Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sondersitzung habe ich auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gemäß Axt. 39 Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Geschäftsordnung einberufen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um den Antrag der SPD-Fraktion zur Erweiterung des Untersuchungsauftrags des 2. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 13/5233 zu erweitern. Dieser Antrag soll im Anschluß an die dritte Lesung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes mit 30 Minuten beraten werden.
Sind Sie mit der Vereinbarung einverstanden? -Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung
({0})
- Drucksachen 13/4610, 13/5147 -({1}) ({2})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksachen 13/5088, 13/5108 -
Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Mascher
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/5094 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel Dietrich Austermann Antje Hermenau Ina Albowitz
Es hegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und drei Entschließungsanträge der Gruppe der PDS vor.
Die Gruppe der PDS hat beantragt, zu einem ihrer Entschließungsanträge eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Nach § 52 unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt werden. Ob der Antrag der PDS die notwendige Unterstützung findet, werde ich unmittelbar vor der Abstimmung über den Entschließungsantrag feststellen.
Für die Aussprache ist eine Stunde vorgesehen. -Auch damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Es beginnt der Kollege Joachim Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in dritter Lesung das von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz und ermöglichen damit, daß sich der Bundesrat in seiner Sitzung am 19. Juli mit allen Gesetzen zur Umsetzung des Programms der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen für mehr Wachstum und Beschäftigung befassen kann.
Damit bringt die Koalition konsequent einen politischen Entscheidungsprozeß zu Ende, der vor sechs Monaten sehr konkret begonnen hat und der für die Zukunftssicherung unseres Landes wegweisend und unverzichtbar ist. Angesichts der Arbeitslosigkeit von mehr als 4 Millionen Menschen in unserem Land zur Jahreswende und der Erkenntnis, daß das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr geringer ausfallen wird, als ursprünglich prognostiziert worden war, und damit bei hohen Arbeitskosten weitere Arbeitsplätze gefährdet werden könnten, hatte die Bundesregierung am 30. Januar dieses Jahres ein 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze vorgestellt.
In diesem 50-Punkte-Aktionsprogramm waren die Maßnahmen beschrieben, die aus unserer Sicht zwingend erforderlich wurden, um die Arbeitskosten nicht nur zu begrenzen, sondern auch zu senken und
damit mehr Arbeitsplätze zu sichern, aber auch um neue Investitionsanreize zu geben, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und vorhandene wettbewerbsfähiger zu machen. Die Überprüfung der sozialen Sicherungssysteme hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit wurde ebenso angekündigt wie die Überprüfung des Umfangs und der Zweckmäßigkeit bislang gewährter Sozialleistungen, dies vor allem, um die sozialen Sicherungssysteme auch angesichts des demographischen Wandels für künftige Generationen leistungsfähig zu erhalten.
Fast gleichzeitig hatte Bundeskanzler Dr. Kohl vor allem Gewerkschaften und Arbeitgeber zu Konsensgesprächen nach Bonn eingeladen, um auch deren Mitverantwortung für die Sicherung und Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Investitionen hervorzuheben und einzufordern. Neunmal hat man sich zu diesen Gesprächen getroffen, zuerst am 25. Januar 1995, zuletzt am 23. April 1996, also vier Wochen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Das letzte Gespräch - wir wissen es alle - ging zu Ende, ohne daß man sich auf die Instrumentarien verständigen konnte, die erforderlich waren, um das gemeinsam als notwendig erkannte Ziel zu erreichen, nämlich die Arbeitskosten zu senken, zusätzliche Investitionsanreize zu schaffen und damit mehr Wachstum und Beschäftigung zu ermöglichen. Während noch im Konsensgespräch am 12. Februar 1996 eine Einigung über den gleitenden Übergang in den Vorruhestand möglich war, scheiterten am 23. April 1996 weitere Vereinbarungen für mehr Investitionen und Arbeitsplätze an der Unvereinbarkeit der Positionen vor allem der Arbeitnehmer- und der Arbeitgebervertreter.
({0})
Es stand jetzt außer Zweifel, daß in Anbetracht der prognostizierten wirtschaftlichen Entwicklung nicht länger zugewartet werden konnte, sondern zumindest der Gesetzgeber gefordert war, das zu tun, was in seiner Macht stand, um die Voraussetzung für eine Trendwende am Arbeitsmarkt zugunsten von mehr Wachstum und Beschäftigung herbeizuführen.
({1})
Ausdrücklich will ich auf diese Zeitabläufe noch einmal hinweisen, weil sowohl Oskar Lafontaine als auch Rudolf Scharping in diesem Hause wiederholt und wahrheitswidrig behauptet haben,
({2})
die Koalition habe vor den Landtagswahlen am 24. März dieses Jahres die Wähler hinsichtlich ihrer Absichten im Rahmen des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung getäuscht.
({3})
Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfes keinen Zweifel daran gelassen,
({4})
auf welchen Feldern der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik wir Maßnahmen für erforderlich halten, um den Wirtschaftsstandort Deutschland leistungsfähiger, wettbewerbsfähiger und damit zukunftssicherer zu gestalten.
({5})
Die erheblichen Stimmenverluste der Sozialdemokraten bei diesen Landtagswahlen sind doch nicht darauf zurückzuführen, daß die Wählerinnen und Wähler nicht gewußt hätten, was die Bonner Koalitionsparteien für notwendig erachteten, um Arbeitsplätze sicherer zu machen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Vielmehr sind diese Verluste darauf zurückzuführen, daß die Sozialdemokraten jegliche Alternative schuldig gebheben sind, im übrigen bis zum heutigen Tag,
({6})
und statt dessen - siehe Thema Fremdrenten - in unwürdiger Weise Sozialneid geschürt haben. Dabei haben die Sozialdemokraten leider nicht realisiert, daß die Menschen in unserem Lande längst begriffen haben, daß wir Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft brauchen, daß die Sozialkassen nicht mehr alles leisten können und daß die beste Sozialpolitik die Sicherung und Schaffung bezahlbarer Arbeit für die Menschen ist.
({7})
Das von den Koalitionsfraktionen am 25. April auf der Grundlage des Ende Januar vorgestellten Aktionsprogramms beschlossene Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ist ausschließlich von der Sorge um die Erhaltung der Arbeitsplätze für die Menschen in Deutschland bestimmt.
({8})
Wir wissen, daß die sozialen Sicherungssysteme überfordert sind, wenn die Menschen in unserem Land keine Arbeit mehr haben. Wenn wir daher erkennen, daß die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze - zum Beispiel durch die Steuer- und Abgabenlast, durch steigende Sozialversicherungsbeiträge und durch unkontrollierbare Kostenrisiken im Arbeitsrecht - behindert wird, dann haben wir die Pflicht, im Interesse der arbeitsuchenden Menschen diese Behinderungen zu beseitigen.
({9})
Ausschließlich diesem Ziel dienen die von der Koalition eingebrachten und bereits verabschiedeten Gesetze zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung. Dies ist keine Politik, wie Oskar Lafontaine am Freitag vor acht Tagen behauptet hat, zum Abbau der Arbeitnehmerrechte und keine Politik der sozialen Ungerechtigkeit, sondern eine Politik zur Sicherung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
({10})
Im übrigen, hebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, ist die Frage der sozialen GeJoachim Hörster
rechtigkeit nicht nur die Frage danach, wer etwas bekommt, sondern auch die Frage danach, wem ich etwas berechtigterweise von dem von ihm Erarbeiteten abnehmen darf, um es einem anderen zu geben. Jede Beitragsmark, zum Beispiel in der Krankenversicherung, die ich einem Arbeitnehmer abnehme, um sie einem zu geben, der unberechtigterweise krankfeiert, ist dem Fleißigen zu Unrecht abgenommen und damit eine soziale Ungerechtigkeit.
({11})
Solche Sachverhalte haben sich noch öfter in unser Sozialversicherungssystem eingeschlichen. Deswegen müssen wir schon unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten darauf achten, daß die Beitragszahler nur so viel Geld abgenommen bekommen, wie es erforderlich ist, um demjenigen zu helfen, der sich selbst nicht helfen kann.
Am 26. April sind im Plenum des Deutschen Bundestages die Beschlüsse der Koalitionsfraktionen zum Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung erörtert worden. Am 23. Mai wurden dann die Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, in der Nachfolgezeit in den Ausschüssen beraten - es hat Anhörungen gegeben -, und am 28. Juni wurden alle zur Umsetzung erforderlichen Gesetze - mit einer Ausnahme, die wir heute behandeln - verabschiedet.
Natürlich hat es in der Koalition und auch in der Union - wie könnte es in einer Volkspartei anders sein - in einzelnen Fragen Meinungsverschiedenheiten gegeben, und es ist sehr intensiv über die besten Wege zur Erreichung des gemeinsam gesteckten Zieles von mehr Wachstum und Beschäftigung diskutiert worden. Im Ergebnis aber hat die Koalition durch sehr konzentriertes Beraten und Arbeiten gehandelt und entschieden.
Der Bundesrat wird sich am 19. Juli mit unserem Gesetzespaket befassen und - so ist es angekündigt worden - den Vermittlungsausschuß in allen Fällen anrufen. Im Vermittlungsausschuß haben wir zwischen Bundesrat und Bundestag vereinbart, daß der Vermittlungsausschuß am 26. August tagen soll. Vereinbart ist außerdem, daß am 29. August eine Sitzung des Bundestages stattfindet, um die Vermittlungsergebnisse zu beraten, und am 6. September eine weitere Sitzung des Bundesrates. Die angekündigten Einsprüche des Bundesrates wird die Koalition in der Haushaltswoche des Bundestages, spätestens am 13. September, zurückweisen. Das ist der Fahrplan.
Ich habe diese Daten einfach deswegen genannt, um deutlich zu machen, daß wir - ungeachtet einer möglichen Blockadehaltung der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat - unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung konsequent umsetzen werden.
Wir sind uns über die Zustände bei den Sozialdemokraten im klaren. Wir wissen, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion zum Beispiel bei der Sozialhilfereform, die inzwischen verabschiedet ist,
zunächst die Ellenbogengesellschaft und die soziale Kälte beklagt und auf der Drucksache 13/2442 sogar die vollständige Zurückziehung des Gesetzentwurfes verlangt haben, um dann - je nach Interessenlage der sozialdemokratisch regierten Länder - genau das zu beschließen, was sie vorher für unerträglich gehalten haben.
({12})
Ich will, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nur die Behandlung des Themas Ladenschluß, das von Ihnen völlig unnötigerweise zu einer Machtprobe im Deutschen Bundestag hochstilisiert worden ist, durch die sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat in Erinnerung rufen, wo man Sie ebenfalls im Regen stehengelassen hat.
({13})
Beim Programm der Koalition für mehr Wachstum und Beschäftigung geht es uns um ein zentrales, ja um ein existentielles Anliegen: um die Erhaltung der Sozialen Marktwirtschaft und eines breiten Wohlstandes in unserer Gesellschaft. Wir sind uns darüber im klaren - dies steht auch im Einklang mit der Bewertung durch die Bevölkerung -, daß wir als Koalition mangels Handlungsfähigkeit der Opposition und der sozialdemokratisch regierten Ländermehrheit diese Aufgabe im wesentlichen alleine werden bewältigen müssen.
Dennoch habe ich die Hoffnung, daß gerade die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen -wenn der massive Arbeitsdruck der letzten Sitzungswochen etwas nachgelassen hat - Gelegenheit finden, sich mit der Idee eines Mannes auseinanderzusetzen, der am 18. Juni bei seinem Besuch in Deutschland eine Reform des Sozialstaates geradezu programmatisch gefordert hat, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und der die Entscheidungssituation, auch der deutschen Politik, so beschrieben hat:
Man muß sich entscheiden, ob man den Sozialstaat reformieren oder den Niedergang der Volkswirtschaft verwalten will.
Ich denke, daß der Vorsitzende der britischen Labourpartei, Tony Blair, mit der Definition der Entscheidungssituation, vor der wir jetzt stehen, den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
({14})
Wir haben uns entschieden: Wir wollen den Sozialstaat reformieren, damit unsere Volkswirtschaft leistungsfähig und zukunftssicher bleibt. Ich fordere die Opposition in diesem Hause und die sozialdemokratische Bundesratsmehrheit auf, gemeinsam mit uns im Interesse der Menschen diesen Weg zu gehen und die notwendigen Entscheidungen nicht zu blokkieren.
({15})
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich mich ganz kurz an Sie, Herr Scharping, wenden: Wir freuen uns, daß
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Sie nach Ihrem schweren Unfall genesen sind und wieder unter uns sind, daß Sie wieder dabeisein können.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rudolf Dreßler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zum Thema „Tarnen und Täuschen der Bundesregierung" eine Vorbemerkung: Mein Vorredner hat gerade den Fraktionsvorsitzenden der SPD kritisiert, er habe unwahre Behauptungen über die Absichten der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung geäußert. Vor mir hegt die Kopie eines Schreibens des Bundeskanzleramtes an einen Bürger unseres Staates vom 2. Mai 1996. Ich darf Ihnen auszugsweise aus diesem Brief des Bundeskanzleramtes zitieren:
In den nächsten 15 Jahren verläuft nach den Vorausberechnungen die Finanzentwicklung in der Rentenversicherung besser, als bei den Beratungen der Rentenreform 1992 im Jahre 1989 vorausgeschätzt worden ist, und dies trotz der zusätzlichen Belastungen durch die Wiedervereinigung.
Der Text geht wie folgt weiter:
Es gibt daher überhaupt keinen Grund, von der mit dem Rentenreformgesetz 1992 beschlossenen Linie abzuweichen
({0})
und die konzeptionellen Grundlagen des Renten-versicherungssystems zu ändern.
({1})
Soweit zum Thema „Tarnen und Täuschen". Es war der 2. Mai 1996. Heute zählen wir Anfang Juli. Genau diese Grundlagen des Renten Versicherungssystems, von dem das Bundeskanzleramt dem Bürger unseres Staates am 2. Mai versicherte, es werde nichts geändert, werden heute von der Koalition auf den Kopf gestellt.
({2})
Die Annahme des Gesetzes, über das der Bundestag heute abschließend berät, wird viele Bürgerinnen und Bürger hart treffen. Es wird manche menschlichen Härten geben. Gewiß, der Gesetzgeber kann Enttäuschungen und Beschädigungen nie ausschließen. Es ist parlamentarischer Alltag, den einen etwas wegzunehmen, um den anderen etwas geben zu können. Die Zeiten, in denen Sinn und Absicht des Ausgleichs durch den Gesetzgeber zumeist nachvollziehbar waren, sind allerdings vorbei. Nach der sogenannten Wende mit ihrer angeblich geistig-moralischen Erneuerung wurde oft den eigentlichen Leistungsträgern der Gesellschaft etwas genommen, um es anderen zu geben, die es nicht mehr nötig hatten.
({3})
Das ist nichts anderes als Umverteilungspolitik von
unten nach oben. Ich nenne es eine „ Günstlingspolitik".
({4})
Jetzt, meine Damen und Herren, werden die Lasten der Krise in der Wirtschaft, der Krise auf dem Arbeitsmarkt, die vielen Lasten aus der verfehlten Regierungspolitik und der daraus folgenden Krise in den beitragsfinanzierten Systemen der sozialen Sicherheit gesellschaftlich inakzeptabel verteilt. Das Gesetz, das der Bundestag heute beschließen soll, heißt zwar „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz", tatsächlich müßte es lauten: Gesetz zur Beschleunigung von Ausgrenzung und Unfrieden.
({5})
Es wird zum Beispiel Arbeitslose und Kranke treffen, weil deren beschäftigungslose Zeiten keine Berücksichtigung bei der Rente mehr finden. Mit solchen Maßnahmen will die Regierung Wachstum induzieren, sogar mehr Beschäftigung bewirken! Wer soll das eigentlich glauben? - Das Gesetz wird jene hart treffen, die ohne berufliche Rehabilitation nicht mehr auf die Beine kommen; denn der Rechtsanspruch auf entsprechende Leistungen soll beseitigt werden. Das heißt: Über die berufliche Rehabilitation entscheidet künftig der Finanzminister, nachdem er sich den Stand der Bundeskasse angeschaut hat. Ich nenne das kaltherzig und widersinnig zugleich. Denn die Wiederherstellung von beruflicher Leistungsfähigkeit sollte in einem Land, das so existentiell auf das Können der Arbeitnehmerschaft angewiesen ist wie Deutschland, alleroberste Priorität haben.
({6})
Daß es übrigens anders geht, beweist der Finanzminister in der Steuerpolitik. Zur weiteren beruflichen Rehabilitation bereits außerordentlich reicher Zeitgenossen möchte er nämlich die Vermögensteuer ohne Federlesen streichen. Im Rheinland gibt es für dieses Vorhaben einen sehr simplen Erklärungssatz; er lautet ohne mundartliche Einfärbung: Wir kennen uns; wir helfen uns. - So einfach ist das, meine Damen und Herren.
({7})
Ferner sollen ab 1997 die Lohnersatzleistungen der Bundesanstalt für Arbeit eingefroren werden. Nur wenig aus dem Angebotskatalog der Bundesregierung ist entlarvender als diese Maßnahme. Denn sie hilft der Arbeitslosenversicherung in keiner Weise; sie dient ausschließlich der Absicht des Bundes, sich der gesetzlichen Pflicht zu entziehen, Defizite der Bundesanstalt abzudecken.
({8})
Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung ist Irrsinn mit Methode.
({9})
Die Bundesregierung hat im Haushalt 1996 rund 4,3 Milliarden DM berücksichtigt, um bei der Bundesanstalt für Arbeit Löcher zu stopfen. Die Arbeitgebervertreter in der Selbstverwaltung - die Arbeitgebervertreter! - rechnen hingegen für 1996 mit einem Defizit von 11 bis 12 Milliarden DM. Das heißt: 7 bis 8 Milliarden DM werden fehlen. 1997 wird sich nach Schätzung der Experten in der Selbstverwaltung ein Defizit von ähnlicher Größenordnung wie 1996 auftürmen. Rechnet man dagegen, was die Regierung durch Kürzungen an Leistungen 1997 wegzuschneiden gedenkt, bleibt auch im nächsten Jahr ein Defizit von 7 Milliarden DM. Ich bezweifle, daß diese Fakten den Koalitionsfraktionen vom Sozialminister und vom Finanzminister deutlich gemacht worden sind. Anderenfalls könnten sie unmöglich heute sehenden Auges ein solches Milliardendefizit mit ihrem Handaufheben auf die Reise bringen.
({10})
In den Jahren zwischen 1990 und 1996 belief sich der jahresdurchschnittliche Bundeszuschuß auf knapp 8 Milliarden DM. Trotz der seit 1992 beinahe regelmäßig erfolgten Kürzungsoperationen liegt der Zuschußbedarf in den Jahren 1996 und 1997 zwischen 7 und 8 Milliarden DM. Erreicht hat der Bundesfinanzminister, gemessen an den eigenen Zielvorgaben, fast nichts. Er hat lediglich nebenbei - unter tätiger Mithilfe des Bundesarbeitsministers - die Arbeitsförderung zerschlagen.
Die Folgen des Gesetzes, das wir heute abschließend beraten, werden vor allem ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu spüren bekommen, die nämlich darauf vertraut haben, daß der Staat über ihre bereits erworbenen Rentenanwartschaften sorgsam wachen würde. Das ist nicht der Fall, obgleich der Bundeskanzler im März 1996 in einer sowieso schon skandalösen Briefaktion älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern persönlich und individuell versichert hatte - ich zitiere -: „Sie können sich darauf verlassen: Ihre Rente ist und bleibt sicher."
Ohne ausreichende Übergangsfristen ist die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein schlimmer Eingriff, ein Vertrauensbruch.
({11})
Dieser Eingriff wird Hunderttausenden in unserem Land die der gesetzlichen Rentenversicherung noch uneingeschränkt positiv gegenüberstehen, die Akzeptanz nehmen.
Meine Damen und Herren, gewiß - das lesen wir auch -: Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sieht Land und Wirtschaft durch die erwähnten Maßnahmen auf einem guten Weg. „Auf einem Weg wohin?", frage ich. Ausgerechnet
Vertreter der Großindustrie müssen Regierung und Koalition als Kronzeugen dienen, um vom Nutzen des heute debattierten Gesetzes zu überzeugen. Das sollen die Gefährten in eine bessere Zukunft sein? Ich kenne andere, die mehr von der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstehen als diese Industriekapitäne, die sich um die Wohlfahrt dieses Landes in den letzten Monaten in keinem Interview auch nur andeutungsweise besorgt gezeigt hätten.
({12})
Als Ziel der Rentenoperation wird Wachstum und Beschäftigimg unterstellt. Tatsächlich geht es um etwas anderes. Es geht der Bundesregierung darum, den Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung um jeden Preis möglichst eng an der 20-Pro-zent-Marke zu halten. Daher ist absehbar, daß die Bundesregierung die vorgezogene Rente bei Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit wegen Arbeitslosigkeit beseitigen will.
Mit den Händen zu greifen ist, daß die Bundesregierung in den Rentenbestand hineinschneiden will. Ich habe das sogenannte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz gedanklich durch jene Punkte ergänzt, für die in der Regierung bereits Vorarbeiten angelaufen sind. Regierung und Koalition sollten gar nicht erst versuchen, meine Worte zu dementieren. Denn in der Rentenpolitik kommt alles ans Tageslicht. Die Rentenpolitik ist anders organisiert als der Bereich der Geheimdienste. Sie ist demokratisch, offen und gläsern im Vergleich zu anderen Politikbereichen. Lügen in der Rentenpolitik haben sehr kurze Beine, meine Damen und Herren.
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Es ist unüberhörbar, daß in der CDU/CSU-Fraktion bereits unterdrückter Zorn und zurückgehaltene Erbitterung spürbar sind, weil man veranlaßt wird, einem Gesetz, dem man mißtraut, zuzustimmen; einem Gesetz, das ideologische Begründungen erfahren hat, die einen nur schaudern lassen. Eine Ideologie dieser Art ist jene, die die Staatssekretärin in der Regierung Kohl, Frau Christa Thoben, verbreitet. In der „Wirtschaftswoche" wurde sie gefragt, ob die geplante Abmagerungskur des Sozialsystems Nutznießer zur radikalen Umstellung zwinge. Frau Thoben antwortete:
Das Angebot war zu großzügig gestrickt und hat zur Benutzimg eingeladen.
In der letzten Antwort dieses Interviews formulierte die Staatssekretärin der Regierung Kohl auf die Frage des Magazins, ob der Leidensdruck für einschneidende Änderungen erst groß genug sein müsse:
In einer christlich-demokratischen Partei darf man es auch so ausdrücken: Not lehrt beten.
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Das Wort „Not lehrt beten" ist in meinem Sprachgebrauch für Schicksalschläge, zum Beispiel für Kriegsfolgen, reserviert. Im vorhegenden Fall geht es darum, Rechtsansprüche zu beseitigen, durch Gesetz verbriefte Leistungen zu verringern und mit dem so gesparten Geld die Abschaffung der Vermögensteuer zu bezahlen.
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Ich sage Ihnen: Ich halte es für frontal gegen den menschlichen Anstand gerichtet, in einem solchen Zusammenhang christliche Gedanken zu nutzen.
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Wer einem Arbeitslosen, der nach lebenslanger Arbeitszeit in die Sozialhilfe fällt, empfiehlt, zu beten, damit es ihm besser geht,
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verläßt den Rahmen, innerhalb dessen eine Verständigung möglich ist. Das ist eine Art fehlgeleiteter Fundamentalismus, der beim besten Willen nicht mehr tolerierbar ist.
({18})
Ich fordere niemanden in der Koalition auf, sich dem veranlaßten Kurs zu entziehen. Ich bitte in diesem Zusammenhang lediglich darum, einmal folgendes zu überlegen: Kann ein Gesetz vernünftig sein, von dem drei Dinge klar feststehen?
Erstens. Es mißachtet auf elementare Weise das Vertrauen von Hunderttausenden in Staat und Sozialversicherung. Vertrauen in die Verläßlichkeit der Institutionen ist das entscheidende, unerläßliche Gegenstück zu den Risiken in der Gesellschaft, die unabhängig von persönlichem Wollen und Wünschen existieren. Ist das eigentlich so schwierig zu begreifen?
Ich will die CDU/CSU-Abgeordneten in diesem Zusammenhang an ein Wort des Bundessozialministers erinnern. Er sagte einmal sinngemäß: Das Brett vor dem Kopf sei kein Fernglas.
Zweitens. Das Gesetz ist lediglich Etappenziel auf dem Weg, der in ein anderes Gesellschaftsmodell führt, ein Modell, in dem die ethischen und sozialen Quellen von CDU und CSU nicht mehr fließen werden.
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Drittens. Es ist ein Gesetz, das weder Wachstum noch mehr Beschäftigung schaffen wird. Nennenswert mehr Wachstum und mehr Beschäftigung wird es erst wieder geben, wenn die Unternehmen sehen, daß der Absatz steigen wird, und wenn die Unternehmen endlich auf breiter Front der Aufgabe nachkommen, sich umfassend von der Zulieferung bis zum Kundenservice zu modernisieren.
Das vorliegende Gesetz, meine Damen und Herren, ist dazu kein Beitrag. Es ist vielmehr ein Beitrag,
die Mahnung von Friedrich Schorlemmer an uns alle zu ignorieren, die er anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auf ebenso einfache wie eindringliche Weise beschrieben hat: „Eine Gesellschaft, die sich tendenziell in Arme und Reiche spaltet, wird für sich selbst gefährlich."
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Als nächster hat der Abgeordnete Matthias Berninger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Hause sitzt niemand, der nicht anerkennt und weiß, daß wir alle mit dem Problem viel zu hoher Arbeitslosigkeit hart zu kämpfen haben. Auch bezweifelt niemand, daß die meisten Schwierigkeiten, die wir diskutieren, letztendlich nur dann wirklich lösbar sind, wenn wir das Problem zu hoher Arbeitslosigkeit und zu geringer Beschäftigung in diesem Land lösen.
Herr Hörster, Sie haben noch immer nicht verstanden, warum die Opposition so gegen diese Sparvorschläge anrennt. Sie tut dies nicht, weil sie etwa nicht erkannt hätte, daß wir ein Problem mit dem Rentensystem haben, bei dem immer weniger Leute Rentenbeiträge zahlen und immer mehr Leute einen eigentumsähnlichen Anspruch auf Rente haben. Unser Problem ist nicht, daß wir dies als eine politische Schwierigkeit nicht anerkennen würden, die wir dringend lösen müssen. Unser Problem ist, daß hier etwas auf Kosten von Leuten geschieht, denen es in diesem Land ohnehin nicht gutgeht.
Die Maßnahmen, die wir heute diskutieren, schränken entweder die Möglichkeiten von Behinderten ein, wieder in den Beruf zurückzukehren, oder sie verschlechtern die Bedingungen für Arbeitslose und für Kranke, später eine relativ gute Altersversorgung zu bekommen, noch mehr. Das heißt, Ihre Logik besteht darin, das Dogma möglichst niedriger Rentenbeiträge dadurch durchzusetzen, daß Sie bestimmte Leistungen der Rentenversicherung, auf die wir eigentlich stolz sein sollten, systematisch abbauen. Diesem Dogma werden wir nicht folgen.
({0})
Wenn wir dieses Problem ernsthaft in den Griff bekommen wollen, dann muß man - das sagen auch viele Ihrer Kollegen, vor allem der jüngeren Kollegen in Ihrer eigenen Fraktion - darüber nachdenken, wie man beispielsweise die demographische Entwicklung, die, wenn die Arbeitsmarktdaten vernünftig wären, der entscheidende Punkt für die Beibehaltung des jetzigen Rentensystems wäre, oder die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in die Rentenformel einbeziehen kann. Man muß sicherlich darüber nachdenken, wie man grundsätzlich im Rentensystem Reformen voranbringt. Sie aber haben in den Monaten seit den Wahlen im März keineswegs solche grundsätzlichen Reformen in die Wege geleitet,
keineswegs Innovationen in das Rentenversicherungssystem eingebracht, sondern systematisch Leistungen bei denen abgebaut, denen es in diesem Land ohnehin schlechtgeht.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sofort beginnen, darüber zu diskutieren, wie letzten Endes alle einen Teil dazu beitragen können, daß dieses Rentensystem zukunftsfähig bleibt. Auch die älteren Menschen in diesem Land gehören dazu. Ich bin sehr sicher, daß die alten Leute in diesem Land bereit sind, einen Beitrag zu leisten. Es ist nämlich nicht so - wie Politik glauben machen will -, daß ältere Leute grundsätzlich egoistisch an ihren Renten festhalten würden. Es ist vielmehr so, daß sie bereit sind, für Jüngere auch etwas abzugeben. Nur hat zur Zeit niemand den Mut, dies anzusprechen.
Wenn die Bundesregierung schon so vollmundig sagt, daß sie diesen Sozialstaat reformieren will, dann fordere ich sie auf, endlich eine Antwort auf die Frage zu geben, warum sie sich nicht traut, den Älteren zu sagen, wo es Schwierigkeiten gibt, warum die Rente mit Blick auf diese Generation einerseits ein solches Dogma ist und warum auf der anderen Seite bei den Jüngeren die Einschnitte vorgenommen werden. Das ist ein Punkt, den ich nicht verstehe und durch den dieses Rentensystem nicht reformiert wird.
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Vor ein paar Wochen haben wir darüber diskutiert, was für ein Irrsinn das Vorhaben ist, die Kostenübernahme für den Zahnersatz für Leute, die heute noch nicht 18 Jahre alt sind, komplett zu streichen, während man für den Rest der Gesellschaft diese Leistungen der Krankenversicherung beibehält. Das heißt, man versucht auf Kosten einer jüngeren Generation zu sparen und mutet es den Älteren nicht zu, Einschnitte hinzunehmen. Für mich ist dies insofern ein typisches Zeichen dafür, wie diese Regierung im Rahmen ihres Sparpaketes handelt, als man der jüngeren Generation gesagt hat: Putzt euch mal fein die Zähne! Und den Älteren hat man gesagt: Für euch kommt es zu keinen Veränderungen. So werden wir die Probleme in diesem Land nicht lösen.
Bei Ihren Vorschlägen bezüglich der Renten gibt es eine Maßnahme, die für den Rentensystematiker oder die Rentensystematikerin vielleicht sinnvoll sein könnte. Sie sagen, daß Studenten, wenn sie ein Beschäftigungsverhältnis über 590 DM haben, in Zukunft sozialversicherungspflichtig sein sollen, das heißt ganz normal ihren Anteil an Beiträgen in die Rentenversicherung einzahlen sollen. Das ist in der Debatte bisher untergegangen.
Die Konsequenzen aber werden sich massiv auswirken. Zum einen bedeutet das, daß für Leute, die heute studieren, die Möglichkeiten, Geld zu verdienen, noch weiter eingeschränkt werden, nämlich genau um diesen 10prozentigen Anteil, den sie in Zukunft als Beiträge zu zahlen haben. Zum anderen wird es zum Beispiel für Universitäten massiv negative Folgen haben, da die natürlich den Arbeitgeberanteil zahlen müssen. Das heißt, die Personalbudgets für studentische Hilfskräfte an Universitäten reduzieren sich um genau diesen Arbeitgeberanteil. Das
wird dazu führen, daß die Bedingungen für Studenten noch schlechter werden.
Ich führe das deshalb aus, weil ich glaube: Wenn wir Leistungen nicht massiv einschränken wollen, dann muß eine junge Generation in die Lage versetzt werden, dieses Rentensystem auch wirklich tragen zu können. Das müßte zur Folge haben, daß man das, was die finnische Regierung in einer, wie ich finde, sehr denkwürdigen Regierungserklärung vorgeschlagen hat, in die Tat umsetzt. Die Finnen haben nämlich gesagt: Wir müssen sparen, und deswegen bleiben uns nur noch Investitionen in die Bildung. Bei uns ist es so: Wir sparen, sparen und sparen, und es kommt nicht ein Funken Innovation heraus. Es werden Leistungen abgebaut,
({2})
die Leute treffen, die das eigentlich gar nicht schultern können.
Ich weise auf die Symbolik hin, die dahintersteckt. In diesem Zusammenhang wird die Streichung der Vermögensteuer immer wieder erwähnt. Den von dieser Entlastung Betroffenen wird gesagt: Investiert euer Geld irgendwo. Gleichzeitig wird denjenigen, denen es wirklich schlechtgeht, gesagt: Ihr seid letzten Endes Schmarotzer. Das ist im Kern die Botschaft, wenn man sich etwa Ansprachen von Regierungsvertretern bei größeren Sportveranstaltungen anhört. Das halte ich wirklich für eine Unverschämtheit.
({3})
Ich glaube auch, daß das unlogisch ist; denn diese Entlastung von Vermögen wird selbst nach Ihrer Ideologie nicht die Konsequenz haben, die Sie ursprünglich einmal angenommen haben, nämlich daß diese Wohlhabenden in diesem Land etwas investieren. Tatsächlich hat die Politik der Regierung Kohl die Investitionsbedingungen in diesem Land eher verschlechtert. Die Vermögenden, die Sie auf Kosten der Ärmeren entlasten, werden ihr Geld an anderer Stelle, in anderen Volkswirtschaften investieren. Damit nutzen sie dem Sozialstaat der Bundesrepublik überhaupt nichts.
Deswegen werden wir, meine Damen und Herren, weder der Logik des Sparpakets folgen noch den ihr folgenden Änderungen im Rentensystem zustimmen.
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Als nächster spricht der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seitdem ich dem Bundestag angehöre, hat es in der parlamentarischen Sommerpause immer eine Sondersitzung gegeben. Man könnte es sich deshalb leichtmachen und die heutige Veranstaltung unter dem Thema „Parlamentarische
Tradition" abhaken. So einfach aber hegen die Dinge heute nicht.
Es ist ein Fehler passiert - nur vordergründig in einem Ministerium. Aber auch dort arbeiten Menschen. Zu jedem menschlichen Tun gehört es, daß es zu Fehlleistungen kommen kann.
Der Präsident des Bundes der Steuerzahler irrt, wenn er heute mitteilt, daß uns das parlamentarische System keinen anderen Weg aufgezeigt habe. Dieser Fehler wäre heilbar gewesen. Wir hätten in der letzten Sitzungswoche unter Verzicht auf die Wahrung der Frist auch dieses Gesetz beschließen können und müssen.
({0})
Jeder, der sich objektiv dem Thema nähert, kommt nämlich um die Feststellung nicht herum, daß es sich bei dem in Rede stehenden Art. 9 des Wachstumsund Beschäftigungsförderungsgesetzes um eine Marginalie handelt, die den materiellen Inhalt des Gesetzes nicht, aber auch überhaupt nicht berührt.
({1})
Eine sofortige Abstimmung hätte in keiner Weise Rechte der Opposition tangiert.
({2})
Eine Nebensächlichkeit - ich wiederhole: eine Nebensächlichkeit - dient der Opposition dazu, den Bundestag in der Sommerpause nach Bonn rufen zu lassen. Dies ist die wirkliche Fehlleistung.
({3})
In einer Zeit, in der alle aufgerufen sind, sparsam zu handeln, um dieses Land zukunftsfähig zu machen, läßt die Opposition bei einer solchen Marginalie die Muskeln spielen - wie erbärmlich!
({4})
Da, wo die Opposition sich darstellen könnte, erleben wir statt dessen eine Nullnummer nach der anderen. Das gilt insbesondere für den Ladenschluß. Was haben wir zu Beginn der letzten Woche nicht alles hören können und müssen!
({5})
Am Freitag hat sich gezeigt: Die Opposition hat auch hier die Modernisierung unseres Landes nicht aufhalten könnnen.
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Es ist übrigens interessant, daß sich insbesondere die rot-grünen Landesregierungen gegen die Liberalisierung gestemmt haben. Das macht deutlich, wie weit sich gerade die Grünen von dem Lebensgefühl
insbesondere der jungen Menschen in unserem Lande entfernt haben.
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Was die Sparvorstellungen der Ministerpräsidenten anbelangt: Auch da haben wir in der letzten Woche miterleben müssen, daß wir wiederum nichts hören. Unser Land braucht Reformen wie den Ladenschluß, nicht Mätzchen wie diese, welche die Sondersitzung notwendig gemacht haben.
Wir werden, wir müssen an unserem Reformkurs für dieses Land festhalten. Deshalb möchte ich natürlich auf die wichtigsten Teile des heute zu verabschiedenden Gesetzes eingehen.
Die in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehenen Maßnahmen orientieren sich an dem Grundsatz, die spätere Rentenhöhe verstärkt an den geleisteten Beiträgen auszurichten. Unter diesem Gesichtspunkt ist es folgerichtig, die Anerkennung von Ausbildungszeiten in der Rentenversicherung zurückzuführen.
Angemessen ist es in diesem Zusammenhang vor allem auch, die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz zu reduzieren. So wird gewährleistet, daß Aussiedlerhaushalte beim Rentenbezug letztlich nicht besser abschneiden als andere Rentnerhaushalte in Deutschland.
Wieder einmal haben wir erkennen müssen, daß gerade die Rentenversicherung ein schwer manövrierbarer Tanker ist, bei dem das Steuer nicht leichtfertig herumgeworfen werden kann. Es gibt verfassungsrechtliche Positionen, die nur in ganz engen Grenzen zur Disposition des Gesetzgebers stehen. Darüber hinaus gibt es Vertrauenstatbestände, die, auch wenn sie vielleicht keinen Verfassungsrang genießen, vom Gesetzgeber unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu beachten sind. Kurzfristige Einsparungen sind daher nur schwer zu erzielen.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben mit dem Beschäftigungspaket neben langfristig wirkenden Maßnahmen allerdings auch Vorsorge getroffen, daß der Beitragssatz in den unmittelbar vor uns liegenden Jahren nicht nach oben schnellt. Dies geschieht, weil wir das Ziel nicht aus den Augen verloren haben, den Gesamtbeitrag zu den sozialen Sicherungssystemen unter die 40-Prozent-Marke zu reduzieren. So wollen wir mehr Mittel für unternehmerische Investitionen als Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze schaffen.
({8})
Die parlamentarischen Beratungen unter Einbeziehung der Expertenanhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben zu Änderungen in einigen wenigen Punkten geführt. Besonders umstritten war das Vorziehen der Anhebung der Altersgrenze für Frauen. Statt wie ursprünglich im Beschäftigungspaket vorgesehen, beginnen wir hiermit nicht bereits 1997, sondern erst im Jahre 2000. Gegenüber den im Rentenreformgesetz 1992 vorgesehenen Regelungen bedeutet dies, daß wir mit der Anhebung nur ein Jahr früher beginnen als dort geregelt. Dies scheint
mir auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten angemessen zu sein.
Auch in einem anderen Punkt hat die Koalition reagiert. Zwar bleibt es bei dem Grundsatz, daß Rehabilitationsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz künftig als Kann-Leistung und nicht länger als Muß-Leistung von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt werden. Einen Rechtsanspruch auf diese Rehabilitationsleistungen behalten jedoch Schwerbehinderte und andere Personen, die diese besonders dringend brauchen. Damit ist gewährleistet, daß die Rehabilitationsmittel in diesem Bereich gezielt denen zugute kommen, die wirklich hilfsbedürftig sind.
({9})
Das Einsparvolumen insgesamt wird hierdurch nicht geschmälert.
Die jetzt eingeleiteten Maßnahmen können nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Gerade die F.D.P. begrüßt daher die Einsetzung einer Kommission unter Vorsitz des Bundesarbeitsministers, die notwendige Lösungen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf die demographische Entwicklung erarbeiten soll. Rentenrecht muß ebenso lebendig bleiben wie die Gesellschaft. Wir müssen rechtzeitig handeln, um die Rentenversicherung den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Dieses Gesetz ist ein erster und notwendiger Schritt dazu.
Vielen Dank.
({10})
Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr van Essen, ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie etwas zum Anlaß dieser Sondersitzung gesagt haben. Ich finde, daß es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen.
Ursprünglich hatten Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen, die Renten für Aussiedlerinnen und Aussiedler, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Rentenalter eintreten, zu kürzen. Dann haben Sie festgestellt, daß es Ausnahmefälle geben kann, in denen jemand, schon bevor er in das Rentenalter eintritt, seinen Festsetzungsbescheid hat und damit Vertrauensschutz genießt, so daß dessen Rente nicht mehr gekürzt werden kann. Daraufhin kamen Sie auf die Idee, einen Zusatz in das Gesetz aufzunehmen, wonach auch diese Festsetzungsbescheide nachträglich überprüft werden können.
Nachdem dieser Zusatz im Gesetzentwurf stand, haben Sie festgestellt, daß dadurch eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich werden würde. Da Sie dem Bundesrat nicht trauen, wollten Sie diese Zustimmungspflicht auf jeden Fall verhindern und haben diese Regelung wieder herausgenommen. Damit
waren alle Fristen überschritten. So kam es zu dieser Sondersitzung.
Das Interessante daran ist folgendes: Wenn diese Regelung geblieben wäre, hätten Sie maximal 50 000 DM eingespart. Diese Sondersitzung soll mindestens 300 000 DM kosten. So sieht es aus, wenn diese Bundesregierung spart.
({0})
Sie will 50 000 DM sparen und verursacht Kosten von 300 000 DM. Der Sparvorschlag gelingt dennoch nicht. Das ist die Realität in diesem Hause, und deshalb sitzen wir alle heute hier.
({1})
Nun aber zu dem eigentlichen Anlaß. Immer wieder wird behauptet, daß die geplanten Sozialkürzungen enorme Schübe bei Investitionen und bei der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen verursachen würden. Nichts dergleichen ist wahr. In Wirklichkeit reduzieren Sie ständig die Kaufkraft gerade der sozial Schwachen und der Lohnabhängigen. Auf diese Weise verursachen Sie einen Dienstleistungsund Produktionsrückgang und somit mehr Arbeitslosigkeit.
In diesem Zusammenhang tritt eine politische Moral zutage, die einfach nicht mehr zu fassen ist. Der Bundeskanzler erklärt nach der Fußball-Europameisterschaft, daß es toll anzusehen war, wie sich kranke Fußballer noch auf das Feld schleppen, wohingegen andere Arbeitnehmer bei jedem Husten zu Hause bleiben. Dazu sage ich Ihnen: Wer bekommt denn für ein Spiel 250 000 DM? Dafür würde sich auch manch anderer Kranker in den Betrieb zwingen.
({2})
Ich glaube, daß hier Unvergleichliches miteinander verglichen wird.
Auch Herr Hörster hat heute von denen gesprochen, die krankspielen. Sie machen aber doch Regelungen für alle! Sie treffen mit Ihren Regelungen in erster Linie die Schwerkranken. Das ist das eigentlich Schlimme an Ihrem Gesetzespaket.
({3})
Nun haben Sie, Herr Hörster, darauf hingewiesen, daß sich die SPD widersprüchlich verhält, daß sie letztlich der Sozialhilfekürzung doch zustimmt und daß auch SPD-regierte Länder im Bundesrat ja zum Ladenschluß sagen. Das ist leider alles wahr, macht aber Ihre Maßnahmen um keinen Deut besser.
({4})
Worum geht es diesmal in erster Linie? Es geht um die im Jahr 2000 beginnende, schrittweise Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen auf das Alter von 65 Jahren. Das ist ein Rückfall in das Jahr 1913! 1913
wurde das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre festgelegt. Danach war unser Land schon wesentlich weiter. Sie wollen zurück zum Jahr 1913, und zwar beginnend ab dem Jahr 2000. Sie legen eine Rückwärtsfahrt ein. Das ist eine Mißachtung der Frauen. Sie wissen ganz genau, daß Frauen nach wie vor doppelt und dreifach belastet sind. Darin hegt doch der Grund, daß sie früher in Rente gehen können. Diese Belastung negieren Sie einfach, indem Sie das Rentenalter von Frauen heraufsetzen.
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Letztlich bezwecken Sie damit doch nur eine Rentenkürzung. Wenn Sie nämlich fünf Jahre weniger Rente bezahlen müssen, dann ist das eine glatte Rentenkürzung. Das ist das Ziel Ihres Gesetzes.
Und dann sagen Sie mir doch einmal - fünfmal hat es Herr Hörster hier behauptet -, das Ganze diene der Schaffung von Arbeitsplätzen! Welcher einzige Arbeitsplatz entsteht denn dadurch, daß Frauen fünf Jahre länger arbeiten müssen? Im Gegenteil: Sie verwehren damit den Jungen den Zugang zu den Arbeitsplätzen. Sie sind doch schon in diesem Jahr nicht in der Lage, Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen.
({6})
Sie machen mit dem Gesetz noch etwas: Sie greifen in die Selbstverwaltung der Träger der Rentenversicherung ein, indem Sie sie zwingen, das Tafelsilber zu verkaufen. Herr Bundeskanzler, ich denke, es ist eine faktische Enteignung, wenn Sie die selbstverwalteten Versicherungsträger zwingen, ihr nicht liquides Vermögen zu verkaufen. Dann mißtrauen Sie denen auch noch so sehr, daß Sie nicht einmal glauben, daß sie ein Gesetz einhalten, und schicken ihnen einen Staatskommissar - so was hat man letztmalig 1917 gehört - zur Durchsetzung Ihrer Gesetze in die Versicherungssysteme. Das finde ich schon ein ziemlich starkes Stück.
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Ich appelliere nicht nur an die ostdeutschen, sondern aus Solidaritätsgründen auch an die westdeutschen Abgeordneten in diesem Hause: In der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs heißt es, daß die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie für Umschulung und Fortbildung im Osten stark reduziert und auf Westniveau nach unten angeglichen werden sollen. Sie wissen, was das für den Osten bedeutet. Allein im nächsten Jahr sollen die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten um 1,7 Milliarden DM gekürzt werden und bis zum Jahre 2000 um insgesamt 9,5 Milliarden DM. Damit zerstören Sie das gesamte Arbeitsbeschaffungssystem in den neuen Bundesländern. Dieser zweite Arbeitsmarkt ist zwar nicht schön, aber wir sind dringend darauf angewiesen, weil Sie ansonsten Millionen in die nackte Arbeitslosigkeit entsenden.
({8})
Deshalb haben wir dazu einen Entschließungsantrag eingebracht. Ich hoffe, daß es genügend Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit uns zusammen verlangen, daß darüber namentlich abgestimmt wird. Ich möchte nämlich in erster Linie - aber nicht nur -von den ostdeutschen Abgeordneten wissen, wie sie zu dieser Frage stehen, ob sie die Beseitigung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Osten mittragen. Übrigens ist auch das eine Maßnahme, die sich zu einem großen Teil gegen die Frauen richtet, weil sie nämlich auf diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angewiesen sind. Wir werden es nachher bei der Abstimmung sehen.
({9})
Als nächster hat der Kollege Eduard Oswald das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht um den Abbau des Sozialstaates, unseren Sozialstaat, zu dem wir uns bekennen,
({0})
sondern es ist Pflicht sozial gerechter Politik, immer wieder kritisch zu fragen: Was können wir uns leisten, ohne unser System zu überfordern? Wir können uns nicht mehr leisten, als wir als Gesellschaft leisten.
({1})
Die Frage lautet: Wie können wir soziale Leistungen so gestalten, daß sie zur Arbeit ermutigen? Wer arbeitet, muß mehr bekommen als derjenige, der nicht arbeitet. Diese Selbstverständlichkeiten muß man aussprechen. Ich glaube auch, daß die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande diese Selbstverständlichkeiten mitträgt.
({2})
Sparen ist für uns kein Selbstzweck. Es geht allein darum, den wirtschaftlichen Aufschwung voranzubringen und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, daß Arbeit sich lohnen muß, daß vorhandene Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden müssen.
({3})
Die größte soziale Ungerechtigkeit ist, wenn arbeitswillige Menschen keinen Arbeitsplatz finden. Wir wollen, daß junge Menschen in unserem Lande Perspektiven haben. Das ist das Ziel unserer Politik.
({4})
Herr Kollege Oswald, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Uwe-Jens Heuer?
Nein, wir wollen hier zum Ende kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, statt heute eine überflüssige Debatte notwendig zu machen, hätten Sie diesen Tag besser genutzt, um mit den Menschen draußen zu sprechen, und zwar nicht mit den Funktionären. Sprechen Sie mit den Arbeitnehmern und mit den Betriebsräten,
({0}): 350 000 waren in Bonn! Das war hochinteressant!)
die flexible Vereinbarungen mit den Unternehmen abgeschlossen haben! Sprechen Sie mit den Arbeitnehmern, die freiwillig mehr arbeiten oder zur Lohnzurückhaltung bereit sind!
({1})
Sprechen Sie vor allem mit Mittelständlern, die in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen haben und in Zukunft schaffen wollen. Die Menschen in den Betrieben wissen sehr wohl, daß jetzt tiefgreifende Veränderungen notwendig sind, um den Aufschwung voranzubringen und um Arbeitsplätze zu schaffen.
Die SPD will von den eigenen Unzulänglichkeiten ablenken. Wo ist denn das Sparpaket der Länder? Lafontaine hat es verboten. Aber in den SPD-regierten Ländern werden noch einschneidendere Maßnahmen vorbereitet. Sie trauen sich doch nicht, dies auf den Tisch zu legen. Sie haben Angst vor den Sommermedien und Angst davor, den Bürgern die Wahrheit zu sagen,
({2})
Angst vor der Schelte aus den eigenen Reihen, aus der eigenen Partei und aus den Gewerkschaften, die Sie vorher zur Demonstration ermutigt haben. Heute im Bundestag zu polemisieren, das nimmt Ihnen niemand mehr ab.
({3})
Die Menschen erwarten Entscheidungen, nicht immer nur Debatten. Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung! Hören Sie wenigstens auf den Bundespräsidenten, der am 18. Juni 1996 gefordert hat:
Wir können es uns nicht leisten, in ergebnislosen Debattenritualen zu erstarren. Wir dürfen den Anschluß nicht verlieren. Wir müssen den Aufbruch jetzt schaffen.
Herr Oswald, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Dr. Lucyga?
Nein, wir wollen zum Ende kommen.
({0})
- Sie haben doch noch Redezeit. Erzählen Sie es uns dann!
Bundesregierung und Koalition machen Ernst mit einer Politik für Arbeitsplätze. Wir verwirklichen das Bündnis für Arbeit, weil es für unser Land notwendig ist. Zukunft statt Verweigerung heißt unser Programm. Mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz wird ein weiteres Ansteigen der Lohnnebenkosten eingedämmt.
({1})
- Je lauter es in Ihren Reihen zugeht, um so sicherer bin ich, daß ich recht habe mit dem, was ich hier sage.
({2})
Ich wiederhole: Mit diesem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz wird ein weiteres Ansteigen der Lohnnebenkosten eingedämmt. Das sichert bestehende Arbeitsplätze und fördert zusätzliche Beschäftigung.
({3})
Das, worüber wir heute abstimmen, ist Teil unseres Gesamtkonzeptes. Wir treffen eine Entscheidung über die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und über Arbeitsplätze in unserem Land. Wir reagieren damit auf die weltweiten Veränderungen. Wir treffen eine Entscheidung über die Sicherheit unserer Sozialsysteme für die Zukunft. Das soziale Netz soll nicht zerschnitten, sondern reißfest gemacht werden. Dafür muß es bezahlbar bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Die Koalition stimmt dafür, die beitragszahlenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Unternehmer nicht zu überfordern, damit Arbeitsplätze hier in Deutschland und nicht im Ausland geschaffen werden.
({5})
Die Koalition stimmt dafür, den Arbeitsuchenden eine Perspektive zu geben.
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Das Schicksal der von Arbeitslosigkeit Betroffenen und ihrer Familien hegt uns am Herzen. Wir geben das alles auf den Weg, um diesen Menschen zu helfen. Deshalb ist unser Handeln entsprechend notwendig. Deswegen stimmen wir heute für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Wenn Sie schon die vergangenen zehn Tage nicht genutzt haben, meine Damen und Herren von der Opposition, dann nutzen Sie jetzt die nächsten WoEduard Oswald
chen, sich entsprechend mit diesen Fragen zu beschäftigen, um nach der Sommerpause auf den richtigen Weg zu kommen und unseren weiteren Vorlagen zuzustimmen.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Mascher.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nach diesem Bekenntnis zum Abbau des Sozialstaates des Redners von der CSU - er hat zumindest seine Rede damit eingeleitet, daß er sich dazu bekennen will - möchte ich jetzt wieder versuchen, auf das zurückzukommen, worum es heute geht.
Herr Kollege van Essen, es sind keine Mätzchen, um die es heute geht.
({0})
Es geht vielmehr darum, ob ein Gesetz zustimmungspflichtig ist oder nicht. Wenn es ein Mätzchen wäre, hätten Sie auf die Änderung verzichten können. Sie haben aber nicht darauf verzichtet.
({1})
Es ist also offensichtlich auch für Sie kein Mätzchen.
Der Bund der Steuerzahler kritisiert, daß die heutige Sondersitzung unnötig sei. Er fragt, ob nicht jemand rechtzeitig den Fehler hätte merken müssen oder können. Nur weil ein Referent einen Fehler gemacht habe, werde der Steuerzahler mit einem sechsstelligen Betrag zur Kasse gebeten. - Dazu kann ich nur sagen: Wir sind heute nicht hier, weil ein Referent einen Fehler gemacht hat, sondern wir sind heute hier, weil die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen der CDU/CSU und F.D.P. in einem beispiellosen Schweinsgalopp in drei Sitzungswochen zwei umfangreiche Gesetzespakete durchgezogen haben.
({2})
In dieser knappen Zeit, Herr Hörster, haben wir über 500 Seiten Stellungnahmen und Protokolle im Ausschuß bearbeitet. Die Ausschußarbeit war von immer neuen Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen gekennzeichnet, deren Konsequenzen und Auswirkungen auch von Ihnen offenbar nicht mehr zureichend beurteilt werden konnten.
({3})
Wenn es bei diesem Zeitdruck und einer komplizierten Gesetzesmaterie zu Fehlern kommt, dann, so
denke ich, haben das diejenigen zu verantworten, die für diesen Zeitdruck verantwortlich sind:
({4})
der Arbeitsminister, die Bundesregierung, aber auch jeder einzelne Abgeordnete der CDU/CSU und F.D.P., der es zugelassen hat, daß trotz besseren Wissens dieses Gesetzespaket nach nur dreiwöchiger Beratungszeit heute beschlossen wird. Glauben Sie doch nur nicht, daß die Menschen in den Urlaubsund Ferienwochen bis zum Herbst vergessen werden, was Sie hier heute beschließen.
({5})
Die Änderungen im Rentenrecht greifen tief in die Lebensplanung von Frauen ein, in Planungen, die im Vertrauen auf das Rentenreformgesetz 1992 gemacht wurden. Die Art und Weise, wie hopplahopp durch die Kürzung der Anrechnung von Ausbildungszeiten eine verdeckte Kürzung der Renten durchgezogen wird, beschädigt das Vertrauen in unser soziales Sicherungssystem. Aber vielleicht wird es ja billigend als die notwendige Vorarbeit für die Rentenkommission der Bundesregierung, die eine Änderung der Rentenformel erarbeiten soll, in Kauf genommen, im Klartext: eine Rentenformel, die das Rentenniveau absenken soll.
Das ganze Verfahren wird dann für den Bereich der Rentenversicherung dadurch gerechtfertigt, daß damit die akute Finanzierungskrise der Rentenversicherung gelöst würde. Wird denn durch die Anhebung der Altersgrenze bei der Rentenversicherung die Finanzkrise gelöst, wenn zirka 200 000 Arbeitsplätze weniger für junge Frauen und Männer zur Verfügung stehen? Ist das etwa der Beitrag der F.D.P. für eine frauenfreundlichere Politik?
({6})
Ich denke, das wäre ein besseres Feld als die Gedankenspielchen über die Beteiligung der Frauen in der Bundeswehr.
({7})
Durch Kürzungen der Rehabilitationsleistungen werden allein im Bereich der Bundesversicherungsanstalt 19 000 Arbeitsplätze verlorengehen. Ist das ein Beitrag, um akute Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung zu lösen?
Ich finde es bemerkenswert, daß kein Redner der CDU/CSU und F.D.P. heute eine Aktion erwähnt hat, die nach Vorstellung der Regierung rasch bares Geld in die Rentenkassen bringen soll. Der Wohnungsbestand der Rentenversicherung - 70 000 Wohnungen -, „ein wahres Juwel der Wohnungswirtschaft", soll verkauft werden.
({8})
Sowohl die Vertreter der BfA als auch die Vertreter des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger, sowohl die Vertreter der Arbeitgeber in der Selbstverwaltung als auch die Vertreter der Gewerkschaften haben erklärt, daß die Vorarbeiten für diesen Verkauf begonnen haben. Das geht aber dem Arbeitsministerium nicht schnell genug; deswegen soll die Selbstverwaltung ausgehebelt werden und ein Panikverkauf von 70 000 Wohnungen ohne Rücksicht auf die betroffenen Mieter durchgesetzt werden.
Hier wird das Vermögen der Rentenversicherung verschleudert. Das ist kein Beitrag zur Lösung der akuten Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung.
({9})
Der Kollege Oswald hat uns aufgefordert, mit den Menschen zu reden. Ich denke, jeder von uns tut das in seinem Wahlkreis. Sie hätten aber eine noch viel bessere Gelegenheit gehabt, mit ganz vielen Menschen zu reden, nämlich bei der großen Demonstration hier in Bonn. Daran haben 350 000 Menschen teilgenommen. Die, mit denen ich dabei geredet habe, die aus meinem Wahlkreis gekommen sind, haben alle sehr deutlich gemacht, daß das, was die Bundesregierung hier treibt, kein Beitrag zur Beschäftigungsförderung ist, kein Beitrag, um das Vertrauen in unsere Demokratie, in unsere sozialen Sicherungssysteme zu festigen.
({10})
Ich hätte mir gewünscht, daß die Kollegen von der CDU, der CSU und der F.D.P. die Gelegenheit genutzt hätten, mit diesen Menschen zu reden, die sich aufgemacht haben, hier gegen die Regierungspolitik zu demonstrieren.
Wenn Sie hier sehr pathetisch den Bundespräsidenten zitieren, dann kann ich Ihnen nur sagen: Auch ich habe ein Zitat des Bundespräsidenten. In einer anderen Rede hat der Bundespräsident vor der sozialen Schieflage gewarnt, die durch Ihre Politik in unserem Land eintritt.
({11})
Wenn hier gesagt wird, die Menschen erwarteten, daß gehandelt wird, dann kann ich nur sagen: Die Menschen erwarten, daß sozial gerecht gehandelt wird und daß nicht die Kleinen für die Haushaltslöcher zahlen müssen und die Großen ungeschoren davonkommen.
({12})
Ohne soziale Gerechtigkeit wird der soziale Frieden in unserem Land nicht erhalten bleiben. Das, was Sie heute beschließen, trägt nur dazu bei, die Spaltung
in unserer Gesellschaft weiter zu vertiefen. Ich kann nur hoffen, daß Sie mit den Menschen in Ihrem Wahlkreis, Herr Oswald, auch darüber reden, was Sie heute hier anrichten.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir abstimmen, nehme ich Gelegenheit, die parlamentarische Delegation aus Burundi auf der Tribüne ganz herzlich zu begrüßen.
({0})
Sie sind unserer Einladung gefolgt. Wir hoffen, daß wir Sie auf Ihrem sehr schwierigen Weg unterstützen können. Herzlich willkommen!
({1})
Wir kommen zur Schlußabstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes auf den Drucksachen 13/ 4610, 13/5147 und 13/5088. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/ CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5092. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/ CSU und der F.D.P. bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen und Zustimmung von SPD und PDS abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5091. Wie bereits zu Beginn der Debatte mitgeteilt, hat die Gruppe der PDS beantragt, die Abstimmung darüber namentlich durchzuführen. Nach § 52 unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstimmung nur von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, das sind mindestens 34 Abgeordnete, verlangt werden.
Ich stelle deshalb jetzt die Frage: Wer unterstützt den Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung? -Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag auf namentliche Abstimmung - 17 haben ihn befürwortet - mit den Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und eines Teils der Grünen bei einigen Enthaltungen aus der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. Über den Entschließungsantrag wird damit nicht namentlich abgestimmt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der PDS auf Drucksache 13/5091? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der SPD und einigen Stimmen der Grünen abgelehnt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5131. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/ CSU und F.D.P. bei Enthaltung der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5138. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 2. Untersuchungsausschusses
- Drucksache 13/5233 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. -Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Es beginnt der Abgeordnete Julius Beucher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Herr Beucher, darf ich einen Augenblick um Unterbrechung bitten, bis wieder Ruhe im Saal eingekehrt ist. - Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen, damit wir fortfahren können. Herr Beucher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Wer Milliardenlöcher in öffentlichen Haushalten zu verantworten hat und wer sich Monat für Monat neue Ungerechtigkeiten einfallen läßt, wie man den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes ihr Geld aus den Taschen holen kann, müßte eigentlich nach jedem Strohhalm greifen, der auch nur ansatzweise die Hoffnung keimen läßt, Geld hereinzuholen, das diesem Staat zusteht. Das sollte man zumindest unvoreingenommen meinen.
({0})
Um so erstaunlicher ist es jedoch, wie die Koalitionsparteien mit diesem Thema umgehen, ja offensichtlich nur ganz wenig Interesse daran zeigen. Es geht darum, wie Milliarden unter der Rechts- und Fachaufsicht des Hauses Waigel verplempert und öffentliche Fördermittel zweckentfremdet wurden, es
geht darum, daß das Parlament diese Fälle aufzuklären hat, und es geht schließlich darum, wie man gegebenenfalls an dieses Geld herankommen und es dem eigentlichen Zweck zuführen kann.
Deshalb haben wir schon vor Wochen dem Bundestag einen Antrag vorgelegt, den Auftrag des 2. Untersuchungsausschusses, in dem es um dieses DDR-Vermögen geht, so zu erweitern, daß nicht nur die Vorgänge um die Bremer Vulkan Verbund AG untersucht werden können, sondern zum Beispiel auch die genauen Hintergründe des Verkaufs der ehemaligen DDR-Banken, an denen der Bundesrechnungshof bereits massiv Kritik geübt hat.
Unser Antrag vom 22. Mai 1996 wanderte in den Geschäftsordnungsausschuß. Dort liegt er noch immer, weil die CDU offenbar nicht bereit ist, sich der bundespolitischen Verantwortung für Milliardenschäden im Bereich der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeeinrichtungen zu stellen. Wir stellen deshalb heute erneut den Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages mit einer einschränkenden Formulierung, mit der wir aber an der äußersten Grenze unserer Kompromißbereitschaft angelangt sind. Folglich erwarten wir auch von der Koalition, daß sie sich endlich bewegt.
Das Thema drängt; es steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Treuhand-Nachfolgerin Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben gerät in Sachen Bremer Vulkan zunehmend in die Schlagzeilen. Die Lücken und Mängel des Vertragsmanagements und des Controllings bei der BvS werden immer deutlicher. Klar wird auch, daß der Bundesfinanzminister seine Rechts- und Fachaufsicht vernachlässigt und nach dem Motto verfährt: Augen zu und durch. Doch die Verantwortlichkeit dieses Finanzministers darf kein Grund sein - auch nicht für die Koalition Aufklärung zu verhindern.
({1})
Gerade angesichts der beschlossenen Sparmaßnahmen zu Lasten der privaten Haushalte darf nicht ununtersucht bleiben, wie Milliarden aus den öffentlichen Kassen verschwunden oder in falsche Kanäle geflossen sind, die Vermögenswerte des Bundes unter Wert verkauft wurden und wer dabei welche Verantwortung zu übernehmen hat.
In der Bremer Bürgerschaft werden in Sachen Vulkan insbesondere die Bremer Verantwortlichkeiten untersucht. Wir dagegen müssen uns endlich um die Verantwortlichkeiten des Bundes kümmern. Das gilt eben auch für den Verkauf der ehemaligen DDR-Banken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Verzögerungen in der parlamentarischen Behandlung sind nicht hinnehmbar. Wer sich hier weiterhin querstellt und - mit welchen Begründungen auch immer - die Untersuchungen verhindern will, macht sich verdächtig. Leisten auch Sie Ihren Beitrag und helfen Sie mit, den Untersuchungsauftrag zu erweitern!
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Beucher, mit Ihrem heutigen Antrag unternehmen die Sozialdemokraten offensichtlich erneut den untauglichen Versuch, davon abzulenken, daß sie in den wirklich wichtigen Feldern der politischen Auseinandersetzung, der Arbeitsmarkt-, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik, völlig ohne Konzept, völlig ohne Alternativen zur Regierungspolitik sind und daß sie in diesen Feldern in der Tat desorientiert sind.
({0})
Der vorgelegte Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrages des 2. Untersuchungsausschusses ist wortgleich und inhaltlich völlig identisch mit dem bereits vor sechs Wochen von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag.
({1})
Der zweite Aufguß Ihres Antrages unterscheidet sich in der Tat von dem vorhergehenden Antrag nur dadurch, daß der neue Antrag in seiner Einleitung auf die Berichte des Bundesrechnungshofes Bezug nimmt. Der neue Antrag löst keines der Probleme, die wir bereits im Geschäftsordnungsausschuß diskutiert und angesprochen haben - im Gegenteil.
Ein neues Problem kommt hinzu: Die SPD hat bisher nicht erklärt, ob der jetzige Erweiterungsantrag den vorhergehenden Antrag ersetzen soll oder ob beide Anträge parallel behandelt werden sollen. Wir als Unionsfraktion werden der Überweisung des Antrages an den Geschäftsordnungsausschuß zustimmen. Die Sozialdemokraten müssen sich aber entscheiden, welcher Antrag Grundlage für die weiteren Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß sein soll.
Zur Sache selbst will ich folgendes ausführen. Der 2. Untersuchungsausschuß hat bereits einen umfangreichen Auftrag vom Plenum des Deutschen Bundestages erhalten. Der Ausschuß hat seine Zeugenvernehmungen bis Ende dieses Jahres terminiert. Für das nächste Jahr steht die Behandlung mehrerer umfangreicher Komplexe an, wobei derzeit nicht ersichtlich ist, wie hoch der jeweilige Zeitbedarf sein wird.
Allerdings läßt sich bereits jetzt sagen, daß der 2. Untersuchungsausschuß bei seinem jetzigen Untersuchungsauftrag Mühe haben wird, alles Wesentliche bis zum Ende des Jahres 1997 abzuarbeiten. Ab Beginn 1998 wird der Untersuchungsausschuß mit der Erstellung des Schlußberichts beschäftigt sein, um noch in dieser Legislaturperiode eine entsprechende Plenardiskussion zu ermöglichen.
Die SPD hat bisher auch nicht verraten, welche Teile des bisherigen Untersuchungsauftrags des 2. Untersuchungsausschusses zugunsten ihres gewünschten Erweiterungsauftrages nicht bearbeitet werden sollen. Sie hat bisher auch nicht erklärt, wie sie sich den weiteren Zeitablauf im 2. Untersuchungsausschuß insgesamt vorstellt.
Dies sind offene Fragen, die im Geschäftsordnungsausschuß besprochen, diskutiert und entschieden werden müssen. Bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Beucher, will ich aus gegebenem Anlaß daran erinnern, daß der 2. Untersuchungsausschuß kein Untersuchungsausschuß kraft Minderheitenrechts ist und daß es keinerlei Dispositionsbefugnis der SPD-Fraktion bezüglich einer Erweiterung seines Auftrages gibt. Sowohl im Geschäftsordnungsausschuß als auch im Plenum kann frei und auch nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entschieden werden. Selbstverständlich - dies will ich hier ebenfalls betonen - haben wir im Geschäftsordnungsausschuß unsere Bereitschaft signalisiert, zu überlegen - um Ihnen, meine Damen und Herren, entgegenzukommen -, inwieweit der Auftrag des 2. Untersuchungsausschusses ein wenig erweitert werden kann. Aber - auch dies will ich unterstreichen - jede Erweiterung geht zu Lasten des eigentlichen Auftrages, nämlich den Untersuchungen zur Frage nach dem Verbleib von DDR-Vermögen, nach der Zusammenarbeit des Bereichs Kommerzielle Koordinierung mit dem MfS, insbesondere aber nach der Vermögensverschiebung durch die SED/PDS.
({2})
Ist es eigentlich ein Zufall, wenn wenige Tage nach Bekanntwerden eines Treffens zwischen dem SPD-Chef Lafontaine und dem PDS-Politiker Modrow
die SPD-Bundestagsfraktion erneut einen Antrag auf den Tisch legt, der die eben genannten Themen des 2. Untersuchungsausschusses praktisch verdrängen würde? Zwar haben die sozialdemokratische Fraktion und Partei bisher verschwiegen, was Herr Lafontaine und Herr Modrow besprochen und vielleicht vereinbart haben;
({3}): Das wird ja hier immer toller! - Anke Fuchs [Köln] [SPD): Das darf doch nicht wahr sein!)
in jedem Fall darf die PDS den heute hier vorliegenden SPD-Antrag als Dessert zu diesem Gespräch oder aber als Vorspeise zu weiteren Gesprächen verstehen.
({4})
Auch diesmal beruft sich die SPD auf eine angebliche Notwendigkeit, die Arbeit der Treuhandanstalt bzw. der BvS zu untersuchen, die im großen und ganzen - auch dies will ich hier einmal ausdrücklich sagen - hervorragende Arbeit geleistet haben. Selbstverständlich bedarf auch die Arbeit dieser Institutionen der parlamentarischen Begleitung, gegebenenfalls der parlamentarischen Untersuchung. Dies ist immer geschehen, und dies wird auch weiterhin so sein. Ich will an dieser Stelle daran erinnern, daß derzeit die Einsetzung eines Unterausschusses des Wirtschaftsausschusses zur Begleitung der Arbeit der BvS diskutiert wird, und gleich nach der Sommerpause wird darüber entschieden.
Andreas Schmidt ({5})
Was das Thema Bremer Vulkan anbelangt, so sind selbstverständlich auch wir an vielen Gesichtspunkten dieses Bereichs interessiert. Ich nenne die staatliche Einflußnahme, staatliche Subventionen, Verdacht roten Filzes bis hin zum Verdacht kriminellen Handelns. Von großem Interesse ist auch die Antwort auf die Frage: Wer oder was hat die Manager der sogenannten Ostwerften bewogen, die von der Treuhandanstalt zur Verfügung gestellten Millionenbeträge nicht zur Investition bei sich zu nutzen, sondern nach Bremen an den Sozialdemokraten Hennemann zu überweisen?
Wir sollten aber heute bei dieser Debatte nicht den falschen Eindruck erwecken, als ob all diese Fragen nicht erörtert und untersucht würden; ganz im Gegenteil. In Bremen gibt es einen entsprechenden Untersuchungsausschuß. Die Staatsanwaltschaft arbeitet an diesem Thema. Die BvS klärt mit ihren Möglichkeiten auf. Auch die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages - ich nenne den Haushaltsausschuß und den Rechnungsprüfungsausschuß -beschäftigen sich seit Monaten mit diesem Thema. Diese Gremien des Deutschen Bundestages haben sich umfänglich vom Bundesrechnungshof Bericht erstatten lassen und Auskünfte von BvS und Bundesfinanzministerium eingeholt. Ob es darüber hinaus der Aufklärung durch den 2. Untersuchungsausschuß zu diesem Thema bedarf, ist meines Erachtens derzeit nicht klar erkennbar.
Abschließend will ich feststellen: Wir von der Unionsfraktion sind weiterhin bereit, im Geschäftsordnungsausschuß über das Anliegen der SPD-Fraktion zu sprechen.
({6})
- Nein, Herr Kollege Schmidt, wir sind bereit, konstruktiv daran zu arbeiten.
({7})
Nur, uns kommt es darauf an, daß wir zu einem sinnvollen Ergebnis gelangen,
({8})
damit der Sache gedient werden kann und damit nicht weitere Gremien geschaffen werden, die letztlich andere Arbeiten behindern.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Hermenau.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir können uns hier kurz fassen. Wir haben immer schon eine sehr zügige, sehr umfassende und auch sehr detailgetreue Aufarbeitung der Vorgänge um die Bremer Vulkan Verbund AG unterstützt. Dem wird Rechnung getragen, indem sich der Haushaltsausschuß und der Rechnungsprüfungsausschuß sehr detailliert mit den finanztechnischen Verschiebungen befassen werden. Wir haben uns von der Argumentation der Sozialdemokraten überzeugen lassen, daß es ihnen daran gelegen ist, eventuelle Auskunftskompetenzen des Haushaltsausschusses um die Auskunftskompetenzen zu erweitern, die einem Untersuchungsausschuß zustehen. Ich halte das für ein produktives Vorgehen. Wir stimmen dem also zu.
Es ist sicherlich sehr wichtig, wie wir uns in diesem Haus in der anstehenden Debatte darüber verhalten werden, wer in Zukunft welche Gelder wofür ausgibt. Wir werden natürlich auch wieder die Frage stellen, welche Mittel in welcher Differenzierung und Spezialisierung für den Aufbau Ost mittelfristig, das heißt bis über das Jahr 2000 hinaus, zur Verfügung stehen müssen. Deswegen sind wir verpflichtet, in der Affäre der Bremer Vulkan AG so gründlich und genau wie möglich vorzugehen, um in dieser politischen Diskussion die Führungsrolle zu übernehmen und nicht von der Presse gehetzt zu werden.
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Außerdem denke ich, daß die sowohl im Haushalts- als auch im Untersuchungsausschuß zu erzielenden Ergebnisse dazu beitragen werden, die 1993 und 1994 mit ähnlichen Prinzipien auch im Cash-Management von der Treuhandanstalt geschlossenen Verträge nachzubessern. Meines Wissens ist das in großem Umfange rechtlich möglich. Damit vermeiden wir, daß weitere Fälle von Illiquidität wie bei der Bremer Vulkan AG auftreten. Auch steht es dieser Gesellschaft gut zu Gesicht herauszufinden, inwieweit Vertretern einiger Banken eine gewisse kriminelle Energie zu unterstellen ist. Ich glaube, daß wir das Verhältnis von Banken und Gesellschaft wieder auf ordentliche Beine stellen müssen. Insofern unterstützen wir Ihr Anliegen, werden ihm zustimmen und hoffen darauf, daß es uns allen miteinander gelingen wird, diese Sache wirklich aufzuklären.
Eines ist ja klar: Die Gemengelage ist für die beiden großen Fraktionen nicht sehr einfach. Die einen müssen damit klarkommen, daß in Bremen seit langer Zeit Sozialdemokraten herrschen und deswegen auch mit diesem Thema befaßt sein müssen.
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- Damals nicht. Wir werden sehen, welche Ergebnisse der Untersuchungsausschuß in Bremen bringen wird. Die CDU/CSU und die F.D.P. werden natürlich ein Interesse daran haben, Schaden vom Finanzminister und von der Treuhandanstalt, den damals Verantwortlichen, fernzuhalten.
Es wird sehr spannend sein, inwieweit Sie alle in der Lage sind, diesen Untersuchungen wirklich ernsthaft und ehrlich gegenüberzutreten. Ich denke, daß der Schritt der SPD, die Untersuchungskompetenzen noch zu erweitern, um nichts entwischen zu lassen, zumindest dazu beiträgt, ihren Versuch glaubwürdig erscheinen zu lassen.Deutscher Bundestag - 13. Wahlperlode Antje Hermenau
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es hegt jetzt zum zweitenmal ein Antrag der Sozialdemokraten vor, den Auftrag des 2. Untersuchungsausschusses zu erweitern. Wie bereits bei der Diskussion am 23. Mai hat man den Eindruck, daß Sie mit Ihrem Antrag versuchen, den Untersuchungsausschuß inhaltlich etwas mehr aufzupeppen.
Man merkt in den Formulierungen des Antrags freilich Ihre Absicht. Wenn es Ihnen wirklich darum gegangen wäre, Aufklärung zu betreiben, hätten Sie andere Formulierungen benutzt. Denn durch die Formulierungen Ihres Antrages wird - das ist kurzgefaßt der Inhalt - der Bestohlene zum Täter gemacht. Das kann ja wohl nicht der Sinn der Veranstaltung „Untersuchungsausschuß" sein.
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- Einen kleinen Moment. Ich sage allerdings in Richtung Sozialdemokraten: Wenn Sie großes Interesse daran haben, Ihre Genossen Hennemann, Teichmüller, Ringstorff und vielleicht sogar den Genossen Steinkühler - der kann ja auch mit Geld umgehen -vor einem Untersuchungsausschuß wiederzusehen, werden wir uns nicht sträuben. Wir sind dazu bereit.
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Selbstverständlich dürfen Sie mit diesen sozialdemokratischen Genossen vor einem Untersuchungsausschuß Wiedersehen feiern.
Ansonsten, hebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten, findet sich nichts Konkretes in Ihrem Antrag. Sie gehen doch nach folgendem Motto vor: Suchen wir mal, vielleicht finden wir etwas. - Das ist das Motto. Das, meine ich, kann es wohl nicht sein. Sie müssen schon konkret sagen, wonach Sie suchen und welchen Auftrag der 2. Untersuchungsausschuß darüber hinaus erhalten soll.
Ich kann Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen. Wenn man einmal schaut - das habe ich am 23. Mai auch gesagt -, wer in den Aufsichtsgremien und im Verwaltungsrat der BvS sitzt - Frau Kollegin Fuchs, vielleicht hören Sie mal zu, Sie kennen sicherlich all die Namen, die ich Ihnen jetzt nenne -: Im Verwaltungsrat der BvS sitzen Herr Reinhard Höppner, Ministerpräsident in Magdeburg, Herr Dr. Norbert Meisner, Senator in Berlin, Herr Harald Ringstorff, Herr Dieter Schulte, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Manfred Stolpe, Herr Joachim Töppel usw.
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Kennen Sie diese Leute alle? Fragen Sie doch einmal Ihre Leute, was sie in den entsprechenden Gremien machen! Sie sind doch teilweise auf Grund des Parteibuchs dahingeschickt worden und nicht, weil es die großen Könner sind. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.
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Nach unserer Auffassung wollen Sie mit Ihrem Antrag zweigleisig und dreigleisig arbeiten. Wir haben im Haushaltsausschuß mit Ihrer Zustimmung und in Gemeinsamkeit sogar mit den Grünen etwas Vernünftiges gemacht. Wir haben gesagt: Alle Fragen, die wir in Richtung BvS, zum Beispiel zum Vulkan, gestellt haben, wollen wir im Rechnungsprüfungsausschuß beantwortet haben. Alle Parteien haben sich damit einverstanden erklärt. Es ist erstaunlich, daß Sie jetzt mit einem solchen Antrag kommen. Sie hätten einmal Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß fragen sollen. Wir haben einvernehmlich gesagt, daß es im Augenblick die beste Lösung zu sein scheint, im Rechnungsprüfungsausschuß eine Überprüfung vorzunehmen, was geschehen ist.
Nach Auffassung der Freien Demokraten sind durchaus Fehler passiert; man liest den Rechnungshofbericht auch zur BvS. Aber ich frage mich manchmal wirklich, ob wir das Recht haben, den Zeigefinger so zu erheben. Man muß auch an die politische Situation, die politische Stimmung, die politische Landschaft in der Zeit denken, als es darum ging, was mit den Werften in Mecklenburg-Vorpommern geschieht. War es nicht der Herr Ringstorff, der 40 000 Leute auf die Straße geschickt hat und mit ihnen demonstriert hat? Unter diesem Druck hat man auch im Finanzministerium gestanden.
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- Aber es waren Ihre Leute, Frau Kollegin! Herr Ringstorff - mit dem sollten Sie einmal reden! - ist einer der Schlimmsten gewesen. Ich bin dankbar, daß Conrad-Michael Lehment, damals Wirtschafts-minister, und Jürgen Möllemann sich gewehrt haben, daß noch andere Werften in den Bremer Vulkan Verbund hineingekommen sind.
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Wenn wir Ihnen gefolgt wären, wäre das Desaster noch viel schlimmer gewesen.
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Herr Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neumann, Bramsche?
Nein, nicht in der kurzen Zeit, die ich habe. Ich bitte um Verständnis.
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- Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie sich wieder beruhigen!
Wir bieten Ihnen an, über alles zu reden - das hat eben auch der Kollege der CDU gesagt -, wie wir die Probleme BvS, das ganze Thema Treuhand und die Rechnungshofberichte aufarbeiten. Im Augenblick sind wir der Meinung, der Rechnungsprüfungsausschuß ist das geeignete Gremium. Es kann aber sein, daß wir auch zu einem Untersuchungsausschuß kommen. Dann wird es allerdings - das ist schon gesagt worden - nicht eine Erweiterung des Auftrags des 2. Untersuchungsausschusses geben, der seine Arbeit abschließen muß. Dann würden wir einen neuen Untersuchungsausschuß einrichten, und dann dürfte es für Sie sehr spannend werden.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
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Es spricht jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege von der F.D.P. hat die einmalige Chance, einem Antrag der PDS beizutreten. Wir haben vorsorglich beantragt, Herrn Ringstorff als Anhörperson vor den 2. Untersuchungsausschuß zu laden. Wir sind beide daran interessiert, die Aussagen des Herrn Ringstorff zu hören. Vielleicht klärt sich dann einiges auf. Die Rufmordkampagne gegenüber Herrn Ringstorff, die Sie hier veranstalten, halte ich für unfair. Ich denke, man sollte den Kollegen Ringstorff dort zu Wort kommen lassen.
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Die PDS wird dem SPD-Antrag unstrittigerweise natürlich zustimmen, denn bekanntlich wurde in der Nacht vom 22. zum 23. Mai in diesem Hause ein ähnlicher Antrag der PDS, den wir bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Vulkan-Affären gestellt hatten, von der Bundestagsmehrheit mit Ausnahme des Bündnisses 90/Die Grünen aus welchem Grund auch immer abgelehnt. Unsere Intentionen finden wir in diesem Antrag vollinhaltlich wieder. Ich denke schon, daß wir mit dem Antrag der SPD ohne weiteres leben können.
Ich bitte Sie auch, folgendes zur Kenntnis zu nehmen, damit wir nicht falsch verstanden werden. Wir haben nicht die Absicht, den eigentlichen Untersuchungsauftrag des 2. Untersuchungsausschusses zu überdecken, denn wir stehen nach wie vor zu unserer Aussage: Die DDR und speziell die SED hat sich im Rahmen einiger finanzieller Machenschaften, die bisher Gegenstand des Untersuchungsausschusses sind, nicht gerade mit Ruhm bedeckt. Aber den Weg von der Individualschuld innerhalb der DDR und innerhalb der SED hin zum Kollektivschuldner PDS bin ich nicht bereit mitzugehen. Dies möchte ich noch einmal ganz klipp und klar - nicht für Sie, Kollege
Beucher, sondern für die Kollegen von der CDU/ CSU - sagen.
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Damit nun tatsächlich ein Erkenntnisgewinn im 2. Untersuchungsausschuß, der unstrittigerweise bekanntlich mit Arbeit überhäuft ist, zustande kommt, sollte man sich auf Grundlage des SPD-Antrags auf insgesamt drei Schwerpunkte konzentrieren:
Erstens: die mögliche fahrlässige oder gar vorsätzliche Verwicklung von Treuhand/BvS in den Abfluß der Beihilfen für die Ostwerften zu den Westtöchtern des Vulkan-Verbundes und deren Verlust in dreistelliger Millionenhöhe.
Zweitens: die Umstände der Privatisierung der
DDR-Banken 1990/91, die, folgt man einem Bericht des Bundesrechnungshofes vom Herbst 1995, den Bund und damit den Steuerzahler möglicherweise einen ein- oder gar zweistelligen Milliardenbetrag gekostet hat. Insbesondere die offensichtlichen Wildwestmethoden, mit denen Deutsche und Dresdner Bank, aber auch BfG, WestLB, Berliner Bank und DG-Bank im Umfeld der Währungsunion vollendete Tatsachen schufen, welche die Treuhand akzeptierte, bedürfen der Aufklärung. In diesem Zusammenhang sollten wir auch die Übernahme der staatlichen Versicherung der DDR nicht ganz aus dem Auge verlieren.
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Drittens: Kontrolle der gescheiterten Privatisierung in Ostdeutschland mit ihren immens negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern.
Zum Bremer Vulkan: Wir hoffen, daß nach den in den letzten Wochen bekanntgewordenen Fakten endlich bei der Bundestagsmehrheit den wortreichen Forderungen nach Aufklärung auch Taten folgen. Vulkan ist offensichtlich nicht nur ein Fall Hennemann. Ich verweise auf die aktuellen Veröffentlichungen des letzten Wochenendes. Zitieren möchte ich hier nur den Werftenberater der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern und einstigen Chef des Verbundes ostdeutscher Werften, Jürgen Krakkow. Er schrieb bereits Anfang April nach erster Durchsicht der Unterlagen:
Ursache und Wirkung sollten nicht verdrängt werden. Sie gehören aber nach meinem Dafürhalten später in eine „Fallübung" einer Universität oder eines Management-Seminars, zumal in einer wohl einmaligen Menge und Form Material aufgearbeitet werden kann. . . . Aber, ein solches späteres „Seminar" wird künftig auch zu prüfen haben, ob hier Kriminalität vorhegen könnte. . . . Wenn es bejaht werden sollte, dürfte es eine besonders verwerfliche Form beschreiben, nämlich Kameradendiebstahl, denn die Täter und die Opfer stammen aus derselben Einheit. Dabei erinnere ich an eine alte Regel: Es wird nicht nur bestraft, wer stiehlt, sondern auch der, der den Schrank weit offenläßt, und für letzteres gibt es hier leider zwingende Beweise.
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Diese „zwingenden Beweise" endlich aufzudekken darf nicht länger aufgeschoben werden. Sollte sich heute dazu keine Mehrheit bereit finden, so fordert die PDS die sozialdemokratische Fraktion auf, endlich von ihrem Minderheitenrecht Gebrauch zu machen und einen eigenen Untersuchungsausschuß einsetzen zu lassen. Dafür haben Sie auch unsere Zustimmung.
Danke schön.
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Als letzte Rednerin in dieser Runde hat Kollegin Dr. Christine Lucyga das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten liegt durch die Verweigerungshaltung der Koalitionsfraktionen die Forderung nach einer parlamentarischen Untersuchung der Zweckentfremdung von Beihilfen für den ostdeutschen Schiffbau durch den Bremer Vulkan auf Eis - berechtigte Fragen nach Verantwortlichkeiten im Bereich von Treuhandanstalt, jetzt BvS, und ebenfalls des aufsichtsführenden Bundesministeriums der Finanzen.
Worauf warten eigentlich die Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P. noch, nachdem jetzt auch ein Bericht des Bundesrechnungshofes vom 12. Juni dieses Jahres der BvS Mitverantwortung für den entstandenen Schaden von fast 1 Milliarde DM bescheinigt,
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und das, nachdem bereits im vergangenen Jahr ein ähnlich skandalöser Bericht des Rechnungshofes über die Privatisierung der Banken zu ganz ähnlichen Ergebnissen kam?
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Diese Berichte werden - obwohl streng vertraulich -überall in der Presse zitiert: Dementis der BvS sind klassische Ablenkungsmanöver. Der Volksmund sagt in solchen Fällen: Wer sich verteidigt, klagt sich an.
Herr Kollege Schmidt, Ihr Versuch, diese Skandale zu Bagatellen herunterzustilisieren, ist schon ein starkes Stück.
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Herr Kollege Koppelin, dadurch, daß Sie Ihre Rede der letzten Debatte zu diesem Thema hier noch einmal vortragen, wird sie nicht besser.
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Die kabarettistischen Einlagen, daß die armen, hilflosen Minister Lehment und Möllemann nun gegen den einfachen Abgeordneten Ringstorff heroische
Kämpfe ausfechten, können Sie beim nächstenmal wirklich ein bißchen anders darstellen.
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- Darüber unterhalten wir uns noch einmal. Das kommt noch.
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- Herr Koppelin, jetzt rede ich!
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Immer klarer wird, daß sowohl Treuhandanstalt und BvS als auch das Bundesministerium der Finanzen ihrer Aufsichtspflicht hinsichtlich der Verwendung von Investitionsbeihilfen für ostdeutsche Werften nicht oder nur sehr oberflächlich nachgekommen sind. Das zeigt der Bericht des Bundesrechnungshofes unwiderlegbar.
Eine Chronik von Unterlassungen, Vertuschungen und Irreführungen des Parlaments haben wir in diesem Hause erlebt, seit wir unsere Sorgen um den Vulkan und vor allen Dingen seine ostdeutschen Töchter zum Gegenstand parlamentarischer Befragungen und anderer Aktivitäten gemacht haben. Nach den Berichten von KPMG und des Bundesrechnungshofes müssen wir davon ausgehen, daß wir lange bewußt getäuscht worden sind.
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Sehen wir uns das Protokoll der Fragestunde vom 13. März dieses Jahres an, dann stellen wir das peinliche und hilflose Lavieren der Bundesregierung in einem der größten Finanzskandale der letzten Jahre fest. Eines ist sicher: Warnsignale sind wesentlich früher ergangen, als Bundesregierung und BvS heute eingestehen wollen, und sie sind viel zu lange überhört worden. Wenn die BvS auf diesbezügliche Vorhaltungen des Bundesrechnungshofs nur zu der peinlichen Erklärung kommt, man habe zu lange auf irreführende Zusicherungen vertraut, dann muß doch zumindest gefragt werden, warum die BvS nicht spätestens beim Rücktritt des für die ostdeutschen Werften zuständigen Vorständlers Timmermann, den dieser auch sachgerecht begründet hat, aufgewacht ist und sich überzeugt hat, was an seinen Warnungen eigentlich dran sein könnte. Denn man kann doch nicht im Ernst geglaubt haben, daß Verluste und Zweckentfremdungen von Investitionsmitteln in dieser Größenordnung einfach so ausgesessen werden können.
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Es tut geradezu weh, zu erfahren, wie oberflächlich und leichtfertig mit diesen Problemen umgegangen wurde.
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Heute werden die klar von den Prüf- und Kontrollgremien benannten Mängel und Unzulänglichkeiten bei der Werftenprivatisierung, darunter „erhebliche Vertragsmängel" und unverantwortliche UnterlasDr. Christine Lucyga
sungen der Treuhandanstalt, von der BvS mit Zwängen bei der Privatisierung begründet, die es so gar nicht gab; denn es gab als Gegenentwurf zur raschen und schlampigen Privatisierung das solide Sanierunskonzept der DMS.
So kam es dann, daß diese verhängnisvolle Entwicklung einsetzte, bei der es eben nicht nur Stehler, sondern auch Hehler und Mitwisser gibt, über deren Rolle wir mehr erfahren müssen.
Wir haben ein legitimes Interesse daran, zu erfahren, warum Treuhandanstalt und BMF untätig gebheben sind, bis es zum endgültigen Zusammenbruch der Vulkan Verbund AG kam, obwohl sie wesentlich früher hätten informiert sein können und hätten informiert sein müssen. Sie hätten auch handeln müssen.
Es geht doch bei alledem darum, ob bei einem rechtzeitigen Eingreifen von seiten der BvS bzw. des aufsichtführenden BMF - man kann gar nicht oft genug sagen, daß der Bundesminister der Finanzen aufsichtführend ist - nicht Arbeitsplätze in Größenordnungen hätten gesichert werden können, die nun verlorengehen, ob nicht dem Land Mecklenburg-Vorpommern Schäden in Höhe von mehreren hundert Millionen DM hätten erspart werden können.
Es ist geradezu grotesk, daß gegen Geschädigte, nämlich gegen die ostdeutschen Geschäftsführer der Ostwerften, Ermittlungen wegen angeblicher Untreue geführt werden, während die verantwortlichen Vorständler, die dem Cash-Management nicht nur zugestimmt, sondern es nachdrücklich gebilligt haben, unbehelligt bleiben.
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Wäre es daher nicht das Nächsthegende, nach der Mitverantwortung der damaligen Treuhand-Chefin Frau Breuel und nach der des damaligen verantwortlichen Staatssekretärs Grünewald - heute BvS-Vorständler ({11})
zu fragen oder überhaupt an die Rechts- und Fachaufsicht des zuständigen Bundesministers der Finanzen zu erinnern?
Es hat keine erkennbaren Bemühungen gegeben, den Schaden abzuwehren oder zumindest zu begrenzen. Jetzt müssen ihn zum Teil die Geschädigten
selbst tragen: das Land Mecklenburg-Vorpommern, die Arbeitnehmer der Werften, die kleinen Zulieferer, die vor dem Konkurs stehen. Die BvS versucht nun, sich als Retter zu profilieren, und das ist wahrlich Hohn.
Genauso ist es Hohn, daß als spektakulärer Erfolg ausgegeben wird, daß Herr Hennemann die Rolle der verfolgten Unschuld nun hinter Schloß und Riegel weiterspielen darf. Nur, mit dieser einseitigen Benennung von Sündenböcken können wir uns nicht zufriedengeben.
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Wir dürfen nicht länger diesem peinlichen Verschiebebahnhof von Verantwortung zusehen, der Delegierung von Schuldzuweisungen, welche die BvS jetzt mit einer Energie betreibt, die sie rechtzeitig zur Schadensbegrenzung hätte einsetzen müssen.
Nein, es geht um mehr: Es geht darum, Schaden abzuwenden und Vertrauen zurückzugewinnen. Es geht darum, aus der Vertrauenskrise wieder herauszukommen, die sich in Brüssel und anderswo abzeichnet. Es geht um politische Klarheit.
Worauf warten Sie eigentlich noch, meine Damen und Herren? Stimmen Sie dem Antrag endlich zu!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/5233 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe den Deutschen Bundestag auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. gemäß Art. 39 Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 29. August 1996, 12 Uhr ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen in der Zwischenzeit angenehme Ferien.