Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/21/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/4981 in erster Beratung mit Tagesordnungspunkt 17 aufzusetzen. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden. Darüber hinaus soll ein Antrag der Fraktion der SPD „Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen" auf Drucksache 13/4761 in verbundener Beratung mit den Vorlagen zu Habitat II behandelt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall; wir verfahren so. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien - Drucksache 13/4245 - ({0}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußesetzes - Drucksache 13/201 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 13/4975 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gisela Babel Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache die Schlußabstimmung über den Regierungsentwurf namentlich durchführen werden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Jochen Feilcke.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als das derzeit geltende Ladenschlußgesetz vor 40 Jahren in einer völlig anderen historischen Situation verabschiedet wurde, wollte man den Arbeitnehmerschutz regeln. Der Arbeitnehmerschutz ist heute durch ein Netzwerk von Regelungen gesichert: ({0}) Ich nenne das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge. ({1}) Es ist auch kein Zufall, daß das Ladenschlußgesetz in den vergangenen Jahrzehnten mehr von den Einzelhandelsverbänden als von den Arbeitnehmern verteidigt worden ist. Es schützt sie ja tatsächlich vor Konkurrenz, und ich füge hinzu: Es machte die Anpassung an den Markt und an veränderte gesellschaftliche Situationen überflüssig. Inzwischen haben sich die Zeitumstände dramatisch verändert. Gesellschaften richten sich nun einmal nicht nach verabschiedeten Gesetzen. Gesetze müssen gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen und gegebenenfalls gesellschaftliche Erfordernisse regeln. ({2}) Die Mobilität der Menschen ist gestiegen, der Bedarf an Freiräumen entsprechend. In einer Zeit offener Grenzen dürfen unsere Geschäfte nicht länger als notwendig geschlossen gehalten werden. Gäbe es das Ladenschlußgesetz nicht, kein vernünftiger Mensch käme heute auf die Idee, es zu fordern. ({3}) Freiräume für selbständige Unternehmer und Kunden, Freiräume für Anbieter von und Nachfrager nach Dienstleistungen müssen doch nicht begründet werden. In keine andere Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur wird ähnlich eingegriffen. Weder im Gesundheitswesen noch bei der Polizei, bei der Feuerwehr, beim Öffentlichen Personennahverkehr oder gar bei Freiberuflern, in der Gastronomie und im Freizeitbereich - denken Sie nur an die Theater - käme man auf die Idee zu sagen: Wir müssen dich vor Selbstentfaltung schützen. In den vergangenen zehn Jahren habe ich an Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Diskussionen und Streitgesprächen teilgenommen. Ich bilde mir deshalb ein, nahezu alle Argumente pro und kontra zu kennen. So ähnlich wie mir geht es offensichtlich auch vielen anderen hier im Hause. Dabei stellen wir auch fest, daß es im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden ist, auf die Argumente des jeweils anderen überhaupt noch zu hören, weil man ja meint, sie zu kennen. Ich versuche trotzdem zu argumentieren. Die Befürchtung, meine Damen und Herren, daß sich der Konzentrationsprozeß im Einzelhandel verstärken würde, wenn wir liberalisierten, ist in der Anhörung eindeutig widerlegt worden. ({4}) Es wurde dort gesagt, daß es keinen Zusammenhang zwischen der Ladenöffnungszeit und der Konzentration im Einzelhandel gebe. ({5}) Wenn es einen solchen Zusammenhang gäbe, müßte man ja die Ladenöffnungszeiten verkürzen; denn der Konzentrationsprozeß in den letzten 40 Jahren hat während der Laufzeit des geltenden Gesetzes stattgefunden. ({6}) Ich behaupte sogar, daß dies nicht nur während der Laufzeit, sondern wegen des Gesetzes geschehen ist. Denn wir machen doch alle die Erfahrung, daß wegen des knappen Zeitbudgets jeder von uns und jeder von unseren Nachbarn nach Feierabend in die Kaufhäuser eilt, weil er dort alles unter einem Dach findet, vom Parkplatz bis zum gesamten Warensortiment. Davon machen übrigens auch diejenigen Gebrauch, die in der Stadt arbeiten und auf dem Lande leben. Nach Feierabend kaufen sie nämlich in der Stadt ein, weil dann, wenn sie zu Hause sind, dort die Geschäfte bereits geschlossen haben. Es ist meiner Auffassung nach auch typisch, daß gerade die Großbetriebe, daß zum Beispiel die Geschäfte auf der grünen Wiese für die Erhaltung solcher Schutzbestimmungen geradezu kämpfen - auch wenn sie sich gelegentlich anders äußern -, weil sie vom Kuchen unter den gegebenen Umständen am meisten abbekommen. Meine Damen und Herren, zu dem Argument von der berühmten D-Mark, die nur einmal ausgegeben werden kann: Es kommt meiner Auffassung nach darauf an, wo sie ausgegeben wird. ({7}) - Ja, sehr wahr! Das Gutachten des Ifo-Instituts geht von einer Umsatzsteigerung von 3 Prozent in drei Jahren aus. Man kann die Größenordnung sehr wohl bestreiten, aber nicht die Tendenz. ({8}) Denn eines ist sicher: Nicht nur Umsatzverlagerungen in Richtung kleinerer Betriebseinheiten sind zu erwarten - wer wollte das eigentlich kritisieren? -, sondern auch Umsatzverlagerungen vom Urlaubsland nach Deutschland zurück. ({9}) Jeder macht doch die Erfahrung, daß er in entspannter Situation bereit ist, gemeinsam mit der Familie Einkäufe zu tätigen, die eben nicht genau für diesen Tag geplant waren. Warum eigentlich sollte der deutsche Einzelhändler nicht auch die Chance bekommen, seine Ware dann anzubieten, wenn die Kunden wirklich Zeit haben? Warum sollten die Kunden nicht auch in Deutschland Zeit zum Preisvergleich haben? ({10}) Mehr Freiheit, meine Damen und Herren, bedeutet mehr Chancen. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung geht von 50 000 zusätzlichen Beschäftigungsstellen aus. ({11}) Auch diese Aussage wird übrigens nur der Höhe, nicht der Sache nach bestritten. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, daß mehr Arbeitsplätze entstehen. ({12}) Lassen Sie mich auf die 590-DM-Verträge eingehen. Die Sachverständigenanhörung hat ergeben, daß diese Arbeitsverhältnisse in den Großbetrieben und in den Warenhäusern zwischen 3 und maximal 6 Prozent der Gesamtzahl der Beschäftigten ausmachen. Es wurde gesagt: Je kleiner das Unternehmen, desto größer ist die Nachfrage nach diesen Arbeitsverhältnissen, und die Nachfrage geht überwiegend von den Arbeitnehmern aus. ({13}) Meine Damen und Herren, ich habe den sicheren Eindruck, daß die positiven Beschäftigungseffekte und der Gewinn an Umsatz und auch an Lebensqualität von allen Parteien gesehen werden. Differenzierungen gibt es eigentlich nur hinsichtlich der Größenordnung. Wer wird eigentlich vom geltenden Gesetz geschützt, und wer wird geschädigt? Geschützt werden die Großbetriebe, insbesondere die Märkte auf der grünen Wiese; geschützt wird der Versandhandel; geschützt werden auch die Tankstellen. Geschädigt hingegen werden Einzelhändler, die langlebige Konsumgüter anbieten, die sich spezialisieren, ({14}) Geschäfte in teuren Lagen und vor allem auch Existenzgründer. Viele selbständige Einzelhändler in den östlichen Bundesländern sind fassungslos, wenn sie feststellen müssen, daß sie in der freien Gesellschaft Bundesrepublik Deutschland daran gehindert werden, ihre Läden dann zu öffnen, wenn ihre Kunden Zeit haben. Sie wollen Geschäfte machen und nicht schließen. ({15}) Die hohen Mieten, insbesondere in den Ballungsgebieten, können nur erwirtschaftet werden, wenn die jeweils richtige Ladenöffnungszeit auch möglich ist. Die Öffnung in unserer Gesellschaft sollte die Regel, die Schließung die Ausnahme sein. Was wir brauchen, ist ein Ladenöffnungsgesetz. Wir haben uns auch deshalb für eine Liberalisierung eingesetzt, weil wir uns davon eine Entzerrung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Straßenverkehrs versprechen, ({16}) Einkaufen frei von Streß, ({17}) ja, Einkaufen auch als Erlebnis für alle Beteiligten. Das wollen wir so früh wie möglich. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Eindruck, hier herrscht eher eine Marktatmosphäre als eine des Zuhörens. ({0})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin, Frau Präsidentin, sehr erfreut, daß mit solchem Engagement zugehört wird. ({0}) Wir haben uns deshalb für den 1. November als Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes entschieden, weil die Laufzeit der Tarifverträge im Einzelhandel in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Insofern gibt es keinen Zeitpunkt, mit dem man es allen recht machen könnte. Behaupte doch bitte keiner, bei der Entscheidung über die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes handele es sich um eine Gewissensfrage. Ich akzeptiere die Meinung anderer ganz genauso, wie ich hoffe, daß sie meine Meinung akzeptieren. Mir ist sehr wohl bekannt, daß es in allen Fraktionen dieses Hauses Gegner und Befürworter gibt. Nun hat allerdings die Opposition dieses Thema zu einer Machtfrage hochstilisiert. ({1}) Sie hat allen denen - von ihnen kenne ich etliche -, die Sympathie für unseren Gesetzentwurf haben, verboten, dafür zu stimmen. ({2}) Meine Damen und Herren, da Sie die Machtfrage stellen, werden wir sie beantworten: im Sinne von mehr Mündigkeit, mehr Freiraum, mehr Beweglichkeit und mehr Arbeitsplätzen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Hans Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So viel Sorge um die Arbeitnehmer, wie sie sich Herr Feilcke bei seiner Darstellung gemacht hat, habe ich von der Koalition in der ganzen Legislaturperiode nicht erlebt; das will ich hier einmal feststellen. ({0}) Nun hat sich ja Herr Deuss, der Vorstandsvorsitzende des Karstadt-Konzerns, in dieser Woche geäußert, und zwar dahin gehend, daß der deutsche Einzelhandel für 1996 feststellt, daß eine Belebung des Geschäftes überhaupt nicht zustande kommt, ganz im Gegenteil: Die Umsätze sind sehr stark geschrumpft, um 1,3 Prozent im vorigen Monat. Im Textileinzelhandel sieht es ganz schlimm aus; da sind die Umsätze um 3 Prozent zurückgegangen. Diese Fakten und Zahlen müssen wir bedenken, wenn wir über die Änderung des Gesetzes entscheiden, der wir als Sozialdemokraten überhaupt nicht zustimmen können. ({1}) Deuss stellt fest, daß die Anschaffungsbereitschaft der Verbraucher sehr stark zurückgegangen ist. Die Diskussion um das Kürzungspaket und um die Sicherheit der Renten sowie insbesondere die Arbeitslosigkeit bedrücken die Bürger so sehr, daß kein rechtes Vertrauen für die Zukunft aufkommt. - Das ist ja bei der Politik dieser Bundesregierung auch gar nicht anders zu erwarten; das hätte Deuss noch anfügen müssen. ({2}) Ich erwähne dies, weil ja immer wieder betont wird, zusätzliche Arbeitsplätze würden geschaffen. Aber Herr Deuss hat gesagt: Wir müssen damit rechnen, daß 1996 weitere 30 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Es ist Ihr Vertreter in der Anhörung gewesen, der sich ein wenig positiv, so möchte ich es nennen, zu den Änderungen geäußert hat. Also: Das IfoHans-Eberhard Urbaniak Gutachten ist nutzlos, es bringt nichts. 30 000 Arbeitsplätze werden abgeschafft. Er sagt selber: 14 Hertie-Läden mache ich platt und konzentriere mich auf die I a-Lagen. - Darüber hinaus wissen Sie, daß sich ein enormer Konzentrationsprozeß durch den Aufkauf Metro/Kaufhof vollzieht. Was das an Potential und Möglichkeiten bedeutet, den Markt und die Konzentration zu beeinflussen, können Sie sich doch im einzelnen vorstellen. Es wird der ländliche Raum getroffen, es werden die Mittelstädte und die Nebenzentren getroffen. Wir haben eine Untersuchung der HBV, daß in Düsseldorf zwar die I a-Lagen gewonnen, aber alle Kaufnebenstraßen schon beim langen Donnerstag erheblich verloren haben. ({3}) Das führt ganz zwangsläufig dazu, daß der kleine Einzelhandel und der mittelständische Bereich weiter getroffen werden. Gerade dieser, den wir als Stütze in den Strukturbereichen des Einzelhandels sehen, wird entscheidend zurückgedrängt werden. Die Pleitewelle der Einzelhandelsgeschäfte wird weiter vorangehen. Das wollen wir Sozialdemokraten verhindern, weil wir den Mittelstandsbereich unterstützen wollen. ({4}) Uns kommt eine Meldung des Europaverbands der Selbständigen ins Haus, der uns mahnt: Wir sollen dem Gesetz nicht zustimmen. Er stellt in einer Presseerklärung fest: Politiker und Parteien, die sich für die Regierungsvorlage mit der Änderung der Ladenöffnungszeiten einsetzen, sind für die Selbständigen der kleinen und mittleren Einzelhandelsbetriebe, für ihre Familienangehörigen und ihre Mitarbeiter nicht wählbar. Man muß diese Leute doch ernst nehmen! ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie stehen unmittelbar im Brennpunkt der wirtschaftlichen Auseinandersetzung.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr von Klaeden, bitte.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, haben Sie eine plausible Erklärung dafür, daß wir in Deutschland im westeuropäischen Vergleich die restriktivsten Ladenschlußzeiten und gleichzeitig die größte Konzentration im Einzelhandel haben?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie müssen davon ausgehen, daß der Kompromiß, der damals geschaffen worden ist, alle Seiten einbezogen hat und daß es sich hierbei um ein Arbeitnehmerschutzgesetz handelt. ({0}) - Wie ich das beantworte, ist doch meine Sache. Das können Sie mir nicht vorschreiben. ({1}) Herr Hintze kann natürlich nur abwinken. Was kann der denn sonst noch? Abwinken, sonst kann er ja nichts. ({2}) Daher sage ich: Sie kommen nicht aus diesem Konzentrationsprozeß heraus. Was Sie den Einzelhändlern und dem mitelständischen Bereich erzählen, ist dummes Zeug; denn sie werden darunter leiden, und sie werden ihre Existenz in Gefahr sehen. Das müssen Sie verantworten, ({3}) und darum haben Sie kein Recht, für diese Leute zu sprechen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Michelbach, bitte.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, warum beschreiben Sie hier ein solches Horrorszenario für die Beschäftigten im Einzelhandel? Ist Ihnen nicht bekannt, daß es einen hohen Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen in Deutschland gibt ({0}) und daß der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen Erwerbstätigen in Deutschland, in Prozenten ausgedrückt, ({1}) mit 15,1 Prozent weitaus geringer ist als beispielsweise in den Niederlanden oder Großbritannien, wo es doppelt so viele Teilzeitbeschäftigte gibt? ({2})

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie eigentlich noch mehr 590-DM-Arbeitsverhältnisse haben? ({0}) Wollen Sie eigentlich noch mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse haben? ({1}) Wollen Sie noch mehr Sozialhilfeempfänger produzieren? Das ist die Konsequenz von dem, was Sie hier fordern. Das Ifo-Gutachten geht davon aus, daß mehr Beschäftigung nur über Teilzeitbeschäftigung möglich ist. Ich sage Ihnen: Dadurch wird es mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse geben. Das darf man nicht unterstützen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Urbaniak?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Handel nach einer Untersuchung des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik einen Anteil von nur 10,8 Prozent an den sozialversicherungsfrei Beschäftigten hat, ({0}) so daß Ihre Polemik hinsichtlich der sozialversicherungsfreien Beschäftigung im Handel völlig unangebracht ist? Nur 10,8 Prozent! ({1})

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen das gern beantworten. Tatsache ist - das ist wohl entscheidend -: Es hat noch nie so viele ungeschützte Arbeitsverhältnisse im Einzelhandel gegeben wie unter dieser Regierung. Der Konzentrationsprozeß würde dies noch fortsetzen. ({0}) Die Betriebsräte von Kaufhalle, Kaufhof, C & A, Boecker und anderen Häusern haben festgestellt: Mit Entsetzen und Wut haben wir den Beschluß der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion vom 11. Juni 1996 in bezug auf ein neues Ladenschlußgesetz zur Kenntnis genommen. Aus unserer Sicht sind damit alle Versprechungen der uns nahestehenden CDU/ CSU-Abgeordneten, eine Verschlechterung ganz zu verhindern oder den Regierungsentwurf wesentlich zu verändern, gebrochen worden. Wir bitten, über Ihre Fraktion Einfluß zu nehmen, daß die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer nicht aus den Augen verloren werden. Wir bitten, das Gesetz abzulehnen. Wir nehmen hier Einfluß, und wir bitten Sie, diesem Appell der Betriebsräte und der Beschäftigten im Einzelhandel zu folgen. ({1}) Dieselbe Arbeitssituation gibt es auch in den Bäkkereien. Sie wollen Arbeitszeiten ermöglichen, die die Nachtarbeit in den Bäckereien ganz wesentlich ausweiten. Ihr Argument, man könne dann auch am Sonntag frische Brötchen besorgen, ist natürlich überzeugend und gehört selbstverständlich zum kulturellen Geschehen dieser Republik. Machen Sie sich in dieser Frage nicht lächerlich, meine Damen und Herren! ({2}) Ich will auf folgende Punkte aufmerksam machen, damit Sie sich noch mal genau überlegen, was Sie hier eigentlich tun. Es wird keine Umsatzsteigerungen geben, damit auch kein Kapital für weitere Beschäftigung. Die Unternehmen werden nicht investieren, sondern weiter rationalisieren. Es wird also zu einem Personalabbau kommen. Es werden keine weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen entstehen können; sondern es wird zu einem Ausbau geringfügiger Beschäftigung mit allen Konsequenzen kommen, ferner zur Verschärfung der Konzentration mit Zentralisierung und Verringerung des Einzelhandels. Die Häuser in I a-Lagen werden profitieren. Andere werden weitestgehend versanden. Eine Revitalisierung der Städte wird - so hat es das Ifo-Institut festgestellt - durch dieses Gesetz nicht erreicht. Dazu bedarf es noch vieler anderer Dinge. Darüber hinaus wird eine Verschlechterung der Versorgungslage, insbesondere der wohnnahen Gebiete und des ländlichen Raums, der Arbeitszeiten bei Häusern in I a-Lagen und der Arbeitsbedingungen im Einzelhandel erfolgen. Die Situation der Familien schließlich darf hier nicht außer acht gelassen werden. Denn die schweren Belastungen, die damit verbunden sind, werden sich bei den Müttern und Alleinerziehenden selbstverständlich bemerkbar machen. Meine Damen und Herren, Sie sprechen davon, weitere Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Ich weise aber darauf hin: Die realen Nettolöhne in Westdeutschland sind im Jahre 1995 kaum höher als 1980. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung hat uns in der Anhörung, aber auch in Schreiben eindringlich gebeten: Lehnen Sie dieses Gesetz ab. - Der sehr geehrte Herr Pützhofen hat ein Schreiben von den Betriebsräten und den Beschäftigten des Krefelder Einzelhandels erhalten mit der Bitte, dagegenzustimmen. Er muß sich diesen Arbeitnehmern in seinem Wahlkreis stellen. Wir als Sozialdemokraten lehnen dieses Gesetz ab. Wir werden dem Einzelhandel unsere Aktion noch näher vorstellen: Herr Bundeskanzler, jetzt ist Feierabend! - Wir werden der Gesetzesvorlage nicht zustimmen. ({3}) - Es ist sehr gut, daß Sie sich erheitern. Was sollen Sie bei Ihrer Demontagepolitik sonst machen? Wir verfolgen das seit Jahren. Für uns muß das Gesetz, so wie es jetzt besteht, erhalten bleiben. Die Kollegen in Ihren Reihen sollten sich das genau überlegen. Wir fordern: keine zusätzlichen Belastungen für Arbeitnehmer! ({4}) Sorgen Sie mit dafür, daß wir keine weiteren ungeschützten Arbeitsverhältnisse bekommen. ({5}) Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Menschen, die im Alter von der Sozialhilfe leben müssen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte - vielleicht beseitigt das diese Stammtischstimmung hier - die Gelegenheit nutzen, Herrn Rexrodt, der ja federführend an diesem Gesetzentwurf beteiligt ist, von dieser Stelle aus alles Gute und baldige Genesung zu wünschen. ({0}) Herr Feilcke, ich glaube, wir sind uns in einer Sache völlig einig: Diese ganze Debatte ähnelt ein bißchen der Geschichte von Sisyphus, der den Stein hochgehoben hat, und auf halbem Wege flog der Stein wieder herunter. Die Frage ist: Wem fällt er eigentlich auf den Kopf? Diese Bundesregierung läßt das Land nunmehr seit 17 Jahren über dieses herzzerreißende Thema diskutieren. Zwischen der heutigen Debatte und der letzten sind die Mittelständler der Union, wie ich im Wirtschaftsausschuß verfolgen durfte, mit folgendem Argument überzeugt worden, dem Antrag zuzustimmen: An den anderthalb Stunden einer längeren Ladenöffnungszeit hängt das Image Deutschlands in Europa, in der Welt. Ich kann dazu nur sagen: guten Abend. ({1}) Wenn man die Presse der letzten Tage verfolgt, läßt einen die Vermutung tatsächlich nicht los, daß an den anderthalb Stunden auch das Nichtsein oder Sein dieser gewichtigen Bundesregierung hängt. ({2}) Soviel zur Machtfrage, Herr Feilcke. Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. ({3}) - Wir werden ihn ablehnen, Sie werden es schon sehen. Herr Feilcke, Sie haben gesagt, Ihr Gesetzentwurf korrespondiere mit den gesellschaftlichen Erfordernissen. Das bezweifle ich. ({4}) - Es ist wirklich herzzerreißend. Wir haben die Befürchtung, daß die vorgesehene Neuregelung tatsächlich die Konzentration im Einzelhandel verschärft. Das hat sich für meine Begriffe aus der Anhörung ergeben. ({5}) Ich glaube, daß die strukturellen Fehlentwicklungen im Einzelhandel eher verstärkt als relativiert werden. Die Großfilialisten werden meines Erachtens diese anderthalb Stunden kostenneutral auffangen können. Die Leidtragenden sind die kleinen Einzelhändler. Fragen Sie Ihre Mittelständler! Im Ernst, sie sehen das ganz genauso. ({6}) Der von Ihnen vorgesehene Vorschlag zieht keine Konsequenz aus den Konzentrationsanalysen, die aus dem Inland und Ausland vorliegen, er setzt keine Rahmenbedingungen auf dem Weg hin zu einer innovativen Dienstleistungsgesellschaft, und er ermöglicht Kleinunternehmen eben nicht, ihre spezifischen Vorteile - Wohnortnähe, Flexibilität - zum Einsatz zu bringen. Herr Kollege Feilcke, Sie haben vorhin gesagt: Wenn es das Ladenschlußgesetz nicht gäbe, wer würde es fordern? Niemand. - Richtig, kann ich Ihnen nur sagen. ({7}) Aber wenn Sie schon der Meinung sind, daß wir aus ordnungspolitischen Gründen ein Ladenschlußgesetz brauchen, ({8}) Margareta Wolf ({9}) dann muß ich Sie fragen: Warum wirken Sie mit diesem Ladenschlußgesetz eben nicht wettbewerbspolitisch, verbraucherpolitisch und ökonomisch verantwortlich? Ordnungspolitik kann nur einen Sinn haben, nämlich daß sie lenkend wirkt. Wie Sie mit diesem Vorschlag lenkend wirken wollen, ist mir völlig unklar. Sie tun damit mit Sicherheit nichts gegen die Konzentration im Einzelhandel. Sie ignorieren, wie ich glaube, die akute Gefährdung der wohnortnahen Versorgung in den alten wie den neuen Bundesländern. Sie wissen auch, es gibt eine immer stärkere Gefährdung der wohnortnahen Versorgung. Warum spricht denn der DIHT, warum spricht denn der Deutsche Städtetag, warum spricht denn das Institut für Urbanistik von der Gefahr einer Amerikanisierung in den ostdeutschen Bundesländern? Auch Herr Töpfer spricht davon. Warum werden Sie dem nicht gerecht? Warum entwickeln Sie eben keine ordnungspolitischen Strategien, um diesem Prozeß entgegenzuwirken, wie es zum Beispiel der französische Wirtschaftsminister macht, der eine lange Erfahrung mit Ladenschlußgesetzen und vor allen Dingen liberaler gestalteten Ladenschlußgesetzen hat? Auch ostdeutsche Gemeinden versuchen, der Konzentration entgegenzuwirken. Aber Sie tun es nicht. Ich muß Sie auch fragen: Warum nehmen Sie den kleinen Einzelhandel nicht aus dem Ladenschlußgesetz heraus? Warum reagieren Sie nicht auf die erwiesenen Wettbewerbsverzerrungen, mit denen der kleine Einzelhandel seit Jahren zu kämpfen hat? Warum tun Sie nichts gegen die steigende Insolvenzrate? Es kann mir doch in diesem Hause keiner sagen, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Insolvenzrate im Einzelhandel, die gerade im Osten dramatisch ist, entgegenwirkt. ({10}) Herr Feilcke hat vom Qualitätswettbewerb und davon geredet, daß die Leute Preise vergleichen wollen. Wir hätten heute die Chance, einen Qualitätswettbewerb dem wahnsinnigen Kostenwettbewerb entgegenzusetzen. Aber mit Ihrem Gesetzentwurf tun Sie es nicht. ({11}) Ich glaube, meine Damen und Herten, Sie benutzen das Ordnungsrecht zugunsten der Großfilialisten. Anders kann ich Ihren Gesetzentwurf leider nicht interpretieren. Wir lehnen ihn ab, weil wir ihn für strukturkonservativ halten. ({12}) - Herr Westerwelle bekommt einen Lachanfall. Ein Vögelchen spitzte den Mund und vergaß zu pfeifen. ({13}) Sie ignorieren tatsächlich den Innovationsdruck. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Was innovativ ist, werde ich Ihnen gleich vorstellen. Es kommt noch viel schöner. Alle in diesem Hause vertretenen Fraktionen haben in den Ausschüssen in den letzten Wochen den Antrag des Bundesrates einhellig abgelehnt. Mit den im Gesetzentwurf des Bundesrates vorgesehenen Öffnungsmöglichkeiten „sollen zugleich mittelständische Familienbetriebe gefördert und die durch die Konzentration auf Großbetriebe lückenhaft gewordene Versorgung in der Fläche", vor allen Dingen in den neuen Bundesländern, wiederhergestellt und somit eine wohnortnahe Versorgung sichergestellt werden, eine wohnortnahe Versorgung, die gerade für die alten Menschen und für die Behinderten in den neuen Bundesländern nicht gewährleistet ist. So der Gesetzentwurf des Bundesrates. Dieses System ist in den neuen Bundesländern eingeführt. Die Fortführung war durch Einigungsvertrag gesichert. Jetzt hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Könnten Sie mir einmal sagen, warum Sie die Existenz der Nachbarschaftsläden in den fünf neuen Bundesländern nicht sichern wollen? Ich hätte dazu gern eine Erklärung. Alle, die Sie hier sitzen, haben in den Ausschüssen dagegengestimmt. Ich halte das für unverantwortlich. ({14}) Denn wer redet eigentlich immer von der Notwendigkeit von Existenzgründungen, wer redet denn immer davon, daß wir in den fünf neuen Bundesländern etwas tun müssen? Ich verstehe nicht, wieso Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen wollen. Wir werden dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen. Wir glauben, daß er ein Ansatz auf dem Weg ist, den kleinen Einzelhandel zu unterstützen. Ihren Gesetzentwurf lehnen wir ab, der eindeutig die ordnungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, daß die Großen immer größer werden. Bei der Gewichtung Ihrer Zustimmung zu den heute vorliegenden Anträgen haben Sie deutliche Zeichen in die von mir beschriebene Richtung gesetzt. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt. ({0})

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelhandel war in den letzten Jahren der Verlierer von Kaufkraftverlagerungen. Die bestehenden Ladenschlußzeiten haben nicht verhindert, daß er verloren hat, und haben auch die Entwicklung auf der grünen Wiese nicht gebremst. ({0}) Das Zusammenlaufen von kommunalen Bebauungsplänen und der Einkaufsdruck von vielen Familien bei bestehenden Arbeitszeiten waren viel entscheidender als die jetzige Ladenschlußregelung. Deshalb muß man sich im klaren darüber sein, wie sich Kaufkraft verlagert hat. Der Erhalt der jetzigen Zeiten ist keine Bremse gegen Veränderungen. Im Gegenteil: Die Veränderungsunbereitschaft ist das Problem für den deutschen Einzelhandel. ({1}) Deshalb geht es auch nicht nur um die Frage, ob man eineinhalb Stunden länger öffnet. Im Kern geht es hier um die Frage, ob diese Gesellschaft überhaupt noch fähig ist, eine Veränderung herbeizuführen, und die Kraft hat, etwas neu zu entscheiden. ({2}) Die Angst vor Veränderung war immer ein schlechter Ratgeber. ({3}) Im übrigen befinden sich auch nach allen Umfragen, die wir vorliegen haben, im Bereich des Einzelhandels Menschen und Geschäftsinhaber, die Veränderungen möchten. 40 Prozent aus dem Bereich des Einzelhandels sind veränderungsbereit. Über 20 Prozent möchten neue Chancen wahrnehmen. Wir vergeuden angesichts von 4 Millionen Arbeitsuchenden eine ganze volkswirtschaftliche Kraft von 20 Prozent Einzelhändlern, die etwas mehr tun wollen als bisher. ({4}) Welchen Grund gibt es eigentlich, daß wir im Deutschen Bundestag 20 Prozent der Einzelhändler verweigern, ihre Geschäfte länger zu öffnen, wenn sie es möchten? Wer aus dem Bereich von SPD und Grünen nennt mir einen stichhaltigen Grund, die Freiheitsmöglichkeiten von Menschen einzuschränken, die Freiheitsmöglichkeiten wollen? Das ist hier nicht vorgetragen worden. ({5}) Wenn 11 Prozent der Verbraucher mehr Einkaufsmöglichkeiten möchten, ({6}) wenn auch von den 70 Prozent der Verbraucher, die mit den jetzigen Zeiten einverstanden sind, zumindest abends eine Verlängerung gewünscht wird, wer begründet mir dann, warum eine freiheitliche Gesellschaft sie daran hindert, zu Zeiten einzukaufen, zu denen sie einkaufen möchten, und Einzelhändler daran hindert, ihre Geschäfte zu den Zeiten zu öffnen, zu denen diese Menschen einkaufen möchten. ({7}) Es gibt keine überzeugende Begründung; denn solche Veränderungen, solche Zeitpioniere braucht eine Gesellschaft, wenn sie ein Stück weiterkommen will. ({8}) Diese Zeitpioniere habe Veränderungen in Frankreich bestimmt. Sie haben sie in Schweden bestimmt. In Schweden gibt es eine ganze Reihe von neuen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse zwischen 20 und 30 Stunden pro Woche, zwischen 10 und 20 Stunden pro Woche, je nachdem, wie Beschäftigung im Einklang mit Familie gewünscht wird. Nur wir Deutschen denken nach dem alten Motto, nach Regelungsbedarf und nach festen Zeiten. Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er veränderungsbereit ist, wenn er sich neue Marktnischen sucht, wenn er Geschäfte etwas weiter öffnet und wenn er jenen etwas mehr Bewegungsspielraum gibt, die ihn wünschen. Jedenfalls wollen wir das tun. ({9}) Das ist auch für die Koalition keine leichte Entscheidung, weil wir wissen, daß der Einzelhandel wichtig ist, daß er im kleinstädtischen Bereich ein Stück sozialen Zusammenhaltes ist und weil er die Atmosphäre bestimmt, ({10}) aber weil wir auch wissen, daß er nicht überleben wird, wenn er starr bleibt und wenn er keine Veränderungsbereitschaft zeigt. Das ist doch die Grundlage der Entscheidung. ({11}) . Meine Damen und Herren, im übrigen sollte man manche Argumente genau prüfen und ehrlich sein. Die Veränderung dieser Zeit bedeutet nicht, daß ein unglaubliches Mehrarbeitszeitvolumen auf die Beschäftigten zukommt. Sie bedeutet die Chance, neue Teilzeitverträge zu bekommen. Jeder Teilzeitvertrag, der jemanden in Beschäftigung bringt, ist besser als ein weiterer Arbeitsloser in Deutschland. ({12}) Jedenfalls gibt er eine Chance für ein Stück mehr Beschäftigung. Er ist, meine Damen und Herren, noch nicht einmal ein großer Wurf. Er ist doch nur ein Stück Öffnung. Viele kritisieren uns, indem sie sagen, wir hätten nicht genügend Mut, das ganze Gesetz zu beseitigen. Wir nehmen doch mit diesem Kompromiß auch noch Rücksicht auf das Denken von Einzelhändlern, die wir auf diesem Weg gerne mitnehmen wollen, die wir nicht überfordern, sondern überzeugen wollen. Über dieses Stückchen mehr möchten wir heute entscheiden, weil dieses Stückchen mehr bedeutet, als nur bis 20 Uhr zu öffnen, weil es doch das erste Signal aus Deutschland auch für die anderen Nachbarländer wäre, daß wir in der Lage sind, in Deutschland noch etwas zu verändern, wenn eingetretene Lagen so schwierig sind. ({13}) Bei der Demonstration der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen gab es eine Äußerung eines Demonstrationsteilnehmers, die besagt - man muß sich das genau anhören -: Die Menschen wollen am Sonntag keine frischen Brötchen. Wer maßt sich eigentlich in Deutschland an, den Menschen zu sagen, was sie am Sonntag mögen sollen? Wir von der Koalition jedenfalls nicht. ({14}) Wer am Sonntag frische Brötchen haben möchte, muß in einem aufgeklärten Land in Zukunft am Sonntag frische Brötchen kaufen können. Das ist das grundsätzlich andere Denken der Koalition gegenüber dem der Opposition. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Gerhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels?

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne, ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Darf ich im Saale um etwas mehr Ruhe bitten, denn sonst macht die Debatte keinen Sinn mehr. Frau Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben über ein Stückchen mehr gesprochen. Ich möchte Sie fragen, ob es für Sie auf der anderen Seite nicht ein erhebliches Stück weniger an Kultur und an gemeinschaftlicher Art in der Gesellschaft wäre, wenn die Freizeit, die alle gemeinsam haben, wo sie Vereine besuchen können, wo sie gemeinsam feiern können, rigoros zurückgefahren wird, damit sie dieses Stückchen mehr haben und sonntags vielleicht anstatt eines aufgebackenen Brötchens und selbstgebackenen Kuchens auch noch welche kaufen können. ({0})

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe erstens festgestellt, daß die Bäcker den Wettbewerb mit Tankstellen wieder aufnehmen wollen und im Wettbewerb mit Tankstellen nicht unterliegen wollen. ({0}) Zweitens gibt es viele Menschen in unserer Gesellschaft, die nachts arbeiten müssen, und es gibt viele Menschen, die von 4 bis 8 Uhr tagsüber arbeiten, manche vielleicht von 9 bis 14 Uhr. Die Menschen sind vielfältiger, als sich das die Fraktion der Grünen vorstellen kann. Diesen Wünschen möchten wir nachkommen. ({1}) Im Kern - lassen Sie mich das zum Abschluß sagen - geht es symbolhaft um die Zeit bis 20 Uhr und um die Fähigkeit zu einer Dienstleistung am Sonntag. Im Kern geht es um die Frage, ob der Deutsche Bundestag in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Verbrauchern und Anbietern vorschreiben will, wann sie einzukaufen hätten, bis wann sie nur einkaufen dürfen, wann sie anzubieten hätten und bis wann sie ihre Läden schließen müssen. Ein Stück neues Denken muß in den Bereich der Orientierung des Einzelhandels und der Verbraucher kommen. Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er sich von denen mitreißen läßt - auch aus seinem eigenen Bereich -, die Veränderungen wollen, die dem Strukturwandel begegnen wollen und die die eigenen Dispositionsmöglichkeiten zulassen. Der Deutsche Bundestag würde einen gewaltigen Fehler machen, wenn er dieses zarte Pflänzchen der Veränderungsbereitschaft durch ein Beibehalten der alten Ladenschlußregelung abtöten würde. ({2}) Wir haben in unserer Gesellschaft ein ganzes Potential, das wir volkswirtschaftlich nicht nutzen, nur weil wir zu eng denken. Heute ist der Tag gekommen, wo über ein Stück Öffnung beschieden werden muß. Ich bitte die Koalition, das einvernehmlich und ganz klar zu signalisieren. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Holzhüter.

Ingrid Holzhüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gerhardt, ich möchte mich ganz besonders auf Ihre Bemerkung melden, warum wir die 20 Prozent Zustimmung nicht berücksichtigen. Ich zitiere hier Clara Zetkin: Weil die Freiheit auch immer - ({0}) - Jawohl! - Weil die Freiheit auch immer - - Entschuldigung, das war Rosa Luxemburg. Entschuldigen Sie bitte! ({1}) - Entschuldigen Sie bitte. Ich bin relativ aufgebracht über das, was hier passiert ist. Deswegen bitte ich meine Aufgeregtheit und meinen Fehler an der Stelle zu entschuldigen. Freiheit ist auch immer die Freiheit der anderen. - Freiheit ist zum Beispiel die der 80 Prozent und zum Beispiel auch die der Angestellten. Meine Herren von der Koalition, mir kommen bei dieser Debatte die frauenpolitischen Aspekte zu kurz. 70 Prozent der im Einzelhandel Beschäftigten sind Frauen. Ich war zehn Jahre lang eine von ihnen und weiß, wovon ich spreche, im Gegensatz zu einigen, die vielleicht noch nicht einmal selber einkaufen gehen, weil sie ihre Frauen schicken. ({2}) Ich bin auch für Veränderung, und deshalb will ich diese einmal ganz kurz hier nennen. Sehr viel Zeit bleibt ja bei einer solchen Intervention nicht. Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Gisela Notz hat in der Anhörung folgende Punkte vorgetragen, weil nämlich im Gegensatz zur Meinung einiger die Einzelhandelsbeschäftigten nicht im Tal der Glückseligen leben und arbeiten. Ich fordere Sie auf, dazu Stellung zu nehmen: keine Ausweitung des Ladenschlusses; Ausbau von existenzsichernden Arbeitsplätzen; keine Kinderarbeit, auf die die Familienbetriebe bei Ausweitung der Ladenschlußzeiten zurückzugreifen gezwungen sind; Steuer- und Sozialsysteme, die Frauen nicht als Zuverdienerinnen, sondern als eigenständige Individuen behandeln; qualifizierte Kinderbetreuung, die auch jetzt schon nicht gewährleistet ist, weil die Kindergärten sehr viel früher schließen als die Läden, in denen dann eben nicht einmal um 20 Uhr Schluß ist, weil der Abschluß der Kasse, das Putzen und anderes noch hinzukommen; Tarifverträge, die die Arbeit im Einzelhandel neu bewerten; Aufnahme sozialer Kompetenzen in den Tarifvertrag; Qualifizierungsangebote; Wiederaufnahme der Debatte um allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit in Zeiten knapper Arbeitsplätze. Mir ist nämlich im Gegensatz zu manchen anderen die gemeinsame Familienfreizeit sehr wichtig, und das nicht nur in Sonntagsreden, wo man der Familie immer auferlegt, die sozialen Verwerfungen im Lande zu kompensieren. Ich lasse mich für diese Veränderungen von Ihnen auch gern als „ Steinzeitpolitikerin" bezeichnen, weil für mich in dieser Gesellschaft noch etwas mehr zählt als Konsum und Humankapital. Ich bedanke mich. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, für mich ist es aber überraschend, daß 50 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel selbst erklärt haben, sie seien auch zu Veränderungen bereit. ({0}) Über 30 Prozent sind sogar zur Beschäftigung in den Abendstunden bereit. Und wenn Sie Arbeitslose fragen, ob sie zu bestimmten Zeiten in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse einsteigen würden, dann beantworten sie Ihnen diese Frage glatt mit Ja. 68 Prozent der Verbraucher, die erklären, sie seien mit den bisherigen Ladenöffnungszeiten im großen und ganzen zufrieden, erklären ganz bestimmt in übergroßer Mehrheit, abends bräuchten sie etwas länger Zeit. Sie müssen, wenn Sie Menschen wahrnehmen, immer davon ausgehen, daß es ganz vielfältige Wünsche gibt und daß dieses Parlament bei diesen vielfältigen Wünschen einen mittleren Weg finden muß, um sie zufriedenzustellen. Der Vorschlag der Koalition, den wir vertreten, ist die Rücksichtnahme auf erkennbare Verbraucherwünsche und auf erkennbar mehr Motivation im Einzelhandel in einem guten Kompromiß, und diesem gerecht zu werden bemühen wir uns, weil wir in ihm die einzige Chance sehen, daß sich der Einzelhandel wieder Marktanteile erkämpfen kann, die er bis heute verloren hat. Das ist unser Ziel, darum machen wir das. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt spricht Kollege Manfred Müller. ({0})

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Gerhardt, es ist ja wohl Zynismus in Potenz, was Sie hier eben in Ihrer Antwort geleistet haben. ({0}) Erst sind Sie dafür mitverantwortlich, daß wir mehr als 4 Millionen Arbeitslose haben, davon mehr als 1 Million Dauerarbeitslose, und dann berufen Sie sich auf diesen Personenkreis, der wirklich am Boden liegt, darauf, daß sie bereit seien, abends im Einzelhandel zu arbeiten. Sie haben sie so weit heruntergebracht und benutzen sie jetzt als Argument gegen die bestehenden Vollzeitarbeitsverhältnisse. ({1}) Ihre gesamte Rede, Herr Dr. Gerhardt, hat wieder deutlich gemacht: Die Ideologen sitzen hier auf dem rechten Flügel des Deutschen Bundestages. ({2}) Manfred Müller ({3}) Sie haben bisher nichts unternommen - obwohl Sie jeweils die Wirtschaftsminister gestellt haben -, um der gewaltigen Konzentration im deutschen Einzelhandel Einhalt zu gebieten. 84 Milliarden DM werden von einem einzigen Einzelhandelskonzern gemacht, der auch zu den Gewinnern einer möglichen Änderung des Ladenschlußgesetzes gehören wird. Sorgen Sie dafür, daß diese Marktmacht endlich eingeschränkt wird! Und sorgen Sie nicht dafür, daß dieser Konzern seine Marktmacht noch weiter ausbaut. s hat in dieser Legislaturperiode zu keinem Thema so viele Resolutionen von Unternehmerverbänden und einzelnen Unternehmen gegeben, die diesen Bundestag erreicht haben, und zwar alle Fraktionen dieses Hauses. Der Mittelstand, die kleinen Einzelhändler, haben zusammen mit ihren Belegschaften an uns als Abgeordnete appelliert, diesen verhängnisvollen Weg der Konzentration im Einzelhandel nicht weiterzugehen. Und wenn Sie jetzt sagen, daß Konzentration trotz des Bestands des Ladenschlußgesetzes eingesetzt hat, so ist das ebenso zynisch! ({4}) Wenn Sie jetzt die Konzentration noch dadurch beschleunigen, daß Sie die Bedingungen für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel weiter verschlechtern, dann schauen Sie sich die Situation an, die sich um den sogenannten Dienstleistungsabend ergeben hat. Nur in den großen Ia-City-Lagen und auf der grünen Wiese wird der lange Donnerstag genutzt. Und das geht zu Lasten der kleinen Einzelhändler, der Tante-Emma-Läden, zu Lasten der wenigen, die überhaupt noch übriggeblieben sind. ({5}) Die haben nämlich keine Möglichkeit, die zusätzlichen Personalkosten, die durch längere Öffnungszeiten entstehen, zu kompensieren. Wenn in den großen Einzelhandelsunternehmen die Personalkosten trotz längerer Öffnungszeiten nicht steigen, dann deshalb, weil sie die Möglichkeit haben, ihren Personaleinsatz weiter zu spreizen, weil sie die Möglichkeit haben, 590-DM-Kräfte einzusetzen! Deshalb werden für diese Unternehmen die Personalkosten nicht steigen, während der kleine Einzelhandel zusätzliche Personalkosten überhaupt nicht aufwenden kann. Das wissen Sie! Wer wird also Gewinner einer Novellierung, einer Änderung des Ladenschlußgesetzes sein? Die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Sicherheit nicht; denn sie haben die Vorteile einer lebhaften Konkurrenz im Einzelhandel, einer Konkurrenz, die ihnen erlaubt, auf die grüne Wiese zu fahren, die ihnen erlaubt, in die Kaufhäuser zu gehen, die ihnen aber auch erlaubt, wenn in den Kaufhäusern und auf der grünen Wiese keine Beratungskapazität mehr vorgehalten wird, auch den kleinen Einzelhandelsbetrieb, den Facheinzelhandel weiter zu besuchen. Und diesen kleinen Facheinzelhandel machen Sie mit Ihren Regelungen kaputt. ({6}) Das heißt, der Verbraucher hat überhaupt keine Vorteile. Sie setzen sich mit Ihrer Zeitpiraterie und mit Ihren Freiheitsträumen über die Interessen von mehr als dreieinhalb Millionen im Einzelhandel Beschäftigten hinweg, von denen mehr als 70 Prozent Frauen sind. Diese Frauen, die in der Dreifachbelastung der Familie stecken, schließen Sie künftig auch noch davon aus, daß sie sich um die Schularbeiten ihrer Kinder kümmern und überhaupt den Feierabend genießen können. Das heißt, Sie teilen, Sie splittern diese Gesellschaft in immer mehr Individuen auf. Insofern sind Sie die eigentlichen Ideologen in unserem Land. ({7}) Sie, Herr Feilcke, wissen ganz gut - wir haben ja viele Diskussionen zu diesem Thema gehabt -, daß Sie sich mit Ihrem Vorhaben, mit dem Inkrafttreten zum 1. November dieses Jahres ganz bewußt und ganz gezielt über die Interessen der Tarifvertragsparteien hinwegsetzen. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Sie haben Tarifverträge abgeschlossen, deren Laufzeit in Berlin bis Ende nächsten Jahres geht, deren Laufzeit in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 reicht. Nach diesen Tarifverträgen können tarifgebundene Unternehmen ihre Läden nicht öffnen, es sei denn, sie verstoßen gegen den Tarifvertrag. Was Sie damit bezwecken, ist eine Spaltung des Unternehmerverbandes. Es beginnt ja in Berlin bereits mit dem Versuch der Durchsetzung der langen Samstage über die gesetzliche Regelung hinaus.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Müller, kommen Sie bitte zum Ende.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Betriebsräte werden dadurch unter Druck gesetzt, daß es nichttarifgebundene Unternehmen gibt, die an den tarifgebundenen Unternehmen vorbei öffnen. Sie spielen die einen Belegschaften gegen die anderen aus. Genau das ist Ihr Ziel: Sie wollen die Unternehmerverbände, die bisher Vertragstreue mit den Gewerkschaften bewiesen haben, dafür bestrafen, daß sie Tarifverträge bis 1998 abgeschlossen haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Müller.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dazu müssen Sie sich hier erklären, wie Sie die kommenden Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag begleiten wollen, ob Sie etwa auch noch das Tarifvertragsgesetz aushebeln wollen, damit diese Spaltung vielleicht auch noch in den anderen Wirtschaftsbereichen Wirklichkeit wird. ({0}) Manfred Müller ({1}) Ich appelliere an alle Einzelhandelsbeschäftigten, wenn wir heute eine Abstimmungsniederlage erleiden,

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Müller, ich habe Sie jetzt zum drittenmal aufgefordert, Ihre Rede zu beenden.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- daran zu denken, daß 1998 die nächsten Wahlen sind, und die Konservativen endlich abzuwählen, damit wir zu vernünftigen sozialpartnerschaftlichen Beziehungen zurückkehren können. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Gerade nach dem bisherigen Verlauf dieser Debatte kann man mit Fug und Recht behaupten, daß nur wenige Gesetzgebungsvorhaben, obwohl oftmals von weit größerer politischer Tragweite, eine solche Resonanz und ein derartiges Maß an Emotionen in der Öffentlichkeit und in diesem Hause hervorgerufen haben wie die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes. Dieses Thema weckt natürlich Emotionen, die zur wirklichen politischen Bedeutung aber bei genauem Hinsehen in keinem Verhältnis stehen. ({0}) Der Ladenschluß ist ein Symbolthema wie nur wenige andere. Sehen die einen hierfür das Symbol für die Reformfähigkeit oder Reformbereitschaft unserer Gesellschaft, so sehen die Gegner hierin den Todesstoß für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel. Wie so oft bei Symbolthemen werden sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte überschätzt, und Argumente sind oft auch nur schwer herüberzubringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache kein Hehl daraus, daß der nun vorliegende Gesetzentwurf so nicht den Idealvorstellungen der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag entspricht. Uns wäre mehrheitlich lieber gewesen, wenn wir am Samstag die bestehenden Ladenöffnungszeiten beibehalten hätten und wenn wir auch beim Bäkkereiarbeitszeitgesetz den Vorschlägen des Bäckerhandwerks gefolgt wären. Diese vermittelnde Lösung, für die mein Kollege Ernst Hinsken auch bis zum letzten Augenblick um Mehrheiten gerungen hat, wäre nach unserer Auffassung den Belangen der mittelständischen Einzelhandelsunternehmen einerseits, aber auch den Interessen der Mitarbeiter im Einzelhandel eher gerecht geworden ({1}) als die Festsetzung des Ladenschlusses am Samstag auf 16 Uhr und die völlige Abschaffung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes. ({2}) Meine Damen und Herren, wir kennen die Sorgen der mittelständischen Einzelhändler. Sie befürchten, durch liberalisierte Ladenöffnungszeiten von der Konkurrenz der Großkaufhäuser in den Toplagen der Ballungsräume erdrückt zu werden. Wir kennen natürlich auch die Sorgen und Nöte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel, die um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bzw. um den Familienfrieden bangen und eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen fürchten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Sorgen und Nöte äußerst ernstgenommen, und wir haben uns in der Tat die Entscheidung bis zum letzten Augenblick nicht leicht gemacht. ({3}) Auch wenn den meisten von uns eine andere Lösung lieber gewesen wäre, werden wir dem Gesetzentwurf mit großer Mehrheit zustimmen, und dies nicht nur, weil man in einer Demokratie Mehrheitsentscheidungen mitzutragen hat. Einerseits muß man sehen, daß wir neueren Entwicklungen im Einzelhandel wie etwa dem sich entwickelnden Teleshopping, den zu Supermärkten ausgebauten Tankstellen, florierenden Bahnhofszentren, aber auch offenen Grenzen in Europa und dem daraus resultierenden Einkaufstourismus Rechnung tragen müssen. Andererseits hat die CSU aber auch eine Reihe von Dingen erreicht, die den Interessen des Mittelstandes entgegenkommen: So haben wir bereits sehr früh klargemacht, daß mit uns ein Ladenschluß um 22 Uhr, so wie er im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen war, nicht zu machen wäre. ({4}) Wir haben erreicht, daß der Ladenschluß am Samstag bundeseinheitlich geregelt wird. Diese Änderung ist deshalb von Gewicht, weil sonst ein ungesunder Wettbewerb über Ländergrenzen hinweg entstanden wäre. Wir haben ebenfalls durchgesetzt, daß künftig Empfehlungen über Ladenöffnungszeiten auch unter Einbeziehung der Großbetriebsformen des Einzelhandels zulässig sind. ({5}) Das heißt, künftig können Einzelhändler vor Ort Vereinbarungen über Ladenöffnungszeiten so treffen, daß sie den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen entsprechen. ({6}) Schließlich haben wir auch durchgesetzt, daß bei der nächsten Novelle zum Kartellgesetz geprüft wird, ob die kartellrechtliche Freistellung für Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen um die MögDr. Peter Ramsauer lichkeit gemeinsamer Vermarktungsaktivitäten erweitert wird. ({7}) Wir wollen damit die Nachfrageposition gerade des kleinen und mittelständischen Einzelhandels verbessern. Außerdem - dies war für uns im Abwägungsprozeß von sehr großer Bedeutung - ist auch der Mittelstand keineswegs geschlossen in seiner Ablehnung einer Erweiterung von Ladenöffnungszeiten. So hat zum Beispiel der Zentralverband des Deutschen Handwerks die Liberalisierungspläne ebenso begrüßt wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband. ({8}) Auch mittelständische Einzelhändler haben durchaus zu erkennen gegeben, daß sie durch die mit der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten verbundene Flexibilisierung neue Chancen im Wettbewerb sehen, ({9}) insbesondere diejenigen, die nicht durch Tarifvertrag oder Betriebsräte daran gehindert werden, ({10}) diese neuen Chancen und Möglichkeiten auch zu nutzen. Schließlich - auch dies muß, so banal es klingen mag, gesagt werden -: Wir zwingen ja niemanden, die neuen Ladenöffnungszeiten voll auszuschöpfen. Nein, wir wollen nur neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, ({11}) im übrigen auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die flexiblere Arbeitszeiten wollen. Es nützt nichts, immer nur von Teil- oder Mobilzeitarbeit zu reden; man muß auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Ich rufe deshalb alle Beteiligten dazu auf: Nutzen Sie die neuen Möglichkeiten der Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglichkeiten, damit Frauen nicht nur als Kundinnen, sondern auch als Arbeitnehmerinnen zu den Gewinnern dieser Reform zählen werden! ({12}) Nachdem der Kollege Urbaniak darauf hingewiesen hat, es sei nicht notwendig, am Sonntag frische Ware aus Bäckereien zu bekommen, noch ein Wort zum Bäckereiarbeitszeitgesetz: Daß frische Ware nicht gerade mit dem Markentitel SPD assoziiert wird, ist vollkommen klar. ({13}) Aber die keineswegs einheitliche Haltung des Berufsstandes der Bäcker ist sicherlich auch ein gewichtiger Grund dafür, daß unser Werben nur für eine Änderung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes nach den Vorstellungen des Bäckerhandwerkes am Ende nicht erfolgreich sein konnte. Der Kampf um das Bäckereiarbeitszeitgesetz wurde nicht von uns verloren. Hierfür gibt es keinen zuverlässigeren Zeugen als den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, Hans Bolten, der sagte - ich zitiere -: Dieser Kampf ist verloren worden von den zahllosen Kollegen im Bäckerhandwerk, die sich an dieses Gesetz nicht gehalten haben und nicht halten konnten. Und weiter: Welche Schutzwirkung soll denn eine gesetzliche Vorschrift für irgendeinen Betrieb noch entfalten, wenn eine große Zahl von Betrieben diese Vorschrift überhaupt nicht einhält? ({14}) Diese Aussagen müssen all denjenigen entgegengehalten werden, die in der Streichung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes einen Verrat am mittelständischen Bäckerhandwerk sehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich wird der jetzt vorliegende Kompromiß nicht alle zufriedenstellen. Vielen wird die Liberalisierung zu weit gehen. Wieder andere hätten sich noch deutlich mehr gewünscht. Aber es gehört zum Wesen des Kompromisses, daß jede Seite nachgeben muß, um zu einem gerechten Ausgleich zwischen Interessen des Einzelhandels, der im Einzelhandel Beschäftigten und der Verbraucher zu gelangen. Jetzt noch kurz ein Wort an die Opposition, insbesondere an Sie von der SPD. Diejenigen unter Ihnen, die glauben, daß alle Kolleginnen und Kollegen im Oppositionslager wirklich mit dem Herzen gegen eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten wären, ({15}) täuschen sich oder verbreiten falsche Behauptungen; denn wir wissen ganz genau, daß sich eine ganze Reihe unter Ihnen entweder lieber der Stimme enthalten, dem Gesetzentwurf zustimmen oder sogar noch darüber hinausgehen würde. ({16}) Wir wissen ganz genau, daß diejenigen unter Ihnen, die lieber mit uns gehen würden, vergattert wurden, ({17}) damit Sie von der Opposition die Machtfrage stellen können, was Sie uns immer vorwerfen. In Wirklichkeit geht es Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt nicht um den Ladenschluß, sondern es geht Ihnen darum, den durchschaubaren politischen Versuch zu starten, einen Keil in das Koalitionslager zu treiben. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Von Ihnen lassen wir uns nicht auseinanderdividieren. Von Ihnen schon gar nicht! Sie werden sehen: Wir halten zusammen. Besten Dank. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Kollegin Renate Rennebach das Wort.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer, fast hätte ich Ihnen Teile Ihrer Rede abgenommen, nämlich die mit der sorgfältigen Beratung, mit der Überlegung, mit den Sorgen. Aber Sie haben zum Schluß gesagt, daß wir Sie auseinanderdividieren wollen, bloß weil bei Ihnen Kolleginnen und Kollegen sitzen, die eine Einsicht haben, die wissen, was im Lande los ist, und die nicht wollen, daß Frauen weiterhin ausgebeutet werden. ({0}) Ein Wort an Herrn Dr. Gerhardt, den Herrn F.D.P.-Vorsitzenden. Zu Ihrer Information: Nicht 50 Prozent der Beschäftigten des Einzelhandels stimmen zu, sondern 73 Prozent lehnen Ihre Regelung ab. Zu Ihrer Rede fällt mir auch nicht viel mehr ein, als zu sagen: Der Herr F.D.P.-Vorsitzende hat hier extrem kleine Brötchen gebacken. ({1}) - Ich gehe gleich darauf ein, Herr Dr. Gerhardt. Sie können Ihre Stimme schonen. Meiner Partei, der SPD, wird immer zum Vorwurf gemacht, sie verpasse den Zug in eine moderne Gesellschaft oder verhindere ihn gar, so auch bei der Änderung der Ladenschlußzeiten. Wenn es denn modern ist, mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu schaffen, wenn es denn modern ist, Arbeitsbedingungen für eine große Zahl von Frauen zu verschlechtern, wenn es denn modern ist, immer mehr Arbeitsschutzbestimmungen - selbst Herr Feilcke weiß inzwischen, daß das Ladenschlußgesetz als Arbeitsschutzgesetz geschaffen worden ist - abzubauen, dann erkläre ich Ihnen hiermit: Ich bleibe gerne altmodisch. ({2}) Ich werde dafür eintreten, daß Schutzbestimmungen und soziale Rechte in unserem Land erhalten bleiben - das gilt auch für meine Partei -, auch wenn Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen in den neuen Ländern heute nicht mehr viel wert sind und der Wettbewerb darin besteht, diese zu unterlaufen. Hierin liegt der wahre Mißbrauch in unserer Gesellschaft. Ich würde mich freuen, wenn Sie den einmal aufgreifen würden und dies nicht nur unseren Kolleginnen und Kollegen von HBV und DAG überlassen würden. ({3}) Kolleginnen und Kollegen, die Änderung der Ladenschlußzeiten wird dafür sorgen, daß Frauen „endlich" mehr Arbeitsplätze auf 590-DM-Basis erhalten können. Die geplante Änderung wird dafür sorgen, daß immer mehr Einzelhandelsgeschäfte in den ländlichen Regionen kaputtgehen. Dies wird zur Folge haben, daß immer mehr ältere Menschen nicht nur auf dem Land, sondern auch in städtischen Randlagen Hilfe beim Einkaufen brauchen, weil die überlebenden großen Geschäfte für sie alleine nicht mehr erreichbar sind. Es gibt aber noch weitere Punkte in dieser „modernen" Geschichte, die eigentlich, wenn ich recht überlege - wir diskutieren schon lange darüber -, eine unendliche Geschichte ist. Mit mir bzw. meiner Partei sind etwa 80 Prozent der Einzelhändler altmodisch, weil sie, wie eine Verbandsumfrage ergeben hat, die Änderung der Ladenschlußzeiten ablehnen. Sie wissen genau - das wissen auch die Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel -, daß diese durch den dadurch entstehenden Konkurrenzdruck großer Unternehmensketten immer mehr verdrängt werden, auch dann, wenn sie kämpfen und alle verfügbaren Familienmitglieder einsetzen, um längere Öffnungszeiten bewältigen zu können. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Einen Augenblick, Frau Rennebach. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist extrem rücksichtslos: Die Stimme der Rednerin muß überstrapaziert werden, nur weil Sie immer lauter werden. Ich bitte jetzt um Ruhe. ({0})

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung schilderte ein Vertreter des EinzelRenate Rennebach handels, daß ein weiteres Problem verstärkt wird, das von unserer „modernen" Regierung und ihren praxisfernen, dem BDA hörigen Mitspielern überhaupt nicht berücksichtigt wird: Es geht um die Kinder, die unter dem Ladentisch aufwachsen. Als ich dies hörte, fiel mir meine Kindheit wieder ein: Meine Eltern mußten noch lange nach Feierabend die Bücher machen, den Laden aufräumen und Ware auffüllen. Da blieb für das Kind im Haushalt nicht mehr viel Zeit. Ich will das nicht weiter ausbreiten. Was ich erlebt habe, ist natürlich schon einige Zeit her, aber immer noch aktuell und gehört auf die Tagesordnung auch von 1996. Diese „moderne" Verschlechterung der Bedingungen gilt für sehr viele Selbständigenhaushalte. Zugegeben: Ich meine die, die sich eine Citylage wegen der horrenden Gewerbemieten nicht leisten können. Diese Verschlechterung nehmen Sie, meine Damen und Herren von der regierenden Koalition, billigend in Kauf, um Umsätze für große Unternehmen dieser Branche zu erhöhen. Gleichzeitig sind Sie so modern, Gesetze zu verabschieden, die auch die Kaufkraft in unserem Land noch wesentlich verschlechtern. Der von Ihnen so sehr erwartete Umsatzanstieg wird nicht erfolgen. Der Umsatz wird weiter stagnieren bzw. zurückgehen; das ist die Realität. Nur die Verteilung wird sich ändern: weg von den Kleinen und hin zu den Großen. Worin hier der volkswirtschaftliche Nutzen liegen soll, ist der unbefangenen Betrachterin sehr rätselhaft.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Rennebach, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Renate Rennebach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es tut mir leid. Ich bin durch meine Husterei und diese Störungen etwas aus dem Konzept gekommen. Auch sozialpolitisch ist diese Änderung wegen der ungeschützten Arbeitsverhältnisse Unsinn. Es bleibt mir nur noch ein Satz, Frau Präsidentin: Ich möchte an Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, appellieren und Sie auffordern, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Ich betone nochmals: Wenn das, was Sie mit dem Ladenschlußgesetz erreichen wollen, modern ist, bleibe ich aus voller Überzeugung altmodisch. Ich glaube, Fortschritt in unserer Gesellschaft ist eher der Schutz der Ressource Mensch als das, was Sie für modern halten. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ladenschlußgesetz hat einen sehr langen Weg hinter sich; es ist 40 Jahre alt. Das Bäckereiarbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahre 1915, ist 81 Jahre alt. Niemand kann bestreiten, daß es hier einen Regelungsbedarf gibt. Das Leben ist weitergegangen. ({0}) Was die Sache auf allen Seiten schwierig macht, ist die Tatsache, daß bei diesem Gesetz ganz unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen sind, und zwar berechtigte Interessen, über die man nicht hinweggehen kann. Da ist das Interesse des Kunden. Frau Rennebach, auch der Kunde ist ein Mensch. ({1}) Da ist das Interesse der Verkäufer. Da ist das Interesse der Inhaber eines kleinen Geschäftes, da ist das Interesse der Inhaber eines großen Geschäftes. Da ist das Interesse in der Stadt. Da ist das Interesse auf dem flachen Land. Das Interesse von Verkäufer und Verbraucher ist aber nicht identisch. Was bietet sich in einem solchen Fall an? In einem solchen Fall bietet sich ein Kompromiß an. Das ist überhaupt nichts Schädliches. Es gibt, wenn die Interessen so unterschiedlich sind, nämlich keine sachgemäße Entscheidung zwischen der Möglichkeit, alles freizugeben, und der Alternative, nichts zu verändern. Das ist nicht sachgemäß. Sachgemäß ist ein angemessener Kompromiß. Offenbar ist das, was wir vorlegen, ein Kompromiß. Denn dem einen geht die Veränderung nicht weit genug und dem anderen zu weit. Das zeigt: Im Rahmen eines Kompromisses ist es schwer, einen Ausgleich zu finden. Was dem einen vorteilhaft erscheint, erscheint dem anderen nachteilhaft. Wir haben uns für eine mittlere Lösung entschieden. Seien Sie vorsichtig mit den ganz großen Kanonenkugeln. Ausbeutung? Daß es Bedenken und Probleme gibt, negiere ich nicht. Aber Ausbeutung? Die Ladenöffnungszeiten werden am Werktag von 18.30 Uhr auf 20 Uhr und an drei Samstagen um zwei Stunden verlängert und an einem Samstag um zwei Stunden verringert. Seien Sie vorsichtig damit, mit ganz großen Hämmern draufzuschlagen. Nichts zu entscheiden wäre auch noch eine Alternative. Das ist die schlechteste von allen. ({2}) Wissen Sie, warum? Das Leben richtet sich nicht immer nach den Beschlüssen des Deutschen Bundestages. Das ist so. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich glaube, der Bundestag wie auch die Öffentlichkeit ist neugieriger auf die AbstimBundesminister Dr. Norbert Blüm mung als auf meine Rede. Deshalb will ich das Ganze nicht verzögern. ({0}) Man muß bescheiden sein. ({1}) Eine Hängepartie ist das Schlechteste, nicht nur im Schach, sondern auch in der Politik. Das Leben richtet sich nicht nach den Beschlüssen des Bundestages. Das Ganze ist wie ein Fluß, der gestaut ist. ({2}) Frau Wolf, Sie haben vom Stein des Sisyphus gesprochen. Wissen Sie, wo dieser Stein liegt? Er liegt in einem Flußbett, und das Flußbett staut sich und sucht tausend Nebenarme. Da gibt es die Tankstellen. Manche Tankstelle erscheint mir wie ein Kaufhaus mit angeschlossenem Benzinverkauf. ({3}) Im Vorgarten Benzin und in der Tankstelle selber das große Kaufhaus. Genauso ist es mit Bahnhöfen. Oder: Wie wollen Sie das in grenznahen Gebieten machen? Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Herr Urbaniak aus Dortmund: Wir leben in Europa. Wie wollen Sie in grenznahen Gebieten den jetzt geltenden Ladenschluß eigentlich durchhalten? Sie halten ihn nur durch, wenn Sie werktags nach 18.30 Uhr und samstags ab 14 Uhr ein Fahrverbot einrichten. ({4}) Wer das will, der kann in grenznahen Gebieten den Ladenschluß durchhalten. Zum Bäckereiarbeitszeitgesetz. Meine Damen und Herren, wissen Sie, warum das Gesetz 1915 geschaffen wurde? Es war ein Kriegswirtschaftsgesetz. Brötchen waren damals Luxus; das war der Kaviar der Backwaren. Heute sind Brötchen Gott sei Dank für alle da. Wann - das frage ich die Künstler der Unterscheidung - wird ein Brötchen zur leichtverderblichen Konditorware? Welcher Zuckerguß muß auf ein Brötchen gegossen werden, so daß es sonntags verkauft werden darf? Sagen Sie mir das einmal. Die Backkunst der Bäcker - mein Respekt - steht längst nicht mehr in Konkurrenz zu den Konditoren. Deshalb unterscheiden wir nicht mehr zwischen Bäkker und Konditor. Diese Unterscheidung ist so alt wie die SPD oder noch älter. ({5}) Ich plädiere sehr für den Mittelstand. Das ist ein großes Thema, und zwar für die Arbeitnehmer und die Mittelständler. Handel ist nicht nur Geldwechsel, sondern hat auch etwas mit Kultur zu tun. Deshalb geht es auch darum, den Mittelstand zu erhalten, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Das hat etwas mit der Kultur zu tun. Ich möchte auch nicht nur noch Kaufhäuser und nur noch Städte als Verkaufsorte. ({6}) Deshalb finde ich es gut, daß in diesem Gesetz auch die Selbsthilfe des Mittelstandes eine neue Chance bekommt, auch zu Absprachen unter Einschluß der Großbetriebe. Lieber Kollege Urbaniak, in einem Punkt stimme ich Ihnen zu. Sie haben gesagt: Es gibt große Probleme in bezug auf die Arbeitslosigkeit und die Renten. In der Tat, Kollege Urbaniak, das sind größere Probleme als die Regelung des Ladenschlusses. Laßt uns deshalb heute mit der Diskussion um den Ladenschluß Schluß machen, damit wir uns mit ganzer Kraft der Lösung noch größere Probleme zuwenden können! Der Worte sind genug gewechselt. Die geltende Regelung paßt nicht mehr in die Zeit. Wir sind nicht die idyllische Insel von Robinson in Europa. Wir schütten auch nicht das Kind mit dem Bade aus. Ausdrücklich sage ich: Wir schütten ein bißchen frisches Wasser dazu, aber es wird nicht ausgeschüttet. Auch ein Beweis dafür sind die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung: Den einen ist es zu viel, den anderen ist es zu wenig, Propheten rechts, Propheten links. Mein Appell lautet: Versammeln wir uns in der Mitte zu einer Veränderung mit Augenmaß. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Gabriele Iwersen.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem hier das große Rennen von Zeitpionieren und Badewasserministern vonstatten gegangen ist, möchte ich doch noch einmal auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der nur ganz kurz angesprochen wurde, und zwar auf die zu Recht erwähnte notwendige Revitalisierung der Innenstädte. Dabei muß man ohne Wenn und Aber akzeptieren, daß auch kleine Städte wunderschöne Innenstädte haben, die durch das heute vorgelegte Ladenschlußgesetz gewaltig in Gefahr geraten. Der Gesetzentwurf zeigt eindeutig, daß das Ziel der Raumordnung, abgestufte Zentren mit unterschiedlicher Versorgungsfunktion zu schaffen bzw. zu erhalten, weder vom Bundesbauminister - der ist ja wohl auch gar nicht anwesend ({0}) noch von den Koalitionsfraktionen ernst genommen wird. Wahrscheinlich soll es einfach fallengelassen werden. Weder Städte mit 10 000 noch solche mit 50 000 oder 90 000 Einwohnern verfügen über die berühmten I a-Lagen, die allein von dem Gesetz profitieren werden. Für alle anderen ist eine drastische Verschärfung des Existenzkampfes mit ungewissem Ausgang angesagt. Trotzdem muß die Versorgungsfunktion der zentralen Orte erhalten bleiben, wenn die Fläche nicht hoffnungslos ins Abseits geraten soll. Auch hier besteht der Anspruch auf wohnungsnahe Versorgung - wie schon einmal erwähnt worden ist -, die bereits in über 8 000 Gemeinden in Ost und West nicht mehr gegeben ist, weil dort überhaupt kein einziges Einzelhandelsgeschäft mehr existiert. Damals waren es die dörflichen Einzelhandelsgeschäfte; jetzt geht es den kleinen Zentren an den Kragen, weil die Familienbetriebe auch bei längerer Öffnungszeit keine Umsatzsteigerung erwarten dürfen, die zusätzliches Fachpersonal finanzieren könnte. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Iwersen, ich mache darauf aufmerksam, daß wir bei einer Kurzintervention und nicht bei einem neuen Redebeitrag sind.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich fasse mich ja ganz kurz. Der Konkurrenzkampf wird sich in Zukunft nicht mehr zwischen den alteingesessenen Fachhändlern und den vielgelobten neuen Existenzgründern abspielen, ({0}) sondern zwischen den Giganten, die zu fördern nicht Sinn eines solchen Gesetzes sein dürfte. Schönen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Günter Graf.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich mache es auch kurz. Herr Minister Blüm, Sie haben von den Interessen der Kleinen und der Großen gesprochen, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie haben kein Wort dazu gesagt, wo die Interessen der Bewohner ländlicher Räume liegen. In diesem Parlament gibt es eine überparteiliche Arbeitsgemeinschaft, die sich mit den Problemen ländlicher Räume beschäftigt. Alle im Hause wissen, daß dieses Gesetz, wenn es durchkommt, dazu führen wird, daß die ländlichen Räume wie in der Vergangenheit weiter ausgehungert werden und die Ballungszentren davon profitieren. Das kann nicht Sinn des Gesetzes sein. ({0}) All denen, die ihre Entscheidung noch nicht endgültig getroffen haben, möchte ich es leichter machen. Im Antrag der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 30. April 1996 mit der Überschrift „Aktionsprogramm zur Stärkung des ländlichen Raumes in Niedersachsen" heißt es unter „Infrastruktur" - ich darf zitieren -: 1. Sicherstellung und Förderung privater und öffentlicher Dienstleistungen und Einkaufsmöglichkeiten. Als Begründung zu dieser Nummer 1 wird dann genannt: Die Einrichtung sowie die Unterstützung von Dorfläden sollte vorangetrieben werden. Machen Sie sich diese Argumentation zu eigen! Stärken Sie die ländlichen Räume! Hungern Sie sie nicht weiter aus. Danke. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzte Rednerin spricht Frau Sabine Kaspereit.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem launigen Vortrag des Ministers Blüm über Kompromisse und den merkwürdigen Schlußfolgerungen daraus möchte ich diese reichlich emotional geführte Debatte wieder auf eine sachliche Ebene zurückbringen, falls das irgend möglich ist. Eines verbindet uns doch alle, hier in diesem Hause und draußen im Lande: Wir sind alle Kunden, haben Wünsche und schätzen gewisse Annehmlichkeiten. Aber nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Händler und die Beschäftigten des Handels verlangen von uns Politikern, daß wir uns ernsthaft und sachlich mit ihren Argumenten auseinandersetzen. ({0}) Spätestens seit der Anhörung zum Ladenschlußgesetz am 20. Mai 1996 sind der Koalition ihre Argumente irgendwie abhanden gekommen. Wenn man den neuesten Argumenten der Koalition folgt, scheint nun das Ansehen Deutschlands in der Welt auf dem Spiel zu stehen. Am Ladenschluß wird unser Ansehen in der Welt gemessen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das nicht reichlich übertrieben? ({1}) Der Ruf nach freier Marktwirtschaft darf die Fürsorge- und Wohlfahrtspflicht der Politik nicht übertönen. Verbraucher, Händler und Beschäftigte des Handels wollen wissen, welchen volkswirtschaftlichen Schaden oder Nutzen uns eine solche Änderung beschert. Sie wollen wissen, welche Konsequenzen für den kleinen und mittelständischen Händler zu erwarten sind. Sie wollen aber auch wissen, welche sozialen Folgen zu erwarten sind. Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wissen genau, daß es negative Folgen sein werden. Sie haben ja auch die Stellungnahmen der Betroffenen - Kunden wie Händlern - in den letzten Monaten bekommen. Deshalb verstehe ich Ihre Interpretation dieser Dinge nun wirklich nicht. Wir beraten heute eine Gesetzesänderung für eine Branche, die einen erheblichen Teil zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Angesichts dramatischer Marktanteilsverluste für kleine und mittelständische Händler wird dieses neoliberale Prestigegesetz den Konkurrenzkampf um schrumpfende Märkte zusätzlich und vor allen Dingen ohne Not verschärfen. ({2}) Seit 1980 ist der Marktanteil kleiner und mittelständischer Händler von ehemals 55 auf jetzt 37 Prozent gesunken. Angesichts der Verschuldung privater Haushalte, angesichts von Massenarbeitslosigkeit und wachsender Langzeitarbeitslosigkeit werden verlängerte Öffnungszeiten dem Handel keine müde Mark mehr an Umsatz bescheren. ({3}) Und bedenken Sie auch, meine Damen und Herren: Wir beraten diesen Vorschlag der Regierung angesichts der Kürzungsmaßnahmen, die die Kaufkraft der Bevölkerung um Milliarden schmälern und damit auch die Umsatzerwartungen für den Handel trüben werden. ({4}) Ich frage Sie also: Woher sollen die Löhne für die Beschäftigten im Handel kommen? Zur Erinnerung: Um eine Verkäuferin bezahlen zu können, muß der Händler etwa 25 000 DM mehr Umsatz machen. Die Hoffnungen auf höhere Umsätze brechen aber wie ein Kartenhaus zusammen und als Folge davon natürlich auch die Hoffnungen auf mehr Arbeitsplätze. Es wird im Gegenteil zum öffnungsbedingten Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze kommen. Die durch längere Öffnungszeiten bedingten erhöhten Betriebskosten bei - wohlgemerkt - bestenfalls gleichbleibenden Umsätzen lassen für den Händler die Beschäftigung einer Fachverkäuferin zum Risiko werden. Der Kostendruck und die vereinbarten Arbeitszeiten werden zwangsläufig zu einem höheren Anteil der geringfügig Beschäftigten führen. Wir werden einer wachsenden Zahl von Menschen gegenüberstehen, die auf der Basis von 590-DM-Jobs ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Gerade mit diesen sich abzeichnenden sozialen Folgen und den sich daraus ergebenden Mindereinnahmen der Sozialkassen können wir uns nicht einverstanden erklären. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf folgendes aufmerksam machen: Es gibt bekanntlich - Herr Ramsauer hat darauf hingewiesen - auch in der SPD-Fraktion einige Kolleginnen und Kollegen, die in der Frage einer Liberalisierung der Ladenschlußzeiten durchaus offen und zum Teil dafür sind. Diese Kolleginnen und Kollegen haben mich ausdrücklich ermächtigt, in ihrem Namen hier zu sagen: Solange diese Bundesregierung nicht bereit ist, die 590-DMRegelung drastisch einzuschränken, werden sie Ihrem Gesetz nicht zustimmen. ({5}) Sie wollen nämlich nicht dazu beitragen, daß weitere hunderttausende Billigjobs ohne ausreichende soziale Absicherung geschaffen werden. - Dazu mußten meine Kolleginnen und Kollegen nicht „vergattert" werden, Herr Ramsauer. ({6}) Im Handel arbeiten derzeit noch 3,6 Millionen Menschen. Überwiegend sind dort Frauen als Teilzeitkräfte oder in 590-DM-Jobs tätig. Diese Frauen arbeiten dort nicht etwa, weil sie sich zu Hause langweilen und ein bißchen unter die Leute kommen wollen. Nein, sie arbeiten dort, weil dies oft das einzige reguläre Familieneinkommen aus Erwerbstätigkeit darstellt. Jedenfalls ist das im Osten so. ({7}) Der Anteil dieser Beschäftigungsart ist von 1982 bis heute von 25 Prozent auf jetzt 33 Prozent gestiegen. Das betrifft 1,2 Millionen Menschen im deutschen Einzelhandel. Wir müssen uns bewußt machen, was diese Zahl bedeutet - und dies besonders für Frauen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Kaspereit, kommen Sie zum Ende!

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Herr Blüm, das bedeutet, daß noch mehr Frauen als Beitragszahlerinnen für unsere sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Das bedeutet für Herrn Waigel, daß noch mehr Frauen nicht mehr in der Lage sind, als Steuerzahlerinnen ihren Beitrag zum Haushalt zu leisten. Solange die Lösung der Probleme, die sich aus der geringfügigen Beschäftigung ergeben, nicht ernsthaft in Angriff genommen wird, kann man nicht von uns verlangen, daß wir dieser Änderung zustimmen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gibt es noch zwei mündliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Als erster der Kollege Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Gesetz nicht zustimmen; ich werde mich der Stimme enthalten. ({0}) Die Änderung des Ladenschlusses wird die Einzelhandelsstruktur in unserem Land weiter verschlechtern. ({1}) Der Umsatz verlagert sich vom ländlichen Raum in die Städte, von den kleinen Städten in die Großstädte und innerhalb der Großstädte in die I a-Lagen. Es wird zu einer weiteren Verlagerung in die Geschäfte auf der grünen Wiese kommen. Die ohnehin vorhandene Konzentration und Vermachtung im Einzelhandel werden verstärkt. In Zukunft werden die Arbeitszeiten für die Mitarbeiter noch ungünstiger sein, und es wird noch schwerer sein, qualifizierte Mitarbeiter für den mittelständischen Facheinzelhandel zu finden. ({2}) Wenn ich das Gesetz dennoch nicht ablehnen werde, sondern mich der Stimme enthalte, so hat das zwei Gründe: Erstens ist dies begründet in der Solidarität mit meiner Fraktion und nicht zuletzt in der Notwendigkeit der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Zweitens. Ich fordere und erwarte, daß die Bundesregierung, insbesondere der Bundeswirtschaftsminister, in Kürze Regelungen für das Kartellrecht vorlegen wird, die den leistungswidrigen Verdrängungswettbewerb von Großunternehmen gegen den leistungsfähigen Mittelstand in Zukunft unterbinden. ({3}) In keinem Land mit einer derartig entwickelten Wirtschaft gibt es diese Möglichkeiten, sich leistungswidriger Praktiken durch Einsatz der Nachfragemacht zu bedienen. Die mit dem Gesetzentwurf vorgelegte Beschlußempfehlung löst das Problem nicht. Sie stärkt zwar die Verbundgruppen, aber sie mindert die Selbständigkeit der Einzelhändler innerhalb der Verbundgruppen und führt zu einer weiteren Vermachtung in der Wirtschaft. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn sich Marktmacht an Stelle von Leistung lohnt, wenn leistungswidrige Praktiken durch Nachfragemacht ermöglicht werden, wird es einen weiteren Zwang zur Konzentration im Einzelhandel zu Lasten des Mittelstandes geben. Diese Vermachtung im Einzelhandel hat Einfluß auf den industriellen Mittelstand, der ebenfalls einer systematischen Vernichtung ausgesetzt ist. ({5}) Nicht zuletzt das ist für mich der eigentliche Punkt. Ich hoffe und erwarte, daß dieser Entwicklung Einhalt geboten wird, und ich hoffe, daß wir sehr bald im Deutschen Bundestag die notwendigen gesetzlichen Regelungen treffen. Ich bedanke mich. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die zweite Erklärung zur Abstimmung erfolgt durch den Kollegen Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen mir abnehmen: Es bedrückt mich sehr, die Meinung des größten Teils meiner Fraktion nicht teilen zu können. Ich kann dem Gesetz in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen, weil ich Gefahren für den Fortbestand des mittelständischen Einzelhandels und mittlerer Bäckereien in der Bundesrepublik Deutschland befürchte. ({0}) Neben Hunderten von Briefen in den letzten Monaten haben mich in den letzten zwei Tagen zig Faxe erreicht, in denen ich bestärkt wurde, gegen das Gesetz zu stimmen, was ich aber aus Solidarität gegenüber meiner Fraktion nicht tue. Ich werde nicht mit der Opposition stimmen, sondern ich werde mich der Stimme enthalten. Ich bin nicht von gestern und sehe die Zwänge, in denen wir uns momentan befinden. Neue Entwicklungen dürfen nicht wegdiskutiert werden. Teleshopping macht sich breit, die Tankstellen werden zu Supermärkten der Neuzeit, die Grenzen sind offen usw. Vieles davon wurde heute bereits gesagt. Deshalb bin ich für eine Teilliberalisierung, aber das Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Ich möchte mich ausdrücklich bei meiner Fraktion dafür bedanken, daß sie viele Vorschläge und Wünsche, die ich eingebracht habe, zu akzeptieren bereit war. Worüber ich mich ärgere und was mich stört, ist, daß man nicht gesehen hat, daß sich gerade der lange Samstag sehr verhängnisvoll auf den Einzelhandel auswirkt. Hier befürchte ich Kaufkraftverlagerungen von schlechten Lagen und Stadträndern, von der Fläche in Top-I a-Lagen und Supermärkte auf der grünen Wiese. ({1}) Letztere werden die Gewinner der neuen Regelung sein. Ich stelle fest, daß - das sollte jedem zu denken geben - gerade Großkaufhäuser und Supermärkte auf der grünen Wiese am langen Samstag in der Zeit von 14 bis 18 Uhr über 10 Prozent des gesamten Umsatzes einer Woche machen. Das geht letztendlich anderen ab, nämlich denjenigen, die nicht diese gute Lagen haben. Ich frage mich auch, warum in der Bundesrepublik Deutschland nur 16 Prozent aller Geschäfte vom langen Donnerstag Gebrauch machen. 84 Prozent tun es nicht, aber nicht etwa deshalb, weil sie genügend in der Kasse haben,

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Hinsken, reden Sie zur Abstimmung.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- sondern deshalb, weil es sich nicht rentiert. Letzte Bemerkung: Ich kann mich auch nicht mit den Vorschlägen der Grünen anfreunden. Sie sagen: Lassen Sie uns eine Kleinbetriebsregelung finden! Nehmen wir einmal an, das sei eine Regelung für Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern. Was passiert nun, wenn der Betrieb mehr Umsatz macht und auf sechs oder sieben Mitarbeiter aufstocken müßte? - Dann müßte er sich wieder an die Ladenschlußzeiten halten. Nein, wir brauchen eine Regelung für alle. Ich sage noch einmal: Aus Solidarität zu meiner Fraktion werde ich nicht mit der Opposition stimmen, sondern mich der Stimme enthalten und somit dem Gesetz meine Zustimmung verweigern. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen vor von Anneliese Augustin, Renate Blank, Dr. Wolf Bauer, Klaus Bühler ({0}), Hartmut Büttner ({1}), Dr. Uschi Eid, Claus-Peter Grotz, Hans-Joachim Fuchtel, Siegfried Hornung, Dr. Egon Jüttner, Dr. Uwe Jens, Sigrun Löwisch, Dr. Norbert Rieder, Reinhard Freiherr von Schorlemer, Franz Romer, Alois Graf von WaldburgZeil mit Dr. Renate Hellwig, Gert Willner und Michael Wonneberger.*) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Wenn alle Urnen besetzt sind, können wir mit der Abstimmung beginnen. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? ({2}) - Also warten wir noch. *) Anlagen 2 und 3 Ich frage noch einmal: Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich unterbreche die Sitzung und weise schon jetzt darauf hin, daß im Anschluß noch weitere einfache Abstimmungen durchzuführen sind. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 13/4245 und 13/4975 Buchstabe a, bekannt. Abgegebene Stimmen: 651, mit Ja haben gestimmt: 327, mit Nein haben gestimmt: 321, Enthaltungen: 3. Der Gesetzentwurf ist angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 652; davon ja: 327 nein: 322 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({2}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({3}) Hartmut Büttner ({4}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({5}) Peter Harry Carstensen ({6}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({7}) Leni Fischer ({8}) Klaus Francke ({9}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({10}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({11}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({12}) Hansgeorg Hauser ({13}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Klaus-Jürgen Hedrich Rudolf Meinl Andreas Schmidt ({14}) Jörg van Essen Helmut Heiderich Dr. Michael Meister Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Olaf Feldmann Manfred Heise Dr. Angela Merkel Hans Peter Schmitz Gisela Frick Dr. Renate Hellwig Friedrich Merz ({15}) Paul K. Friedhoff Peter Hintze Rudolf Meyer ({16}) Michael von Schmude Horst Friedrich Josef Hollerith Hans Michelbach Birgit Schnieber-Jastram Rainer Funke Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller Dr. Andreas Schockenhoff Hans-Dietrich Genscher Siegfried Hornung Elmar Müller ({17}) Dr. Rupert Scholz Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Hörster Engelbert Nelle Reinhard Freiherr von Joachim Günther ({18}) Hubert Hüppe Bernd Neumann ({19}) Schorlemer Dr. Karlheinz Guttmacher Peter Jacoby Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Dr. Helmut Haussmann Susanne Jaffke Claudia Nolte Wolfgang Schulhoff Ulrich Heinrich Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Dr. Dieter Schulte Walter Hirche Helmut Jawurek Friedhelm Ost ({20}) Birgit Homburger Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Gerhard Schulz ({21}) Dr. Werner Hoyer Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto ({22}) Frederick Schulze Ulrich Irmer Michael Jung ({23}) Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze ({24}) Detlef Kleinert ({25}) Ulrich Junghanns Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Roland Kohn Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Dr. Christian Schwarz- Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Schilling Jürgen Koppelin Bartholomäus Kalb Anton Pfeifer Wilhelm-Josef Sebastian Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Horst Seehofer Dr. Otto Graf Lambsdorff Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Sabine LeutheusserManfred Kanther Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Schnarrenberger Irmgard Karwatzki Beatrix Philipp Rudolf Seiters Uwe Lühr Volker Kauder Ronald Pofalla Johannes Selle Jürgen W. Möllemann Peter Keller Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Günther Friedrich Nolting Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Dr. Rainer Ortleb Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Lisa Peters Hans Klein ({26}) Dr. Albert Probst Margarete Späte Dr. Klaus Röhl Ulrich Klinkert Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Helmut Schäfer ({27}) Manfred Kolbe Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Cornelia Schmalz-Jacobsen Norbert Königshofen Thomas Rachel Erika Steinbach Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Eva-Maria Kors Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Dr. Irmgard Schwaetzer Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Stetten Dr. Hermann Otto Sohns Manfred Koslowski Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Dr. Max Stadler Thomas Kossendey Helmut Rauber Andreas Storm Carl-Ludwig Thiele Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Max Straubinger Dr. Dieter Thomae Wolfgang Krause ({28}) Otto Regenspurger Matthäus Strebl Jürgen Türk Andreas Krautscheid Christa Reichard ({29}) Michael Stübgen Dr. Wolfgang Weng Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Egon Susset ({30}) Heinz-Jürgen Kronberg ({31}) Dr. Rita Süssmuth Dr. Guido Westerwelle Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Reiner Krziskewitz Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Dr. Hermann Kues Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Nein Werner Kuhn Roland Richter Gottfried Tröger Dr. Karl A. Lamers Roland Richwien Dr. Klaus-Dieter Uelhoff ({32}) Dr. Norbert Rieder Gunnar Uldall CDU/CSU Karl Lamers Dr. Erich Riedl ({33}) Wolfgang Vogt ({34}) Dr. Norbert Lammert Klaus Riegert Dr. Horst Waffenschmidt Sigrun Löwisch Helmut Lamp Dr. Heinz Riesenhuber Alois Graf von Waldburg-Zeil Armin Laschet Franz Romer Dr. Jürgen Warnke Herbert Lattmann Hannelore Rönsch Kersten Wetzel SPD Dr. Paul Laufs ({35}) Hans-Otto Wilhelm ({36}) Karl-Josef Laumann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gert Willner Brigitte Adler Werner Lensing Dr. Klaus Rose Bernd Wilz Gerd Andres Christian Lenzer Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann Robert Antretter Peter Letzgus Adolf Roth ({37}) Simon Wittmann Hermann Bachmaier Editha Limbach Norbert Röttgen ({38}) Ernst Bahr Walter Link ({39}) Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Doris Barnett Eduard Lintner Volker Rühe Michael Wonneberger Klaus Barthel Dr. Klaus W. Lippold Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Ingrid Becker-Inglau ({40}) Roland Sauer ({41}) Peter Kurt Würzbach Hans Berger Dr. Manfred Lischewski Ortrun Schätzle Cornelia Yzer Hans-Werner Bertl Wolfgang Lohmann Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann Friedhelm Julius Beucher ({42}) Hartmut Schauerte Benno Zierer Rudolf Bindig Julius Louven Heinz Schemken Wolfgang Zöller Arne Börnsen ({43}) Heinrich Lummer Karl-Heinz Scherhag Anni Brandt-Elsweier Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Tilo Braune Erich Maaß ({44}) Norbert Schindler F.D.P. Dr. Eberhard Brecht Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Edelgard Bulmahn Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Ina Albowitz Ursula Burchardt Günter Marten Bernd Schmidbauer Dr. Gisela Babel Hans Martin Bury Dr. Martin Mayer Christian Schmidt ({45}) Hildebrecht Braun Hans Büttner ({46}) ({47}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({48}) Marion Caspers-Merk Wolfgang Meckelburg ({49}) Günther Bredehorn Wolf-Michael Catenhusen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Peter Conradi Volker Kröning Ulla Schmidt ({50}) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger Dagmar Schmidt ({51}) Christel Deichmann Horst Kubatschka Wilhelm Schmidt ({52}) Gila Altmann ({53}) Karl Diller Eckart Kuhlwein Regina. Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Heinz Schmitt ({54}) ({55}) Peter Dreßen Christine Kurzhals Dr. Emil Schnell Marieluise Beck ({56}) Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Walter Schöler Volker Beck ({57}) Freimut Duve Werner Labsch Ottmar Schreiner Angelika Beer Ludwig Eich Brigitte Lange Gisela Schröter Matthias Berninger Peter Enders Detlev von Larcher Dr. Mathias Schubert Annelie Buntenbach Gernot Erler Waltraud Lehn Richard Schuhmann Amke Dietert-Scheuer Petra Ernstberger Robert Leidinger ({58}) Franziska Eichstädt-Bohlig Annette Faße Klaus Lennartz Reinhard Schultz Dr. Uschi Eid Elke Ferner Dr. Elke Leonhard ({59}) Andrea Fischer ({60}) Lothar Fischer ({61}) Klaus Lohmann ({62}) Volkmar Schultz ({63}) Joseph Fischer ({64}) Gabriele Fograscher Christa Lörcher Ilse Schumann Rita Grießhaber Iris Follak Erika Lotz Dr. R. Werner Schuster Gerald Häfner Norbert Formanski Dr. Christine Lucyga Dietmar Schütz ({65}) Antje Hermenau Dagmar Freitag Dieter Maaß ({66}) Dr. Angelica Schwall-Düren Kristin Heyne Anke Fuchs ({67}) Winfried Mante Ernst Schwanhold Ulrike Höfken Katrin Fuchs ({68}) Dorle Marx Rolf Schwanitz Michaele Hustedt Arne Fuhrmann Ulrike Mascher Bodo Seidenthal Dr. Manuel Kiper Monika Ganseforth Christoph Matschie Lisa Seuster Monika Knoche Norbert Gansel Ingrid Matthäus-Maier Horst Sielaff Dr. Angelika Köster-Loßack Konrad Gilges Heide Mattischeck Erika Simm Steffi Lemke Iris Gleicke Markus Meckel Johannes Singer Vera Lengsfeld Günter Gloser Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Helmut Lippelt Uwe Göllner Herbert Meißner Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Oswald Metzger Günter Graf ({69}) Angelika Mertens Wieland Sorge Kerstin Müller ({70}) Angelika Graf ({71}) Dr. Jürgen Meyer ({72}) Wolfgang Spanier Winfried Nachtwei Dieter Grasedieck Ursula Mogg Dr. Dietrich Sperling Christa Nickels Achim Großmann Siegmar Mosdorf Jörg-Otto Spiller Egbert Nitsch ({73}) Karl-Hermann Haack Michael Müller ({74}) Antje-Marie Steen Cem Özdemir ({75}) Jutta Müller ({76}) Ludwig Stiegler Gerd Poppe Hans-Joachim Hacker Christian Müller ({77}) Dr. Peter Struck Simone Probst Klaus Hagemann Kurt Neumann ({78}) Joachim Tappe Dr. Jürgen Rochlitz Manfred Hampel Volker Neumann ({79}) Jörg Tauss Halo Saibold Christel Hanewinckel Gerhard Neumann ({80}) Dr. Bodo Teichmann Christine Scheel Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Margitta Terborg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Jella Teuchner Rezzo Schlauch Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Dr. Gerald Thalheim Albert Schmidt ({81}) Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Wolfgang Schmitt Dieter Heistermann Leyla Onur Wolfgang Thierse ({82}) Reinhold Hemker Manfred Opel Dietmar Thieser Ursula Schönberger Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Franz Thönnes Waltraud Schoppe Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Uta Titze-Stecher Werner Schulz ({83}) Monika Heubaum Albrecht Papenroth Adelheid Tröscher Marina Steindor Uwe Hiksch Dr. Wilfried Penner Hans-Eberhard Urbaniak Christian Sterzing Reinhold Hiller ({84}) Dr. Martin Pfaff Siegfried Vergin Manfred Such Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Günter Verheugen Dr. Antje Vollmer Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick Ute Vogt ({85}) Ludger Volmer Jelena Hoffmann ({86}) Joachim Poß Karsten D. Voigt ({87}) Frankfurt Helmut Wilhelm ({88}) Frank Hofmann ({89}) Rudolf Purps Josef Vosen Margareta Wolf ({90}) Ingrid Holzhüter Hermann Rappe Hans Georg Wagner Eike Hovermann ({91}) Hans Wallow Lothar Ibrügger Karin Rehbock-Zureich Dr. Konstanze Wegner PDS Barbara Imhof Margot von Renesse Wolfgang Weiermann Brunhilde Irber Renate Rennebach Reinhard Weis ({92}) Wolfgang Bierstedt Gabriele Iwersen Otto Reschke Matthias Weisheit Petra Bläss Renate Jäger Bernd Reuter Gunter Weißgerber Maritta Böttcher Jann-Peter Janssen Dr. Edelbert Richter Gert Weisskirchen ({93}) Eva Bulling-Schröter Ilse Janz Günter Rixe Jochen Welt Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Uwe Jens Reinhold Robbe Hildegard Wester Dr. Ludwig Elm Volker Jung ({94}) Gerhard Rübenkönig Lydia Westrich Dr. Dagmar Enkelmann Sabine Kaspereit Dr. Hansjörg Schäfer Inge Wettig-Danielmeier Dr. Ruth Fuchs Susanne Kastner Gudrun Schaich-Walch Dr. Norbert Wieczorek Dr. Gregor Gysi Ernst Kastning Dieter Schanz Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanns-Peter Hartmann Hans-Peter Kemper Bernd Scheelen Dieter Wiefelspütz Dr. Uwe-Jens Heuer Klaus Kirschner Dr. Hermann Scheer Berthold Wittich Dr. Willibald Jacob Marianne Klappert Siegfried Scheffler Dr. Wolfgang Wodarg Ulla Jelpke Siegrun Klemmer Horst Schild Verena Wohlleben Gerhard Jüttemann Hans-Ulrich Klose Otto Schily Hanna Wolf ({95}) Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Hans-Hinrich Knaape Dieter Schloten Heidi Wright Rolf Köhne Walter Kolbow Günter Schluckebier Uta Zapf Rolf Kutzmutz Fritz Rudolf Körper Horst Schmidbauer Dr. Christoph Zöpel Dr. Christa Luft Nicolette Kressl ({96}) Peter Zumkley Heidemarie Lüth Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Günther Maleuda Enthalten Manfred Müller ({97}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel CDU/CSU Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Renate Blank Dr. Winfried Wolf Ernst Hinsken Gerhard Zwerenz Dr. Winfried Pinger Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, Drucksache 13/4975 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/201 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine. Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4975 die Annahme von Entschließungen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 und Zusatzpunkt 7 auf: 16. Erste Beratung des von den Abgordneten Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler, Christel Hanewinckel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung - Drucksache 13/3301 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({98}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO ZP7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dauerhafte Beschäftigungen sozialversichern - Drucksache 13/4969 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({99}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Als erste bitte ich die Kollegin Leyla Onur ans Rednerpult.

Leyla Onur (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002747, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Entscheidung zum Ladenschlußgesetz, sehr geehrte Kollegin und Kollegen von den Mehrheitsfraktionen, haben Sie heute gleichzeitig beschlossen, daß über die derzeit bestehenden 500 000 geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse hinaus weitere hunderttausende im Handel entstehen werden. ({0}) Schon 1992 waren laut des Forschungsberichtes des Institutes für Sozialforschung 4,5 Millionen Männer und Frauen in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Das war allein in den alten Bundesländern eine Million mehr als 1987. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Das Mittelstandsinstitut Niedersachsen jedoch schätzt, daß es inzwischen etwa 6 Millionen 590-DM-Jobs gibt. Trotz dieser dramatischen Zunahme ungeschützter Arbeitsverhältnisse in den letzten Jahren haben Sie, die Sie die Mehrheit in diesem Hause haben, heute vormittag Ihre sozialpolitische Verantwortung an der Garderobe abgegeben. ({1}) Sie haben den Arbeitgebern im Einzelhandel den Vorwand geliefert, weitere Hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur noch geringfügig zu beschäftigen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Norbert Blüm, hat dazu bereitwillig seine Zustimmung gegeben, nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Genauer gesagt: sein Geschwätz vom 19. November 1995 im Deutschlandfunk. Gefragt nach der Problematik versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Ladenschluß hat er geantwortet: Was wir nicht hinnehmen können, ist, daß ganze Betriebsabteilungen, ganze Kolonnen umstellen von einem normalen Arbeitsverhältnis auf diese Geringfügigkeit. ({2}) Der Sozialstaat verliert Beitragszahler. Anschließend beschweren sich dieselben, die das organisieren, daß die Beiträge steigen. Ja, wenn die Beitragszahler flüchten, dann müssen die Zurückgebliebenen mehr zahlen. Das kann ich nicht hinnehmen, und deshalb muß dieser Flucht aus sozialstaatlichen Pflichten der Riegel vorgeschoben werden. Ich frage Sie, Herr Blüm: Wer flüchtet hier aus sozialstaatlichen Pflichten? Nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber, die sozialversicherungspflichtige Teil- und Vollzeitarbeitsplätze abbauen und ihre Beschäftigten bzw. Arbeitsuchende zwingen, einen 590-DM-Job zu akzeptieren oder gar keine Arbeit zu bekommen. Ich frage Sie weiterhin, Herr Blüm: Wann wollen Sie endlich den besagten Riegel vorschieben? Wann tun Sie endlich etwas gegen den Mißbrauch von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen? Markige Worte haben wir und insbesondere die Betroffenen oft genug von Ihnen gehört. Wann folgen endlich die Taten? Wie Sie selbst in Ihrem Beitrag im „Deutschlandfunk" festgestellt haben, Herr Blüm, erfüllen diese Arbeitsverhältnisse nicht mehr den gewünschten Zweck, vorübergehende Personalengpässe in den Betrieben aufzufangen, also einen zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu ermöglichen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden mißbräuchlich genutzt und wirken wie eine Subvention ungeschützter Arbeitsverhältnisse, die von Beitragszahlern, also von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, finanziert werden müssen. Dieser Mißbrauch widerspricht eklatant dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt und muß schnellstens beseitigt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion bringt deshalb heute - wie übrigens schon 1994 - einen Gesetzentwurf zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung ein. Unser Gesetzentwurf enthält die notwendigen Regelungen zur Beseitigung objektiv vorhandener sozialer Defizite und Mißbrauchsmöglichkeiten. Er läßt weiter den zeitlich flexiblen Personaleinsatz zu, soweit er betriebswirtschaftlich notwendig ist und im Interesse der Beschäftigten liegt. Unsere Vorschläge berücksichtigen die Interessen der Beschäftigten und der Betriebe, denn sie stellen die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt wieder her, indem Arbeitgeber generell ab einer Bagatellgrenze auch für geringfügig Beschäftigte beitragspflichtig werden. Dadurch werden sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, die heute ausschließlich oder überwiegend sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen, entlastet, weil unser Vorschlag zu Beitragssenkungen führt. Die Beschäftigten sollen, differenziert nach Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, persönlich nur dann versicherungspflichtig werden, wenn ein Schutzbedürfnis besteht oder der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der Sozialversicherung dieses erfordert. Meine Redezeit erlaubt mir nicht, auf alle Einzelheiten unseres Entwurfes einzugehen. Ich nenne heute nur einige wichtige Elemente. Die bisherige Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung von derzeit 590 DM und die Geringverdienergrenze von 610 DM werden aufgehoben. Kurzzeitige Beschäftigung wie Saisonarbeiten und Krankheitsvertretungen bis zu zwei Monaten oder fünfzig Arbeitstagen unabhängig vom Verdienst bleiben sozialversicherungsfrei. Für Dauerarbeitsbeschäftigungsverhältnisse mit einem Arbeitsentgelt unter einer Bagatellgrenze von 82 DM bzw. 68 DM pro Monat werden keine Versicherungsbeiträge erhoben. Das heißt, in beiden Fällen zahlen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer Beiträge. Darüber hinaus werden Arbeitgeber generell beitragspflichtig. Das gilt auch, wenn sie Schüler, Studenten, Rentner, Selbständige und Beamte geringfügig beschäftigen. Diese generellen Arbeitgeberbeiträge führen zu Beitragsmehreinnahmen und entsprechenden Beitragssenkungen. Das ist ein Baustein zur Absenkung der Lohnnebenkosten im Interesse aller Beschäftigten und der Betriebe. Unser Entwurf schert auch künftig nicht alle Arbeitnehmer über einen Kamm, sondern beinhaltet notwendige Differenzierungen. Das heißt, auch künftig soll ein Teil der geringfügig Beschäftigten versicherungsfrei bleiben, beispielsweise Beschäftigte unterhalb der ehemaligen 590-DM-Grenze, wenn sie bisher nicht dem System der gesetzlichen Krankenversicherung angehört haben. Diese Regelung verhindert, daß beispielsweise Ehepartner und -partnerinnen von Selbständigen und Beamten durch Zahlung von Minimalbeiträgen einen billigen Versicherungsschutz zu Lasten der Solidargemeinschaft erhalten. Auch Schüler, Studenten, Beamte, Selbständige und Angestellte über der Beitragsbemessungsgrenze bleiben versicherungsfrei. In der Rentenversicherung sollen Schüler, Studenten und Beamte versicherungsfrei bleiben. In der Arbeitslosenversicherung bleibt es im wesentlichen bei der Versicherungsfreiheit für Kurzzeitbeschäftigte unter bisher 18 Stunden nach geltendem Recht und neu 17 Stunden. Beitragspflichtig werden künftig alle anderen geringfügig Beschäftigten, auch unterhalb der 590-DM-Grenze, wenn sie bisher in einer gesetzlichen Krankenversicherung persönlich oder familienversichert waren. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten damit ihren solidarischen Beitrag zur Krankenversicherung und erwerben gleichzeitig individuelle, uneingeschränkte Leistungsansprüche, wie zum Beispiel den Anspruch auf Krankengeld. Die allgemeine Beitragspflicht der Beschäftigten in die Rentenversicherung - die Ausnahmen habe ich genannt - führt selbst bei noch so niedrigen Beiträgen zur Verbesserung der Alterssicherung, insbesondere von Frauen. Die notwendigen Ergänzungen im Leistungsrecht, um überproportionale Rentenvorteile zu verhindern, sind in unserem Entwurf natürlich enthalten. Zur Arbeitslosenversicherung sei in der Kürze der verfügbaren Zeit nur beispielhaft angeführt, daß die Kurzzeitbeschäftigten bei neu 17 Stunden versicherungsfrei bleiben. Jedoch wird für alle Beschäftigten ein reiner Arbeitgeberbeitrag eingeführt, auch für Schüler, Studenten und Rentner. Diese Arbeitgeberbeiträge in die Arbeitslosenversicherung begründen keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld, jedoch auf Geldleistungen bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Dieses sogenannte Unterhaltsgeld kommt insbesondere Frauen zugute, die ins Erwerbsleben zurückkehren wollen. Unsere Vorschläge, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, führen nicht zu nennenswerten zusätzlichen Leistungsansprüchen in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die ausdrücklich gewünschten zusätzlichen Leistungsansprüche an die Rentenversicherung werden erst langfristig wirksam und sind durch Beitragsmehreinnahmen gedeckt. Generell erreichen wir durch interne Umschichtungen der Sozialversicherungsbelastungen zwischen den Beitragszahlern Beitragsmehreinnahmen und gleichzeitig Beitragssenkungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die genauen Zahlen können Sie in unserem Entwurf nachlesen. Meine Damen und Herren von der Mehrheitskoalition, Herr Bundesarbeitsminister, bisher heute haben Sie nichts, aber auch gar nichts getan, um dem Mißbrauch einen Riegel vorzuschieben, also den Mißbrauch zu beseitigen. Die SPD-Bundestagsfraktion ist sich ihrer sozialpolitischen Verantwortung bewußt und legt deshalb heute diesen Gesetzentwurf vor. Holen Sie auch Ihre sozialpolitische Verantwortung wieder von der Garderobe ab, und beschließen Sie mit uns gemeinsam dieses überfällige Gesetz. Danke schön. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Julius Louven.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Instrument der geringfügig Beschäftigten ist seinerzeit eingeführt worden, um dem Mittelstand die Möglichkeit zu geben, Auftragsspitzen abzufangen. Vom Mittelstand und von den Beschäftigten wird diese unkomplizierte Regelung sehr geschätzt. Ich hätte beispielsweise mein Geschäft nicht führen können, wenn es dieses Instrument nicht gegeben hätte. Frau Onur, Sie reden davon, daß 4,5 Millionen Deutsche in ungeschützten Arbeitsverhältnissen seien. Nun muß man wohl diese Zahl ein wenig zurechtrücken. In diesen 4,5 Millionen Beschäftigten ist sowohl derjenige mitgezählt, der im Jahr zwölfmal 590 DM verdient, wie auch derjenige oder diejenige, der oder die einmal im Jahr 100 DM verdient. Aus diesem Grunde muß man mit der Zahl von 4,5 Millionen wohl vorsichtig sein. ({0}) Wir haben, als wir erkannten, daß es in diesem Bereich Mißbrauch gibt, in der Vergangenheit gehandelt. Wir haben die Meldepflicht eingeführt, wir haben den Sozialversicherungsausweis eingeführt, wir haben die Betriebe verpflichtet, auch für diesen Bereich Lohnunterlagen zu führen. Ich verkenne nicht, daß wir auch heute noch Mißbrauch haben. Insbesondere bekümmert es uns, daß offensichtlich auf Grund des großen Kostendrucks die Unternehmen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in geringfügige umwandeln. So ist dieses Instrument nicht gedacht, und wir arbeiten mit Nachdruck daran, um diesen Mißbrauch hier verhindern zu können. Aber um es in aller Klarheit zu sagen: Wir stellen das Instrument geringfügige Beschäftigung nicht in Frage. Der Mittelstand braucht dieses Instrument. Sie kommen nun mit einem Vorschlag in Ihrem Gesetzentwurf, dem wir nicht folgen können, wo ich eigentlich nur sagen kann: ein typischer SPD-Entwurf - regulieren, komplizieren. Das, was Sie vorschlagen, ist nicht handhabbar. Die unterschiedlichen Regelungen für die einzelnen Sozialversicherungszweige führen zu einem gewaltigen Verwaltungsaufwand, ({1}) und das wird unter dem Strich nichts bringen. Mal gibt es einen Leistungsanspruch in einem Sozialversicherungssystem, mal gibt es keinen. In der Rentenversicherung ist eine individuelle Regelung vorgesehen, wo minimale Rentenansprüche entstehen, wo aber andererseits Leistungsansprüche erwachsen, besonders im Bereich von Reha. Ihre Regelungen führen - das muß ich Ihnen so deutlich sagen - direkt in die Schwarzarbeit. Wenn das, was Sie fordern, Wirklichkeit würde, dann würden viele mittelständische Betriebe im Einverständnis mit vielen Arbeitnehmern in Schwarzarbeit ausweichen. Dann fehlten auch noch die Steuereinnahmen. Im übrigen sind diese Arbeitsverhältnisse nicht völlig rechtlos. Die Arbeitnehmer haben nach dieser Regelung Anspruch auf Urlaub, auf Feiertagsbezahlung, auf Lohnfortzahlung, auf Kündigungsschutz. Hier davon zu reden, sie seien völlig rechtlos, ist falsch. Wenn Sie uns eben vorgeworfen haben, Frau Kollegin Onur, wir hätten unsere sozialpolitische Gesinnung heute mit der Verabschiedung des Ladenschlußgesetzes an der Garderobe abgegeben, so muß ich dies zurückweisen. ({2}) Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir arbeiten daran, den hier erkennbaren Mißbrauch zu beseitigen. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis: Wir stellen das Instrument nicht in Frage. Ihre Vorschläge lehnen wir ab, weil sie zu kompliziert sind, weil sie nicht handhabbar sind. Sie können davon ausgehen, daß wir in absehbarer Zeit mit Vorschlägen kommen, die besser, handhabbarer sind, mit denen dann auch die mittelständische Wirtschaft und die 590-Mark-Beschäftigten leben können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat die Abgeordnete Annelie Buntenbach.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Louven, wir reden heute nicht zum erstenmal in dieser Legislatur über geringfügige Beschäftigung. Wenn Sie jetzt sagen, Sie arbeiten mit HochAnnelie Buntenbach druck daran, daß dieser Mißbrauch beseitigt wird, dann hätte ich eigentlich erwartet, daß schon lange ein Vorschlag auf dem Tisch liegt; denn Sie wissen genau, daß dieses Problem wirklich drängend ist. ({0}) Es war bis jetzt nicht nur die Opposition, die das Problem zum Thema gemacht hat. Ich will zwei der Äußerungen, die in diesem Rahmen gefallen sind, einmal zitieren. Die erste: Die Lage von Frauen ist sehr verschieden. Schaffen wir nicht erneut Altersarmut für die nachfolgenden Frauengenerationen! Deswegen sage ich abschließend noch einmal: Dieses Parlament kommt nicht umhin, sich mit den geringfügig Beschäftigten zu befassen. Ein zweites Zitat. Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Dem Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse müssen wir entgegenwirken. Darin stimmen wir überein. Das erste Zitat stammt von Frau Süssmuth aus einer Debatte anläßlich des Internationalen Frauentages 1995, das zweite von Frau Ministerin Nolte anläßlich des Internationalen Frauentages 1996. Bevor Sie jetzt am nächsten 8. März wieder in einer Sonntagsrede Zustände beklagen, die Sie ändern können, sollten Sie endlich etwas unternehmen, um das Problem zu lösen. ({1}) Statt dessen verschärfen Sie die brisante Situation noch. Mit Ihrer Verlängerung der Ladenschlußzeiten, die eben beschlossen worden ist, erreichen Sie nicht nur, daß die Konzentration im Einzelhandel sich weiter zuspitzt und daß dezentrale Versorgungsstrukturen zerstört werden, sondern es werden auch ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse ausgeweitet. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche; spätestens die Anhörung hat dies eindeutig ergeben. Dabei ist das Problem jetzt schon riesengroß. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben in den letzten Jahren - das hat Frau Onur schon dargestellt - erschreckende Ausmaße angenommen. Dazu gehören Teilzeitarbeit, die nicht ausreichend abgesichert ist, geringfügige Beschäftigung unterhalb der Sozialversicherungspflicht, Scheinselbständigkeit, Heimarbeit, Leiharbeit, unständige Beschäftigung usw. Der Billiglohnsektor wird von Ihnen aufgebläht, und die Flucht aus der Sozialversicherung wird zur Massenbewegung. Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, unternehmen nichts dagegen. Im Gegenteil, Sie fördern diese Entwicklung noch, indem Sie für all diese Formen von Beschäftigung keinen vernünftigen Ordnungsrahmen schaffen, sondern mit Ihrem arbeitsrechtlichen Maßnahmenbündel weiter deregulieren. In dem AFG-Entwurf, den Sie gestern eingebracht haben, drehen Sie weit über die Schmerzgrenze hinaus an der Zumutbarkeitsschraube. Damit wollen Sie die Menschen zwingen, jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen. In 590-DM-Jobs arbeiten zum größten Teil Frauen. Diese Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der Sozialversicherungspflicht werden immer mehr zu einem systematischen Mittel von Personalplanung, insbesondere im Handel, in der Gebäudereinigung und im Gaststättengewerbe. Vollzeit- oder abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze werden in Bruchteilbeschäftigungen zerlegt, und Neueinstellungen finden vielfach nur noch zu 590-DM-Konditionen statt, um von Arbeitgeberseite die Sozialversicherungskosten zu sparen. Gerade in der harten Konkurrenzsituation, in der zum Beispiel der Handel in Ostdeutschland mit bekanntlich 50 Prozent Überkapazität steht, wird an Personal- und Sozialversicherungskosten und an der Logistik gespart. Wer das nicht tut, sondern seine Angestellten vernünftig absichert, hat in diesem Konkurrenzkampf von vornherein die schlechteren Karten. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, und Sie setzen eine Dumpingspirale in Gang, wie sie sich ganz deutlich im Einzelhandel zeigt. Dort hat sich in den letzten zehn Jahren schon die Zahl der geringfügig Beschäftigten verdoppelt, und zwar zu Lasten von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Sie müssen hier endlich eingreifen und einen ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, mit dem Sie die Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Beschäftigung sicherstellen und in diesem Sinn für alle Unternehmen die gleichen Bedingungen herstellen. Das Mindeste ist aber, den Anreiz für die Unternehmen zu beseitigen, auf diese für sie ja ungemein billigen Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen. ({2}) Faktisch läuft hier doch eine versteckte Dauersubvention dieser Unternehmen durch diejenigen, die mit ihren Beiträgen das soziale Sicherungssystem finanzieren; denn wenn bei den Unternehmen die Sozialversicherung eingespart wird, trägt die Folgekosten für die mangelhafte Absicherung der Menschen die Allgemeinheit. Die Allgemeinheit und die Beschäftigten zahlen letztlich die Zeche. In solchen Arbeitsverhältnissen - das habe ich eben schon gesagt - sind zum allergrößten Teil Frauen beschäftigt. Sie haben keinen Zugang zu einer eigenständigen sozialen Absicherung. Die Krankenversicherung läuft über das bekanntlich unstabile Konstrukt des Familienernährers, so er denn vorhanden ist. Es gibt keine Mark für die Arbeitslosenversicherung und für Rentenansprüche. Für viele Frauen heißt das, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, anstatt eine eigene Rente zu bekommen. Dann wird ihnen die Rechnung für ihre Doppelbelastung, die darin besteht, in dieser Gesellschaft immer noch für Kindererziehung und Haushalt meist allein verantwortlich zu sein, noch einmal präsentiert. Diesen Frauen nutzen auch keine großartigen Sonntagsreden oder hehre Absichtserklärungen, wie auch dieses Haus sie schon abgegeben hat, als erklärt wurde, durch einen Zugang zu eigenständiger sozialer Absicherung zur Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft beitragen zu wollen. Dann tun Sie es endlich! ({3}) Vorschläge aus den Reihen der Opposition liegen auf dem Tisch, als einen Schritt hin zur eigenständigen sozialen Absicherung von Frauen die Geringfügigkeitsgrenze bis auf eine Bagatellgrenze abzuschaffen. Die Wege unterscheiden sich. Daß ich unseren Ansatz für den besseren halte, wird Sie kaum wundern. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, stellen mir in Ihrem Antrag die Sanierung der Sozialkassen zu sehr in den Vordergrund, wenn Sie trotz gezahlter Sozialversicherungsbeiträge eine Reihe von gerade für die Frauen wichtigen Ansprüchen wie das Auffüllen von Anwartschaftszeiten für die Rente aus den Leistungen ausschließen. Wenn eingezahlt wird, kann man die Leute nicht aus solchen zentralen Leistungen ausschließen. ({4}) Aber darüber werden wir uns in den Ausschußberatungen genauer auseinandersetzen. Eine wesentliche Sache haben die Oppositionsparteien in diesem Hause der Regierung voraus, nämlich die Grundentscheidung: Wir wollen jede dauerhafte Beschäftigung sozialversichern. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, jetzt sind Sie dran: Lassen Sie Ihren Sonntagsreden endlich praktische Politik folgen. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mindestens einmal pro Legislaturperiode bittet die SPD den Bundestag um Zustimmung zur Sozialversicherungspflicht für 590-Mark-Verträge. Diesen Entwurf haben wir fast wortgleich im Jahre 1994 beraten und dazu eine Anhörung im Ausschuß durchgeführt. Die Stellungnahmen der Verbände, der Versicherungen und vor allem der Sachverständigen waren durchweg ablehnend. Das hindert Sie aber nicht, tapfer immer wieder dasselbe zu versuchen. ({0}) Dabei sprechen und schreiben Sie von „Mißbrauch" ({1}) und folgern dies aus der Zahl von 4,5 Millionen geringfügig Beschäftigten. Dieselbe Zahl haben Sie auch 1994 schon angeführt. ({2}) Zumindest gibt es also keinen Zuwachs in diesem Bereich. Von „Mißbrauch" spricht die Bundesregierung - korrekterweise - in ihrer Antwort auf die von meiner Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unterzeichneten Kleinen Anfrage dagegen nur in zwei Fällen: dann nämlich, wenn offiziell nur eine geringfügige Beschäftigung vereinbart wird, verdeckt aber höhere Entgelte geleistet werden, oder wenn ein Arbeitnehmer mehrere geringfügige Beschäftigungen hat, aber gesetzeswidrig keine Sozialversicherungsabgaben abführt. Auch hinsichtlich der exakten Zahlen herrscht Unklarheit. Wie Sie auf 4,5 Millionen kommen, weiß ich nicht. ({3}) Der Mikrozensus von 1990 beziffert die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, also ohne Nebentätigkeitsverhältnisse, auf 1,5 Millionen. Der Mikrozensus von April 1994 nennt - ohne die Nebentätigkeiten - 1,8 Millionen. Die Bundesregierung, die diesen Zahlen unerklärlicherweise ebenfalls mißtraut, geht von 2,9 Millionen aus. Vielleicht ließen sich diese Widersprüche einmal aufklären. Was ist nun überhaupt der Grund dafür, daß die SPD die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht überführen will? Interessant ist, daß Sie gar nicht sozialpolitisch argumentieren. Sie behaupten, es gehe Ihnen um die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt. Offensichtlich hat sich inzwischen auch bei Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Einbeziehung der 590Mark-Verträge in die Sozialversicherungspflicht sozialpolitisch nicht nur nicht geboten, sondern geradezu schädlich ist. Dazu lassen Sie mich einiges sagen. Zunächst einmal: „Ungeschützte Arbeitsverhältnisse" ist der falsche Ausdruck. Die in 590-MarkVerträgen Beschäftigten unterliegen - das wissen Sie - voll den Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts. ({4}) Die Einbeziehung in die Versicherungspflicht für Arbeitnehmer darüber hinaus ist in keinem Punkt erstrebenswert. Beispiel Krankenversicherung: Gerade einmal 1 Prozent der sozialversicherungsfrei Beschäftigten genoß 1992 keinen Krankenversicherungsschutz. Alle anderen waren familienversichert, als Studenten oder Rentner versichert oder anderweitig abgesichert. Die SPD sieht in ihrem Gesetzentwurf daher vor, daß eine Abgabe an die Krankenversicherung dann zu zahlen ist, wenn der Betroffene anderweitig versiDr. Gisela Babel chert ist. Auf diesen Punkt möchte ich Ihre besondere Aufmerksamkeit lenken. Also: Man soll versichert werden, wenn man schon versichert ist. ({5}) So werden zum Beispiel Millionen von Hausfrauen, die bisher voll familienversichert sind, plötzlich abgabepflichtig, ohne daß sich an ihrem bisherigen Versicherungsschutz nur das Geringste ändert. Es entstehen zwar zusätzliche Beiträge, aber keine zusätzlichen Leistungen. Hier wird unter dem sozialpolitischen Deckmäntelchen schlicht abkassiert. Beispiel Rentenversicherung: Alle geringfügig Beschäftigten sollen in die Versicherungspflicht einbezogen werden. Begründung: Jede noch so geringe Aufstockung der Altersversorgung ist erstrebenswert. Sie wissen, daß man den Frauen mit einem solchen Rentenanspruch gerade einmal 30 DM im Monat gibt. Die Auffassung, daß das der sozialpolitische Durchbruch zu der eigenständigen Sicherung der Frau sein kann, ist doch wohl schlicht daneben. ({6}) Auch wir glauben, daß das Thema Alterssicherung der Frauen angegangen werden muß, aber doch nicht bei diesen Minibeschäftigungsverträgen. Es da hineinzuziehen, ist meiner Ansicht nach reine Nebelwerferei. Bei diesen kleinen Verträgen bringt das ganz bestimmt nichts; da ist das Porto, das man aufbringen muß, um die Beiträge abzuführen, ja fast schon höher als die Leistung. ({7}) Wie wäre es denn nun, wenn das Gesetz der SPD in Kraft träte? Sie sprechen selbst von einer internen Umschichtung der Sozialversicherungsbelastung in einem Volumen von 6,9 Milliarden DM. Das soll eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge ermöglichen. Das ist Ihre Version. Zunächst einmal: Von Umschichtung kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie verteuern die Arbeit einfach. Das ist Ihr Beitrag zur Entlastung von Arbeit. ({8}) Zum zweiten: In die Sozialkassen spülen Sie nur dann mehr Geld - hören Sie gut zu -, wenn sich an der Zahl der versicherungspflichtigen Verhältnisse nichts ändert, das heißt, wenn das Volumen erhalten bleibt. Aber jetzt mache ich Sie auf eines aufmerksam: Für den Arbeitgeber, der heute schon 20 Prozent Lohnsteuer zahlt - er muß also schon 120 DM abführen -, würden noch einmal 20 Prozent, also weitere 120 DM fällig. Für die Arbeitnehmer wären es 370 DM statt 590 DM. Ich prophezeie Ihnen daher, daß die einzige Folge die sein wird, daß der Bundesarbeitsminister verlautbaren muß, daß es eine Explosion bei der Schwarzarbeit gibt. Es wird solche Verträge in diesem Volumen nicht mehr geben, weil sie einfach zu teuer sind. Zum Schluß möchte ich insgesamt zu dem Gesetzentwurf Stellung nehmen. Es ist ein kleines Segment. Arbeit sollte in unserem Staat frei von Abgaben und Versicherungsbeiträgen sein. Sicher, wir haben die 20prozentige Lohnsteuer. Wir haben die Verträge durch Bedingungen schon eingeengt. Die Insel der Freiheit ist also ganz klein. Aber diejenigen, die diese Beschäftigungsform nutzen, drängen darauf, daß es so bleibt. Es ist ein dringender Appell der Arbeitgeber. Es ist auch ein dringender Appell zum Beispiel der Unternehmerinnen, die die Parlamentarier zu Gesprächen eingeladen haben. Hören wir bitte damit auf, Ameisen melken zu wollen, und lassen wir die 590-DM-Verträge unangetastet! Vielen Dank. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Plazierung dieser Aussprache zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeitsgrenze und zur Sozialversicherungspflicht jeder dauerhaften Beschäftigung ist zweifellos symbolisch. Mich macht nicht nur das vorherige Abstimmungsergebnis wütend, sondern vor allem auch die dürftige Anwesenheit bei dieser Debatte. Sie zeugt davon, daß man sich weigert, sich mit den Konsequenzen der Entscheidung, die getroffen worden ist, auseinanderzusetzen. ({0}) Vorhin wurde mit der Annahme des Ladenschlußgesetzes der Weg für eine unermeßliche Zergliederung der Arbeit frei gemacht. Zu Recht haben Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter davor gewarnt, daß eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zur massenhaften Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeit- und vor allem in 590- bzw. 500-DM-Jobs für Frauen führen wird. Wenn DAG-Chef Roland Issen in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß mit den heutigen 590-DM-Arbeitskräften die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger der Zukunft geschaffen werden, so stößt uns das unmittelbar auf das Thema Altersarmut. „Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen" - dieses Thema werden wir ja in einigen Stunden diskutieren. Bezeichnend ist, daß das Gesetz, das die Ursachen von Armut produziert, von der Regierungskoalition kommt, und die Initiativen zu deren Beseitigung allein der Opposition vorbehalten sind. „Tendenz steigend" lautet das einmütige Analyseergebnis von Untersuchungen zum Ausmaß prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Insofern ist jede Initiative, etwas gegen die Ausweitung und den Mißbrauch von geringfügiger Beschäftigung zu tun, begrüßenswert. Ich finde es schon symbolisch, daß unsere Frauenministerin einzig und allein zur Abstimmung zum LaPetra Blass denschlußgesetz hierherkommt und genau bei dieser Debatte den Raum wieder verläßt, ({1}) obwohl sie nach der Weltfrauenkonferenz in Peking keine Gelegenheit ausgelassen hat, in jeder Sonntagsrede darauf hinzuweisen, daß einer ihrer Schwerpunkte ist, den Mißbrauch mit ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen abzubauen. ({2}) Allerdings bezweifeln wir, daß das Anliegen mit den Vorschlägen des SPD-Gesetzentwurfs erreicht werden kann, wenngleich wir mit dem Grundanliegen übereinstimmen. Wir haben eher den Eindruck, daß das Sozialversicherungssystem damit noch mehr verkompliziert wird und die Transparenz für die Versicherten völlig auf der Strecke bleibt. ({3}) - Herr Louven, wir können darüber ja noch reden. Das ist erst einmal ein Vorschlag. Sie haben einen solchen Vorschlag nicht gemacht. Wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze zwar abschaffen, aber zwischen der neu eingeführten Bagatellgrenze und der ehemaligen Geringfügigkeitsgrenze besondere Versicherungsverhältnisse schaffen, ist das wohl wenig hilfreich. Für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung soll nur der Arbeitgeber Beiträge zahlen, was damit begründet wird, daß bis auf das Unterhaltsgeld keine Leistungsansprüche entstehen. Bei der Rentenversicherung sollen beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Beiträge entrichten, gerade aber die Elemente des Rentenrechts, die für Frauen einen gewissen Ausgleich für Diskriminierungen bringen, wie zum Beispiel die Rente nach Mindestentgeltpunkten und der Rentenbeginn mit 60 Jahren, nicht aktiviert werden. Die Kollegin Buntenbach hat auf diesen Knackpunkt schon verwiesen. Ihr Gesetzentwurf bringt vor allem mehr Geld in die Kassen der Sozialversicherung und sichert nicht vorrangig die prekär Beschäftigten. Damit verharrt der Gesetzentwurf in der einst angedachten Struktur, bei der man davon ausging, daß geringfügige Beschäftigung eine zusätzliche Beschäftigung von bereits Versicherten ist, also eine Ausnahme in der Sozialversicherung darstellt. Mittlerweile aber hat sich die geringfügige Beschäftigung zum Regelfall von Arbeitsbeziehungen und Preiskalkulationen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen entwickelt. Herr Kollege Louven, sicher ist die Gruppe der geringfügig Beschäftigten äußerst heterogen. Entscheidend aber ist, daß für rund 1 Million Frauen in diesem Land diese Arbeit die einzige Erwerbsquelle ist. Insofern reflektiert der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die bestehende Situation. Für die Beschäftigten, für die kein anderes Arbeitsverhältnis zustande kommt, soll ein normaler Zugang zur Sozialversicherung ermöglicht werden. Als kontraproduktiv sehen wir allerdings die Koppelung der Versicherung jeder dauerhaften Beschäftigung an die Errichtung eines Dienstleistungspools an. Anstatt Bedingungen für eine Verbindung von Berufstätigkeit und Familienarbeit zu schaffen, legitimiert die Dienstmädchenoffensive den weiteren Rückzug des Staates aus öffentlichen Dienstleistungen wie den Abbau kommunaler und betrieblicher Dienstleistungsangebote. ({4}) Die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenzuweisung wird damit zementiert. Heraus kommt ein skurriles Erwerbsarbeitsmodell: Die eine Hälfte der Gesellschaft ermöglicht mit billiger Arbeit und Verzicht der anderen Hälfte die Teilnahme an Wettbewerb und Konsum. Das soll nun der moderne Weg in das 21. Jahrhundert sein? Ich nenne das antiquiert. Geringfügige Beschäftigung muß unseres Erachtens für Beschäftigte sicher und für Arbeitgeber unlukrativ gemacht werden. Dazu schlägt die PDS in ihrem Grundsicherungsantrag neben der Versicherungspflicht für jede Stunde Arbeit die alleinige Tragung beider Beitragsanteile durch den Arbeitgeber vor, wenn der Verdienst des Beschäftigten bzw. der Beschäftigten unter dem Existenzminimum bleibt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie müssen zum Schluß kommen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Der letzte Satz: So könnte ein Stimulus geschaffen werden, daß Arbeit nicht, wie bisher, weiter zergliedert wird, sondern reguläre Arbeitsverhältnisse bestehen bleiben oder entstehen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Peter Dreßen das Wort.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf, den meine Kollegin Onur erläutert hat, wieder einen Rechtszustand herstellen, der einen Mißstand beseitigen soll und wieder mehr Gerechtigkeit schaffen wird. Niemand konnte erahnen, daß die Subventionen von Arbeitsplätzen dieses Ausmaß annehmen würden. - Frau Babel ist leider schon weg. ({0}) - Ich habe Verständnis dafür, daß man zu dieser Zeit nicht mehr anwesend ist. Ich wollte ihr nur sagen - sie hat die Zahlen bezweifelt -, daß die Zahl 4,5 Millionen von Staatssekretär Günther auf eine Frage der Kollegin Löwisch hin hier im Parlament genannt wurde; das ist in Drucksache 13/3094 nachzulesen. Man sollte diese Zahlen also nicht bezweifeln und damit Nebenkriegsschauplätze eröffnen. Erstens: Hier wird auf dem Rücken der Beschäftigten das Solidaritätsprinzip bei den SozialversicherunPeter Dreßen gen schamlos eklatant verletzt. Zweitens findet eine Selbstausbeutung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt. Drittens subventioniert der Staat, also wir alle, Arbeitsverhältnisse in ungeahntem Ausmaß. Wer also dauernd davon spricht, daß Subventionen abgebaut werden müssen, der hat hier die einmalige Chance, Taten folgen zu lassen. Dabei schaue ich in Richtung F.D.P. Es ist doch ein Unding, daß viele Arbeitgeber nach dem Motto handeln: Teile einen Vollarbeitsplatz in drei sogenannte 590-DM-Jobs auf, und du hast viel Geld gespart! Das Zitat von Frau Nolte wurde hier schon erwähnt. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, frage ich mich: Wann tut die Regierung eigentlich etwas? Herr Louven hat hier verkündet, daß schon einiges getan worden ist. Das aber, was getan worden ist, erinnert mich an den Feuerwehrmann, der mit einem Eimer Wasser auf eine komplett brennende Scheune zuläuft. ({1}) Sie haben nämlich mit dem, was Sie bisher getan haben, wirklich nichts erreicht, um diesen Mißstand zu beseitigen. Wenn man einen Mißbrauch erkennt, dann muß man ihn doch abstellen dürfen. „Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung" sagt ein Sprichwort. ({2}) Aber selbst solche Binsenweisheiten treffen auf diese Regierung leider nicht zu.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Sekunde. Meine Herren Geschäftsführer, der Redner hat Herrn Louven angesprochen, und Sie verdecken ihn. Das finde ich nicht so gut. Bitte, fahren Sie fort.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie beschneiden mit Ihrem Horrorkatalog die Sozialleistungen, weil die Zahl der Beitragszahler durch die hohe Arbeitslosenquote immer weiter sinkt, statt darüber nachzudenken, wie man ein Stück mehr Gerechtigkeit schaffen kann. Mit der Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf kämen Sie der Gerechtigkeit ein Stück näher. Wenn ich mir Ihre Standortberichte anschaue, muß ich immer wieder feststellen: Sie betonen, daß Ihnen das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer ein Dorn im Auge sei. Nach Ihrer Logik sind die Löhne für eine Steigerung der Beschäftigung zu hoch. Da Sie noch nicht - ich sage: noch nicht; bei der F.D.P. würde ich dieses „noch nicht" weglassen - in die Tarifautonomie eingreifen wollen oder können oder sich noch nicht trauen, arbeiten Sie mit Hochdruck daran, die Rahmenbedingungen so zu verändern, daß der Druck auf die Beschäftigten zunimmt. Dazu gehört der rasante Anstieg der Zahl von 590-DM-Jobs. Weitere Beispiele, die dieser Logik folgen, sind: das lasche Verfolgen von illegaler Beschäftigung einschließlich des Debakels beim Entsendegesetz; die früheren Umwelt-Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wobei für 100 Prozent Arbeit 80 Prozent Lohn gezahlt werden; die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose, die dazu führt, daß Beschäftigte Arbeit unter Tarif annehmen müssen. Die forcierte Heranziehung von Sozialhilfeempfängern für gemeinnützige Arbeit führt zwangsläufig dazu, daß reguläre Arbeitsverhältnisse kaputtgehen. Gartenbauunternehmen haben dazu einige Briefe geschrieben. Wer sich diesem Lohndumping entziehen will, der wird mit Sperrzeiten belegt und von der CDU als jemand, der in der sozialen Hängematte liegt, verteufelt. ({0}) Wie wir gestern in diesem Hohen Hause vernommen haben, wird alles durch das neue Arbeitslosenkatastrophengesetz, von Ihnen als Reform des Arbeitsförderungsgesetzes umschrieben, nur noch verschärft. Arbeitslose mit geringen Vermittlungschancen sollen benutzt werden, um noch Beschäftigte mit geringer Qualifikation beim Lohn unter Druck zu setzen. Diesen Zusammenhang muß man sehen, wenn man die Praxis der 590-DM-Jobs diskutiert und debattiert. Von solchen Niedriglöhnen sind in erster Linie Frauen und Männer mit einfacher oder fehlender Berufsausbildung betroffen. Ihre Politik führt zur Segmentierung, man könnte auch sagen: zur Spaltung der Gesellschaft. ({1}) Am Ende haben wir auf der einen Seite diejenigen, die in kreativen, hochproduktiven und gut bezahlten Bereichen 40 Stunden und länger arbeiten, denen aber zugleich die Zeit fehlt, sich um ihre Kinder zu kümmern - deswegen die Änderung der Ladenschlußzeiten und ähnliches -, die sich also am gesellschaftlichen Leben nicht beteiligen können. Auf der anderen Seite stehen alle diejenigen, die auf Billigjobs angewiesen sind. Auch sie können am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen, und zwar, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. ({2}) Dies läuft wiederum auf eine Teilung der Gesellschaft in die da oben, die reich sind, und in die da unten, die arm sind, hin. Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Louven: Schauen Sie sich einmal an, was in den USA passiert. Dort gibt es Stadtviertel, in denen 20 Sheriffs ein Wohngebiet bewachen müssen und in denen ein paar Bodyguards die Kinder in die Schule bringen. Auf einen solchen Staat möchte ich verzichten; in eine solche Richtung möchte ich nicht. Genau das erPeter Dreßen reichen Sie aber, wenn Sie weiterhin zulassen, daß die Arbeitsplätze in dieser Weise geteilt werden. ({3}) Ich will kein neues Zeitalter, in dem Herrschaftshäuser und Dienstboten wieder die Regel werden. Statt gut bezahlte Arbeit zu teilen bzw. für Solidarität zwischen den Einkommensgruppen von seiten des Staates zu sorgen, forcieren Sie die Teilung der Gesellschaft. Wir müssen deshalb Rahmenbedingungen setzen, die solche Ausuferungen verhindern. Dazu gehört, daß wir alle Beschäftigungsverhältnisse, von geringen Ausnahmen abgesehen, wieder sozialversicherungspflichtig machen. Die heutigen 590-DMJobs werden von einigen - ich sage bewußt: von einigen - Arbeitgebern genutzt, um Voll- oder abgesicherte Teilzeitarbeitsplätze zu vernichten. Dies zu verhindern ist für uns der wichtigste Aspekt für die Vorlage unseres Gesetzentwurf es. Betroffene sind in großem Ausmaß - das habe ich schon erwähnt - die Frauen. Es wird oft gesagt: In der Ehe ist man ja mitversichert. Sie vergessen allerdings, Herr Louven, daß es heute sehr viele alleinstehende Frauen gibt. Auch Trennungen führen dazu, daß Frauen nicht mitversichert sind. Sie müssen in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, daß es Personen gibt, die diese Mitversicherung haben. Aber haben Sie sich einmal gefragt, ob es solidarisch ist, wenn Sie diese Leute aus der Sozialversicherungspflicht herausnehmen? Wir haben doch den Grundsatz, daß jeder, der arbeitet, seinen Anteil an der Sozialversicherungspflicht erbringen muß. Genau dem widersetzen Sie sich permanent. ({4}) Die bisherigen Bemühungen zur Vermeidung der Altersarmut von Frauen, etwa durch Kindererziehungszeiten, laufen meines Erachtens ins Leere. Sie würden mit der Annahme des Gesetzentwurfs diese Altersarmut zumindest mildern. Die geringfügige Beschäftigung hat trotz einiger gewerkschaftlicher Erfolge für die Betroffenen mehr Nachteile als Vorteile. Ich darf nur daran erinnern, daß es oft noch immer keine Lohnfertzahlung im Krankheitsfall gibt und daß der Urlaub sehr häufig nicht gewährt wird, obwohl es Tarifverträge gibt. Wir wissen, daß es in der Praxis eben anders läuft; denn selten werden bei diesen Arbeitsverhältnissen Kontrollen durchgeführt. Es gibt immer noch riesige Nachteile. Ich bin der Meinung, daß von der Partei der Besserverdienenden, der F.D.P., nicht zu erwarten ist, daß sie dem Gesetz zustimmt. Aber ich bin schon stark enttäuscht, wie sich die CDU in dieser Angelegenheit verhält: Ich glaube, angesichts der Entwicklung der CDA würde sich Adolf Kolping im Grabe umdrehen. ({5}) Für uns Sozialdemokraten ist es unerträglich, daß normale Arbeitsverhältnisse permanent vernichtet werden, um die vorhandene Arbeit mit den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zu erledigen. Angesichts von 4,3 Millionen registrierten Arbeitslosen ist es an der Zeit, daß Sie handeln. ({6}) Über 4,5 Millionen geringfügig Beschäftigte sind ein Skandal. Ich frage mich: Wie wollen Sie die Arbeitslosigkeit denn wirksam bekämpfen? Uns werfen Sie immer vor, wir hätten keine Konzepte. ({7}) Dieses Gesetz würde dafür sorgen, daß mindestens einige 100 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen entstehen. Wenn Sie uns beim Entsendegesetz gefolgt wären, hätten wir jetzt 150 000 Beschäftigte mehr und weitere 100 000, wenn Sie uns bei der Überstundenregelung folgen würden. Wenn Sie unseren ASFG-Entwurf übernehmen würden, kämen Sie noch einmal auf 500 000 Beschäftigte. Sie sehen: Wir haben Konzepte. Wir sind sicher, daß diese Konzepte irgendwann von der Bevölkerung anerkannt werden und wir den Rückhalt erhalten, diese Gesetze durchsetzen zu können. ({8}) Ich möchte zum Schluß noch ein Wort an den Bundesarbeitsminister richten. Er ist zwar nicht da, aber vielleicht kann er es im Protokoll nachlesen. ({9}) - Ja, der Stellvertreter ist anwesend. Ich bin tief betroffen über die vielen Schweinereien, die der Bundesarbeitsminister beim Zurückschneiden der vielen sozialen Gesetze hier vertritt. ({10}) Ich bin betroffen darüber, wie er das alles immer wieder verkauft, und ich frage mich, ob der Bundesarbeitsminister am Morgen noch in den Spiegel sehen kann. Eigentlich wäre es notwendig, daß er seinen Hut nimmt; denn was er der deutschen Arbeitnehmerschaft zumutet, ist ein Unding. ({11}) - Doch, Frau Schnieber-Jastram.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Dreßen, Ihre Redezeit ist bei weitem überschritten. Sie müssen zum Schluß kommen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich bin gleich fertig. - Ich wollte nur sagen: Wenn jemand mit Sozialgesetzen so umgeht, wie der Bundesarbeitsminister, dann hat er es einfach nicht verdient, sich Sozial- und Arbeitsminister dieser Republik zu nennen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich geben das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dreßen, ich werde gern dem Herrn Bundesarbeitsminister über Ihre Rede berichten. Ich bin nur nicht sicher, welches von beiden ich ihm sagen soll: daß Sie sehr betroffen oder aber sehr beeindruckt waren von der Art und Weise, wie es dem Bundesarbeitsminister immer wieder gelingt, darzulegen, wie die wohlverstandenen Interessen der deutschen Arbeitnehmer hier im Parlament zu vertreten sind. ({0}) Sie haben das Thema, welches wir heute diskutieren, sehr weit gefaßt, Herr Dreßen. Unter anderem haben Sie darauf hingewiesen, daß wir das Entsendegesetz nicht gut gemacht hätten. Ich sage Ihnen eines: Ich glaube, wir haben beim Entsendegesetz das gemacht, was notwendig ist. Daß es Schwierigkeiten gibt, das hat nicht die Politik zu vertreten. Das wissen auch Sie. Ich denke, daß es nicht im Interesse der Sozialdemokraten wäre, massiv in die Tarifautonomie einzugreifen. Das wird auch meines Erachtens immer weniger gefordert. Ihre Vorstellung, daß wir Leute, die jung und gesund sind und nicht durch Erziehungspflichten abgehalten werden, einer Arbeit nachzugehen, die aber trotzdem Sozialhilfe bekommen, in besonderer Weise schonen sollten, liegt, glaube ich, nicht im Interesse der ganz großen Mehrheit unseres Volkes, die sehr wohl bereit ist, Opfer auf sich zu nehmen und für sich selber zu sorgen. Ich denke, diese Teilung können wir, falls Sie das so aufgefaßt haben sollten, durchaus vertreten. Im übrigen haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, zu dem meine Vorredner bereits festgestellt haben, daß er im wesentlichen ein Aufguß dessen ist, was bereits im Jahre 1984 und früher gesagt worden ist. Daß zwischenzeitlich eine Anhörung stattgefunden hat, die sehr differenzierte Ergebnisse gebracht hat, nehmen Sie offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis. Man fragt sich, warum derartige Anhörungen dann überhaupt gemacht werden. Sie versuchen hier den Eindruck zu erwecken, als ob die Tatsache, daß jede Beschäftigung mit einem Betrag von mehr als 82 DM bzw. mehr als 70 DM in den neuen Ländern prinzipiell versicherungspflichtig gemacht würde, ein ganz großer Schritt in Richtung auf sozialen Schutz der Betroffenen wäre. Das glauben wir nicht. Es ist ja so, daß die arbeitsrechtliche Lage der geringfügig Beschäftigten weitgehend derjenigen der Vollbeschäftigten entspricht. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind sowieso alle erfaßt. Wie Frau Babel ausgeführt hat, sind insgesamt 99 Prozent krankenversichert, wenn auch, zum Beispiel als Hausfrau, in erster Linie über den Ehemann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muß auch sagen, was bei der Rentenversicherung passiert. Die Auffassung, man könne, indem man derartige geringfügige Beschäftigungsverhältnisse der Rentenversicherungspflicht unterwirft, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leisten, ist falsch. Wenn Sie geringfügig mehr als 82 DM verdienen, würden Sie einen Rentenanspruch von monatlich 1 DM oder etwas weniger erwerben. Wenn Sie 590 DM rentenversicherungspflichtig machen, dann erwerben Sie einen Rentenanspruch von 6,40 DM. Damit können Sie die Altersarmut nicht wirksam bekämpfen. Etwas anders ist das bei dem, was wir mit der Anerkennung der Erziehungszeiten gemacht haben. Dadurch wird immerhin pro Jahr ein Rentenanspruch von derzeit etwas über 34 DM monatlich erworben. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob diese Versicherungspflicht ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der Sozialkassen wäre. Auch das wird sich vermutlich als nicht richtig herausstellen, weil nämlich den geringen Beitragsleistungen ganz erhebliche Leistungsverpflichtungen der Sozialversicherung gegenüberstehen würden. Ich denke hier nur an die Kuren und derartige Dinge, die in einem Mißverhältnis zu dem geleisteten Beitrag stehen würden. Die weitgehende Abschaffung derartiger Arbeitsverhältnisse - das wurde insbesondere auch von Herrn Louven ausgeführt - würde insbesondere im Bereich der mittelständischen Betriebe in vielen Branchen zu ganz erheblichen Schwierigkeiten führen. Ganz besonders wichtig ist die Tatsache, daß, wie wir aus Umfragen wissen, die Betroffenen selber gar kein Interesse daran haben, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu werden. Das gilt jedenfalls für den größeren Teil derer, die befragt worden sind. Wir sind übrigens nicht gegen jede Änderung, sondern wir denken nur, daß die Änderungen wirklich durchdacht sein und sehr behutsam vorbereitet werden müssen. Auf dem Papier, Herr Dreßen, läßt sich alles mögliche lösen, aber ich glaube, es ist Aufgabe der Politik, das Mögliche und Sinnvolle zu verwirklichen. Ich muß mir bei jeder politischen Maßnahme überlegen, was am Ende dabei herauskommt. Wenn die Alternative weniger Beschäftigung ist, weil verschiedene Arbeiten dann, wenn sie zu teuer gemacht werden, nicht mehr nachgefragt werden oder weil die Betroffenen in Illegalität oder Schwarzarbeit ausweichen, dann komme ich zu dem Schluß, daß sich das, was ich vielleicht gut gemeint will, zum Schlechteren wenden wird. ({1}) Die Bundesregierung hat übrigens immer wieder gesagt - sie ist auch darum besorgt -, daß wir die mit Sicherheit stattfindenden Mißbräuche beseitigen müssen. Wir sind dabei, eine entsprechende gesetzliche Regelung vorzulegen. Auf die Maßnahmen, die wir bereits hinsichtlich des Sozialversicherungsausweises, der Meldepflicht und ähnlicher Dinge getroffen haben, hat Herr Louven schon ausreichend hingewiesen. Ich möchte nur noch auf einen Punkt kurz zu sprechen kommen: Sie wissen ja, daß wir derzeit versuchen, eine Regelung für die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Privathaushalten zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen sollen deutlich verbessert werden. Das soll durch die Verdoppelung der steuerlich anrechenbaren Beträge auf der einen Seite und durch den Wegfall bisher bestehender behindernder Regelungen auf der anderen Seite geschehen. Das wollen wir arbeitgeberfreundlich und verwaltungsfreundlich durch das Haushaltsscheck-Verfahren gestalten. Ich denke, das wird sehr viel dazu beitragen, das Problem, das heute zur Debatte steht, zu beseitigen. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Das Problem ist außerordentlich vielschichtig. Es wird nicht geleugnet, daß Handlungsbedarf besteht. Wir wollen versuchen, die Mißbräuche zu beseitigen, ohne dadurch allerdings mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Genau dieser Punkt veranlaßt uns, den Gesetzentwurf, den die SPD vorgelegt hat, abzulehnen. Danke schön. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Herr Kollege Dreßen, da der Bundesarbeitsminister im Saal ist, können Sie ihm nun alles selber sagen. ({0}) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/3301 und 13/4969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a bis 17i und Zusatzpunkt 10 auf: 17a) Erste Beratung des von den Abgordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, Dr. Rupert Scholz, Erika Steinbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften - Drucksache 13/4948 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes - Drucksache 13/3331 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({2}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/3626 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({3}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG - Drucksachen 13/3941, 13/4340 Überweisungsvorschlag; Innenausschuß ({4}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge - Drucksache 13/1891 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({5}) Auswärtiger Ausschuß f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({6}), Christa Nickels, Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan - Drucksache 13/2361 Überweisungsvorschlag: innenausschuß ({7}) Auswärtiger Ausschuß Rechtssausschuß g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({8}), Amke DietertScheuer, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge - Drucksache 13/3430 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({10}), Amke DietertScheuer, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Altfallregelung für seit langem hier lebende Asylsuchende - Drucksache 13/3877 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({11}) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({12}), Amke DietertScheuer, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik - Drucksache 13/4379 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({13}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP10 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/4981 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({14}) Rechtsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P. unterbreiten heute dem Deutschen Bundestag eine Reform des Ausländer- und Asylverfahrensrechts. Wir haben dazu das im Januar 1991 beschlossene und in Kraft getretene Ausländergesetz auf den Prüfstand gestellt; wir haben fünf Jahre Erfahrung berücksichtigt. Wir haben bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfes natürlich auch Vorschläge der Oppositionsfraktionen mit berücksichtigt, mit dem Ziel, die Ausländerpolitik fortzuentwickeln. Dieses Ziel wird insbesondere durch zwei Schwerpunkte geprägt: Erstens. Wir wollen die Integration der hier lebenden Ausländer verbessern. Zweitens. Wir wollen aber die Ausländer, die gegen Recht und Gesetz verstoßen oder die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten, ausweisen können. Das Ergebnis unserer Überlegungen stellt der Koalitionsentwurf dar, der zweierlei offenbart: Erstens. Das Ausländerrecht hat sich im großen ganzen bewährt. Zweitens. Die letzten fünf Jahre haben jedoch gezeigt, daß in einzelnen Bereichen Verbesserungen nötig sind. Dies gilt insbesondere für das Recht der Aufenthaltsbeendigung, was dadurch verdeutlicht worden ist, daß gewalttätige Ausschreitungen durch Kurden im März dieses Jahres in Dortmund erfolgen konnten. Ausländer, die Gewalt anwenden, die unsere Rechtsordnung vorsätzlich gröblich verletzen, die schwere Straftaten begehen, sollen nicht darauf vertrauen dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Diese kleine Gruppe von Ausländern ist vielmehr abzuschieben. Ich meine, wer die Integration der ausländischen Bevölkerung in Deutschland verbessern will, der muß auch dafür Sorge tragen, daß diese Aufgabe nicht durch eine kleine Zahl von Rechtsbrechern gefährdet wird. Daher haben wir beschlossen: Wer bei einer Demonstration Gewalt gegen Menschen oder Sachen verübt und wer dabei Schußwaffen mit sich führt oder plündert oder eine schwere Körperverletzung begeht, der wird zwingend ausgewiesen. Auch wer bei einer verbotenen Demonstration einfachen Landfriedensbruch begeht, muß Deutschland verlassen. Bisher scheiterten Ausweisungen und Abschiebungen insbesondere deswegen, weil immer festgestellt werden mußte, daß der Ausländer im Einzelfall die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohte und daß Wiederholungsgefahr bestand. Deswegen haben wir § 48 Ausländergesetz verändert. Schwerwiegende, die Ausweisung rechtfertigende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen danach in der Regel bei allen Ist-Ausweisungsgründen vor, also bei schwerem Landfriedensbruch, bei verbotenen Demonstrationen und einfachem Landfriedensbruch und bei einer Verurteilung zu mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe. Das bedeutet, daß insbesondere Rädelsführer, aber nicht nur die, jetzt konsequent ausgewiesen und abgeschoben werden können. Ich erwarte dabei, daß die Länder von der Verfahrensabsprache, die wir mit der Türkei getroffen haben, häufiger Gebrauch machen als in der Vergangenheit. Ich meine, es ist gut, daß sich die Türkei uns gegenüber noch einmal verpflichtet hat, die in ihr Heimatland zurückzuführenden Kurden strikt nach Recht und Gesetz zu behandeln, daß sie uns vor eventuellen Abschiebungen über Art und Maß etwa zu erwartender Strafverfolgungsmaßnahmen informiert und daß jederzeit Ärzte und Rechtsanwälte bei Vernehmungen und auch danach anwesend sein können. Mit der Ausweisung Gewalttätiger, die dann möglich wird, nützen wir natürlich der deutschen Bevölkerung, aber wir nützen vor allen Dingen den Kurden, die hier leben und sich überwiegend - zu 99 Prozent - rechtstreu verhalten. ({0}) - Nein, das war bisher nicht möglich, Herr Kollege Schily. § 48 Ausländergesetz, von dem ich gerade gesprochen habe, setzte voraus, daß in jedem Einzelfall eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bevorstand. Das heißt, es mußte die Wiederholungsgefahr in bezug auf mittlere und schwere Kriminalität konkret nachgewiesen werden. Deswegen war die Ausweisung nicht möglich. Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Ich habe schon damals erwartet, daß die Länder vom Ausländerrecht und seinen Möglichkeiten strikt Gebrauch machen. Aber dieser Fall gilt hier nicht, er ist anders. Wir mußten auch das Asylverfahrensgesetz ändern, allerdings nicht wegen der Entscheidung der Karlsruher Richter und Richterinnen zum Asylrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Asylrechtskonzeption - das wissen Sie - voll bestätigt, und die damaligen Kritiker der Reform hatten unrecht. Das gilt für die Drittstaatenregelung, das gilt für die Regelung hinsichtlich der sicheren Herkunftsstaaten, und das gilt auch für die Flughafenregelung. Wir begrüßen diese Entscheidung. Ich meine, das Asylrecht kann seine friedensstiftende Wirkung wie seit dem Tag seines Inkrafttretens weiter entfalten. Wir mußten das Asylverfahrensrecht wegen anderer Ungereimtheiten ändern, die sich in der Praxis zeigten; denn immer wieder war festzustellen, daß Asylbewerber, während ihr Verfahren lief, in ihre Heimat zurückkehrten. Sie zeigten damit doch, daß ihnen dort keine Verfolgung drohte. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Eine zweite Änderung hielten wir für erforderlich: Es war nicht mehr hinnehmbar, daß jemand, der sich in Abschiebehaft befand, automatisch aus der Haft entlassen wurde, wenn er einen Asylantrag stellte. Das wird in Zukunft nicht mehr zwingend sein. Ein zweiter Teil des Ausländerrechts betrifft die Erleichterungen für die hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer. Ich meine, der bedeutsamste Punkt ist die Neuregelung des eigenständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Dieses Recht wird zukünftig, wenn wir uns mit dem Gesetzentwurf durchsetzen, großzügiger gewährt. Erhielten namentlich mißhandelte und vergewaltigte ausländische Ehefrauen bisher erst nach vier Jahren, in besonderen Härtefällen nach drei Jahren Ehe im Bundesgebiet ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, so wird in Zukunft dieses Aufenthaltsrecht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte bereits dann erteilt werden können, wenn die Frau ein Jahr in Deutschland verheiratet ist. Dasselbe gilt natürlich für Männer. Ich meine, daß wir mit diesem Recht dem Schicksal mißhandelter Frauen besser Rechnung tragen als in der Vergangenheit.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie haben das eigenständige Aufenthaltsrecht in § 19 angesprochen. Dieser Paragraph ist gerade hinsichtlich seiner Auswirkung in Zusammenhang mit Gewalt in Ausländerehen schon seit Jahren in der Diskussion. Wir haben hierzu bis jetzt keine Änderung erreicht. Ihr Vorschlag ist: Wenn nach einem Jahr Ehe eine außergewöhnliche Härte vorliegt, ist die Bundesregierung so gnädig, den betroffenen Frauen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren. Können Sie mir bitte erklären, was Sie unter „außergewöhnlicher Härte" verstehen? Wieso muß sich eine Frau eigentlich ein Jahr der Gewalt in einer Ehe aussetzen? Ich finde, damit ist dem Schutz dieser Frauen in der Bundesrepublik nicht Genüge getan. Warum müssen sie ein Jahr lang Gewalt aushalten, um das Aufenthaltsrecht zu bekommen? ({0}) Könnten Sie mir erklären, warum Sie diese Regelung anstreben?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Es ist ein Fortschritt. Wir kommen Ihnen mit dieser Regelung entgegen. Sie sollten sie zunächst einmal loben. ({0}) Zweitens. Sie wissen doch, daß es in Deutschland auch eine Menge Scheinehen gibt und daß dieses Aufenthaltsrecht - das zeigt die praktische Erfahrung mit dem Ausländerrecht - leider sehr oft mißbraucht wird. Gehen Sie zu den Ausländerämtern nach München, Frankfurt usw. Sie werden feststellen: Dieses Recht wird leider mißbraucht. Drittens. Wir haben dem Gesetzentwurf eine Begründung angefügt. In ihr haben wir dargestellt, was wir unter „außergewöhnlicher Härte" verstehen. Ich bitte Sie, das nachzulesen. Ich kann es auch kurz zusammenfassen. „Außergewöhnliche Härte" liegt natürlich vor, wenn eine Frau vergewaltigt wird, wenn Kinder vergewaltigt werden, wenn die Erziehung der Kinder gefährdet wird. Das sind die Fälle, die wir an Hand eines Katalogs genau beschrieben haben. Unsere Frauengruppe hat sich da besonders engagiert. Diesen Damen danke ich sehr herzlich. Aus der Sicht der betroffenen Frauen könnte eine noch kürzere Frist besser sein; das räume ich ein. Aber ich warne auch vor der praktischen Möglichkeit von Mißbrauch. Das ist die Problematik dabei. Ich will in meiner Rede fortfahren. Haben Sie Verständnis dafür. Ich glaube, daß wir gerade in diesem Bereich einen Fortschritt erzielt haben. Wir haben Erwin Marschweski versucht, den Ausländerinnen und Ausländern auch in diesem Punkt vernünftig entgegenzukommen. Wir haben weitere Verbesserungen vorgesehen: für behinderte ausländische Kinder, für junge Ausländer, die sich in Ausbildung befinden, und für die ältere Ausländergeneration; denn diese wird bei der Rückkehr in die Heimat ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland künftig nicht verlieren. Damit ist einem alten Anliegen der älteren Ausländergeneration Rechnung getragen worden, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens ihren Lebensabend in der Heimat verbringen möchte, aber auch die Möglichkeit behalten will, zum Beispiel für längere Aufenthalte zu ihren Kindern nach Deutschland zu kommen. Das sind Erleichterungen im Ausländerrecht. Wir haben im Ausschuß darüber hinaus - sie gehört nicht unmittelbar zu dem Paket, ich will sie aber erwähnen, weil sie Gegenstand anderer Anträge ist - eine Härtefallregelung beschlossen. Demnach werden abgelehnte Asylbewerber mit Kindern nach sechs Jahren, andere nach neun Jahren Aufenthalt in Deutschland ein Aufenthaltsrecht erhalten, wobei die Integration natürlich Voraussetzung ist. Dies beinhaltet aber auch die Zusage der Länder, zirka 335 abgelehnte Asylbewerber, die bislang nicht zur Ausreise gebracht wurden, in ihre Heimat zurückzuführen. Ich erwarte von den Ländern, dieser Verpflichtung konsequent nachzukommen. Leider gibt es da Anlaß zur Sorge; denn offensichtlich sind nicht alle Landesregierungen gewillt - namentlich die rot-grünen Regierungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen -, das zu tun. Sie haben nämlich besondere Härtefallkommissionen eingesetzt. Ich denke, dies konterkariert die Entscheidung der Ausländerbehörden, dies konterkariert die Entscheidung der Gerichte. Das Recht wird verletzt, wenn die Länder weiterhin so handeln.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marschewski, es gehört zwar nicht unmittelbar zu der Thematik, die wir heute diskutieren; aber ich glaube, wenn wir über Aufenthaltsrecht und ähnliches reden, muß man auch die Regelung der Staatsangehörigkeit im Blickfeld haben. Deshalb würde mich an der Stelle interessieren, ob es in der Koalition eine Mehrheit zu den interessanten Vorstellungen geben wird, die einige Ihrer Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion in dieser Richtung entwickelt haben.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich könnte Sie jetzt auch nach Dingen fragen, die nicht hierhergehören. Ich will Ihre Frage trotzdem beantworten. Herr Kollege Schily, diese Koalition und gerade die Innenpolitiker haben in den zwei Jahren seit der Bundestagswahl - das wissen Sie - Beträchtliches geleistet: die Regelung betreffend den Lauschangriff, Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung, Regelungen in Beamtengesetzen, Änderungen im Ausländerrecht und vieles mehr. Ich sage Ihnen: Wir werden genauso, wie wir diese Gesetze formuliert und diese Probleme in den Griff bekommen haben, selbstverständlich den Bereich des Staatsbürgerrechts mit Ruhe und Sorgfalt hier in den Deutschen Bundestag einbringen. Sie wissen - Sie haben darüber gelesen -, daß wir in der Koalition darüber diskutieren. ({0}) Sie können sich darauf verlassen, daß dies in geraumer Zeit der Fall sein wird. Auch die deutsche Bevölkerung kann sich wie immer auf die Innenpolitiker der Koalition verlassen. ({1}) - Das war eine Antwort auf Ihre Frage. Ich sage Ihnen: Wir werden natürlich umgehend diese Dinge aufgreifen und darüber beraten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zu einem Punkt Stellung beziehen, nämlich zu der Forderung in einem der vorgelegten Anträge, Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz. Dagegen spricht, daß Deutschland keine zusätzliche Einwanderung ermöglichen kann. ({2}) Ich will Ihnen die Zahlen einmal nennen: 120 000 Asylbewerber pro Jahr. Zirka 100 000 Familienangehörige ziehen pro Jahr nach Deutschland. Wir haben - es ist gut, daß wir das gemacht haben - 350 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen. Wir wollen rund 220 000 Spätaussiedler pro Jahr integrieren. Wir brauchen keine zusätzliche Einwanderung. Was wir brauchen, ist eine Begrenzung der Einwanderung. Da reicht, so meine ich, das derzeitige Ausländerrecht aus. ({3}) Wenn Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorlegen wollen, frage ich mich, wie das gehen soll. Wie wollen Sie vorhersehen, wieviel Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylbewerber nach Deutschland kommen? Wir haben ja gerade das subjektive Grundrecht durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt bekommen. ({4}) Sie können die Zahl der Asylbewerber überhaupt nicht begrenzen. Oder wollen Sie vielleicht den Entwicklungsländern gut ausgebildete, qualifizierte Leute entziehen, die sie eigentlich selbst benötigen? ({5}) Erwin Marschweski Ist das nicht doch ein bißchen egoistisch, anstatt diesen Ländern zu helfen? Ein nächster Punkt. Sie kennen doch die Vereinbarung über die Freizügigkeit in Europa. Wie soll denn da eine Begrenzung möglich sein? Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Raum für ein Einwanderungs- oder Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Wer dennoch meint, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, das sei zu regeln, der möge diesem Deutschen Bundestag umgehend ein solches Gesetz vorlegen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Leutheusser-Schnarrenberger?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön, Frau Kollegin.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe die Frage an Sie, wie Sie aus heutiger Sicht den doch unter sehr schwierigen Bedingungen errungenen Asylkompromiß von 1992 bewerten. Denn er enthielt ja zwei Komponenten: einerseits den sehr interessanten Vorstoß auch aus den Kreisen der CDU hinsichtlich einer Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes und andererseits den Punkt, daß man sich mit den Fragen der Steuerung, Regelung und eben auch der Begrenzung der Zuwanderung beschäftigen muß. Ich frage Sie, Herr Marschewski: Sehen Sie nicht, daß das eine Aufgabe ist, die vielleicht nicht schon in diesem Jahr endgültig geregelt werden kann, bei der wir als Politiker aber doch unter Berücksichtigung langfristiger Bevölkerungsentwicklungen und demographischer Veränderungen doch sehr wohl politische Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen müssen? ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wir haben ja damals ein Jahr unseres Lebens mit dem Asylkompromiß verbracht. Ich glaube, daß das Verfassungsgericht zu Recht das, was wir damals erarbeitet haben, bestätigt hat. Das ist gut so. ({0}) Sie sprechen von einer Zuwanderungsbegrenzung. Ich habe Ihnen gesagt: Ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, wie es vorgeschlagen wird, ist nicht vollziehbar. Wissen Sie, was der Begrenzung der Zuwanderung dient? Der Begrenzung der Zuwanderung dient die konsequente Anwendung des Ausländerrechtes und nicht nur und dauernd die Beschäftigung mit Altfallregelungen und Ausnahmen. Die konsequente Anwendung des Gesetzes ist nötig. Dann haben wir die Zuwanderungsbegrenzung, von der Sie sprechen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Koalitionsentwurf bringt die Interessen der deutschen und ausländischen Bevölkerung, so meine ich, zu einem angemessenen Ausgleich. Er trägt auch dem zwingenden Gebot einer Zuzugsbegrenzung Rechnung. Er berücksichtigt die Interessen der deutschen Bevölkerung und die Interessen der ausländischen Mitbürger. Er hilft, so meine ich, das Ziel zu erreichen, die Integration der ausländischen Mitbürger weiter zu verbessern, aber auch gewalttätige, kriminelle Ausländer des Landes zu verweisen. Dies wollen wir mit unserer Novelle zum Ausländerrecht erreichen. Für diese Politik, meine Damen und Herren, bitten wir um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne eine Delegation von Gouverneurinnen aus Usbekistan, und zwar aus den Provinzen Taschkent, Samarkand, Buchara und Namangan begrüßen. ({0}) Wir freuen uns, daß die Beziehungen und die Kontakte zwischen der Bundesrepublik und den zentralasiatischen Republiken immer enger und freundschaftlicher werden. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik. ({1}) Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Häfner das Wort.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Ich möchte unmittelbar im Anschluß an die Rede von Herrn Marschewski folgenden Punkt kurz ansprechen. Herr Marschewski, Sie haben die ganze Zeit von Änderungen im Ausländergesetz geredet, die zum Beispiel die Fragen des Aufenthaltsrechts usw. berühren. Sie haben aber mit keinem Wort erwähnt, daß Sie gleichzeitig massive Änderungen im materiellen Recht planen, die dann ja zwangsläufig für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland gelten werden. Was Sie im ausländerrechtlichen Teil machen, ist schon schlimm genug. Darüber wird in dieser Debatte ja noch geredet werden. Aber diese Art von verdeckter Gesetzgebung, bei der unter der Hand ganz andere Gesetze einmal eben mit geändert werden sollen, Dinge, die wirklich von gewaltiger Auswirkung auch für das Klima in diesem Land, für die Versammlungsfreiheit, für das Recht zu öffentlichen Demonstrationen sind, kann nicht schlicht und einfach unerwähnt gelassen werden. ({0}) Lassen Sie mich kurz folgendes sagen, Herr Marschewski. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, § 125 a des Strafgesetzbuches so zu ändern, daß künftig schwerer Landfriedensbruch nicht erst dann vorliegt, wenn Schußwaffen getragen werden, wenn Gewalttätigkeiten usw. begangen werden, wie das nach bisheriger Fassung der Fall war, sondern beispielsweise auch schon bei einer sogenannten „psychischen Unterstützungshandlung" etwa, wenn Lieder gesungen werden, wenn angefeuert wird und anderes mehr. ({1}) Dies ist völlig inakzeptabel und führt dazu, daß die Polizei - wie das ja jetzt schon bei dem Vermummungsverbot oder dem Verbot der sogenannten passiven Bewaffnung der Fall ist -, gezwungen wird, dort einzugreifen, wo es sich nach bisherigem Verständnis um überhaupt keine Gewalt- oder Straftat handelt. ({2}) Die vorgesehene Strafe hierfür reicht von drei Monaten bis zu zehn Jahren. Ich halte dies für eine derartig fahrlässige Verschärfung des Klimas in diesem Land und für einen derartig schweren Eingriff in das materielle Recht, daß ich finde, es darf nicht unerwähnt bleiben. Es wäre gut, wenn auch hierüber in diesem Hause deutlich diskutiert würde. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Marschewski, Sie können darauf antworten.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Häfner, ich kann das sagen, was Kollege Stadler eben gerufen hat: Man muß lesen, was im Gesetzentwurf steht. Ich habe darüber hinaus zu diesem Punkt sehr ausführlich Stellung bezogen. Wir wollen folgendes: Wir wollen die Integration der hier lebenden Ausländer fördern. Das ist die eine Seite. Die zweite Seite aber ist: Wer mit Gewalt gegen Menschen vorgeht, wer mit Gewalt wertvolle Sachen beschädigt, wer Dortmund kurz und klein schlägt, hat in diesem Lande nichts zu suchen und ist auszuweisen. Das ist unser Gesetz. Dies gilt auch für denjenigen, der schweren Landfriedensbruch begeht, der mit Waffen vorgeht, der Menschen körperlich schwerst beschädigt oder aber - bei einem einfachen Landfriedensbruch - zu einer verbotenen Demonstration geht. Derjenige weiß doch, was ihm bevorsteht. Fragen Sie einmal die Menschen in Dortmund, fragen Sie einmal die Menschen in dieser Republik, wie man sich da verhalten soll! Ich sage Ihnen: 99 Prozent oder 99,9 Prozent der ausländischen Mitbürger leben friedlich unter uns. Wir wollen die Integration verbessern. Krawallmacher, Gangster, Verbrecher wollen wir ausweisen. Das ist unsere Politik. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Willfried Penner das Wort.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche standen acht Vorlagen zur Ausländerpolitik auf der Tagesordnung des Innenausschusses, und in der heutigen Sitzung des Plenums sind es sogar neun, die uns beschäftigen. Ausländerpolitik ist ein zentrales Thema der deutschen Innenpolitik und wird uns auf allen politischen Ebenen, ob im Bundestag, im Bundesrat, ob in den Landtagen oder auch in den Gemeindeparlamenten, nicht loslassen, ja nicht loslassen können. Das Thema wird uns begleiten müssen, weil die Politik sich gerade auf diesem Feld nicht aufs Zusehen beschränken kann und sich nicht allein auf Regeln der gesellschaftlichen Prozesse des Integrierens, des Assimilierens, des Duldens und des Sichentwikkelnlassens verlassen darf. ({0}) Es geht um den rechtlichen Schutz einer Minderheit, um rechtsfeste Rahmenbedingungen, um die Einbeziehung von Ausländern in unser Grundwertesystem, beispielsweise dem der Familie, die unabhängig von der Nationalität zusammengehört und nicht getrennt werden darf, ' ({1}) weil es unsere Verfassung, jener Artikel 6 des Grundgesetzes, so gebietet. Aber es geht auch um Toleranz. Es geht um Gastfreundschaft, es geht um Humanität, die staatlich nicht verordnet werden kann, die man ganz einfach vorleben und erleben lassen muß. Aber zum allerwenigsten ist Ausländerpolitik ein Feld für Schwarmgeister, die vor lauter Weltenliebe vergessen, daß Ausländerpolitik eines der steinigsten nationalen Politikfelder ist, dessen Bearbeitung gleichermaßen Nüchternheit, Zähigkeit, Geduld, Realitätssinn und humanitäres Engagement, zum allerwenigsten aber Weltenferne im Gefolge haben darf. ({2}) Bei der Ausländerpolitik und allen diesbezüglichen konkreten politischen Einzelinitiativen muß Grundlage sein und bleiben, daß wir Deutschen allem Nationalismus abgeschworen haben, im Hinblick auf das Zusammenführen von Nationen und Menschen in der Europäischen Union beispielsweise ohne jede Attitüde und ohne jedes imperiale Gelüst werbend in vorderster Reihe stehen, daß wir aber auch nach Osteuropa hin, besonders nach Polen, nach Ungarn und Tschechien, die nimmermüden Beteuerungen Kohls und aller maßgeblichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland einlösen müssen, und die heißen Öffnung und nicht Abschottung. Sie weisen auf Integration und verbieten Segregation. ({3}) Wir wissen, daß das nicht ohne gesellschaftlichen Rückhalt geht, der sich auch auf eine sehr konkrete und belastbare finanzielle Basis stützen muß. ({4}) Natürlich geht es auch um sehr Konkretes: um Regelungen von Einzelheiten, beispielsweise um Aufenthaltsrechte ebenso wie deren mögliche Beendigung, um Familienzusammenführung, um Teilhabe an beruflichen Chancen, an schulischen Chancen, aber auch um staatliche Reaktionen auf Zuwiderhandlungen von Ausländern gegen die Ordre public der Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Selbstverständlich geht es auch um ordnende Regeln der Zuwanderung. All diese Gesichtspunkte finden sich beispielhaft in konkreten Vorlagen wieder, von gestern, von heute und demnächst. Bei allen unterschiedlichen Akzentuierungen geht es der Opposition durchweg auch und nicht zuletzt um die Berücksichtigung humanitärer, moralisch unterfütterter Positionen im Ausländerrecht. Ziemlich einig ist sich die Opposition bei allen Schattierungen darin, daß das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ehegatten verfestigt werden muß, und da auch die Koalition in diesem Punkt für Veränderungen plädiert, müßte eine übergreifende Einigung in diesem Punkt möglich sein. Sie wäre jedenfalls wünschenswert. ({6}) Weil jetzt auch die Koalitionsparteien wie die Opposition die Notwendigkeit bejahen, für abgelehnte Asylbewerber in besonderen Fällen ein Aufenthaltsrecht zu schaffen, halte ich es trotz der vergleichsweise schüchternen Vorstellung der Koalitionsmehrheit zu diesem Punkt für möglich und erstrebenswert, auch hier eine parteiübergreifende Einigung zu erzielen. Dabei wird die Koalition sicherlich eine Antwort darauf zu geben haben, wie ihre Altfallregelung greifen soll, wenn, wie sie es fordert, zuvor alle wichtigen Kriterien für eine Integration in das Leben in Deutschland erfüllt sein müssen, wo sich doch die bisherige Politik, gerade die Politik der jetzigen Koalition, für diesen Personenkreis der Asylbewerber gerade das Gegenteil von Integration zum Ziele setzt. ({7}) Was die einschlägigen Vorschläge der Koalition zur Regelung humanitärer Fragen insgesamt angeht, so wenig beherzt und kärglich das Ergebnis auch für den einzelnen aussehen mag, so werden sie nach meiner Einschätzung am allerwenigsten auf Widerstand der Opposition stoßen. Ich möchte darum werben, daß wir uns im Interesse der Minderheit wenigstens in diesem Bereich von ernstlichen Bemühungen um Konsens leiten lassen, die sich in der Regel nicht wehren kann. Dies würde bedeuten, daß Initiativen der Mehrheit nicht schon deshalb abgelehnt werden sollten, weil es solche der Mehrheit sind, was natürlich in besonderer Weise die Bereitschaft der Koalition abfordert, Anträge der anderen Seite ernst zu nehmen und aufzunehmen. Daß ich mich dabei besonders für die Vorlagen der SPD einsetze - sie sind zum wesentlichen Teil dem Innenausschuß seit langer Zeit überwiesen -, versteht sich von selbst. Was hindert die Mehrheit eigentlich daran, den Vorschlägen der großen Vorlage der SPD aus der letzten Innenausschußsitzung beizutreten? Sind wir wirklich und wahrhaftig so weit auseinander oder ist es nicht vielmehr der immer kurioser wirkende Versuch, dem Volk unter allen Umständen, koste es, was es wolle, politische Unterschiede vorzuspiegeln, die es in Wahrheit gar nicht gibt? Herr Präsident, meine Damen und Herren, was die Verbesserung des Rechtsstatus der Ausländerbeauftragten angeht, so fällt es auch für einen Wohlmeinenden gerade unter dem Gesichtspunkt des Respekts vor der jetzigen Amtsinhaberin schwer, dazu passende Worte zu finden, zumal Sie, Frau SchmalzJacobsen, den Neuerungen zugestimmt haben müßten. Beginnen wir mit dem Angenehmen. Gewiß ist es besser, auf gesetzlicher Grundlage tätig zu werden, an Stelle wie bisher nur auf der Grundlage eines bloßen Regierungserlasses, der jederzeit verändert werden kann. Das kräftigt die Legitimation und ist sicherlich nicht ohne Belang für die Durchsetzungsfähigkeit von Kompetenzen, die im wesentlichen die gleichen geblieben sind. Aber Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, bleiben als jetzige Amtsinhaberin Beauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und müssen für all die Ungereimtheiten geradestehen, die mit dieser Einbeziehung verbunden sind, und das ist schade. ({8}) Sie können, wie bisher auch, jederzeit und das heißt ohne Angabe von Gründen und nunmehr nach Ihren Vorstellungen auch mit der erhöhten Autorität des Gesetzes entlassen werden. Dabei wird es Ihnen wenig helfen, daß nach der neuen Vorschrift des § 91 a die Amtsbezeichnung Ausländerbeauftragte auch in der männlichen Form geführt werden kann. Da haben Sie sich aber etwas einfallen lassen. Die Konsequenz ist also: Die Ausländerbeauftragte kann wählen, ob sie der Ausländerbeauftragte oder die Ausländerbeauftragte sein möchte. Dies ist eine Formulierung, die auszusprechen einen geniert und die mit der von der Koalition postulierten Reform auf diesem Gebiet nur für außerordentlich absonderliche Gemüter etwas zu tun haben kann. ({9}) Für Herrn Marschewski hieße das folgendes: Wenn Sie einmal das Amt bekämen - die Regelvermutung spräche für die Ausländerbeauftragte Erwin Marschewski, aber es steht Ihnen frei, auch die männliche Form zu wählen. ({10}) Zurück zur Ausländerbeauftragten. ({11}) Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, können als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Vorschläge machen und Stellungnahmen von Gesetzes wegen der Bundesregierung zuleiten. Mein Gott, ist das nicht jedermanns Recht? Bedarf es dazu der gesetzlichen Vergönnung, verehrte Frau Schmalz-Jacobsen? - Sagen Sie doch bitte nein, damit wir uns nicht zu genieren brauchen. Und schließlich: Die Bundesregierung kann, sie muß nicht eine Ausländerbeauftragte bestellen. Ich frage mich, ob das alles so richtig ist. Je mehr ich persönlich in Sachen Ausländerpolitik Erfahrungen gesammelt habe, um so mehr festigt sich bei mir die Überzeugung, daß die Wirkkraft dieses Instituts im wesentlichen von seinen Kompetenzen, der Qualität der Legitimation, der Unabhängigkeit und - nicht regelbar - von der Leidenschaft des Amtsträgers zur Sache bestimmt wird. ({12}) Deshalb plädiere ich für einen vom Bundestag in geheimer Wahl zu bestimmenden Obmann oder eine solche Obfrau für Ausländerpolitik mit klaren Kompetenzen und Rederecht im Bundestag und in den Fachausschüssen. ({13}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir haben es vorhin erlebt, und wer länger hier ist, der hat es früher erleben können: Wenn es um Ausländerpolitik geht, kann die Koalition und dabei namentlich die CDU/CSU-Fraktion und dabei besonders die CSU auf das gesetzgeberische Zähnefletschen nicht verzichten. ({14}) Es kann und soll nicht geleugnet werden, daß auch aus dem tiefsten Bayern bewegende Initiativen für das Verbleiben von Jusuf, für das Verbleiben von Ali und für das Verbleiben von Mohammed entgegen dem geltenden Recht bekanntgeworden sind. Man kennt sich eben, man schätzt sich, man ist gut Nachbar miteinander und manchmal auch gut Freund, und da fällt es sehr schwer, so mir nichts, dir nichts für Abschiebung zu plädieren, auch wenn es das Gesetz so befiehlt. Sobald es aber um den Ausländer an sich geht oder um den Ausländer als solchen, wird tadelnswertes, ja auch verbrecherisches Verhalten typisiert und die Gesetzgebungsmaschinerie mit gnadenloser Lust in Gang gesetzt. Es treibt Sie von der Koalition einfach um; gedrucktes Papier muß her. Sie, die Mehrheit, müssen die gesetzgeberischen Muskeln spielen lassen, und diesmal lautet Ihr diesbezügliches Thema „Aufenthaltsbeendigende Maßnahmen und Schaffung einer Strafvorschrift", nämlich der Strafvorschrift gegen den Landfriedensbruch. Der Anlaß, wie Sie ihn selbst angeben - Herr Marschewski hat es ja heute bestätigt -, sind die Kurdenkrawalle des Frühjahrs. ({15}) Ich gehe davon aus, daß Sie nicht die friedlichen Aufzüge der Kurden aus Anlaß ihres Neujahrsfestes mit im Auge haben. Also bleiben die unfriedlichen, ja die gewalttätigen kurdischen Auftritte. Was in aller Welt hat Sie von der CDU/CSU - und ich muß die F.D.P. einbeziehen - bewogen, dem deutschen Volk vorzugaukeln, in diesem Zusammenhang würde in Deutschland die gebotene Abschiebung nicht möglich sein, weil dies ein inakzeptabler Abschiebungsschutz verhindere? Wir haben in Deutschland eine ganze Kette, eine ganze Serie von Abschiebungsregeln, konkrete Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen, gesetzlich begründete Verpflichtungen zum Abschieben, wohlsortiert und nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit des Handelns aller staatlichen Gewalt bestimmt. Sie von der Koalition erwecken den Eindruck, als ob es auf diesem Feld eine unterschiedliche Ausweisungspraxis in den Ländern gäbe. Diese gibt es nun gerade nicht. Richtig ist, daß es praktische Meinungsunterschiede zwischen konservativ und sozialdemokratisch regierten Ländern über aufenthaltsbeendigende Maßnahmen ohne Kriminalitätsbezug gibt. Ja, es stimmt, da ist Bayern, Wolfgang Zeitlmann, besonders unerbittlich, und das ist kein Ruhmesblatt für dieses ansonsten schöne Land. ({16}) Aber unabhängig davon - Sie wissen es selbst doch sehr genau, und die Zuschauer am Fernseher haben es Tag für Tag verfolgen können -: Die Haupttäter der Krawalle vom Frühjahr 1996 kamen aus unseren westlichen Nachbarländern und sind dorthin ganz rasch zurückgekehrt. Wie wollen Sie die eigentlich ausweisen? Sie befinden sich ja gar nicht auf deutschem Boden und sind damit der deutschen Staatsgewalt entzogen. Mit Ihrer Gesetzeswerkelei im Zusammenhang mit dem Ausweisungsrecht haben Sie allerdings eines erreicht, was uns international noch teuer zu stehen kommen kann. Sie eröffnen damit auch - nicht nur, aber auch - erweiterte Möglichkeiten für die Ausweisung jugendliDr. Willfried Penner cher Straftäter mit ausländischem Paß, die hier geboren und aufgewachsen sind, hier leben, teilweise lediglich die deutsche Sprache beherrschen und die Sprache ihrer Staatsangehörigkeit überhaupt nicht und so gut wie keinen Bezug zur Heimat ihrer Väter und Ahnen haben. Und da, sage ich, läuft Abschiebung auf Verbannung hinaus ({17}) und gibt die Verantwortung für krumme Lebensläufe weiter an Länder, die auf die strafrechtliche Entwicklung dieser Staatsangehörigen überhaupt keinen Einfluß nehmen konnten und können. ({18}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, es wird schon Mühe genug kosten, dieser Krawallmacher des Frühjahrs im Ausland habhaft zu werden, ({19}) damit sie wegen Körperverletzung, wegen versuchten Totschlags und anderer schwerer Straftaten hier in Deutschland empfindlich belangt werden können. Aber dafür brauchen wir kein neues Strafrecht. Jene Gewalttäter haben strafrechtlich genug auf dem Kerbholz. Wir brauchen auch keinen selbständigen Straftatbestand für „Anheizer", wie Sie von der Koalition es erfreulich ungeniert formulieren. Der „Anheizer", um in Ihrer Diktion zu bleiben, der Rädelsführer oder der Haupttäter, wie es in der Sprache der Justiz heißen würde, ist ein Fall für den Gerichtssaal, für das erkennende Gericht, denn es geht der Sache nach um Strafzumessung, die nie Sache des Gesetzgebers sein kann und Sache der Rechtsprechung bleiben muß. ({20}) Das Ganze setzt im übrigen voraus, daß ein Täter dingfest gemacht worden ist; denn ohne Täter kann es keine Strafe geben. Wie Sie von der Koalition mit geänderten Strafrechtsvorschriften einem Täter zu Leibe rücken wollen, den Sie gar nicht haben, wird wohl immer Ihr Geheimnis bleiben. ({21}) In Wahrheit offenbaren Sie mit Ihrer Gesetzeswuselei im Strafrecht Hilflosigkeit, weil Sie keine Täter haben, und noch so empörtes Schnauben kann nicht darüber hinwegtäuschen: Mit Ihrer Zeugungssucht im Ordnungsrecht dienen Sie der inneren Sicherheit nicht! ({22}) Das Strafrecht kann nur das ethische Minimum im Zusammenleben der Menschen sichern helfen, und deshalb ist Sparsamkeit - nicht Opulenz - bei der Schaffung neuer Strafrechtsregeln das Gebot einer vernünftigen Strafrechtspolitik. ({23}) Das Strafrecht eignet sich am allerwenigsten zur politischen Meisterung von Augenblickslagen der Innenpolitik. Sie machen damit die scharfe Schneide des Strafrechts stumpf! Und noch eines sollte nicht übersehen werden: Auch das kompletteste Strafrecht kann begangene Verbrechen nicht ungeschehen machen. Mehr praktische Bemühungen auch um Verhinderung und Verhütung von Straftaten würden meines Erachtens nicht schaden. ({24}) Der Strafrechtskanon ist zureichend, ja reichlich bestückt. Allerdings gibt es gelegentliche Defizite bei der Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates. Auch dies hat Gründe, aber dies ist eine andere Geschichte. Keinesfalls werden wir Sozialdemokraten uns dafür hergeben, die Gefährdung „des legitimen Sicherheitsempfindens der Bevölkerung", wie es in der Vorlage der Koalition geschrieben steht, als Grund für die Schaffung neuen Ordnungsrechts zu akzeptieren. ({25}) Was hat Sie von der Koalition eigentlich geritten, mit diesem Begriff „legitimes Sicherheitsempfinden der Bevölkerung" eine sprachliche Anleihe mit nur leichter Verfremdung bei genau jenem berüchtigten § 2 des alten Strafgesetzbuches unseligen Angedenkens zu machen, nach dem unter anderem bestraft werden mußte, wer eine Tat beging, die - Zitat -„nach gesundem Volksempfinden" Strafe verdient? ({26}) Mit dieser Formulierung hatte Nazideutschland seinerzeit seinen Austritt aus der Gemeinschaft der zivilisierten Rechtsstaaten besiegelt und den Rechtsstaat selbst zerstört. ({27}) Seit Kriegsende sind diese Formulierung, ihr Inhalt und auch das Umfeld der Formulierung gebannt. Sie ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. Das ist bisher Allgemeingut gewesen. Ich beschwöre die Kollegen von der CDU/CSU und denke dabei besonders an Horst Eylmann, an Heiner Geißler, an Norbert Blüm und an Rita Süssmuth. Ich beschwöre die Kollegen von der F.D.P. und denke besonders an Burkhard Hirsch, an Edzard Schmidt-Jortzig und auch an Detlef Kleinert. Ich sage Ihnen: Es gibt keine sprachliche Brücke zu jener Zeit der Rechtsbarbarei. Es darf sie nicht geben. ({28}) Wem das nicht reicht, dem sage ich: weil sonst der politische Brückenschlag zu jener Zeit der Rechtsbarbarei ins Haus stünde. Nochmals und am Schluß: Der Gesetzesstaat ist für die innere Sicherheit bestens gerüstet, auch was die schwierigen Ausländerfragen angeht. Wohl gibt es Lücken bei der Durchsetzung des Rechts. Im Bewußtsein, daß diese Lücken nie ganz zu schließen sein werden, sollten wir miteinander wetteifern, diese Schwächen mehr und mehr abzustellen. Schönen Dank für die Geduld. ({29})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des Gesetzentwurfes der Bundesregierung frage ich mich, wie es um die Ausländerpolitik im Lande steht. Der Gesetzentwurf, den Sie, Herr Marschewski, uns heute vorgelegt haben und den Sie ja überhaupt nur auf Druck der Opposition im normalen parlamentarischen Verfahren zu behandeln bereit waren, läßt sich aus meiner Sicht in drei Worten zusammenfassen: Er setzt auf Abschottung, auf Abschiebung und auf Kriminalisierung von Ausländern. ({0}) Daran ändern auch die kleinen Verbesserungen nichts, die Sie vielleicht vorgenommen haben. Damit ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts genau das passiert, was wir und die Flüchtlingsorganisationen befürchtet haben. Das Urteil war ein fatales Signal, es war ein Freifahrtschein für eine Politik der Abschottung und der schnellen Abschiebung. Die Menschenrechte sind dabei leider auf der Strecke geblieben. Darüber ist hier heute auch zu sprechen, und ich finde es schade, Herr Penner, daß Sie darauf nicht eingegangen sind. Aber zunächst zu den Vorschlägen der Koalition: Sie wollen das Ausländerrecht und das allgemeine Demonstrationsrecht verschärfen. Wenn aus einer verbotenen Demonstration heraus Straftaten begangen werden, soll aus einem einfachen Landfriedensbruch ein schwerer werden. Dieser sogenannte Friedensbruch - Herr Penner hat das schon angesprochen - kann dabei schon in einer anheizenden Rede am Megaphon bestehen. Herr Marschewski, verstehen Sie mich nicht falsch: Wir verurteilen nachdrücklich Gewalttaten, gerade auch die der PKK. Aber das, was Sie hier vorhaben, ist einfach der falsche Weg, diesen Auseinandersetzungen zu begegnen. ({1}) - Ja, wir bleiben da auch bei unserer Position. Selbst Asylberechtigte sollen künftig trotz festgestellter politischer Verfolgung in ihr Verfolgerland abgeschoben werden, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurden. Diese Regelung stößt nicht nur auf völkerrechtliche Bedenken des UNHCR - er hat sich hier geäußert -, sie ist auch zutiefst zynisch. Damit machen Sie nämlich das Ausländerrecht zum zweiten Strafrecht und demontieren den Rechtsstaat. ({2}) Wir lehnen diese inhumane Doppelbestrafung von Ausländern ab. All diese Verschärfungen verfolgen eine bekannte Logik Ihrer Ausländerpolitik: Sie bekämpfen nicht die Ursachen von Kriminalität, sondern Sie kriminalisieren weiter. Sie suchen nicht den politischen Dialog, sondern ziehen den Knüppel des Strafrechts. Zudem entledigen Sie sich der Probleme durch Abschiebung ins Verfolgerland. Der Gesetzentwurf zeigt meines Erachtens die ganze Phantasielosigkeit Ihrer Ausländerpolitik. Im Zweifel setzen Sie auf Abschiebung, und Sie schieben die politische Verantwortung für die Betroffenen gleich mit ab. Hinzu kommt: Die Preisgabe menschenrechtlicher Verpflichtungen gegenüber Ausländern und Flüchtlingen ist nur mit massiven Eingriffen in das Demonstrationsrecht für alle hierzulande zu haben. Meine Damen und Herren von der F.D.P., Frau Schmalz-Jacobsen, ich finde, daß das ein sehr schlechter Kuhhandel war: Für ein kleines Reförmchen bei der Stelle der Ausländerbeauftragten tragen Sie solche weitreichenden Verschärfungen des Demonstrationsrechts mit. Da bleibt der neuentdeckte Liberalismus aber ganz schön auf der Strecke! ({3}) Bei einem, meine Damen und Herren von der Koalition, kann man sich bei jedem Ihrer Vorstöße zum Asyl- und Ausländerrecht sicher sein: Ausländer und Flüchtlinge haben eine Verschlechterung ihrer Rechtslage zu erwarten. ({4}) - Ich rede von Flüchtlingen. - Sie wollten sich schon mit dem Asylkompromiß der Flüchtlinge entledigen. Und auch wenn diese unmenschliche Politik jetzt von höchster Stelle abgesegnet wurde, versichere ich Ihnen: Das Flüchtlingsproblem hat sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht erledigt. ({5}) Wir als Parlament können uns nicht hinter dem Verfassungsgericht verstecken. Im Gegenteil, Karlsruhe hat lediglich erklärt, was verfassungsrechtlich gerade noch zulässig ist. Was politisch und menschlich notwendig ist und was rechtlich möglich ist, das steht eben nicht in diesem Urteil. Das liegt in unserer politischen Verantwortung. Mit dem Urteil wurden die Probleme nicht gelöst, sie wurden nur verschoben. Aus dem Asylproblem wurde ein Abschiebeproblem gemacht - und damit ein Menschenrecht demontiert. Die Flüchtlinge werKerstin Müller ({6}) den abgeschoben in sogenannte sichere Drittländer, angeblich sichere Herkunftsländer und verschwinden in der Abschiebehaft oder tauchen ab in die Illegalität. Noch nie war die Zahl der Abschiebehäftlinge in der Bundesrepublik so hoch. Seit Inkrafttreten des inhumanen Asylrechts hat es allein 20 Selbstmorde in Abschiebehaftanstalten gegeben. Vor dieser Realität verschließen Sie die Augen. ({7}) Das wird hier nicht thematisiert. Sie haben Ihre Verantwortung für die Schicksale der Flüchtlinge auf die anderen Länder abgeschoben, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. ({8}) Meine Damen und Herren, meine Fraktion bringt daher heute zu dieser Debatte einen Antrag für eine menschenrechtlich orientierte Flüchtlingspolitik sowie weitere Initiativen ein. Unser Antrag formuliert, ohne die Verfassung ändern zu müssen, auf einfachgesetzlicher Ebene Mindeststandards für eine humane Flüchtlingspolitik. Vor allem hat der Antrag ein Anliegen: Nicht der Fluchtweg, sondern der Fluchtgrund muß wieder über das Schicksal der Flüchtlinge entscheiden. ({9}) Niemand darf abgeschoben werden, bevor seine Asylgründe nicht wenigstens überprüft wurden. Die geltende Drittstaatenregelung erfüllt diese Grundsätze nicht. Denn wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreist, wird ausnahmslos vom Verfahren ausgeschlossen. Die Drittstaatenregelung mißachtet das Rückschiebungsverbot der Genfer Konvention. Ein Asylrecht, das offenläßt, ob sich ein Staat überhaupt noch zu einer inhaltlichen Überprüfung eines Asylantrages bereit findet, hat seine menschenrechtliche Qualität eingebüßt. ({10}) Der Bundestag muß dem entgegentreten. Wir dürfen uns nicht am Aufbau eines Systems organisierter Verantwortungslosigkeit beteiligen. Wir schlagen daher in dem Antrag vor: Flüchtlinge dürfen nur in den Drittstaat zurückgewiesen werden, wenn dort ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert ist. Vor jeder Rückführung, bei jedem Einzelfall, ist die Zustimmung des Landes einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht spricht vom Prinzip der Lastenverteilung in Europa. Eine europäische Lösung existiert aber bisher nicht. Weder Schengen noch die Asylkonvention der EU garantieren wirklich den Zugang zu Asylverfahren. Die Rücknahmeabkommen, die mit den osteuropäischen Ländern bestehen, reden nicht einmal mehr davon. Herr Kanther, es ist Aufgabe der Bundesregierung, hier nachzuarbeiten. Damit hat das Bundesverfassungsgericht aus unserer Sicht einen klaren Auftrag erteilt. Auf ebenso unsicherem Grund wie die Drittstaatenregelung stehen die Regelungen für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern und das Flughafenverfahren. Auch hier entscheidet der Weg und nicht der Fluchtgrund. Ich glaube, wir haben im Falle Ghanas bei der mündlichen Verhandlung deutlich sehen können, auf welch wackligen Füßen diese Regelung steht. Das Auswärtige Amt mußte nach Ausführung von Amnesty International zugeben, daß es ein paar Todesurteile und Hinrichtungen in Ghana schlicht übersehen hat. Ich begrüße deshalb den Antrag der SPD auf Streichung Ghanas aus der Liste. Wir werden dem gerne zustimmen. Für uns ist das aber nur ein allererster Schritt. Herr Kanther, Sie haben gedroht, wer den mit der SPD ausgehandelten Kompromiß in Frage stelle, müsse mit schwerwiegenden Konsequenzen für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern rechnen. Ich frage Sie: Was ist das für ein innerer Friede, der sich auf Abschottung gründet und der sich nur durch Unmenschlichkeit erhalten läßt? Meine Fraktion hat eine andere Vorstellung von einer friedlichen Gesellschaft. Wir stehen hier nicht alleine. Es gibt immer mehr Bürgerinnen und Bürger, immer mehr Kirchengemeinden, die Widerstand leisten. Ich glaube, unser Antrag wird auch für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, zu einer Glaubwürdigkeitsprobe. Sie müssen zum Urteil des Verfassungsgerichts Stellung beziehen. ({11}) Ich glaube, der Asylkompromiß war ein fataler Irrweg. ({12}) Lassen Sie uns gemeinsam der Menschenwürde wieder zu ihrem Recht verhelfen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Danke schön. ({13})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unser Ausländerrecht ist fünf Jahre alt. Von Anbeginn an hat es immer wieder die Frage gegeben: Brauchen wir nicht eine Novellierung? Brauchen wir nicht Veränderungen? Es hat im Laufe der Jahre etliche Initiativen gegeben. Ich denke, das ist Ausdruck eines lebendigen Parlamentarismus. Es hat Initiativen von allen Seiten und von allen Fraktionen des Hauses gegeben. Es hat aus der Opposition und aus der Regierungskoalition Initiativen zur Erleichterung gegeben. Es geht hier um Erleichterungen. So haben unsere Beratungen angefangen. Ich möchte das in die Köpfe zurückholen: Die Beratungen haben mit der Diskussion von Erleichterungen für friedlich und seit Jahren hier lebende Nichtdeutsche begonnen. Die F.D.P.-Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode eine Anhörung mit einer sehr breiten Palette von Sachverständigen durchgeführt. Exakt die Dinge, die dort und auch immer hier im Hause geäußert worden sind, die Dinge, die für die hier lebende ausländische Wohnbevölkerung am wichtigsten sind, haben Eingang in unsere Vorschläge gefunden. Ich habe versucht, mich ein bißchen in einen Nichtdeutschen, eine Nichtdeutsche hineinzuversetzen, die dieser Debatte folgt. Als Nichtdeutsche hätte ich den Eindruck gehabt, daß hier aus verschiedenen Blickwinkeln nur über Gefahren, Abschotten und Abschieben gesprochen wird, womit das Gesetz sehr einseitig beschrieben wäre. Wir machen Gesetze für den Normalfall. Wir sind immer in der Gefahr - ähnlich wie die Sensationspresse, für die eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist -, den Extremfall und nicht den Normalfall besonders zu thematisieren. ({0}) Dadurch entstehen bei den Betroffenen leider sehr leicht Irritationen. In einer renommierten deutschen Tageszeitung stand, daß jugendliche Ausländer, die in die Heimat gegangen sind und jetzt zurück nach Deutschland wollen, nicht einmal ein Rückkehrrecht hätten. In Wahrheit steht längst im Gesetz, daß Jugendliche zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr unter bestimmten Voraussetzungen, die sehr großzügig gewählt sind, fünf Jahre nach Ausreise zurückkehren können. Aber solche Desinformationen entstehen. Mich haben viele Briefe und Anrufe von jungen Leuten und Eltern erreicht, die gefragt haben, ob das so ist. Es ist nicht so. ({1}) Worum geht es? Es geht um Verbesserungen für alte Leute, für junge Leute, für Behinderte, für Ehepartner und übrigens auch für ehemalige Vertragsarbeitnehmer aus der DDR. Ich sehe das Schwergewicht bei den Erleichterungen ein bißchen anders als mein Kollege Marschewski. Ich glaube, das Wesentlichste ist, es der ersten Generation der Gastarbeiter, die nach mindestens 15 Jahren Aufenthalt deutsche Renten beziehen - dazu steht in unserem Gesetzentwurf Präzises -, zu ermöglichen, so hin und her zu reisen, als ob sie Deutsche oder EU-Angehörige wären. Daß sie dies nicht konnten, war für die erste Generation der Gastarbeiter, für die Großeltern ein so großes Obstakel, ein so großer Stolperstein, daß die Neuregelung eine große Erleichterung und Befreiung sein wird. ({2}) Sie haben das ja auch erwähnt. Da sind wir gar nicht weit auseinander. Aber das halte ich für den wesentlichsten Punkt. ({3}) Ein anderer Punkt, der vor allen Dingen aus psychologischen Gründen außerordentlich wichtig ist, ist die Tatsache, daß junge Leute, die hier geboren und aufgewachsen sind, nicht mehr 60 Monate lang Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, um eine Aufenthaltsberechtigung zu bekommen. Es ist geradezu absurd, daß jemand, der sich um eine Ausbildung bemüht, so lange auf einen guten Aufenthaltsstatus warten muß. Auch für behinderte Jugendliche ist es wichtig, daß sie einen Aufenthaltsstatus erhalten, der sie nicht mit einer möglichen Ausweisung konfrontiert. In der Bundesrepublik Deutschland hat es zwar nie eine solche Ausweisung gegeben, es ist aber wichtig, daß diese Menschen in ihrem familiären Zusammenhalt gestärkt werden und beruhigt sein können. ({4}) Auch der vielzitierte und oft beratene § 19, der dem Eindruck in der Öffentlichkeit nach den allerwichtigsten Punkt darstellt, wird, wie Sie wissen, geändert. In Fällen einer außergewöhnlichen Härte wird nach einem Jahr ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt. Dies gilt übrigens sowohl für Frauen als auch für Männer; das eigenständige Aufenthaltsrecht gilt für beide gleichermaßen. Ich bin gespannt, ob es in der Praxis tatsächlich eine Unterscheidung zwischen besonderen Härtefällen und außergewöhnlichen Härtefällen geben wird; denn all die Härtefälle, die an mich herangetragen worden sind, waren nach der jetzigen Ausführung außergewöhnliche Härtefälle.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau SchmalzJacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schewe-Gerigk.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Schmalz-Jacobsen, Sie haben gerade von der Verbesserung für die ausländischen Ehefrauen durch die Einführung der Einjahresfrist gesprochen. Die Koalition kann sich diesem Unrecht auch wirklich nicht länger verweigern. ({0}) Sie selbst wissen, daß durch viele Petitionen transparent geworden ist, welches Unrecht das für die ausländischen Frauen bedeutet. Meine Frage an Sie: Warum sind Sie mit der Einjahresfrist auf halbem Wege stehengeblieben? Warum sagen Sie nicht, daß es für die Frauen ein nicht vom Ehemann abgeleitetes, eigenständiges Aufenthaltsrecht geben muß, das entweder mit dem Tag der Eheschließung oder mit der Einreise Gültigkeit erhält? Wollen Sie wirklich, daß eine Ehefrau vier Jahre lang in einer Ehe ausharren muß, obwohl sie sich von ihrem Ehemann trennen lassen will, oder daß sie sich quälen lassen muß, damit sie nicht ausgewiesen wird? Was wollen Sie unternehmen, damit Heiratshändler nicht länger mit dem deutschen Recht aggressiv Werbung machen und den Ehemännern versprechen: Innerhalb eines Jahres könnt ihr eure ausländischen Ehefrauen loswerden, wenn sie sich nicht so verhalten, wie ihr es wollt?

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, zunächst einmal: Mich stört, daß diesen Ehen geradezu ein Siegel der Miserabilität aufgedrückt wird. Das ist nicht die Regel. Die Regel ist, daß diese Ehen friedlich und vernünftig verlaufen. Mir bereitet es Probleme, daß man bei der ganzen Diskussion so tut, als ob diese Ehen a priori schlechte Ehen seien. Das ist nicht der Fall. Wir haben uns darauf verständigt, daß die Vierjahresfrist ein Zeitrahmen ist, der durchaus vernünftig ist. Eine andere Frage wäre, ob nicht die Zeit, in der die Ehe im Ausland geführt worden ist, mit einbezogen werden soll. Das ist aber nicht unser Thema. Eine Ehe beginnt in der Regel eben nicht mit Prügel, Mord und Totschlag. ({0}) - Herr Kollege Penner! - Der Zeitraum von einem Jahr ist, so glaube ich, ein vernünftiger Kompromiß. Im übrigen: Glauben Sie wirklich, daß es für die betroffenen Frauen, die als Fremde hierherkommen, von besonderem Belang ist, ob sie sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten? Meinen Sie, daß sie sich hier dann besser zurechtfinden und glücklich sein werden? Ich bin der Meinung, diese Ein-Jahr-Regelung wird vielen Argumenten gerecht. Wir werden sehen, was die Praxis zeigt. Ich glaube aber, es ist vernünftig. ({1}) Ich habe die Vertragsarbeitnehmer angesprochen, von denen hier interessanterweise niemand mehr spricht, die aber doch ein wesentlicher Bestandteil der Wahrnehmung unserer Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern sind. ({2}) - Ich war nicht für die 50 Prozent, Herr Kollege Penner. Es ist eine gegriffene Zahl. Daß aber ein Aufenthalt hier anerkannt wird, wenn auch nur zu 50 Prozent, bedeutet eine Besserstellung gegenüber den geduldeten Ausländern. Diese nämlich beginnen bei Null. Insofern ist hier einem Petitum nachgekommen worden, das aus den neuen ,Bundesländern immer wieder an uns herangetragen worden ist. Diese Novellierung hat auch noch eine andere Seite. Wenn ich mir die Wohnbevölkerung, egal, mit welchem Paß in der Tasche, ansehe, dann ist die bittere Erkenntnis, daß es notwendig war, einen deutlicheren Trennstrich zwischen den friedlich hier Lebenden und den Straftätern zu ziehen. Wir müssen immer darauf achten: Für wen setzen wir uns eigentlich ein? Wir setzen uns hier doch für die friedlichen, rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer ein. Es geht nicht an, daß Resozialisierung nur auf Jugendliche mit einem deutschen Paß in der Tasche angewandt werden kann. Deswegen haben wir den besonderen Ausweisungsschutz nicht aus dem Gesetz herausgenommen. ({3}) Wir müssen einen Unterschied machen, meine Kolleginnen und Kollegen, zwischen einem Jugendlichen, der mehr oder weniger wie alle unsere Kinder aufgewachsen ist und eine erhebliche Dummheit, vielleicht sogar eine schwere Straftat, begeht, und jemandem, der als Tourist hierher kommt oder gar den Schutz unseres Landes sucht und dann unsere Gesetze mit Füßen tritt. Das ist ein Unterschied. ({4}) Daß wir niemanden in Tod und Folter zurückschikken, das versteht sich doch von selbst. Ich bitte Sie alle sehr herzlich die Erleichterungen, die hier vorgesehen sind, bekanntzumachen. Wir brauchen in der Bevölkerung einen Rückhalt für Toleranz und für das Miteinander. Diesen Rückhalt haben wir, glaube ich, in sehr viel größerem Maße, als uns das Stammtischgerede manchmal weiszumachen versucht. Nur muß man dazu die Erleichterungen auch laut und deutlich bekanntmachen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe nun der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, ich habe wirklich das Gefühl, daß wir hier über völlig verschiedene Anträge reden. Sie reden die Anträge schön; denn ich bin der Meinung: Das, was hier vorgelegt wurde, ist von Zuckerbrot und Peitsche geprägt. Zuckerbrot gibt es nämlich für die Flüchtlinge sowie die Migrantinnen und Migranten, die schon seit langem hier leben und ihren Integrationswillen in Ihren Augen ausreichend bekundet haben. Für sie sieht dieser Entwurf in der Tat einige Verbesserungen vor. Die Peitsche schwingen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, gegen all diejenigen, die aufmüpfig sind, die für Ihre Rechte hier oder im Herkunftsstaat eintreten, und gegen straffällige Menschen, die verurteilt wurden. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wir sind dagegen, daß Demonstrationen gewalttätig verlaufen. Aber zur Ahndung möglicher Straftaten auf solchen Veranstaltungen gibt es Gesetze, und diese reichen unseres Erachtens völlig aus. Es ist nicht nur überflüssig, sondern es kommt einer doppelten Bestrafung gleich, wenn verurteilte Menschen auch noch ausgewiesen werden. Dies gilt für alle Straftäter unabhängig davon, ob sie politische oder andere Hintergründe haben. Ihr Plan zur Doppelbestrafung setzt meines Erachtens die Grundfrage bei allen ausländerrechtlichen Fragen erneut auf die Tagesordnung: Betrachten wir Menschen, die ohne deutschen Paß hier leben, als gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen, oder sind sie lediglich Gäste, denen man sein Wohlwollen beliebig entziehen kann? ({0}) ({1}) Sie von der Koalition betrachten Menschen ohne deutschen Paß als Gäste ohne wesentliche Rechte. ({2}) Unter Gästen versteht man allerdings gemeinhin, daß sich Menschen vorübergehend zu Besuchen aufhalten. Die meisten hier lebenden Nichtdeutschen sind aber nicht zu Besuch hier, sondern sie haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland: leben hier, arbeiten hier, erziehen hier ihre Kinder usw. Sie sind darüber hinaus politisch denkende und handelnde Menschen. Schon eine Verurteilung wegen einer Straftat zu drei Jahren soll ausreichen, einen Menschen auszuweisen. Bislang waren dazu immerhin schwere Verbrechen mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren notwendig. Mehrfach verurteilte Menschen sollen bereits ausgewiesen werden können, wenn ihre Strafen innerhalb von fünf Jahren zusammen drei Jahre Haft ergeben. Das kann schon bei mehreren Bagatelldelikten der Fall sein. Meine Damen und Herren, Herr Penner hat es eben angesprochen: Diese Regelung wollen Sie nun auch auf minderjährige Jugendliche, die hier geboren sind bzw. lange in Deutschland leben, ausweiten. Ich frage Sie allen Ernstes: Ist Ihnen etwa nicht bekannt, daß diese Jugendlichen ihre Länder häufig nur als Urlaubsländer kennen und kaum deren Sprache beherrschen? Besonders verwerflich ist, daß Sie auch vor der weiteren Demontage des internationalen Flüchtlingsrechts nicht haltmachen. Künftig sollen politisch Verfolgte in den Staat abgeschoben werden, der sie verfolgt hat, wenn sie eine besondere Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellen und zu mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden. ({3}) Abgesehen von der Tatsache, daß die Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland ein subjektives Kriterium darstellt, das je nach Interessenlage der jeweils Regierenden definiert wird, bricht dieser Plan mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese sieht die Ausweisung politisch Verfolgter nur in begründeten Ausnahmefällen vor. Sie aber machen das mit Ihren Vorlagen zur Regel. Auf die hier lebenden und politisch aktiven Kurden zielt Ihr Vorhaben, einfachen Landfriedensbruch bei verbotenen Demonstrationen zu besonders schwerem Landfriedensbruch umzudefinieren, der dann zwingend die Ausweisung zur Folge hat. Für eine solche Verurteilung soll es bereits ausreichen, wenn jemand ein Megaphon in der Hand hält. Ihm oder ihr unterstellen Sie, daß er oder sie sich als Anheizer betätigt. Nebenbei erreichen Sie, daß das Demonstrationsrecht insgesamt verschärft wird. Aber damit nicht genug. Das Verbot politischer Betätigung wollen Sie ebenfalls verschärfen. Schon ein einmaliger Verstoß dagegen reicht für eine Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Bislang waren dazu immerhin wiederholte Verstöße notwendig. Wer sich verbotenermaßen dreimal politisch äußert, wird dreimal verurteilt. Das ergibt eine Gesamtstrafe von drei Jahren, und daraus folgt die Abschiebung. Die PDS spricht sich vehement gegen alle Verschärfungen der Ausweisungsbestimmungen und gegen jede Ausweitung politischer Betätigungsverbote aus. Wir fordern, daß Nichtdeutschen das volle Recht auf Meinungsäußerung, auf Koalitions- und Versammlungsfreiheit eingeräumt wird. ({4}) Ebenfalls auf mißliebige Ausländerinnen und Ausländer zielt die Ausweitung von Abschiebehaftgründen. Die meisten in Abschiebehaft sitzenden Menschen haben sich nichts weiter zuschulden kommen lassen, als hier Zuflucht zu suchen. Dafür werden sie eingesperrt und schlechter behandelt als Strafgefangene. Sie wollen, daß der während der Abschiebehaft gestellte Asylantrag nicht mehr zur sofortigen Entlassung aus der Haft führt. Bis zu vier Wochen müssen Asylbewerberinnen und Asylbewerber warten, bis das Bundesamt eine Entscheidung getroffen hat. Sie unterstellen von vornherein, daß Anträge mißbräuchlich und offenkundig aussichtslos sind, daß sie allein aus taktischen Gründen gestellt werden, um eine Abschiebung zu verhindern. Sie nehmen kalt lächelnd in Kauf, daß es kaum möglich ist, von einem Gefängnis aus ein Asylverfahren mit Aussicht auf Erfolg zu betreiben. Völlig unzureichend ist Ihr Vorschlag, den § 19 des Ausländergesetzes zu ändern. Es bleibt dabei, daß das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ehegatten - in den meisten Fällen der Ehefrau - von dem des Mannes abgeleitet wird. Die Ehe muß weiter vier Jahre Bestand im Bundesgebiet haben, bevor die Frau ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt. In Härtefällen reichen drei Jahre. Nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte kann die Frist auf ein Jahr verkürzt werden. Dabei verzichtet die Koalition im Gesetz auf die Definition dieser außergewöhnlichen Härte. Nur aus der Begründung des Gesetzentwurfes läßt sich herauslesen, daß Sie damit auch Mißhandlungen durch den Mann oder Zwang zur Prostitution meinen könnten. Die Ausländerbehörden pflegen im allgemeinen jedoch weniger die Begründung zu lesen. Sie lesen vor allen Dingen die Paragraphen, und die handhaben sie meistens ziemlich restriktiv. Die Neuauslegung hat also allenfalls Alibicharakter; denn es bleibt Fakt, daß Frauen sich mindestens ein Jahr lang mißhandeln lassen müssen, bevor sie sich von ihrem Ehemann trennen können, und daß deutsche Ehemänner sich weiterhin nicht mehr genehmer Ehefrauen per Ausländerbehörde entledigen können, ohne Unterhaltszahlungen befürchten zu müssen usw. Dies spricht vielen Frauen Hohn. Es geht hier, Frau Schmalz-Jacobsen, vor allen Dingen um diejenigen Frauen, die durch Heiratshändler vermittelt werden, und um diejenigen, die mißhandelt werden. Wir bleiben bei unserem Antrag, daß Ehepartnerin und Ehepartner mit der Einreise in die Bundesrepublik sofort ein eigenständiges, vom Ehegatten unabhängiges Aufenthaltsrecht bekommen. ({5}) Wir fordern auch, daß der Sozialhilfebezug als Ausweisungsgrund gestrichen wird. Von schreiender Ungerechtigkeit geprägt ist auch Ihr Vorschlag, den ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und Vertragsarbeitnehmern aus der DDR für die Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus hier in der Bundesrepublik nur die Hälfte ihrer Aufenthaltszeit in der DDR anzuerkennen. Betroffen sind 15 000 Menschen, vorwiegend Vietnamesinnen und Vietnamesen, die derzeit im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sind. Sie müssen nach Ihrer Regelung jetzt meistens bis zu 13 Jahre und im Extremfall sogar 19 Jahre warten, bis sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Das Ausländergesetz sieht im übrigen vor, daß eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nach acht Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik erteilt werden kann. Zu behaupten, die Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus Vietnam würden durch die 50prozentige Anerkennung der DDR-Zeit privilegiert, weil sie eigentlich nicht mit einem dauerhaften Aufenthalt hier hätten rechnen können, ist blanker Zynismus. Auch die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter im Westen sind hier nur als Arbeitskräfte auf Zeit angeworben worden. Sie mußten sich den langen Aufenthalt erkämpfen, frei nach dem Motto von Max Frisch: Sie riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen. Die ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer werden durch diese Regelung auf Jahre hinaus daran gehindert, wenigstens den Migrantinnen und Migranten im Westen gleichgestellt zu werden. Sie müssen erhebliche Behinderungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt hinnehmen, bekommen kein Kindergeld und kein Erziehungsgeld. Darauf haben Ausländerbeauftragte der neuen Länder ebenso wie die Interessenvertretungen der Ausländer besonders hingewiesen. Wir fordern Sie deshalb auf, dem von Sachsen-Anhalt vorgelegten Gesetzentwurf, der die Gleichstellung von Ausländerinnen und Ausländern im Westen und in der ehemaligen DDR fordert, zuzustimmen. Er formuliert genau das, was unserer Meinung nach nötig ist. ({6}) Ansonsten möchte ich Sie bitten, das gesamte Paket, das heute vorgelegt wurde, noch einmal einer öffentlichen Anhörung zuzuführen; denn ich glaube, daß es sehr wichtig ist, Flüchtlingsorganisationen und -gruppen bzw. Experten nochmals zu den Auswirkungen dieser Anträge zu hören. Danke. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß eingangs einen Satz zum Kollegen Penner sagen. Herr Kollege Penner, ich habe die Formulierung in der Begründung nachgelesen, die Sie so erzürnt hat und derentwegen Sie hier solche Temperamentsausbrüche hatten. In dem Satz geht es um das Abschieben und um Erleichterungen bei der Abschiebung von Ausländern, die schwere Straftaten begehen. Dort heißt es: Dies gilt gerade auch für die Ausländer, die durch die Begehung des besonders schweren Landfriedensbruchs das legitime Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die Rechtsordnung gefährden bzw. verletzen. ({0}) Herr Penner, Sie haben den Begriff „legitimes Sicherheitsempfinden" kritisiert und so getan, als sei dies schon NS-Gedankengut ({1}) und mit dem Begriff „gesundes Volksempfinden" vergleichbar. ({2}) Ich will Ihnen klipp und klar sagen: Nach 50 Jahren freiheitlicher Demokratie kann mich mit so einer Formulierung niemand mehr attackieren. Es ist legitim, auch auf ein Sicherheitsempfinden in unserer Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. ({3}) Alle führenden Köpfe in der Politik haben nach den Demonstrationen und den auf deutschen Straßen verübten Gewalttaten auch sehr deutlich diesem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung Rechnung geWolfgang Zeitlmann tragen und Verschärfungen gefordert, Herr Penner, auch die Vorturner Ihrer Partei. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach der letzten großen Reform des Ausländergesetzes 1990 befassen wir uns heute wieder mit einschneidenden Änderungen, allerdings in einem Paket, das die Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Asylverfahrensgesetzes enthält. Bevor ich im einzelnen auf Änderungen eingehe, möchte ich doch Sinn und Zweck des Ausländerrechts allgemein darstellen. Das Ausländerrecht kann und darf nur den Zweck haben, die Belange des in Deutschland lebenden bzw. nach Deutschland kommenden Ausländers und die Belange der Bundesrepublik Deutschland in ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu setzen. Deswegen regelt es die die Ausländer betreffenden Voraussetzungen des Zugangs nach Deutschland und des Aufenthalts in Deutschland. Bei allem Verständnis für die individuellen Belange der Ausländer darf aber nicht verkannt werden, daß das Ausländerrecht kein Sozialrecht, sondern Sicherheitsrecht ist. ({4}) Es regelt die Vereinbarkeit von Zuzug und Aufenthalt von Ausländern mit dem öffentlichen Interesse. Dieser Zusammenhang ist vielfach in Vergessenheit geraten oder wird gar verdrängt. Das deutsche Ausländerrecht zeichnet sich durch große Liberalität aus. ({5}) - Dieser Einwurf von der ganz linken Seite kann mich überhaupt nicht treffen. Wie hier jemand als - so sage ich es einmal - Überbleibsel der DDR lachen kann, wenn von Liberalität die Rede ist, ist mir unerfindlich. Man müßte einmal Geschichtsforschung betreiben, um herauszufinden, was ihr da drüben mit den Ausländern gemacht habt. ({6}) Ich will einmal ein paar Zahlen nennen. Lebten im Jahre 1950 in Deutschland knapp 568 000 Ausländer, so waren es im Jahre 1990 bereits knapp 5,5 Millionen und im Jahre 1995, also fünf Jahre später, 7,2 Millionen. Der Anteil der EU-Ausländer bewegt sich zwischen 20 und 25 Prozent. Ich finde, allein diese Zahlen machen deutlich, daß unser Ausländerrecht wohl in eine Reihe mit den liberalen und freiheitlichen Ausländerrechten der westlichen Welt gestellt werden kann. Vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft ausländischer Straftäter allerdings setzt sich meine Partei insbesondere für eine Verschärfung der Ausweisungsvorschriften ein. Mit dem derzeitigen Ausländerrecht kann nur unzureichend auf gewalttätige Massendemonstrationen reagiert werden. Demjenigen, der sein Gastrecht - ich betone: sein Gastrecht; um mehr handelt es sich nicht; nur das vermitteln die Aufenthaltstitel des Ausländerrechts - mißbraucht, muß dieses entzogen werden. ({7}) Deswegen fordert die CSU mit Nachdruck, daß die bewiesene Begehung eines Landfriedensbruchs zwingend zur Ausweisung des Ausländers führt. Diese Forderung - das gebe ich offen zu - war in der Koalition nicht durchsetzbar. Nunmehr muß eine rechtskräftige Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs zu zumindest zwei Jahren vorliegen; erst unter diesen Voraussetzungen ist der Ausländer zwingend auszuweisen. Wir von der CSU haben dieses Ergebnis nolens volens mitgetragen. Allerdings muß die Zukunft erweisen, ob die nunmehr gefundenen Ergebnisse im gewünschten Sinn Erfolge zeigen. Auch die vorgesehene Erleichterung des eigenständigen Ehegattenaufenthaltsrechts ist ein Kompromiß zugunsten des Koalitionspartners. Es bleibt zu hoffen, daß diese Neuregelung - eigenständiges Ehegattenaufenthaltsrecht bereits nach einem Jahr bei Vorliegen der außergewöhnlichen Härte - nicht zu verstärktem Mißbrauch führt. Nicht zuletzt auf Drängen der CSU wurden die Bestimmungen über die Beendigung des Aufenthalts bei strafrechtlicher Verurteilung verschärft. Mußte bisher bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren bzw. bei mehrfacher Verurteilung von mindestens acht Jahren zwingend ausgewiesen werden, so gilt dies künftig bei Freiheitsstrafen von drei Jahren bei Mehrfachverurteilungen innerhalb von maximal fünf Jahren. Mit dieser Regelung wird die Gesetzeslage an die Spruchpraxis der Strafgerichte angepaßt, die sich bei der Verhängung langjähriger Freiheitsstrafen als sehr, sehr zurückhaltend erwiesen haben. Mit dieser Regelung korreliert die Änderung der Ausweisungsschutzvorschriften. Der Ausweisungsschutz entfällt künftig regelmäßig bei schwerwiegenden Straftaten. Darüber hinaus haben wir durchgesetzt, daß zukünftig allein die Asylantragstellung aus der Abschiebehaft heraus nicht mehr automatisch zur Haftentlassung führt. So kann vermieden werden, daß auch eine mißbräuchliche Asylantragstellung zwingend die Freilassung aus der Haft nach sich zieht. Mit den jetzt vorgelegten Änderungen des Ausländerrechts werden nicht nur die Möglichkeiten zur Ausweisung und Abschiebung Krimineller verbessert; es wird auch die Rechtsstellung der sich legal in Deutschland aufhaltenden Ausländer verbessert. So wird zukünftig ausländischen behinderten Kindern unter erleichterten Voraussetzungen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder sich in Ausbildung befindlichen ausländischen Jugendlichen leichter eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. Das nun vorliegende Paket stellt einen im wesentlichen ausgewogenen Kompromiß zwischen Verschärfungen einerseits und Erleichterungen andererseits dar. Die Effektivität dieses Pakets wird sich allerdings erst erweisen müssen. Bei allen jetzigen und zukünftigen Forderungen nach noch weitergehenden Erleichterungen werden wir alle uns fragen müssen, ob nicht bereits die Grenzen des Machbaren erreicht sind. Ich habe die Zahlen und Steigerungsraten am Anfang meiner Rede genannt. Angesicht der anstehenden Einschnitte, insbesondere im sozialen Bereich, wird eine weitere Liberalisierung des Ausländerrechts an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und die Aufnahmebereitschaft ihrer Bevölkerung stoßen. Wir dürfen die deutsche Bevölkerung nicht überfordern; sonst besteht die Gefahr, daß sich deren grundsätzliche Ausländerfreundlichkeit ins Gegenteil verkehrt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Kollegen Zeitlmann eine Bemerkung machen. Daß Sie bedauern, straffällig Gewordene nicht auch ohne rechtskräftiges Urteil ausweisen zu können, zeigt mir, daß Sie Geist und Sinn des Rechtsstaates offenbar nicht voll begriffen haben. Ich bedaure das sehr. ({0}) Seit vielen, vielen Monaten liegen Anträge der SPD-Bundestagsfraktion und anderer Oppositionsparteien zur Änderung des Ausländergesetzes vor. ({1}) - Ich rede jetzt von unserem Antrag zur Ausländergesetzänderung. Unser Antrag datiert - hören Sie bitte zu - vom 10. März 1995, hat vor mehr als einem Jahr seine erste Lesung erfahren, und anschließend erlebten wir bei diesem Thema wie auch bei manchen anderen ausländerrechtlichen Fragen, bei denen es im Gebälk der Koalition knirscht, Funkstille im Innenausschuß. Nun plötzlich überraschten uns in der letzten Woche CDU/CSU und F.D.P. mit der Ankündigung, sie wollten ihre eigenen Gesetzesinitiativen als Änderungsanträge zu unseren Vorlagen einbringen. Hätte es sich um wirkliche Alternativen zu unseren Novellierungsvorschlägen gehandelt, hätte man darüber reden können. ({2}) Statt dessen aber präsentieren Sie uns einen gesetzgeberischen Gemischtwarenladen in wilder Zusammenballung: ein gewisses Quantum an Vorschlägen zu aufenthaltsrechtlichen Verbesserungen, gefolgt von einschneidenden Veränderungen im Strafgesetzbuch, bei den Ausweisungstatbeständen und beim Demonstrationsrecht und zu guter Letzt ein paar Vorschriften zur Stellung der Ausländerbeauftragten. Das war der unverfrorene Versuch, umfassende Gesetzesänderungen noch vor der Sommerpause durchzupeitschen, eine glatte Mißachtung parlamentarischer Sitten und der Rechte der Opposition ({3}) auf eine sorgfältige und eingehende Beratung ihrer eigenen Initiativen. Das konnten wir uns nicht bieten lassen. Wir haben Sie zum Glück von diesem Vorhaben abbringen können. ({4}) Natürlich ist mir klar, warum Sie es mit Ihrem Gesetzespaket plötzlich so eilig haben und warum Sie jetzt auch unruhig werden. Sie wollen angesichts der zweifellos bedrückenden Aktionen der Kurden vom vergangenen Frühjahr Handlungsfähigkeit und Härte demonstrieren. Damit das Ganze nicht so rabiat wirkt, haben Sie die Gesetzesverschärfungen in ein paar schon vorher ins Auge gefaßte aufenthaltsrechtliche Minimalverbesserungen hineingepackt und eine gewisse Aufwertung des Amtes der Ausländerbeauftragten als Garnierung vorgesehen. Der Geruch nach „law and order" sollte offenbar mit ein paar liberalen Duftmarken abgemildert werden. Das ist aber zuwenig und zu beiläufig für ein gesellschaftlich wichtiges Ziel, nämlich die Integration dauerhaft hier lebender Menschen nichtdeutscher Herkunft zu fördern ({5}) und ihnen Sicherheit für ihre Lebensplanung zu ermöglichen. Ich finde es schade: Was Sie uns in diesem Teil Ihres Gesetzespaketes präsentieren, ist in sich enttäuschend, unzureichend und kleinmütig. Das gilt auch für einen Kernpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung, nämlich für § 19 des Ausländergesetzes. Die Bestimmungen zu diesem Punkt sind seit langem dringend reformbedürftig. Herausgekommen ist aber leider lediglich, daß in außerordentlichen Härtefällen die Frist bis zur Erlangung des eigenständigen Aufenthaltsrechts verkürzt werden soll; die eheliche Gemeinschaft muß demnach nur mindestens ein Jahr bestehen. Das ist vor allen Dingen für die schwer mißhandelten Frauen ein schwacher Trost. Das wird auch die leidige Praxis erzwungener Prostitution nicht eindämmen - eine herbe Enttäuschung für alle, die seit langem auf eine durchgreifende Besserung gedrängt haben. ({6}) Deswegen fordern wir, im Härtefall die Mindestfrist für die Dauer der ehelichen Gemeinschaft ganz entfallen zu lassen. Im Regelfall soll diese Frist von jetzt vier Jahren auf zwei Jahre verkürzt werden. Wir meinen, das ist angemessen und wird auch die Gefahr der Scheinehen ausreichend eindämmen können. Gelegentlich habe ich in den Diskussionen um diesen § 19 - auch von Ihnen, Frau Schmalz-Jacobsen -, gehört, das alles sei ein bißchen hochstilisiert und übertrieben. Ich finde, Sie dürfen solche Anliegen nicht einfach vom Tisch wischen. Fragen Sie doch, warum ein solches Thema eine solche Bedeutung erlangt! Dann werden Sie vielleicht darauf kommen, daß es etwas mit dem Streben nach Menschenwürde und Eigenverantwortlichkeit zu tun hat. Wenn Sie das in der Migrationspolitik insgesamt begreifen würden, wären wir einen Schritt weiter. ({7}) Versäumt haben Sie in Ihrem Gesetzespaket leider auch ein anderes wichtiges Reformprojekt: das Wiederkehrrecht der jungen Ausländer. Frau SchmalzJacobsen, natürlich gibt es so etwas. Aber es ist zu eng gefaßt. Wir brauchen großzügigere Regelungen für diejenigen, die in das Herkunftsland ihrer Eltern zurückkehren und dann merken, daß sie dort nicht mehr Fuß fassen. Es ist schade, daß Sie diesem Mangel der zu engen Fristen nicht abgeholfen haben. Ich will aber auch eine echte Verbesserung herausheben. Sie betrifft etwas, was für die älteren ausländischen Arbeitnehmer geplant ist: Wenn sie in der Bundesrepublik länger als 15 Jahre berufstätig sind, erhalten sie praktisch Reisefreiheit, ohne ihren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik einzubüßen. Damit haben Sie eine wichtige Forderung, ({8}) die wir seit langem stellen, aufgegriffen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Es ist einer der wenigen Lichtblicke, Herr Marschewski, in dem ansonsten trüben Umfeld, das Ihre Ausländerpolitik uns seit Jahren bietet. ({9}) - Ich lobe Sie doch. Merken Sie das doch! Leider wiegt dieses positive Element die schwerwiegenden Mängel Ihrer Vorlagen ansonsten nicht auf. Schlimmer noch: Ich finde, Sie haben mit Ihrem eigentümlichen Gesetzeskonglomerat die Chance verspielt, wirklich mal ein Zeichen für die hier lebenden Menschen anderer Nationen und Religionen zu setzen, ({10}) ein Zeichen für den echten Willen zur Integration und zur fairen Partnerschaft von Deutschen und Nichtdeutschen. Das hätte mit einer deutlichen Geste geschehen müssen: entweder in einem echten Änderungsantragspaket zu unseren Vorstellungen oder auch zu den Eckwerten eines Einwanderungsgesetzes. Aber wir hören hier schon wieder das krasse Nein. ({11}) Ich finde es ausgesprochen schade, daß Sie diese Elemente mit den Gesetzesverschärfungen vermengen und dadurch auch überdecken. Das ist sicherlich ein grundlegender Fehler. Ich will keine Mißverständnisse aufkommen lassen. Wer in diesem Land blutige Randale macht, wer Polizisten prügelt, der verdient eine deutliche Antwort dieses Staates. Auch die Zustände in der Türkei, auch das brutale Vorgehen von Militärs und Sicherheitskräften gegen die Kurden rechtfertigen nicht die militanten Aktionen auf diesem Boden, die sich einige geleistet haben. ({12}) Auf der anderen Seite hört man freilich von der Bundesregierung in den letzten Monaten wenig darüber, wie weit sie sich eigentlich noch dafür einsetzt, gegenüber der Türkei darauf zu dringen, das Kurdenproblem mit politischen, das heißt friedlichen Mitteln zu lösen. ({13}) Statt dessen legen Sie einen Katalog verschärfter Maßnahmen für Ausweisungen und Abschiebungen vor. Ich halte ihn in erster Linie für populistisch und aktionistisch verbrämte Hilflosigkeit in einem wesentlichen Bereich. Alles, was man an diesen Gesetzen ändern will, ist einzig und allein daran zu Bernessen, ob die ausländischen Gewalttäter wirklich schneller abgeschoben werden können, ohne daß unsere völkerrechtlichen Bindungen und unsere Verpflichtungen zum Schutz der Menschenwürde über den Haufen geworfen werden können. Sie wissen doch alle, was die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechtskonvention zu Abschiebungshindernissen äußern. Im übrigen haben wir ein dicht gewebtes gesetzliches Regelwerk. Der Beweis, ob das bei konsequenter Anwendung nicht ausreicht, ist bislang nicht erbracht. Die Ausländerbeauftragten von Bund und Ländern haben mit Recht Anstoß daran genommen, daß auch jugendliche ausländische Straftäter unter die geplanten Maßnahmen fallen sollen. Ich finde: Ein hier geborener junger Ausländer der zweiten oder dritten Ausländergeneration sollte nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als ein straffällig gewordener junger Deutscher. ({14}) Im übrigen geht Ihr Gesetzentwurf bei der Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen weit über den Problembereich des Ausländerrechtes hinaus. Sie berühren das Demonstrationsrecht schlechthin, wenn beispielsweise die Kriterien für den einfachen und den schweren Landfriedensbruch verändert werden und wenn bei einer verbotenen, aber noch friedlich verlaufenden Versammlung schon jemand, der über das Megaphon spricht, als sogenannter Anheizer Gefahr läuft, hart bestraft zu werden. ({15}) Davor warnen wir dringend, ebenso davor, daß die Kurdenkrawalle in diesem Frühjahr, die ich nicht beschönigen will, jetzt zum Hauptmaßstab künftiger staatlicher Reaktionen gemacht werden. Es ist auch ungerecht gegenüber den Ausländern im allgemeinen und den Kurden im besonderen, die ihren Forderungen auf friedliche Weise Ausdruck geben wollen. Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es eine friedlich verlaufene Demonstration in Hamburg mit 40 000 bis 60 000 Menschen gegeben hat. Dies ist ja zumindest einmal einer Erwähnung wert. Meine Damen und Herren, es ist das erste Mal nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß wir hier im Plenum auch über den künftigen Umgang mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik sprechen. Denn auf diesen Komplex beziehen sich ja eine Reihe von Anträgen, die wir in unserer heutigen Debatte diskutieren. Das Karlsruher Urteil hat - wie konnte es anders sein - ein höchst unterschiedliches Echo gefunden. Für mich heißt das nun keinesfalls, daß die Befürworter der Neuregelung jetzt sozusagen in Siegerposen schwelgen sollten und die Gegner in tiefer Resignation. Das Asylrecht begleitet uns ja in seiner Praxis Tag für Tag weiter. Parlamentarische Dauerpflicht bleibt, es kritisch zu begleiten und immer wieder unter die Lupe zu nehmen. Was ich allerdings nicht für möglich halte, ist das, was Sie, Frau Müller, in Ihrem Antrag unter dem Titel „Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flüchtlingspolitik" jetzt fordern. Denn dies ist doch eine grundlegende Umkrempelung der Gesetze. Das war seinerzeit - noch vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - sicherlich als legitimer Versuch eines politischen Signals aufzufassen. Nur, jetzt - nach Verkündung des Urteils - fehlt es ja doch an Realitätsnähe. Es geht nicht an, daß wir die Karlsruher Entscheidung regelrecht unterlaufen, daß wir wesentliche Teile des neuen Asylrechts einfach aufheben und uns gewissermaßen zu dem Stand von 1992 zurückbegeben. Das, meine ich, geht nicht. ({16}) Ich schlage demgegenüber eine andere Strategie vor, und da werden Sie wohl noch Reformansätze finden: Auf dem Fundament der bestätigten Asylrechtsänderungen sollten wir jetzt die humanitären Spielräume voll ausloten, die diese hergeben. Wir sollten Mängel ausräumen und nicht zuletzt, meine Damen und Herren aus der Koalition, das einfordern, was im Asylkompromiß vom 6. Dezember 1992 ausgehandelt, bis heute von der Bundesregierung jedoch nicht umgesetzt worden ist. ({17}) Ich will noch einmal illustrieren, was da noch aussteht: das immer noch nicht eingelöste Versprechen des besonderen Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. ({18}) Der steht immer noch auf geduldigem Papier, ist aber nicht Wirklichkeit geworden - obwohl im Asylkompromiß vorgesehen -, weil sich der Bund hartnäckig weigert, sich an den Kosten gemeinsam mit den Ländern hälftig zu beteiligen. Deswegen bleibe ich dabei: Dies ist eine skandalöse Verweigerungshaltung. Sie wird nicht hingenommen und bleibt für uns auf der Tagesordnung. ({19}) Ähnliches gilt auch für die wirklich humane Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber. Ich weiß: Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich Ende März auf eine Regelung geeinigt. Ich meine aber, die Hürden sind zu hoch gesteckt, die Bedingungen zu eng gefaßt. Auch da ist eine Bringschuld aus dem Asylkompromiß nicht voll beglichen. Jetzt kommt der nächste Punkt - ich darf Ihrem Gedächtnis, meine Damen und Herren, insofern auf die Sprünge helfen, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen -: Im Asylkompromiß war auch der Grundstock für ein Einwanderungsgesetz gelegt. Ich darf zitieren: Die Fraktionen stimmen darüber überein, daß die Möglichkeiten einer Regelung zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung auf nationaler Ebene geprüft und Verhandlungen hierzu auf europäischer Ebene fortgesetzt werden. Das ist ein Auftrag. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, wollen offenbar von alledem nichts mehr wissen. Herr Marschewski hat das heute wieder schön kundgetan. ({20}) Sie sperren sich, von wenigen Einsichtigen in Ihren eigenen Reihen abgesehen, gegen das Eingeständnis und die Einsicht, daß hier Einwanderung stattgefunden hat und weiter stattfinden wird und daß wir dieses Thema mit umfassenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten behandeln müssen. Für uns jedenfalls ist in diesem Zusammenhang zwingend, daß wir ein Konzept vorlegen. Dabei ist die Integration der Neuankömmlinge ebenso wie der hier schon lange lebenden Migranten die wichtigste politische Richtschnur. Wir haben noch einen taufrischen Parteitagsbeschluß der angeblich neu erstarkten F.D.P. für ein Zuwanderungsgesetz. Wir können Sie, Herr Stadler, einfach einladen, sich unseren Initiativen anzuschließen. Aber ich muß auch sagen: Was haben Ihre Parteitagsbeschlüsse und Ihre großspurigen Ankündigungen schon zu bedeuten? ({21}) Trübe Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit zwingen mich da zur Skepsis. Ich lese und höre immer wieder: Die F.D.P. in der Ausländerpolitik auf Gegenkurs zur CDU/CSU. Aber den Beweis erbringen Sie nicht. Ich höre seit Beginn dieser Legislaturperiode flammende Bekenntnisse aus Ihrem Lager für die Erleichterung der Einbürgerung, für die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit mit der Geburt für die dritte Ausländergeneration und dergleichen mehr. Aber nie haben Sie die Konfrontation mit Ihrem Koalitionspartner wirklich ehrlich zustande gebracht. Sie gebärden sich wie eine Operndiva, die auf der Bühne ständig den Mund aufmacht, ohne daß jemals ein Ton herauskommt. Irgendwann glaubt man der Dame nicht, daß sie singen kann. Von den sogenannten jungen Aufmüpfigen der CDU/CSU höre ich etwas zu Bemühungen um erleichterte Einbürgerung. ({22}) Auch dort, meine Damen und Herren, ist der Beweis nicht erbracht, wie Sie sich durchsetzen. Also warten wir ab. - Ich merke, wie unruhig Sie sind, und freue mich darüber. Mehr ist da im Moment auch überhaupt nicht drin. ({23}) - Das frage auch ich mich. ({24}) Ich nenne am Schluß meiner Rede weitere wenige Stichpunkte zum Bereich der Ausländer- und Asylpolitik, damit sie Ihnen im Gedächtnis bleiben. Ich erwähne, daß wir die Bedingungen, unter denen im Moment minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in dieses Land kommen, verbessern müssen. ({25})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich darf einmal dazwischengehen. Zwischenrufe von Bank zu Bank gehen nicht an. Das ist zu laut. - Bitte.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist eine schöne, lebendige Diskussion. Ich war bei der Situation der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. Ich meine, daß sich da im Sinne von mehr Humanität und mehr Kindgerechtigkeit etwas ändern muß, und setze da auf fraktionsübergreifende Verbesserungen. Ich erwähne auch europäische Verpflichtungen, zum Beispiel den Rechtsakt, der für Minderjährige den Anspruch auf besonderen Schutz und Hilfe gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes anmahnt. Vom Innenminister ist offensichtlich nichts zu erwarten. Europäische Vorlagen scheinen nicht viel zu bedeuten. Aber, wie gesagt, ich habe noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß wir aus dem Parlament heraus weiterkommen. Menschlichere Bedingungen für die Abschiebehaft gehören weiterhin zu einem Anliegen, das wir weiter verfolgen wollen. Hierher gehören auch detaillierte Fragen dazu, in welchem Umfang geschlechtsspezifische Verfolgung vor allem bei Asylbewerberinnen berücksichtigt und ob Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge mit ausreichender Sensibilität bei den Anhörungen behandelt werden. Dazu hat meine Fraktion soeben eine Anfrage eingebracht. Meine Damen und Herren, Asylrecht, Ausländerpolitik - mein Kollege Penner hat es schon gesagt - gehören zu den wesentlichen Aufgaben und vor allen Dingen zu einer permanenten Aufgabe nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für uns als Parlamentarier. Der Alltagsroutine sollten wir sie auf alle Fälle nicht überlassen. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, wir hatten mit Zustimmung der SPD zunächst beabsichtigt, unsere Vorschläge als Änderungsantrag im Ausschuß einzubringen. Ich bin froh, daß am Ende hier in erster Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages eine Debatte stattfindet. Denn eines muß man über unser Ausländerrecht - man könnte sagen: leider; ich sage: es geht kaum anders - feststellen: Es ist außerordentlich kompliziert, und es bleibt auch nach den von uns vorgeschlagenen Regelungen kompliziert, so daß die heutige Debatte die Gelegenheit bietet, wenigstens einiges klarzustellen, was in den vorangegangenen Redebeiträgen an Mißverständnissen vorhanden war. Meine Redezeit reicht allerdings - Frau Kollegin Jelpke, es tut mir leid, daß ich das sagen muß - nicht aus, sämtliche Mißverständnisse - man könnte auch sagen: sachliche Unrichtigkeiten - hier klarzustellen, die in Ihrem Beitrag enthalten waren. Sie haben zum Beispiel über die Ausweisung von Minderjährigen gesprochen, ohne zu erwähnen, daß bereits nach § 47 Abs. 3 Satz 4 des geltenden Rechts bei MinderjähriDr. Max Stadler gen keine zwingenden Ausweisungen und keine Regelausweisungen zulässig sind. ({0}) Meine Damen und Herren, ich will auch nicht die Quantität und die Qualität hier gegeneinander abwägen. Das liegt mir fern. Aber es sei doch der Hinweis erlaubt, daß die Verbesserungen, die wir für in Deutschland lebende Ausländer mit diesem Gesetzentwurf vorstellen, wesentlich mehr Menschen betreffen als die Verschärfungen, die zugegebenermaßen im Bereich der Ausweisung und Abschiebung auch enthalten sind. Millionen von Ausländern werden an den Erleichterungen teilhaben, die wir beschließen werden. ({1}) Einige wenige, insbesondere gewalttätige Ausländer werden von den Verschärfungen betroffen sein. So ist die Relation. ({2}) Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Rechtsstellung der Ausländer deutlich verbessert. Ich will dies nicht mehr im Detail wiederholen, sondern nur die Freude der F.D.P.-Fraktion zum Ausdruck bringen, daß es gelungen ist, die Rechtsstellung der Beauftragten für Ausländerfragen nunmehr gesetzlich festzuschreiben. Wir stellen allerdings fest, daß schon im Rahmen ihrer jetzigen Rechtsstellung unsere Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen als Ausländerbeauftragte eine vorzügliche Arbeit leistet, die zu Recht allgemein große Anerkennung findet, so daß ich es für angebracht halte, ihr an dieser Stelle dafür einmal herzlich zu danken. ({3}) Wir betrachten es auch als Bestätigung der ausgezeichneten Arbeit von Frau Schmalz-Jacobsen, wenn die Position der Ausländerbeauftragten nunmehr gesetzlich geregelt und damit aufgewertet wird. Die vorgeschlagenen Veränderungen berücksichtigen freilich auch das berechtigte Interesse des Staates, auch im Sinne einer Prävention klarzustellen, daß Gewalttätigkeiten und schwer kriminelles Verhalten nicht nur strafrechtliche, sondern auch ausländerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Es ist in der Debatte bisweilen heute das Argument gebracht worden, daß sich eine Ausweisung gewissermaßen als Doppelbestrafung darstelle. Das mag in der Konsequenz von dem Betroffenen so empfunden werden, aber wenn man sich dieses Argument zu eigen macht, dann wäre die konsequente Folge, daß eine Ausweisung überhaupt ausscheiden müßte. Das kann wohl nicht richtig sein, sondern zu diskutieren ist über die Voraussetzungen, die, wie ich gleich darlegen werde, nach wie vor eng genug sind. Ich bin der Meinung, daß der Entwurf der Koalitionsfraktionen - das ist bei so einschneidenden Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung richtig - das notwendige Augenmaß bewahrt. Entscheidend für uns ist, daß für die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte auch künftig der notwendige Spielraum erhalten bleibt, um die individuellen Umstände eines Falles berücksichtigen zu können und zu einer gerechten Einzelfallentscheidung zu gelangen. Rechtsstaatliche Grundsätze wie die Anknüpfung an die Rechtskraft eines Strafurteils als Voraussetzung für Ausweisungen bleiben gewahrt. Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber steht bei der Formulierung von Ausweisungsgründen vor einem grundsätzlichen Problem: Je mehr Ermessen der Praxis zugebilligt wird, um so größer ist die Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung. Ich darf sehr wohl feststellen, daß in der Vergangenheit zu beobachten war, daß die Bundesländer die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten der Reaktion auf Gewalttaten nicht hinreichend umgesetzt haben. Daher geht der Entwurf vorsichtig in die Richtung, mehr zwingende Ausweisungsgründe vorzusehen. Wir sind uns freilich der Tatsache bewußt, daß damit die prinzipielle Gefahr verbunden ist, daß bei einer strikten Fassung von Ausweisungsgründen ungerechte und unangemessene Ausweisungsentscheidungen im Einzelfall vorprogrammiert sind. Ich bitte alle Kritiker, sich dieses etwas komplizierte System einmal wirklich vor Augen zu führen. Deswegen hat die F.D.P.-Fraktion darauf Wert gelegt, daß am bisherigen Grundsystem des Ausweisungsrechts festgehalten wird. Damit bleibt es dabei, daß sogar bei zwingenden Ausweisungsgründen in bestimmten Fällen, nämlich der Mehrzahl der Fälle, nach wie vor Raum für eine Einzelfallösung besteht. Wir haben darauf Wert gelegt, daß der besondere Ausweisungsschutz in § 48 Ausländergesetz erhalten bleibt. Herr Kollege Penner, ich gebe gerne zu, daß es vielleicht wünschenswert wäre, für Minderjährige, für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, einen absoluten Ausweisungsschutz vorzusehen. Wenn man sich die bestehenden Regelungen vor Augen führt, wird man aber unschwer erkennen, daß auch der jetzt gegebene Ausweisungsschutz sehr weitgehend ist und nahezu ausschließt, daß diese auch von uns nicht gewünschte Möglichkeit einer Quasiverbannung für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, tatsächlich eintritt. Auch in § 48, wonach bei „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung . . . in der Regel" der Ausweisungsschutz entfällt, wird durch die Formulierung „in der Regel" dargestellt, daß wir Einzelfallumstände sehr wohl abzuwägen wissen. Es macht, wie Frau Schmalz-Jacobsen gesagt hat, natürlich einen Unterschied, ob jemand einreist und schwerwiegende Straftaten begeht oder ob jemand sich seit langen Jahren hier aufhält, völlig rechtmäßig und straffrei lebt und dann wegen einer einzelnen Straftat eine Ausweisung riskieren müßte. Meine Damen und Herren, wir haben bei der Neuformulierung des § 47 auf zwei weitere rechtsstaatliche Sicherungen geachtet. Soweit es um Mehrfachtäter geht, die bei einer Gesamtstrafe von insgesamt drei Jahren Freiheitsstrafe künftig zwingend auszuweisen sind, haben wir dafür gesorgt, daß nur noch Verurteilungen aus den letzten fünf Jahren herangezogen werden können. Wir wollen nicht, daß jemand, der sich schon sehr lange in Deutschland aufhält, wegen einer lange zurückliegenden Straftat in die Gefahr der zwingenden Ausweisung gerät. Zum zweiten - ich habe es schon kurz angesprochen - bestehen wir selbstverständlich darauf, daß an die Rechtskraft von Strafurteilen angeknüpft wird. Nach unserem Verständnis wäre sonst das Grundprinzip der Unschuldsvermutung tangiert. Meine Damen und Herren, ich habe nur noch wenig Zeit, um kurz auf die Neuformulierung des § 125a StGB einzugehen. Im Laufe der Beratungen sind wir zu der Überzeugung gelangt, daß derjenige, der an einer verbotenen Demonstration teilnimmt und dabei einen Landfriedensbruch begeht, schwereres Unrecht verwirklicht als ein anderer. Der richtige Regelungsort ist, wenn man sich dieser Überzeugung anschließt, das Strafgesetzbuch. Denn es entspräche in der Tat einer eigentümlichen Rechtsauffassung, wenn man hier ein Sonderrecht für Ausländer schaffen würde. Die Konsequenz, daß das dann alle Straftäter unabhängig von der Staatsangehörigkeit trifft, muß man in Kauf nehmen. Voraussetzung für eine solche Strafbarkeit ist freilich, daß das Verbot der Demonstration dem Täter bekannt war, daß er vorsätzlich dagegen verstoßen hat und daß er einen Landfriedensbruch, wie er schon jetzt in § 125 StGB definiert ist, begeht. Herr Kollege Häfner, das ist leider in Ihrer Fragestellung offenbar völlig mißverstanden worden. Es wird nicht etwa ein neuer Straftatbestand geschaffen. Vielmehr ist der einfache Landfriedensbruch schon jetzt ein Straftatbestand. Deswegen ist die Demonstrationsfreiheit nicht tangiert. Es geht um jetzt schon strafbares Verhalten. Es wird ein neues Regelbeispiel dafür geschaffen, daß der Strafrahmen verschärft wird. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu dem, was Herr Kollege Häfner in seiner Frage zum Ausdruck gebracht hat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Stadler, achten Sie bitte auf die Zeit!

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Penner, ich gehe daher auf Ihre Äußerung zu diesem Thema, die mich, ehrlich gesagt, sehr getroffen hat, in der Ausschußsitzung ein, weil man darüber vielleicht sine ira et studio reden muß. Jede Annäherung an ein undemokratisches oder dem grundrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht entsprechendes Strafrecht weisen wir in der Tat zurück. ({0}) Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Einschneidende Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung sind nicht der geeignete Anlaß für scheinbar einfache Lösungen. Wer von uns eine simple Ausweisungs- und Abschiebungsautomatik erwartet hat, den werden wir mit diesem Gesetzentwurf enttäuschen. Wir enttäuschen aber auch gerne diejenigen, die unsere Vorschläge voreilig als Beleg für die Abkehr von liberaler Rechtsstaatlichkeit heranziehen wollen. Dies trifft gewiß nicht zu. Vielmehr haben wir ausgewogene, dem Schutz der in Deutschland lebenden In- und Ausländer dienende, rechtsstaatliche und dem liberalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Vorschläge vorgelegt. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Cern Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während die Koalition glaubt, sich bei der dringenden Reform des Ausländergesetzes und des Staatsangehörigkeitsrechtes Zeit lassen zu können, die Fachdiskussionen geflissentlich ignoriert werden, werden Verschärfungen im Ausländergesetz mit heißer Nadel gestrickt und sollen quasi im Schweinsgalopp durch den Innenausschuß und den Bundestag gejagt werden. Herr Marschewski - ich glaube, er ist jetzt nicht mehr anwesend - hat vorher den Aspekt der inneren Sicherheit mehrfach strapaziert. Mir gefällt die Art der Arbeitsteilung nicht, die dabei nach dem Motto herübergebracht wird: Die Koalition ist für die innere Sicherheit und die Opposition möglicherweise für das Gegenteil zuständig. Ich möchte Ihnen zum Thema innere Sicherheit nur so viel sagen: Jeden Tag werden in Deutschland 300 Kinder ausländischer Eltern geboren, die Ausländer sind, während dieser Debatte ungefähr 25. Auch das ist ein Aspekt der inneren Sicherheit, daß Sie bis zum heutigen Tage nicht bereit sind, Menschen, die zu diesem Land und zu dieser Gesellschaft gehören, hier das Licht der Welt erblicken, zu Bürgern erster Klasse, zu Bürgern dieser Republik zu erklären. Auch das ist ein Aspekt, über den Sie nachdenken sollten. ({0}) Damit schaden Sie deutschen Interessen, damit schaden Sie den Interessen dieses Landes. Denken Sie darüber bitte einmal nach. ({1}) Wenn Sie schon nicht auf das hören wollen, was wir sagen, was die Opposition sagt, so hören Sie doch auf das, was beispielsweise die Ausländerbeauftragten der Länder sagen, was das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen sagt, was die Kirchen sagen, was die Gewerkschaften sagen, die Seelsorge in den Gefängnissen und all die anderen! Sie sollten sich anhören, was die Genannten von Ihren Vorschlägen halten. Ihre Parole scheint zu sein: Augen zu und durch! Es ist schlimm genug, was Sie im einzelnen an Änderungen im Ausländergesetz planen. Das eigentCem Özdemir liche Problem scheint mir hingegen, daß Sie offensichtlich die Augen vor den Realitäten der Gesellschaft verschließen wollen und daß Sie im Grunde dabei sind, zu einer Art babylonischer Sprachverwirrung beizutragen. Sie reden hier von einem Gastrecht; wir erleben im Grunde einen Rückfall in die Gastarbeiterära, ohne zu sehen, daß es sich bei Menschen, die seit 30, 40 Jahren in dieser Republik leben, die hier geboren sind, die hier mittlerweile schon ihren Lebensabend verbringen, nicht mehr um Gäste handelt, sondern um Menschen, die zu dieser Gesellschaft dazugehören, um Bürger, leider um Bürger ohne deutschen Paß. Das wollen wir ändern. ({2}) Sie reden von den PKK-nahen Gewalttätern, doch wer ist denn tatsächlich von Ihren Gesetzesänderungen betroffen? - Es sind eben auch genau diese Menschen, denen Sie das Recht auf Einbürgerung bisher immer noch verweigern. So wird das Ausländerrecht zu einer Art zweitem Strafrecht, so wird die Ungleichbehandlung ausländischer und deutscher Straffälliger zum Prinzip. Das Prinzip scheint Verbannung statt Resozialisierung zu sein. Statt endlich das auch von den Ausländerbeauftragten immer wieder geforderte unentziehbare Aufenthaltsrecht für Angehörige der zweiten Generation einzuführen, machen Sie jetzt die Doppelbestrafung und die Abschiebung in die Heimat der Eltern oder gar der Großeltern zur Regel. Dies ist Deutschlands unwürdig. Ich möchte allerdings auch die Gelegenheit nutzen, an die SPD zu appellieren, daß sie im Sinne dessen, wie wir hier in der Opposition die Debatte geführt haben, auch auf die Vertreterinnen und Vertreter der SPD-geführten Bundesländer einwirken, damit sie nicht umfallen. Ich denke, wir müssen hier aufpassen, daß diese Verschärfungen spätestens im Bundesrat zu Fall kommen. Keine Frage: Wer hinter Gittern sitzt, hat etwas auf dem Kerbholz. Es handelt sich um Mörder, es handelt sich um Vergewaltiger und Dealer. Aber diese Menschen sind hier sozialisiert worden, sie sind in unserer Gesellschaft aufgewachsen und eben auch in unserer Gesellschaft kriminell geworden. Früher haben wir Leute auf Gefängnisinseln verschifft, heute schicken wir sie in fremde Länder und exportieren damit Probleme, unsere Probleme in Länder, die damit eigentlich nichts zu tun haben. Ich habe manchmal ein wenig den Eindruck, als ob sich manche ein bißchen darüber ärgern, daß wir 1890 Sansibar gegen Helgoland eingetauscht haben. Womöglich hätten sie jetzt die Möglichkeit, darauf eine Strafkolonie einzurichten. ({3}) Aber auch die geplanten Verbesserungen im Ausländergesetz bleiben weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, was von Experten, Migrantenorganisationen angemahnt wird. Auch hierzu nur ein Beispiel: Ehemaligen DDR-Vertragsarbeitnehmern, die bisher lediglich die unzureichende Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, soll die Anwesenheitszeit in der DDR nun auf die Achtjahresfrist für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis angerechnet werden, jedoch nur zur Hälfte. Die Uhren müssen in der DDR wohl anders gelaufen sein; denn anders kann es nicht erklärbar sein. Ich habe bisher keinen vernünftigen Grund von Ihnen gehört, daß man so verfahren möchte. Schließlich soll das Amt der Ausländerbeauftragten - endlich - auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Unsere Gratulation wurde bereits zum Ausdruck gebracht. Wir hoffen natürlich alle, daß es Ihrer Arbeit, Frau Schmalz-Jacobsen, zuträglich wird. Allerdings haben Sie das initiative Vorschlagsrecht gegenüber dem Parlament, das Recht zur Beteiligung an Beratungen nicht erhalten. Aber Sie können auch hier unsere Ankündigung für bare Münze nehmen. Wir werden weiterhin Ihre Anträge, beispielsweise im Staatsangehörigkeitsrecht, in dieses Parlament einbringen. Die „Inthronisierung" als Ombudsfrau für die Belange der Einwanderinnen und Einwanderer wird mit dem gleichen Gesetz ad absurdum geführt; denn sie werden und müssen den Gesetzesänderungen, die hinreichend gewürdigt worden sind, den Verschärfungen der Abschiebung von straffällig gewordenen Jugendlichen dieser Gesellschaft zustimmen. So wird die Ungleichbehandlung von Kindern ausländischer und deutscher Eltern gesetzlich festgeschrieben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, Sie schauen auf die Uhr.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. Wir brauchen dringend ein Umdenken in dieser Frage. Einige in diesem Hause haben offensichtlich immer noch nicht begriffen, daß es dort, wo es keine Probleme gibt, auch nicht notwendig ist, welche zu machen. Ich darf zum Abschluß zitieren: Wenn ich mich heute nacht mit einer Negerin ins Bett lege, und ein Kind kommt dabei heraus, was ist das dann: ein Deutscher, ein Mischling, oder was? So sagte Kollege Zeitlmann in der Zeitung „Die Woche" vom 31. Mai 1996. Erstens, auf gut neudeutsch: Das war „politically absolutely not correct". Zweitens: Ich will Ihnen die Frage gern beantworten. Es ist ein deutscher Staatsbürger erster Klasse, so wie auch 300 000 schwarze Deutsche, die in diesem Lande leben. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion hat es heute für mich noch einmal bestätigt. Es hat mich erstaunt, daß Sie keinen anderen Weg eingeschlagen haben. Die vorliegenden Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien und des Bundesrates zum Gesamtkomplex Ausländerrecht und dem Teil Asylrecht im weitesten Sinne machen eines überdeutlich: eine Scheuklappenpolitik ganz gefährlicher Art und Weise. Diese Gesetzesentwürfe von Ihrer Seite konzentrieren sich ausschließlich auf Erleichterungen zugunsten von Ausländern in Deutschland. Dabei wird die dringende Notwendigkeit, auf Ausländerkriminalität, auf Landfriedensbruch durch Ausländer und auf offenkundigen Asylmißbrauch mit einem geschärften gesetzlichen Instrumentarium zu reagieren, völlig ausgeblendet. Eine solch eingeschränkte Blickrichtung hilft weder den gesetzestreu und legal im Lande lebenden Ausländern, noch dient es der Akzeptanz von Politik überhaupt. Wenn Sie heute einmal Ausländer fragen, die lange in Deutschland leben, dann würden die Ihnen sagen, daß sie zu noch ganz anderen Maßnahmen greifen würden, um Ausländerkriminalität zu bekämpfen. Darauf können Sie sich verlassen. Sprechen Sie einmal mit Ausländern, die lange und rechtstreu hier im Lande leben. Herr Kollege Penner, wenn Sie bei dieser Diskussion die Nazikeule schwingen, ist das völlig unangemessen. Sie vergreifen sich in dieser Debatte in der Wahl der Mittel. Sie tragen dazu bei, daß sie entsachlicht wird. Erleichterte Ausweisung und Abschiebung von ausländischen Straftätern ist für die Opposition dieses Hauses ganz erkennbar ein Tabuthema. Darüber soll nach Ihrer Auffassung am besten überhaupt nicht gesprochen werden. Es soll nicht darüber diskutiert werden. Es sollen nach Ihrer Meinung schon gar keine gesetzlichen Regelungen vorgeschlagen werden, um hier etwas zu bewirken. Eine Lösung ist aber nötig. Ihre Haltung muß bei Bürgern auf Unverständnis stoßen. Es trägt am Ende auch nicht zum Demokratieverständnis bei. Sie sollten das wissen. Sie sollten aus der bitteren Zeit der Asyldiskussion gelernt haben, wieviel Unzufriedenheit sich im Lande aus ungelösten Problemen dieser Art ergeben kann und wieviel am Ende die ausländische Bevölkerung dadurch mitzuleiden hat. Sie dienen den Menschen nicht. So wie jeder im privaten Bereich von Gästen erwartet, daß sie nicht die Wohnungseinrichtung demolieren, erwarten wir das selbstverständlich auch von freundlich hier im Lande aufgenommenen Gästen. Wer Gastrecht durch Gewalt und Kriminalität mißbraucht, darf nicht darauf vertrauen können, nach wie vor als Gast in unserem Land willkommen zu sein. Warum lehnen Sie denn all das ab, was wir Ihnen hier als Instrumentarium vorschlagen? Sie haben doch in all Ihren Beiträgen heute eines deutlich gemacht: Sie wollen in dieser Frage nichts verändern, nichts, aber auch gar nichts. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben deshalb besonderen Wert darauf gelegt, daß ausländische Straftäter leichter als bisher in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können, wobei meine Fraktion - das sage ich gern in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. - in diesen Fragen gerne noch weiter gegangen wäre. Ich sage das deshalb, damit sie ihr liberales Image auch noch ein bißchen weiter nach außen pflegen können. Aber wir haben ja einen gangbaren Weg gefunden. Das nur als Einwurf. ({0}) Sollte die Zukunft erweisen, daß weitere Maßnahmen erforderlich sind, werden wir seitens unserer Fraktion wieder die Initiative ergreifen. Herr Kollege Özdemir, wenn Sie hinsichtlich unserer heutigen Gesetzesvorlage von heißer Nadel sprechen: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben sehr sorgfältig darüber beraten. Sie haben uns immer wieder angemahnt, aber wir haben es nicht übereilt, sondern wir haben sehr sorgfältig darüber beraten, was wir ändern wollen. Erstens. Wir wollen erstens verbotene politische Tätigkeit eines Ausländers künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeit wie falsches Parken oder Überschreiten der Geschwindigkeit ansehen, sondern sie wird zu einer Straftat. Zweitens. Die Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs ohne Bewährung hat künftig die zwingende Ausweisung des Ausländers zur Folge. Das ist notwendig. Drittens. Der Tatbestand des schweren Landfriedensbruches soll von uns erweitert werden, damit kollektive Ausschreitungen gewaltbereiter Ausländer wie die dramatischen Kurdendemonstrationen, die schon mehrfach stattgefunden haben, im Vorfeld verhindert und am Ende auch wirksamer geahndet werden können.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Steinbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte nur noch den vierten Punkt anschließen, damit die Aufzählung komplett ist, Herr Kollege Schily. Viertens. Wir wollen § 48 des Ausländergesetzes so verändern, daß schwerkriminelle Ausländer, auch wenn sie eine Aufenthaltsberechtigung haben, zwingend ausgewiesen werden müssen. So, Herr Kollege Schily!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben uns eben mitgeteilt, daß Sie auf das liberale Profil der F.D.P. Rücksicht nehmen wollen. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Mäntelchen" habe ich nicht gesagt.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, nein, „das liberale Profil" haben Sie gesagt. ({0}) - Oder „Image". Nun hätte ich von Ihnen gerne die Frage beantwortet: Würden Sie es denn auch tolerieren, wenn mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion vom Deutschen Bundestag ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet wird?

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir leben in einer so konstruktiven Koalition, daß wir uns am Ende einigen. Es ist ein Ringen um Positionen; aber am Ende steht eine Einigung. Trotz aller Unkenrufe zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir ja gezeigt, daß unsere Zusammenarbeit fruchtbar ist und daß wir alles umsetzen können, was wir möchten, sogar den schwierigen Tagesordnungspunkt heute früh. Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben den wesentlichen Verschärfungen im Ausländerrecht wollen wir auf der anderen Seite für menschliche Härtefälle des alltäglichen Lebens Lösungen anbieten, die auch geboten sind. Frau Kollegin SchmalzJacobsen hat das im einzelnen erläutert, und ich danke ihr an dieser Stelle auch ganz herzlich für ihre Arbeit, die sie mit sehr viel Kompetenz und Engagement macht. Wir wollen für ältere ehemalige ausländische Arbeitnehmer, die nach Beginn des Rentenbezuges für einen längeren Zeitraum in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, bis hin zum eigenständigen Ehegattenaufenthaltsrecht nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft bei einer außergewöhnlichen Härte bereits nach einem Jahr Erleichterungen anbieten. Einen Verzicht auf jedwede Frist in solchen Fällen halten wir aber im Hinblick auf das noch größere Risiko von Scheinehen für unverantwortlich. Schon heute gibt es ja deutliche Belege dafür - Herr Kollege Schily, Sie können das mit Sicherheit bestätigen -, daß Ehen lediglich zu dem Zweck geschlossen werden, einem Ausländer das Aufenthaltsrecht hier in Deutschland zu beschaffen. Dem wollen wir auf gar keinen Fall Vorschub leisten. Mir liegen Briefe vor, in denen sich deutsche Ehefrauen, die einen Ausländer geheiratet haben, beklagen: „Ich habe jetzt erst, nach drei, vier Jahren, herausgefunden, daß ich mißbraucht worden bin, daß mein Mann nur geheiratet hat, damit er eine Aufenthaltsberechtigung erhält." Die Intention der Klage geht dahin - ich zitiere jetzt nur -: „Schafft mir den Kerl vom Hals, weist ihn aus!" Diese Fälle gibt es auch. Man muß sich darüber Gedanken machen; denn dieses Ausbeuten des Ehepartners - eine Ehe zu schließen unter dem Vorwand, ihn zu lieben - ist eine unerträgliche Sache. Unser vorgelegter Gesetzentwurf hat zwei gleichwertige Standbeine. Das eine soll dieses Land besser als bisher vor kriminellen Ausländern schützen, dann auch von ihnen befreien, das andere nimmt sich menschlicher Probleme gesetzestreuer und hier legal lebender Ausländer an. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Penner. ({0})

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Steinbach, das ist wohlfeil. Sie sind für die Wortwahl verantwortlich, nicht ich. Das Wort liegt eben in der Nähe jener schrecklichen Vorschrift des § 2 unseligen Angedenkens. Es kann nicht so sein, daß derjenige, der die Problematik aufzeigt, dann dafür in Haft genommen wird. ({0}) Ich stelle Ihnen ganz präzise die Frage: Warum haben Sie an Stelle dieses ominösen, wabernden Wortes „Sicherheitsempfinden" nicht das Wort „Sicherheitsbedürfnis" gewählt? ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Frau Kollegin Steinbach.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Penner, kürzlich habe ich eine für mich sehr aufschlußreiche Diskussion aus einem ganz anderen Feld, im Bereich der Kultur, erlebt, die auch uns Politiker nachdenklich machen sollte. Da hat der Jude Ephraim Kishon - ich sage „Jude", weil das an dieser Stelle wichtig ist -, befragt danach, warum er die Wortwahl „entartete Kunst" getroffen hatte, als Antwort gesagt: „Erstens wurde diese Wortschöpfung nicht im Dritten Reich geboren, sondern schon Ende vorigen Jahrhunderts, ({0}) und zweitens werde ich nicht deshalb zum Kettenraucher, weil Hitler Nichtraucher war." Wenn wir zu jeder Formulierung Verbindungen knüpfen wollten - so wie Sie jetzt behaupten, sie hätte ihre Wurzeln möglicherweise in einem anderen Zeitabschnitt unseres Jahrhunderts -, dann begeben wir uns der Möglichkeit, uns der deutschen Sprache in ihrer ganzen Fülle zu bedienen. Ich bin nicht bereit, eine Zeit, die ich persönlich nicht mehr erlebt habe, zunächst darauf abzuklopfen, welche VokaErika Steinbach beln dort besonders gerne benutzt oder nicht benutzt worden sind. Die Formulierung, verehrter Herr Kollege Penner, die Sie jetzt anprangern, empfinden Sie deshalb als fehl am Platze, weil Sie nur in solchen Kategorien denken. Für mich ist es gar nicht begreifbar, daß man auf solch einen Gedankengang kommen kann. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin Schmalz-Jacobsen.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diese Debatte nicht länger fortzuführen. Ich habe großes Verständnis, wenn jemand besonders empfindsam für Worte ist, die an diese Zeit erinnern. Mein Name steht mit über diesem Entwurf. Ich muß gestehen: Ich habe dieses Wort nicht als problematisch empfunden. Ich habe Verständnis dafür, wenn es anders gesehen wird. Dann sollten wir aber auch die Kraft haben, ein solches Wort zu ändern. ({0}) Denn es geht nicht an, daß sich Leute davon getroffen, gekränkt oder beleidigt fühlen. ({1}) Vielleicht können wir das Problem damit aus der Welt schaffen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt hat der Herr Bundesminister Manfred Kanther das Wort.

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr knapp, zum Schluß: Die Debatte hat aufgezeigt, worum es im Ausländerrecht geht. Es geht zum einen um die Integration von Millionen Ausländern in unserem Land. Das dürfte die wichtigste Frage der Innenpolitik für viele Jahre sein. Ich teile völlig die Meinung, daß die Zeit vor 20, 30, 40 Jahren, als in diesem Land im wesentlichen nur Deutsche lebten, nicht wiederkehren wird, nicht wiederkehren soll. Es ist vernünftig, notwendig und ganz und gar unausweichlich, mit Millionen von Ausländern in diesem Land in immer besserem Einvernehmen zu leben. Dafür tun wir viel. Es kann der Stolz dieses Landes sein, wie es über Jahrzehnte - von ganz wenigen unrühmlichen Ausnahmen abgesehen - politisch mit Ausländern umgegangen ist. Es kann der Stolz dieses Landes sein, was es auch materiell aufwendet, um Ausländern im Land und außerhalb dieses Landes, im Ausland zu helfen. Ich empfinde es als sehr deplaziert, wenn in diese Debatte solche gesuchten Verhärtungen eingeführt werden, Herr Kollege Penner, wie Sie es getan haben, oder von der Strafinsel Sansibar gesprochen wird, wie es ein grüner Abgeordneter getan hat. ({0}) Integration ist eine große Aufgabe. Diese Integration ist abhängig von Zeit und Zahl. Sie ist abhängig von den Mitteln. Deshalb ist es wichtig: Wer Integration will, muß Zuzug begrenzen. „Nur durch eine konsequente und wirksame Politik der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern, die nicht Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, läßt sich die unverzichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Ausländerintegration sichern. Dies ist zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens unerläßlich." ({1}) Dies ist, Herr Kollege Schily - damit kann ich Ihnen vielleicht die Frage ersparen - ein Zitat aus einem Kabinettsbeschluß der sozialliberalen Koalition vom 3. Februar 1982, aus einer Zeit also, als es in diesem Land etwa 4,5 Millionen Ausländer gab. Was ist 14 Jahre nach diesem sozialdemokratischen Kabinettsbeschluß daran falsch, zu einer Zeit, in der es über 7 Millionen Ausländer gibt?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Aber gerne.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wenn ich den Beschluß des F.D.P.-Parteitages richtig verstanden habe, dann ist es das Anliegen der F.D.P. wie auch das Anliegen der Oppositionsfraktionen, in einem Gesetz ein Instrumentarium zu schaffen, um den Zuzug von Ausländern zu begrenzen und zu steuern. Darum frage ich Sie: Werden Sie in Ihrer Eigenschaft als Minister ein solches Vorhaben mit dieser Zielsetzung unterstützen und vielleicht auch aus Ihrem Ministerium einen entsprechenden Entwurf vorlegen?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Kollege Schily, Sie machen es mir einfach. Ich wäre an anderer Stelle noch darauf zu sprechen gekommen. Ihr letzter Parteitagsbeschluß - ich glaube, er ist aus dem vorigen Dezember - ist nun schon fast acht Monate alt; der Parteitagsbeschluß der F.D.P. ist erst 14 Tage alt. Ich frage Sie immer wieder - ich habe Sie das schon ein dutzendmal in der Öffentlichkeit geBundesminister Manfred Kanther fragt -: Warum legen Sie als Sozialdemokraten das von Ihnen geforderte Einwanderungsgesetz denn nicht endlich einmal vor? ({0}) - Dann tun Sie es doch und erklären Sie den Menschen in unserem Land, daß Sie entweder eine Einwanderungsquote auf den eh schon hohen und nicht zuletzt illegalen Zuzug draufsetzen wollen oder daß Sie im übrigen einen Weg finden, mit dem geltenden Asylrecht und dem hunderttausendfachen Mißbrauch des Asylrechts weiterhin fertig zu werden. Herr Kollege Schily, wenn Sie das getan haben, wenn Sie den von Ihnen oft angekündigten Entwurf auf den Tisch des Hauses gelegt haben, dann reden wir weiter darüber. Von mir werden Sie keinen bekommen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Aber gerne.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Passivität der Bundesregierung in bestimmten Bereichen ist uns ja geläufig. Selbstverständlich ist es auch Aufgabe dieses Hauses, Gesetzentwürfe vorzulegen, Herr Minister. Die SPD-Fraktion wird Ihnen im Laufe dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Nur, Sie sind Partner in einer Koalitionsregierung, und dort gibt es nun auch Bestrebungen, die ich begrüße. Sie stellen Erwartungen an uns; das ehrt uns. Aber jetzt frage ich Sie: Was werden Sie uns aus Ihrem Koalitionslager in dieser Richtung präsentieren?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Kollege, ich dachte, ich hätte es klar beantwortet. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung. Diese Koalitionsvereinbarung werden beide Seiten erfüllen. Ich sage Ihnen ausdrücklich, damit das völlig klar ist: Die Bundesregierung, die Koalition definiert Deutschland nicht als Einwanderungsland - und ich ganz gewiß auch nicht. ({0}) Deshalb werde ich ganz gewiß kein Einwanderungsgesetz vorlegen, das die Gefahr heraufbeschwört, die weitere Zuwanderung von Ausländern aus NichtEU-Ländern eher zu erhöhen, während unser Problem doch die Dämpfung dieser Zuwanderung ist, insbesondere der über den Mißbrauch des Asylrechts. Ich glaube, das ist eine klare Antwort. ({1}) - Das ist vor allem eine klare Antwort an diejenigen, die ständig mit diesen politischen Begriffen um sich werfen und anschließend kein Fleisch an die Knochen bringen. Legen Sie ein Gesetz vor, Herr Schily! ({2}) - Es ist denkbar, daß die F.D.P. das tut. Es gibt eine Koalition unserer Fraktionen in diesem Haus, und wir werden die Koalitionsvereinbarung einhalten. Daß alle drei Parteien dieser Koalition jenseits der Koalitionsvereinbarung gelegentlich weitere Wünsche haben, ist das Natürlichste von der Welt. Diese sind aber in der Koalition nicht konsensfähig. Wir werden uns daher auf das beschränken, was wir miteinander vereinbart haben. Ich füge ausdrücklich hinzu: Die Begrenzung der Zuwanderung, insbesondere der über den Mißbrauch des Asylrechts, ist weiterhin eine wichtige Aufgabe der Politik. Es ist natürlich notwendig, daß daraus Konsequenzen gezogen werden, Deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gar nicht verstehen. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie leben hier in Bonn unter einer Glocke - ganz im Gegensatz zu Ihren Innenministern. Vor dem Hintergrund der Gespräche mit den Innenministern der Bundesrepublik - darunter sind immerhin elf Sozialdemokraten - über die Vereinbarung zur Härtefallregelung kommen Sie mir wie von einem anderen Stern vor. Ihre Kollegen in den Ländern wissen, daß die illegale Zuwanderung begrenzt werden muß. Sie wissen, daß Ausländer ohne Bleiberecht in diesem Land zurückgeführt werden müssen. ({3}) Wir haben im März vorigen Jahres eine Vereinbarung getroffen, die in ihrer ersten Passage vorsieht, daß die Rückführung der Ausländer ohne Bleiberecht stattfindet. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß für eine kleine Zahl von etwa 15 000 Personen - so schätzen wir gemeinsam -, die sich schon sehr lange im Land befinden, die nicht zuletzt auch auf Grund der Unklarheiten der vormaligen Asylrechtsordnung in das Land gekommen bzw. darin verblieben sind, die Härtefallregelung gelten soll. Darüber haben wir einen Konsens erzielt. Deshalb sind alle heftigen Töne Ihrerseits im Zusammenhang mit der Rückführung dieser Menschen bzw. der Forderung, daß hier mehr getan werden sollte, unbegründet.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Aber ja.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wie kommen Sie zu der Auffassung, daß es da einen Widerspruch zwischen den sozialdemokratischen Innenministern und der Bundestagsfraktion gebe? Selbstverständlich ist auch die Bundestagsfraktion nicht nur für die Begrenzung, sondern sogar für die Unterbindung illegaler Zuwanderung. Wenn Sie aber in diesem Bereich zu vernünftigen Regelungen kommen wollen, müssen Sie ein Angebot machen, unter welchen Voraussetzungen eine Zuwanderung möglich ist. Das ist doch eine Frage, in der wir durchaus mit den sozialdemokratischen Innenministern übereinstimmen. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Kollege Schily, ich stelle mit Freude fest, daß Sie - das gilt für einen Teil Ihrer Initiativen, die auch in diesem Jahr Gegenstand der Beratungen gewesen sind - die Vereinbarung der Innenminister für gut und richtig halten und ihr zustimmen. Das wird manche Debatte entkrampfen können. ({0}) - Bezüglich der Härtefallregelung; das stelle ich fest. Im übrigen haben wir, was den Zuzug angeht, ein geltendes Asylrecht. Von den 130 000 Asylbewerbern werden etwa 10 bis 12 Prozent anerkannt. Etwa 88 bis 90 Prozent kommen zu Unrecht in dieses Land und müssen es deshalb wieder verlassen. Das ist die Realität. Ich frage mich, wozu wir ein Einwanderungsgesetz brauchen, wo wir doch schon beim Asyl einem 80- bis 90prozentigen Mißbrauch des Zuzugs ausgesetzt sind. Das muß mir irgend jemand irgendwann einmal erklären. ({1}) Wir haben 320 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien aufgenommen, 60 Prozent aller, die in Westeuropa Aufnahme gefunden haben. Das ist eine gewaltige Leistung des deutschen Volkes, auch in materieller Hinsicht. Wenn dort - hoffentlich - dauerhaft Frieden herrscht, müssen wir gemeinsam darangehen, diese Bürgerkriegsflüchtlinge nach BosnienHerzegowina zurückzuführen. Wieder ist dies einstimmige Überzeugung der Innenminister von Bund und Ländern, darunter elf Sozialdemokraten. Ich frage mich: Warum bringen wir eigentlich Heftigkeiten in die Debatte, wenn wir sie nicht nur akademisch führen wollen? Dort, wo das Ganze praktisch stattfindet, bin ich mit Ihren Kollegen weitgehend überein. Das liegt daran, daß Regierungen - auch sozialdemokratische Regierungen - verpflichtet sind, die Interessen ihres Landes wahrzunehmen und nicht einfach daherzureden. Die Interessenwahrnehmung ist nicht immer einfach, und sie ist nicht immer bequem. Es ist leider so, daß es mit Härten belastet ist, wenn Menschen ein Land verlassen müssen. Es ist für niemanden und schon gar nicht für Ausländerbehörden und Polizei ein Vergnügen, diese Härten umsetzen zu müssen. Denn die meisten ohne Bleiberecht wollen ja bleiben. Trotzdem ist dies keine Alternative. Wenn wir diejenigen im Lande lassen, die hier Asyl erhalten, weil sie in ihren Heimatländern politisch verfolgt sind - dabei handelt es sich um etwa 10 Prozent -, dann ist das selbstverständlich. Aber wenn wir auch diejenigen im Lande ließen, die nach einem meist aufwendigen Gerichtsverfahren kein Asyl und kein Bleiberecht zugestanden bekommen haben, dann könnten wir uns doch wenigstens das Verfahren sparen. Dann wäre das Ganze doch absurd. So geht es also nicht, und diese Einsicht werden Sie gewinnen müssen. Zur Interessenvertretung gehört vieles mehr. Dazu gehört, daß wir die deutsche Politik im ganzen in den Dienst der Lösung dieses Problems stellen, auch die Auswärtige Politik, wie wir es mit Schwierigkeiten etwa gegenüber Vietnam oder Serbien auch tun. Ich stelle wiederum fest, daß ich mit meinen sozialdemokratischen Kollegen der Länder in allen wesentlichen Fragen in diesen Punkten überein bin. Das ist eine Politik - ich sage das, weil im Zusammenhang mit § 19 vorhin nach Härten und außergewöhnlichen Härten gefragt worden ist -, die leider nicht ohne menschliche Schwierigkeiten abgeht. Aber es ist im Interesse unseres Landes unverzichtbar, daß wir nicht auf dem Umweg über den Mißbrauch von Asylrecht oder anderen Zuzugsregelungen verdeckt zum Einwanderungsland werden. Wir wollen das nicht. ({2}) In den Zusammenhang der Akzeptanz des liberalsten Ausländerrechts der Welt - das besteht in Deutschland - gehört, daß gegen ausländische Straftäter, die in diesem Land schwerkriminell Unrecht tun - ob das politisch bemäntelt wird oder ob das normal schwerkriminell ist, ist jetzt nicht der Punkt -, mit aller Entschiedenheit vorgegangen wird. ({3}) - Kein Dissens, stelle ich fest. Dann frage ich mich, warum Sie in diesem Zusammenhang Geister einer schrecklichen Vergangenheit durch den Raum führen, wenn in dieser Frage kein Dissens besteht. ({4}) Ich freue mich darüber, Herr Penner, wenn Sie sagen: Kein Dissens. Aber dann lassen Sie doch die Emotionalisierung solcher Debatten. Dann bringen Sie es doch auf den Punkt, um den es uns geht: die Wahrnehmung der Interessen auch des gastgebenden Landes gegen ungeordneten Zuzug oder Kriminalität. Das ist die Forderung an die Regierung, und dieser Forderung werden wir nachkommen. ({5}) Wer in diesem Lande schwerkriminell wird oder die Grundfragen des Umgangs in der Öffentlichkeit, nämlich Gewaltlosigkeit bei Demonstrationen, mißachtet, der geht wissentlich das Risiko ein, daß das Ausländerrecht dahin gehend wirkt, ihn außer Landes zu bringen. ({6}) - Mit diesem Zwischenruf bleiben Sie allein. ({7}) Die Ausweisung und Abschiebung schwerkrimineller Ausländer ist unverzichtbar. Das ist übrigens keine Eigenart des deutschen Rechts, sondern selbstverständlich des Rechts aller unserer Partnerländer in Europa und weit darüber hinaus. Diese Koalition wird auch in Zukunft alles daran setzen, zu tun, was notwendig ist, um die Integration von Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, im Interesse des inneren Friedens zu erleichtern. Es ist eine entscheidende Forderung an Länder und Kommunen, die das in der Praxis weitgehend erledigen müssen, daß sie diesen Auftrag auch in Zeiten umsetzen, in denen es finanziell sehr knapp ist. Das ist ja derzeit so. In den Bereichen des Sozialwesens, des Sports, der Kultur, der Vereine und im Arbeitsleben werden, von den Familien und den persönlichen Begegnungen einmal abgesehen, die wichtigsten Integrationsbeiträge geleistet. Es stellt keinen Beitrag zur Integration dar, wenn man das Vorhaben einer Regierung problematisiert, sich von schwerkriminellen Ausländern durch Ausweisung und Abschiebung zu trennen. Wir müssen beides machen: Integration anbieten, fördern und unterstützen und gleichzeitig Deutschen wie Ausländern in Deutschland klarmachen, daß wir für die innere Sicherheit dieses Landes jederzeit die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Beides bringt die Novelle zum Ausdruck. Ich danke Ihnen. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksache 13/4981 soll zur federführenden Beratung dem Innenausschuß und zur Mitberatung dem Rechtsausschuß sowie dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgordneten Petra Bläss und der Gruppe der PDS Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen - Drucksache 13/4684 Vereinbart ist im Ältestenrat eine Aussprache von einer halben Stunde Dauer. Die PDS erhält davon fünf Minuten. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den Tag genau vor fünf Jahren verabschiedeten die Abgeordneten der vorherigen Legislaturperiode über alle Parteigrenzen hinweg einen Entschließungsantrag, in dem die Bundesregierung beauftragt wurde, ein Konzept für eine bessere Alterssicherung von Frauen vorzulegen, das 1997 wirksam werden sollte. Nun sind ja die Frauenrenten dieser Tage in aller Munde, aber leider in umgekehrter Richtung. Anstatt endlich die strukturelle Benachteiligung von Frauen im lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht zu beheben, um Altersarmut zu verhindern, sollen die Bedingungen mit der rasanten Anhebung der Altersgrenze weiter verschlechtert werden. Das Schlimmste konnte dank vielfältigen Protestes verhindert werden. Aber Weiteres droht, wenn das jetzt ausgefallene Sparvolumen bei der angekündigten großen Rentenreform, die Bundesminister Blüm mit seiner Kommission im Herbst vorbereitet, erwirtschaftet werden soll. Besonders zynisch empfinde ich, daß Frauen jetzt ihre höhere Lebenserwartung und die damit längere Rentenlaufzeit vorgeworfen und über einen gesonderten Rentenfaktor nachgedacht wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Wer legitimiert die Bundesregierung, den Willen des Parlaments von vor fünf Jahren derart zu verfälschen? Dieses Jubiläum bietet keinen Grund zum Jubeln. Aber lassen Sie uns zurückschauen: Ich habe noch einmal im Protokoll der Debatte vom 21. Juni 1991 geblättert, das sehr umfangreich ist, weil ja zugleich das Renten-Überleitungsgesetz verabschiedet wurde. Der Gedanke an seine überfällige Korrektur ist trotz vieler Versprechungen leider auch kein Grund zum Jubeln. Lassen Sie mich kurz an ein paar Aussagen erinnern. Bundesarbeitsminister Blüm sagte vor fünf Jahren: Freilich, wenn man auch in Zukunft eine leistungsbezogene Rente erhalten will, dann, finde ich, ist es unerläßlich, noch einmal über den Leistungsbegriff nachzudenken. Darunter kann nicht nur - ganz eng - die eigentliche Erwerbsarbeit fallen. Die Kindererziehung ist eine Leistung, die die Rentenversicherung auch stabilisiert, denn ohne Kinder gibt es morgen keine Rentenversicherung. Hört, hört, kann man da nur sagen. Auch Frau Dr. Babel möchte ich an eine Passage von damals erinnern, wo sie sagte: Sicher müssen wir angesichts der Belastungen, die unsere sozialen Sicherheitssysteme derzeit aushalten, behutsam und mit Augenmaß weitere Reformen ansteuern. Aber eines ist gewiß: Die Verbesserungen in der additiven Kindererziehungszeit, von der F.D.P. schon lange angestrebt ..., müssen vor Ablauf der Legislaturperiode - es handelt sich wohlgemerkt um die 12. - beschlossen werden. Frau Mascher stimmte für die SPD frohgemut ein: Ich freue mich schon heute auf einen fruchtbaren Wettbewerb aller Parteien bis 1996, wer denn das beste Konzept für die Frauen entwickeln und durchsetzen kann. Worauf der Kollege Louven für die CDU/CSU erwiderte: „Wahrscheinlich wir!" Ich höre jetzt auf mit der Zitatensammlung ({0}) und frage Sie: Wo ist Ihr Elan von damals geblieben? Was hat sich denn an den Bedingungen dramatisch geändert, daß heute kaum noch jemand wagt, von einer Verbesserung des Frauenrentenrechts zu sprechen, geschweige denn etwas zu tun? Sicher, die Finanzlage der Rentenversicherung ist ernst, aber sie ist, wie uns in einer Anhörung in der vergangenen Woche vom Verband der Rentenversicherungsträger bestätigt wurde, nicht existentiell gefährdet. Die Sanierung auf Kosten der sowieso schon mehrfach diskriminierten Frauen vornehmen zu wollen ist schäbig. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit der gleichen Intensität, mit der sie Kürzungsmaßnahmen ersinnt, nach neuen Finanzierungsquellen zu suchen. Es gibt übervolle Kassen in diesem Lande, aber im Moment sind das leider noch die falschen. ({1}) Die PDS nimmt den Wortbruch nicht einfach hin und fordert die Einlösung des vor fünf Jahren gegebenen Versprechens. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: SED-Konten, ja! - Es ist interessant, was für Zwischenrufe Sie bei diesem Thema machen. - Darauf warten Millionen von Frauen in den neuen und in den alten Bundesländern. Unsere Vorschläge finden Sie in dem heute zur Diskussion stehenden Antrag „Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen" . Wir fordern in unserem Antrag eine Versicherungspflicht für alle und für jede Arbeitsstunde. Wir fordern deutlich erhöhte und additive Zeiten für Kindererziehung, die mit dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten bewertet werden sollen. Wir fordern eine ebensolche Bewertung von häuslicher Pflege, die vor allem von Partnerinnen, Müttern, Töchtern und Enkelinnen übernommen wird. Und wir fordern einen regulären Rentenbeginn für Frauen mit dem 60. Lebensjahr ohne Wenn und Aber. ({2}) Mit diesen Forderungen sehen wir die Lebensumstände, in die Frauen in der Bundesrepublik hineingedrängt sind, einigermaßen reflektiert. Eine solche Anerkennung der Lebensleistung von Frauen ergibt auch zumeist eine eigenständige existenzsichernde Rente. Bis eine solche Reform greift, schlagen wir vor, sofort alle Renten, die unter dem Existenzminimum liegen, mit einer Grundsicherung zu sockeln. Nur so kann massenhafter finanzieller Unterversorgung entgegengewirkt und allen Älteren die Teilhabe am soziokulturellen Leben ermöglicht werden. Natürlich verlangt die eigenständige Altersversorgung von Frauen - das sagen wir als PDS ganz deutlich - eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hierzulande. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine Damen und Herren, unser Angebot liegt vor. Ich bin gespannt, wie Sie nach fünf Jahren zu Ihrem Wort von damals stehen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eine Debatte über die Alterssicherung von Frauen unter dem Schlagwort „Armut und Abhängigkeit" zu führen, wie die PDS dies heute tut, ist doch wohl ein starker Tobak und ein bewußter Affront gegen die Politik, die wir in diesem Hause seit vielen Jahren vertreten. In einem Land, das nach wie vor zu den wirtschafts- und wohlstandsstärksten Regionen dieser Welt gehört, in einem Land, in dem jede dritte erwirtschaftete Mark für soziale Leistungen ausgegeben wird, ist eine solche Formulierung eine Unterstellung, die wir entschieden zurückweisen. ({0}) Jede dritte Mark - das sind in der Summe 1 200 Milliarden DM; das will ich noch einmal betonen - Jahr für Jahr für die Absicherung bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, bei Pflegebedürftigkeit und für die Teilhabe an der wirtschaftlichen Dynamik im Alter! Gerade für die Erwerbs- und Rentensituation der Frauen hat diese Bundesregierung in den letzten fünf Jahren - ich möchte das Datum aufgreifen, das die Vorrednerin erwähnt hat: 1991 - erhebliche Verbesserungen durchgesetzt. Ich nenne nur die Einführung des Kindererziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs, verbunden mit der gesicherten Rückkehr ins Arbeitsleben und mit der Anrechnung der Erziehungszeiten für die spätere Rente. Schon ein Jahr Kindererziehung erbringt dabei gegenwärtig 34,67 DM an monatlichem Rentenertrag. ({1}) Ich denke, das ist ein erheblicher Beitrag für die Alterssicherung. Mit zahlreichen weiteren Maßnahmen haben wir dafür gesorgt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Ich will an dieser Stelle beispielhaft die garantierte Bereitstellung eines KindergarHelmut Heiderich tenplatzes ab dem dritten Lebensjahr nennen. Auch das ist, denke ich, ein Punkt in diesem Zusammenhang. Letztlich ist auch die Einführung der Pflegeversicherung ein weiterer Beitrag die Rentenanwartschaft von Frauen zu verbessern; denn - das wird von der Antragstellerin betont - die häusliche Pflegetätigkeit wird in der überwiegenden Zahl der Fälle von Frauen wahrgenommen. Wenn Sie in Kenntnis all dieser Leistungen trotzdem unter der Überschrift „Armut und Abhängigkeit" argumentieren, dann ist dabei die Absicht unverkennbar, hier ein politisch schiefes Bild zu zeichnen. ({2}) Dabei müßten doch gerade Sie - ich will das Wort von der Polemik einmal aufgreifen - am besten beurteilen können, wo die Unterschiede sind. Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß man in der ehemaligen DDR, in der ja Ihre Vorgängerorganisation über vier Jahrzehnte für Alterssicherung zuständig war, ({3}) tatsächlich von Armut und Abhängigkeit sprechen konnte. Es gab eine Einheitsrente von knapp über 400 Mark, Heimunterbringungen, bei denen es wirklich am nötigsten fehlte. Ich denke, in bezug darauf sind solche Begriffe angebracht. Unsere ehemalige Ministerin Hannelore Rönsch könnte Ihnen abendfüllend zu diesem Thema berichten. ({4}) Sie hat daraus - das will ich hier betonen - die Konsequenz gezogen! ({5}) Sie setzt sich seitdem mit einer Stiftung „Daheim im Heim" für Senioren ein. Sie hat seitdem Millionenbeträge gesammelt und einige Mängel aus der Welt schaffen können. Ich denke, das ist ein beispielhafter Einsatz, der die Anerkennung auch Ihrer Seite verdient hätte. ({6}) Mit dem Antrag, den Sie heute vorlegen, gehen Sie genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollen zurück in die überkommene Gleichmacherei. Die Einheitsrente, jetzt von Ihnen als Grundsicherung bezeichnet, soll eingeführt werden. Diese und auch weitere Ungereimtheiten Ihres Antrages zeigen, daß Sie das System der sozialen Marktwirtschaft immer noch nicht verstanden haben. Einheitssysteme - das sollten Sie eigentlich wissen - belohnen denjenigen, der sich vor Einsatz und vor Verantwortung drückt, und lasten seine Versorgung denjenigen auf, die überdurchschnittlichen Einsatz zeigen. ({7}) Genauso unbrauchbar ist Ihre Forderung zu den geringfügigen oder, wie Sie es formulieren, unter dem Existenzminimum liegenden Beschäftigungsverhältnissen. Wenn Sie das wirklich umsetzen, was Sie fordern, wenn Sie die Arbeitgeber zwingen, die gesamten Sozialabgaben zu entrichten, dann werden von den bestehenden Arbeitsverträgen dieser Art kaum noch welche übrigbleiben. Daß dann insbesondere die Frauen, denen Sie mit Ihrem Antrag angeblich helfen wollen, Arbeit und Einkommen verlieren, ist Ihnen offenbar entgangen. Ähnlich kurios ist Ihre Forderung, Alleinverdiener-Ehepaaren die gesamten Sozialversicherungsabgaben für den Nichtverdiener aufzulasten. Doppelverdiener ohne Kinder dürfen dagegen weiter die Arbeitgeberanteile in Anspruch nehmen. ({8}) Warum ausgerechnet, verehrte Frau Kollegin, Alleinverdiener ihre Vorsorge selbst zahlen sollen, Doppelverdiener aber nicht, bleibt offensichtlich Geheimnis der Antragsteller. Zum dritten enthält Ihr Antrag eine Reihe von Feststellungen und Forderungen, in denen Sie die familienpolitischen Leistungen dieser Bundesregierung ausdrücklich anerkennen, aus Ihrem Munde zumindest eine bemerkenswerte Feststellung. Was Ihnen dazu aber an ergänzenden Vorschlägen eingefallen ist, geht über die ständige Forderung nach erheblichen Leistungserhöhungen nicht hinaus. Auf jeden dieser Punkte einfach draufzusatteln, dazu bedarf es keiner besonderen Kreativität. Es sind - im Gegenteil - immer wieder dieselben alten Hüte, die Sie aufsetzen, allenfalls einmal mit einer neuen Feder geschmückt. Daß solche zusätzlichen Leistungen, die man hier einfordert, auch zusätzliche Einnahmen erfordern, scheint sich bei Ihnen noch nicht herumgesprochen zu haben. Lediglich an einer Stelle Ihres Antrages wird dann ganz lapidar formuliert: „Die daraus resultierenden Ansprüche werden aus dem Bundeshaushalt ... bestritten".

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, Sie achten auf die Uhr, ja?

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich komme gleich zum Schluß.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das ist nett.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich und sicherlich auch die anderen Mitglieder des Hauses wären Ihnen, verehrte Frau Vorrednerin, sehr dankbar, wenn Sie Ihren Begriff von den „übervollen Kassen" etwas im Detail erläutern könnten, wenn Sie uns einmal klarmachen könnten, woher Sie eigentlich die Mittel nehmen wollen, die Sie zur Erfüllung Ihrer Forderungen benötigen. Ich komme zum Schluß. Unsere Auffassung ist: Wir werden auch für die nähere und weitere Zukunft den Sozialstaat, den wir durch viele umfangreiche Initiativen aufgebaut haben, für unsere Bürger weiter erhalten, sichern und verbessern. Darauf können sich die Bürger in diesem Lande verlassen. ({0}) Schönen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mascher, SPD. ({0})

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aufforderung meines Kollegen Schmidt, alles klarzustellen, kann ich leider nicht nachkommen, weil meine Redezeit sonst nicht ausreichen würde. Ich möchte daran erinnern, daß der Deutsche Bundestag vor fünf Jahren einstimmig eine Resolution beschlossen hat, mit der wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, uns verpflichtet haben, eine Reform der Alterssicherung auf den Weg zu bringen, die folgende Punkte endlich regeln sollte: eine rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten additiv zu Zeiten der Erwerbstätigkeit - Frau Dr. Babel ist hier bereits mit ihrem Wunsch, daß das bereits in der letzten Legislaturperiode hätte geschehen sollen, zitiert worden - und eine bessere Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. Diese Forderung wurde durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1992 nachhaltig bekräftigt. Bei der dritten Forderung, einen Beitrag zur Lösung des Problems der Altersarmut zu leisten, befindet sich der Bundestag in der guten Gesellschaft der Caritas, die als Ergebnis ihrer großen Armutsuntersuchung gefordert hat, die sozialen Sicherungssysteme armutsfest zu machen. Wie gesagt, das war eine einstimmig angenommene Resolution, eine Aufgabe, die wir uns damit selbst gegeben haben. ({0}) Bereits nach der Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode, nach der Ankündigung der Arbeitsprogramme des Arbeitsministers und der Frauenministerin war klar: Von der Regierungskoalition wird nichts kommen, was diese Forderungen vom 21. Juni 1991 einlösen kann. Daß aber die Koalitionsfraktionen jetzt statt einer besseren Anerkennung von Kindererziehungszeiten, statt einer Absicherung gegen Altersarmut, vor allem von Frauen, ein Programm auf die Tagesordnung setzen, das durch die Kürzung von Anrechnungszeiten für die Ausbildung, durch Änderungen bei der Altersgrenze für Frauen und durch versicherungsmathematische Abschläge - ich will den Horrorkatalog heute nachmittag nicht noch einmal vortragen - gekennzeichnet ist, empört die Frauen. ({1}) Der Deutsche Frauenrat hat in seiner Stellungnahme bei der Anhörung zu den aktuellen Gesetzen zu Recht gefordert, daß der Bundestag seine eigenen Beschlüsse ernst nehmen soll. Denn niemand von der Regierungskoalition kann ernsthaft behaupten, daß sich - gerade nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1992 und angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, die im Alter zwangsläufig zur Armut führt - die Aufgabe der Armutsbekämpfung und der besseren Anrechnung von Erziehungszeiten durch Zeitablauf erledigt habe. Was schlägt nun die PDS in ihrem Antrag vor? Sie schlägt die Rentenversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte - dazu haben wir heute morgen über den SPD-Antrag diskutiert - und eine bedarfsabhängige soziale Grundsicherung - das ist eine Forderung, die von vielen Sozialverbänden und Sozialwissenschaftlern, die in der Nationalen Armutskonferenz zusammengeschlossen sind, immer wieder gestellt worden ist und die seit 1986 von der SPD immer wieder in ihr Programm eingefügt worden ist - vor. Die SPD hat dazu ein ausformuliertes und durchgerechnetes Konzept vorgelegt und dieses im Rahmen von Fachkonferenzen der SPD-Bundestagsfraktion öffentlich vorgestellt. Wir freuen uns, wenn unser Konzept auch für andere Parteien so attraktiv ist, daß sie es in ihren Anträgen aufgreifen. Leider reicht es noch nicht ganz zur Mehrheit; wir müssen noch mehr dafür gewinnen. ({2}) Zwei Punkte im Antrag der PDS halte ich nicht für akzeptabel, ja, ich halte sie eigentlich für unseriös: zum einen die Anrechnung von Kindererziehungszeiten von neun Jahren bei zwei Kindern und von 15 Jahren bei drei Kindern. Das geht noch weit über die neun Jahre hinaus, die es in der DDR gegeben hat. Das halte ich schlichtweg für nicht finanzierbar. Es gilt die Faustformel, daß die Anrechnung von einem Jahr Kindererziehungszeit die Rentenversicherung ungefähr 5 Milliarden DM kostet. Deshalb hätte ich mir an dieser Stelle mehr gewünscht als die schlichte Formulierung, daß das aus Steuermitteln finanziert werden muß. So sollten wir bei den Frauen keine falschen Hoffnungen wecken. Der zweite Punkt ist die Versicherungspflicht für Hausfrauen, die keine Kinder erziehen, also auch für diejenigen, deren Kinder bereits erwachsen sind. So wie die PDS das in ihrem Antrag vorschlägt, wären überschlägig monatliche Beiträge in Höhe von 595 DM erforderlich. Diese hohe Beitragsleistung ist eines der Hauptargumente gegen eine allgemeine Rentenversicherungspflicht, die im Rahmen des soUlrike Mascher genannten voll eigenständigen Systems der Altersvorsorge von Wissenschaftlern aus dem Umfeld des DIW in Berlin entwickelt worden ist. Ich denke, man kann das so nicht einfach wieder in einen Antrag hineinschreiben, sondern man muß die materielle Situation von Familien berücksichtigen. Eine Beitragspflicht in Höhe von 595 DM - mögen es auch 590 DM oder 580 DM sein - ist einfach nicht machbar. Die SPD arbeitet seit der letzten Legislaturperiode - angestoßen durch die gemeinsame Entschließung vom 21. Juni 1991- an einem Konzept für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen. Wir wollen durch Umschichtungen im System der gesetzlichen Rentenversicherung ein echtes Rentenreformmodell entwickeln, das Frauen ohne Erhöhung des Beitrages und ohne Erhöhung des Bundeszuschusses eine ausreichende eigene Alterssicherung ermöglicht. Das ist nicht so ganz einfach. Die finanziellen Auswirkungen müssen sehr genau bedacht werden, damit wir nicht auf der einen Seite Altersarmut von Frauen bekämpfen und auf der anderen Seite ein Loch aufreißen, das Frauen wieder in Armut stürzt. ({3}) Wir werden der Öffentlichkeit unser Konzept im Rahmen der Arbeit unserer Rentenkommission im Laufe des nächsten Jahres vorstellen. Ich finde es ganz interessant, daß der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Herr Professor Ruland, immer wieder auch öffentlich erklärt hat: Die beste und die zuverlässigste Alterssicherung erreicht „frau" durch eine möglichst kontinuierliche Erwerbsarbeit. - Dazu brauchen wir aber eine andere Politik, damit Erwerbsarbeit und Familie besser miteinander vereinbart werden können. Mit diesem Merkposten möchte ich meinen Beitrag abschließen; denn daran müßte sich eine sehr lange Diskussion anschließen, die wir heute, am Freitagnachmittag, sicher nicht mehr führen können und nicht mehr führen wollen. Danke. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag greift die PDS ein Problem auf, das lange erkannt ist. Genau heute vor fünf Jahren hat der Deutsche Bundestag in einer großen Entschließung zur Fortsetzung der Reform der Alterssicherung der Frauen aufgefordert, die bis zum Beginn des Jahres 1997 verwirklicht werden sollte. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte zu einer verbesserten Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten aufgefordert. Ein Schwerpunkt der gemeinsamen Entschließung war, die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und der Pflege zu verbessern und dabei die Tatsache zu berücksichtigen, daß Familienarbeit oft gleichzeitig mit Erwerbsarbeit geleistet wird. Ich denke, der Auftragsteil „Pflege" ist mit ihrer rentenrechtlichen Anerkennung zwischenzeitlich schon einigermaßen erfüllt. Der F.D.P. ging es damals vor allem auch darum, daß nicht nur Kindererziehungszeiten der Frauen anerkannt werden, die während dieser Erziehungszeit nicht erwerbstätig waren, sondern auch derjenigen, die sich der Doppelbelastung stellen mußten. Wir wollten eine additive Lösung; und die sollte nach dem Wortlaut der Entschließung noch in der 12. Legislaturperiode verwirklicht werden. Im Frühjahr 1991 sah es in der Euphorie der deutschen Einigung noch so aus, als könne das Gesamtkonzept bis 1997 tatsächlich verwirklicht werden. Doch die Zeiten haben sich geändert. Sehr schnell haben uns die sich gegenseitig verstärkenden Entwicklungen am Arbeitsmarkt, steigende Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Frühverrentung auf den Boden der finanziellen Realität zurückgeholt. Heute können wir nicht über zusätzliche Leistungen, sondern müssen über notwendig gewordene restriktive Maßnahmen zur Sicherung der soliden Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme reden. Wir müssen auf unserer Wunschliste vor allem dort Abstriche machen, wo der nachteilige Nebeneffekt der zusätzlichen Belastung der Beitragszahler aufträte. Diese Entwicklung dürfte eigentlich auch der PDS nicht entgangen sein. Dennoch suggeriert sie, die Republik könne das bzw. könne sich das noch leisten. Ich denke, sie wird auch viel Beifall bei denen finden, die der propagierten Fehleinschätzung erliegen, es komme nur auf den politischen Willen an. Das Grundrecht der Gleichberechtigung erfordert die eigenständige Alterssicherung der Frau. Zwar darf dieses Recht keine Funktion der Finanzen sein; aber wir alle wissen, was das Recht ohne materielle Umsetzung wert ist. Auch die sozialen Sicherungssysteme stehen unter dem Finanzierungsvorbehalt. Umsteuerungen innerhalb des Systems brauchen Zeit - zumindest eine Frist, die zur Neuorientierung der Betroffenen ausreicht. Ich denke, diese Einsicht war maßgebend für die teilweise Rücknahme der Vorschläge für die Anhebung der Altersgrenze für Frauen. Das Vertrauen in die Gültigkeit von Kriterien, die ehemals die Lebensplanung entscheidend mitbestimmt haben, ist für die Funktionsfähigkeit der Alterssicherung ebenso wichtig wie die Solidität ihrer Finanzierung selbst. Wir, die Freien Demokraten, wollen diese Reform. Wir wollen das gesteckte Ziel nicht aufgeben. Daher werden wir nicht aufhören, über Lösungsmöglichkeiten nachzudenken, um die Reform zunächst dort weiUwe Lühr terzubringen, wo sie aufkommensneutral realisiert werden kann. Wir werden uns weiter bemühen, Mittel zur eigenständigen Alterssicherung der Frau freizusetzen. Wir werden aber darauf achten, daß sie ordnungspolitisch korrekt finanziert wird. Einer Reform unter Hinnahme einer zusätzlichen Gefährdung der Stabilität des Gesamtsystems selbst werden wir uns widersetzen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Beste, was ich über den Antrag der PDS sagen kann, ist, daß er zu Recht auf das uneingelöste Versprechen dieses Entschließungsantrages, von dem hier schon so viel die Rede war, hinweist und darauf, daß es politisch nicht hinnehmbar ist, daß seitdem nichts geschehen ist und sich die Dinge - darauf hat auch die Kollegin Mascher hingewiesen - permanent zum Schlechteren wenden. ({0}) Nur weil der Antrag der PDS nicht gut ist, Herr Kollege Heiderich, können Sie noch nicht behaupten, daß das, was die Bundesregierung zur Zeit macht, gut sei. Dieser Umkehrschluß ist nicht zulässig. ({1}) Unbestritten ist auch - das habe ich gerade vom Kollegen Lühr gehört -, daß die eigenständige Alterssicherung der Frauen weiterhin eine wichtige politische Aufgabe ist, die wir dringend anpacken müssen. Ich glaube, daß wir auf dem Feld am besten vorankommen, wenn wir hier weiterhin über die Kindererziehungszeiten gehen. Frau Kollegin Bläss, Sie haben gerade einiges aus einer früheren Debatte über dieses Thema zitiert und gefragt: Wo ist denn der Elan dieser Debatte geblieben? Ich antworte Ihnen: Wenn ich mir Ihren Antrag ansehe, dann weiß ich auch nicht, wo der Elan der PDS geblieben ist. Wenn man die eigenständige Alterssicherung der Frauen wirklich will, dann muß man sich auch ernsthaft mit all den schwierigen ungelösten Fragen auseinandersetzen. Das tut Ihr Antrag nicht. ({2}) Das ärgert mich an der ganzen Sache so. Frau Kollegin Mascher hat eben nur an einem Punkt, der zur Debatte steht, nämlich an der Versicherungspflicht für Hausfrauen, darauf hingewiesen, wie kompliziert es ist, auf diesem Gebiet zu befriedigenden Lösungen zu kommen, die ohnehin nur in ganz engen Korridoren möglich sind. Ich kann für meine Fraktion ganz offen sagen: Wir wollen diese Reform. Aber angesichts all dessen, was wir im Moment an Arbeitsbelastung haben, waren wir bislang nicht in der Lage, dazu ein durchdachtes Konzept vorzulegen. Niemand bedauert das mehr als ich. Man kann aber an dieses Problem nicht so herangehen, wie Sie das in Ihrem Antrag gemacht haben, in dem Sie einfach sagen: Das wünschen wir uns. ({3}) Was Ihre Forderung angeht, den regulären Rentenzugang für Frauen auf Dauer auf 60 Jahre festzuschreiben: Haben Sie schon einmal etwas von demographischem Wandel und gestiegener Lebenserwartung gehört? Was die additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Erwerbstätigkeit angeht: Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, daß Sie, wenn Sie bei der Beitragsbemessungsgrenze keine Obergrenze einführen, theoretisch zu Rentenansprüchen von 2,8 Entgeltpunkten kommen? Wie wollen Sie dieses Problem lösen? ({4}) Zur Grundsicherung: Meine Fraktion arbeitet zur Zeit an der Konkretisierung eines Konzepts, mit dem wir uns schon seit längerem beschäftigen. Wenn ich mir ansehe, was die PDS da macht, dann werde ich nun wirklich wütend. Sie fordern 1 450 DM plus Miete. Das muß man einmal andersherum betrachten: Wenn man den jetzigen Sozialhilfesatz zugrunde legt, wenn man das, was zur Zeit an einmaligen Leistungen gezahlt wird, addiert, durch zwölf teilt und auf einen Monat umlegt und dann noch die 8 Prozent drauflegt, um die die Sozialhilfe nach Angaben der Wohlfahrtsverbände durch die Deckelung der letzten Jahre zu niedrig ist, dann kommen Sie auf einen Regelsatz von 717 DM. Also: 1 450 DM ist eine Verdoppelung des aktuellen Sozialhilfeniveaus. Da sagen Sie nun: Das kriegen wir doch finanziert. Das will ich sehen, das will ich auf Heller und Pfennig sehen. Nur, wenn man mit solchen Beträgen um sich schmeißt, dann diskreditiert man die Sozialpolitik. So kommt man mit einer oppositionellen Sozialpolitik nicht in die Offensive. Deswegen bin ich so sauer über diesen Antrag. ({5}) - Sie von der Koalition haben nicht zu klatschen. ({6}) Ich habe das der Kollegin vorgerechnet und gesagt: Sie müssen hier seriöser arbeiten. Ich habe über linke Sozialpolitik geredet. Ihre Sozialpolitik kann man nun wirlich nicht als linke Sozialpolitik bezeichnen. Ich habe weiter davon geredet, daß wir Alternativen aufzeigen wollen. ({7}) Andrea Fischer ({8}) - Das ist nicht wahr. In jeder Anhörung wird Ihnen erzählt, was Sie alles nicht bedacht haben. Sie müssen die Anhebung des Rentenalters der Frauen zurücknehmen, weil Sie offensichtlich Ihre Juristen in den Ministerien nicht gefragt haben, wie das mit dem Vertrauensschutz ist. ({9}) Erzählen Sie mir also nicht, Sie könnten richtige Sozialpolitik machen. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4684 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a und 19b sowie die Zusatzpunkte 8 und 11 auf: 19. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun ({0}), Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich und der Fraktion der F.D.P. Umsetzung der HABITAT II-Empfehlungen - Drucksache 13/4951 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul - Drucksache 13/4919 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volkmar Schultz ({3}), Ingrid Becker-Inglau, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen - Drucksache 13/4966 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Angelika Mertens, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Städtebauförderung als wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen - Drucksache 13/4761 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({5}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden folgende Kolleginnen und Kollegen ihren Redebeitrag zu Protokoll geben: CDU/CSU: Götz, Willner; SPD: Becker-Inglau, Schultz; Bündnis 90/Die Grünen: Eichstädt-Bohlig; F.D.P.: Schwaetzer; PDS: Warnick, und für die Bundesregierung Herr Bundesminister Töpfer.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist. - Das ist so. Dann schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4951, 13/4919 und 13/ 4966 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion der SPD zur Städtebauförderung auf Drucksache 13/ 4761 soll zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung dem Ausschuß für Wirtschaft sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 und Zusatzpunkt 9 auf: 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({6}) undderFraktionBÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortschreitende Gefährdung der menschlichen *) Anlage 4 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon - Drucksache 13/4727 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" ({8}) - Drucksache 13/4974 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Redebeiträge zu Protokoll geben: CDU/CSU: Reichard, SPD: Schwall-Düren, Bündnis 90/Die Grünen: Gila Altmann, F.D.P.: Homburger, PDS: Bulling-Schröter, für die Bundesregierung niemand.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist? Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4727 und 13/4974 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4727 soll zusätzlich dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Juni 1996, 13 Uhr ein. Schönes Wochenende! Die Sitzung ist geschlossen.