 20 Millionen aus. Das hätte verhindert werden können, wenn die Bundesregierung nicht säumig gewesen wäre.
({4})
Damit dies auch deutlich wird, nehme ich mir die Freiheit, einige Passagen aus dem Gerichtsurteil vorzulesen:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof auf die ihm vom Landgericht Bonn mit Beschlüssen vom 6. Juni 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Sind keine Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist getroffen worden, um das durch diese Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen, so stellt dieser Umstand als solcher einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar und begründet daher einen Entschädigungsanspruch für die Geschädigten, soweit das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an den einzelnen umfaßt, deren Inhalt bestimmbar ist, und ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden besteht. 2. Das durch Artikel 7 der Richtlinie 90/314/ EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen vorgeschriebene Ziel umfaßt die Verleihung eines Rechts an den Pauschalreisenden, mit dem die Erstattung der von diesem gezahlten Beträge und seine Rückreise im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters und/oder Vermittlers der Pauschalreise, der Vertragspartei ist, sichergestellt werden; der Inhalt dieses Rechts ist hinreichend bestimmt.
3. Nach Artikel 9 der Richtlinie 90/314 hätte der Mitgliedsstaat innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um für den einzelnen ab 1. Januar 1993 einen wirksamen Schutz gegen die Risiken der Zahlungsunfähigkeit und des Konkurses der Veranstalter und/oder Vermittler von Pauschalreisen, die Vertragspartei sind, zu gewährleisten.
Ein weiterer Kommentar ist hierzu nicht notwendig.
({5})
Es liegt noch ein Änderungsantrag des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Darin wird gefordert:
Im Kapitel 0704 - Bundesministerium - wird ein neuer Titel - Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts - mit einem Mittelansatz von 5 000 TDM eingestellt.
Dieses Anliegen ist selbstverständlich in Ordnung. Nur, es ist kompliziert, und es gibt im gesamten Haus zu viele unterschiedliche Interessen. Daher muß dieses Anliegen viel solider diskutiert werden. Wir werden uns sicherlich nicht gegen eine solche Stiftung stellen. Aber es bedarf der Diskussion des gesamten Hauses. Nicht nur das Bündnis 90/Die Grünen vertritt die Opferverbände.
Eine andere Frage, die aber kein abschließendes Urteil beinhalten soll, stellt sich mir noch: Ist eine Stiftung tatsächlich notwendig - dazu müßte vom Gesamtkuchen etwas abgeschnitten werden -, oder sollten wir die Opferverbände, die sich ja beispielsweise nicht einmal eigene Zeitungen leisten können, finanziell viel stärker unterstützen? Es gibt also viele Dinge, die noch zu diskutieren und zu regeln sind. Dieses Mal wird die SPD den Antrag ablehnen. Ich hoffe, Sie verstehen das.
({6})
- Das wäre in Ordnung.
Obwohl ich kein Jurist bin, möchte ich noch folgende Gedanken äußern. Vielleicht begebe ich mich damit auf vermintes Gelände; aber darüber muß diskutiert werden.
({7})
- Das sollte keine Unterstellung gewesen sein.
Wir werden mit bestimmten Diskussionen innerhalb der Bevölkerung konfrontiert. Der Problematik der ungleichen Behandlung der Straftaten gegen Personen im Verhältnis zu den Straftaten mit einem materiellen Hintergrund können wir nicht ausweichen. Für dieses Problem habe ich keine Patentlösung. Aber dafür gibt es ja die Fachjuristen hier im Haus. Wir müssen jedenfalls viel dafür tun, daß der Eindruck in der Bevölkerung verschwindet, das Mitleid mit materiell geschädigten Opfergruppen sei größer als unsere Anstrengungen, potentielle Gewaltopfer zu schützen. Diesen Eindruck müssen wir unbedingt ändern; dazu sind alle gefordert. Das Vertrauen in den Rechtsstaat hängt von dem Erfolg dieser Bemühungen ab.
Abschließend möchte ich feststellen: Ich bin gespannt, wie es gelingen wird, die 10 Millionen DM globale Minderausgabe im Haushalt zusammenzuwerkeln. Ich hoffe nicht, daß dadurch die Beschlüsse der Föderalismuskommission beeinträchtigt werden.
Insgesamt lehnt die SPD den Haushalt ab.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Kolbe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemessen am Gesamtvolumen des Bundeshaushalts mit 440 Milliarden DM sind der Einzelplan 07 des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Justiz mit einem Haushaltsvolumen von rund 0,7 Milliarden DM und der Einzelplan 19 des Bundesverfassungsgerichts mit einem Ausgabevolumen von 0,03 Milliarden DM relativ bescheidene Einzelhaushalte. In diesen Bereichen können wir also nicht die Milliardeneinsparungen erzielen, die wir zur Haushaltskonsolidierung brauchen.
Dennoch trägt auch der Justizhaushalt zur Haushaltskonsolidierung bei. Zwar steigen die Ausgaben des Einzelplans 07 1997 um 1,1 Prozent, während bekanntermaßen die Ausgaben im Gesamtbundeshaushalt um 2,5 Prozent zurückgehen. Diese Diskrepanz läßt sich jedoch leicht erklären: Gegenüber den Ansätzen der Finanzplanung bleiben wir in diesem Haushalt um 11,1 Prozent zurück. Außerdem beruht die Ausgabensteigerung allein auf den gestiegenen Investitionen von rund 10 Millionen DM, während die Personalausgaben um 1,7 Prozent zurückgehen.
Die Ausgabensteigerung bei den Zuweisungen ist allein darauf zurückzuführen, daß 16 Millionen DM, wie es Kollege Weißgerber schon erwähnt hat, für die Schadenersatzforderungen wegen der verspäteten Umsetzung der EG-Pauschalreiserichtlinie in nationales Recht auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zu veranschlagen sind, eine Summe, für die nicht der Einzelplan 07 verantwortlich ist, sondern die dort nur technisch veranschlagt wird.
Auch im Einzelplan 07 sparen wir beim Personal und steigern die Investitionen. Die Struktur stimmt also.
Schließlich ist noch hervorzuheben, daß sich der Justizhaushalt zu 53 Prozent selber deckt. Frau Karwatzki, wäre das überall so, wäre es das reinste Vergnügen, Finanzminister zu werden. Das ist aber leider nicht überall so wie im Einzelplan 07.
({0})
Einige allgemeine finanzpolitische Probleme schlagen sich auch in diesem relativ kleinen Einzelhaushalt nieder. Da haben wir als erstes die Problematik der steigenden internationalen Beitragslasten der Bundesrepublik Deutschland. Diese Beitragslasten werden auch durch die vielfach kritisierten hohen und steuerfreien Gehälter bei internationalen Organisationen mitverursacht. Diese Gehälter will ich hier nicht weiter ansprechen. Mir geht es um die Versorgungsbezüge, weil sich diese im Einzelplan niederschlagen. Denn die Steuerfreiheit gilt zwar nicht für Versorgungsbezüge, aber Art. 42 der Versorgungsordnung des Europäischen Patentamtes, um das es hier geht, bestimmt, daß die Versorgungsempfänger von ihrem Sitzstaat 50 Prozent der Steuer erstattet bekommen, die sie zunächst zu zahlen haben.
Die Versorgungsempfänger europäischer Organisationen werden also bessergestellt als andere.
Diese Beträge summieren sich. Waren 1993 noch lediglich 160 000 DM für die hälftige Steuererstattung an deutsche Versorgungsempfänger des Europäischen Patentamts auszugeben, so ist für 1997 bereits der vierfache Betrag, also 690 000 DM, veranschlagt. Diese Problematik müssen wir einmal in einem größeren Rahmen angehen. Sie kann nicht isoliert im Einzelplan des Justizministeriums gelöst werden.
Wir machen uns ja Gedanken über eine große Steuerreform. Kerngedanke dabei ist die niedrigere Belastung bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Es ist natürlich zu fragen, ob diese Steuerfreiheiten dann noch ihren Sinn haben. Sie sind meines Erachtens nicht mehr zeitgemäß. Hier können wir als Deutsche nicht allein handeln. Wir müssen international koordiniert vorgehen. Ich glaube aber, daß der amerikanische Kongreßabgeordnete das ähnlich wie wir sehen dürfte. Wir alle würden dadurch bei den Beiträgen entlastet. Diese Initiative sollten wir aufgreifen. Das ist auch im Berichterstattergespräch so vereinbart worden.
Erfreulich, was den internationalen Bereich betrifft, ist, daß im Oktober die erste große UN-Institution in Deutschland ihren Sitz genommen hat. Nach fast einem Vierteljahrhundert Vorbereitung sind am 17. Oktober 1996 die 21 Richter am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg in Ihrer Anwesenheit, Herr Minister, und Ihrer, Herr Staatssekretär Funke - Sie kommen ja aus Hamburg -, sowie in Anwesenheit des UN-Generalsekretärs vereidigt und der Grundstein des Gerichtsgebäudes gelegt worden.
Das Gerichtsgebäude wird den Bundeshaushalt 123 Millionen DM kosten. 80 Prozent davon trägt der Bund, 20 Prozent das Land Hamburg. Das alles geht auf die 1973 einberufene 3. Seerechtskonferenz zurück, die Hamburg in den 80er Jahren als Sitz auserkor. Auch von hier aus möchte ich dem Internationalen Seegerichtshof, also der ersten größeren UN-Organisation, die in Deutschland ihren Sitz hat, eine gute Arbeit wünschen.
({1})
Ein zweites finanzpolitisches Thema schlägt sich in diesem Bundeshaushalt nieder. Das ist das härter werdende Bund-Länder-Verhältnis, das, wenn auch in kleinen Beträgen, seinen Niederschlag auch im Justizhaushalt findet. Ich spreche hier das Servicebüro der Deutschen Bewährungshilfe e.V. für den Täter-Opfer-Ausgleich in Bonn an. Kollege Weißgerber hat auch schon darüber gesprochen.
Alle Fraktionen dieses Hauses unterstützen die Arbeit dieses Servicebüros. Nur muß man sich einmal dessen Geschichte vergegenwärtigen: Das Servicebüro hat 1992 seine Arbeit aufgenommen. Der Bund hat die Anschubfinanzierung vier Jahre lang alleine erbracht. Ab 1996 haben wir dann im Haushaltsausschuß gesagt: Bund und Länder finanzieren das Servicebüro jeweils zur Hälfte, da die Justiz nach der Kompetenzverteilung unseres Grundgesetzes nun
einmal überwiegend Ländersache ist. Wir haben deshalb den hälftigen Betrag in den Bundeshaushalt eingestellt, ihn aber gesperrt. Mühsam konnten im Laufe des Jahres 1996 zweimal 50 000 DM bei den Ländern eingesammelt werden. Der Bund hat die entsprechenden Beträge entsperrt.
1997 geht das Gezerre weiter. Der Bund hat seinen Anteil in Höhe von 150 000 DM aufgestellt, aber wiederum mit einer Sperre versehen. Wir warten auf eine Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern über die Mitfinanzierung in gleicher Höhe. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Kollege Horst Eylmann, hat alle Landesregierungen angeschrieben. Ich hoffe, daß es von dort eine positive Reaktion gibt. Bisher sind die Zeichen nicht so ermutigend, die überwiegende Anzahl der Länder hat bisher ihre Mitwirkung verweigert.
Herr Kollege Weißgerber, ich erwähne das Saarland nicht immer, weil es das Saarland ist, sondern weil es dort, ich sage es als Beispiel, um ganze 1 935 DM geht. Das ist für jeden Privatbürger viel Geld, aber haushaltspolitisch gesehen ein doch relativ bescheidener Betrag, eine Geste, die man meines Erachtens zugunsten des Täter-Opfer-Ausgleichs erbringen könnte.
({2})
- In Bayern ist es dasselbe. Aber die Einflußmöglichkeiten eines sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten auf die bayerische Staatsregierung sind relativ begrenzt.
({3})
Herr Beck, was Hessen betrifft, so hatten Sie letztes Jahr zugesagt, Ihren Kollegen Ruppert von Plottnitz anzurufen. Der Anruf hat offenbar bisher noch nicht geklappt; denn Hessen steht auch noch in der konditionierten Verweigererliste; das heißt, Hessen zahlt erst, wenn alle zahlen. Auch dort versteckt man sich also erst einmal. Ich hoffe, daß wir hierbei vorankommen.
Zum Anteil des Bundes - das sage ich deshalb, weil der Bund keine Länderaufgaben übernehmen kann; denn es haben sich auch die Einnahmeverhältnisse geändert - nenne ich einmal ein paar Zahlen. 1966, also vor 30 Jahren, standen 55 Prozent der Steuereinnahmen dem Bund zu, 31 Prozent den Ländern. Heute, 30 Jahre später, haben wir fast einen Gleichstand: 42 Prozent Bund, 41 Prozent Länder. Die Einnahmeposition des Bundes hat sich also gegenüber den Ländern verschlechtert. Dann muß der Bund auch darauf dringen, daß die Länder im Justizbereich, bei dem es sich um eine primäre Landesaufgabe handelt, ihren Beitrag erbringen.
Mit diesem Justizhaushalt gehen wir weitere Schritte in Richtung Vollendung der deutschen Einheit. Einer der wichtigsten Schritte zur Vollendung der deutschen Einheit ist die Verlegung des Sitzes von Bundesgerichten und -behörden in die östlichen Bundesländer. Herr Bundesjustizminister,
kaum ein Ressort hat diese Aufgabe so ernst genommen wie das Justizministerium. Dafür auch meinerseits herzlichen Dank. Die Mühlen der Justiz mahlen angeblich immer langsam, aber hier ist die Justiz Vorreiter.
({4})
Das Bundesverwaltungsgericht wird seinen Sitz in Leipzig nehmen, das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Am schnellsten kommt jedoch die Verlagerung des 5. Strafsenats von Berlin nach Leipzig voran. Dieser wird bereits 1997 seine Arbeit in Leipzig aufnehmen. Das wird ein historischer Augenblick sein. Es ist die erste oberste Bundeseinrichtung, die ihre Arbeit in den östlichen Bundesländern außerhalb Berlins aufnimmt.
Das Grundkonzept der Föderalismuskommission war, daß Karlsruhe und Leipzig die beiden wichtigen Residenzen des Rechts im wiedervereinigten Deutschland sein sollen: Karlsruhe mit dem Bundesverfassungsgericht und dem weitaus größeren Teil des Bundesgerichtshofs, Leipzig mit dem Bundesverwaltungsgericht und zunächst einem Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Sofern die größer gewordene Einwohnerzahl im wiedervereinigten Deutschland - es sind knapp 20 Millionen Einwohner mehr; auch diese begehen leider hin und wieder Straftaten - neue Senate erforderlich macht, werden neue Senate in Leipzig eingerichtet.
({5})
Diese Zuwachsklausel der Föderalismuskommission ist damals, 1992, lange diskutiert - Herr Minister, ich war selber Mitglied der Föderalismuskommission - und in vollem Bewußtsein der Tragweite dieser Entscheidung beschlossen worden. Man war sich also ganz genau im klaren, was man da beschließt. Deshalb kann man meines Erachtens jetzt nicht mehr, wie ich das gelegentlich höre, aus Praktikabilitätsgründen diese Zuwachsklausel in Frage stellen, ohne auch die gesamte Grundentscheidung in Frage zu stellen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch die ehemalige Reichsgerichtsbibliothek ansprechen. 320 000 Bände umfaßte diese Bibliothek. Es war die bedeutendste juristische Bibliothek der Welt; weltberühmt vor allen Dingen die Handschriften und Druckwerke von vor 1800. Dort war der Erstdruck der „Summa Saxonis" von 1210, des „Sachsenspiegel", des „Schwabenspiegel". Die ältesten deutschen Strafgesetzbücher sind dort vorhanden, die Bambergische Halsgerichtsordnung, die Brandenburgische Halsgerichtsordnung oder die Peinliche Halsgerichtsordnung, die „Constitutio Criminalis Carolina" von 1532.
Wenn man sich diese Handschriften und den von dort ausgehenden Horror betrachtet, der nur noch vom „Hexenhammer" übertroffen wird, der dort ebenfalls ist und die Verfolgung der Hexen beschreibt, dann kann man kaum glauben, daß diese Teile der Bibliothek noch heute, Herr Minister, für die praktische Arbeit der Richter benötigt werden.
Mit meinem Verständnis von liberaler Rechtspolitik deckt sich der „Hexenhammer" nicht. Das erlaube ich mir auch als Christdemokrat zu sagen.
({6})
Es handelt sich vielmehr um kunsthistorische Gegenstände, die nicht für die tägliche Arbeit benötigt werden. Diese kunsthistorischen Gegenstände gehören wieder an den Ort, wo sie zusammengetragen worden sind: nach Leipzig.
({7})
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf die Rechtsangleichung eingehen, die wir in den letzten sieben Jahren zurückgelegt haben. Große Werke sind da getan worden. Ich denke nur an die Problematik der Eigenheime, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, ein Kapitel von ganz grundlegender Bedeutung für Hunderttausende von Menschen, die dort in ihrer Existenz betroffen sind. Wir haben mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz eine sehr pragmatische Lösung geschaffen, die die Menschen befriedigt. Das ist das Schönste am Sachenrechtsbereinigungsgesetz: Dieses Gesetz kommt im praktischen Verfahren kaum zur Anwendung, weil es als Modell dient und aus sich heraus selber wirkt.
Genau diesen Weg, praktikable Regelungen zu finden, Herr Minister, müssen wir auch in anderen Bereichen gehen. Ich denke nur an die Konkurrenz Vermögensrecht, Zivilrecht, Restitutionsanspruch, Grundbuchberichtigungsanspruch. Auch dort kann man die Sache nicht bis in die feinsten Ziselierungen des Zivilrechts betreiben, ohne vielleicht nicht doch Schaden anzurichten.
Ich darf nur ein kleines Beispiel nennen. Der Restitutionsanspruch des Ersterben ging in einem Fall, den ich selber erlebt habe, deshalb ins Leere, weil an 27. Stelle - an 27. Stelle! - ein Nacherbe gefunden worden ist, der damals noch minderjährig war und zufällig woanders lebte, weshalb das Vormundschaftsgericht nicht beteiligt wurde. Ich glaube, das sind Ergebnisse, die wir schwer vertreten können.
Zum Abschluß noch zwei Sätze zum Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat vor zwei Woçhen ein sehr gutes Urteil gefällt. Die Todesschüsse an der Mauer sind strafbar. Der Schießbefehl verstößt gegen Menschenrechte und konnte auch durch DDR-Recht nicht gerechtfertigt werden. Ich habe im Wahlkreis in den letzten Monaten selten so viel Zustimmung gehabt wie in diesem Fall. Es hat sich glücklicherweise nicht der Spruch bewahrheitet: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Nein, das Bundesverfassungsgericht hat hier umfassend für Gerechtigkeit gesorgt.
Dies sollten wir als Gesetzgeber auch bei der SEDUnrechtsbereinigung tun. Wir müssen hier nachbessern. Insbesondere beim Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz fließt nur ein Bruchteil der Mittel ab. Bis Ende Oktober waren es 177 000 DM von veranschlagten 50 Millionen DM. Auch das müssen wir als Gesetzgeber ändern.
Abschließend möchte ich Sie bitten, dem Einzelplan 07 und dem Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerechtigkeit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dies zeigt sich gerade beim Umgang mit den Verbrechen der NS-Zeit. Ich möchte Ihnen das an zwei Beispielen verdeutlichen.
Die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit sowie die Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus sind wir nicht nur den Betroffenen schuldig; es ist auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Rechtsbewußtseins und der demokratischen Substanz unserer Gesellschaft.
Bündnis 90/Die Grünen fordert daher, die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure noch vor dem nächsten Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 1997 endlich zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.
({0})
Der Bundesrat und jetzt auch noch einmal das Bundesland Sachsen-Anhalt haben hier Vorlagen für die Diskussion geliefert, die Grundlagen für einen möglichen Kompromiß bieten könnten. Der Deutsche Bundestag muß endlich deutlich machen: Wer sich Hitlers Krieg durch Fahnenflucht entzog und wer so Hitlers verbrecherischen Angriffskrieg und den Holocaust nicht unterstützte, hat den Respekt und die Anerkennung des Deutschen Bundestag.
({1})
Meine Damen und Herren, die Entschädigung der vergessenen Opfer des Nationalsozialismus duldet kein Zaudern und Zuwarten mehr. Wer hier verzögert, setzt auf eine biologische Lösung des Problems. Wir haben einen Gesetzentwurf für eine Stiftung zur Entschädigung aller in Deutschland lebenden vergessenen Opfer des Nationalsozialismus und entsprechende Haushaltsanträge vorgelegt.
Wir werden in diesem Jahr auch noch einen Antrag zur Entschädigung der osteuropäischen Juden vorlegen. Es ist wirklich ein Skandal und ein schlechtes Erbe der DDR, daß schwerstverfolgte Juden auf der ganzen Welt Entschädigungsansprüche haben, aber ausgerechnet in Osteuropa, wo die Vernichtungslager standen und wo das massenhafte Morden der SS an den Juden begann, die Überlebenden keine Leistungen aus dem Artikel-2-Fonds erhalten.
Was bieten Sie uns hier an? Ab 1998 - 1998, wohlgemerkt - 80 Millionen DM , aufgeteilt in drei Jahresraten, für entsprechende Entschädigungsstiftungen im Rahmen von Globalabkommen, mit denen wir in
Volker Beck ({2})
Rußland und Polen schon so schlechte Erfahrungen gemacht haben. Das ist ein Skandal. Die Jahreszahl 1998 zeigt, daß Sie hier die biologische Lösung zum Prinzip machen.
({3})
Meine Damen und Herren, in der Haushaltsdebatte steht die Rechtspolitik nicht im Zentrum des Interesses. Schließlich sind die Eckwerte des Haushalts des Bundesministeriums der Justiz zumeist weitgehend unumstritten. Die soziale Krise, die unsolidarische Sparpolitik und die unsolide Finanzpolitik der Bundesregierung haben aber immer gravierendere Auswirkungen auf die Innen- und Rechtspolitik.
Wo sich der Staat seiner sozialpolitischen Verantwortung entledigt, wo die Politik zu gestalten aufhört, da wird aus dem Strafrecht, das eigentlich letztes Mittel der Politik sein muß, schnell das einzige Mittel, das den Regierenden noch einfällt. Der Ruf nach dem starken Staat, nach neuen Ermittlungsmethoden wie Großer Lauschangriff und Spähangriff, nach Gen-Datenbanken und nach immer höheren Strafen soll die Hilflosigkeit der Politik bei der Bewältigung zentraler Probleme unserer Gesellschaft verschleiern.
Steigender Arbeitslosigkeit und um sich greifender Verarmung wachsender Teile der Bevölkerung wird nicht mehr mit einer integrierenden Sozialpolitik und aktiven Arbeitsmarktpolitik begegnet. Mit dem Abbau von Sozialleistungen treibt die Bundesregierung die soziale Desintegration selbst sogar voran. Rechtspolitik soll dort reparieren, wo die Sozialpolitik versagt hat.
Der Grundgedanke von Strafverschärfungen als Allheilmittel kennzeichnet auch das Jahrhundertwerk Strafrahmenreform. Die Koalitionskontroverse hierbei ist nur ein Sturm im Wasserglas. Obwohl der Entwurf aus dem Hause Schmidt-Jortzig im wesentlichen Erhöhungen von Mindest- und Höchststrafen beinhaltet und deshalb in weiten Zügen ja auch den Beifall der Hardliner in der CSU findet, schafft es die Koalition, zum 199. Male das Stück „Räuber und Gendarm" wieder aufzuführen, worin sich die F.D.P. liberal und die CSU als Scharfmacher aufspielen kann.
Stein des vorgeblichen Anstoßes ist der Strafrahmen beim schweren Raub. Es ist eine Scheindebatte, eine von Liberalen und CSU inszenierte Irreführung der Öffentlichkeit. Angeblich schlägt der Entwurf eine Absenkung des Strafrahmens vor. Das ist mitnichten so. Die Kritik an der Absenkung der Mindeststrafe für den Grundtatbestand von fünf auf zwei Jahre übersieht geflissentlich, daß dem die Erhöhung der Höchststrafe für den minder schweren Fall von derzeit fünf auf zehn Jahre gegenübersteht.
Das hat folgenden Hintergrund: Heute werden nahezu 80 Prozent aller Fälle des schweren Raubs als minder schwerer Fall behandelt. Die Gerichte gehen nämlich - völlig zu Recht - davon aus, daß eine Eingangsstrafe von fünf Jahren etwa beim Raub unter Vorhaltung einer Spielzeugpistole dem Unrechtsgehalt der Tat nicht ganz entspricht, sondern deutlich überhöht ist.
Der Entwurf setzt damit also nur das um, was ohnehin schon Praxis ist. Was bleibt also noch von einer Absenkung übrig? Nichts. Wahrscheinlich würden sich die nach diesem Paragraphen tatsächlich verhängten Freiheitsstrafen künftig eher erhöhen als senken, da die Gerichte seltener auf den minder schweren Fall ausweichen müssen.
Unsere Kritik an dem Entwurf des BMJ ist seine Schlagseite in Richtung Strafverschärfung. In diesem Sinne ist er völlig phantasielos. Er stellt sich nicht der Diskussion, was Strafen und Strafrecht leisten können und welchen Stellenwert das Strafrecht in einer rationalen Kriminalpolitik haben kann.
Bündnis 90/Die Grünen hat in den letzten Jahren auf das grobe Mißverhältnis bei den Strafrahmen zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten und Gewalt- und Sexualverbrechen hingewiesen. Wenn der Bundesjustizminister dafür sorgen will, daß die gewaltsame Wegnahme eines Zeltes nicht höher bestraft wird als die anschließende Vergewaltigung der Frau, die in dem Zelt kampiert hatte, dann ist dies richtig und begrüßenswert, dann unterstützen wir dies. Es bringt den Stellenwert der zu schützenden Rechtsgüter angemessener zum Ausdruck.
({4})
Sie haben aber fast alle Harmonisierungen der Strafrahmen durch Erhöhungen erreicht. Dies ist weder unter Werte- noch unter Präventionsgesichtspunkten sachlich geboten. Wir sollten die Reform des Strafgesetzbuches vielmehr zur Zurückdrängung der Freiheitsstrafen insgesamt nutzen.
Wir fordern die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe durch eine hohe Zeitstrafe und eine Reform des Sanktionensystems. Mögliche Instrumente zur Zurückdrängung der Freiheitsstrafen wären etwa die stärkere Berücksichtigung des TäterOpfer-Ausgleichs, die erweiterten Möglichkeiten der Aussetzung der Strafe zur Bewährung oder die Einführung einer Vollstreckungsklausel - das haben wir vorgeschlagen -, das Fahrverbot als eigenständige Strafe, die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen und die Ermöglichung der Aussetzung von Geldstrafen zur Bewährung.
({5})
Eine Zurückdrängung von Freiheitsstrafen nutzt den Interessen der Kriminalitätsopfer. Der, dem der Arbeitsplatz erhalten bleibt, hat die Möglichkeit, den Schaden wiedergutzumachen. Die entsozialisierende Wirkung des Strafvollzuges entfällt. Die Kosten für den Strafvollzug werden gesenkt. Dadurch werden Ressourcen frei, um Arbeits- und Therapiemöglichkeiten im Strafvollzug sogar kostenneutral zu finanzieren und damit die resozialisierende Qualität des
Volker Beck ({6})
Strafvollzuges zu erhöhen. In der Rechtspolitik aber verweigern Sie sich ja jeder Innovation.
Meine Damen und Herren, seit Wochen führen wir eine Diskussion über den Umgang mit Sexualstraftätern. Tragen Sie durch Ihr Festhalten an der Widerspruchsklausel nicht weiter zu einer Bagatellisierung des Verbrechens der Vergewaltigung in der Ehe bei! Gefährden Sie nicht die längst überfällige Reform!
({7})
Wir müssen auch gemeinsam überlegen, wie wir mehr Sicherheit für Kinder vor Sexualstraftätern schaffen können: durch den Ausbau und die Verbesserung der Therapiemöglichkeiten im Straf- und Maßregelvollzug, durch eine qualifizierte Ausbildung von forensischen Psychiatern und durch eine Überprüfung des Verfahrensrechtes bei Strafrestaussetzungsentscheidungen. Außerdem wollen wir die schweren Begehensformen des sexuellen Mißbrauchs, die heute in § 176 Abs. 3 geregelt sind, in einem neuen Paragraphen, in § 176a, zu einem eigenständigen Verbrechenstatbestand machen, um das besondere Unrecht der Tat zu kennzeichnen.
({8})
- Das ist keine Strafverschärfung, weil die Mindeststrafe nach § 176 Abs. 3 heute schon bei einem Jahr liegt; das bliebe auch so. Trotzdem hätten wir eine Kennzeichnung der Verletzung des Rechtsgutes als Verbrechen erreicht.
Die Diskussion wird jedoch von Teilen der Union unter völlig falschen Vorzeichen geführt: mehr Repression, höhere Strafen und weg mit Resozialisierungs- und Therapieversuchen. Das ist eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit; denn ein gebesserter Täter ist der beste Schutz für die Öffentlichkeit.
In der Union laufen derzeit einige Sturm gegen den vermeintlich so liberalen Strafvollzug. Therapiebemühungen und Resozialisierung werden kurzerhand für gescheitert erklärt - so Herr Scholz am Wochenende in der WamS.
Resozialisierung und Therapie sind nicht gescheitert. Das Problem ist: Sie finden nur unzureichend oder oft überhaupt nicht statt. Das wird gern verschwiegen. Therapien kosten nämlich Geld; und das setzt man in den Ländern immer noch lieber für den Ausbau von Haftanstalten ein als für die Hilfeleistung für den Täter.
In den Strafvollzugsanstalten wird gegenwärtig im wesentlichen verwahrt. Daß Resozialisierung unter diesen Umständen ein fernes Ziel bleibt, ist kaum verwunderlich. Damit wird nicht nur dem Täter, sondern letztendlich der Gesellschaft insgesamt geschadet.
Die Verlängerung von Haftzeiten löst demgegenüber das Problem der Rückfallgefahr nicht, sondern verschiebt es lediglich auf einen späteren Zeitpunkt der Haftentlassung.
Der Umgang mit den NS-Verfolgten und die Schieflage bei der Strafrechtsreform sind nur zwei Beispiele Ihrer verfehlten Innen- und Rechtspolitik. Weil die so verfehlt ist, lehnen wir den Justizhaushalt ab.
Zum Schluß möchte ich gern noch einen Punkt ansprechen, der dieses Haus in den letzten anderthalb Wochen beschäftigt hat: die Frage des Umgangs mit Sekten, des Umgangs mit Scientology. In Zeiten wachsender sozialer Unsicherheit kann Feindbildprojektion die Gesellschaft einigen und den Blick von den wahren Problemen ablenken.
Seit es in Deutschland Religionsfreiheit gibt, haben auch bei uns zahlreiche religiöse Gemeinschaften neben den beiden großen Kirchen, dem Judentum und dem Islam die Bühne betreten. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und des damit verbundenen Feindbildes wird die Diskussion hierüber aber immer hysterischer geführt.
Wir brauchen einen Verbraucherschutz auf dem Markt der psychologischen und religiösen Angebote. Wir als Gesetzgeber müssen definieren, wo die Grenzen von Ausbeutung und Wucher liegen. Wir müssen Kinder vor religiösem Mißbrauch und entwürdigenden Erziehungsmaßnahmen schützen.
Ein Teil der rechtlichen Probleme mit Sekten entsteht auch aus der juristischen Sonderstellung der religiösen Gemeinschaften in unserer Verfassung, die sie mit außerordentlichen Privilegien und einem staatsgleichen Status ausstattet. Die Zurückdrängung des allgemeinen Arbeitsrechtes lädt zur mißbräuchlichen Ausbeutung durch Sekten geradezu ein.
Über diese Fragen müssen wir mit kühlem Kopf diskutieren, wenn es sein muß, auch streiten und nach Lösungen suchen.
Die Gefahren, die von Organisationen wie von Scientology oder der Vereinigungskirche ausgehen, dürfen nicht verniedlicht werden. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die Organisationen Einfluß auf ihre Anhänger und die Gesellschaft gewinnen.
Rechtsstaatlichkeit und Respekt der Religionsfreiheit dürfen hierbei aber nicht einer Hexenjagd zum Opfer fallen.
({9})
Es kann nicht angehen, daß allein die Bekanntschaft mit einem der Scientology-Mitgliedschaft Verdächtigen ausreicht, um jemanden in den Geruch der Sektennähe und der politischen Unzuverlässigkeit zu bringen.
({10})
Das ist Hysterie. Wer so arbeitet, bedient sich der Methoden des Inquisitionsprozesses. Torquemada und McCarthy lassen grüßen.
({11})
Volker Beck ({12})
So vergiften Denunziation und üble Nachrede das gesellschaftliche Klima. Eine wirkliche Aufklärung über die von Sekten ausgehenden Gefahren kann man so nicht betreiben.
Ich hoffe, wir kommen hier im Hause zu einer sachlichen Diskussion zurück.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Beck, das mit der sachlichen Diskussion und dem kühlen Kopf, mit dem man diskutieren soll, ist durchaus richtig. Das wird von uns sehr begrüßt. Allerdings war Ihre Rede davon nicht so ganz durchgängig geprägt;
({0})
sondern Sie haben hier eine Reihe von Herzensanliegen verhältnismäßig unsystematisch vorgetragen,
({1})
während wir uns dieser Dinge lieber von Fall zu Fall einzeln annehmen sollten, damit wir zu einem einigermaßen geordneten Austausch der Argumente kommen können.
Heute geht es mehr um die Frage: Wie ist der Haushalt des Bundesjustizministeriums, wie ist die Leistung des Bundesjustizministeriums und damit natürlich des verantwortlichen Ministers nach der verhältnismäßig kurzen Zeit, in der Herr Schmidt-Jortzig dieses Amt bekleidet, zu bewerten?
Da sage ich als erstes: Wir danken ihm sehr herzlich. Wir danken allen seinen Mitarbeitern für die Art, wie wir mit dem Hause, wie wir mit ihnen umgehen und offen und kühl diskutieren konnten - so, wie das eben verlangt worden ist.
({2})
Das haben wir die ganze Zeit getan. Dafür danken wir Ihnen.
Wir danken Ihnen auch für das, was Sie genauso wie Ihre Vorgängerin und auch frühere Vorgänger geleistet haben. Die Mühlen auch der Gesetzgebung mahlen tatsächlich etwas langsam; das ist manchmal nicht ganz so schön, manchmal aber auch überhaupt kein Fehler.
Deshalb sind wir der Meinung, die verehrte Opposition wird sich ohnehin noch wundern. Wir waren bereits vor der Sommerpause in Koalitionskreisen über eine Menge von Dingen einig - das haben wir sehr sorgfältig und auch in einem guten gemeinsamen Geist erarbeitet -, von denen Sie heute noch vermuten, daß wir uns darüber streiten. Das werden wir Ihnen alles richtig schön geregelt auf den Tisch
legen. Dann kommen Sie in schwierige Situationen, wenn Sie in diesem Bereich so wie in anderen Bereichen immer nein sagen wollen.
({3})
- Herr Meyer, wir wissen, daß wir dankbar zu sein haben für den guten Ton, in dem das Recht in diesem Hause immer behandelt worden ist, und wir schließen die Opposition und die Art unseres Umgangs ausdrücklich ein.
({4})
Das hindert dann aber doch nicht, auf die einzelnen Fälle hinzuweisen, bei denen ganz grundsätzliche Fragen des Rechts, die damit auch grundsätzliche Fragen unserer Gesellschaft sind, auf einmal an Nebendingen festgemacht werden. Herr Beck hat das eben schon versucht und angesprochen. Ich kann wirklich nicht verstehen, daß eine Minderheit - auch einige bei uns; ich verkenne das alles ja nicht -, vor einem Rinnsal zurückscheut, wenn man keineswegs als Macho oder wegen völlig veralteter und abartiger Vorstellungen über das Wesen der Ehe und die Gemeinschaft von Ehepartnern, sondern aus tiefer Sorge um die Durchführbarkeit eines fairen und zu einem richtigen Ergebnis führenden Strafprozesses Bedenken gegen den besonderen Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe hatte, dann aber die große Mehrheit einen Strom überquert hat, einen Strom hinter sich gelassen hat. Dies ist eine Unverhältnismäßigkeit in der Aufgabe der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft, die nun einmal nicht in das Bild des notwendigen Einverständnisses in Grundsatzfragen paßt.
({5})
Damit wende ich mich in der absurd kurzen Zeit, die hier anscheinend noch verbleibt, dem Haushalt in engerem Sinn zu.
({6})
Es ist nicht möglich, und es paßt noch viel weniger, daß die Länder dieser Republik den Föderalismus so auffassen, daß gerade bei den wichtigen rechtspolitischen Fragen von ihnen immer wieder auf den Bundesgesetzgeber verwiesen wird, um Entlastung - besonders in finanzieller Hinsicht - zu suchen, statt daß man sich einmal fragt, was man in eigener Organisationshoheit - diese liegt nun einmal bei den Ländern - dazu beitragen kann, um die Dinge von dort aus etwas besser, wirtschaftlicher, effizienter zu gestalten. Das wird nun schon so lange angemahnt. Es handelt sich nicht um ein Spiel um den Schwarzen Peter, sondern es handelt sich um die ganz vernünftige Forderung, daß die Dinge in den Ländern so organisiert werden, wie anständige Unternehmen ihre Betriebs- und Geschäftsabläufe organisieren. Dann wird sich herausstellen, daß Reserven vorhanden sind, die genutzt werden können, um nicht Rechte der Bürger weiter einzuschränken und Rechtsgarantien zu beeinträchtigen.
Detlef Kleinert ({7})
Ich weiß ja, daß Sie in vielen Fällen hier mit uns die gleiche Meinung vertreten haben, so ist es ja gar nicht, aber von den Ländern wird dieses finanzielle Argument - wir reden ja heute über den Haushalt - immer wieder mißbraucht,
({8})
um in Rechtsfragen etwas zu tun, was in Feiertagsreden der Justizminister natürlich zurückgewiesen, aber in Alltagsbeschlüssen und Alltagsäußerungen am Kabinettstisch von den Finanzministern konterkariert wird. Da bitten wir doch die Kollegen Justizminister in den Ländern und alle ihre Mitarbeiter, sich auf die notwendige Gemeinsamkeit zu besinnen, auch wenn es um die Finanzen geht.
Ich möchte zum Schluß noch auf die Notwendigkeit von etwas mehr Vernunft in der Haushaltspolitik überhaupt hinweisen. Ich finde es unerträglich, daß derjenige, der seinen Laden in Ordnung hat, dafür bestraft wird, indem sein Haushalt im nächsten Jahr ein wenig eingeschrumpft wird und sein Haushalt um die im Vorjahr eingesparten Mittel gekürzt wird. Ich rede nachdrücklich dem Gedanken einer gewissen Budgetierung das Wort,
({9})
bei der es in der Verantwortung des einzelnen Ministers, des einzelnen Ministeriums steht, mit einem vorgegebenen Betrag auch so umzugehen, daß Einsparungen an der einen Stelle genutzt werden können, um notwendige Aufgaben an der anderen Stelle besser - und zwar sofort und ohne langwierige vorherige Debatten - erfüllen zu können. Ich denke dabei insbesondere an die -
Herr Kollege, denken Sie dabei auch an die Zeit, bitte.
Frau Präsidentin, ich bin fast am Ende; das, was jetzt noch kommt, ist kaum der Rede wert.
({0})
Die Zeit ist aber auch schon überreif.
Es ist eine Aufgabe sowohl des Parlaments als auch des Justizministeriums, den Anfragen, die uns aus vielen Ländern der Welt erfreulicherweise und schmeichelhafterweise erreichen, zu entsprechen und diesen Ländern zu helfen, sei es bei der Neuformulierung ihrer Verfassungen, sei es bei der Gestaltung ihres Justizwesens oder ihrer Gesetzgebung.
Herr Kollege Kleinert!
Wenn für solche Aufgaben nur noch lächerliche Restbeträge im Haushalt des Bundesjustizministers vorhanden sind, dann
nützt uns die beste intellektuelle Bereitschaft nichts, weil die materiellen Möglichkeiten fehlen. Das gilt es zu ändern, und zwar flexibel, ohne Mehrausgaben, sondern einfach durch Anwendung vernünftiger Prinzipien.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht, dessen Haushalt heute zusammen mit dem des Bundesministeriums der Justiz zur Debatte steht, ist in kurzer Zeit vom Objekt harscher Kritik wieder zum mit viel Beifall bedachten Verkünder konservativen deutschen Zeitgeistes aufgestiegen. Ich spreche vom Beschluß des Zweiten Senats, der die Verfassungsbeschwerden dreier Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR und eines Grenzsoldaten gegen strafgerichtliche Verurteilungen einstimmig zurückgewiesen hat. Der Jubel in den Medien war enorm. Herr Kolbe hat hier eben gesagt, damit sei das Sprichwort widerlegt worden „Die Kleinen hängt man; die Großen läßt man laufen". Er übersieht dabei das, was Herr Schaefgen sehr deutlich gesagt hat, nämlich, daß man erst die Urteile gegen die Grenzsoldaten braucht, um dann die anderen als Anstifter bzw. mittelbare Täter bestrafen zu können. Stimmen der Vernunft gingen völlig unter, so die des Rechtsphilosophen Ernst Tugendhat, der von „Rachebedürfnis" sprach. Das steht in der „taz" vom 13. November 1996.
Politiker der anderen Bundestagsparteien äußerten sich zufrieden und sahen die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Die Aussicht darauf, den letzten Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR, Egon Krenz, seinen Verteidigungsminister, den von den Nazis zum Tode verurteilten Antifaschisten Heinz Keßler, und andere Politiker und Militärs der DDR hinter Gitter zu bringen, muß bei manchen Leuten eine wahre innere Genugtuung auslösen. Sie sollten allerdings konsequent sein und auch fordern, daß in Spanien Franco-Leute eingesperrt werden, daß man Herrn De Klerk den Prozeß macht und daß die Bundesregierung aufhört, mit so belasteten Altkadern wie Jelzin und anderen „gewendeten" Staatschefs östlicher Länder zu verkehren.
Es fällt allerdings ebenfalls auf, daß sich manche Politiker nicht äußern. Vielleicht gibt es doch etwas Unbehagen darüber, ob Krenz, Keßler, die Politbüromitglieder, die Generale und Grenzkommandeure in den gefährlichen Stunden vom 9. auf den 10. November 1989 ebenso besonnen gehandelt hätten, wenn man ihnen gesagt hätte: Nach Herstellung der Einheit Deutschlands werdet ihr als Mörder und Totschläger verfolgt. Vielleicht denkt dieser oder jener über den inhaltsschweren Satz nach, den die Frau Präsidentin anläßlich des Besuches Nelson Mandelas in diesem Hohen Hause ausgesprochen hat:
Was in Südafrika unter widrigsten Bedingungen auf den Weg des Ausgleichs und der Versöhnung gebracht wurde, zeigt uns, daß dies auch anderswo möglich werden kann.
Wieviel weniger staatsmännisch ist da die Äußerung des Bundespräsidenten, der laut „Spiegel" vom 18. November eine Amnestie kategorisch ablehnt.
Das ist der Punkt, der mich am meisten beunruhigt und empört. Wege zu Ausgleich und Versöhnung werden zugebaut. Herr Schaefgen hat ja schon angekündigt, daß er in seiner Verfolgungswut nun mehrere hundert Mauer-Fälle vor Gericht bringen wird.
Um auch das klar zu sagen: Die Toten an der Grenze sind ein schlimmes Kapitel ost-westlicher Feindschaft. Jeder einzelne Fall ist zu bedauern. Aber waren - und darauf kommt es an - diese Fälle Verbrechen nach DDR-Strafrecht, worauf es laut Einigungsvertrag allein ankommt?
Um dem Dilemma zu entgehen, daß es für das Grenzregime und für die Todesfälle im DDR-Recht Rechtfertigungsgründe gibt, Verbrechen somit nicht begangen wurden, hat - und das halte ich für das entscheidende Problem - das Bundesverfassungsgericht die grundrechtsgleiche Gewährleistung im Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz für DDR-Bürger unter bestimmten Bedingungen abgelehnt. Das halte ich für verfassungsrechtlich unzulässig.
Das Gericht hat erklärt:
Der Bürger erhält ({0}) die Grundlage dafür, sein Verhalten eigenverantwortlich so einzurichten, daß er eine Strafbarkeit vermeidet.
Das gilt absolut für jede neue Strafvorschrift, muß aber erst recht in meinen Augen für den Umsturz einer ganzen Rechtsordnung gelten. Jede Ausnahme hebt die Absolutheit auf. Gerade bei den Grundrechten muß man strikter Positivist sein.
Zunächst bekräftigt der Zweite Senat auch diese Absolutheit
({1})
und betont die Notwendigkeit strikter Formalisierung. Er bezieht das ausdrücklich auch auf die Rechtfertigungsgründe. Aber ein paar Sätze weiter wird die Absolutheit relativiert, was in meinen Augen logisch unzulässig ist. Die Absolutheit sei nur der Regelfall. Dieser Regelfall gelte für Ostdeutsche nach Vollzug der deutschen Einheit nicht mehr ohne weiteres. Im Falle „schwersten kriminellen Unrechts" - was immer dieser Begriff bedeuten mag, er steht in keinem Gesetz - müsse die besondere Vertrauensgrundlage des Art. 103 Abs. 2 entfallen.
Das Rückwirkungsverbot ist auch im Völkerrecht, darunter im Art. 7 der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten, verankert.
Als die Bundesrepublik Deutschland 1952 dieser Konvention beitrat, erklärte sie einen Vorbehalt zu
Abs. 2 dieses Artikels. Dieser Absatz stellte sicher, daß der Aburteilung von Naziverbrechern nicht das Rückwirkungsverbot entgegengehalten werden kann. Die Bundesrepublik wollte damals die Absolutheit des Rückwirkungsverbots. Damals waren Nazis betroffen.
Am 10. Juli 1952 sagte das Mitglied der NSDAP seit 1933, der spätere
Es ist eine ernste Frage, um die es sich da handelt; aber wir haben in der Geschichte des Dritten Reiches in der Tat erleben müssen, daß, nachdem einmal der Grundsatz, daß kein Verbrechen als solches bestraft werden durfte, ohne daß dafür eine klare gesetzliche Norm vorhanden war, verlassen war,
- im Dritten Reich der Willkür und dem Unrecht Tür und Tor geöffnet waren.
Heute sind Amtsträger der DDR betroffen. Da muß der Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 zurücktreten.
Ich glaube nicht, daß eine solche Verfahrensweise vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für konventionskonform gehalten werden wird.
Das Bundesverfassungsgericht sieht das kriminelle Unrecht darin, daß Menschenrechte verletzt wurden. Ich muß dazu sagen: Erstens steht nicht fest, daß die Todesfälle an der Grenze als Verletzungen der in diesem Zusammenhang angeführten Art. 6 und 12 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte eingestuft werden müssen. Zweitens war dieser Pakt für die DDR zwar seit 1976 völkerrechtlich verbindlich, aber er wurde nicht in das innerstaatliche Recht der DDR transformiert. Das war eine Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtung, das ist wahr, aber es war eben nicht in DDR-Recht eingegangen.
Auch die Brücke über das Naturrecht scheint mir völlig ungeeignet, innerstaatliche Strafbarkeit zu begründen.
Das Bundesverfassungsgericht -
Herr Kollege Heuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Christa Nickels?
Aber ja.
Herr Kollege Heuer, Sie vertreten hier eine Partei, die in den neuen Bundesländern weite Verbreitung hat. Ich gehe davon aus, daß Sie wissen, wieviel Menschen in entsetzlicher Weise auch unter dem DDR-Regime gelitten haben.
Zum ersten: Glauben Sie, daß Ihr trocken-juristischer Exkurs, der wirklich mit vielen Finten und Winkelzügen gespickt ist, um hier schreiendes Unrecht juristisch zu relativieren, geeignet ist, nach VersöhChrista Nickels
nung zu suchen, die darauf beruht, daß geschehenes Unrecht ungeschminkt auch wirklich zur Sprache gebracht und anerkannt wird und man dann versucht, Lösungswege zu finden, wie man damit in einer nach vorn gerichteten Weise umgehen kann? Glauben Sie, daß Ihr Exkurs, der im Grunde genommen die ganze Sache zu relativeren versucht, geeignet ist, in dem Sinne Versöhnung zu betreiben?
Zum zweiten möchte ich Sie fragen, ob nicht auch Sie glauben, daß dem Verdacht, den man immer wieder hat, wenn man auf die breite Basis Ihrer Partei schaut - man hat den Eindruck, daß Sie das wirklich verharmlosen wollen -, Vorschub geleistet wird mit der Rede, die Sie hier halten.
({0})
Ich möchte dazu zwei Bemerkungen machen. Erstens. Ich bin der Meinung, daß Aufarbeitung der Geschichte notwendig ist, aber justizielle Verfolgung dem nicht dient.
({0})
Wenn man mit Menschen diskutieren will über Dinge, die sie gemacht haben, ist es nicht günstig, das unter Hinzuziehung des Staatsanwalts zu tun. Ich glaube, daß wir in der Aufarbeitung der Geschichte und auch in bezug darauf, daß Leute sich mit dem auseinandersetzen, was sie falsch gemacht haben, weiter wären, wenn der Staatsanwalt nicht dabei wäre.
({1})
Zweitens. Ich bin nicht bereit, anzuerkennen, daß die juristische Argumentation nicht zulässig ist. Ich habe mich in der DDR für das Recht eingesetzt,
({2})
juristisch argumentieren zu können und auf politische Argumente nicht nur politisch antworten zu müssen.
({3})
Ich habe mich immer dafür eingesetzt, daß man über juristische Fragen als Jurist argumentieren darf.
Und was heißt „trocken", liebe Frau Nickels? Es geht hier um Verurteilung oder Nichtverurteilung von Menschen. Dazu ist die juristische Argumentation notwendig. Strafrecht ist eine sehr harte Sache. Man muß bereit sein, sich der juristischen Argumentation zu beugen, und kann nicht einfach sagen, man wolle das politisch so oder so.
Ich weiß, daß es in der DDR Leute gab, die so argumentiert haben. Ich halte eine solche Argumentation nicht für richtig.
({4})
- Ich diskutiere ja auch mit dem Bundesverfassungsgericht. Das ist ja vielleicht auch mein Recht, wie das Ihre auch.
Ich habe gesagt: Die Brücke über das Naturrecht ist nach meiner Ansicht ebenfalls ungeeignet, innerstaatliche Strafbarkeit zu begründen.
Das Bundesverfassungsgericht und andere Gerichte setzen sich in meinen Augen über die Konsequenzen hinweg, die sich aus der Völkerrechtssubjektivität und Souveränität der DDR ergeben, obwohl gerade hier entscheidende Rechtfertigungsgründe liegen.
({5})
Es kommt hinzu, daß die Souveränität der DDR gerade in dem für den Warschauer Vertrag und vor allem für die Sowjetunion so bedeutsamen Bereich der Grenzsicherung beschränkt war. Das bestätigen sowjetische Quellen, und das wußte und weiß man im Westen sehr genau. Diese Grenze war nicht willkürlich gezogen, wie der Herr Bundespräsident meint; sie war eine Folge des Zweiten Weltkrieges und des darauf folgenden Kalten Krieges.
Ich meine: Was diese Grenze an Negativem und Positivem bewirkte, sollte Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung und Diskussion auf allen Ebenen und - dem stimme ich völlig zu - Gegenstand des öffentlichen Meinungsstreits sein. Die Strafjustiz ist da fehl am Platze. Die verfassungsrechtliche Sonderbehandlung der Ostdeutschen vergibt eine Gelegenheit,
({6})
die These von der Annexion und Kolonisation der DDR, von der Siegerjustiz zu widerlegen.
({7})
Ich fürchte, daß mit solchen Entscheidungen Ostdeutsche wegen ihrer Vergangenheit im sogenannten Unrechtsstaat eingeschüchtert werden sollen. Das letzte Wort in dieser Sache ist hoffentlich noch nicht gesprochen.
Danke schön.
({8})
Herr Häfner, ist das die Meldung zu einer Frage oder zu einer Kurzintervention?
({0})
- Bitte, Herr Häfner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Heuer, da keine Gelegenheit mehr war, Sie direkt zu fragen, möchte ich in einer Kurzintervention doch mein Befremden zum Ausdruck bringen darüber, daß Sie in offensichtlich völlig pauschaler Weise sagen, die Strafjustiz sei ungeeignet, um irgend etwas von dem, was da geschehen ist, aufzuarbeiten.
Ich habe mich im Grunde die ganze Zeit gefragt, ob das, was Sie hier in den Raum stellen, worüber man ja diskutieren kann, irgendwo eine Grenze hat - eine Grenze etwa bei Mord, eine Grenze etwa da, wo Menschen gewaltsam aus ihrem Land vertrieben, ihres Eigentums beraubt worden sind, eine Grenze etwa dort, wo Menschen ohne rechtstaatlich vertretbares Urteil über Jahre, zum Teil über Jahrzehnte, in Lagern, in Gefängnissen waren, eine Grenze etwa dort, wo Menschen an der Grenze von hinten erschossen worden sind oder wo Menschen die Befehle dazu gegeben oder zugelassen haben, daß dies geschieht.
Wenn Sie sagen, daß das ganz generell mit dem Strafrecht nicht zu behandeln ist, dann frage ich mich, wie Sie - denn ich erinnere mich an viele Ihrer Äußerungen hierzu und an viele Debatten, die wir im Ausschuß geführt haben - über die rechtliche Aufarbeitung von NS-Unrecht denken. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es, damit eine Demokratie gelingen möge, nötig ist, den Menschen, die kalten Herzens Unrechtsbefehle gegen andere Menschen gegeben haben, die Befehle gegeben haben, die bis hin zum Mord an anderen Menschen geführt haben, wenigstens nachträglich deutlich zu zeigen, daß eine zivilisierte Gesellschaft, die auf dem Boden des Rechts steht, dieses nicht zulassen kann, daß sie es sühnt, und daß es nicht angehen kann, daß diejenigen die vorher die Diktatoren waren, auch nachher wieder absahnen und an der Spitze stehen? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß hier ein anderer Tonfall und eine andere Sprache und Denkweise angebracht wäre? Ich würde mich freuen, wenn Sie, da Sie Gelegenheit haben, auf diese Kurzintervention einzugehen, hierzu noch etwas sagen würden.
({0})
Herr Heuer.
Ich habe nicht gesagt, jedenfalls nicht sagen wollen, daß die Verfolgung
von Dingen, die damals strafbar waren, nicht zulässig ist. Ich bin damit völlig einverstanden. Das ist so. Das haben wir auch in unserem Entwurf für bestimmte Sachen gesagt, für Exzeßtaten und eine ganze Reihe anderer Taten. Es ist für mich unstreitig, daß man das, was damals wirklich strafbar war, auch heute bestrafen können muß.
({0})
Ich habe mich nur dagegen gewandt, anzunehmen, daß das die Diskussion, die Versöhnung erleichtert. Das bestreite ich. Ich bestreite, daß es leichter ist, mit Menschen über das, was sie Falsches und Schlimmes gemacht haben, zu reden, wenn sie unter diesem Fallbeil stehen.
Ich möchte noch einmal sagen - das widerspricht dem ersten nicht -: Eine gute Atmosphäre für eine Diskussion über schlimme Dinge, eine Diskussion mit vielen Menschen wird natürlich nicht erreicht, wenn sie Zehntausende von Ermittlungsverfahren haben. Sie wissen ganz genau, wie viele Ermittlungsverfahren laufen. Ein Ermittlungsverfahren ist etwas, was einen Menschen belastet. Es wäre leichtfertig, das zu leugnen. Ich weiß, daß Ermittlungsverfahren zum Teil jahrelang laufen und daß den Menschen nicht mitgeteilt wird, wenn sie abgeschlossen werden. Das ist der Einsicht in bezug auf Dinge in der Vergangenheit nicht dienlich.
Ich sage noch einmal: Das schließt das erste nicht aus. Daß man den Menschen bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit durch die Strafjustiz hilft, glaube ich allerdings nicht. Da, wo es notwendig ist, darf und muß bestraft werden. Das habe ich nicht bestritten. Aber ich glaube, es ist nicht aufrichtig zu sagen, daß man damit bessere Möglichkeiten für die Diskussion über Geschichte schafft.
({1})
Keine weitere Kurzintervention. Dann hat jetzt der Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den eigentlichen Gegenstand, nämlich den Haushaltsplanentwurf des BMJ, zu sprechen komme, möchte ich noch eine Feststellung treffen, die ich, wenn ich nicht ohnehin drangewesen wäre, in einer Kurzintervention untergebracht hätte.
Ich finde es schon einigermaßen erschütternd, hier im Deutschen Bundestag ein Rechtsverständnis zu erleben, welches völlig ignoriert, was wir an Lehren aus unserer gemeinsamen deutschen Vergangenheit gezogen haben, nämlich daß Recht nicht voll disponibel ist und nicht voll von unterschiedlichen, historisch ja auch sehr zufälligen Identitäten von Staaten abhängig ist, sondern daß es einen Kern von Recht gibt. Dazu gehören die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die absolut vorstaatlich sind, also
auch für eine Rechtsordnung der DDR, des NS-Reichs oder irgendeines anderen totalitären Regimes gelten. Ich möchte doch eindeutig sagen, daß das, Herr Heuer, die Grundlage unseres Rechtsverständnisses hier in der Bundesrepublik Deutschland ist.
({0})
Zurück zum Haushalt. Ich habe über meine Haushaltsrede im Rahmen der ersten Lesung das Motto gestellt: Modernisierung der Rechtsordnung. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß Deutschland nur dann, wenn der rechtliche Rahmen für Gesellschaft, Wirtschaft und Staatsapparat mit der Entwicklung Schritt hält, über die Jahrtausendwende hinaus ein attraktiver Standort bleibt.
Ich möchte an wenigen Beispielen verdeutlichen, daß wir seit der ersten Lesung ein gutes Stück, so glaube ich, vorangekommen sind, und zunächst aus dem Bereich der Kriminalitätsbekämpfung zwei Projekte nennen: Das Strafgesetzbuch von 1871 - es ist in diesem Jahr stolze 125 Jahre alt - ist durch eine Strafrahmenharmonisierung an die gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Der entsprechende Entwurf liegt jetzt zur Diskussion vor. Wir werden sicherlich noch Gelegenheit haben, in diesem Hause darüber ausführlich zu debattieren.
Der Entwurf jedenfalls verleiht höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leben, körperlicher Unversehrtheit und Freiheit gegenüber materiellen Rechtsgütern wie Eigentum, Vermögen und Sicherheit des Rechtsverkehrs höheres, größeres Gewicht. Das bedeutet zum Beispiel, daß wir bei schwerem Raub nur die Pragmatik der Strafdrohung verbessern wollen, während auf der anderen Seite, zum Beispiel bei Vergewaltigung mit Todesfolge, bei schwerwiegender Körperverletzung oder besonders schweren Fällen menschengefährdender Umweltstraftaten, die Strafrahmen erhöht werden.
Herr Beck, hier ist das Strafrecht und die Höhe der Strafrahmen in der Tat ein ganz entscheidender Indikator für die Wertschätzung, für die Schutzbedürftigkeit, die wir bestimmten Schutzgütern zuerkennen.
Natürlich gibt es da noch Kritik und Veränderungswünsche, aber auch viel Zustimmung. Wir werden das Projekt wie gewohnt in Ruhe, Beharrlichkeit und steter Überzeugungsarbeit weiter verfolgen.
({1})
- Die werden wir auch haben, liebe Frau DäublerGmelin.
Zweitens. Im Rahmen dieser Strafrahmenharmonisierung war von vornherein geplant, die Höchststrafe für besonders schwere Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern von zehn auf 15 Jahre anzuheben. Der grausame Tod der kleinen Natalie in Bayern war der Anlaß dafür, über weitere Maßnahmen zum Schutz unserer Kinder auch mit den Mitteln, Herr Beck, des
Strafrechts, Strafverfahrensrechts und Strafvollstrekkungsrechts nachzudenken.
Ich muß leider auch hier deutlich sagen, daß es niemals einen vollständigen Schutz vor Sexualstraftaten geben wird. Wir können nur - und das müssen wir auch - die Risiken noch entscheidend senken.
In erster Linie gilt es, schon die Therapie während des Vollzugs zu stärken, damit die Täter nach Verbüßung der Haftstrafe nicht ohne Behandlung ihrer gefährlichen Neigungen entlassen werden müssen. Eine 1969 - also vor fast 30 Jahren - im Gesetzblatt verkündete Verpflichtung der Länder zur Bereitstellung sozialtherapeutischer Anstalten wurde noch vor Inkrafttreten auf Wunsch der Länder, insbesondere aus Kostengründen, wieder aufgehoben. Seitdem stehen die Länder in der Verantwortung, Therapieplätze anzubieten, tun dies aber - das muß man deutlich sagen - nur unzureichend.
Ein positiver Schritt in die richtige Richtung, an dem sich die Länder künftig messen lassen müssen, ist der letzte Woche gefaßte Beschluß der Justizministerkonferenz - ganz offensichtlich unter dem Eindruck des schrecklichen Verbrechens an der kleinen Natalie -, daß die diagnostischen und therapeutischen Anstrengungen im Justizvollzug verstärkt werden müssen.
Ich möchte besonders hervorheben, daß beispielsweise Baden-Württemberg eine sozialtherapeutische Anstalt mit 120 Plätzen errichtet. Ebenso wird dort das Therapieangebot im Regelvollzug durch zusätzliche Psychologen verbessert.
({2}) Ich hoffe, dieses Beispiel macht Schule.
Morgen werden wir in der Koalition über weitere Maßnahmen beraten, die den Schutz der Kinder deutlich verbessern sollen. Ich will schon sagen, was mir da im einzelnen vorschwebt; denn eine Haushaltsrede ist eine Gelegenheit, über einige rechtspolitische Pläne zu sprechen - wenn auch mit der notwendigen Vorsicht, um die Gespräche nicht vorwegzunehmen.
({3})
- Sehr richtig, lieber Herr Kollege Weng. Ich kann das nur bestätigen.
({4})
- Damit es nun auch die ganze staunende Öffentlichkeit mitbekommt: Es wurde eben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Justizminister in Baden-Württemberg ein F.D.P.-Mann ist.
({5})
Ich will auf drei Punkte eingehen, auf die wir uns, glaube ich, in unseren Gesprächen auf jeden Fall einigen werden.
Erstens. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung kommt nicht mehr schon dann in Betracht, „wenn verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird"; das ist der Text der derzeitigen Gesetzesfassung. Eine vorzeitige Entlassung ist jedenfalls bei Sexualstraftätern - nur zu diesem Sonderbereich will ich sprechen - nur zu verantworten, wenn anzunehmen ist, daß der Verurteilte solche Straftaten nicht mehr begehen wird.
({6})
Zweitens. Ergänzend müssen wir und wollen wir die Einschaltung von Gutachtern verstärken - und zwar auch und gerade von externen Gutachtern, die also nicht aus dem Sozialzusammenhang einer Strafvollzugsanstalt kommen, in der der Proband sich aufhält - und deren mündliche Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer vor der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung festlegen.
({7})
Drittens. Auch bei Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung könnte an eine verstärkte ambulante Therapie als Bewährungsauflage gedacht werden.
({8})
- Das ist sehr die Frage. Lieber Herr Penner, ich habe andere Signale insbesondere auch aus Nordrhein-Westfalen, nämlich aus Essen, bekommen.
({9})
Meine Damen und Herren, im Bereich des Wirtschaftsrechts will ich den Spielraum für Eigenverantwortung, Kreativität und Initialität vergrößern.
Ein Beitrag hierzu ist die Deregulierung des Handelsrechts.
({10})
Zunächst soll Kaufmann in Zukunft jeder sein, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb führt. Der in vielen Juristengenerationen feinsinnig gestrickte Unterschied zwischen Istkaufmann bzw. Mußkaufmann und Sollkaufmann wird ebenso wie die Figur des Minderkaufmanns aufgegeben.
({11})
Das Firmennamensrecht wird so gelockert werden, daß auch Phantasiefirmen zulässig sind, solange sie nicht irreführen. Die offene Handelsgesellschaft soll auch für Kleingewerbetreibende geöffnet und ihr Fortbestand auch bei Ausscheiden eines Gesellschafters gesichert werden.
({12})
In Zusammenhang hiermit steht die Vereinheitlichung des in Frachtrecht, Speditionsrecht und Lagerrecht zersplitterten und je nach Verkehrsträger unterschiedlichen Transportrechts im Vierten Buch des Handelsgesetzbuchs.
Auch darauf will ich noch hinweisen: Gestern haben wir die von der Koalition geplante und in einer Arbeitsgruppe ausgearbeitete Reform des Aktienrechts der Presse vorgestellt.
All solche Reformen können sicher nur ein kleiner, aber doch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland sein.
({13})
Meine Damen und Herren, eine Modernisierung der materiellen Rechtsordnung ohne eine Modernisierung der Justiz, des Vollzugs-, Umsetzungs-, Anwendungsapparates, ist nur die halbe Miete. Hierzu ist schon viel gesagt. Da meine Redezeit sich dem Ende zuneigt, will ich dazu nicht mehr sagen als das: Wer vom Bund beständig die Verschlankung der Prozeßordnungen verlangt, muß wenigstens gleichzeitig durch Strukturreformen und Modernisierung die Leistungsfähigkeit seiner Justiz sicherzustellen bereit sein. Diese Mahnung richtet sich natürlich an die Länder; denn dort ist nun einmal nach der föderativen Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes die Verantwortung für die Justiz angesiedelt. Aus dieser Verantwortung werden wir keinen einzigen Landesjustizminister entlassen, auch dann nicht, wenn er der F.D.P. angehört; da sind die Mahnungen aber gottlob nicht so wichtig, wie wir uns vergewissert haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen van Essen?
Gern.
Herr Minister, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Stand des Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters, für das wir vom Bund die Grundlage gelegt haben, das aber von den Ländern umgesetzt werden muß, und zwar möglichst schnell, damit die vielen Vorteile, die damit verbunden sind, insbesondere zum Beispiel beim Kampf gegen reisende politisch motivierte Gewalttäter, greifen können?
Das gehört leider in das gleiche Kapitel, in dem die praktische Umsetzung von Gesetzen, die der Bund in die Wege geleitet und beschlossen hat, auf sich warten läßt. Dadurch wird die praktische Arbeit für mehr Sicherheit und für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung behindert. Es ist richtig, daß wir in solchen Fällen immer wieder darauf hinweisen, daß die Länder es nicht dabei bewenden lassen können, beständig nach dem Bonner Gesetzgeber zu rufen, sondern vor ihrer eigenen Tür kehren müssen und
die Dinge, die auf Länderebene machbar sind, wirklich umsetzen müssen.
Ein Letztes. Bei allem Streben um eine Effektiverhaltung der deutschen Rechtsordnung und eine Reform der deutschen Justiz ist es meines Erachtens zugleich ein Gebot der Stunde, noch stärker den Schulterschluß, eine Harmonisierung und Zusammenarbeit auf europäischer Ebene herbeizuführen. Ich mache mich für einen Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention stark, damit die dortigen Grundrechte für die Unionseinrichtungen und für die Unionsbürger unmittelbar gelten.
Ich befürworte die Vergemeinschaftung gewisser Strafverfolgungsbereiche, und zwar sowohl in - wenn auch ganz wenigen - Bereichen des materiellen Strafrechts als auch im Bereich des Verfahrensrechts und hier insbesondere der strafrechtlichen Rechtshilfe, aber im übrigen auch der zivilrechtlichen Rechtshilfe.
Ich strebe eine Verbesserung der Arbeit in der dritten Säule des Maastrichter Vertrages an; denn nur dort können wir Europa für die einzelnen Menschen auf diesem Kontinent deutlicher spürbar werden lassen. Ich möchte auch etwa Europol viel unmittelbarer in die staatsübergreifende Verbrechensbekämpfung einschalten.
Ein intakter deutscher Ordnungsraum unter einem leistungsfähigen, einheitlicheren europäischen Dach, das ist auch und gerade in der Rechtspolitik die Devise. Ich bitte Sie deshalb, dem Justizhaushalt, der einer solchen Politik gewidmet ist, zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Mutter bin ich gewöhnt, daß in schwierigen Situationen manchmal das Betonen guter Beispiele und gelegentliches Lob hilft. Das letzte Mal, als ich in der Haushaltsdebatte zum Justizhaushalt gesprochen habe, habe ich gesagt: Es ist manchmal schon ein bißchen schrecklich, was man hier unter Rechtspolitik versteht. Statt Lust hauptsächlich Last und Frust, weil sich überhaupt nichts geändert hat, verehrter lieber Herr Bundesjustizminister und meine Damen und Herren, die Sie mir alle so sympathisch sind.
Deswegen will ich es jetzt einmal mit einem Lob probieren, mit einem Lob, das ich übrigens guten Gewissens aussprechen kann; denn es bezieht sich auf die Einrichtung des Seegerichtshofs in Hamburg und auf die Ernennung und die erfolgreiche Wahl eines deutschen Mitglieds. Ich glaube, das ist eine gute Sache. Man sollte das auch sagen.
({0})
Jetzt aber, meine Damen und Herren, komme ich auf den zweiten Teil zu sprechen. Sie dürfen uns in Zukunft nicht mehr enttäuschen, indem Sie in der Rechtspolitik so weitermachen wie bisher, sonst wäre ein pädagogischer Lehrsatz aus den Angeln gehoben. Wenn Sie schon eine schlechte Rechtspolitik machen, können Sie es so weit eigentlich nicht verantworten.
({1})
- Aber natürlich kommt das nach, und zwar einfach deshalb, weil Sie doch selber, lieber Herr von Stetten, ganz genau wissen, daß eigentlich der Kollege Kleinert - ich hatte schon gehofft, daß er wieder hereinkommt - recht hat. Jawohl, der Ton unter den Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern ist außerordentlich gut. Daß Sie uns aber unglaublich viel zumuten
({2})
und gelegentlich eigentlich eine Erschwerniszulage zahlen müßten, will ich an dieser Stelle auch noch einmal erwähnen.
({3})
Ich wundere mich jedenfalls manchmal, daß wir trotz alledem so fröhlich sind,
({4})
obwohl sehr häufig kein Anlaß für diese Fröhlichkeit besteht.
Man muß sich nur einmal überlegen, daß das von Ihnen Vorgetragene nicht nur zäh und frustig ist. Es kommt dann auch noch der geschätzte Kollege Kleinert herein und sagt, wir würden uns alle noch wundern, worauf Sie sich einigten. Lieber Herr Kollege Kleinert, wir werden uns nicht wundern, sondern wir wundern uns heute schon, worauf Sie sich manchmal einigen.
Gesetze, die Sie mit Mehrheit durchdrücken wollen, werden heute - wenn Sie einen Funken Ehrlichkeit besitzen, werden Sie mir jetzt zustimmen müssen - in den Ausschüssen und speziell auch im Rechtsausschuß zum Teil in einer Verantwortungslosigkeit beraten, die gen Himmel schreit.
({5})
Das bietet jedenfalls keinen Anlaß zum Vergnügen oder auch nur zum guten Ton.
Es ist die schiere Wahrheit, daß von Sitzung zu Sitzung die Grundlagen unserer Beratungen häufig so verändert werden, daß nicht einmal die Koalitionsmehrheit weiß, worüber sie jetzt gerade abstimmt. Hauptsache, es ist positiv. Wir haben zum Beispiel beim Gesetz über die Einbeziehung von Einmalzahlungen in die Sozialversicherung eine Auskunft des Justizministeriums erhalten, daß es mit Sicherheit
einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten könne. Dennoch wird von der Mehrheit zugestimmt, als sei nichts gewesen.
({6})
Lieber Herr Geis, das neueste Beispiel hierfür gab es heute morgen - Sie wissen das ganz genau - bei der Beratung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, bei der der Rechtsausschuß seine Beratungsaufgabe einfach nicht wahrnehmen konnte, weil noch nicht einmal die Zeit blieb, die Verfassungsmäßigkeit und die Bedenken, die uns von seiten der Landesjustizverwaltungen vorgetragen worden waren, zu prüfen. Aber es wird mit dem Hinweis zugestimmt: Der Herr wird's schon richten; irgendwo wird sich schon alles zurechtmäandern. Das halte ich nicht für befriedigend.
({7})
Deswegen sollten Sie, verehrter Herr Kleinert, gelegentlich daran denken, daß Sie sich nicht nur bei uns für den guten Ton - das ist ja auch wahr - bedanken, sondern auch etwas stärker an die Aufgabe der Rechtspolitik in diesem Haus erinnern und daran anknüpfen. Es täte der Arbeit und vor allen Dingen dem deutschen Recht wirklich gut.
Ich will jetzt meine Aufforderung vom letztenmal nicht wiederholen. Ich will Ihnen nur sagen, daß ich es für sehr gut hielte, wenn Sie unsere Anregungen zur Lösung der Probleme unseres Landes, sei es nun die Sicherheit oder die Rechtsstaatlichkeit, wirklich etwas zeitgerechter, vernünftiger und auch vertiefter berücksichtigten. Das wäre sehr gut.
Schauen Sie auf das Sanktionensystem: Wir alle wissen es - die Fachleute sagen es uns jeden Tag -, daß wir außer Geldstrafe und Strafhaft weitere Formen von Strafe brauchen, sei das nun soziale Arbeit oder anderes.
({8})
- Das ist nun wieder typisch, daß Ihnen das einfällt; aber dieses Wort sollte Ihnen im Hals steckenbleiben, verehrter Herr Kollege. - Neben der Zeitstrafe gibt es natürlich auch andere Dinge, zum Beispiel Fahrverbote.
Diese Unernsthaftigkeit, mit der Sie sich diesen wirklichen Problemen widmen, zeigt im Grunde genommen - das liegt nicht nur an der späten Stunde in diesem Haus, das kann man ja noch nachsehen -, daß im Bereich der Rechtspolitik eine Einigung der Koalitionsfraktionen über wesentliche Punkte noch aussteht. Mit diesen Fragen werden Sie sich genauso befassen müssen wie mit der Frage der Erneuerung der Strafrahmenharmonisierung.
Ihre Vorgängerin, Herr Bundesjustizminister, hat unseren Antrag - er hat bereits einen sehr langen Bart: schon 1993 haben wir gemahnt, daß wir ihn umsetzen; dort sind auch die Gründe, die Sie aufgezählt haben, enthalten - Gott sei Dank aufgegriffen und ans Laufen gebracht. Sie haben darüber berichtet.
Ich habe aber nicht den Eindruck, daß Ihre Koalition bisher mit dem nötigen Ernst, der tatsächlich angebracht wäre, über diese Fragen redet, geschweige denn sich einigt.
Zum ersten geht es darum, daß sich die Rechtsgüterordnung des Grundgesetzes auch im Strafgesetzbuch niederschlagen muß. Das ist wahr.
({9})
Zum zweiten geht es darum, daß man den Grundsatz „Die Kleinen fängt man, und die Großen läßt man laufen" aufgibt und den Schwerpunkt richtig setzt.
Zum dritten geht es darum, daß wir den Charakter des Strafrechts und seine Funktion endlich wieder deutlich herausarbeiten. Damit hätte das Strafrecht eine Ultima-ratio-Funktion.
Wir dürfen nicht alles, was wünschenswert wäre oder was sich gegen Mißstände richtet, die Ihnen oder uns - möglicherweise aus guten Gründen - nicht gefallen, in das Strafrecht hineinnehmen, weil wir ganz genau wissen, daß damit die Effizienz, die Wirksamkeit und auch der Respekt für das Recht - all das sind wesentliche Bestandteile unserer Rechtsstaatlichkeit - vor die Hunde gehen. Deswegen bin ich der Meinung, die Bezeichnung Strafrechtsreform im Zuge dieser Strafrahmenharmonisierung ist ein bißchen hoch gegriffen, wenn man diese Reform mit den großen Reformen der siebziger Jahre vergleicht.
Ich habe Ihnen vorhin zugelacht und gesagt: Sie werden die Entschlossenheit und den kühlen Kopf brauchen. Aber ich denke, der Weg und die Richtung sind richtig.
Zu einem weiteren Punkt. Ich freue mich, daß wir in einigen Bereichen durchaus Übereinstimmung in diesem Haus erreichen können. Darunter fällt der Bereich dieser schrecklichen Sexualmorde, die Sorgen - auch verursacht durch Rückfalltäter - in der Öffentlichkeit ausgelöst haben. Diese Sorgen sind verständlicherweise wieder aufgekommen.
Jeder, der sieht, daß ein Kind einem Sexualmord zum Opfer gefallen ist, ist dazu verpflichtet, zu prüfen, ob das Verfahren der Verurteilung, das Verfahren der vorzeitigen Entlassung, das Verfahren der Begutachtung oder das Verfahren der Therapierung der Verbesserung bedarf. Jeder, egal ob er im Bereich der Gerichtsbarkeit, des Strafvollzuges, der Polizei, der Landesjustizverwaltungen oder des Bundestages tätig ist, ist dazu aufgefordert.
({10})
Deswegen finde ich es gut, daß wir gemeinsam das Anhörungsverfahren durchführen konnten. Ich finde es auch richtig, daß die Punkte, die Sie gerade geschildert haben und die im wesentlichen, wie wir wissen, auf einem Beschluß der Justizministerkonferenz des Bundes und der Länder beruhen, jetzt in die Gesetzgebung oder auch in die Verbesserung der Praxis eingebracht werden.
Aber, Herr Bundesjustizminister, das ist natürlich noch nicht alles, was wir zu tun haben. Ich darf Sie
daran erinnern: Es gibt nicht allem die Opfer der schrecklichen Sexualmorde, die hier oder in Belgien die Öffentlichkeit beunruhigen. Es gibt daneben auch Kinder, die Opfer der sexuellen Ausbeutung und Mißhandlung werden und dadurch zerstört werden, die nicht Natalie heißen. Sie haben vielmehr einen thailändischen oder einen philippinischen Namen.
({11})
Es gibt in jedem Jahr eine höhere Anzahl deutscher Männer - dies muß ich sagen -, die als Sextouristen in diese Länder fahren, um Kinder zu zerstören. Es gibt in jedem Jahr mehr Schwierigkeiten im Bereich der Kinderpornographie. Daß unsere Schutzmechanismen, die wir eingebaut haben, nicht funktionieren, zeigt Ihnen ein Blick auf die Kioske oder in das Internet. Ich habe den Eindruck, wir werden in diesem Bereich noch erheblich mehr tun müssen.
({12})
Mich ärgert, daß wir die Vermittlung von Kindern, die Vernichtung von Kindern in Deutschland nicht bestrafen können, weil wir zum Teil in unseren diesbezüglichen Gesetzen - ich spreche jetzt den § 5 des Strafgesetzbuches an - Schlupflöcher haben und weil zum Teil die Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Bundes und der Länder einfach schändlich schlecht ist. Sie ist so schlecht, daß jemand 10 Monate sein Unwesen in der Zerstörung von Kindern betreiben konnte, nur weil ein zuständiges Gericht nicht gefunden werden konnte.
({13})
Das ist unglaublich. Wäre der Mann jetzt nicht wieder mit kleinen Mädchen in der Tschechei auf gegriffen worden, dann säße er noch immer nicht in Haft. Die deutschen Behörden hätten ihn nicht daran gehindert.
Wenn wir den Schutz der Kinder in den Mittelpunkt rücken wollen, dann sind diese Dinge genauso zu berücksichtigen wie die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit Sexualmördern und Rückfalltätern um?
Das gleiche gilt für die sexuelle Gewalt und den sexuellen Mißbrauch im familiären Nahbereich. Ich weiß, das ist ein Tabuthema, weil jeder von uns auf seine Familie als Ort der Zuneigung und Liebe großen Wert legt. Es ist natürlich auch nicht leicht, zu sehen, daß es immer häufiger Gewalt in übelster Form, auch sexuelle Gewalt und Mißbrauch, gibt. Das mag auch mit dem Zerfallen von Familien zu tun haben. Dazu gibt es die interessantesten Überlegungen.
Meine Damen und Herren, wir können nicht warten, bis die Erklärungen so eindeutig sind, daß dann jeder zustimmt, etwas tun zu müssen. Ich sage Ihnen vielmehr: Zu einem Gesamtkonzept zum Schutz der Kinder vor sexuellem Mißbrauch und Gewalt - das fordern wir ein; das werden wir auch einbringen, wenn Sie uns etwas vorlegen - gehören auch Hilfestellung, Früherkennung, bessere Behandlung dieser
mißbrauchten Kinder bei der Polizei und vor den Gerichten.
Wir haben in diesem Zusammenhang einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die ständige Qual wiederholter Vernehmungen durch Videoaufnahmen wenigstens auf ein erträgliches Maß reduzieren soll. Zu diesem Gesamtkonzept gehört aber erheblich mehr. Deswegen sind wir der Meinung, hier gemeinsam noch eine ganze Menge zulegen zu müssen.
Lieber Herr Kleinert, ich versuche es noch einmal: Niemand wird Sie als einen Macho beschimpfen. Um aber zu glauben, daß es Ihnen mit der Bekämpfung von sexueller Gewalt gerade im Nahbereich auch gegenüber Frauen Ernst ist, gehört nun einmal, daß man keine Privilegierungen schafft. Dazu gehört, daß man Frauen, die sich dazu durchgerungen haben, Anzeige zu erstatten, nicht weiter der Drucksituation oder dem Einflußbereich von Tätern aussetzt. Deswegen sage ich Ihnen: Es ist nicht ein kleines Rinnsal. Ihre Überlegung hat vielmehr einen falschen Ansatzpunkt.
Wir haben die Bitte, noch einmal im Bundestag, nachdem der Bundesrat im Vermittlungsausschuß zwischen Bundesrat und Bundestag - Gott sei Dank - eine veränderte Fassung durchgesetzt hat, über diese Fragen abzustimmen. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wir werden in dieser Frage einen neuen Gesetzentwurf einbringen, und zwar sehr bald, weil wir Sie hier aus der Verantwortung nicht entlassen können.
({14})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch weitere Punkte aufgreifen, die mir einfach deswegen wichtig sind, weil sie in dieser Debatte eine große Rolle gespielt haben. Herr Heuer, was ich an Ihrem Vortrag außer dem, was schon dazu gesagt wurde, so schwierig fand, ist die Tatsache, daß Sie zwar den Positivismus bemühen, der an sich eine interessante, auch rechtstheoretische Denkweise bietet, daß es aber bei Ihnen so klingt, als wollten Sie relativieren. Das geht nicht.
Das zweite, was mich an Ihrem Vortrag sehr gestört hat, war, daß Sie zwar, wie ich finde, durchaus begreiflich und zu Recht Anstoß nehmen, wenn zum Beispiel der Deutsche Bundestag polemisch verglichen wird mit dem Goldhagen-Zitat „Willige Vollstrecker" - wenn auch mit einem Fragezeichen versehen -, daß Sie dann aber, wenn es um die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Menschenrechtsverletzungen geht, von einer Sonderbehandlung der Deutschen sprechen. Das geht nicht. Das müssen Sie relativ bald überdenken und in Ordnung bringen.
({15})
Ein weiterer Punkt ist der, den Sie, Herr Beck, aufgegriffen haben, nämlich das Problem der Scientologen. Ich verstehe, daß Sie in ganz besonderer Weise sensibel sind, wenn es um Minderheiten geht. Ich denke, Sie hätten Ihren Überlegungen und der Tatsache einer bestehenden Enquete-Kommission noch zwei Dinge hinzusetzen müssen.
Erstens. Die Scientologen sind keine Kirche, sondern sie benutzen diesen Begriff, um möglichst wenig Kontrolle und möglichst viele Privilegien zu bekommen. Sie sind eine internationale Geldmaschine mit außerordentlich fragwürdigen Methoden ihren Anhängern oder Mitgliedern gegenüber. Das macht das Problem aus.
Zweitens. Wenn Sie von Hexenjagd sprechen, dann muß ich Ihnen sagen: Wenn jemand in Amerika immer wieder in ganzseitigen Anzeigen die deutsche Bundesregierung, mit der ich inhaltlich, wie Sie wissen, keineswegs immer einverstanden bin, mit dem Hitlerregime oder deutsche Politikerinnen und Politiker mit Goebbels oder anderen vergleicht, dann ist das nicht nur eine Unverschämtheit, sondern völlig unerträglich und darf nicht geduldet werden. Das kommt dem Begriff der Hexenjagd viel näher als alles andere.
({16})
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Punkt ansprechen, der mir ebenfalls sehr wichtig ist. Verehrter Herr Bundesjustizminister, ich habe Sie schon mehrfach gepiesackt und darum gebeten, das Problem der engeren Zusammenarbeit in Europa wirklich ernst zu nehmen. Ich habe mich insofern über Ihre Ansätze sehr gefreut, weil ich in der Tat, wie wohl viele hier im Saal, der Auffassung bin, daß nichts Vernünftiges dabei herauskommen kann, wenn die Grenzen nicht mehr für die Verbrechen und für die Verbrecherorganisationen bestehen, sondern nur noch für nationale Gesetze, für Justiz und Polizei. Dann wird sich der Bürger fragen: „Wo ist denn eigentlich mein Rechtsstaat geblieben? Ich kann hier nicht mehr geschützt werden." Das heißt, Zusammenarbeit ist nötig.
Die Bitte, die ich habe, ist nur: Wenn Sie einen neuen Anlauf nehmen, um die Zusammenarbeit zu verbessern, dann lassen Sie doch bitte nicht die ganze geballte Kraft ausschließlich in den Bereich fließen, von dem Sie gesprochen haben. Insbesondere der Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention, so wünschenswert er wäre, kann möglicherweise ein Irrweg sein. Der Grundrechtskatalog in Europa wäre sehr viel besser. Er würde auch dazu führen, daß man den Europäischen Gerichtshof, der sehr viele Vorarbeiten geleistet hat, in seiner - auch Grundrecht schützenden - Funktion gegenüber Aktionen und auch Gesetzen der Europäischen Union erheblich kräftigt. Ich glaube, daran muß uns allen gelegen sein.
({17})
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, ich sollte noch einmal auf den Anfang zurückkommen. Ich denke, es liegt an Ihnen, uns hier im Haus vorzuführen, daß Rechtspolitik auch die wirklichen Probleme unseres Landes aufgreifen kann.
({18})
Wenn Sie sich darauf einigen würden, verehrter Kollege Kleinert, dann würde ich die Aussage „Ich wundere mich, warum wir alle so fröhlich sein sollen" gar nicht mehr machen. Ich würde noch lieber in einigen Dingen mit Ihnen übereinstimmen. Aber ich glaube, Sie sind jetzt - um einen juristischen Begriff zu bringen - wirklich in der Bringschuld.
Danke schön.
({19})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich stimme mit Ihnen in Ihren Ausführungen zu den Sexualdelikten voll überein. Ich bin aber der Meinung, daß wir uns auch Gedanken darüber machen müssen, was ist, wenn der Täter seine Strafe - auch beispielsweise nach einer Bewährungszeit - voll abgebüßt hat, die Sachverständigen aber sagen, daß er nach wie vor eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt.
Hier meinen wir, daß wir das Instrument der Führungsaufsicht und auch der Sicherungsverwahrung prüfen und unter Umständen auch stärker anwenden müssen. Denn es geht um die Sicherheit unserer Kinder, es geht um die Sicherheit vor Gewaltverbrechern überhaupt, um die Sicherheit der Bevölkerung.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich stimme auch mit dem überein, was Sie zu der Sicherheit und dem Schutz der Kinder gesagt haben, die nicht in Deutschland leben. Da, meine ich, sollten wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Wir bieten jedenfalls insoweit unsere Zusammenarbeit an.
({0})
Es kann nicht sein, daß wir in Deutschland die Kinder schützen - das wollen wir -, daß wir aber Deutschen dann, wenn sie ins Ausland gehen, einen Freibrief erteilen, dort Straftaten in unserem Sinne zu begehen. Man muß darüber nachdenken, wie man in Deutschland diesen Straftaten begegnen kann.
In der heutigen Debatte ist noch nicht zur Sprache gekommen, was uns der Bundesrat inzwischen auf den Tisch gelegt hat. Die Zahl der Eingänge bei den Zivilangelegenheiten und die Eingänge bei den Strafrechtsangelegenheiten steigt an. Deswegen hat der Bundesrat uns ein Justizentlastungsgesetz sowohl im zivilen als auch im strafrechtlichen Bereich vorgelegt. Wir werden uns damit natürlich in der nächsten Zeit zu beschäftigen haben.
Aber wir kennen die Diskussion jetzt schon jahrelang. Immer wieder, in jeder Legislaturperiode, tauchen Entlastungsgesetze auf. Es ist ein ständiges Problem, mit dem die Länderjustizverwaltungen ganz offensichtlich zu kämpfen haben, und zwar völlig unabhängig davon, welche Partei dort den Justizminister stellt. Deswegen müssen wir die Argumente ernst nehmen.
Ich meine aber, wir sollten auch von unserer Seite her darauf hinweisen, welche Bedeutung die Justiz für den Rechtsstaat hat. Man kann solche DiskussioNorbert Geis
nen nicht nur unter dem Diktat leerer Kassen führen. Wenn Justizentlastung, dann um die Justiz effektiver zu machen, nicht nur aus der Rücksicht, man könne, müsse und dürfe den Haushalt nicht zu sehr belasten, zumal sich die Länder dort eh nicht schwertun. Nur knapp über 3 Prozent der Mittel aus den Länderhaushalten werden brutto für die Justiz aufgewendet. Das ist für eine Kernaufgabe des Staates wenig.
Die Justiz ist eine ganz entscheidende Kernaufgabe. Ohne funktionierende Justiz gibt es keinen Rechtsstaat. Wenn der Gläubiger nicht in der Lage ist, vor Gericht zu gehen, seine Forderungen geltend zu machen und sie dann auch zu vollstrecken, funktioniert die freie Marktwirtschaft nicht. Der Verbrecher schert sich nicht um das gedruckte Wort, wenn nicht ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, ein Strafurteil gegen ihn ergeht und dieses Urteil auch vollstreckt wird. Der Rechtsfrieden kann nur in einem Land, das eine freiheitliche Grundordnung hat, durch die Justiz gewährleistet werden - nicht nur, aber vor allem.
Diesen Grundsatz müssen wir mehr bedenken, wenn wir an das Werk gehen, das uns der Bundesrat abverlangt, nämlich über eine weitere Entlastung der Justiz nachzudenken.
Dabei stimmen wir in manchen Punkten sicher überein, im zivilen Bereich zum Beispiel bei dem Vorschlag, Schlichtungsstellen einzurichten. Ich halte dies für einen sehr guten Vorschlag, weil er sich im strafrechtlichen Bereich nämlich im Privatklagerecht bewährt hat. Dort ist der Sühneversuch durchaus ein Instrument, das oft genug zum Erfolg führt. Schlichtungsstellen sind deshalb zu begrüßen. Wir wollen die Öffnung für die Länder, um eine solche Regelung einzuführen.
Auch das Vorhaben des Justizministers, das Schiedsverfahren zu modernisieren, unterstützen wir. Ich glaube in der Tat, daß auch in einem solchen Bereich Konflikte international und national bereinigt werden können. Wir sollten alles tun, damit ein solches Instrument attraktiv gemacht wird. Deswegen begrüßen wir das Vorhaben des Justizministeriums.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Däubler-Gmelin?
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis, wären Sie auch bereit, über weitergehende Schritte nachzudenken, die in der Tat auf die Möglichkeit von Schlichtungsstellen oder vorgerichtlichen Ausgleichsstellen ausgeweitet werden könnten, für die wir, wie Sie wissen, schon seit Jahren immer Argumente dafür oder dagegen hören? Der Streit kann nicht überwunden werden. Wären Sie bereit, mit uns darüber nachzudenken, richtige gesetzliche Experimentierklauseln auf eine bestimmte Zeit hin begrenzt vorzusehen, damit wir dann in der Tat innerhalb einer bestimmten Zeit von Jahren in diesen Fragen weiterkommen?
Sie meinen im zivilrechtlichen Bereich?
({0})
Dazu sind wir bereit. Die Schlichtungsstelle, die jetzt diskutiert wird und für die der Bundesratsentwurf eine Öffnungsklausel für die Länder vorsieht, wäre ein solches Instrument. Aber wir können gemeinsam über eine solche gesetzliche Möglichkeit ohne weiteres nachdenken.
Ich möchte nur vor einem warnen. Ich glaube nicht, daß wir mit einer allzu weitgehenden Privatisierung im Justizbereich weiterkommen. Wir werden sehr schnell an die Grenze kommen, weil die Justiz eine Staatsgewalt, die dritte Gewalt im Staat, ist. Sie ist ein Teil des Staates, und den Staat kann man nicht privatisieren.
Deswegen sind zwar die Schlichtungsstellen ein guter Ansatz. Auch über die Schiedsgerichtsbarkeit kann man weiterkommen. Aber irgendwo sind Grenzen geboten, einfach deswegen, weil es hier um Staatsgewalt geht und die Staatsgewalt an sich nicht privatisiert werden darf.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?
Ja.
Lieber Herr Kollege Geis, Sie haben zu Recht, ebenso wie der Herr Bundesjustizminister betont, daß im Bereich der Justizentlastung natürlich auch eigene Anstrengungen der Länder verlangt werden müssen. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Handlungsweise des Frankfurter OLG-Präsidenten und des dortigen Justizministers vor dem Hintergrund, daß man wohl schlecht von uns Entlastungsmaßnahmen mit der Begründung verlangen kann, die Richter seien hoffnungslos überlastet, wir dann aber erleben müssen, daß führende Richter, die sich in erster Linie wohl um das Funktionieren ihrer Gerichte kümmern müßten, lukrativen Nebengeschäften nachgehen - wobei ich noch erwähnen will, daß dies kein Einzelfall ist?
Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Ich glaube, daß dies eine schlechte Unterstützung für das Ländervorhaben ist, die Richter zu entlasten. Uns sagt man immer, die Richter seien sehr stark belastet, und ich kann es ja auch fast glauben angesichts der Tatsache, daß von 1991 bis 1995 die Belastung um 30 Prozent gestiegen ist und durch einen höheren Einsatz der Richter, der Staatsanwälte und der Justizbeamten wettgemacht worden ist. Denjenigen, die diese Belastung auf sich genommen und bewältigt haben, möchte ich auch einmal danken.
({0})
Wenn ich dann aber das Beispiel aus Frankfurt sehe, dann meine ich schon: Wenn Nebentätigkeiten
in einem solchen Umfange - das Honorar für diese Nebentätigkeit in Höhe von über 1,3 Millionen DM weist ja auf eine sehr umfangreiche Nebentätigkeit hin - möglich sind, dann müssen uns Zweifel an der Behauptung kommen, die Richter seien hoffnungslos überlastet. Ich verurteile dies genauso wie Sie. Ich verurteile aber auch den Vertragspartner. Ich meine nicht, daß die Gewerkschaft hier sorgsam mit den Geldern ihrer Mitglieder umgegangen ist. Ich kann einen solchen Vertrag einfach nicht verstehen und nicht akzeptieren.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf ein Weiteres hinweisen. Wir haben 1994 im strafrechtlichen Bereich eine Justizentlastung vorgenommen, indem wir nämlich das beschleunigte Verfahren modernisiert haben. Nur: Das beschleunigte Verfahren wird von den Ländern mit Ausnahme von Brandenburg nicht aufgegriffen. Dort werden bereits 10 Prozent der eingehenden Fälle im beschleunigten Verfahren abgewickelt.
Eine Voraussetzung für das beschleunigte Verfahren ist natürlich die Hauptverhandlungshaft. Wie soll das beschleunigte Verfahren überhaupt eingesetzt werden, wenn in München die Chaoten auftauchen und, nachdem ihre Personalien festgestellt sind, quer durch die Republik nach Hamburg zurückreisen, wo sie ihren Wohnsitz haben? Dort ist eine Ladung innerhalb von acht Tagen ausgeschlossen, so daß ein beschleunigtes Verfahren gar nicht durchgeführt werden kann. Deshalb meine ich, daß das beschleunigte Verfahren im Zusammenhang mit der Hauptverhandlungshaft von allergrößter Bedeutung ist.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen van Essen?
Ja.
Herr Kollege Geis, wie beurteilen Sie eigentlich in diesem Zusammenhang die Haltung der SPD, die hier im Bundestag die Hauptverhandlungshaft bekämpft und in den Ländern, die einen SPD-Justizminister haben, Modellversuche wie zum Beispiel in Bochum veranstaltet, die dort sowohl von der Justiz und der Anwaltschaft als auch von der Geschäftswelt außerordentlich positiv gesehen werden und damit genau das umsetzen, was Sie gerade skizziert haben?
({0})
Ich kann der SPD-Fraktion hier im Bundestag nur raten, engen Kontakt mit dem Landesjustizminister von Nordrhein-Westfalen zu halten, sich das Bochumer Modell genau anzuschauen und eine Änderung ihrer Meinung herbeizuführen.
Herr Kollege Geis, Sie provozieren geradezu eine Fülle von Fragen von Kollegen, die noch nicht genug haben. Zunächst einmal möchte der Kollege Professor Meyer eine Frage stellen. Sind Sie einverstanden?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Geis, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es Modellversuche mit Hauptverhandlungshaft in Bochum schon deshalb nicht geben kann, weil die Hauptverhandlungshaft bisher nicht Bestandteil des geltenden Rechts ist, und stimmen Sie mir zu, daß eine Hauptverhandlungshaft, also ein sehr schneidiges Instrument staatlicher Machtanwendung, dann unverhältnismäßig erscheinen muß, wenn man sich im Bereich der schwersten, nämlich der organisierten Kriminalität bisher nicht auf neue Instrumente einigen konnte? Meinen Sie nicht, daß dies dem allgemeinen Eindruck Vorschub leistet, daß die Rechtspolitik der Koalition darauf aus ist, die Kleinen zu fangen und die Großen zu schonen?
Sie können von mir nicht ein Ja erwarten; das wissen Sie auch. Ich bin nicht Ihrer Auffassung, sondern vielmehr der Meinung, daß die Hauptverhandlungshaft ein notwendiges Instrument ist, um das beschleunigte Verfahren durchführen zu können. Ich habe das Beispiel genannt: Es geht um Chaoten, die irgendwo in München auftauchen, aber in Hamburg wohnen. Wie soll man ein beschleunigtes Verfahren durchführen, wenn die Straftaten an einem Samstag erfolgen?
Ich bin natürlich mit Ihnen der Meinung, daß die Hauptverhandlungshaft nicht ewig dauern kann; sie muß in einem vernünftigen Zeitrahmen bleiben. Wir sehen sie auch nur für eine Woche vor. Meiner Vorstellung nach müßte, wenn am Samstag die Tat begangen worden ist, am Montag darauf das Verfahren beginnen, damit die Haft nicht zu lange dauert und unverhältnismäßig wird.
Wir haben die Frage der Verhältnismäßigkeit im übrigen sehr genau geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Hauptverhandlungshaft zur Durchführung des beschleunigten Verfahrens durchaus verfassungskonform ist.
({0})
- Ich möchte keine weiteren Fragen zulassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben im zivilen Bereich wichtige Fragen zu klären; sie sind vorhin schon vom Justizminister genannt worden. Ich möchte auf einige Punkte zu sprechen kommen.
Zum Kindschaftsrecht: Hier ist eigentlich nur noch die Frage offen - ansonsten sind wir uns einig -, wie wir mit dem Sorgerecht nach der Scheidung umgeNorbert Geis
hen. Wir sind hier auf dem besten Weg. Wir meinen, daß diese für die Kinder entscheidende Schicksalsfrage nicht völlig aus dem Scheidungsprozeß ausgeblendet werden darf, wiewohl wir natürlich den Grundsatz unterstützen, Herr Minister, daß die Sorge nach der Scheidung grundsätzlich von beiden Elternteilen wahrzunehmen ist.
Ein Wort zum Mietrecht. Wir werden es modernisieren. Wir treten nach wie vor für ein soziales Mietrecht ein. Wir sind der Meinung, daß das soziale Mietrecht einen wesentlichen Anteil am sozialen Frieden hat und auch haben muß. Wir meinen aber, daß das Mietrecht nicht zum Investitionshemmnis werden darf. Die beste Versorgung der Mieter ist ein großes Angebot an Wohnungen.
({1})
Die allerbeste Versorgung ist ein großes Angebot an Eigenheimen und Eigentumswohnungen.
Ein Wort zum Nutzerschutzgesetz, das uns in den letzten Tagen und Wochen in Diskussionen sehr beschäftigt hat. Wir sind der Auffassung, daß ein vernünftiger Weg zwischen der Meinung des Bundesverwaltungsgerichtes und der Meinung des Bundesgerichtshofes gefunden werden muß.
Die Diskussion in dieser Frage war manchmal von wenig Sachkenntnis gezeichnet. Ich glaube, daß man im Rückblick auf diese ganze Problematik jetzt nicht davon ausgehen kann, die DDR sei ein Rechtsstaat gewesen. Enteignungen hatten dort Bestand, wenn es die Machthaber wollten, gleichgültig, ob die Enteignung entsprechend den Verfahren des Rechts der vormaligen DDR erfolgt ist oder nicht.
Wir sollten zumindest darauf achten, daß die Grundsätze, die jetzt durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden sind, nämlich der Grundsatz von Treu und Glauben, also die Möglichkeit des redlichen Erwerbs, und der Grundgedanke des Investitionsvorranggesetzes, des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes und des Schuldrechtsbereinigungsgesetzes, auch für diese Möglichkeiten der Rückabwicklung Geltung haben.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Wort zum Strafrecht. Wir müssen alles tun, um Gewalt und Verbrechen zu widerstehen. Das verlangen die Bürger von uns, und dazu ist der Staat da. Eine Demokratie, die das nicht leisten kann, gefährdet ihren Bestand.
Deshalb können wir über den sogenannten Lauschangriff nicht nur reden; wir müssen auch zu Stuhle kommen. Ich bitte daher die SPD, das Gesprächsangebot der Koalition zu einer wahrscheinlich notwendigen Änderung des Art. 13 Grundgesetz anzunehmen. Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen, um diese Frage zu lösen.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn wir trotzdem von der SPD kritisiert werden, wir würden nicht alles gegen die organisierte Kriminalität tun.
({3})
Auf der einen Seite nehmen Sie das Angebot zum Gespräch nicht an, auf der anderen Seite werfen Sie uns vor, wir würden nicht alles tun, um den Gewinn abzuschöpfen.
Wir werden eine Novellierung der Gewinnabschöpfungsregelung vorlegen und alles tun, damit wir an das herankommen, um was es den Verbrechern geht, nämlich an ihr durch Verbrechen erworbenes Geld. Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf in Kürze im Parlament und im Ausschuß beraten können, um ihn dann auch zu Ende zu bringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Wort zum Drogenhandel. Die Mafiabosse verdienen den Hauptteil ihres Geldes mit Drogen. Von daher ist es geradezu absurd, daß in Schleswig-Holstein die weichen Drogen nun freigegeben und auch noch in den Apotheken verkauft werden sollen. In den Apotheken sollen Heilmittel verkauft werden, aber nicht Mittel, mit denen sich die Jugend ihre Gesundheit, ihre Psyche, ihre Physis kaputtmachen kann. Die Apotheker sollten sich gegen eine solche Perversion ihres Berufsstandes wehren.
({4})
Wir werden mit solchen Legalisierungen nicht weit kommen.
In Schweden ist diese Diskussion längst geführt. Vor 15 Jahren ist in Schweden diese Diskussion zu Ende gebracht worden. Dort hat man null Toleranz auch gegenüber weichen Drogen. Ich hoffe, daß auch wir uns dazu durchringen und wir dieses absurde Vorhaben von Schleswig-Holstein zurückweisen können.
({5})
Die Bundeswehr hat sich auch in der Bevölkerung großes Ansehen erworben. Unsere Soldaten haben sich insbesondere durch den internationalen Einsatz hohen Respekt verdient. Wir sind stolz auf unsere Soldaten; es sind unsere Söhne. Wir lassen unsere Söhne nicht als Mörder beleidigen.
({6})
Unsere derzeitigen Gesetze reichen dazu - das zeigt die Praxis - nicht aus. Deswegen haben wir einen neuen § 109 b StGB vorgelegt. In der Anhörung wurde von allen anzuhörenden Personen bestätigt, daß es sich nicht um ein verfassungswidriges Vorhaben handelt. Ich hoffe sehr, daß wir hierbei zu einer vernünftigen Lösung kommen und daß sich die Mehrheit des Hauses zu einer solchen Regelung entschließt.
({7})
Ein Wort noch zu der internationalen Kriminalität. Wir können die internationale Kriminalität - das sind eben weite Bereiche der organisierten Kriminalität - nicht ohne internationale Zusammenarbeit bekämpfen. Das gilt für das Internet,
({8}): Wissen Sie überhaupt, was das
Internet ist?)
in dem schon heute Pornographie, Kinderpornographie, Anleitungen zu faschistischem Handeln bis hin zu Unterrichtungen, wie man eine Bombe baut, angeboten werden. Wir müssen durch internationale Absprachen versuchen, diesem Wahnwitz ein Ende zu bereiten.
Wir können auch die organisierte Kriminalität nicht ohne internationale Zusammenarbeit bekämpfen. Deshalb brauchen wir Europol. Wir unterstützen dieses Vorhaben. Wir unterstützen, daß Europol endlich zu Ermittlungsergebnissen kommt.
Die Europäische Union wird das Vertrauen der Bevölkerung nicht gewinnen, sie wird keine Akzeptanz haben, wenn es in der EU möglich ist, Verbrechen zu begehen, ohne daß sie hart genug bekämpft werden. Dazu ist eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Dazu rufen wir alle auf.
Herr Justizminister, wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit mit Ihrem Haus. Sie unterstützen uns und auch den Ausschuß. Wenn es notwendig war, kamen Sie während Ihrer bisherigen Amtszeit sehr oft zu den Anhörungen in den Ausschuß. Wir bedanken uns dafür.
Ich möchte mich auch für die gute Zusammenarbeit im Rechtsausschuß bedanken und hoffe, daß sie fortgesetzt werden kann.
Ich bitte Sie um Zustimmung zum Justizhaushalt. Danke schön.
({9})
Zu einer Kurzintervention gebe ich zunächst dem Abgeordneten Volker Beck das Wort.
Herr Geis, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede das Problem des sexuellen Mißbrauchs von Kindern angesprochen. In Ihrer schriftlich verteilten Rede führen Sie allerdings Weiteres aus, und zwar fordern Sie die Grünen auf, sie sollten sich von ihren früheren Bestrebungen, die gewaltfreie Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, klar distanzieren.
Ich will diese Frage hier, weil das in der letzten Zeit in der Presse schon öfter seinen Niederschlag gefunden hat, ein für allemal klären. Ich bitte Sie, danach diese Kampagne zu beenden.
Die Bundespartei Die Grünen, die Bundestagsfraktion und die Bundestagsgruppe, die unsere Partei hier vertreten haben, haben zu keinem Zeitpunkt dergleichen beschlossen oder gefordert oder in dieses Parlament eingebracht.
({0})
- Lassen Sie mich doch mal ausreden! Es gab Diskussionen im Bundestag - da gab es noch gar keine grüne Partei -, nämlich im Strafrechtsonderausschuß - genauso in der Sexualwissenschaft und in der Kriminologie -, in denen danach gefragt wurde, ob es unter § 176 StGB Tatkonstellationen geben könne, die nicht strafwürdig seien. Solche Diskussionen - das will ich nicht verhehlen - gab es vor über zehn Jahren auch in unserer Partei. Das ist richtig, aber sie waren erstens nicht Beschlußlage, und zweitens haben uns gerade die Diskussion im Rahmen der Frauenbewegung und die neuere Viktimologie, die nämlich die Opfer befragt hat, dazu geführt, daß wir sagen: Für eine solche Position, für eine solche Diskussion gibt es keinerlei Anlaß. Wir haben bereits 1988 auf einer Bundeshauptausschußsitzung unserer Partei sogar solche Positionen für mit der Programmatik unserer Partei unvereinbar erklärt.
Lassen Sie uns jetzt, zehn Jahre nach einem solchen Beschluß, diesen Aktendeckel endlich schließen und uns gemeinsam an das Werk machen, das Problem der wirkungsvollen Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern im Inland und im Ausland zu lösen.
Wir haben in der Vergangenheit die Verjährungshemmung unterstützt und sogar die Diskussion um diese Verjährungshemmung beim sexuellen Mißbrauch von Kindern initiiert. Da gab es auf der Seite der Koalition starke Widerstände; Sie erinnern sich wahrscheinlich, was für ein Heckmeck hier im Hause war. Wir haben die Ausdehnung der Strafverfolgung auf sexuellen Mißbrauch von ausländischen Kindern durch Deutsche im Ausland unterstützt - bis vor zwei oder drei Jahren war dieser Mißbrauch noch straflos -, und wir haben jetzt als einzige Fraktion eine Initiative zu dieser Thematik, um dieses Gesetzgebungswerk in die Praxis umzusetzen, eingebracht.
Herr Kollege Beck, Ihre Zeit ist abgelaufen.
Ich bitte Sie, dieses Thema angesichts der Ernsthaftigkeit und der Tragödien, um die es geht, aus dem parteipolitischen Streit herauszunehmen.
Herr Kollege Beck, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Bitte, Herr Geis.
Herr Präsident! Herr Beck, ich nehme Ihre Distanzierung von früheren Entschließungen und auch von Anträgen hier im Bundestag zur Kenntnis. Es ist in der Tat so, daß Sie vor geraumer Zeit die Abschaffung des Schutzes minderjähriger Buben vor homosexuellen Handlungen gemäß der Bundestagsdrucksache vom 4. Februar 1985 geNorbert Geis
fordert haben, wo es heißt: „Die Strafandrohung belastet das konfliktfreie sexuelle Leben. "
Sie haben in Ihr Bundesprogramm geschrieben, gewaltfreie Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen dürfe niemals Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung werden, und Sie haben sich in Baden-Württemberg zu der Forderung verstiegen - ich zitiere - : „Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern müssen straffrei sein. "
Ich akzeptiere - ich wiederhole es noch einmal, Herr Beck - Ihre Distanzierung von dieser damaligen Beschlußlage. Ich habe das heute hier auch nicht erwähnt - Sie haben das richtig festgestellt - , weil Sie dies mir gegenüber so erklärt haben. Aber ich möchte auf Ihre Wortmeldung hin noch einmal betonen, daß ich dies als Distanzierung verstehe und dies auch so akzeptiere.
({0})
Ich lasse noch zwei Kurzinterventionen zu und schlage Ihnen vor, Herr Kollege Geis, daß Sie dann auf beide gemeinsam antworten, wenn Sie einverstanden sind.
Zur ersten Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Schily das Wort.
({0})
Herr Kollege Geis, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen mit Recht darauf hingewiesen, daß der Rechtsstaat nur mit einer funktionsfähigen Justiz arbeiten kann und daß der Bestand des Rechtsstaates an eine solche funktionsfähige Justiz gebunden ist. Ich nehme an, Ihre Ausführungen gelten auch für das höchste Gericht in unserem Lande, das Bundesverfassungsgericht. Ich habe es sehr bedauert, daß Sie die Gelegenheit dieser Debatte nicht wahrgenommen haben, um sich von Beschimpfungen, Beleidigungen und ehrenrührigen Kommentaren zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu distanzieren, die zum Inhalt hatten, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zu befolgen und ähnliches.
Ich denke, Sie sollten das jetzt in der Antwort auf meine Kurzintervention nachholen, weil Sie sich auch selber durch einige Äußerungen so verhalten haben, daß man den Verdacht haben konnte, auch Sie haben nicht den notwendigen Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das Wort zur zweiten Kurzintervention gebe ich der Kollegin Frau von Renesse.
Der Direktor des Amtsgerichts Bochum, von dem ich ja selber komme - er ist ein Mann, den ich sehr schätze, weil er in seinem Beruf nicht nur kreativ, sondern auch hochengagiert ist -, wird merkwürdigerweise von beiden Seiten im Zusammenhang mit der Hauptverhandlungshaft zitiert: von denen, die sagen, das Bochumer Modell, dessen Erfolg ja auf der Hand liegt, beweise die Notwendigkeit der Hauptverhandlungshaft, und von denen, die sagen - und das in Übereinstimmung mit dem Direktor des Amtsgerichts Bochum -, um das Bochumer Modell erfolgreich durchführen zu können, bedürfe es keiner Rechtsänderung. Herr Kollege Geis, das dürfen Sie mir glauben: Das Amtsgericht Bochum hält sich beim Bochumer Modell an geltendes Recht.
({0})
Herr Kollege Geis, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Herr Schily, Sie können meine schriftlichen Äußerungen nachlesen. Ich habe das Bundesverfassungsgericht kritisiert, aber ich habe keinen Richter beleidigt und habe auch keine despektierliche Äußerung über das Gericht selbst getan. Das kann man nachlesen. Ich habe das auch nicht in einer mündlichen Äußerung getan. Ich habe dies schon des öfteren betont, und deshalb meine ich, daß ich hier nichts zurückzunehmen und mich auch nicht zu distanzieren habe.
Aber wenn wir mit dem Aufrechnen anfangen wollten, dann könnten wir das jetzt tun. Es gab auch aus Ihren Reihen zu anderen Entscheidungen Äußerungen, die man jetzt zitieren könnte. Denken Sie nur einmal daran, wie sich Frau Hildebrandt zu der Entscheidung vom 28. Mai 1993 geäußert hat. Wir sollten in dieser Beziehung vorsichtig sein. Ich jedenfalls habe keine Veranlassung, mich zu distanzieren.
Nun gebe ich gemäß § 29 der Geschäftsordnung das Wort dem Abgeordneten Gerald Häfner.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte namens meiner Fraktion den von uns heute zunächst gestellten Änderungsantrag zur Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts zurückziehen. Dies geschieht nicht deshalb, weil wir von dem Anliegen abgehen oder nicht in aller Intensität an ihm festhalten wollten, sondern schlicht deshalb, weil in dieser Sache in jüngster Zeit Gespräche zwischen den Fraktionen begonnen haben, die mich hoffen lassen, daß so etwas gemeinsam zustande gebracht werden könnte. Deshalb hielte ich es für wenig gescheit, wenn wir in der jetzigen Situation diesen Antrag stellen würden und darüber abstimmen ließen. Deshalb ziehen wir ihn zurück.
Ein zweiter Grund ist, daß wir die Hoffnung haben, daß eine Finanzierung aus anderen Mitteln, nämlich aus dem widerrechtlich angeeigneten SED-Parteivermögen, möglich ist. Das prüfen wir gerade intensiv.
Das würde eine Finanzierung aus dem Bundeshaushalt erübrigen.
Aus diesen Gründen bitte ich, den Antrag jetzt nicht zu behandeln. Wir wollen ihn zurückziehen.
Vielen Dank. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 07 in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschußfassung. Wer für den Einzelplan 19 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 19 mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.19 bis I.21 auf: Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 13/6006, 13/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz
Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Oswald Metzger
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS
Vergütung der Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 13/79, 13/459 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz
Antje Hermenau
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 13/6023 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hermann Kues Ina Albowitz
Oswald Metzger
Zum Einzelplan 06 liegen elf Änderungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß diese anderthalb Stunden nicht ausgeschöpft werden müssen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Uta Titze-Stecher.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! „Der Bundeshaushalt 1997 sendet die richtigen Signale" - so gestern von dieser Stelle aus Frau Karwatzki, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen. Dieser schlechte Scherz sei ihr, der ehemaligen Haushaltsausschußkollegin, verziehen, denn ich gehe davon aus, daß sie nur vorgetragen hat, was ihr der erkrankte Finanzminister aufgeschrieben hat;
({0})
denn an den Einzelplan 06, den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, können beide mit der Bewertung „richtige Signale" schwerlich gedacht haben. Denn da werden die unterschiedlichsten Signale ausgesandt, teils falsche, teils widersprüchliche, teils zögerliche und zum Teil gar keine Signale, wie ich an einigen Beispielen konkretisieren will.
Erstes Beispiel: Zivilschutz. Da hat das Parlament vor knapp zwei Wochen einen Gesetzentwurf verabschiedet, der den Zivilschutz in Deutschland neu ordnen soll. Dazu sind die haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen worden, nämlich die Absenkung und Budgetierung der sächlichen und personellen Mittel beim Technischen Hilfswerk sowie die komplette Auflösung des Bundesverbandes für Selbstschutz, übrigens in der Hälfte der dafür ursprünglich vorgesehenen Zeit und relativ rücksichtslos gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern. Dies alles hat sich bereits seit mehreren Jahren vollzogen, bevor das Parlament die gesetzliche Grundlage dazu beschlossen hatte.
({1}) - Herr Präsident, mir ist das zu laut.
Sie haben das Wort. Es gilt im allgemeinen die Bemerkung von Kurt Tucholsky: Ein guter Redner findet sein Publikum.
({0})
Ein guter Redner findet dann nicht sein Publikum, wenn Teile des Publikums vorher versucht haben, die Rede zu verhindern bzw. den Redner zu veranlassen, die Rede zu Protokoll zu geben.
({0})
Herr Schlauch, ich würde nicht so lachen, denn von Ihnen ging die Initiative aus.
Ich fahre fort. Ich meine, dieses Verhalten am Parlament vorbei, Herr Innenminister, ist ein eindeutig falsches Signal, und zwar in Richtung Umgang mit
dem Parlament, wie ich von dieser Stelle bereits mehrfach im Rahmen von Haushaltsberatungen kritisiert habe.
Um beim Zivilschutz fortzufahren: Die Neuordnung des Zivilschutzes - vom Bundesrechnungshof übrigens Mitte der 80er Jahre verlangt und jetzt erst umgesetzt - wird wie folgt begründet:
Durch die Verbesserung der Sicherheitslage in Europa ist eine Verringerung der bisherigen Vorkehrungen für Verteidigung möglich.
Das kann ich voll unterstreichen. So weit, so gut. Das gilt natürlich entsprechend auch für den Zivilschutz, das heißt für die nichtmilitärischen Maßnahmen zum Schutz von Bevölkerung, Wohnungen und Arbeitsstätten. Unter Verweis auf die geänderte, verbesserte Sicherheitslage werden daher völlig zu Recht, Herr Kanther, die staatliche Förderung des Schutzraumbaus sowie Bau und Verwaltung von Hilfskrankenhäusern in Zukunft entfallen. Dies entspricht einer langjährigen Forderung der SPD.
Nun, was für die Zivilbevölkerung gilt, sollte auch für die Verfassungsorgane gelten. Aber weit gefehlt! Wie zu Zeiten des tiefsten Kalten Krieges wird weiter am sogenannten Regierungsbunker festgehalten. Sechs Jahre nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation wird unter strenger Geheimhaltung weiter in die Dienststelle Marienthal investiert, weil Innenminister Kanther am Unterschlupf für das Notparlament festhält, koste es, was es wolle.
({1})
Da fragt sich die Öffentlichkeit natürlich zu Recht, ob hier nicht falsche Signale gesendet werden, denn auf der einen Seite - Herr Marschewski, das Mikrofon ist auf meiner Seite, nicht auf Ihrer -,
({2})
wird der Zivilschutz für die Bevölkerung neu geordnet, das bedeutet auch: abgespeckt, auf der anderen Seite betragen die Renovierungskosten für den exklusiven Schutz für Handelverlesene in der Fluchtburg rund 200 Millionen DM.
Das ist eine glatte Fehlinvestition, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ziehen, wie jeder hier im Raume weiß, Regierung und Parlament in absehbarer Zeit nach Berlin, also weit weg von Ahr- und Rheintal. Zweitens, denke ich, ist die Geschäftsgrundlage und die Existenzberechtigung für diesen monströsen Maulwurfsbau schlicht entfallen. Oder glauben Sie, liebe Kollegen von der Koalition und vor allem lieber Herr Minister, im Ernst an einen atomaren Angriff in Zeiten von Abrüstung auch der atomaren Raketenbestände? Verzichten Sie auf Marienthal! Es ist unnötig wie ein Kropf.
({3})
Im übrigen sind wir gespannt, welches Ergebnis die gestern über die Ticker gegangenen Ankündigungen der F.D.P. haben werden. Da will der kleine Koalitionspartner plötzlich Ausbau und Renovierung von Marienthal stoppen - na, da bin ich einmal gespannt auf die Ergebnisse der angekündigten Gespräche zwischen „K und K", Koalition und Kohl -, anstatt die Möglichkeit - die bestanden hätte - in den zuständigen Gremien, Vertrauensgremium und PKK, zu ergreifen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage Uta Titze-Stecher ({0}): Nein!
- der Abgeordneten Holzhüter?
Ja. - Entschuldigung, ich dachte, der Herr Marschewski wollte mich stören.
({0})
Frau Titze-Stecher, ich wollte Ihnen eigentlich gerade zu Hilfe eilen: Ich wollte Sie fragen, ob Sie wie ich den Eindruck haben, daß hier stundenlang Profilneurosen männlicher Diskussionsteilnehmer abgearbeitet wurden, jetzt aber, wo eine Frau am Pult steht, niemand mehr meint zuhören zu müssen.
({0})
Gehen auch Sie davon aus, daß dies ein äußerst wichtiger Teil des Haushaltes ist, der unsere ganze Aufmerksamkeit erfordert, sowohl der Opposition wie auch der Regierungsparteien?
Frau Kollegin, ich stimme Ihnen voll zu. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Innenminister ist politisch verantwortlich für die innere Sicherheit in diesem Land. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der IT-Technik, die Bereitschaftspolizeien der Länder und den Bundesgrenzschutz wurden 1992 rund 2,67 Milliarden DM ausgegeben; 1997 sollen für die genannten Bereiche knapp 4 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Das bedeutet in fünf Jahren einen Aufwuchs um rund 50 Prozent. Nun sollte man meinen: Wenn man so viel Geld in den Bereich innerer Sicherheit steckt, müßte das unter dem Strich eigentlich zu mehr Sicherheit führen. Aber, wie Sie gleich hören werden, weit gefehlt!
Verfassungsschutz und Gewerkschaft der Polizei schlagen Alarm. Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen nehme immer bedrohlichere Ausmaße an, so der GdP-Chef, Lutz, Anfang September. Die Straftäter würden immer jünger und brutaler. Dazu kann ich nur äußern: Wenn Jugendliche glauben, ihr Selbstbewußtsein durch Attacken auf Fremde, Andersartige, Schwächere stärken zu müssen, so ist dies eindeutig ein direktes und unverfälschtes Signal für
die existentiellen und seelischen Nöte, in die sie unter anderem durch die Politik dieser Regierung gebracht worden sind.
({0})
Jugend-, Familien- und Bildungspolitik, die Jugendlichen Perspektiven eröffnen würden, wären, das ist heute im Rahmen der Elefantendebatte ausgeführt worden - Stichworte sind: integrative Aussiedler- und Ausländerpolitik, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot -, ein angemessener Beitrag zu sozialem Frieden und zu größerer innerer Sicherheit jedenfalls eher als die derzeit von Ihnen praktizierte Rotstiftpolitik in diesen Bereichen.
({1})
Zum Thema innere Sicherheit noch eine weitere Anmerkung: Am 19. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität - in Folge „OK" genannt - sowie zur Eindämmung von Korruption und Geldwäsche beschlossen. Jahrelang hat diese Bundesregierung bei der Korruptionsbekämpfung keinen Finger gekrümmt; sie hat dem erkennbaren Aufbau von Korruptionsstrukturen schlicht zugeschaut. Nur auf massives Drängen der SPD-Bundestagsfraktion
({2})
und unter dem Eindruck schwerster Fälle von Korruption in diesem Land hat sich der Innenminister endlich durchringen können, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern zu unterbinden - leider nur im Inland. Deutschen Firmen bleibt es weiter unbenommen, ausländische Firmen, ausländische Beamte und Potentaten zu bestechen. Denn die im Ausland verteilten Schmiergelder bleiben weiterhin in Deutschland steuerlich absetzbar - sehr zum Ärger nicht nur der SPD, sondern auch der meisten europäischen Staaten, die dies nicht kennen, und der USA, wo dieser Tatbestand bereits seit 1977 bestraft wird. Herr Kanther, ich denke, hier ist ein deutliches Signal gefragt.
({3})
Wir wissen zwar, daß Korruption das zweitälteste Gewerbe der Welt ist. Aber wir wissen auch, daß da, wo steuerliche Anreize entfallen, logischerweise weniger geschmiert wird. Das beweist die jüngste Umfrage der OECD, in einer Fragebogenaktion unter den eigenen Mitgliedstaaten.
Obwohl, wie gesagt, die Gesamtausgaben für den Bereich innere Sicherheit seit Jahren kontinuierlich ansteigen, werfen wir als Opposition der Bundesregierung und dem verantwortlichen Innenminister vor, Kriminalitätsfurcht zu schüren, insbesondere bei der Vorlage des OK-Lageberichts, und die organisierte Kriminalität nicht wirksam zu bekämpfen. Die Liste der Versäumnisse ist lang: Bei der Schaffung des EG-Binnenmarktes beispielsweise wurde das Problem der OK schlicht ausgeklammert, und Vorkehrungen - Schengen und Europol - wurden viel zu spät getroffen. Dringend notwendige Kooperationsabkommen mit wichtigen mittel- und osteuropäischen Staaten zur Bekämpfung der OK fehlen bis
heute. Wo bleibt in diesem Zusammenhang eigentlich die Verzahnung von Innen- und Außenpolitik zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität?
Wenn ich im übrigen lese, daß sich bei der Konferenz der Ostsee-Anrainerstaaten Herr Schmidbauer um polizeiliche Belange kümmert, dann muß ich sagen: Herr Kanther, da sind eigentlich Sie gefragt.
Seit Jahren fordern Polizeipraktiker und die SPD Maßnahmen gegen die Geldwäsche und zur Aufdekkung von Drahtziehern und Hintermännern. Da bleibt schon ein wenig unverständlich, warum die Ausbildung und der Einsatz von Ausländern in der deutschen Polizei noch in den Kinderschuhen stekken.
({4})
Des weiteren bleibt unverständlich, warum nicht einmal 1 Prozent der deutschen Polizeibeamten mit OKErmittlungsverfahren beschäftigt sind. Wahrscheinlich will man hier gar nicht mehr ermitteln.
({5})
Hilfe ist auch im sogenannten lautlosen Krieg, dem Bereich der Industriespionage, erforderlich. Ich zitiere einen Sicherheitsexperten:
Alle machen es; der liebe Kanzler weiß es, doch nichts geschieht.
Der jährliche Schaden für die deutsche Wirtschaft liegt immerhin bei 20 bis 30 Milliarden DM. Da wäre schon die Frage zu beantworten, warum die Politik davon weiß, aber nichts unternimmt. - Soviel zum Thema „unterlassenes Signal".
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zum Versorgungsbericht machen. Endlich liegt er, der heiß und lang erwartete, immer wieder angemahnte und wie ein Staatsgeheimnis gehütete, auf dem Tisch. Er enthält für diejenigen, die sich mit der Problematik befaßt haben, natürlich keine Überraschungen; denn schon lange war klar, daß die wachsenden Pensionsansprüche die prekäre Lage der öffentlichen Haushalte verschärfen würden. In Zukunft, so die Schlußfolgerungen aus dem Bericht, müssen alle dafür bezahlen, daß in den 60er und 70er Jahren bei allen Gebietskörperschaften Personalaufstockungen vorgenommen worden sind, genauer gesagt: beim Bund mit 22 Prozent am wenigsten, bei den Ländern mit 44 Prozent am meisten; bei den Gemeinden liegt das mit 33 Prozent in der Mitte. Man muß immer dazusagen, Herr Marschewski, daß dieses Personal in Schulen, Hochschulen sowie für Jugend- und Kulturarbeit eingesetzt wird, also zur Verbesserung der Lebensqualität.
({6})
Ich will damit deutlich machen, daß die Betroffenen heute nicht für ein System verantwortlich gemacht werden können, das an die Grenzen seiner
finanziellen Belastbarkeit geraten ist. In diesem Zusammenhang sei nur eine Zahl genannt: Bereits heute betragen die aufgelaufenen Pensionsverbindlichkeiten des Staates satte 1 000 Milliarden DM. Angesichts dieser Summe, Herr Minister, ist Ihre Idee der Versorgungsrücklage aus Eigenbeiträgen der Beamten und Pensionäre für einen befristeten Zeitraum einfach zu bescheiden, um für eine stabile Lösung auszureichen.
({7})
- Die Verbesserungsvorschläge werden im Vermittlungsausschuß vorgelegt.
({8})
Viele der Daten, auf denen die Prognosen des Versorgungsberichts beruhen, sind rein fiktive Annahmen, zum Beispiel die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, die Auswirkung der Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und natürlich auch die fortschreitende Globalisierung.
Angesichts dieser Situation sind auch die von Ihnen, Herr Kanther, vorgelegten Pläne zur Reform des Beamtentums zu schwache Signale. Entscheidende Fragen werden dadurch nicht beantwortet, so zum Beispiel die Frage: Wie kann Arbeit solidarisch umverteilt werden? Stichworte: Teilzeitarbeit, Einstiegsteilzeit, Altersteilzeit, aber nicht nur auf freiwilliger Basis. Zweite Frage: Wie können Beschäftigte differenziert bezahlt werden? Stichwort: Einführung von verstärkten Leistungselementen bei der Bezahlung im öffentlichen Dienst. Letzte Frage: Wie können begründbare öffentliche Dienstleistungen mit neuen Arbeitsplätzen gekoppelt werden?
Herr Kanther, der öffentliche Dienst hätte die Chance zum Perspektivwechsel, wenn Sie es ernsthaft wollten. Die SPD wird jede echte Reform selbstverständlich unterstützen.
Abschließend möchte ich ein paar betrübliche Bemerkungen an die Kollegen der Koalition richten. Sie alle kennen den Spruch vom Fluch der bösen Tat. Letztere hat Sie, nein, eigentlich müßte ich sagen: uns alle, vor allem uns Haushälter, durch Ihr Handeln und Verhalten eingeholt. Als der Haushaltsausschuß mit den Stimmen der Koalition Waigels abenteuerliche Planungen für den Etat 1996 passieren ließ - ich erinnere nur an den berühmten Waigelwisch und an die Differenz zwischen der geplanten Nettokreditaufnahme und den bereits heute feststehenden neuen Schulden in Höhe von knapp 80 Milliarden DM -, legte er den Grundstein für die eigene Entmündigung.
Auch die Zahlen für den Bundeshaushalt 1997 sind unüberschaubar und widersprüchlich. Nachdem sich die jeweiligen Berichterstatter wochenlang mühselig durch die Einzelpläne des Haushalts gequält haben, die Klagen nicht nur der Opposition, sondern zunehmend auch der Haushälter von CDU/CSU und F.D.P.
immer lauter wurden, raufte sich die Koalition zwar zusammen, aber zu Lasten des originären Budgetrechts des Parlaments. Anstatt dieses wichtige Element der Gewaltenteilung - die Kontrolle der Regierung durch das Parlament - einzuklagen und zu praktizieren, haben sich - Herr Uelhoff, so böse kann ich gar nicht sprechen, ich zitiere jetzt; Sie schauen mich so höchst ungläubig an - „die Haushälter der Koalition wieder zum Stimmvieh machen lassen - wie beim letzten Etat". Das Zitat stammt von Ralf Beste aus der „Berliner Zeitung" vom 14. November 1996.
Bis dahin hat der Haushaltsausschuß nicht nur für mich, sondern auch in der Öffentlichkeit als lebendiger Beweis für die funktionierende Kontrolle der Regierung gegolten, und zwar weitestgehend unabhängig vom Parteibuch. Sie, liebe Kollegen, wissen sehr wohl, was Sie hier für ein Linsengericht aufgegeben haben. Nicht ohne Grund - ich nenne keinen Namen - fegte ein sonst eher bedächtiger Kollege mit dem Wort „reine Schau" meine Bitte an Staatssekretär und Minister um klare Aussagen zur Erwirtschaftung der geplanten globalen Minderausgabe in Höhe von immerhin 150 Millionen DM im Innenetat schlicht vom Tisch.
({9})
- Ich bin beim letzten Satz, Herr Kollege Uelhoff, Sie dürfen dann sowieso reden.
Solch eine Reaktion in Verbindung mit der Willfährigkeit, mit der Sie sich von der Regierung entmachten ließen, nenne ich geistige Selbstkastration. Das macht traurig und ist ein Grund mehr, diesen Haushalt abzulehnen.
({10})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will der Ordnung halber sagen: Es ist selbstverständlich das gute Recht eines jeden Abgeordneten, hier zu sprechen, wenn er das will; dazu sind wir hier. Das sollte auch nicht bemängelt werden. Auf der anderen Seite darf man nicht überrascht sein, wenn es einige Unruhe gibt, weil andere Kollegen, die ihre Rede zu Protokoll geben wollten, untereinander abstimmen müssen, wie sie darauf reagieren.
Dieses vorausgeschickt teile ich mit, daß die Abgeordneten Dr. Uelhoff, Dr. Kues, Schlauch, Dr. Westerwelle, Jelpke, Körper und Bundesminister Kanther ihre Reden zu Protokoll geben.*) Ich nehme an, daß darüber allseitiges Einverständnis besteht. - Das ist der Fall. Dann ist damit die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zum Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern. Es liegen elf Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen müssen.
* ) Anlage 2; der Redetext des Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle wird im Plenarprotokoll 13/142 als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6248 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6249 auf. Wer diesem Antrag zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/6250 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6236 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6237 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag der Gruppe der PDS mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6238 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit demselben Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6254 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
- Dann ist auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6259. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6260 auf. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
- Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann
stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6261 auf. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/6299 auf. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Antrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 06 in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Herr Kubatschka, wie darf ich Ihre Handbewegung deuten?
({0})
- Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 06 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Vergütung der Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesministerium des Innern, Drucksache 13/459. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/79 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 33, Versorgung, in der Ausschußfassung. Wer dem Einzelplan 33 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Einzelplan 33 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Wir sind am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. November, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.