Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich rufe zunächst den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Gruppe der PDS
Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der SKET Schwermaschinenbau GmbH Magdeburg als einem der letzten industriellen Großunternehmen in den neuen Ländern
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Bierstedt, PDS.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der „Spiegel" überschrieb einen Artikel bereits am 7. Oktober 1996 wie folgt:
Das größte selbständige Ostunternehmen steht vor dem Aus, vom einstigen Schwermaschinenbaukombinat Sket werden nur noch minimale Reste bleiben. Und das ist vor allem die Schuld des Eigentümers - des Staats.
Staat heißt in diesem Falle die unter Waigelscher Aufsicht stehende BvS; eine Einschätzung, die die PDS-Bundestagsgruppe vollauf teilt. Ich werde Ihnen auch sagen, weshalb wir dies so sehen.
Falls Sie sich - vielleicht ungern - daran erinnern: Wir haben dieses Fiasko bereits in der Aktuellen Stunde am 8. Dezember 1995 in diesem Hause vorhergesagt und wurden seitens der Koalition mit der ihr eigenen Arroganz und Überheblichkeit abgekanzelt. Falls es Sie interessiert: Ich habe hier eine Reihe von interessanten Zitaten aus dieser schon damals sehr erregt geführten Debatte: Von Austermann über Hollerith bis Schulz ({0}) schwebten alle noch in einem CDU/CSU-eingefärbten Wolkenkuckucksheim. Sie würden es schon richten - so Ihre damalige Einschätzung. Was Sie mit Ihrer fehlerhaften Einschätzung angerichtet haben, sehen wir hier und heute. Wir sind beileibe nicht stolz darauf, mit unserer damaligen Prognose recht gehabt zu haben.
Es gibt sicherlich unterschiedliche Auffassungen darüber, wem denn nun der Schwarze Peter gebührt. Für uns ist es eindeutig die Bundesregierung mit ihrem unsäglichen Ableger BvS, wobei die Landesregierung Mitverantwortung trägt, weil sie ihre Spielräume nicht ausreichend ausgenutzt hat.
Wir teilen auch die Auffassung des Betriebsrates und der IG Metall, die da vermuten, daß der Konkurs des SKET von langer Hand vorbereitet wurde. Fakt ist in jedem Fall: Die Belegschaft und die Region sind, in schlichtem Deutsch gesagt - ich zitiere wegen der vereinbarten Parlamentskultur nur unvollständig -, „die Angeschi ..."
„Wie nun weiter?" ist die eigentlich wesentliche Fragestellung. Ein Unternehmen realisiert sich ausschließlich über seine innovativen Produkte, die qualitativ hochwertig sein sollten, am Markt. Dazu gehört aber auch ein solider und stabiler Ruf und ein cleveres Management, welches vorbehaltlos die Interessen des Unternehmens vertritt und nicht fremdgesteuert wirkt. Professor Hickel, zur Zeit Berater des Betriebsrates von SKET, brachte es auf den Punkt: „Diese Manager sind keine Unternehmer, sondern statische Penner. "
Ein Herr Kirchgässer, zur Zeit Sprecher der Geschäftsführung im SKET, verfügt fast ausschließlich über Erfahrung im Personalabbau. Können, wie man gewichtige Aufträge akquiriert, hat er unseres Wissens in den letzten Jahren nicht nachgewiesen. Freilich ist der Markt, in welchem SKET zu agieren hat, ein außerordentlich schwieriger. Herr Kirchgässer hätte seine Rigorositäten besser auf den Markt als auf die Personalabteilung konzentrieren sollen.
Wichtig ist natürlich auch der Ruf eines Unternehmens: Mangelnde Unterstützung der Bundesregierung, sowohl bei der Europäischen Union als auch bei der Klärung der Eigentumsverhältnisse - die vormaligen Geschäftsführer Borchert und Oestmann, Unternehmer mit durchaus hoher Risikofreude und konzeptionellen Überlegungen, wurden erst ewig hingehalten und dann herausgedrängt -, oder die schlampig ausgeführten Gutachten und Vermutungen der Rechtsabteilung der BvS können den Ruf eines Unternehmens so grundsätzlich zerstören, daß es
zwangsläufig auf die „schwarze Liste" potentieller Kunden gerät.
So richtig weiß auch ich nicht, was wir davon halten sollen, daß der Bundeskanzler, der zur Tatzeit in Magdeburg weilte, es nur um Minuten verpaßt haben soll - wie es zuerst hieß -, dem bereits tagenden Aufsichtsrat seine auch von uns zu unterstützende Auffassung „SKET muß als Gesamtheit leben" mitteilen zu lassen, und dann später erklärt wurde, der Aufsichtsrat habe den Kanzler zwar gehört, aber ihn nicht erhört.
Wird hier Politik von Schwarz-Gelb gegen RosaGrün mit roter Tolerierung auf dem Rücken der Menschen ausgetragen? Das wäre mehr als schäbig, aber nicht verwunderlich. Was die Menschen von SKET brauchen, ist vorbehaltlose Rückendeckung seitens der Politik, ein Management mit Ideen und Durchsetzungsvermögen und einen Aufsichtsrat, der nicht fremde Interessen vertritt.
({1})
Solide Produkte und hohe Qualifikation bringen die SKETler von Hause aus ohnehin mit ein.
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich im Interesse der Beschäftigten von SKET, der Beschäftigten von Zulieferunternehmen von SKET, der Menschen in der gesamten Region und nicht im Interesse der potentiellen Konkurrenten zu handeln und vor diesem Parlament und den hier anwesenden Vertretern von SKET eine Garantieerklärung für SKET Magdeburg abzugeben.
({2})
Legen Sie hier endlich Rechenschaft ab! Was haben Bundesregierung und BvS getan, um Märkte zu erhalten und neue zu erschließen? Welche Anstrengungen hat es gegeben, Aufträge für die Instandhaltung von Walzwerken in Osteuropa, die früher von SKET ausgerüstet wurden, oder für die Errichtung neuer Walzwerke zu erhalten? Was tut die Bundesregierung gegenwärtig, um den Export von bei SKET produzierten Ausrüstungen zum Gegenstand der Verhandlungen mit der russischen Regierung zu machen, die Projektlisten für den Kauf von Waren unter anderem in Ostdeutschland im Rahmen des Millionenkredits vorzulegen hat, den die Bundesregierung Rußland gewährt hat und für den sie sich verbürgt hat? Wann wird die BvS gegenüber der Bundesregierung aktiv und fordert für die Sanierung von SKET den Einsatz eines Teiles der Mittel, die sie 1996 über ihre eigenen Erwartungen hinaus aus Unternehmensliquidationen im Osten erzielt hat?
Ich denke, Sie müssen sich diese Fragen gefallen lassen. Wir fordern Sie auf, diese Fragen hier konsequent zu beantworten.
Danke.
({3})
Das Wort hat der Kollege Hartmut Büttner, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Wahlkreis ist von großen Gegensätzen gekennzeichnet: Wir haben bei uns in der Magdeburger Börde die beste Bodenqualität Deutschlands. Die noch vorhandenen Industrieunternehmen stehen aber in einem heftigen Existenzkampf. Aktuellstes Negativbeispiel ist der traditionsreiche Magdeburger Schwermaschinenbauer SKET.
Der Weg von SKET ist besonders bitter, vor allem deshalb, weil trotz stets neuer Tiefpunkte in der Beschäftigtenzahl immer wieder neue Zukunftshoffnung aufkeimte. So schmolz die Belegschaft allein in Magdeburg von 13 000 Mitarbeitern auf zuletzt 1 435 Beschäftigte zusammen. Vorletzter trauriger Höhepunkt war die gescheiterte Privatisierung.
Jetzt ermittelt in diesem Fall die Staatsanwaltschaft. Die Kommission der Europäischen Union überprüft darüber hinaus die Zuschußpraxis.
Die Arbeitnehmerschaft hat den bisherigen Arbeitsplatzabbau trotz seiner unübersehbaren Härten und der wechselnden Konzepte immer wieder mitgetragen. Deshalb habe ich auch viel Verständnis für das jetzige Nein der SKET-Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, als eine abermalige Absenkung auf unter 600 Beschäftigte gefordert wurde. Dieses Sterben auf Raten trifft das wirtschaftliche Herz der Region Magdeburg.
Nach dieser Entscheidung der Arbeitnehmervertreter gab es für Firmenleitung, Aufsichtsrat und BvS kaum eine andere Wahl, als die ostdeutsche Variante des Konkurses einzuleiten - die Gesamtvollstrekkung. So bitter dieser Schritt ist: Er läßt trotzdem noch einige Restchancen erkennen.
Ich hatte eingangs erwähnt, daß mein Wahlkreis von einer fortschreitenden Deindustrialisierung besonders hart betroffen ist. Der Leidensweg erstreckt sich auf den Landmaschinen- und Motorenbau in Schönebeck, den Chemieanlagenbau und die Fernsehgeräteherstellung in Staßfurt. Neue Hoffnung erwächst im Bereich der Fernsehgeräteherstellung bei der Firma RFT in Staßfurt gerade aus der Gesamtvollstreckung. Zum erstenmal seit Jahren konsolidiert sich zumindest der kümmerliche Rest.
Ich hoffe, daß auch SKET diese wahrscheinlich allerletzte Möglichkeit zum Erhalt des Unternehmens nutzen kann. Das wird aber nur glücken, wenn es ein vernünftiges Zusammenarbeiten aller beteiligten politischen, wirtschaftlichen und in diesem Fall auch juristischen Stellen gibt. Über den Neuanfang entscheidet ein vom Amtsgericht einzusetzender Firmenverwalter. Je besser dieser Sequester arbeitet, um so größer sind auch die Chancen für einen Neuanfang dieses Unternehmens.
({0})
Wie dramatisch die finanzielle Lage von SKET ist, belegen folgende Zahlen: In diesem Jahr wird ein Umsatz von 120 Millionen DM erwartet. Der Verlust
Hartmut Büttner ({1})
wird sich demgegenüber auf 190 Millionen DM summieren. Der Bund hat SKET nie im Stich gelassen,
({2})
sondern das Unternehmen bisher mit 1 122 Millionen DM gestützt, also mit fast 1 Million DM für jeden heute noch beschäftigten Arbeitnehmer.
({3})
Ich begrüße sehr - im Gegensatz zu Ihren Zwischenrufen -, daß SKET auch weiterhin auf den Bund zählen kann.
Die BvS hat erklärt, daß sie auch künftig bereit ist, die notwendigen Mittel bereitzustellen, und sowohl Bundeskanzler Helmut Kohl als auch Bundespräsident Herzog haben sich in diesen Tagen vor Arbeitnehmern in Magdeburg für den Erhalt von SKET als Ganzes ausgesprochen. Sachsen-Anhalts DGB-Chef Jürgen Weißbach - auf den werden Sie ja wahrscheinlich hören - hat diese Haltung des Bundeskanzlers nachdrücklich begrüßt.
({4})
Im gleichen Atemzug wird von ihm die PDS-gestützte - hören Sie, die PDS-gestützte! - rot-grüne Landesregierung für ihr Verhalten in dieser Frage mehr als deutlich kritisiert. Dieser Kritik schlossen sich auch die IG Metall und der Betriebsrat von SKET an.
({5})
Herr Höppner hat mit seinen nicht eingelösten Versprechen
({6})
die Belegschaft zutiefst enttäuscht. Versprochen worden war ein direktes Engagement des Landes mit einer Landesbeteiligung. Der Ministerpräsident hat einen Landtagsbeschluß vom Herbst 1995 bisher in keiner Weise umgesetzt. Auch ein Aufsichtsratmandat wurde von der Landesregierung niemals angestrebt, obwohl es zigmal angeboten worden war. Wir haben ein Recht, zu erfahren, warum die Landesregierung seit ihrer Amtsübernahme im Sommer 1994 keinen einzigen Antrag zur Sanierung von SKET in den Gremien der BvS gestellt hat!
Es ist schon ein starkes Stück, daß sich der SKET-Betriebsrat von einem PDS-gestützten sozialdemokratischen Regierungschef vorwerfen lassen muß, er betreibe „blanke Demagogie"
({7})
- das ist Ihnen wohl unangenehm - und das nur, weil die Arbeitnehmer gewagt haben, Herrn Höppner an sein Versprechen zu erinnern. Mehrfach versuchte der Betriebsrat, mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen. Dem ist Herr Höppner mehrfach ausgewichen. Diese Handlungsweise erinnert mehr an Richard Kimble als an einen besorgten Landesvater.
({8}) Einem Kurt Biedenkopf wäre das nie passiert!
({9})
Und ich füge hinzu: einem Christoph Bergner auch nicht.
Gerade jetzt brauchen wir zur Rettung des letzten Restes von SKET das Zusammenspiel aller verantwortlichen Stellen. Nur wenn Bund, Land, BvS, Geschäftsleitung und Belegschaft gemeinsam am Überleben des SKET arbeiten, haben wir noch eine Chance. Der Bund läßt SKET nicht im Stich. Das Land sollte endlich diesem Beispiel folgen!
({10})
Das Wort hat der Kollege Uwe Küster, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Büttner, es wundert mich schon sehr, wenn Sie den Verantwortlichen, den Bundeskanzler, unseren „Landesvater", an dieser Stelle ganz rauslassen. Über die Verantwortung der Bundesregierung habe ich von Ihnen kein Wort gehört!
({0})
Sprache ist doch sehr verräterisch. Wenn Sie hier sagen, SKET solle nach der Gesamtvollstreckung eine Restchance haben, was ist denn das? Nicht einmal eine echte Chance billigen Sie dem Unternehmen zu! Die Sprache, die Sie gewählt haben, hat Sie verraten.
Die Bundesregierung hat - zögerlich und immer zu spät - über ihre Behörden gehandelt, die sie dafür konstruiert hat: zunächst die Treuhand und jetzt die BvS. Übernehmen Sie bitte nun auch die Verantwortung für diese Konstruktion! Gehen Sie bitte davon aus: Wir kritisieren nach wie vor, daß es bisher keine politische Kontrolle der BvS gibt. Wir, die Parlamentarier, stehen daneben, wenn Milliardenvermögen in diesem Nachfolgeunternehmen der Treuhand umgesetzt werden, ohne daß wir ein Mitspracherecht haben. Das ist ein Skandal, was hier passiert.
({1})
Und wer blockiert das? Auch das muß mal gesagt werden: Die Einrichtung einer wirksamen Kontrolle der Nachfolgeeinrichtungen der Treuhand wird allein von der Koalition blockiert, von CDU, CSU und F.D.P. Die Forderung liegt lange genug auf dem Tisch.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn SKET tatsächlich auseinanderfallen sollte, dann geht es nicht nur um den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern um das traurige Schicksal einer ganzen Region. Ich kann Ihnen
aufzählen, wieviel Tausende von Arbeitsplätzen allein in der Stadt Magdeburg verlorengegangen sind.
Ihnen muß langsam klar werden: Hier geht es auch um ein Symbol. SKET gehört zu Magdeburg wie VW zu Wolfsburg. Überlegen wir bloß mal, eine ähnliche Katastrophe hätte es für VW-Wolfsburg gegeben - oder bei Daimler Benz in Stuttgart, bei Siemens in München. Das sind ähnliche Größenordnungen. Ich hätte nicht erleben mögen, was dann hier los gewesen wäre. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, hier geht es um viel mehr als „nur" um den Abbau von Arbeitsplätzen.
({2})
Hier geht es auch um die Zerstörung von Selbstbewußtsein. Es ist nicht gelungen, in Ostdeutschland eine sinnvolle Industriepolitik zu installieren, die von uns immer wieder gefordert wurde.
Wenn SKET tatsächlich plattgemacht werden sollte - und ich sage ganz deutlich, Herr Büttner: Ihre Sprache hat Sie verraten -, dann geben Sie den Kritikern der deutschen Einheit neues Futter. Das kann nicht im Interesse dieses Hauses sein. Wir wollen die Einheit gestalten, aber müssen mit anschauen, was hier passiert ist.
Noch einmal zur Sprache: Am Montag ging durch die Presse, daß Bundeskanzler Kohl gesagt habe, SKET dürfe nicht filetiert werden. Von „Filetierung" zu sprechen ist interessant: Waren denn bei der Sanierung von SKET Metzger am Werk? Wenn jemand die Filetstücke bekommt, wer bekommt dann die Knochen? Müssen die Arbeitslosen das nehmen, was man den Hunden vorwirft? Ich möchte genau wissen, was hier passiert. Nicht Metzger werden für den Aufbau Ostdeutschlands gebraucht, sondern Gärtner. Säen und Ernten statt Schlachten und Filetieren sollte die Devise für den Aufbau Ostdeutschlands lauten. Aber nicht weiter mit der Abrißbirne durch Deutschland!
({3})
Die BvS ist Eigentümer, und Rechts- und Fachaufsicht liegen beim Bundesfinanzminister
({4})
und beim Bundeswirtschaftsminister. Von diesen Stellen ist auch das Geld bereitgestellt worden. Der Haushaltsplan für das Jahr 1996 sieht Mittel vor. Wenn sich die BvS noch stolz brüstet, daß sie nicht einmal diese Mittel voll nutzt, dann ist klar, daß notwendige Maßnahmen unterbleiben. Diesen Vorwurf müssen Sie sich schon gefallen lassen.
({5})
Zum Thema Sanierung: Wie viele Sanierungskonzepte hat SKET denn gesehen? Ich komme mit der Aufarbeitung nicht mehr nach. Das letzte Sanierungskonzept stammt vom April 1996 - und die Vereinbarung wird schon ein halbes Jahr später gebrochen. Für die Sanierung eines Unternehmens dieser Größenordnung wäre es erforderlich, daß ein Sanierungsplan über mindestens fünf Jahre - Fachleute sagen: zehn Jahre - läuft. Man kann auf eine Sanierung natürlich verzichten; aber wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das verantworten. Daß dem so ist, entnehme ich Ihrem Handeln und Ihren Äußerungen hier.
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SKET ist das traurige Symbol für die verfehlte Industriepolitik der Bundesregierung im Osten. Es wird höchste Zeit, daß sich die Bundesregierung überlegt, wie es weitergehen soll. Ich fordere, daß SKET als Anlagenbauer, als Systemanbieter bestehenbleibt. Staatssekretär Ludewig hat sich dazu bekannt. Ich hoffe, daß er nicht alleiniger Rufer in der Wüste ist. Die Bundesregierung ist hier gefragt; der Bundeskanzler ist im Wort.
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SKET muß in den Stand gesetzt werden, als Gesamtanlagenbauer auf dem Markt zu bleiben.
Wenn das Konzept, das jetzt vorgelegt wurde, durchgesetzt wird, ist das ein Sterben auf Raten. Das wäre der direkte Weg in die Liquidation. Das wollen wir nicht, das kann nicht unser Interesse sein. Ich hoffe, daß es auch nicht im Interesse der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen ist.
Die Sanierung von Unternehmen dieser Größenordnung braucht - und hier gerade angesichts des hohen Symbolwerts für den Aufbau Ostdeutschlands - Zeit, Geld und starken Willen. Daß dies vorhanden ist, muß heute als Signal von hier ausgehen.
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Das Wort hat die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Im Land der ersten Spatenstiche macht wieder einmal ein Unternehmen Schlagzeilen, wohlgemerkt: negative Schlagzeilen. Es wird von „ Filetierung " eines Unternehmens gesprochen; aber das wurde hier schon ausgeführt.
Mit der derzeitigen SKET-Krise wird der PleitenPech-und-Pannen-Politik der Treuhand und ihrer Nachfolgeeinrichtungen ein neues Kapitel hinzugfügt, ein trauriges Kapitel. Die BvS hat gemeinsam mit der Bundesregierung eine unrühmliche Rolle gespielt. Die Gesamtvollstreckung diese Woche ist dabei nur das - ich hoffe, letzte - Tüpfelchen auf dem i.
Wenn ein Unternehmen in einer so schwierigen Situation - die traditionellen Ostmärkte sind weggebrochen, neue internationale Märkte sind auf Grund fehlender Nachfrage und einer breiten, bereits etablierten Konkurrenz schwierig zu erschließen - saniert werden soll und die Eigentümer ein solches Management an den Tag legen, wie die BvS das getan hat, dann ist die kleine Chance, die für SKET ohnehin nur bestanden hat, von vornherein vertan.
Bundesregierung und BvS müssen aus dieser Politik Konsequenzen ziehen; auch muß die Treuhandpolitik insgesamt Gegenstand weiterer Debatten sein.
Was die Vorwürfe an die Landesregierung anbetrifft, so hätte ich mir gewünscht, Herr Büttner, daß Sie in Ihrer Rede einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten und nicht in die gleiche Polemik verfallen wären, wie sie Herr Bergner im Landtag von SachsenAnhalt geboten hat.
({0})
Wenn in einer solchen Situation ein Ex-Regierungschef und Oppositionsführer eine Äußerung wie „Die CDU steht immer bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen" von sich gibt, dann ist das eine peinliche und üble Äußerung.
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Es ist außerdem keine Neuigkeit. Spätestens seit den letzten Landtagswahlen ist uns bekannt, daß Herr Bergner bereitsteht. Ich hoffe, daß er noch etwas länger warten muß.
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Es ist mehr als peinlich gewesen, sich ausschließlich in Vorwürfen an die Landesregierung zu ergehen. Richtig ist, daß das Management der Landesregierung in den letzten Tagen nicht immer perfekt funktioniert hat. Aber die Schuld an der SKET-Krise - das wissen Sie selber - tragen BvS und Bundesregierung.
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Wenn Kanzler Kohl Anfang dieser Woche bei SKET „einreitet" und dort versucht, mit wehenden Fahnen den Retter zu spielen, wenige Stunden hinterher jedoch die Gesamtvollstreckung von SKET verkündet wird, dann hat auch er die Situation schlicht verkannt. Er hat erneut Hoffnungen bei der Belegschaft geschürt, und zwar in einer in dieser Situation höchstunzulässigen Art und Weise.
Notwendig ist jetzt ein eindeutiges Signal - ich hoffe, daß Bundesregierung und BvS sich dazu durchringen können -, ein Bekenntnis zum Weiterbestand von SKET, zur Weiterführung von SKET in der Gesamtheit, nicht aber die bereits angekündigte „Filetierung" in einzelne Betriebsstücke.
In der Diskussion der letzten Wochen ist Margeworden, daß der Sanierungszeitraum für SKET von Anfang an viel zu kurz bemessen gewesen ist. Ein längerer Zeitraum muß eingeräumt werden. Dies haben sowohl Politiker als auch Wirtschaftswissenschaftler in den letzten Tagen betont. Ich erwarte von Herrn Rexrodt dazu konkretere Aussagen, auch was die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung anbetrifft. Geben Sie hier heute ein eindeutiges Signal an die Belegschaft von SKET und an das Land Sachsen-Anhalt und sagen Sie, wie Sie sich die Zukunft von SKET vorstellen!
({4})
Das Wort hat der Kollege Paul Friedhoff, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Bundesregierung vorwirft, sie sei ihrer Verantwortung bei der Sicherung des industriellen Kerns SKET nicht nachgekommen, bei dem muß die Wahrnehmungsfähigkeit ein bißchen getrübt sein.
({0})
Wir müssen einmal ein paar Fakten zur Kenntnis nehmen.
({1})
- Sie sollten sich diese Fakten einmal in Ruhe anhören, weil sie wahrscheinlich bei Ihnen nicht bekannt sind. Anderenfalls würden Sie nämlich hier nicht solche Reden halten und solche Zwischenrufe machen.
Wenn man sich die betriebswirtschaftlichen Daten ansieht, dann stellt man fest, daß die Zahlen bei SKET für jedes Unternehmen Horrorzahlen wären, die auch nicht durch Anträge, Debatten und Demonstrationen wegdiskutiert werden können. Das ist nur durch harte Arbeit aller am Betrieb Beteiligten möglich.
({2})
- Es ist mir völlig klar, daß Sie nicht verstehen, daß das in den Betrieben passiert. Sie wollen das dem politischen Bereich zuordnen, Sie wollen, daß der Staat das organisiert. Wir aber haben in der Zwischenzeit längst herausgefunden, daß Arbeitsplätze nicht hier, sondern in den Betrieben entstehen und dort mit den verantwortlichen Menschen gemeinsam geschaffen werden müssen.
({3})
Die zirka 1 600 Mitarbeiter von SKET erreichen in diesem Jahr voraussichtlich einen Umsatz von 122 Millionen DM. Selbst ein Laie kann sich relativ leicht ausrechnen, daß ein Umsatz von 76 000 DM je Mitarbeiter nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen kann. Neben Lohnkosten, die bereits 90 Prozent des Umsatzes wegnehmen, müssen noch weitere 80 Prozent in Höhe des Umsatzes für Material ausgegeben werden. Hinzu kommen die Fixkosten. Das führt zu Verlusten in Höhe von 190 Millionen DM im Jahre 1996. Anders ausgedrückt: Ein Arbeitsplatz bei SKET kostet die Steuerzahler in diesem Jahr über 118 000 DM. Das wird eigentlich nur noch von der deutschen Steinkohle übertroffen. Das sind Belastungen, für die der Steuerzahler aufkommen muß. Das sind die Fakten, die auch für die Arbeitsplätze von entscheidender Bedeutung sind.
Paul K. Friedboff
Wir müssen feststellen, daß es seit 1990 nicht gelungen ist, SKET am Markt zu etablieren, obwohl zirka 1,2 Milliarden DM oder,
({4})
bezogen auf die 1 600 Arbeitsplätze, 750 000 DM je Arbeitsplatz vom Steuerzahler aufgewandt worden sind.
({5})
All diese Gelder des Steuerzahlers wurden über die Treuhandanstalt bzw. die BvS gezahlt, kommen also aus dem Bundeshaushalt. Dafür, daß die Gelder, diese hohen Zuschüsse zur Verfügung gestellt worden sind, trägt die Bundesregierung, tragen die Regierungsfraktionen die Verantwortung; denn sie haben das letztendlich beschlossen. Wenn Sie das bemängeln, dann haben Sie die Tatsachen bislang nicht richtig wahrgenommen.
Die Zahlen belegen, daß es zumindest nicht am Geld gemangelt hat. Man muß sich einmal überlegen, wie viele Arbeitsplätze man mit dem Geld im Mittelstand hätte schaffen können. Man muß sich fragen, wie viele Arbeitsplätze mit wesentlich weniger Geld von fleißigen Mitarbeitern und Unternehmern geschaffen worden sind, die in den neuen Bundesländern - ({6})
- Es ist ja ganz prima, daß Sie mir sagen, daß ich keine Ahnung von den Dingen habe. Das ist in Ordnung. Ich weiß, daß Sie die ganz große Ahnung und den Durchblick haben.
Durch den Beschluß des Aufsichtsrates, die Gesamtvollstreckung einzuleiten, hat zumindest die Geldverschwendung zunächst einmal ein Ende gefunden; zumindest ist ein Ende abzusehen. Jetzt ist es an der Zeit, über ein wirklich realistisches Konzept nachzudenken und - das ist noch wichtiger - es umzusetzen.
Warum mußte es so weit kommen? Die Geschichte des SKET seit 1990 ist eine Geschichte der Konfrontation zwischen den Eigentümern und der IG Metall. Alle Konzepte der Eigentümer, sich den Realitäten des Marktes anzupassen und die Belegschaft entsprechend zu reduzieren - das gilt selbst für die Aufteilung der Kombinatsstrukturen -, führten zu erbitterten Widerständen innerhalb der IG Metall, innerhalb des Betriebsrates.
({7})
Damals wurden die entscheidenden Chancen vertan, damals wurden unrealistische Konzepte erzwungen, und diese holen Sie, die Sie das unterstützen, heute ein. Wer sich so permanent den Realitäten widersetzt, wer den Klassenkampf probt, statt sich um den Markt zu kümmern, darf sich nicht über Mißerfolge wundern.
Ich möchte darauf hinweisen, daß Mitbestimmung - sie findet im Aufsichtsrat statt - immer auch Mitverantwortung bedeutet. Ein Unternehmen hält es auf Dauer nicht aus, wenn unter Mitbestimmung verstanden wird, den notwendigen Strukturwandel zu verhindern. Genau das ist bei SKET geschehen. Wenn jetzt der Schwarze Peter nach Bonn geschoben werden soll, dann erinnert mich das an die Parole: „Haltet den Dieb! "
({8})
Wie geht es nun weiter?
Es tut mir sehr leid, Herr Kollege, Sie müssen auf die Zeit achten.
SKET hat bei richtiger Dimensionierung der Mitarbeiterzahl eine Chance. 122 Millionen DM Umsatz rechtfertigen nicht über 1 000, sondern nur knapp 600 Mitarbeiter. Das bedeutet, daß das Konzept, das jetzt erarbeitet werden muß, dann umgesetzt werden kann. Die F.D.P. wird sich dafür einsetzen, daß dieses Konzept auch weiter
Herr Kollege, bitte!
- mit Steuergeldern begleitet wird.
Herr Kollege Friedhoff, bitte. Ich kann Sie nicht dreimal aufrufen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Rexrodt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 18 000 Beschäftigte bei SKET zur Zeit der Wende, 1 800 Beschäftigte heute und möglicherweise bald noch weniger - jeder weiß, das ist ein dramatischer Niedergang. Wir sind uns auch als Bundesregierung sehr wohl bewußt, was das für die Arbeitnehmer in dieser Region und darüber hinaus bedeutet: tiefe Umbrüche in der Lebenssituation und hohe persönliche Anpassungsleistungen im Negativen. Das ist die Tatsache.
({0})
- Die wird man doch einmal beschreiben können. Darauf setzen Sie doch immer.
({1})
- Schreien Sie doch nicht! Hören Sie doch erst einmal zu, und dann können Sie schreien!
Wer aus diesem wirtschaftlichen Niedergang nun politisches Kapital zu schlagen versucht, der verkennt die Ursachen der Entwicklung. Wer die Schuld der Bundesregierung in die Schuhe schieben will, sollte sich vor Augen halten: Seit 1991 hat der Bund über die Treuhandanstalt und die BvS für Betriebsmittel, Investitionen und Sozialpläne 1 126 Millionen DM aufgewendet. Hinzu kommen die Hermes-Bürgschaften in gleicher Größenordnung, insbesondere für die Exporte in die Ostmärkte. Gegenüber der Brüsseler Kommission habe ich alle Kraft aufwenden müssen, um zu verhindern, daß von daher Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Das ist verhindert worden.
Wir brauchen von der PDS keine Belehrungen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der SKET - keiner kann das bezweifeln - haben ihre Wurzeln letztlich in der DDR-Staatswirtschaft.
({2})
- So ist das. Hören Sie doch erst einmal zu! - Ein solches Kombinat, ein solches Mammutunternehmen hat auf dem Weltmarkt nur so lange operieren können, wie Kosten und Rentabilität keine Rolle spielten,
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wie es darauf ankam, Verrechnungseinheiten oder Devisen einzuspielen, und auf nichts anderes.
({4})
- Ich komme noch auf die Chance. - Die Tatsache, daß keine Aufträge zu kostendeckenden Preisen da sind, hat auch die Schwierigkeiten bei der Privatisierung mit sich gebracht.
Meine Damen und Herren, noch im April 1996 hat die BvS ihre Bereitschaft erklärt, das damals vorliegende Sanierungskonzept mit 352 Millionen DM zu finanzieren. Diesem Konzept lagen Auftrags- und Umsatzerwartungen zugrunde, die nicht annähernd erfüllt werden konnten. Das sind die Erkenntnisse des Septembers 1996. Die Aufträge kamen nicht, sie kamen nicht zu rentablen Preisen. Dann muß eine Geschäftsführung - das können Sie nicht wissen, das verstehe ich, Frau Enkelmann - schon aus rechtlichen Gründen die Konsequenzen ziehen. Wir alle wissen, daß das dann so gekommen ist, um eine Gesamtvollstreckung wenigstens so anlegen zu können, daß daraus eine Chance für einen Neubeginn entsteht.
Die Bundesregierung hat sich immer dafür ausgesprochen, daß ein vertrauenswürdiger Investor gefunden wird.
({5})
Dies hat auch der Bundeskanzler, der sich im Gegensatz zu vielen anderen vor Ort um SKET bemüht hat,
({6})
kürzlich in einem Gespräch mit den Betriebsräten unmißverständlich gesagt.
({7})
Angesichts der schwierigen Auftragslage und angesichts der gescheiterten Privatisierungsversuche bei SKET war allen Beteiligten klar: Die Privatisierung als Ganzes kann nur gelingen, wenn ein neues Konzept da ist. Wir können doch nicht blind ohne Konzept finanzieren. Dann würden Sie uns mit vollem Recht vorführen. Es muß ein Konzept da sein. Dieses Konzept kann nur realisiert werden, wenn es auf breiter Basis mitgetragen wird. Das müssen eben auch die Betriebsräte, das muß auch der Arbeitnehmerteil des Aufsichtsrates mittragen. Interessenwahrung und politisches Engagement sind das eine - sie sind auch berechtigt -, aber die harten Fakten, die wir alle beklagen, sind nun einmal das andere.
Es gab Wunschdenken auf beiden Seiten, auch bei den Betriebsräten, die sich sehr gekümmert haben. Dies hat in der letzten Phase, weil das neue Konzept nicht mitgetragen wurde, zur Gesamtvollstreckung geführt.
An einem Neukonzept ging kein Weg vorbei. Die Bundesregierung - das sage ich mit großem Ernst - wird die Anstrengungen der BvS um Auffanglösungen tatkräftig unterstützen.
({8})
Wir erwarten aber auch, daß IG-Metall und Betriebsrat diese Lösungen konstruktiv begleiten. Nur dann gibt eine Auffanglösung, die erarbeitet werden muß, eine Chance zu einem Neubeginn.
({9})
- Sprechblasen, Herr Gysi, können wir alle ablassen, aber es geht darum, ein Konzept zu erarbeiten.
({10})
Das erarbeitete Konzept ist nicht aufgegangen, weil Sie dem Wunschdenken nachgehen, daß Aufträge hereinkommen, wenn man es nur will. Sie kommen aber nur dann herein, wenn man Absatzmärkte hat und kostendeckend arbeiten kann. Wenn die Produktivität nicht stimmt und die Märkte weggebrochen sind, geht das nicht mehr.
({11})
- Sie können da so viel reden, wie Sie wollen. Das sind politische Luftblasen, die Sie ablassen.
Wir wollen einen Neubeginn auf der Basis eines neuen Konzeptes. Das liegt im Interesse der Beschäftigten bei SKET und im Interesse der Menschen in
der Region. Die Bundesregierung hat zu SKET gestanden und wird es auch weiterhin tun.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Sie so hört, Herr Rexrodt, hat man den Eindruck, niemand ist schuld, niemand trägt die Verantwortung,
({0})
nur die Vergangenheit ist schuld. Mir fällt da ein Wort von Rudolf Bahro ein, der einmal das SED-Regime als ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit charakterisiert hat.
({1})
Lassen Sie mich es noch einmal sagen: SKET war einmal der größte Maschinen- und Anlagenproduzent in Ostdeutschland, in der DDR. Sein Ende wäre eine Katastrophe für die Betroffenen, die Magdeburger Arbeiter und Angestellten.
Ich begrüße den Betriebsrat von SKET und den Magdeburger Oberbürgermeister.
({2})
Das Ende von SKET wäre mehr als das: Es wäre der End- und Gipfelpunkt einer falschen Politik der Privatisierung, die weithin zur Entindustrialisierung in Ostdeutschland geführt hat. Beides erklärt die Wut der Betroffenen und die Betroffenheit ganz vieler Ostdeutscher, die in eine geradezu grenzenlose Enttäuschung mündet. Sie ist nur zu verständlich.
Vor sechs Jahren arbeiteten bei SKET in Magdeburg noch 13 000 Menschen, jetzt sind es noch etwas mehr als 1 000, weniger als 10 Prozent; oder umgekehrt - man muß die Zahlen nennen, um zu wissen, was da eigentlich passiert ist -: Binnen sechs Jahren wurden über 90 Prozent aller SKET-Arbeitsplätze abgebaut. Die Begleitmusik war dabei stets dieselbe: Es gehe darum, SKET zu erhalten, Arbeitsplätze zu erhalten, den Standort zu erhalten. Jahr für Jahr geschah ununterbrochen das genaue Gegenteil.
Man darf dabei übrigens nicht unerwähnt lassen - Herr Rexrodt, da stimme ich Ihnen zu -, daß wirklich viel Geld - über 1 Milliarde DM - nach SKET geflossen ist. Am Geld lag es also nicht. Es ging auch niemals ernsthaft darum, daß SKET in seiner ursprünglichen Größe als Kombinat erhalten werden sollte, sondern es ging immer um Sanierungskonzepte. So gesehen kann man den öffentlichen Händen von Brüssel über Bonn bis Magdeburg nicht vorwerfen, sie hätten kein Geld gegeben.
Die Frage ist nur: Was hat das Management damit gemacht, und wie ist es kontrolliert worden?
({3})
Das Management und diejenigen, die dieses Management zu beaufsichtigen hatten, haben SKET in die Gesamtvollstreckung getrieben, im Ergebnis also nahezu kaputtsaniert. Ich bitte Sie, das liegt doch dann nicht an der fehlenden harten Arbeit. Das ist zu undifferenziert; als würden die Beschäftigten und die Belegschaft nicht verflucht hart arbeiten und noch härter arbeiten wollen, wenn sie eine Zukunftschance hätten.
({4})
Auch etwas anderes ist jetzt deutlich: Der Weg von Jenoptik zum Beispiel ist nicht betreten worden. Man richtete sich dort darauf ein, zu sanieren und viel später zu privatisieren. Was in Jena ging, hätte doch bei einem anderen wirklich zentralen Unternehmen auch versucht werden sollen.
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Es gilt ja, wie wir hören, nicht einmal das Wort des Bundeskanzlers, der sich nachdrücklich gegen eine Teilprivatisierung ausgesprochen hat. Ich teile diese Ansicht des Kanzlers ausdrücklich. Er hat seinen Staatssekretär zum Aufsichtsrat geschickt. Aber nichts, eher das genaue Gegenteil der Ankündigung, ist passiert. Deswegen ist auch SKET jetzt ein Problem von Helmut Kohl.
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Oder will der Bundeskanzler wieder einmal Hoffnungen, die er selber geweckt hat, enttäuschen?
Das jetzt vorliegende Konzept wird wieder als langfristige Sanierung verkauft. Sein Kern ist eine weitere Halbierung der Belegschaft. Mit Erstaunen las ich, daß der Bereich „Neue Technik" aufgelöst werden soll. Sieht so eine langfristige Sanierung aus?
({7})
In dieser Situation ist es leicht, Schuldzuweisungen an die Landesregierung zu richten. Ich erwähne Herrn Staatssekretär Ludewig, ein gewiß unverdächtiger Zeuge, der Reinhard Höppner gegen Anschuldigungen, er habe sich nicht genug für SKET eingesetzt, verteidigt hat. Um was es jetzt geht, ist klar: das Zusammenwirken aller Verantwortlichen.
Schließlich will ich daran erinnern, daß die BvS und damit der Bund Eigentümer dieses Unternehmens ist.
({8})
Der Bund trägt also die Hauptverantwortung für die
Zukunft dieses Unternehmens. Mit dem Bund müssen natürlich das Land, die Europäische Union und
die Belegschaft zusammenwirken, damit das Unternehmen eine weitere Zukunft hat.
({9})
Das Wort hat der Kollege Gunnar Uldall, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Staat kann nicht Produkte eines Unternehmens verkaufen; er kann einem Unternehmen auch nicht Aufträge und Kunden beschaffen. Das sind Aufgaben, die sich der Unternehmensführung stellen. Der Staat kann nur eines tun: Er kann mit Zuschüssen flankierend zur Seite stehen. Diese Zuschüsse sind gerade im Fall von SKET überreichlich geflossen.
({0})
Wir haben zur Verfügung gestellt: für die Ablösung von Altkrediten 185 Millionen DM; Liquiditätsdarlehen in den Jahren 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 in einer Größenordnung von über 600 Millionen DM; Investitionsdarlehen von 130 Millionen DM; Liquiditätsdarlehen und Zuschüsse auf der Grundlage des Sanierungskonzeptes 1996 von 155 Millionen DM; weitere ABM-Darlehen von 17 Millionen DM.
Diese Zahlen lassen sich schnell vorlesen. Aber jede einzelne Mark, die an das Unternehmen gezahlt worden ist, ist den Steuerzahlern vorher abgezogen worden. Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, darauf zu achten, daß dieses Geld ordnungsgemäß verwandt wird und nicht in ein Unternehmen gesteckt wird, bei dem nachher nicht mehr erkennbar ist, wie der Fortschritt vorangeht.
Herr Küster und Herr Thierse haben angesprochen, daß die Kontrolle der Mittelverwendung offensichtlich nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat. Herr Thierse, ist es deswegen nicht bedauerlich, daß es der Ministerpräsident Höppner abgelehnt hat, Mitglied des Aufsichtsrates zu werden?
({1})
Wäre es nicht besser gewesen, sich um die Kontrolle der Mittelverwendung an Ort und Stelle zu kümmern?
({2})
Ministerpräsident Höppner hat, als er die Regierung übernahm, angekündigt, er werde sich um dieses Unternehmen besonders kümmern. Dann reichte es aber nicht einmal dazu, daß er in den Aufsichtsrat eingetreten ist. Das Unternehmen hat von dem Land niemals irgendeine Hilfestellung in Form einer vernünftigen Konzeption bekommen. SKET hat seinen Firmensitz in Magdeburg; der Ministerpräsident hat seinen Amtssitz in Magdeburg. Es wäre daher naheliegend gewesen, daß von dort ein sehr viel größeres Engagement erfolgt wäre.
({3})
Wenn man dem Bund den Vorwurf macht, er habe nicht genügend Unterstützung gegeben, dann wird das durch die eben von mir genannten Zahlen widerlegt. Ich will noch einmal sagen: Bei SKET sind auf 1 DM Umsatz 3 DM Kosten angefallen. Das zeigt deutlich, daß in diesem Unternehmen bisher die Wende nicht geschafft worden ist. Insofern ist es völlig richtig, daß ein neues Konzept vorgelegt wurde. Ich kann nur hoffen, daß dieses Konzept doch noch Zustimmung finden wird, wenn sich der Nebel etwas verzogen hat.
Herr Thierse hat gesagt, der Gipfelpunkt einer falschen Privatisierungspolitik sei erreicht, wenn das Unternehmen nicht mehr fortgeführt werden könne. Dies ist nicht der Gipfelpunkt einer falschen Privatisierungspolitik. Dies sind vielmehr noch heute schmerzliche Folgen einer falschen Wirtschaftspolitik, die in der DDR betrieben worden ist und vor 30 Jahren begonnen hat, als sich das Land von den Weltmärkten abgeschottet hat.
({4})
Jetzt erkennen wir, daß das Abschotten von den Weltmärkten, das Verzichten auf den harten Wettbewerb in der Welt das Schlimmste ist, was einem Unternehmen überhaupt passieren kann.
({5}) Insofern ist es schon etwas peinlich,
({6})
wenn gerade diejenigen, die diese falsche wirtschaftliche Entwicklung zu verantworten haben, heute mit Tränen in den Augen eine Aktuelle Stunde beantragen und Furore machen wollen. Die wahren Schuldigen sitzen auf der Seite der PDS.
({7})
Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine erste Bemerkung. Herr Kollege Uldall, es ist richtig, daß nicht der Staat die Unternehmenskonzepte zu schreiben hat. Ebenso richtig ist aber, daß der Staat verunsichert, wenn er ein Unternehmenskonzept nicht befördert und dieses nicht langfristig absichert.
({0})
Wer im Bereich der Anlagen verunsichert, verunsichert Kunden. Man wird keinen Käufer finden, wenn man nicht sagt: Du wirst auch noch in fünf Jahren den Auftrag für das, was du heute geliefert hast, bezüglich Wartung und Zulieferung bekommen.
({1})
Insofern ist von Ihnen der Verkauf dieser Waren auf den Märkten leichtfertig aufs Spiel gesetzt worden.
Zweite Bemerkung. Ich wundere mich schon: Sie sind Eigentümer. Sie haben Ihre Leute im Aufsichtsrat. Sie haben den Geschäftsführer bestellt. Jetzt verhalten Sie sich nach dem Motto: Haltet den Dieb. Jeder andere ist am mangelnden Unternehmens- und Umstrukturierungskonzept schuld, nur nicht diejenigen, die Eigentümer sind und den Geschäftsführer bestellt haben. Verlogenheit hoch drei!
({2})
Ich glaube aber, daß diese Haltung, Herr Kollege Uldall, uns angesichts der Menschen, die Angst um ihre Zukunft haben, nicht weiterhilft. Es handelt sich nicht um 1 800 Menschen, sondern um einige 10 000 Menschen aus den Zuliefererbetrieben der Region um Magdeburg, um die wir uns zu kümmern haben.
({3})
Ostdeutschland ist eben anders und mit anderen Maßstäben zu messen, als das die einen oder anderen in Hamburg wahrgenommen haben. Das ist einmal ganz deutlich zu sagen. Es gibt da eine etwas unterschiedliche Basis.
({4})
Vielleicht fahren Sie einmal dorthin und schauen sich das an. Nach der Wiedervereinigung hat es nämlich lange Zeit nur Liquiditätshilfen gegeben, um dieses Unternehmen über Wasser zu halten, statt Hilfen, um zukunftsweisende Unternehmenskonzepte zu entwickeln.
Dritte Bemerkung. Die Privatisierung war nicht durchdacht. Sie trug schon im Keim das Scheitern in sich. Es ist kein Wunder, daß diese schwierige Situation heute noch immer besteht.
Vierte Bemerkung. Das Sanierungskonzept vom Frühjahr 1996 war offensichtlich ebenso fragwürdig: nach vier Monaten bereits Makulatur, statt dem Unternehmen eine langfristige Perspektive zu eröffnen. SKET ist übrigens nur vordergründig ein Faß ohne Boden. Mit 1,2 Milliarden DM ist wirklich genug geflossen. Herr Minister Rexrodt, das ist richtig. Im Grunde genommen müßte man Sie eigentlich fragen, wo Ihre Leute im Aufsichtsrat gewesen sind, die diese 1,2 Milliarden DM und die Tatsache, wie wenig daraus entstanden ist, zu verantworten haben.
({5})
Aber auch bei der Bremer Vulkan und bei anderen Werften haben wir schon einmal die Situation erlebt, daß dort viel Geld hingeflossen ist und daß das Finanzministerium, das dafür verantwortlich ist, zu überwachen, wo dieses Geld denn geblieben ist, die Augen zugemacht und gesagt hat: Mich geht es überhaupt nichts an.
({6})
Wie ist es denn sonst zu erklären, daß niemand weiß, wo dieses Geld geblieben ist? Entschuldigung, aber es gibt doch eine Verantwortung der Ministerien.
Unternehmenskonzepte im Zusammenhang mit der beantragten Gesamtvollstreckung sind nur dann zu halten, wenn man den Versuch unternimmt, in diesem Unternehmen auch die Herstellung von Zukunftstechnologien unterzubringen. Es ist nicht erkennbar, daß dies bei der Aufteilung - man kann es ja nun wirklich nicht Filetierung nennen - tatsächlich der Hintergrund ist. Nach meiner festen Überzeugung ist folgendes der Hintergrund: Sie wollen so kleine Einheiten schaffen, damit viele von diesen auch noch vom Markt verschwinden können, ohne daß dies in der Öffentlichkeit Auseinandersetzungen nach sich zieht.
({7})
Ein Sanierungskonzept muß insbesondere dann, wenn die gesamte Volkswirtschaft umgestellt werden soll, so aussehen, daß Marktflauten abgefangen werden und neue Geschäftsfelder entstehen können. Ein Konzept für die Holding oder ein Privatisierungskonzept für das Unternehmen und seine Teile muß so aussehen, daß der Maschinenbaustandort Magdeburg erhalten bleibt, daß die Zulieferunternehmen ihre Chancen bekommen und daß sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten einbringen und daran mitwirken können, das zweite Mal nach dem Krieg etwas aufzubauen und nicht wieder nur zu den alleinigen Verlierern zu gehören.
({8})
Am Ende wird es bei SKET möglicherweise genauso gehen wie an anderen Stellen: Diejenigen, die für den Abbau von Arbeitsplätzen und für die Verschleuderung von Steuergeldern Verantwortung tragen, werden dann, wenn es nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, ungeschoren davonkommen.
Und Sie stellen sich hierher und sagen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien selbst schuld daran und hätten sich nicht darum gekümmert. Das ist kein würdiger Umgang mit den Sorgen und Nöten der Menschen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von den Mitgliedern dieses Hohen Hauses bin ich wohl der einzige, der jemals bei SKET Magdeburg tätig war. Um so mehr machen mich die Nachrichten der letzten Tage betroffen.
Hier geht es nicht um irgendeinen Betrieb. SKET ist symbolträchtig. Es ist ein industrieller Kern, dem das Aus droht. Aber waren die Schwierigkeiten, die
heute von allen Seiten beklagt werden, nicht schon lange abzusehen?
Als ich Mitte der 70er Jahre in Halle 16, einer der modernsten Hallen des Schwermaschinenbaukombinates Ernst Thälmann, die praktischen Versuche zu meiner Diplomarbeit machte, wurde dort teilweise mit Uraltmaschinen gearbeitet. Ich kann mich noch sehr gut an eine Langbetthobelmaschine aus dem Jahre 1910 erinnern.
Wenn man heute von SKET als einem Vorzeigeunternehmen der DDR spricht, möchte ich dahinter ein ganz großes Fragezeichen setzen. SKET hatte bis 1989 einen fein säuberlich abgeschotteten Markt, auf dem es unangefochten agieren konnte. Innerhalb eines Jahres fielen diese Umgrenzungen, und viele Märkte brachen einfach zusammen. Auf den neuen Märkten konnte nur schwer Fuß gefaßt werden. Die Weltmärkte fragten nach Systemführern. Als solcher konnte sich ein Betrieb, dessen West-Außenhandel nur über einen ministeriellen Außenhandelsbetrieb lief, nie profilieren.
Nach der Wende waren Kooperationspartner für Großaufträge mindestens genauso schwer zu bekommen wie die Aufträge selbst. Dies alles erfolgte vor dem Hintergrund einer weltweit drastisch gesunkenen Nachfrage im Bereich des Maschinenbaus.
Dadurch stellt sich automatisch die Frage: Waren die Sanierungskonzepte, die in großer Zahl und mit großem Aufwand erarbeitet wurden, immer die richtigen? Eine gefährliche Mischung aus wechselnden Interessen, Einflußnahmen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten führte zu immer neuen Sanierungsmodellen. Wurde je ein Modell mit Strenge und Geduld wirklich durchgesetzt und durchgehalten? Unterschiedliche unternehmerische, gewerkschaftliche, aber gerade auch politische Interessen führten immer wieder zum Schnippeln statt zu scharfen Schnitten, so daß stets aufs neue geschnitten werden mußte und Betrieb und Belegschaft nie zur Ruhe kamen.
Wie heilsam scharfe Schnitte sein können, sehe ich am Beispiel des Stickstoffwerkes Piesteritz in meinem Wahlkreis: Fast schockartig von 9 000 auf 750 Arbeitnehmer heruntergeschnitten, erholt es sich seit 1994 und beschäftigt heute auf seinem Territorium wieder fast 3 000 Arbeitnehmer.
({0})
Ausschlaggebend dafür ist ein klares Betriebskonzept, das Belegschaft und Investoren eine Perspektive bietet.
Systemführer oder Spezialanbieter - für eine von diesen beiden Unternehmensvarianten muß jetzt eine deutliche Entscheidung im SKET fallen, wobei die Entscheidung für eine Systemführerschaft wohl immer nur eine Vision war.
Sorge beschleicht mich, wenn ich daran denke, daß vom Arbeitsgericht Magdeburg ein Rechtsanwalt mit der Geschäftsführung beauftragt wurde, der nach Auskünften noch nie eine größere Gesamtvollstreckung leitete.
Es bleibt die Frage: Konnte eine staatliche Institution wie die Treuhand und die BvS, die immer auch ein Spielball der öffentlichen Meinung ist, dem Ziel einer Betriebssanierung überhaupt gerecht werden? Ist das SKET nicht ein Beispiel, daß der Weg, schnell und sorgfältig zu privatisieren und dann gemeinsam mit dem Investor zu sanieren, zwar umstritten, aber doch der richtige ist?
({1})
Entscheidend wird sein, daß das SKET in den nächsten Tagen und Wochen nicht zum politischen Spielball wird, sondern daß alle gemeinsam für das SKET stehen und kämpfen. Das wäre ein gutes Zeichen für den Markt und für die zukünftigen Kunden des SKET Magdeburg.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Gregor Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht, Kollegen Büttner, Petzold, Uldall, ist Ihnen doch eines aufgefallen: das völlige Desinteresse Ihrer Koalition an diesem Thema. Von weit über 300 Abgeordneten sind gerade mal 15 erschienen,
({0})
überwiegend ein paar ostdeutsche Abgeordnete. Die große Mehrheit Ihrer Fraktion zeigt Ihnen, daß sie sich für dieses Thema nicht einmal interessiert, geschweige denn bereit ist, eine Lösung zu finden.
Ich verstehe auch nicht, Herr Bundesminister Rexrodt, weshalb Sie sich immer hier vorn hinstellen, obwohl doch eigentlich der Bundesfinanzminister für die BvS zuständig ist. Warum ist er eigentlich nie zu sehen, wenn es um die verfehlte Politik der Treuhandanstalt und der BvS geht?
({1})
Ich finde es ja ganz rührend von Ihnen, daß Sie sich immer die Dresche abholen, aber Sie sollten in der Bundesregierung irgendwann einmal die Frage stellen, wer eigentlich wofür zuständig ist.
Deshalb sind Sie ja offensichtlich auch nicht in der Lage, hier klare Garantieerklärungen abzugeben. Ich hätte zum Beispiel folgendes erwartet. Heute gibt es eine Agenturmeldung, daß Vietnam einen Auftrag von 100 Millionen DM an SKET erteilen will; aber es erwartet, daß die Bundesregierung dafür gegenzeichnet und eine Bürgschaft übernimmt. Bei einem Unternehmen in Gesamtvollstreckung ist das wohl auch nicht anders möglich. Warum erklären Sie heute nicht: Ja, wir werden das tun.
({2})
Sie, Herr Rexrodt, haben mir Luftblasen und Wunschdenken vorgeworfen. Ich will diesbezüglich
Dr. Gregor Cyst
mit Ihnen wirklich nicht in Konkurrenz treten; da verliere ich eindeutig.
({3})
Herr Kollege Uldall hat gesagt, der Staat könne keine Kunden und keine Märkte besorgen. Seit wann denn das? Der Kanzler fährt ständig mit Unternehmern und Bankern nach China und sonstwohin, besorgt ihnen Kunden, besorgt ihnen Märkte. Da hat er überhaupt keine Hemmungen.
({4})
Ich habe einmal ein Interview des Vorstandschefs eines großen Maschinenbauunternehmens in den alten Bundesländern gelesen, als wir noch zwei Staaten hatten. Er wurde gefragt, was für ihn die eigentliche Konkurrenz im Maschinenbau sei. Darauf hat er damals im „Spiegel" gesagt: „Ob Sie mir das glauben oder nicht, das ist SKET, das ist in dieser Hinsicht sogar die DDR. "
Nun ist klar, mit der Währungsunion waren die Preise, die künstlich waren, nicht zu halten. Das kann ich schon nachvollziehen; so ist es nicht, Herr Bundesminister. Aber genau an diesem Punkt hätte die Sanierung ansetzen müssen. So wie Sie auch bei Steinkohle, bei Stahl und bei anderen akzeptiert haben, daß mit diesen Kosten und den entsprechenden Preisen auf dem Weltmarkt nicht zu agieren ist, hätte hier ein Konzept hergemußt, das nicht über ein, zwei oder drei Jahre, sondern von vornherein über zehn, 15 Jahre angelegt worden wäre.
Das Problem ist nur: SKET war und ist auch eine Konkurrenz für Mannesmann und andere Unternehmen. Und die hatten immer ein Interesse daran, daß SKET eingeht. Das wurde umgesetzt.
({5})
Die Vertreter im Aufsichtsrat haben ja ganz selten nur Politik für SKET und ganz oft Politik für andere gemacht. Sie haben nicht die Interessen ihres Unternehmens, sondern anderer Unternehmen vertreten.
Es ist doch kein Zufall, daß bekanntermaßen gerade dieser Aufsichtsrat, gerade diese Geschäftsführung von SKET von einem großen deutschen Unternehmensberater beraten wurden, der rein zufällig einer großen deutschen Bank angehört, die wiederum rein zufällig an der SKET-Konkurrenz Mannesmann beteiligt ist. So wird eben Interessenklüngel hergestellt.
({6})
Dann imponieren mir auch Ihre Zahlen nicht, weil die Frage nicht lautet: Wieviel Geld? Sondern die Frage lautet: Wofür ist das Geld? Das meiste Geld wurde nämlich für den Abbau ausgegeben, nicht für die Sanierung. Das ist das eigentliche Problem, und zwar von Anfang an.
({7})
Sie sind der hier anwesenden Belegschaft und dem Oberbürgermeister der Stadt die notwendigen Antworten schuldig geblieben, die heute in dieser Aktuellen Stunde eigentlich hätten gegeben werden müssen.
Und dann kommt Herr Friedhoff und spricht hier von Geldverschwendung und von Schuld der IG-Metall. Das ist doch einfach nicht zu fassen.
({8})
Schuld sind der Eigentümer, sein Aufsichtsrat und seine Geschäftsleitung, die Konzeptionslosigkeit von Anfang an und der leider schon mit großem Erfolg durchgeführte Versuch, eine Konkurrenz für andere Unternehmen in den alten Bundesländern zu vernichten. Das sind die eigentlichen Ursachen. Schuld hat nicht die IG-Metall, die versucht hat, die Interessen der Beschäftigten wahrzunehmen.
Ich bin auch nicht von allem begeistert, was die Landesregierung gemacht hat. Ich finde schon, daß sie sich etwas Kritik gefallen lassen muß. Sie hätte durchaus in den Aufsichtsrat gehen können, auch wenn sie nicht Eigentümer ist, um zum Beispiel solche Beschlüsse wie jetzt bei der Gesamtvollstrekkung zu verhindern. Aber ebenso klar ist - das ist doch ein Spielchen, das Sie hier betreiben -: Die Hauptverantwortung liegt ganz eindeutig bei dem Eigentümer, und das ist die Bundesregierung und niemand anders.
({9})
Diese Verantwortung werden Sie nicht auf die Landesregierung und auf niemand anders abschieben können.
Ich habe erwartet, daß Sie sich wenigstens einmal bereit erklärt hätten, ein ähnliches regionales Denken zu entfalten, wie das in den alten Bundesländern ganz häufig geschehen ist, wenn dort eine ganze Region gefährdet war. Denken Sie einmal über die Fristen nach und über die Subventionen, die dort geflossen sind, um verträglichen Umbau zu ermöglichen. Nichts dergleichen haben Sie in Ostdeutschland und auch nicht in dieser Region praktiziert.
Ich glaube, es stört Sie sogar, daß ein Unternehmen wie SKET, das einmal Weltruf hatte, überhaupt noch existiert. Sie wollen so etwas gar nicht, auch aus ideologischen Gründen. Das ist das Idiotischste, was ich erkennen kann. Sie wissen ganz genau
Herr Kollege Gysi, die Zeit.
- ja -: ein Land wie Sachsen-Anhalt ist dringend gerade auch auf dieses Unternehmen angewiesen. Sie zerstören doch nicht nur diesen Betrieb und viele Zuliefereinrichtungen, sondern auch die ganze Region.
Wenn der Bundeskanzler jetzt nicht auch noch durch seine eigenen Ministerien hier im Land vorgeführt werden soll, dann muß SKET jetzt saniert werden, und zwar auf der Grundlage des Gutachtens von Hickel. Damit hätte es eine reelle Chance. Aber
dann muß er jetzt endlich einmal zu seinem Wort stehen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU.
Es ist bei dieser Debatte, Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, schon hochinteressant, unmittelbar nach Herrn Gysi reden zu dürfen. Herr Gysi, Sie sind der inhaltliche und der vermögensrechtliche Rechtsnachfolger der Politik, die letztlich die eigentliche Ursache für die Probleme gelegt hat, die wir heute hier diskutieren müssen.
({0})
Es gehört schon eine wahnsinnige Frechheit dazu, jede Ursächlichkeit und jede Verantwortung für diesen beklagenswerten Zustand überspielen zu wollen. Auch das muß gesagt werden.
({1})
Lieber verehrter Herr Dr. Küster, Sie haben in dem Zusammenhang, daß für dieses Unternehmen 1,3 Milliarden DM öffentliche Mittel und 950 Millionen DM Bürgschaften geliefert worden sind, von „Erbsenzählerei" gesprochen. Sie haben offensichtlich jedes Maß verloren.
({2})
Wissen Sie, wie diese Beträge, allein 1,3 Milliarden DM an wirklicher, konsequenter Steuerhilfe, zusammenkommen? Das ist die Steuerlast von 100 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland über vier Jahre. Da reden Sie von Erbsenzählerei.
Das war der Versuch, SKET zu helfen. Er hat viel Geld gekostet. Darüber, ob das Geld immer richtig angelegt worden ist, kann man wirklich nachdenken.
({3})
Wir haben hier ein paritätisch mitbestimmtes Unternehmen. Die Eigentümerseite hat dem Land angeboten, einen darüber hinausgehenden Aufsichtsratsitz zu übernehmen. Das hätte natürlich geheißen, daß das Land in besonderer Weise Verantwortung mit übernommen hätte. Deswegen hat Höppner bis heute abgelehnt. Wir hatten ihm nicht gesagt, er solle für den Aufsichtsratsitz bezahlen, sondern er sollte für den Aufsichtsratsitz Verantwortung, Ideen und konstruktives Mitmachen einbringen. Das hat er verweigert. Deswegen sind diese hier erfolgenden Schuldzuweisungen übel; sie helfen nicht weiter.
Sanierungskonzepte in solchen Situationen - das sagen wir hier in allem Ernst - scheitern bei uns nicht in erster Linie am Geld. Wir haben nicht gesagt: Es darf nur einen gewissen Betrag kosten. Macht ein Sanierungskonzept so, daß es paßt! - Wir haben vielmehr gesagt: Macht in dieser Situation ein Sanierungskonzept, das sich nach marktwirtschaftlichen Plausibilitätsgesichtspunkten rechnet, das zu einem guten Ende, zur Sicherung von Arbeitsplätzen, führt und mit dem wir eine stabile Basis finden.
Sie sollten ein Sanierungskonzept vorlegen, das diesen vernünftigen, einzig zulässigen Plausibilitätsgesichtspunkten entspricht.
({4})
Das, was jetzt vorgelegt worden ist, ist ein solcher, seriöser Versuch von allen beteiligten Seiten. Dem hat sich die Belegschaft einseitig verweigert.
Wir stehen weiterhin zu diesem Sanierungskonzept. Man kann sicherlich an der einen oder anderen Stelle überlegen, ob noch eine Optimierung drin ist. Wir müssen aber an den Tisch zurück, um darüber zu reden. Ansonsten machen wir den Leuten etwas vor. Wir können doch nicht von 18 000 ehemaligen Arbeitsplätzen reden. Es ist doch leider so, daß dieses Unternehmen mittlerweile auf eine mittelständische Größenstruktur zurückgefallen ist. Wir müssen uns jetzt damit beschäftigen, daß wenigstens diese Größenstruktur beibehalten werden kann, daß eine Basis gefunden wird.
Herr Schwanhold, zu dem Thema habe ich von der SPD nichts gehört außer der allgemeinen Aussage, der Bundeskanzler - Herr Dr. Küster war hier als Germanist tätig - hätte von Filetierung gesprochen. Herr Dr. Küster, der Bundeskanzler ist derjenige gewesen, der den Belegschaften und den Betriebsräten bei seinem Besuch erklärt hat, den Begriff der Filetierung halte er für unverantwortlich. Er hat Sie erst auf die Idee gebracht, sich darüber aufzuregen.
({5})
Dann machen Sie das aber doch bitte schön korrekt. Beschimpfen Sie nicht im allgemeinen!
Der Bundeskanzler ist seiner Verantwortung gerecht geworden: Er ist hingegangen. Er steht auch weiterhin zu dem Konzept. - Ludewig, der Kanzler und der Wirtschaftsminister sind an der einen oder anderen Stelle gesprächsbereit,
({6})
aber nur dann, wenn es sich um ein Konzept handelt, das am Ende steht.
Ich habe jetzt einen Brief von Lafontaine gelesen; den hat er, ich glaube, gestern losgelassen. Darin hat er erklärt, es sei völlig unverantwortlich, einen Sozialplan aufzustellen und 20 000 DM pro Arbeitsplatz anzubieten. Es sei besser, man würde dieses Geld in die Zukunft und die Sicherung von Arbeitsplätzen stecken.
({7})
- Ja, richtig. Mit 20 000 DM pro Kopf könnten Sie ein halbes Jahr Löhne und Gehälter finanzieren. Aber wenn Sie nach dem halben Jahr kein Konzept haben, das auf den Märkten akzeptiert wird, dann haben Sie das nur vor sich hergeschoben. Der nächste Sozialplan wird die gleichen Konsequenzen nach sich ziehen.
({8})
Es geht doch darum: Können wir auf einer vernünftigen Zeitschiene das Geld so organisieren, daß es zu einer Stabilisierung und zu Ruhe führt und damit auch zu einer neuen Zukunft?
Darüber, daß jetzt ausgerechnet die Zukunftsabteilung, die Abteilung für technologische Entwicklung, geschlossen wird - Herr Schwanhold, ich glaube, auch Sie hatten das gesagt -, kann man natürlich nachdenken. Wissen Sie aber, was nach allen Regeln, die wir kennen, zunächst einmal erforderlich ist? Es ist erforderlich, daß man in seiner eigenen Kernkompetenz erfolgreich ist.
Wer in der eigenen Kernkompetenz noch keinen Boden unter den Füßen hat, was die Durchdringung im Markt betrifft, den kann ich natürlich jetzt nicht nach vorne schicken, um über die Zukunft zu reden; denn er kann, bei aller Begleitung durch öffentlichrechtliche Finanzierung, noch nicht einmal die Gegenwart sichern.
Ich denke, daß im Moment eine hohe Konzentration auf die Kernkapazität erforderlich ist. Nur dann helfen wir den Betroffenen.
Laßt die Schuldzuweisungen sein! Laßt uns konkret sagen: Wir wollen an den Tisch zurück und an Hand des vorhandenen Sanierungskonzepts die Gespräche wieder aufnehmen. Das ist die Botschaft, die wir brauchen.
({9}) Dazu steht die Bundesregierung.
Ich lade die Landesregierung und die SPD ein - auf die PDS mit ihrer Vergangenheit können wir verzichten -:
({10})
Laßt uns an dieser Stelle gemeinsam versuchen, das Konzept umzusetzen, sonst stiften wir noch größeren Schaden. Am Ende wird es dann nämlich
Die Zeit, Herr Kollege.
- mein letzter Satz - überhaupt keine Chance mehr geben. Laßt uns deswegen das Reden sein lassen und in die Gespräche eintreten.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rudolf Scharping, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unternehmen gehört dem Bund. Drei Vertreter des Bundes sitzen im Aufsichtsrat. Die volle Verantwortung für die Entscheidungen über das Konzept - wenn man es überhaupt so nennen kann - trifft den Bund und niemanden sonst.
({0})
Daß Sie eine ungebremste Neigung haben, andere zur Mitverantwortung einzuladen, um sie dann beschimpfen zu können, ist hier wieder deutlich geworden. Es geht alles nach der sattsam bekannten Methode: Wir sind für die Erfolge zuständig; für die Mißerfolge, für die Fehler ist niemand zuständig, es sei denn die Opposition.
({1})
Das ist eine schwachsinnige Argumentation; es tut mir leid, daß ich das nicht anders nennen kann.
({2})
Wenn Sie hier voller Stolz sagen, in dieses Unternehmen seien über 1,1 Milliarden DM geflossen, dann frage ich mich: Wie gehen Sie eigentlich mit Steuermitteln um, wenn Sie dieses Unternehmen, das eine langfristige Perspektive braucht, ständig in kurzen Abständen ins Gerede bringen?
({3})
Um welche Politik handelt es sich eigentlich, wenn sich deren Vertreter hier hinstellen und sagen - das ist ja unbestreitbar richtig -, die DDR-Wirtschaft war marode? Aber wie sind Sie denn mit dieser maroden Wirtschaft umgegangen, und ist es überhaupt noch politisch und sachlich zulässig, sieben Jahre nach der friedlichen Revolution und sechs Jahre nach der staatlichen Einheit alles auf die Zustände von vorher zu schieben, obwohl doch jeder weiß, daß Ihre Fehlentscheidungen in bezug auf die Treuhand, die Privatisierung und die Rückgabe alten Eigentums die Grundlagen dafür gelegt haben, daß das überhaupt nicht auf die Beine kommen konnte?
({4})
Sich dann hier hinzustellen und jede Verantwortung abzulehnen, das muß für die betroffenen Menschen wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Sie fragen sich: Wofür werden die Leute eigentlich so hoch bezahlt, wenn sie sich immer nur hier hinstellen und sagen, daß sie für nichts verantwortlich sind? Natürlich gibt es eine Verantwortung. Ich bin einmal gespannt,
wie die Bundesregierung oder die CDU argumentieren, wenn das mit dem Vietnam-Auftrag klappen sollte; ich bin gespannt. Ich frage Sie ausdrücklich: Warum haben Sie nie den Versuch gemacht, bei der Vergabe von Krediten an mittel- und osteuropäische Länder und an Rußland etwas für die Zukunft dieses Anlagenbauers zu tun? Warum haben Sie nie den Versuch gemacht, langfristig angelegte unternehmerische Konzepte mit tragfähigen politischen Rahmenbedingungen zu verbinden? Diesen Versuch haben Sie nie gemacht.
({5})
Deswegen stelle ich fest: Die ganze Bedeutung, die die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion diesem Vorgang beimessen, wird deutlich an der Art und Weise, wie Sie reden, vor allen Dingen auch daran, wer hier redet, wer sich um die Dinge kümmert. Ich habe viel Verständnis dafür - wir werden das bei anderer Gelegenheit aufgreifen -, daß Sie Ihre Koalition zusammenhalten oder den Versuch dazu unternehmen müssen oder daß Sie jetzt über die Steuern reden müssen, über Ihr finanzielles Desaster. Aber ich finde, wenn ein Bundeskanzler eine höchst fahrlässige Äußerung macht, wie es der Bundeskanzler aus tagespolitischem Opportunismus heraus in Magdeburg getan hat, dann hat er die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dem Deutschen Bundestag auch zu sagen, was er tun will, um die mit der Äußerung geweckte Hoffnung zu erfüllen.
({6})
Dann können Sie sich doch nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben einmal Hoffnungen geweckt. Wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland - sie ist der Eigentümer des Unternehmens - sich in Magdeburg hinstellt und sagt, daß das Unternehmen nicht zerschlagen werden darf und daß es eine Zukunft haben muß, dann haben Sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, hier, im Deutschen Bundestag, zu sagen, was Sie tun werden, um das einzulösen. Das haben Sie nicht getan; statt dessen beschimpfen Sie andere.
({7})
Ich bitte Sie darum, sich vielleicht im stillen Kämmerlein eines zu überlegen: Sie ruinieren den Aufbau im Osten Deutschlands auf der wirtschaftlichen Seite; gleichzeitig sagen Sie den Leuten: Wir kürzen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, und dann kürzen wir auch noch Leistungen für den einzelnen Menschen. Ich frage Sie: In welche Lage bringen Sie Menschen,
({8})
wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sich in Magdeburg hinstellt und sagt, daß das Unternehmen nicht zerschlagen werden darf, wenn am selben Tag der Aufsichtsrat das Gegenteil beschließt, wenn Sie sich dann hier hinstellen und so reden, wie Sie das getan haben, und gleichzeitig eine Politik auf dem Rücken von Menschen betreiben?
Es geht hier ganz offenkundig nicht mehr um Argumente, sondern immer nur um die Denunzierung des Argumentierenden. Wenn ich Sie so reden höre, geht es nicht darum, sich auseinanderzusetzen, sondern darum, andere zu denunzieren.
Da ich jetzt wieder das schöne Wort „Mexiko" gehört habe, sage ich Ihnen etwas.
({9})
- Ich sage Ihnen das einmal in aller Seelenruhe und in aller Deutlichkeit.
Zeit, Herr Kollege.
Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident. - Die Frage, wie der Staat mit den Familien umgeht, unterliegt einem internationalen Vergleich. Daß er mißverständlich ist, ist mir wohlbekannt. Aber ich nehme lieber solche Mißverständnisse in Kauf als die völlige Unehrlichkeit einer Politik, die in Magdeburg anders redet, als sie in Bonn handelt.
({0})
Das Wort hat der Kollege Clemens Schwalbe, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht die Tatsache, daß wir heute über SKET reden, sondern die Tatsache, daß die PDS eine Aktuelle Stunde zu dem Thema SKET beantragt hat
({0})
- nein, das ärgert mich nicht -, läßt erkennen, daß Sie nach wie vor aus der Vergangenheit nichts gelernt haben.
({1})
Es ist gut, daß heute Vertreter des Betriebsrates von SKET da sind, damit sie diese Aktuelle Stunde mitbekommen. Ich appelliere an den Betriebsrat: Lassen Sie sich nicht von alter sozialistischer Beschäftigungspolitik der PDS irritieren.
({2})
Sie lautet: Jeder hat einen Arbeitsplatz, aber keiner hat Arbeit. Genau das ist Ihr Motto, und genau das hat über 40 Jahre die DDR-Wirtschaft ruiniert.
({3})
Wenn Sie das nicht hören wollen, tut es mir leid; aber so ist es.
Herr Höppner hat aus Furcht vor der PDS Angst, Entscheidungen zu fällen. Das ist eine Tatsache.
({4})
Deshalb wird in Magdeburg eine verfehlte Wirtschaftspolitik betrieben.
({5})
Darum ist der Vorwurf an die Bundesregierung an dieser Stelle verfehlt.
({6})
- Ja, das sage ich Ihnen.
Man muß gegenüber den Arbeitnehmern die Wahrheit aussprechen. Man muß den Arbeitnehmern sagen: Man kann nicht mit der bisherigen Zahl von Beschäftigten weiterarbeiten. Wenn man sich vor diesen Entscheidungen drückt, dann wird das Ganze nicht besser, sondern von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag schlechter.
Meine Damen und Herren, im Juni dieses Jahres hat Herr Höppner in Buna vor über tausend geladenen Gästen den Kanzler für seine Entscheidung zu Buna gelobt. Er hat gesagt: Es ist wichtig, daß wir solche Leuchttürme erhalten. Denken Sie zwei Jahre zurück: Wenn es damals nach dem Betriebsrat von Buna und nach Herrn Höppner gegangen wäre, dann wäre Buna heute SKET.
({7})
- So ist es; da können Sie mit dem Kopf schütteln, wie Sie möchten.
({8})
Aber anstatt sich ein Beispiel daran zu nehmen, wie man in Buna und Leuna erfolgreiche Sanierungspolitik betreibt, wird weitergewirtschaftet, das heißt nicht gewirtschaftet.
({9})
SKET ist nur ein Synonym für viele andere Betriebe. Ich nenne die SAMAG in Sangerhausen, ich nenne Addinol. Gerade am Beispiel Addinol wird deutlich, welches falsche Spiel die Landesregierung treibt.
({10})
- Ich habe im Wahlkreis eine große Auswahl, und zwar an schlechter und an guter Sanierungspolitik: gute Politik, wo der Kanzler selbst tätig wurde, und schlechte Politik, wo das Land in Verantwortung steht. Das erläutere ich Ihnen.
({11})
Am 12. Juni hat Herr Schucht in Bonn in einer Besprechung mit der BvS zugesagt, daß Addinol eine Landesbürgschaft in Höhe von 40 Millionen DM gegeben wird. Bis heute hat das Kabinett Höppner dies nicht bestätigt. Genau deshalb fehlt es an der Zuweisung der Mittel. Selbst Ende September, als die BvS ihr Bekenntnis zu Addinol nochmals abgelegt hat, war Herr Schucht wieder dabei und formuliert am Abend Schuldzuweisungen gegenüber der BvS.
({12})
- Nein, das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden, weil es genau aufzeigt, welche Politik in der Landesregierung gemacht wird.
Auch die gestrige Landtagsdebatte hat das offengelegt. Herr Höppner hat Angst, eine Entscheidung zu fällen. Er ist von der PDS nicht nur abhängig. Er ist mittlerweile hörig. Deshalb kann er keine entsprechende Politik betreiben.
Die Landesregierung ist unfähig, eine Wirtschaftspolitik zu machen. Deshalb - ich kann nur wiederholen, was gestern Herr Bergner gesagt hat -: Man sollte zum Wohle des Landes eigentlich den Hut nehmen. Deshalb liegt die Hoffnung bei SKET letztendlich nicht bei Herrn Höppner oder bei Herrn Gysi, sondern sie liegt wieder einmal beim Kanzler.
({13}) - Natürlich. So ist es.
Auch der Auftritt, Herr Scharping, den Sie vorgeführt haben, um vielleicht Herrn Höppner zu unterstützen, war deshalb verfehlt.
Danke schön.
({14})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ist das eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Struck? - Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade eben ein bedauerliches aktuelles Beispiel von Regierungsversagen diskutiert.
({0})
Wir wollen, daß jetzt unverzüglich ein weiteres aktuelles Beispiel von Versagen von Regierungspolitik diskutiert wird. Ich beantrage, Herr Präsident, daß die Tagesordnung des Bundestages um den Punkt „Bericht des Bundeskanzlers über geplante Steuererhöhungen", die gerade jetzt in den Koalitionsgesprächen vereinbart worden sind, erweitert wird.
({1})
Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was diese Koalition an weiteren Steuererhöhungen plant. Auch dieses Parlament hat ein Recht darauf, das unverzüglich zu erfahren und auch hier diskutieren zu können, und nicht immer aus den Sonntagszeitungen erfahren zu müssen, was irgendwo für Schweinereien geplant sind.
({2})
Ich stelle fest, daß es ganz offenbar jetzt nur noch um die Frage geht, ob die Mineralölsteuer erhöht oder ob der Solidarzuschlag nicht gesenkt wird. Beides sind Steuerlügen dieser Regierung.
({3})
Wenn die Mineralölsteuer erhöht wird, dann verstoßen Sie gegen ein Versprechen, das Sie immer wieder gegeben haben. Wenn der Solidarzuschlag nicht gesenkt wird, dann sage ich gerade Ihnen von der F.D.P.: Mit dieser Zusage haben Sie sich über die Landtagswahlen retten können, und diese wollen Sie jetzt wieder einkassieren. Dies ist ein weiterer Betrug und eine weitere Steuerlüge dieser Regierung.
({4})
Wir wollen, daß dies sofort diskutiert wird. Wir sind auch gerne bereit, unsere Alternativen zur Sanierung des Haushaltes darzulegen. Deshalb beantrage ich, diesen Tagesordnungspunkt sofort zu diskutieren.
({5})
Herr Kollege Schmidt, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Struck, das ist schon ein dolles Stück, wie Sie hier versuchen, Politik zu machen.
({0})
Erst mißbrauchen Sie den Bundesrat für eine Blockadepolitik gegen eine vernünftige Politik.
({1})
Dann, Herr Kollege Struck, stellen Sie einen Schaufensterantrag, um am Freitagmorgen ein Spektakel zu veranstalten.
({2})
Herr Kollege Struck, wir widersprechen Ihrem Antrag. Aber ich will Sie an dieser Stelle auch auffordern: Hören Sie mit Ihrer Blockadepolitik auf! Nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Arbeitslosen für unseren Sozialstaat in Deutschland wahr! Hören Sie auf mit diesen Schaufensteranträgen!
({3})
Herr Kollege van Essen, bitte.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir widersprechen diesem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion.
({0})
Es gibt derzeit überhaupt keinen Anlaß, über irgend etwas zu sprechen.
({1})
Der Kollege Struck hat mehr als deutlich gemacht, daß es im Augenblick Gespräche gibt. Niemand kennt das Ergebnis dieser Gespräche.
({2})
Wir werden um 12 Uhr Fraktionssitzungen haben. Niemand weiß, zu welchen Beschlüssen die Fraktionen jeweils kommen.
Er liegt auch politisch falsch. Die Fragen, die beantwortet werden müssen, sind wesentlich auf die SPD zurückzuführen. Wir haben bereits mehrfach deutlich gemacht: Von Ihnen ist nichts, aber auch gar nichts an Vorschlägen gekommen. Deshalb widersprechen wir diesem Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion.
({3})
Weitere Erklärungen in dieser Geschäftsordnungsdebatte? - Vom Bündnis 90/Die Grünen?
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Nein! Wir wollen abstimmen!
- Gut.
Dann weise ich darauf hin, daß Ergänzungen der Tagesordnung nach § 20 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung nicht möglich sind, wenn eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages widerspricht. Das ist der Fall.
Es bleibt nur die Möglichkeit, Herr Kollege Fischer, nach § 126 der Geschäftsordnung von dieser abzuweichen. Das ist nur möglich, wenn zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Bundestages zustimmen.
({0})
Wir werden das jetzt feststellen, weil es anders nicht zu machen ist.
Ich lasse also abstimmen, wer in Abweichung von der Geschäftsordnung nach § 126 diesen Tagesordnungspunkt aufsetzen will. Darf ich um das Handzeichen bitten? - Die Gegenprobe! - Es gibt keine Klarheit im Präsidium. Auch dafür gibt es Regeln. Ich lasse noch mal abstimmen.
Wer für die Aufsetzung dieses Punktes ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das Präsidium ist uneinig. Auch dafür gibt es Regeln.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir müssen das Ergebnis durch Auszählung feststellen. Sie kennen den Mechanismus. Darf ich Sie bitten, den Plenarsaal zu verlassen?
Ich bitte die Türen zu schließen. Sind die drei Türen mit Schriftführern besetzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Wie sieht es da oben an den Türen aus? - Ich kann die Türen nicht ewig offenhalten. Ich frage noch einmal, wie es da oben an den Türen aussieht. Kann mir bitte ein Handzeichen gegeben werden? - Ich schließe die Abstimmung und bitte, mir das Ergebnis mitzuteilen. Ich bitte um Aufmerksamkeit und gebe das Ergebnis bekannt: Mit Ja haben 230, mit Nein 264 Abgeordnete gestimmt; Enthaltungen gab es keine. Die Zweidrittelmehrheit wurde nicht erreicht.
Wir fahren in der Tagesordnung fort.
({1})
- Ich denke, es ist sinnvoll, die Sitzung für wenige Minuten zu unterbrechen, damit diejenigen von Ihnen, die der weiteren Beratung nicht zu folgen wünschen, den Saal verlassen können.
({2})
Wir setzen die Sitzung fort.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte ergänzt werden.
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu den Anträgen der Fraktion der SPD: Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 2. Untersuchungsausschusses - Drucksachen 13/4698, 13/5233, 13/5843 6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit - Drucksachen 13/4613, 13/5074, 13/5327, 13/5448, 13/5529, 13/5537, 13/5640 Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) zu den Anträgen der Fraktion der SPD
Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 2. Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 13/4698, 13/5233, 13/5843 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt ({3}) Johannes Singer
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Bevor wir in die Abstimmung eintreten, gebe ich das Wort für eine persönliche Erklärung zur Abstimmung dem Kollegen Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Geschäftsordnungsausschuß empfiehlt heute dem Deutschen Bundestag, dem 2. Untersuchungsausschuß, welchem ich für die PDS angehöre, den Auftrag zu erteilen, das Verschwinden von Beihilfen für ostdeutsche Werften aufzuklären. Ich werde mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten und möchte das begründen.
Die PDS stellte bereits am 5. März 1996 als erste einen Antrag auf Untersuchung, und monatelang war sie die einzige politische Kraft im Bundestag, die die parlamentarische Suche nach den beim Bremer Vulkan versickerten Beihilfen forderte. Die jetzt zur Abstimmung stehende Auftragserweiterung, genauer gesagt, der Kompromiß zwischen SPD und Koalition, läßt in den Formulierungen befürchten, daß ausgerechnet die Umstände der Privatisierung der Ostwerften, die dubiosen Aktivitäten von Bundesregierung und Treuhandanstalt in der Zeit zwischen Anfang 1991 und März 1993 nicht untersucht werden sollen.
({0})
Aber ohne genaues Durchleuchten der Entstehungsgeschichte und Ursprünge der Privatisierungsverträge kann überhaupt nicht beurteilt werden, ob und wo staatliche Stellen eventuell versagt haben.
Herr Kollege Bierstedt, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Sie können eine persönliche Erklärung zu Ihrem Abstimmungsverhalten abgeben, aber keinen Debattenbeitrag. Ich weiß, es ist manchmal schwierig, das zu trennen, aber ich bitte Sie, Ihr Abstimmungsverhalten zu begründen und sonst nichts. Ich müßte Ihnen sonst das Wort entziehen.
Ich begründe mein Abstimmungsverhalten damit, daß zu befürchten gilt, daß es jetzt darum geht, Persilscheine für die Treuhandanstalt, die BvS und das Bundesfinanzministerium auszustellen. Im übrigen erkläre ich mein Abstimmungsverhalten auch damit, daß wir der Auffassung sind, daß eine seriöse Untersuchung eigentlich einen dritten Untersuchungsausschuß fordert. Ich erkläre meine Enthaltung auch damit, daß der bestehende 2. Untersuchungsausschuß bereits jetzt hilflos überlastet ist.
Immerhin ist es zumindest erstaunlich, daß nach monatelanger Verzögerung Ihres Antrages, meine Damen und Herren von der SPD, jetzt, wo sich der Rechnungsprüfungsausschuß ausführlich den Vulkan-Vorgängen zuwenden will, diese schnell in den bestehenden Untersuchungsausschuß verschoben werden sollen. Daran ändert auch die in der gestrigen nichtöffentlichen Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses getroffene Übereinkunft zum zeitlichen Vorgehen nichts.
Zum Schluß möchte ich mein Abstimmungsverhalten auch damit erklären, daß die bisherigen Punkte 1
und 2 des Antrags geopfert worden, bei denen die PDS zu Recht Aufklärung über die immensen Höhen und Berechtigung von Liquidatorenhonoraren forderte. Ebenso fällt die Frage der Bankenprivatisierung dieser Streichorgie zum Opfer.
Die Summe der Übereinstimmungen ist leider etwas geringer als die Summe der Nichtübereinstimmungen. Aber für ein Nein ist uns die Sache zu wichtig.
Danke.
({0})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 13/ 5843? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt
- Drucksache 13/5062 - ({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1})
- Drucksache 13/5826 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Lotz
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach all den Aufgeregtheiten dieses Morgens wenden wir uns jetzt einem äußerst trockenen Thema zu, einer thematisch am Rande des sozialpolitischen Geschehens gelegenen, aber für die Sozialpolitik in Deutschland doch sehr bedeutsamen Sache.
Leider Gottes - das möchte ich gleich zu Beginn sagen - ist dieses Gesetz in der Mitte dieser Woche sicherlich zu Unrecht in negative Schlagzeilen geraten. Es wurde behauptet, das Bundesjustizministerium als Verfassungsressort habe in diesem Gesetz verfassungsrechtliche Risiken festgestellt. Ich möchte gleich am Anfang festhalten, daß dieser Gesetzentwurf in engster Abstimmung mit beiden Verfassungsressorts, dem BMJ und dem BMI, vorbereitet und von diesen beiden letztlich auch als verfassungsgemäß gewertet wurde.
An die Kolleginnen und Kollegen der SPD möchte ich eine Bitte richten, nämlich an dieses Gesetz keine überzogenen Erwartungen zu stellen. Sie haben im Vorfeld dieses Gesetzes wieder erhebliche Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt, die nun einmal nicht gerechtfertigt sind. Sie haben immer mit den verfassungsrechtlichen Risiken argumentiert. Es mag da und dort immer wieder einmal ein verfassungsrechtliches Restrisiko bleiben, aber daran kann man wohl nicht immer vorbei. Auch deswegen gibt es des Bundesverfassungsgericht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute die künftige sozialrechtliche Behandlung von sogenanntem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt. Auslöser dieses Gesetzes ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hat entschieden, daß es nach der gegenwärtigen Rechtslage mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar sei, daß Weihnachts- oder Urlaubsgeld, sogenanntes einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne daß es bei der Berechnung von Arbeitslosen-, Kranken- und Übergangsgeld, also den sogenannten kurzfristigen Lohnersatzleistungen, berücksichtigt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat weiterhin ausgeführt, daß die gegenwärtige Regelung nur bis Ende dieses Jahres angewendet werden darf. Wir brauchen also ab dem 1. Januar 1997 eine neue Regelung.
Würde der Gesetzgeber nicht schnell handeln, wäre die Folge, daß den Sozialversicherungen 30 Milliarden DM an Beitragseinnahmen ausfallen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das ist ein Loch, das in einer Zeit, in der wir uns bemühen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu senken, schlicht und einfach nicht einreißen darf. Wir liegen momentan bei einer durchschnittlichen Belastung von 40,8 Prozent.
({0})
Wir können mit diesem Reformpaket gerade einmal im nächsten Jahr eine stärkere Steigerung als 0,1 oder 0,2 Prozent verhindern. 30 Milliarden DM, die Sie uns an Beitragsausfällen zumuten würden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hätten zur Folge, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusätzliche 2 Prozent Gesamtsozialversicherungsbeitrag entrichten müßten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung festgestellt, daß es dem Gesetzgeber freigestellt ist, ob er eine Lösung auf der Beitragsseite oder auf der Leistungsseite findet.
({1})
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß auf die Beiträge aus den Einmalzahlungen nicht verzichtet werden kann. Eine Lösung auf der Beitragsseite wäre also nicht vertretbar. Wir haben immer wieder,
auch in den intensiven Beratungen insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung, deutlich gemacht, daß die Belastbarkeit der Versicherten ohnehin längst erreicht ist.
Deshalb werden die Sozialversicherungsbeiträge nach jetziger Rechtslage noch von allen Einkünften, also auch vom Weihnachts- oder Urlaubsgeld, erhoben. Die Höhe der Sozialversicherungsleistungen wie Kranken- oder Arbeitslosengeld richtet sich dagegen nur nach der Höhe der laufenden Einnahmen. Die Sonderzahlungen bleiben also außer Betracht.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun kritisiert, daß diese Regelung dem sogenannten Äquivalenzprinzip widerspricht. Das Äquivalenzprinzip besagt im Grunde, daß sich die Höhe der Lohnersatzleistungen an der Höhe der Beitragszahlungen orientieren muß.
Die neuen Regelungen orientieren sich dagegen an dem sogenannten Entgeltausfallprinzip. Diese Durchbrechung des Äquivalenzprinzips rechtfertigt sich aber aus dem Schutzzweck der einzelnen Lohnersatzleistungen heraus.
Für die Arbeitslosenversicherung bedeutet dies folgendes: Ziel des Arbeitslosengeldes ist es, das Arbeitsentgelt teilweise zu ersetzen, welches der Arbeitslose wegen seiner Arbeitslosigkeit aktuell, also in einer potentiellen neuen Beschäftigung, nicht erzielt. Das Ausfallprinzip stellt also nicht auf die Vergangenheit ab, sondern auf dasjenige Entgelt, das der Arbeitslose künftig erzielen könnte.
Ich glaube, dies ist auch sachgerecht, denn ein Arbeitsloser, der eine neue Beschäftigung aufnimmt, kann nicht damit rechnen, in der allerersten Zeit seines Beschäftigungsverhältnisses gleich Sonderzahlungen zu erhalten.
({2})
- Hören Sie gut zu, Frau Kollegin Fischer. Sie sind doch sonst auch so ruhig. - Bei diesem Arbeitnehmer fällt also nichts aus, was die Arbeitslosenversicherung ersetzen müßte.
Beim Kranken- und Übergangsgeld hingegen werden ausgefallene Sonderzuwendungen berücksichtigt. Dazu wird ein zusätzliches Kranken- und Übergangsgeld eingeführt. Voraussetzung ist allerdings, daß das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Das Krankengeld stellt einen Ersatz für das Entgelt dar, das der Kranke auch ohne seine Krankheit erhalten hätte.
Bei Kurzarbeitern kann im Prinzip nichts anderes gelten als bei Arbeitslosen. Kurzarbeitergeld ist eine Art Teilarbeitslosengeld, so daß es vertretbar ist, den Kurzarbeiter so zu behandeln, als wäre er mit einem Teil seiner Arbeitskraft arbeitslos. Damit erhält er für diesen Teil seiner Arbeitskraft ebenso wie der Arbeitslose nur einen Ersatz für das Einkommen, das er an einem neuen Arbeitsplatz erwarten könnte.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich will es noch einmal deutlich machen: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar eine Ungerechtigkeit innerhalb des bisher geltenden Äquivalenzprinzips festgestellt. Die im Gesetzentwurf vorgesehene neue Regelung beruht jetzt aber auf einem völlig neuen und, wie ich glaube, sachgerechten Ordnungsgedanken für die Berücksichtigung der Einmalzahlungen bei der Berechnung kurzfristiger Lohnersatzleistungen. Der Vorwurf, wir würden ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ignorieren, ist damit völlig aus der Luft gegriffen.
Ich weise deshalb in aller Deutlichkeit die Schlagzeilen zurück, die Sie von der Opposition in den letzten Tagen in die Welt zu setzen versuchten. Ich nenne einige: „SPD behauptet: Koalition ignoriert Bedenken der Verfassungsrichter". Es war die Rede von „blanker Willkür" und „Bonn ignoriert Urteil zu Sozialabgaben" usw. Die Kollegin Däubler-Gmelin hat gestern eine Pressemeldung abgesetzt, in der sie von „unglaublicher Ruppigkeit des Bundestages, der Regierung und der Koalition" und von „unglaublicher Unverschämtheit" und ähnlichen Dingen sprach.
({3})
Ich weise all diese Vorwürfe klipp und klar zurück.
Weiter schreibt sie, wir hätten dieses Gesetz im Bundestag „durchgepeitscht". Davon kann überhaupt keine Rede sein. Wir haben dieses Gesetz in erster Lesung im Juni eingebracht. Wir haben es im Ausschuß sorgfältigst beraten. Wir haben eine Anhörung gehabt. Sie hätten doch auch am Mittwoch im Ausschuß darüber noch intensiver beraten können.
({4})
Die Opposition war damit einverstanden, dieses Gesetz am Mittwoch im Ausschuß abzuschließen. Wir hätten auch gestern und heute noch Zeit gehabt. Die Sitzungen waren anberaumt. Es hätte in Ihrer Hand gelegen, es noch weiter zu beraten. Von Durchpeitschen kann überhaupt keine Rede sein.
Herr Kollege Ramsauer, sehen Sie bitte auf die Uhr.
Ich schaue auf die Uhr. Ich weiß, meine Redezeit ist abgelaufen. - Ich weise aber diese Vorwürfe mit aller Entschiedenheit zurück. Das Gesetz ist sorgfältig beraten worden.
Eines ist schon komisch: Gestern hat Frau DäublerGmelin noch großspurige Erklärungen abgegeben, und heute ist sie bei dieser Debatte nicht anwesend. Das ist kein guter politischer Stil.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hans Büttner, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf, so sehr er auch am Rande steht, ist viel diffiziler und bedeutsamer, als Sie es, Herr Kollege Ramsauer, in Ihrer Rede deutlich zu machen versucht haben.
({0})
Das bestehende Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig bezeichnet hat, weil tariflich vereinbarte betriebliche Sonderzahlungen und 13. Monatsgehälter zwar zu Beiträgen herangezogen, Leistungen dafür aber nicht gewährt werden, stellt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 des Grundgesetzes dar.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern: Erhält ein Arbeitnehmer zum Beispiel ein tariflich vereinbartes Jahreseinkommen von 50 000 DM über zwölf Monatsgehälter verteilt, dann ist bisher dieses Einkommen auch Grundlage der Bemessung für das Kranken- und Arbeitslosengeld. Erhält ein Arbeitnehmer dieses tariflich vereinbarte Einkommen, nämlich auch 50 000 DM, in Form von zwölf Monatsgehältern, einem tariflich vereinbarten 13. Gehalt, einem tariflich vereinbarten Urlaubsgeld und zum Beispiel einer betrieblich vereinbarten Sonderzahlung, dann sind nur die zwölf Monatsgehälter Grundlage der Bemessung von Leistungen. Genau diesen Sachverhalt, der dazu führt, daß bei gleichem Jahreseinkommen der eine Arbeitnehmer 10 bis 15 Prozent weniger Leistungen erhält als der andere, hat das Verfassungsgericht als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angesehen und daher für verfassungswidrig erklärt.
Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beseitigt diese Ungleichbehandlung nicht. Zwar überläßt es das Gericht dem Gesetzgeber, wie er diese Ungleichbehandlung beseitigen will; es weist ihm aber auch in seinem Obiter dictum klar den Weg. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten daraus zitieren:
Dem Gesetzgeber steht es dabei frei, wie er die wiederkehrenden, tarif- oder einzelvertraglich vereinbarten Sonderzahlungen berücksichtigen will. Er kann die Ungleichbehandlungen entweder auf der Beitragsseite durch eine Änderung der Beitragsbemessung bei Einmalzahlungen beseitigen oder auf der Leistungsseite durch Einbeziehung von Einmalzahlungen in die Bemessungsgrundlage kurzfristiger Lohnersatzleistungen. Er darf jedoch nicht relativ komplizierte Methoden der Beitragsberechnung zu Lasten der mit der Beitragsabführung befaßten Arbeitgeber einführen und zugleich Leistungen im Hinblick auf ebenso schwierige Berechnungen auf seiten der Leistungsverwaltung gänzlich verweigern.
Dann folgt der Hinweis:
Pauschalierungsverfahren zur Lösung dieser Probleme sind ihm von Verfassungs wegen nicht verwehrt.
Diesen deutlichen Wegweiser ignoriert jedoch der Gesetzentwurf. Er hält an der Beitragspflicht für tarifvertraglich vereinbarte Einmalzahlungen fest, die über 90 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland erhalten. Er berücksichtigt sie beim Krankengeld nur formal und beim Arbeitslosengeld überhaupt nicht.
({1})
Auf die zusätzliche Krankengeldregelung, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist, will ich im Detail nicht weiter eingehen. Nur so viel dazu: Der Hinweis der Kassenvertreter während der Anhörung, sie könnten sich keinen einzigen Fall vorstellen, bei dem eine solche Regelung greifen könnte, macht deutlich, wie juristisch hintersinnig und verquer dieser Gesetzentwurf angelegt ist.
({2})
Man will den Eindruck erwecken, als berücksichtige man das Urteil des Verfassungsgerichtes; man wählt jedoch ein Verfahren, nach dem zusätzliches Krankengeld nie gezahlt werden muß. Sollte allerdings - auch das haben die Vertreter erklärt - der Fall eintreten, bei dem zusätzliches Krankengeld fällig wird, ist dafür ein Verwaltungsaufwand notwendig, der wiederum den Vorgaben des Verfassungsgerichts widerspricht. Glauben Sie wirklich, die Bürger würden dies nicht durchschauen? Ich befürchte, das Gegenteil wird der Fall sein - mit der Folge, daß Staatsverdrossenheit und Mißtrauen gegenüber dem Gesetzgeber wachsen.
Verfassungsrechtlich gravierender ist jedoch der in dem Gesetzentwurf vorgesehene Weg bei der Gewährung von Arbeitslosengeld. Auch hier müssen die Arbeitnehmer weiterhin Beiträge für ihr gesamtes tarifvertraglich vereinbartes Einkommen abführen. Ihre entsprechenden Versicherungsleistungen sollen sich jedoch nicht mehr an diesem Einkommen ausrichten. Maßstab soll nämlich sein, was ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verloren hat, künftig an Einkommen erzielen kann. Wenn das wirklich ernst gemeint ist, dann frage ich Sie: Wollen Sie dieses dann auch bei den Problemgruppen des Arbeitsmarktes durchziehen? Wollen Sie Behinderten, Älteren oder gering Qualifizierten die Versicherungsleistungen letztlich ganz streichen, weil sie überhaupt keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz haben?
Mit dieser durchschimmernden Abkehr vom Versicherungsprinzip verkennen Sie aber auch, daß die meisten Arbeitslosen - trotz der bedauerlich hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen - nur relativ kurze Zeit ohne Arbeit sind und es damit auch für die Verwaltung kaum möglich sein wird, festzuhalten, wo die Orientierung für künftige Einkommen eigentlich liegt.
Ich nenne als Beispiel den Fall eines Jungredakteurs einer Zeitung, dem aus Tendenzgründen gekündigt wird, der aber während der Arbeitslosigkeit drei Monate später einen Zeitvertrag als Lokalchef einer anderen Zeitung erhält.
({3})
Hans Büttner ({4})
Welches Arbeitsentgelt wird nun für die Berechnung seines Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt? Das frühere Entgelt oder das künftige Entgelt?
Sie können eine ganze Reihe weiterer Beispiele aufführen. Das Ergebnis wird sein: Eine solch unbestimmte Formulierung im Gesetz kann nur zur Willkür führen und birgt erneut das Risiko der Verfassungswidrigkeit in sich, weil sie einen unnötig hohen Verwaltungsaufwand bei den Arbeitgebern und Leistungsträgern verursacht.
Eine gesetzliche Regelung, die in Kauf nimmt, daß ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz in wenigen Jahren erneut für verfassungswidrig erklärt wird, untergräbt das Vertrauen der Burger in die staatliche Rechtssetzung.
Dabei hat das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber in seinem Obiter dictum aufgezeigt, wie eine verfasssungskonforme Regelung aussehen könnte. Ich bedaure es, daß die Ministerien, die seit Jahren die Vorschläge der Versicherungsverbände auf dem Tisch haben, darauf in keiner Form eingegangen sind, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätten, hier einen vernünftigen Ausweg zu wählen.
Wir Sozialdemokraten können einem Gesetz, das nach Aussage der meisten Sachverständigen verfassungswidrig oder zumindest mit hohen Risiken behaftet ist - wie selbst der Justizminister und der Rechtsausschuß in ihren Stellungnahmen einräumen -, nicht zustimmen.
Ich zitiere:
Der Weg, den der Gesetzentwurf einschlägt, ist insofern nicht ohne verfassungsrechtliches Risiko, als er für die Ausführung des richterlichen Regelungsauftrags einen weitgespannten Gestaltungsraum in Anspruch nimmt.
Dies schreibt selbst der von der CDU/CSU benannte Professor Badura in seiner Stellungnahme.
Der Frankfurter Professor Dr. Ebsen erklärte bei der Anhörung - nun hören Sie bitte genau zu -:
Insofern meine ich, daß in der Tat ein ganz erhebliches verfassungsrechtliches Risiko mit diesem Entwurf verbunden ist, das so deutlich ist, daß das Bundesverfassungsgericht auch nicht in der Lage sein wird, dem Gesetzgeber erneut eine Ausbesserungsfrist zu geben, mit der Folge, daß das Risiko sich dann in der Tat ab Anfang 1997 auch als ein erhebliches finanzielles Risiko für die Versichertengemeinschaft darstellt.
Sie nehmen also bewußt in Kauf, daß bei der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung ab 1997 riesige Löcher entstehen können, weil dieses Gesetz erneut vom Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt werden wird.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß die Rechtsverläßlichkeit und die Rechtstreue des Staates für unsere Gesellschaft und unser staatliches Gemeinwesen konstitutive Güter sind. Dies darf weder durch schlampige Gesetzesarbeit noch durch das Diktat einer verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik zerstört werden.
Mit unserem Antrag fordern wir Sie deshalb auf, schleunigst einen Weg mit den beteiligten Trägern zu finden, der eine verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung ermöglicht. Sie wird zwar nicht zum Nulltarif zu haben sein, aber zumindest den Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsprechen.
Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, in der Lage ist, durch Untätigkeit bei der Umsetzung eines anderen Urteils des Verfassungsgerichts die Besitzer hoher Privatvermögen von der Vermögensteuer zu befreien und damit die Kassen der Länder zu plündern, zur gleichen Zeit jedoch Arbeitnehmern mit dem Hinweis auf leere Kassen Leistungen verfassungswidrig vorenthält, für die sie Beiträge gezahlt haben, handelt nicht nur unglaubwürdig und fahrlässig, er wird vielmehr selbst zum verfassungsrechtlichen Risiko.
({6})
In seinem Aufsatz „Die Legitimation des Grundgesetzes als der Verfassung Deutschlands in der Perspektive Hegels" , erschienen in Band 4 der „Interdisziplinären Studien zu Recht und Staat" , schreibt Wolfgang Schild unter anderem:
Der einzige mögliche Hüter dieser Verfassung kann nur der sittliche Wille selbst sein.
Er fährt fort, daß bei uns dieser sittliche Wille durch das Verfassungsgericht kontrolliert wird. Er schreibt weiter:
Aber es muß auch Vertrauen bestehen, daß die anderen Menschen an den Schalthebeln der staatlichen Macht sich an die Rechtssprüche des Verfassungshüters halten werden.
Mit diesem Gesetz tun Sie das nicht und zerstören dieses Vertrauen. Ziehen Sie dieses Gesetz deshalb zurück, bevor Sie selbst Objekt des Verfassungsschutzes werden müssen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich gebe der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich suche schon die ganze Zeit den Kollegen Ramsauer. Ist es richtig, daß er nicht mehr im Saal ist?
({0})
- Ich hätte dem Kollegen Ramsauer auch nicht unterstellt, daß er so ängstlich ist.
Andrea Fischer ({1})
Ich wäre gerne darauf eingegangen, daß er gesagt hat, wir hätten der Regierung vorgeworfen, das Urteil zu ignorieren. Das ist nicht mein Vorwurf. Ich finde nur, Sie haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit lauter Taschenspielertricks reagiert. Sie versuchen, das Urteil nach dem Motto zu erfüllen: Wir haben gemerkt, daß es ein Urteil gibt, wir haben gemerkt, daß wir etwas tun müssen; das Ergebnis des ganzen Tuns soll aber sein, daß sich nichts ändert.
Das ist unser Vorwurf. Erst haben Sie unheimlich lange, nämlich zwei Jahre, mit der Erfüllung des Urteils gewartet. Jetzt muß es relativ hektisch passieren. Das Bundesverfassungsgericht hat es dem Gesetzgeber freigestellt, ob er dieses Problem auf der Beitrags- oder auf der Leistungsseite löst. Nach meiner Kenntnis fordert niemand von den Oppositionsfraktionen, dieses Problem auf der Beitragsseite zu lösen. Diesen Vorwurf brauchen Sie uns nicht zu machen.
Es geht darum, wie man das Problem auf der Leistungsseite löst. Hier sagen Sie: Es darf keinen Pfennig kosten. Die Tricks, die Sie anwenden, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, haben mich auch schon in den Anhörungen schwer beeindruckt.
Man muß erst einmal hinter Ihre Rechtskonstruktion steigen. Sie sorgen dafür, daß es zu keiner zusätzlichen Zahlung des Arbeitslosengeldes kommt, weil Sie plötzlich entdeckt haben, daß sich das Arbeitslosengeld immer nach dem zukünftig zu erwartenden Entgelt richtet.
In der Anhörung haben auch die Vertreter der Arbeitgeber gesagt, in 98 Prozent der Fälle werde so etwas wie ein Weihnachtsgeld gezahlt. Offensichtlich ist Ihr Wunschdenken mit Ihnen durchgegangen.
Es ist natürlich eine sehr weitreichende Interpretation des Äquivalenzprinzips in der Sozialversicherung, wenn plötzlich gesagt wird, die Leistung der Sozialversicherung basiere nicht mehr auf dem tatsächlichen Entgelt, sondern auf einem irgendwie zukünftig vermuteten Entgelt. Dies halte ich für das absolute Gegenteil von Rechtssicherheit in der Sozialversicherung. Das ist das wirkliche Problem dabei.
({2})
Beim Krankengeld haben Sie eine Art Rückwärtssalto mit Dreifachschraube gemacht, um am Schluß zu dem Ergebnis zu kommen: Materiell darf sich nichts ändern. Im ersten Satz regeln Sie den Anspruch auf erhöhte Krankengeldleistung wegen der Einmalzahlung, in den nächsten Satz schreiben Sie die Klausel, die dann, wenn man sie mit der Realität konfrontiert, dazu führt, daß niemand in den Genuß dieser im ersten Satz erwähnten erhöhten Leistung kommen wird.
In der Anhörung wurde ganz offenkundig, daß die Sachverständigen, die erklärt haben, dies sei verfassungsrechtlich irgendwie machbar, dabei mit den Zähnen geknirscht haben und es ihnen nicht leicht fiel, dies überhaupt zu sagen. Daher kann ich dem Kollegen Ramsauer, der sagte, das Gesetz sei zu Unrecht in die negativen Schlagzeilen geraten, nicht zustimmen.
({3})
Das Bundesministerium der Justiz hat in seiner Stellungnahme - diese liegt uns schriftlich vor, Sie können also nicht behaupten, wir würden irgendwelche Dönkes erzählen - erklärt, es sehe ein verfassungsrechtliches Risiko. Wenn dies die Juristen feststellen, ist das schon etwas.
Im Rechtsausschuß haben die Vertreter der Koalitionsfraktionen das Verfassungsrisiko offen zugegeben und gesagt: Wir werden es einfach ausprobieren und sehen, was das Bundesverfassungsgericht beim nächsten Mal sagt. Es könnte seine Meinung wieder einmal ändern. Dies halte ich für einen - um es freundlich zu formulieren - flapsigen Umgang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Auch ich gehe davon aus, daß das Gesetz, das Sie heute verabschieden werden - wir werden es ablehnen -, wieder das Bundesverfassungsgericht und damit auch uns beschäftigen wird. Wir werden es ablehnen, hoffen allerdings, daß es später entsprechend geändert werden muß, auch wenn es uns ärgert, daß dieser lange und umständliche Weg erforderlich ist, um Ihnen das beizubringen.
({4})
Ich gebe der Abgeordneten Dr. Gisela Babel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt reagiert auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995. Darin wurde es als verfassungswidrig angesehen, daß der Gesetzgeber eine Einmalzahlung, wie zum Beispiel die Zahlung des Weihnachtsgeldes, zwar zu den Einnahmen zählt, nach denen die Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung berechnet werden, aber keine entsprechend höhere Leistungen einräumt. Ein Arbeitnehmer, dem eine solche Einmalzahlung gewährt wird, zahlt also mehr in die Kassen ein als ein Arbeitnehmer, dem keine solche Einmalzahlung gewährt wird. Er bekommt aber keine höheren Leistungen dafür.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, spätestens zum 1. Januar 1997 eine neue Regelung zu schaffen, die diese Ungereimtheit - man kann auch von Ungerechtigkeit sprechen ({0})
beseitigt.
Die finanziellen Folgen dieses einleuchtenden Urteils muß das Gericht ja nicht bedenken, geschweige denn verantworten. Ein Herausnehmen der Einmalzahlung aus den Beiträgen führt zu Einnahmeausfällen in Höhe von 25 bis 30 Milliarden DM. Das ist gerade in jetziger Zeit nicht auszugleichen.
Die Lösung der SPD ist insofern unrealistisch, wiewohl ich nicht verschweigen will, daß sie vom Ansatz her die einfachste und sauberste Lösung ist.
Demgegenüber hat es sich die Bundesregierung sehr viel schwerer gemacht. Sie mußte den Auflagen des Verfassungsgerichts Genüge tun und gleichzeitig finanzielle Einbußen der Sozialversicherung vermeiden, die durch Einnahmeausfälle oder höhere Leistungsverpflichtungen entstanden wären. Es war eine vertrackte Aufgabe; man kann auch von der Quadratur des Kreises sprechen.
Die gefundene Lösung - das haben die Vertreter der Koalition mit Erleichterung von den Verfassungsexperten in der Anhörung vernommen - ist vertretbar, wenngleich nicht ganz ohne verfassungsrechtliches Risiko. Aber was ist heute schon ohne verfassungsrechtliches Risiko, meine Damen und Herren?
({1})
Auf der Einnahmeseite wird nichts verändert. Das bedeutet, daß auch künftig Sozialversicherungsbeiträge von Einmalzahlungen bezahlt werden müssen. Diesen Beiträgen stehen künftig wenigstens in einem Punkt auch verbesserte Leistungen gegenüber. Es gibt ein zusätzliches Krankengeld, wenn ein Arbeitnehmer auf eine Einmalzahlung wegen seiner Krankheit verzichten muß.
Keine Mehrleistung gibt es dagegen in der Arbeitslosenversicherung, insbesondere beim Arbeitslosengeld. Gerade dieser Punkt ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten im Ausschuß außerordentlich intensiv diskutiert worden, und er war auch zentraler Gegenstand der Expertenanhörung im Ausschuß.
Die Grundüberlegung für den Gesetzgeber, die Begründung ist, daß die Lohnersatzleistung das Arbeitsentgelt ersetzt, das der Arbeitslose künftig erzielt. Es ist also eine Umstellung von dem Prinzip, welches das Bundesverfassungsgericht noch als Äquivalenzprinzip gekennzeichnet hat - das heißt die enge Verknüpfung von Beitragshöhe und Leistungshöhe -, auf etwas, was man als Risikoversicherung einschätzt.
Meine Damen und Herren, das ist in den Köpfen bei uns noch nicht verankert. Man denkt, eine Arbeitslosenversicherung ist eine Versicherung, die nur dem Äquivalenzprinzip gehorcht, ,das heißt, es ist so ähnlich wie bei der Rente: je höher der Beitrag, desto höher die Geldsumme. Das ist das Prinzip, aber nicht durchgängig. Der Gesetzgeber ist in einer Risikoversicherung freier, hat einen größeren Gestaltungsspielraum. Genau das haben uns die Verfassungsexperten im Ausschuß auch bestätigt.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will zugeben, daß wir hier unter einem gewissen Zwang gestanden haben. Die Lösung, die die Bundesregierung vorgelegt hat, entspricht der Meinung der angehörten Experten. Wir müssen Ihnen allen und der Öffentlichkeit zugestehen, daß wir nicht sicher sein können, ob das
Bundesverfassungsgericht diese Lösung akzeptiert. Ich gebe aber zu, daß auch die Opposition keine realistische Alternative vorgelegt hat.
Ich bedanke mich.
({3})
Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Leitsatz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995 lautet:
Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ({0}) unvereinbar, daß einmalig gezahltes Arbeitsentgelt ({1}) zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne daß es bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen ({2}) berücksichtigt wird.
Das ist unseres Erachtens eine klare Aussage.
Die Regierungskoalition aber legte ein Gesetz vor, das mit rechtlich waghalsigen Konstruktionen alles daran setzt, 25 bis 30 Milliarden DM an Beiträgen Jahr für Jahr ohne Gegenleistung in die Sozialversicherungskassen zu bekommen. Sie behaupten, daß die Bedeutung von Einmalzahlungen rapide schwinde.
Das Justizministerium sieht zwar in dem Gesetzentwurf ein „verfassungsrechtliches Risiko", hält die Regelungen jedoch für „begründbar" und konstruiert, daß „bei den Einmalzahlungen der Charakter der ,Zufälligkeit' immer typischer wird". Also nicht die Einmalzahlungen werden immer typischer, sondern deren Zufälligkeit. In welcher Wunschwelt, frage ich Sie, lebt diese Bundesregierung eigentlich?
Realität ist, daß Einmalzahlungen fester, berechenbarer Bestandteil von Tarifabschlüssen sind. Das hoben Gutachter in der Anhörung hervor. Der Entschließungsantrag der SPD nennt uns hier noch einmal die Zahlen. Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen gewähren 98 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Weihnachtsgeld und 95 Prozent ein Urlaubsgeld. Woher kommen denn sonst auch 30 Milliarden DM Beiträge?
Sie haben doch arge Erklärungsschwierigkeiten, meine Damen und Herren von der Koalition. Das wird zum Beispiel daran deutlich, daß Sie einen Grundgedanken der Sozialversicherung einfach uminterpretieren. Bisher war noch Konsens, daß Lohnersatzleistungen entgangenes vorheriges Arbeitsentgelt ersetzen sollen. Jetzt begründen Sie, daß das vom Arbeitslosen zukünftig auf dem Arbeitsmarkt erzielbare Entgelt ersetzt werden solle.
Aber das Bundesverfassungsgericht stellt unmißverständlich fest, daß „durch den Versicherungsfall verursachte Einbuße an wirtschaftlicher LeistungsfäPetra Bläss
higkeit Maßstab für die Berechnung von Lohnersatzleistungen" sein müsse.
Oder sprechen Sie in dieser Gesetzesbegründung eine anvisierte Weichenstellung endlich einmal aus? Frau Babel hat das im Prinzip ja schon bestätigt. Die jährliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für Arbeitslosenhilfe aus dem Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz und die verschärften Zumutbarkeitskriterien aus dem AFRG-Entwurf weisen ebenfalls in diese Richtung.
Die PDS wird gegen diesen Gesetzentwurf stimmen und sich dem Entschließungsantrag der SPD anschließen, der die Bundesregierung auffordert, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Wollen Sie es seitens der Regierung wieder erst auf drei Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht ankommen lassen, ehe Sie eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung schaffen? Frau Engelen-Kefer zeigte uns mit ihrem Brief von gestern abend an, daß der DGB als Initiator der vorliegenden Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nicht zögern wird, sofort wieder den Klageweg zu beschreiten.
Ich kann mich daher nur dem Appell des DGB anschließen, den heute vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen und eine den Rechten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler entsprechende Lösung vorzulegen.
({3})
Ich gebe dem Parlamentarischen Staatssekretär Horst Günther das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Bläss, wenn der DGB angekündigt hat, gegen das Gesetz beim Verfassungsgericht zu Felde zu ziehen, dann müssen wir dieses Gesetz erst beschließen; denn sonst kann der DGB das nicht. Deshalb bitte ich um Zustimmung.
Das Bundesverfassungsgericht hat, wenn es hierzu aufgerufen wird, zu prüfen, ob die Gesetze, die dieses Parlament beschließt, mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Wenn es bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis kommt, daß die erlassenen Rechtsnormen in verfassungsrechtlich verbriefte Rechte eingreifen, kann es diese Normen verwerfen oder, wenn dies geboten ist, dem Gesetzgeber die Gelegenheit geben, seine Regelung im Lichte der Entscheidung zu überdenken und eine andere Gestaltung zu wählen.
Mit einem solchen Gestaltungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts haben wir es hier zu tun. Das ist überhaupt nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist nur die Schärfe, mit der diese Diskussion hier und teilweise auch in der Presse geführt wird.
Worüber wir streiten und was auch in den sehr eingehenden Ausschußberatungen zu kontroversen Diskussionen geführt hat, ist die Frage, welche Gestaltungsmöglichkeiten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995 dem Gesetzgeber läßt. Dabei wird aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts teilweise gefolgert, in allen Zweigen der Sozialversicherung müsse künftig eine strenge Äquivalenz zwischen der tatsächlichen Beitragsentrichtung eines einzelnen Versicherten und der Leistung bestehen, die er im Versicherungsfalle beanspruchen kann.
Wer der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine solch enge Betrachtungsweise entnimmt, wird in der Tat nicht umhinkommen, künftig Leistungen egal welchen Zweiges der Sozialversicherung ohne Rücksicht auf Verluste allein danach auszurichten, was an Beiträgen gezahlt worden ist. Für die Anhänger dieser Auslegung würde dem Gesetzgeber vorwiegend nur noch die Rolle des Vollstreckers bleiben, der sich darauf zu beschränken hat, mißliebige Zufälligkeiten durch mehr oder weniger geschickte rechts- und verwaltungstechnische Maßnahmen auszuschließen, und dies mit gewaltigen finanziellen, aber auch strukturellen Auswirkungen in den Sozialversicherungssystemen.
Wir sind davon überzeugt, daß das nicht die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist, sondern daß das Bundesverfassungsgericht es zuläßt, daß der Gesetzgeber die Differenzierungen vornimmt, die auf Grund des sozialen Schutzzweckes und auf Grund des Charakters des jeweiligen in den einzelnen Sozialversicherungsbereichen versicherten Risikos erforderlich sind.
Wir sind überzeugt davon, daß dieser Schutzzweck einer übertriebenen Anwendung des Äquivalenzprinzips in der Sozialversicherung entgegenstehen kann, weil dessen uneingeschränkte Anwendung zu wenig sinnvollen Ergebnissen führen würde.
Das Bundesverfassungsgericht selbst hat dies in anderen Entscheidungen betont. Aber auch namhafte Sachverständige, anerkannte Juristen, haben im Anhörungsverfahren einen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bestätigt.
Der vorliegende Gesetzentwurf folgt dieser Linie: In der Arbeitslosenversicherung ist Maßstab des Arbeitslosengeldes das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose bei Aufnahme einer neuen Beschäftigung verdienen könnte. Letzteres ist sogar AFG-Norm; es wird nur nicht angewandt, weil es zu kompliziert ist. Deshalb wird von dem vorangegangenen Verdienst ausgegangen. Schon heute ist aber Recht, daß das Entgelt angesetzt werden müßte, das er verdienen könnte.
Im übrigen: Dazu zählen betriebliche Sonderzahlungen nicht.
({0})
Ich nenne nur zwei Beispiele aus der Praxis. Erstens. In der Metallindustrie, Kollege Büttner, haben Arbeitnehmer erst dann Anspruch auf eine Jahressonderzahlung, wenn sie dem Betrieb mindestens sechs Monate angehören.
Zweitens. In der chemischen Industrie haben Arbeitnehmer, die nach dem 30. September des lauf enden Kalenderjahres eingetreten sind, keinen AnParl. Staatssekretär Horst Günther
Spruch auf eine Jahressonderzahlung. - Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.
In der gesetzlichen Krankenversicherung soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Sonderzahlung künftig berücksichtigt werden, wenn tatsächlich festgestellt werden kann, daß der Arbeitnehmer sie wegen der eingetretenen Arbeitsunfähigkeit nicht erhält. Gleiches soll für weitere kurzfristige Lohnersatzleistungen aus anderen Zweigen der Sozialversicherung, etwa beim Übergangsgeld für Rehabilitanden, gelten.
Daß dies insgesamt verfassungsmäßig begründbar ist, hat der Bundesjustizminister auf Bitten des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung nochmals ausdrücklich bestätigt. Und was verfassungsmäßig begründbar ist, ist auch verfassungskonform.
Meine Damen und Herren, in dem vorliegenden SPD-Antrag steht ganz hinten - ich denke, in der Hoffnung, daß das niemand mehr liest -, unter Punkt 6:
Als weitere Lösung wäre denkbar, Einmalentgelte in pauschalierter Form zu berücksichtigen, indem dem jeweiligen Leistungsempfänger ggfs. ein zusätzliches Krankengeld, Übergangsgeld, Arbeitslosengeld etc. dann gezahlt wird, wenn eine solche Zahlung durch den Eintritt des Versicherungsfalls ausfällt.
Genau das machen wir, nur nicht pauschal, sondern konkret. Insoweit ist unser Gesetz begründbar. Es ist verfassungsrechtlich in Ordnung.
Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen. Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt. Das sind die Drucksachen 13/5062 und 13/ 5826. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Dann treten wir ein in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit gleicher Mehrheit angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5827. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Anpassungsgeld und Knappschaftsausgleichsleistung für Bergleute in den neuen Bundesländern
- Drucksache 13/5592 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im westdeutschen Steinkohlenbergbau gibt es seit 1988 eine Richtlinie, nach der Bergleute, die 25 Jahre oder mehr unter Tage arbeiteten, die Möglichkeit haben, ab dem 50. Lebensjahr Anpassungsgeld und anschließend Knappschaftsausgleichsleistung zu erhalten. Für ostdeutsche Bergleute gelten bis Ende dieses Jahres infolge des RentenÜberleitungsgesetzes ähnliche Regelungen, die den Bezug einer Bergmannsvollrente ab dem 50. Lebensjahr nach DDR-Recht und - nach einer Sonderregelung - ab dem 55. Lebensjahr den Bezug von Knappschaftsausgleichsleistungen ermöglichen.
Die westdeutsche Regelung ist 1994 neu aufgelegt worden und gilt weiter; die ostdeutsche Regelung läuft ersatzlos aus, mit katastrophalen sozialen Folgen für die Betroffenen. Was liegt nun also näher, als die Frage zu stellen: Warum sollen die westdeutschen Regelungen nicht auch in Ostdeutschland gelten? Wir haben diese Frage der Bundesregierung gestellt. In der bemerkenswerten Antwort heißt es, daß zur Bewältigung des Umstrukturierungsprozesses der Unternehmen in den neuen Bundesländern von Oktober 1990 bis Ende 1992 für alle 55jährigen Arbeitnehmer als entsprechendes Instrument das Altersübergangsgeld eingesetzt wurde. Damit sei - ich zitiere - der Anpassungsprozeß im Bergbau in den neuen Ländern, insbesondere was die älteren Arbeitnehmer betrifft, erfolgreich flankiert worden.
({0})
Welcher Anpassungsprozeß eigentlich? Gemeint ist doch wohl, daß mit dem ostdeutschen Bergbau kurzer Prozeß gemacht wurde, daß er plattgemacht wurde. Warum solche Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen? Flankiert wurde dieser Prozeß bis Ende 1992 von den Regelungen des AltersübergangsgelGerhard Jüttemann
des; das ist richtig, aber nicht das Entscheidende. Entscheidend für den sozialen Schutz der älteren Bergleute war eben auch, daß bis Ende 1996 durch das Renten-Überleitungsgesetz die Regelungen der DDR für den Bezug einer Bergmannsvollrente mit vollendetem 50. Lebensjahr weitergeführt werden. Das scheinen die Damen und Herren im Bundeswirtschaftsministerium gar nicht zu wissen. Oder warum sonst nehmen sie in ihrer schriftlichen Antwort darauf nicht Bezug?
Zum Jahresende aber läuft diese Regelung nun ersatzlos aus. Danach ist das soziale Nichts geplant, das mit Arbeitslosenhilfe beginnt und mit Sozialhilfe endet. Warum das im Osten und eine soziale Regelung im Westen? Die Bundesregierung hat sich vor der Antwort gedrückt.
Es soll nun keiner damit kommen, daß die westdeutsche Regelung ja nur für den Steinkohlenbergbau gelte, der in einer Strukturkrise steckt. Worin steckt denn der ostdeutsche Bergbau? Vielleicht in der Konjunktur? Zehntausende Arbeitsplätze sind in den vergangenen Jahren in den Untertageschächten von Kupferschiefer im Mansfelder Land, von Uranerz bei Wismut, von Kalisalz und Spat in Thüringen und Sachsen-Anhalt vernichtet worden. Es wird der Bundesregierung nicht gelingen, so zu tun, als wisse sie auch das nicht. Wenn Sie sich schon dauernd mit der deutschen Einheit schmücken, dann schaffen Sie doch wenigstens endlich gleiche Bedingungen für alle.
({1})
Unser Antrag liegt auf dem Tisch; es steht nichts anderes darin, als daß Bergleute Ost nicht anders als Bergleute West behandelt werden sollen,
({2})
anstatt sie sozial zu verraten und zu verkaufen. Denn ausgeschiedene Bergleute haben auf dem Arbeitsmarkt noch weniger Chancen als andere Arbeitsuchende. Sie gelten infolge der schweren Untertagearbeit als verbraucht und damit als Gesundheitsrisiko. Darum sind sie auf eine sozialverträgliche Ausstiegsregelung angewiesen. Glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war zuletzt Betriebsratsvorsitzender einer Kaligrube, und ich weiß, wie hart die Arbeit ist und wie die Menschen unter ihren Zukunftsängsten leiden.
({3})
Wir brauchen gesetzliche Regelungen, keine Versprechen. Was Versprechen von Regierenden bewirken, das können Sie am Standort Bischofferode, bei SKET Magdeburg und anderswo in ostdeutschen Landen in Augenschein nehmen. Ich hoffe folgendes: Wenn Sie die Einheit ehrlich gestalten wollen, wenn Sie die Menschen dafür gewinnen wollen, dann sollten Sie auch einmal einem solchen Antrag zustimmen oder ähnliche Regelungen schaffen, damit diese Kollegen nicht ins Nichts fallen.
Ich danke.
({4})
Nun spricht der Abgeordnete Wolfgang Engelmann.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die PDS versucht, zwei Sachverhalte, die nur auf den ersten Blick zusammenzupassen scheinen, in unzulässiger Weise zu vermengen. Wie lauten die Fakten? Die PDS fordert, daß nach Auslaufen der Stichtagsregelung für den Bezug der Bergmannsvollrente - so hießen und heißen die Renten der Bergleute ab 50 Jahre in der ehemaligen DDR - zum 31. Dezember 1996 ersatzweise - ersatzweise! - das im Steinkohlenbergbau gezahlte Anpassungsgeld, APG, in Ostdeutschland in Kraft gesetzt wird, damit ein anschließender Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung erwächst.
Herr Kollege Engelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jüttemann?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Engelmann, Sie scheinen unseren Antrag nicht richtig gelesen zu haben. Wir fordern nicht eine Verlängerung des DDR-Rechts; wir fordern eine sozialverträgliche Lösung unter den gleichen Bedingungen, wie sie für die Bergleute in den alten Bundesländern gelten. Die Strukturkrise im Osten ist schlimmer als die Strukturkrise im Westen im Steinkohlenbergbau. Wir fordern Anpassungsgeld. Wir fordern ferner, daß die Beschäftigten auch dann, wenn sie nicht aus einem knappschaftlichen Betrieb kommen, Altersübergangsgeld erhalten.
Was ist Ihre Idee dazu? Haben Sie Konzepte? Ist es richtig, wenn man Menschen in Ost und West unterschiedlich behandelt?
Herr Jüttemann, hören Sie einmal zu; Sie können die ganze Zeit stehenbleiben.
Das nach den Richtlinien des Bundeswirtschaftsministeriums gewährte Anpassungsgeld ist eine Leistung, die seit 1972 der sozialen Flankierung des Umstrukturierungsprozesses der Unternehmen des Steinkohlenbergbaus - ausschließlich des Steinkohlenbergbaus! - dient
({0})
und bis 1999 im gesamten Bundesgebiet gilt. Mit dem Anpassungsgeld für ältere Bergleute sollen Entlassungen von jüngeren Arbeitnehmern vermieden werden. Es ist immer unmittelbar an eine Stilllegungs- oder Rationalisierungsmaßnahme des SteinWolfgang Engelmann
kohlenbergbau betreibenden Unternehmens gebunden.
({1})
- Sie stehen j a nicht mehr. ({2})
Mit dem Anpassungsgeld können 50jährige Untertagebeschäftigte oder 55jährige Übertagebeschäftigte ausscheiden, wenn sie ihren Arbeitsplatz auf Grund einer der soeben dargestellten Maßnahmen verlieren. Das Anpassungsgeld gilt in den alten Bundesländern nicht für den sonstigen Bergbau.
({3})
In den neuen Bundesländern war die Anwendung der APG-Richtlinie nicht notwendig, da in der ehemaligen DDR der Steinkohlenbergbau bereits 1978 eingestellt worden war. Deshalb konnte das Anpassungsgeld nicht wirksam werden.
Zur sozialen Flankierung der Umstrukturierungsprozesse der Unternehmen in den neuen Ländern wurde für 55jährige Arbeitnehmer als entsprechendes Instrument das Altersübergangsgeld eingeführt. Diese Leistung konnte bekanntlich vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 bezogen werden. Diese Maßnahme stand allen betroffenen Arbeitnehmern zur Verfügung. Zahlreiche Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes trugen ebenfalls dazu bei, ältere ausgeschiedene Bergleute sozialpolitisch zu begleiten.
({4})
- Im Steinkohlenbergbau?
Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß auch der Anpassungsprozeß im Bergbau Ostdeutschlands
- insbesondere bei den älteren Arbeitnehmern - erfolgreich flankiert worden ist. Der Umstrukturierungsprozeß im Bergbau im Osten ist zum überwiegenden Teil abgeschlossen, so daß kaum noch unternehmensbezogene Umstrukturierungsmaßnahmen zu erwarten sind, auf die sich eine dem Anpassungsgeld vergleichbare Regelung beziehen könnte. Eine Gewährung von APG wäre in den neuen Ländern, wie oben dargestellt, nicht sachgerecht und ist daher abzulehnen.
Nun zur Knappschaftsausgleichsleistung. Sie hat den Zweck, die langjährig tätigen Untertagebergleute finanziell abzusichern, die wegen Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen im Bergbau ihre Arbeitsplätze in einem knappschaftlichen Betrieb aufgeben mußten, wenn sie zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzverlustes das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, aber keinen Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit haben.
Diese Regelung gilt auch für die Versicherten in den neuen Bundesländern. Außerdem kann die Knappschaftsausgleichsleistung von Bergleuten bezogen werden, die schon nach Vollendung des 50. Lebensjahres aus einem knappschaftlichen Betrieb ausgeschieden sind,
({5})
wenn sie bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben.
Für die neuen Länder gilt folgendes: Die Voraussetzungen für die Knappschaftsanpassungsleistung können in den neuen Bundesländern auch durch den Bezug einer Bergmannsvollrente erfüllt werden. Damit wird für diejenigen Bergleute, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 44 Jahre und älter waren, gewährleistet, daß sie mit 55 Jahren die Knappschaftsausgleichsleistungen erhalten können. Im Ergebnis werden also 11 Geburtsjahrgänge begünstigt. Ich bin der Meinung, daß dies eine sehr großzügige Vertrauensschutzregelung ist.
({6})
Wie bei allen befristeten Regelungen muß auch hier die Frage des Stichtages behandelt werden. Hier ist der Stichtag der 31. Dezember 1996. Die im Einigungsvertrag vereinbarte Regelung für die Weitergeltung alten DDR-Rechts sah zunächst lediglich den 30. Juni 1995 vor. Im Renten-Überleitungsgesetz 1992 sind wir dann - im Konsens mit der SPD - noch weit über diese Vertrauensschutzregelung hinausgegangen und haben die Bestandsschutzgarantie auf Rentenansprüche erweitert, die bis zum 31. Dezember 1996 beginnen.
Eine Verschiebung dieses Stichtages führt jedoch zu keiner Lösung, da es immer noch Fälle geben wird, die von dem neuen Stichtag betroffen wären. Noch viel weniger kann eine Regelung in Betracht kommen, die nur die Möglichkeit zur Gewährung von Bergmannsvollrenten über den 31. Dezember 1996 hinaus verlängert; denn dies wäre aus Gleichbehandlungsgründen gegenüber denjenigen Versicherten nicht zu rechtfertigen, für die der Stichtag weiterhin Bedeutung hat.
Nach vorsichtigen Schätzungen der Wismut GmbH sind vom Auslaufen der alten DDR-Regelung zirka 800 Arbeitnehmer betroffen. Nicht vergessen dürfen wir, daß unabhängig von den versicherungsrechtlichen Ansprüchen beim Ausscheiden aus dem Betrieb auch Abfindungen gezahlt werden. Von der Wismut GmbH ist mir dies auf Anfrage mitgeteilt worden. Die Abfindung wird ohne die Voraussetzung eines bestimmten Alters gezahlt. Des weiteren wurde Bergleuten die Möglichkeit eröffnet, Zurechnungszeiten, die für den Bezug der Bergmannsvollrente ab dem 50. Lebensjahr nach altem DDR-Recht fehlten, bei untertägigen Sanierungsarbeiten in Schächten der Wismut GmbH zu erwerben.
Der Wegfall der Bergmannsvollrente bedeutet nicht, daß es künftig an einer rentenrechtlichen Absicherung für 50jährige und ältere Bergleute vor Erreichen der Altersgrenze fehlt. Personen, die gesundheitlich beeinträchtigt sind, können eine Rente wegen Erwerbsminderung unter erleichterten VorausWolfgang Engelmann
setzungen erhalten. Darüber hinaus können diese Rente auch 50jährige und ältere Bergleute erhalten, die 25 Jahre unter Tage tätig waren und ihre bisherige knappschaftliche Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Damit ist für diese Personen ein ausreichender Schutz in der Rentenversicherung gewährleistet.
Sie erkennen selbst, daß viele Voraussetzungen geschaffen wurden, um für die Kumpel einen Fall in die soziale Unsicherheit und Ungewißheit zu vermeiden. Eine Verlängerung der Übergangsregelung für eine Bergmannsvollrente wäre weder systemgerecht, noch ist sie erforderlich.
Wir können dem Antrag der PDS nicht zustimmen.
({7})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann das Wort.
Herr Engelmann, da Sie meine Frage nicht beantworten konnten oder wahrscheinlich den Sinn und das Ziel dieses Antrages gar nicht erkannt haben: Ich spreche nicht von den älteren Arbeitnehmern, die schon entlassen sind. Ich spreche von den vielen Bergleuten, die zur Zeit arbeitslos oder auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig sind, die 25 Jahre erfüllt, aber keine Zukunft haben.
Sie wissen genau, daß diese Regelung für Anpassungsgeld in den alten Bundesländern Jahr für Jahr weiterläuft. Wer dort mit 50 Jahren aus dem Berufsleben ausscheidet, bekommt zunächst Anpassungsgeld, mit 55 Jahren KAL und anschließend die Altersrente.
Der Unterschied ist der: Unsere Kollegen im Osten können zwar mit 50 Jahren Rente beziehen, mit dieser Summe aber kaum die Miete bezahlen. Da die meisten arbeitslos sind, würde die Rente mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Es gelten nämlich Besitzstandsregelungen. Sie müßten ein Jahr lang neben der Berufstätigkeit Rente beziehen. Dann würden sie beides bekommen. Das ist aber nicht der Fall. Ich verlange bloß eine Gleichbehandlung für Bergleute.
Wenn die Begründung - die einzige Begründung war die Strukturkrise im Steinkohlenbergbau - dazu geführt hat, daß in den alten Bundesländern Regelungen geschaffen wurden - die finde ich gut und richtig -, daß Bergleute nicht ins soziale Abseits gedrängt werden, dann kann ich nur sagen: Die Strukturkrise im ostdeutschen Bergbau ist genauso schlimm wie und noch schlimmer als die im Steinkohlebergbau. Wir verlangen bloß eine Gleichbehandlung, weiter gar nichts.
({0})
Herr Kollege Engelmann, Sie können darauf antworten.
Herr Jüttemann, Sie scheinen meinen Ausführungen nicht klar gefolgt zu sein. Ich habe deutlich genug gesagt, daß die Regelung des Anpassungsgeldes nur für den Steinkohlenbergbau gilt. Das wird von den jeweiligen Ländern mitfinanziert.
Das, was Sie ansprechen, wollen Sie auf den gesamten Bergbau ausweiten, der schon vor der Wende in den neuen Ländern größtenteils erloschen gewesen ist.
({0})
Wo gab es denn Kupferbergbau? Auch den Steinkohlenbergbau gab es schon vor der Wende nicht mehr. Also konnten wir dieses Gesetz gar nicht anwenden. Sie sollten wirklich auch logisch denken.
Danke schön.
({1})
Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Hans-Eberhard Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anpassungsgeld und die Knappschaftsausgleichleistung haben eine lange Geschichte. Die Knappschaftsausgleichsleistung ist in den 60er Jahren geschaffen worden, nachdem seinerzeit die Abschmelzung der Steigerungssätze in der knappschaftlichen Versicherung von 2,5 auf 2 Prozent vorgenommen worden war, um das Rentenniveau nicht so in die Höhe zu treiben, daß es zu Schwierigkeiten hätte kommen können.
Man hat eine Knappschaftsausgleichsleistung geschaffen, um mit den Problemen im Zuge der Strukturveränderungen im Steinkohlenbergbau so fertigzuwerden, daß die betroffenen freigesetzten Arbeitnehmer abgesichert waren. Dies ist ausschließlich für den Steinkohlenbergbau, für den Braunkohlentiefbau und für den Braunkohlenbergbau im Wege des Stellvertreterprinzips gemacht worden.
Als seinerzeit darüber diskutiert worden ist, war völlig klar, daß man andere Bergbauzweige in der Bundesrepublik - damals West - nicht mit hineingenommen hat, selbst wenn sie unter strukturellen Schwierigkeiten zu leiden hatten oder gar geschlossen worden sind, beispielsweise im Kalibergbau in Baden-Württemberg. Diese soziale Flankierung bezog sich also ausschließlich auf den Steinkohlenbergbau.
Anpassungsgeld war dann notwendig, als sich die Krise noch verschärfte. Diese Dinge sind 1971/72 gemacht worden - das ist aber keine Rentenleistung, sondern eine Übergangsregelung -, um eine materielle Sicherung herbeizuführen. Diese Regelung ist damals in der sozialliberalen Koalition als ein InstruHans-Eberhard Urbaniak
ment der sozialen Sicherung erdacht und realisiert worden.
Wenn also der Antragsteller sagt, er will Gleichbehandlung, so kann er das aus den Verhältnissen, die sich bei Knappschaftsausgleichsleistung und Anpassungsgeld ergeben, nicht ableiten; denn hier handelt es sich ausschließlich um den Steinkohlenbergbau. Und da sage ich, wenn er ähnliches verlangt, dann mag dies selbstverständlich gerechtfertigt sein, denn Arbeitnehmer werden ja von diesen Stillegungen getroffen, das ist überhaupt keine Frage: nur kann er sich auf diese Regelung nicht berufen, sondern müßte hier schon eine haushaltspolitische Absicherung mit eigenem Antrag und Kostenauswirkungen sowie möglicherweise mit Deckungsvorschlag vorlegen, was natürlich sehr schwer ist.
Daraus Knappschaftsausgleichsleistung und Anpassungsgeld für alle Bergleute abzuleiten würde aber nach der Rechtslage der Bundesrepublik Deutschland bedeuten, daß dies dann insgesamt für alle gelten müßte: in der Braunkohle, im Rheinland, im Bereich Peine/Salzgitter, also in diesem Komplex, möglicherweise haben wir noch ein bißchen von diesen Bergbauarten in Bayern, im Ölbereich - und was es da noch alles geben würde. Das hätte dann natürlich finanzielle Konsequenzen für die knappschaftliche Versicherung, die - was den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben angeht - überhaupt nicht darstellbar sind.
({0})
Es ist auch gar nicht notwendig, das zu machen; denn ich sage es noch einmal ausdrücklich: Arbeit geht immer vor sozialer Flankierung. Und Arbeit muß geschaffen werden! Soziale Flankierung ist immer nur eine sekundäre Sache, um die betroffenen Arbeitnehmer zu sichern.
({1})
Deshalb sage ich hier sehr deutlich, damit das auch für die weitere Diskussion eine Rolle spielt: Die Bundesregierung muß sich gerade in diesen Gebieten besonders anstrengen, durch Industrie- und Strukturpolitik für die betroffenen Arbeitnehmer Arbeitsplätze zu schaffen, weil das das Wichtigste ist, denn die Leute wollen ja nicht aus dem Prozeß der Arbeit heraus, um dann ein Jahrzehnt oder noch länger überhaupt keine Beschäftigung zu haben. Das ist auch von der Finanzierbarkeit her eine ganz schwierige Geschichte. Da hat die Bundesregierung bei der Schaffung von Arbeitsplätzen in diesen Bereichen sicherlich versagt.
({2})
Das muß man Ihnen natürlich vorhalten, meine Damen und Herren.
({3})
Daher sage ich hier ganz klar: Wir werden uns dem Antrag nicht anschließen können, weil wir diese Eingrenzung seinerzeit selbst herbeigeführt haben und sie natürlich auch beibehalten müssen; denn es drohen ja weitere erhebliche Einschnitte, soweit wir hören, im Steinkohlenbergbau. Und da benötigen wir diese sozialpolitischen Instrumente, die auch durch Gesetz oder Richtlinien noch weiter gelten. Soweit hier aber möglicherweise Massenentlassungen vor uns stehen, müssen auch diese flankiert werden.
Darum bitte ich für die Gespräche, die in der kommenden Woche mit der IG Bergbau und Energie, mit dem Unternehmensverband, mit der Bundesregierung und den Landesregierungen anstehen, diese Frage nicht als zweitrangig zu sehen. Sie ist besonders wichtig.
Dennoch sehen wir ein Problem, das mit diesem Antrag verbunden ist. Das sind die über 50jährigen, die aus einem knappschaftlichen Betrieb ausgeschieden sind. Wir werden im Ausschuß beraten müssen, welche Möglichkeiten der Hilfe wir anbieten können, wie weit uns da die Regierungskoalition entgegenkommen könnte. Aber es muß selbstverständlich erörtert werden.
Darum sage ich zum Schluß noch einmal ganz deutlich: Eine Ungleichbehandlung, wie in der Begründung dieses Antrages dargelegt, gibt es nicht, weil wir ausschließlich den Steinkohlenbergbau im Blick hatten. Es mag für den Antragsteller wünschenswert sein, diese Regelung zur Lösung der Problematik heranzuziehen. Er kann aber die Behauptung, daß eine Ungleichbehandlung erfolgt ist, nicht begründen. Das wäre ja das Schlimmste, was dieses Parlament machen könnte: in diesen Fragen ungerecht vorzugehen. Das ist bisher vermieden worden. Daher haben wir die großen Probleme des Steinkohlenbergbaus bisher meistern können.
Der Bundesregierung sage ich: Schaffen Sie in den betroffenen Regionen und Bergbauzweigen, die mit dem Antrag angesprochen sind, Arbeit und noch einmal Arbeit! Dann werden wir solche Probleme, wie sie hier aufgezeigt sind, nicht zu lösen haben. Aber das ist Ihre Bringschuld. Sie sollten hier den Vorschlägen der sozialdemokratischen Opposition folgen, die Sie bisher - ich sage: leider - immer abgelehnt haben.
({4})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Andrea Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn die PDS versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken: Allein die Tatsache, daß man einen solchen Antrag vorlegt, heißt nicht, daß man sich mehr für die ostdeutschen Bergleute engagiert als andere in diesem Hause.
({0})
Es gibt, auch wenn der Antrag teilweise einen anderen Eindruck zu erwecken versucht, Knappschaftsausgleichsleistungen und Anpassungsgeld in
Andrea Fischer ({1})
Ost und West. Das Problem liegt bei den Zugangsvoraussetzungen. Die meisten ostdeutschen Bergleute erfüllen sie, bis auf eine spezielle Gruppe: Diese Personen erfüllen nicht die Voraussetzungen der Bergmannsvollrente, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, daß man Knappschaftsausgleichsleistung bekommen kann.
Man braucht eine Wartezeit von 25 Jahren und muß in dieser Zeit 15 Jahre unter Tage gearbeitet haben. Das ist, nebenbei bemerkt, eine günstigere Regelung als im Westen; dort muß der Bergmann 25 Jahre unter Tage gearbeitet haben. Neben diesen beiden Bedingungen, die erfüllt sein müssen, müssen die Bergleute Ende dieses Jahres noch jünger als 55 Jahre sein.
Wenn man annimmt, daß der Bergmann frühestens mit 16 Jahren angefangen hat zu arbeiten - 25 Jahre Wartezeit plus fünf Jahre für die Grubenschließung -, dann ist er zwischen 46 und 49 Jahre alt. Ich halte es - da möchte ich mich dem Kollegen Urbaniak anschließen - für sinnvoller, für Leute dieses Alters Arbeitsplätze zu schaffen, als das Hauptaugenmerk darauf zu richten, welche Rentenleistung sie bekommen.
({2})
Jetzt möchte ich noch auf den Punkt hinweisen, der hier schon mehrfach eine Rolle gespielt hat: daß die Knappschaftsausgleichsleistung bislang nur für den Untertagebau gilt. Die Bergleute im Tagebau bekommen das Anpassungsgeld erst mit 55, das ihnen ermöglichen soll, die Zeit, bis sie 60 sind - dann bekommen sie eine Rente -, zu überbrücken. Deswegen brauchen sie die Zwischenfinanzierung nicht, um die es hier jetzt geht.
Das heißt - auch das hat der Kollege Urbaniak gerade gesagt -, was da so lapidar steht, man möge diese Regelung auf den Osten ausdehnen, bedeutet, die Regelung des Anpassungsgeldes auf Bergbauarten jenseits des Steinkohlebergbaus auszudehnen. Die Zahl der Berechtigten ist damit vollkommen unklar. Sie dürfen versichert sein, daß wir im Vorfeld dieser Debatte versucht haben, diesbezüglich etwas herauszufinden - eine Mühe, der Sie sich nicht unterzogen haben.
({3})
Jetzt komme ich dazu, warum ich so ärgerlich bin über diesen Antrag: Wenn wir eine Lösung suchen wollen für das Problem, das wir gerade beschrieben haben, dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder führt man das Anpassungsgeld im Osten ein - das hat unabschätzbare finanzielle Folgen -,
({4})
oder man weitet die Übergangsregelung des RentenÜberleitungsgesetzes aus. Auch das hat, wie wir wissen, unabsehbare Folgen; denn dann könnten noch ganz viele andere Gruppen diesen Anspruch stellen. Es ist hochkompliziert, abzuschätzen, welche Folgen das haben wird.
Was mich an diesem Antrag so richtig wütend macht, ist, daß er so „hingerotzt" ist. Wenn es Ihnen wirklich ein Anliegen ist, eine Lösung für die Bergleute zu finden, von denen Sie hier sprechen, dann stellt sich die Frage, wieso Sie sich, nicht die Mühe gemacht haben, darzulegen, wie es gehen könnte, wie die Regelung aussehen könnte und welches die Folgen wären. Dann hätten sich die anderen dazu verhalten müssen. Aber so macht man doch keine Oppositionspolitik.
({5})
Sie meinen es nicht ernst mit den ostdeutschen Bergleuten. Einen solchen Antrag kann doch jeder schnell hinschreiben.
({6})
- Ich ärgere mich darüber. In dem Moment, in dem wir Ihnen nicht einfach blind folgen, unterstellen Sie uns, wir wollten die ostdeutschen Bergleute verraten. Überhaupt nicht! Wir haben uns unglaubliche Mühe gemacht herauszufinden, welches die angemessene Lösung wäre. Es ist hochkompliziert. Wir werden im Ausschuß darüber zu reden haben.
Wenn Sie hier solche Anträge stellen, dann müssen Sie sich etwas mehr Mühe geben, um unter Beweis zu stellen, daß die ostdeutschen Bergleute Ihnen wirklich etwas wert sind.
({7})
Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Lühr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Fischer, dieser Antrag ist nicht nur „hingerotzt", sondern es ist wieder einmal ein typischer Antrag der PDS. Hier soll erneut der Eindruck erzeugt werden, als verweigere die Bundesregierung die Gleichstellung von Bürgern in den neuen Bundesländern mit den Bürgern der alten Länder. Es soll der Eindruck erweckt werden, als verweigere die Bundesregierung damit ein elementares Stück innerer Einheit. Die PDS gefällt sich hier in einer Art Robin-Hood-Rolle, in der sie angeblich die Interessen der entrechteten Ostdeutschen wahrt. In Wirklichkeit ist ihr Interesse genau umgekehrt: Nicht innere Einheit ist das Ziel, sondern Vertiefung der Spaltung.
({0})
Nur der Separatistenbonus nützt gegenwärtig der PDS hier in diesem Hause und sicherlich auch in den neuen Ländern.
Mittel zum Zweck für diese Strategie ist heute der älteste Zweig der Sozialversicherung, die KnappUwe Lühr
schaftsversicherung. Natürlich muß der PDS bekannt sein, daß es sich beim Anpassungsgeld nicht um originäre Rentenbestandteile der Knappschaftsversicherung, sondern um eine aus Haushaltsmitteln des Bundes und der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Saarland finanzierte staatliche Sonderleistung für Bergleute handelt, eingeführt als befristete soziale Abfederung der Zusammenbruchs des Steinkohlebergbaus.
Sicherlich ist der Zusammenbruch aller Sektoren des Bergbaus in der ehemaligen DDR ähnlich dramatisch gewesen, wenn nicht sogar dramatischer, als es die Bergleute an der Ruhr, mit schwarzen Fahnen demonstrierend, aufzeigen mußten. Aber das Anpassungsgeld steht nun einmal nur Betroffenen aus dem Steinkohlenbergbau zur Verfügung; das ist heute hier schon mehrfach festgestellt worden. Das ist das entscheidende Kriterium. Dieser Steinkohlebergbau ist in der DDR aber schon vor fast 20 Jahren quasi aufgegeben worden.
Die Knappschaftsausgleichsleistung nach § 239 des SGB VI gilt auch in den neuen Bundesländern. Allerdings sind die Übergangsregelungen für die Bergleute in der ehemaligen DDR bis zum 31. Dezember dieses Jahres befristet.
Die Knappschaftsrente ist wohl nach wie vor die angesehenste Rente überhaupt. Allerdings bedingt das höhere Leistungsniveau auch einen entsprechend höheren Beitragssatz. Trotzdem kann die knappschaftliche Rentenversicherung ihre Ausgaben nicht vollständig selbst finanzieren. Da sie nicht am Finanzausgleich zwischen der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung teilnimmt, trägt der Bund das jährliche Defizit. Im Jahr 1993 waren das rund 13 Milliarden DM, 11,8 Milliarden DM in den alten Bundesländern und rund 1,2 Milliarden DM in den neuen Bundesländern.
Auf rund 189 000 Pflichtversicherte kamen im Jahr 1993 rund 670 000 Renten. In den neuen Bundesländern kamen auf 166 000 Pflichtversicherte knapp 280 000 Renten. Das entspricht einem Verhältnis von 3,5 Renten zu einem Versicherten in den alten Bundesländern und 1,7 Renten zu einem Versicherten in den neuen Bundesländern.
Wer also vor diesem Hintergrund eine Angleichung verlangt, wo nichts anzugleichen ist, provoziert bewußt die Ablehnung dieses Hauses, um sie dann im Osten präsentieren und dort Enttäuschung wachsen lassen zu können. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Das ist ein schlimmer Populismus, den meine Fraktion nicht mittragen kann.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/5592 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 19a und b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet
({0})
- Drucksachen 13/5587, 13/5729 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen - Wohngeldüberleitungsgesetz ({2})
- Drucksache 13/5512 - ({3})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({4})
- Drucksache 13/5831 Berichterstattung: Abgeordnete Iris Gleicke
Norbert Otto ({5}) Wolfgang Spanier Herbert Frankenhauser
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/5832, 13/5833 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Oswald Metzger
Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wohngeld- und Mietenbericht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Robert Antretter, Dr. Ulrich Böhme ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Anpassung des Wohngeldes an erhöhte Mieten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer ({9}), Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Das Wohngeld bedarfsgerecht reformieren - die Abhängigkeit vom Wohngeld senken
- Drucksachen 13/4254, 13/4968, 13/620, 13/ 5578, 13/5831 Berichterstattung:
Abgeordnete Iris Gleicke Norbert Otto ({10})
Herbert Frankenhauser
Zum Wohngeldüberleitungsgesetz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Es ist interfraktionell eine dreiviertel Stunde für die Aussprache vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rolf Rau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum 31. Dezember 1996 läuft das Wohngeldgesetz aus. Damit bestand die Gefahr, daß die Wohngeldregelung West ohne Übergang auf die neuen Länder trifft. Dies konnten wir nicht akzeptieren. Deshalb mahnten die Vertreter meiner Fraktion aus den neuen Bundesländern bereits im Mai eine angemessene Weiterführung an. Unter anderem schlugen wir vor, dies in der Oberleitungsvorschrift des § 42 des Wohngeldgesetzes zu realisieren und ab 1. Januar 1997 mit neuen Parametern abzuschließen. Der Entwurf der Bundesregierung zum Wohngeldüberleitungsgesetz eröffnete erste Schritte zur Anpassung.
Die umfangreiche Diskussion - auch im Bundesrat - unterstützt unser Anliegen. Daß heute die Zahlung eines Wohngeldes in Höhe von 102 Millionen DM durch den Bund - die Länder müssen Gleiches dazugeben - zu beschließen ist, ist ohne Zweifel ein wichtiger Erfolg. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich für die Unterstützung und das Verständnis seitens der Kollegen aus den alten Ländern, die gern selbst eine verbesserte Wohngeldregelung für ihren Verantwortungsbereich durchgesetzt hätten.
Daß wir trotzdem insgesamt 60 Millionen DM weniger ausgeben, ist nicht nur auf haushälterische Zwänge zurückzuführen, sondern das ist auch dem Prozeß der Entwicklung und Anpassung geschuldet. Gleich teure Wohnungen, gleiche Einkommen, ob in Essen oder Chemnitz, und eine unterschiedliche Wohngeldfinanzierung stellen uns vor Probleme, die man nur im Zusammenwachsen lösen kann. Deshalb ist es gut, daß unsere heutige Gesetzesregelung für zwei Jahre gilt und eine Option auf zwei weitere Verlängerungsjahre beinhaltet. In dieser Zeit sollte im Interesse aller ein gesamtdeutsches Wohngeldgesetz entwickelt werden.
Wieviel Bewegung bei der Entgegennahme von Wohngeld vorhanden ist, soll ein Beispiel aus Sachsen zeigen: Hatten wir 1991 400 000 Wohngeldempfänger, so waren es 1995 nur noch 190 000. Sie sehen, meine Damen und Herren, man muß sich immer wieder auf entsprechende Situationen einstellen können. Man darf dabei nicht übersehen, daß es unterschiedliche Ursachen für diese Entwicklung gibt.
Ich verweise auf drei Punkte, die wir im Rahmen der parlamentarischen Arbeit, im Rahmen unserer Beratung gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung zugunsten der Bürger der ostdeutschen Länder verbessern konnten:
Erstens. In der Tabelle haben wir die Berechnungsgrundlage der Wohnungen mit Sammelheizung von 9 DM auf 9,50 DM pro Quadratmeter erhöht. Dabei haben wir genau den Bereich getroffen, der im Rahmen der Modernisierungen in den neuen Bundesländern von Mietsteigerungen betroffen war. Wir betrachten dies als echten Vertrauensschutz in bezug auf die vereinbarte Modernisierung.
Zweitens. Wir heben den pauschalen Abzug für Lohnersatzleistungsbezieher von den vorgesehenen 6 Prozent auf 10 Prozent an und mindern dadurch den extremen Rückgang des Wohngeldanspruchs, so daß auch hier für die betroffenen Bezieher, die bekanntlich besonderen wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt sind, der Übergang vom Wohngeldsondergesetz zum Wohngeldgesetz abgefedert wird.
Drittens. Dem Leistungsniveau des Tabellenwohngelds geschuldet, wird das pauschalierte Wohngeld nunmehr nicht auf 45 Prozent, sondern auf 47 Prozent gesenkt.
({0})
Mit meinem Kollegen Norbert Otto lege ich zusätzlich Wert darauf, daß sich die Bezugsfertigkeit auch auf Wohnungen bezieht, die über viele Jahre hinweg nicht bewohnbar waren und ab 1. Januar 1992 im Rahmen von Lückenschließungen oder Aufstokkungsarbeiten wieder einer Benutzung zugeführt wurden.
Mit dieser Wohngeldlösung haben wir eine zielsichere Förderung der Mieter und des Wohnungsbaus erreicht. Sie entspricht auch unseren Vorstellungen von einer Verbesserung der Subjektförderungen gegenüber den Objektförderungen.
({1})
Hilfreich für die gesamte Entwicklung in den neuen Ländern ist natürlich auch der allmählich entstandene Wohnungsmarkt. Wir haben unterschiedliche Qualitäten an unterschiedlichen Standorten zu unterschiedlichen Preisen heute am Markt. Somit sind die Voraussetzungen günstiger, daß Umzugswillige im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine neue Wohnung, die ihren Vorstellungen entspricht, finden.
Es ist erfreulich, daß wir durch den momentanen Wohnungsüberschuß, der sich in einzelnen Gebieten abzeichnet - auch durch vorhandene Leerstände - genau das wiederlinden, wovon die Union gesprochen hat: Ein ausreichendes Wohnungsangebot wirkt sich preishemmend aus. Hier wird mancher Schwarzmaler Lügen gestraft.
({2})
Meine Damen und Herren, es zeigt sich einmal mehr, daß die Wohnungspolitik der Bundesregierung erstligareif ist.
({3})
Dies sage ich besonders meinem Kollegen Großmann zu seinen Äußerungen beim GdW.
Lassen Sie mich aber noch einen Punkt ansprechen, nachdem sich Kollege Frankenhauser mit dem Mietenbericht auseinandersetzt. Ich denke, wir sollten einmal sehr deutlich unterstreichen, daß wir im Bereich Miete zwei Faktoren berücksichtigen müssen: erstens die Nettokaltmiete, bei der ich denke, daß wir einen erfolgreichen Weg gegangen sind, und zweitens die sogenannte Bruttowarmmiete, das heißt die Zurechnung von Betriebs-, Heiz- und anderen Nebenkosten. Die Situation bei letztgenanntem Punkt macht mir besonders in den neuen Ländern Sorge. Ich kann nur alle Beteiligten noch einmal mahnend auffordern, äußerst sorgfältig mit der Entwicklung der Gebühren, ob für Müll, Abwasser oder ähnlichem, umzugehen; denn sie sind gleichzeitig preistreibende Faktoren, die wir bei der Bruttowarmmiete wieder deutlich zu spüren bekommen.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe der Abgeordneten Iris Gleicke das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Töpfer hat im vergangenen Jahr hier im Parlament hervorgehoben, wie wichtig es sei, daß der Kompromiß zur Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland die Verpflichtung enthalte, „ein neues Wohngeldgesetz vorzulegen, das im Jahr 1996 wirksam wird" . Der Bauminister wollte eine Regelung finden, „die alle Seiten mittragen können". Was er im vergangenen Sommer vorgelegt hat, war aber alles andere als die versprochene gesamtdeutsche Wohngeldnovelle. Das war nichts anderes als ein glatter Wortbruch.
Wir Sozialdemokraten - Herr Rau, Sie tun gut daran, unseren Sprecher dafür zu loben - haben das Schlimmste verhindern können. Wir haben verhindert, daß das ostdeutsche Wohngeld auf das niedrige Westniveau abgesenkt wird; denn das und nichts anderes war der Kern des ursprünglichen Gesetzentwurfs.
({0})
Für Ostdeutschland konnten ganz wesentliche Verbesserungen durchgesetzt werden. Aber eine gesamtdeutsche Politik ist das nicht, was hier abgelaufen ist. Eine gesamtdeutsche Politik würde die Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse in Ost und West überall dort umsetzen, wo es vernünftig und machbar ist. Es ist doch völlig klar, was die Wohngeldempfänger im Westen dazu sagen werden, daß es auch in diesem Jahr nur Sonderregelungen für den Osten und keine gesamtdeutsche Wohngeldnovelle gibt. Die Menschen im Westen haben kein Verständnis dafür, daß ihre berechtigten Ansprüche in keiner Weise berücksichtigt werden und daß noch nicht einmal ein erster Schritt in diese Richtung getan wird.
({1})
Das hat verheerende psychologische Folgen. Die Politik der leeren Versprechungen schürt Neid und Mißgunst. Sie spaltet die Gesellschaft. Sie schadet der deutschen Einheit.
Es waren Sozialdemokraten hier im Deutschen Bundestag und in den SPD-geführten Bundesländern, die verhindert haben, daß das Wohngeld in den neuen Ländern durchschnittlich um die Hälfte gekürzt wird.
({2})
Hätte die Bundesregierung ihre ursprünglichen Pläne verwirklicht, dann wären in Ostdeutschland Rentner und Arbeitslose von einem Tag auf den anderen in Armut gestürzt worden.
({3})
Leerstände dort, Kollege Rau, wo wegen der fehlenden Arbeitsplätze keine Wohnungssuchenden sind, nützen den Leuten in Ballungszentren, die Wohnungen suchen, überhaupt nicht. Sie führen da eine Scheindiskussion.
({4})
Die Miete nicht mehr bezahlen zu können und keine andere bezahlbare Wohnung zu finden, das bedeutet oft genug den ersten Schritt in die Obdachlosigkeit und damit ins soziale Aus, im Osten wie im Westen. Ich sage es Ihnen hier nicht zum erstenmal: Eine Wohnung ist nicht irgendein x-beliebiges Wirtschaftsgut. Sie ist nicht einfach nur eine lohnende Kapitalanlage, ein Abschreibungs- oder ein Verlustobjekt. Für den Menschen, der in seiner Wohnung lebt, ist sie der Ort, wo er sich ein Heim schafft, wo er seine Gäste bewirtet, wo er zu Hause ist.
({5})
Bei der Wohnungspolitik geht es um Menschen und nicht um irgendwelche Statistiken und Zahlenspielereien. Die sich christlich nennenden Parteien in diesem Hause scheinen das vergessen zu haben; von den Marktideologen von der F.D.P. will ich an dieser Stelle gar nicht erst reden. Wie weit haben Sie sich eigentlich schon von den Menschen entfernt, und wie weit wollen Sie sich noch von ihnen entfernen?
Der Bauminister hat vor ein paar Tagen erklärt, die Mieter in den neuen Bundesländern würden unter anderem auch auf Grund von Einkommenszuwächsen aus den Einkommensgrenzen für das Wohngeld herauswachsen.
Hören Sie doch endlich damit auf, sich Ihre Statistiken schönzurechnen! Hören Sie doch endlich damit auf, die Leute für dumm zu verkaufen!
({6})
Die Einkommensgrenzen, von denen Sie reden, sind seit sechs Jahren nicht mehr angepaßt worden. Dagegen sind die Mieten und die allgemeinen Lebenshaltungskosten gestiegen; was steigt und steigt und steigt, ist die Arbeitslosigkeit.
({7}) .
Was diese Bundesregierung treibt, hat System und folgt einer wohldurchdachten Strategie: Zuerst macht man großartige Versprechungen und feste Zusagen. Dann entdeckt man neue Haushaltslöcher in der Kasse, von denen man angeblich vorher nichts gewußt hat und für die man dann irgend jemanden verantwortlich macht. Zum Opfer dieser Heuchelei kann fast jeder werden: die Gewerkschaften, die angeblich zu hohe Lohnforderungen stellen, die Arbeitslosen, die angeblich gar nicht arbeiten wollen, oder am besten gleich dieser ganze lästige Sozialstaat, der den Standort Deutschland gefährdet. Das Muster ist immer dasselbe.
Man stellt also fest, daß man wieder einmal sparen muß, und bastelt eine sogenannte Wohngeldnovelle zusammen, die aber keinen Pfennig zusätzlich kosten darf. Das ist ja auch logisch: Irgendwie muß man die Steuergeschenke an die Superreichen ja finanzieren.
({8})
Nachdem man der Öffentlichkeit lange genug eingehämmert hat, daß man eigentlich überhaupt kein Geld für eine Wohngeldreform hat, nimmt man diese Ankündigung nach einiger Zeit zumindest teilweise zurück. Man gibt sich großzügig und tut wenigstens etwas für die Wohngeldempfänger im Osten. Auf diese Weise will man das eigene Versagen in Erfolg ummünzen. So haben es die Herrschaften von der Bundesregierung bei der Erhöhung des Rentenalters für Frauen gemacht; so versuchen sie es derzeit bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland; so soll es auch beim Wohngeld laufen. Das machen wir Sozialdemokraten nicht mit.
({9})
Wir werden hier kein Gesetz ablehnen, das den Mietern in Ostdeutschland weiterhilft. Wir werden aber auch nicht einem offenen Wortbruch der Bundesregierung unseren Segen geben, indem wir diesem Gesetz zustimmen. Deshalb werden wir uns heute hier enthalten.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bauminister hatte uns ein Wohngeldreformgesetz versprochen. Heute wird ein Flickschustergesetz verabschiedet.
({0})
Vom Ankündigungsminister zum Wortbruchminister ist es schon ein ziemlich bitterer Weg. So ist es kein Wunder, daß Herr Töpfer sich heute durch Herrn Günther vertreten läßt und selbst keinen Mut hat, diese Beerdigung erster Klasse mitzufeiern.
({1})
Wir waren und sind nicht bereit, an dieser Flickschusterei mitzuwirken. Wir fordern die Koalition und den nichtanwesenden Minister wirklich auf,
({2})
endlich das Wohngeldreformgesetz auf den Tisch zu legen, damit es wenigstens am 1. Juli 1997 in Kraft treten kann. Wir haben dazu Finanzierungsvorschläge gemacht und gefordert, bei der Eigenheimzulage den Gürtel enger zu schnallen. Wir fordern, daß Sie endlich die Eigenheimförderung als Steuermindereinnahme im Haushalt ausweisen, damit Haushaltsklarheit besteht.
({3})
Über die kleinen „Peanuts" an Verbesserungen, die Herr Rau eben in bezug auf das Wohngeldüberleitungsgesetz so groß gepriesen hat, will ich mich jetzt nicht lange verbreiten.
({4})
Es ist klar, daß es gegenüber dem Gesetzentwurf ein paar kleine Verbesserungen gibt. Ich bedanke mich bei Herrn Kansy, daß es wirklich gelungen ist, die besorgniserregende Abstufung des pauschalierten Wohngelds von 45 Prozent wieder auf 47 Prozent zurückzuführen.
Aber um diese bescheidenen 22 Millionen DM für diese Verbesserungen zu finanzieren, greifen Sie in das Budget des sozialen Wohnungsbaus hinein. Ich warne Sie eindringlich davor. Jetzt wirkt das als ein ganz kleiner, harmloser Eingriff in die Förderung des sozialen Wohnungsbaus; aber demnächst wird es einen Dammbruch und große Verlagerung geben. Dann werden wir früher oder später kein Geld mehr für die investive Förderung haben.
({5})
Das wird die Arbeitslosigkeit noch weiter vorantreiben. Darin sehe ich ein ganz großes Problem. Für uns gilt, daß wir die Finanzierung des Wohngeldes zu Lasten der indirekten Förderung bejahen - darin sind wir uns mit der SPD einig -, zu Lasten des sozialen Wohnungsbaus aber ablehnen.
Wir müssen allerdings schon darüber reden, daß heute mehr als eine Reform des Wohngeldes zur Debatte steht. Wir zelebrieren die stille Beerdigung der Wohnungspolitik der letzten 25 Jahre. Der Glaube an die Subjektförderung, den Sie seit Jahrzehnten kultivieren, wird hier und heute ganz still und leise beerdigt. Sie sollten ehrlich dazu stehen.
({6})
Die Liberalisierung des Mietrechts, die Rückführung der Wohnungsbauförderung, die Aufhebung der Gemeinnützigkeit, all das sollte durch mehr Wohngeld kompensiert werden. Und was haben Sie jetzt? - Leere Taschen.
({7})
- Nein, habe ich nicht. Aber ich habe nie für eine Politik plädiert, die die Abhängigkeit vom Wohngeld vergrößert. Das ist genau der Unterschied zwischen Ihrer und meiner Wohnungspolitik.
({8})
Wir haben viele Probleme: Die öffentlichen Kassen sind leer; die Einkommen stagnieren; die Arbeitslosigkeit, die Abhängigkeit von Sozialhilfe und die Abhängigkeit vom Wohngeld steigen. Dieser doppelten Falle von leeren Kassen und steigenden Ausgaben können wir nur durch eine andere Wohnungspolitik entkommen.
Momentan arbeitet das Bauministerium daran, das Mietrecht weiter zu vereinfachen. De facto heißt das, die Mietenschraube anzuziehen und den Kündigungsschutz zu lockern.
({9})
Was wird das Ergebnis sein? - Wir brauchen mehr Wohngeld.
Ferner soll die anstehende Wohnungsbaureform auch mit einer Anhebung der Sozialwohnungsbestandmieten verknüpft werden, wie immer das im einzelnen ausgestaltet wird. Was wird dabei herauskommen? - Wir brauchen mehr Wohngeld.
Ein weiterer Punkt. Herr Waigel hat den Schnäppchenmarkt für bundeseigene Wohnungen und für die Wohnungen der Rentenversicherungen eröffnet. Erzählen Sie uns doch nicht, daß diese Wohnungen zum Nulltarif privatisiert werden. Die Mieten werden daher steigen; Sie werden das nur für ein paar Jahre verzögern können. Was brauchen wir dann? - Mehr Wohngeld.
Das heißt: Die ganze Wohnungspolitik der Koalition ist auf die Steigerung des Mietniveaus und Liberalisierung des Mietrechts angelegt und damit auf mehr Wohngeld. Wenn Sie dieses Wohngeld aber nicht zahlen können, dann fordere ich Sie dringend auf, die Wohnungspolitik endlich in Richtung Bestandssicherung und Dämpfung der Mietsteigerungen zu ändern. Nur das hilft uns, aus dieser Falle herauszukommen.
Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie aus dieser Niederlage endlich die Konsequenzen! Machen Sie eine Kehrtwende in Richtung neuer Wohnungspolitik, die die Mieten dämpft und die preiswerten Wohnungsbestände, die wir im öffentlichen Bereich noch haben, nicht verscherbelt, sondern sichert!
({10})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hildebrecht Braun.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine wundersame Geschichte.
({0})
Wir diskutieren über den Wohngeld- und Mietenbericht, der aber offensichtlich der Opposition nicht vorlag, oder über den sie gekonnt hinweggelesen hat.
({1})
Ist Ihnen denn etwa verborgen geblieben, daß wir im Jahre 1996 - gegenüber dem Jahr 1990 - eine unendlich verbesserte Situation auf dem Wohnungsmarkt haben?
({2})
Liebe Frau Gleicke, Sie hätten gut daran getan, in demutsvoller Haltung ans Podium zu treten und sich bei den Mietern dafür zu entschuldigen, daß Sie über Jahre hinweg die Wohnungspolitik bekämpft haben, die dazu geführt hat, daß wir jetzt 2 400 000 Wohnungen mehr haben als 1990. Das ist die Situation.
({3})
Statt dessen zeichnen Sie ein Bild, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat.
({4})
Sie sprechen von den gestiegenen Kosten und Gebühren und vergessen, daß die Einkommen auch bei den Bürgern und Bürgerinnen im Osten in den letzten Jahren gewaltig gestiegen sind. Das ist doch die Realität.
({5})
Es ist ein richtiger Mechanismus und eine ganz normale Sache: Wenn die Einkommen steigen, dann werden die Wohngeldzahlungen zurückgehen. Es handelt sich nämlich um Transferleistungen des Steuerzahlers an den einzelnen, der die Hilfe benötigt. Wenn aber die Einkommen steigen, wird - zumindest dann, wenn die Mieten nicht in demselben Maße steigen - der Wohngeldbedarf natürlich zurückgehen. So sollte es sein, und so wird es sein,
Hildebrecht Braun ({6})
wenn die Entwicklung weiterhin vernünftig vorangeht.
Ich wünsche mir, daß endlich zur Kenntnis genommen wird: Vier Jahre Politik der Bauministerin Schwaetzer, die von Ihnen heftig bekämpft worden ist,
({7})
haben sich außerordentlich segensreich für die Mieterinnen und Mieter in unserem Land ausgewirkt.
Frau Gleicke und Herr Großmann, fragen Sie sich doch einmal, was passiert wäre, wenn wir diese angebots- und marktorientierte Wohnungspolitik und diesen rasanten Anstieg im Wohnungsbau mit 2 400 000 Wohnungen in fünf Jahren nicht gehabt hätten, sondern so weitergemacht hätten wie 1990. Dann hätten wir in der Tat mittlerweile landesweit Wohnungsnot, wie wir sie 1990 bis 1992 nur in den Ballungszentren gehabt haben.
({8})
Tatsache ist aber, daß die Neuvermietungs- und Wiedervermietungsmieten bundesweit zurückgegangen sind. Das steht im Mietenbericht. Sie haben es nur nicht gesehen.
Herr Kollege Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig?
Ja, bitte.
Frau EichstädtBohlig, Sie können eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Braun, haben Sie unseren Antrag gelesen und zur Kenntnis genommen, daß wir darin die Ergebnisse der einprozentigen Wohnungs- und Gebäudestichprobe referieren, nach der festgestellt worden ist, daß die Mieten zwischen 1988 und 1993 um 58 Prozent
({0})
und die Einkommen um 20 Prozent gestiegen sind? Können Sie garantieren, daß die Einkommen in der nächsten Zeit stärker als die Mieten steigen werden? Nur dann wäre Ihr ganzes wohnungspolitisches Gebäude gerechtfertigt.
({1})
Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben es heute mit mir relativ leicht; denn ich habe mich heute mehr an die SPD gewandt.
({0})
Denn die hat in den vier Jahren, in denen Sie gar nicht im Parlament vertreten waren, die Wohnungspolitik der Bauministerin Schwaetzer heftig bekämpft. Sie konnten das damals nicht.
({1})
Deswegen sind Sie heute etwas geschont worden, obwohl ich später auch noch auf Ihre Vorstellungen eingehen werde.
Wenn Sie von der SPD auf die Idee kommen, hier von Peanuts zu sprechen, dann bedeutet das zwar für mich, daß Sie völlig unerwartet einen positiven Kontakt zur Deutschen Bank hergestellt haben. Wie kommen Sie aber auf die Idee, eine zusätzliche Leistung von über 100 Millionen DM pro Jahr aus dem Bundeshaushalt nur für Wohngeldbezieher in Deutschlands Osten als Peanuts zu bezeichnen?
({2})
Das ist eine Beleidigung gegenüber den Mietern in Deutschlands Westen, die bei gleichem Einkommen und - wohlgemerkt - gleicher Miete all diese Zusatzleistungen nicht bekommen und leider auch in Zukunft nicht bekommen können. Denn dafür ist kein Geld vorhanden.
Ich verstehe nicht, warum in Deutschlands Osten einige Verbände, aber leider auch einige Parteien agitieren, die Leute aufhetzen und bei ihnen den Eindruck erwecken, es würden tatsächlich Leistungen um 50 Prozent gekürzt. So ein Krampf!
Herr Kollege Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?
Nein, ich möchte die Sache doch zu Ende führen.
Ich möchte festhalten: Das Wohngeldsondergesetz Ost läuft zum Jahresende aus. Das war der politische Wille aller Beteiligten. Das heißt, das, was in Zukunft gezahlt wird, ist nicht zu vergleichen mit den Leistungen, die für einen begrenzten Zeitraum in einer Sondersituation zugesichert waren, sondern mit der rechtlichen Situation, die eingetreten wäre, wenn wir jetzt nicht ein neues Wohngeldüberleitungsgesetz machen würden.
({0})
Hildebrecht Braun ({1})
Gegenüber dieser Situation wird eine Sonderleistung von über 100 Millionen DM pro Jahr allein durch den Bundesgesetzgeber erbracht. Die Länder zahlen denselben Betrag dazu, was ihnen weiß Gott nicht leichtfällt. Das heißt, hier werden Leistungen für Deutschlands Osten - und nur für diesen - erbracht. Diese müssen gebührend anerkannt werden. Es ist zumindest eine Unverfrorenheit, den Eindruck zu erwecken, die Leistungen würden um bis zu 50 Prozent zurückgeführt werden.
({2})
Da scheinen mir einige Leute ihrer eigenen Agitation auf den Leim gegangen zu sein.
Das Wohngeldüberleitungsgesetz sichert Leistungen für die Menschen in den neuen Bundesländern - Leistungen speziell für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, obwohl wir Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sehr wohl auch in Deutschlands Westen haben. Dieses Gesetz sichert Leistungen für diejenigen, die durch die Modernisierung eine erhöhte Miete zahlen müssen. Das gibt es zwar sehr wohl auch in Deutschlands Westen. Es findet aber natürlich in besonders großem Umfang in Deutschlands Osten statt, weil wir dort eine Modernisierung nahezu flächendeckend schon jetzt zustande gebracht haben. 40 Prozent der Wohnungen sind bereits modernisiert, und die Modernisierung der restlichen 60 Prozent wird in den nächsten Jahren erfolgen. Es geht also um eine Bevorzugung der Ost-Mieter gegenüber den Mietern im Westen.
({3})
Ich freue mich darüber, daß die Mieterinnen und Mieter im Westen bisher solidarisch stillgehalten haben. Ich hätte Verständnis, wenn sie diese Kraft nicht mehr aufbrächten. Denn - ehrlich gesagt - es macht keinen Unterschied, ob ich im Osten bei einem Nettoeinkommen von 1 500 DM eine Miete von 600 DM oder im Westen bei einem Nettoeinkommen von 1 500 DM eine Miete von 600 DM bezahle.
({4})
Es läuft auf genau die gleiche Belastung hinaus.
Wenn wir aber in dieser Situation den Ost-Mietern ein höheres Wohngeld bezahlen, ist dies eine Sonderleistung für die Menschen im Osten, die wir alle gemeinsam mittragen. So ist es richtig, und so möchte ich es auch dargestellt wissen.
Die Strukturnovelle zum Wohngeld für unser ganzes Land muß kommen.
({5})
In diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Wir haben uns den 1. Juli des nächsten Jahres vorgenommen. Wir hoffen, daß der Bund und die Länder, die das mitfinanzieren müssen, dies gegenwärtig aber nicht können, dann dazu in der Lage sein werden. Wir stehen zum Wohngeld als der Subjektförderung, mit der punktgenau diejenigen gefördert werden, die die Förderung tatsächlich benötigen. Es soll kein Zweifel daran bestehen, daß das Wohngeld nach wie vor zentraler Bestandteil unserer Wohnungspolitik ist. Ich freue mich, daß Sie das in diesem Punkt auch so sehen.
({6})
Ich erteile dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über zukünftige Bedingungen für den Bezug von Wohngeld entwickelt sich mittlerweile immer mehr zur „unendlichen Geschichte." Auch Münchhausen kommt darin des öfteren vor. Was wurde nicht schon alles in der Hoffnung auf die Vergeßlichkeit der Wählerinnen und Wähler bis zur nächsten Bundestagswahl versprochen und intern ausgekungelt: Gebt ihr uns die Zustimmung zum Mietenüberleitungsgesetz in Ostdeutschland, geben wir euch das Versprechen für ein besseres gesamtdeutsches Wohngeld spätestens ab 1997.
Doch weit gefehlt. Von einer gesamtdeutschen Wohngeldnovelle keine Spur. Statt dessen hat die Regierungskoalition einen schlechten Gesetzentwurf eingebracht, diesen von der Opposition und den ostdeutschen Bauministern zerreißen lassen, um ihn dann, mit wenigen Nettigkeiten versehen, als wesentlich verbessert zur Abstimmung vorzulegen.
Die Regierung zeigt damit: Seht her, so schlimm kommt es doch gar nicht. Wir haben das Problem verstanden und sind bereit, die entsprechenden Verbesserungen vorzunehmen. Die SPD kann behaupten: Seht her, durch unseren erbitterten Widerstand wurden wesentliche Verbesserungen erreicht. Auf uns können sich die Mieter verlassen.
({0})
Wir behaupten: Das ist Menschenverdummung. Das Ergebnis unter dem Strich zählt. Es bleibt das schlechte Wohngeld West, es verschlechtert sich das bisherige Wohngeld Ost. Für die Mieterinnen und Mieter zählen die realen finanziellen Fakten und keine schlauen Politikersprüche.
Es kommen natürlich sofort wieder Einwände der Regierungskoalition: Woher das Geld nehmen? Die Opposition kann es nicht sagen. Sie könnte auch nur das verteilen, was uns jetzt zur Verfügung steht.
Das Märchen geht noch weiter. Fast die Hälfte aller Talk-Sendungen beginnt mittlerweile mit dem dummen Spruch „Wir leben in einer Zeit des knappen Geldes" oder „Wie Sie wissen, haben Bund, Länder und Kommunen kein Geld mehr zur Verfügung". Dann erst kommt die Frage nach Problemlösungen unter Zugrundelegung dieser Tatsache. Dies ist immer die Basis.
Eines müssen wir zugestehen: Die Medien und ein großer Teil der Bevölkerung glauben diesen Unsinn mittlerweile und kommen gar nicht mehr auf die Idee, darüber nachzudenken, ob der Grundansatz des knappen Geldes überhaupt richtig ist.
Klar ist: Wenn der in diesem Land produzierte Reichtum auch nur annähernd gerecht verteilt werden würde, bräuchten wir uns über Probleme bei der Finanzierung des Wohngeldes nicht zu unterhalten. Die vielen Finanzierungsvorschläge, die von uns kamen, kann ich in der kurzen Zeit nicht mehr aufführen. Sie sind auch hinlänglich bekannt.
Die Fortführung der „unendlichen Geschichte" des Wohngeldschwindels ist mit der für Mitte 1997 angekündigten gesamtdeutschen Wohngeldnovelle vorprogrammiert. Eine Reform anzukündigen, ohne im Bundesetat 1997 dafür eine zusätzliche Mark einzustellen, ist das Papier und die Worte nicht wert, auf dem bzw. mit denen sie versprochen wurde.
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Für dieses Jahr rechnet Bundesbauminister Töpfer mit 3,3 Milliarden DM, die für Wohngeld benötigt werden. Für das nächste Jahr - unter ab dem 1. Juli 1997 angeblich verbesserten Bedingungen - sind allerdings nur 3,1 Milliarden DM vorgesehen. Das kann nicht aufgehen. Die bisher für Wohngeld zur Verfügung stehenden Summen lediglich umzuschichten bringt den betroffenen Bürgern herzlich wenig.
Die Koalitionspolitik der breiten Umverteilung von unten nach oben - da muß man bzw. frau kein Prophet sein - wird in den nächsten Jahren ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosenzahlen und damit auch der Zahl der Sozialhilfeempfänger sowie des Wohngeldes nach sich ziehen.
Eine beliebte Methode der Bundesregierung hat in der letzten Zeit Hochkonjunktur - ich nenne sie immer sarkastisch die „Methode Zukunft"- , nämlich die Abwälzung möglichst vieler Kosten auf die ohnehin mit dem Rücken zur Wand stehenden Kommunen. Dies wird auch im vorliegenden Gesetzentwurf praktiziert. Dies scheint sich zur Standardnotlösung zu entwickeln, die aber schnell auf den Verursacher selbst zurückfallen kann.
Wir bleiben dabei: Natürlich hätte es Alternativen gegeben, und wir haben sie aufgezeigt. Auch Bündnis 90/Die Grünen und die SPD sehen wohl praktikable Finanzierungsmöglichkeiten. Sonst wären ihre Vorschläge hier nicht unterbreitet worden. Warum aber erst ab 1. Juli 1997? Das bleibt ihr Geheimnis. Oder hat dies auch etwas mit der doppelbödigen Politik der sozialdemokratischen Minister in vielen westlichen Bundesländern oder mit dem grünen Minister Vesper zu tun?
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Letzter Satz.
Wenn die von der Bundesregierung vielbeschworene Angleichung der Lebensverhältnisse des Ostens und des Westens auch in anderen sozialen Bereichen so aussehen soll wie beim Wohngeld, sollten sich Millionen Ost- und Westdeutsche auf weitere soziale Ungerechtigkeiten einstellen oder, besser, sich schon heute Gedanken über ihr Wahlverhalten 1998 machen.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Herbert Frankenhauser.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die „Süddeutsche Zeitung" vom 28. September 1996 überschreibt einen Artikel über die Mietentwicklung in München folgendermaßen: „Der Vermietermarkt hat sich zum Mietermarkt gewandelt. "
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Der heute zur Beratung anstehende Bericht der Bundesregierung zur Wohngeld- und Mietenentwicklung bestätigt diese Überschrift eindrucksvoll. Ich unternehme den verzweifelten Versuch, Ihnen wenigstens noch einmal die Zahlen aus dem Bericht, den wir hier beraten, nahezubringen.
Aber wenn ich höre, was Frau Gleicke gefordert hat, nämlich eine mietenfreie Republik und ein Volk von Wohngeldempfängern, dann sage ich Ihnen deutlich: Das wollen wir natürlich nicht haben.
Daß wir diese erfreuliche Situation, nämlich die Wandlung zum Mietermarkt, feststellen können, ist darauf zurückzuführen, daß im Berichtszeitraum 1994/95 mehr als eine Million Wohnungen neu gebaut worden sind. Damit ist auch eindrucksvoll widerlegt worden, was Sie an gleicher Stelle im Juni 1994 anläßlich der gleichen Beratung an Horrorgemälden an die Wand gemalt haben. Anderes fällt Ihnen in der Auseinandersetzung über die Wohnungspolitik ja nicht ein.
Die enorme Ausweitung des Wohnungsangebots durch insgesamt etwa 2,4 Millionen neue Wohnungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre hat dazu geführt, daß die Anspannung auf den Wohnungsmärkten - Gott sei es gedankt - erheblich zurückgegangen ist.
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- Darauf komme ich schon noch zu sprechen, Kollege, abwarten!
Das wird deutlich an der Änderung des Mietenindex, der die Entwicklung der Mieten einschließlich kalter Nebenkosten, also der Bruttokaltmieten, widerspiegelt. Nach dem Mietenindex fiel die Steigerungsrate der Bruttokaltmieten, die im Jahre 1993 noch 5,9 Prozent betragen hatte, im Jahre 1994 auf
4,6 Prozent und ging im Jahre 1995 weiter auf 3,9 Prozent zurück. Das heißt, der Mietenanstieg lag damit 1995 nur noch um 2,2 Prozent über der allgemeinen Inflationsrate, die beachtenswerterweise nur noch 1,7 Prozent betrug.
Die Differenz zwischen der Mietenentwicklung und der allgemeinen Preisentwicklung ist allerdings in ganz erheblichem Umfang auf die Entwicklung der Nebenkosten zurückzuführen. Hier sind die kommunalen Gebühren absolut federführend.
Zum Beispiel sind 1995 die Kosten der Abwasserbeseitigung um 21 Prozent und die Kosten der Müllabfuhr um 25 Prozent höher als 1993. Ein Beispiel aus München: Dort stiegen die städtischen Gebühren insgesamt um 55 Prozent und bei den Müllgebühren seit 1989 um sage und schreibe 290 Prozent.
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Es nützt wenig, daß Sie in Ihrem Antrag diese Entwicklung kritisieren, gleichzeitig aber zum Beispiel im Umweltschutzausschuß dieses Hauses ständig weitergehende Forderungen erheben und dabei verschweigen, daß diese Forderungen letztendlich der Mieter zu bezahlen hat.
Es muß ganz deutlich an die Kommunen appelliert werden, ihrer Verantwortung für stabile Verbraucherpreise gerecht zu werden und alle bei der Gebührengestaltung bestehenden Spielräume auch zugunsten der Mieter zu nutzen.
Gleichermaßen muß an die Kommunen appelliert werden, ihre restriktive Haltung, die nach wie vor insbesondere in den Ballungsräumen bei der Baulandausweisung festzustellen ist, aufzugeben, weil nur die ausreichende Ausweisung von Bauland zu einer positiven Mietenentwicklung beitragen kann.
Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz - da muß ich noch ein Wort zu den Grünen sagen, auch wenn es mir schwerfällt - wurde die Kredit- und Investitionsfähigkeit der ostdeutschen Wohnungswirtschaft durch die Gewährung von Finanzhilfen - Frau Eichstädt-Bohlig telefoniert jetzt wahrscheinlich wieder irgendwelche Horrormeldungen durch die Gegend - in Höhe von 5,1 Milliarden DM und eine Teilentlastung in Höhe von 29,5 Milliarden DM in einem eindrucksvollen Umfang gestärkt. Wenn das hier als Peanuts bezeichnet wird, dann scheint die Welt nicht mehr zu stimmen.
Mit dem Eigenheimzulagengesetz haben wir bereits eine ebenso wichtige wie erfolgreiche Weichenstellung für eine vermehrte Wohneigentumsbildung und damit stabilere Baukonjunktur vorgenommen. Beachtenswert ist, daß es auch hier im Hohen Hause Bestrebungen gibt, genau diese erfolgreiche Eigentumsförderung wieder abzuschaffen. Aber das wird auf unseren gemeinsamen Widerstand stoßen.
Wir verkennen nicht, daß wir auch in der Bauwirtschaft in einer schwierigen Situation sind. Aber die Koalitionsfraktionen inklusive der Bundesregierung und ihr voran der außerordentlich erfolgreiche Wohnungsbauminister Professor Töpfer werden das Entscheidende tun, um auch die nächsten Jahre in der
Wohnungspolitik mit ihren positiven Auswirkungen auf die Mieten erfolgreich zu gestalten.
Vielen Dank.
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Ich gebe dem Abgeordneten Wolfgang Spanier das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich selten, daß sich in diesem Hause alle einig sind, und das ist heute der Fall. Im Grunde genommen sind sich alle Fraktionen einig, daß wir heute über das falsche Gesetz beraten.
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Eigentlich hätten heute, wenn auch mit Verspätung, die Beratung und die Entscheidung über die Wohngeldnovelle für die gesamte Bundesrepublik auf der Tagesordnung stehen müssen. Daß wir hier heute wieder nur Übergangsregelungen für die neuen Bundesländer beraten müssen, ist ein Trauerspiel.
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Der ursprüngliche Entwurf für diese Übergangsregelungen, der von Bundesregierung und Koalition vorgelegt worden ist, sah zusätzliche soziale Verwerfungen in den neuen Bundesländern vor. Es ist gelungen - darauf werde ich gleich noch einmal zu sprechen kommen -, hier immerhin einiges und, wie ich denke, Anerkennenswertes an Nachbesserungen zu erreichen. Nach wie vor allerdings bestehen soziale Verwerfungen zwischen dem Wohngeld Ost und dem Wohngeld West.
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Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Herr Braun, Sie haben das in den letzten Wochen durchaus immer wieder bestätigt.
Ich will das einmal an einem Zahlenbeispiel deutlich machen. Heute sind schon viele Zahlen genannt worden. Wir sollten da etwas zurückhaltend sein; deshalb nur ein Beispiel. Nach wie vor gilt: Ein Rentner oder eine Rentnerin mit 1 000 DM Monatsrente in den neuen wie in den alten Bundesländern und einer Miete von 430 DM - ich denke, das sind sehr realistische Zahlen, die ich hier nenne ({3})
bekommt in den neuen Bundesländern 190 DM, in den alten Bundesländern lediglich 156 DM Wohngeld. Das mag für uns alle ein geringfügiger Unterschied sein,
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aber für die Betroffenen in dieser Einkommensgruppe ist das ein gewaltiger Unterschied.
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Diese Verwerfung besteht nach wie vor. Das ist nicht ein Ausspielen Ost gegen West, sondern das bestärkt mich in der Forderung, daß die Wohngeldnovelle für die gesamte Bundesrepublik hier wirklich längst überfällig ist.
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Ich weiß, daß weder der Bundesbauminister noch die Koalition den Vorwurf, sie hätten Wortbruch begangen, gerne hören. Aber was ist es denn anderes, wenn die Wohngeldnovelle für die gesamte Bundesrepublik hier von diesem Podium aus in den letzten zwei Jahren immer wieder mit genauen Daten angekündigt worden ist und bis zum heutigen Tage auch wieder nur ein Termin vorliegt, 1. Juli 1997, aber im Haushalt für 1997 kein zusätzliches Geld vorgesehen ist und bis heute noch nicht einmal Eckpunkte, wie denn diese Wohngeldnovelle aussehen soll, vorliegen? Von daher kann man das, denke ich, nicht anders als Wortbruch nennen.
Herr Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Braun?
Herr Braun!
Werter Kollege, ist Ihnen bekannt, daß auch die SPD-geführten Bundesländer gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Mittel aufzubringen, die erforderlich wären, um bundesweit das von Ihnen und uns gemeinsam gewünschte neue bundesdeutsche Wohngeld zu finanzieren?
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Herr Braun, wir hatten 1995, auf Initiative der Bundesländer - federführend war damals Frau Brusis aus Nordrhein-Westfalen -, eine echte Chance, mit einer Härtefallregelung wenigstens die schlimmsten Verwerfungen zwischen dem Wohngeld Ost und dem Wohngeld West zu beseitigen. 1995 war der richtige Zeitpunkt. Heute allerdings - wenn Sie, Herr Warnick, diesen Antrag sozusagen ausgraben und als PDS übernehmen - stimmt der Zeitpunkt einfach nicht mehr. Heute ist das Wohngeldüberleitungsgesetz ausgelaufen. Deswegen paßt der zeitliche Rahmen nicht.
Herr Braun, das ist die Antwort auf Ihre Frage. Wir hätten das schon längst regeln können. Das ist damals versäumt worden. Deswegen haben wir heute diese äußerst mißliche Situation, die wir vor den Wählerinnen und Wählern vor allen Dingen in den alten Bundesländern kaum noch vertreten können. Das heißt: Sie müssen dies vertreten; denn das ist nicht unsere Sache.
Es ist mehr als ein Wortbruch. Sie müssen auch an die Betroffenen denken.
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Für sie, die auf das Wort des Bundesbauministers vertraut haben, ist dies natürlich eine große Enttäuschung. Er hat es ja noch nicht einmal nur beiläufig erklärt. Er hat dies immer wieder auf öffentlichen Veranstaltungen, in Pressemitteilungen und auch hier im Bundestag lauthals und lautstark verkündet.
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Der Bundesbauminister ist damit angetreten - ich habe seine Antrittsrede durchaus noch im Ohr -, daß Wohnungspolitik angewandte Sozialpolitik sein solle. Er hat die Meßlatte sehr hoch gelegt.
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Er hat diese Meßlatte nie übersprungen, und im Laufe der Zeit ist sie immer niedriger geworden. Ich habe manchmal den Eindruck, Herr Töpfer - leider ist er nicht da; ich hätte es ihm gern persönlich gesagt - entwickelt sich zu einer Art Limbo-Tänzer: Die Meßlatte wird immer niedriger gelegt, und doch kommt er immer wieder darunter durch.
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Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auf dem Bauch liegt und nur noch strampelt.
Zur Mietenentwicklung. Wir können uns trefflich streiten. Eines aber steht fest; das ist unbestritten, auch bei Ihnen: Seit 1990 sind die Mieten in der Bundesrepublik um 30 Prozent gestiegen. Seit 1990 ist das Wohngeld nicht angepaßt worden. - Daß es in Teilbereichen Sonderentwicklungen gegeben hat, ist völlig unstreitig. Das aber ist der Tatbestand, an dem wir uns zu orientieren haben.
Sie, Herr Braun, sagen, die Einkommen seien gestiegen. Nominal stimmt dies. Was aber die reale Kaufkraft betrifft, so ist das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren gesunken.
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Auch das ist unstreitig.
Sie sagen, 2,4 Millionen Wohnungen seien gebaut worden. Richtig, aber nach wie vor fehlen 1,5 Millionen Wohnungen. Sie müssen natürlich auch an solche Faktoren wie Zuwanderung denken, die sich in den 90er Jahren ebenfalls auf den Wohnungsmarkt ausgewirkt haben.
Zur Wohngeldnovelle. Wir legen heute in unserem Entschließungsantrag einige Eckpunkte vor, wie wir uns diese Wohngeldnovelle vorstellen. Das hätten wir eigentlich von Ihnen, von der Koalition, erwartet. Wir erwarten die längst überfällige angemessene Anhebung der Einkommensgrenzen und der Miethöchstbeträge. Wir erwarten eine besondere Berücksichtigung der kleinen Haushalte. Wir erwarten eine Vereinfachung, eine Neufassung der Mietenstufe insbesondere für die Randgebiete der BallungszenWolfgang Spanier
tren. Wir erwarten eine Dynamisierung der Wohngeldleistungen.
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Interessant ist, wie sich die Koalition und auch der Bundesbauminister in den jüngsten Äußerungen zu dieser Wohngeldnovelle geäußert haben. Es wird so getan, als sei sie wegen einer Verwerfung, einer Ungleichentwicklung zwischen dem pauschalierten und dem Tabellenwohngeld notwendig. Der Bundesbauminister sagt in seiner jüngsten Presseerklärung, das mache die Wohngeldstrukturnovelle notwendig, nicht die notwendige Anhebung der Mietobergrenzen, nicht die notwendige Anhebung der Einkommensgrenzen. Das ist eine interessante Verschiebung der Argumentation. Was steckt hinter dieser neuen Begründung? Offensichtlich will die Koalition - das zeigen auch schon diese Übergangsregelungen - das pauschalierte Wohngeld senken, um auf diese Weise Finanzierungsspielraum für das Tabellenwohngeld zu bekommen.
Daß der Anteil des pauschalierten Wohngelds angestiegen ist, hat eine einzige Ursache: Seit den 80er Jahren hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger, die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, in der Bundesrepublik verdoppelt. Das ist die Ursache dafür, daß wir heute zwei Drittel der Wohngeldausgaben für das pauschalierte Wohngeld aufwenden.
Im übrigen verwahre ich mich gegen die immer wieder zumindest unterschwellig erhobenen Vorwürfe gegen die Kommunen, daß sie hier sozusagen Luxuswohnungen für Sozialhilfebezieherinnen und Sozialhilfebezieher finanzieren. Das ist nicht der Fall. Die Kommunen, die Sozialhilfeträger, tragen ja ohnehin schon 50 Prozent der Kosten. Ich habe mich einmal in meiner Heimatstadt Herford erkundigt und gefragt: Wie macht ihr das denn eigentlich? Sie sagen: Natürlich halten wir uns nicht nur an die Höchstflächen, sondern wir haben auch Mietobergrenzen, nämlich 10 DM pro Quadratmeter kalt in unserer Stadt. Dieser Wert liegt bei den Mieten im Mittelfeld. Wenn jemand in einer zu teuren Wohnung wohnt, dann haben wir Instrumente, mit denen wir ihn auffordern, daß er sich aktiv um eine billigere Wohnung bemüht. Wir leisten auch Hilfestellung, soweit wir das angesichts des angespannten Wohnungsmarkts tun können.
Also geht es Ihnen letztlich nur darum, nach dem üblichen Verfahren des Verschiebebahnhofs Kosten, die die Bundeskasse tragen müßte, auf die Kommunen abzuwälzen. Nichts anderes steckt dahinter.
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Es ist aber noch eine Gefahr bei dieser Argumentation offen anzusprechen; das hat mein Kollege Großmann vor einigen Wochen in einer Pressemitteilung getan. Sie laufen damit Gefahr - ich drücke mich hier ganz bewußt vorsichtig aus -, Sozialhilfebezieherinnen und Sozialhilfebezieher gegen die Empfänger des Tabellenwohngelds auszuspielen. Diese Gefahr, meine ich, müssen Sie sehen.
({7}) Allen Plänen, etwa durch Einfrieren des pauschalierten Wohngelds die Probleme zu lösen, müssen wir eine klare Absage erteilen. Wenn die Sozialhilfe das Existenzminimum darstellt, dann ist da nichts abzusenken. Im Regelsatz der Sozialhilfe ist ohnehin schon ein Teil der Wohnkosten enthalten, nämlich die Kosten für Warmwasser, Strom und Heizung. Also trägt der Sozialhilfebezieher über seinen Sozialhilfesatz schon einen Teil der Wohnkosten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich möchte hier - weil das auch an anderer Stelle schon geschehen ist - den Bauministern der neuen Länder, aber auch unserem wohnungspolitischen Sprecher Achim Großmann einmal ausdrücklich Dank sagen dafür,
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daß es in zäher Kleinarbeit, Frau Eichstädt-Bohlig, gelungen ist, für die neuen Bundesländer - und zwar vor allen Dingen für die einkommensschwachen Haushalte - einiges an Verbesserungen hinzubekommen.
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Ich glaube, daß man das mit Fug und Recht sagen kann. Es bleibt aber dabei: Die große Wohngeldnovelle ist heute nicht vorgelegt worden. Nach wie vor bleiben die Verwerfungen zwischen Ost und West. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten nicht lockerlassen,
Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Kollege.
- daß tatsächlich zum 1. Juli 1997 - dann aber wirklich allerspätestens - ein vernünftiger Vorschlag von Ihnen auf den Tisch kommt.
Herzlichen Dank.
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Das letzte Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Eichstädt-Bohlig, auch auf Grund Ihres heutigen Debattenbeitrags, gebe ich Ihnen einen Tip: Werden Sie Sensationsjournalistin; schlechte Nachrichten verkaufen sich gut, sie gehen nur an der Realität vorbei. Sie haben den Wohngeld- und Mietenbericht wohl nicht gelesen.
Wer den Wohngeld- und Mietenbericht gelesen hat, der muß doch einfach die Realitäten zur Kenntnis nehmen, und zwar auch die positiven Aspekte: 2,4 Millionen neue Wohnungen in den letzten fünf Jahren; eine Million Wohnungen wurde in dem BeParl. Staatssekretär Joachim Günther
richtszeitraum mehr erstellt als im Zeitraum von 1985 bis 1990.
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Das sind doch keine Beerdigungen erster Klasse. Ich weiß nicht, wo Sie solche Vorstellungen hernehmen.
Es geht weiter um die Neubauergebnisse und um das, was sie in diesem Lande bewirkt haben. Wir haben seit 1993 eine Trendwende in der Mietenentwicklung erreicht. Von 5,9 Prozent im Jahre 1993 ist die Mietsteigerung bei der Bruttokaltmiete auf 2,7 Prozent zurückgegangen, und die Erst- und Wiedervertragsmieten sind generell rückläufig. Ich finde, das ist ein echter Erfolg im Bereich der Wohnungsbaupolitik.
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Es gibt umfangreiche Investitionen in den neuen Bundesländern. Wir haben in den neuen Bundesländern 40 Prozent aller Wohnungen modernisiert. Die Fertigstellungszahlen im Neubau nach der Wende wurden von 24 000 im Jahr 1993 auf 104 000 im Jahr 1995 erhöht. Das Ganze geschah bei einer gleichzeitigen Abfederung mit dem Sonderwohngeld Ost.
Die Koalition hat also eine Erfolgspolitik vorzuweisen. Beerdigungen erster Klasse kommen nur durch, wie es Herr Frankenhauser so schön dargestellt hat, Horrorszenarien zustande, die die Opposition hier vorträgt.
Bei allem Anlaß zur Freude auf diesem Gebiet gibt es sicher viele Punkte, die wir aktiv und massiv weiterentwickeln sollten. Ich nenne das kosten- und flächensparende Bauen, über das wir diskutieren. Ich nenne auch die Vereinfachung des Mietrechtes, die hier angesprochen wurde. Ich nenne ferner die Erhöhung der Effizienz der Fördermittel im sozialen Wohnungsbau. Mit diesen Punkten werden wir uns auseinandersetzen. Im Rahmen der haushaltsrechtlichen Möglichkeiten müssen wir die Anpassung des Wohngeldrechtes durchführen und zielgenau ausgestalten.
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Damit bin ich bei dem Thema Wohngeldnovelle. Bei der ersten Lesung des Wohngeldüberleitungsgesetzes am 26. September 1996 ist an dieser Stelle klar gesagt worden, daß die angestrebte Wohngeldleistungsnovelle einen Milliardenmehraufwand erfordert. Man muß realistisch sein und erkennen, daß dies bei der gegenwärtigen Haushaltslage nicht umsetzbar ist.
Nach dem einstimmigen Bundesratsbeschluß vom 27. September ist klar, daß die Bundesländer, weil sie ebenfalls 50 Prozent des Wohngeldes aufbringen müssen, nur im Rahmen ihrer Haushaltsmöglichkeiten an diese Wohngeldnovelle herangehen wollen.
Es gäbe sicher noch vieles dazu zu sagen. Herr Kollege Spanier, schauen Sie sich einmal Punkt I.7 Ihres Antrags zur Höchstbetragsregelung beim pauschalierten Wohngeld an, die Sie im Endeffekt einführen wollen. Sie würde, weil es bis jetzt keine Höchstbetragsregelung gibt, zu Einsparungen in einigen Bereichen führen. Warum können wir dieses Geld nicht für das Tabellenwohngeld verwenden? Das wäre doch eine günstige Ausgangsposition.
Nun noch einige Worte zum Wohngeldüberleitungsgesetz. Lassen Sie mich hierzu das Stichwort Höchstbetragstabelle nennen. Mit diesem Wohngeldüberleitungsgesetz und den vier vom Kollegen Rau schon angesprochenen Punkten haben wir eine gute Situation für die Mieter in den neuen Bundesländern erreicht.
Der erste Punkt ist die Höchstbetragstabelle. Sie ist - das ist richtig - gegenüber dem Regierungsentwurf noch einmal verbessert worden. Ich will einmal konkrete Zahlen nennen. Für Wohnungen mit Sammelheizung, die 1991 und davor fertiggestellt wurden, sind jetzt die Höchstbeträge um 50 Pfennig pro Quadratmeter erhöht worden. Das heißt, daß für eine dreiköpfige Familie in einer 74-Quadratmeter-Wohnung bis zu 700 DM Miete oder rund 9,50 DM pro Quadratmeter voll wohngeldfähig sind.
Kollege Rau, Sie haben vorgeschlagen, dies auf weitere Neubauten oder Lückenschließungen auszudehnen. Wir haben erst vor kurzem den Bericht über den Leerstand in den neuen Bundesländern behandelt. Ich bin der Meinung, es gibt zur Zeit in jedem Preissegment ein ausreichendes Angebot an Wohnraum. Deshalb müssen Wohngeldempfänger nicht unbedingt in neue oder aufwendig renovierte Wohnungen einziehen. Sie haben nämlich zur Zeit auch bei Wohnungen in Preislagen zwischen 6 und 7 DM ein ausreichendes Angebot.
Wir führen den Einkommensfreibetrag in den neuen Bundesländern fort. Auch das bringt eine Verbesserung. Sie haben anerkannt, daß das insgesamt eine Verbesserung gegenüber dem Wohngeld in den alten Bundesländern darstellt.
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- Aus Zeitgründen lasse ich keine Zwischenfragen zu.
Auch haben wir den pauschalen Abzug vom Einkommen von 6 auf 10 Prozent angehoben und damit die Situation der Bezieher von Lohnersatzleistungen verbessert.
Das sind Punkte, die auch vom Bundesrat gefordert wurden, doch wir haben sie etwas anders durchgeführt. Wir haben die Vorschläge des Bundesrates nicht einfach übernommen, sondern sie in der vorgeschlagenen Entwurfsfassung so ausgestaltet, daß sie systemgerecht in die bestehende Wohngeldregelung integriert werden können und daß sie einfach und ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand durchzuführen sind.
In diesem Zusammenhang kann ich zwei Anmerkungen zum SPD-Entschließungsantrag nicht unterdrücken. Iris Gleicke, Sie haben hier eben gesagt: „Der Erfolg hat tausend Väter." - Sie als SPD hätten uns dazu getrieben, daß diese Entscheidung zustande kam. - Auch wenn wir uns über die UrheberParl. Staatssekretär Joachim Günther
schaft für diesen Erfolg streiten, richtig ist: Die Abgeordneten der neuen Bundesländer und die Koalition waren an ihm gleichermaßen interessiert. Das war schon in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs eindeutig erkennbar.
Aber viel wichtiger ist, einmal klarzustellen, daß Sie die Mieter im Osten wieder mit Horrormeldungen verängstigt haben. Eine durchschnittliche Kürzung des Wohngeldes um 50 Prozent war nie geplant.
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Selbst Sie könnten erkennen, daß es lediglich um eine Kürzung von maximal 12 Prozent ging. Allerdings: Mit solchen Meldungen verunsichern Sie die Menschen in einer Weise, die nicht gerechtfertigt ist. Realistische Politik ist auf diesem Gebiet angebracht!
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- Sie haben doch eben selbst dargelegt, daß es anerkennungswert ist, was in diesem Bereich erreicht wurde, Kollege Spanier. Sie haben sich bei der Abstimmung im Ausschuß der Stimme enthalten. Vielleicht überwinden Sie sich heute und stimmen unserem Entwurf eines Wohngeldüberleitungsgesetzes zu. Er ist die richtige Alternative.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Entwürfe eines Wohngeldüberleitungsgesetzes, Drucksachen 13/5729 und 13/5587. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/5831 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und Gegenstimmen im übrigen in zweiter Beratung angenommen.
Dann kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit der gleichen Stimmenmehrheit in dritter Lesung angenommen worden ist.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/5834. Wer dem Entschließungsantrag der SPD zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der
Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Anpassung der wohngeldrechtlichen Überleitungsregelungen, Drucksache 13/5512. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/ 5831 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse also über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/5512 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung abgelehnt worden ist.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung, Drucksache 13/5831 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4968 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Antrag der Fraktion der SPD zur Anpassung des Wohngeldes an erhöhte Mieten auf, Drucksache 13/5831 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/620 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit derselben Stimmenmehrheit angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer bedarfsgerechten Reformierung des Wohngeldes auf, Drucksache 13/5831 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5578 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und Gegenstimmen im übrigen angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt unter Nr. 6 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung des Ausschusses. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den StimVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen worden ist.
Dann rufe ich Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit
- Drucksachen 13/4613, 13/5074, 13/5327, 13/
5448, 13/5529, 13/5537, 13/5640 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Das Wort zur Berichterstattung und zur Abgabe von Erklärungen wird nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vom 28. Juni 1996 den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/5640 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt worden ist.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Punkt 20 der Tagesordnung - dabei handelt es sich um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs des Zivilschutzneuordnungsgesetzes - abzusetzen. - Ich stelle fest, daß darüber Einverständnis besteht.
Dann sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. November 1996, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.